Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf: Eine Untersuchung zum deutschen und britischen Recht [1 ed.] 9783428481538, 9783428081530

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Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf: Eine Untersuchung zum deutschen und britischen Recht [1 ed.]
 9783428481538, 9783428081530

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Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft

Band 91

Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf Eine Untersuchung zum deutschen und britischen Recht

Von

Frank F. J. Michlik

Duncker & Humblot · Berlin

FRANK F. J. MICHLIK Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 91

Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf Eine Untersuchung zum deutschen und britischen Recht

Von

Frank F. J. Michlik LL.M. (Cambridge)

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Michlik, Frank: Die gewerkschaftliche Urabstimmung vor einem Arbeitskampf : eine Untersuchung zum deutschen und britischen Recht / von Frank F. J. Michlik. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft ; Bd. 91) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08153-6 NE: GT

D 6 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-08153-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Meinen Eitern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1993/94 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Ende Juli 1994 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Belling, und dem Zweitgutachter, Herrn Professor Dr. Dr. Schlüter. Sie haben diese Abhandlung angeregt und mir während meiner Tätigkeit an ihren Lehrstühlen wertvolle Ratschläge gegeben. Danken möchte ich auch dem Graduiertenkolleg Internationales und Europäisches Wirtschaftsrecht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn für die Förderung meiner Dissertation durch ein Promotionsstipendium und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster fur die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft". Hamm, den 25. September 1994 Frank Michlik

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung I.

21

Die Bedeutung und die historische Entwicklung des Arbeitskampfs

21

Der Zusammenhang zwischen Arbeitskampf und Urabstimmung

23

Der Begriff des Arbeitskampfs

25

B. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

28

II. ΠΙ.

I.

Die Grundlagen des deutschen Arbeitskampfrechts

28

II.

Die Grundlagen des britischen Arbeitskampfrechts

31

C. Die Urabstimmung im britischen Recht I.

39

Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

39

1. Das Satzungsrecht

39

a) Kollektives "laissez-faire"

39

b) Die gewerkschaftliche Praxis

40

c) Die Rechtsfolgen eines Satzungsverstoßes

41

aa) Die Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern

41

bb) Die Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem

II.

Kampfgegner oder Dritten

45

2. Der Industrial Relations Act 1971

47

Die staatliche Finanzierung von Urabstimmungen

50

1. Die Voraussetzungen für eine staatliche Finanzierung von Urabstimmungen . . . . 51 2. Der Sinn und Zweck von s. 115 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

53

3. Die Bedeutung der staatlichen Finanzierung von Urabstimmungen in der Praxis . . 53

nsverzeichnis Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

56

1. Die Rechtsfolgen von s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

56

a) Der Verlust der Immunitat

56

b) Die einstweilige Verfugung

58

aa) Die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfugung

58

bb) Die Rechtsgüterabwägung beim Unterlassen einer Urabstimmung (Balance of Convenience) cc) Die Zwangsmittel und die Rechtsmittel

60 63

dd) Die Kritik an dem Erlaß einstweiliger Verfugungen

64

ee) Der eigene Lösungsansatz

64

ff)

Die Verfugung bei Beeinträchtigung der Güterversorgung oder der Versorgung mit Dienstleistungen

67

2. Der Sinn und Zweck von s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

68

a) Der Regierungsbericht "Trade Union Immunities" 1981

70

b) Der Regierungsbericht "Democracy in Trade Unions" 1983

70

c) Der Regierungsentwurf des Gesetzes

73

d) Zusammenfassung: Der Sinn und Zweck der Urabstimmungsobliegenheit nach den offiziellen Stellungnahmen

75

e) Die Stellungnahmen in der Literatur

76

f) Die eigene Auffassung

77

3. Die Voraussetzungen fur den Verlust der Immunität

78

a) Eine Handlung der Gewerkschaft

78

b) Die Anforderungen an die unerlaubte Handlung

80

4. Die Anforderungen an die Urabstimmung a) Der Bezug zum Arbeitskampf

82 82

aa) Die Zusammenfassung verschiedener Angelegenheiten in einer Urabstimmung

82

bb) Die Unterbrechung eines Arbeitskampfs

84

b) Eine Urabstimmung in verschiedenen Betrieben

87

aa) Die gesetzliche Regelung in s. 228 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 bb) Die Aufrechterhaltung eines Notdienstes

87 89

cc) Betriebe mit gemeinsamem, regional geltenden Tarifvertrag

90

dd) Verschiedene Arbeitgeber

92

nsverzeichnis c) Die Reihenfolge und der zeitliche Zusammenhang von Urabstimmung und Arbeitskampf

93

aa) Der Aufruf zum Arbeitskampf nach der Urabstimmung

93

bb) Die Vier-Wochen-Frist

95

d) Die Benennung der verantwortlichen Person

98

e) Die Abstimmungsberechtigten

100

aa) Abgrenzung: Die Verweigerung der Abstimmungsberechtigung- die fehlende Gelegenheit zur Stimmabgabe

101

bb) Die Neueinstellungen nach Durchführung der Urabstimmung

104

(1) Der Meinungsstand

104

(2) Die eigene Lösung

105

(a) Der Wortlaut von s. 227 (1) Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

105

(b) Die Gesetzessystematik

105

(aa) Die Verweigerung der Abstimmungsberechtigung nach s. 227 (2) Trade Union and Labour Relatione (Consolidation) Act 1992

106

(bb) Der Verstoß gegen s. 230 (2) Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

106

(cc) Die Bedeutung der Anzahl von neu eingestellten Arbeitnehmern

108

(c) Der Sinn und Zweck der Norm

109

cc) Die Gewerkschaftsverbände

111

(1) Der Meinungsstand

111

(2) Die eigene Lösung

112

(a) Der Wortlaut der Norm und die Gesetzessystematik

112

(b) Der Sinn und Zweck der Norm

113

f) Das Ergebnis der Urabstimmung

116

g) Die Form, die Fragestellung und der Ablauf der Urabstimmung

117

aa) Schriftliche Stimmabgabe

117

bb) Der Hinweis auf dem Stimmzettel

118

cc) Gesonderte Fragen für einen Streik und eine andere Form des Arbeitskampfs dd) Der Ablauf der Urabstimmung

119 120

ee) Die durch den Trade Union Reform and Employment Rights Act 1993 eingeführten Pflichten zur Benachrichtigung des Kampfgegners und zur Wahlprüfung 5. Die Auswirkungen der Urabstimmungsobliegenheit in der Praxis a) Gerichtliche Verfahren durch die Arbeitgeber

122 127 127

b) Urabstimmungen als regelmäßiger Bestandteil der Vorbereitung eines Arbeitskampfs 6. Verstoß gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 87 a) Kritik an dem Eingriff in die gewerkschaftliche Autonomie

129 131 131

12

nsverzeichnis b) Die eigene Ansicht

134

I V . Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und den Mitgliedern

137

1. Die Rechtslage vor Erlaß des Employment Act 1988

137

2. Die Rechtsfolgen von s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

139

3. Der Sinn und Zweck von s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

142

a) Der Regierungsbericht "Trade Unions and Their Members" 1987

142

b) Die Stellungnahmen in der Literatur

143

c) Die eigene Auffassung

145

4. Die Prüfung im Rahmen des Verfügungsverfahrens

146

a) Die Antragsbefugnis (s. 62 (1) Trade Union and Labour Relations (Consolidation Act 1992)

146

b) Die Begründetheitsvoraussetzungen

146

aa) Die Veranlassung von Gewerkschaftsmitgliedern zur Beteiligung an einem Arbeitskampf

146

bb) Der Antragsteller als Adressat der Aufforderung

148

cc) Gewerkschaftlicher Arbeitskampf

149

dd) Fehlende Bestätigung durch eine Urabstimmung

149

5. Der Zusammenhang zwischen s. 226 und s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

150

6. Der Bevollmächtigte fur die Rechte der Gewerkschaftsmitglieder

150

7. Die Auswirkungen der Rechtsschutzmöglichkeit fur Gewerkschaftsmitglieder in der Praxis

151

8. Die Kritik an s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 V . Die Richtlinie fur die Praxis

153

1. Die gesetzliche Befugnis zum Erlaß der Richtlinie 2. Die Richtlinie fur Urabstimmungen vor Arbeitskämpfen aus dem Jahr 1990 D. Die Urabstimmung im deutschen Recht I.

151

153 ...

155 157

Die gewerkschaftliche Praxis

157

1. Der Ablauf der Vorbereitung eines Arbeitskampfes

157

nsverzeichnis

Π.

2. Die Urabstimmungsregelungen in den Gewerkschaftssatzungen

158

Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

160

1. Eine Gewerkschaft ohne satzungsmäßige Urabstimmungsverpflichtung

160

a) Die Verfassungswidrigkeit

161

aa)

Verstoß gegen das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz . . 161

bb)

Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz

. . 162

b) Die Gesetzeswidrigkeit aa)

163

Verstoß gegen § 823 Abs. 1 BGB

164

(1) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

164

(2) Die Voraussetzungendes von Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz gewährleisteten Arbeitskampfs

168

(a) Der Abgrenzungsmaßstab

168

(b) Das Gebot der Führung eines Arbeitskampfs durch eine tariffähige Koalition (c) Das ultima-ratio-Prinzip (aa) Die Urabstimmung keine Arbeitskampfmaßnahme

170 173 174

(bb) Die Urabstimmung als Möglichkeit einer friedlichen Einigung

178

(d) Das Gebot fairer Kampfführung

180

(e) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

184

(f)

Die Urabstimmung als gewohnheitsrechtliche Grundregel des Arbeitskampfrechts

185

(g) Die Übertragung des Rechtsgedankens aus s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

186

(aa) Die Übertragung nach geltendem Recht

186

(bb) Der Erlaß einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift . . . .

192

(h) Das Ergebnis: Schutz eines Arbeitskampfs durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz auch ohne satzungsmäßig vorgeschriebene Urabstimmung

197

bb)

Verstoß gegen § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 240 StGB oder § 253 StGB . . 198

cc)

Verstoß gegen § 826 BGB

dd)

Das Ergebnis: Keine Gesetzeswidrigkeit

c) Die Tarifvertragswidrigkeit

198 199 199

d) Das Ergebnis: Rechtmäßigkeiteines Arbeitskampfs ohne satzungsmäßig vorgeschriebene Urabstimmung gegenüber dem Kampfgegner 2. Eine Gewerkschaft mit satzungsmäßiger Urabstimmungsverpflichtung a) Die Gesetzeswidrigkeit wegen Verstoßes gegen § 823 Abs. 1 BGB aa) bb)

Automatische Rechtswidrigkeit wegen des Satzungsverstoßes

199 200 200 200

Das Gebot der Führung eines Arbeitskampfs durch eine tariffahige Koalition

202

cc)

Das ultima-ratio-Prinzip

206

dd)

Das Gebot fairer Kampfführung

207

ee)

Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

208

14

nsverzeichnis ff)

Das Ergebnis: Keine Gesetzeswidrigkeit

gg)

Der Sonderfall des kurzen Warnstreiks

209 210

b) Die Tarifvertragswidrigkeit

211

c) Das Ergebnis: Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfs trotz satzungswidrig unterbliebener Urabstimmung

212

Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und den Mitgliedern

213

1. Eine Gewerkschaft ohne satzungsmäßige Urabstimmungsverpflichtung

213

ΙΠ.

a) Eine Urabstimmungsverpflichtung aufgrund des Erfordernisses demokratischer Legitimation

213

aa)

Die Grundlage des Erfordernisses demokratischer Legitimation

213

bb)

Der Vergleichsmaßstab für die notwendige demokratische Legitimation . . .

221

cc)

Der Vergleich der demokratischen Legitimation gewerkschaftlicher Befugnisse mit der demokratischen Legitimation staatlicher Gesetzgebung

223

(1) Keine strengeren Anforderungen an die Legitimation gewerkschaftlicher Befugnisse als an die staatliche Legitimation

223

(2) Der Grundsatz der repräsentativen Demokratie

224

(3) Die Defizite der innergewerkschaftlichen Demokratie

227

(a) Die Bestimmung der Elemente repräsentativer Demokratie nach dem Grundgesetz

228

(b) Die ununterbrochene Legitimationskette zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern und den Entscheidungsträgern

229

(aa) Durch Wahlen begründete Legitimationskette

230

(bb) Der Grundsatz der allgemeinen Wahl

231

(cc) Der Grundsatz der gleichen Wahl

233

(dd) Der Grundsatz der freien Wahl

234

(ee) Der Grundsatz der geheimen Wahl

234

(ff)

Der Tagungsturnus der Delegiertenversammlung

(gg) Das Ergebnis: Indirektere Legitimation

235 235

(c) Die Prinzipien der Gewaltenteilung, der Verantwortlichkeit der Regierung und der Unabhängigkeit der Gerichte

236

(d) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

239

(e) Der Grundsatz der Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf Opposition (f)

240

Zusammenfassung: Schwächer ausgeprägte Elemente der innergewerkschaftlichen Demokratie

(4) Die Urabstimmung als Ausgleich fur die demokratischen Schwächen

243 . 243

(a) Die Geeignetheit der Urabstimmung als ausgleichende Mitgliederbeteiligung

245

(b) Die Erforderlichkeit der Urabstimmung als ausgleichende Mitgliederbeteiligung

246

(aa) Die tätige Abstimmung durch eine Beteiligung an dem Arbeitskampf (bb) Der freiwillige Beitritt der Mitglieder

247 247

nsverzeichnis (cc) Das Ergebnis: Keine Urabstimmungsverpflichtung als Ausgleich fur die demokratischen Schwachen der Gewerkschaften

252

(5) Ein Ausnahmetatbestand aufgrund der schwerwiegenden Folgen eines Arbeitskampfs

252

dd) Das Ergebnis: Keine Urabstimmungsverpflichtung aufgrund des Erfordernisses demokratischer Legitimation b) Eine Urabstimmungsverpflichtung aufgrund des Sozialstaatsprinzips

253 253

c) Eine Urabstimmungsverpflichtung aufgrund eines innergewerkschaftlichen ultimaratio-Prinzips

255

d) Eine Urabstimmungsverpflichtung aus vereinsrechtlichen Gründen

258

aa)

Der Entzug eines vereinsrechtlichen Sonderrechte

bb)

Eine vollständige Entrechtung des Mitglieds

258 258

cc)

Eine willkürliche Entrechtung des Mitglieds

259

e) Das Ergebnis: Keine Urabstimmungsverpflichtung kraft übergeordneten Rechts . 260 f) Die Verpflichtung der Gewerkschaftsmitglieder, einem Kampfaufruf auch ohne Urabstimmung Folge zu leisten

261

g) Die Übertragung des Rechtsgedankensaus s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 2. Eine Gewerkschaft mit satzungsmäßiger Urabstimmungsverpflichtung a) Die Rechtsfolgen des Satzungsverstoßes aa)

263 263

Die Nichtigkeit des Arbeitskampfbeschlusses im Verhältnis der Gewerkschaft zu den Mitgliedern

bb)

262

263

Der Schadensersatzanspruch der Mitglieder gegen die Gewerkschaft

265

(1) Der Anspruch aus positiver Forderungsverletzung

266

(a) Die Verletzung einer Pflicht gegenüber den Mitgliedern

267

(b) Die Kausalität

268

(2) Der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Mitgliedschaftsrechts

270

(a) Das Mitgliedschaftsrecht als sonstiges Recht

270

(b) Die Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB in dem Verhältnis des Verbandes zu den Mitgliedern

271

(c) Der Abgrenzungsmaß stab für den Schutz des Mitgliedschaftsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB

272

(d) Der Verstoß gegen eine Urabstimmungsverpflichtung als Verletzung des Mitgliedschaftsrechts (e) Die Gewerkschaft als Anspruchsgegner (3) Weitere deliktische Anspruchsgrundlagen

274 275 276

(a) Der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Rechts am Arbeitsplatz (b) Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 240 StGB

276 276

(4) Das Ergebnis: Ein Schadensersatzanspruch des Mitglieds gegen die Gewerkschaft aus positiver Forderungsverletzung und aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Mitgliedschaftsrechts b) Die Rechtsschutzmöglichkeiten eines Gewerkschaftsmitglieds

277 278

16

nsverzeichnis aa) bb)

Die Feststellungsklage gegen die Wirksamkeit von gewerkschaftlichen Disziplinarmaßnahmen

278

Die Feststellungsklage wegen der Nichtigkeit des Arbeitskampfbeschlusses

281

(1) Satzungsändernde Beschlüsse, faktische Satzungsänderungen und Beschlüsse der Delegiertenversammlung

282

(2) Die Anforderungen an die Klagebefugnis gegen Beschlüsse des Hauptvorstandes cc)

283

Die Unterlassungsklage gegen die Aufforderung, sich an dem Arbeitskampf zu beteiligen

286

(1) Die Anwendung von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog auf das Mitgliedschaftsrecht (2) Der Nachweis einer Beeinträchtigung

286 287

(3) Der Vergleich mit s. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

288

dd)

Die Leistungsklage auf Durchführung einer Urabstimmung

ee)

Zusammenfassung: Die Klagemöglichkeiten

289 291

ff)

Der einstweilige Rechtsschutz

291

(1) Die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung gegen einen Arbeitskampf (2) Der Verfügungsanspruch

E.

292 293

(3) Der Verfügungsgrund

293

(4) Der Vergleich mit dem britischen Recht

295

Rechtsvergleicheilde Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

297 309

Abkürzungsverzeichnis a.Α.

anderer Ansicht

AC

Law Reports Appeal Cases

ACAS

Advisory Conciliation and Arbitration Service

AcP

Archiv fur die civilistische Praxis

AFG

Arbeitsförderungsgesetz vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 582)

All ER

All England Law Reports

AP

Arbeitsgerichtliche Praxis

AR-Blattei

Arbeitsrecht-Blattei

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ARS

Arbeitsrechts-Sammlung, Entscheidungssammlungdes Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte

AÜG

Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen (Arbeitnehmerüberlassungsge-

AuR

Arbeit und Recht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BAT

Bundes-Angestellten-Tarifvertrag

setz) vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1393)

BayObLGZ

Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts

BB

Der Betriebsberater

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetzvom 15.1.1972 (BGBl. I S . 13)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (RGBl. S. 195)

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BPersVG

Bundespersonalvertretungsgesetzvom 15.3.1974 (BGBl. I S. 693)

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Ch

Law Reports Chancery Division

Cm.

Command Paper

Cmnd.

Command Paper

DB

Der Betrieb

Diss.

Dissertation

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

EA

Employment Act

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

EzA

Entscheidungssammlungzum Arbeitsrecht

GewMH

Gewerkschaftliche Monatshefte

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. I S. 1)

GmbH 2 Michlik

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Abkürzungsverzeichnis

18 GmbHG

Gesetz betreifend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20.4.1892 (RGBL. S. 477)

GS

Großer Senat

GVG

Gerichtsverfassungsgesetzvom 9.5.1979 (BGBl. I S. 1077)

ICR

Industrial Cases Reports

i.d.F.

in der Fassung

IG

Industriegewerkschaft

HJ

Industrial Law Journal

ILO

International Labour Organisation

Inc.

Incorporated

IRLR

Industrial Relations Law Reports

J.

Justice

Jura

Juristische Ausbildung

Jur.Jahrbuch

Juristisches Jahrbuch

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammetgericht

KSchG

Kündigungsschutzgesetzvom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1317)

LAG

Landesarbeitsgericht

L.C.

Lord Chancellor

LG

Landgericht

L.J.

Lord Justice

Ltd.

Private Limited Company

m.

mit

MLR

Modern Law Review

M.R.

The Master of the Rolls

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NU

New Law Journal

No.

Number

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

OLG

Oberlandesgericht

ÖTV

Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr

OxJLS

Oxford Journal of Legal Studies

para.

paragraph

Pic.

Public Limited Company

QB RAG

Reichsarbeitsgericht

RdA

Recht der Arbeit

Rdnr.

Randnummer

Law Reports Queen's Bench Division

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichgesetzblatt

RG Warn

Rechtsprechung des Reichsgerichts, herausgegeben von Warneyer

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

S.

Seite

s.

section

SAE

Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen

Abkürzungsverzeichnis SchwG

Schwerbehindertengesetz vom 26.8.1986 (BGBl. I S. 1421)

Sol J

Solicitors' Journal

StGB

Strafgesetzbuch vom 10. Mäiz 1987 (BGBl. I S. 1160)

TUA

Trade Union Act

TULRA

Trade Union and Labour Relations Act

TULR(C) A

Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act

TVG

Tarifvertragsgesetz vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1323)

UK

United Kingdom

Uit.

Urteil

v.

vom/von; vor; versus

Vol.

Volume

WDStRl

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WLR

Weekly Law Reports

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZHR

Zeitschrift fur das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift fur Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozeßordnung vom 12.9.1950 (BGBl. S. 533)

ZRP

Zeitschrift ffir Rechtspolitik

Λ. Einleitung I. Die Bedeutung und die historische Entwicklung des Arbeitskampfs In den industrialisierten Gesellschaften ist die Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer als dem dienstverpflichteten, weisungsgebundenen Partner eines Arbeitsvertrags und dem Arbeitgeber als dem dienstfordernden, weisungsberechtigten Partner eines Arbeitsvertrags durch eine natürliche Interessenverschiedenheit gekennzeichnet1. Ein angemessener gegenseitiger Interessenausgleich zwischen Vertragspartnern mit unterschiedlichen Interessen setzt die Vertragsparität zwischen ihnen voraus2. Abgesehen von Zeiten der Vollbeschäftigung, in denen die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot übersteigt, herrscht im Verhältnis zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem einzelnen Arbeitgeber, anders als bei anderen synallagmatischen Verträgen, in der Regel keine Vertragsparität, sondern ein Machtungleichgewicht zu Lasten des einzelnen Arbeitnehmers3. Aufgrund der strukturellen ökonomischen Verhältnisse des Arbeitsmarktes besteht nicht von vornherein ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften 4. Konsequenz der fehlenden Vertragsparität ist eine Störung der Privatautonomie im Arbeitsverhältnis5. Besonders ausgeprägt war dieses Machtungleichgewicht in der Zeit der beginnenden Industrialisierung6. Die Industrialisierung setzte im 18. Jahr-

1

Rüthers in Brox/Rüthers,

Arbeitskampfrecht, Rdnr. 1.

2 Wolfi ZfA, 1971,151; Bartholomeyczik, Reuter, ZfA 1975, 85, 86.

AcP 166, 30; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 52; Dieter

3 LarenZy Allgemeiner Teil, S. 55; Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 16; zweifelnd Zöllner, 176, 221, 229 ff; Fredman, 12 (1992) OxJLS, 24, 39. 4 3

AcP

Dieter Reuter, ZfA 1975, 85, 86; Belling , Günstigkeitsprinzip, S. 16.

Zweifel an einem Machtungleichgewicht unter heutigen Verhältnissen äußert Zöllner, AcP 176, 221, 230 ff.

