Die Freimaurer und ihr Ritual: Theologisch-kirchenrechtliche Perspektiven [1 ed.] 9783428536733, 9783428136735

Karl Digruber befasst sich, ausgehend von einer personal-theologischen Sichtweise, mit den Ritualen der Johannis-Freimau

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Die Freimaurer und ihr Ritual: Theologisch-kirchenrechtliche Perspektiven [1 ed.]
 9783428536733, 9783428136735

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Kanonistische Studien und Texte Band 57

Die Freimaurer und ihr Ritual Theologisch-kirchenrechtliche Perspektiven

Von Karl Digruber

Duncker & Humblot · Berlin

KARL DIGRUBER

Die Freimaurer und ihr Ritual

Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. A l b e r t M . K o e n i g e r † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. H e i n r i c h F l a t t e n † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn und Dr. G e o r g M a y Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz herausgegeben von Dr. A n n a E g l e r Akademische Direktorin i. R. am FB 01 Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Mainz und Dr. W i l h e l m R e e s Professor für Kirchenrecht an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Band 57 KARL DIGRUBER

Die Freimaurer und ihr Ritual

Die Freimaurer und ihr Ritual Theologisch-kirchenrechtliche Perspektiven

Von Karl Digruber

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung von: Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz; Dr. Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck; Stiftung für masonische Forschung an Universitäten und Hochschulen; Land Tirol

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 978-3-428-13673-5 (Print) ISBN 978-3-428-53673-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-83673-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Dieses Buch ist auf der Basis meiner Dissertation „Symbolik und Ritualistik der Johannis-Freimaurerei im Lichte der katholischen Theologie“ entstanden. Wenn das Ganze heute in einer kirchenrechtlichen Reihe erscheint, dann deshalb, weil hier theologische Grundlagenforschung betrieben wird, die der kanonistischen Beurteilung des Themas „Freimaurerei“ Argumente und Hintergrund geben soll. Mit dieser Arbeit wird das Kirchenrecht als integraler Bestandteil vieldimensionaler theologischer Überlegungen angesehen und es ist zu betonen, dass das Kirchenrecht im theologischen Konzert keine isolierte Rolle spielen darf und kann. In dieser Arbeit gehe ich von der Ritualistik der Johannis-Freimaurerei aus, die meiner Meinung nach den wesentlichen Ansatzpunkt zum Verständnis der Freimaurerei und ihrer theologischen und damit auch kirchenrechtlichen Beurteilung bietet. Die Quellenlage bezüglich der Ritualistik der Freimaurerei ist eine schwierige, immerhin gibt es die Arkandisziplin, und auch die theologische Auseinandersetzung wurde in der Geschichte der Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei eher stiefmütterlich behandelt. Umso wichtiger ist es, durch diese Arbeit auszuleuchten, welche Konsequenzen die theologische, vieldimensionale Behandlung der Ritualistik der Freimaurerei, des Kerns derselben, für die kirchenrechtliche Beurteilung hat. Mein Dank gilt besonders meiner Frau Bernadette, meinem verehrten Lehrer Univ.-Prof. P. Dr. Lothar Lies († 29. Mai 2008) und im Besonderen den Herausgebern, Frau Dr. Anna Egler und Herrn Prof. Dr. Wilhelm Rees, für die Aufnahme in die Reihe. Landeck, im September 2011

Karl Digruber

Inhaltsverzeichnis I.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auf der Suche nach dem Wesenskern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriteriologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Festlegung auf die Johannisfreimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vorgang einer Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwurzelung des Bauhüttenwesens und der entsprechenden Symbole in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Andere Wurzeln der Freimaurerei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die „Standards“ in den Alten Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religion in den Alten Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Religion, in der alle übereinstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reduktionistischer Religionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Stellung zum Atheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Bedenken aus katholischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Landmarken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Das Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist ein Ritual? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtreligiöse Rituale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dynamik des Rituals und Abgrenzungen zum religiösen Bereich . . c) Ritual und/als Drama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ritualfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ritualfähigkeit in der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ritualfähigkeit in der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kirchenrechtliche Maßgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sakramententheologische Überlegungen zur Ritualfähigkeit . . . 3. Die Bedeutung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung des Rituals in der Freimaurerei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des Rituals/Sakramentes in der katholischen Kirche aa) Das Sakrament als Anfangspunkt von dialogischer Geschichte und Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die christologische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gemeinschaft – ekklesiale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Sprachstruktur des Sakramentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 15 19 20 24 36 45 45 46 48 49 50 51 52 56 59 59 61 63 65 68 68 72 73 74 81 81 85 86 88 91 93

8

Inhaltsverzeichnis

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6.

7.

8.

ee) Das Sakrament als personaler Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geheimhaltung des Rituals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wirkung des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aus der Sicht der Lehrsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sakramente der Lebendigen und der Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der persönliche Anteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schicksalsgemeinschaft mit der Trinität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ritualliturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im freimaurerischen Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im Sakrament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ritual als personales Geschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Personales Geschehen als Bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personales Geschehen als Begegnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Personales Geschehen als Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Personales Geschehen als Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusätzliche Kriterien für personales Geschehen?. . . . . . . . . . . . . . b) In der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Personale Begegnung als Bewerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personales Geschehen als Begegnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Personales Geschehen als Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Personales Geschehen als Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusätzliche Kriterien für personales Geschehen?. . . . . . . . . . . . . . Das Leben umgreifen: Das Ritual als Ausdruck der Lebenswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Simulation von Lebenssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begegnung mit den Elementen als Verbindung mit dem Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In den Sakramenten der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Perichorese von Leben und Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unsere Existenz als Ineinander von Heil und Unheil . . . . . . (2) Christ-Sein bedeutet miteinander essen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Ineinander von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft und Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begegnung mit dem Kosmos? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schöpfung und Kosmos im biblischen Befund . . . . . . . . . . . . (2) Menschheit und Christus im Kreuzes- und Auferstehungsereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95 97 97 102 103 103 112 113 114 116 118 120 120 122 125 125 125 127 128 129 131 132 132 134 135 140 142 149 149 150 155 156 157 159 162 163 165 166 169

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Konstitutive Legenden oder Offenbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Sohn der Witwe – Hiram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Abstammung des Hiram Abif – seine Wurzeln . . . . . . . . . . . cc) Freimaurerei gibt es von Anfang der Menschheit an . . . . . . . . . . b) In der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legenden bilden nicht den Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Entwicklung des Kanons der biblischen Bücher . . . . . . . . . . cc) Heiligenlegenden als Aktualisierung der christlichen Botschaft Formen des Ansprechens – des Betens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gebete und Gedichte, nicht direkt innerhalb des Rituals beheimatet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gebete und Anrufungen im Ritual selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Bedeutung des Gebetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zentrierung der Buntheit des Lebens im Gebet. . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gebet von Gott her denken – Ziel des Gebetes . . . . . . . . . . Das Handeln als Basis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Am Anfang war die Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wer handelt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die normative Kraft des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im katholischen Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Im Anfang war das Wort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wer handelt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die normative Kraft des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Freimaurerei als Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religion oder religiös sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vom „ewigen Menschen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Synchronisation mit dem Kosmos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pantheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Allmächtige Baumeister Aller Welten – ein Gottesbegriff? . . . . Die psychologische Deutung des Rituals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das freimaurerische Ritual als Schaffung von Transpersonalität . . . b) Die Lokalisierung des Überindividuellen in der Psychologie. . . . . . . aa) Rudolf Otto. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Carl Gustav Jung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Reflexion im Hinblick auf die Freimaurerei. . . . . . . . . . . . . aa) In Anlehnung an Jung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) In Anlehnung an Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Auflösung der Transzendenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 172 172 172 179 183 185 185 186 187 188 188 189 194 196 197 197 198 199 200 200 201 201 204 204 206 208 209 210 216 221 226 228 234 234 240 240 243 246 246 246 248

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Inhaltsverzeichnis dd) d) Die aa) bb) cc)

Probleme einer Engführung unter Ausschluss des Göttlichen. . . Einordnung der Tiefenpsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf der Suche nach dem „sakramentalischen Sinn“ . . . . . . . . . . . Das „Gnothi Seauton“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gegenmodell des Angerührt-Werdens durch Gott . . . . . . . . .

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III. Theologische Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Symbolik und Geschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dialektik zwischen Säkularität und Religiosität in der Freimaurerei. . . . 3. Die Unbedingtheit der Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wahrheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das quasireligiöse Moment der Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das scheinbar Adogmatische der Freimaurerei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Stellung zur Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begegnung mit dem Göttlichen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Transformation des Menschen als ganzheitlicher Akt. . . . . . bb) Die Eigendynamik des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Quasisakramentale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Selbsterlösung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Pantheismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff „Allmächtigen Baumeister Aller Welten“ . . . . . . . . . . . . . aa) Chiffre und Platzhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der A. B. A. W. als Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rückwirkungen dieses Symbols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte . . 1. Päpstliche Verurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansätze eines Dialogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eine neue Gesprächsbasis nach dem II. Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281 281 293 296

Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht . . . . . . . . 1. Die Festlegungen im CIC von 1917 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freimaurerei als Sekte?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Die Freimaurerei arbeitet gegen die Kirche!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Bestimmungen speziell gegen Freimauerer . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Prinzipien bei der Erstellung des CIC/1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Die Exkommunikation für Freimaurer ist aufgehoben!“. . . . . . . . . . . aa) Argumentation auf der Basis des CIC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reduktion von Strafe und Strafmaß für Agitation gegen die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Die Exkommunikation für Freimaurer besteht nach wie vor!“ . . . . . aa) Die Declaratio der Glaubenskongregation als Argument? . . . . . . bb) Der Bezug zur „schweren Sünde“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307 307 308 309 314 316 316 319 319

V.

