Der Gott Israels und die Götter des Orients: Religionsgeschichtliche Studien II 9783666530791, 352553079X, 9783525530795

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Der Gott Israels und die Götter des Orients: Religionsgeschichtliche Studien II
 9783666530791, 352553079X, 9783525530795

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Christopher Tuckett und Steven McKenzie

Band 216

Vandenhoeck & Ruprecht

Klaus Koch

Der Gott Israels und die Götter des Orients Religionsgeschichtliche Studien II Zum 80. Geburtstag von Klaus Koch herausgegeben von

Friedhelm Hartenstein und Martin Rösel

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 11 Abbildungen, 1 Graphik und 2 Tabellen

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-53079-X ISBN 13: 978-3-525-53079-5

© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck- und Bindung: b Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Nachweis der Erstveröffentlichungen ...........................................................6 Vorwort .........................................................................................................7 Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker. Inklusiver und exklusiver Monotheismus im Alten Testament ..............9 Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem ..................................................42 Gefüge und Herkunft des Berichts über die Kultreformen des Königs Josia. Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung hebräischer „Tempora“ ..........................................................................72 Wind und Zeit als Konstituenten des Kosmos in phönikischer Mythologie und spätalttestamentlichen Texten .....................................86 –azzi–‚afôn–Kasion. Die Geschichte eines Berges und seiner Gottheiten ...........................................................................119 Jahwäs Übersiedlung vom Wüstenberg nach Kanaan. Zur Herkunft von Israels Gottesverständnis ........................................171 ‚ädäq und Maǥat. Konnektive Gerechtigkeit in Israel und Ägypten? .......................................................................................210 Molek astral................................................................................................241 Israel im Orient ..........................................................................................263 Monotheismus und politische Theologie bei einem israelitischen Profeten im babylonischen Exil.....................................294 Vom Mythos zum Monotheismus im alten Israel......................................321 Register.......................................................................................................357

Nachweis der Erstveröffentlichungen

Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker. Inklusiver und exklusiver Monotheismus im Alten Testament: Bisher unveröffentlicht. Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem, in: UF 20, 1988, 97–120. Gefüge und Herkunft des Berichts über die Kultreformen des Königs Josia. Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung hebräischer „Tempora“ , in: J. Hausmann/H. J. Zobel (Hg.), Alttestamentlicher Glaube und Biblische Theologie, FS H.D. Preuß, Stuttgart u.a. 1992, 80–92. Wind und Zeit als Konstituenten des Kosmos in phönikischer Mythologie und spätalttestamentlichen Texten, in: M. Dietrich/O. Loretz (Hg.), Mesopotamica – Ugaritica – Biblica, FS K. Bergerhof, AOAT 232, Kevelaer, Neukirchen-Vluyn, 1993, 59–91. –azzi–‚afôn–Kasion. Die Geschichte eines Berges und seiner Gottheiten, in: B. Janowski/K. Koch/G. Wilhelm (Hg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament, OBO 129, Fribourg/Göttingen 1993, 171–223. Jahwäs Übersiedlung vom Wüstenberg nach Kanaan. Zur Herkunft von Israels Gottesverständnis, in: M. Dietrich/I. Kottsieper (Hg.), „Und Mose schrieb dieses Lied auf“, FS O. Loretz, AOAT 250, Münster 1998, 437–474. ‚ädäq und Maǥat. Konnektive Gerechtigkeit in Israel und Ägypten? in: J. Assmann/B. Janowski/M. Welker (Hg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen, München 1998, 37–64. Molek astral, in: A. Lange/H. Lichtenberger/D. Römheld, (Hg.), Mythos im Alten Testament und seiner Umwelt, FS H.-P. Müller, BZAW 278 Berlin/New York 1999, 29–50. Israel im Orient, in: B. Janowski/M. Köckert (Hg.), Religionsgeschichte Israels. Formale und materiale Aspekte, VWGTh 15, Gütersloh 1999, 242–271. Monotheismus und politische Theologie bei einem israelitischen Propheten im babylonischen Exil, in: S. Meyer (Hg.), Egypt – Temple of the World. Ägypten – Tempel der gesamten Welt, FS Jan Assmann, Leiden/Boston 2003, 187–216. Vom Mythos zum Monotheismus im alten Israel, in: R. Brandt, S. Schmid (Hg.), Mythos und Mythologie, Berlin 2004, 89–121.

Vorwort

Der vorliegende Band mit gesammelten Aufsätzen erscheint aus Anlaß des 80. Geburtstags von Klaus Koch am 4. Oktober 2006. Er enthält eine Reihe von religionsgeschichtlichen Arbeiten aus den vergangenen zwanzig Jahren, die zum Teil an entlegenen Orten publiziert wurden. Nicht wenige von ihnen sind Vorträge und Festschriftbeiträge, die die langjährige interdisziplinäre Verankerung der Forschungen Kochs in altertums- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen dokumentieren. Wie kaum ein anderer Alttestamentler – nicht nur seiner Generation – hat der Jubilar über die engeren Fachgrenzen hinaus auch in den Nachbarwissenschaften anregend und teils durchaus kontrovers gewirkt. Sein hohes Ansehen verdankt sich dabei seiner umfassenden philologischen und historischen Bildung und vor allem seiner von klaren Leitgedanken geprägten Gesprächsfähigkeit. Gepaart mit der Leidenschaft des Theologen machen der weite Horizont der Diskussionsbeiträge und der Reichtum der in ihnen entfalteten Quellenkenntnis die unverwechselbare Eigenart Klaus Kochs als eines theologischen Religionsgeschichtlichers aus. Klaus Koch hat nie eine „Theologie des Alten Testaments“ geschrieben, auch wenn er die diesbezüglichen älteren und neueren Entwürfe mit großem Interesse und kritischer Anteilnahme zur Kenntnis genommen hat. In mancher Hinsicht lassen jedoch die vorliegenden Beiträge die Umrisse eines solchen Unternehmens erkennen. In ihnen hat Koch zwei wesentliche Einsichten seines Lehrers Gerhard von Rad in der ihm eigenen Unabhängigkeit fortgeführt: Eine Darstellung der alttestamentlichen Gottesvorstellungen kann nur eine geschichtliche sein, und sie muß zugleich dem innerbiblischen Pluralismus Rechnung tragen, der sich nicht nur in den Inhalten, sonderen auch in der Vielfalt der hebräischen und griechischen Textüberlieferung zeigt. Theologie ist Ausdruck der Wahrheitssuche konkreter Menschen in bestimmten historischen Situationen. Auch die altisraelitische Religionsgeschichte, wie sie außer in archäologischen Quellen vor allem im Alten Testament bezeugt ist, kann für Koch nur als zutiefst mit der Kultur ihrer altorientalischen Umgebung verschränkt wahrgenommen werden. Das Proprium Israels liegt dann im Reflexivwerden der Geschichte selbst als einem entscheidenden Moment in der Entwicklung der Gottesvorstellungen. Dies weist Koch vor allem bei den Propheten, insbesondere bei Deuterojesaja, nach. Der israelitische Gott JHWH, einst als Fremdling aus der Wü-

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Vorwort

ste nach Palästina gelangt, hat aufgrund langzeitiger Voraussetzungen und kontingenter Ereignisse eine Entwicklung hin zum alleinigen Herrn des Kosmos und der Völkerwelt durchlaufen. Für die adäquate Beschreibung dieses Prozesses und seiner Facetten sind in den vorliegenden Studien zwei Deutekategorien ausschlaggebend: Mythos und Monotheismus – beides problembeladene Begriffe, die bei Klaus Koch immer neu und anders an den Quellen differenziert und konkretisiert werden. Das Alte Testament verabschiedet den Mythos nicht, sondern wandelt ihn um und behält dabei seine konkrete Anschaulichkeit bei. Auch der biblische Monotheismus ist kein theoretisches modernes Postulat, sondern ein plastischer und unabgeschlossener religiöser Vorstellungszusammenhang. Insbesondere der am Anfang des Bandes stehende, bisher unveröffentlichte Beitrag „Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker“ sowie die beiden letzten Beiträge („Monotheismus und politische Theologie“ und „Vom Mythos zum Monotheismus“) ziehen zusammen genommen eine Summe einer Theologie in religionsgeschichtlicher Perspektive. Die anderen Beiträge beleuchten an exemplarischen Einzelthemen der israelitischen und westsemitischen Religionsgeschichte die Eigenart der Gottesvorstellungen Israels im Kontext des Alten Orients. Das vorliegende Buch knüpft insofern organisch an die seinerzeit aus Anlaß des 60. Geburtstags von Klaus Koch ebenfalls im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienenen „Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte“ an (herausgegeben von Eckart Otto) und möchte den reichen Ertrag der seitdem geleisteten Forschung Klaus Kochs auf diesem Gebiet aufzeigen. Möge der Band in einer Diskussionslage, in der das Gebiet der Religionsgeschichte des alten Israel heiß umstritten ist, seinen Beitrag dazu leisten, die biblischen Texte als Quelle für die historische Rekonstruktion weiterhin ernst zu nehmen. Wir wünschen Klaus Koch auch in Zukunft die Kraft und die Gesundheit zur Forschung am Alten Testament. Seine unnachahmlich lebendige Art, mit der er seine Zuhörer und Gesprächspartner zu begeistern und zu fesseln vermag, bereichert jeden, der sie erlebt. Für die Drucklegung des Bandes haben wir vielfältig und herzlich zu danken: Für die sofortige Bereitschaft zur Aufnahme in die „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“ den Herausgebern Matthias Köckert und Dietrich-Alex Koch, für die verlegerische Betreuung Christoph Spill von Vandenhoeck & Ruprecht sowie für die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlagen und der Register den studentischen Hilfskräften Kirstin Koppelin und Matthias Stahlschmidt aus Hamburg. Friedhelm Hartenstein (Hamburg)

Martin Rösel (Rostock)

Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker Inklusiver und exklusiver Monotheismus im Alten Testament

1. Entstehung und Entfaltung des Monotheismus als Aufgabe alttestamentlicher Theologie 1. Entstehung und Entfaltung des Monotheismus

A. Die in der hebräischen Bibel entwickelte und zum ethischen Postulat erhobene Ein-Gott-Verehrung hat in den letzten Jahrzehnten in intellektuellen Kreisen heftigen Widerspruch hervorgerufen. Das Gespenst eines unerbittlichen „alttestamentarischen“ Gottes wird beschworen, und selbst Fachtheologen scheuen sich nicht, von einem „intoleranten Monotheismus“ zu reden. Die durch die gegenwärtige Weltlage bedingte ständige Begegnung von Kulturen und Individuen mit unterschiedlichem religiösen oder atheistischem oder skeptischen Hintergrund weckt das Bedürfnis nach einer Toleranz, die jeden „nach seiner facon“ glauben und leben und seine Gesellschaft gestalten läßt. Widerspricht nicht jeder Anspruch auf eine allgemein verbindliche religiöse Wahrheit der universalen Menschenwürde? Abgelehnt werden vor allem Dogmen und Ethik der drei monotheistischen Weltreligionen. Unter ihnen berufen sich Judentum und Christentum unmittelbar, der Islam mittelbar auf die im Alten Testament gesammelten Überlieferungen über Tora und Profeten. Wo deshalb heute Religion zum Gegenstand von Kritik oder Apologetik wird, rückt meist der Monotheismus in den Mittelpunkt und der erste Teil der Bibel als dessen Ursprung. Denn im Kanon hebräisch-aramäischer (und griechischer) Schriften, die als „heilig“ zur jüdischen Miqra bzw. dem christlichen Alten Testament zusammengestellt worden sind, bildet die Rede von dem Einen Gott und seiner singulären Beziehung zur Menschheit, insbesondere zu einem auserwählten Volk als irdische Partner, ein durchgängiges Thema. Der sich daraus entwickelnde Monotheismus hat wie kein anderer aus der Geschichte des Altertums (etwa im Vergleich mit älteren monotheistische Neigungen bei Echnaton oder Zarathustra) eine weltgeschichtliche Nachwirkung gehabt, die bis heute andauert und in der Öffentlichkeit das Bild von Religion überhaupt prägt. „Vor etwa 3000 Jahren ereignete sich eine Wende, die entscheidender als alle politischen Veränderungen die Menschheitsgeschichte und die Welt bestimmt hat, in der wir heute leben: die Wendung von den ‚polytheistischen‘ zu den ‚monotheistischen‘ Religionen, von Kultreligionen zu

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

Buchreligionen, von kulturspezifischen Religionen zu Weltreligionen“.1 Zum letzten Ergebnis hat allerdings erst die nachträgliche Entschränkung der VolkGottes-Idee durch Christentum und Islam beigetragen; für sie steht die Zugehörigkeit zur Kirche oder Umma jedem menschlichen Wesen offen, das sich als eigenständiges Gegenüber zu dem Einen Gott verstehen und an ihn glauben soll. Monotheismus wird deshalb zur zentralen Aufgabe einer Theologie des Alten Testaments. Sie hat in einer historisch-kritisch begründeten Systematik zusammenzufassen, was die Texte des Alten Testaments samt ihrer Rezeption in der Kirchen- und Kulturgeschichte zum Menschen-, Gottes- und Weltverständnis und dadurch zur Theologie der Gegenwart beizusteuern vermag. Nur als Genetivus objectivus ist der Begriff „Theologie des Alten Testaments“ sinnvoll,2 er sollte sich nicht auf den Aufweis des ursprünglichen Sinnes der einzelnen Schriften beschränken, sondern auch auf ihre „nachbiblische“ Wirkungsgeschichte verweisen. Es waren erst nachfolgende Rezeptionen (nicht schon innerbiblische Redaktionen), welche den Monotheismus als die verborgene Mitte jener Schriftensammlung eindeutig herausgearbeitet haben, als Forderung einer Ein-Gott-Verehrung, die auf ein Ein-Volk-Gegenüber ausgerichtet ist, also auf Jahwä/Adonaj als Gott Israels und auf Israel (bzw. die Kirche oder Umma) als der sich zu diesem Gott bekennenden Gemeinschaft. Während Polytheismus Jahrhunderte lang die vorherrschende Religionsform unter den Hochkulturen gewesen war (und es in Asien und Afrika noch heute ist), stellt Monotheismus eine verhältnismäßig junge Erscheinung innerhalb der Kulturen des Altertums dar. Und nur im Bannkreis der Religion des späten alttestamentlichen Israel und seiner Nachfolger konnte er sich so sehr ausbreiten, daß er für die gegenwärtigen Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum zur selbstverständlichen Grundlage von Lehre und Ritus geworden ist, sodaß heute für eine breite Öffentlichkeit Religion und Monotheismus nicht zufällig gleichbedeutend geworden sind. 1

Assmann, Unterscheidung, Innenseite des Schutzumschlags. Die Zahl 3000 ist m.E. allerdings zu hoch gegriffen. Vgl. meine Besprechung in ThLZ 129, 2004, 900–903. 2 Theologie des Alten Testaments als Titel einer wissenschaftlichen Disziplin lässt sich nur als Genetivus objectivus begreifen, als Gegenstand einer Zusammenfassung dessen, was in diesen Schriften unter dem Horizont moderner Fragestellungen durch den Exegeten als theologisch wesentlich herausgearbeitet wird. Was heutzutage unter dem Titel Theologie des Alten Testaments gedruckt wird, erweckt zwar oft den Eindruck, eine Theologie zu beschreiben, die das Alte Testament als solches darbietet, was also als Genetivus subjectivus zu betrachten und nachzuerzählen sei. Ob jedoch dieser Teil der Bibel überhaupt eine „Theologie“ zu entwerfen beabsichtigt, hängt von dem engeren oder weiteren Begriff von Theologie ab, den der heutige Autor vertritt – ohne es zu sagen, vielleicht auch ohne darüber nachzudenken. Definiert man Theologie als methodische reflektierte, diskursiv entwickelte und auf eine Gesamtschau von Mensch, Welt und Gottheit ausgerichtete Forschung (im Horizont des zeitgenössischen Wahrheitsverständnisses), enthalten die meisten Bücher des Alte Testaments keine Theologie. Allenfalls ließe sich von einer impliziten Theologie reden (aber das ließe sich auf alle religiöse – und schöngeistige – Literatur anwenden); auch unter diesem Blickwinkel ergibt sich keine Einheit einer Theologie im Singular aus den alttestamentlichen Büchern.

1. Entstehung und Entfaltung des Monotheismus

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B. Wie ist biblischer Monotheismus genauer zu definieren? Als David Hume vor gut 200 Jahren in die theologische und philosophische Reflexion den Begriff eingeführt hatte, unterschied er einen theoretischen Monotheismus als philosophische „Rückführung aller Vielfalt der Welt auf die Einheit eines göttlichen Schöpfers“ von dem unreflektierten „Eingottglauben der ungebildeten Masse“.3 Der in der Geschichte der hebräisch-aramäischen Schriften entwickelte Monotheismus will aber weder primär Theorie sein, noch reiner Gegenstand eines „Glaubens“ (so noch heute nicht im orthodoxen Judentum, wo er als talmud, Lehre, gilt), sondern vor allem eine exklusive Praxis von Gebet und Kult; sie wird zwar im altorientalischen Altertum (fast) nur von Israeliten geübt, wird aber nach profetischen Verheißungen sich dereinst universal durchsetzen (Jes 2,2–4; 66,18–24 u.ö.). Als einzigartiges innerweltliches Gegenüber zu dem Einen Gott wird der von ihm angesprochene und ihm antwortende Mensch gleich in den Anfangskapiteln der Bibel verstanden, erst durch diesen Kommunikationszusammenhang gewinnt der Monotheismus Bedeutung.4 Jedem Individuum wird schließlich als Ebenbild Gottes die existenzielle Aktualisierung dieser Beziehung in Sprache und Verhalten angeboten, wenngleich bislang nur ein Teil der Menschheit davon wirklich Gebrauch macht und sich der zu diesem Urgrund der Wirklichkeit bekennenden Gemeinschaft anschließt. Im Folgenden wird deshalb unter Monotheismus die Konzentration auf die Verehrung einer einzigen personhaften Gottheit entstanden (die auch dann der eigentliche Bezugspunkt bleiben sollte, wenn Heilige und Maria – oder auch Christus – angebetet werden). Die im alten Israel ausgebildete Gottesauffassung betrifft also einen praktischen Monotheismus; und das in zweifacher Hinsicht, sowohl im Gottes- und Menschendienst der Kultgemeinschaft wie in der persönlichen Frömmigkeit und Sittlichkeit des Einzelnen; jeder Mensch darf sich direkt an den Urgrund aller Wirklichkeit wenden, ihn „lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,4). Insofern eignet diesem Monotheismus ein demokratisch-egalitärer Zug (ein „Priestertum aller Gläubigen“ kann als logische Folgerung erscheinen). Im geistigen Kontakt mit ihm findet menschliche Existenz jetzt und hier ihre Erfüllung. Als göttliches Gegenüber zur menschlichen Existenz wird nicht – wie es heute oft erscheint – ein in solipsistischer Transzendenz waltendes Wesen vorausgesetzt, das der Welt distanziert gegenübersteht. Gott west für das Alte Testament nicht nur in einem „Himmel“ von seinem „Heer“ umgeben (von Engeln und Seligen; im Christentum außerdem vom Sohn und Heiligem 3 Natural History of Religion, London 1757, Zusammenfassung bei Lang, Monotheismus, 151. Lang fügt als weitere Spielart den „gestifteten“ Monotheismus hinzu, der „von einer prophetischen Einzelgestalt propagiert wird, die andere in ihren Bann zu schlagen vermag“. 4 Das führt über die Idee einer ersten Ursache oder eines „unbewegten Bewegers“ (nach aristotelischem Muster) hinaus.

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

Geist), sondern lässt seine Heiligkeit und Herrlichkeit auf die Erde ausstrahlen und ihr einwohnen.5 Im Lauf der Zeiten gibt er sich erst einem auserwählten Volk, letztlich aber der ganzen Menschheit zu erkennen als der, der mit seinem Geist wie Wind (x:Wr) die Welt durchdringt, in der sie leben. Mit wachsender Gotteserkenntnis weitet sich deshalb in der hebräischen Literaturgeschichte der ontologische Horizont aus – bis hin zu Beschreibungen von Himmel und Hölle. Denn zu diesem Monotheismus gehört ein Bild der Welt, in der einerseits göttliche Heiligkeit und Herrlichkeit ihre Sfären haben, in die andrerseits aber Gewalt und Chaos einzudringen vermögen. Sofern von Allmacht die Rede sein soll – im Hebräischen fehlt ein genaues Äquivalent – so bedeutet sie keine mechanisch wirkende erste Ursache, wohl aber den letzten Grund für alle positive Wirklichkeit. C. Israel/Juda hat seinen Monotheismus nicht innerhalb einer ghettoähnlich abgeschlossenen Gesellschaft ausgebildet, sondern in andauernder Auseinandersetzung mit den politischen, religiösen und kulturellen Systemen seiner Umwelt. Die beiden Kleinstaaten waren im 1. Jt.v.Chr. häufig ein Spielball im Machtpoker von Großmächten, die ihren Ursprung und ihre Legitimation auf ein polytheistisches Pantheon zurückgeführt haben und deren Kompetenz nicht nur wieder und wieder auf der großen politischen Bühne, sondern auch im individuellen Alltag bestätigt sahen. Wie jedem antiken Volk lag es den Israeliten fern, solche numinosen Verflechtungen der anderen zu leugnen. Dadurch wird aber das Verhältnis des eigenen, im Lauf der Zeit früh monolatrisch verehrten Jahwä zu den Gottheiten der Fremden zum unausweichlichen Problem; das umso mehr, als sich der politische Horizont zunehmend verdüsterte und Nordisrael wie Juda zu einem bedrückenden Vasallenstatus im Namen fremder Götter erniedrigt worden sind. Es sind Profeten, die gegen den Augenschein selbst die verhaßte Fremdherrschaft auf den Willen des eigenen Gottes und dessen (notwendige) Reaktion auf Abfall und Sünden seiner Kultgemeinschaft zurückführen. Dadurch haben sie den geistigen Horizont der Jahwä-Monolatrie überschritten und einem künftigen Monotheismus der Weg gebahnt. Die Monolatrie ist insofern inklusiv begriffen worden, als sie voraussetzen muß, daß die Aktionen, die fremde Herrscher im Auftrag ihrer Gottheiten gegen Israel durchführen, von Jahwä initiiert sind.6 2. Die Jahwä-El-Synthese 5 „Der Eine und die Vielen“ kennzeichnet nach E. Hornung (62005) das Wesen der altägyptischen Götterwelt. Die Gottesauffassung des Alten Testaments schließt eine polytheistische Ambivalenz aus, steht aber vielleicht ägyptischem Denken näher als manchem philosophischen Transzendenzbegriff. 6 Was der babylonische König auf Orakel seines Gottes hin unternimmt, war Jahwäs Willen (Ez 21,26–28; vgl. 26,7; 29,18f). Wenn Kyros auf Befehl Ahura Mazdas Babel besiegt, hat Jahwä seinen Geist erweckt (2Chr 36,22f; Esr 1,1–4). Das schließt nicht aus, daß die fremden Götter an anderen Stellen als ohnmächtig und irreführend hingestellt werden (Jer 10,3.8.11; Jes 40,19f; 44,6.9–20; 45,22).

2. Die Jahwä-El-Synthese

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Die Monolatrie/Monotheismus-Thematik wird gegenwärtig in der alttestamentlichen Wissenschaft meist als eine rein innerisraelitisch-jüdische Entwicklung verstanden. Untersucht man die Wandlungen aber im größeren historischen Kontext, stehen sie nicht nur mit den jeweiligen politischen und soziologischen Verhältnissen im Zusammenhang, sondern sind durch Anlehnung oder Abwehr mit der religiösen Ideologie und dem jeweiligen Weltbild der altorientalischen Umwelt eng verflochten. Eine Theologie des Alten Testaments wird erst zur Theologie, wenn sie die Texte vor dem Hintergrund einer parallelen Geschichte der Nachbarn zur Sprache bringt. Israel selbst hat in ihnen zunehmend seinen Gott als „Herr der ganzen Erde“ begriffen (z.B. Sach 4,14; 6,5) und ihn sowohl in den politischen und kultischen Institutionen der Großmächte – denen also eine (verdeckte) Gotteserfahrung zugeschrieben wird – als auch in der Auseinandersetzung mit den dort vorhandenen gottwidrigen und menschenfeindlichen Faktoren am Werk gesehen. Einige Stationen der Geschichte des israelitischen Gottesverständnisses werden im Folgenden skizzenartig im Anschluß an frühere Studien angedeutet.

2. Die Jahwä-El-Synthese Für die öffentliche Meinung, auch die vieler Theologen, besteht das Alte Testament durchgängig auf einer Ein-Gott-Verehrung mit einer „intoleranten“ Fixierung auf die Person des Gottes Jahwä (später Adonaj). Vor vier Jahrzehnten konnte Gerhard von Rad in seiner Theologie des Alten Testaments formulieren, ohne dafür einen genaueren Nachweis nötig zu haben: „Der Ausschließlichkeitsanspruch des Jahweglaubens hat [...] von Anfang an kein friedliches Nebeneinander der Kulte geduldet [...] Ein Jahwekultus ohne das erste Gebot ist wirklich nicht vorstellbar [...] Dieser intolerante Ausschließlichkeitsanspruch ist religionsgeschichtlich ein Unikum“.7 Diese Sätze wird heute kaum ein Alttestamentler noch nachsprechen. Die Forschung des letzten Jahrzehnte hat überzeugend aufgewiesen, daß ein exklusives Gottesverständnis keineswegs von Anfang an dem althebräischen Schrifttum selbstverständlich gewesen war. Neuere archäologische Funde von Inschriften und ikonografischen Denkmälern sowie die zunehmende Erschließung religiöser Texte aus der Umwelt (vor allem aus Ugarit) zwingen uns, inneralttestamentlichen Notizen über nicht-jahwäische Kultbräuche der Vorfahren wie auch das monolatrische Selbstverständnis der Quellen anders zu gewichten als früher üblich.8 Zwar wird nicht bestritten, daß sich monotheistische Tendenzen in der exilisch/nachexilischen Literatur betont melden und schließlich durchsetzen, in gewisser Weise schon bei Deuterojesaja.9 Vorauszusetzen ist jedoch, daß es bis dahin in Juda wie in Nordisrael 7

Theologie I, 39.221. Keel/Uehlinger, Göttinnen; Albertz, Religionsgeschichte; Smith, Early History; ders., Origins; ders., Memoirs. 9 Koch, Mythos, s.u. S. 321. 8

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

ein langer, durch Pro und Contra bestimmter Weg gewesen war, dessen Stufen sich in den literarischen Schichten für die einzelnen Epochen mehr oder weniger deutlich abzeichnen.10 Von einer Ausschließlichkeit des Kultus kann in vorexilischer Zeit nur bedingt die Rede sein, von einem theoretischen Monotheismus überhaupt noch nicht. Die Frage, was die Menschen antreibt, sich von einem verbreiteten Polytheismus zu lösen, stellt sich dem Historiker für jede Periode neu, aber auch – was oft übersehen wird – die weitere Frage, wieweit damals Kulten und Mythen anderer Religionen dennoch ein Wahrheitsgehalt zuerkannt werden konnte.

Wieweit die mit der Jahwäverehrung verbundene Gottes- und Gemeinschaftsauffassung exklusiv oder inklusiv aufzufassen sei, also andere Gottheiten entweder als nichtexistent bzw. schädlich verurteilt oder vom eigenen „Gott der Götter“ erwartet, daß er andere numinose Mächte so sehr als seine „Werkzeuge“ gebrauche, daß jeder jenen gewidmete Kult für Israeliten abwegig wäre, wird in der Geschichte Israels von der vorstaatlichen Epoche an bis in die Hasmonäerzeit unterschiedlich begriffen. Erzählende Texte bieten oft ein anderes Bild als gesetzliche. In vorstaatlicher Zeit wird der von einigen Stämmen im palästinischen Kulturland als Schutzgott ihres ‘am akzeptierte Wüstengott Jahwä11 um die Wende zum 1. Jt.v.Chr. einem kanaanäischen Pantheon angegliedert und ihm eine herausragende Stellung im allgemeinen Kultus eingeräumt, anscheinend infolge einer engeren Bindung an die Gemeinschaft seiner Verehrer als sie andern Gottheiten eigen war, und seines dynamischkriegerischen Charakters.12 Doch das kanaanäische Pantheon hatte mit unterschiedlichen, dem Leben förderlichen oder abträglichen, numinosen Gestalten sich für die Landesbewohner Jahr um Jahr im Blick auf den notwendigen Lebensunterhalt bewährt; die Beibehaltung entsprechender Riten und Mythen erschien auch Jahwäverehrern unumgänglich. Angesichts häufiger kriegerischer Auseinandersetzungen mit selbständigen Städten und Nachbarvölkern wird aber darüber hinaus zusätzlich der in Epiphanien zu seinen Anhängern situativ herbeieilenden Wüstengott ins Pantheon aufgenommen und für sie bisweilen noch wichtiger als das alljährliche Herannahen des kanaanäischen Wetter- und Vegetationsgottes Baal-(H)adad, dessen Kompetenzen mancherorts sogar auf Jahwä übertragen werden.

Dem kananäischen Götterkönig El wird Jahwä an bestimmten Heiligtümern untergeordnet (Dtn 32,8; Ps 82); andernorts wird er aber mehr und mehr mit jenem identifiziert. Von tribalen Verbänden, die in Abhängigkeit und oft in Auseinandersetzung mit den einheimischen Stadtstaaten stehen und sich als 10

Zur umfangreichen Literatur s. Schmidt, Monotheismus, 238–249; Müller, Monotheismus. Koch, Jahwäs Übersiedlung, s.u. S. 171. 12 Wieso der Sinaigott in einer bestimmten Bevölkerungsschicht begeisterten Zuspruch gefunden hat, findet unter den Exegeten keine konsensfähige Antwort. Beliebt ist, ihm die Funktion eines Wettergottes zuzuschreiben (so Albertz, Religionsgeschichte I, (80–)85 (mit Lit.); Thompson, Yahweh, 1012). Warum aber sollte eine in Vieh- und Landwirtschaft tätige Schicht statt des einheimischen Wettergotts Addu (vgl. die Amarna-Briefe) sich dafür ausgerechnet einer Macht aus der südlichen unfruchtbaren Wüste anvertraut haben? 11

2. Die Jahwä-El-Synthese

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Isra-El eine besondere Erscheinungsform dieses Gottes zum Schutzgott gewählt hatten, wird El mit Jahwä gleichgesetzt (Ri 5,3.5). Die biblischen Erzähler setzen voraus, daß Jahwä sich in Gestalten wie dem „El meiner(?) Schauung“ an einem Quellheiligtum in der Wüste (Gen 16,7–14)13 manifestiert, ebenso im El-Schadday (von Mamre? Gen 17,1P als Fortsetzung von 13,18P)14 wie im El-‘Olam von Beerscheba (Gen 21,22),15 aber auch im „El des Vaters“ als Gott des Ahnherrn (Gen 46,2f; 49,25)16 oder dem El-Jeschurun als „Himmelsfahrer“ (Dtn 32,36).17 Große El-Heiligtümer wie Bet-El (Gen 28) und Sichem werden hinfort zu Stätten der Jahwä-Wallfahrt; an der zweiten Stätte war vorisraelitisch ein tyrIB. lae als „Herr (l[;B;) des Bundes“ mit seiner Kultgemeinde verehrt worden.18 Indem der dynamische Jahwä zu diesem Herrn wird, gewinnt die Bundesidee ein größeres Gewicht und löst in der Folge monolatrische Tendenzen aus. Sie artikulieren sich bald in apodiktischen Gebo13

Für de Pury, El-Roi, 291f, handelt es sich um einen vom hebräischen Erzähler erfundenen ElNamen. Was sollte aber einen Israeliten bewogen haben, einen so bedeutsamen Gottesnamen an einem einsamen nordarabischen Brunnen fiktiv zu verorten? Möglich wäre vielleicht, daß er den Namen El als Parallele zu einem fremdartigen lahay (V.14) hinzugesetzt hat, um die im Abraham-Zusammenhang wichtige Völkerschaft Isma-El kultisch zu legitimieren. 14 Koch, Götter; 127; Köckert, Vätergott, 79, Anm. 153. An etymologischen Spekulationen fehlt es nicht. Auf Grund ähnlich lautender akkadischer Lexeme wird gern auf „Gott der Wildnis“ oder „des Gebirges“ geschlossen: Knauf, Shadday, 749–753; Niehr/Steins, Art. yD:v;, 1078–1104; zum P-Kontext passt beides nicht, ebensowenig „One of the breasts (šd)“, wie Lutzky, Shadday, 15–36 vorschlägt. 15 Cross, Canaanite Myth, 16–20. de Pury, El-Olam, 288–292, weist auf die unklare grammatische Konstruktion hin: Genetiv constructus? voranstehendes Determinativ „The god“ Olam? Doppelname? „Perhaps the circles responsible for the Abraham traditions […] wanted to connect their patriarch with a form of pre-Yahwistic or para-Yahwistic piety” (290). v.d. Toorn, Eternity, 312–316 hält es für möglich, daß ein ‘Olam-Gott durch Verbindung mit El hebräisch „domestiziert“ wurde. Zu außerisraelitischem Vergleich s. Koch, Wind und Zeit, s.u. S. 86ff. 16 Die Gleichsetzung mit einem Gott des Vaters knüpft an eine Bezeichnung an, die im nordwestsemitischen Bereich insbesondere auf Könige und Dynastien bezogen wird, nirgends (wie heute oft behauptet) auf eine allgemeine Familienreligion. Ursprünglich lautete der Ausdruck wohl „El des Vaters“ (Gen 49,25 wie ugaritisch il’ib). Zur Diskussion im Anschluß an die berühmten Thesen von A.Alt, Der Gott der Väter, BWANT 12, 1929 s. u.a. Koch, Götter, 9–31; ders., Sohnesverheißung, 106–117; anders u.a. Köckert, Vätergott. Nach einem E-Seitenstrang erlebt Jakob vor seinem Zug zu Josef nach Ägypten in Beerscheba eine Selbstvorstellung seines Schutzgottes, der sich weder als Jahwä noch als Älohim (absolut genommen) in dieser entscheidenden Stunde zu erkennen gibt: „Ich bin der El schlechthin (laeh'), der Gott (yhel{a/) deines Vaters“ (46,2f). 17 Jeansonne, Jeschurun, 771f. 18 Der Gott El wird Ri 8,33; 9,4.46 als Partner eines Bundes mit einem menschlichen Verband vorausgesetzt. Im kanaanäischen Sichem soll der Tempel eines „El des Bundes“, der zugleich tyrIB. l[;B; genannt wurde, ein wichtiges Heiligtum gewesen sein. Hier war Baal sicher nicht als Eigenname, sondern als Würdebezeichnung Els, des stiftenden „Herrn“ eines Gottesbundes mit einem menschlichen Verband gemeint; ähnlich wohl schon ilbrt in einem Text aus Ugarit (CAT=KTU 1.128,14f). Da Israel den für sein religiöses (wie politisches) Selbstverständnis zentralen Begriff des Bundes mit einer Gründungslegende in Sichem verbindet (Jos 24), scheint es ausgeschlossen, daß ein Israelit die Notiz in Ri 9 erfunden und die Idee des Gottesbundes aus einem kanaanäischen Sichem abgeleitet hätte. Vielmehr wurde die Überzeugung von einer einzigartigen Partnerschaft zwischen Jahwä und einem Volk offenbar der Anlaß, den kanaanäischen Begriff als geeignetes Interpretament zu übernehmen.

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

ten, die aus der Idee eines in der Sinai-Vorzeit geschlossenen Bundes abgeleitet werden. In einer älteren Fassung der Sinaiperikope wird erzählt, daß nach dem frevlerischen Kult um das Goldene Kalb (Ex 34*19) der an Mose vorübergehende Gott sich (erneut) vorgestellt hat (V. 6–17):20 Jahwä, Jahwä, ein El barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Bundestreue und Wahrheit; bewahrend Bundestreue bis in Tausende, vergebend Schuld, Auflehnung und Sünden, der aber nicht völlig ungestraft lässt, heimsuchend die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln bis in die 3. und 4. Generation ... Siehe, ich schließe meinen Bund; vor deinem ganzen Volk werde ich Wunder tun. Wie sie nicht geschaffen worden sind auf der ganzen Erde und unter allen Völkern. Der Anfang erinnert an die menschenfreundlichen Eigenschaften, die stereotyp dem ugaritischen Hochgott El beigelegt worden waren, der sich dem Menschen vorstellen konnte: Ich selbst, El der Freundliche (l‰pn), El der Gütige (dpîd).21 Die Charakteristika werden diesmal auf Jahwä als El bezogen. Das zweite Nomen drückt hier offensichtlich einen hohen göttlichen Rang aus und ist nicht mit der generellen Gattungsbezeichnung ~yhil{a/ identisch.

Im Zusammenhang der Exodusgeschichten überrascht diese Beschreibung göttlicher Gnade (insbesondere nach der zornigen Reaktion von Ex 32), vermutlich wird hier ein kanaanäisches Attribut übernommen.22 Die Fortsetzung beschreibt Jahwä jedoch als den, der den menschlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang über Generationen hinweg in Kraft setzt (vgl. 20,5f); ein solches konsequentes „Heimsuchen“ war zumindest den Kanaanäern von Ugarit unbekannt. Es setzt eine besonders enge und andauernde Gott-Mensch-Beziehung voraus, wie sie vielleicht schon dem Jahwä vom Sinai von Anfang an zugeschrieben worden war und nun durch einen (kanaanäischen?) Bundesbegriff betont wird. Anschließend verheißt Jahwä die Vertreibung der Völker Kanaans und verbietet, mit ihnen einen Bund zu schließen, ihre Altäre, Mazzeben und Ascheren sind vielmehr zu vernichten (34,14f). Erst danach folgen zehn Gebote mit einem ersten, das konkreter ist als das klassische in 20,3: 19

Nach Zenger (u.a.), Einleitung, 167, der „Programmtext“ eines Jerusalemer Geschichtswerkes. Subjekt von ar"q.YIw: ist Jahwä nach dem vorangehenden Satz, nicht Mose; dieser wirft sich vielmehr nach V.8 beim Hören dieser Stimme nieder. 21 KTU 1.1. IV 18, vgl. IV 13 u.ö. 22 Die heute gern als „Gnadenformel“ bezeichnete Charakterisierung (Spieckermann, Barmherzig, 3–19) taucht in der Einleitung zu den Suren des Koran wieder auf, wo Allah als „barmherzig, gütig (rahmani, rahumi)“ vorgestellt wird. Hat sich hier eine nordsemitische Gottesprädikation erhalten oder hat Mohammed sie einer ihm überlieferten Dekalog-Version entnommen? Dazu Busse, Beziehungen,105–107. 20

2. Die Jahwä-El-Synthese

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Nicht sollst du dich vor einem anderen El niederwerfen. Denn „Jahwä – Eifersüchtiger (aN"q;)“ ist sein Name, ein eifersüchtiger El ist er. Deshalb darfst du keinen Bund mit dem Landesbewohner schließen, die hinter ihren Göttern (~yhil{a)/ herhuren.

Jahwä fordert auf Grund einer El-Qualität exklusive Verehrung, denn El nimmt einen höheren Rang als die vielen Älohim ein.23 Dennoch gibt lae keinem Monotheismus Ausdruck, zwischen El und El kann unterschieden werden. Dem Jahwä-El eignet eine größere Sensibilität und Durchsetzungskraft als einem „anderen“. Deshalb gebührt jenem exklusive Verehrung. Die singularische Formulierung lae im Verbot, auf einen fremden Hochgott bezogen, ist sicher älter als das Verbot der Verehrung von Älohim überhaupt im klassischen Dekalog Ex 20.24 Dort verdammt der „eifersüchtige“ El die Verehrung von materiellen Repräsentationen der Gottheit (vgl. auch Dtn 4,24; 6,15), hier hingegen den Bundesschluß mit anderen Völkern, der eine Anrufung der Götter beider Seiten einschließen würde. Doch wie in Ex 20 und Dtn 5 richtet sich der gegebenenfalls in Aktion tretende göttliche Eifer ebenso auf den positiv oder negativ gewordenen Tun-Ergehen-Zusammenhang innerhalb des Bundespartners.25 Die Überlieferungsgeschichte des ersten Gebots lässt eine zunehmende Betonung seiner exklusiven Verehrung erkennen. Die ältere Stufe findet sich auch Ps 81,10: Du sollst bei dir keinen fremden El haben, du sollst dich nicht niederwerfen vor einem ausländischen El. Ich bin Jahwä, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus Ägypten.

Die ausschließliche Bindung an diesen Gott wird mit der Befreiung der Vorfahren aus Ägypten als seine „grundsätzliche Erwählungstat“26 verbunden; er hat sich als ihr numinoses „Zentrum“ manifestiert, nicht als Universalgott. So auch die jüngere Dekalogfassung Ex 20,1–6, aber jetzt mit erweitertem Geltungsanspruch gegenüber jeder Art von Gottheit: 23 Selbst historisch-kritische Exegeten pflegen, an Semantik wenig interessiert, lae wie ~yhil{a/ unterschiedslos mit „Gott“ zu übersetzen. In vorchristlicher Zeit bestand aber sichtlich ein Unterschied. Wenn beide Lexeme als Constructus-Verbindung benutzt werden (Gen 33,20; Jos 22,22; Ps 50,1 u.ö.), steht das erste als nomen regens voran und bedeutet die Überordnung. Schon in Ugarit bezeichnet der Plural ilhm eine von il/ilm unterschiedene und doch wohl niedere Gruppe von Gottwesen, s. CAT = KTU 41,12.14.18.28 u.ö. sowie M.Dietrich/O.Loretz /J.Sanmartin, Die ugaritischen und hebräischen Gottesnamen, UF 7, 1975, 552f. Hebräisch wird ~yhila { / zum Gattungsbegriff, oft im status constructus und besonderer Bindung an Heiligtümer, Länder, Gruppen und Personen, deshalb mit Personalpronomen „mein/dein [usw.] Gott“ (Dtn 4,31; 6,15 u.ö.); daraus entwickelt sich ein plurale tantum, das an die Stelle Els treten und zum Inbegriff der Jahwämacht werden kann. Noch bei Deuterojesaja oszilliert die Bedeutung von lae zwischen Eigennamen und Appelativ für Hochgötter. 24 So u.a. Schmidt, Monotheismus, 242.245. 25 Nichts weist jedoch darauf hin, daß sich mit dem Lexem anq in diesen apodiktischen Geboten die sexuelle Konnotation des eifersüchtigen Ehemanns verbindet, obwohl das moderne Exegeten gern annehmen. „Mit nicht zu überbietender Deutlichkeit drückt dieser [Ausdruck] das Verhältnis Israels zu seinem Gott im Bild der Ehe aus“; Reuter, anq, 59. 26 Schmidt, Gott, 611.

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

Ich bin Jahwä, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft. Du sollst keine anderen Älohim haben im Gegenüber zu meiner (kultischen) Gegenwart.27 Dem folgt hier ein Verbot, materielle Repräsentationen der göttlichen Gegenwart (ls,p,) anzufertigen, was die Meinung abweist, daß es eines „Bildes“ darf, um einen Gott zu verehren. Die nachfolgende Begründung bezieht jetzt sich auf beide Gebote und verweist auf einen El-Rang Jahwäs: Denn ich Jahwä, dein Älohim, bin El-Der Eifersüchtige, heimsuchend die Schuld der Väter in den Kindern bis zur dritten und vierten Generation derer, die mich hassen; Bundestreue erweisend bis in die Tausende (von Generationen) derer, die mich lieben. Und meine Gebote halten. Dem folgen weitere Gebote des klassischen Dekalogs und das Bundesbuch als Gottesrecht, ehe durch eine feierliche Blutbesprengung der Bund Gottes mit dem Volk in Kraft gesetzt (Ex 24,3–8). Zum Bilderverbot als Merkmal exklusiver Verehrung: Schon in vorstaatlicher Zeit war wahrscheinlich wie in andern westsemitischen Verbänden eine anikonische Auffassung des Kultes im Schwange, die sich in israelitischen Kreisen zunehmend verstärkt hat.28 Sie wird durch die Dekaloge zu einem Anikonismus verschärft. Verbote, die sich 27

yn"P'-l[; meint im Exodus-Zusammenhang ein direktes, sichtbares und ansprechbares Gegenüber 33,19; 34,6; Gottes „Angesicht“ bedeutet seine Präsenz im Heiligtum der Kultgemeinschaft 23,17; 34,23. Zu anderen Deutungen s. Schmidt, Monotheismus, 241f. 28 Mettinger, No Graven Image, geht davon aus, daß „The Israelite repudiation of images has its earliest roots in West Semitic aniconic cults“ (S.7), was sie von mesopotamischen Anschauungen unterscheidet; „a programmatic aniconic attitude“ ist aber nur Israel eigen und hangt mit einer Jahwäallein-Bewegung zusammen. In seinem jüngsten Beitrag hat M. in Auseinandersetzung mit Kollegen, die JHWH-Stelen und ihre Verehrung für unentbehrlich in Israel halten, m.E. überzeugend nachgewiesen, daß „der vorexilische Jerusalemer Kult anikonisch war. […] In der exilischen Zeit nahm dieser de-facto-Anikonismus die Gestalt eines programmatischen Anikonismus an.“ (JHWH-Statue, 506). Vgl. weiter die besonnene Zusammenfassung beu Uehlinger, Art. Bilderverbot. Berlejung, Theologie, setzt dagegen eine grundsätzliche israelitische Ablehnung eines sonst allgemein gültigen „altorientalischen“ Weltbilds bei der Gegenüberstellung von akkadischen und hebräischen Texten voraus. Nach mesopotamischen Quellen ist jedes Kultbild auf göttliche Anweisung hin entstanden und durch rituelle Mundwaschung und Mundöffnung dem profanen Bereich entnommen. Das Alte Testament stimme darin überein, daß es Kultbilder als Sache der Könige, als „sichtbarer Ausdruck der Reichsideologie“ (402) betrachte; „die Bilder standen im Dienste der Könige ebenso wie die [israelitische] Bilderkritik im Dienste der Königsgegner“ (404). Wo Deuteronomisten ihre Herstellung dem Volk zuschreiben, handelt es sich um „Enthistorisierung“ (347). Bei solchen Erklärungen fragt sich der deutsche Leser, ob nicht die Ideologie der deutschen 68er-Studentenbeweghung über die hebräischen Texte gelegt wird. Waren die Kulthöhen im Land von Königen verordnet? Pilgerten die Bauern zu Wallfahrtsheiligtümern wie Silo (1Sam 1), Sichem oder Betel (trotz Am 7,13!), um am Herbstfest für den Bestand der Dynastie zu opfern? Taten sie das nicht eher aus Sorge um Regen und zureichende Ernte? Unter einem von Mesopotamien bestimmten Blickwinkel werden für B. einzig „Bilder“ als Kultstatuen wichtig und die im AT ihnen häufig gleichgestellten Kulthöhen, Masseben und Ascheren nur nebenbei erwähnt. Ihnen seien die Könige vor Joschija mit „tolerantem Desinteresse“ begegnet (289.291). (Stellen wie Ex 23,24; 34,13 und selbst Dtn 12,2f. werden im Register nicht angeführt.) Die Texte stellten eine „Verkehrung der altorientalischen Bildertheologie“ dar, indem „eine rationale Auseinandersetzung“ den „numinosen Schöpfungsvorgang“ ignoriere und „die Bilder von vornherein als

2. Die Jahwä-El-Synthese

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vorher nur gegen die Verehrung bestimmter Kulteinrichtungen wenden, lassen m.E. die frühesten Formen eines Ikonoklasmus erkennen, so die Ablehnung von metallenen Gussbildern und ihre Verwendung im Jahwäkult (Ex 20,23; Lev 19,4; vgl. das Goldene Kalb Ex 32). Eine Aufforderung, fremde Altäre, kultische Malsteine und segensbringende Kultpfähle (Ascheren) als Relikte kanaanäischer Gottesvehrung (oder manipulierbarer Verdinglichung der Gottespräsenz?) zu zerstören, war dem J-Dekalog vorangestellt (34,13 vgl. 23,24; Lev 26,1). Erst im klassischen Dekalog wird daraus ein Verbot jedes als verehrungswürdig angesehenen materiellen Symbols (ls,p, Ex 20,4). Seit dem Deuteronomium wird mit den Götterbilder der Vorvölker auch die Benutzung und Umwidmung ihrer Kulthöhen verboten (Dtn [4,23–28] 7,5; 12,3). Von nun an gelten Bilder von vornherein nicht als Jahwä gewidmet,29 sondern anderen, „ohnmächtigen“ göttlichen Wesen, die von Profeten als „Abscheulichkeit“ (#QUvi), „Mistding“ (lWLGI), „Schwächling“ (lylia)/ u.ä. verhöhnt werden. Der späteren vernichtenden Polemik stehen Erzählungen gegenüber, wonach frühere Generationen solche sichtbaren Symbole als angemessen und nötig für den Jahwäkult angesehen hatte. So der (als Piedestal Gottes) von Jerobeam I. im Tempel in Betel aufgestellte Metallstier, dessen Parallele in Samaria Hosea später verabscheut (1Kön 12,26– 30; Hos 8,4–6). Die von Mose in der Wüste aufgerichtete Eherne Schlange wird später von König Hiskia zerstört (Num 21,4–9; 2Kön 18,4). Den Efod, den der Richter Gideon als Dank für den von Jahwä geschenkten Sieg hatte anfertigen lassen, verurteilt die DtrRedaktion als „Fallstrick“ für Israel (Ri 8,24–27). Anrüchig wird Späteren auch das Schnitzbild samt Efod und Terafim, die ein gewisser Micha im Tempel von Dan aufgerichtet hatte (Ri 17f).