Α. Einleitung

22

hundert zunächst in England ein und griff im 19. Jahrhundert auf den europäischen Kontinent über7. Das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern 8 hatte die Verarmung eines großen Teils der Arbeitnehmerschaft zur Folge. Es war ein Gegengewicht erforderlich, um die Vertragsparität wieder herzustellen. Ein wirkungsvolles Gegengewicht ist die Ausübung von Gruppenmacht; kollektive Machtausübung kann die Position des einzelnen beim Vertragsschluß erheblich stärken9. Wichtigstes Ziel des Zusammenschlusses von Arbeitnehmern in Gewerkschaften im Zuge der Industrialisierung war es daher, angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen fur die einzelnen Arbeitnehmer durchzusetzen10. Das wirkungsvollste Druckmittel der Gewerkschaften ist seit jeher der Arbeitskampf in Form des Streiks gewesen11. Das Reichsgericht hat einen Streik als eine "mit oder ohne Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgende gemeinsame Arbeitsniederlegung einer Mehrheit von Arbeitnehmern... mit dem Zweck, durch diese Kampfmaßnahme ein bestimmtes Ziel zu erreichen" 12 umschrieben. Darüber hinaus sollte der Begriff des Streiks neben der Arbeitsniederlegung auch andere Formen einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Arbeitsvertrags, wie beispielsweise eine Schlechterfullung der Arbeitspflicht oder den Dienst nach Vorschrift, erfassen. Daher wird ein Streik heute als die planmäßige, gemeinschaftlich von mehreren Arbeitnehmern durchgeführte Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten zur Erreichung eines gemeinschaftlichen Ziels definiert 13.

6

So auch Zöllner,

7

Vgl. Nipperdey/Säcker

8

Vgl. Säcker, Gruppenautonomie, S. 256; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 55.

9

Bartholomeyczik,

10

AcP 176, 221, 229 f. in Hueck/Nipperdey,

Arbeitsrecht, Bd. II/2, S. 868.

AcP 166, 30, 64; vgl. auch Fredman,

12 (1992) OxJLS, 24, 39.

Säcker, Gruppenautonomie, S. 256; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 55.

11 Vgl. Brox in Βrox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 25; Vorläufer des modernen Arbeitskampfs existierten auch bereits bei den Auseinandersetzungen zwischen mittelalterlichen Brüderschaften von Handwerksgesellen und den Zünften, vgl. Rüthers in Brox/Rüthers y Arbeitskampfrecht, Rdnr. 2; Nipperdey /Säcker in Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II/ 2, S. 867. 12 13

RAG, ARS 13,591,593.

Schaub y Arbeitsrechts-Handbuch, S. 1449; nach s. 246 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 wird ein Streik in England definiert als "any concerted stoppage of work".

Π. Der Zusammenhang zwischen Arbeitskampf und Urabstimmung

23

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Streiks in Folge der zunehmenden Stärkung der Gewerkschaftsbewegung 14 immer organisierter, disziplinierter und auch erfolgreicher. Die Arbeitgeber schlossen sich daraufhin zu Arbeitgeberverbänden zusammen, um ihrerseits kollektiven Druck ausüben zu können15. Das wichtigste Arbeitskampfmittel der Arbeitgeber ist die Aussperrung 16. Hierunter ist die bei einem oder mehreren Arbeitgebern planmäßig erfolgende Arbeitsausschließung zur Erreichung eines Ziels zu verstehen17.

II· Der Zusammenhang zwischen Arbeitskampf und Urabstimmung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die Fragen, ob Gewerkschaften verpflichtet sind, vor einem Arbeitskampf eine Urabstimmung unter den betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern durchzuführen und welche Rechtsfolgen das Unterbleiben einer Urabstimmung auslöst. Eine Urabstimmung ist zu definieren als die einem Arbeitskampf vorausgehende, von einer Gewerkschaft durchgeführte Abstimmung unter ihren abstimmungsberechtigten Mitgliedern darüber, ob diese dem Beginn der von der Gewerkschaft geplanten Arbeitskampfmaßnahmen zustimmen18. Die Frage nach der gewerkschaftlichen Verpflichtung, eine Urabstimmung durchzufuhren, hat ihre Bedeutung vor allem aufgrund des Machtspannungsverhältnisses, in dem sich Arbeitnehmer bei einem Arbeitskampf befinden. Auf der einen Seite sollen Arbeitskampfmaßnahmen das Machtungleichgewicht zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber durch die Ausübung von Gruppenmacht ausgleichen19. Auf der anderen Seite läuft der einzelne Arbeitnehmer aber Gefahr, durch eine hierarchisch aufgebaute Gewerkschafts-

14

Vgl. dazu Teubner, Organisationsdemokratie, S. 44.

15

Mpperdey/Säcker

16

Vgl. Brox in Brox/Rüthers,

17

Brox in Brox/Rüthers,

in Hueck/Nipperdey,

Arbeitsrecht, Bd. Π/2, S. 869.

Arbeitskampfrecht, Rdnr. 25.

Arbeitskampfrecht, Rdnr. 45.

" Vgl. zum zeitlichen Ablauf der gewerkschaftlichen Vorbereitung eines Arbeitskampfs Schlüter in Brox/Rüthers y Arbeitskampfrecht, Rdnr. 474, 475. 19

Vgl. oben unter A I; so auch Richardi,

JZ 1985, 410, 420.

24

Α. Einleitung

organisation in eine neue Machtabhängigkeit zu geraten20, die seine privatautonome Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen kann. Nach deutschem Recht sind die betroffenen Gewerkschaftsmitglieder verpflichtet, einem Aufruf ihrer Gewerkschaft zum Arbeitskampf Folge zu leisten. Eine solche Verpflichtung ergibt sich aus den Gewerkschaftssatzungen, den ergänzenden Arbeitskampfrichtlinien oder der vereinsrechtlichen Förderpflicht 21. Den Gewerkschaften stehen wirkungsvolle Mittel zur Verfugung, um Druck auf einzelne Gewerkschaftsmitglieder ausüben zu können und sie zur Beteiligung an einem Arbeitskampf zu zwingen. Sie haben eine Disziplinargewalt, die von förmlichen Rügen, Verwarnungen und Geldbußen bis zum Gewerkschaftsausschluß reicht 22. Die Mitglieder haben sich dieser Disziplinargewalt durch den Eintritt in die Gewerkschaft unterworfen und der Staat muß sie - nach Auffassung des Bundesgerichtshofs 23 - als selbständige Disziplinargewalt anerkennen. Mit Rücksicht auf diese Machtposition könnten die Gewerkschaften verpflichtet sein, einen Arbeitskampf nur nach vorheriger Urabstimmung unter den betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern durchzuführen.

Zur Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit einer Urabstimmung bietet sich ein Vergleich mit der britischen Rechtslage nicht nur im Hinblick auf die Harmonisierung des Arbeitsrechts in der Europäischen Union an. Besondere Aktualität hat die Frage nach der gewerkschaftlichen Verpflichtung zur Durchführung einer Urabstimmung in Großbritannien 24 durch den Erlaß des Trade Union Act (TUA) 1984 und des Employment Act (EA) 1988 erhalten. Diese Gesetze haben die ursprüngliche Rechtslage grundlegend geändert. Beide Gesetze sind nunmehr in dem Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (TULR(C)A 1992) zusammengefaßt.

20 Vgl. zum Aufbau der Gewerkschaftsorganisation in Deutschland: Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, S. 1432 ff.; vgl. zu den Abhängigkeiten des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber der Gewerkschaft: Vorderwülbecke, Rechtsform, S. 20. 21

Anderson, verbandsrechtliche Stellung, S. 99 f.

22

Vgl. Schlüter m Brox/Rüthers,

23

BGHZ 13, 5, 11.

24

Arbeitskampfrecht, Rdnr. 492.

Die in dieser Arbeit angesprochenen Gesetze gelten nicht in Nordirland; vgl. zur Regelung der Urabstimmungsproblematik in Nordirland: Black, (1984) 13 ILJ, 243, 244 f.; siehe zu der besonderen Problematik von Mitgliedern britischer Gewerkschaften, die sich zur Zeit der Urabstimmung in Nordirland aufhalten, s. 232 (4) TULR(C)A 1992.

25

ΠΙ. Der Begriff des Arbeitskampfs

III. Der Begriff des Arbeitskampfs Um den Umfang einer möglichen Urabstimmungsverpflichtung festzulegen, ist zunächst zu klären, was unter einem Arbeitskampf zu verstehen ist. Neben den bereits erwähnten Kampfmitteln Streik und Aussperrung kann der Begriff des Arbeitskampfs noch andere Kampfmittel erfassen. Im deutschen Recht gibt es keine Legaldefinition des Arbeitskampfs, obwohl der Begriff des Arbeitskampfs in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz genannt wird. Eine weite Auffassung betont den kollektiven Charakter der Kampfmittel. Sie definiert einen Arbeitskampf als "jede von einer Partei des Arbeitslebens ausgehende planmäßige Störung des Arbeitsfriedens durch kollektive Maßnahmen, mit denen ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll* 25 . Demgegenüber verlangt eine engere Auffassung, daß das Arbeitskampfziel eine kollektivvertragliche Regelung sein müsse. Danach ist ein Arbeitskampf eine "aufgrund eines Kampfentschlusses der Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite erfolgende Störung des Arbeitslebens durch kollektive Kampfmaßnahmen zu dem Zweck, mit Hilfe des dadurch ausgeübten Drucks eine freiwillig nicht zugestandene kollektive vertragliche Regelung zu erreichen (Angriffsarbeitskampf) oder abzuwehren (Abwehrarbeitskampf)" 26. Unterschiede zwischen diesen Auffassungen können sich vor allem bei Sympathiestreiks und Streiks um politische Ziele ergeben. Eine vermittelnde Ansicht verzichtet auf das Erfordernis einer kollektiwertraglichen Regelung als Ziel eines Arbeitskampfs; sie verlangt jedoch, daß sich ein Arbeitskampf gegen den sozialen Gegenspieler richten muß27. Däubler 28 schränkt den weiten Arbeitskampfbegriff auf eine andere Art und Weise ein. Er klammert die kollektive Ausübung von Individualrechten, die den einzelnen Arbeitnehmern nach dem Arbeitsvertragsrecht zustehen, aus dem Begriff des Arbeitskampfs aus. Danach wäre beispielsweise die kollektive Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nach §§ 273, 320 BGB durch eine Gruppe von Arbeitnehmern keine Arbeitskampfhandlung 29.

25

Nikis ch, Arbeitsrecht, Bd. Π, S. 79; ähnlich Brox in Brox/Rüthers,

Arbeitskampfrecht, Rdnr.

17. 26

Mpperdey /Säcker in Hueck/Nipperdey,

27

Söllner, Arbeitsrecht, S. 75 f.

28

Arbeitskampfrecht, Rdnr. 57.

29

Vgl. Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 57.

Arbeitsrecht, Bd. Π/2, S. 870.

26

Α. Einleitung

Im britischen Recht stellt s. 244 (1) des Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 eine Legaldefinition des Arbeitskampfs zur Verfugung. Diese Legaldefinition bildet die Grundlage fur die Gewährung von Immunitat fur unerlaubte Handlungen, die im Verlauf eines Arbeitskampfs begangen werden. S. 244 Trade stimmt:

Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992 be-

Meaning of "trade dispute" in Part V 244.- (1) In this Paît a "trade dispute" means a dispute between workers and their employer which relates wholly or mainly to one or more of the following (a) terms and conditions of employment, or the physical conditions in which any workers are required to work; (b) engagement or nonengagement, or termination or suspension of employment or the duties of employment, of one or more workers; (c) allocation of work or the duties of employment as between workers or groups of workers; (d) matters of discipline; (e) a worker's membership or non-membership of a trade union; (i)

facilities for officials of trade unions; and

(g) machinery for negotiation or consultation, and other procedures, relating to any of the above matters, including the recognition by employers or employers' associations of the right of a trade union to represent workers in such negotiation or consultation or in the carrying out of such procedures.

Der kollektive Charakter eines Arbeitskampfs kommt in dieser Definition durch die Verwendung des Plurals "workers" zum Ausdruck. Es ist unstreitig, daß ein Verhalten eines einzelnen Arbeitnehmers, das allein auf dem Entschluß dieses Arbeitnehmers beruht, nicht die Voraussetzungen eines Arbeitskampfs erfüllen kann30. Die Beschränkung des Arbeitskampfbegriffs durch die Aufzählung bestimmter Kampfziele in s. 244 (1) TULR(C)A 1992 ist dadurch zu erklären, daß diese Norm Voraussetzungen fur die Gewährung von Immunität für Arbeitskampfhandlungen im Recht der unerlaubten Handlungen enthält. Arbeitskämpfe um politische oder innergewerkschaftliche Ziele sollen beispielsweise nicht von der Immunität erfaßt werden 31. Hierdurch ist auch die Be-

30

Birk in Blainpain, Comparative Labour Law, 401, 412; Nikis eh, Arbeitsrecht, Bd. Π, S. 79; Brox in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 20. 31 Vgl. Bowers/Honey ball y Labour Law, S. 360 ff.; Carby-Hall, 1/2, 1987, 1, 15 ff.

Managerial Law, Vol. 29, No.

ΠΙ. Der Begriff des Arbeitskampfs

27

schränkung auf einen Streit zwischen Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern zu erklären. Allerdings ist die Legaldefinition in s. 244 TULR(C)A 1992 weiter als der in Deutschland vertretene enge Arbeitskampfbegriff, denn sie umfaßt auch Ziele, die nicht durch kollektiwertragliche Regelung zu erreichen sind, wie die Einstellung oder Nichteinsteilung eines einzelnen Arbeitnehmers. Der Arbeitskamp fbegriff, der vorliegenden Untersuchung zugrundegelegt wird, sollte zumindest den Begriff nach s. 244 TULR(C)A 1992 umfassen, um eine gemeinsame Definition fur das deutsche und britische Recht zu ermöglichen. Darüber hinaus könnte ein zu enger Arbeitskampfbegriff den Gegenstand der Untersuchung von vornherein unnötigerweise einschränken. Bei einer zu engen Auslegung des Arbeitskampfbegriffs besteht außerdem auch die Gefahr, daß Fragen der Rechtmäßigkeit von vornherein durch Begrifflichkeiten vorweg genommen werden 32. Demzufolge liegt der Untersuchung ein weiter Arbeitskampfbegriff zugrunde. Das entscheidende Merkmal eines Arbeitskampfs ist der kollektive Charakter der zu einem bestimmten Zweck eingesetzten Kampfmittel. Danach ist ein Arbeitskampf "jede von einer Partei des Arbeitslebens ausgehende planmäßige Störung des Arbeitsfriedens durch kollektive Maßnahmen"33, mit denen ein bestimmter Zweck erreicht werden soll.

32

Müsch, Arbeitsrecht, Bd. Π, S. 79; Söllner, Arbeitsrecht, S. 75; Brox, Arbeitsrecht, Rdnr.

302. 33

Vgl. oben unter Α ΠΙ; Mkisch, Arbeitsrecht, Bd. Π, S. 79.

Β. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

Bevor Einzelheiten einer möglichen Verpflichtung zur Durchführung einer Urabstimmung und der Rechtsfolgen einer unterbliebenen Urabstimmung untersucht werden, stellt sich sowohl im deutschen als auch im britischen Recht zunächst die Frage, wie ein Urabstimmungserfordernis in den Gesamtzusammenhang des Arbeitskampfrechts einzuordnen ist.

I. Die Grundlagen des deutschen Arbeitskampfrechts Im deutschen Recht ist der Begriff des Arbeitskampfs in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz verankert. Danach dürfen sich Notstandsmaßnahmen nicht gegen Arbeitskämpfe richten. Darüber hinaus gibt es im deutschen Recht aber keine umfassende gesetzliche Regelung des Arbeitskampfrechts. Dementsprechend ist auch nicht gesetzlich geregelt, ob Gewerkschaften zur Durchführung einer Urabstimmung verpflichtet sind. Es ist weitgehend der Rechtsprechung überlassen, konkrete Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen zu stellen. Grundlage für die Rechtmäßigkeitsanforderungen, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt hat, ist Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz. Er enthält nach herrschender Ansicht1 eine institutionelle Garantie des Arbeitskampfs. Der Arbeitskampf ist als koalitionsmäßige Betätigung im Rahmen der kollektiven Koalitionsfreiheit garantiert. Einige Stimmen in der Literatur 2 leiten aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz sogar noch

1 Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 82 - 86; Nipperdey/Säcker in Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II/2, S. 918; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, S. 1451 f.; vgl. auch BAG AP Nr. 81 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf, unter Β II 2 a der Gründe; BAG AP Nr. 64 und 65 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf. 2 Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 31; Richardi, JZ 1985, 410, 420; von Münch, Jura 1979, 25, 30 f.; Seiter, Streikrecht, S. 92, zieht auch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz zur Herleitung eines subjektiven Arbeitskampfrechts heran.

. Die Grundlagen des

tschen Arbeitskampfrechts

29

weitergehend ein subjektives Recht des einzelnen zum Arbeitskampf her, das der einzelne jedoch nur im Zusammenhang mit anderen ausüben kann. Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Rechtmäßigkeitsanforderungen für einen Arbeitskampf ergeben sich aus der Abgrenzung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz. Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz schützt den Arbeitskampf nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur als Hilfsinstrument der Tarifautonomie 3. Daher erfaßt Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz Arbeitskämpfe nur dann, wenn sie der Durchsetzung einer tarifvertraglichen Regelung dienen4. Arbeitskämpfe mit einem tarifvertraglich nicht regelbaren Ziel, wie beispielsweise politische Arbeitskämpfe 5 oder Arbeitskämpfe mit dem Ziel der Wiedereinstellung von einzelnen Arbeitnehmern 6, sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts7 rechtswidrig. Da rechtmäßige Arbeitskämpfe eine tarifVertragliche Regelung zum Ziel haben müssen, dürfen sie auch nur durch tariffähige Koalitionen gefuhrt werden8. Auf Arbeitnehmerseite müssen daher Gewerkschaften einen Arbeitskampf leiten. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts9 ist aufgrund der Stellung der Gewerkschaften im Arbeitsleben, ihrer Bedeutung in wirtschaftlicher Hinsicht und ihrem Wissen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts allein bei gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen die Gewähr gegeben, daß ein Arbeitskampf nur in begründeten Fällen geführt wird. In der Literatur wird vereinzelt die Auffassung vertreten, daß ein Arbeitskampf bei einem Verstoß gegen ein in der Gewerkschaftssatzung festgelegtes Urabstimmungserfordernis kein gewerkschaftlicher Arbeitskampf mehr ist10.

3

Vgl. BAG AP Nr. 64 und 106 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf; BAGE 48, 160, 168.

4

BAG AP Nr. 58 und 106 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf; BAGE 48, 160, 168.

3

Vgl. dazu BAG, NZA 1989, 969, 973 f.

6

Vgl. dazu BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

7

BAG, N Z A 1989, 969, 971; BAG AP Nr. 62 und 106 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf; kritisch Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 147 ff. 8

BAG AP Nr. 58 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

9

BAGE 15, 174, 194.

10

Winter, Rechtsfolgen, S. 69; vgl. auch Nipperdey/Säcker in Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. II/2, S. 1026; anders die herrschende Meinung: Adams, Streik, S. 68; Heßler y Kampfmaß-

. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

30

Eine Urabstimmungsverpflichtung könnte sich auch aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stehen Arbeitskämpfe unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit11. Arbeitskampfmaßnahmen sind daher rechtswidrig, wenn sie ungeeignet sind, nicht erforderlich sind oder außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen12. Daraus ergibt sich vor allem, daß jede Arbeitskampfmaßnahme nur nach Ausschöpfung aller Verständigungsmöglichkeiten, als letztes mögliches Mittel ergriffen werden darf (ultima-ratio-Prinzip) 13. Stimmen in der Literatur sehen das ultima-ratio-Prinzip als verletzt an, wenn eine Gewerkschaft eine Urabstimmung unterläßt14. Die herrschende Meinung15 lehnt dies jedoch ab. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip leitet das Bundesarbeitsgericht16 das Gebot fairer Kampfführung ab. Eine Verletzung des Gebots fairer Kampfführung liegt bei jedem Mißbrauch der Arbeitskampffreiheit vor, bei dem die Grenze der sozialen Adäquanz überschritten wird 17 . Ein Teil der Literatur 18 hält das Gebot fairer Kampffuhrung für verletzt, falls eine Gewerkschaft vor einem Arbeitskampf keine Urabstimmung durchführt. Nach herrschender Ansicht19 ist das Gebot fairer Kampfführung durch das Unterbleiben einer Urabstimmung dagegen nicht berührt.

nahmen, S. 40; ebenso im Ergebnis: Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 486; Schumann in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 221; Gitter, JZ 1965, 197, 202; Seiter, Streikrecht, S. 509 ff.; Löwisch, ZfA 1971, 319, 339 f; Kehrmann/Bobke, ZRP 1985, 78, 80. 11

BAG AP Nr. 43, 51, 65 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf; vgl. auch BAGE 1, 291, 300.

12

BAG AP Nr. 43, 65 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

13

BAG AP Nr. 43 und 65 zu Ait. 9 Grundgesetz Arbeitskampf; BAGE 1, 291, 300; 15, 211, 218; kritisch Picker, RdA 1982, 331 ff. 14

Nipperdey/Säcker

in Hueck/Nipperdey,

Arbeitsrecht, Bd. Π/2, S. 1025.

15

Schlüter in Brox/Rüthers y Arbeitskampfrecht, Rdnr. 487; Schumann in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 223; Seiter, Streikrecht, S. 509 f.; Gitter, JZ 1965, 197, 202; Löwisch, ZfA 1971, 319, 339; Kehrmann/Bobke, ZRP 1985, 78, 80; Brox, Arbeitsrecht, Rdnr. 319. 16

BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

17

ArbG Düsseldorf, DB 1973, 876, 878.

18

Heßler, Kampfmaßnahmen, S. 48 ff.; Adams, Streik, S. 118 ff.

19

Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 488; Gitter, JZ 1965, 197, 202; so im Ergebnis auch: Seiter, Streikrecht, S. 509 ff.; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 417; Schumann in Däubler y Arbeitskampfrecht, Rdnr. 222.

Π. Die Grundlagen des britischen Arbeitskamp frechts

31

Für die herrschende Ansicht in der Literatur 20 hat das Unterbleiben einer Urabstimmung daher nicht die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs gegenüber dem Kampfgegner zur Folge. Vielmehr habe das Unterbleiben einer Urabstimmung, die in der Gewerkschaftssatzung vorgeschrieben sei, nur innerverbandliche Konsequenzen. Diese Auffassung hat auch das Arbeitsgericht Düsseldorf 21 vertreten. Das Bundesarbeitsgericht hat über die Rechtmäßigkeit eines ohne Urabstimmung durchgeführten Arbeitskampfs noch nicht entschieden22. Lediglich fur den Sonderfall eines kurzen Warnstreiks hat es eine gewerkschaftliche Verpflichtung zur Durchführung einer Urabstimmung in dem Rechtsverhältnis zum Kampfgegner abgelehnt23.