321 322 322 325

Inhaltsverzeichnis cc) d) Die aa) bb) cc) dd)

11

Der Bezug zur Häresie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermittlung zwischen beiden Positionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach dem Charakter der Declaratio. . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Ebenen von Sünde und Strafe . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach Zurechenbarkeit bzw. Individualität . . . . . . . . . . Ist der Freimaurer Häretiker, Schismatiker oder Apostat? . . . . .

327 331 332 334 337 340

VI. Praxisrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Noch einmal: Gefahren der Freimaurerei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung von Zeittendenzen und die Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . 3. Kirchenrechtliches Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die pastorale Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Praxisbezogene Antworten des Vatikans im 21. Jahrhundert . . . . . . . b) Praktische Antworten des 21. Jahrhunderts vom Großmeister . . . . . . c) Pastorales Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

344 344 345 348 350 350 352 353

Anhang: Interview mit dem Großmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Verzeichnis der verwendeten Referenz-Seiten im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

I. Problemstellung a) Auf der Suche nach dem Wesenskern Wenn es um eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und der Freimaurerei geht, dann kann sich diese nicht auf die geschichtlich-politischen oder atmosphärischen Entwicklungen beschränken, wie dies in der Vergangenheit erfolgte. Noch schwieriger wäre es, daraus kirchenrechtliche Tendenzen oder Handlungsdirektiven abzuleiten. Diese gesellschaftliche und menschliche Entfremdung ist zwar wichtig für das Verständnis des heutigen Status quo in der Beziehung zwischen der Kirche und der Freimaurerei und muss auch behandelt werden, allerdings ist diese nur ein Teilproblem. Wesentlich sind also weder Machtfragen noch politische Konkurrenzsituationen zwischen Kirche und Freimaurerei. Abgesehen werden muss natürlich auch von all den Mythen, die es im Zusammenhang mit der Freimaurerei geben mag. Hier eine kleine Auswahl: „Dass Freimaurer in Särgen schlafen und mit Totenköpfen Kulte feiern. Dass jedes Jahr ein Logenbruder zum Tode bestimmt wird – es sei denn, er befreit sich vom eigenen Schicksal durch die Tötung eines Kindes. Dass Schuldner beim ersten Bankrott die Unterstützung aller Logenbrüder bekommen, beim zweiten aber zum Selbstmord gezwungen werden. Dass Freimaurer den Logenbruder Mozart vergifteten, weil er in der ‚Zauberflöte‘ Ritualgeheimnisse der Öffentlichkeit verraten habe.“1 Auch die Toleranzfrage stellt heute nicht mehr – so wie früher – das entscheidende Problem dar. Gerade durch die Erklärungen des II. Vatikanischen Konzils wurde eine gemeinsame Diskussions- bzw. Arbeitsbasis geschaffen, die die Religionsfreiheit nicht mehr als unerwünschte Haltung ansieht: „Nun aber werden die Gebote des göttlichen Gesetzes vom Menschen durch die Vermittlung seines Gewissens erkannt und anerkannt; ihm muss er in seinem gesamten Tun in Treue folgen, damit er zu Gott, seinem Ziel, gelange. Er darf also nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf also auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereiche der Religion.“2 Vielmehr – das ist meine These – muss ausgegangen werden von der Frage, was in beiden Bereichen das Zentrum darstellt. In der katholischen 1 2

Geo, Das Reportage-Magazin, Nr. 2, Februar, Hamburg 1988, S. 22. Die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ 3.

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I. Problemstellung

Religion ist es Christus, die Inkarnation Gottes, und die Geschichte Gottes mit dem Menschen. Diese Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch entscheidet über das Heil und bewirkt es. Die Kirche als Grundsakrament verlebendigt in der Nachfolge und im Auftrag Christi die Begegnungsräume, die durch ihn gestiftet sind, die Sakramente. Sie, die Kirche, muss immer in ihrer Doppelstruktur gesehen werden, als menschliches Gebilde, aber vor allem als Verwirklichung und Zusage Christi innerhalb der Welt in einem eschatologischen Zusammenhang. Bei den Freimaurern geht es zwar auch um Konstitutionen, Ansichten und Ziele, aber der Wesenskern der Freimaurerei ist der Aufbau des Tempels der Humanität, das heißt die Erziehung des Menschen innerhalb des freimaurerischen Systems. Klaus Preiß, selbst Freimaurer, definiert Freimaurerei folgendermaßen: „Freimaurerei ist eine geistig-seelische Lehre mit dem Ziel, die sittliche Vervollkommnung auf religiös-mystischer Basis, unter Verwendung von Allegorien und Symbolen sowie unter Einbeziehung humanitärer Gedanken der Aufklärung zu fördern.“3 Kernpunkte sind dabei nicht so sehr die rationalen, „äußerlichen Lehren“, sondern vielmehr zwei Dinge: Die freimaurerische Symbolik und die freimaurerische Ritualistik. In diese beiden Phänomene wird die freimaurerische Hoffnung gelegt, weil sie den Menschen erziehen, indem sie sein Innerstes verwandeln. Freimaurer postulieren eine Art „natürliche Religion“, eine Religion, in der alle Menschen übereinstimmen. Dadurch, dass im freimaurerischen Ritual eine fast metaphysische Kraft zu wirken scheint, erhebt sich die Frage, ob es nicht den Ausdruck einer Religion darstellt. Dazu: „Schwierig scheint nach wie vor die Einschätzung und Einordnung des freimaurerischen Rituals zu sein. In der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz4 wurde der Freimaurerei vorgeworfen, ihre Ritualhandlungen zeigten in Wort und Symbol einen sakramentsähnlichen Charakter. Bisher ist diese Frage noch wenig untersucht. Sie lässt sich erst lösen, wenn die Freimaurer genauer bedenken, worin die große prägende Kraft des Rituals letztlich besteht.“5 Genau diese Untersuchung des freimaurerischen Rituals und der es prägenden Symbolik scheint der Schlüssel zur Freimaurerei zu sein. Damit ist es notwendig, den Blick auf die freimaurerische Ritualistik und die sie prägende Symbolik zu werfen und diese auf dem Hintergrund der katholischen Theologie zu beurteilen. Das soll die Aufgabe dieser Arbeit sein. Denn es wurden zwar sehr 3 K. Preiß, Freimaurerei und Ethik. Eine konstruktiv-kritische Analyse, Frankfurt a. M.2 2006, S. 19. 4 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei (12.5.1980), in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, Bd. 43 (1980), 64–68. 5 J. Weier, Freimaurer, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 1, hrsg. von A. Campenhausen u. a., Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 721 f.

I. Problemstellung

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viele Abhandlungen über die Freimaurer und die katholische Kirche geschrieben, zu einer theologischen Analyse der eigentlich für die Freimaurerei entscheidenden Prägeelemente im Lichte der katholischen Glaubenslehre ist man aber bisher nur in Ansätzen gekommen. Auch die kirchenrechtliche Abhandlung des Themas litt bisher unter diesem Mangel. Wenn auch immer wieder von Kanonisten formal auf Beurteilungen des Lehramtes rekurriert wurde, dann blieb doch eine Lücke, was die theologische Basis dieser Entscheidungen anlangt. b) Kriteriologie Wenn das sinnstiftende Element in der Freimaurerei das Erleben der Arbeit im Kontext der rituellen Praxis ist und wenn es genau diese rituelle Praxis ist, die mit Hilfe von Symbolen die Umgestaltung des Menschen von sich aus schafft, dann muss gerade diese rituelle Praxis der Freimaurerei mit all ihren Facetten untersucht werden. Dabei wird, von verschiedenen wesentlichen Aspekten ausgehend, das freimaurerische Ritual mit den entsprechenden Bereichen im Blick auf die Sakramente in Beziehung gesetzt. Diese Einzelaspekte sind nicht nur das jeweilige Verständnis des Rituals, sondern auch beispielsweise die Sicht der Wirkungen, die Art, wie mit Einzelbereichen, etwa mit der Geschichte, umgegangen wird oder wie ein Höchstes angesprochen werden kann. Dazu werden sowohl Zeugnisse von Freimaurern als auch verschiedene Situationen aus dem Ritual herangezogen, um ein authentisches, abgerundetes Bild von den unterschiedlichen Ritualaspekten zu bekommen, was ja normalerweise aufgrund der Verschiedenheit der freimaurerischen Rituale (Ritualfreiheit) und auch der Interpretationen (Adogmatismus) ein sehr schwieriges Unterfangen darstellt. In einem ersten Schritt – hier in diesem Kapitel – erfolgt eine erste Lokalisierung der Freimaurerei: Einmal durch die Darstellung der historischen Entwicklung derselben sowie der vielfältigen Wurzeln, die aus verschiedenen Denkrichtungen stammen. Danach werden die grundlegenden Festlegungen der „Alten Pflichten“ und der Landmarken in den Blick genommen. Anschließend wird der Begriff „Ritual“ reflektiert und das Ritual der Freimaurerei in Bezug auf die unterschiedlichsten Aspekte mit dem Sakrament in der katholischen Kirche in Beziehung gesetzt. In der Folge dieser Ortung wird die freimaurerische Sicht aufgezeigt, zwischen Religion und Religiosität in Bezug auf das Geschehen im Ritual zu unterscheiden. Auf der einen Seite müssen wir die theoretische Selbstdarstellung der Freimaurerei ernstnehmen, wonach es sich hierbei nicht um eine Religion handelt. Andererseits müssen wir aber in einem weit gefassten Begriff von Religion sehr wohl auch jene Formen von Religiosität positiv ins Spiel bringen, die implizit oder auch laut Selbstzeugnis-