„The bible does not give a clear articulated basis for the prohibition of images.“30 Eine jüngere Begründung verweist auf die Sinaioffenbarung und die Sprache als alleiniges Medium göttlich-menschlicher Kommunikation: „Ihr hörtet (nur) den Donner der Worte. Einer Gestalt konntet ihr nicht wahrnehmen, nur eine Stimme“ (Dtn 4,12; vgl. V.15–18). Die Profeten verurteilen Bilder als menschliches Machwerk (Jer 10,14–16; Jes 40,18–20; 44,9–20 u.ö.) und deshalb wohl als manipulierbar, aber das müßte eigentlich auch für die Altäre, Lade und andere Symbole im Zionstempel gelten. Nicht ausgeschlossen werden hingegen, sondern gern verwendet, was wir sprachliche Bilder nennen, so die Rede von Gottes Angesicht, Augen, Mund, Arm, Füße. Doch dabei wird vorausgesetzt, daß Jahwä niemals wie die Götter Homers sichtbar, räumlich klar umrissen und menschengleich vor einen Menschen hintritt. Produkt einer menschlichen Tätigkeit“ hinstelle (S.404. 417). Trifft das Argument nicht tatsächlich zu? Vf.in scheint darin eine beklagenswerte Verirrung zu sehen. 29 In der E-Schicht erscheint der Kult um das goldene Kalb (Ex 32) als erster schwerwiegender Verstoß gegen den Bundesherrn. Er wird aber nicht auf den Einfluß fremder Götter, sondern die Vergötzung von Metallbildern zurückgeführt (vgl. 1Kön 12,28–33). Zu anderen Deutungen s. Spencer, Golden Calf. 30 Curtis, Idol, 378. – Ist es wirklich „ganz irrtümlich“, das Bilderverbot als „Ausdruck einer besonderen Geistigkeit des Gottesverständnisses“ zu verstehen (so von Rad, Theologie I, 226)?

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Der hebräische Gott und die Gotteserfahrungen der Nachbarvölker

Das Bilderverbot unterstreicht eine besondere Exklusivität der Gottesauffassung. Im Polytheismus sind unterschiedliche Bildsymbole für die einzelnen Gottheiten notwendig (ohne daß im Alten Orient ihre Gestalt fetischartig im Symbol eingegrenzt wäre). Die israelitische Monolatrie zielt jedoch nicht primär auf numerische Einzigkeit, sondern wendet sich gegen eine klar umschreibbare Verortung Gottes nach innerweltlichen Maßen. Hinzu kommt die Überzeugung von einer überweltlichen Glorie, die es verunmöglicht, das Wesen der Gottheit vollständig zu erfassen und enträtseln: „Kein Mensch sieht mich und bleibt am Leben“ (Ex 33,20–23; vgl. Ez 1,26 u.a.).

3. Von Monolatrie zu Monotheismus in den Traditionen Jerusalems In der Königszeit31 werden über die allgemeinisraelitische Aufnahme kanaanäischer Motive Wesensmerkmale des jebusitischen El als „Höchster“ (!Ayl.[,) der Götter, sowie einige des Wettergottes Baal auf Jahwä übertragen. Der Gott des Sinai wird auf dem Zion verortet und als Götterkönig und Weltschöpfer gefeiert. In Jerusalem wird Jahwä zum „König, der alle anderen Götter zu seinem Hofstaat degradierte“ (vgl. Ps 47,6–10); der „Staatskult“ der Davididen hat „noch einmal einen breiten Schwall von Kulttraditionen und Mythologie der kanaanäischen Hochreligion in die Jahwereligion einfließen lassen“ und darüber hinaus „Anknüpfungspunkte [...] zur Götterwelt der vorderorientalischen Staaten gesucht und gefunden“.32 3. Von Monolatrie zu Monotheismus in Jerusalem Kanaanäischen Vorstellungen folgend wird der Berg, wo Salomo auf der „Tenne“ Araunas seinen Tempel erbaut, mit dem nordyrischen ‚afôn gleichgesetzt (oder als sein Ausläufer verstanden), der als Königsresidenz des ugaritischen Wettergottes Hadad-Sapon gegolten hatte.33 Ohne daß dessen Name oder Titel fällt, wird eine als lebenswichtig empfundene Funktion dieses Gottes Jahwä zugeschrieben: Er ist es nunmehr, der in einem Schöpfungskampf das chaotische Urmeer überwunden und die Erde fest verankert hat (Ps 48,3; 68,5.10; 93 u.ö.); das wird regelmäßig als Theofanie Jahwäs zum Zion gefeiert, wo er seinen Thron besteigt und erneut zum König der ganzen Erde (oder: 31 David erobert und integriert den Jahwäkult in eine in religiöser Hinsicht synkretistische Stadt. Hier regierte in der Amarna-Zeit ein König Abdi-Hepa, „Knecht“ einer hurritischen Göttin. Davids jebusitischer Vorgänger trägt den wohl ebenfalls hurritischen Namen Arauna (2Sam 24); Nelson, Arauna, 353; HAL, 83. Königsnamen wie Melchisedek (Gen 14,18; Ps 110,4) oder Adonisedek (Ri 1,5) lassen auf einen Gott Sädäq als Garant heilvoller Solidarität schließen, der westsemitisch auch sonst bezeugt ist; Koch, Sädäq, s. u. S. 210. – David setzt einen danach benannten Zadok als Priester ein, der vermutlich schon vorisraelitisch das Amt bekleidet hatte; HAL, 939; Ramsey, Zadok, 1034ff. 32 Albertz, Religionsgeschichte, 210f. 280–290. 33 Ps 48,3; Jes 14,13f, s. Koch, –azzi, u. S. 119.

3. Von Monolatrie zu Monotheismus in Jerusalem

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des Landes?) aufsteigt (Ps 24; 47 u.ö.). Jahwä führt Wolken und Fruchtbarkeit mit sich und krönt das Jahr mit seiner Güte (Ps 65).34 Dem vordem „unbeweibten“ Sinaigott wird eine Göttin Aschera als Partnerin beigesellt.35 Für die Ugariter, vermutlich ebenso für das vorisraelitische Jerusalem, war sie die Gemahlin Els, nicht des Wettergotts. Im Unterschied zu den vielen Ascheren, die es draußen im Land und im Umkreis Jerusalems gab (2Kön 23,14) und durch einen Kultpfahl als segensbringende Mächte symbolisiert wurden (vgl. yrEv.a; als Seligpreisung), wird sie im Zionstempel in der Einzahl und betont personal verehrt, vielleicht vorwiegend von Frauen.36 Dennoch wird dadurch der Vorrang Jahwäs kaum in Frage gestellt; schon die Ugariter schilderten El und Atiratu nicht als „gleichberechtigt“, und in Jerusalem gehört der Tempel allein Jahwä, trotz eines Bildes der Aschera (wohl nicht im Allerheiligsten). Wahrscheinlich erst in Jerusalem wird Jahwä als Götterkönig begriffen, der nicht nur die obere, sondern auch die irdische Welt und insbesondere Israel als Eigentumsland und -volk (wie eine „Hausmacht“?) regiert. Die Kleinstaaten Syrien-Palästinas waren gegenüber den umliegenden Großmächten (im Zweistromland und im Niltal) hinsichtlich von Kultbräuchen und mythologischen Motiven nie hermetisch abgeschlossen. Schon in der ausgehenden Bronzezeit gab es in Südpalästina einen „Ägypto-kanaanäischen Synkretismus“.37 Kultische Motive, Bilder und Texte aus dem benachbarten Großreich wurden fleißig importiert, sie werden nun Jahwä zugesprochen. Das führte zu einer gewissen Solarisierung des Gottes, nicht zuletzt durch die Aufnahme (einer älteren Amun-Vorlage?) des berühmten Echnaton-Hymnus aus Amarna in Ps 10438 und der Einführung von Sarafen = Uräen als seine Begleitung.39 Die kultischmythische Übertragung der göttlichen Wirkgröße von „Gerechtigkeit“ (äg. Maat/hebr. qdvia]/ht'r:vea] vokalisiert, also mit doppelter Feminisation statt eines Suffixes rechnet, wie es Angerstorfer14 und Zevit15 vorschlagen. Dieser Lösung 11

Stolz, Monotheismus, bes. 167ff. Vgl. Lang, Der einzige Gott. Lemaire, Inscriptions, 603–606; Emerton, New Light, 2–20; Weinfeld, Kuntillet Ajrud, 121– 130; Dever, Asherah, 21–27; Coogan, Canaanite Origins, 137–155; Hadley, Khirbet el-Qom, 50– 62; TUAT II, 557f.563f; Die Lesung hr"vea] bestreitet Mittmann, Grabinschrift, 139–152. 13 Schroer, Bilder, 32 14 Angerstorfer, Ašerah, 7–16. 15 Zevit, Inscription, 39–48. 12

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2. Aschera in Juda

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wird man sich jedoch nur im Notfall gegen den sonst reichlich bezeugten Sprachgebrauch anschließen, und der Notfall ist nicht gegeben. Dann | freilich liefern die Inschriften kein durchschlagendes Argument gegen die mutmaßliche Monolatrie Jahwäs im Israel der Königszeit. Die Fundstellen beweisen nur, daß der Gott Israels im 8. Jh. nicht als eine in sich geschlossene Persönlichkeit vorgestellt wird, sondern Wirkungssphären um sich hat, die sich in bestimmte Erstreckungen hin zu den Menschen bei gegebenem Anlaß verwandeln. Sie lassen nicht erkennen, daß Aschera beopfert oder daß zu ihr gebetet worden ist. Eher als die Alleinverehrung Jahwäs in Israel wird das Alter eines Bilderverbotes von den Stellen her strittig. Wenn einer Erstreckung Jahwäs wie dem Sakralpfahl segnende Kraft zugeschrieben wird, so regt sich beim Empfänger vermutlich das Gefühl, daß ihm numinose Qualität eigne; genau das aber will der Dekalogsatz „Du sollst dir kein päsäl machen“ im kultischen Raum ausschließen. Die Kuntillet-ǥAdschrud-Scherben geben zudem durch Zeichnungen zu erkennen, daß sie von einem strikten Bilderverbot jedenfalls nichts halten. Denn auf den Tonkrügen werden nicht nur altorientalische religiöse Motive wie die am „Lebensbaum“ Männchen machenden beiden Ziegen sowie das Kuh-Kalb-Motiv abgebildet, sondern zusätzlich zwei menschlich-bovine Figuren mit langem Schwanz oder Phallos sowie eine auf einem Thron sitzende Leierspielerin.16 Selbst wenn man es für unwahrscheinlich hält, daß eine dieser Figuren Aschera verkörpert, greifen diese Mischwesen zumindest über eine blanke Darstellung von Realitäten hinaus und erwecken den Anschein, für das Leben belangreiche unsichtbare Mächte darzustellen, vielleicht den Keruben auf den Wänden des Jerusalemer Tempels vergleichbar. 99/100 Läßt sich ermitteln, was Aschera in diesen Inschriften bedeutet? Hier wie sonst sind etymologische Spekulationen über eine Grundbedeutung in ursemitischer Vorzeit wenig ertragreich. Bemerkenswert an den Stellen ist die Anbindung an das Verb $rb in drei Fällen. Da der Segen im Alten Testament mit einer durch yrEv.a; eingeleiteten Seligpreisung in Beziehung steht,17 legt sich nahe, daß die Israeliten hr"vea] mit diesem Lexem „volksetymologisch“ zusammengebracht haben, hr"vea] also als eine Art „Kraft zur Glückseligkeit“ angesehen haben. Dabei mag man fragen, ob das feminine Nomen bewußt einen weiblichen Aspekt im Gott Israels hervorheben soll, so wie es nachher bei der Vorstellung von der personifizierten Weisheit in nachexilischer Zeit gelegentlich geschieht, ob also sich mit Segen die spezielle Assoziation verbindet, darin eine vornehmlich weibliche Kraft manifest zu sehen (auch hk'r"B. ist ein Femininum). 16 Stolz, Monotheismus, 169, Abb. 13; Schroer, Bilder, 511, Abb. 2; Hadley, Khirbet el-Qom, 180–213. 17 de Moor, Art. hr"vea], 482.

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Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem

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3. Aschera in Jerusalem nach den Königsbüchern Die neugefundenen Inschriften beweisen die Hochschätzung einer zu Jahwä gehörigen hr"vea] im Juda der Königszeit, wie immer die Verbindung beider auch gedacht war. Deren Charakter als eigenständige Göttin scheint jedoch in einigen Nachrichten der Königsbücher deutlicher hervorzutreten. Die neuen Funde reizen dazu, die entsprechenden Belege erneut durchzumustern. Dabei fällt auf, daß von der Aschera, im Singular mit vorangestelltem Artikel, abgesehen von der Sonderüberlieferung Ri 6,25–30 (und – textkritisch fraglich – 1Kön 18,19) nur bei den Hauptstädten Samaria (1Kön 16,33; 2Kön 13,6) und Jerusalem (1Kön | 15,13; 2Kön 18,4; 21,7 [anders V. 31; 23,4.6f]) gesprochen wird. Im Unterschied dazu wird im Blick auf das Reichsheiligtum Bethel nur eine Aschera, undeterminiert und ohne Artikel erwähnt (2Kön 17,16; 23,15). Die im maskulinen(!) Plural hingegen genannten ~yrIvea] gehören zu namenlos bleibenden Kulthöhen, werden meist mit Masseben zusammengenannt (1Kön 14,15.23; 2Kön 17,10; 23,14). Diese in der Mehrzahl genannten Aschera-Gegenstände werden vom Deuteronomium (7,5; 12,3; 16,21) scharf verurteilt; wo sie in den Geschichtsbüchern genannt werden, ist hinsichtlich von Schlüssen auf eine vordeuteronomistische Zeit Vorsicht geboten. Gilt für Stellen mit hr"vea]h' das Gleiche? Der unterschiedliche syntaktische Gebrauch weckt die Frage, ob die Hauptstadt-Aschera etwas anderes dargestellt hat als einen Sakralpfahl, der an den anderen Stellen vermutlich gemeint ist.18 Dem sei im Blick auf Jerusalem nachgegangen. 100/101 Erstmals taucht hr"vea]h' 1Kön 15,13 auf Danach hat der König Asa sowohl das Qedeschenwesen im Lande wie auch die tc,l,p.mi für Aschera beseitigt und im Kidrontal verbrennen lassen, welche die Königinmutter (bzw. -großmutter V. 2) Maacha hatte anfertigen lassen. Das Hapaxlegomenon tc,l,p.mi ist unerklärt.19 Der Standort des verpönten Gegenstandes wird nicht genannt. Der seltene Ausdruck spricht für eine alte Erinnerung, ebenso die Nichterwähnung eines männlichen Partners der Gottheit,20 da in deuteronomistischen Zusammenhängen neben verwerflichen weiblichen Gottheiten in der Regel Baal auftaucht und den eigentlichen Anstoß darstellt. Mit der 18 Noch der Chronist unterscheidet zwischen ~yrIvea](h'), die nur mit Altären, Kulthöhen, Idolen u.ä. in Reihungen auftauchen, und tArvea] (h') (Pl. fem.), die als für sich verehrte Größen erwähnt werden (2Chr 14,2; 17,6; 31,1; 33,19; 34,3.4.7 gegen 19,3; 33,3). Da das Lexem mit femininer Pluralendung außerhalb von Chron nur Ri 3,7 benutzt wird, dürfte diese Stelle in chronistischer Zeit formuliert bzw. abgeändert worden sein. 19 HAL, 584: „Schandbild“. 20 Würthwein, Könige, 187, hingegen: „Freilich klingt das, was V. 13abȕ erzählt wird, so typisch deuteronomistisch, daß man einen gewissen Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit nicht unterdrücken kann.“ An der Absetzung der Maacha hält er freilich fest, katapultiert sie aber ins historische Vakuum: „Wie die Absetzung vor sich ging, wird nicht gesagt.“

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Ascheraverehrung hat vielleicht die Tätigkeit von Buhlknaben zusammengehört,21 demnach hatte sie spezielle Bedeutung für menschliche Fruchtbarkeit, d.h. für eine spezielle Form der Segenskraft. Da der Vater der für den Mißbrauch verantwortlichen Königsmutter Abischalom (V. 10 vgl. V. 2) geheißen hat, also einen Namen mit dem theophoren Element eines vorisraelitischen Jerusalemer Gottes trug, war er vielleicht ein Nichtisraelit. Waren Ascherakult (und Qedescheninstitution) jebusitisches Erbe, das die Königinmutter aufgrund ihrer Herkunft gefördert hatte, das aber durch ihren jahwätreuen Sohn beseitigt worden ist?22 | Erst für die Zeit 200 Jahre später verlautet wieder etwas von einer Aschera in Jerusalem, nämlich durch die dürre Notiz 2Kön 18,4, daß Hiskia sowohl die Masseben (plur.) wie die Aschera (Sing., jedoch GSV Plur.), über deren Standort nichts verlautet, vernichtet habe. Für diese Sätze besteht der Verdacht, daß die Nachricht aus den Joschiatexten (s.u.) hierher übertragen worden ist, um Hiskia nachträglich zu einem Vorläufer in allen Angelegenheiten der Kultreform zu machen.23 101/102 Ausführlicher handeln zum Thema die beiden aufeinander bezogenen Abschnitte 2Kön 21,3–7 und 23,4–7. Danach hat Manasse zu Beginn des 7. Jh. Kulthöhen und Altäre (Plur.) für Baal eingerichtet, eine Aschera gemacht (GSV gleichen an die Parallele an und lesen Plur.) und das ganze Heer des Himmels mit Altären im Tempelvorhof verehrt. Dazu tritt der Ritus der Verbrennung des eigenen Sohnes und die Befragung von Totengeistern. Die Aufstellung des Aschera-Idols (ls,P,) hält der Geschichtsschreiber für so empörend, daß er dessen Überführung in den Tempel V. 7 eigens hervorkehrt.24 |

21 Die Erwähnung der Qedeschen zusammen mit den ~yliLuGI V. 12 könnte allerdings tatsächlich dtr. Interpretation der Aschera-Verehrung sein, da dieser Verstoß gegen das deuteronomistische Gesetz (Dtn 23,18) hier vorangestellt und damit stärker gewichtet wird als die (mit ~g:w> angeschlossene) Nachricht über Maacha und Aschera V. 13, obgleich diese den Kern der Sache betrifft. 22 Vgl. Donner, Geschichte. 23 Z.B. Noth, Studien, 85, Anm. 6. Freilich läßt sich mit der Spätdatierung nicht beliebig weit heruntergehen. Unter Außerachtlassung semantischer Unterschiede setzt Würthwein, Könige, 411, die Notiz an den „Übergang zum chronistischen Denken“. Daß der Chronist und nachfolgend die antiken Übersetzungen den Ausdruck hr"vea] meiden und zumeist durch den Plur. mask. ersetzen (2Chr 14,2; 31,1), bekümmert ihn nicht. 24 Auf die literarischen Verhältnisse der Stelle braucht nicht näher eingegangen zu werden, da die entscheidenden Einzelheiten Kap. 23 zu entnehmen sind. Der Abschnitt 21,1–7 ist vermutlich in Anlehnung an 23,4ff gestaltet. Außerdem weist er deuteronomistische Überarbeitungen auf, etwa in den Rückverweisen auf Hiskia und Ahab. Freilich wird man nicht die Aschera-Notiz einfach ingesamt für spät erklären können, wie es Würthwein, Könige, 441 tut: „Die Verfertigung und Aufstellung eines Aschera-Bildes widerspricht Dtn 7,5; 12,3 und vor allem Dtn 16,3 (lies 16,21).“ Denn während 2Kön 21,7 von ls,p, und hr"vea]h' redet, werden in Dtn 7,5; 12,3 die ~yrIvea] (mask. Plur.) neben tAbC.m; und ~ylisiP. eingereiht, von den letzten also unterschieden. Dtn 16,21 hingegen wird eine hr"vea] „eingepflanzt“, also wohl nicht handwerklich hergestellt!

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Nirgends werden innerhalb des Alten Testamentes über hr"vea] so viel Einzelheiten laut wie in 2Kön 23. Das nötigt an dieser Stelle, in gedrungener Kürze auf den literarischen Befund einzugehen. Leider stehen die Kapitel wie kaum andere im Kreuzfeuer kontroverser Deutungen. Diese gehen gegenwärtig nahezu sämtlich von der in Mode gekommenen, allen anderen exegetischen Methoden vorgeschalteten, einseitigen Literar- und Redaktionskritik aus, die die Schichten des Textes aufgrund von gemutmaßten Widersprüchen oder Doppelungen in eine relative chronologische Folge einordnen will.25 Vielleicht belegen gerade | die divergenten Ergebnisse zu 2Kön 22f das Ungenügen dieser Methode. Deshalb wird hier vorgeschlagen, mit einer methodisch ausweisbaren strukturalen Formgeschichte26 an das Rätsel dieser Überlieferung heranzugehen. Dabei muß auf Einzelnachweise verzichtet werden. Wird jedoch der Einstieg über Textgefüge und Makrosyntax genommen, so zeigt schon eine schematische Übersicht einen durchsichtigen Aufbau: 102/103 RAHMUNG: Regierungsjahre und generelles Urteil

22,1–2

1. Buchfund und Profetenbefragung yhiy>w: + Jahresangabe ... %l,M,h; xl;v' A Befehl durch den König, Rede des Hohenpriesters, Meldung an den König yhiy>w: + Reaktion des Königs ... B

22,3–20

%l,M,h; wc;y>w:

Befehl des Königs, Rede der Profetin, Meldung an den König 2. Bundesschluß und Kultreinigung A B

%l,M,h; xl;v.YIw:

Tempelversammlung, Buchverlesung, Bund

11–20 23,1–4 1–3

%l,M,h; wc;y>w:

Beauftragung der Priester und Aktionen des Königs, Rückkehr nach Jerusalem C

3–10

%l,M,h; wc;y>w:

4–20 21–24

Passafeier und weitere Kultreinigungen RAHMUNG: Geschichtsresumee, Quellenangabe, Tod des Königs

23,25–30

25 Meyer, Bemerkungen, 114–123; Würthwein, Josianische Reform, 395–423; ders., Könige; Rose, Bemerkungen, 50–63; Hollenstein, Erwägungen, 321–336; Hoffmann, Reform; Spieckermann, Juda; Preuß, Deuteronomium, 1–11.214–216; Levin, Joschija, 351–371; Lohfink, Diskussion, 24–48. 26 Vgl. meine grundsätzlichen Ausführungen in: Amos. Untersucht mit den Methoden einer strukturalen Formgeschichte, AOAT 30,1, Kevelaer/Neukirchen 1976, 16–28.

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Die knappe Skizze läßt einen durchdachten Aufbau erkennen, wie er in anderen Teilen der Königsbücher seine Parallelen hat (s. xlv als Szenenweiser in 1Kön 15,18; 2Kön 11,4; 16,7). Die jetzige Fassung der Kapitel geht demnach auf einen deuteronomistischen Autor zurück, der nicht nur Überarbeiter, sondern Kompositor gewesen ist. Für ihn sind die Maßnahmen zur Kultreform durch den entsprechenden Königsbefehl, welcher die Ascherabeseitigung in sich schließt, eine Konsequenz des Bundesschlusses. Da aber der Schriftsteller selbst auf eine Quelle verweist, die er auswertet (23,28), bleibt zu fragen, ob der Text Narben oder Nähte aufweist, die auf wörtliche Übernahme einer Vorlage beruhen. Dabei interessiert hier nur der Teil 2 B, also 23,4ff. 103/104 Der Abschnitt fällt aus dem Zusammenhang heraus durch den siebenmaligen Gebrauch von waw + Perfekt (bzw. Afformativkonjugation) in präteritaler Hinsicht, dem eine Anzahl von Narrativen parallel laufen, aber auch sechs Beispiele von invertiertem „nacktem“ Perfekt (AK). Das im Hebräischen seltene w-pf (w-AK) reizt begreiflicherweise die Literarkritiker zu Manipulationen. Entweder sieht man darin Kennzeichen einer sehr späten Überlieferungsschicht (Würth|wein u.a.) oder umgekehrt das ausschließliche Kennzeichen einer zugrundeliegenden älteren Quelle (Meyer u.a.). Läßt sich im zweiten Fall noch einigermaßen begreifen, daß die jüngeren Auffüllungen sich dann des gewohnten Narrativs bedienten, so bleibt im ersten völlig rätselhaft, warum die Redaktoren nicht wie sonst in den Königsbüchern ihren Einschub dem im Zusammenhang gebrauchten Erzähltempus angeglichen haben. Sollte man aber nicht, ehe zur einen oder anderen Operation geschritten wird, die Funktion des w-pf in der Verbindung mit den beiden anderen präteritalen Ausdrucksweisen zunächst einmal innerhalb des Kontexts untersuchen? Es ist keineswegs von vornherein ausgemacht, daß waw-Perfekt und Narrativ dasselbe meinen, auch wenn sie beide – wie das „nackte“ Perfekt – Vergangenes betreffen.27 Gibt es erkennbare Hinweise auf unterschiedliche 27 Über die Verbreitung des präterital verwendeten w-pf hat Spieckermann, Juda, 120–130, eine umsichtige und materialreiche Übersicht geboten. Danach läßt sich der Gebrauch dieses „Tempus“ für das vorexilische Hebräisch nicht bestreiten. Allerdings bleibt seine Ableitung dieser w-pfVerwendung aus dem Aramäischen eine fragwürdige Behauptung. Im Aramäischen gibt es tatsächlich ein perfect copulativum im engeren Sinne, d.h. die mit waw angeschlossenen Formen folgen tatsächlich auf ein erzählendes „nacktes“ Perfekt (H. Bauer/P. Leander, Grammatik des Biblisch-Aramäischen, 1927 = Hildesheim 1962, 286h), was aber im Hebräischen nahezu nie der Fall ist. Darüberhinaus läßt sich den „gut 200“ Vorkommen im AT (S. 128) keineswegs entnehmen, daß das w-pf je als reines Erzähltempus wie sonst der Narrativ verwendet worden ist. An nahezu allen Stellen stellt Spieckermann „Vermischung mit dem Impf. cons.“ fest (S. 129). Das aber bedeutet keineswegs unterschiedslosen Gebrauch beider Tempora, wie sich etwa im Danielbuch leicht nachweisen ließe (Dan 8,7. 11f.27 z.B. geben – zwischen „impf. cons.“ – die w-pfFormen entweder einer metasprachlichen Ebene oder einem bleibenden Ergebnis Ausdruck, keineswegs aber rein punktuellen Begebenheiten). Spieckermann selbst sieht es in einer Anmerkung mit Recht als „unwahrscheinlich“ an, „daß dieselbe Sprache zu ein und derselben Zeit zwei

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Bedeutungen? Es gibt sie. Sobald man nach Gliederungssignalen im Unterteil 23,4–20 Ausschau hält, legt es sich nahe, genau in den w-pf-Satzen jeweils das Ende oder den Anfang eines Unterabschnitts zu sehen und zwar in dem Sinne, daß der betreffende Satz das andauernde Ergebnis einer Handlungskette ein- oder ausleitend festhält, deren einzelne Aktionen dazwischen im Narrativ erzählt werden. Kein einziges w-pf scheint in einer anderen als Anfangs- oder Schlußposition vorzukommen. Von da aus ergibt sich an Einzelszenen (innerhalb von 2 B, s.o.): 104/105 a) V. 4f Entfernung der abgöttischen Geräte aus dem Tempel und Verbrennung (Narr.), Abtransport nach Bethel (w-pf V. 4b). b) V. 5–8 (9) Beseitigung der Komärpriester und Räucherer (w-pf), Maßnahmen gegen Ascherabräuche, Höhenpriester und -kulte (Narrative), nicht zuletzt gegen die anscheinend wichtigen Stadttorheiligtümer (w-pf V. 8b). Was an Räucherungen an den Landheiligtümern und an dem Stadteingang von Jerusalem geschah,28 hängt demnach mit den Räucherungen für die Himmelsmächte am Tempel zusammen; unter dieser Voraussetzung ergibt sich ein ge|schlossener Zusammenhang. Angeschlossen ist mit al{ %a; eine Zwischenbemerkung V. 9, die sich auf eine Behandlung von Priestern bezieht, welche der König anscheinend nicht selbst hervorgerufen hatte. c) V. 10–12 (13) Verunreinigung des Tofät (w-pf), Beseitigung der Sonnenrosse und -wagen, der Dachaltäre und zweier Vorhofaltäre (Narrative), schließlich Ausstreuen der Asche im Qidrontal (w-pf V. 12b). Die Einheitlichkeit des Abschnittes, die sich auf Maßnahmen im Umkreis des Tempels bezieht, ist dann gegeben, wenn die Tofät-Opfer eine astrale Angelegenheit waren, wozu unten einiges gesagt wird. Ergänzend wird auf die Salomo-Bamot auf dem Ölberg verwiesen (mit „nacktem“ Perfekt V. 13). d) V. 14–15 Zerschmettern der Masseben (w-pf), Abhauen der Ascheren (außerhalb Jerusalems) und ihre Verunreinigung, dazu Maßnahmen gegen die Bama von Bethel (zumeist Narrative), insbesondere aber Verbrennung der dortigen Aschera (w-pf V. 15b). Die Aktivitäten richten sich nunmehr gegen kultische Erscheinungen draußen auf dem Land, wobei die nunmehr genannten Ascheren (mask. Plur.) und Masseben anscheinend nicht mit den Kulthöhen notwendig zusammengehört haben. Nur die Aschera von Bethel gilt als sehr gefährlich. funktional völlig kongruente Tempora ausbildet“ (S. 128, Anm. 124). Dies hat das Hebräische auch in 2Kön 23 nicht getan. 28 Die beliebte Änderung (vgl. BHS) zu „Bocksgeistern“ hat keinerlei textkritischen Anhalt, macht es aber leichter, mit dem Vers literarkritisch zu operieren.

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e) V. 16–18 schweift von der Kultreform und der bisher gebrauchten Tempuskombination ab. Das Stichwort Bethel veranlaßt eine anekdotische Notiz im Anschluß an 1Kön 13. Das läßt für den Abschnitt einen anderen überlieferungsgeschichtlichen Ursprung als für V. 4ff vermuten; w-pf fehlt. f) V. 19f kehrt zum Anfangsthema zurück, berichtet aber nicht mehr Einzelaktionen, sondern eine summarische Nachricht über alle samarischen Kulthöhen und die Verbrennung ihrer Priester (ohne w-pf). 105/106 Die skizzierte Gliederung läßt erkennen, daß der Text überlegt aufgebaut ist. Von einer angeblich gestörten Reihenfolge, die einige Ausleger beunruhigt und anderen willkommenen Anlaß zu literarkritischen Scheidungen bietet, bleibt bei strukturalformgeschichtlicher Untersuchung wenig übrig. Allerdings gehört dazu die Bereitschaft, über den Zweck der beseitigten Kultbräuche und -gegenstände nicht im Voraus Besseres zu wissen, als dem genaueren Studium des Kontextes zu entnehmen ist. Der in sich gegliederte Reformbericht 23,4ff ist kaum erst vom deuteronomistischen Schriftsteller verfaßt, dem wir die oben geschilderte Gesamtkomposition von Kap 22f verdanken. Denn erstens kombiniert dieser Deuteronomist sonst nur selten Narrative und waw-Perfekte, hat das im vorhergehenden Kapitel völlig vermieden und übernimmt sonst die entsprechenden Zuordnungen meist aus seinen Quellen.29 Zum anderen erweist sich der für die Komposition zentrale Vers 23,4 als eine deutliche Nahtstelle. Denn der König befiehlt danach dem Hohenpriester, dem Zweitpriester (zum Sing. s. BHS) und den Schwellenpriestern, alle Geräte aus dem Tempel zu entfernen, die „gemacht sind für Baal, Aschera und das ganze Heer des Himmels“. Die Fortsetzung aber geht auf dieser Hervorhebung des priesterlichen Establishments nicht ein, sondern läßt den König allein aktiv | sein: „Er verbrannte sie ... er trug ihre Asche nach Bethel.“ Schon die Versionen nehmen an dem auffälligen Singular Anstoß (BHS zu 4c). Dazu kommt, daß die abgöttische Triade V. 5f nochmals eingeführt wird, aber in erweiterter Form und anderer Reihenfolge: Baal, Sonne, Mond, Sternbilder und das ganze Heer des Himmels, Aschera. Der aufgenommene Reformbericht ist also vermutlich am Anfang umgemodelt worden, um die Priester vom Anschein der Beteiligung am Götzendienst zu entlasten und zu Verfechtern der Reform zu machen. Drittens wurde schon oben vermerkt, daß der Abschnitt über das Grab des Gottesmanns nach Stil und Thema sich von V. 4ff abhebt und wohl anderer Herkunft ist (mündliche Profetenerzählung?).

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Eine Ausnahme bildet vielleicht 18,4, das sich an unsere Stelle anlehnt.

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Viertens ist die nachholende, mit zwei rückweisenden Relativsätzen versehene Pauschalnotiz am Ende des Unterteils V. 19f wohl deuteronomistische Eigenproduktion, um der Reform aus der Retrospektive gesamtisraelitische und radikale (Priesterausrottung) Wirkung zuzulegen. Schließlich dürften im Reformbericht die verzahnenden Verweise mit namentlicher Nennung früherer Könige in V. 13 (hier wohl der ganze Vers) und 15 um des übergreifenden Zusammenhangs willen nachgetragen worden sein. Zur Vorlage ist vielleicht auch die für das Thema nicht unbedingt nötige Notiz V. 9 hinzugefügt worden. Im übrigen ergibt sich aber ein sinnvoller Zusammenhang, bei dem die vielen nüchternen Angaben und die vielen sonst unbekannten Einzelheiten dafür sprechen, daß es sich V. 4–15* um eine den Ereignissen verhältnismäßig nahestehende Quelle handelt. Der Gattung nach handelt es sich, da der König als allein Handelnder erscheint, um einen Text aus Hofkreisen, vermutlich einen Annalenauszug. Das heißt nicht, daß historisch alles so passiert ist, wie es dasteht. Altorientalische Annalen sind keine objektiven Berichte. Insbesondere bei den BethelNotizen mögen propagandistische Züge im Spiel sein. 106/107 In dem vorausgesetzten Reformbericht spielt entgegen der sonst im Alten Testament gerade auch bei Deuteronomisten geführten Götzenpolemik nicht Baal, sondern Aschera die maßgebende Rolle. Die Hervorhebung der weiblichen Gestalt bedarf einer Erklärung. Nur von Aschera, nicht von Baal oder einem Angehörigen des Himmelsheeres, stand im Hause Jahwäs ein Kultsymbol, das anscheinend aus einem Holzkern mit Metallüberzug bestand, weshalb sowohl Verbrennen wie Zermalmen nötig werden. Nur Ascheras Asche wird auf die Gräber im Qidrontal gestreut; hatte sie unter dem gemeinen Volk (~['h' ynEB). besonders viele Verehrer? Ihr allein unterstanden die Häuser für männliche (und weibliche) Liebespriester, wo die weiblichen Mitglieder – während der Pausen ihres aufreibenden Dienstes? – Gewänder für sie zu weben hatten; also gehörte ein intensiver Bekleidungs- und Umkleidedienst zur Verehrung der Aschera. Der Rolle einer Göttin rückt Aschera an dieser Stelle jedenfalls sehr nahe. Sie ist etwas anderes als ein Kultpfahl. Freilich wird nicht gesagt, daß sie einen eigenen Altar zur Verfügung hat, noch gar einen Tempel; ihr Bild steht wie eine Art Heiligenfigur im Jahwätempel. Nicht ohne Belang ist wohl auch die mit dem Artikel determinierte Form hr"va e h] .' Sie läßt nicht auf einen Eigennamen schließen, sondern eher auf einen Titel. Eine Ableitung „Glückseligkeitskraft“, wie sie oben für die außerbiblischen hebräischen Texte vermutet wurde, ließe sich auch hier in den Zusammenhang einfügen. Die Anbindung der Kultprostitution an den Ascheradienst läßt auf eine Fruchtbarkeitskraft schließen. Ebenso deutlich aber sind, was meist übersehen wird, astrale Bezüge. Dafür sprechen: | 1) Die Reihung zusammen mit Baal und den Himmelserscheinungen sowohl V. 4 wie V. 5. Da Aschera in das Haus Jahwäs gehört, wird am Tem-

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pel für die vorjoschianische Kultgemeinde Baal mit Jahwä identisch gewesen sein, ebenso wie bei den Nordisraeliten, deren Religion Hosea angreift (Hos 2,18). Den Hintergrund für diesen göttlichen „Meister“ stellt wohl der im 1. vorchristlichen Jahrtausend in Syrien-Palästina neu auftauchende und sich schnell verbreitende Baal-Schamem als Lenker der Himmelskörper dar.30 Eine Verbindung mit dem Himmelsheer läßt sich weder bei dem ugaritischen Baal vom Sapanuberg noch bei kanaanäischen Numen der sich erneuernden Ackererde nachweisen, hier aber tritt es beherrschend hervor.31 Demnach empfiehlt es sich nicht, die Aschera des Textes mit der ugaritischen A¾irat in nähere Beziehung zu bringen. 107 2) Die Räucherung als angemessene Weise der Verehrung. Das Verb rJeqi, das im Alten Testament zumeist jahwäwidrige Begehungen kennzeichnet, gilt hier als Hauptaufgabe der Komär-Priester in Jerusalem und Juda (V. 4.8) und wird außerdem gegenüber dem Himmelsheer durch besondere, „Räucherer“ (~yrIJ.q;m.) genannte Personen vorgenommen (V. 5). Eine herausragende Bedeutung dieser Opferart legt sich für die Verehrung astraler Gottheiten nahe; denn nur der Duft steigt wirklich zu Himmelshöhen empor. 3) Auch die für den Kultfrevel verantwortlichen Komär-Priester weisen in diese Richtung. Sie werden nicht nur Zef 1,4f mit (Himmels-)Baal und Gestirnsgöttern verbunden, sondern auch im gleichen Zeitalter im syrischen Nerab.32 Der Text läßt also das Eindringen astraler Vorstellungen in den Bereich der Tempelverehrung in Jerusalem erkennen, wobei anscheinend die astralen Mächte zu Garanten der Fruchtbarkeit werden. An allen Jerusalem betreffenden Stellen der Königsbücher spielt bei abgöttischen Bräuchen am Tempel die Aschera eine herausragende Rolle. Sie gilt als die große Versuchung für Hof und Volk. Zwar wird ihr 2Kön 21,3; 23,4 ein Baal zur Seite gestellt; dessen Rolle bleibt jedoch blaß. Gegenüber der weiblichen Partnerin tritt er sichtlich in den Hintergrund, ihm wird weder ein tc,l,p.mi noch ein ls,p, angefertigt. In Kuntillet ǥAdschrud wird übrigens auch Baal einmal erwähnt, steht dort aber ebenso hinter t/hrva zurück.33

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Eißfeldt, BaalšamƝm, 171ff. Vgl. Koch, Profeten II, 55–58. 32 KAI 225; 226. H. Spieckermann, Juda, 85. Vgl. TUAT II, 573f. 33 Dever, Asherah; TUAT II, 563. 31

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4. Die Himmelskönigin nach dem Jeremiabuch An zwei Stellen im Jeremiabuch wird eine in Juda, Jerusalem und später in Ägypten von Judäern emsig betriebene Verehrung der Himmelskönigin ; h' ; tk,lm, ,. wohl ~yImV; h' ; tK;lm. ; zu lesen; s. BHS z.St. und HAL, erwähnt (~yImV 561f). Diese Himmelskönigin ist, wenn ich recht sehe, bislang mit der Aschera von 2Kön 23 nicht in Beziehung gesetzt worden. Doch beide Male handelt es sich um eine wichtige Göttin, die in der letzten vorexilischen Zeit in Jerusalem verehrt worden sein soll. Läßt sich denken, daß dieser den jahwätreuen Kreisen suspekte Kult zwei verschiedenen göttlichen Wesen gegolten hat? Sollten gar | noch die deuteronomistischen Verfasser des Königsbuches und die Verfasser der Quelle C des Jeremiabuches (der Jer 7 und 44 zumindest nahestehen) an verschiedene Abgöttereien gedacht haben? Oder handelt es sich trotz unterschiedlichen Titels um den gleichen Götzendienst? Hinsichtlich der Verehrung der Himmelskönigin verweist Jer 44,15–27 – der ausführlichere Abschnitt – auf eine Aktivität von Frauen, „zu räuchern der Himmelskönigin und auszugießen für die Trankopfer“, wie viermal unterstrichen wird (V. 17.18.19.25). Räucherung (rJeqi) war auch 2Kön 23 das hervorstehende Zeichen der mit Aschera zusammenhängenden Astralverehrung. Hinzu kommt, daß der Titel Himmelskönigin gewiß zuerst himmlische Wesen als Untergebene bei dieser Göttin voraussetzt; das paßt vorzüglich zur Stellung Ascheras neben dem Heer des Himmels im Königsbuch. Die Flüchtlinge in Ägypten, mit denen Jeremia sich auseinandersetzt, schauen sehnsüchtig auf eine Zeit zurück, als sie der Himmelskönigin gehuldigt hatten „und unsere Väter, unsere Könige und Minister, in den Städten Judas und auf den Straßen Jerusalems; da waren wir satt an Brot und lebten gut“ V. 17. Seit dem Aufhören dieses Dienstes leiden sie Mangel. Deshalb wollen sie jetzt erneut damit beginnen. Die Himmelskönigin gewährleistet also Ernährung, sorgt mithin für Fruchtbarkeit. Auch dieser Zug stimmt zum Eindruck, der sich aus den Ascheraverweisen in 2Kön 23 ergibt. Wenn trotz der Parallelen bislang die Jeremiaaussagen nicht mit jenen von 2Kön 23 parallel gesetzt wurden, dann deshalb, weil man hier private Kultübung vermutete, während es sich dort um Begehung am Tempel handelt. Die Beschränkung auf den familiären Kreis wird besonders Jer 7,18 entnommen: 107/108 Die Söhne sammeln Holz, die Väter unterhalten das Feuer, die Frauen kneten den Teig, um anzufertigen ~ynIW"K;-Kuchen für die Königin des Himmels und dazu auszugießen Trankopfer.34

34 Inf. %Seh;w> bezeichnet wohl den begleitenden Umstand, Duhm, KHC z.St. In der Erwähnung des Trankopfers einen deuteronomistischen Zusatz zu sehen, so Thiel, Jeremia 1–25, 120f, emp-

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An dieser Stelle ist auffälligerweise im Unterschied zu Kap 44 von rJeqi nicht die Rede. Was sich auf den Straßen Jerusalems unter Anführung der Frauen vollzieht, wird auch nicht ausdrücklich mit dem Tempel verbunden. Deshalb wird dieser Brauch der Volksfrömmigkeit zugeschrieben und in Gegensatz zum offiziellen Staatskult gesetzt.35 Der Schluß ist jedoch nicht zwingend. Wenn die Himmelskönigin verehrt wird, handelt es sich gewiß nicht um eine niedere Göttin oder um einen niederen Geist, denen man neben dem übermächtigen Jahwä einen Platz im eigenen Haus einräumen mag. Vielmehr verweist der Titel auf eine oberste Instanz, neben der Jahwä nicht so einfach Platz findet – es sei denn als ihr Parhedros. Außerdem steht die Auseinandersetzung mit dem Dienst der Himmelskönigin im Zusammenhang der Tempelrede 7,lff.21ff. Einfach zu beteuern, der Abschnitt habe mit der Tempelkritik nichts zu tun, ob|wohl davon vorher und nachher die Rede ist,36 vereinfacht das Problem doch wohl zu schnell. Nach 44,17 haben sich Könige und Minister an den Freveln beteiligt,37 also war er nicht auf Privatzirkel beschränkt. Andererseits gehören Begehungen auf den Dächern der (privaten) Häuser 2Kön 23,12 durchaus in den Umkreis der Aschera und Himmelsheerverehrung. Vom Kontext der Belege in Jer 7,44 und 2Kön 23 legt sich also durchaus nahe, die in Jerusalem im frühen 6. Jh. verehrte Himmelskönigin mit der Aschera gleichzusetzen, für die im späten 7. Jh. ein Kultgegenstand im Jahwätempel selbst aufgestellt war. 108/109 Freilich gibt es einen „religionsgeschichtlichen“ Einwand gegen eine solche Gleichsetzung. Von außerbiblischen Belegen ausgehend, die das Verschwinden der Aschera und die steigende Wertschätzung der Aschtarte im syrischen Raume des 1. vorchristlichen Jahrtausends belegen, hat neuerdings Olyan38 behauptet, daß Aschtarte die Himmelskönigin für die Jerusalemer gewesen sein müsse. Freilich weist er keinen direkten Beleg für den Titel „Himmelskönigin“ bei Aschtarte nach. Die Göttin wird zwar mit dem Himmel verbunden, aber das geschieht bei vielen Gottheiten. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß in hellenistischer Zeit Aschtarte jene Stellung auch in Palästina (Askalon?) eingenommen hat. Doch das beweist nichts für die uns interessierende Zeit. Gerade bei religionsgeschichtlicher Fragestellung bleibt zu fordern, daß die Untersuchung wirklich historisch vorgenommen, also mit Entwicklungen, Umbrüchen, regionalen Verschiedenheiten gerechnet wird. Es nutzt nichts, eine pauschale Gesamtschau altorientafiehlt sich deshalb nicht, weil auch im assyrischen Ritual Räuchern, Libation und kam¹nu-Brot zusammengehören; Winter, Frau, 574. 35 Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, 213–263. 36 Z.B. Duhm, KHC z.St.; Rudolph, HAT z.St. 37 Thiel, Jeremia 26–45, 74, will den Verweis auf die Beteiligung anderer Glieder des Volkes als der Frauen aus dem Zusammenhang entfernen, doch reichen die Argumente dafür kaum zu. 38 Olyan, Observations, 161–174.