II. Die Grundlagen des britischen Arbeitskampfrechts Im britischen Recht gibt es kein positiv garantiertes verfassungsrechtliches oder einfachgesetzliches Recht zum Arbeitskampf 24; das Gesetz räumt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Freiheit ein, einen Arbeitskampf zu führen. Diese Freiheit einen Arbeitskampf zu führen, beruht auf der Gewährung von Immunität im Recht der unerlaubten Handlungen25. Die Immunität wurde ursprünglich durch den Trade Disputes Act 1906 eingeführt und ist nunmehr in s. 219 (1) T U L R ( C ) A 1992 geregelt. Nach s. 219 (1) TULR(C)A 1992 ist eine Handlung während eines Arbeitskampfs unter bestimmten Voraussetzungen nicht als unerlaubte Handlung gerichtlich verfolgbar 26.

20 Schlüter in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 486; Schumann in Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdnr. 221; Gitter, JZ 1965, 197, 202; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 417; Seiter, Streikrecht, S. 409 ff.; Löwisch, ZfA 1971, 319, 339 f.; Kehrmann/Bobke, ZRP 1985, 78, 80; Brox, Arbeitsrecht, Rdnr. 319. 21

DB 1973, 876 ff.

22

Offengelassen in BAG AP Nr. 51 zu Art. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

23

BAG AP Nr. 51 zu Alt. 9 Grundgesetz Arbeitskampf.

24

Vgl. auch Grote-Seifert,

Arbeitskampfrecht, S. 25.

25

Vgl. Bowers /Honeyball, Labour Law, S. 338, die es jedoch wegen der engen Voraussetzungen der Immunität praktisch für schwierig halten, einen rechtmäßigen Arbeitskampf durchzuführen. 26

Siehe dazu auch Grote-Seifert,

Arbeitskampfrecht, S. 54 ff.

. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

32

S. 219 Trade stimmt:

Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992 be-

Protection from certain tort liabilities 219.- (1) An act done by a person in contemplation or furtherance of a trade dispute is not actionable in tort on the ground only (a) that it induces another person to break a contract or interferes or induces any other person to interfere with its performance, or (b) that it consists in his threatening that a contract (whether one to which he is a party or not) will be broken or its performance interfered with, or that he will induce another person to break a contract or to interfere with its performance.

Die Immunitat während eines Arbeitskampfs ist vor allem bei der Anstiftung zum Vertragsbruch (inducing breach of contract) von Bedeutung, die nach britischem Recht eine unerlaubte Handlung darstellt27. Voraussetzungen dieser unerlaubten Handlung sind die direkte oder indirekte Anstiftung zu einem Vertragsbruch 28, die Absicht des Vertragsbruchs 29, sowie die Kausalität zwischen Anstiftung und Vertragsbruch 30. In den Fällen der indirekten Anstiftung oder der Veranlassung eines Vertragsbruchs 31 ist darüber hinaus die Anwendung unerlaubter Mittel erforderlich 32. Ohne die Immunität nach s. 219 (1) TULR(C)A 1992 wären die Voraussetzungen für die unerlaubte Handlung der Anstiftung zum Vertragsbruch bei einem Aufruf zu einem Streik regelmäßig erfüllt. Die Arbeitnehmer werden dazu angestiftet, ihre Arbeitsverträge zu brechen. Anders als im deutschen Recht33 ist die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer auch bei einem rechtmäßigen

27 Vgl. McCabe/Wallington, The Police, S. 30; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1,2.; vgl. dazu auch Grote-Seifert, Arbeitskampfrecht, S. 31 ff. 28

Vgl. im einzelnen Bowers /Honey ball. Labour Law, S. 343 ff.

29

Definition dieser Absicht: Voraussehen der Möglichkeit des Vertragsbruchs und Begehren des Ergebnisses, Bowers/Honey ball, Labour Law, S. 346. 30

Bowers /Honey ball , Labour Law, S. 348.

31

Die Veranlassung eines Vertragsbruchs liegt beispielsweise bei einem Boykott vor, wenn eine Gewerkschaft Lieferanten oder Abnehmer ihres sozialen Gegenspielers absperrt, um einen Bruch der Verträge des sozialen Gegenspielers zu bewirken, vgl. Bowers /Honey ball, Labour Law, S. 344. 32

Bowers/Honey ball y Labour Law, S. 348 f.

33

Vgl. dazu Zöllner/LoritZy

Arbeitsrecht, S. 428.

Π. Die Grundlagen des britischen Arbeitskampfrechts

33

Arbeitskampf im britischen Recht nicht suspendiert34. Ein Streik führt daher einzelvertraglich in der Regel zu einem Bruch des Arbeitsvertrags 35. Die Immunitat während eines Arbeitskampfs wirkt sich auch auf die unerlaubten Handlungen der Nötigung (intimidation)36 und der Verbrechensverabredung (Verschwörung/conspiracy) 37 aus. Für die unerlaubte Handlung der Verbrechensverabredung gewährt s. 219 (2) TULR(C)A 1992 eine spezielle Immunität während eines Arbeitskampfs. Sie greift ein, wenn das verabredete Verbrechen selbst in den Bereich der Immunität fällt. Bei einem Arbeitskampf können auch die Voraussetzungen fur die unerlaubte Handlung der Beeinträchtigung (Störung) des Vertrages durch unerlaubte Mittel (interference with contract by unlawful means) erfüllt sein. Diese unerlaubte Handlung geht über die Anstiftung zum Vertragsbruch und die Nötigung hinaus. Im einzelnen ist allerdings noch nicht abschließend geklärt, wie weit die unerlaubte Handlung reicht38. Diese unerlaubte Handlung wird während eines Arbeitskampfs ebenfalls weitgehend von der Immunität nach s. 219 (1) TULR(C)A 1992 erfaßt 39. Es hängt aber von ihrer Reichweite ab, ob sie in einzelnen Fällen über den von s. 219 (1) TULR(C)A 1992 geschützten Bereich hinausgehen kann40.

34 Der Vorschlag von Baroness Turner of Charlton , Lord McCarthy und Lord Wedderb urn, nach einer Urabstimmung die Arbeitsverträge zu suspendieren (siehe Revised Marshalled List of Amendments to Be Moved in Committee on Trade Union Reform and Employment Rights Bill, 15.3.1993, No. 69) ist in dem Gesetzgebungsverfahrendes Trade Union Reform and Employment Rights Act 1993 verworfen worden. 35 Johnstone , 10 (1988) Liverpool Law Review, 85, 87.; vgl. dazu auch Grote-Seifert, beitskampfrecht, S. 92

Ar-

36 Vgl. Bowers /Honeyball, Labour Law, S. 353 f.; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 3 f.; vgl. zu dieser unerlaubten Handlung auch Grote-Seifert, Arbeitskampfrecht, S. 45 f. 37 Vgl. Bowers /Honeyball, Labour Law, S. 355 ff.; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 2 f.; vgl. zu dieser unerlaubten Handlung auch Grote-Seifert, Arbeitskampfrecht, S. 26 ff. 38 Vgl. Torquay Hotel Co. Ltd. v. Cousins (Court of Appeal), [1969] 2 Ch., 106, Lord Denning M.R. auf S. 138 f.; Merkur Island Shipping Corporation v. Laughton (House of Lords), [1983] IRLR, 218, Lord Diplock auf S. 221; Bowers /Honeyball, Labour Law, S. 350 ff.; vgl. zu dieser unerlaubten Handlung auch Grote-Seifert, Arbeitskampfrecht, S. 43 ff. 39 Vgl. Merkur Island Shipping Corporation Lord Diplock auf S. 222.

3 Michlik

v. Laughton (House of Lords), [1983] IRLR, 218,

. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

34

Die Rechtsfolge der Gewährung von Immunität nach s. 219 (1) TULR(C)A 1992 besteht darin, daß bestimmte unerlaubte Handlungen nicht gerichtlich verfolgbar sind, wenn sie während eines Arbeitskampfs begangen werden. Das bedeutet nicht, daß der Arbeitskampf dann in jeder Hinsicht rechtmäßig ist41. Die Immunität bezieht sich nur auf diejenigen Handlungen, die in s. 219 (1) TULR(C)A 1992 genannt sind42. Andere unerlaubte Handlungen, wie die Besitzstörung (trespass) oder der Bruch einer gesetzlichen Pflicht (breach of statutory duty) werden von der Immunität auch dann nicht erfaßt, wenn sie während eines Arbeitskampfs begangen werden 43. Eine Handlung muß dem Vorhaben oder der Unterstützung eines Arbeitskampfs (contemplation or furtherance) dienen, um von der Immunität nach s. 219 (1) TULR(C)A 1992 erfaßt zu werden 44. Der Begriff des Arbeitskampfs erfaßt dabei nur solche Streitigkeiten, die sich vollständig oder hauptsächlich (wholly or mainly) auf eine der in s. 244 (1) TULR(C)A 1992 beschriebenen Angelegenheiten45 beziehen. Demzufolge besteht bei Streiks um vornehmlich politische Ziele von vornherein keine Immunität, denn sie sind in s. 244 (1) TULR(C)A 1992 nicht genannt46. Aus s. 244 (1) TULR(C)A 1992 geht auch hervor, daß es sich um einen Arbeitskampf zwischen Arbeitnehmern und ihrem Arbeitgeber handeln muß47. Arbeitskampfmaßnahmen unter Beteiligung Dritter kommen nur in den Fällen des rechtmäßigen Boykotts in Betracht (s. 224, 220 TULR(C)A 1992)48.

40

Vgl. Bowers/Honey ball, Labour Law, S. 350 f.

41

Vgl. Bowers /Honey ball , Labour Law, S. 357.

42 Vgl. Barretts & Baird (Wholesale) Ltd. v. Institution Court), [1987] IRLR, 3, Henry J. auf S. 5. 43

Vgl. Bowers/Honeyball,

of Professional

Civil

Servants (High

Labour Law, S. 357.

44

Vgl. dazu im einzelnen NWL Ltd. v. Woods (House of Lords), [1979] 3 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 620 ff.; Bowers/Honey ball, Labour Law, S. 364 f. 45

Vgl. dazu oben unter Α ΠΙ.

46

Mercury Communications Ltd. v. Scott-Garner (Court of Appeal), [1984] ICR, 74 ff.; CarbyHally Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 15 f.; Bowers/Honey ball. Labour Law, S. 363 f.; anders bis zur Gesetzesanderung im Jahr 1982, als es ausreichte, daß ein Streik mit einer der in s. 29 (1) TULRA 1974 genannten Angelegenheiten verbunden war, vgl. dazu NWL Ltd. v. Woods (House of Lords), [1979] 3 All ER, 614, insbesondere Lord Diplock auf S. 621 ff. 47

Vgl. dazu Carby-Hall,

Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 17.

Π. Die Grundlagen des britischen Arbeitskampfrechts

35

Im Gegensatz zu einem rechtmäßigen Arbeitskampf im deutschen Recht können Gegenstand eines von der Immunität erfaßten Arbeitskampfes auch tarifVertraglich nicht regelbare Ziele, wie individuelle Einstellungen und Kündigungen oder Arbeitsbedingungen einzelner Arbeitnehmer sein49. Der Arbeitskampf wird nicht lediglich als ein Hilfsinstrument der Tarifautonomie angesehen. Eine der Ursachen für diese unterschiedliche Sichtweise liegt darin, daß der Tarifautonomie im britischen Recht ein anderer Stellenwert beigemessen wird als im deutschen Recht. Nach deutschem Recht haben tarifvertragliche Vereinbarungen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen normative Wirkung für die Mitglieder der Parteien des Tarifvertrages, also für die Mitglieder der beteiligten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (§§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz). Eine solche unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifvertragsnormen besteht im britischen Recht nicht. Die Tarifverträge sind nicht automatisch selbständig gerichtlich durchsetzbar50. Sie müssen ausdrücklich51 oder konkludent52 in die Individualarbeitsverträge einbezogen werden, um durchgesetzt werden zu können. Der Zweck eines Arbeitskampfs wäre daher sehr eingeschränkt, wenn als rechtmäßiges Ziel lediglich der Abschluß eines Tarifvertrags in Frage käme. Vielmehr können Arbeitskämpfe nur dann wirksam die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verbessern, wenn andere - vor allem individualarbeitsrechtliche - Ziele ebenfalls in Betracht kommen. Aus diesem Grund verfolgen Arbeitskämpfe in Großbritannien über den Abschluß eines Tarifvertrages hinaus auch individuellere Ziele. Daraus wird verständlich, daß es im britischen Arbeitskampfrecht keine dem Verhältnismä-

48 Vgl. dazu Bowers/Goraj, (1991) M L R , 418, 433. 49

Annual Update, S. 2 f.; Carty,

(1991) 20 ILJ, 1, 7; Simpson, 54

Vgl. die Aufzählung möglicher Gegenstände in s. 244 (1) TULR(C)A 1992 oben unter Α ΠΙ.

30

Gesetzliche Vermutung gegen die Durchsetzbarkeit in s. 179 TULR(C)A 1992; vgl. auch Lord Wedderburn/Sciarra, Collective Bargaining, S. 213; Ford Motors Co. Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering and Foundry Workers (High Court), [1969] 2 QB, 303 ff.; Monteresso Shipping Co. Ltd. v. international Transport Workers Federation (Court of Appeal), [1982] IRLR, 468 ff.; National Coal Board v. National Union of Mineworkers (High Court), [1986] IRLR, 439 ff.; vgl. jedoch zu dem Gesetzesvorhaben, diese Vermutung abzuschaffen: Ford, 55 (1992) M L R , 241, 242; Holgate, 11 (1991-92) Litigation, 12, 16, 20. 51 Gascol Conversions Ltd. v. Mercer (Court of Appeal), [1974] ICR, 420 ff.; Robertson v. British Gas Corporation, Jackson v. Same (Court of Appeal) [1983] ICR, 351 ff.; Lord Wedderburn/Sciarra, Collective Bargaining, S. 194. 51

3*

Lord Wedderburn/Sciarra

, Collective Bargaining, S. 194.

. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts

36

ßigkeitsgrundsatz oder dem ultima-ratio-Prinzip entsprechenden Rechtsgrundsätze gibt, die die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfs einschränken. Denn diese Rechtsgrundsätze knüpfen an die einem Arbeitskampf nach deutschem Recht vorausgehenden Tarifverhandlungen an. Im britischen Recht wird die Immunität während eines Arbeitskampfs allerdings durch ein in s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 niedergelegtes Urabstimmungserfordernis beschränkt53. Diese Beschränkung der Immunität ist durch s. 10 Trade Union Act 1984 in das britische Arbeitskampfrecht eingeführt worden. Sie ist nach der Zusammenfassung54 verschiedener Gesetze in dem Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 nunmehr in diesem Gesetz enthalten. Nach s. 226 TULR(C)A 1992 entfaltet die Immunität keine Wirkung, wenn ein Arbeitskampf nicht durch eine Urabstimmung bestätigt worden ist. In der Urabstimmung muß die Mehrheit dem Arbeitskampf zugestimmt haben. S. 226 Trade stimmt:

Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992 be-

Requirement of ballot before action by trade union 226.- (1) An act done by a trade union to induce a person to take part, or continue to take part, in industrial action (a)

is not protected unless the industrial action has the support of ballot, and

(b) where section 226A falls to be complied with in relation to the person's employer, is not protected as respects the employer unless the trade union has complied with section 226A in relation to him. (2) Industrial action shall be regarded as having the support of a ballot only if (a) the union has held a ballot in respect of the action in relation to which the requirements of sections 227 to 232 were satisfied, (b) the majority voting in that ballot have answered "Yes" to the question applicable in accordance with section 229 (2) to the industrial action of the kind to which the act of inducement relates, and; (c) the requirements of section 233 (calling of industrial action with support of ballot) are satisfied.

Einzelheiten hinsichtlich der Durchführung der Urabstimmung sind in s. 227 - 235 TULR(C)A 1992 geregelt. S. 226 TULR(C)A 1992 ordnet nicht ausdrücklich die Rechtswidrigkeit eines Arbeitskampfs beim Unterbleiben einer

33

Siehe auch Grote-Seifert,

54

Siehe dazu McColgan, (1993) 22 I U , 32 f.

Arbeitskampfrecht, S. 69 f.

Π. Die Grundlagen des britischen Arbeitskampfrechts

37

Urabstimmung an, sondern regelt nur den Verlust des Haftungsprivilegs der Gewerkschaften 55. Hierdurch wird die Rechtsposition deijenigen verbessert, denen ein Anspruch aus unerlaubter Handlung zusteht. Das sind der Kampfgegner und geschädigte Dritte. Sie können ihren Anspruch aus unerlaubter Handlung gerichtlich durchsetzen, wenn eine Gewerkschaft einen Arbeitskampf ohne vorausgehende Urabstimmung durchfuhrt 56. Ihnen wird sogar die Möglichkeit einer einstweiligen Verfugung gewährt57. Durch s. 1 Employment Act (EA) 1988 ist auch fur einzelne Gewerkschaftsmitglieder eine Rechtsgrundlage für eine gerichtliche Verfügung in das britische Arbeitskampfrecht eingeführt worden. Sie ist nach der bereits erwähnten Zusammenfassung verschiedener Gesetze in dem Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 in s. 62 dieses Gesetzes enthalten. Danach kann ein Gewerkschaftsmitglied verhindern, daß die Gewerkschaft ihre Mitglieder zur Teilnahme an einem Arbeitskampf veranlaßt, wenn der Arbeitskampf nicht durch eine Urabstimmung bestätigt worden ist. S. 62 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 bestimmt: Right to a ballot before industrial action 62.- (1) A member of a trade union who claims that members of the union, including himself, are likely to be or have been induced by the union to take part or to continue to take part in industrial action which does not have the support of a ballot may apply to the court for an order under this section. (2) For this purpose industrial action shall be regarded as having the support of a ballot only if-

35

Vgl. dazu auch Birk, RdA 1986, 205, 210.

36

Vgl .zur Kritik daran Lord Wedderburn,

57

The Worker, S.625 f.

Vgl. dazu Post Office v. Union of Communication Workers (Court of Appeal), [1990] ICR, 249 ff.; London Underground Ltd. v. National Union ofRailwaymen (High Court), [1989] IRLR, 341 ff.; British Railways Board v. National Union ofRailwaymen (High Court), [1989] IRLR, 345 ff.; (Court of Appeal) [1989] IRLR, 349 ff.; Sealink UK Ltd. v. National Union of Seamen (High Court), The Independent, 12 February 1988; Kent Free Press v. NGA (High Court), [1987] IRLR, 267 fif.; Monsanto Pic. v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1986] IRLR, 406 ff.; Express & Star Ltd. v. NGA (1982) (High Court), [1985] IRLR, 455 ff.; (Court of Appeal), [1986] IRLR, 222 ff.; Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211 ff.; Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Workers (TASS) (High Court), [1985] IRLR, 162 ff.; Shipping Company Uniform Inc. v. International Transport Workers' Federation (High Court), [1985] IRLR, 71 ff.; vgl. auch zur einstweiligen Verfugung Bowers/Honeryball, Labour Law, S. 371 ff.

38

. Die Grundlagen des Arbeitskampfrechts (a) the union has held a ballot in respect of the action in relation to which the requirement of sections 227 to 232 were satisfied and in which the applicant was accorded entitlement to vote, (b) the majority voting in the ballot answered "Yes" to the question applicable in accordance with section 229 (2) to industrial action of the kind which the applicant has been or is likely to be induced to take part in, and (c) the requirements of section 233 (calling of industrial action with support of ballot) are satisfied. (3) Where on an application under the section the court is satisfied that the claim is wellfounded, it shall make such order as it considers appropriate for requiring the union to take steps for ensuring (a) that there is no, or no further, inducement of members of the union to take part or to continue to take paît in the industrial action to which the application relates, and (b) that no member engages in conduct after the making of the order by virtue of having been induced before the making of the order to take part or continue to take part in the action. (4) Without prejudice to any other power of the court, the court may on an application under this section grant such interlocutory relief (in Scotland, such interim order) as it considers appropriate.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988 1. Das Satzungsrecht a) Kollektives "laissez-faire" Ursprünglich war das kollektive Arbeitsrecht in Großbritannien durch die Prinzipien des kollektiven "laissez-faire" und des Voluntarismus gekennzeichnet. Der Grundsatz des kollektiven "laissez-faire" wurde vor allem von KahnFreund 1 geprägt. Danach war die Rolle der Gesetzgebung im kollektiven Arbeitsrecht sehr beschränkt2. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber vertraten die Ansicht, daß sich der Gesetzgeber am besten jedes beschränkenden oder regelnden Eingriffs in die zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehungen enthalten sollte3. Der Ablauf und das Ergebnis von Arbeitskämpfen waren, frei von gesetzlichen Beschränkungen, dem Machtkampf zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern überlassen4. Dieses System der freien Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften und des rechtlich nicht beschränkten Arbeitskampfs wird auch als Voluntarismus

1 Vgl. Auerbach , Legislating, S. 12; Fredman , 12 (1993) Oxford Journal of Legal Studies, 24, 39; siehe Kahn-Freund , Some recent development, S. 434: "...general tendency of the law to allow the limit of what is permissible in industrial relations to be settled by the evolution of patterns of conduct rather than by the imposition of legal restrictions"; siehe auch Kahn-Freund , Legal Framework, S. 43 ff. 2

Lord Wedderburn , Otto Kahn-Freund and British Labour Law, S. 51; Martin , Ballots, S. 66.

3

Martin , Ballots, S. 66; Auerbach , Legislating, S. 209; Flanders , 12 (1974) British Journal of Industrial Relations, 352, 362. 4

Auerbach , Legislating, S. 209.

40

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

bezeichnet5. Nach dem Verständnis des Voluntarismus vertrauten die Arbeitnehmer zur Verfolgung ihrer Ziele auf ihre eigenen freiwilligen Zusammenschlüsse in Gewerkschaften und nicht auf Regelungen des Gesetzgebers6. Dementsprechend enthielt sich der britische Gesetzgeber ursprünglich weitgehend einer Regelung des Arbeitskampfrechts. Daher gab es zunächst auch keine Norm, die eine Urabstimmung vor der Durchführung eines Arbeitskampfs vorschrieb 7. Insoweit bestehen Gemeinsamkeiten zwischen der ursprünglichen Rechtslage in Großbritannien und dem heutigen deutschen Recht. In den fünfziger Jahren lehnte der Secretary of State for Employment den Vorschlag ab, eine gesetzliche Bestimmung über Urabstimmungen einzuführen 8. Nach dem Common Law war die Durchführung von Urabstimmungen eine Angelegenheit, über die die Gewerkschaften intern zu entscheiden hatten9. Sie waren nicht verpflichtet, eine Bestimmung über die Durchführung von Urabstimmungen in ihre Satzung aufzunehmen. Ohne eine solche Satzungsbestimmung stellte es keinen Rechtsverstoß dar, wenn die Gewerkschaftsführung ohne vorherige Urabstimmung zu einem Arbeitskampf aufrief. Eine Gewerkschaft durfte einen Arbeitskampf sogar einleiten, nachdem in einer freiwillig durchgeführten Urabstimmung die Mehrheit gegen einen Arbeitskampf gestimmt hatte10.

b) Die gewerkschaftliche Praxis Die meisten Gewerkschaftssatzungen schrieben keine Urabstimmung vor einem Arbeitskampf vor 11 . Nach einer statistischen Erhebung aus dem Jahr 3

Siehe Flanders , 12 (1974) British Journal of Industrial Relations, 352.