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I. Problemstellung

sen unbestritten, im freimaurerischen Ritual vorhanden sind. Mit dem Blick auf die Praxis beider Arten von Ritualen wird auch klar, wo die Selbstbeschränkungen beider Rituale liegen, was jeweils beide für sich beanspruchen bzw. für sich ablehnen. Ein weiteres Thema bietet die wechselvolle, meist kontroversiell gestaltete gemeinsame Geschichte von Freimaurerei und katholischer Kirche. Anschließend soll in einer Beurteilung dieser theologischen Grundbefindlichkeiten eine Basis für die abschließende kirchenrechtliche Reflexion geschaffen werden. Ein wesentliches Beurteilungskriterium für einen Theologen ist sicherlich das, was das Lehramt oder die Tradition zu einer Frage sagt. In unserem Fall wurde zwar sehr viel über die Beziehung zwischen der Institution Kirche und der Freimaurerei von den Päpsten gesagt, allerdings gibt es über die Symbolik und Ritualistik der Freimaurer eigentlich sehr wenige theologische Aussagen und in jüngster Zeit, seit dem Fehlen der einschlägigen Bestimmungen im CIC 1983, findet gerade im kirchenrechtlichen Bereich meiner Ansicht nach eine gewisse Verunsicherung statt, gerade nach der Bekräftigung der Unvereinbarkeit der Freimaurerei mit den Grundwahrheiten des katholischen Glaubens durch die Glaubenskongregation 1983, die einen Tag vor der Promulgation des neuen Kirchenrechtes feststellte, dass sich in der negativen Beurteilung der Freimaurerei durch die Kirche nichts geändert hätte. Wenn auch manche Aussagen zum Ritual dort sehr verkürzt gefasst sind, bilden sie doch einen gewissen Ansatzpunkt. Denn an den Maßstäben, die die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz von 1980 an die Freimaurerei auf der Suche nach deren Kern anlegt, können auch wir nicht vorbeigehen. Diese Kriterien sind sowohl formal als auch inhaltlich auf ihre Plausibilität hin zu untersuchen und ggf. auch anzuwenden, falls sich deren Rationalität in der Untersuchung innerhalb dieser Arbeit bestätigt. Denn auch die Deutsche Bischofskonferenz befindet: „Unabhängig von allen Auffassungen manifestiert sich das objektive Wesen in den offiziellen Ritualien der Freimaurerei.“6 Der Ansatzpunkt Ritual bzw. Symbol ist damit auch hier gegeben. Die Probleme, die vonseiten der Deutschen Bischofskonferenz in der Freimaurerei gesehen werden, wie etwa der Wahrheitsbegriff der Freimaurer (diese Frage leitet sich auch unmittelbar aus der Frage nach dem Ritual ab) sowie der Vorwurf des Relativismus, die Frage nach einem freimaurerischen Religions- oder Gottesbegriff, die Frage nach der Offenbarung in der Freimaurerei und nach Toleranz sowie nach der Vervollkommnung des Menschen stehen neben den Ritualien ebenfalls im Zentrum der Fragestellung dieser Arbeit. Was allerdings die Deutsche Bi6 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei.

I. Problemstellung

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schofskonferenz nur generell tut, wird hier genau untersucht und vor allem auch mit Textstellen aus der Freimaurerei belegt bzw. durch Gegenüberstellungen sowohl aus dem Erfahrungsschatz der Tradition der katholischen Kirche als auch der Freimaurerei verdeutlicht. Ein großes Problem bei den Forschungen zu dieser Thematik stellt die Quellenlage dar: Immerhin versteht sich die Freimaurerei zwar nicht als Geheimgesellschaft, wird aber aufgrund des erschwerten Zuganges zu ihren Quellen, vor allem was das Ritual der Freimaurer betrifft – es gilt ja immer noch die Arkandisziplin – als diskrete Gesellschaft bezeichnet. Es wurde aber, ausgehend vom Ritual der A. F. u. A. M. Deutschlands, das dem Autor letztlich zur Verfügung stand, versucht, schlüssige Aussagen über diesen Bereich zu machen, indem diese mit Selbstzeugnissen von Freimaurern in Beziehung gesetzt werden. Zu der Tatsache, dass wir in unserer heutigen Zeit viele Quellen auch über das Internet bekommen, passt die vom Autor für diese Arbeit gewählte Vorgangsweise: Auch wenn das Internet ein „flüchtiges“, nicht immer ganz zuverlässiges Medium ist, wurden doch in einer Abwägung der Vorteile desselben, verstärkt Internet-Seiten und auch eine Mailingliste als Informationsquellen herangezogen. Immerhin benützen einzelne Großlogen und Logen das Internet für ihre Selbstdarstellung und nur so ist es auch möglich, etwa einzelne Zeichnungen – also Arbeiten von Mitgliedern über freimaurerische Prinzipien oder die maurerische Arbeit – einzusehen. Bei der Zitierung von Internet-Seiten wurde genau protokolliert, an welchem Tag die betreffende Stelle eingesehen wurde. Dabei geht es letztlich um eine Güterabwägung: Soll man aktuelle Quellen, die einen erhöhten Mehrwert an Informationen bieten, weglassen, weil diese flüchtig und allzusehr im Strom der Zeit stehen oder wissenschaftlichen Ansprüchen nicht immer ganz entsprechen mögen? Wir glauben, dieses Wagnis eingehen zu können, zumal auch manche Freimaurer wie Klaus Horneffer, ein prominenter Exponent der Vereinigten Großlogen Deutschlands, den revolutionären Impetus des Mediums Internet für die Aufklärung der Menschen in Bezug auf die Freimaurerei herausstellt.7 Weiters könnte die Gefahr bestehen, dass man dem Autor, der nicht selber Freimaurer ist, also auch nicht in die Rituale offiziell eingeweiht wurde, vorwirft, er könnte aufgrund seiner Ferne zum Ritual dieses grundsätzlich 7 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven.“ Diskussionsveranstaltung in der Reihe des Norddeutschen Rundfunks „Das literarische Cafehaus“. Eine Zusammenarbeit der NDR-Kultur und der Freimaurerloge „Zum hellleuchtenden Stern“, Celle, Diskussion in der Kreistagshalle Celle, ausgestrahlt 2006. Die Aufzeichnung dieser Sendung und andere Medien zur Freimaurerei wurden dem Autor dieser Arbeit dankenswerterweise vom Altstuhlmeister der Loge zum hellleuchtenenden Stern in Celle zur Verfügung gestellt.