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lischer Belege zu bieten. Vielmehr sind die jeweils einschlägigen Texte, und d.h. in unserem Falle die alttestamentlichen, zuerst in ihrem eigenen geschichtlichen Kontext zu interpretieren. Dann aber spricht für Jerusalem im vorexilischen Zeitalter nichts für Aschtarte. 109/110 Eine aus alttestamentlichen Texten hergeleitete These wird freilich erst dann religionsgeschichtlich schlüssig, wenn sie sich in die Religionsgeschichte einfügen läßt, in die Israel vernetzt ist. Darauf wird noch einzugehen sein. An dieser Stelle sei aber schon auf das Ergebnis von Delcors Erwägungen39 hingewiesen, der vor einer einseitigen Festlegung des Prädikats Himmelskönigin auf eine einzige Gestalt warnt und den wandlungsfähigen Charakter dieses Titels herausstreicht: „Les titres de ‚reine du ciel‘ et des ses synonymes Asteria, Astroarche, Ourania, successivement donnés à Ichtar, à Astarté, à l’Aphrodite orientale manifestent une étonnante continuité.“ Sollte zu solcher Kontinuität nicht auch die judäische Aschera gehören? Ehe versucht wird, die exegetischen Ergebnisse in außerbiblisch belegte Zusammenhange einzustellen, bleibt noch eine Stelle aus dem Ezechielbuch der Beachtung wert. Zuvor aber ein Abstecher nach Ägypten. |

5. Die Himmelskönigin in Elefantine Für die Himmelskönigin, die nach Jer 44 von Judäern in Ägypten verehrt wird, liefert der aramäische Hermopolis-Papyros 4 eine außerbiblische Veranschaulichung. Ein gewisser Nabuschezib eröffnet hier einen Brief an seine Frau in Syene-Assuan: „Heil (~lv) dem Haus des Bet’el und dem Haus der Himmelskönigin (!ymv tklm tyb)!40 Die Beziehung zwischen Bet’el und Himmelskönigin erinnert an die Aschera von 2Kön 23,15. Der Brief belegt die Hochschätzung der Himmelskönigin in Kreisen, die mit der judäischen Diaspora in Ägypten Kontakt pflegen. Da die meisten Eigennamen im Umkreis des Nabuschezib akkadische oder aramäische Götternamen als theophore Elemente aufweisen, gehört er vermutlich nicht selbst zur judäischen Gemeinde in Elefantine; daß er aber Verbindung zu ihr pflegt, zeigt der Gruß an einen Schabbataj in seinem Brief. Zudem wird der von ihm verehrte Bet’el in einem Elefantine-Brief des Malkija wohl mit Jahu gleichgesetzt41 und anderwärts die mit Jahu zusammen erwähnte AnatBet’el auch Anat-Jahu genannt.42 So scheint es sich nahezulegen, die im 39

Delcor, culte, 119. Bresciani/Kamil, lettere; Grelot, Documents, Nr. 28; Porten/Yardeni, Textbook, 10. 41 Cowley, Papyri, Nr. 7; Grelot, Documents, Nr. 9. 42 Cowley, Papyri, Nr. 44; 22; Grelot, Documents, Nr. 10; 89. 40

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5. Die Himmelskönigin in Elefantine

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Hermopolis-Papyros 4 angeführte Himmelskönigin mit Anat gleichzusetzen.43 Das ist möglich, aber keineswegs sicher. Denn Anat wird nach AP 44 im Jahu-Tempel mitverehrt, fungiert wohl auch eher wie eine Hypostase dieses Gottes und nicht wie eine eigenständige Gottheit. Die Himmelskönigin jedoch besitzt ein eigenes Haus. Außerdem hat die angeführte Grußformel in den Hermopolis-Papyri 1–3 eine nahe Entsprechung. Hier wünscht Nabuschezibs „Bruder“ Geschäftsfreund Makkibanit in seinen Briefen „Heil dem Haus des Nabu“ bzw. „dem Haus der Banit“. Daraus mag man ableiten, daß es in Assuan-Elefantine damals neben einem Heiligtum für Jahu je ein anderes für Nabu, Banit, Bet’el und die Himmelsgöttin gegeben habe.44 Lokalisiert man aber dann nicht allzuviel ausländische Kultstätten in der südlichsten Stadt Ägyptens? Einfacher ist es, in NabuBanit nur den akkadischen Namen für ein Götterpaar zu vermuten, daß aramäisch Bet’el und Malkat-Schamen heißt. Dann wäre die Himmelskönigin von Banit her näher zu bestimmen. „Erzeugerin“, b¹n£tu, ist ein beliebtes akkadisches Prädikat für Muttergöttinnen und Ischtargestalten, freilich stets mit näherem Objekt (Genitiv) verbunden.45 Als Partnerin Nabus, der in neubabylonischer Zeit für viele zum obersten Gott geworden war,46 wird sie nicht Ischtar von Ninive widerspiegeln,47 die nur als „Erzeugerin der Menschen“ (banat niše) belegt zu sein scheint,48 sondern eine „Erzeugerin des All“ (banat gimri) wie Belet-ili oder „Erzeugerin der Götter“ (banat ilani) wie Ninlil.49 Wenn die höchste der Göttinnen gemeint ist, entspricht das durchaus der Rolle der | Aschera in 2Kön 23. Daraus folgt nicht, daß im Oberägypten des 5. Jh.v.Chr. die Himmelskönigin noch hr"vea] genannt worden ist. Da man in Syene und Jeb aramäisch spricht, wird jener hebräische Name verschwunden sein. Wahrscheinlich hat man, einer allgemeinen Tendenz im aramäischen Bereich zur Vermeidung göttlicher Eigennamen folgend, auf einen solchen völlig verzichtet; auch Banit trägt keinen Eigennamen, sondern verweist auf eine Funktion (und Anat ebenso?). Dennoch sind Verbindungen mit der Göttin, welche die Flüchtlinge von Jer 44 in Ägypten angebetet hatten, keineswegs auszuschließen. 110/111

43

Grelot, Documents, 161. Grelot, Documents, 40. 45 Tallqvist, Götterepitheta, 70f. 46 H.W. Haussig (Hg.), Wörterbuch der Mythologie, I, Stuttgart 1965, 107. 47 Milik, Papyrus, 556–558. 48 Tallquist, Götterepitheta, 71. 49 Ebd., 70f. 44

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Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem

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6. Das Standbild der Leidenschaft Ez 8 Der im Geist nach Jerusalem entführte Profet Ezechiel schaut dort beim Nordtor des Tempels einen Standort des Semäl der Leidenschaft, das Leidenschaft hervorruft (hnw: und nachfolgendem Datum werden herausragende Einzelgeschehnisse eingeführt; 22,3 wie 1Kön 6,1; 2Kön 12,7; 18,9–13; 25,1.4 b) Mit Verweis auf ein xlv von Beauftragten durch den König oder durch Gott beginnt die Darstellung einer Geschehensfolge 22,3; 23,1 entsprechend 1Kön 15,18; 2Kön 11,4; 16,7; 18,14; 19,2; 24,2. c) Unterabschnitte werden durch K. yhiy>w: 22,11 eingeleitet, so schon 1Kön 5,21; 8,54; 9,1 usw. oder durch %l,M,h; wc;y>w: 22,12; 23,4.21 vgl. 1Kön 2,1.46; 2Kön 11,5.15; 16,15; 17,27. Nähert man sich mit derartigen makrosyntaktischen Beobachtungen den Josiakapiteln, so wird der Aufbau durchsichtig, und die formalen Gliederungsmerkmale stimmen mit inhaltlichen überein: RAHMUNG: Regierungsjahre und generelles Urteil

22,1–2

1. %l,M,h; xl;v' …hn"v'…b. yhiy>w: Buchfund und Profetenbefragung A Auftrag zur Tempelreparatur Rede des Hohenpriesters: Buch gefunden Meldung an den König V. 3–10 %l,M,h; wc;y>w: …Ki yhiy>w: B Reaktion des Königs und Sendung zur Profetin Rede der Profetin bzw. Jahwäs Meldung an den König V. 11–20 2.

%l,M,h; xl;v.YIw:

Bundesschluß und Kultreinigung A Tempelversammlung, Verlesung, Bund V. 1–3

4

Spieckermann, Juda, 86 sieht darin ein Annalenmerkmal.

22,3–20

23,1–24

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Die Kultreformen des Königs Josia

B Befehl an Priester Aktionen des Königs Rückkehr nach Jerusalem C Befehl zur Passafeier Durchführung Weitere Kultreinigungen

81/82

%l,M,h; wc;y>w: V. 4–20

%l,M,h; wc;y>w: V. 21–24

RAHMUNG: Geschichtsresümee, Quellenangabe, Tod d. Königs

23,25–30

Wird auf Makrostruktur geachtet, ergibt sich ein wohldurchdachter Aufbau der Josiakapitel. Es ist begreiflich, daß er das Urteil hervorgerufen hat, sie seien | eine literarische Einheit, „aus der kein Mosaiksteinchen herausgebrochen werden kann, ohne das Ganze zu zerstören“.5 Allein, der Verfasser selbst verweist 23,28 auf eine schriftliche Quelle, die er benutzt habe. Der Exeget ist deshalb genötigt, den Text auf mögliche Vorlagen hin zu untersuchen. 81/82 Das kann hier nicht in Blick auf den ganzen Umfang geschehen. Vielmehr beschränke ich mich auf einen Teil, der seit Oestreicher6 von vielen Kommentatoren als Reformbericht 23,4–20 von einer vorangehenden Buchfund- und Bunderzählung 22,3–23,3 (+23,21–23?) abgesetzt worden ist. Zu einer Trennung der beiden Stücke nötigt eine detaillierte Beobachtung von Stil und Makrosyntax. Beim Studium des hebräischen Textes springen vor allem drei Differenzen in die Augen: 1) Während 22,3ff eine wirkliche Erzählung mit einem lebhaften Hin und Her von Aktion und Reaktion und mehreren Aktanten: König, Oberpriester, Soper, Profetin vorführt, bringt 23,4ff eine chronikartige Auflistung von Einzeltexten, bei denen der König als allein handelndes Subjekt genannt wird.7 Nur 23,16–18 zeigt erzählende Art, fällt aber auch inhaltlich aus dem Gefälle von V. 4–20 heraus. 2) Die Notiz über die Passafeier 23,21–23 läßt sich unmittelbar an 23,3 anfügen. Eine solche Folge muß sogar ursprünglich vorausgesetzt werden; die Datierung des Passas ins 18. Jahr V. 23 wie 22,3 hat dann Sinn, wenn die Feier unmittelbar im Anschluß an den Bundesschluß 23,1–3

5

Hoffmann, Reform, 265. Grundgesetz, 13–15; vgl. Preuß, Deuteronomium, 7. 7 Spieckermanns Behauptung (Juda, 79), beide Komplexe würden in „genau“ derselben Weise „den König in den Mittelpunkt des Geschehens“ stellen, bedarf der Präzisierung, sobald Exegese mehr umfaßt als Literarkritik. 6

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2. „Tempus“wechsel

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und am selben Ort stattgefunden hat. Für längere zwischenzeitliche Reformaktionen reicht der durch das Datum begrenzte Zeitraum nicht aus. 3) In 22,3ff wie wieder in 23,21–24 bietet hr"ATh; rp,se bzw. tyrIB.h; rp,se das wieder und wieder aufgegriffene Leitwort. Verhalten und Reden der Aktanten drehen sich um dieses Buch und die damit zusammenhängende göttlich-verbindliche Weisung. In 23,4–20 hingegen fehlt jeder Hinweis auf einen rp,se oder auf eine göttliche Initiative. Wiederum bilden in letzter Hinsicht 23,16–18 eine gewisse Ausnahme. Von da aus legt sich nahe, 23,4–20* als ein eigenständiges, nicht für diesen Zusammenhang geschaffenes Textstück auszugrenzen. Als Nahtstelle erscheint 23,4a. Der Satz beginnt: „Es befahl der König“ und damit mit einem Szenenweiser, der sonst der Komposition zugehört (22,11; 23,21) und den König als spiritus rector und nicht als unmittelbaren Aktanten der Durchführung betrachtet. Im Unterschied zu den nachfolgenden Sätzen, wo der König allein und im Singular als ausführende Person auftaucht, wird V. 4a die Priesterschaft an der Abschaffung der Kultfrevel beteiligt: „Es befahl der König dem Hilkia, dem Hohenpriester, dem ‚Zweitpriester‘ und den Schwellenhütern, zu entfernen aus dem Tempel Jahwäs alle Geräte“, die dem Götzendienst geweiht waren. Danach aber wird fortgesetzt: „Und er (der König) verbrannte sie.“ Von den Prie|stern ist keine Rede mehr, sie werden auch nach der grammatischen Form nicht mehr vorausgesetzt. Demnach dient die jetzige Fassung von V. 4a der Verklammerung mit dem Vorhergehenden. Als Einführung zum Reformbericht hat sie vielleicht einst gelautet: „Er (oder: der König) entfernte aceAYw:) aus dem Tempel die Geräte [...]“ Die Überarbeitung soll die obere Priesterschaft vom Verdacht der Abgötterei entlasten. 82/83

2. „Tempus“wechsel Die Betonung der Autorität des „Buches“ 22,3ff steht zweifellos dem Anliegen des Kompositors näher als eine Aufzählung von königlichen Einzelmaßnahmen ohne nähere Begründung. 23,4–15.19f gehen demnach auf eine ältere Vorlage zurück, welche der Kompositor aufgegriffen und erweitert hat. Wie weit aber entspricht die jetzige Textfassung der Vorlage? Gemeinhin wird dies verneint und eine Vielzahl von redaktionellen Erweiterungen und Umstellungen vorgeschlagen, ohne daß ein Konsens in Sicht wäre. Wegen seines „Tempus“-Gebrauchs hat der Text von 23,4–20* seit langem Befremden hervorgerufen. Obwohl wie sonst im Hebräischen das

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Die Kultreformen des Königs Josia

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Narrativ (Imperfekt konsekutiv) als Erzählzeit überwiegt, wird daneben V. 4.5.8.10.12.14.15 w eqa‰al (w + Afformativkonjugation [AK]/Perfekt) in ebenfalls präteritaler Bedeutung verwendet. Auf Literarkritik versessen, wie es seit Wellhausen Alttestamentler nun einmal sind, hat man diesen Tempusunterschied zum Anlaß für die Aussonderung verschiedener Textstufen genommen. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an: a) Die weqa‰al -Sätze sind Ausweis eines älteren Bestandes und entsprechen einem Annalenstil, weil „die weqa‰al -Bildung eine lange und legitime Geschichte hat, die bis in vorisraelitische Zeit zurückreicht“.8 Leider ergibt sich aus jenen, nimmt man sie für sich, kein geschlossener Zusammenhang mehr. b) Alle weqa‰al-Sätze entspringen einer jungen Redaktion. Allein hinter den Narrativsätzen verbirgt sich älterer Text.9 Das wird gegenwärtig von vielen vertreten. Warum aber hat hier der Redaktor eine so eigenartige Syntax gewählt und nicht wie sonst in den Königsbüchern seinen Satzstil dem Zusammenhang angepaßt, wo doch der Gebrauch des Narrativs als Erzählzeit noch im Hebräischen des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ausweislich des Danielbuches und der Qumranfunde üblich ist? 83/84 Beide Erklärungen befriedigen nicht. Mit gutem Grund hat Spieckermann bei seiner sorgfältigen Untersuchung den bloßen Unterschied im „Tempus“Gebrauch als Kriterium abgelehnt und aufgewiesen, daß we-AK rund 200 mal im AT nach (und) vor Narrativen belegt ist. Freilich teilt er mit seinen Opponenten die überkommene Ansicht, daß es sich bei waj-jiq‰ol-Sätzen einerseits und w eqa‰al-Aussagen andererseits um dieselben Aktionsmodi handelt.10 Er muß, da er | auf redaktionsgeschichtliche Schichtung nicht verzichtet, voraussetzen, daß mehrere Bearbeiter dieses Textes beide „Tempora“ unterschiedslos verwendet haben. Da dies aber in der übrigen alttestamentlichen Literatur nirgends in solchem Maße geschieht wie in 2Kön 23, wird das Rätsel der Eigenart des Satzstils nur um so größer. Besteht aber die von den Exegeten bisher unbesehen gemachte Voraussetzung einer syntaktischen Übereinstimmung von waj-jiq‰ol- und weqa‰alSätzen zu Recht? Ware es nicht reizvoll, zu untersuchen, ob hinter dem Unterschied des „Tempus“ sich eine verschiedenartige Aussageabsicht verbirgt? Auch syntaktische Konstruktionen haben semantische Relevanz. Um den unterschiedlichen „Tempus“-Gebrauch zu markieren, biete ich eine deutsche Rohübersetzung ohne Anspruch auf Exaktheit, die der Einfachheit halber den hebräischen Narrativ mit deutschem Imperfekt, die Meyer, Bemerkungen, 122; DERS., Hebräische Grammatik III, Berlin 31972, 46f; 55–57. Z.B. Würthwein, Reform, 412ff; Hollenstein, Erwägungen, 325ff. 10 Spieckermann, Juda, 88.128. 8 9

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2. „Tempus“wechsel

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w eqa‰al-Form mit deutschem Perfekt und nachgestelltes „nacktes“ qa‰al mit Plusquamperfekt wiedergibt. Außerdem werden die auffälligeren AKFormen nach rechts oder links herausgerückt und für jeden Satz eine eigene Zeile gewählt. An den Eingang wird die oben vermutete ältere Fassung von V. 4a mit einer Narrativkonstruktion gesetzt. Weithin akzeptierte textkritische Korrekturen aus dem Apparat von BHS werden durch Apostrophierung angezeigt. a)

4 ‚Er brachte heraus‘ aus dem Tempel Jahwäs alle Geräte, gemacht für den Baal und die Aschera und das ganze Heer des Himmels. Er verbrannte sie außerhalb Jerusalems auf den šadmôt des Qidron. Und er hat getragen ihre Asche nach Betel. 84/85 Und er hat gemacht ein Ende den Komär-Priestern, welche eingesetzt hatten die Könige von Juda, ‚um zu räuchern‘ an den Kultstätten in den Städten Judas und im Umkreis von Jerusalem, und den Räucherern11 für Baal die Sonne, den Mond und die Sternbilder und das ganze Heer des Himmels. b) 6 Er brachte heraus die Aschera aus dem Haus Jahwäs nach außerhalb Jerusalems zum Tal Qidron. Er verbrannte sie im Tal Qidron. Er zermalmte sie zu Staub. Er streute ihre Asche auf das Grab der Volkskinder. 7 Er riß ein die Gemächer der Qedeschen, die im Haus Jahwäs, wo die Frauen weben (Partiz.) ‚Gewänder‘ für die Aschera. 8 Er ließ kommen alle Priester aus den Städten Judas (zu sich?12). | Er verunreinigte die Kultstätten, wo geräuchert hatten die Priester, von Geba bis nach Beerscheba. Und er hat eingerissen die Kultstätten13 der Stadtportale,14 die im Eingang der Torhal11

~yrIJ.q;m.h;-ta,w> wird meist als wiederaufnehmendes Attribut zu ~yrIm'K.h; und diese als „Götzenpriester“ übersetzt (Luther, Einheitsübersetzung). Doch die Wiederholung der Partikel -ta, weist auf ein zweites Objekt zu tybvh. Und rm,Ko ist anderwärts der astrologische Experte, nicht der gewöhnliche Opferpriester (Zef 1,4; s. Koch, Aschera, 107). Dies läßt fragen, ob der im Zusammenhang entbehrliche Relativsatz 5aȕȖ nicht erst der Komposition zu verdanken ist, um für Jerusalem selbst Komär-Priester auszuschließen. 12 aybihe zum Befehlsempfang?, so daß hernach diese Priester die Werkzeuge sind, mittels deren der König ihre Kultstätten verunreinigt? Vgl. Est 1,11; 5,12. Freilich ist auch die herkömmliche Deutung auf einen bleibenden Ortswechsel und eine Anbindung der Priester an den Jerusalemer Tempel möglich. 13 twmb hier sicher nicht „Kulthöhen“. Wo wären sie bei einem Jerusalemer Stadttor denkbar? Möglich ist „Kultstätten“. Spieckermann, Juda, 100, denkt an „Podeste“. 14 Die Umpunktierung ~yrI[if. „Feldgeister“, obwohl durch die Lutherbibel kanonisch gemacht, ist weder nötig noch im Zusammenhang sinnvoll. Spieckermanns Hinweis (ebd. 100) auf die neuassyrischen Torgenien šedu oder lamassu weist vermutlich in die richtige Richtung, rechtfertigt aber die Korrektur nicht. Wichtig ist, daß Stadttore in Babylon, Assur, Ninive je einer großen Gottheit geweiht sind (RLA 1, 339f bzw. 175f). lnsofern paßt V. 8b durchaus zum Kontext (s.u.) einer Abwehr assyrischer Kulte.

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le des Stadthauptmannes Joschua (waren), und zwar zur Linken dessen, der ins Tor der Stadt ‚eintritt‘ (Partiz. nach LXX). 9 Allerdings brachten die Priester der Kultstätten nicht am Altar Jahwäs in Jerusalem dar. Doch haben sie ungesäuertes Brot inmitten ihrer Brüder gegessen. 10 Und er hat verunreinigt das tofät, das ‚im Tal der Söhne‘ Hinnoms, damit nicht (weiter) hindurchgehen lasse jemand seinen Sohn und seine Tochter durchs Feuer zum (als?) moläk c) Er machte ein Ende den Rossen, welche angeschafft hatten die Könige Judas für die Sonne, vom Eingang (?) des Jahwähauses bis zur Halle des Beamten Netanmelek, die im parwarim, und die Wagen der Sonne hatte er im Feuer verbrannt 12 Und die Altäre, die auf dem Dach des Obergemachs des Ahas, welche gemacht hatten die Könige Judas. Und die Altäre, welche gemacht hatte Manasse in den zwei Vorhöfen des Jahwähauses, hatte der König eingerissen Er ‚vernichtete sie dort‘. Und er hat gestreut ihre Asche in das Tal Qidron. 85/86 13 Und die Kultstätten, die gegenüber (östlich) von Jerusalem, die südlich vom (am?) Berg des Verderbens (?), welche gebaut hatte Salomo, der König von Juda, für die Aschtorät, das Scheusal der Sidonier, und Kemosch, das Scheusal Moabs, und für Milkom, den Greuel der Ammoniter, hatte der König verunreinigt. 14 Und er hat zerschlagen die Masseben. d) (?) Er haute ab die Ascheren (maskul.). e) (?) Er füllte ihre Stätten mit Menschengebeinen an. 15 Und auch den Altar, der in Betel, die Kultstätte, welche gemacht hatte Jerobeam bän Nebat, zur Sünde verführt hatte er Israel, auch diesen Altar und die Kultstätte hatte er eingerissen | ‚Er zerschlug ihre Steine‘ (?). ‚Und er hat zermalmt (LXX)‘ zu Asche (?). Und er hat Aschera verbrannt. 19 Und auch alle Häuser der Kultstätten in den Städten Samarias, welche gemacht hatten die Könige Israels, um Zorn zu erregen, hatte Josia beseitigt. Er tat ihnen entsprechend allen Taten, welche er getan hatte in Betel. Er schlachtete alle Priester der Kultstätten, die dort an den Altären. Er verbrannte Menschengebeine auf ihnen. Er kehrte nach Jerusalem zurück.

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Bei strikter Beachtung der durch unterschiedliche „Tempora“ ausgegrenzten Satzfolgen lassen sich einige Schlüsse auf Anlage und Absicht des Textes ziehen: Während das häufiger verwendete Narrativ überwiegend Teilaktionen aus einem fortlaufenden Geschehenszusammenhang betrifft, wird w eqa‰al nur benutzt, wo eine abgeschlossene Handlung mit dauerhafter und wichtiger Wirkung hervortritt, so bei der „Endlagerung“ unreiner Stoffe. Die nach Betel oder ins Qidrontal gebrachte Asche ist dort verblieben, hat diese Orte bleibend disqualifiziert V. 4b.12. Den Komär-Priestern ist endgültig der Abschied gegeben V. 5. Die Torkulte, das Tofät, die Kultstätten auf dem Ölberg mit ihren Masseben sollen ebenso für immer beseitigt sein wie die Betel-Aschera V. 8.10.14.18. Deshalb wird dieses Tempus für „beenden, einreißen, verunreinigen, verstreuen, zerschlagen, verbrennen“ gebraucht, sobald es sich um eine abschließende Notiz über das betroffene Objekt handelt. Dagegen werden die gleichen Verben tbv hi. V. 11, amj V. 8, rbv V. 15 (LXX), @rf V. 4.6 im Narrativ verwendet, wenn sie auf Zwischenereignisse, die von nachfolgenden Sätzen überholt werden, oder auf Nebengeschehnisse draußen in der Provinz V. 8.14aȕb verweisen. Zwei Stellen fallen freilich heraus: Im Narrativ erscheint vielleicht deshalb die Bemerkung über das Ausstreuen von Asche auf das Grab der Volkskinder V. 6b, weil das Grab weiter benutzt wurde und keine endgültige Disqualifizierung beabsichtigt ist. Beim Einreißen der Qedeschengemächer im Tempel wird gewiß vorausgesetzt, daß die Ruinen alsbald beseitigt worden sind, deshalb steht hier V. 7 der Narrativ, während die Trümmer der Kultstätten auf dem Ölberg liegen bleiben sollen – deshalb w eqa‰al V. 14. Dieses hat also resultative Bedeutung (Brockelmann 1956, 41 g). 86/87 Bei den Auseinandersetzungen um den „Tempus“-Gebrauch wird meist übersehen, daß 23,4–20 noch eine dritte Erzählart auftaucht, nämlich nachgestelltes nacktes AK/Perf. Darunter verstehe ich qa‰al, dessen Objekt und/oder Subjekt in der Satzstellung vorangehen, gegenwärtig gern als x-qa‰al bezeichnet. V. 11.12.13.14 steht diese Form bei den gleichen Verben „einreißen, verbrennen, | verunreinigen“, die sonst mit w eqa‰al verknüpft werden, was auch diesmal eine resultative Bedeutung vermuten läßt. Dennoch markiert nacktes qa‰al nicht eine gleiche Endgültigkeit wie w eqa‰al. Was nämlich V. 11 und 12a von Sonnenwagen und Altären verbrannt und eingerissen wird (qa‰al), wird hernach mit der Asche ausgestreut, was dann V. 12 mit w eqa‰al vermeldet. Dem Einreißen von Altar und Kultstätte in Betel V. 15a mit nacktem AK/Perf. folgt ein Zermahlen und Verbrennen des wichtigsten Kultsymbols, der Aschera V. 15b; dafür aber stehen zunächst Narrativ und abschließend w eqa‰al. Wenn also ein Satz mit der Partikel we und nachfolgendem qa‰al beginnt, wird der resultative Charakter des Geschehens mehr betont als bei invertiertem AK/Perf.

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Demnach macht es sich der Exeget zu einfach, wenn er im Hebräischen nur mit einer einzigen Erzählzeit waj-jiq‰ol rechnet, die u.U. gegen ein „Perfekt kopulativ“ ausgetauscht werden könne. Die Unterschiedenheit der verschiedenen präteritalen „Tempora“ läßt sich, nebenbei bemerkt, auch anderwärts nachweisen. So wird z.B. 2Kön 24,11–16 von der ersten babylonischen Eroberung Jerusalems mit Narrativfolgen erzählt. Nur der resultative Satz „Und er hat deportiert ganz Jerusalem [...]“ V. 14 erscheint im w eqa‰al, das Wegführen der „Widder des Landes“ im nachgestellten nackten qa‰al V. 15b.15 Der Chronist korrigiert gelegentlich w eqa‰al in Narrativ, vgl. 2Kön 18,4.36 mit 2Chr 31,1; 32,21. Eine Anmerkung zur gern behaupteten aramäischen Herkunft des w eqa‰al als Erzählzeit. „Kein ernstzunehmender Forscher hat bisher bei diesem Prozeß den Einfluß des Aramäischen bestritten.“16 Das spricht nicht für die Qualität unserer Forschung. Denn m.W. gibt es bisher keinerlei Untersuchung, die diese Behauptung hinreichend untermauert. Aus dem biblischen Aramäisch ist solche Entlehnung ebensowenig wahrscheinlich zu machen wie aus dem in Qumran belegten Mittelaramäisch. In diesen Texten ist zwar AK/Perf die übliche Erzählzeit, aber meist als nachgestelltes nacktes q e‰al. Nur wo es sich um eingliedrige Verbalsätze handelt, taucht häufiger begreiflicherweise w e und q e‰al auf. So enthält der Anfang des aramäischen Danielbuches in 2,5–20 nachgestelltes nacktes q e‰al zehnmal, dreimal ein nacktes q e‰al am Satzanfang, neunmal ein Partizip und nur dreimal wiq‰al. Ähnlich der Befund beim erhaltenen Anfang des GenesisApokryphons Kol 11:17 elfmal nachgestelltes nacktes AK/Perf., zweimal PK/Impf., viermal wiq‰al, davon dreimal im eingliedrigen Satz. – Wie immer man über die vorgebliche aramäische Abkunft urteilen mag, in jedem Falle sollten diachrone Hypothesen synchrone Untersuchungen nicht erübrigen. | 87/88

3. Literarkritik Erst nach syntaktischer Analyse und unter Beachtung ihrer Ergebnisse erscheint eine genauere literarkritische Untersuchung gerechtfertigt. Einige Stücke fallen aus dem strengen Duktus der Sätze 23,4ff heraus und scheinen zugleich zum Gefälle des Textes „quer“ zu liegen. 15 Zu ähnlichen Erscheinungen in Dan 8 s. Koch, Aschera, 104, Anm. 27. Zu Ez 37 s. Meyer, Bemerkungen, 117. Vergleichbar ist ägyptisches s¼m.jn-f, das „result or sequel“ sowohl für Vergangenheit wie für Zukunft bedeutet; A. GARDINER, Egyptian Grammar, Oxford 21950, § 429. 16 Spieckermann, Juda, 123. 17 Fitzmyer, Genesis Apocryphon, 50–55.

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3. Literarkritik

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a) Das betrifft die Überlieferung über ein Profetenschicksal (aus Profetenkreisen?) mit Hinweis auf ein Jahwäwort V. 16–18 und Rückbezug auf 1Kön 13, die oben schon ausgesondert worden war.18 Dafür spricht auch der Stil, insofern hier der Geschehensfortgang nur durch Narrativ angezeigt wird. b) Weiter fallen Rückverweise auf frühere Könige aus dem Rahmen, die durchweg in Relativsätzen mit qa‰al ausgedruckt sind. Sie lenken von den Aktionen Josias nicht nur ab, sondern lassen zuweilen eine dem Grundtext entgegenlaufende Tendenz erkennen. So wird im Relativsatz V. 5aȕȖ den Königen von Juda zugeschrieben, daß sie den KomärPriestern das Räuchern auferlegt haben, und zwar in Juda außerhalb Jerusalems. Das widerstreitet dem Tempelbezug im vorhergehenden und nachfolgenden Text und der Erwähnung besonderer Räucherer im anschließenden V. 5b. – Die Altäre auf dem Obergemach des Ahas V. 12 sind doch wohl von diesem König eingerichtet worden; mit der Verallgemeinerung auf judäische Könige überhaupt wird eine Schuldkontinuität erstellt und zudem der Bösewicht Manasse mit seinen Altären im Tempel eigens eingeführt V. 12aȖį. 88/89 – Die Kultstätten auf dem Ölberg, die im Osten von Jerusalem, also gegen Sonnenaufgang liegen, passen mit ihren Steinmalen in den Kontext, wo von Sonnenrossen und -wagen und von Riten im Obergemach (des Palastes?), die gewiß auf astrale Mächte ausgerichtet waren, gehandelt wird. Nicht jedoch fügen sich darein die Verehrungsstätten für ausländische Götter, die Salomo um seiner Frauen willen eingerichtet hat V. 13aȖ. – Die Erwähnung von Jerobeam als Erzsünder in Betel und Israel V. 15aȕ paßt zu den Rahmenkompositionen im Königsbuch, nicht aber zur Hervorhebung der Aschera an dieser Stätte in V. 15b, mit Jerobeam hat die Göttin vermutlich nichts zu tun. Alle diese Anknüpfungen in Relativsätzen weisen auf frühere Abschnitte der Königsbücher zurück und dürften vom Kompositor stammen. Nur in diesen Sätzen taucht übrigens das invertierte nackte AK/Perf. auf. c) Die abschließende Notiz V. 19f mit summarischer Nachricht über alle samaritanischen Heiligtümer und das Hinmorden der dortigen Priester fällt nicht nur wegen des Fehlens einer w eqa‰al-Aussage aus dem Rahmen, sondern auch durch die den Königen Israels unterstellte Absicht, zum Zorn zu reizen, und das blasse generelle hf[ für die Handlungen Josias. Höchstens der Eingang V. 19a* (s.u.) und die Bemerkung über 18 Der neben der bamƗ überflüssige Altar V. 15 ist wohl zusammen mit V. 16–18 eingefügt worden; Jepsen, Reform, 103.

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die Rückkehr nach Jerusalem mögen alt sein (und einmal hinter V. 15 gestanden haben?). | d) Problematisch bleibt V. 9 mit der über V. 8b auf V. 8a rückgreifenden Notiz über die Landpriester. Sie ist am jetzigen Platz nur dann sinnvoll, wenn das Tor des Stadthauptmanns Joschua etwas mit priesterlichen Aufgaben zu tun hätte, also die Priester zum Altardienst durch dieses Tor kommen müßten. Da jedoch die Lage des Tors unbekannt ist, bleiben solche Vermutungen willkürlich. Die oft vorgeschlagene Umstellung V. 8a.9.8b beseitigt diese Schwierigkeit und hat zudem den Vorteil, daß dann V. 8b.10 zwei w eqa‰al-Sätze wie in V. 4f beisammen stehen. Führte das Joschuator zum Hinnomtal, war es deshalb vor anderen Toren mit einer solchen Kultstätte ausgezeichnet und erklärt sich von daher die Satzfolge? Gegen die Ursprünglichkeit von V. 9 erweckt aber die singuläre Einführung mit al{ %a; + PK/Impf. Bedenken. Aus dem Zusammenhang fällt auch, daß der König einzig hier nicht Subjekt des Satzes ist.19 Abgesehen von diesen drei bis vier Komplexen gibt es m.E. keine literarkritisch schlüssigen Gründe zu weiteren Ausscheidungen. Der Wortlaut der Vorlage läßt sich also verhältnismäßig gut und in sich zusammenhängend herausschälen. Allerdings fehlt der Anfang. Auch sonst wird zwar erkennbar, was der Kompositor hinzugefügt, nicht aber, was er weggelassen hat.

4. Anliegen und mögliche Herkunft Im Grundbestand scheinen die weqa‰al-Sätze nicht nur der Hervorhebung zu dienen, sondern auch der Gliederung. Sieht man in ihnen nämlich Kennzeichnung des Endes einer Geschehensfolge, ergibt sich ein klarer Aufbau: 89/90 a) Entfernung abgöttischer Einrichtungen im Tempel, Verbrennung, Abtransport der Asche nach Betel und Absetzung der Komär-Priester V. 4–5*. b) Beseitigung von Ascherabräuchen beim Tempel, Verunreinigung der Kultstätten im Land, Zentralisierung der Priester des Landes in JerusaV. 6–10*. lem (?), Zerstörung von Stadttorheiligtümern und tofät20 c) Im Umkreis von Jerusalem Abschaffung von Sonnenrossen und -wagen,21 19

Spieckermann, Juda, 94. Zum Zusammenhang zwischen tofät und (astralem) Ascherakult s. Koch, Aschera,114f; in diesem Band S. 61f. 21 Die Halle Netanmäläks dürfte sich außerhalb des heiligen Bezirks befunden haben, der andernfalls durch den Dung der Pferde ständig verunreinigt worden wäre. 20

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4. Anliegen und mögliche Herkunft

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Palastdachaltären, Kultstätten auf dem Ölberg, Zerschlagung der Masseben V. 11–14a*. 22 d) Vernichtung (der Ascheren allgemein und deren Stätten sowie) der BamƗ und Aschera in Betel V. 14a–18*. Jeder Abschnitt zeigt gegen Ende zwei w eqa‰al-Sätze. Trifft die vorgeschlagene Gliederung die Absicht der Vorlage, war die Aufzählung nach Gesichtspunkten | einer kultischen Geografie vorgenommen, nicht chronologisch. Ausgegangen wird a) vom Tempel selbst, dann werden b) wahrscheinlich mit dem Tempelkult zusammenhängende oder in der Nähe des Tempelbezirks liegende Kultstätten angeführt. Der nächste Abschnitt c) zielt auf Riten mit solarer Ausrichtung. Nur der letzte Abschnitt d) greift über den Umkreis der Hauptstadt hinaus und bezieht Betel ein. Die Aneinanderreihung der Aktion entspricht außerdem, wie ich anderwärts darzulegen versucht habe,23 einer entschiedenen Abwehr jener Gestirnsverehrung, die sich in neuassyrischer Zeit im gesamten Vorderen Orient ausgebreitet hat. Dabei orientiert man sich vielleicht an der Rangfolge, welche die Verehrer der am Himmel erscheinenden Mächte selbst vorausgesetzt hatten. Deshalb steht die Beseitigung von entsprechenden Geräten und von Komär-Priestern im Tempelinneren voran V. 4f.24 Es folgen Symbole und Einrichtungen der Himmelskönigin Aschera, Räucherstätten auf dem Lande und die vielleicht ebenfalls astral bedeutsamen Kulte in einem Stadttor und der „Feuerstätte“ im Hinnomtal V. 6–10. Erwähnt werden weiter Einrichtungen für die Sonnenverehrung am Tempel mit Roß und Wagen. Was auf dem Palastdach sowie auf dem Ölberg im Osten der Hauptstadt geschieht, wird vermutlich ähnliche solare Zielsetzung gehabt haben V. 11–14a. Nur hinsichtlich Betel fehlen bislang Anhaltspunkte für eine astrale Orientierung des Kultes. Immerhin bildet für unseren Text die Aschera dort den eigentlichen Angriffspunkt; sollte sie die gleiche Rolle gespielt haben wie die Göttin gleichen Namens in Jerusalem?25 Aus dem makrosyntaktisch und literarkritisch erschlossenen Grundbestand der Verse 4–20 lassen sich einige Schlüsse auf Anliegen und Entstehungskreis ziehen:

22 Ascheren wird ein ~wqm, nicht eine hmb zugeordnet vgl. V. 8. Da Masseben und Ascheren sonst zusammengehören Dtn 7,5; 12,3 u.ö., mag der Narrativsatz V. 14aȕ zum kurzen weqa‰al Satz V. 14aĮ als Hinweis auf eine (untergeordnete) Zweitwirkung gehören und beides sich auf den „Verderbensberg“ V. 13a beziehen. Eine oft von Exegeten vermutete Vernichtung dieser Kultmale im ganzen Land ist dem Text nicht sicher zu entnehmen. 23 Koch, Aschera. 24 Zur sekundären Ansiedlung der ~yrmk auf dem Lande s.o. Anm. 11. 25 Allerdings fehlt der Artikel für die Betel-Aschera, anders V. 4.6.

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Die Kultreformen des Königs Josia

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1) Ausgangspunkt und bleibendes Thema bildet der Jerusalemer Tempel als einzig legitimes Jahwäheiligtum. Insofern trifft sich die Tendenz mit derjenigen des Deuteronomiums in dessen Bestimmungen zur Kultzentralisation. Dennoch klingt – anders als 22,3–23,3 – die Sprache selten an die des Deuteronomiums an. 2) Auch sonst wird von deuteronomischen Absichten mehrfach abgewichen. Das betrifft einmal die Rolle des Königs. Er tritt – anders als 23,1– 3 oder gar Dtn 17 – als autoritatives und allein herrschendes Subjekt auf, er verbrennt die Tempelgeräte, er trägt die Asche nach Betel usw. 3) Außerdem erhalten überraschenderweise die Verunreinigungen mehr Gewicht als die Reinigungen, von denen nichts Näheres verlautet (etwa von einem rpk). Das Verbrennen von Holzteilen, das Niederreißen von Baulichkeiten, das Zermalmen von Metallteilen oder Holzresten zu Asche und damit die Beseitigung von Abgötterei werden nachdrücklich festgehalten. Die ein Endstadium betreffenden w eqa‰al-Sätze zielen auf amj V. 10 sowie auf das Ausstreuen verunreinigter und verunreinigender Asche in Betel V. 4.15 oder im Qidrontal V. 12. | 4) Beseitigung der ländlichen twmb, sonst für die kompositorischen Rahmen in den Königsbüchern ab 1Kön 14,23 der Stein des Anstoßes schlechthin, wird nur beiläufig mit einem Narrativ V. 8 so erwähnt, daß fraglich bleibt, ob alle twmb verunreinigt wurden oder nur diejenigen, auf denen modische Räucherungen (rjq) statthatten (ähnlich vermeldet V. 19 für Samaria das Niederreißen nur der Häuser der twmb). Hingegen werden Betel V. 4b.15 und das Qidrontal V. 4.6.12 als Stätten einer Endlagerung der Unreinheit betont. So begreiflich die Verdammung der erstgenannten Stätte, des ehemaligen Reichsheiligtums im Norden, erscheint – ganz gleich, ob die Notiz V. 4 historisch zutrifft oder nicht –, so sehr befremdet die überaus negative Einschätzung des Qidrontals, das doch unmittelbar neben dem Tempelberg liegt.26 Selbst das Ben-Hinnomtal mit seiner Feuerstätte V. 10 kommt glimpflicher davon. Warum wird die unheilbringende Asche nicht – etwa analog Lev 16 – in die Wüste transportiert? Und warum wird das Volksgrab damit geschändet? Die Erklärung, daß es sich um den sowieso unreinen Friedhof der Jerusalemer gehandelt habe, will kaum genügen. Denn eine Begräbnisstätte ist zwar unrein, aber keineswegs ein verdammenswerter Ort (Gen 23!). Hier stehen noch Klärungen aus (vgl. aber 1Kön 15,13; Jer 31,40; 2Chr 29,16; 30,14). 90/91

26 Die Erklärung, daß mit dem Transport ins Qidrontal das Unheil „möglichst weit von allem Heiligen entfernt“ werde, so Spieckermann, Juda, 83, begreife ich nicht.

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Literaturverzeichnis

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Was immer darüber hinaus eine dringend erwünschte Einordnung der einzelnen Notizen in die altorientalische Religionsgeschichte des ersten Jahrtausends ergeben mag, eine priesterliche Herkunft des Textes ist mehr als wahrscheinlich. Er geht auf Kreise zurück, die in Jerusalem – und auch innerhalb Jerusalems – auf Kultzentralisation im Zionstempel bestehen und zugleich dem Königtum uneingeschränkte kultische Befugnisse einräumen. Der letzte Umstand und der erstaunliche Mangel an expliziter deuteronomistischer Sprache legt nahe, daß es sich um ein Dokument aus vorexilischer Zeit handelt, das von den berichteten Ereignissen zeitlich nicht allzu weit ab liegt. Damit ist freilich nicht ausgemacht, daß nur nackte Tatsachen aufgezählt werden und nicht auch ein Stück Wunschtraum und Propaganda mitspielen. Dennoch tritt hier eine Urkunde zutage, deren Bedeutung für jede Theorie über alttestamentliche Literaturgeschichte und israelitische Religionsgeschichte kaum zu überschätzen ist.