6

Flanders , 12 (1974) British Journal of Industrial Relations, 352, 353.

7

Vgl. Undy/Martin

8

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 119.

, Ballots, S. 117 f.; Auerbach , Legislating, S. 119.

9

Lewis/Simpson, Striking, S. 123; gleiches gilt für andere Beteiligungsrechte der Gewerkschaftsmitglieder, vgl. Kahn-Freund y Rechtliche Garantien, in Fraenkel- Festschrift, 335, 346. 10 Vgl. D.S. Sherrard IRLR, 188 ff. 11

Vgl. Undy/Martin

v. Amalgmated Union of Engineering

Workers

(Court of Appeal), [1973]

, Ballots, S. 120 f., 162; Weeks /Mellish/Dickens/Lloyd,

Industrial Relations,

S. 99; Folke Schmidt , Industrial Action, S. 9 f.; Simpson, Trade Union Immunities, S. 188; Bloxham, 8 (1986) Liverpool Law Review, 131, 137; Elias/Ewing, S. 165.

Trade Union Democracy,

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

41

1970 sahen nur 30 von 115 untersuchten Gewerkschaftssatzungen eine Urabstimmung vor. Darüber hinaus setzten einige dieser 30 Gewerkschaftssatzungen eine Urabstimmung lediglich bei landesweiten Streiks voraus12. Einer neueren, 1984 von Undy/Martin 13 veröffentlichten, Untersuchung zufolge enthielten 25 von 103 untersuchten Gewerkschaftssatzungen eine Urabstimmungsverpflichtung. Weitere 40 Satzungen stellten die Durchführung einer Urabstimmung in das Ermessen des Exekutivkomitees der Gewerkschaft. Das Exekutivkomitee ist für den Aufruf zu einem Arbeitskampf verantwortlich. In der Praxis spielten Urabstimmungen zwar eine größere Rotte, als diese Zahlen vermuten lassen; denn einige der mitgliedsstärksten Gewerkschaften schrieben in ihrer Satzung eine Urabstimmung vor 14 . Undy/Martin 15 gehen davon aus, daß auch ohne Verpflichtung zur Urabstimmung irgendeine Form der Rücksprache mit den Gewerkschaftsmitgliedern vor einem Arbeitskampf regelmäßig stattgefunden hat. Doch es gibt keine genauen Zahlen über den tatsächlichen Umfang von Abstimmungen vor einem Arbeitskampf 16. Es läßt sich nur feststellen, daß eine satzungsmäßige Verpflichtung zur Durchführung einer Urabstimmung eher die Ausnahme war.

c) Die Rechtsfolgen eines Satzungsverstoßes aa) Die Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern Die Gerichte mußten in den Fällen, in denen eine Gewerkschaftssatzung eine Urabstimmung vorschrieb, mehrfach zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Satzungsbestimmung Stellung nehmen. Die Entscheidungen betrafen allerdings ausschließlich das Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern. In der High Court-Entscheidung Esterman v. National and

12

Folke Schmidt , Industrial Action, S. 9.

13

Ballots, S. 221.

14

Undy/Martin schaften S. 131 ff.

, Ballots, S. 122; vgl. auch speziell zur Untersuchung einiger großer Gewerk-

13

Ballots, S. 127; ähnlich Welch, The Right, S. 31.

16

Undy/Martin,

Ballots, S. 126 f.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

42

Local Government Officers Association aus dem Jahr 197417 begehrte der Antragsteller eine einstweilige Verfügung gegen einen Gewerkschaftsausschluß. Der Antragsteller war einem Aufruf zum Arbeitskampf nicht gefolgt. Daraufhin wollte die Gewerkschaftsführung ihn aus disziplinarischen Gründen aus der Gewerkschaft ausschließen. Die betroffene National and Local Government Officers Association mußte nach ihrer Satzung eine Urabstimmung durchführen, bevor sie ihre Mitglieder auffordern durfte, einen Arbeitskampf aufzunehmen. Nur 49 % der Gewerkschaftsmitglieder hatten in einer Urabstimmung der in Frage stehenden Arbeitskampfmaßnahme zugestimmt. Dennoch ordnete die National and Local Government Officers Association die Durchführung dieser Arbeitskampfmaßnahme an. Templeman J. gewährte dem Antragsteller die beantragte einstweilige Verfügung. Der Gewerkschaft wurde verboten, den Antragsteller aus disziplinarischen Gründen aus der Gewerkschaft auszuschließen. Zwar dürfe ein Gericht nur dann die Entscheidung eines innergewerkschaftlichen Disziplinarverfahrens korregieren, wenn kein verständiges Ehrengericht zu der vorgesehenen Entscheidung hätte kommen dürfen 18. Im vorliegenden Fall könne aber kein verständiges Ehrengericht zu dem Ergebnis kommen, daß der Antragsteller durch seine Weigerung, an dem Arbeitskampf teilzunehmen, die Voraussetzungen für einen Gewerkschaftsausschluß erfüllt habe. Vielmehr habe der Antragsteller berechtigterweise daran zweifeln dürfen, daß das Exekutivkomitee der Gewerkschaft zur Anordnung des Arbeitskampfs befugt gewesen sei. Denn in der satzungsmäßig vorgeschriebenen Urabstimmung hätten nur 49 % der Gewerkschaftsmitglieder dieser Arbeitskampfmaßnahme zugestimmt. Unter diesen Umständen habe sich der Antragsteller sogar verpflichtet fühlen dürfen, eine Arbeitskampfanordnung zu mißachten19.

17

[1974] ICR, 625.

18

Esterman v. National and Local Government Officers Association, [1974] ICR, 625, Templeman J. auf S. 632; vgl. zum Eingriff in Disziplinarentscheidungen auch Lee v. The Showmen's Guild of Great Britain (Court of Appeal), [1952] QB, 329 ff.; Longley v. The National Union of Journalists (Court of Appeal), [1987] IRLR, 109 ff.; Miller , Trade Union, S. 292 f.; Hepple/O'tìiggins , Encyclopedia, 1 Β - 2824; vgl. auch Hamlet v. General, Municipal, Boilermakers and Allied Trades Union (High Court), [1986] IRLR, 293 ff., HarmanJ. zur Überprüfung innergewerkschaftlicher Angelegenheiten daraufhin, ob das vorgeschriebene Verfahren ordnungsgemäß eingehalten worden ist. 19 Esterman v. National and Local Government Templeman J. auf S. 633.

Officers

Association, [1974] ICR, 625,

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

43

Die Entscheidung Porter v. The National Union of Journalists 20 aus den Jahren 1979 und 1980 betraf ebenfalls eine einstweilige Verfugung gegen Disziplinarmaßnahmen. Auch in diesem Fall waren einige Gewerkschaftsmitglieder einem Streikaufruf nicht gefolgt, und die Gewerkschaft wollte deshalb Disziplinarmaßnahmen ergreifen. Nach der Gewerkschaftssatzung durfte ein Streik, von dem die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder betroffen war, nur dann angeordnet werden, wenn eine Urabstimmung unter allen Gewerkschaftsmitgliedern eine Zwei-Drittel-Mehrheit zugunsten eines Streiks ergeben hatte. Dennoch rief die Gewerkschaft zum Streik auf, ohne eine Urabstimmung durchgeführt zu haben. Der Court of Appeal21 erließ die beantragte einstweilige Verfugung. Er untersagte der Gewerkschaft, Disziplinarmaßnahmen gegen die Streikbrecher zu ergreifen. Die Gewerkschaftsführung sei nicht dazu berechtigt gewesen, ohne die satzungsmäßig vorgeschriebene Urabstimmung zu dem Streik aufzurufen. Der Streikaufruf verstoße gegen die Verfassung der Gewerkschaft und sei daher nicht wirksam 22. Somit seien auch die Disziplinarmaßnahmen gegen die Streikbrecher gegenstandslos23. Das House of Lords 24 bestätigte in diesem Fall, daß die Gewerkschaftsmitglieder berechtigt waren, einen satzungswidrig angeordneten Streikaufruf zu mißachten. Die High Court-Entscheidungen Taylor v. National Union of Mineworkers (Derbyshire Area j 25 und Taylor and Foulstone v. (1) National Union of Mineworkers (Yorkshire Area) (2) National Union of Mineworkers 26 aus dem Jahr 1984 hatten ebenfalls gerichtliche Verfahren von Gewerkschaftsmitgliedern wegen eines Verstoßes gegen ein satzungsmäßiges Urabstimmungserfordernis zum Gegenstand. Nach der Gewerkschaftssatzung mußten 55 % der Gewerkschaftsmitglieder von Derbyshire bzw. Yorkshire in einer Urabstimmung einem

20

[1979] IRLR, 404 ff. (Court of Appeal); [1980] IRLR, 404 ff. (House of Lords).

21

[1979] IRLR, 404 ff.

22

[1979] IRLR, 404, Lord Denning , M.R. auf S. 407.

23

[1979] IRLR, 404, Templeman L.J. auf S. 407.

24

[1980] IRLR, 404, Lord Diplock auf S. 406.

23

[1984] IRLR, 441 ff.

26

[1984] IRLR, 445 ff.

44

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Streik zustimmen27. Die Urabstimmung ergab jedoch in Derbyshire eine knappe Mehrheit gegen einen Streik 28 und in Yorkshire eine Mehrheit von nur 54 % für einen Streik 29. In dem Fall der Derbyshire Area stellte Nicolls J. 30 fest, daß der Streikaufruf rechtswidrig war. Denn er verstoße gegen das satzungsmäßige Urabstimmungserfordernis. Daher könne die Gewerkschaft ihre Mitglieder nicht wirksam anweisen, an dem Streik teilzunehmen. Die Gewerkschaftsmitglieder könnten den Streikaufruf mißachten, ohne ihre Pflichten gegenüber der Gewerkschaft zu verletzen. Infolgedessen seien Disziplinarmaßnahmen gegen die Streikbrecher unwirksam. Nicolls J. stellte nicht nur die Rechtswidrigkeit des Streikaufrufs, sondern ausdrücklich auch die Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks im Verhältnis zu den Gewerkschaftsmitgliedern fest. Dies ergebe sich aus dem Satzungsverstoß. Zwar stehe dem Gericht bei einem Feststellungsbegehren ein Ermessen zu. Das Gericht übe dieses Ermessen aber ordnungsgemäß aus, indem es die Rechtswidrigkeit des Streikaufrufs und des Streiks feststelle. Denn auf die Gewerkschaftsmitglieder werde seitens der Gewerkschaft nicht nur disziplinarischer Druck ausgeübt, die nicht streikenden Gewerkschaftsmitglieder würden darüber hinaus sogar persönlich beleidigt und bedroht. In dem Fall der Yorkshire Area ordnete Nicolls J. 31 eine einstweilige Verfügung an, um die Gewerkschaftsführung davon abzuhalten, Gewerkschaftsmitglieder zu einer Teilnahme an dem Streik anzuweisen oder zu überreden. Die Gewerkschaftsführung überschreite ihre Befugnisse, indem sie den Streik ohne vorhergehende Urabstimmung anordne. Durch die Streikanordnung sei das Recht der Gewerkschaftsmitglieder, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, betroffen. Nicolls J. sah jedoch keine rechtliche Grundlage, um positiv die Durchführung einer Urabstimmung anzuordnen. Insgesamt hatten die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder nach dem Common Law demnach folgende Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn eine Gewerkschaft 27 Vgl. zur Urabstimmungsregelung in der Satzung der National Union of Mineworkers einzelnen: Mc Ca be/Wallin g ton, The Police, S. 25. 28

[1984] IRLR, 441,442.

29

[1984] IRLR, 445, 448.

30

[1984] IRLR, 441,445.

31

[1984] IRLR, 445, 450 f.

im

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

45

einen Arbeitskampf ausrief, ohne eine satzungsmäßig vorgeschriebene Urabstimmung durchzuführen 32: Sie konnten eine gerichtliche Feststellung beantragen, daß der Arbeitskampf und der Aufruf zum Arbeitskampf rechtswidrig waren. Sie hatten die Möglichkeit, gerichtlich feststellen zu lassen, daß sie nicht verpflichtet waren, dem Aufruf zum Arbeitskampf zu folgen. Außerdem konnten sie eine einstweilige Verfugung beantragen, um die Gewerkschaft davon abzuhalten, sie zur Beteiligung an dem Arbeitskampf aufzufordern. Schließlich waren Streikbrecher befugt, sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen Disziplinarmaßnahmen zu wehren. Grundlage für diese Rechtsschutzmöglichkeiten war die gewerkschaftliche Satzung33. Sie wurde als vertragliche Grundlage der Rechtsbeziehungen zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern und der Gewerkschaft angesehen. Somit konnten die Gewerkschaftsmitglieder ihre satzungsmäßigen Beteiligungsrechte als vertragliche Rechte gerichtlich durchzusetzen34. Die Gerichte hatten lediglich die dargestellten Einschränkungen bei der Uberprüfung von Disziplinarentscheidungen der Gewerkschaft zu beachten. Wenn eine Gewerkschaft die gerichtliche Anordnung eines Arbeitskampfverbots mißachtete, drohten ihr Zwangsmittel, die bis zur Beschlagnahme ihres Vermögens und der Einsetzung eines Zwangsverwalters reichen konnten35.

bb) Die Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner oder Dritten In den zitierten Entscheidungen waren jedoch nur die Rechtsfolgen der Verletzung einer satzungsmäßigen Urabstimmungspflicht im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern zu beurteilen. Die Entscheidungen äußerten sich nicht zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen ein satzungsmäßiges Urabstimmungserfordernis im Verhältnis zu dem Kampfgegner. In der

32

Vgl. zur Klagemöglichkeiteines Gewerkschaftsmitglieds auch Welch, The Right, S. 34.

33

Vgl. Lewis y The Role, S. 11 f.

34

Vgl. Bloxham, 8 (1986) Liverpool Law Review, 131, 139 f.; McCabe/Wallington, The Police, S. 27; Lewis /Simpson, Striking, S. 123; Grodin, Union Government, S. 53 f.; Miller, Trade Union, S. 288; Kahn-Freund, Rechtliche Garantien, in Fraenkel-Festschrift, 335, 341 f., 358. 35

Vgl. McCabe/Wallington,

The Police, S. 27.

46

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Literatur war umstritten, welche Rechtsfolgen die Verletzung einer solchen Satzungsbestimmung gegenüber dem Kampfgegner oder einem geschädigten Dritten auslöste. Ein Teil der Literatur 36 vertrat, ähnlich wie die herrschende Meinung im deutschen Recht37, die Auffassung, daß ein solcher Satzungsverstoß gegenüber dem Kampfgegner oder Dritten nicht die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs zur Folge hatte. Andere Stimmen in der Literatur 38 nahmen jedoch an, daß die Gewerkschaft bei einem Verstoß gegen ein satzungsmäßiges Urabstimmungserfordernis dem Kampfgegner oder einem geschädigten Dritten wegen rechtswidriger unerlaubter Handlung schadensersatzpflichtig war. Voraussetzung für diese Haftung sei allerdings, daß der Arbeitskampf von den verantwortlichen Gewerkschaftsorganen ausgerufen oder gebilligt worden sei. Diese Ansicht wurde auf den ultra-vires-Grundsatz gestützt39. Nach dem ultra-vires-Grundsatz ist eine Handlung des Vertreters einer Gesellschaft grundsätzlich nach außen ohne Wirkung, wenn er seine Befugnisse überschreitet40. Danach kann ein innergewerkschaftlicher Satzungsverstoß wegen der Überschreitung der satzungsmäßigen Befugnisse auch im Verhältnis zum Kampfgegner, also nach außen, Rechtsfolgen haben41. Die Überschreitung der satzungsmäßigen Befugnisse kann zur Folge haben, daß die Gewerkschaft durch den Arbeitskampf nicht mehr in Rechte des Kampfgegners eingreifen darf. Da die Rechtsprechung nicht über die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen ein satzungsmäßiges Urabstimmungserfordernis im Verhältnis zum Kampfgegner oder zu geschädigten Dritten zu entscheiden hatte, blieb diese Streitfrage ungeklärt. Durch den Erlaß des Trade Union Act 1984 hat sie sich erledigt. Denn in s. 10 Trade Union Act 1984 wurde gesetzlich festgelegt, daß das Unterlassen einer Urabstimmung den Verlust der Immunität für unerlaubte Handlungen gegenüber dem Kampfgegner und Dritten zur Folge hat. Über die

36

Birk, in Blanpain, Comparative Labour Law, S. 417.

57

Vgl. oben unter Β I.

38

Vgl. Short, (1983) 12 I U , 99, 100 f.

39

Zweifel an der Anwendbarkeit des ultra-vires-Grundsatzes auf gewerkschaftliche Satzungsverstöße äußert Rideout (1986) 39 Current Legal Problems, 213, 215 ff. 40

James, Introduction, S. 91.

41

Zweifel an dieser Konsequenz des ultra-vires-Grundsatzes äußert Ewing, (1982) 11 ILJ, 209,

222.

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

47

auf den ultra-vires-Grundsatz gestützten Rechtsfolgen hinaus gilt dies selbst dann, wenn eine Satzung keine Urabstimmung vorschreibt.

2. Der Industrial

Relations Act 1971

In einem Bericht aus dem Jahr 196842 sprach sich eine königliche Kommission für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (Royal Commission on Trade Unions and Employers' Associations) unter Vorsitz von Lord Donovan gegen die Einfuhrung einer gesetzlichen Urabstimmungsverpflichtung aus. Gesetzlich vorgeschriebene Urabstimmungen könnten die Beweglichkeit bei den Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern beeinträchtigen und zu Verzögerungen fuhren. Außerdem gebe es keine Anhaltspunkte dafür, daß Urabstimmungen ein gemäßigteres Verhalten der Gewerkschaften bei Arbeitskämpfen zur Folge hätten. Dennoch erließ der britische Gesetzgeber im Jahr 1971, unter einer Regierung der konservativen Partei, im Rahmen des Industrial Relations Act 1971 erstmals eine gesetzliche Regelung über die Durchführung von Urabstimmungen. Zuvor hatte sogar eine Labour Regierung im Jahr 1969 in dem Regierungsbericht (White Paper) "In Place of Strife" 43 einen ähnlichen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung gemacht. Nach s. 141 Industrial Relations Act 1971 konnte der Secretary of State for Employment beim Industrial Court die gerichtliche Anordnung einer Urabstimmung vor einem Arbeitskampf beantragen44. Um einen solchen Antrag zu 42

Cmmd. 3623, S. 114 f.

43

Cmmd. 3888.

44

S. 141 und s. 138 (2) Industrial Relations Act 1971: 1 4 1 ( 1 ) Where it appears to the Secretary of State (a) that in contemplation or furtherance of an industrial dispute a strike or any irregular industrial action short of a strike has begun or is likely to begin; (b) that either or both of the conditions specified in the next following subsection are fulfilled; and (c) that there are reasons for doubting whether the workers who are taking part or are expected to take part in the strike or other industrial action are or would be taking part in it in accordance with their wishes, and whether they have had an adequate opportunity of indicating their wishes in this respect, the Secretary of State may apply to the Industrial Court for an order requiring a ballot to be taken. (2) The conditions referred to in paragraph (b) of the preceding subsection are (a) the condition specified in section 138(2) of this Act; and

48

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

stellen, mußte der Secretary of State for Employment begründete Zweifel daran haben, daß der Arbeitskampf dem Willen der beteiligten Arbeitnehmer entsprach und daß ihnen Gelegenheit gegeben worden war, ihren Willen zu äußern. Außerdem setzte der Antrag voraus, daß der Arbeitskampf nach Einschätzung des Secretary of State for Employment eine Notlage zur Folge haben würde. Infolge einer Unterbrechung der Güterversorgung oder der Dienstleistungen durch den Arbeitskampf mußte eine schwerwiegende Schädigung der nationalen Wirtschaft, eine Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit, ein ernsthaftes Risiko für die öffentliche Ordnung oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit einer erheblichen Anzahl von Personen drohen. Alternativ genügte für den Antrag auch eine ernsthafte Beeinträchtigung des Lebensunterhalts einer erheblichen Anzahl von Beschäftigten in dem jeweiligen Industriezweig. Der Industrial Court konnte nach einem Antrag des Secretary of State for Employment gemäß s. 142 Industrial Relations Act 1971 eine Urabstimmung anordnen und eine Frist für die Durchführung der Urabstimmung festlegen. Während dieser Frist waren alle Arbeitskampfmaßnahmen verboten (s. 143 Industrial Relations Act 1971). Die Gewerkschaft durfte aber nach Durchführung der Urabstimmung, selbst bei einem ablehnenden Abstimmungsergebnis, Kampfmaßnahmen einleiten45. Der gesetzgeberische Zweck von s. 141 In-

(b)

the condition that the effects of the industrial action in question on a particular industry are, or are likely to be, such as to be seriously injurious to the livelihood of a substantial number of workers employed in that industry.

138.(2) The condition referred to in paragraph (b) of the preceding subsection is that the industrial action in question has caused or (as the case may be) would cause, an interruption in the supply of goods or in the provisions of services of such a nature, or on such a scale, as to be likely (a) to be gravely injurious to the national economy, to imperil national security or to create a serious risk of public disorder, or (b) to endanger the lives of a substantial number of persons, or expose a substantial number of persons to serious risk of disease or personal injury. Vgl. zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen von s. 141 Industrial Relations Act 1971 : Rideout, Trade Unions, S. 135 ff.; Gayler /Purvis, Industrial Law, S. 403 f.; Cronin/Grime, Introduction, S. 120; Crabtree, Industrial Relations Act, S. 169 ff.; Wood , Outlines, S. 452 f. 43 Vgl. Institute of Personnel Management, A Practical Guide to the Industrial Relations Act, London 1972, S. 11.