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I. Problemstellung

nicht verstehen bzw. dürfte keine Beurteilung abgeben. Dem steht das Argument entgegen, dass man sehr wohl über die freimaurerischen Rituale sprechen kann, weil es ja nicht nur im alltäglichen Leben, sondern in unserem Fall speziell im Zusammenhang mit der katholischen Liturgie solche Rituale gibt, von denen aus sehr wohl eine Analogie zu freimaurerischen Ritualen geknüpft werden kann. Nicht zuletzt aus der Freimaurerei selber kommen Signale, die eine solchen Vorgangsweise zu rechtfertigen scheinen. Immerhin der Großmeister der Vereinigten Großlogen Deutschlands, Klaus Horneffer (Großmeister von 2004 bis zum 29. Oktober 2006) versucht in einer Erklärung der Bedeutung des freimaurerischen Rituals eine Brücke zur Priesterweihe bzw. auch zur Taufe zu schlagen. So sagt er in einer Diskussionsveranstaltung dazu: „Die Priesterweihe (. . .) ist eine Art sehr initiatorischer Vorgang, also eine Einfügung in eine neue Position, in einen neuen Charakter, eben eine Weihe. Man kann sagen, die Aufnahme zum Freimaurer ist etwas Ähnliches, wir sprechen nicht von Weihe, aber man könnte das Wort durchaus verwenden. Man kann so weit gehen zu sagen, dass das freimaurerische Ritual grundsätzlich eigentlich ausschließlich aus Initiation besteht, nämlich aus Einführung eines Nichtfreimaurers in den Stand, in den Zustand eines Freimaurers. Da sind die Freimaurer auch nicht weit von solchen Gedanken einer Weihe, einer solch tiefgreifenden Handlung entfernt . . .“8 Gerade weil die Freimaurerei ihren eigenen Ritualen eine derartig überhöhte Bedeutung zumisst, kann von einer Art religiöser Charakter derselben ausgegangen werden. Dazu noch einmal Klaus Horneffer, der folgende These formuliert: „Man missversteht die Freimaurerei, wenn man nicht erkennt, dass es sich in Wirklichkeit um einen religiösen Bund handelt. Das Religiöse steht im Mittelpunkt der Freimaurerei, nicht die Ideale, nicht die Ziele. Freimaurerei ist kein Service-Club, sondern eine religiöse Vereinigung.“9 Zudem gibt es auch von Seiten vieler Freimaurer sehr wohl MetaÜberlegungen zu ihren Ritualen, die einbezogen wurden, und damit wird gewissermaßen auch der Beweis dafür erbracht, dass man sehr wohl über die Rituale außerhalb des geschützten Erlebnisraumes der Loge sprechen kann bzw. sie kognitiv thematisieren kann, ohne sich nur auf das reine Ritualerleben zu beschränken. Wenn gerade diese Erörterungen über das Ritual dem Autor dieser Arbeit zum Vorwurf gemacht werden sollten oder wenn er wegen seiner ungenügenden Kenntnis darüber kritisiert werden sollte, dann muss darauf hingewiesen werden, dass es sicher der freimaurerischen Sache, aber auch der Wissenschaft dienlich wäre, würde man über8 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven“. 9 Ebd.

I. Problemstellung

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haupt die Arkandisziplin der Freimaurer in Bezug auf die Ritualistik aufheben. Immerhin haben gerade die Rituale immer den verschiedenen christlichen Kirchen auch Anlass gegeben, gegenüber der Freimaurerei auf Distanz zu gehen. „Sowohl die evangelische Kirche als auch die anglikanische Kirche wie dann auch die katholische Kirche hat gesagt: Wir konnten die Arbeit am Ritual nicht verfolgen, da wurde uns die Tür nicht geöffnet. Was also geschieht, wissen wir nicht. So lange wir nicht wissen, was da geschieht, können wir nicht sehen, ob nicht die Tempelarbeit dann doch etwas ist, was vergleichbar wäre unseren Sakramenten und dadurch in eine gewisse Konkurrenz wieder mit uns tritt.“10 Natürlich verlief die Forschungsgeschichte dieser Arbeit zu diesem schwierigen Bereich mit etlichen Diskontinuitäten: So mussten im Verlauf der Arbeit immer neue Quellen eingearbeitet werde, die Fragestellungen mussten der entsprechenden Quellenlage angepasst werden und Korrekturen waren ständig über den langen Zeitraum, der für diese Arbeit benötigt wurde, notwendig. Ein Merkmal der Arbeit ist, dass die Beurteilung nicht ausschließlich nur in einem Kapitel zu finden ist, sondern dass auch im Laufe der Überlegungen kritische Rückfragen gestellt werden oder gar durch einzelne Formulierungen parteiisch anmutende Stellungnahmen abgegeben werden. Diese Vorgangsweise soll von vornherein offengelegt werden. Es werden in dieser Arbeit neben der personal ausgerichteten Theologie auch andere Zugangsweisen verwendet, um sowohl das Sakrament als auch das Ritual der Freimaurer aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten zu können. Es darf keineswegs geleugnet werden, dass es im Laufe der Jahrhunderte Entwicklungen im Bereich der Theologie gegeben hat, wir aber von den momentanen theologischen Perspektiven aus Beurteilungen und Vergleiche vornehmen. Dies erscheint dem Autor dieser Arbeit aber durchaus legitim, weil wir ja auch die derzeitige Gestalt der Symbolik und Ritualistik der Freimaurerei betrachten und gleichzeitig sowohl im Bereich der Freimaurerei als auch der katholischen Kirche historische Gegebenheiten und Perspektiven integrieren. c) Die Festlegung auf die Johannisfreimaurerei Die Bezeichnung „Freimaurer“ ist nicht geschützt, eine jede Gruppe kann sich „Freimaurer“ nennen. Es gibt deshalb auch eine Vielzahl von Gruppierungen, die für sich in Anspruch nehmen, Freimaurer zu sein. Damit wird das Ganze äußerst unübersichtlich und es scheint extrem schwierig zu beur10 R. Sebott, in: Tempel, Logen, Rituale. Das Geheimnis der Freimaurer, Sendung der ARD von K. Ludwig und M. Erler, Ausstrahlung am 20. August 2008, 23.30 Uhr.

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I. Problemstellung

teilen, was nun authentische Maurerei ist und was nicht. Dabei spannt sich der Bogen von Logen, die explizit christlich sind, bis hin zu gemischt-geschlechtlichen Gruppierungen, Frauenlogen oder Logen, in denen die unterschiedlichsten Schwerpunktsetzungen erfolgen. Vor allem im Bereich des katholischen Anti-Masonismus werden immer wieder die sog. Hochgrade genannt, die angeblich besonderes geheimes Wissen transportieren sollen und sich damit gegen die Religion verschwören würden. Wenn also von Freimaurerei gesprochen wird, dann muss man immer auch dazusagen, um welche Art es sich handelt. Wir haben uns in unserer Arbeit auf die sog. Johannismaurerei beschränkt. Nur dadurch, dass man sich hier inhaltlich beschränkt, ist es überhaupt möglich, eine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema durchzuführen. Die Johannismaurerei – bei aller inneren Uneinheitlichkeit – hat gemeinsame Kriterien und Werte und einen Garanten für diese Gemeinsamkeit. Das ist die Großloge von England, die bestimmte Kriterien für diejenigen nationalen Großlogen aufgestellt hat, die sich zur Johannismaurerei bekennen wollen. Von regulärer Maurerei wird also nur gesprochen, wenn eine Großloge von der GL von England anerkannt wird. Aufgrund der Stellungnahmen einzelner Freimaurer dieser Lehrart, die die größte ist, aber auch aufgrund des Rituals der GL der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland kann schließlich doch ein abgerundetes Bild der Johannismaurerei entworfen werden. 1. Der Vorgang einer Annäherung Spätestens jetzt ist es geboten zu klären, was sich unter dem Schlagwort „Freimaurerei“ verbirgt. Wenn das Ganze etwa nur mit Bauhandwerk und Maurern zu tun hat, wie kann so etwas in den ethisch-weltanschaulichen Dialog mit der Kirche treten oder gar die wesentlichen Anliegen der Aufklärung in einem Maße transportieren, sodass wir immer wieder von der Freimaurerei als der treibenden Kraft der Geschichte und des Fortschrittes sprechen hören? Mannigfaltige Theorien gibt es zum Ursprung der Freimaurerei. Sowohl der Templerorden als auch die Rosenkreuzer-Bruderschaft11 gilt für manche als Ursprung der Freimaurerei. „Die Templerthorie stützt sich auf das hohe Ansehen der Ordensangehörigen als Bauherrn und baut auf der Hypothese auf, dass der Orden trotz seiner Verurteilung und 11 Daneben werden noch die Theorie von der „jüdischen Herkunft“ der Freimaurerei und der protestantischen Herkunft ventiliert. Beide Theorien werden mit Querverweis auf einige andere Autoren von Charles von Bokor in seinem Buch „Winkelmaß und Zirkel. Die Geschichte der Freimaurer“, Wien/München 1980 (S. 14 ff. und 16 f.) aufgezeigt.

1. Der Vorgang einer Annäherung

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Verfolgung seine Weiterentwicklung sichern wollte. Der Großmeister Pierre d’Aumont, der zusammen mit zwei Kommandeuren und fünf Rittern nach Schottland floh, soll vom schottischen König Robert I. Bruce freundlich aufgenommen worden sein und Templer um sich gesammelt haben. Diese Gruppe soll die Logen als Organisationsträger instrumentalisiert haben.“12 Ganz sicher handelt es sich zunächst bei den Freimaurern um Handwerker, die sich in der so genannten „Bauhütte“ zusammenschlossen, um den zeitlich begrenzten Bau einer Kirche gemeinsam zu erstellen. „Die Bauhütte war aber nicht nur die Arbeitsstätte, sondern sie war für die freizügigen Steinmetze das Symbol der Brüderschaft, in der Meister und Gesellen sich zu gemeinsamem Wirken verbanden. Die Bauhütte war nicht dem städtischen Zunftzwang – denn neben den Bauhütten bestanden in den Städten Zünfte der Steinmetzen und Maurer – sondern einer selbst gegebenen Ordnung unterworfen. Sie war frei von äußerer Beschränkung durch die städtische Gewerbeordnung, aber in sich selbst bis aufs kleinste gegliedert. Gegründet auf religiöser sittlicher Basis ‚Gott zu ere und zum gemeynen nutz‘, erwachsen auf dem Boden der katholischen Kirche . . .“13 In den Zeitläufen hat sich dann aber das Bauhüttenwesen gewandelt: Einmal, weil der Kirchenbau quantitativ immer mehr zurückging. Zum anderen, weil die „bruderschaftliche Organisation“ einer Gemeinschaft wie die der Freimaurer auch für andere gesellschaftliche Gruppen attraktiv wurde, für Gruppen, die nicht direkt etwas mit dem Bauwesen zu tun hatten. Kleine elitär erscheinende Gruppen mit Geheimnissen sind auch in unserer Zeit interessant. Gerade in einer Informationsgesellschaft wie der unsrigen sehnt manch einer sich wieder nach der Überschaubarkeit einer kleinen Gruppe oder einer Sozietät, die sich positiv abhebt von der Anonymität, und nach dem Geheimnis, das Menschen miteinander verbindet.14 In diesem Lichte ist auch das von Jan Laurisch, einem deutschen Freimaurer in der schon erwähnten offenen Mailing-Liste, zu diesem Thema Gesagte zu sehen: „Nun, ich bin sicher, dass es doch ein wenig der maurerischen 12