Literaturverzeichnis BROCKELMANN, C., Hebräische Syntax, Neukirchen 1956. FITZMYER, J.A., The Genesis Apocryphon of Qumran Cave I, BibOr 18A, Rom 21971. HOFFMANN, H.D., Reform und Reformen, AThANT 66, Zürich 1980. HOLLENSTEIN, H., Literarkritische Erwägungen zum Bericht über die Reformmaßnahmen Josias 2 Kön XXIII 4ff, VT 27, 1977, 321–336. | JEPSEN, A., Die Reform des Josia, in: L. Rost (Hg.), Festschrift Friedrich Baumgärtel zum 70. Geburtstag, Erlangen 1959, 97–108. KOCH, K., Aschera als Himmelskönigin in Jerusalem, UF 20, 1989, 97–120. MEYER, R., Stilistische Bemerkungen zu einem angeblichen Auszug aus der „Geschichte der Könige von Juda“, in: L. Rost (Hg.), Festschrift Friedrich Baumgärtel zum 70. Geburtstag, Erlangen 1959, 114–123. 92 OESTREICHER, T., Das deuteronomische Grundgesetz, BFChTh 27,4, Gütersloh 1923. PREUSS, H.D., Deuteronomium, EdF 164, Darmstadt 1982. SPIECKERMANN, H., Juda unter Assur in der Sargonidenzeit, FRLANT 129, Göttingen 1982. WÜRTHWEIN, E., Die josianische Reform und das Deuteronomium, ZThK 73, 1976, 395–423. – Die Bücher der Könige. 1. Kön 17 – 2. Kön 25, ATD 11,2, Göttingen 1984.

Wind und Zeit als Konstituenten des Kosmos in phönikischer Mythologie und spätalttestamentlichen Texten

1. Griechische Nachrichten Der um die Mitte des 6. vorchristlichen Jahrhunderts lebende Mythograf Pherekydes von Syros hat seine Lehrschrift mit einem Satz begonnen:1 Za/j me.n kai. Cro,noj h=san avei.. kai. Cqoni,h „Zas und Chronos waren immer samt der Chthonischen.“ 1. Griechische Nachrichten

Der erste Name wird meist als ungewöhnliche Form des Götternamen Zeus angesehen. Gilt dieser hier wie alters als Himmelsgottheit, die sich dann der Erde nähert? Oder hat Probus recht, der Zas als Äther interpretiert?2 Demnach stünde eine allbelebende Luftmacht am Anfang der Dinge. Von der weiblichen Göttin Chthonie heißt es jedenfalls in der Fortsetzung, daß Zas ihr die Erde als Kleid (anläßlich der Hochzeit) schenkte und sie danach den Namen GƝ erhielt. Pherekydes setzt also mit einer Kosmologie ein, in welcher eine männliche Kraft einer irdisch-unterirdischen Erdmasse gegenübersteht, die erst nachträglich Form und Struktur erhält. Dazu aber – oder dazwischen – tritt als dritte anfangslose Macht die personifizierte Zeit. Die Zurückführung der Weltentstehung auf ein vorgängiges Paar, sei es Himmel und Erde, sei es Windkraft und ungestaltete Masse (vgl. Gen 1,2) läßt sich auch sonst im Alten Orient nachweisen. Verwunderung erregt aber, daß ein Zeitgott als gleichursprünglich daneben steht. Denn das erklärt sich nicht aus einer urtümlichen Weise der Welterfahrung, sondern entspringt weit mehr als die Vorstellung eines mythischen Urpaares dem Ergebnis abstrahierenden Denkens. Das Auftauchen des Chronos fällt aus dem üblichen mythischen Schema heraus. Es wirkt fast wie ein nachträglicher Einschub, obgleich die Gestalt in | der Fortsetzung verankert ist, wie sich gleich zeigen wird. Im Weiteren wird nämlich von Pherekydes behauptet, daß aus Chronos pu/r kai. pneu/ma kai. u[dwr hervorgegangen sind, und aus diesen wiederum ein in fünf Regionen verteiltes Göttergeschlecht. Die dem Menschen vertraute 1 Diels, Fragmente der Vorsokratiker B 4; West, Philosophy, 12. Im Orginal steht der Satz im Akkusativ + Infinitiv. 2 Probus, Hermias DK 7 A9; West, Philosophy, 10.

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1. Griechische Nachrichten

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Erde entsteht andererseits aus dem Kleid, das Zas für Chthonie erschafft. Aus der uranfänglichen Zeitgottheit entstehen also die Naturelemente Feuer, Wind und Wasser, von denen vermutlich vorausgesetzt wird, daß sie alsbald Ge, wenn nicht auch Zas durchdringen. Nur drei Grundelemente werden genannt, weil vielleicht sie in allen Regionen des Kosmos vorausgesetzt werden können, während die bei den Griechen sonst als viertes Element behauptete Erde nur dem niederen Bereich zugehören würde. Aus abendländischen Denkgewohnheiten heraus läßt sich schwer begreifen, daß aus einer so unsichtbaren und ungreifbar-abstrakten Größe wie der Zeit so sichtbare-konkrete Phänomene wie Feuer, Wind und Wasser hervorgehen sollen. Dem Text hingegen gilt die vom Menschen erlebte Zeit offenkundig als eine zusammenhängende Substanz eigener Art. Den anderen drei alldurchdringenden Elementen wird sie vorgeordnet, weil ihrer Ordnungskraft vielleicht aufgrund der vom Menschen erlebten, ständig wiederkehrenden, gleichmäßigen Zeitrhythmen eine andere Beständigkeit und Beharrungskraft zugetraut wird als jenen so wandelbaren Naturelementen. 60/61 Gegen Chronos begehrt später ein Schlangenungeheuer Ophioneus auf, über dessen Herkunft nichts verlautet, zusammen mit seinen Kindern, den Ophionidai. Der Aufruhr wird aber von Chronos niedergeschlagen und die Rebellen ins Meer geworfen, nach seinem Sieg setzt er sich die Krone eines Athleten auf.3 Der Zweck des Siegesmotivs, das an den Triumph syrischer oder hethitischer Wettergötter erinnert, mag darin liegen, von Chronos nicht nur die Naturelemente, sondern auch die monarchischen Strukturen gesellschaftlich-herrschaftlicher Phänomene herzuleiten. Aristoteles interpretiert Pherekydes dahin, daß er die Zeit als a;riston gelehrt habe.4 Was der Mythograf als Weltenstehung mittels einer allumgreifenden Zeit und deren Erstreckungen in Naturelemente beschreibt, hat in früheren griechischen Überlieferungen keinen Ansatz, „is something entirely without precedents in earlier Greek accounts of the origins of things“.5 Spätere Leser haben deshalb seine Eigentümlichkeit daraus erklärt, daß er als derjenige, der als erster über die Himmlischen und die Göttlichen philosophiert habe, ein Schüler der Ägypter und Kaldäer gewesen sei6 oder auch, er habe seine | Lehre den Phönikern entlehnt,7 ja, sei selbst Syrer gewesen.8 Für das Motiv des Schlangenungeheuers, das ins Meer versenkt wird, leuchtet die gemutmaßte syrische Abkunft durchaus ein, wenngleich nach unserer 3

West, Philosophy, 20–23. 40–50. Aristoteles, Metaphysik 1091b10; West, Philosophy, 12. 5 West, Philosophy, 28. 6 Euseb, PE X 7,10; Josephus, Contra Apionem. 1,14. 7 Euseb, PE I 10,50. 8 Euseb, PE X 4,13. 4

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Wind und Zeit als Konstituenten des Kosmos

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Kenntnis in dortigen Überlieferungen der schlangenähnliche Götterfeind sich nicht gegen einen Zeitgott wendet. Ist also die Herleitung aus Phönikien in diesem Fall mehr als ein damals verbreiteter hellenistischer Topos, griechische Weisheit auf sagenhafte östliche Ursprünge zurückzuführen? Läßt sich über eine dem Chronos vergleichbare Gestalt im syrischen Bereich irgendetwas ausmachen? Den Phönikern haben in der Tat andere griechische Autoren der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends, die von Pherekydes unabhängig waren, ähnliche Weltentstehungstheorien zugeschrieben. Bei dem Neuplatoniker Damaskios (um 500 n.Chr.) werden gleich zwei vergleichbare Mythologien angeführt. Sie werden von ihm neuplatonisch auf eine geistige Wesenspyramide festgelegt, was gewiß sekundär ist und hier vernachlässigt werden kann. Die erste Version, die er anführt, entstammt dem Aristotelesschüler Eudemos (um 300 v.Chr.). Danach rechnen zu dessen Zeit die Sidonier mit einer anfänglichen Dreiheit Chronos, Pothos (Begehren) und Omichle (Nebel, Wolkendunkel): 61/62 pro. pa,ntwn Cro,non u`poti,tqentai kai. Po,qon kai. vOmi,clhn.

Aus der Verbindung des männlich und weiblich vorgestellten letztgenannten Paares sind Aër (Wind) und Aura (Hauch), aus diesen dann in zweiter Generation, wenn die Korrekturen der einschlägigen Textausgaben zutreffen, ein Ei hervorgegangen.9 Bei den Sidoniern wird also wie bei Pherekydes vorausgesetzt, daß eine geschlechtlich inaktive Zeitmacht neben einem uranfänglichen mann-weiblichen Paar steht. Es verkörpert chaotisch anmutende Urkräfte, die an x:Wr10 und %v,xo Gen 1,2 erinnern. Aus Pothos und Omichle gehen als zwei ausdifferenzierte Luftwesen Aër und Aura hervor, die vielleicht ein Weltei oder eine bislang ungedeutete Größe Otos aus sich heraussetzen. Während bei Pherekydes das Pneuma aus Chronos hervorgeht, spalten also die sidonischen Gewährsmänner des Eudemos die Windmacht in zwei Wesen der gleichen Substanz auf und führen sie gerade nicht auf Chronos, sondern auf das neben ihm stehende Paar zurück. Feuer und Wasser als | weitere Grundelemente bleiben unberücksichtigt. Da in diesem Muster dem Zeitelement keine eigentliche Funktion beigelegt wird, wirkt seine Erwähnung mehr noch als Eintrag als im erstgenannten Text.11 Sobald 9

Griechischer und deutscher Text bei Ebach, Weltentstehung, 431f. Die Übersetzung des vielschichtigen hebräischen Lexems x:Wr mit „Sehnsucht“ ist kaum weniger sachgemäß wie eine verbreitete Wiedergabe „Geist“; Eißfeldt, Chaos, 259, Anm. 5; kritisch dazu Ebach, Weltentstehung, 39f. 11 Loewenstamm, Philo, 401: „We can, naturally, disregard the time which is only a philosophical addition“. So einfach dürften die Dinge freilich nicht liegen. Wie erklärt sich ein solcher Einsatz durch Philosophen? Die Parallele bei Pherekydes spricht eher für eine phönikische Herkunft, auch wenn es sich um eine jüngere Weiterung handeln sollte. 10

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die Erwähnung der Zeitganzheit für notwendig erachtet wird, rückt sie hier jedoch an die erste Stelle der Kosmogonie. Damaskios führt außerdem die Kosmologie eines Mochos aus Sidon an, der sich von der allgemeinen Meinung seiner Landsleute, wie Eudemos sie geschildert hat, in einzelnen Punkten unterscheidet. Mochos gilt nach antiken Nachrichten als eine Gestalt, die wie Sachunjaton – dazu unten – in die Zeit des Trojanischen Krieges versetzt wird. Die von Damaskios (oder seiner Quelle?) griechisch übersetzte Überlieferung mag etwas älter als die Eudemos-Zeit sein, steht aber gewiß nicht in allzu großem Abstand zu dieser.12 Nach Mochos standen am Anfang als Windmächte Aither und Aër. Die Gestalt der Zeit, hier phönikisch, wenngleich mit griechischer Endung, Ulomos genannt, gehört als Abkömmling in die zweite Generation: 62/63 Aivqh.r h=n to. prw/ton kai. vAh.r ai` du,o au-tai avrcai, evx w-n genna/tai Ouvlwmo,j.

Die Nennung des Aither dürfte auf Damaskios zurückgehen, der damit eine griechische Elementenlehre einführt; war ursprünglich stattdessen Finsternis oder Schlamm gemeint? Ulomos statt Chronos aber weist auf phönikische Herkunft. Die Zeitmacht setzt nach der Fortsetzung aus sich selbst Chusor als „ersten Öffner“ und ein Ei heraus, das hernach in die zwei Teile Himmel und Erde zerbricht. Die Konzeption der Urmächte ähnelt dem, was die beiden oben angeführten Texte schildern. Doch sie werden anders geordnet. Die personifizierte Zeit bringt nicht wie bei Pherekydes aus sich die Luft hervor, sondern ist ihrerseits ein Produkt von Luftwesen. Auch in diesem System wirkt Ulomos wie ein Nachtrag. Nimmt man seinen Namen aus der fortlaufenden Reihe der Generationen heraus, ergibt sich eine glatte Folge mann-weiblicher Dualitäten.13 Ein vierter Hinweis findet sich in den Dionysiaca des Nonnos (5. Jh. n.Chr.) als Rühmung des hohen Alters der Stadt Beirut in Gestalt der | sie verkörpernden Beroë: „Beroë war schon früher: der anfangsentstandene Aion sah sie sogleich so alt wie die Erde erscheinen“ (41,83f) „Beroë, Wurzel des Lebens, du Herrscherruhm, Amme der Städte, Ersterschienene, Schwester des Aions, so alt wie das Weltall“ (41,143f).14

12 Griechische Nachrichten über Mochos bei Ebach, Weltentstehung, 434, Anm. 5, dort auch der griechische und deutsche Text, S. 431–433. Barr, Philo, setzt Mochos um 400 v.Chr. an. 13 Chusor wird gelegentlich auf den ägyptischen Ptah zurückgeführt; S. Morenz, Ägypten, 468; auch der ugaritische Kothar wird wohl mit Memphis (μqnt ) dem Heiligtum des Ptah verknüpft, Gese, Religionen, 148. 14 Eißfeldt, Ras Schamra, 242 nach Th.v. Scheffer, Nonnos Dionysiaca, Sammlung Dieterich 98 o.J., S. 652.654; griechischer Text bei R.Keydell, Nonni Panopolitani Dionysiaca II, 1959, 320.322.

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Als prwtofa,nhj ist die Göttin an beiden Stellen gleichursprünglich wie Aion und die Erde. Sie erscheint also an der Stelle, wo sonst eine Luft- oder Windmacht genannt wird. Wieder wird eine uranfängliche Triade vorausgesetzt. Die Notiz ist nicht erst von Nonnos erfunden, zumal sie bei ihm einer anderen widerspricht, nach der Beroë eine Tochter der Aphrodite und des Adonis sei. 2. Philo von Byblos Bei vier voneinander unabhängigen griechischen Schriftstellern aus unterschiedlichen Epochen wird also den Phönikern eine Weltenstehungslehre zugeschrieben, die jeweils mit einer anfangslosen Dreiheit von Ursubstanzen rechnet. Zu ihnen wird auch eine phönikisch Ulom, griechisch cro,noj oder aivw.n genannte Zeitfülle gezählt. Ihre Zuordnung erfolgt jedoch jeweils auf andere Weise, so daß man erwägen könnte, ob nicht in all diesen Texten die Spuren einer nachträglichen Hinzufügung der Zeitgröße hindurchschimmern. 63/64

2. Philo von Byblos 1. Einer besonderen Behandlung verdienen die griechischen Fragmente der phönikischen Geschichte des Herrenios Philo von Byblos (um 100 n.Chr.), die der Kirchenvater Eusebios in seine Praeperatio Evangelica aufgenommen hat.15 Philo behauptet, ein phönikisches Werk zu übersetzen, das von einem Sanchunjaton aus Beirut stammt, der seinerseits auf die uralten Schriften eines Taautos16 zurückgreifen soll. Der unregelmäßige Wechsel von griechischen und phönikischen Gottesnamen, von denen die letzten zum Teil griechisch erklärt werden, z.T. unbegriffen stehenbleiben, so wie die Verwandtschaft vieler Aussagen mit anderswärts belegten Zeugnissen syrischer | Religion beweisen in der Tat, daß Philo sich auf Vorlagen stützt. Was bei Euseb erhalten ist, besteht aus einer durch Genealogien oder lockere zeitliche Aufeinanderfolge komponierte Auflistung von „Vorgöttern“ und Gottheiten, wobei diese durchgängig als vergöttlichte große Menschen interpretiert werden. Schon auf den ersten Blick läßt sich erkennen, daß Philo keine wörtliche Übersetzung bietet, sondern an vielen Stellen eine geraffte Zusammenfassung, die an anderen durch eigene Interpretamente erweitert wird. Umstritten ist, wie weit seine euhemeristische Ableitung der göttlichen Figuren schon der Quelle zuzurechnen ist. Da diese Deutung 15 Kritische Ausgabe durch Mras 1954 (GCS); griechischer Text mit deutscher Übersetzung bei Clemen, Religion, 17–33, und Ebach, Weltentstehung, 421–430; mit englischer Übersetzung bei Baumgarten, Phoenician History, und Attridge/Ogden, Philo. 16 Zur Diskussion des Namens Ebach, Weltentstehung, 60–71.

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2. Philo von Byblos

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bisweilen mit der Bedeutung des zugrundeliegenden phönikischen Namens wenig zu tun hat und in vielen Fällen dem Kontext deutlich „aufgesetzt“ erscheint, spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß diese Sicht der Geschichte erst durch den Hellenisten Philo eingetragen worden ist.17 Die zugrundeliegende Schrift des Sachunjaton war, nach den erhaltenen Resten zu urteilen, kein einheitlicher schöpferischer Wurf, sondern ein Sammelwerk, das wohl seinerseits mündliche wie schriftliche Vorlagen zusammenstellte, die aus verschiedenen phönikischen Stätten und Landschaften stammten. Sie werden zusammengehalten durch die fortlaufende Zeitfolge einer fiktiven Erzählung, welche die einzelnen mythologischen Konzeptionen weithin durch Genealogien zu einer groß angelegten einheitlichen Welt- und Göttergeschichte vereint. Dahinter steht sichtlich das Bestreben, durch den Aufweis einer gemeinsamen Urgeschichte ein alle Phöniker einigendes religiöses System zu entwerfen. Insofern läßt sich Sanchunjaton mit dem biblischen Jahwisten vergleichen, der sein Ziel, unter religiösem Vorzeichen eine gesamtisraelitische Identität zu ermöglichen, ebenso durch Kombinationen der verschiedenartigen Überlieferungen von Heiligtümern und Landschaften verfolgt und sie auf genealogische Weise aneinanderknüpft, wenngleich mit weit größerem schriftstellerischen Geschick als sein phönikischer Kollege. 64/65 Als Anfang der „phönikischen Theologie“ bringt Philo eine Kosmo- und Zoologie, die er auf Taautos zurückführt (P.E. I, 10,1–5). Der Text hebt sich von nachfolgenden Stücken durch häufige kai.-Verbindung und einen stellenweise erkennbaren Parallelismus membrorum ab, läßt also eine eigenständige Vorlage erkennen.18 Er enthält eine Kosmologie, die vor dem Auftreten von Göttern und namentlich genannter Menschen plötzlich abbricht. Für die einzelnen Stufen nennt sie griechische Äquivalente, die wohl von Philo stammen. Für sein euhemeristisches Gesamtanliegen gibt | aber der Text nichts her, was für ein relatives Alter des Grundbestandes spricht: Th.n tw/n o[lwn avrch,n u`poti,qetai ave,ra zofw,dh kai. pneumatw,dh h' pnoh.n ae,roj zofw,douj kai. ca,oj qolero,n( evrebw/dej) tau/ta de. ei=nai a;peira kai. dia. polu.n aivw/na mh. e;cein pe,raj) o[te de.( fhsi,n( hvra,sqh to. pneu/ma tw/n ivdi,wn avrcw/n kai. evge,neto su,gkrasij( h` plokh. evkei,nh evklh/qh po,qoj) au;th d´ avrch. kti,sewj a`pa,ntwn) Als Ursprung von allem – nimmt er an – dunkle und „pneumatische“ Luft, oder einen Hauch dunkler Luft sowie schmutziges und unterweltliches Chaos. 17 Atrridge/Ogden, Philo, 8 behaupten hingegen: „The euhemerism of our text [...] is rather an integral part of all the historical narratives here, and...it serves as the major organizational principle of the rather disparate mythological materials involved.“ Leider ist für das pauschale Urteil kein einziger exegetischer Beleg angeführt. 18 Baumgarten, Phoenician History, 99–102.

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Diese seien unbegrenzt und haben während eines langen Aion keine Begrenzung. Als aber – sagt er – das Pneuma seine eigenen Ursprünge liebgewann und eine Vermischung entstand, wurde diese Verflechtung Pothos genannt; sie war der Ursprung der Schöpfung von allem.

In dem Absatz tauchen einige Begriffe auf, die sich schwer ins Phönikische rückübersetzen lassen, dafür aber in hellenistischen Kosmogonien auftauchen und deshalb von Philo eingetragen sein werden. Dazu gehören die an Hesiod und an die Orphiker erinnernden Ausdrücke ca,oj19 und evrebw/dej20 Klammert man sie aus, bleibt die Rede von einem Urpaar zurück, das aus finsterem Windhauch und aus einer schmutzigen Masse besteht, wobei die letzte Größe dem entsprechen wird, was bei Eudemos Omichle genannt war. Begriffe wie avh,r( ai;qhr( pneu/ma( pnoh, dürften auf x:Wr (und hm'v'n>??21?) zurückgehen, wobei das neutrische pneu/ma die inhaltlich genauere Wiedergabe gewesen wäre, aber im griechischen Text am Anfang eine maskuline Größe stehen muß. In der Folge wird dem Luftwesen allein Aktivität zugeschrieben. Aus seiner Vermischung mit seinen eigenen Bestandteilen oder der (dann nicht nochmals genannten) schmutzigen Masse22 entsteht der Pothos, der auch in der Eudemos-Notiz als Urkraft angeführt war; dies allein ist die ArchƝ der eigentlichen Schöpfung, wie es (in Korrektur der Eingangswendung?) abschließend heißt. | 65/66 Die Urkräfte besitzen noch keinen göttlichen Rang (weshalb Euseb nicht zögert, die Kosmogonie des Atheismus zu bezichtigen). Durch eine weitere, ausdrücklich unbewußt genannte Verflechtung (sumplokh, im Unterschied zu vorangehender sugkra,sij = plokh?) des Pneuma entsteht eine schlammartige Masse Mot, welche den Keim zu jeglichem Samen in sich birgt; vermutlich ist an eine durch Pothos hervorgerufene Verflechtung mit dem qolero,n gedacht. Der Name Mot erinnert an den ugaritischen Gott der Trockenheit und des Todes.23 Zwar wird hier an einen Ursprung des Lebens und gerade nicht des Vergehens gedacht, doch läßt sich auf den Namen der unterirdischen Residenz des ugaritischen Mot, hmrj, „wäßrige, morastige Tiefe“, verweisen.24 Da Philo diesen Gottesnamen aber P.E. 10,34 Mouth umschreibt und einer jüngeren Göttergeneration zuweist, denkt Eißfeldt25 an die Wurzel m‰, die sonst „wanken“ heißt, deutet sie als eine Art Wabbeln 19

Dazu Barr, Biblical Words, 72. Chaos, Nacht, Erebos, Urei sowie „verlangende Liebe“ tauchen in Anspielung an die Orfiker bei Aristophanes, Vögel 693–697, auf, so Eißfeldt, Chaos, 260, Anm. 2. Vgl. Ebach, Weltentstehung, 31, Anm. 13. 21 DISO, 187. 22 Ebach, Weltentstehung, 24, dagegen Baumgarten, Phoenician History, 112. 23 Pope, Art. Mǀt, 300–302. 24 KTU 1.4, VIII 12; 1.5, II 15f.; Pope, Art. Mǀt, 301; Baumgarten, Phoenician History, 112. 25 Eißfeldt, Kosmogonie, 507; Barr, Philo, 46f; Ebach, Weltentstehung, 40–46. 20

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2. Philo von Byblos

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und das Substantiv als „gallertartiges Gebilde“, „Bibber“. Schon Philo hat das von ihm als Neutrum eingeordnete26 Wort nicht verstanden, sonst würde er wie bei anderen phönikischen Namen eine griechische Erklärung liefern.27 Alsbald entwickeln sich – wohl aus Mot – erst bewußtlose, dann mit Bewußtsein ausgestattete (noera,) Lebewesen. Die letzten entstehen als eiförmige(?)28 Zofasemin,29 d.h. Himmelsbeschauer. Unklar bleibt, ob sie vom Himmel aus die Erde beobachten oder umgekehrt von der Erde zum Himmel emporsehen. Da sie neben bewußtlosen zw|/a auftauchen, was sicher Tiere oder ihre Vorformen bedeutet,30 wird es sich um Vormenschen handeln, die noch androgyn und deshalb eiförmig gedacht sind. Der Blick nach oben ist sinnvoll, weil gleichzeitig aus Mot oder zusammen mit Mot31 Sonne, Mond, Sterne und Sternbilder aufleuchten und das nunmehr in Erscheinung tretende Licht Aufmerksamkeit auf sich zieht. Den Himmel beobachten sie vielleicht nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern auch | wegen seiner Vorzeichen; jedenfalls soll wohl eine ungebrochene Ausrichtung auf lebensbestimmende, obere Mächte angedeutet werden. Ist die Annahme richtig, stammt die Kosmogonie aus einer astrologisch orientierten Zeit. Euseb führt die Fortsetzung als Zoogonie ein. Was er aber darunter beschreibt, bezieht sich auf unterschiedliche Winde (pneu,mata), Wolken, Regen, Gewitterkräfte, die schließlich eine Teilung der bewußten Lebewesen in Männer und Frauen und ihre Verbreitung über Erde und Meer hervorrufen. Nur von Menschen und von diesen noch nicht einmal ausschließlich ist die Rede. Vermutlich hatte Philon unter dem Stichwort Zoogonie ausführlicher die Entstehung aller Lebewesen behandelt; Euseb aber hat den Begriff beibehalten, den Nachweis im Einzelnen gestrichen. 66/67 Soweit die auf Taautos zurückgeführte Zusammenfassung der Weltenstehung. Übereinstimmend mit den anfangs genannten Nachrichten über phönikische Mythologie führen Philo-Sanchunjaton-Taautos das All auf ein uranfängliches, nicht-göttliches Paar zurück, bei dem der Windmacht eine führende Rolle zukommt. Auf einen Schöpfergott wird verzichtet. Das Motiv eines auf zweiter Stufe auftauchenden mythischen Eis erinnert an Mochos, wenngleich das Zerbrechen bei Philo nicht ausdrücklich erwähnt 26

Ebach, Weltentstehung, 24. Barr, Philo, 46. 28 Oder bezieht sich die Eigestalt auf Mot, ist er das Subjekt schon von avnepla,sqh? Vgl. Barr, Philo, 23; Ebach, Weltentstehung, 48–53; Baumgarten, Phoenician History, 115. Loewenstamm, Philo, 400, vermutet einen Zusatz: „The matter of Mot and the egg is most disturbing“. 29 Wohl Zofesamin zu vokalisieren = ~mv ypwc. Oder liegt ein aramäisches Wort – und eine entsprechende Herkunft der Überlieferung zugrunde? Vgl. Ebach, Weltentstehung, 24, Anm. 7. 30 Unwahrscheinlich Attridge/Ogden, Philo, 77, Anm. 31: „the non-sentient, but perceptible, celestial bodies“. 31 Zur Textkorrektur Baumgarten, Phoenician History, 117; vgl. Ebach, Weltentstehung, 25. 27

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wird und sein Inhalt hier undeutlich bleibt. Ein Unterschied zeigt sich darin, daß einer Zeitmacht anders als bei jenen oben angeführten Texten keine Mitwirkung zugeschrieben wird; nur als negativer Hintergrund wird ein „großer Aion ohne Begrenzung“ erwähnt. Eine gewisse Logik läßt sich solcher Kosmogonie nicht absprechen. Den Wind sich als ein zeitloses Urwesen vorzustellen, hat sich wohl einem seefahrenden Volk wie den Phönikern nahegelegt. Da die Herkunft des Windes in keinem Falle auszumachen ist, verbietet sich eine direkte Anknüpfung an eine Gestalt des polytheistischen Pantheons, zu der stets eine gewisse Verortung gehört. Stattdessen erscheint eine unpersönliche Arche. Auch die Entstehung von Lebewesen aus schlammiger, faulender Masse entspricht einer Beobachtung, die bei wasserdurchtränkten Böden vielerorts wahrzunehmen ist. Wenn schließlich die Himmelskörper, ihr Licht und ihre Glut Bewegung und weitere Entwicklung hervorrufen, so lassen sich auch dafür hinreichende Erfahrungen anführen. 67/68 2. Anstatt mit dem Schicksal von Kosmos, Menschen und Göttern fortzufahren, wendet sich P.E. I 10,7 wieder zu einer umfassenden Windmacht, einer weiblichen Partnerin und deren beider kosmischen Wirkungen zu. Ziel des neuen Abschnittes ist zwar eine Kulturentstehungslehre, doch ihr wird offensichtlich eine zweite, mit dem bisher ausgeführten verwandte und doch in wesentlichen Punkten abweichende Kosmogonie vorangestellt:32 | gegenh/sqai evk tou/ Kolpi,a avne,mou kai. gunaiko.j Ba,au $tou/to de. nu,kta e`rmhneu,ei% Aivw/na kai. Prwto,gonon( qnhtou.j a;ndraj( ou[tw kaloume,nouj\ eu`rei/n de. to.n ai`w/na th.n avpo. de,ndrwn trofh,n\ evk tou,twn tou/j genome,nouj klhqh/nai Ge,noj kai. Genea,n( kai. oivkh/sai th.n Foini,khn) Entstanden sind aus dem Wind Kolpia und (seiner) Frau Baau, was Nacht bedeutet, Aion und Protogonos, sterbliche Menschen, so benannt. Entdeckt hat Aion die Nahrung der Bäume. Die aus diesen Entstandenen wurden (männliches) Geschlecht und (weibliches) Geschlecht genannt und bewohnten Phönikien.

Vorangestellt wird ein Paar, dessen weibliches Glied Philo „Nacht“ tituliert. Das ist erneut eine Angleichung an Hesiods Theogonie, vielleicht dadurch hervorgerufen, daß der Schriftsteller die Bedeutung des Wortes nicht mehr kennt. Im semitischen Umkreis bietet sich einzig der Name Bohu Gen 1,2 als Erklärung an, vielleicht in einer aramäischen Umformulierung, „Einöde“ u.ä. bedeutend.33 32

Clemen, phönikische Religion, 40, Baumgarten, Phoenician History, 158. Gesenius18, 126. Die gelegentliche versuchte Ableitung von einer Wurzel b‘j als mutmaßlicher Ausdruck für „Begehren“ empfiehlt sich nicht, denn das Verb beinhaltet nur „ersuchen, wünschen“, Baumgarten, Phoenician History, 145. 33

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Die männliche Seite wird durch eine Windmacht mit einem ebenfalls rätselhaften Namen repräsentiert. Ko,lpoj meint „Meerbusen“ im Griechischen, aber was soll hier ein „Golfwind“, wo doch vom Meer noch nicht die Rede war und die Auswirkung globaler Art ist? Zudem pflegt Philo griechische Namen zu deklinieren, was hier nicht geschieht.34 Nordwestsemitisch liegt eine Ableitung von qol „Stimme“ nahe. Wie ist dann der zweite Wortteil zu begreifen? Du Mesnil du Buisson35 greift einen älteren Verweis auf qol pi jah „Stimme des Mundes Jah“ wieder auf und erklärt den nachfolgenden Absatz als un récit juif.36 Doch ein Rekurs auf den israelitischen Gottesnamen wäre in einem phönikischen Text ohne Parallele. Andere denken an eine sonst nicht belegte Ableitung von der Wurzel p’h „spalten“,37 auch das bleibt spekulativ. Im Nachklang der phönikischen Bezeichnung wird später ein Wind Kolpias bei Achilleus Tatios erwähnt.38 68/69 Aus Windmacht und Ödnis(?) gehen als zweite Generation Aion und Ersterstandener hervor. Das letzte meint gewiß eine Urmenschfigur, dem | biblischen Adam vergleichbar, der im jahwistischen Schöpfungsbericht Gen 2,4ff ebenfalls zuerst mannweiblich vorgestellt ist. Aus der männlichen Zweiheit von Aion und Protogonos entspringt hier ein männlich-weibliches Paar Genos und Genea, das Phönikien als Urheimat der Menschheit bewohnt, danach in einer zweiten Folge die so andersartigen Gestalten Licht, Feuer und Flamme. Für das namensähnliche Paar läßt sich auf die hebräische Wendung dor wa-dor als Parallele verweisen, die aber aus einer Wiederholung desselben Genus besteht, was doch einen erheblichen Unterschied darstellt. Für die hier mit einem Wort „Generation, Geschlecht“ vorgenommene Zweierbildung gibt es weder griechische noch semitische Parallelen.39 Sie gibt es freilich anderswo. Überraschenderweise hat noch niemand die verblüffend ähnliche iranische Auffassung der Menschenerschaffung herangezogen. Nach der im Großen Bundahišn Kap. 14 überlieferten Schöpfungslehre gab es einen Urmenschen Gayomart. Auf Befehl des mit ihm gleichzeitigen Zeitgottes Zurvan erfolgt sein Tod, wobei einerseits der Same aus seinem Körper sich auf die Erde ergoß und daraus das menschliche Urpaar Mašya und Mašyanak, Mann und Männin, emporsproßte, „und zwischen sie beide trat die Glorie ein“. „Deswegen traten aus dem Körper Gayomarts siebenerlei Metalle hervor“, aus denen dann der Kosmos gebil34

Baumgarten, Phoenician History, 144. Études, 39. 36 So die Überschrift S. 38. 37 Baumgarten, Phoenician History, 144; vgl. HAL, 858 b. 38 Attridge/Ogden, Philo, 79. 39 Attridge/Ogden, Philo, 81. 35

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det wird.40 Das Werk ist erst im frühen Mittelalter entstanden, geht aber vermutlich auf einen verlorenen Nask des Awesta zurück.41 Für das beträchtliche Alter der iranischen Anschauungen spricht gerade der PhiloText, von dem man sich schlecht vorstellen kann, daß er später auf den Iran eingewirkt hat. Andererseits erscheint nur auf dem Hintergrund einer solchen Parallele von Zurvan und Gayomart begreiflich, wieso aus einem Nebeneinander von Aion und Urmensch, beide männlichen Geschlechts, eine sexuell differenzierte Menschheit hervorgeht. Zugleich wird einsichtig, warum nach der Fortsetzung 10,9 aus Aion und Protogonos gleichsam in einem zweiten Anlauf42 so völlig andersartige Gebilde wie Licht, Feuer und Flamme hervorgehen. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Ausfächerung des | iranischen Lichtglanzes, dessen ursprüngliche Funktion als Seelenelement43 nicht mehr begriffen wird. 69/70 Zwischen dem Verweis auf die zwei Gruppen verschiedenartiger Abkömmlinge von Aion und Protogonos wird zum Paar Genos und Genea eine Notiz hinzugefügt: Als aber wiederholt Trockenheit gekommen wäre, hätten sie die Hände zum Himmel, hin zur Sonne, ausgestreckt; denn diesen Gott...hielten sie für den einzigen Herrn (ku,rioj) des Himmels, Beelsamen genannt, der bei den Phönikern Herr des Himmels ist, Zeus aber bei den Griechen.“

Die überraschende Gleichsetzung des Beelsamen mit der Sonne wird auf das Konto des Philo zurückgehen, sie entspricht späterer solarer Theologie44 und enthebt den Schriftsteller der Nötigung, für diesen überragenden Gott (aus Tyros45) eine euhemeristische Erklärung zu finden. Aus solcher Gesinnung und also aus seiner Feder ist vielleicht die Erwähnung einer Trockenheit geflossen; dabei hat er übersehen, wie wenig angemessen es ist, daß bei einer solchen Katastrofe ausgerechnet zum Sonnengott, der doch die Hitze hervorruft, gefleht wird. Der Text wird einst gelautet haben, daß gleich das erste Menschenpaar mit der Gottesverehrung und dem Aufblick nach oben ange40

Schaeder, Studien, 223–232, zum Namen S. 226, Anm. 1; Colpe, Art. Gayǀmart, 353. Schaeder, Studien, 209; vgl. den Beleg im altiran. Yašt 13,87: „Wir verehren den Schutzgeist des frommen Gayo Martan, der als erster des Weisen Herrn Sinn und Lehren vernahm, von welchem abstammt die Familie der arischen Völker, der Same der arischen Völker“, H.Lommel, Die Yäšt's des Awesta, Göttingen 1927, 122. 42 avpo. ge,nouj 10,9 bleibt zweideutig. Heißt es „aus dem Geschlecht“ des Aion und Protogonos (Clemen, Religion, 21), wobei wiederum ein rein männliches „Elternpaar“ vorausgesetzt wäre, oder „aus dem (Sohn) Genos“ von Aion und Protogonos (Baumgarten, Phoenician History, 142), wobei der Ausfall der Mutter auffällig wäre? 43 Schaeder, Studien, 230, Anm. 2. Miller, Fire, denkt an eine Beziehung zu Flammen und Feuer Jams oder Els in ugaritischen Texten. 44 Attridge/Ogden, Philo, 81. Zu möglichen Parallelen bei den Nabatäern und in Baalbek s. Cross, Canaanite Myth, 7, Anm. 13. 45 Die Wortform ist freilich aramäisch, nicht phönizisch. 41

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fangen hatte. Das läuft parallel zur Aussage über die Beschauer des Himmels in der ersten Kosmogonie. Die Enstehung und das Aufkommen seines göttlichen Meisters, der hier unvorbereitet auftaucht, wird in der Vorlage eingehender geschildert gewesen sein. Vermutlich hat Philo es ausgelassen, weil es ihm zu mythologisch war. Dafür hat er einige andere, recht unpassende Bemerkungen eingesetzt. Desinteressiert an einer Zeitmacht, erklärt er Aion zu einem Erfinder der Ernährung durch Baumfrüchte und einem sterblichen Mann, wie ebenso Protogonos.46 Als sterblich werden auch Phos, Pyr und Plox als nächste Generation erklärt. Philo weiß aber immerhin um die Bedeutung dieser Worte und weist den Gestalten deshalb die nach hellenistischer Auffassung wichtige Erfindung des Feuers zu. Von den drei Licht- und Feuerkräften wird eine vierte Generation von Riesen abgeleitet, „deren Namen den Bergen, über die sie geherrscht hatten, | beigelegt wurden, so daß nach ihnen der Kassion, der Libanon, der Antilibanon und der Brathy genannt wurden“. Gemeint sind die hier anderwärts belegten Gottheiten des Zeus Kasios-Baal Safon, Baal Lebanon, Baal Sirjon und der Baal eines „Zypressenberges“, falls der Wortlaut zutreffend erhalten ist.47 70/71 An dieser Stelle scheinen sich schon bei Sanchunjaton verschiedene Überlieferungen gekreuzt zu haben. Von Riesenabkömmlingen der frühen Menschen wird auch sonst erzählt (vgl. Gen 6,1–4), insofern handelt es sich eher um Nachkommen von Genos und Genea als der zuletzt genannten Lichtmächte. Hingegen läßt die Abkunft der Berge sich durchaus auf die Schmiedekraft von Feuer zurückführen. Ihre Einführung als neue Generation parallel zu Genos und Genea erinnert an den Ausfluß der Metalle aus Gayomarts Körper; als verbindendes Glied läßt sich vielleicht auf die Edelsteinberge 1.Hen 18,6–18 verweisen, hinter denen ein Feuer lodert und die bis zum Himmel emporragen; in 1.Hen 24,1–3; 52,2–6 bestehen sie aus Metallen. Aus dem Herrn der vier Berge entsteht schließlich Samenrumos, „der auch Hypsuranios ist“, als letzter in der Folge sprunghafter Entwicklungen bzw. ungewöhnlicher Abkünfte, ehe dann eine schlichte menschliche Generationenfolge einsetzt. Die modernen Textausgaben fügen an dieser Stelle zu dem Namen einen zweiten „und Usoos“ hinzu, weil der Rückverweis auf eine Mehrheit folgt: „Nach ihren Männern...nannten sie sich; da damals die Frauen sich ungehemmt mit jedem vermischten, dem sie begegneten“ und weil in den folgenden Sätzen Usoos als Bruder des Samenrumos eine Rolle spielt.48 46 Dessen phönikischer Name lautete wohl qadmon, weshalb griechisch der Drachentöchter Kadmos vermutlich zum Bruder von Phoinix und Europa geworden ist. 47 Dazu Ebach, Weltentstehung, 132–148; Attridge/Ogden, Philo, 82, Anm. 55. 48 Nicht völlig auszuschließen ist, daß sich die Notiz von der Promiskuität auf die Väter der Bergherren bezieht, dann erübrigte sich die Korrektur und Samenrumos wäre das letzte Glied der Kosmologie.

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Nach dem nächsten Absatz wohnt Hypsuranios in Tyros. Daraus hat Eißfeldt geschlossen,49 daß hier zwei Stadtteile personifiziert werden, nämlich Uzu/Ušu, der auf dem Festland befindliche Teil von Tyros, und ~mr ~mv „Hoher Himmel“ als Teil von Sidon. Während der erste Name zutrifft, bedeutet ~mr ~mv in Sidon50 wohl eher den Namen „des Tempels“ einer Gottheit, die vielleicht mit der später als weiblich eingestuften Semiramis in Askalon zu vergleichen ist. Das läßt an Eißfeldts Deutung zweifeln. Die Fortsetzung beschreibt kulturelle Errungenschaften, die sich in der Tat auf Tyros beziehen, doch die | in 18,10 beginnende Technogonie stellt wahrscheinlich ein einst selbständiges Überlieferungsstück dar, das zwar mit der Kosmogonie 10,7–9 durch den Namen Samenrumos verflochten ist, aber nicht von jeher dazu gehörte. Das beweist schon die Einordnung der Gestalt „Hoher Himmel“ am Ende von 10,7–9. Wieso sollte das am Meer gelegene Alttyros ausgerechnet auf einen großen Berg als Vater zurückgeführt werden und zwar so, daß der wirkliche Erzeuger nicht etwa der sichtbar dahinter aufragende Libanon ist, sondern im Unklaren bleibt?51 Leichter ist vorstellbar, daß hier die Himmelshöhe durchaus wörtlich gemeint ist und die vorher genannten Berge als Weltachse und Träger des Himmels in Frage kommen, vergleichbar der Aussage Ps 89,12–15, wo vier ähnliche (oder gleiche) syrisch-palästinische Berge als Stützen des himmlischen Gottesthrones gelten. Mit der Enstehung des Himmelsgewölbes Samenrum – als Wohnsitz des vorgenannten Beelsamem? – erreicht die Schilderung der Weltenstehung einen befriedigenden Abschluß. 71/72 Eine bemerkenswerte Bestätigung findet die zweite Kosmogonie des Philo-Sanchunjaton durch ein Mosaik aus Chahba-Philippopolis, auf das Du Mesniel du Buisson aufmerksam gemacht hat52 und das sich im Museum von Damaskus befindet.53 Es zeigt in einem oberen Streifen vier blasende Winde und in ihrer Mitte wassergießenden Regen. Zu unterst sitzt in der Mitte die weibliche Erde, umgeben von Genien der Fruchtbarkeit. Rechts davon ist Prometheus dabei, den Protoplasten als Ersterschaffenden zu bilden, zu dem Hermes eine weibliche Psyche heranführt. Links aber thront als größte Figur des Bildes Aion auf einem fünfeckigen Felsen, mit dem Ring des Himmelskreises oder des Zeitlaufes in der Hand, hinter ihm die Vertreter der vier Jahreszeiten. 49

Eißfeldt, Ras Schamra, 123–126; kritisch dazu Ebach, Weltentstehung, 149–159. KAI Nr. 15 als Bauwerk des Bodastart, TUAT II, 593. Zur Deutung s. Ebach, Weltentstehung, 149–159. 51 Eine andere Erklärung der Promiskuität versucht Ebach, Weltentstehung, 156. 52 S. 43f + Fig. 11. 53 S. Abdul Hak, Les trésors du Musée national de Damas, pl. XXX (mir nicht zugänglich). Farbige Wiedergabe bei A.Bahnassi, Die Kunst des Alten Syriens, Stuttgart 1987, Abb. 148. 50

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3. Wandlungen der Kosmogonie in Syrien

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Die Abbildung vereinigt die wichtigen Gestalten des Philotextes, verniedlicht freilich ihre Erscheinung und versetzt sie in eine bukolische Szene. Aion und der Ersterschaffende rahmen wuchtig das Geschehen. Die anfängliche Windmacht ist auf die vier griechischen Winde verteilt, in ihrer anthropologischen Funktion erscheint sie als Psyche. Die rätselhafte Baau ist zur Ge geworden. Die Berge tauchen als Sitzgelegenheit von Aion und Prometheus auf. Nur die Lichtkräfte und der hohe Himmel fehlen. Zusätzlich sind griechische Gottheiten und Heroen wie Hermes, Prometheus und Triptolemos hinzugefügt; die Grundlagen des Daseins werden stärker hellenisiert und dabei zugleich mythologisiert. Dennoch bestätigt das Mosaik schlagend die Eigenständigkeit und Bedeutung der zweiten, wohl aus Tyros stam|menden Kosmogonie des Philo. Zugleich läßt es erkennen, daß jener Text nicht nur eine singuläre Spekulation über eine ferne Urzeit wiedergibt, sondern ein für damalige Frömmigkeit wichtiges Thema zum Inhalt hatte.54 72/73 In den bei Philo erhaltenen Texten stehen also deutlich zwei ursprünglich selbständige Kosmogonien hintereinander. Sie ähneln sich im Aufriß. Von der Windmacht und ihrer weiblichen Partnerin geht es über Vorstufen des Menschengeschlechts hin zur jetzigen Menschheit und zu den Himmelshöhen und Himmelskörpern. In der zweiten Fassung hat der Aion-Ulom jedoch 54 Auf weitere syrische Aion-Mosaike weist M.P.Nilsson, Geschichte der griechischen Religion II, München 21961, 504 und Anm.4: „Die Zeitabschnitte genossen eine eigentümliche Popularität in Antiochia; viele dort gefundenen Mosaiken stellen Monate, Jahreszeiten, Sonnenwenden, die Vergnügung des Phönix dar.“

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eine zentrale Stellung erhalten, die im ersten Beispiel noch fehlt. In diesem Zusammenhang ist eine Tradition der Menschenerschaffung eingefügt worden, die auf iranische Herkunft verweist. Falls diese zweite Kosmogonie schon ein Bestandteil des originalen Sanchunjaton-Werkes war, kann dieses nicht vor der Perserzeit entstanden sein. Andererseits verweist die unbedeutende Rolle von aktiven weiblichen Kräften und von Göttinnen in den nachfolgenden theogonischen Texten auf vorhellenistische Zeit. Hat Sanchunjaton schon beide Kosmogonien hintereinander niedergeschrieben, ähnelt seine Arbeitsweise auch darin der des Redaktors der beiden Schöpfungsberichte von Gen 1 und 2,4ff. Nicht nur Inhalt, auch die Redaktionsweise | erinnern an den Anfang des Alten Testaments. 3. Wandlungen der Kosmogonie in Syrien 73/74

3. Die Wandlungen der Kosmogonie in Syrien vom 2. zum 1. Jahrtausend v.Chr. Was griechische Nachrichten über phönikische Weltenstehungslehren mitteilen, setzt die Überzeugung eines uranfänglichen Prozesses voraus, bei dem noch keiner der späteren Götter existierte, sondern einerseits ein Windelement – ave,r, pnoh,, a;nemoj, pneu/ma übersetzt, was wohl jeweils auf phönikisch x:Wr zurückgeht –, andererseits eine schmutzige, dunkle, unten befindliche Masse anfanglos vorhanden und irgendwann durch Vermischung aktiv geworden. Von solchen Ideen war das syrische 2.Jahrtausend nach allem, was wir wissen, noch weit entfernt. In den ugaritischen Texten, die uns für jene Epoche zur Verfügung stehen, gehört zwar die Windkraft rμ zu den Begleiterscheinungen des mächtigen Wettergottes Ba‘al-Haddu wie Wolken und Gewitter (KTU 1.5 V 7 vgl. WUS Nr. 2494), aber eben nur zu einer Begleiterscheinung. Die Vitalpotenz npš des Menschen kann zwar mit rμ verglichen und damit als windartig eingestuft werden (KTU 1.18 IV 25.36), aber beide Begriffe sind noch nicht wie später im Alten Testament austauschbar, rμ hat also noch nichts von „geistiger Kraft“ an sich, wie dann im Hebräischen. Von Mächten der Finsternis oder einer anfangslosen unterirdischen Masse ist zudem nirgends die Rede. 75 Dagegen wird in Ugarit mit El als Präsident des Pantheons eine Art Schöpfergottheit vorausgesetzt, wenngleich ausführlichere mythische Beschreibungen bislang noch nicht gefunden worden sind. Doch El trägt Titel wie „Bauer des Erbauten“, bn bnwt (KTU 1.4 III 1; 1.6 II 5; 1.17 I 25) oder „Vater der Menschheit“, ad adm (KTU 1.14 I 37.43), seine Gemahlin A‰irat heißt „Erzeugerin der Götter“, qnjt ilm (KTU1.4 I 23; III 26), so daß ein anfängliches Götterpaar die Kosmo-und Theogonie hervorgerufen oder aus sich erzeugt hat und nicht eine Vermischung und Gärung von Urstoffen die

Pyr

Erde

(Götter der) 5 Weltregionen

Pneuma Hydor

Himmel (?)