I. Die Rechtslage vor Erlaß der Gesetze von 1980, 1984 und 1988

49

dustrial Relations Act 1971 bestand darin, Arbeitskämpfe bei drohenden Notlagen zu verhindern 46. Der Secretary of State for Employment machte von seiner Befugnis, nach s. 141 Industrial Relations Act 1971 die Anordnung einer Urabstimmung zu beantragen, nur in einem Fall Gebrauch47. In dem Fall Secretary of State for Employment v. Associated Society of Locomotive Engineers and Firemen ordnete der Industrial Court die Durchführung einer Urabstimmung an. Diese Entscheidung wurde durch den Court of Appeal48 bestätigt. Dennoch blieb der Eingriff des Secretary of State for Employment in den Arbeitskampf der britischen Eisenbahnangestellten im Ergebnis erfolglos. Die gerichtlich angeordnete Urabstimmung ergab eine überwältigende Mehrheit zugunsten eines Arbeitskampfs 49. Aus der Sicht des Secretary of State for Employment verfehlte die Anordnung der Urabstimmung daher ihr Ziel, den Arbeitskampf zu verhindern 50. Die positive Urabstimmung stärkte - im Gegensatz zu dem vom Secretary of State for Employment verfolgten Zweck - die Verhandlungsposition der Gewerkschaft in dem Arbeitskampf 51. Nach dieser Erfahrung machte der Secretary of State for Employment von seiner Befugnis nach s. 141 Industrial Relations Act 1971 bei späteren Arbeitskämpfen keinen Gebrauch mehr 52.

46

Vgl. Weeks/Mellish/Dickens/Lloyd,

Industrial Relations, S. 6.

47

Vgl. Martin , Ballots, S. 69; Morris , Strikes, S. 85; Bloxham , Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 142. 48 [1972] ICR, 19 ff.; vgl. auch Entscheidung des National Industrial Relations Court zur Abkühlungsperiode in diesem Fall, [1972] ICR, 7 ff. 49

Martin, Ballots, S. 69; Davis/Freedland, Labour Law, S. 882; Weeks/Mellish/Dickens/Lloyd, Industrial Relations, S. 209, 216; Ewing/Rees, 133 (1988) N U , 259, 262; Roberts/Rothwell, Recent Trends, S. 378; Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 153; ThomsonfEngleman, Industrial Relations Act, S. 116; Morris, Strikes, S. 86; Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 142. 30

Weeks/Mellish/Dickens/Lloyd, Strikes, S. 86.

Industrial Relations, S. 216; Martin, Ballots, S. 70; Morris,

51 Vgl. Weeks/Mellish/Dickens /Lloyd, Industrial Relations, S. 209, 216; Martin, Ballots, S. 70; Thomson/Engleman, Industrial Relations Act, S. 116; Morris, Strikes, S. 86; Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 142. 32

Weeks/Mellish/Dickens /Lloyd, Industrial Relations, S. 216; Martin, Ballots, S. 70; Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 153; Morris, Strikes, S. 86 f.; Ewing/Rees, 133 (1983) N U , 259, 262. 4 Michlik

50

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

S. 141 Industrial Relations Act 1971 erwies sich somit in der Praxis als nicht effektiv und verfehlte seinen gesetzgeberischen Zweck 53 . Im Jahr 1974 wurde der Industrial Relations Act 1971 nach einem Regierungswechsel aufgehoben und durch den Industrial Relations Act 1974 ersetzt54. Dieses Gesetz enthielt keine Bestimmung über die Durchführung von Urabstimmungen, so daß der ursprüngliche Rechtszustand wiederhergestellt wurde. Dementsprechend war es ab 1974 wiederum eine rein interne Entscheidung der Gewerkschaften, ob sie vor einem Arbeitskampf eine Urabstimmung durchführten.

II. Die staatliche Finanzierung von Urabstimmungen In dem Zeitraum zwischen 1980 und 1988, während der Regierungsperiode der konservativen Partei, sind drei Gesetze erlassen worden, die die Durchführung von Urabstimmungen vor Arbeitskämpfen regeln. Diese Gesetze sind inzwischen in dem Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 zusammengefaßt. Sie haben die Rechtslage grundlegend verändert. Nach heutiger Rechtslage hat das Unterbleiben einer Urabstimmung nicht mehr allein gewerkschaftsinterne Rechtsfolgen. In dem Trade Union Act 1984 (s. 10) wurde bestimmt, welche Rechtsfolgen das Unterbleiben einer Urabstimmung in dem Verhältnis der Gewerkschaft zu dem Kampfgegner oder einem geschädigten Dritten hatte. S. 1 Employment Act 1988 regelte das Rechtsverhältnis der Gewerkschaft zu ihren Mitgliedern, wenn die Gewerkschaft diese ohne vorherige Urabstimmung zur Beteiligung an einem Arbeitskampf veranlagte. Die Regelungen aus s. 10 TUA 1984 und s. 1 EA 1988 sind nunmehr in s. 62 und s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 enthalten. Das erste Gesetz, das in diesem Zusammenhang erlassen wurde, war der Employment Act 1980. Er hat die Möglichkeit einer staatlichen Finanzierung von Urabstimmungen eingeführt (s. 1 Employment Act 1980). Der Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 hat diese Regelung in s. 115 übernommen. Durch den Trade Union Reform und Employment and Employment Rights Act 1993 ist aber inzwischen festgelegt worden, daß eine 33

Vgl. Undy/Martin, Ballots, S. 213; Weeks /Mellish/Dickens/Lloyd, Industrial Relations, S. 216, 218; Ewing/Rees , 133 (1983) N U , 259, 262; Lord Wedderburn, Otto Kahn-Freund and British Labour Law, S. 52; England/Weeks, Trade Unions, S. 421 f.; Elias /Napier /Wallington, Labour Law, S. 12. 54

Vgl. Undy /Martin,

Ballots, S. 117; Jackson, Industrial Relations, S. 246.

Π. Die staatliche Finanzierung von Urabstimmungen

51

staatliche Finanzierung von Urabstimmungen nur noch bis zum 31. März 1996 möglich ist.

7. Die Voraussetzungen für eine staatliche Finanzierung von Urabstimmungen S. 115 Trade stimmt:

Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992 be-

Payments towards expenditure in connection with secret ballots 115.- (1) The Secretary of State may by regulations make a scheme providing for payments by the Certification Officer towards expenditure incurred by independent trade unions in respect of such ballots to which this section applies as may be prescribed by the scheme. (2) This section applies to a ballot if the purpose of the question to be asked (or if there is more than one such question, the purpose of any of them) is (a) to obtain a decision or ascertain the views of members of a trade union (ii)

as to the calling or ending of a strike or other industrial action;

Eine entsprechende Finanzierungsregelung trat erstmals am 1. Oktober 1980 in Kraft 55. Im Jahr 1984 wurde sie überarbeitet und neugefaßt 56. Eine finanzielle Unterstützung wird nur gewährt, wenn sich die Urabstimmung auf einen bestimmten Arbeitskampf bezieht. Wie der High Court in dem Fall R v. Certification Officer ex parte Royal College of Nursing 1 entschieden hat, genügt eine Abstimmung über die in der Gewerkschaftssatzung festgelegte allgemeine Arbeitskampfhaltung einer Gewerkschaft den Anforderungen von s. 115 (1), (2) (a) (ii) TULR(C)A 1992 nicht. Außerdem werden nur solche Urabstimmungen gefördert, bei denen die Stimmzettel postalisch zurückgesandt werden 58. Sammelstimmen sind ausdrücklich ausgeschlossen59.

33

Vgl. Undy/Martin,

36

Vgl. (1984) 148 Local Government Review, 933 f.; 128 (1984) Sol J, 787.

Ballots, S. 170.

57

[1991] IRLR, 258, Brown J. auf S. 260 f. (zu den Funds for Trade Union Ballots Regulations 1984, vor InkrafUreten des TULR(C)A 1992). 38 Finanzierungssystem von 1984, Ziff. 3, (1984) 148 Local Government Review, 933; vgl. auch McMullen, Rights, S. 330. 59



Finanzierungssystem von 1984, Ziff. 4, siehe (1984) 148 Local Government Review, 933.

52

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Die Finanzierung einer Urabstimmung setzt desweiteren voraus, daß an der Abstimmung ausschließlich diejenigen Gewerkschaftsmitglieder beteiligt werden, die die Gewerkschaft zum Arbeitskampf aufrufen will. Eine Gewerkschaft darf also nicht eine Vielzahl von Mitgliedern an der Urabstimmung beteiligen, obwohl sie von vornherein nur eine kleine Gruppe dieser Mitglieder zur Teilnahme an dem Arbeitskampf auffordern will. Die Frage auf dem Stimmzettel muß unter anderem darauf gerichtet sein, ob der Stimmberechtigte auf einen Bruch seines Arbeitsvertrages durch den Arbeitskampf vorbereitet ist60. Die Stimmen sind geheim abzugeben. Die Abstimmung muß ohne Beeinflussung durch die Gewerkschaften erfolgen. Den Abstimmungsberechtigten dürfen keine direkten Kosten durch die Abstimmung entstehen. Die Stimmen müssen fair und sorgfaltig ausgezählt werden. Das Ergebnis der Urabstimmung ist im Detail zu veröffentlichen 61. Als Kosten der Urabstimmung werden eine angemessene Summe für Papier, Druck und erläuternde Unterlagen sowie das Porto ersetzt62. Der Antrag auf Finanzierung muß innerhalb von sechs Monaten bei dem Certification Officer gestellt werden63. Der Certification Officer prüft den Ablauf der Urabstimmung, bevor er eine Finanzierung bewilligt64. Seine Entscheidungsbefugnisse werden in der Literatur als zu weitreichend kritisiert. Sie gingen über die bloße Verwaltung des Finanzierungssystems hinaus und könnten zu einer staatlichen Kontrolle interner Gewerkschaftsangelegenheiten führen 65. Im Gesetz ist keine Beschwerde gegen die Entscheidung des Certification Officers vorgesehen. Allerdings stehen dem Antragsteller die Rechts-

60

Siehe Petrins, Trade Union Law, S. 110 f.

61

Vgl. zu den Voraussetzungen des Finanzierungssystems: (1984) 148 Local Government Review, 933 f.; 128 (1984) Sol. J., 787; Petrins, Trade Union Law, S. 110 f.; vgl. zu den Voraussetzungen vor der Neufassung: McMullen, Rights, S. 330; Kidner, Trade Union Law, S. 34 f.; Lewis/Simpson, Striking, S. 128 f.; Undy/Martin, Ballots, S. 171 f. 62 Vgl. Hepple/O'Higgins, Employment Law, S. 26; McMullen, Rights, S. 331 ; Lewis/Simpson, Striking, S. 129; Petrins, Trade Union Law, S. 112; vgl. Finanzierungssystem von 1984, (1984) 148 Local Government Review, 934. 63 Petrins, Trade Union Law, S. 112; vgl. zum Finanzierungssystem von 1984, (1984) 148 Local Government Review, 934. 64

Vgl. McMullen, Rights, S. 328.

63

Lewis/Simpson,

Striking, S. 130.

Π. Die staatliche Finanzierung von Urabstimmungen

53

Schutzmöglichkeiten einer Feststellungsklage oder einer "order of certiorari" vor dem High Court offen 66.

2. Der Sinn und Zweck von s. 115 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 Der gesetzgeberische Zweck der Einfuhrung einer staatlichen Finanzierung von Urabstimmungen besteht darin, auf freiwilliger Basis eine verstärkte Durchführung von Urabstimmungen anzuregen67. Durch die staatliche Förderung sollten finanzielle Hindernisse fur Urabstimmungen beseitigt werden 68. Die Förderung von Urabstimmungen wurde durch das gesetzgeberische Motiv bestimmt, den Entscheidungsprozeß innerhalb der Gewerkschaften demokratischer zu gestalten69. Der Gesetzgeber sah den Entscheidungsprozeß innerhalb der Gewerkschaften als nicht hinreichend demokratisch an. Er hielt die direkte Beteiligung der Gewerkschaftsmitglieder an dem Entscheidungsprozeß für die geeignete Form gewerkschaftsinterner Demokratie. Den Stimmen der Gewerkschaftsbasis sollte hierdurch ein größerer Einfluß eingeräumt werden. Der Staat wollte diesen Prozeß durch die finanzielle Unterstützung anregen und fördern, jedoch, nach den Erfahrungen des Industrial Relations Act 1971, die Durchführung von Urabstimmungen zunächst nicht gesetzlich vorschreiben. Die Demokratisierung sollte von den Gewerkschaften selbst ausgehen.

3. Die Bedeutung der staatlichen Finanzierung in der Praxis

von Urabstimmungen

Nach Inkrafttreten des Employment Act 1980 lehnten die meisten Gewerkschaften es zunächst ab, einen Antrag auf Finanzierung von Urabstimmungen

66 Kidner, Trade Union Law, S. 35; siehe auch R v. Certification of Nursing (High Couit), [1991] IRLR, 258 ff. 67

Officer

ex parte Royal College

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 120 f.; Lewis I Simpson, Striking, S. 134; Undy/Martin, S. 214. 68 69

Undy/Martin,

Bailots,

Ballots, S. 214.

Vgl. zu den Zielen des Employement Act 1980: Bain, Industrial Relations, S. 390; vgl. zu den Diskussionen während der gesetzgeberischen Entwicklung des Employement Act 1980: Undy/Martin, Ballots, S. 13 ff.; Lewis/Simpson, Striking, S. 126 f.; Auerbach, Legislating, S. 120; Kritische Stellungnahmen gegenüber dem Gesetzesvorhaben: Clark!Lord Wedderburn, Modern Labour Law, S. 135 f. und Jackson, Industrial Relations, S. 246 f., "state intervention".

54

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

zu stellen70. Der Trade Union Congress empfahl den ihm angehörenden Gewerkschaften, keine Finanzierung von Urabstimmungen zu beantragen71. Die Gewerkschaften sahen in der staatlichen Finanzierung einen Eingriff in ihre Autonomie. Mit der staatlichen Finanzierung würde die Verpflichtung zur Rechenschaft gegenüber dem Staat einhergehen. Dies könne eine staatliche Einmischung in interne Verfahren zur Folge haben72. Außerdem fürchteten die Gewerkschaften, daß die staatliche Finanzierung ein Schritt in Richtung gesetzlich vorgeschriebener Urabstimmungen sei73. Sie lehnten geheime Abstimmungen als Mittel des internen Entscheidungsprozeßes ab und befürworteten Entscheidungen, die durch Handzeichen auf Massenveranstaltungen getroffen wurden. Ein starres Verfahren durch postalische Urabstimmungen schränke die taktische Flexibilität bei Arbeitskämpfen ein74. Allerdings standen drei der in dem Trade Union Congress organisierten Gewerkschaften, die schon vorher postalische Urabstimmungen durchgeführt hatten, einer staatlichen Finanzierung von vornherein positiv gegenüber75. Unter dem Druck des Trade Union Congress stellten sie jedoch keinen Antrag auf Finanzierung76. Die nicht im Trade Union Congress organisierten Gewerkschaften nutzten die Finanzierungsmöglichkeit von Urabstimmungen zunächst ebenfalls nur in begrenztem Umfang. Sie stellten in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten des Employment Act 1980 lediglich vier Anträge auf Finanzierung einer Urabstimmung vor einem Arbeitskampf 77 . S. 1 Employment Act 1980 hatte daher zunächst nicht die erwünschte Wirkung, die

70 Vgl. Undy/Martin, S. 170, 172 ff.; McMullen, Rights, S. 332; Martin, Ballots, S. 70; Petrins y Trade Union Law, S. 109 f.; Davies/Freedland, Labour Law, S. 684; dieselben, KahnFreund's Labour, S. 276; Jackson, Industrial Relations, S. 248. 71 McMullen, Rights, S. 328, 332; Undy/Martin, Ballots, S. 37 f., 172 ff.; Martin , Ballots, S. 70; Lewis /Simpson , Striking, S. 135; Bain , Industrial Relations, S. 390; Petrins, Trade Union Law, S. 109 f.; Clark/Lord Wedderburn, Modern Labour Law, S. 138; Auerbach, Legislating, S.

121. 72

McMullen , Rights, S. 328; Lewis/Simpson,

73

McMullen , Rights, S. 332.

74

Mc Mullen , Rights, S. 328.

75

Vgl. Undy/Martin

, Ballots, S. 37 ff., 172 f.

76

Vgl. Undy/Martin

, Ballots, S. 173 ff.; Martin , Ballots, S. 70.

77

Undy/Martin

, Ballots, S. 177.

Striking, S. 127, 130 f.

Π. Die staatliche Finanzierung von Urabstimmungen

55

Anzahl von Urabstimmungen vor Arbeitskämpfen erheblich zu steigern78. Vielmehr waren die praktischen Auswirkungen von s. 1 Employment Act 1980 aufgrund der mangelnden gewerkschaftlichen Kooperation zunächst sehr gering. Das veranlaßte die Regierung dazu, zwingendere gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um Urabstimmungen durchzusetzen79. Von der Finanzierungsmöglichkeit der Urabstimmungen wurde dann auch erst nach Inkrafttreten des Trade Union Act 1984 in größerem Umfang Gebrauch gemacht80. Nach Erlaß des Trade Union Act 1984 waren die Gewerkschaften ohnehin gezwungen, vor einem Arbeitskampf eine Urabstimmung durchzufuhren. Ansonsten setzten sie sich der Gefahr aus, wegen unerlaubter Handlung schadensersatzpflichtig zu sein81. Unter diesem Druck hatten die Gewerkschaften weniger Bedenken, eine staatliche Finanzierung der Urabstimmungen zu beantragen. Der Trade Union Act 1984 hat sogar einige dem Trade Union Congress angehördende Gesellschaften dazu veranlaßt, trotz der zunächst beibehaltenen starren Haltung des Trade Union Congress82, einen Antrag auf Finanzierung von Urabstimmungen zu stellen83. Die veränderte Haltung vieler Gewerkschaften beruht aber nicht auf den freiwilligen Mitteln der staatlichen Finanzierung von Urabstimmungen. Sie ist nur auf den Druck zurückzufuhren, der seit dem Erlaß des Trade Union Act 1984 im Hinblick auf die Durchführung von Urabstimmungen ausgeübt wird.

78

Vgl. Martin, Ballots, S. 70; Undy/Martin,

79

Vgl. Undy/Martin,

Ballots, S. 46.

Ballots, S. 46, 170, 185; Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131,

134. m

Vgl. Jefferson, 8 (1986) Liverpool Law Review, 169, 178 f.; Benedictes/Newell, 136 (1986) NLJ, 773; Newell, 138 (1988) NLJ, 619; Newell, 139 (1989) NLJ, 1234; siehe auch NeweU, 141 (1991) NLJ, 1118: im Jahr 1990 Finanzierung von insgesamt 500 gewerkschaftlichen Abstimmungen. 81

Vgl. oben unter Β II.

82

Vgl. Petrins, Trade Union Law, S. HO; Jefferson,

8 (1986) Liverpool Law Review, 169,

178. 83 Vgl. Lord Wedderburn, The Worker, S. 786 f.; Jefferson, 8 (1986) Liverpool Law Review, 169, 178 f.; Benedictes/Newell, 136 (1986) NLJ, 773; vgl. zur Kontroverse auf der Konferenz des Trade Union Congress im Jahr 1985: Bloxham, 8 (1986) Liverpool Law Review, 131.

56

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner In s. 10 Trade Union Act 1984 ist geregelt worden, welche Rechtsfolgen das Unterbleiben einer Urabstimmung im Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner oder einem geschädigten Dritten hat. Diese Bestimmung ist nunmehr in s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 enthalten.

7. Die Rechtsfolgen

von s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

a) Der Verlust der Immunität Wenn ein Arbeitskampf nicht durch eine Urabstimmung bestätigt worden ist, verlieren Handlungen der Gewerkschaft, durch die eine Person dazu veranlaßt wird, an einem Arbeitskampf teilzunehmen oder eine Teilnahme fortzusetzen, den Schutz nach s. 219 (1) TULR(C)A 199284 (s. 226 (1) TULR(C)A 1992). Die Gewerkschaften genießen also keine Immunität mehr. Der Verlust der Immunität hat zur Folge, daß der Kampfgegner und geschädigte Dritte Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung85 gerichtlich durchsetzen können, falls die Gewerkschaft während eines Arbeitskampfs unerlaubte Handlungen begeht. Unerlaubte Handlungen der Gewerkschaft gegenüber dem Kampfgegner sind in aller Regel Bestandteil eines Arbeitskampfs, da bereits die Anstiftung zum Vertragsbruch eine unerlaubte Handlung darstellt86. Als Schaden kann der Arbeitgeber beispielsweise den infolge des Arbeitskampfs entgangenen Gewinn oder seine Zahlungen wegen der durch den Arbeitskampf bedingten Entlassungen geltend machen87. In s. 22 TULR(C)A 1992 sind

94

Vgl. dazu oben unter Β Π.

83

Vgl. zu den Rechtsfolgen von s. 226 TULR(C)A 1992: Khan, 128 (1984) Sol J, 726, 727; Selwyn, Law of Employment, S. 458; vgl. auch Falconer ν. ASIEF and NUR (County Court), [1986] IRLR, 331, HanhamJ. auf S. 333. 86 91

Vgl. zu den einschlägigen unerlaubten Handlungen oben unter Β Π.

Vgl. Boxfoldia Ltd. v. National Graphical Association (1982) (High Court), [1988] IRLR, 383 ff.; Newell, 139 (1989) N U , 1234, 1235.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

57

Höchstgrenzen fur den Schadensersatzanspruch in Geld festgelegt, die von der Größe der Gewerkschaft abhängen. Die Gewerkschaft kann auch gegenüber einem Dritten schadensersatzpflichtig sein, dessen Vertrag mit dem Kampfgegner durch den Arbeitskampf beeinträchtigt werden. In dem Fall Falconer v. ASLEF and NUR** klagte ein Fahrgast der britischen Eisenbahn unter Berufung auf eine unterbliebene Urabstimmung wegen eines Eisenbahnstreiks gegen die streikführenden Gewerkschaften. Der County Court gewährte ihm Schadensersatz für diejenigen Verluste, die mit dem Arbeitskampf zusammenhingen und voraussehbar waren. Dazu gehörten beispielsweise die Kosten für eine durch den Streik notwendige Hotelübernachtung. Eine Schadensersatzpflicht der Gewerkschaft gegenüber Dritten für die unerlaubte Handlung der rechtswidrigen Vertragsbeeinträchtigung hat nach dieser Entscheidung vier Voraussetzungen: Die Gewerkschaft muß von dem Bestehen eines Vertrages zwischen dem Kampfgegner und dem Dritten, hier zwischen der Eisenbahn und dem Fahrgast, gewußt haben und die Beeinträchtigung der Erfüllung dieses Vertrags beabsichtigt haben. Die Gewerkschaft muß ihre Mitglieder dazu veranlaßt haben, die Arbeitsverträge mit dem Kampfgegner zu verletzen. Die Mitglieder müssen ihre Arbeitsverträge daraufhin tatsächlich verletzt haben. Schließlich muß die Beeinträchtigung des Vertrages zwischen dem Kampfgegner und dem Dritten auf der Verletzung der Arbeitsverträge beruhen. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann kann auch ein durch den Arbeitskampf geschädigter Dritter die Gewerkschaft auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn sie vor dem Arbeitskampf keine Urabstimmung im Sinne von s. 226 TULR(C)A 1992 durchgeführt hat. S. 226 TULR(C)A 1992 begründet rechtlich eine Obliegenheit89 zur Durchführung einer Urabstimmung. Es besteht kein positiver Anspruch des Kampfgegners oder eines Dritten gegen die Gewerkschaft, daß sie eine Urabstimmung durchführt. Die Gewerkschaft erleidet aber einen rechtlichen Nachteil in Form des Immunitätsverlusts, wenn sie eine Urabstimmung unterläßt. Im eigenen Interesse muß eine Gewerkschaft deshalb vor einem Arbeitskampf eine Urabstimmung durchführen. Eine positive Urabstimmung hat keine weitergehenden Rechtsfolgen als das Fortbestehen der Immunität nach s. 219 TULR(C)A 1992. Sie führt nicht dazu, daß eine Verletzung der Ar-

88

[1986] IRLR, 331 ff. (County Court); vgl. zu diesem Fall: Benedictus, 136 (1986) N U , 687,

688. 89

Vgl. zur Definition einer Obliegenheit: Palandt-Heinrichs,

Einl. v. § 241 Rdnr. 16.