H. Reinalter, Die Freimaurer, München 2000, S. 11. Internationales Freimaurerlexikon, hrsg. von E. Lennhoff/O. Posner, Zürich/ Leipzig/Wien 1932, S. 129. Auf Seite 275 heißt es: „Nach Art ihrer Entstehung ist die Freimaurerei ursprünglich christlich, das heißt die Bauhütteleute und ihre ‚spekulativen Mitglieder‘ waren Christen. Dafür sprechen auch die alten Konstitutionen, in denen von der Heiligen Kirche und der Dreifaltigkeit die Rede ist.“ 14 Dieses Geheimnis kann auch sehr großen Einfluss auf die Ausbildung einer gewissen Gruppenidentität haben. Fichter meint dazu: „Geheimgesellschaften, Freimaurerlogen und ähnliche Gruppen haben eine erkennbare Existenz, obwohl sie exklusiv sind und die Mitgliedschaft bei ihnen nicht offen deklariert wird.“ (J. H. Fichter, Grundbegriffe der Soziologie, hrsg. von E. Bodzenta, Wien/New York3 1970, S. 70.) 13

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I. Problemstellung

(menschlichen) Eitelkeit schmeichelt, wenn man von den FM mit einem ehrfürchtigen Schaudern und mit vorgehaltener Hand spricht. Man fühlt sich interessant, denn man kennt verborgene Rituale und sieht die Dinge vielleicht mit anderen Augen. Ja, wie der alte Merlin, der in seiner Weisheit den Menschen zu Seite steht und doch versagt . . .“15 Für die Bauleute von damals war die Bewahrung eines Geheimnisses eine Existenzfrage – das fachliche Know-how musste bewahrt werden – und mit ihm die Tradition des Berufsstandes. Nach der Zerstörung Londons durch die große Feuersbrunst im Jahre 1666 konzentrierten sich die Bauhandwerker an diesem Ort. Zum Wiederaufbau Londons waren ja sehr viele Baufachleute vonnöten. Mit dieser Konzentration von Bauleuten an einem Ort ergab sich aber auch ein erheblicher Zuwachs an politischem Einfluss für diese Gruppe. „Die Logen der für den raschen Wiederaufbau benötigten Bauleute wurden zunehmend von intellektuellen Angehörigen nichthandwerklicher Berufe unterwandert, die das Ansehen der Bauhütten für ihre Zwecke verwandten. Unterstützt durch das Ausklingen der großen Dombauten, waren in einigen Logen schon bald die so genannten angenommenen Maurer in der Überzahl – der Umwandlungsprozess zur geistigen und spekulativen, nur mehr symbolisch bauenden Freimaurerei war im vollen Gange und fand seinen Abschluss am Johannistag des Jahres 1717.“16 An diesem Tag war die Geburtsstunde der Freimaurerei, wie wir sie heute kennen – als einen Zusammenschluss von Menschen, die alle versuchen, am rauen Stein, an sich selbst also, zu arbeiten, umso die Vervollkommnung der eigenen Person voranzutreiben. Nach dem Zusammenschluss mehrerer Logen im Jahre 1717 gilt das Jahr 1723 als weiterer wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der modernen Freimaurerei. Aus diesem Jahr stammen die sog. „Alten Pflichten“ des Reverend Anderson, die Grundsätze für die Freimaurerei, die im Großen und Ganzen heute noch für die Freimaurer (abgesehen für den französischen Grande Orient) verbindlich sind. James Anderson war presbyterianischer Pastor und Doktor der Philosophie und Theologie. Er verfasste diesen Normenkanon der Freimaurerei im Auftrag der Großloge von England. Auf der Homepage der Erlanger Loge wird über die Bedeutung der Alten Pflichten Folgendes gesagt: „Wenngleich es diskussionswürdig erscheinen mag, in wie weit ein Text aus dem Jahre 1723, der mehr oder minder deutlich die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen seiner Zeit widerspiegelt, die Grundsätze einer modernen und zeitgemäßen Freimaurerei im Ausgang des 15

J. Laurisch am 27. April 2001 in der offenen Freimaurerliste (freimaurerei [email protected]). 16 P. Wendling, Die Unfehlbaren. Geheimnisse exklusiver Klubs, Logen und Zirkel – von den Freimaurern bis zu den Rotariern, Himberg bei Wien, S. 26.

1. Der Vorgang einer Annäherung

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20. Jahrhunderts noch hinreichend präzise zu beschreiben vermag, so haben bestimmte Kernaussagen ihre Bedeutung doch bis heute bewahrt und bilden nach wie vor einen wichtigen und durchaus lebendigen Teil unseres Selbstverständnisses.“17 Grob zusammenfassend beschreibt jene allgemeinen Grundsätze zum Beispiel die Großloge „Lessing zu den drei Ringen“ (in der tschechoslowakischen Republik während der Zwischenkriegszeit): „Der Bund der Freimaurer ist eine Gesinnungsgemeinschaft freier Männer von gutem Rufe, aufgebaut auf der Humanitätslehre und eingekleidet in ein eigenartiges System von sinnbildlichen Gebräuchen und Handlungen . . . Der Inhalt seiner Symbolik ist die Erreichung eines Bauzieles, gehüllt in die Allegorie des Salomonischen Tempelbaues als Ausdruck für die Vollendung und den endgültigen Sieg des Humanitätsgedankens. Indem der Freimaurer unter der Humanitätsidee das Streben nach höchster Vollendung menschlichen Wesens versteht und erfasst, erstreckt er sein Arbeitsgebiet auf die gesamte Menschheit, die ihm Baustoff und deren höchstmögliche sittliche Vollendung, die ihm Bauziel ist.“18 Rein inhaltlich beschäftigen sich diese Konstitutionen Andersons mit dem Streben nach Gewissens- und Glaubensfreiheit, wobei der Begriff der Religion ein sehr weit gefasster ist. Die Toleranz ist für diese Alten Pflichten eine wesentliche Forderung. Die Kapiteleinteilung bzw. Struktur der Alten Pflichten lässt Schlüsse über die Wichtigkeit der einzelnen Themen zu: Immerhin betitelt Anderson sein erstes Kapitel: „Concerning God and Religion“. Im zweiten Kapitel geht es dann um die Verhaltensweisen des Freimaurers gegenüber dem Staat. Im Kapitel „Of the CIVIL MAGISTRATE supreme and subordinate“ heißt es: „A Mason is a peaceable Subject to the Civil Powers, wherever he resides or works, and is never to be concern’d in Plots and Conspiracies against Peace and Welfare of the Nation, nor to behave himself undutifully to inserior Magistrates; for as Masonry hath been always injured by War, Bloodshed, an Confusion, so ancient Kings an Princes have been much disos’d to encourage the Craftsmen, because of their Peaceablenefs and Loyality, whereby they practically answer’d the Cavils of their Adversaries; and promoted the Honour of the Fraternity, who ever flourish’d in Times of Peace.“19 Erst nachdem solcherart die Pflichten 17 Die Alten Pflichten. Homepage der Erlanger Loge „Libanon von den 3 Cedern“, www.freimaurerloge-erlangen.de am 1. Jänner 2000. 18 Zitiert in: Internationales Freimaurerlexikon, hrsg. von E. Lennhoff/O. Posner, Zürich/Leipzig/Wien 1932, S. 25. 19 Rev. Anderson, The Constitutions of the Free-masons. Containing the History, Regulations, & c. of that most Ancient an Right Worshipful Fraternity. For the Use of the Lodges, London 1723.