Zas + Chronos + Chtonie

Pherekydes

Aër

Weltei ?

Aura

Pothos + Omichle

Chronos +

Sidonisch (Eudemos)

Himmel

Chusor

Ei

Erde

Ulomos

Aither + Aër

Mochos

(z.T. eiförmig)

Lebewesen

Gestirne

?

Mot (Himmel)

Pothos

Aër/Pnoë – finsteres Chaos

Philo – Taautos

Weltentstehung phönizisch

Samemrumos = Hysuranios

4 Riesen als Berge

Genos + Genea Phos Pyr Phlox

Aion + Protogonos

Kolpia-Anemos Baau-Nacht(?)

Philo – Tyros ?

75 3. Wandlungen der Kosmogonie in Syrien

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Welt hat entstehen lassen. Die Schöpfertätigkeit Els wird auch durch dessen Prädikat qn ’rs (kunirsa) belegt, das seit ungefähr 1200 v.Chr. nachzuweisen ist und sich noch nach der Zeitenwende in palmyrischen oder punischen Belegen findet.55 Zu den kosmogonischen Ableitungen bei Philo von Byblos klafft also ein tiefer Graben, sobald man Ugarit daneben stellt. Soweit dessen Angaben tatsächlich auf eine Schrift des Sanchunjaton zurückgehen, läßt sich diese nicht in das 2.Jahrtausend versetzen, sondern frühestens in die neuassyrisch-| neubabylonische Zeit.56 74/76 Wenn die Phöniker des ersten Jahrtausend, wie in der Regel angenommen, Nachfahren einer semitischen Bevölkerung sind, die bereits gegen Ende des 2. Jahrtausends in dieser Gegend ansässig war, hat sich also im mythologischen Denken und der kosmologischen Orientierung der Menschen dieses Raumes ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Nicht mehr die polytheistische Ungereimtheit rivalisierender göttlicher Mächte stellt nunmehr den letzten Grund der Wirklichkeit dar, sondern bestimmte, weithin empirisch faßbare Elementarmächte. Ein Bedürfnis, die Lebenswelt und die Wirklichkeit auf eine einheitliche Ursprungskonstellation zurückzuführen, setzt sich durch. Im benachbarten Israel führt ein ähnliches Bestreben zu Monolatrie und später zum Monotheismus. Die Phöniker schlagen eine andere Bahn ein und suchen nach vorgöttlichen Urmächten. Der Anfang bleibt aber bei ihnen zwei- oder dreigestaltig, wenngleich einer Windenergie der überlegene Antrieb zu den nachfolgenden Gestaltungen zugeschrieben wird. Hinzu tritt überschießend in den meisten oben vorgeführten Belegen eine Zeitmacht, die allerdings eigentümlich unverbunden neben den anderen Urstoffen zu stehen scheint. Der mythologische Umbruch hat sich jedoch nicht bei allen Bewohnern des Landes vollzogen. Selbst bei Philo wird nämlich neben den beiden oben behandelten „gottlosen“ Kosmogonien eine weitere überliefert, die offensichtlich aus Beirut stammt und ein anfängliches Götterpaar noch immer voraussetzt. Nachdem Philo die Reihe der Kulturerfinder behandelt hat, setzt er mit einer Theogonie ein, die mit dem Vorhergesagten lose verbunden und dadurch als Folge der bisherigen Entwicklung ausgegeben wird, die aber augenscheinlich auf eine andere mythische Überlieferung über den Uranfang zurückgreift ( P.E. I 10,15:): Zu ihrer Zeit entstand ein gewisser Eliun, genannt Hypsistos, und ein weibliches Wesen namens Berut, beide wohnten bei Byblos. Aus ihnen wurde geboren Epigeios oder Autochthon, der später Uranos genannt wurde. Geboren wurde ihm eine Schwester von den Vorgenannten, welche Ge genannt wurde. 55 56

LipiĔski, Art. hnq, 67f. Gese, Religionen, 31–34; Ebach, Weltentstehung, 14–16; vgl. Barr, Philo, 36f.

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4. Beziehungen zu Hellas und Ägypten

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Uranos ehelicht Ge, beiden werden vier Söhne geboren: El-Kronos, Baitylos, Dagon-Siton und Atlas. In dieser Göttergeschichte steht der „auf der Erde befindliche“ Epigeios offensichtlich an der Stelle des Protogonos in der vorangegangenen Kosmogonie; die vier göttlichen Söhnen einschließlich des Himmelsträgers Atlas entsprechen den vier Herren der Berge (10,9), und Uranos dem Samemrumos, wenngleich er hier in eine frühere Generation eingereiht wird. Die Aufnahme dieses Abschnittes beweist, daß es im | phönikischen 1.Jahrtausend durchaus Kreise gab, die für die Weltentstehung am überkommenen Polytheismus festgehalten haben. Freilich ist vom Schöpferpaar El-A‰irat der früheren Zeit die männliche Gestalt herabgestuft und ins dritte Glied gerückt worden und die weibliche völlig verschwunden. Dafür ist eine neue Gestalt eines Allerhöchsten (wahrscheinlich ‘äljon) an die Spitze gerückt. Diese gewiß aus Beirut stammende Konzeption erinnert an die oben nach Nonnos aufgeführte Anschauung von Aion und Beroë als Uranfang; in den Traditionen dieser Stadt ist demnach in der Zeit nach Sanchunjaton (oder erst nach Philo?) aus dem Allerhöchsten ein allumfassender Zeitgott geworden. 4. Beziehungen zu Hellas und Ägypten 76/77

4. Beziehungen zu Hellas und Ägypten Seit langem ist bekannt, daß die Angaben des Philo-Sanchunjaton an die Anfänge der griechischen Philosophie erinnern. Diese setzen in der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. im jonischen Milet mit der Suche nach einer jenseits der mythischen Gottesgestalten liegenden und allem Seienden zugrundeliegenden avrch,57 ein. Insbesondere die Behauptung des Anaximenes, daß avh,r ein lebendiger Urstoff und zugleich eine Seelenkraft sei, erinnert an phönikische Ideen. Allerdings setzen die oben angeführten Texte aus Syrien nirgends einen einzigen Naturgrund voraus, wie es dann die Naturphilosophen tun.58 Das spricht dafür, daß Phönikien eine ältere Stufe widerspiegelt, also die gebende Seite und die Griechen die Empfangenden waren. O. Eißfeldt (Kosmogonie) hat einen entsprechenden Nachweis für die Theorie des eine Generation älteren Anaximandros von dem grenzenlosunbestimmbaren Apeiron als dem Uranfang versucht. Wenngleich in diesem Fall sich eher iranische Anstöße nahe legen,59 so bleiben doch die Zweifel Eißfeldts „an der herkömmlichen Meinung, die Ersetzung oder 57

W.Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953 = 1964. Ebach, Weltentstehung, 76–79. 59 West, Philosophy, Kap. 3. Eißfeldt, Kosmogonie, hatte in U. Hölscher, Anaximander, einen gewissen Vorläufer. 58

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doch Ergänzung der religös-mythischen Welterklärung durch die rationalnaturwissenschaftliche Kosmogonie sei allein den Griechen zu verdanken“,60 durchaus berechtigt. Wie vorwärts nach Hellas, so läßt sich rückwärts nach dem alten Ägypten eine Brücke schlagen. Theorien über eine Weltentstehung aus Urstoffen, die als eine Art Vorgötter eher als die großen, kultisch verehrten Gottheiten existierten und diese aus sich herausgesetzt haben sollen, erinnern an die Mythologie der „Achtstadt“ Schmun-Hermopolis in Mittelägypten. Nach | Baumgartens Meinung61 findet sich hier sogar „the precise equivalence“ zu den phönikischen Aussagen. Für Schmun ist in der Tat seit den Sargtexten des frühen zweiten Jahrtausends die Idee von vier vorweltlichen Wesen belegt, die als männlich-weibliches Paar, jeweils frosch- und schlangenähnlich vorgestellt, zusammengehören. Zu ihnen zählt das Urgewässer Nun, dann die ungestaltete Endlosigkeit Heh und die undurchdringliche Finsternis Kek – je mit einer weiblichen Entsprechung –, während die vierte Größe auffällig wechselt, entweder gilt sie als die Verneinung Niu oder das Verschwinden Tenemu, der Mangel Gereh oder die Verborgenheit Amon.62 Sethe, dem wir die gründlichste Behandlung der Lehre verdanken, hat Amon als das älteste vierte Glied, zudem als Luftgott und als die eigentlich treibende Kraft innerhalb dieser Urstoffe interpretiert.63 Doch diese Ausdeutung entspricht eher dem alttestamentlichen Schöpfungsbericht Gen 1,2 als ägyptischen Texten. Für die Ägypter ist Amon weit mehr Sonnen- als Luftgott. Der Luft kommt in dieser ägyptischen Konzeption nur insofern eine Rolle zu, als gelegentlich die Achtheit insgesamt auf den Gott der Leere Schu zurückgeführt wird, der zugleich als Luftgott gelten kann.64 77/78 Für den Vergleich mit Phönikien mindestens ebenso belangvoll ist, daß seit dem Neuen Reich in Ägypten den Acht die Erzeugung eines Eis zugeschrieben wird, aus dem der Sonnengott hervorgegangen ist; von ihm rühmt ein Hymnus: „Du bist hoch hinaufgestiegen, als du aus dem geheimnisvollen Ei (hervorkamst) als Kind der Achtheit“.65 Die Mächte werden deshalb gelegentlich als Schöpfer des Lichtes, ebenfalls Schu genannt, gerühmt.66 Freilich kann es in ptolemäischer Zeit auch umgekehrt heißen, daß das Ei 60

Kosmogonie, 511f. History, 110, ähnlich Ebach, Weltentstehung, 31f. 62 RÄRG, 5f; Morenz Religion, 184–188; Helck, Art. Achtheit, 330; Altenmüller, Art. Achtheit, 56–57; Koch, Geschichte, 107–150. 63 Sethe, Amun, §§ 81ff, bes. § 151; danach Morenz, Religion, 185. 64 RÄRG, 685; Helck, Art, Schu, 394f. 65 Quellen des alten Orients, I. Die Schöpfungsmythen, Einsiedeln 1964, 81, Anm. 134 nach Erman, ZÄS 38, 1900, 24, vgl. Sethe, Amun, § 160, Morenz, Religion, 467. 66 Sethe, Amun, § 100. 61

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4. Beziehungen zu Hellas und Ägypten

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aus dem Samen des Götterkönigs Amon bzw. Ptah hervorgegangen ist und die Achtheit in sich barg.67 In griechisch-römischer Zeit wird dies sogar die vorherrschende Ansicht.68 Eine Verwandtschaft dieser ägyptischen Weltentstehungstheorie mit den phönikischen Anschauungen legt sich nahe. Beide Kulturen rechnen mit vorgöttlichen Elementen, die bisweilen einem Luftgott oder Luftstoff nachfolgen, bisweilen ihm vorangehen. Allerdings gibt es zu keinem | der hermopolitanischen Paare eine direkte phönikische Entsprechung; die alttestamentliche Schilderung eines vorweltlichen Zustands mit Tohu-wa-bohu, Finsternis, Urgewässer und Wind Gen 1,2 berührt sich viel enger mit der ägyptischen Vorstellung.69 Was die phönikische und die ägyptische Anschauung am engsten verbindet, ist die Verknüpfung der Urkräfte mit einem Weltei, wie sie bei Mochos und wahrscheinlich bei den Sidoniern des Eudemos belegt ist. Beim Erstgenannten tritt noch die Erwähnung Chusors als Öffner des Eis hinzu, denn dieser Gott wird wohl schon ugaritisch mit dem ägyptischen Ptah gleichgesetzt, und dieser wiederum hat es, wie erwähnt, mit dem Ei der Achtheit zu tun.70 78/79 Auf eine Entlehnung aus dem Niltal fußt vermutlich auch der sagenhafte Taautos, auf den Philo sich beruft und den er selbst mit dem ägyptischen Thot zusammenstellt.71 Der Weisheitsgott Thot aber war der Hauptgott von Schmun, eben jenes Heiligtums, an dem die Überlieferung von der urzeitlichen Achtheit ausgebildet worden war. So erscheint möglich, wenngleich nicht beweisbar, daß die Anstöße zu der veränderten syrischen Kosmogonie aus Hermopolis herrühren. Weil die phönikischen Hafenstädte seit Jahrhunderten im regen Handelsverkehr mit Ägypten standen und zahlreiche Dokumente ägyptischer sakraler Kunst in Syrien gefunden worden sind, ist eine solche Annahme historisch durchaus denkbar. Allerdings lassen insbesondere die auf Tyros zurückgeführten Nachrichten erkennen, daß der ägyptische Ansatz in Syrien radikalisiert worden, und in eine Auffassung über eine vorweltliche Epoche verwandelt worden ist, in der es nur diese Urstoffe und keinerlei Götter gab. Vermutlich hängt diese Form von Entmythisierung mit dem oben erwähnten Niedergang des Göttervaters El und seiner Partnerin Atirat zusammen. Parallel dazu tritt der Wettergott in den Hintergrund; der Baal-Haddu des 2.vorchristlichen Jahr67

Quellen des alten Orients, 81f. Sethe, Amun, § 122. 69 Kilian, Gen I 2, 420–438. 70 Ebach, Weltentstehung, 180f. Allerdings bringt Ptah das Ei hervor und zerbricht es nicht. Morenz, Religion, 468, will freilich auch diese Handlung auf Ptah aufgrund eines mehrdeutigen Pyramidenspruchs zurückführen. 71 Loewenstamm, Philo, 463f.; die Ableitung hält Barr, Philo, 38f, für sekundär. 68

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tausends erscheint zwar bei Philo (10,31) noch als Adodos mit dem Titel Götterkönig, wird aber einer jüngeren Generation zugewiesen und hat keine weiterreichende Kompetenz. Überraschend bleibt, daß selbst große, nicht regional begrenzte Gottheiten des letzten vorchristlichen Jahrtausends wie Baal Schamem nach diesen Kosmogonien erst nachträglich in Raum und Zeit erschienen seien sollen. Insofern greift der Euhemerismus des hellenisierten Philo eine vielleicht in seiner Heimat bereits latent vorhandene Strömung auf, die der polytheistischen Götterwelt zurückhaltend gegenübersteht. | Wie aber erklärt sich das Auftauchen einer uranfänglichen Zeitsubstanz Chronos – Aion – Ulom zwischen den anderen Urkräften? Eine ägyptische Herleitung auch für dieses Motiv hat die Iranistin M.Boyce versucht.72 Den Anstoß gibt ihr das parallele Auftauchen einer Zeitgottheit Zurvan innerhalb der zoroastrischen Religion, was Nyberg73 in das 7. Jh. versetzt, Boyce aber erst in das 5. Jh.v.Chr. Sie vermutet dafür Phönikien als Ursprungsland, wo „perhaps in the seventh or sixth century B.C., a myth about a god of Time which was possibly a local development from one aspect of Egyptan sun-whorship“ sich ausgebildet hatte.74 Nun gibt es in der Tat überraschende Parallelen zwischen dem iranischen Zurvan und dem phönikischen Ulom, was die Weltentstehung betrifft. Doch die Rückführung der Zurvanidee auf Phönikien bleibt problematisch und der behauptete ägyptische Ursprung für beide Religionen mehr als unwahrscheinlich. Denn das Ägyptische kennt keinen zusammenfassenden Begriff für Zeit, wohl aber seit alters ein männlich-weibliches Paar, nμμ und ¼t, wobei das erste Lexem den ständigen Wechsel hervorrufenden, unüberschaubaren Zeitrythmus und das zweite eine homogen-dauerhafte Zeitfülle in sich begreift. Beide Größen sind substanzhaft gedacht, die erste wird gern mit dem Sonnengott Re, die zweite mit dem Totengott Osiris zusammen gesehen.75 Von dieser eigenartigen Zeitdualität und ihrer unterschiedlichen Inhaltsbestimmung findet sich außerhalb des Niltals keinerlei Spuren. So bedarf das Auftauchen eines allumfassenden Ulom als Urmacht bei den Phönikern einer anderen Erklärung. Ehe eine solche versucht wird, sind aber noch andere Textbereiche einzubeziehen. 79/80 5. Phönikische Kosmologie in Karatepe

72

Zoroastrianism, 150–152; vgl. West, Philosophy, 35f. Religionen, 104f. 280–289, entsprechend Widengren, Religionen, 149–151. 74 Boyce, Zoroastrianism, 152. 75 Assmann, Zeit; Westendorf, Raum und Zeit, 422ff; Hornung, Geist, Kap. IV. 73

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5. Phönikische Kosmologie in Karatepe

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5. Phönikische Kosmologie in Karatepe Den griechischen Nachrichten über Phönikien ab der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends läßt sich also entnehmen, daß eine Verkörperung der Zeitganzheit, griechisch Chronos oder Aion, phönikisch Ulom genannt, in der Auffassung der Einheimischen eine maßgebliche Rolle bei der Weltenstehung gespielt hatte. Mit dem Begriff ist nicht eine abstrakte Ganzheit reiner Chronometrie gemeint, sondern eine welterzeugende Urmacht, die zumindest das Feuer, aber auch andere tragende Strukturen des Kosmos aus sich entlassen hat. Die Einordnung des „Zeitalls“ in die Reihe anderer Urkräfte | wird verschieden vorgenommen, in manchen Fällen wirkt deshalb Ulom-Aion wie ein nachträglich aufgepfropftes Teil. Da eine solche Zeitmacht in der ugaritischen Mythologie völlig fehlt, liegt die Vermutung nahe, daß mit ihr in der phönikischen Religion des ersten Jahrtausends ein bedeutsames neues Element eingedrungen ist, das dem vorangehenden Jahrtausend noch unbekannt war. Zudem hat es den Anschein, als ob in den jüngsten Überlieferungen der stark hellenisierten Städte um die Zeitwende diese uranfängliche Zeitmacht zwar nicht völlig verschwindet, aber ihre führende Rolle wieder einbüßt. Philo macht aus Aion einen sterblichen Menschen. 80/81 Wie erklärt sich ein Bedürfnis, für die Weltenstehung eine substanzhaft vorgestellte Zeit als entscheidenen Faktor vorauszusetzen? Und auf welche Weise hat diese Mythologem in das religiöse Empfinden Eingang gefunden? Leider fehlt es an ausführlichen Dokumentationen der syrischen Religion im ersten Jahrtausend, weil alles, was auf Papyrus geschrieben war, sich in dieser Landschaft nicht erhalten hat. Inschriften auf Stein verzeichnen zwar einzelne Götternamen, sagen aber aufgrund naturgemäßer Kürze selten etwas über deren Wesen aus. Eine gewisse Ausnahme bildet aber die im südanatolischen Karatepe gefundene Inschrift des Azitawada,76 die wohl aus dem Ende des achten Jahrhunderts stammt.77 Sie gruppiert im Verwünschungsabschnitt die Gottheiten nach einer auffälligen Dreiheit, in der Himmel, Erde und Olom als Bereiche der höchsten Götter erscheinen. Falls jemand den Königsnamen auf den Inschriften auslöscht oder gar Stadt und Tor einreißt, wird ihm angedroht: BIII 18 wmμ b‘l šmm w’l qn ’rƒ 19 wšmš ‘lm wkl dr bn ’lm ’t hmmlkt h’ w’jt hmlk h’ w’jt (VI 1) ’dm h’ ’š ’dm šm ’ps 2 šm ’ztwd jkn l‘lm km šm šmš wjrμ Auslöschen sollen Baal Schamem und El-Schöpfer-der-Erde und der Sonnengott des Olom und das ganze Geschlecht der Götter/El-Söhne jenes Königreich und jeden

76 77

KAI Nr. 26; ANET, 653f; TUAT I, 640ff. Hawkins, Art. Karatepe, 410f.

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König und jene Menschheit, sofern sie eine Namensmenschheit ist. Doch der Name des Azitawada soll bleiben bis zum `olom wie der Name der Sonne und des Mondes.

Das gesamte Pantheon wird zur Verfolgung des Frevlers aufgerufen. Ihm steht Baal Schamem als Himmelsmeister voran. Anders als in Ugarit wird also die Spitze des Pantheons im himmlischen Bereich verortet. El, einst die führende Gestalt, wird ins zweite Glied gerückt, sein Bereich auf die Erde (und Unterwelt?) beschränkt, weil er sie gestaltet hat. An dieser Stelle wird jenes oben erwähnte Elkunirsa-Prädikat aufgegriffen, das schon im zweiten | Jahrtausend belegt ist und später in Leptis Magna78 bis nach Palmyra79 auftaucht. In der palästinischen Elverehrung war das Erschaffen/Gestalten Els (hnq) nach Gen 14,19.22 nicht nur mit der Erde, sondern auch mit dem Himmel verbunden. Die Anführung einer Baal- und einer El-Ausprägung an der Spitze der Göttergesellschaft entspricht trotz umgekehrter Reihenfolge dem, was aufgrund der Nachrichten des beginnenden ersten Jahrtausends für Phönikien zu erwarten ist. Was überrascht, ist die Nennung eines „Sonnengottes des Olom“ an dritter Stelle, vor dem zusammenfassenden Begriff für die übrige Götterwelt. Schamasch ist zum Rang einer dritten Person in der höchsten Triade aufgerückt, was sonst nicht nachzuweisen ist. Erklärt sich das aus seiner Bindung an Olom? Wird mit diesem Ausdruck ein dritter Bereich zur Sprache gebracht, der neben Himmel und Erde das All konstituiert? Gleich im nächsten Satz wünscht sich der König, daß sein Name l‘lm bestehe „wie der Name der Sonne und des Mondes“. Die beiden Gestirnsmächte gewährleisten also beständige, unendliche Dauer. Hier schimmert der aus dem Alten Testament bekannte ältere Sinn von ~l'A[ als ferne Zeit der Zukunft (alternativ: der fernen Vergangenheit) noch durch. Doch im Titel šmš ‘lm scheint der zweite Begriff nicht nur futurisch gemeint zu sein, sondern, parallel zu Himmel und Erde, die sich von weit her nach weit hin erstreckenden Zeitganzheit zu betreffen. Zeigt sich darin eine Vorstufe zu dem, was die oben behandelten griechischen Nachrichten vermelden? 81/82 Die weibliche Sonne wird in einem ugaritischen Brief KTU 2.42 unter den Göttern des zyprischen Alaschia als špš ‘lm nach Baal-X und vor Astarte, Anat und der Gesamtheit der Götter angerufen.80 Doch welche Konnotationen sich hinter dem Beiwort ‘lm in ugaritischer Zeit verknüpfen, bleibt dunkel. Wird die Sonne als Garant zukünftiger Zeit gewertet (vgl. 2.42,9 die Wendung mlk ‘lm)? Oder verbindet sich mit der Sonne der Mythos eines urzeitlichen Auftauchens, analog dem Titel mlk ‘lm KTU 1.108 für 78

KAI Nr. 129,1. Nachweise KAI II, 47. 80 LipiĔski, Letter; šmš ‘lm erscheint später oft in magischen Texten, Baumgarten, Phoenician History, 147. 79

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6. Der astronomische Henoch

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Rapiu, den urzeitlichen Begründer der Königsdynastie von Ugarit oder Eponym von Unterweltsmächten oder gar urzeitlichen Baal?81 Aufschlußreich für die Wertung der drei Hauptgötter in Karatepe ist ein Vergleich der phönikischen mit der hieroglyphisch-luwischen Version. Hier werden nämlich für die Verwünschung „Tarhunzas des Himmels, Sonnengott des Himmels, Ea und alle Götter“ beschworen.82 Das erste Glied bietet eine | klare Entsprechung zur phönikischen Anrufung und bezieht sich auf den luwisch-hethitischen Wettergott des Himmels, der in seiner Funktion der des syrischen „Himmelsmeisters“ nahe kommt, indem er nicht nur Urheber von Sturm und Regen, sondern auch Garant des irdischen Königtums und „Schützer der Weltordnung“ ist.83 Doch der zweite und dritte Name weisen in andere Richtung, unter bezeichneter Umstellung. Der zuletzt angeführte Ea waltet über die Erde und ist damit dem im phönikischen Text an zweiter Stelle genannten El vergleichbar, gilt aber nicht wie dieser als Erzeuger (qny), sondern „weniger handelnd“,84 nur als Planer und Berater anderer Götter. So ähnelt er in seiner kosmischen Stellung eher der Chthonie des Pherikydes, doch als männliches Wesen. Ihm wird der Sonnengott des Himmels vorgeordnet, der den Hethitern nicht nur als Quelle des himmlischen Lichts, sondern auch als Orakelspender und Richter gegolten hatte,85 aber ohne besondere Zeitrelation vorgestellt wird. Die luwische Version reiht also zwei dem Himmel verbundene große Götter vor einen Erdgott ein und läßt von jener grundsätzlichen kosmischen Dreiteilung, die hinter der phönikischen Version vermutet wurde, nichts erkennen. 82/83 Innerhalb eines als Bilingue verfaßten Textes springt eine solche Diskrepanz zwischen der luwischen und der phönikischen Göttertriade ins Auge. Läßt sie sich anders erklären, als daß die Auffassung von der Struktur des Pantheons bei den beiden Sprachgemeinschaften weit auseinanderklafft? Die luwische Fassung scheint sich an anthropologisch-staatlichen Gesichtspunkten zu orientieren und interessiert sich höchstens in zweiter Linie für eine kosmische Verankerung der ausschlaggebenden göttlichen Mächte. Die phönikische Anordnung hingegen dürfte kosmologisch entworfen sein. Himmel, Erde und ein unübersehbarer Zeitraum konstituieren das All; zu diesen drei Bereichen gehören jeweils maßgebliche Konkretionen, die in ihrer Dreiheit dem Pantheon vorstehen. Der phönikische Begriff ‘olom86 taucht auch hier noch nicht als ein eigenständiges Subjekt auf, wie in den oben angeführten griechischen NachARTU, 1871; Caquot, Textes, 113f.; Dietrich/Loretz, RƗpi'u, 123–127; TUAT II, 822 (Lit.). Hawkins/Morpugo-Davies, Hieroglyphic Hittite, 118, Z. LXXIII. 83 v. Schuler, Art. Wettergötter, 209–210. 84 v. Schuler, Art. Ea, 162. 85 v. Schuler, Art. Sonnengottheiten, 198f. 86 Zur Vokalisierung s. Friedrich, Grammatik, 78. 81 82

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richten. Doch in Parallele zu Himmel und Erde aufgeführt, ist damit gewiß nicht nur ein Ersatz für ein Eigenschaftswort „fortdauernd“ gemeint, sondern eine den beiden räumlichen Konstituenten des Kosmos vergleichbare Zeitgröße. So belegt vermutlich die Karatepe-Inschrift eine wichtige Station auf dem Wege zu der entmythisierten Überzeugung von uranfänglichen Vorgöttern in persisch-hellenistischer Zeit. | 6. Der astronomische Henoch 83/84

6. Parallelentwicklung der hebräischen Zeitauffassung: Der astronomische Henoch In der letzten vorchristlichen Zeit bricht ein angestrengtes geistliches Ringen um das Rätsel der sich lang hin erstreckenden, Menschen wie Welt bestimmenden Zeit nicht nur bei den Phönikern, sondern auch bei den südwärts wohnenden Israeliten auf, wenngleich hier mit einigen Jahrhunderten Verzögerung, die sich wohl daraus erklärt, daß das Volk des Alten Testaments der Tradition seiner Religion stärker verhaftet war. Das phönikische Lexem für Zeitganzheit gehört als ~l'A[ seit je zum Vokabular auch der hebräischen Sprache, bedeutet aber hier wie schon in Ugarit nur eine partielle, fernab liegende Zeitepoche. Ernst Jenni87 hat die einschlägigen alttestamentlichen Belege durchmustert und überzeugend nachgewiesen, daß ~l'A[ entweder die ferne Vergangenheit oder die ferne Zukunft ausdrückt, häufig mit dem qualitativen Nebensinn einer über die gegenwärtige Jetztzeit und ihre Phänomene hinausragenden Dauer und Beständigkeit. Dagegen bedeutet nach seinem Ergebnis ~l'A[ „in vorchristlicher Zeit nirgends einen begrenzt gedachten Zeitraum (Äon)“.88 Zwar postuliert Jenni, daß der Begriff auch beide Zeiterstreckungen zusammenfassen und danach „Zeitdauer, Ewigkeit“ besagen könne,89 weiß aber dafür keinen eindeutigen Beleg vorzuweisen. Sein Ergebnis überrascht deshalb, weil mittelhebr. ~l'A[ bei den Rabbinen vornehmlich räumlich gefüllt wird und die Bedeutung Welt erhält,90 was auf die europäischen Übersetzungen des Alten Testamentes an vielen Stelle abgefärbt hat, so auf die bekannte Wiedergabe von Ps 24,7 bei Luther. Jenni führt den späten Bedeutungswandel in der talmudischen Literatur auf griechischen Einfluß und die Notwendigkeit zurück, für den wichtigen Begriff ko,smoj eine hebräisch 87

Das Wort ‘ǀlƗm. A.a.O., 221: s. ders. Art. ~l'A[, 230; Barr, Biblical Words, 117f; Preuß, Art. 1149; Koch, Qädäm. 89 Das Wort ‘ǀlƗm, 226. 90 Jastrow, Dictionary, 1052. 88

~l'A[, 1147–

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(-aramäische) Variante zu finden, ohne daß ein kontinuierlicher Übergang von der älteren biblischen, zeitlichen zur nachbiblischen, räumlichen Zentrierung aufweisbar erscheint.91 84/85 Es ist nicht der Ort, auf die vielschichtigen und vielsträngigen Wandlungen im hebräischen ~l'A[ -Begriff um die Zeitwende einzugehen. Ein vieldiskutierter Neuansatz findet sich im Buch Qohälät. Da ist von einem ~l'A[ die Rede, der „in das Herz“ der Dinge oder Menschen hineingelegt ist und zu dem hin andererseits alle Geschöpfe von Gott gebildet werden | (Koh 3,11.14).92 Nicht weniger bemerkenswert ist die in der apokalyptischen und neutestamentlichen Literatur zuerst aufweisbare Unterscheidung von „diesem ‘olam“ und „kommendem ‘olam“, wobei die erste Wendung die Zeitganzheit der gegenwärtigen Welt umfaßt, die dabei gefäßartig vorgestellt werden kann 4Esra 3,27; 4,26f; 5,44; 6,19f; 2Bar 73,5 u.ö., oder gar als eine Art Organismus mit Jugend- und Greisenalter 2Bar 85,10; 4Esra 3,26.93 Wie erklärt es sich, daß sowohl bei den Phönikern wie bei den Israeliten in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends die Zeitlichkeit des Daseins und der Welt zum Problem religiösen Denkens wird? Zeit wird anscheinend in dieser Epoche nicht als eine Art chronometrischer Meßlatte empfunden, welche der menschliche Geist als „Anschauungsform“ an die Dinge heranbringt, sondern als eine substanzhafte Kraft, welche den Gegenständen und Personen mit ihren Segmenten innewohnt, die aber darüberhinaus ein unsichtbares Kontinuum darstellt, das alles umfaßt, durchdringt und weitertreibt, was immer Welt heißen mag. Insofern eignet dieser Zeit ein zugleich räumlicher Bezug, aber so, daß entgegen abendländischem Vulgärverständnis nicht Zeit von Raum abhängt, sondern das Verhältnis eher umgekehrt zu bestimmen ist. Zugleich wird solche Zeitganzheit zu einer Macht, der numinose Qualitäten innezuwohnen scheinen. Sie ist jedenfalls den vielen partikularen Mächten des polytheistischen Pantheons vorzuordnen. Wie erklärt sich das überraschend aufbrechende und sich schnell ausbreitende Bedürfnis nach dem Postulat einer solchen kosmologischen Potenz in Sprachen und Kulturen, wo Jahrhunderte lang die religiösen Texte von einer Ausrichtung des Denkens auf eine solche Idee nichts zu erkennen gaben? Eine mögliche Antwort läßt sich vielleicht aus dem astronomischen Teil des ersten Henochbuchs ableiten. Es war vermutlich einmal eine eigenständige Schrift gewesen, wohl der älteste Bestandteil der pseudepigrafen He91

Das Wort ‘ǀlƗm, 34f. Zur Diskussion Galling, Rätsel; Loretz, Qohelet, 281ff; Jenni, Art. ~l'A[, 241f. 93 Harnisch, Verhängnis, 90–106. 92

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nochliteratur.94 In dieser eigenartigen Schrift, welche die Weltordnung der göttlichen Schöpfung durch den Lauf der Gestirne in einem 364-Tage-Jahr manifestiert sieht und den Erzengel Uriel als den Oberbefehlshaber über die für den heilvollen Weltlauf verantwortlichen Geister der maßgeblichen Gestirne voraussetzt, wird die astral orientierte Schöpfung in ihrer Gesamtheit als ‘Ɨlam begriffen und die Positionen dieses ‘Ɨlam einerseits als Bedingung der Möglichkeit menschlicher Geschichte, andererseits als oberste Leitlinie gottgefälligen menschlichen Handelns herausgestrichen. 85/86 Die älteste Handschrift des astronomischen Henochs ist in Qumran | gefunden worden und um 200 v.Chr. zu datieren.95 Doch die Abfassung der Schrift reicht ins dritte, wnn nicht gar ins vierte oder fünfte Jahrhundert v.Chr. zurück, denn die astronomischen Ausführungen greifen auf babylonische Anschauungen zurück, die vor allem in der Serie MUL.APIN belegt sind,96 deren Enstehung gegenwärtig um 1100 v.Chr. angesetzt wird.97 Ein fortlaufender Text der heutzutage als 1. Henoch 72–82 gezählten Schrift ist nur in äthiopischer Übersetzung erhalten. Ausweichlich der Qumranfragmente war der aramäische Urtext erheblich umfangreicher. Dennoch spiegelt der äthiopische Auszug, soweit es aramäisch erhaltene Parallelen erkennen lassen, den Urtext erstaunlich genau wieder, selbst wenn möglicherweise eine griechische Übersetzung als Zwischenstufe anzusetzen wäre.98 Im äthiopischen Text taucht an betonten Stellen innerhalb der astronomischen Darlegungen mehrfach der Begriff ‘Ɨlam auf. Leider ist nur 77,1 die aramäische Entsprechung erhalten, sie lautet erwartungsgemäß ‘lm’.99 Für die übrigen Henochtexte außerhalb von Kap. 72–82 ist die Gleichung äthiopisch ‘Ɨlam = aramäisch ‘lm inzwischen mehr als ein Dutzend Mal belegt. Von daher läßt sich voraussetzen, daß überall, wo das äthiopische Lexem im Text auftaucht, der entsprechende aramäische Terminus zugrunde gelegen hat (über eine griechische Zwischenübersetzung aivw/n?). Dabei ist jedoch eine Differenzierung in den Näherbestimmungen zu beachten. Da das Äthiopische kein Morphem für den determinierten oder indeterminierten Gebrauch eines Nomens kennt, wird ‘Ɨlam für aramäisch unbestimmtes ‘lm100 wie emphatisches ‘lm’ (so 77,1) verwendet. Nicht genug mit dieser Differenz; äthiopisch ‘Ɨlam wird stets im Singular gebraucht, enthält also eine Konnotation von „Ewigkeit“, während in der aramäischen Grundlage 94

Milik, Books, 7–22. 273ff. Milik, ebd. 96 Black, Book, 387; VanderKam, Enoch, 101. 97 Hunger/Pingree, MUL.APIN. 98 Zu den Einleitungsfragen s. Uhlig, Henochbuch, 483–489. 655f; Black, Book, 3f. 99 Enastrb Z.4, s. Milik, Books, 289. 100 z.B. 1Hen 5,6; Milik, Books, 146–341. 95

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mehrfach der Plural ‘lmjn oder die plerophore Wendung ‘lm d‘lmjn gebraucht wird.101 Bei der Interpretation der Henochbelege ist also die mögliche aramäische Vielfalt gegenüber der äthiopischen Einfalt in Rechnung zu stellen. 86/87 Ein Hindernis für eine zureichende Begriffsbestimmung stellen die modernen Übersetzungen dar, denn sie geben denselben äthiopischen Ausdruck, um ihn modernen Lesern „mundgerecht“ zu machen, einmal mit | „Welt“, dann mit „Ewigkeit“, anderswo mit Adjektiv oder adverbialer Umschreibung wieder. Insofern liefert der Begriff ein sprechendes Beispiel für die Unmöglichkeit semantisch zutreffender und zugleich modernem Sprachgebrauch angemessener Übertragung. Dadurch wird aber der Argumentationsgang an einigen Stellen unklar, und die vom Schriftsteller intendierte Mitteilung an die Primärleser wird aus dem übersetzten Text nicht mehr erkennbar. Wenn, wie allgemein angenommen, im apokalyptischen Schrifttum, und dazu gehört die Henochliteratur, die zentrale Botschaft der Texte gerade darauf hinausläuft, daß „Welt“ und „Ewigkeit“ zwei sich ausschließende Vorstellungen beinhalten, wird schwer begreiflich, wie ein aramäisch sprechender Mensch beide Vorstellungen mit demselben Lexem verbinden konnte. Wie vermag er ein und denselben Ausdruck im gleichen Abschnitt, womöglich im gleichen Satz, ohne jede Erläuterung, einmal so und einmal völlig anders zu verstehen? Jenni hat das Problem empfunden und war zu dem Ergebnis gelangt, daß die Übersetzung „Welt“ im Henochbuch an keiner Stelle gesichert ist.102 Eckart Rau103 hat, davon beieindruckt, den Ausdruck in seiner Übersetzung meist als Olam unübersetzt stehen lassen; die Dominanz des zeitlichen Aspekts tritt für ihn klar zutage mit bei dem Ergebnis: „Berechnung des Jahres und Berechnung des Olam sind zwei Seiten ein und derselben Sache“.104 Allerdings gibt es Stellen, wo ihn der Mut verläßt und er zum deutschen Begriff „Ewigkeit“ greift, der nun bisweilen im gleichen Vers neben Olam auftaucht.105 Eine genaue Erfassung des Henochtextes könnte den Schlüssel zur Lösung des Problems des Ursprungs von Zeitspekulationen im syrischpalästinischen 1.Jahrtausend liefern. Einige auffällige ‘Ɨlam-Aussagen des astronomischen Henoch wecken nämlich den Eindruck, daß die im letzten vorchristlichen Jahrtausend sich ausbreitenden Zeitspekulationen im Nahen

101

Belege bei Milik, Books, 388 s.v. Das Wort ‘ǀlƗm, 33. 103 Kosmologie, 175ff. 104 Kosmologie, 227. 105 75,3: Uriel „den der Herr der Herrlichkeit in Ewigkeit gesetzt hat über alle Lichter des Himmels am Himmel und am Olam“, a.a.O., 512. 102

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Osten die Folgeerscheinung eines mehr und mehr durch Astronomie und Astrologie bestimmten oder bedrohten religiösen Denkens gewesen ist.106 Schon die Überschrift läßt das in Frage stehende Thema hervortreten 72,2.: „Das Buch vom Umlauf der Lichter des Himmels, wie es sich bei jedem Einzelnen verhält nach ihren Rängen (Zahlen?), nach ihrem Herrschaftsbereich, nach ihren Zeiten, nach ihren Namen, nach ihren Ursprungsorten (?), nach ihren Monaten. Wie mir Uriel, der heilige Engel bei mir, der ihr Führer ist, gezeigt hat. Und er zeigte mir ihre schriftliche Grundlage, wie | sie ist, und wie alle Jahre des ‘Ɨlam sind und (zwar) bis zum ‘Ɨlam, bis geschafft wird die neue Schöpfung, die bis zum ‘Ɨlam währt.“ 87/88 Bereits an diesem Anfang läßt sich die oben beklagte Diskrepanz zwischen Urtext und der modernen Übersetzungen belegen. Selbst ein so kritischer Ausleger wie Neugebauer107 gibt innerhalb ein und desselben Verses das erste ‘Ɨlam mit „world“, dann die zweimalige Verbindung la‘Ɨlam einmal „to eternity“, das zweite Mal „forever“ wieder.108 Ist es nicht wahrscheinlicher, bei Verfasser wie Leser mit zumindest verwandten Konnotationen zu rechnen, wenn dasselbe Lexem in kurzen Abständen hintereinander erscheint? Liegt es vom Kontext her zudem nicht näher, „Jahre“ (‘Ɨmata) des ‘Ɨlam eher als Unterteile einer Zeitgröße als einer Raumeinheit zu verstehen? Paßt dazu nicht eine Fortsetzung, wo jenem ersten ein anderer ‘Ɨlam, nämlich ein eschatologischer, entgegengesetzt wird? Allerdings entsteht an dieser Stelle ein Bedenken gegenüber dem äthiopischen Wortlaut bzw. seinem Numerus. Vermutlich steht an den beiden letzten Stellen wie häufig im Henochbuch der äthiopische Singular, in einer christlich gefärbten Umgebung entstanden, für den aramäischen „Zeitraum der Zeiträume“, ‘lm d‘lmjn wie 5,1; 93,10, das heißt für den alles übertreffenden ewigen Aion. Eine einfache Unterscheidung von zwei Weltzeiten, der gegenwärtigen und der eschatologischen, wie er sich dann im Neuen Testament findet, liegt dem Henochbuch und der frühen Apokalyptik noch fern. Ein zentraler Begriff in den sich anschließenden Kapiteln sind die Stationen oder Positionen (äthiopisch manbar) „des ‘Ɨlam“, welche die Jahre 74,12.17 und die sie leitenden Hauptgestirne regelmäßig einnehmen 75,2. Es ergibt einen Rhythmus des ‘Ɨlam,109 den die Gestirne in „Gerechtigkeit“ (ƒ edeq) in 364 Tagen durchlaufen 74,12; 75,2. Für die Menschen gibt es nur dann die Möglichkeit des Heils, wenn sie die himmlische Ordnung durch zutreffende Berechnung des ‘Ɨlam sich zueigen machen 82,5.110 106

Zur Ausbreitung der astralen Interessen s. van der Waerden, Anfänge, Kap. 6f. Bei Black, Book, 389. 108 Ähnlich E. Isaac in OTP I z.St.: „The years of the world into eternity“. 109 Die Variante „Jahr“ zu 75,2 in einigen Handschriften stellt wohl eine nachträgliche Erleichterung dar. Zur Diskussion Uhlig, Henochbuch, 651, zu 2f. 110 Zur Variante „Jahr“ s. Uhlig, Henochbuch, 668 zu 5c. 107

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6. Der astronomische Henoch

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Den über den Lauf der Gestirne waltenden Gott preist Henoch als „Herrn der ganzen Schöpfung (f e‰ eat) des ‘Ɨlam“. Demnach bildet ‘Ɨlam den umfassenden Horizont dieser gegenwärtigen Welt 82,7. Er umfaßt nach 82,1 die ununterbrochene Kette menschlicher Generationen. Gesteuert wird die Zeitgröße durch die Gestirne, allen voran Sonne und Mond. Hinter diesen und über diesen aber steht der Wind; er ist die Triebkraft hinter Sonnen-und Mondwagen 72,5; 73,2 hat 12 Tore am Himmel | 76,1–13. Insofern steht wie in Phönikien die Windmacht neben der Zeitmacht, nur fehlt eine dritte Größe, welche die (unter)irdische Materie verkörpert. 88/89 Die Überzeugung von einer einzigen, die Schöpfung strukturierenden Weltzeit, welche die dem Menschen geläufige Zeitgrößen der Tage, Monate und Jahre aus sich heraussetzt, aber auch den diese bedingenden Lauf der Himmelskörper hervorruft, letztlich substanzartig alle Dinge durchdringt und jedem Seienden seine spezifische Zeit als Teil seines Wesens mit auf den Weg gibt, findet sich auch in anderen Teilen des Henochbuches, besonders in der 10-Epochen-Lehre (10-Wochen-Apokalypse) 93,1– 10; 91,11–17.111 Doch allein das astronomische Buch bietet einen zureichenden Grund zum Verständnis dieser verbreiteten Spekulation. Demnach ist es ein angestrengtes Nachdenken über den zahlenmäßig vorbildlich geordneten Lauf der Himmelskörper und die anscheinend dadurch verursachte Zeitlichkeit der Dinge und Verläufe, das zur Ausbildung einer Theorie über eine Zeitganzheit geführt hat. Die Zuordnung einer umfassenden Zeitsubstanz zu den Grundstrukturen der Schöpfung ermöglicht es Israel, hinter der „Revolution“ der Gestirne nicht einen ungeheuren kosmischen Mechanismus zu fürchten, der zu fatalistischen Konsequenzen nötigt, sondern darin einen Ausfluß von göttlicher Macht und göttlichem Willen zu behaupten und zu erfahren. Auch die phönikischen Belege stellen ‘olom mit kosmischen Größen, mit Baal Schamem und der Sonne in Beziehung. War es also bei Israeliten und Phönikern (und Iranern?) ein ähnliches Bedürfnis, das in der gleichen Epoche zur Ausbildung solcher für uns fremdartigen Zeittheorien führte? In allen drei Religionen läßt sich in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende eine zunehmende Beschäftigung mit dem gestirnten Himmel wahrnehmen. In der Entfaltung der Konzeption gehen freilich die Lösungen der Religionen weit auseinander, je nachdem ob ein polytheistisches Herkommen letztlich festgehalten, eine dualistische Lösung gesucht oder an die Einzigkeit eines Schöpfers geglaubt wird. Blickt man von solchen Erwägungen aus auf das kanonische Alte Testament zurück, stellt sich die Frage, ob nicht schon die priesterliche 111

Koch, Sabbatstruktur 427f.