58

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

beitsverträge individualrechtlich gerechtfertigt ist90. Ein Arbeitskampf, der aus anderen Gründen rechtswidrig ist, wird durch eine positive Urabstimmung auch nicht rechtmäßig91.

b) Die einstweilige Verfügung aa) Die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung Das Interesse vieler Arbeitgeber ist weniger darauf gerichtet, einen Schadensersatzanspruch gegen die Gewerkschaft gerichtlich durchzusetzen. Sie möchten den Eintritt von Schäden durch einen Arbeitskampf vielmehr von vornherein verhindern 92. Zu diesem Zweck können sie bei der Queen's Bench Division oder Chancery Division des High Court eine einstweilige Verfugung gegen einen Arbeitskampf beantragen93. Ohne Urabstimmung genießt ein Arbeitskampf keine Immunität. Dem Kampfgegner drohen Schäden aus unerlaubten Handlungen. Das Gericht kann drohende Schäden aus unerlaubten Handlungen durch einstweilige Verfugungen verhindern 94. Nach den Rules of the Supreme Court, Order 29 rule 1 (1), ist das Gericht befugt, in allen Fällen einstweilige Verfugungen zu erlassen, in denen dies gerecht und angemessen erscheint95. Voraussetzung ist lediglich, daß es sich um einen Eilfall handelt (Rules of the Supreme Court, Order 29 rule 1 (2), (5)) 90 . Seit Inkrafttreten des Trade Union Act 1984 sind häufig Anträge auf Erlaß von einstweiligen

90

Vgl. Lord Wedderburn , The Worker, S. 634; ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag von Baroness Turner of Charlton , Lord Wedderburn und Lord McCarthy ist in dem Gesetzgebungsverfahren des Trade Union Reform and Employment Rights Act 1993 verworfen worden (siehe zu diesem Vorschlag Revised Marshalled List of Amendments to Be Moved in Committee on Trade Union Reform and Employment Rights Bill 1993, 15.3.1993, No. 69). 91

Bloxham , 8 (1988) Liverpool Law Review, 131, 148; vgl. auch Hutton , (1984) 13 H J , 212, 213 f.; offengelassen von Arnheim, 132 (1988) Sol J, 1604 bei Sympathiearbeitskämpfen. 92 Vgl. Bowers , Employment Law, S. 409; Evans, 25 (1987) British Journal of Industrial Relations, 419, 421. 93

Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 34; vgl. zu den Risiken einer einstweiligen Verfugung fur Arbeitgeber auch Benedictus, (1985) 14 EU, 176, 189; vgl. dazu auch Grote-Seifert, Arbeitskampfrecht, S. 143 ff. 94

Vgl. Bowers , Employment Law, S. 409.

95

Vgl. Bowers , Employment Law, S. 409.

96

Vgl. Simpson , 50 (1987) M L R , 506.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

59

Verfugungen gegen Arbeitskämpfe gestellt worden, wenn Gewerkschaften keine Urabstimmung durchführten 97. Nach der House of Lords-Entscheidung American Cynamid Ltd. v. Ethicon aus dem Jahr 197598 setzt der Erlaß einer einstweiligen Verfügung voraus, daß die Begründung des Antragstellers vertretbar ist (arguable case) und daß über einen ernsthaften Streitfall verhandelt wird (serious issue to be tried). Ansonsten hängt der Erlaß einer einstweiligen Verfügung von einer Rechtsgüterabwägung (balance of convenience) ab99. Bei dieser Rechtsgüterabwägung ist zu untersuchen, welche Schäden dem Antragsteller entstehen, wenn die einstweilige Verfügung abgewiesen wird, er aber in der Hauptsache obsiegt. Dem sind die drohenden Schäden des Antragsgegners gegenüberzustellen, falls die einstweilige Verfügung zunächst erlassen wird, die Entscheidung aber im Hauptsacheverfahren wieder aufgehoben wird 100 . Außerdem ist das öffentliche Interesse bei der Rechtsgüterabwägung zu berücksichtigen101. Ein bei der Verhandlung abwesender Antragsgegner soll benachrichtigt werden, um ihm Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen der Immunität während eines Arbeitskampfs Stellung zu nehmen (s. 221 (1) TULR(C)A 1992) 102 . Bei der Rechtsgüterabwägung sind die Erfolgsaussichten der Berufung auf die Immunität mitzuberücksichtigen (s. 221 (2) TULR(C)A

97 Vgl. Post Office v. Onion of Communication Workers (Court of Appeal), [1990] ICR, 249 ff.; London Underground Ltd. v. National Union ofRailwaymen (High Court), [1989] IRLR, 341 ff.; British Railways Board v. National Union of Railway men, (High Court) [1989] IRLR, 345 ff., (Court of Appeal) [1989] IRLR, 349 ff.; Sealink UK Ltd. v. National Union of Seamen (High Court), The Independent, 12 February 1988; Kent Free Press v. NGA (High Court), [1987] IRLR, 267 ff.; Monsanto Pic. v. Transport & General Workers ' Union (Court of Appeal), [1986] IRLR, 406 ff.; Express & Star Ltd. v. NGA (1982), (High Court) [1985] IRLR, 455 ff., (Court of Appeal) [1986] IRLR, 222 ff.; Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211 ff.; Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Worker (TASS) (High Court), [1985] IRLR, 162 ff.; Shipping Company Uniform Inc. v. International Transport Workers' Federation (High Court), [1985] IRLR, 71 ff.; vgl. auch Benedictus, (1985) 14 IRJ, 176, 188. 98

[1975] AC, 396, Lord Diplock auf S. 321 f.

99

Vgl. Bowers, Employment Law, S. 410.

100

Vgl. Carby-Hall,

101

Siehe Simpson, (1989) 18 I U , 234, 239.

102

Vgl. Bowers, Employment Law, S. 410.

Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 34.

60

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

1992). Nach der Rechtsprechung des House of Lords 103 sind diese Erfolgsaussichten jedoch nur ein Faktor in der Rechtsgüterabwägung. Ihr Gewicht sei von Fall zu Fall unterschiedlich. Allerdings werde eine einstweilige Verfügung gegen einen Arbeitskampf normalerweise nicht erlassen, wenn die Erfüllung der Voraussetzungen für die Immunität wahrscheinlich sei.

bb) Die Rechtsgüterabwägung beim Unterlassen einer Urabstimmung (Balance of Convenience) In Anbetracht dieser unscharfen Abgrenzung des House of Lords ist genauer zu klären, welche Bedeutung es fur den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen einen Arbeitskampf hat, ob eine Gewerkschaft eine Urabstimmung durchgeführt hat 104 . In der Entscheidung British Railways Board v. National Union ofRailwaymen haben sowohl der High Court 105 als auch der Court of Appeal106 die Wirksamkeit der Urabstimmung als den entscheidenden Faktor für die Gewährung oder Nichtgewährung einer einstweiligen Verfügung angesehen. Den Parteien drohende Schäden sind nicht berücksichtigt worden. In ähnlicher Weise hat der Court of Appeal die Ablehnung einer einstweiligen Verfügung in der Entscheidung Monsanto Pia v. Transport & General Workers ' Union 107 im wesentlichen auf die Wirksamkeit der Urabstimmung gestützt. Demgegenüber hat der High Court in der Entscheidung Shipping Company Inc. v. International Transport Workers' Federation 108 eine

103 NWL Ltd. V. Woods, NWL Ltd. v. Nelson, [1979] 2 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 626, Lord Fraser auf S. 627 f., Lord Scarman auf S. 633; vgl. aber auch Tanks & Drums Ltd. v. Transport and General Workers' Union (High Court), [1992] ICR, 1, Rougier J. auf S. 4, 9; British Railways Board v. National Union of Railway men, (High Court) [1989] IRLR, 345, Vinelott J. auf S. 348, (Court of Appeal) [1989] IRLR, 349, Lord Donaldson ofLymington M.R. auf S. 352; London Underground Ltd. v. National Union ofRailwaymen (High Court), [1989] IRLR, 341, Brown J. auf S. 342; Monsanto Pic. v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1986] IRLR, 406, Dillon L.J. auf S. 408 ff., Neill L.J. auf S. 410 f.; vgl. auch Simpson, 47 (1984) M L R , 577, 579. 104 Vgl. Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 35; Monsanto Plc. v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1986] IRLR, 406, Neill L.J. auf S. 410. 105

[1989] IRLR, 345, Vinelott

106

[1989] IRLR, 349, vgl. Lord Donaldson ofLymington

107

[1986] IRLR, 406, Dillon L.J. auf S. 408 ff. und Neill L.J. auf S. 410 f.

108

[1985] IRLR, 71, StaughtonJ. auf S. 76.

J. auf S. 348. M.R. auf S. 352.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

61

Abwägung der drohenden Schäden vorgenommen, obwohl die Gewerkschaft keine wirksame Urabstimmung durchgeführt hatte. Das House of Lords hat in dem Fall NWL Ltd,. v. Woods, NWL Ltd,. v. Nelson 109 zwar entschieden, daß ein Arbeitskampf normalerweise nicht durch eine einstweilige Verfugung untersagt wird, wenn der Schutz durch die Immunität wahrscheinlich gegeben ist. Voraussetzung dazu ist eine wirksame Urabstimmung110. Es ist allerdings offen geblieben, welche Erfolgsaussichten eine Gewerkschaft gegenüber einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen einen Arbeitskampf hat, falls sie keine wirksame Urabstimmung durchgeführt hat. Sie kann dann nicht mehr geltend machen, daß die Begründung des Antragstellers unvertretbar sei oder es sich nicht um einen ernsthaften Streitfall handele. Denn dem Kampfgegner drohen Schäden aus unerlaubten Handlungen während des Arbeitskampfs. Bei der Rechtsgüterabwägung kann die Gewerkschaft sich in diesem Fall nicht mehr auf die Immunität berufen. Sie könnte allenfalls andere Faktoren zu ihren Gunsten hervorheben 111. Dazu gehört das Vorbringen, durch eine einstweilige Verfügung werde der Arbeitskampf in der Regel gänzlich verhindert. Es liegt in der Natur eines Arbeitskampfs, daß er nur während einer bestimmten Phase der Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und den Gewerkschaften wirkungsvoll ist. Er kann schwerlich verschoben dann wieder aufgenommen werden 112. Ein entsprechendes Vorbringen einer Gewerkschaft überzeugt vor Gericht aber nicht, wenn die Gewerkschaft eine Urabstimmung unterlassen hat. Denn sie hat in einem solchen Fall bei einer Untersagung des Arbeitskampfs immer noch die Möglichkeit, sofort eine Urabstimmung nachzuholen und den Arbeitskampf dann unmittelbar fortzusetzen 113.

109 [1979] 3 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 626, Lord Fraser auf S. 627, Lord Scarman auf S. 633. 110

Vgl. zu den Voraussetzungen fur eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Simpson, (1989) 18 I U , 234, 239 f. 1,1 Vgl. Union Traffic Ltd. v. Transport ICR, 98, Bingham L.J. auf S. 110.

& General Workers'

Union (Court of Appeal), [1989]

112 NWL Ltd. v. Woods, NWL Ltd. v. Nelson (House of Lords), [1979] 3 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 624; Associated British Ports v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1989] IRLR, 305, Neill L.J. auf S. 313; Union Traffic Ltd. v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1989] ICR, 98, Bingham L.J. auf S. 110; Bowers , Employment Law, S. 410; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1, 35.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

62

Auf der anderen Seite entstehen dem Arbeitgeber und Dritten, zum Teil sogar der Öffentlichkeit, durch einen Arbeitskampf häufig hohe, irreparable Schäden114. Diese Schäden sind normalerweise leichter vorauszusehen und zu berechnen als der Nachteil, der den Gewerkschaften durch das Verbot des Arbeitskampfs in ihrer Verhandlungsposition entsteht115. Der Erlaß einer einstweiligen Verfugung wird außerdem durch die gerichtliche Praxis begünstigt, bei einstweiligen Verfugungen im Zweifelsfall den status quo zu erhalten 116 . Das bedeutet im Fall eines Arbeitskampfs die Aufrechterhaltung der Produktion, also die Untersagung des Arbeitskampfs 117. Wenn eine Gewerkschaft vor einem Arbeitskampf keine Urabstimmung durchführt, fällt die Rechtsgüterabwägung daher in der Regel zu Lasten der Gewerkschaft aus118. Der Kampfgegner und Dritte, denen Schäden durch den Arbeitskampf drohen, können sich deshalb zumeist erfolgreich mit einer einstweiligen Verfügung gegen einen Arbeitskampf wehren, falls die Gewerkschaft eine Urabstimmung unterlassen hat 119 .

113 Vgl. Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211, Warner J. aufS. 215; vgl. auch Bowers, 83 (1986) Law Society's Gazette 83 (1986), 1695, 1696. 114 Vgl. NWL Ltd. v. Woods, NWLLtd. v. Nelson (House of Lords), [1979] 3 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 624; Bowers , Employment Law, S. 410. 113 Associated British Ports v. Transport Sc General Workers' Union (Court of Appeal), [1989] IRLR, 305, Buttler-Sloss L.J. auf S. 315; Bowers , Employment Law, S. 410; Carby-Hall , Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1, 35; Ewing, (1988) 10 Comparative Labour Law Journal, 1, 13. 116 Associated British Ports v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1989] IRLR, 305, Neill L.J. auf S. 312, Buttler-Sloss L.J. auf S. 315; Bowers , Employment Law, S. 410. 117 Associated British Ports v. Transport & General Workers' Union (Court of Appeal), [1989] IRLR, 305, Buttler-Sloss L.J. auf S. 315; Bowers , Employment Law, S. 410. m

Vgl. Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211, Warner J. auf S. 214 f.; Carby-Hall , Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 35; Ewing, (1988) 10 Comparative Labour Law Journal, 1, 13. 1,9

Vgl. London Underground Ltd. v. National Union of Railwaymen (High Court), [1989] IRLR, 341 ff.; Sealink v. National Union of Seamen (High Court), The Independent, 12 February 1988; Kent Free Press v. NGA (High Court), [1987] IRLR, 267 ff.; Express & Star Ltd. v. NGA (1982), (High Court) [1985] IRLR, 455 ff., (Court of Appeal) [1986] IRLR, 222 ff.; Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211 ff.; Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Workers (TASS) (High Court), [1985]

. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

6

cc) Die Zwangsmittel und die Rechtsmittel Bei einem Verstoß gegen eine einstweilige Verfügung drohen der Gewerkschaft gerichtliche Zwangsmittel120. Zunächst wird in einem Verfahren festgestellt, daß die Gewerkschaft eine gerichtliche Anordnung mißachtet hat (contempt of court). Im Anschluß daran kann eine Geldbuße verhängt oder sogar die Beschlagnahme des Gewerkschaftsvermögens angeordnet werden 121. Die Höhe der Geldbuße hängt davon ab, wie schwerwiegend der Verstoß gegen die einstweilige Verfugung ist 122 . Ein Funktionär der Gewerkschaft kann in Haft genommen werden, wenn er eine einstweilige Verfugung mißachtet, die einen Arbeitskampf untersagt123. Die Gewerkschaft hat die Möglichkeit, ein Rechtsmittel gegen eine einstweilige Verfugung einzulegen. Das Rechtsmittelgericht kann die erstinstanzliche Entscheidung jedoch nicht in jedem Fall abändern, in dem es selbst eine andere Entscheidung getroffen hätte. Dem erstinstanzlichen Gericht steht bei dem Erlaß von einstweiligen Verfugungen ein Ermessensspielraum zu. Nur bei Ermessensfehlern, wie beispielsweise einem fehlerhaften Rechtsverständnis oder einer Fehleinschätzung von Tatsachen, kann das Rechtsmittelgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufheben und eine eigene Ermessensentscheidung treffen 124.

IRLR, 162 ff.; O'Regan, 54 (1991) MLR, 385, 400 ff.; vgl. auch die Auflistung von Hutton, (1985) 14 ILJ, 255, 256; siehe auch zu dem Fall der fehlenden Immunität bei einem Boykott: Merkur Island Shipping Corporation v. Laughton (House of Lords), [1983] IRLR, 218 ff. 120

contempt proceedings, vgl. Thomson, The Law, S. 498.

121

Vgl. Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Workers (TASS) (High Court), [1985] IRLR, 162 ff.; Express & Star Ltd. v. NGA (1982), (High Court) [1985] IRLR, 455 ff., (Court of Appeal) [1986] IRLR, 222 ff.; Kent Free Press v. NGA (High Court), [1987] IRLR, 267 ff.; Sealink Ltd. v. National Union of Seamen, The Independent, 12 February 1988; Bowers , Employment Law, S. 412 ff.; Rubin , Journal of Business Law (1985), 326, 329; Bloxham , Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 133. 122 Vgl. Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Workers (TASS) (High Court), [1985] IRLR, 162, Hodgson J. auf S. 165; Express & Star Ltd. v. NGA (1982) (High Court), [1985] IRLR, 455, Skinner J. auf S. 459; Kent Free Press v. NGA (High Court), [1987] IRLR, 267, Henry J. auf S. 278; Sealink UK Ltd. v. National Union of Seamen, The Independent, 12 February 1988; Newell , 138 (1988) N U , 619; Rubin , Journal of Business Law (1985), 326, 329; O'Regan , 54 (1991) M L R , 385, 396. 123

Vgl. Bowers , Employment Law, S. 414; O'Regan , 54 (1991) M L R , 385, 400.

124

Carby-Hall , Managerial Law, Vol. 29, No. 1/2, 1987, 1, 36.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

dd) Die Kritik an dem Erlaß einstweiliger Verfugungen In der gewerkschaftlich orientierten Literatur wird kritisiert, daß die Arbeitgeber in größerem Umfang versuchten, Arbeitskämpfe durch einstweilige Verfügungen zu unterbinden125. Einstweilige Verfugungen würden mehr und mehr zu einer Waffe der Arbeitgeber im Arbeitskampf 126. Das sei auf die zunehmende Verrechtlichung der Arbeitskampfordnung und die geringen Anforderungen an den Erlaß einstweiliger Verfugungen zurückzufuhren 127. Der Einsatz einstweiliger Verfügungen im Arbeitskampf werde durch die drastischen Zwangsmittel noch zusätzlich begünstigt128. Der vermehrte Einsatz einstweiliger Verfugungen durch die Arbeitgeberseite habe das Gleichgewicht im Arbeitskampf gestört 129. Die Einleitung von Verfügungsverfahren durch die Arbeitgeber sei häufig für den Ablauf von Arbeitskämpfen und das Ergebnis von Arbeitskämpfen entscheidend130.

ee) Der eigene Lösungsansatz Die Kritik an dem Erlaß einstweiliger Verfügungen gegen Arbeitskämpfe überzeugt nicht. Es muß den Gerichten möglich sein, die Voraussetzungen von Arbeitskämpfen im Verfahren einer einstweiligen Verfügung zu überprüfen. Die Immunität erlaubt den Gewerkschaften während eines Arbeitskampfs Eingriffe, gegen die sich die Betroffenen außerhalb eines Arbeitskampfs rechtlich erfolgreich zur Wehr setzen könnten. Deshalb ist es grundsätzlich legitim, für die Gewährung der Immunität bestimmte rechtliche Voraussetzungen zu verlangen. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen muß durch einst-

125 McKeone, 86 (1989) Law Society's Gazette, No. 19, 6, 7; Rubin, Journal of Business Law (1985), 326, 330; Lord Wedderburn, The Worker, S. 626; vgl. auch Simpson, (1989) 18 I U , 234, 236, 240 f.; Fredman, 12 (1992) OxJLS, 24, 33 f. 126 McKeone, 86 (1989) Law Society's Gazette, No. 19, 6, 7; vgl. auch Auerbach, Legislating, S. 145 f.; Benedictus/Bercusson, Labour Law, S. 621; H epp le /Fredman, International Encyclopedia, No. 493. 127 Vgl. McKeone, 86 (1989) Law Society's Gazette, No. 19, 6 f.; Rubin, Journal of Business Law (1985), 326, 330; Ewing, (1988) 10 Comparative Labour Law Journal, 1, 12 f.; Newell, (1984)81 Law Society's Gazette, 1121, 1122. 128

Vgl. O'Regan, 54 (1991) M L R , 385, 407.

129

McKeone, 86 (1989) Law Society's Gazette, No. 19, 6, 7.

130

Vgl. Newell, 139 (1989) N U , 1234, 1235.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

65

weilige Verfügungen gerichtlich überprüfbar sein. Ansonsten würden durch Arbeitskämpfe, die nicht von der Immunität geschützt sind, häufig vollendete Tatsachen geschaffen. Es wäre mit zu großen praktischen Schwierigkeiten verbunden, einen Tarifvertragsabschluß nachträglich wieder rückgängig zu machen, weil der vorausgegangene Arbeitskampf nicht von der Immunität gedeckt war. Aus diesem Grund muß ein Arbeitgeber die Möglichkeit haben, einen Arbeitskampf, der keine Immunität genießt, von vornherein durch eine einstweilige Verfügung zu verhindern. Auf der anderen Seite verschlechtert aber ein durch eine einstweilige Verfügung ausgesprochenes Arbeitskampfverbot die Verhandlungsposition der Gewerkschaft erheblich. Obwohl eine einstweilige Verfügung nur vorübergehender Natur ist, kann sie für den Tarifvertargsabschluß von entscheidender Bedeutung sein. Ein Arbeitskampf verliert durch einen Aufschub möglicherweise jeglichen Sinn. Ein vorübergehendes Verbot des Arbeitskampfs ist angesichts dieser Auswirkungen nur dann berechtigt, wenn der Arbeitskampf in rechtswidriger Weise in geschützte Rechte eingreift und keine Immunität genießt. Solange die Gewerkschaft durch die Immunität geschützt ist, kann auch ein drohender erheblicher Schaden des Arbeitgebers kein vorübergehendes Verbot des Arbeitskampfs rechtfertigen. Der Zweck eines Arbeitskampfs besteht gerade darin, den sozialen Gegenspieler durch drohende Schäden und Nachteile unter Druck zu setzen131. Der Arbeitgeber kann drohende Schäden immer dadurch verhindern, daß er nachgibt und auf das Angebot der Gewerkschaft eingeht. Die Einhaltung der Rechtsordnung muß allerdings auch bei einem Arbeitskampf gewährleistet sein. Daher ist in einem gerichtlichen Verfahren sicherzustellen, daß die Voraussetzungen der Immunität erfüllt sind. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung sollte deshalb - noch stärker als bisher - ausschließlich von dem Bestehen der Immunität abhängen. Die Prüfung der Voraussetzungen für die Immunität müßte dann auch im einstweiligen Verfahren bereits so sorgfältig wie möglich erfolgen. Sie sollte nicht durch andere Gesichtspunkte der Rechtsgüterabwägung (balance of convenience), die unter Umständen einfacher feststellbar sind, überlagert werden. Ein Ansatz zu einer solchen Vorgehensweise findet sich in der High Court-Entscheidung Barretts

131

Vgl. oben unter A I.