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I. Problemstellung

des Maurers gegenüber Gott und der Religion sowie gegenüber dem Staat abgeklärt worden sind, wird das Verhalten in der Loge durch die verschiedenen Grade, die Leitung der Bruderschaft bei der Arbeit und das Gebaren zu den verschiedenen Anlässen und zu den unterschiedlichen Personen (zu Brüdern, zu Profanen = engl. „Strangers“ und zu unbekannten Brüdern) reflektiert und reglementiert. Immer noch fühlen sich die Freimaurer den Traditionen des Bauhüttenwesens verbunden, noch immer scheinen die Traditionen der mittelalterlichen Bruderschaften eine Rolle zu spielen, aber umgedeutet und kombiniert mit den Idealen der Aufklärung. „Laut logeninterner Definition war der geschichtsnotwendige Auftrag der Freimaurerei im 18. Jahrhundert die Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit . . .“20 Seitdem ist einiges an gesellschaftlichen Umbrüchen passiert. a) Verwurzelung des Bauhüttenwesens und der entsprechenden Symbole in der Kirche Es spricht einerseits die tiefe Verwurzelung des Bauhüttenwesens des frühen Mittelalters in der Kirche und andererseits die Bescheidenheit der Baumeister, die sich bis auf wenige Ausnahmen in ihren Bauwerken keine Denkmäler setzten, weil sie in ihrer tiefen Gläubigkeit ihren Dienst als Baumeister als selbstverständlichen Dienst an Gott ansahen, gegen die These von der kritischen Potenz des Geheimwissens, die gewissermaßen durch die Geometrie im Bereich der Dombauleute kanalisiert worden sein soll. Damit herrscht im Früh- und Hochmittelalter ein ganz und gar anderer Geist als in der Antike: „Wir wissen, dass die Geschichte der Signaturen eine sehr turbulente war. Sie sind in der Antike selbstverständlich, vor allem in der griechischen Vasenmalerei mit dem Beisatz ‚er hat es gemacht‘, sie sind ab dem frühen Mittelalter zumeist nicht vorhanden (von Baumeister- und Steinmetzzinken abgesehen). Der Künstler wird im Mittelalter als anonymer Handwerker verstanden und nicht als individueller Schöpfer gesehen.“21 Auch in diesem Bereich sind wir aber weit weg von einer totalen Konformität: So treten hin und wieder Einzelne aus dieser Anonymität heraus. Das hat zum Beispiel etwas mit dem Spezifischen des Erlernens des „Architek20

Internationales Freimaurerlexikon, hrsg. von E. Lennhoff/O. Posner, S. 27. Interessant ist, dass das nichts anderes darstellt, als das von Kant verkündete Programm für die Aufklärung. So sagt Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ In: I. Kant, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik (Immanuel Kants Werke in sechs Bänden, Bd. VI), hrsg. von W. Weischedel, Darmstadt5 1983, S. 51. 21 S. Schaefer-Wiery, Graffiti und Kunst, in: http:://graffiti.netbase.org/kunst.htm, eingesehen am 25. Mai 2002.

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tenhandwerks“ zu tun, mit einem Lernen, das nicht bestimmt wurde durch die Theorie der Mathematik, sondern vor allem durch die praktische Tätigkeit. Die mathematischen Grundlagen waren ja weder von der schulischen Ausbildung noch von der Universität her gegeben22, denn die Baumeister waren ja vor allem Handwerker: „Der angehende Meister erwirbt sich seine Kenntnisse als Diener eines bewährten Praktikers am Werk selbst, der ihm so seine eigenen, auf die gleiche Weise empfangenen Kenntnisse weitervererbt . . .“23 Es herrscht also hier das Prinzip Versuch und Irrtum. Wichtig ist also nicht so sehr die Theorie, sondern das praktische Probieren, die Bezugnahme auf „die Alten“ und das „Exemplum“.24 Insofern ist es nur konsequent, wenn das Wissen entweder geschützt wird innerhalb der Bauhütte, weil es sich ja um ein Wissen handelt, das konkurrenzfähig machte, dass man dieses Wissen aber andererseits, wenn man es anderen zugänglich machen wollte, mit Hilfe von Architektur-Exempla weitergab. „Als frühestes Werk wäre das Musterbuch des Villard de Honnecourt zu nennen (um 1235) . . .“25 Aber nicht nur durch solche Musterbücher trat man aus der Anonymität beim Dombau heraus. Es ist nicht immer ganz leicht, zwischen den beteiligten Bauherrn und dem Bauverwalter bzw. dem Werkmeister oder Architekten ganz klar zu unterscheiden. „Bei Bauten des Klerus ist der Operarius gewöhnlich ein Geistlicher, der die gesamten Einnahmen und Ausgaben zu überwachen hat. Er schließt Verträge mit den Meistern, beschafft Baustoffe, regelt ihren Transport und stellt in manchen Fällen sogar die Gesellen ein. Nach Beendigung des Baues obliegt ihm die Bauunterhaltung.“26 Damit ergibt sich aber die Situation, dass einmal als „buwemeister“ die Bauverwalter (Operarii) angesehen werden, zum anderen aber (auch im heutigen Sinn) der Werkmeister.27 Bleibt zudem noch die Frage nach dem jeweiligen Bauherrn. Ein sehr berühmter Bauherr ist der Klostervorsteher von St. Denis, Abt Suger, der „um 1137 den für das Werden der Gotik entscheidungsvollen Neubau der Klosterkirche (von St. Denis – Anmerkung des Verfassers) begann“28 und der sich nicht nur selber in Inschriften verewigte29, sondern auch mit seinen Schriften „Libellus de con22

Vgl. P. Booz, Der Baumeister der Gotik, München/Berlin 1956, S. 9–16. Ebd., S. 40. 24 Vgl. ebd., S. 40. 25 Ebd., S. 41. 26 Ebd., S. 26. 27 Vgl. ebd., S. 26 f. 28 G. Allemang, in: LTHK, Bd. IX., S. 1150 f. 29 Ein Beispiel dafür soll hier stellvertretend genannt werden. Dieses wird zitiert aus: C. Markschies, Gibt es eine „Theologie der gotischen Kathedrale“? Nochmals: Suger von Saint-Denis und Sankt Dionys vom Areopag, vorgelegt von Martin Hengel am 12. November 1994, Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissen23

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secratione ecclesiae Sancti Dionysii“ und „De rebus in administrationem sua gestis“ sein Wirken als Schöpfer der Klosterkirche aufzeigte und begründete. Aus zahlreichen Inschriften auf Glasfenstern und dergleichen wissen wir also, dass die Bauherrn des Mittelalters – so wie heute auch – ihr Licht keineswegs unter den Scheffel stellten, sondern auch den Kirchenbau sehr wohl für die Eigenwerbung mittels Inschriften verwendeten. An dieser Stelle muss gefragt werden, ob es eine durchgängige Theologie des Kirchenbaues überhaupt gegeben hat und auf welchen Fundamenten das Ganze ruht. Dabei gibt es auch die Vorstellung und der Autor dieser Arbeit neigt eher zu dieser, dass nicht so sehr das theoretische und theologische Konzept dabei an erster Stelle stand, sondern vielmehr der praktische Vollzug des Baues und erst in späterer Folge erfolgte die Begründung. Außerdem müssen wir die Frage stellen, ob nicht hinter all diesen Begründungen oft hauptsächlich die Interessen und die Interpretationen der Deuter (auch von heute) selbst stehen. Wenn wir vom biblischen Bezug ausgehen, finden wir vom NT her Begründungen für Gott als weisen Architekten, nämlich bei Paulus, der in 1 Kor 3,10 sagt: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut.“ Auch das Motiv, der Kirchenbau sei ein Nachschöpfen göttlicher Ordnung, wird immer wieder als theoretische, gewissermaßen anthropologische Grundlage des Bauens und des Kirchenbaus genannt: „Gottfried Semper, der Erbauer der ETH Zürich, sprach von der Befriedigung ‚eines kosmogonischen Instinktes‘ im Menschen (1860/62). Daher kann Joachim Gaus (1974) etwas ungenau behaupten: ‚Suger, der als Theologe für den Bau verantwortlich ist, konzipiert ihn nach den wohlabgewogenen Harmonien des Kosmos und bezeichnet diese Unternehmung als eine von Gott eingegebene und verwirklichte Schöpfung. Sein Handeln als Architekt ist gewissermaßen in Analogie zur göttlichen Weltschöpfung zu begreifen. Sein Bauwerk soll zudem die Schau intelligibler Wirklichkeiten erleichtern. Es besitzt also einen paradigmatischen Charakter und deutet die Weltschöpfung in Form eines planvollen Kunstwerkes.‘ “30 In diesem Zusammenhang soll auch von den Ansichten Bernhards von Clairvaux zu diesem Thema gesprochen werden, die einen schaften, Heidelberg 1995, S. 68. In der Übersetzung lautet diese Inschrift: „Das Jahr eintausend und einhundertvierundvierzig, des Wortes wars, als es geweiht worden ist. Weil ein neuer späterer Teil mit dem früheren verbunden wird, schimmert das Gotteshaus durch seine Mitte erstrahlt (erhellt), es erstrahlt nämlich durch Strahlendes, was strahlend vereint worden ist, und was durchströmt das neue Licht, es erstrahlt das Werk edel, was dasteht vergrößert zu unserer Zeit, weil es ja unter mir, der ich Suger war, als Leiter vollendet wurde.“ 30 www.muellerscience.com:80/MODELL/Architektur/DeutungenfruehererArchi tektur.htm, eingesehen am 21. November 2008.