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Wind und Zeit als Konstituenten des Kosmos

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Schicht des Pentateuch die gleiche Kosmologie voraussetzt. Zwar gebraucht das Schöpfungskapitel Gen 1 nicht das Stichwort ~l'A[. Aber die Weltenstehung ensteht anscheinend dadurch, daß die ~yhil{a/ x:Wr, der „Geistbraus“ Gottes, sich in performativen göttlichen Sprachhandlungen äußert. Ziel solcher Schöpfung ist der Sabbat Gen 2,1–3, der nicht nur den Zeitrhythmus der Woche, sondern doch wohl als Sabbatstruktur der Geschichte die nachfolgende, in P so ungemein wichtige, durch Generationen konstituierte Chronologie durchwaltet. In den nachfolgenden Epochen setzt der Schöpfer zweimal Bundesverordnungen mit Menschen und mehr als 20mal Kultordnungen in Kraft, deren unverbrüchliche Gültigkeit mit dem Prädikat ~l'A[ unterstrichen wird. Daß damit nicht wie in den älteren Texten eine unübersehbar ferne Zukunft, sondern eine durch Generationen strukturierte Weltzeit gemeint ist, legt die gängige Wendung ~t'rodol. ~l'A[ tQ:xu Ex 27,21; 31,16; Lev 3,17; 6,11; 7,36; 10,9; 23,14.21.31.41; 24,3; Num 15,15; 18,23 nahe. Darf also ~l'A[ schon in P als Gesamtweltzeit vorausgesetzt werden, dann ist diese Größe auch hier eine Konstituente des Kosmos. Sie ist vom Lauf der Gestirne regiert Gen 1,14–16, die nicht nur den kleinen Rhythmus von Tag und Nacht, sondern auch den Wechsel der Jahre bestimmen. Trifft eine solche Einschätzung zu, zeigt sich auch bei diesem Thema, wie sehr die genaue Exegese relevanter biblischer Texte an die Erhebung ihrer Relation zum Verlauf der erstaunlich dynamischen Religionsgeschichte des Alten Orients im 2. und 1. Jahrtausend v.Chr. gebunden ist. 89/90

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–azzi-‚afôn-Kasion Die Geschichte eines Berges und seiner Gottheiten

Berge spielen in zahlreichen Religionen der Erde eine mythische Rolle. Insbesondere dort, wo ein Massiv aus seiner Umgebung steil aufragt und über größere Entfernungen sichtbar wird, legt sich urtümlichen Kulturen nahe, dem Berg eine numinose Bedeutung beizulegen; verbindet sich doch für die Menschen aller Zeiten – so noch in unserer Umgangssprache – mit dem Gedanken an das, was „oben“ ist, zugleich die Einschätzung besserer Qualität und überlegener Macht. Häufig kommt für solche Wertung von Bergen hinzu, daß sie für menschliche Bebauung ungeeignet sind, menschlichen Verkehrswegen ein Hindernis in den Weg legen, also dem Alltag entrückt sind. „Die fernen, unzugänglichen Berge [...] stehen abseits vom Alltag und tragen daher die Macht des ganz Andern“.1 Noch vielen säkularisierten Zeitgenossen vermittelt die Höhe des Gebirges ein eigentümliches Hochgefühl, das sie über alles Gewöhnliche weit hinaus zu heben scheint. Die Geschichte eines Berges und seiner Gottheiten Freilich läßt sich keine durchgängig einheitliche Art der Bergverehrung und kein gleicher Typ von Berggottheiten in den Religionen aufweisen. Der Eindruck numinoser Mächtigkeit wird sprachlich unterschiedlich artikuliert. Wird ein Berg potentiell lebendig gedacht, so wird er personifiziert und auf einem in ihm geheimnisvoll anwesenden Berggeist geschlossen; das aber setzt voraus, daß aktive Bewegung nicht auf Tiere und menschenähnliche Wesen beschränkt ist, wie es andere Sprachen mit ihrer Ontologie voraussetzen. In Regenbaukulturen führt die Beobachtung, daß Wolken sich um Gebirge zusammenballen, von da beschleunigt und unbehindert weiterziehen, zum einleuchtenden Schluß, daß die für das Leben maßgeblichen Wettergötter an Berge gebunden sind. Wird Gestein als Beweis des schlechthin Beständigen und Zeitüberlegenen wahrgenommen, verbindet sich mit Bergen leicht der Gedanke von unerschütterlichen Grundfesten der sonst so unbeständigen Erde. Daraus kann die Vorstellung von einem zentralen Gebirgsstock als Mitte der Welt und als Himmel und Erde verbindende Achse abgeleitet werden. Wo man maßgeblich göttliche Mächte im Himmel verortet, bieten sich die Berge als Mittel zum Auf- oder Abstieg der Götter an. Wird Lehre und intuitive Offenbarung in einer Religion zu einem aus1

van der Leeuw, Phänomenologie, 41.

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schlaggebenden Faktor, wird ein Berg wegen seiner Abgeschiedenheit gern zur Offenbarungsstätte, wie das Beispiel Mose oder Mohammed belegt. Das Phänomen Berg regt also zu unterschiedlichen mythologischen Folgerungen an. Die herausgegriffenen Beispiele genügen, um deutlich werden zu lassen, daß von einer gleichmäßigen religiös-mythischen Einschätzung des Phänomens Berg nicht die Rede sein kann. Zudem kann die Auffassung über | die Rolle von Bergen in ein und derselben Religion im Laufe der Zeit erstaunlich wechseln, wie sich noch ergeben wird. Meine Darstellung wendet sich der mythischen Einschätzung eines einzigen Berges in Nordsyrien zu, der im Altertum mit besonders mächtigen Göttern oder mit einem höchsten Gott verknüpft worden ist, und das bei Israeliten, Syrern, Kleinasiaten und – obgleich in abgeschwächter Weise – bei Griechen. Der betreffende Berg wird mit Wetter und Vegetation verbunden, was uns einsichtig ist, aber auch mit politischer Herrschaft, was unsereinem weniger einleuchtet. Vorauszuschicken ist, daß in den eben genannten Religionen über diesen einen Fall hinaus große Götter überhaupt an heilige Berge gebunden werden. Anderen Teilen des altorientalischen Altertums, insbesondere den Hochkulturen des Niltals und des Zweistromlandes, liegt eine solche Verankerung führender Gottheiten fern. Zwar gibt es dort regional bedeutsame numinose Wesen, die mit vorhandenen geografischen Erhebungen zusammenhängen wie z.B. die ägyptische Göttin Meresger, die mit einer Bergspitze in Theben-West zusammengehört.2 Oder es finden sich Götter- und Tempeltitel mit dem Lexem „Berg“ als Epitheton, womit aber an keine reale Gegebenheit angeknüpft wird, so wird etwa der im Flachland von Nippur verehrte Enlil als „großer Berg“, kur gal, und sein Tempel als „Berghaus“, é-kur, gepriesen.3 Doch die ägyptischen oder mesopotamischen Götter bedürfen nicht grundsätzlich der realen Berge, um zu residieren. Anders der Befund in Syrien, Palästina, Kleinasien bis hin zu den „olympischen Göttern“4 in Hellas. In diesen Kulturen erscheint der Bezug der für das Leben auf Erden entscheidenden Götter zu tatsächlich vorhandenen Bergmassiven konstitutiv zu sein. Insofern gibt es in diesem Falle für die Religionsgeschichte so etwas wie einen „levantinischen Halbmond“ im Unterschied zum vielberufenen „fruchtbaren Halbmond“, mit dem sonst die Religion Israels (und Syriens) gern zusammengestellt wird. 171/172 Ausgehen werde ich von Aussagen der Bibel. Vorgängig ein Wort zum alttestamentlichen Einsatz. Entgegen verbreiteter christlicher Meinung kennt die Bibel kein „Heiliges Land“, schreibt aber häufig und betont vom 2

Otto, Art. Bergspitze, 710. Nötscher, Art. Enlil, 2, 283; Edzard, Art. Enlil, 60; andere mesopotamische Beispiele bei van Buren, Mountain Gods, 76–84. 4 Pötscher, Art. Olympioi Theoi, 290f; Nilsson, Geschichte, 353f. 3

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I. Hebräischer Bergname und Thronsitz Jahwäs

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„heiligen Berg“, vd,Qo(h;) rh;,5 und meint damit in der Regel den Berg Zion in der Stadt Jerusalem, von Salomo mit einem prächtigen Tempel geschmückt und zum Thronsitz Jahwäs erklärt (1Kön 8,12f). Nach israelitischer Überzeugung ist hier Jahwä wie nirgends sonst auf Erden anwesend. Nachbarvölker stuften deshalb Jahwä als „Gott der Berge“ ein; wenn sie damit auch falsche und beschränkte Vorstellungen verbinden (1Kön 20,23.28), so haben sie doch ein entscheiden|des Merkmal des Gottes erkannt. (Die Bergverbundenheit Jahwäs war schon vor der Einnahme Jerusalems und des Zions gegeben. Sie gehörte bereits zur Herkunft dieses Gottes vom Sinai/Horeb in der südlichen Wüste. Doch dem ist hier nicht nachzugehen. 172/173 Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf eine einzige Bezeichnung für den heiligen Berg Zion, nämlich das Prädikat !Apc', und untersucht das semantische Feld. Auf den ersten Blick wird damit ein belangloser Einzelzug behandelt. Genauere Hinsicht zeigt, daß es ein bezeichnendes Element im israelitischen Gottes- und Weltverständnis charakterisiert und zugleich Gemeinsamkeit wie Unterschiedenheit der alttestamentlichen Religion zu ihren nördlichen und nordöstlichen Nachbarn überraschend erkennbar werden läßt. Wie weithin anerkannt, besteht Anlaß, den Namen !Apc' für den Zion mit dem des nordsyrischen Berges ƒapanu in Beziehung zu setzen, der nach den ugaritischen Texten ebenfalls Sitz einer überragenden Gottheit gewesen ist. Das gleiche Bergmassiv wird im 2. Jt. v.Chr. unter dem Namen –az(z)i bei Hurritern und Hethitern verehrt. Im 1. Jt. wird der Name dieser Höhe in Kas(s)ion abgewandelt, die dazugehörige Gottheit bleibt weiterhin bedeutsam, ihr Kult breitet sich über den gesamten Mittelmeerraum aus. Vom alttestamentlichen Befund ausgehend, werden die ugaritischen, dann die hethitisch-hurritischen und schließlich die phönikisch-hellenistischen Bezeugungen untersucht und verglichen. Im Hintergrund steht die Frage, warum gerade der nordsyrische Berg eine so exzeptionelle Stelle in Mythologie und Kult erhält, daß sein Ruhm selbst auf den Zion und die Jahwä-Monolatrie abfärbt. I. Hebräischer Bergname und Thronsitz Jahwäs

I. ‚afôn als hebräischer Bergname und Thronsitz Jahwäs Das Lexem !Apc' bedeutet im AT zumeist die Himmelsrichtung Norden. An etwa 5–8 Stellen scheint es jedoch einen oder mehrere Berge mit besonders numinosem Charakter zu bezeichnen. Das eindeutigste Beispiel findet sich 5

Talmon, Art. rh;, 481.

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Ps 48. Dieses Zionslied preist eingangs die Anwesenheit Gottes in seiner heiligen Stadt, vermutlich mit wuchtigen Trikola (vgl. BHS):

Wnyhel{a/ ry[iB. daom. lL'hum.W hw" hy> lAdG" 2 3 #r,a'h'-lK' fAfm. @An hpey> Avd>q'-rh; br' %l,m, ty:r>qi !Apc' yteK.r>y: !AYci-rh; Groß ist Jahwä / und sehr preiswürdig / in der Stadt unseres Gottes. Der Berg seiner Heiligkeit, / der schönste der Hügel (?), / (ist) die Wonne der ganzen Erde. Der Berg Zion, / der äußerste Ausläufer des ƒapôn, / (ist) die Stadt eines Großkönigs. | Der hymnische Preis richtet sich auf Jahwäs Anwesenheit in seiner heiligen Stadt, und diese rückt für den Sänger alsbald mehr in den Vordergrund als der Gott selbst. Ihre Auszeichnung ist ein heiliger Berg, der durch seine Schönheit besticht und die gesamte Erde mit Freude erfüllt. Die Psalmenaussage überrascht, sobald man die für ein gewöhnliches Auge keineswegs überragende Größe des Stadtberges von Jerusalem in Betracht zieht. Für den Psalmisten kommt dem Zion jedoch globaler Rang zu, weil er den !Apc' repräsentiert und die hy"r>qi eines Großkönigs bildet. Der letzte Titel bezieht sich auf den hintergründigen göttlichen Herrscher6 über die Völkerwelt vgl. Ps 47,3.8; im Vergleich zu ihm wird jeder irdische Herrscher zweitrangig. Das Weltregiment Jahwäs geschieht vom Zion aus, weil hier !Apc' yteK.r>y: ist. 173/174

Die letzte Wendung ist umstritten. Sie taucht auch Jes 14,13; Ez 38,6 auf, ist also geprägter Art. Unter Ableitung von hk'rey> „Hinterseite, Hinterteil (vom Gebäude, Gebirge, Schiff)“7 läßt sich notfalls auf „äußerster Norden“ schließen,8 was jedoch für einen in Jerusalem lebenden Hebräer wenig Sinn macht. Oder man denkt an ein extremes Ende im vertikalen Sinn als Gegenpol zu rAb yteK.r>y: (Jes 14,13–15) und schließt auf „höchsten Gipfel“.9 Unter Jerusalemer Verhältnissen leuchtet ein solches Prädikat für den Zion ebensowenig ein, denn der Berg ähnelt einem Hochplateau, ihm fehlt jede Spitze. Dahood hingegen10 geht von %rey" „Lende“ aus, schließt von da auf einen Hinweis für das eigentliche Zentrum, „the heart of Zaphon“. Das aber postuliert eine erhebliche Bedeutungsverschiebung, die auch durch Verweis auf das ugaritische ƒrrt ƒpn (dazu unten) nicht wahrscheinlicher wird. So legt sich am ehesten nahe, an einen „äußersten Ausläufer des ‚afôn“ zu denken; der eigentliche ‚afôn wäre dann tatsächlich ein Berg im Norden, der Zion aber stünde mit ihm in geheimnisvoll-untergründiger Verbindung, ohne jenen völlig zu ersetzen. Entgegen der üblichen Auslegung bleibt also zu bezweifeln, daß Ps 48,3 den Zion mit dem ‚afôn völlig gleichsetzt. Die 6 br' %l,m, kennt das AT sonst nicht. Der irdische Großkönig heißt lAdG"h; = Jes 36,4.13. 7 Vgl. akk. (w)arkatu(m), AHw III, 1467f. 8 Lauha, Zaphon, 40; HAL, 419. 980. 9 Eißfeldt, Baal Zaphon, 14f; Robinson, Zion, 118–123. 10 Dahood, Psalms I, 288. 290.

%l,M,h; 2Kön 18,19.28

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I. Hebräischer Bergname und Thronsitz Jahwäs

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Psalmen verwenden sonst diesen Ausdruck überwiegend für die nördliche Himmelsrichtung, !ApC'i'mi heißt z.B. Ps 107,3 nicht „vom Zion“, sondern „vom Norden her“. In der Sprache des Jerusalemer Priesters Ezechiel bezeichnet hn"Apc' eindeutig jene Richtung und nicht eine Orientierung am Jerusalemer Berg Ez 8,3.5; 40,40 u.ö. So wird denn Ps 48 hier wie Ri 19,1.18; 2Kön 19,23; Jes 37,24 „entlegenster Teil e[ines] Gebirges“11 gemeint sein. Demnach wäre der Zion die letzte, südlichste Erstreckung eines | weit abliegenden nördlichen ‚afôn. Wechselglied im Parallelismus zu !AYci rh; bildet bezeichnenderweise nicht !Apc', sondern die Verbindung !Apc' yteK.r>y:. 174/175 Das !Apc'-Prädikat wird mit einem Verweis auf das überragende Königtum des hier waltenden Gottes verbunden. Also bringt anscheinend der seltene Name für den Zion die Konnotation eines autoritativ wirkenden und übernational bedeutsamen Herrschaftssitzes mit sich. In den folgenden V. 4–8 wird dann der so benannte Bergausläufer als eine Festung geschildert, gegen die eine Schar anonymer Könige anstürmt, an der sie aber mit ihren Tarschisch-Schiffen zerschellt. Die Feindmacht ist also über das Meer gegen den Zion gesegelt; was zur Geografie Jerusalems ebenso wenig paßt wie eine Lage im Norden. Handelt es sich um ein schon anderwärts mit dem !Apc' gekoppeltes, in Jerusalem übernommenes und mythisch überhöhtes Motiv? Wird daraus die Angst vor einer globalen Überschwemmung, bei der das Meer bis zum Zion-‚afôn ansteigt? Warum wird an einer so feierlichen Stelle im Gesang – vermutlich während eines kultdramatischen Auf- und Umzugs (V. 9.13f) – der Zion als !Apc' gepriesen? Ein Lexem, das sonst eine nördliche Himmelsrichtung bedeutet, bezieht sich auf einen Berg, der nicht im Norden liegt. Die Kommentatoren hatten deshalb seit langem eine Erinnerung an einen mythischen Gottesberg im Norden vermutet, die hier sekundär auf das Jahwäheiligtum übertragen werde.12 Dafür gab es in der altorientalischen Literatur keinerlei schlüssige Parallele, bis in den 30er Jahren bekannt wurde, daß die Texte von Ras Schamra-Ugarit einen Berg ‚apanu als Residenz des Gottes Haddu-Ba‘lu häufig nennen. Seitdem wird in den Kommentaren auf die Übertragung eines ursprünglich kanaanäischen Mythologumenons auf den heiligen Berg Jahwäs geschlossen.13 In der Tat sind die Übereinstimmungen mehr als auffällig. Nicht nur, daß der mit dem heutigen ³ebel el-aqraǥ identische ugaritische ‚apanuberg von Jerusalem aus in einer Nordrichtung liegt, dieser Berg Baals gilt darüber hinaus in Ugarit als dessen wichtiger Königssitz und zugleich als die Stätte einer Auseinandersetzung mit dem 11

HAL, 419. Baethgen, Psalmen, 138f; Gunkel, Psalmen, 106; Staerk, Lyrik, 16–18. 13 Schmidt, Psalmen, 92; Kraus, Psalmen, 513; Dahood, Psalms I, 289f. 12

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Ansturm des Meergottes Jam, was zur Fortsetzung in Ps 48,4–9 durchaus paßt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß der Psalmist infolge des ausgeweiteten Horizonts einer späteren Zeit gar nicht mehr an den Ausläufer eines in Nordsyrien liegenden Berges, sondern aufgrund der gängigen hebräischen Verwendung von !Apc' als Himmelsrichtung beim Zion an einen entlegenen Bestandteil eines weit jenseits Syriens liegenden Gottesberg in einem geografisch nicht fixierbaren Norden denkt, wie es jedenfalls Jes 14 voraussetzen wird (dazu unten). Die In-Beziehung-Setzung eines entfernt liegenden heiligen Berges mit dem Zion hat im Psalter selbst eine Parallele in der sonderbaren Aussage Ps 68,9.18, | daß während des Festes der Sinai im Heiligtum von Jerusalem anwesend ist.14 Dies wird ebensowenig meinen, daß der Berg in der südlichen Wüste nunmehr des Gottes leer ist, sondern darauf abzielen, daß dem Sinai eine untergründige „Verlängerung“ bis zum Zion hin zukommt; ähnliches ist vielleicht in umgekehrte Richtung für den ‚apanu vorauszusetzen. Der Titel dieses Berges ist übrigens um die Wende zum ersten vorchristlichen Jahrtausend von phönikischen Seefahrern auch auf einen Hügel am sirbonischen Meerbusen des Mittelmeers bei Pelusium übertragen worden. Anscheinend wird also beim ‚apanu mit „Dependancen“ in anderen Gegenden gerechnet. Diesen an der Grenze zu Ägypten liegenden Ort Baal ‚efôn setzt die Priesterschrift Ex 14,2.9; Num 33,7 als Ort des Meerwunders beim Auszug der Exodusgruppe voraus (vgl. unten unter IV.). 175/176 So spricht im Hinblick auf Ps 48 manches dafür, daß das !Apc'-Motiv samt den damit verbundenen Elementen eines übernationalen göttlichen Herrschaftssitzes und der Abwehr eines mythisch-anonymen feindlichen Ansturms aus dem nordsyrischen Bereich stammt. Ehe die Frage nach dem möglichen Zeitraum einer solchen Übernahme nach Jerusalem zu erörtern ist, sind einige andere alttestamentliche Belege zu berücksichtigen. Nicht ganz so sicher wie in Ps 48 ist die Koppelung des Zion an den ‚afôn im Königspsalm Ps 89,12–15. Nachdem von der Besiegung des hochfahrenden Meeres und der Rahab die Rede war V. 11ff, fährt der Sänger fort: 14 Ps 68,9 wird beim Auszug Gottes vor seinem Volk ein Erbeben der Erde und ein SichAusgießen des Himmels erwartet yn:ysi hz< ~yhil{a/ ynEP.mi. Die beiden letzten Worte sind u.U. wie Ri 5,5 als altertümliche Konstruktusverbindung „Der vom Sinai“ zu verstehen, so die Einheitsübersetzung (vgl. Dahood, Psalms I, 130), und nicht als Nominalsatz „dies ist ein Sinai“ (Buber). 68,18 ist hingegen eindeutig von vd,QoB; yn:ysi, also vom Sinai im (Jerusalemer) Heiligtum, die Rede. Das wird von vielen Kommentatoren wegemendiert, stellt aber lectio difficilior dar. Bezeichnend, aber kaum überzeugend die Erklärung in der Neuen Jerusalemer Bibel 1985, 809: „In der Zeit des zweiten Tempels wurde der hebräische Text [...] bearbeitet. [...] Der Sinai wurde damit mit dem Zion identifiziert, von dem jetzt das Gesetz ausgeht, Jes 2,3.“ Genau genommen besagt die Wendung aber nicht, daß der Zion zugleich der Sinai ist und dieser Berg also nicht mehr existiert, sondern daß der Sinai geheimnisvoll sich bis in das Jerusalemer Heiligtum hinein erstreckt.

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I. Hebräischer Bergname und Thronsitz Jahwäs

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~T'd>s;y> hT'a; Ha'l{m.W lbeTe #r ^m.viB. !Amr>x,w> rAbT' ~t'ar"b. hT'a; !ymiy"w> !Apc' ^n ~WrT' ^d>y" z[oT' hr"WbG>-~[i [:Arz> ^l. ^ynm:a' hT'a;w> 13 !Apc' yteK.r>y:B. d[eAm-rh;B. bveaew>

25 Die ungewöhnliche Schreibung hsk hat die Kommentare dazu geführt, as,K,;e zu lesen; Hölscher, Hiob, 62; Fohrer, Hiob, 382; HAL, 463f. Die Bedeutung „Mond“ entspricht aber dem Zusammenhang weit weniger als das überlieferte „Thron“ (so LXX; Luther). 26 Fohrer, Hiob, 382.384; vgl. de Savignac, Note, 95f; HAL, 980. 27 Eißfeldt, Baal Zaphon, 11f. 28 Talmon, Art. rh;, 473.

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!Ayl.[,l. hM,D:a, b[' ytem\B'-l[; hl,[/a, 14 rAb-yteK.r>y:-la, dr"WT lAav.-la, %a: 15 Wie bist du vom Himmel gefallen, / Helel bän Schahar! Du bist herabgehauen zur Erde, / Sieger über Völker! Du hattest in deinem Herzen gedacht: / Zum Himmel will ich hinaufsteigen! Oberhalb der Sterne Els / will ich meinen Thron aufrichten.29 Ich will sitzen auf dem Berg der Zusammenkunft, / auf dem äußersten Ausläufer des ‚afôn! Hinaufsteigen will ich über (auf) Höhen von Wolken, / mich Äljon gleichstellen! Jedoch zur Scheol bist du hinabgestürzt worden, / in die äußerste Grube!

Als Wechselglied zu d[eAm-rh; meint !Apc' V. 13b sichtlich einen Berg. Anders als in Ps 48 bezieht sich vielleicht !Apc' yteK.r>y: diesmal auf die vertikale Erstreckung, bedeutet also den Gipfel.30 Mehr noch als an den bisher behandelten Stellen nimmt ‚afôn einen kosmischen Rang als Weltachse ein, ragt über Wolken, ja über Sterne hinaus bis in den Himmel und bildet das Fundament für den Thron des Allerhöchsten, des Äljon. Dieser gilt als Spitze des Pantheons; an seinem Ort finden regelmäßige festliche Zusammenkünfte31 statt, was Götterversammlungen voraussetzt. Weil die wichtigste Erhebung auf Erden, hat ‚afôn als Gegenpol die äußerste Grube der Unterwelt V. 14. Wer sich in menschlicher Hybris zu jener Götterhöhe hinaufschwingen will, landet in tiefster Verdammnis. Damit spielt, wie gemeinhin angenommen, der Sänger auf einen den Zuhörern bekannten, von uns leider nur zu erahnenden Mythos an. Der Großkönig, dem hier das Scheitern vorausgesagt wird, wiederholt ein Geschick, das einst dem Sohn der Morgendämmerung zuteil geworden war, wohl dem Morgenstern.32 Wieder taucht das Motiv des mythischen Kampfes auf. Doch handelt es sich diesmal nicht um einen mit Wasser und Meer verbundenen Feind, der den Berg bedrängt. Vielmehr geht es um einen einzigen menschlichen Herrscher, der den !Apc' besetzen und dadurch das Regiment über die Himmelsmächte erringen will. Das führt über die ugaritischen Parallelen hinaus und führt in die Epoche einer aufkommenden Astralreligion. Anders als in den Psalmen wird hier mit dem Thronberg des Götterkönigs eine | Versammlungsstätte aller Götter verbunden. Damit fließt, ugaritisch gesehen, der ‚apanuberg Baals mit dem Berg Lel des Göttervaters El, wo sich der p—r mǥd trifft, in eins zusammen.33 180/181 29

Zu hl[ und ~wr hi. als Thronbesteigungstermini s. Janowski, Königtum, 433, Anm. 178. Oder ist an die Eroberung von Jerusalem als Stätte des göttlichen Hofstaats gedacht? 31 Koch, Art. d[eAm, 744–750. 32 Wildberger, Jesaja, 534f. 550–555; Loretz, Mythos, 132–136; Kaiser, Jesaja, 34–36; Prinsloo, Isaiah, 435–439. 33 Schmidt, Königtum, 34f; LipiĔski übersetzt gr ll „Berg der Nacht“ und lokalisiert ihn aufgrund akkadischer Anspielungen an der Eufratquelle im armenischen Bergland. Die gleiche Verortung schlägt er für Jes 14, das er auf Sargon II. bezieht, und Ps 48 vor; El’s abode, besonders S. 55f. 30

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Wo wird hier der kosmische ‚afôn verortet? Daß der Verfasser ‚afôn mit dem Zion gleichsetzt, bleibt zu bezweifeln, wenngleich es nicht auszuschließen ist. Zwar ist nach den Psalmen Äljon auf dem Zion beheimatet (Ps 46,5; 47,3 u.ö.), doch von einem Luzifer-Mythos finden sich dort keine Spuren und als Herrschaftssitz eines babylonischen Großkönigs (ursprünglich assyrischen?) liegt der Ort vielleicht zu weit ab. Aber auch ein in Nordsyrien gelegener ³ebel el-aqraǥ genügt den kosmischen Ausmaßen dieses Textes kaum.34 Vermutlich wird infolge des weiter gewordenen geografischen Horizonts hier nun der ‚apanu wirklich im den Menschen unerreichbaren Norden der Erde vermutet. Zu solcher Ansetzung passen einige Texte aus dem Umkreis des Jerusalemer Tempels, die mit einer Theofanie Jahwäs von Norden her zu seinen israelischen Verehrern rechnen. So der altertümliche Ps 29, der den Gott von den Wassern her über Libanon und Sirjon bis zu seinem lk;yhe heranbrausen läßt, ähnlich wohl Jes 2,9–21; Ez 1,4–28 und der von der Komposition in das Amosbuch 4,13; 5,8; 9,5 eingefügte Hymnus, der Jahwä nach der Erschaffung der Berge über die Höhen der Erde sich Israel nahen lässt.35 Bei jüngeren Schriftprofeten läßt sich eine auffällige Verschiebung der !Apc'-Thematik beobachten. Im Jeremiabuch spielt in den ersten Kapiteln ein anonymer Feind aus dem Norden eine entscheidende Rolle, der nun im Auftrag Jahwäs gegen die Stadt Jerusalem anstürmt; zu ihm gehören hnApc' tAkl.m.m,; die während des Kampfes ihren Thron vor Jerusalem aufstellen (Jer 1,15). Bahnt sich hier ein Umschwung an, wird aus einem (Völker)Meer, daß den ‚afôn als Jahwäs eigenen Berg bedroht, ein ‚afôn-Heer, daß von Norden mit Jahwäs Hilfe gegen den Zion anstürmt? Deutlicher noch tritt eine solche Umkehr in der von Jeremia abhängigen36 Gog-Weissagung Ez 38–39 zutage. Gog, hinter dem sich vielleicht eine mythische Überzeichnung des Königs Gyges (um 660) verbirgt, rückt nämlich vom „äußersten Norden“ (!Apc' yteKr . y> ): , worunter diesmal weder eine Himmelsrichtung noch ein Berg, sondern Kleinasien als Ländermasse begriffen wird, gegen die Berge Israels an, nun aber gegen die Absicht Jahwäs, und wird dort vernichtet – wie in der Psalmentradition die Könige, die gegen !Apc' yteKr . y> : anrücken! Das Wort !Apc' erhält in dieser jungen | Weissagung einen negativen Ton. Das ist deshalb besonders bemerkenswert, weil um die gleiche Zeit sich im außerisraelitischen Bereich ein Übergang von einem positiv gewerteten ‚apanu in einen negativ-chaotisch bestimmten Typhon zu vollziehen scheint (dazu unten). Freilich behält der Norden eine ambivalente Bedeutung; so wird noch

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Lauha, Zaphon, 41. Koch, Rolle der hymnischen Abschnitte. 36 Vgl. Zimmerli, Ezechiel, 939. 35

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in der Apokalyptik das Paradies dort gesucht,37 und in Qumran werden die Gräber nach dieser Himmelsrichtung ausgerichtet.38 Ergebnis: In alttestamentlichen Stellen, die !Apc' als Bergbezeichnung benutzen, zeigen sich die Umrisse einer einheitlichen Konzeption, die mit einem für den Bestand der Erde seit den Tagen der Schöpfung unentbehrlichen kosmischen Pfeiler rechnet, der zugleich für das Königtum der überragenden Gottheit zum Träger des Thrones wird. Die genaue Verortung des !Apc' und seine religiöse Einschätzung wandeln sich im Laufe der Zeit, bis letztere in der Gog-Weissagung nahezu in ihr Gegenteil verkehrt wird. Dabei weisen eine Reihe von Indizien auf kanaanäische Herkunft und auf einen ursprünglichen Bezug zum nordsyrischen ‚apanuberg. Darin sind sich die Ausleger heute weithin einig. 181/182 Strittig aber ist der Zeitpunkt einer möglichen Übernahme in die israelitische Kultsprache. Im Zuge einer modern werdenden Spätdatierung des alttestamentlichen Schrifttums mehren sich neuerdings Stimmen, die für eine nachexilische Entlehnung plädieren. Der erste, der sich entschieden in dieser Richtung äußerte, war G.Wanke. Zwar setzt auch er noch voraus: „Auf Ps 48 haben vor allem die nordsyrischen Vorstellungen vom Zaphonberg eingewirkt“; aber dann weist er darauf hin, daß sich das Gottesbergmotiv im Alten Testament sonst nur in jüngeren eschatologischen Aussagen findet und schließt daraus: „Eine Übertragung außerisraelitischer Motive auf den Zion ist [...] nur für die exilische und nachexilische Zeit nachzuweisen“.39 Nun gehören in der Tat die oben vorgeführten Textbelege meist zum (nach)exilischen Schrifttum. Ps 8940 in der Endfassung und Jes 14 setzen den Zusammenbruch des davididischen Königtums und das Exil voraus. Hi 26 weist auf noch spätere Zeit. Nur für Ps 48 bleibt vorexilische Entstehung erwägenswert. Damit sind jedoch keine absoluten Daten gegeben. In kultisch geprägten Schriften ist zumeist das Datum der Verschriftung gerade nicht das der Entstehung entsprechender Konzeptionen. Und der Literarkritiker ist gut beraten, seine hypothetischen Ansetzungen auf | dem Hintergrund der Überlieferungs- und Religionsgeschichte zu überprüfen.41 Von da aus gesehen, erscheint eine Entlehnung dieser kanaanäischen Vorstellungen 37

Volz, Eschatologie, 410. 414. Stemberger, Art. Auferstehung, 445. 39 Wanke, Zionstheologie, 64–66. 40 Veijola, Verheißung. 41 Diesen Grundsatz vertritt zu Recht Niehr, Gott. Doch in der Einzeluntersuchung läßt er sich zu sehr von literarkritischen Vorgaben leiten. Wie anders läßt sich seine Behauptung aufrecht erhalten, nach der im westsemitischen ersten Jahrtausend der ‚afôn als Gottesberg schlechthin gegolten habe? Von daher folgert er, die „nachexilische Bürger-Tempel-Gemeinde“ habe „ungeachtet aller geographischen Realität“ den Namen auf den Zion übertragen, „wobei !wpc' seine geographische Konnotation, die entweder den Norden oder einen bestimmten Berg im Norden meint, verloren hat und nunmehr das mythische Kolorit des Gottesberges transportiert“ (S.107). 38

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durch das nachexilische Israel aus mehreren Gründen als unwahrscheinlich, und dies sowohl hinsichtlich der kanaanäisch-phönikischen wie der judäischen Verhältnisse: 182/183 1. Der sich nachexilisch ausbildende israelitische Monotheismus weist keine heidnische Gottesanschauung so vehement ab wie die Baalsverehrung, man vergleiche nur das deuteronomistische Geschichtswerk. Sollte ausgerechnet in jener Zeit die für den kanaanäischen Baal zentrale Bergmythologie im wesentlichen ungebrochen übernommen worden sein? Das wäre höchstens bei synkretistischen Kreisen denkbar, die in Opposition zum Hauptstrom der Jahwäreligion stehen, aber davon ist in vorhellenistischer Zeit keine Spur zu erkennen. 2. Um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends ist der Gott Baal ‚afôn bei Phönikern und Aramäern zu einer zweit-, wenn nicht drittklassigen Gottheit herabgesunken, die für die Seefahrt, aber keineswegs mehr für Weltherrschaft in Anschlag gebracht wird (dazu unten). Wie sollte es zu erklären sein, daß nachexilische Israeliten auf eine längst museal gewordene Stufe der kanaanäischen Gottesvorstellungen zurückgegriffen hätten? Ein solcher Vorgang erscheint absurd. 183/184 3. Bislang nicht bedacht, aber für den Zusammenhang von Bedeutung ist der Zeitpunkt der Übertragung der ‚afôn-Bezeichnung von einem Berg auf eine Himmelsrichtung. Seit Eißfeldt42 wird angenommen, daß der ursprüngliche Name des nordsyrischen Berges nachträglich zur abstrakten Bezeichnung einer Himmelsrichtung wurde, analog zu dem Lexem bgy: vergleichen?68| Was läßt sich dem Befund entnehmen? Er verwehrt es zunächst, den Gott Ba‘al, wie es sich vom Alten Testament her nahelegen mag, als eine in sich geschlossene göttliche Person aufzufassen. Weit mehr als bei irgendeiner anderen Gottheit tritt der komplexe Charakter von b‘l in den ugaritischen Texten hervor, dem eine „multiplicité de ses hypostases“69 zugeschrieben wird. Doch ist der Ba‘al ƒapani nicht eine Hypostase unter vielen, sondern wird von der Reihe der übrigen Ba‘ale in der Götterliste ausdrücklich abgehoben. Die maßgebliche Erscheinungsform der Ba‘al-Mächtigkeit 63

Koch, Rituale, 75–85. TUAT II, 314,8a. 65 Janowski, Erwägungen. 66 TOu II, 175, Anm. 105. 67 TUAT II, 314; zu anderen Deutungen Tarragon, Culte, 21–23. 68 An Opfer auf dem Dach des Ba‘alstempels als „kultische(r) Entsprechung des Berges“ denkt Gese, Religionen, 124, Anm. 201. Der schwierige Text 1.65,10f erwähnt vielleicht Opfer für El, die im Thronsaal (bǥd) von Ugarit als Thronsaal des ‚apanu dargebracht werden; TUAT II, 319. 69 Tarragon, Culte, 177. 64

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II. Gottessitz in Ugarit

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ist zweifellos der göttliche Meister des ‚apanuberges. Dennoch bildet er für die Kultgemeinschaft nicht einfach den alleinigen Ansprechpartner für seine Gruppe, zumindest der Ba‘al von Ugarit kommt ihm vielerorts gleich. Überraschenderweise taucht ein Eigenname Haddu – so in mythischen Texten – in den Ritualtexten nirgends auf. Dagegen nimmt der hurritische Teschub eine vergleichbare Stelle in entsprechenden Ritualen ein, ermangelt aber dann einer ausdrücklichen Beziehung zum Berg 1.110,3; 1.111,4.9; 1.116,13. Wenngleich das tz²-Opfer und vielleicht auch die Vogeldarbringung an hurritischen Einfluß denken läßt, so ist doch die Lokalisierung des Ba‘algottes auf dem ‚apanuberg nicht durch eine TeschubKonzeption hervorgerufen worden. 190/191

2. Die Auseinandersetzung um den Berg in mythischen Texten Die mythischen Texte kennen wie die rituellen ein enges Verhältnis Ba‘als zum ‚apanu, benutzen dafür aber eine Anzahl von Wendungen und Titeln, die in den Opferlisten keine Entsprechung haben. Der Anat-Ba‘al-Zyklus KTU 1.1–1.6 kreist um nichts anderes als um den Besitz des Berges, den Ba‘al mit Recht beanspruchen kann und den andere Götter ihm streitig machen. So greift – wenn wir der Ordnung der Tafel in KTU mit den meisten Interpreten folgen – der Meergott Jam ihn deshalb mit Billigung Els an, um ihn vom dortigen Thron seines Königtums zu vertreiben 1.1 IV 24f. Nachdem dieser Angreifer abgeschlagen ist, erhält Ba‘al die Erlaubnis, auf dem Berg einen Palast zu errichten, um das rechtzeitige Eintreffen von Regen, Schnee und Wolken zu gewährleisten. Der Handwerkergott Ko¾ar-wa-—asis bringt das mittels Feuer und Edelsteinen zustande und stattet ihn – nach anfänglichem Widerstreben Ba‘als – mit einem rätselhaften Fenster aus. Als der nächste gefährliche Gegner Mot auftaucht und Ba‘al in die Unterwelt verschleppt hat, erscheint es den übrigen Göttern nötig, einen anderen als König auf dem ‚apanu einzusetzen. Doch A¾tar, den man dazu bestimmt auf ƒrrt ƒpn steigen und den Thron des Ba‘al besetzen läßt, ist aufgrund seiner körperlichen Unzulänglichkeit zum Regieren da oben nicht im Stande und wird dann auf ein Königtum „über die | ganze Erde Els“ (’rƒ il klh) beschränkt 1.6 I 65. Als dann Ba‘al wiederkehrt und Mot ihm ein zweites Mal seine Herrschaft streitig machen will, begibt sich der Unterweltsherrscher auf die Höhe des ‚apanu, wo dann der entscheidende Zweikampf zwischen den beiden Rivalen stattfindet 1.6 VI 13ff und Ba‘al endgültig sich als siegreich erweist. Der ‚apanu ist also in diesem Zyklus beherrschendes Zentrum der Welt, das durch keine andere Stätte ersetzt werden kann. Er ist zwar – anders als in der alttestamentlichen Nachwirkung Jes 14 – nicht der offizielle Ver-

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sammlungsberg der Götter oder der Sitz des Götterpräsidenten El,70 nicht die Stätte, von der aus irdische und göttliche Welt zugleich regiert werden. Doch der sichtbare Bereich wird von dort gesteuert, und auch auf diesem Berg finden sich gern Götter zu gemeinsamen Schmaus zusammen KTU 1.4 VI 44ff. Wie spiegelt sich das nähere Verhältnis des ‚apanumeisters zu seinem Berg in Titeln und geprägten Wendungen, die im Mythos gern wiederholt werden? In den als Mythen eingestuften Keilschrifttafeln wird b‘l etwa 150mal ohne Näherbestimmung gebraucht und ist somit die am häufigsten erwähnte Gottheit. 24 mal wird – nach der Konkordanz von Whitaker – die Gestalt Haddu, dagegen nur 9mal b‘l ƒpn geheißen. Zum letzten Ausdruck treten einige Varianten. So taucht mehrfach b‘l mrym ƒpn „Ba‘al der Höhe des ‚apanu“ auf 1.3 IV 82.85; 1.4 V 23; 1.100,9 u.ö. Ähnlicher Hervorhebung dient bǥl bƒrrt ƒpn 1.3 I 21f, ebenda wird der Palast (hkl) des Gottes errichtet 1.4 V 54f. Das läßt sich nach akkadisch ƒurru „Herz, Inneres“ als entlegener Zufluchtsort71 oder als „Hochland“72 oder nach hebräisch ƒwr/ƒrr als „Feste“73 deuten. 191/192 Die Höhen des ‚apanu sind der „Thron seines Königtums (ks’u mlkh), das Kissen auf dem Sitz seiner Herrschaft (n—t lkμ¾ drkth)“ 1.3 IV 2f. Anderwärts wird der Berg gerühmt als „Fels“ (²r) oder „Hügel“ (gb‘) seiner Mächtigkeit (tliyt) 1.10 III 30f; 1.101,1f; 1.3 III 31; 1.6 V 5f; VI 33–35. usw., gelegentlich auch als der „Liebreizende“ (n‘m), dann parallel zu einem Berg Araru, der sonst nur in administrativen Texten vorkommt,74 1.10 III 28–30. Einige Stellen im Zyklus geben über das Verhältnis zwischen Ba‘al und Berg näheren Aufschluß. So ruft im Zusammenhang mit dem sehnlich erwünschten Palastbau Ba‘al seine Partnerin Anat zu sich und stellt ihr eine geheime Mit|teilung in Aussicht, über die bereits Bäume, Berge und Fluten flüstern. Dabei betont Ba‘al sein Besitzrecht an der Stätte KTU 1.3 III 28– 31 vgl IV 19–20: atm w ank 29 ib²yh btk ²ry il ƒpn 30 bqdš b²r nμlty 31 b nǥm bgbǥ tlyit 70

Vgl. aber LipiĔski, El's abode. CML, 156; TOu I, 156, Anm. 1. 72 ARTU, 4: „highlands“ 73 Dietrich/Loretz, ƒrrt ƒpn, 394f. Anders jetzt dieselben, in: Ugaritisch crrt, 79–85: „Höhepunkt, Gipfel“ nach akk. caru. 74 TOu I, 288; nach Bordreuil, Arrou, bezeichnet arr 4.384,1; 4.683,1; 6.27,2 vgl. RIH 83/7,3 eine Stadt oder einen Bezirk südlich von Ugarit „dans la plaine cotière méridionale“ (8). Das macht allerdings die Gleichung mit dem oben genannten Berg zweifelhaft. 71

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II. Gottessitz in Ugarit

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Komm, ich will es enthüllen/untersuchen.75 Inmitten meines Berges, des il ƒapanu/i, auf dem Heiligtum, auf dem Fels meines Erbteils, auf dem Liebreizenden, auf dem Hügel meiner Mächtigkeit. 192/193

Der felsige Berg macht Ba‘al erst zu dem, was er ist. Dessen tliyt läßt ihn zum aliyn bǥl werden, wie sein Titel gern lautet. Der Berg, dessen Charakter dadurch hervorgehoben wird, daß das entsprechende Stichwort ²r in zwei aufeinander folgenden Zeilen auftaucht, gilt als heilige Stätte, an der Geheimnisse enthüllt werden können, die anderswo nicht laut werden dürfen. Der ‚apanu ist eine Stätte, die Ba‘al als Erbbesitz zugehört, wie Ex 15,17 der Zion Jahwä als yn"doa] vd'Q.mi [...] ^t.l'x]n: rh; zugesprochen wird (vgl. Ps 78,54f). Ba‘als Anrecht auf ihn besteht, längst ehe er da einen Palast besitzt und königlich zu walten vermag. Eine ähnliche nμlt wird bei anderen Göttern vorausgesetzt. So hat der göttliche Handwerker Ko¾ar-wa-–asis als Erbteil μkpt, was vielleicht das ägyptische Memphis meint 1.3 VI 13–15; 1.17 V 21.76 Mots „Land des Erbteils“ heißt hmry 1.4 VIII 2–14. Solche Verweise lassen sich kaum anders begreifen denn als Hinweis auf eine urzeitliche Landverteilung durch die oberste Gottheit unter den einzelnen göttlichen Wesen, wie sie im Alten Testament Dtn 32,8f voraussetzt: Als Äljon die Völker verteilte, als er die Menschheit aufteilte, legte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der „Gottessöhne“.77 Fürwahr, Anteil Jahwäs ist sein Volk, Jakob das Los seines Erbteils (hl'x]n:).