5 Michlik

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

& Baird (Wholesale) Ltd. v. Institution of Professional Civil Servants Schwerpunkt der Erörterungen von Henry J. in dieser Entscheidung bildet die Frage, ob es sich um einen ernsthaften Streitfall handelt. Dabei untersucht er eingehend, ob eine rechtswidrige unerlaubte Handlung vorliegt und ob sie von der Immunitat erfaßt wird 133 . Die Rechtsgüterabwägung tritt demgegenüber in den Hintergrund 134.

132

. Den

Einen anderen Ansatz für eine stärkere Anknüpfung an die Immunität bietet s. 221 (2) TULR(C)A 1992. Nach dieser Norm sind die Erfolgsaussichten der Berufung auf die Immunität im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu berücksichtigen. Aus den dargelegten Gründen, dürfen sie jedoch nicht nur ein Faktor in der Rechtsgüterabwägung sein135, sondern müssen fur den Erlaß einer einstweiligen Verfügung oder die Abweisung eines Verfügungsantrages ausschlaggebend sein. Aus gesetzessystematischen Gründen ist es vorzugswürdig, dieses Ergebnis auf s. 221 (2) TULR(C)A 1992 zu stützen136 und nicht auf den von Henry J. in der High Court-Entscheidung Barretts & Baird (Wholesale) Ltd. v. Institution of Professional Cicil Servants 137 vertretenen Ansatz. Denn s. 221 (2) TULR(C)A 1992 bietet eine gesetzliche Grundlage für die hier vertretene Lösung. Nach dieser Lösung muß der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfugung abgewiesen werden, wenn der Arbeitskampf von der Immunität gedeckt ist. Ein Arbeitskampf, der in Rechte des Antragstellers eingreift, muß dagegen im Wege der einstweiligen Verfugung untersagt werden, falls die Voraussetzungen der Immunität nicht vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Urabstimmung. Neben der Immunität dürfen andere Faktoren im Rahmen der Rechtsgüterabwägung (balance of convenience) allenfalls in eng begrenzten Ausnahmesituationen, beispielsweise bei drohenden irreparablen Schäden für

132

[1998] IRLR, 3 ff.

133

[1987] IRLR, 3, 5 ff.

134

[1987] IRLR, 3, Henry J. auf S. 11.

133

So im Ergebnis NWL Ltd. v. Woods, NW Ltd. v. Nelson (House of Lords), [1979] 3 All ER, 614, Lord Diplock auf S. 626, Lord Frasier auf S. 627 f.; Lord Scarman auf S. 633. 136

Ein stärkeres Gewicht von s. 17 (2) TULRA 1974, der entsprechenden Norm in dem Trade Union and Labour Relations Act 1974 fordert auch Newell, 128 (1984) Sol J, 424, 425; vgl. auch Auerbach, 19 (1990) I U , 120, 122. 137

[1987] IRLR, 3, 5 ff.

ΠΙ. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

die gesamte Wirtschaft, eine Rolle spielen. Die hier vertretene Abgrenzung mindert auch die in der Literatur 138 kritisierte Rechtsunsicherheit bei dem Erlaß einstweiliger Verfügungen gegen einen Arbeitskampf.

ff) Die Verfugung bei Beeinträchtigung der Güterversorgung oder der Versorgung mit Dienstleistungen Durch den Trade Union Reform and Employment Rights Act 1993 ist der Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 ergänzt worden. Die neu eingefügte s. 235A Trade Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992 bestimmt:

Industrial action affecting supply of goods or services to an individual 235A.- (1) Where an individual claims that (a) any trade union or other person has done, or is likely to do, an unlawful act to in-duce any person to take part, or to continue to take part, in industrial action, and (b) an effect, or a likely effect, of the industrial action is or will be to Ö)

prevent or delay the supply of goods or services, or (ii)

reduce the quality of goods or services supplied, to the individual making the claim, he may apply to the High Court or the Court of Session for an order under this section.

(2) For the purposes of this section an act of inducement is unlawful (a) if it is actionable in tort by any one or more persons, or (b) (where it is or would be the act of a trade union) if it could form the basis of an application by a member under section 62. (3) In determining whether an individual may make an application under this section it is immaterial whether or not the individual is entitled to be supplied with the goods or services in question. (4) Where on an application under this section the court is satisfied that the claim is well-founded, it shall make such order as it considers appropriate for requiring the person by whom the act of inducement has been, or is likely to be, done to take steps for ensuring (a) that no, or no further, act is done by him to induce any persons to take part or to continue to take part in the industrial action, and (b) that no person engages in conduct after the making of the order by virtue of having been induced by him before the making of the order to take part or continue to take part in the industrial action. (5) Without prejudice to any other power of the court, the court may on an application under this section grant such interlocutory relief (in Scotland, such interim order) as it considers appropriate.

Vgl. Simpson , 47 (1984) M L R , 577, 579. 5*

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Nach s. 235A TULR(C)A 1992 kann nunmehr jeder, der infolge eines Arbeitskampfs in der Versorgung mit Gütern oder Dienstleistungen beeinträchtigt wird, vor dem High Court einen Antrag auf Erlaß einer gerichtlichen Verfügung, vor allem auch einer einstweiligen Verfügung (siehe s. 235A (5) TULR(C)A 1992), zur Verhinderung eines Arbeitskampfs stellen. Er muß zur Begründung seiner Antragsbefugnis lediglich darlegen, daß seine Versorgung mit Gütern oder Dienstleistungen infolge des Arbeitskampfs verhindert bzw. verzögert wird, oder daß gelieferte Waren bzw. erbrachte Dienstleistungen aufgrund des Arbeitskampfs in ihrer Qualität gemindert sind (s. 235A (1) TULR(C)A 1992). Diese Antragsbefugnis kann im Einzellfall sehr weit reichen. Denn sie läßt einen Antrag auf eine gerichtliche Verfügung beim Unterbleiben einer Urabstimmung auch dann zu, wenn keine unerlaubte Handlung gegenüber dem Antragsteller vorliegt (siehe s. 235A (2) (b) TULR(C)A 1992). Zumindest muß s. 235A TULR(C)A 1992 aber so ausgelegt werden, daß eine Verfügung nicht erlassen werden darf, wenn die Voraussetzungen der Immunität vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehört eine wirksame Urabstimmung.

2. Der Sinn und Zweck von s. 226 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 Bevor die einzelnen Voraussetzungen einer wirksamen Urabstimmung, die in s. 226 - 235 TULR(C)A 1992 festgelegt sind, genauer untersucht werden, soll der Sinn und Zweck der Urabstimmungsobliegenheit ermittelt werden. Denn der Sinn und Zweck einer Norm kann für die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale entscheidend sein. Im britischen Recht darf die Gesetzesauslegung, enger als im deutschen Recht, zwar nicht ohne weiteres über den Wortlaut einer Norm hinausgehen. In erster Linie muß eine Gesetzesbestimmung nach ihrem gewöhnlichen wörtlichen oder grammatikalischem Sinn ausgelegt werden 139. Weitere Auslegungskriterien können jedoch herangezogen werden, wenn die wörtliche Auslegung zu Unklarheiten, zu Widersprüchen, zur Unvereinbarkeit mit anderen Bestimmungen oder zur Sinnlosig-

139

James, Introduction, S. 10.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

6

keit der Norm führt (sogenannte "Golden Rule") 140 . In diesen Fällen ist zum einen die Systematik des Gesetzes ein wichtiges Auslegungskriterium 141. Zum anderen kann jedoch auch der Zweck, der den Gesetzgeber zum Erlaß der gesetzlichen Bestimmung veranlaßt hat, vor allem der durch das Gesetz zu behebende Mangel des Common Law, für die Auslegung entscheidend sein142. Das House of Lords hat, in dem Fall Pepper (Inspector of Taxes) v. Hart 143 im November 1992, entschieden, daß zur Ermittlung des Gesetzeszwecks, entgegen der vorher herrschenden Auffassung 144, auch Gesetzesmaterialien des Parlaments herangezogen werden können. Voraussetzung ist allerdings, daß sie von einem Minister oder einem andern Verantwortlichen stammen, der dem Gesetzesvorhaben zugestimmt hat 145 , und daß sie in ihrer Bedeutung eindeutig sind146. Vor der Erörterung einzelner Voraussetzungen einer Urabstimmung ist daher der gesetzgeberische Zweck der Urabstimmungsobliegenheit festzustellen, um ihn gegebenenfalls bei der Auslegung der Voraussetzungen heranziehen zu können. Die Beschränkung der Immunität durch die Urabstimmungsobliegenheit soll die Gewerkschaften dazu veranlassen, Arbeitskämpfe nur nach vorheriger Urabstimmung durchzuführen. Freiwillige Maßnahmen zu einer stärkeren Durchführung von Urabstimmungen waren zuvor gescheitert147. Der Zweck einer Urabstimmung wird aus den Regierungsberichten (Green Papers) "Trade Union Immunities" aus dem Jahr 1981 148 und "Democracy in Trade

140 James y Introduction, S. 10; Pepper (inspector of Taxes) v. Hart (House of Lords), [1993] 1 All ER, 42, Lord McKay of Clashf ern L.C. auf S. 47, Lord Oliver ofAylmerton auf S. 52; Lord Browne-Wilkinson auf S. 64. 141

Siehe James, Introduction, S . l l .

142

Pepper (Inspector of Taxes) v. Hart (House of Lords), [1993] 1 All ER, 42, Lord Griffiths auf S. 50; Lord Browne-Wilkinson auf S. 63. 143

[1993] 1 All ER, 42 ff.; kritisch dazu Born, 90 (1993) Law Society's Gazette, No. 3, 2.

144

Siehe dazu James, Introduction, S. 11 f.

145

Pepper (Inspector of Taxes) v. Hart (House of Lords), [1993] 1 All ER, 42, Lord BrowneWilkinson auf S. 65. 146 Pepper (Inspector of Taxes) v. Hart (House of Lords), [1993] 1 All ER, 42, Lord Bridge Harwich auf S. 49; Lord Oliver of Aylmerton auf S. 52; Lord Browne-Wilkinson auf S. 65. 147

Vgl. oben unterC 113.

148

Cmnd. 8128.

0

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Unions" aus dem Jahr 1983 149 besonders deutlich150. Diese Regierungsberichte dienten der gesetzgeberischen Vorbereitung des Trade Union Act 1984, durch den die Urabstimmungsobliegenheit in das britische Arbeitskampfrecht eingeführt worden ist.

a) Der Regierungsbericht "Trade Union Immunities" 1981 Der Regierungsbericht "Trade Union Immunities", den der Secretary of State for Employment Prior im Jahr 1981 vorgelegte, bemängelte den fehlenden Kontakt der Gewerkschaftfuhrung zur Basis151. Die Gewerkschaftsführung würde Arbeitskämpfe häufig ohne Rücksprache mit ihren Mitgliedern oder sogar gegen deren Willen ausrufen. Unter dem Druck eines drohenden Gewerkschaftsausschlusses hätten die Mitglieder dann keine andere Wahl, als dem Arbeitskampfaufruf zu folgen. In dem Regierungsbericht "Trade Union Immunities" wurden außerdem die großen Schäden hervorgehoben, die Arbeitskämpfe der Gemeinschaft zufugten 152. Vor allem im Hinblick auf diese äußeren Schäden sei eine Rücksprache der Gewerkschaftsführung mit ihren Mitgliedern vor einem Arbeitskampf notwendig. In dem Regierungsbericht "Trade Union Immunities" wurde jedoch noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, wie das Ziel einer verstärkten Durchführung von Urabstimmungen erreicht werden sollte153.

b) Der Regierungsbericht "Democracy in Trade Unions" 1983 Aus dem Regierungsbericht "Democracy in Trade Unions", den der Secretary of State for Employment Lord Tebbit im Jahr 1983 vorgelegte, wurde erneut deutlich, daß das Ziel einer verstärkten Durchführung von Urabstim-

149

Cmnd. 8778.

130

Siehe zur ausdrücklichen Zulassung von Regieningsberichten zur Ermittlung des Zwecks einer Norm: Pepper (Inspector of Taxes) v. Hart (House of Lords), [1993] 1 All ER, 42, Lord Browne-Wilkinson auf S. 61. 131

Cmnd. 8128, S. 62.

132

Cmnd. 8128, S. 62.

133

Cmnd. 8128, S. 62 ff.

. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

mungen von zwei Motiven beherrscht war 154 . Dieser Bericht stützte sich sowohl auf Argumente, die den innergewerkschaftlichen Entscheidungsprozeß betrafen, als auch auf Argumente hinsichtlich der äußeren Folgen von Arbeitskämpfen 155. In ihrem internen Entscheidungsprozeß gingen die Gewerkschaften nicht in ausreichendem Maße auf den Willen der Mitglieder ein. Eine Gewerkschaft könne ihre Macht nicht nur gegenüber dem Kampfgegner, sondern auch gegenüber einzelnen Mitgliedern einsetzen. Ein Arbeitnehmer erleide durch einen Arbeitskampf nicht nur finanzielle Einbußen; es bestehe für ihn sogar die Gefahr, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Gewerkschaftsmitglieder hätten daher in zunehmendem Maße das Bedürfnis, durch geheime Urabstimmungen an der Entscheidung über einen Arbeitskampf beteiligt zu werden. Die Regierung habe eine spezielle Pflicht, die Beteiligungsrechte der Gewerkschaftsmitglieder zu schützen, da diese durch das "closed-shop "-Prinzip, also durch Vereinbarungen der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften, nur Gewerkschaftsmitglieder einzustellen156, häufig zu einem Beitritt in die Gewerkschaft gezwungen seien. Eine Abstimmung durch Handzeichen auf Massenversammlungen genüge den Anforderungen an die Beteiligungsrechte der Gewerkschaftsmitglieder nicht. Denn die Gewerkschaftsmitglieder würden hierbei durch Einschüchterungen davon abgehalten, Gegenstimmen abzugeben157. Neben dem gewerkschaftsinternen Entscheidungsprozeß seien auch die äußeren Folgen von Arbeitskämpfen zu berücksichtigen. Diese seien oft tiefgreifend. Die Gewerkschaften könnten durch Arbeitskämpfe die gesamte Gesellschaft, einschließlich unbeteiligter Dritter, wirtschaftlich schädigen158. Die Gesellschaft habe ein Recht darauf, daß Arbeitskämpfe in schonender und verantwortungsbewußter Weise unter Beachtung demokratischer Grundsätze eingeleitet und durchgeführt würden 159. Den Gewerkschaften werde durch die

154

Cmnd. 8778, S. 1, 17.

133

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 125 {Auerbach steht diesen Argumenten allerdings kritisch gegenüber, vgl. Legislating, S. 126 ff.); Kritik an der Argumentation üben auch: Davies/ Freedland, Labour Law, S. 683 f.; Bloxham, 8 (1986) Liverpool Law Review, 131, 134 ff.; Martin, Ballots, S. 74 f; Ewing/Rees y 133 (1983) N U , 259, 263. 136

Auch Organisationsklausel genannt, siehe Brox, Arbeitsrecht, Rdnr. 242.

157

Vgl. Cmnd. 8778, S. 1 und 17.

158

Vgl. Cmnd. 8778, S. 1 und 17.

159

Cmnd. 8778, S. 17.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Gewährung von Immunität während eines Arbeitskampfs ein besonderer rechtlicher Status verliehen. Mit Rücksicht auf diesen besonderen Status und die Machtposition der Gewerkschaften müßten ihre Entscheidungen in einer Art und Weise getroffen werden, die öffentliches Vertrauen genieße. Dieses öffentliche Vertrauen fehle, wenn die Gewerkschaftsmitglieder keine Gelegenheit erhielten, ihre Stimme zu dem Arbeitskampfvorhaben abzugeben160. Wegen der Bedeutung von Arbeitskämpfen für die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder und die gesamte Gesellschaft sei es geboten, die Gewerkschaftsmitglieder durch geheime Urabstimmungen direkt an der Entscheidung über die Aufnahme eines Arbeitskampfs zu beteiligen161. Die Reaktion der Gewerkschaften auf den Employment Act 1980 zeige ihre fehlende Bereitschaft, die notwendige Reform freiwillig durchzuführen. Daher seien zwingende gesetzliche Maßnahmen in Erwägung zu ziehen162. Zwar müßte es den Gewerkschaften in einer Demokratie grundsätzlich überlassen sein, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln. Die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder und die gesamte Gesellschaft hätten aber einen Anspruch darauf, daß eine gesetzliche Mindestregelung eingeführt werde 163. Der Regierungsbericht "Democracy in Trade Unions" nahm zu drei Möglichkeiten zwingender gesetzlicher Normen über die Durchführung von Urabstimmungen Stellung: Urabstimmungen könnten direkt von staatlicher Seite vorgeschrieben werden 164; einem bestimmten Prozentsatz von Mitgliedern könnte ein gesetzliches Recht eingeräumt werden, eine Urabstimmung zu verlangen 165; oder es könnte dem Arbeitgeber ein solches Recht gewährt werden 166. Nach letzterem Ansatz würde die Urabstimmung zu einer Bedingung für die Immunität einer Gewerkschaft bei unerlaubten Handlungen gegenüber dem Arbeitgeber werden. Der Regierungsbericht "Democracy in Trade Unions" traf jedoch keine endgültige Entscheidung darüber, welche der drei

160

Cmnd. 8778, S. 1; vgl. dazu auch Khan, 128 (1984) Sol J, 726.

161

Vgl. Cmnd. 8778, S. 17.

162

Vgl. Cmnd. 8778, S. 1.

163

Cmnd. 8778, S. 37.

164

Cmnd. 8778, S. 18 f.

163

Cmnd. 8778, S. 19 f.

166

Cmnd. 8778, S. 20.

. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

Möglichkeiten einer gesetzlichen Regelung vorzugswürdig sei. In dem Bericht wurde bei allen drei Lösungsansätzen auf praktische Schwierigkeiten hingewiesen167.

c) Der Regierungsentwurf des Gesetzes In der Grundsatzerklärung "Proposals for Legislating in Democracy in Trade Unions" vom Juli 1983 legte die Regierung sich erstmals auf eine konkrete gesetzgeberische Maßnahme fest 168. Die Immunität für unerlaubte Handlungen sollte auf Arbeitskämpfe beschränkt werden, denen eine geheime Urabstimmung vorausgegangen war. Dieser Vorschlag wurde Grundlage des Regierungsentwurfs (Trade Union Bill), der am 8. November 1983 dem Parlament vorgelegt wurde 169. Der neue Secretary of State for Employment King begründete den Regierungsentwurf schlagwortartig damit, die Gewerkschaften ihren Mitgliedern zurückzugeben170. In der Grundsatzerklärung kommen erneut sowohl der gewerkschaftsinterne Zweck, die demokratischen Rechte der Mitglieder zu stärken, als auch der äußere Zweck, verantwortungslose Arbeitskämpfe zu verhindern, zum Ausdruck 171. Nach Auffassung der Regierung war der Immunitätsverlust das wirkungsvollste Mittel, um die Gewerkschaften zur Durchführung von Urabstimmungen zu veranlassen. Der Vorteil gegenüber einer innerhalb der Gewerkschaft von den Mitgliedern erzwungenen Urabstimmung bestehe darin, daß die Gewerkschaft hierdurch keine Möglichkeit mehr habe, selbst aus taktischen Gründen über den Einsatz von Urabstimmungen zu bestimmen172. Der Immunitätsverlust habe auch nicht die Nachteile eines direkten Eingriffs durch ein staatliches Organ, wie dies s. 141 des Industrial Relations Act 1971

167

Cmnd. 8778, S. 18 ff.; diese praktischen Schwierigkeiten heben auch Undy/Martin,

S. 42 f. und Ewing/ReeSy

Ballots,

133 (1983) N U , 259, 261 ff. hervor.

168

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 133; Undy/Martin,

169

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 37; Zusammenfassung der Trade Union Bill: vgl. 147 (1983)

Ballots, S. 43.

Local Government Review, 937. 170

Vgl. 147 (1983) Local Government Review, 915.

171

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 134.

172

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 135 {Auerbach sieht in dem Immunitätsverlust aber umgekehrt eine taktische Waffe fur den Arbeitgeber, Legislating, S. 135 und 145 f.).

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

vorgesehen hatte. Den Gewerkschaften bleibe zumindest noch die Wahl zwischen der Durchführung einer Urabstimmung und dem Verlust der Immunität mit dem Risiko eines gerichtlichen Verfahrens durch den Kampfgegner 173. In dem ursprünglichen Regierungsentwurf war die Wiedererlangung der Immunität nach Durchführung einer Urabstimmung nicht von dem Abstimmungsergebnis abhängig. Ein Arbeitskampf wäre also auch dann von der Immunität gedeckt gewesen, wenn die Urabstimmung ein ablehnendes Ergebnis gehabt hätte. Die Regiening hielt es zunächst fur überflüssig, eine mehrheitliche Zustimmung in der Urabstimmung als Voraussetzung für die Immunität zu verlangen. Eine Gewerkschaft würde nach einer ablehnenden Urabstimmung ohnehin keinen Arbeitskampf mehr einleiten174. Vor Verabschiedung des Gesetzes im House of Lords änderte die Regierung jedoch ihren Entwurf. Nach dieser Änderung setzt die Immunität eine mehrheitliche Zustimmung zum Arbeitskampf in der Urabstimmung voraus 175. Diese Änderung wurde durch den Bergarbeiterstreik im Jahr 1984 beeinflußt 176. In einigen Bezirken, beispielsweise in Derbyshire 177, ergab die Urabstimmung während des Bergarbeiterstreiks keine Mehrheit zugunsten eines Arbeitskampfs. Dennoch leitete die Gewerkschaft den Arbeitskampf ein. Im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck, die internen demokratischen Rechte der Mitglieder zu stärken, ist die Änderung des Gesetzesentwurfs von erheblicher Bedeutung. Denn das Demokratieprinzip kann eine Urabstimmungsobliegenheit eher rechtfertigen, wenn auch dem Ergebnis der Urabstimmung eine entscheidende Bedeutung zukommt.