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Kontrapunkt zu einer überhöhenden Theologie des Kirchenbaus darstellen: Man nimmt an, dass er sich in seiner Apologie von ca. 1124/25 vor allem gegen die Benediktiner und Cluny wendet, wenn er sagt: „Ich übergehe die grenzenlose Höhe der Bethäuser, ihre übermäßige Länge und unnötige Breite, ihre kostspieligen Marmorarbeiten und ihre Staunen erregenden Malereien. Dies alles zieht den Blick der Betenden auf sich und hindert die Andacht.“31 Damit wird nicht nur Bauluxus-Kritik betrieben, indem auch antike Topoi wiedererweckt werden, es werden auch für den Kirchenbau folgende leitende Kriterien angegeben: „Bauweise und Ausstattung dürfen nicht als leichtfertig, prahlerisch, einzigartig oder vermessen erscheinen – und gerade das sind bekanntlich zu allen Zeiten Attribute künstlerischer Höchstleistungen.“32 Wie verhält es sich mit Bernhards Einschätzungen des materiellen Kirchenbaus in seinen Kirchweih-Predigten? „Es überrascht nicht, dass Bernhard die gebaute ecclesia ganz eindeutig der lebendigen ecclesia, der Gemeinschaft der Gläubigen, unterordnet: In Sermo 1 formuliert er: Was könnten diese Steine an Heiligem haben, dass wir ihre Weihe feiern sollten? Und doch sind sie heilig, aber wegen unserer Leiber. Später hat er sogar die Bezeichnung „Haus Gottes“ für Klosterkirchen abgelehnt (Sermo 2): Dieser sichtbare Tempel ist für uns und unsere Wohnung erbaut, denn der Allerhöchste (Apg 17,24) weilt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Was für einen Tempel sollen wir ihm auch bauen, der gesagt hat (Jes 23,24): Ich bin es, der Himmel und Erde erfüllt. Freilich ist der Kirchenbau für Bernhard weiterhin ein Ort, wo Gott unter den Mönchen anwesend ist.“33 Auch die Harmonie, die irgendwie auch durch das Bauen abgebildet wird, figuriert als Topos in der Diskussion um den mittelalterlichen Kirchenbau: Dabei wird von einer umfassenden Harmonie ausgegangen, die eng verknüpft ist mit dem Begriff „Schönheit“. Dabei bezieht man sich auf das rechte Maß und auf die Proportion, die nicht nur in der Architektur isoliert zu sehen ist, sondern im gesamten Kosmos. Paul von Naredi-Rainer faltet diesen Harmoniegedanken in seinem Buch „Architektur und Harmonie“ aus. Er sagt dazu über die Theologie: „AUGUSTINUS vollzieht die spekulative Grundlegung jenes Gedankens, der bis zu THOMAS VON AQUIN (1224/25–1274) und BONAVENTURA (1217/18–1274) im Zentrum des mittelalterlichen Weltbildes steht: der Gedanke des ordo. ‚Ordnung ist das Mittel, durch das alles bestimmt wird, was Gott festgelegt hat‘, defi31 Zitiert aus: M. Untermann, Gebaute UNANIMITAS. Zu den Bauvorschriften der Zisterzienser, in: U. Knefelkamp (Hrsg.), Zisterzienser. Norm, Kultur, Reform – 900 Jahre Zisterzienser, Schriftenreihe des Interdisziplinären Zentrums an der Europa-Universität Viadina Frankfurt (Oder), Berlin 2001, S. 247. 32 Ebd., S. 248. 33 Ebd., S. 249.

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niert AUGUSTINUS. ‚Nichts steht außerhalb der göttlichen Ordnung.‘ ‚Nichts im Universum ist ungeordnet.‘ Ordo ist das sicht- und erfahrbare Tun Gottes in der Welt.“34 Noch einmal zu Augustinus und seinem Harmonie- bzw. Ordnungsbegriff: „AUGUSTINUS ersetzt an einigen Stellen in der Angabe der drei Ordnungselemente das zweite, die Zahl, durch den Terminus Schönheit. In dieser Vertauschung der Termini Zahl und Schönheit wird Schönheit als Wesenselement der Ordnung bestimmt. ‚Nichts ist geordnet, was nicht schön wäre.‘ Die Schönheit aber liegt in der Zahl als Grundlage der Form. Die Zahl sei die vereinheitlichende Formkraft von Maß und Ordnung, die Quelle ästhetischer Vollkommenheit, das Höchste und Machtvollste im Bereich der Vernunft, ja die Vernunft selbst.“35 Der Angelpunkt für diesen Bezug zur Harmonie Gottes ist Weish 11,20, wo es heißt: „Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ Wenn auch Bezüge zu einem umfassenden Harmonieverständnis bei den großen mittelalterlichen Theologen gegeben sein mögen, so scheint es dem Autor dieser Arbeit doch, das mag deutend gesagt werden, als äußerst problematisch, wenn statt des Gottes, der hinter dieser Harmonie steht, die Harmonie selbst vergottet wird, wie dies in der von uns untersuchten Johannismaurerei offen oder implizit-tendenziell passiert. Natürlich hat die mittelalterliche Architektur Anlass gegeben zu vielfältiger Interpretation und für unterschiedliche Spekulationen. Trotzdem muss man sehr vorsichtig sein, wenn es darum geht, diese Spekulationen und Deutungen als die einzige Möglichkeit der Deutung anzusehen. Insgesamt war aber das Selbstverständnis des mittelalterlichen Handwerkers und Künstlers klar: Der Bau eines Domes galt, zumindest im Frühund Spätmittelalter als „heiliger Dienst“. „Seine Herstellung und Errichtung konnte nur deshalb von einem Menschen oder einer Gruppe von Handwerkern gewagt werden, weil sie sich strengsten Regeln und Ritualen unterzogen. Alles Persönliche, Profane, Subjektive und Äußerliche der eigenen Existenz musste dazu aufgegeben werden. Niemals konnte ein heiliges Kunstwerk von einem Menschen unterschrieben sein. Niemals durften die Vorgaben abgeändert werden, ja, selbst das Anbringen von so genannten ‚Verbesserungen‘ oder ‚Korrekturen‘ der Vorlagen galt als Verstoß gegen das Grundgebot der Handwerker.“36 Diese Interpretation beleuchtet die Ritualistik der Steinmetze und das akribische Festhalten an Symbolik und an festgefügten Traditionen aus einer ganz anderen Perspektive. Der Maurer 34 P. von Naredi-Rainer, Architektur und Harmonie. Zahl, Maß und Proportion in der abendländischen Baukunst, Köln5 1995, S. 19. 35 Ebd., S. 21. 36 D. Ambühl, Heilige Kunst und Demokratie, in: www.bildweg.ch/b/gr/do/ 04.htm am 25. Mai 2002.

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hat also hier in diesem heiligen Dienst eine besondere sakrale Funktion. Er vollzieht also ebenso seine Aufgabe nach seiner Funktion und seinen Möglichkeiten wie der Priester, der die Sakramente feiert. Er ist damit Glied in der Kette der Gläubigen, die alle den Schöpfer nach ihren jeweiligen Möglichkeiten loben sollen. In diesem Zusammenhang geraten auch das Sendungsbewusstsein der Freimaurer und die Sakralität der Rituale in ein anderes Licht. „Die hauptsächlichen Grundlagen des Steinmetzwesens waren genaue praktische Kenntnis des Gewerkes, Religiosität, insbesondere Befolgung der durch die Religion aufgelegten Pflichten, worauf denn auch strenge gehalten wurde, so namentlich auf den Empfang der Sakramente und den regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes.“37 Obwohl die Malerei nicht unbedingt direkt mit der Steinmetz- und Kirchenbauarbeit zu vergleichen ist, gibt es doch Parallelen in der Art und Weise, wie das Individuum sich seiner im Bild dargestellten Individualität als Schöpfer eines Werkes erst im 14. und 15. Jahrhundert annähert. „Zaghaft betritt das Individuum die Gewölbe der Weltgeschichte, eingeschüchtert vom Widerhall seines Namens an diesem heiligen Ort. Die Verlockung, das winzige Selbst zu feiern, gerät in Konflikt mit der Majestät des Göttlichen . . .“38 Es steht in keinem Widerspruch dazu, wenn Nikolaus von Kues, ausgehend von den vier Stufen des Seins, nämlich von Gott – Intelligenz – Seele – Körper in seinem System gemeinsam mit geometrischen auch arithmetische Symbole der Zahl verwendet, um die Wirklichkeit zu beschreiben. „Gott faltet alles in sich ein, dagegen ist die Welt Ausfaltung Gottes.“39 Das und auch das Folgende müssen wir auf dem Hintergrund seiner Lehre von der Koinzidenz der Gegensätze sehen. „Die Welt als Schöpfung und nicht nur der Mensch wird als ein ‚zweiter Gott‘ oder als ‚geschaffener Gott‘ (deus creatus) verstanden. Die Welt erscheint Nikolaus in gewisser Weise sogar als unendlich. Der Mensch versinkt nicht einfach in dieser Welt, er steht ihr als menschlicher Gott auch gegenüber.“40 Damit zeigt Cusanus nur die andere Seite einer Medaille auf; auf der einen Seite also mittelalterliche Demut und andererseits trotzdem Einswerden mit Gott und die Identifikation mit ihm, so wie wir diesen Zug auch in den Werken der Mystik finden. Natürlich hat es aber auch schon im Mittelalter immer wieder Baumeister gegeben, die den Schlussstein des Gewölbes mit ihrer Signatur markier37