Aufgrund einer solchen Zuteilung gehört Ba‘al deshalb zum Berg, ehe er dort einen Palast besitzt und seinen Thron besteigt. An dieser Stelle erscheint der Berg als ein verfügbares Eigentum Ba‘als, von einem göttlichen Eigenwillen bei ‚apanu selbst ist nichts erkennbar. | Neben Ba‘al stehen auch andere überirdische Wesen zu diesem Berg in Beziehung. Anders als in den rituellen Texten gehört Anat nicht unmittelbar hierher. Sie besucht zwar da ihren Partner, wohnt aber weit entfernt 1.3 IV 35–39. Doch nach Ba‘als Tod trägt sie zusammen mit Šapšu Ba‘als Leiche auf die ƒrrt ƒpn, beweint sie dort und begräbt sie in einer Höhle der ilm arƒ und bringt dann gewaltige Totenopfer dar 1.6 I 14–18(–31). Was sind das für „Götter der Erde“? Offensichtlich haben sie eine Beziehung zu den Toten, wenigstens dann, wenn diese ordnungsgemäß bestattet sind. Ihre Bindung an den ‚apanu scheint aber keine ausschließliche zu sein. Denn Mot hatte zuvor gedroht, seinerseits Ba‘al b—rt ilm arƒ zu legen 1.5 V 5f und dabei ist sicher nicht der gleiche Platz gemeint gewesen, den später 75 „enthüllen“ nach arab. fa²a, TOu I, 166, Anm. 1; „untersuchen“ nach h[b CML, 49; Smith, Ba‘als Cosmic Secret, 295–298. 76 CML, 146; ARTU, 19; anders TOu I, 99. 77 BHS z.St.

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Anat wählt. Demnach werden die hier genannten ilm wohl die in der Unterwelt weilenden Toten sein.78 Anscheinend ist es von Belang, an welcher Stelle unter der Erde sich Tote aufhalten. Jedenfalls ist für Ba‘al der ‚apanu der günstigste Ort. Von da aus kann er später wiederkehren und seinen Thron neu besetzen. 194/195 Daneben taucht, wenn auch seltener als in den Ritualtexten, ƒpn als eigener Gott auf. Im Aqhatepos 1.19 II 34f wird vielleicht ‚apanu für sich in einem Ausruf erwähnt: In der Hand des ‚apanu ist unser Sieg (oder: sind sie Siegende, bm yd ƒpn hm tliym).79 Im Keretepos 1.16 I geht die Totenklage vom ‚apanu selbst aus, der hier sehr viel selbständiger auftritt als im AB-Zyklus:80 6 tbkyk ab ²r bǥl 7 ƒpn —lm qdš 8 any —lm adr Es beweint dich, Vater, der Berg des Ba‘al, ‚apanu, die Umwallung der Heiligkeit. Es klagt die mächtige Umwallung.

Auch im akkadischen Gilgameschepos VIII, I 11 weinen die Berge nach Enkidus Tod. Der ugaritische Text setzt voraus, daß der Berggott im Zusammenhang mit dem Königtum steht. Stirbt ein König, ist dieser Berg betroffen und zur Totenklage gefordert.81 Der ‚apanu ist demnach so etwas wie die | Gewährleistung staatlicher Stabilität. Bordreuil möchte Z.8 nny statt any lesen und schließt dann auf einen Berg Nana, der in der Grenzliste RS 17.340 = PRU IV 51.Z.6' in der Gegend des ‚apanu genannt wird, in hethitischen Texten als Na(m)ni häufig neben –azzi = ‚apanu erscheint, und deutet das auf einen Zweitgipfel, der später bei Strabo Anticasius heißt.82 Da jedoch in den religiösen Texten aus Ugarit eine solche Doppelung höchstens noch 1.10 III 28–31 auftaucht und dort der zweite Berg arr heißt, bleibt eine solche Textänderung fragwürdig. 195/196 Weder zu den rituellen noch zu den mythischen Texten im strikten Sinne gehört das Beschreibungslied 1.101, das vermutlich als „Sieges- und 78 CML, 72, Anm. 3; vgl. 1Sam 28,13. Darf man den Ausdruck mit ARTU, 77, Anm. 368 auf „deified ancestors“ beschränken? TOu I, 254: „le cimetière divin, la terre“. 79 CML, 116 liest Z.83f tliyt. Zur zweiten Übersetzung ARTU, 254. Der Text ist unsicher und bleibt TOu I, 448 unübersetzt. 80 Dietrich/Loretz, Wehklage 189–192. 81 Der Name Keret bezeichnet vermutlich von Haus aus einen nicht semitischen König von Chubur. Ihm tritt ein Gott Baal als Fürsprecher zur Seite. Sein (drohender) Tod wird von ‚apanu beweint; er hat ein Ausbleiben des Regens zur Folge. 82 Bordreuil, Arrou, 275–279. Vgl. Klengel, Geschichte Syriens II, 354; III, 34f. So jetzt auch Dietrich/Loretz/Sanmartín, Ugaritisch crrt, 79–85.

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II. Gottessitz in Ugarit

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Thronbesteigungslied“ zu bestimmen ist.83 Die Beziehung des göttlichen Meisters zum Berg als Thronsitz tritt gleich eingangs betont hervor.84 1 bǥl y¾b k¾bt ²r hd r[bƒ] 2 km db b tk ²rh il ƒpn b tk 3 ²r tliyt Ba‘al hat sich thronend gesetzt, denn85 ein Thron ist der Berg. Haddu lag[ert] wie ein Bär (?86) inmitten seines Berges, des göttlichen (?)‚apanu, inmitten des Berges seiner Macht.

Die Wendung il ƒpn war schon oben im Zitat aus 1.3 III aufgetaucht. Sie läßt sich an beiden Stellen auf mehrfache Weise deuten. a) ‚apanu könnte eine Näherbestimmung zu El, entweder als Konstruktusverbindung oder als appositionelle Wendung, sein und den Berg diesem Hochgott als Erscheinungsform zuweisen, analog hebräischem El Betel Gen 35,7 oder El Äljon Gen 14,18 u.ö.87 | b) il ƒpn ist nichts als ein Titel Ba‘als, hier als Nominativ parallel Haddu, was freilich zu einer anderen Zeilenabtrennung nötigt, die mit dem Parallelismus weniger gut übereinstimmt.88 c) il ist eine Art Determinativ, welches ‚apanu als eigenständige Gottheit ausweist analog il hd 1.10 III 9 u.ö., bzw. ein Adjektiv „göttlich“.89 Die dritte Lösung entspricht dem Nebeneinander von Ba‘al ƒapani einerseits und ‚apanu andererseits in den rituellen Texten und empfiehlt sich daher am ehesten.90 Die weiteren Zeilen in 1.101 deuten die Macht, die der Berggott dem über ihm thronenden Meister vermittelt, als die Ursachen von Blitzen und Donner. Sitzt Ba‘al auf dem ‚apanu, so ragt zudem nach Z.7 sein Haupt mit 83

So der Titel bei Dietrich/Loretz, Sieges- und Thronbesteigungslied, 129–146, vgl. Loretz KTU 1.101, 415–421; Fisher/Knutzon, Enthronement Ritual, 157–167; LipiĔski, Épiphanie, 81– 92; Pope/Tigay, Description, 117–130; Margulis, Weltbaum, 1–3; de Moor, Contributions, 639; ARTU, 1f. 84 Zur Zeilenordnung s. Dietrich/Loretz, Sieges- und Thronbesteigungslied, 129. 85 k begründend, LipiĔski, Épiphanie, 82f. 86 So Dietrich/Loretz, Sieges- und Thronbesteigungslied, nach hebr. bDo.o Den Anfang von Z.2 abzutrennen k.mdb „wie ein Ozean“ – so ARTU, TOu – ergibt keinen befriedigenden Sinn. Andererseits zwingt die Lesung „Bär“ nicht dazu, mit Dietrich/Loretz in der vorangehenden Zeile auch in tbt Ƨr eine Tierbezeichnung zu vermuten. 87 So vermutet es LipiĔski, El’s Abode, 64 für Ugarit zeitweise. Vgl. Cazelles, Review, 500. 88 Virolleaud, Textes, 558; Gese, Religionen, 123, Anm. 192; vgl. CML, 142 s.v. il-ƒpn. 89 Zu den verschiedenen Deutungen Tarragon, Culte, 152f (Lit.). 90 LipiĔski, Art. !Apc', 1096f.

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den Hörnern in den Himmel.91 Der thronende Götterkönig füllt also mit seinen riesigen Maßen das Weltall aus, und der ‚apanu stellt den zentralen Weltberg dafür bereit, eine Vorstellung, die wohl Jes 6 ihre alttestamentliche Parallele hat, wo der über dem Zion thronende Jahwä nur mit seinem Saum den Tempel auf dem Berg bedeckt und demnach mit seiner Gestalt hoch in den Himmel emporragt. Abschließend der Versuch eines Vergleiches der beiden ugaritischen Textgruppen. Übereinstimmend setzen die rituellen wie die mythischen Tafeln den engen Bezug eines Ba‘al genannten Gottes zum Berg ‚apanu voraus, der aller Wahrscheinlichkeit nach dem heutigen ³ebel el-aqraǥ entspricht. Jener Gott ist zuständig für die Fruchtbarkeit der Erde durch Regen und Gewitter, aber ebenso für den Bestand von Königtum, Palast und Herrschaft im Staate. Dennoch zeigen sich innerhalb der beiden Textgruppen charakteristische Abweichungen. 196/197 a) In den Opferlisten erscheint Ba‘al mehrgestaltig, wird als „Meister des ‚apanu“, aber auch als der von Ugarit oder Halab (Aleppo?) genannt; nur an wenigen Stellen taucht Ba‘al ohne Näherbestimmungen auf. Hingegen herrscht solcher absoluter, „eingestaltiger“ Gebrauch von Ba‘al in den Mythen vor, dort wird zwar daneben gelegentlich b‘l ƒpn, häufiger aber noch ein Eigenname Haddu gebraucht, den die erste Textgruppe auffälligerweise vermeidet. In den Mythen ist Ba‘al eine entscheidende Potenz und der Berg vornehmlich sein Eigentum, Wohnsitz, Thronstätte. Als naμlatu ist ihm dieser Teil der Erde seit Urzeiten (von El?) zugewiesen, von hier aus dirigiert er Wolken und Wetter. b) Hier wie dort wird ein nachgeordneter Berggott vom göttlichen „Bergmeister“ unterschieden, ohne daß eine genealogische Verknüpfung erkennbar wird. | Während aber bei den Anordnungen für die Opfer ‚apanu absolut eingeführt wird, als ein durchaus gewichtiger Opferempfänger, und il ƒpn nur dort auftaucht, wo es wohl einen Plural von Göttern, die mit dem ‚apanu in Beziehung stehen, meint, wird in den anderen Texten der Berggott meist mit il – als Determinativ? – eingeführt, über eine eigene Funktion des ‚apanu verlautet aber nichts, abgesehen von der Totenklage, die er nach dem Keretepos anstimmt. c) Eine Göttin gehört nach den rituellen Listen als ‘nt ƒpn ebenso eindeutig zum Berg wie Ba‘al. Wo die mythischen Erzählungen von ihr berichten, wohnt Anat weit ab vom Berg, ist freilich emsig um den Gott besorgt, der auf dem Berge thront.

91 Anders ARTU, 2. Zu den unterschiedlichen Deutungen Dietrich/Loretz, Sieges- und Thronbesteigungslied, 137–142; vgl. TOu II, 49.

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II. Gottessitz in Ugarit

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3. –azi in akkadisch-sprachigen Texten Die akkadischen Tafeln aus Ugarit bilden eine dritte Textgruppe, denen aber wenig Einzelheiten zu entnehmen sind. In ihnen wird statt ‚apanu ein —ursag –azi erwähnt, was deutlich den gleichen Berg meint: In den Schwurgötterlisten, welche Anordnungen des hethitischen Großkönigs an den Herrscher von Ugarit schließen, wird meist am Ende und nach anderen Adad-Gestalten der Adad des –azi angeführt.92 Da es sich dabei um Urkunden hethitischer Könige handelt, läßt sich aus diesen Texten nur bedingt auf ugaritische Anschauungen schließen. Wo ugaritische Könige eine Stiftung oder ein Vermächtnis festlegen, rufen sie ilbaǥal bêl —ursân —azi als göttlichen Garanten an.93 An diesen Stellen erscheint Ba‘al so sehr als Eigenname, daß seine Zuordnung als Herr des Berges durch ein zusätzliches bel unterstrichen werden muß. Gott (und Berg) gelten als die Mächte, die königlichen Anordnungen unverbrüchliche Wirkung verleihen. Dieser Aspekt Ba‘als tritt in den keilalfabetischen Texten nicht zutage. Im keilalfabetischen Entwurf für einen gewiß in akkadischer Sprache abgesandten Brief des ugaritischen Königs an den Pharao wird Ba‘al ƒapani als b‘l des einheimischen Herrschers parallel zu Amon als Garant des ägyptischen Königs, der übrigens ebenso ein b‘l für den Ugariter ist, eingereiht. Der als einziger Landesgott genannte Gott des ‚apanuberges gewährleistet also Bestand und Erfolg des Staates.94 Ein Tempel des dIM vom –azzi wird PRU III 70:16.276,21 erwähnt; ist damit der Ba‘alstempel in der Stadt Ugarit gemeint? | 197/198 So ergibt sich, daß das Nebeneinander von Berggott und göttlichem Bergmeister in Texten aus Ugarit zwar überall vorausgesetzt, aber keineswegs einhellig vorgestellt wird. Da rituelle Vorschriften in der Regel ein besonderes Beharrungsvermögen besitzen, darf man wohl die mythischen Aussagen, sofern sie sich von jenen unterscheiden, als eine jüngere Weiterentwicklung ansehen. Danach gab es in Ugarit eine fortschreitende Tendenz, Ba‘al mehr und mehr als den „Meister schlechthin“ zu betonen, also wohl als den Gott, der über und hinter allen hierarchisch-institutionellen Verhältnissen der Gesellschaft wie der Natur steht. Der eigentliche Berggott verliert auf der jüngeren Stufe an Bedeutung.95 Stellt man in Rechnung, daß allem Anschein nach im beginnenden zweiten Jahrtausend in Syrien noch 92

PRU IV, 52: 17.340,21'; 65: 17.237,15'; 99: 17.79+374,56'(?); 137: 18.06 + 17.365,7'. PRU III, 76: 16.144,12; 84: 16.157,27; 108: 16.238,18. 94 Eißfeldt, Ba‘al ‚aphon, 53–57; PRU II 33–35. Vgl. auch Stele und Inschrift des ägyptischen Gesandten Mami mit Weihung an Ba‘al ƒapani Ug I, fig. 30; ANEP, 485; Stadelmann, Gottheiten, 37–39. 95 Die verblassende Rolle des ‚apanu erklärt, warum das Wort kaum je als theophores Element auftaucht, Gröndahl, Personennamen, 80.189; zu —azi S.231. 93

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gar kein Gott Ba‘al unter solchem absoluten Namen verehrt wurde, sondern nur unterschiedlichen Gottheiten je ein Epitheton „Herr von X“ zugelegt worden war,96 so wird der Berggott ‚apanu/–azi einst für sich gestanden und gewaltet haben und als solcher für den Ursprung von Wetter und Fruchtbarkeit gehalten worden sein.97 Zum Berg kam Ba‘al als dessen eigentlicher Herrscher wohl nicht aufgrund reiner Spekulation oder einer singulären Wandlung in der Gottesauffassung. In den rituellen Texten wird absolut gebrauchtes Ba‘al mehrfach an Dagan nahe herangerückt.98 Da Dagan ursprünglich am mittleren Euphrat verehrt worden ist,99 ist vielleicht auch die Ba‘alkonzeption vom Osten her zum ‚apanuberg hingelangt. Undeutlich bleibt, ob dabei die Konzeption einer eigenen göttlichen Repräsentation von Herrschaft und Meisterschaft schlechthin bereits mit dem Eigennamen Adad/Haddu gekoppelt war. In den Texten tritt diese Verbindung hinsichtlich des Berges nur selten zutage. Weniger noch ergibt die Parallele des hurritischen Wettergottes Teschub. Der taucht zwar in Ugarit auf, wird aber nirgends mit dem Berg zusammengestellt. So bleibt die Annahme Kapelruds100 erwägenswert, daß Ba‘al als selbständige Gottheit ursprünglich weder etwas mit Haddu/Adad noch mit ‚apanu zu tun hatte. 198/199 Ergebnis: Innerhalb der ugaritischen Texte zeigt sich eine Tendenz, die Wirksamkeit Ba‘als auf Kosten des ursprünglich eigenständigen Berggottes mehr und mehr herauszustellen. Somit bahnt sich hier eine Linie an, die im Alten Testament gewissermaßen eine Fortsetzung findet, wenn dort Jahwä zwar auf dem ‚afôn-Zion thront, dieser aber keinerlei eigenständige Bedeutung mehr besitzt. Ein ähnliches Gefälle läßt sich hinsichtlich der maßgeblichen Funktionen beobachten. Der ugaritische Gott mag zum Berg gekommen sein wegen seiner Wirksamkeit für Wolken und Regen. Dort einmal verortet, wird er mehr und mehr zum Inbegriff irdischer Herrschaft, wobei die Wettergottaufgaben zurücktreten. Die Verschiebung des Schwerge96

Gese, Religionen, 123; Koch, Entstehung, passim. Die älteste Erwähnung eines Berges –azzi findet sich in der Inschrift des Idrimi Z. 33; Dietrich/Loretz, Inschrift, 201–269, und TUAT I, 501–504. Ein Hinweis auf eine Stadt ƒapanumki findet sich vielleicht schon in Ebla (MEE I, Nr.180), Bonnet, Typhon, 101f, was freilich LipiĔski, Art. !Apc', 1095, bezweifelt. – Das gern verhandelte Problem der Etymologie von cpn kann hier auf sich beruhen. Versuchte Ableitungen von úpj „spähen“, úp „flößen“ oder cpn „verbergen“ betreffen eine graue Vorzeit, die für den semantischen Befund weder im Ugaritischen noch im Hebräischen etwas austrägt; vgl. HAL, 979a, und LipiĔski, a.a.O.1095f. –azzi scheint der ältere (wegen der iEndung hurritische?) Name gewesen zu sein (Idrimi), er ist vielleicht volksetymologisch mit μzj „schauen“ verbunden worden, dies wieder mit cpj „ausspähen“, was die Adaption des Namens ‚apanu ermöglichte, LipiĔski, a.a.O.,1096. 98 Vgl. die Zusammenstellung beider 1.123,4. 99 Edzard, Art. Dag¹n, 49. 100 Kapelrud, Baal, 51. Zur nachträglichen Bindung Ba‘als an den Berg s. Eißfeldt, Wohnsitze, 506, und Koch, Entstehung, 189ff. 97

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III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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wichts auf den Thron eines Weltkönigs tritt dann beim Jerusalemer Gott noch deutlicher hervor. III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

III. –azzi und Nanni als göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern Der Berg –az(z)i, den die keilalfabetischen ugaritischen Texte ‚apanu nennen, spielt als sakrale Größe in Texten aus Bo³azköy eine Rolle, die derjenigen in der nordsyrischen Stadt weithin gleichkommt. Aus dem vielschichtigen Material sind einige Aspekte herauszugreifen, die zum Verständnis der Gottesanschauung in Syrien-Palästina und ihrer Vorgeschichte einen Beitrag zu liefern versprechen. 199/200

1. Schwurgötterlisten In den sogenannten Staatsverträgen in hethitischer oder akkadischer Sprache, die in der Regel keine echten Verträge sind, sondern Bündnisformulare, die der Großkönig setzt, der Vasall zu beschwören und an einem Heiligtum zu deponieren hat,101 nimmt der in Frage stehende Berg zusammen mit einem anderen namens Nanni/Namni von Šuppiluliuma I. an bis –attušili III. eine herausragende Stellung unter den Schwurgöttern ein.102 Angerufen wird im entsprechenden Abschnitt bei syrisch-mesopotamischen Bündnispartnern zuerst der Sonnengott des Himmels, die Sonnengöttin von Arinna (und der Wet|tergott des Himmels). Dann folgen der Wettergott von –atti, Šeri und –urri, Nanni und –azzi. Erst danach werden weitere Wettergötter, oft mehr als ein Dutzend, aufgezählt. Dem schließen sich dann Gottheiten anderer Kategorie sowie diejenigen des Hethiterlandes und des Vertraglandes überhaupt an. Was auffällt, ist die herausgehobene Stellung der beiden Berggötter, die zusammen mit den göttlichen Stieren Šeri und –urri103 eine lange Reihe der Wettergötter unterbrechen. Jene sind anscheinend dem hattischen Wettergott so eng verbunden, daß sie ihm in einer solchen Liste unmittelbar beigesellt werden müssen. Das überrascht, weil zumindest der Berg –azzi gar nicht im Land –atti liegt und überdies göttliche Berge allgemein und anonym, zusammen mit Flüssen, am Ende der Schwurgötterliste zusätzlich 101

v. Schuler, Staatsverträge, 34–53. Zum einschlägigen Begriff iš—iul s. Otten, Vertrag, 130. Übersicht bei Goetze, Kleinasien, 130f. 103 v. Schuler, Art. «erri und –urri, 195f. 102

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auftauchen.104 Bei Bündnisformularen für syrische Vasallen können weitere syrische Berge aufgeführt werden, dann aber weit ab von den eingangs angerufenen Nanni und –azzi, etwa Libanon (lablana), Sirjon (sariyana), Pišaiša; ihnen folgen die Lula——i-Götter, die –abiri-Götter, Ereschkigal, die Götter und Göttinnen des –attilandes, die Götter und Göttinnen des Amurrulandes.105 Warum werden jene beiden Berge aus ihrem geografischen Kontext gelöst und dem Wettergott von –atti zugeordnet, jedoch nicht dem nach Syrien weisenden Wettergott von Aleppo, der später erscheint?106 Oder dem umfassenderen Wettergott des Himmels? Auch der an sich nach Syrien weisende Teššub wird wohl vom –azzi getrennt aufgeführt.107 In dem (einem älteren Formular folgenden?) Vertrag Šuppiluliumas mit Niqmadu II. von Ugarit ist die Götterliste noch kurz, lautet die Reihe: Wettergott von –atti, Sonnengöttin von Arinna, –ebat von Kizzuwatna usw., gegen Ende erscheint der Wettergott des –azzi. Hier wird nur ein Berg genannt, aber nicht als eigener Gott, sondern nur mit dem zugeordneten Wettergott als einer einheitlichen Gestalt!108200/201 Selbst bei Verpflichtungen von westanatolischen Vasallen können Nanni und –azzi, mit Šeri und –urri zusammen, ans Ende der Reihe der Wettergötter treten, aber auch hier von Bergen und Flüssen allgemein unterschieden.109 | Die numinose Ausstrahlung der nordsyrischen Berge reicht also über das zentralanatolische hethitische Kernland hinaus. Eine sichere Verortung des meist zuerst angeführten Berges Namni/Nanni ist noch nicht gelungen. H.Th. Bossert110 dachte an den zentralen Berg Mittelanatoliens, den Erciyas da³, was zur Zusammenstellung mit dem Wettergott von –atti passen könnte; doch das hat bislang keine Nachfolge gefunden. E.von Schuler zieht den Amanus in Erwägung,111 was den geografischen Gegebenheiten Nordsyriens entspricht, wo dieses bis 2200 m hochragende Gebirge den Eindringlingen aus dem Norden nicht weniger imponiert haben wird als der ³ebel el-aqraǥ.112 H. Klengel schlägt den Anti104 So z.B. die Verträge Šuppululiuma-Mattiwaza von Mitanni: Weidner, Dokumente, 3–37, hier: 28–31 (vgl. S.48f) = ANET, 205f; Šuppululiuma-Texte von Nu—ašši: Weidner, a.a.O., 58–71, hier: 66–69. 105 Vertrag Muršili II.– Duppi-Tešub von Amurru: Friedrich, Staatsverträge, 1–48, bes. 22–25, = ANET, 203–205; vgl. Šuppululiuma-Aziru von Amurru: Weidner, Dokumente, 74f; Muršili II. – Niqmepa von Ugarit: Kestemont, UF 6, 85–127; s. Klengel, Geschichte III, 44, Anm. 16. 106 Mattiwaza-Vertrag Z.42; Weidner, Dokumente, 28f = ANET, 205. 107 Mattiwaza-Vertrag, Z. 36.54–57; ANET, 206; vgl. Weidner, Dokumente, 29–30. 108 PRU IV, 48ff; TUAT I, 131f. 109 Muwattalli-Alakšandu von Wilusa: Friedrich, Staatsverträge II, 78–81. 110 Bossert, Felsrelief, 135f. 111 v. Schuler, Art. –azzi, 171; ebenso LipiĔski, Art. !Apc', 1097. 112 Der Amanus wird hethitisch gewöhnlich wohl Am(m)ana genannt, was vielleicht aber nur den nördlichen Teil des Gebirges meint; Otten, Berg- und Flusslisten, 1969, 251; vgl. ugaritisch ²r amn KTU 2.33.

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III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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casius vor, ein dem Hauptgipfel des eben genannten Berges vorgelagerter Nebengipfel. Er setzt ihn mit dem als ugaritischen Grenzfixpunkt PRU IV 51 = RS 17.340: 6' erwähnten —uršan nanƗ gleich.113 Im letzten Fall bleibt schwierig, warum in den ugaritischen Ritualen dieser Berg nie eine Rolle spielt und zudem gerade in den Staatsverträgen mit Ugarit die Berufung auf diesen Berg ausfällt. Auch in den Texten von Emar kommen jene beide Berge nebeneinander vor.114 So wird wohl eine zweite selbständige Erhebung im nördlichen Syrien am ehesten wahrscheinlich sein.115 201/202 Wie es sich auch immer mit Namni/Nanni verhält, warum wird ausgerechnet der nordsyrische Berg –azzi dem Wettergott des –attilandes beigesellt? Hethitische Texte pflegen Wetter- und Berggötter häufig zu kombinieren; dann aber handelt es sich um Berge, die im Einzugsbereich der betreffenden Region und ihrer Kultstätten liegen. Der Zusammenhang stimmt also zu meteorologischen Beobachtungen. Hier aber handelt es sich um einen weit abliegenden Berg im Südosten, der mit dem Wetter in Zentralanatolien nichts zu schaffen hat und mit einem wohl hurritischen Namen bezeichnet wird. Wenn das ebenfalls von den Hurritern überlieferte göttliche Stierpaar aufgeführt wird, gab es einst Sinn, weil dadurch die Beweglichkeit des syrischen Wettergottes angezeigt wurde.116 Nichtsdestoweniger, der syrische Berg an so prominenter Stelle in den Bündnisformularen ruft nach Erklärung. Handelt es sich um einen besonderen Aspekt großköniglicher Macht, den allein er vermittelt? Bildet der Berg | das mythische Zentrum Syriens, „on possession of which the Hittite claim for world rulership rested“?117 Wird wie im Alten Testament an den Thronsitz eines weltweit herrschenden göttlichen „Großkönigs“ gedacht?

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Klengel, Geschichte III, 34f; vgl. Bordreuil, Arrou, 20 und Dietrich/Loretz/Sanmartín, Ugaritisch ƒrrt, 79ff. 114 LipiĔski, Art. !Apc', 1097; s.u. 115 Gonnet, Montagnes, 146f.148f; del Monte/Tischler, Orts- und Gewässernamen, 106.280. 116 Das gilt nur für eine Zeit, in der der Ochsenkarren noch nicht vom Streitwagen überflügelt wurde. 117 Goetze, CAH 2II, 28. Im Blick auf den Erciyas da³ formuliert Börker-Klähn, Mons, 244: „Auch wenn das expressis verbis nicht festgehalten ist, darf es als Selbstverständlichkeit gelten, daß auf dem höchsten inneranatolischen Berge der Große Wettergott den wichtigsten all seiner Sitze hatte: –UR.SAG DU, „Berg des Wettergottes“, ist neben all den kleinen lokalen Erhebungen zuvörderst der Argaios. Für die Staatsverträge trifft das nicht zu. Aber warum nicht?

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2. Kultbegehungen Auch rituelle Texte kennen beide göttliche Berge.118 Während des (—)isuwaFestes verehrt das Königspaar –attušili III. und Pudu—eba eine (Berg-) Göttin Liluri und den Wettergott als Garanten königlicher Macht. Bei dieser Begehung wird den Bergen Amanus, Manuzija u.a., aber auch Namni und –azzi, vom König libiert,119 die in der Mitte einer Liste von 40 in NordSüd-Richtung aufgeführten Bergen erscheinen. Unter den aus Kizzuwatna stammenden Texten findet sich ein besonderes Ritual für den Berg –azzi, wobei dem Wettergott Teššub geopfert und ein „Lied des Königtums“ offensichtlich während einer Thronbesteigungsfeier (des Großkönigs oder des Wettergotts?) gesungen wird.120 Die Festhandlungen setzen wohl voraus, daß der Berg in Nordsyrien in besonderer Weise den Bestand des Königtums im –attiland gewährleistet. Darüberhinaus werden beide Berge in hurritischen Beschwörungen als besonders fluchkräftig angerufen.121 Selbst in den „Riten der Götter des –attilandes“ in Emar-Meskene werden die Götter bzw. Berge –azzi und Na(m)ni zusammen mit dem Wettergott des Himmels und dem Stierpaar –urraš-Šeliš mit Opfern geehrt.122 Die Hethiter verbreiten also den Kult der beiden Berge nicht nur nach Westen hin, sondern auch ostwärts. |202/203

3. Mythen Es nimmt nicht Wunder, daß der Berg –azzi auch in Mythen hurritischen Ursprungs eine Rolle spielt, sind doch wohl die hurritischen Einflüsse von Nordsyrien her in Südanatolien eingedrungen. Im Ullikummi-Lied war berichtet, wie der vom Wettergott gestürzte frühere Götterkönig Kumarbi einen Steinunhold Ullikummi gezeugt und diesen auf die Schulter einer Atlasgestalt gestellt hatte. Von da aus wuchs er unaufhaltsam und bedrohlich in den Himmel. Um die Lage zu überblicken, steigen Teššub, sein Bruder Tašmišu und seine Schwester Šawuška auf den –azzi und werden des – wohl aus dem Meer oder der gegenüberliegenden Küste aufragenden – Unholdes angsterfüllt gewahr.123 Dessen Überwindung, die dem Wetter118

Stellen bei Klengel, Geschichte III, 44, Anm. 15. Otten, Berg- und Flußlisten; Haas, Berggötter, 103f. 226, Anm. 242. 120 Haas/Wilhelm, Riten, 260f. Haas, Berggötter, 117 vermutet, daß das Fest direkt auf dem syrischen Berg begangen wurde. 121 Haas, Berggötter, 143. 122 Arnaud, Emar, Nr. 472,57'; 473,8'–9'; 476,2'; 488,3'. Den Hinweis verdanke ich G. Wilhelm. 123 ANET, 122; Quellen des Alten Orients, 167; Haas, Berggötter, 154; Güterbock, JCS 6, 1952, 27ff. 119

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III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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gott zunächst mißlingt, dann aber durch einen Rat des Weisheitsgottes Ea ins Werk gesetzt wird, hat mit dem Berg nichts mehr zu tun. Doch erscheint belangreich, daß –azzi einen notwendiger kosmischer Beobachtungsposten für den Wettergott darstellt.124 Es ist vermutet worden, daß mit der Erwähnung des –azzi ein kanaanäisches Motiv in einen älteren hurritischen Sukzessionsmythos eingebaut worden ist.125 Wenn der Wettergott vom Berg aus seiner Ohnmacht gewahr wird, erinnert das allerdings weniger an ugaritische Ba‘almythen als an jüngere Überlieferungen vom Schicksal des Zeus am Berge Kas(s)ion gegen den Unhold Typhon (s.u.). 203/204 Den ugaritischen Texten näher steht eine Reminiszenz in der Mythe von Ištar und dem Berg Pišaiša, wo am Ende des erhaltenen Fragments von einem Kampf des Wettergottes gegen das Meer gesprochen und in diesem Zusammenhang auf die Götter Namni und –azzi verwiesen wird.126 Von einem für die Handlung entscheidenden Berg ist zwar in dem – ursprünglich hattischen?127 – Bericht vom Kampf des Wettergottes gegen den Drachen Illujanka nicht die Rede. Der Text gehört zum Purulli-Fest im nordanatolischen Nerik. Doch in einer zweiten Fassung findet der schließliche Sieg des Wettergottes am Meer statt.128 Die Verwandtschaft mit syrischen Lotan-| Leviathan-Überlieferungen und dem griechischen Typhonmythos lassen vermuten, daß dabei an das Mittelmeer und die Gegend des –azzi gedacht ist.129 Güterbock vermutet, daß der am Eingang der Tafeln als Verfasser genannte Beschwörungspriester „die südanatolische Geschichte in dem nördlichen Nerik eingeführt hat“.130 Ebenso denkbar ist aber, daß ein ursprünglich als Landungeheuer vorgestelltes feindliches Wesen an syrische Überlieferungen angeglichen und deshalb in der Nähe des Meeres angesiedelt wurde. Wie immer die überlieferungsgeschichtlichen Fragen bei diesen Mythen zu entscheiden sind, ihre Verortung von wesentlichen Episoden um den Wettergott im nordsyrischen Bereich fällt auf. In diesen Texten scheint sich eine zunehmende Tendenz abzuzeichnen, nach der die Feinde des Wettergottes und der (groß)königlichen Herrschaft gerade in dieser Region und in Zusammenhang mit dem Mittelmeer zu suchen sind. 124

Besteht u.U. ein Zusammenhang zum Namen ƒapanu über dessen Anklang an die Wurzel

ƒpj „spähen“?

125 Gese, Religionen, 63f; Quellen des Alten Orients, 160; v. Schuler, Art. –azzi, 171f; Haas, Berggötter, 142–148 hingegen lokalisiert den ursprünglichen Kumarbi-Zyklus im althurritischen Siedlungsgebiet um Tigrisquellen und Vansee und hält den –azzi für einen nachträglichen Ersatz eines entsprechenden Berges im Osten infolge einer Westwanderung der Hurriter. 126 Laroche, RHA 82,72 = Textes 186,19f. 127 v. Schuler, Einleitung, 151. 128 ANET, 126; RTAT, 180; Haas, Magie, 113. 129 Eißfeldt, Baal Zaphon 23; v. Schuler, Art. Illujanka, 178. 130 Güterbrock, Hethitische Literatur, 248.

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4. Hethitische Glyptik Bedeutsam sind ferner bildliche Wiedergaben von Gottheiten. Bei der berühmten „Prozession“ von Yazılıkaya sind auf der Nordwand die um die zentrale Begegnung von Teššub und –ebat gereihten Gestalten Nr. 40–44 auf Bergen dargestellt. 204/205

Abb. 1: Mittelszene von Yazılıkaya (Akurgal, Kunst 79, Abb. 19).

Wie in den Schwurgötterlisten werden hier dem Wettergott zwei anthropomorfe Berggötter beigegeben, mit Schuppen, Keilbart, Spitzmütze und Hörnern, daneben allerdings nur ein Stier, während ein zweiter Stier der gegenüberstehenden –ebat beigegeben ist. Unter dieser Göttin befindet sich zunächst ein Panther (oder Löwe), dann aber über vier abgeplatteten Bergen (als Symbol der vier kosmischen Stützen, vgl. Ps 89?). Auf einem ähnlichen Tier bewegt sich der hinter ihr stehende Šarruma fort, obgleich diesmal nur zwei seltsam gespaltene Felsen den Untergrund abgeben. Links von Teššub steht ein weiterer Wettergott, vielleicht Šuwalijat-Tašmišu, auf zwei besonders hoch aufragenden Erhebungen. Dahinter folgt Nr. 40 (auf der Abbildung nicht sichtbar) Kumarbi, hier als Gott der Fruchtbarkeit mit Zweig, ebenfalls auf zwei abgestumpften Bergen. Die unterschiedlichen Formen der Gebirge deuten darauf hin, daß deren göttliche Mächte für hethitische

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III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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Betrachter unterschiedlicher Art gewesen sind. Vermutlich ist es von Belang, daß der auf einer gegenüberliegenden Felswand dargestellte, vergöttlichte131 König Tud—alija IV. ebenfalls auf zwei Bergen von wieder anderer Art (schuppig und oben abgerundet) steht. Sechs weitere, kleine Berggötter bilden Nr. 13–17 in der Prozession ab, wobei ver|mutlich Nr.17 die Beischrift Namni trägt.132 Die beiden Teššub zugeordneten, menschenähnlichen Gebilde übertreffen sichtlich an Rang die vergleichbaren Größen, die den anderen großen Gottheiten beigegeben sind. In einem Kultinventar werden einer goldüberzogenen Statue des Wettergottes des Himmels „zwei Berge in Männnergestalt, die mit Silber überzogen sind“ zugeordnet.133 Da sonst nach den Kultinventaren Berge meist als „Eisenmänner“ dargestellt werden, werden hier vielleicht dem höchsten Wettergott wieder zwei Größen zugeordnet, die wie in Yazılıkaya durch ihre numinose Macht sich von derjenigen anderer Berge abheben. 204–206

Abb. 2: Imamkulu (nach Kohlmeyer)

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Güterbock bei Bittel, Yazılıkaya, 187. v. Loon, Anatolia, 21. 133 v. Brandenstein, Hethitische Götter, 6f; Bittel, Die Hethiter, 218; vgl. Haas, Berggötter, 49– 52; Güterbock, Hethitische Götterdarstellungen, 302ff. 132

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205–207

Das Pantheon von Yazılıkaya weicht unverkennbar von dem der Bündnisformulare und Schwurgötter ab. Die Beischriften geben den Reliefs nur hurritische Namen, und die Anordnung ist von hurritischer Götterauffassung geleitet. Das spiegelt eine Kultreform wieder, die Tud—aliya IV. (oder schon –attušili III. unter dem Einfluß seiner Gemahlin Pudu—eba134) vorgenommen hat. Dabei bleibt aber die Zuordnung zwei besonders mächtiger Berggipfel zu dem | nun an die Spitze des Pantheons rückenden Teššub gewahrt. Man wird nicht fehlgehen, in ihnen –azzi und Namni zu vermuten.135 Insofern bleibt die andauernde Vorordnung nordsyrischer Berge vor einheimischen Bergmächten im Reichsheiligtum bemerkenswert. Eine allgemeine Koppelung von Wetter- und Berggott ist freilich in der hethitischen Glyptik der Großreichszeit ein verbreitetes Motiv. So findet sich der Wettergott mit einem einzigen männlichen Berggott abgebildet sowohl in Fasıllar136 wie auf der großartigen Zeremonialaxt aus Sarkıúla, diesmal mit einer Sonnenscheibe und Mischwesen, die sie tragen137. Auf dem großen Felsbild von Imamkulu (Abb.2) fährt der von einem Stier gezogene Wagen des Wettergottes über drei sich bückende Bergmänner.138 | 205–207 Die Begegnung zwischen männlicher und weiblicher Hauptgottheit wird mythologischer als in Yazılıkaya abgebildet. Der Wettergott des Himmels(?139) hat den Stier hier so bei sich, daß er den Wagen zieht, mit dem er auf seine Partnerin zueilt, die sich vor ihm über einem Baum entschleiert. Getragen wird die Szene von drei gebeugten Berggöttern im Mittelfeld. Sie sind nicht schuppenartig dargestellt, tragen aber wie in Yazılıkaya lange konische Mützen und Hörner, hier zusätzlich je ein Schwert. Vielleicht deutet der größere Abstand zwischen dem Berggott rechts und den beiden linken an, daß nur diese zwei unmittelbar dem Wettergott zugehören. Die drei personifizierten Berge haben deutlich eine kosmische, die entscheidende Vereinigung von Wettergott und Göttin allererst ermöglichende Aufgabe. Sie werden ihrerseits von Mischwesen unterstützt, die wohl in der Unterwelt vorzustellen sind. Insofern gibt es hier nicht nur eine notwendige enge Koppelung von Berggott und dazugehörigem Wettergott wie in Ugarit und Yazılıkaya, sondern eine zusammengehörige Dreiergruppe bzw. Vierergruppe, wenn der Stier hinzuzuzählen ist. Auch in diesem Fall dient das 134

v. Loon, Anatolia, 19, Anm. 80; Alexander, Sculpture 137f. Klengel, Geschichte III, 33; v. Schuler, Art. –azzi, 171. 136 Bittel, Hethiter, Abb. 264. 137 Ebd., Abb. 341. 138 Kohlmeyer, Felsbilder, Fig. 33 und S. 80–86 (Lit.); Bittel, Hethiter, 182–186 mit Abb. 203; vgl. das benachbarte Relief von Hanyeri mit einem Prinz vor zwei über Stieren stehenden Berggöttern, Abb. 201. Umgekehrt erscheinen Stiere über je 4 Bergen auf einer Bronzeplakette aus Alaça Hüyük, ebd. Abb. 246. 139 Die Doppelung des w-artigen Zeichens für „Wettergott“ ist schwer erklärlich. 135

207/208

III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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mythische Geschehen einer Stärkung königlicher Macht, wie die beigegebene Gestalt eines Königssohns (ganz links) ausweist. 207/208

5. Seitenblick auf die syrische Glyptik Nach der Schilderung der bildlichen Wiedergaben in Kleinasien, lohnt es sich, nach Syrien und Ugarit zurückzublicken. Die ikonografischen Denkmäler aus diesem Bereich waren vorerst ausgeklammert worden. Denn die syrischen Fundstücke fügen sich eher den hethitischen Textäußerungen ein als einheimisch-syrischen oder akkadischen, sofern sie der hethitischen Großreichszeit zugehören. Insbesondere zwei Siegel aus Ugarit sind aufschlußreich. Das eine gehört dem hethitischen Vizekönig Initeššub von Karkemisch (13. Jh. v.Chr., Abb. 3). Es zeigt links eine bildluwiAbb. 3: Zylindersiegel des Initeššub (Schaefsche Inschrift mit Namen und fer, Ugaritica III fig. 32 und S. 23–26. 85; vgl. Titeln des Herrschers sowie eiBittel, Hethiter, Abb. 182). nen Gott mit Keule, einer Spitzmütze und mehreren Hörnerpaaren. Hier handelt es sich eindeutig um einen Wettergott, vermutlich um Teššub entsprechend dem Namen des Siegeleigners. Er schreitet über zwei an Koniferen erinnernde konische Gebilde hinweg, von denen sich vielleicht das rechte nach vorn bückt, beide versinnbildlichen gewiß Berge. Ihm gegenüber steht eine ähnlich gekleidete und ebenso eine Keule tragende Gestalt mit nur einem Horn an der Spitzmütze, darunter ein stützendes Mischwesen, vielleicht ist jene Initeššub selbst, vielleicht ein zweiter Wettergott. Abb. 4: Zylindersiegel des AmanmaGanz links bäumt sich ein Stier über schu (Ugaritica III fig. 68 und S. 42– einem Kegelstumpf auf, der viel- 50; vgl. Bittel, Hethiter, Abb. 183). leicht einen dritten Berg bedeutet, dann aber von anderer Art als die beiden tannenähnlichen Gebilde rechts | daneben. Die Stellung eines Stieres neben dem Wettergott erinnert an Yazılıkaya.

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Die beiden Berge unter seinen Füßen sind gewiß –azzi und Namni, was sich für einen Herrscher von Karkemisch mehr noch nahelegt als für den von –attuša. Ganz rechts trägt ein weiterer Stier eine Gestalt ohne Hörnerschmuck, die mit einem Löwen kämpft, was hier unberücksichtigt bleiben kann. 208/209 Nicht minder sprechend ist das Siegel des Amanmaschu (Abb. 4), der einen ägyptischen Namen trägt und wohl im Dienste des Königs von Karkemisch steht. Links steht ein Wettergott mit Blitzbündel und Keule und doppeltem Hörnerpaar auf den Abb. 5: Syrisches Rollsiegel Schultern zweier Männergestalten mit Spitz(Nach Vanel) mütze und anscheinend je einem Hörnerpaar. Gegenüber erhebt sich über einem Löwen eine Gestalt ohne Hörner (?), ein Gott oder ein Großkönig, mit einer Sonnenscheibe über dem Haupt. Obwohl in Ugarit gefunden, sind die Motive auf beiden Siegeln hethitisch bestimmt. Dagegen zeigen die originalen ugaritischen Wettergottfiguren kaum je eine Koppelung zwischen diesen und einem Berg.140 Außerhalb von Ugarit, wohl im syrisch-anatolischen Grenzbereich, ist ein Rollsiegel gefunden worden, das einen Wettergott mit Keule und Hörnerkrone über zwei männlichen Berggöttern aufweist, die halb im Erdboden verborgen bleiben, aber die gleiche Art von Zweigen | hochheben wie der Wettergott selbst (Abb. 5).141 Selbst ein weit im Süden in Megiddo gefundenes Elfenbein mit bildluwischer Beischrift zeigt Stiere und Berggötter, die Gottheiten tragen, über denen sich zwei Sonnenscheiben befinden.142 Die hethitische Art, das Thema zu erfassen, macht demnach auch in Palästina Eindruck.