175 Vgl. Auerbach, Legislating, S. 134, 137 und 140; vgl. auch Undy/Martin, Ballots, S. 44 und 214; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 26, No. 6, 1984, 1; Auerbach, Legislating, S. 140, sieht den Unterschied zu einem direkten staatlichen Eingriff allerdings nur als formellen Unterschied an. 174 Vgl. Newell, 134 (1984) N U , 332, 333; ders., 81 (1984) Law Society's Gazette, 1121; Auerbach, Legislating, S. 135; Davies/Freedland, Labour Law, S. 830 und 948; Lord Wedderburn, The Worker, S. 625. 173 Bowers , 83 (1986) Law Society's Gazette, 1695; Auerbach, Legislating, S. 151 f.; Lord Wedderburn, The Worker, S. 627; vgl. zu dieser Änderung auch den Bericht in 148 (1984) Local Government Review, 471. 176 Vgl. Auerbach, Legislating, S. 151 ff.; vgl. zu dem Bergarbeiterstreik auch die High CourtEntscheidungen Taylor v. National Union of Mineworkers (Derbyshire Area), [1984] IRLR, 441 ff. und Taylor and Foulstone v. (1) National Union of Mineworkers (Yorkshire Area) (2) National Union of Mineworkers, [1984] IRLR, 445 ff. 177

Vgl. oben unter C I 1 c aa.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

5

d) Zusammenfassung: Der Sinn und Zweck der Urabstimmungsobliegenheit nach den offiziellen Stellungnahmen Nach den offiziellen Stellungnahmen vor Erlaß des Trade Union Act 1984 liegt der Sinn und Zweck der Urabstimmungsobliegenheit somit auf zwei Ebenen. Die Urabstimmungsobliegenheit verfolgt danach einen gewerkschaftsinternen und einen äußeren Zweck. Durch die Urabstimmungsobliegenheit soll der interne Entscheidungsprozeß innerhalb der Gewerkschaften demokratischer gestaltet werden. Urabstimmungen stärken als Form unmittelbarer Demokratie die demokratischen Rechte der Gewerkschaftsmitglieder. Die direkte und geheime Stimmabgabe gewährleistet, daß der Arbeitskampfbeschluß mit dem Willen der Mehrheit der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder übereinstimmt. Die Gewerkschaftsfuhrung wird daran gehindert, ihre Machtposition gegen den Willen der Mitglieder auszuüben178. Darüber hinaus soll die Urabstimmungsobliegenheit auch die äußeren Schäden von Arbeitskämpfen verringern. Ein Zweck der Urabstimmung besteht darin, dafür Sorge zu tragen, daß Arbeitskämpfe in verantwortungsbewußter und schonender Weise durchgeführt werden. Dieser äußere Zweck der Urabstimmung wird vor allem dadurch deutlich, daß nach dem Trade Union Act 1984 zunächst nur der Kampfgegner und geschädigte Dritte eine Rechtsschutzmöglichkeit hatten, wenn eine Urabstimmung unterblieben war. Hätte allein die interne Demokratie einer Gewerkschaft im Vordergrund gestanden, dann hätte eine solche Rechtsschutzmöglichkeit von vornherein vor allem den einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern zustehen müssen179. Der äußere Zweck von Urabstimmungen ist durch die Vorstellung geprägt, daß die Gewerkschaftsbasis gemäßigter sei als die Gewerkschaftsführung 180.

178 Vgl. zu dem internen Zweck von s. 10 T U A 1984 auch Äußerungen des Minister of State for Employment Gummer in 1984 (148) Local Government Review, 453; vgl. auch kritische Stellungnahmen gegenüber dem internen Zweck von s. 10 T U A 1984: Honeyball, Guide, S. 5 f.; Lord Wedderburn, The Worker, S. 75, 625; Hutton, (1985) 14 I U , 255, 261 ; Jefferson, Liverpool Law Review 8 (1986), 169, 175. 179 Vgl. Davies, The International Journal of Comparative Labour Law (1988) Vol. 4, 71, 83; Lord Wedderburn , The Worker, S. 625 f.; Jefferson , Liverpool Law Review 8 (1986), 169, 165; Anderman , Labour Law, S. 309. 180 Vgl. Undy/Martin , Ballots, S. 5, 45; Davies , The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, (1988) Vol. 4, 71, 83; Bain, Industrial Relations, S. 390;

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

Nach der Ansicht von Bloxham m spielte beim Erlaß des Trade Union Act 1984 auch das Motiv eine Rolle, den Anstieg der Lohne zu hemmen. In dieser Hinsicht könnten Urabstimmungen ebenfalls eine gemäßigtere Haltung der Gewerkschaften zur Folge haben. Für dieses Ziel der Urabstimmungsobliegenheit gibt es allerdings keine Anhaltspunkte in den offiziellen Stellungnahmen aus dem Gesetzgebungsverfahren.

e) Die Stellungnahmen in der Literatur Eine verbreitete Ansicht in der Literatur 182 sieht den äußeren Zweck als entscheidendes gesetzgeberisches Motiv für den Erlaß der Urabstimmungsobliegenheit in dem Trade Union Act 1984 an. Die Urabstimmungsobliegenheit solle die Gewerkschaften in erster Linie an der Einleitung von Arbeitskämpfen hindern. Wäre eine Demokratisierung des Entscheidungsprozesses innerhalb der Gewerkschaften das Ziel der Regelung gewesen, dann hätten Urabstimmungen beispielsweise auch bei Beendigung eines Arbeitskampfs vorgeschrieben werden müssen183. Wenn der Beginn eines Arbeitskampfs durch eine Urabstimmung legitimiert sein müsse, bedürfe die Beendigung des Arbeitskampfs der gleichen Legitimation. Denn die Beendigung eines Arbeitskampfs durch den Abschluß eines Tarifvertrags beeinflusse die Position der einzelnen Gewerkschaftsmitglieder ebenso stark wie die Einleitung eines Arbeitskampfs. Unter Berufung auf das Demokratieprinzip hätte außerdem konsequenterweise auch von den Arbeitgeberverbänden vor der

Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 137; Auerbach, Legislating, S. 153, 155; Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 152. 181

Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 137; vgl. auch Undy/Martin, Ballots, S. 210 ff. und Napier , The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, (1985) Vol. 1, 35, 38. 182

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 153 f., 218 f., 332 f., 237; Davies, The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, (1988) Vol. 4, 71, 83; Hutton , (1984) 13 I U , 212, 216; Welch, The Right, S. 32 f.; Petrins, Trade Union Law, S. 109; Hepple, Fifty Years, S. 117; vgl. auch Fredman , 12 (1992) OxJLS, 24 ff. 183 Vgl. Auerbach, Legislating, S. 128; vgl. zu dieser Argumentation auch: Ewing/Rees, 133 (1983) N U , 259, 262; Lord Wedderburn, The Worker, S. 625; Hepple/Fredman, International Encyclopedia, No. 493; Bowers, 81 (1984) Law Society's Gazette, 2454, 2465; Undy/Martin, Ballots, S. 130.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

Anordnung einer Aussperrung eine Abstimmung unter den betroffenen Arbeitgebern verlangt werden müssen184.

f) Die eigene Auffassung Der äußere Zweck der Urabstimmung wird vor allem dadurch deutlich, daß in dem Trade Union Act 1984 eine Rechtsschutzmöglichkeit für Gewerkschaftsmitglieder fehlte. Sie sind die eigentlich Betroffenen einer unterbliebenen Urabstimmung. Von dem Verlust der Immunität nach s. 10 TUA 1984 profitierten dagegen direkt nur der Kampfgegner und geschädigte Dritte. Allerdings läßt es sich nach der offiziellen Stellungnahme der Regierung in dem Bericht "Democracy in Trade Unions"185 nicht völlig bestreiten, daß die Urabstimmungsobliegenheit auch eine Stärkung der demokratischen Rechte von Gewerkschaftsmitgliedern zum Ziel hat. Hätte der Gesetzgeber lediglich die Einleitung von Arbeitskämpfen beschränken wollen, dann hätte er unmittelbare Kampfverbote erlassen können. Dieses Mittel hat der Gesetzgeber bei anderen gesetzgeberischen Maßnahmen, beispielsweise bei dem Verbot von Sympathiearbeitskämpfen nach s. 17 (1) EA 1980, ergriffen. In dem Trade Union Act 1984 hat der Gesetzgeber den Immunitätsverlust mit einer unterlassenen Mitgliederbeteiligung an der gewerkschaftlichen Entscheidung über die Einleitung des Arbeitskampfs verknüpft. Dadurch erhält die Beteiligung der Gewerkschaftsmitglieder an dieser Entscheidung gleichzeitig eine stärkere Bedeutung. Die gesteigerte Bedeutung der Mitgliederbeteiligung stärkt zumindest indirekt auch die demokratischen Rechte der Gewerkschaftsmitglieder. In dem Trade Union Act 1984 fehlte nur der weitere Schritt, ihnen auch eine Rechtsschutzmöglichkeit zu gewähren. Insgesamt verfolgt s. 226 TULR(C)A 1992, der nach geltendem Recht s. 10 TUA 1984 entspricht, daher einen zweifachen Sinn und Zweck. Durch die Urabstimmungsobliegenheit soll zum einen der interne Entscheidungsprozeß in den Gewerkschaften demokratischer gestaltet werden. Die Stimme des einzel-

184 Vgl. Rubin, Journal of Business Law (1985), 326, 327; Jefferson, (1986), 169, 175. 185

Cmnd. 8778; vgl. oben unter C III 2 b; vgl. auch Lord Wedäerburn,

Liverpool Law Review 8

The Worker, S. 625.

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

nen Gewerkschaftsmitglieds erhält ein stärkeres Gewicht. Zum anderen ist beabsichtigt, die äußeren Schäden von Arbeitskämpfen zu verringern. Die Urabstimmungen sollen eine gemäßigtere Arbeitskampfstrategie der Gewerkschaften gewährleisten. Eine gemäßigtere Mehrheit von Gewerkschaftsmitgliedern kann die Gewerkschaftsführung durch ein negatives Urabstimmungsergebnis dazu veranlassen, verantwortungslose Arbeitskämpfe zu unterlassen.

3. Die Voraussetzungen für den Verlust

der Immunität

a) Eine Handlung der Gewerkschaft Ein Verlust der Immunität tritt bei Handlungen der Gewerkschaft ein, durch die eine Person dazu veranlaßt wird, an einem Arbeitskampf teilzunehmen oder eine Beteiligung fortzusetzen (s. 226 (1) TULR(C)A 1992). Voraussetzung fur den Verlust der Immunität ist danach eine Handlung der Gewerkschaft. Der Verlust der Immunität trifft nur die Gewerkschaft. Einzelne Gewerkschaftsmitglieder, die einen Arbeitskampf organisieren, werden, unabhängig von der Durchführung einer Urabstimmung, durch die Immunität geschützt186. Insofern hat sich die Rechtslage im Jahr 1990 geändert. Bis zu einer Änderung des Trade Union Act 1984 im Jahr 1990 waren auch einzelne Gewerkschaftsmitglieder von dem Verlust der Immunität bedroht, falls eine Urabstimmung unterblieben war 187 . Eine Handlung der Gewerkschaft liegt dann vor, wenn ihr die Handlungen ihrer Mitglieder oder Organe zugerechnet werden können. Im Rahmen des s. 226 (1) TULR(C)A 1992 ist insofern entscheidend, wann einer Gewerkschaft eine unerlaubte Handlung ihrer Mitglieder oder Organen zugerechnet werden kann. Da die Gewährung von Immunität zwingenderweise zunächst das Vorliegen einer unerlaubten Handlung voraussetzt, kommt auch der Verlust dieser Immunität nur bei solchen Handlungen in Frage, die den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllen. Handlungen der Gewerkschaftsmitglieder stellen nach s. 20 (1), (2) TULR(C)A 1992 unerlaubte Handlungen der Ge-

196 1β7

Siehe Petrins in Harvey , Industrial Relations, N/1896, No. 3006.

Vgl. zur Rechtslage vor der Gesetzesanderung im Jahr 1990: Bowers , 83 (1986) Law Society's Gazette, 1695; ders., Employment Law, S. 404; Davies/Freedland, Labour Law, S. 948; Carby-Hall, Managerial Law, Vol. 26, No. 6, 1984, 1, 6; offengelassen lediglich von Newell, 134 (1984) N U , 332, 333 f.

III. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

werkschaft dar, falls einer der in s. 20 (2) TULR(C)A 1992 genannten Verantwortlichen 188 der Gewerkschaft diesen Handlungen zugestimmt oder sie gebilligt hat. Eine Zustimmung ist auf zukünftige oder gegenwärtige Handlungen gerichtet, eine Billigung auf vorausgegangene Handlungen189. Als Zustimmung oder Billigung gelten auch konkludente oder heimliche Zustimmungshandlungen, wie Nicken oder Augenzwinkern190. Es genügt jedoch nicht, daß die Gewerkschaft es lediglich unterläßt, ihre Mitglieder von Arbeitskampfhandlungen abzuhalten191. Wenn das Exekutivkomitee, der Präsident oder der Generalsekretär einer Gewerkschaft einen wilden Arbeitskampf ausdrücklich

188

S. 20 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992: Liability of trade union in certain proceedings in tort 20.- (1) Where proceedings in tort are brought against a trade union (a) on the ground that an act (i) induces another person to break a contract or interferes or induces another person to interfere with its performance, or (ii) consists in threatening that a contract (whether one to which the union is a party or not) will be broken or its performance interfered with, or that the union will induce another person to break a contract or interfere with its performance, or (b) in respect of an agreement or combination by two or more persons to do or to pro-cure the doing of an act which, if it were done without such agreement or combination, would be actionable in tort on such a ground. then, for the purpose of determining in those proceedings whether the union is liable in respect of the act in question, that act shall be taken to have been done by the union if, but only if, it is to be taken to have been authorised or endorsed by the trade union in accordance with the following provisions. (2) An act shall be taken to have been authorised or endorsed by a trade union if it was done, or was authorised or endorsed (a) by any person in empowered by the rules to do, authorise or endorse acts of the kind in question, or (b) by the principle executive committee or the president or general secretary, or (c) by any other committee of the union or any other official of the union (whether employed by it or not).

Vgl. zur Zurechnung auch: Elias/Ewing, ployment Law, S. 404. 189

Trade Union Democracy, S. 159 f.; Bowers , Em-

Vgl. Bowers/A uerbach , Guide, S. 8.

190

Express & Star Ltd. v. NGA (1982) (High Court), [1985] IRLR, 455, Skinner J. auf S. 459; Elias/Ewing , Trade Union Democracy, S. 160. 191 Express & Star Ltd. v. NGA (1982) (High Court), [1985] IRLR, 455, Skinner J. auf S. 457; Elias/Ewing , Trade Union Democracy, S. 160.

0

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

und unverzüglich für nicht verbindlich erklärt, hat die Zustimmung eines anderen Verantwortlichen keine Bedeutung (s. 21 TULR(C)A 1992) 192 . Der Verlust der Immunität nach s. 226 (1) TULR(C)A 1992 ist demnach auf Arbeitskämpfe beschränkt, für die eine Gewerkschaft die Verantwortung trägt, als auf offizielle Arbeitskämpfe 193. Dies birgt die Gefahr zunehmender wilder Arbeitskämpfe 194. Gewerkschaften werden sich von wilden Arbeitskämpfen häufig distanzieren, um nicht mangels Urabstimmung in die Gefahr einer Haftung für unerlaubte Handlungen zu kommen. Für einstweilige Verfügungen ist es von besonderer Bedeutung, daß der Verlust der Immunität nach s. 226 (1) TULR(C)A 1992 auf offizielle Arbeitskampfe beschränkt ist. Denn Arbeitgeber haben insofern keine Möglichkeit, wilde Arbeitskämpfe durch einstweilige Verfügungen zu verhindern, indem sie sich auf eine fehlende Urabstimmung berufen 195. b) Die Anforderungen an die unerlaubte Handlung Bis zur Neufassung von s. 10 TUA 1984 im Jahr 1990 trat der Verlust der Immunität nach dem Wortlaut der Norm nur bei solchen unerlaubten Handlungen ein, die eine Anstiftung zum Vertragsbruch oder zur Beeinträchtigung der Vertragserfüllung zu Gegenstand hatten196. Diese Beschränkung des Immuni tätsverlusts auf bestimmte unerlaubte Handlungen ist durch eine Neufassung des Gesetzes im Jahr 1990 entfallen. Nunmehr tritt der Verlust der Immunität bei allen unerlaubten Handlungen ein, durch die eine Person dazu veranlaßt wird, an einem Arbeitskampf teilzunehmen oder eine Teilnahme

192

Vgl. dazu Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 160 if.; Kritik an dieser Regelung übt Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 147, wegen der Möglichkeit innergewerkschaftlicher Spannungen. 193 Vgl. Simpson, Trade Union Immunities, S. 139; Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 160; Croaü, 137 (1987) N U , 918, 919; Hutton, (1984) 3 I U , 212, 219 f; Petrins in Harvey , Industrial Relations, N/1897, No. 3008. 194

Vgl. Jefferson,

Liverpool Law Review 8 (1986), 169, 175; Auerbach, Legislating, S. 192 ff.

195

Vgl. Simpson, Trade Union Immunities, S. 189; Bloxham, Liverpool Law Review 8 (1986), 131, 145; Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 160; Hutton, (1985) 14 I U , 255, 260 f. unter Hinweis auf die unveröffentlichte High Court-Entscheidung Austin Rover Group Ltd. v. Amalgamated Union of Engineering Workers (Engineering Section ) vom 8. November 1984. 196

Vgl. dazu: Elias/Ewing, Trade Union Democracy, S. 158; Simpson, Trade Union Immunities, S. 189; vgl. auch die High Court-Entscheidung Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers, [1985] IRLR, 211, Warner J. auf S. 213.

. Das Rechtsverhältnis zwischen der Gewerkschaft und dem Kampfgegner

fortzusetzen. Eine Veranlassung zur Teilnahme an einem Arbeitskampf liegt bei jeder Form der Überredung 197, auch bei einer bloßen Empfehlung 198, vor. Die Gesetzesänderung aus dem Jahr 1990 hat keine großen praktischen Auswirkungen gehabt. Denn der Verlust der Immunität setzt immer voraus, daß zunächst ein Tatbestand für die Gewährung von Immunität erfüllt ist. Der Hauptanwendungsfall der Gewährung von Immunität, s. 219 (1) (a) TULR(C)A 1992 (vormals s. 13 (1) (a) Trade Union and Labour Relations Act 1974), war auch vor der Gesetzesänderung von dem Immunitätsverlust beim Unterbleiben einer Urabstimmung erfaßt. Lediglich die unerlaubten Handlungen der Nötigung (intimidation) und der Verabredung zur Schädigung (conspiracy to injure) konnten durch die Immunität geschützt sein und waren vor der Gesetzesänderung aufgrund der Einschränkung in s. 10 (1) TUA 1984 nicht der Gefahr eines Immunitätsverlusts ausgesetzt199. Bei diesen unerlaubten Handlungen tritt nach der Neufassung des Gesetzes nunmehr auch ein Verlust der Immunität ein, wenn durch sie eine Person zur Teilnahme an einem Arbeitskampf veranlaßt wird, der nicht durch eine Urabstimmung bestätigt worden ist 200 . Die Reichweite der Obliegenheit, nach s. 226 TULR(C)A 1992 eine Urabstimmung durchzufuhren, hängt von der Auslegung der unerlaubten Handlungen ab 201 . So kann beispielsweise eine erweiterte Auslegung von konkludent vereinbarten Vertragspflichten 202 bei einer Verletzung dieser Vertragspflichten zu einer Ausdehnung der unerlaubten Handlung der Anstiftung zum Vertragsbruch fuhren. Falls eine Gewerkschaft ihre Mitglieder während eines Arbeitskampfs zu einem Verstoß gegen solche konkludent vereinbarten Ver-

197

Petrins in Harvey , Industrial Relations, M/1725, No. 3608.

198

Vgl. McKendrìck , (1988) 17 I U , 141, 143.

199

Vgl. Bowers , 83 (1986) Law Society's Gazette, 1695; vgl. auch Lord Wedderburn , The Worker, S. 627. 200

Miß verständlich insoweit Bowers /Honeyball , Labour Law, S. 366.

201

Vgl. Auerbach, Legislating, S. 146 f.; vgl. auch Falconer v. ASLEF and NUR (County Court), [1986] IRLR, 331 ff. zu dem Beispiel der unerlaubten Handlung "unlawful interference with contract by indirect action of a third party". 202 Vgl. Metropolitan Borough of Solihull v. National Union of Teachers (High Court), [1985] IRLR, 211, Warner J. auf S. 213 f.

6 Michlik

C. Die Urabstimmung im britischen Recht

tragspflichten veranlaßt, muß sie vor dem Arbeitskampf eine Urabstimmung durchführen. Ansonsten drohen ihr Schadensersatzansprüche wegen Anstiftung zum Vertragsbruch oder einstweilige Verfügungen.

4. Die Anforderungen

an die Urabstimmung

Nur wenn eine Urabstimmung bestimmte Voraussetzungen erfüllt, wird der Verlust der Immunität vermieden (s. 226 (2) TULR(C)A 1992). Die einzelnen Voraussetzungen sind in s. 226 (2) - 235 TULR(C)A 1992 festgelegt.

a) Der Bezug zum Arbeitskampf Nach s. 226 (2) (a) TULR(C)A 1992 203 müssen die einzelnen Voraussetzungen der Urabstimmung hinsichtlich des tatsächlich eingeleiteten Arbeitskampf erfüllt sein. Der Arbeitskampf, auf den sich die Urabstimmung bezieht, muß also mit dem tatsächlich eingeleiteten Arbeitskampf identisch sein204.

aa) Die Zusammenfassung verschiedener Angelegenheiten in einer Urabstimmung Diese Identität kann zweifelhaft sein, sofern die Fragestellung einer Urabstimmung verschiedene Angelegenheiten umfaßt. In dem Fall London Underground Ltd. v. National Union of Railwaymen 205 stellte eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern in einer Urabstimmung die Frage, ob sie wegen vier verschiedener Angelegenheiten bereit seien, an einem Arbeitskampf teilzunehmen.

203

S. 226 (2) Trade Union and Labour Relations (Consolidation)

Act 1992:

(2) Industrial action shall be regarded as having the support of a ballot only if (a) the union has held a ballot in respect of the action in relation to which the requirements of sections 227 to 332 were satisfied, 204 Vgl. zu den Schwierigkeiten einer Gewerkschaft bei einer sehr engen Eingrenzung des Arbeitskampfs in der Urabstimmung und erläuternden Materialien: Simpson, (1989) 18 ELJ, 234, 235 unter Hinweis auf die unveröffentlichte High Court-Entscheidung Blue Circle ν. Transport