Abb. 6: Altsyrisches Rollsiegel (Nach U. Winter, s. Anm. 144). 140

Laroche, Ugaritica III, 85f. Vanel, Iconographie, Abb. 52; nach Seyrig, Cachets d’archieves, 93f, und pl. V (mir unzugänglich). 142 Orthmann, Der alte Orient, Abb. 372a; Loud, Ivories, 10. Eingehende Beschreibung bei Alexander, Šausga, 161–182. 141

209–211

III. Göttliche Berge bei Hethitern und Hurritern

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Doch das Motiv des auf Bergen stehenden Wettergottes ist, wenn man der Deutung von Vanel folgen darf, in Syrien älter als in Anatolien. Schon zwei Siegel aus dem syrischen 18. Jh. v.Chr. bilden es ab, allerdings ohne anthropomorfe Gestalt der Berge.143 | 209–211 Auf einem davon stößt der Gott seinen Blitz in den Rachen einer Schlange und schreitet auf eine ihm gegenüberstehende (Abb. 6) (nackte?) Göttin zu, die auf einem Podest steht.144 Auch die berühmte, wohl aus dem 18./17. Jh. stammende ugaritische Stele „Ba‘al au foudre“, die wohl besser „Hadad mit dem Blitz“ heißen sollte, da die absolut gebrauchte Gottesbezeichnung Ba‘al in so früher Zeit noch nicht belegt ist, gehört in diesen Motivzusammenhang (Abb. 7). Jedenfalls legt es sich von den Siegelparallelen nahe, die oberen Wellenlinien unter dem Podest, auf dem der Gott steht, auf Berggipfel zu beziehen.145 Welcher Gottesname freilich ursprünglich mit dem auf einem Berg – welchem? – hausenden Wettergott in Syrien verbunden war, läßt sich nicht mehr klären. War es Hadad/Haddu oder Teššub oder ein dritter, den wir nicht kennen? Die älteren kappadokischen Siegel heben sich davon ab. Auf ihnen schreitet zwar gern ein Wettergott – oder mehrere seiner Art –, auf Stier oder Drache stehend einer thronenden Gottheit entgegen.146 Beide Gestalten werden hier deutlich auseinandergehalten, selbst wenn der Thron als Berg gedacht wäre. Was ergibt sich für die Herkunft des ikonografiAbb. 7: Hadad mit dem schen Typs? Ergebnis: Die Kombination „WetterBlitz (Nach Gese, Religott auf zwei Berggöttern“ stammt anscheinend aus gionen 131, Abb. 7). Syrien, ist aber in Anatolien begeistert aufgenommen worden. Sie wird in Ugarit auf den Bezug zu einem Berg reduziert; in Kleinasien wird der Rang der Berggötter durch anthropomorfe Züge klarer herausgestellt, wobei diese Art von Hochschätzung überraschenderweise mehr syrischen Bergen als anatolischen gilt. Dabei spielt zweifellos „die numinose Kraft, welche die Hethiter in Stein und Fels sahen“147 eine fördernde Rolle. Vermittelt worden ist dieses Zu|einander von Wetter- und 143 Vanel, Iconographie, Abb. 34 und 35 mit S. 78f, vgl. Abb. 17 und S. 39, nach Frankfort, Seals, 270 fig. 86; und Porada pl. CXLVI 967 und Eisen, Seals, pl. XV 158. Vgl. das Siegel von Tel el-Dabarǥa (18. Jh) bei Bordreuil, Baal, 23, fig. 4. 144 Nach Keel, Bildsymbolik, 42f und Abb. 46; Winter, Frau, Abb. 123 (Lit.). 145 Vgl. Bordreuil, Baal, 17–24. 146 Vanel, Iconographie, Abb. 28. 29 und S. 63f. 147 Bittel/Boessneck, Yazılıkaya, 249.

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Berggott in Kleinasien allem Anschein nach durch eine Art Kulturdiffusion der Hurriter, die von Syrien her erfolgte. Gelegentlich hat man auf eine hurritische Herkunft der Großreichsdynastie als ausreichenden Grund für solche Übertragungen geschlossen.148 Eine andere Möglichkeit wäre, daß –attušili I. nach seinem siegreichen syrischen Feldzug hurritische Gottheiten von dort nach –attuša überführt und fortan hier kultisch verehrt hat.149 Doch zeigen die Unterschiede der Rangfolge zwischen den Göttern der Staatsverträge, wo das Formular älter ist, und der Reihe in Yazılıkaya, daß es in –attuša eine zweite Welle der Hurritisierung gegeben hat, die wohl mit –attušili III. und Pudu—eba verbunden war. Jetzt wird der Wettergott von –atti Teššub gleichgesetzt. An der Hochschätzung der Berge Namni und –azzi, wenn wir sie zu Recht für Yazılıkaya ansetzen, hat sich jedoch nichts verändert. Wie die mittelalterlichen Kaiser zwar durch Fürsten in Deutschland gewählt worden sind, aber ihre eigentliche Legitimation durch die Anerkennung im südlichen Rom gefunden haben, scheint die Würde des hethitischen Großkönigtums nicht primär durch anatolische Gegebenheiten legitimiert zu sein, sondern an seiner engen Bindung zu nordsyrischen Bergen zu haften.150 211 Ein Blick auf die Zeit nach 1200. Mit dem Untergang des Großreichs sind weder die hethitische Kunst noch die hethitische Religion verschwunden, wie die späthethitischen Staaten in Anatolien und Nordsyrien erkennen lassen. Doch die enge Verklammerung von Berggott und Wettergott scheint vergessen. Auf den Reliefs wird dargestellt, wie der König dem Wettergott opfert, so in Malatya (Arslantepe) und Ivriz,151 oder es werden (den Himmel stützende?) Berggötter ohne Wettergott abgebildet, wie in Ain Dara oder Yesemek.152 Beide Götterarten stehen also für sich. Vollends von –azzi und Nanni ist in den – freilich nur spärlich erhaltenen – Inschriften nicht mehr die Rede. Anscheinend hat sich die kosmologische Theorie gewandelt und dadurch der Wettergott eine mit Bergen gekoppelte Funktion verloren. |

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Güterbock, Historia 7, 57. Wilhelm, Hurriter, 31; Klengel, Geschichte III, 33f. 150 Die Hurriter haben vielleicht die Koppelung von Wetter- und Berggott sich erst in Nordsyrien angeeignet. Das jedenfalls würde erklären, warum die hurritischen Texte aus Ugarit den ursprünglich hurritischen Te¾ub zwar mit –alab, nicht aber mit –azzi verbinden, vgl. Ugaritica 5, 518ff. 151 Bittel, Hethiter, Abb. 276. 327f. 152 Ebd., Abb. 318. 319. 149

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IV. Niedergang der Verehrung und Wiederauftauchen

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IV. Der Niedergang der Verehrung des ‚apanuberges im 1. Jahrtausend und das Wiederauftauchen als Kas(s)ion 1. Wandlung zum Gott der Seefahrt Nach dem Fall von Ugarit scheint auch der Gott des heiligen Berges an Rang eingebüßt zu haben. Jedenfalls wird der Berg selbst nur noch wenig erwähnt. Stattdessen rückt ein b‘l šamem/n an die Spitze des Pantheons bei den Phönikern und Aramäern, so schon im 10. Jh. bei Jehimilk von Byblos.153 Als Assarhaddon 677 (?) mit dem König Baal von Tyrus einen Vertrag schließt, wird unter den göttlichen Zeugen zunächst Baal-sameme, dann Baal-malage und erst dann Baal ƒapan (dba-al-za-pa-nu) angeführt; die drei stellen Mächte dar, welche die Schiffahrt gefährden und Meeresfluten heraufführen können.154 Selbst im weit südlich liegenden Tyrus spielt der ehemals ugaritische Gott also eine Rolle, steht freilich nicht mehr an erster Stelle im Pantheon; der Gott, der Meisterschaft und Herrschaft verkörpert, ist nunmehr für Phöniker (wie Aramäer) in den Himmel als Ba‘al Šamem umgezogen.155 Aus dem gleichen Tyrus stammt ein Siegel des 6. Jh. mit einer Widmung an Baal –amon und Baal ‚apon als segenspendende (brk) Götter.156 Diesmal erhält Baal ‚apon für das individuelle Leben Bedeutung, steht aber wieder nicht an erster Stelle. Der dort genannte Baal-–amon war wahrscheinlich von Haus aus der „Baal des Amanus“, dieses Gebirge ist demnach bedeutsamer geworden als der ‚apanu-Berg.157 Die wenigen phönikischen Zeugnisse aus dem 1. Jt. v.Chr. erweisen also eine fortdauernde Verehrung des bei den Ugaritern so hoch angesehenen Gottes, verweisen ihn aber auf eine mindere Rangstufe. Als bloße Ortsangabe taucht baliƒapuna bei Feldzugberichten der Könige Tiglat-Pileser III. und Sargon II. auf.158 212 IV. Niedergang der Verehrung und Wiederauftauchen Der geringeren Wertschätzung in Syrien korrespondiert nun freilich in dieser Zeit eine Verlagerung seines Kultes nach Ägypten. Im Hafen von | 153

KAI, Nr.4. ANET, 534; TUAT I, 159; Borger, Inschriften, § 69. 155 Gese, Religionen, 182f; Höfner, Art. Ba‘alšam£n, 429f; Vattioni, Aspetti. KTU 1.5 I 4 war vielleicht schon ugaritisch der Himmel als „Gewand“ Baals angesehen worden, ARTU, 70, Anm. 326. 156 Bordreuil, Attestation. Vgl. den neuassyrischen Namen –aruƒapanu, den Zadok auf —arúapǀn zurückführt und einem Syrer zuschreibt: Phoenicians, 59; anders LipiĔski, Art. !Apc', 1097. Die bei Benz, Personal Names, 401f, gelisteten úpn-Namen stammen alle aus Ägypten oder Karthago. Ein Eigenname Abdƒapon taucht im palästinischen Nebi-Junis (3. Jh. v.Chr.?) auf, TUAT II, 597 (Lit.). Einen gräzisierten Namen BarsephönƝs hat Seyrig nachgewiesen: Antiquités syriennes, Syr 40, 1963, 31; Nr. 34, 12–14. 157 Cross, Canaanite Myth, 26f. 158 Bonnet, Typhon, 110, LipiĔski, El’s Abode, 63, Anm. 252. 154

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Memphis gibt es schon im 13. Jh. v.Chr. eine Verehrung von Baaltis, Qudschu und Baal ‚apon.159 Seit dem 1. Jt. wird eine Erhebung am sirbonischen Meerbusen Baal ‚apon geweiht, und deren Gott wird zu einer gewichtigen Gottheit im östlichen Delta, in Tahpanhes und Pelusium.160 Ein phönikischer Brief des 6. Jh. wünscht „Segen (brk) vom Baal ‚apon und allen Göttern vom Taμpanμes“.161 Ein demotisches Onomastikon nennt ¼pn (= ƒapon) neben Pelusium und hrhrt (= Pi-haμirot Ex 14,2).162 Noch im Pap. Amherst aus dem 4.–2. Jh. v.Chr. wird Baal um Segen vom ‚apon angegangen. An anderer Stelle bietet derselbe Papyrus Ps 20 in heidnischer Variante, wobei „Zion“ mit ‚apon und der Jahwäname mit Horus wiedergegeben wird.163 Dieser neue heilige Berg in der Nähe Ägyptens wird für die jüngere biblische Exodus-Überlieferung wichtig. Die P-Schicht des Pentateuch verlegt nämlich den Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer in die Nähe des ba‘al ƒepon Ex 14,2.9; Num 33,7. Will man darin nicht eine richtige historische Erinnerung nachwirken sehen, was angesichts der jungen Entstehungszeit von P schwierig ist, müssen priesterliche Kreise der Exilszeit dies als eine beziehungsvolle Ortsangabe betrachtet haben. Vielleicht hat ihrer Meinung nach Jahwä das Meer ausgerechnet am Berg des Ba‘al ‚ephon besiegt, um den heidnischen Gott der Ohnmacht zu überführen, dem seine Verehrer besondere Gewalt über das Meer zugeschrieben hatten. Die Verlagerung des ‚apon und seines Gottes an den Südrand des Mittelmeeres hängt gewiß damit zusammen, daß der Ba‘al des Berges zum Schutzgott der Seefahrt geworden war. Davon war in Ugarit noch nichts zu bemerken, wenn man nicht mit Bonnet164 mittelbronzezeitliche Steinanker im Gemäuer des Ba‘altempels in Ugarit dafür in Rechnung stellen will. Die Sorge für gelingende Seefahrt steht gewiß auch hinter der Errichtung eines Ba‘al-‚apon-Tempels in Kathargo, über dessen Vorhandensein der berühmte Opfertarif von Marseille Auskunft gibt.165 | 213

159 160

ANET, 249f; Helck, Art. Opferstiftung, 590f; Stadelmann, Gottheiten, 32–47. Als Filiale des syrischen Kultes gilt das Heiligtum bei Pelusium seit Baudissin, Studien II,

238ff.

161

KAI, Nr. 50; RTAT, 269f. Chuvin/Yoyotte, Documents, 48f. 163 Bonnet, Typhon, 116; Steiner/Nims, Sacrifice, 89–114; TUAT II, 933f. 164 Bonnet, Typhon, 107. 165 KAI, Nr. 69. 162

213

IV. Niedergang der Verehrung und Wiederauftauchen

161

2. Kasion und Typhon Das spannendste Kapitel in der Geschichte des Berges und seines Gottes spielt sich um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends ab. Eine tiefgreifende Umwertung vollzieht sich. Das läßt sich zunächst an einer scheinbaren Äußerlichkeit, nämlich einer erneuten Umbenennung wahrnehmen. Die Bezeichnung ƒapon für den Berg scheint zu verschwinden, in Syrien eher als in Ägypten. Stattdessen taucht der uralte Name —azzi wieder auf, nunmehr in der gräzisierten Form kásion; der Wechsel von anlautendem — zu ț läßt sich auch sonst beobachten.166 Der nunmehr kasion geheißene Berg bleibt heilig und göttlich. Der darauf waltende Gott aber wird für die Griechen, die nunmehr den östlichen Mittelmeerraum beherrschen, zum Zeus (kas(s)ios167), und das besagt doch wohl für diese Zeit, daß seine Funktion für Wetter und Vegetation zurücktreten.168 Wie ehedem in Ugarit bleibt er aber für die Herrscher wichtig. Seleukos I. besucht ihn und gründet seine Stadt Seleukia zu dessen Füßen auf ein entsprechendes Orakel hin, so wenigstens will es die Sage. Seleukidische Münzen werden mit dem Steinmal des Gottes geschmückt.169 Später wallfahren die römischen Kaiser Trajan und Hadrian auf seinen Gipfel.170 Zugleich bleibt Zeus Kasios Patron der Seefahrt. Das entsprechende Heiligtum des ägyptischen Ba‘al ‚apon war schon zu Herodots (III 5) Zeiten „umgetauft“, obwohl sich der alte Name bei den Ägyptern daneben länger behauptete als in Syrien. Die Seefahrer verbreiten den Kult des Zeus Kasios weit über die Reichweite des älteren Baal ‚apon hinaus nach Delos, Korfu, ja nach Germanien und Spanien.171 Für die Einschätzung des so benannten Gottes in Syrien ist seine Einordnung bei Sanchunjaton-Philo von Byblos bezeichnend (nach Euseb, | Praep. Ev. I. 10, 9). Danach gingen aus Licht, Feuer und Flamme riesenhafte Söhne hervor, die über die Berge Kassion, 166

Bonnet, Typhon, 125, Anm. 133. Zum Wechsel zwischen s und ss Adler, Art. Kasios, 2265. Reichhaltiges Belegmaterial bei Fauth, Kasion-Gebirge. 168 Auf der Stele von Amrit aus dem 6./5. Jh. v.Chr. wird der Gott Šadrapa über einem Löwen und dieser über zwei Bergen abgebildet. Dabei werden Berge noch mit einem Fruchtbarkeitsgott verbunden, der aber eher chthonisch als metereologisch wirksam gedacht wird; Gese, Religionen, 198–200; ANEP 486. 169 Haas, Berggötter, 116; Gese, Religionen, 126; Bonnet, Typhon, 126. Bezeichnenderweise scheinen Münzen mit dem Donnerkeil und der Beischrift Zeus Keraunios sich nicht auf den Berg, sondern einen Kult in der Stadt zu beziehen; Adler, Art. Kasios, 2265. Der Wettergott thront nicht mehr auf dem Berg. – LipiĔskis These (Art. !Apc', 1101): „Der Gott vom Saphon nahm jedenfalls einen ausreichend wichtigen Platz im Pantheon der Seleukiden ein, daß sie den archaisierenden Titel ‚König des ‚aphon‘ in Dan 11 tragen konnten“, hat gegen sich, daß für die Zeit des Danielbuches !Apc' nicht mehr als Name des Berges zu belegen ist. 170 Bonnet, Typhon, 126. 171 Adler, Kasios, 2267. 167

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Libanon, Antilibanon und Brathy (Tabor?) herrschten. Das bezieht sich gewiß auf die Baale dieser vier syrischen Bergmassive. Doch ihnen wird keine bemerkenswerte Funktion beigelegt, sie sind nur eine Stufe innerhalb einer weitreichenden Generationenfolge. Viel später taucht (I 10, 31) darin neben der „größten“ Astarte ein Adonos, König der Götter, auf, also eine Haddufigur, die aber mit dem Kasion nichts mehr zu tun hat. Eine solche Gräzisierung orientalischer Gottheiten wie der Austausch von Baal gegen Zeus ist bekanntlich damals nichts Ungewöhnliches. Doch die Neu- bzw. Wiederbenennung ist in diesem Fall nur die eine, äußere Seite. Ihr parallel läuft eine Umsetzung der mythischen Gewichte. Der Titel ‚apon verschwindet anscheinend nicht spurlos, sondern wird fortan als Name Typhon für ein chaotisch-bedrohliches Ungeheuer benutzt, das gegen den Zeus des Berges anstürmt! So jedenfalls verhält es sich, wenn die weit verbreitete These zutrifft, daß der griech. typhǀeus – typhaǀn – typhǀn – typhǀs genannte Götterfeind auf östliche Mythen zurückweist und der Name als Abwandlung von ƒapon, womöglich auf dem Weg über aram. ƒippun, zu begreifen sei.172 Vielleicht wurde zumindest in dieser Spätzeit ƒpn mit der Wurzel „verbergen“ zusammengebracht. Denn in der Folge ist hinsichtlich Typhon mehrfach von seiner Verborgenheit die Rede. 215/216 Über die Wortähnlichkeit hinaus gibt es in den Überlieferungen von Typhon eine Reihe von Anklängen an die Baalsmythologie.173 Zwar bleibt es fraglich, ob der Verweis in der Ilias 2,783, daß Typhöeus ein arimois lagere, auf die Aramäer und damit auf Syrien bezogen werden darf.174 Ergiebiger ist schon Hesiod, Theogonie 820ff. Danach zeugte einst Tartaros mit der Erde ein Unwesen Typhǀeus, das mit 100 Drachenköpfen, entsetzlichen Stimmen und Feuer eines Tages den Olymp zum Beben brachte. Doch Zeus hat es von dort aus mit Donner und Blitz erschlagen und in den Tartaros gestürzt. Hiernach findet die Auseinandersetzung an einem Gottesberg statt und wird mit den Mitteln des Wettergottes entschieden, nur daß die Lokalität einen griechischen Horizont erhalten hat. Andere Nachrichten aber nennen ausdrücklich den kasion. Herodot III 5 weiß schon von einer Sage, nach der Typhon sich im sirbonischen See gegenüber dem ägyptischen Kasion verborgen hält. Dabei spielt gewiß der Umstand eine Rolle, daß der ägyptische Gott Seth, der oft mit Baal gleichgesetzt wird, im Lauf des 1. Jt. v.Chr. zunehmend verteufelt wird. Noch ein magischer Text der Römerzeit nennt „Seth, Herr des Kasion“ auf | einem „Berg des Verbrechens“.175 Strabo (XVI 2,7176) berichtet, 172 v. Schuler, Art. –azzi, 171; Haas, Berggötter, 121. Die Gleichsetzung findet sich schon 1835 bei Gesenius, Thesaurus linguae hebraicae, s. de Savignac, Note, 216. 173 Belege bei Fauth, Kasion-Gebirge. 174 Vian, Mythe, 20–23. 175 Chuvin/Yoyotte, Documents, 44, Anm. 13; Donner, Beschwörung, 89–91. 176 Bonnet, Typhon, 135.

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IV. Niedergang der Verehrung und Wiederauftauchen

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daß der Orontes, der in der Nähe des syrischen Berges entlangfließt, früher Typhon geheißen habe und dieser sich nach seiner Niederlage gegen Zeus dort eingewühlt habe. Eindeutiger noch ist die Verortung bei Apollodor (I 39–44): Im schrecklichen Kampf habe zeitweise Typhon die Oberhand gewonnen und am syrischen Kasion Zeus gelähmt und nach Kilikien gefangen geführt.177 Damit wird der Sieg am Berg näher an den Gottesfeind als an den höchsten Gott herangerückt. Es gibt also eine Reihe von zwar unzusammenhängenden, aber dennoch kennzeichnenden Indizien für die Gleichung Typhon = ‚apon. Sie schließt nicht aus, daß es nicht vordem schon eine griechische Überlieferung über ein Ungeheuer ähnlichen Namens gegeben hat; es könnte sich also um eine nachträgliche volksetymologische Gleichsetzung mit dem nordsyrischen Bergesnamen handeln.178 Auch das würde hinreichend erklären, warum ƒapon im ausgehenden 1. Jt. v.Chr. die Bedeutung einer positiven göttlichen Macht verliert. Danach vollzieht sich also um die Mitte des 1. Jt. v.Chr. eine Wendung um 180° in der Einschätzung des alten Berggeistes. Der neben dem göttlichen Meister des Berges in ugaritischen Texten belegte Berggott selbst war vielleicht schon im 2. Jt. für die Syrer ein „Minister ohne Geschäftsbereich“. Diese mit dem Namen ƒapon benannte Wesenheit wird in der Folgezeit offensichtlich vom Baal oder Zeus des Berges so weit abgehoben, daß sie auf die Gegenseite gerät. Aus dem Nebeneinander des Bergherrn und des Berggottes und gemeinsamer Abwehr des feindlichen Meergottes und seiner dämonischen Helfer wird ein Gegeneinander. ‚apon-Typhon verschmilzt zwar nicht mit Jam, wohl aber mit einem Ungeheuer in dessen Umkreis, von dem uns verlorene ugaritische Mythen erzählt haben werden, wie die knappen Anspielungen auf vorzeitliche Kämpfe mit LotanLeviathan und den Drachengeistern179 nahelegen. Vielleicht wird Ba‘al‚apon nun gedeutet als „Herr/Bezwinger des (Unholds) ‚apon“. 216/217 Wo liegen die Ursachen für einen so tiefen Wandel? Hängen sie mit mythologischen Überhöhungen bestimmter politischer Geschehnisse zusammen, von denen keine Nachricht erhalten ist? Oder hat die um die Mitte des 1. Jahrtausends in der | israelitischen Schriftprofetie auftauchende Umwertung des ‚apon zu einer Unheilsgegend – vgl. Jeremias Ankündigung vom Feind aus dem Norden – einen uns bislang nicht greifbaren altorientalischen Hintergrund? Eine zureichende Antwort auf solche Fragen steht noch aus. 177 Der Fels, von dem aus Ullikummi aufragt, ist vom –azzi-Kasion aus für einen Gott sichtbar. Ist ein Berg in der Nähe der korykäischen Grotte schon im hethitischen Mythos gemeint? Vgl. den Berg Ulika(m)ma im –išuwa-Ritual; Otten, Berg- und Flußlisten, 254. 178 So Vian, Mythe, 27, der freilich den Berg mit dem darauf thronenden Ba‘al verwechselt: „on comprend mal pourquoi le dieu fulgurant du Casios serait devenu un monstre réprouve“. Eben das geschieht gerade nicht. 179 KTU 1.5 I 1f, 28–30; 1.6 VI 51f.

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Der Wandel vom ugaritischen ƒapon zum griechischen typhon zeigt an einem sprechenden Beispiel, wie unangebracht die verbreitete Ansicht von einer in sich gleichbleibenden syrisch-kanaanäischen Religion als Antipode zu biblischen Ideen sein dürfte. Die phönikisch-aramäische Religion des 1. Jt. hat sich auf andere Pfade begeben als die Vorgängerin im syrischen 2. Jt. Das wird spätestens in hellenistischer Zeit deutlich, als die Quellen wieder lebhafter zu sprudeln beginnen. Der Wandel der religiösen Einschätzung, der sich in der Namensübertragung von ƒapon zu typhon niederschlägt und eine religiöse revolutionäre Umorientierung in sich birgt, ruft nach Erklärung. Zunächst legt es sich nahe, an einen Wechsel der Berg und Gott verehrenden Bevölkerung zu denken. Welcher Wandel des Verehrerkreises sich aber in dem Umkreis des nordsyrischen Berges im 1. Jahrtausend vollzogen hat, bleibt bislang verborgen. 217/218 Eine zweite Erklärungsmöglichkeit, welche die eben angeführte nicht ausschließt, liegt in einer Umorientierung der kosmologischen Auffassung. Anscheinend werden im ersten vorchristlichen Jahrtausend in den nahöstlichen Kulturen keine Berge mehr als unentbehrliche Grundpfeiler des Alls vorausgesetzt. Ebensowenig wird mehr mit Wettergöttern gerechnet, die vom Berggipfel aus mit Regen und Blitz Fruchtbarkeit gewährleisten. Stellt man den nunmehr im Kult aufkommenden und schnell dominierenden Himmelsmeister, den Ba‘al-Šamem bei Phönikern und Aramäern angemessen in Rechnung, so wird nunmehr dem Himmel und seinen numinosen Mächten eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil. Das läßt vermuten, daß die im ersten vorchristlichen Jahrtausend in Mesopotamien rasant voranschreitende Astralisierung und Astrologisierung der Religion auch auf Syrien abgefärbt und das Weltbild gründlich verändert hat. Wo der gestirnte Himmel das Schicksal maßgeblich bestimmt und dies durch Berechnung himmlischer Umwälzungen von Menschen entschlüsselt zu werden vermag, wird die Erde zur runden, homogenen Kugel, ohne daß damit schon das geozentrische Weltbild hinfällt. Darauf ist die wohl bei den Kaldäern entstandene neue kosmologische Idee hinausgelaufen. Dann aber fällt die Notwendigkeit von Bergen als Himmels- und Erdträger dahin. Wenn sie aber nicht mehr den Bestand des Kosmos bedingen, entfällt auch eine ausschlaggebende Rolle für die monarchische Ordnung; infolgedessen lassen sich auch keine großköniglichen Ansprüche von Bergen her begründen. Sie bleiben aber Symbole der Dauer, der Wegweisung, Stätten von Orakelkündung. Um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends haben ähnliche Ideen wohl auch Israel erreicht und sein Weltbild verändert. Die astralen Symbole und Riten im Umkreis des Ascherakultes auf dem Zion im ausgehenden | assyrischen Zeitalter nach 2.Kön 23 sind freilich Episode geblie-

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IV. Niedergang der Verehrung und Wiederauftauchen

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ben.180 Doch die Tendenz nachfolgender Jahrhunderte, Jahwäs Wohnsitz vom Zion zu lösen und mehr und mehr in den Himmel zu verlagern, erinnert an das Gefälle der syrischen Religionsgeschichte im gleichen Zeitalter. Die mythologische Verlagerung zeigt sich bereits in der Relativierung der Jerusalemer Tempel-kabod und einer stattdessen behaupteten šem-Anwesenheit in deuteronomistischen Kreisen.181 Sie zeigt sich wohl aber auch darin, daß die Priesterschrift das allein gültige Heiligtum von seiner Bindung an den Zionsberg löst und zu einer schon durch die Wüste wandernden Stiftshütte werden lässt,182 was sich bei Ezechiel schon vorbereitet hat. An einem gewissen Endpunkt dieser veränderten Kosmologie steht dann die verbreitete Rede von Jahwä als „Gott des Himmels“ der Perserzeit. Zu ihr gehört wohl auch der Verweis auf Satan als widergöttlicher Drache. Solche Thesen bedürften natürlich einer eingehenden Begründung. Es könnte aber sein, daß die Veränderungen innerhalb der israelitischen Religion mit den Vorgängen im benachbarten syrischen Raum erstaunlich parallel laufen. Zusammenfassung: Meine Erwägungen zur mythischen Bedeutung eines nordsyrischen Berges und die Wandlungen seiner Einschätzung in benachbarten Kulturen wollte deutlich machen, daß nicht nur die israelitische, sondern auch die syrisch-kleinasiatische Religionsgeschichte in den zwei vorchristlichen Jahrtausenden eine durchaus dramatische Angelegenheit sind. Mit einer pauschalen Klassifizierung als „Naturreligion“ ist den komplexen Phänomenen dieser Religion nicht beizukommen. Das zeigt sich gerade dort, wo der Ansatz zur Ausbildung einer mythischen Überlieferung in einer so realen Naturgegebenheit wie einem Bergmassiv liegt. Daran knüpfen sich nicht nur Wettergottmotive, sondern mehr und mehr auch Motive eines kosmischen wie politischen Machtzentrums an, bis dann ein veränderter kosmologischer Gesamtentwurf die überkommene numinose Einschätzung aus den Angeln hebt und die Mythologie sich von Grund auf verändert. Was die Entwicklungen um das Ansehen des Berges –azzi‚afôn-Kasion für den Bibelwissenschaftler interessant macht, sind die Parallelen zu Wandlungen innerhalb der alttestamentlichen Religion. Sie sind so eng, daß sich der Schluß nahelegt, das Gefälle der alttestamentlichen Überlieferungsgeschichte sei ohne eine Berücksichtigung der nordwestsemitischen Religion gar nicht zureichend zu erfassen. 218

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Koch, Aschera, in diesem Band S. 42–71. v. Rad, Schem-Theologie, 127–132. 182 Koch, Eigenart, 36–50. 181

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Jahwäs Übersiedlung vom Wüstenberg nach Kanaan 2

Zur Herkunft von Israels Gottesverständnis

1. Das religionsgeschichtliche Kernproblem Das Israel des Alten Testaments versteht sich als Volk Jahwäs (Num 11,29; Ex 3,7; 5,1 u.ö.) und empfindet seine enge Beziehung zu diesem Gott als einzigartig. Wie sind das Volk und sein Gott unter den Bedingungen des altorientalischen Zeitalters zueinandergekommen? Die alttestamentlichen Forscher neigen gegenwärtig mehr und mehr der Meinung zu, daß – nicht nur der vielberufene Monotheismus, sondern schon das Ideal wie die Forderung einer exklusiven Bindung Israels an Jahwä, also die Monolatrie, eine verhältnismäßig junge Erscheinung in der Geschichte Palästinas gewesen sind, und daß 1. Das religionsgeschichtliche Kernproblem – Israel entgegen der im Pentateuch aus der Rückschau gegebenen Darstellung keineswegs als geschlossener völkischer Verband unter gemeinsamer Verehrung dieses Gottes in Kanaan eingewandert ist, sondern als (kanaanäische) Völkerschaft neben anderen im Lande entstanden ist und sich nicht von Anfang an, sondern erst allmählich unter Berufung auf Jahwäs Willen (von anderen) Kanaanäern abgesondert hat.3 Für jeden, der eine solche Ansicht über die Frühgeschichte Israels hegt, wird der Aufstieg Jahwäs zur einsamen Höhe im religiösen Denken und in der kultischen Praxis zu einem religionsgeschichtlichen Problem erster Ordnung innerhalb des ersten vorchristlichen Jahrtausends. Denn niemand rechnet im | Ernst damit, daß Name und Gestalt Jahwäs auf eine jüngere innerisraelitische Spekulation zurückgehen (etwa analog zu Heiligenfigu1 Der Beitrag ist Oswald Loretz gewidmet, einem Forscher, der auf dem Hintergrund einer profunden Kenntnis der ugaritischen Verhältnisse immer wieder – nicht selten provokativ – Erwägungen zur Abhängigkeit oder Eigenart israelitischer Religion im syrisch-kanaanäischen Raum vorgetragen und dadurch manchen Anstoß zu exegetischen Neuorientierungen unter den Alttestamentlern gegeben hat. 2 Der Aufsatz führt Überlegungen weiter, die ich erstmals unter dem Titel „Der Tod des Religionsstifters. Erwägungen über das Verhältnis Israels zur Geschichte der altorientalischen Religionen“ vorgelegt hatte. 3 Überblick bei Dever, Art. Israel. Vgl. auch Donner, Geschichte, 72: „Israel ist auf dem Boden des palästinischen Kulturlandes entstanden“; die Landnahme ist ein „sozusagen innerpalästinische(r) Vorgang [...], bei dem nur in geringem Maße mit Zuzug von außen zu rechnen ist“ (88).

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ren in der katholischen Volksfrömmigkeit oder zu euhemeristischen Göttergestalten). Ausgerechnet ein so skeptischer Betrachter wie Nils Peter Lemche stellt nachdrücklich heraus: „The evidence in favour of the foreign origin of the God of Israel is equivocal“.4 Woher aber stammt der Gott? Warum wird er im palästinischen Kulturland anscheinend nur von Verbänden wie Israel und Juda und nicht von anderen Bewohnern in den Kreis der verehrten Numina aufgenommen? Je mehr die autochthone Entstehung Israels betont wird, desto auffälliger, wenn nicht befremdlicher wird die leidenschaftliche Zuwendung israelitischer Kreise zu einem von außen gekommenen Gott. Solcher Fragestellung schließt sich die weitere an, warum der fremde Gott, sei es in bestimmten Kreisen, sei es bei der Mehrheit des Volkes, entweder gleich zu Anfang oder im Laufe der Zeit, vor allen anderen Gliedern des kanaanäischen Pantheons einseitig bevorzugt worden ist. 438/439 Trotz der weit auseinanderstrebenden Ergebnissen einer fleißig geübten Redaktions- und Tendenzkritik gibt es innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft noch einige feste Punkte, in denen sich die Mehrheit der Fachgenossen bisher einig ist. Von ihnen ist auszugehen. 1. Für das zweite vorchristliche Jahrtausend fehlt jedes Zeugnis über einen Gott dieses Namens im palästinischen und syrischen Raum, obwohl eine Vielzahl anderer Gottheiten belegt sind. Zwar hat J. de Moor den in der Armanakorrespondenz durch einen Brief des Abimilku von Tyros (EA 154,8) erwähnten Ausdruck ia-wa als einen einschlägigen Beleg herangezogen.5 Doch aus dem unsicheren Text, wo das Wort ebenso ia-pi, „Joppe“, gelesen werden kann, läßt sich das schwerlich erschließen.6 Ein zweites, von de Moor7 wie von anderen herangezogenes Zeugnis ist der in einem ugaritischen Mythos einmal auftauchende Titel yw, der – wenn es ein Name ist – sich auf den Meergott Jam zu beziehen scheint. Abgesehen von zwei gleichen Buchstaben spricht jedoch nichts für eine Gleichsetzung mit dem späteren israelitischen Gott.8 Noch weniger taugen Versuche, in Ebla den jah(wä)-Namen nachzuweisen.9 Anders verhält es sich mit syrischen Personennamen des 8. Jh.v.Chr. Sie dürften aber nicht auf eine lange Vorgeschichte, sondern auf einen Ein4

Lemche, Development, 115. de Moor, Rise, 112. 6 Hess, Divine Name, 181–186. 7 A.a.O., 113f. 8 Loretz, Ugarit, 88; Freedman/O'Connor, Art. de Moor, ARTU, 25, Anm 116. 9 Müller, Jahwename. 5

hwhy, 542f; Hess, Divine Name, 182f; so auch

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fluß der | nordisraelitischen Gottesverehrung zurückgehen.10 Auf eine Nachwirkung israelitischer Auffassung gehen vielleicht auch die erheblich später in Syrien bezeugten Gottesbezeichnungen Jeuǀ (nach Porphyrios) und Jaǀ (nach Theoderet) zurück.11 2. Spätestens seit der Mitte des 9. Jh.v.Chr. gilt Jahwä als der nationale Gott eines sich Israel nennenden Verbandes. Nach der Mescha-Stele nimmt er einen entsprechenden Rang ein wie der Gott der Moabiter, wie dieser gewährleistet er seinen Anhängern im Kriege den Sieg.12 Gleiches setzen alttestamentliche Erzählungen im Gegenüber zu Moab voraus (Ri 11,24; 2Kön 3). 3. Um die gleiche Zeit oder wenig später wird in Votiv- und Grabinschriften Jahwä als Segensquelle auch für einzelne Israeliten oder Judäer angerufen.13 Ihm wird also sowohl offizielle wie private Anbetung zugeeignet. Die enge Verflochtenheit beider Bereiche lassen nicht nur die Psalmen, sondern auch Graffiti der Zeit erkennen.14 439/440 4. Die ältere Langform des Gottesnamen wurde wahrscheinlich jahwäh15 gesprochen, was keiner hebräischen Wortbildung entspricht, sondern vermutlich aus einem anderen semitischen Dialekt stammt. Nahe liegt, den Ausdruck als eine PK/Impf.-Bildung aufzufassen analog zu den ImperfektNamen vorislamischer arabischer Gottheiten wie jagnj¾ „er hilft“ oder ja‘njq „er schützt“.16 Nach wie vor ist beliebt, dann eine Wurzel hwy „dasein“ (als Grundstamm oder Kausativ) in Anschlag zu bringen, was der Erklärung durch hebräisches hyh in Ex 3,14 entsprechen würde. Gesichert ist jedoch eine PK/Imperfekt-Ableitung nicht. Denn schon in dem ältesten israelitischen Beleg aus Kuntillet Adschrud tauchen Konstruktusverbindungen wie jhwh tmn und jhwj šmrm auf, die wahrscheinlich „Jahwä von Teman bzw. Samaria“ zu übersetzen sind; hier wird das Wort also als Nomen begriffen.17 Gleiches gilt für alttestamentliche Wendungen wie ~Alv' hw"hy> (Ri 6,24) oder tAab'c. hw"hy>.18 Von daraus entstehen Zweifel an einer uns noch möglichen Ableitung: „The meaning of the name is unknown“.19 |

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Dalley, Yahweh; Zevit, Yahweh. Müller, Jahwename, 325f. 12 TUAT I, 646–650. 13 TUAT II, 556–558. 561–564. 14 So aus Kh. Beit Lei oder Engedi, TUAT II, 559 –561. 15 Die Aussprache des Vokals der zweiten Silbe ist unsicher. 16 Müller, Jahwename, 320f; Knauf, Jahwe, Weippert, Art. Jahwe, 251. 17 TUAT II, 563f. Vgl. jedoch Anm. 5a. 18 Zobel, Art. tAab'c., 879f. 19 Thompson, Art. Yahweh, 1011. 11

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5. Für eine Klärung der Vorgeschichte und Herkunft des nachmaligen israelitischen Hauptgottes bleibt einzig die Möglichkeit einer Rekonstruktion alttestamentlicher Überlieferungen.20 Seit langem werden für das Problem einige altertümlich anmutende poetische Passagen des Alten Testamentes herangezogen, die das Herannahen Jahwäs in einer Theofanie als „Derjenige von Sinai“ (yn:ysi hz ThWAT 2, 1982, 1070–1075. 473/474 NOTH, M., Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948. – Geschichte Israels, Göttingen 1950, 71969.

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‚ädäq und Maǥat Konnektive Gerechtigkeit in Israel und Ägypten?1

1. Das Problem 1.1 Die abendländische Antithese von Gerechtigkeit und Gnade und ihre moderne Infragestellung Im neugotischen, mit symbolischen Darstellungen reich bestückten Hamburger Rathaus wird der Eingang zum Senatsgehege, dem Sitzungssaal der Regierung des Stadtstaats, von zwei übermannsgroßen bzw. überfraugroßen Figuren flankiert, von denen die eine die Gerechtigkeit, die andere die Gnade versinnbildlicht. Nach der Auffassung des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts wird so veranschaulicht, daß die Herrschaft des von der Bürgerschaft gewählten Senats durch ein ausbalanciertes Verhältnis dieser beiden Begriffe bestimmt sein sollte. Die Idee war nicht exzeptionell, sondern gibt einer durch viele Jahrhunderte selbstverständlichen, abendländischen Rechtsauffassung Ausdruck. Danach hat politische Herrschaft die Aufgabe, das gegebene Recht auf gerechte Weise gegenüber den Untertanen durchzusetzen, in Grenzfällen jedoch, wo summum ius zu summa iniuria zu werden droht, den Vollzug des Rechts auszusetzen und Gnade walten zu lassen. 1. Das Problem Die Koppelung von Gerechtigkeit und Gnade gehört nicht nur unabdingbar zur politischen und juristischen Ideologie unseres Kulturkreises, sie spielt ebenso, wenn nicht noch mehr, in der westlichen christlichen Theologie eine ausschlaggebende Rolle. Das Verhältnis von iustitia dei zu gratia dei hat zwar seit Augustins Tagen heftige dogmatische Kontroversen hervorgerufen, bis hin zur | Kirchenspaltung in der Reformationszeit. Doch die Notwendigkeit der Komplementärsbegrifflichkeit blieb allen theologischen Parteien selbstverständlich. Juristisch-politischer und theologischer Sprachgebrauch haben in der abendländischen Geschichte in enger Wechselwirkung gestanden. Die Aufrechterhaltung von Herrschaft und Rechtsordnung in der Gesellschaft wur1 Der Heidelberger Vortrag wurde noch einmal als Gastvorlesung vor der Ev. Theol. Fakultät in Münster am 15.12.1994 gehalten. Den Herrn Kollegen B. Janowski, M. Welker und H.P. Müller danke ich für ihre Gastfreundschaft.

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1. Das Problem

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de durch das geoffenbarte oder natürliche Gesetz Gottes legitimiert. Und umgekehrt: Von den rechtlich geprägten Bedeutungsfeldern der lateinischen Sprache und ihrer europäischen Nachfolger erschienen ausgleichende Gerechtigkeit nach Maßgabe des Gesetzes und freie – menschliche Möglichkeiten dann transzendierende – Gnade als die beiden hervorstechenden Eigenschaften Gottes in seinem Verhältnis zur Menschheit. Eine vielmaschige Vernetzung von christlicher Dogmatik, die sich auf biblische Aussagen berief, mit philosophischer Tugendlehre und römischem Rechtsdenken hat nahezu zwei Jahrtausende die metaphysischen Grundlagen für das Funktionieren des menschlichen Zusammenlebens geliefert. Wo aber stehen wir heute? Das komplementäre Gegeneinander von Gerechtigkeit und Gnade stößt in unseren Tagen auf wachsende Ablehnung. In der Umgangssprache wird das Lexem Gnade fast nur noch für herablassende Gesten gebraucht: „Wir wollen mal Gnade vor Recht ergehen lassen“. Von Gerechtigkeit wird zwar noch oft und gern geredet, dann aber meist als emotionale Forderung und nicht als rechtlich definierbares Prinzip. Mehr noch sind für die Rechtswissenschaft die beiden Begriffe zweitrangig, wenn nicht fragwürdig2 geworden. Für die Juristen ist Gnade zu einem Ausnahmeakt des Souveräns geworden, dessen Möglichkeit rechtlich fest umrissen ist. Das moderne Strafrecht ist an Prävention und Resozialisierung ausgerichtet, nicht an der Wahrung einer besonderen Autorität des Rechts. Für die Straßenverkehrsordnung vollends, für Wirtschaftsrecht und Umweltprobleme und die dabei anstehenden Konfliktregelungen wird Zweckmäßigkeit und nicht Gerechtigkeit das ausschlaggebende Kriterium. Allein dann, wenn es um Menschenrechte geht, wird Gerechtigkeit berufen; doch weithin im Bewußtsein, daß eindeutige juristische Regelungen nicht zu erreichen sind. 38 Die Vorbehalte gegen die theologisch-kirchliche Verwendung beider Begriffe sind bei den meisten Zeitgenossen erheblich größer. Wenn die allumgreifende Wirklichkeit, die wir Gott nennen, das eine Mal mit den Menschen gerecht nach dem Maßstab eines autoritär erlassenen Gesetzes, das andere Mal aber mit den Gläubigen nachsichtig und gnädig verfährt, so scheint sie reine Willkür auszuüben. Vor einiger Zeit hat die Wochenzeitschrift DIE ZEIT in einer Serie über das Thema Religionswende auch das Stichwort Gnade thematisiert.3 Trotz erheblicher Bedenken wird hier für den juristischen Bereich an der Notwendigkeit von Gnadenakten angesichts der Unzulänglichkeit menschlicher Rechtsfindung festgehalten: „Eine vollkommen gnadenlose Welt ist die Hölle.“ Für jede Theorie über 2 Zu den von Philosophen aufgewiesenen Aporien vgl. B. TAUREK, Art. Gerechtigkeit VIII. Philosophisch, TRE 12, 1984, 443–448. 3 DIE ZEIT, 30. Sept. 1994, 65.

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das Walten einer göttlichen Macht wird aber der | Gebrauch der Begriffe entschieden abgelehnt. Eine weltüberlegene Macht müßte in der Lage sein, vollkommenes Recht zu setzen und zu üben. Wo Theologen Gott einerseits ein Verfahren nach Gerechtigkeit, andererseits nach Gnade zuschreiben, „findet alles irdische Glück und Elend seine höhere Rechtfertigung, die nichts erklärt und für alles eine Ausrede hat“. Angesichts des zunehmenden Kursverfalls der einst so hoch geschätzten Begriffe Gnade und Gerechtigkeit stellt sich für eine kritische Theologie die Frage, ob die herkömmlichen Begriffsmuster von iustitia dei und iustificatio in unserer Kultur noch vermittelbar, ja begründbar sind. Die dogmatische Tradition beruft sich dafür auf einen fundamentalen biblischen Sprachgebrauch. Geschieht das zu Recht? 38/39

1.2 Rückfrage nach Altem Testament und Altem Orient Die Aporien der Gegenwart nötigen den Exegeten zur Prüfung, ob die abendländische Theologie in dieser Hinsicht tatsächlich einem biblischen Erbe treu ist. Entsprechen die beiden in Frage stehenden Begriffe in ihrer traditionellen Bestimmung einem biblischen Gottes- und Menschenverständnis? Oder weist der biblische Befund bei genauerem Hinsehen Züge auf, durch die sich unsere verkrusteten Dogmen korrigieren lassen? Im Folgenden beschränke ich mich auf einen Teilaspekt, nämlich auf einige alttestamentliche Stellen, bei denen deutsche Übersetzungen den Begriff „Gerechtigkeit“ verwenden und die mir für das hebräische Verständnis der Gott-Mensch-Relation aufschlußreich zu sein scheinen. Im Rahmen einer Biblischen Theologie, die ich für ein notwendiges Desiderium halte, stellt eine solche Untersuchung nur einen ersten, aber unentbehrlichen Schritt dar. Der neutestamentliche Sprachgebrauch und seine Vorstufe in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments bleiben ausgespart. Die Ergebnisse können deshalb nur eingeschränkt zur Klärung der gegenwärtigen Problematik herangezogen werden. Angesichts des literarkritischen Wildwuchses in der heutigen Bibelwissenschaft fällt es nicht leicht, einen biblischen Begriff an seinem historischen Ort genauer zu umreißen, zumal die Exegeten es bislang nicht für nötig erachtet haben, eine methodische Semantik auszubilden, so daß weithin noch die Auflistung von Bedeutungen bei den Lemmata der Lexika für semantische Ergebnisse gehalten werden. Was ich im Folgenden vorlege, bleibt deshalb der Strittigkeit ausgesetzt. Um mich ein wenig abzusichern, schicke ich den Seitenblick auf einen Parallelbegriff aus der alttestamentlichen Umwelt voraus, ist doch das hebräische Denken weit-

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1. Das Problem

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hin eine Provinz des altorientalischen. Für das Thema bietet sich aus mehreren Gründen, denen noch im Einzelnen nachzugehen ist, ein Exkurs über das alte Ägypten an: 1) Wie das hebräische Lexem qd