A. Reichensperger, Die Bauhütten des Mittelalters, Köln 1879, S. 16. P. Aries/G. Duby, Geschichte des privaten Lebens, Bd. II: Vom Feudalzeitalter zur Renaissance, Frankfurt a. M. 1990, S. 503. 39 K.-H. Kandler, Nikolaus von Kues. Denker zwischen Mittelalter und Neuzeit, Göttingen2 1997, S. 25. 40 Ebd., S. 25. 38

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ten.41 Allerdings muss man sich genau ansehen, mit welcher Intention diese Steinmetzzeichen verwendet wurden. So sollen sie in der ersten Zeit, der Hochblüte der Dombauhütten, nicht die Individualität ausdrücken, im Sinne des späteren Sich-Abhebens von anderen, mit der Absicht, dass das Werk den Meister loben möge. Sie werden vielmehr erst seit der spätromanischen Zeit allgemein als persönliches Signum verwendet, um die Abrechnung von Steinmetzarbeiten zu erleichtern und auch als Gütezeichen.42 Ein Grund für die Grundhaltung des demütigen Dienens am Steinbau zur Ehre Gottes mag sicher in der Herkunft der Bauhütten liegen. Stammen doch die Bauhütten des Mittelalters von den Klosterbauschulen ab (z. B. St. Gallen oder Hirsau43). „Janner weist nach, dass bis zum Ausgang des zehnten Jahrhunderts in Europa die Leitung keines einzigen Kirchenbaues weltlichen Bauleuten anvertraut wurde. Die Bauarbeit war damals unbestritten ein priesterlicher Beruf. Die vorhandenen Quellen lassen mit großer Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass die Bauhütten aus England von dort tätigen geistlichen Baumeistern in das germanische Gebiet verpflanzt wurden.“44 Bernhard von Clairvaux meinte, dass sich die Mönche nicht so sehr mit der äußeren, sondern mehr mit der inneren Kultur beschäftigen sollten. Und dazu gehörte es eben auch, dass nach einem Beschluss des Generalkapitels der Zisterzienser (1157) die Mönche (Geistlichen) nicht mehr für Laien arbeiten sollten. „Und da die meisten Münster dieser Zeit sich eben in den Städten befanden, als Bauherrn laikale Stifter oder Chorherrn hatten, in den Städten selbst aber keine Klöster waren, so tauchten eben gar bald neben den geistlichen, weltliche Baumeister in größerer Zahl auf.“45 Und mit der Verweltlichung der Bauhütten änderte sich auch die Struktur derselben insofern, als „früher in den Klosterbauhütten die Gliederung in Mönche als Baumeister oder Werkmeister, conversi als Werkleute und oblati als Diener bestand, so hießen sie jetzt Meister, Parliere, Knechte (Gesellen) und Diener (Lehrlinge) und waren durchaus weltlich.“46 Wenn nun von Bau41

Vgl. ebd., S. 526. Vgl. H. Koepf, Bildwörterbuch der Architektur, Stuttgart2 1985, S. 358. 43 Allerdings wehrt sich Frick gegen die Vermutung, dass alle deutschen Steinmetze sich vom Kloster Hirsau herleiten lassen und meint, dass dies historisch nicht verifizierbar ist, da die Quelle für diese Behauptung, Abt Johann Trithemius, nicht zuverlässig genug sei. K. R. H. Frick, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit, Graz 1973, S. 167. 44 A. Garbai, Die Bauhütten (Vergangenheit und Zukunft). Der Weg zum gemeinwirtschaftlichen Aufbau der Arbeitsorganisationen im Baugewerbe, Hamburg 1928, S. 64–66. 45 C. F. Discher, Die deutschen Bauhütten im Mittelalter und ihre Geheimnisse. Eine kurze Darstellung mit 50 Abbildungen auf 12 Bildseiten, Wien 1932, S. 25. 46 Ebd., S. 26. 42

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hütte die Rede ist, dann bedeutet das auch, dass sich mit der Zeit nicht nur die eigentlichen Steinmetze in diese Gemeinschaften aufgenommen wurden. „Ursprünglich waren sie nur eine Vereinigung von Steinmetzen. Dann nahmen sie auch Maurer auf, und später, als das Hüttenwesen seine Blütezeit zu überschreiten begann, kamen Fürsten, Gelehrte, Künstler, Kirchenherren usw. als eine Art Ehrenmitglieder in die Gemeinschaft. Mit diesen Aufnahmen ist der Anfang dessen gegeben, was später zum Logencharakter, also zur ‚Hütte‘ im übertragenen Sinne führte. Die bedeutsame Zeit der Hütten als reine Baubruderschaften geht bis Mitte und Ende des 15. Jahrhunderts.“47 Es gibt einige Entwürfe und lokale Hüttenordnungen – so etwa die von Trier aus dem Jahre 1397 oder auch eine, die sogar Albertus Magnus zugeschrieben wird48 – allerdings soll laut Durach die erste umfassende, nicht lokale Ordnung der Steinmetze gerade zu einem Zeitpunkt verfasst worden sein, zu dem schon der Ausklang des Dombauhüttenwesens erfolgte. Diese „erste gemeindeutsche Steinmetzordnung wurde 1459 schriftlich aufgesetzt und 1498 zum ersten Male durch Maximilian I. zu Straßburg kaiserlich bestätigt.“49 Bemerkenswert ist, dass erst im späten Mittelalter die Aufzeichnung dieses Gewohnheitsrechtes passierte und Straßburg als allgemeine Haupthütte fungierte, der alle anderen Hütten untergeordnet waren, also auch alle anderen Haupthütten, die 1452 aufgestellt wurden50, nämlich neben dem schon erwähnten Straßburg noch Köln, Wien und Zürich. „Diese Hütte war ost-westlich orientiert wie der Kirchenbau, im Osten hatte der Meister, im Westen der Parlierer und an den Längsseiten hatten die Gesellen ihren Platz. . . . Über dem Verbande wurden als Schutzherren die vier ‚Gekrönten‘ (Castor, Symphorin, Nicostrat und Claudius)51 verehrt, und als oberster Schutzheiliger in einer Person der Evangelist Johannes.“52 Diese Gemeinschaft der Bauhütte wird durch ein System von Zeremonien, Ritualen und von angewandter Symbolik zusammengehalten. Die Ehrfurcht vor der hohen Berufung zum Bau des Gotteshauses war ebenfalls ein wesentliches, einigendes Element, die gemeinsame Weltanschauung, wodurch das Gemeinschaftsprinzip, das sich sowohl auf die wirtschaftliche, aber auch auf die soziale und rechtliche Komponente – man hatte ja auch im Dom47

F. Durach, Mittelalterliche Bauhütten und Geometrie, Stuttgart 1929, S. 50. Siehe, ebd., S. 50. 49 A. L. J. Michelsen, Die Hausmarke. Eine germanische Abhandlung, Jena 1853, S. 62. 50 Siehe ebd., S. 62. 51 Diese werden nicht überall einheitlich genannt, so nennt etwa Reinsperger als die vier Gekrönten: Severus, Severinus, Carpovorus und Victorinus. Siehe A. Reinsperger, S. 16. 52 F. Durach, Mittelalterliche Bauhütten und Geometrie, S. 52. 48

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bauhüttenwesen eine eigene Gerichtsbarkeit53 – bezog, übernatürlich begründet war. Dabei waren die Symbole mehrdeutig. „Fast alle Zeichen scheinen einen dreifachen Sinn besessen zu haben; sie dienten einmal zur rituellen Symbolik, ferner zum Ausdruck sittlich religiöser Vorstellungen und endlich zur Versinnbildlichung fachlicher Begriffe und Regeln. So bedeutet die Figur des Kreises die göttliche Vollkommenheit in der ethischen Symbolik, dagegen die Geschlossenheit des Bundes in dem rituellen Sinn und in fachlicher Beziehung das Amt des Werkmeisters.“54 Somit war eine hohe Anschaulichkeit durch den Bezug zum Alltag – auch zu den einzelnen Tätigkeiten und Werkzeugen der Bauleute – gegeben. Man konnte das Dahinterliegende im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“. „Der höhere Bezug durch Symbol und Ritual hob das Bewusstsein der Handwerkswürde. Und er stellte ethische Forderungen an den Menschen, sowohl an ihn als Einzelnen wie auch an ihn als Angehörigen der Bruderschaft, im weiteren Sinne an ihn als Christen.“55 Damit wird die Geometrie zu einem Verständnishorizont für die damaligen Maurer. Aus sog. Konstruktionsschlüsseln entwickelt sich vieles andere. „Wenn man die alten Urkunden durchgeht, so findet man immer Ausdrücke, welche auf solche Schlüssel hindeuten, wie z. B. ‚Zirkels Kunst und Gerechtigkeit‘, das gleichseitige Dreieck ist der ‚fürnehmste Steinmetzgrund‘, der durch geometrisches Figurenwerk bedingte ‚Choresschluss‘ ist maßgebend für alle Hauptteile einer Kirche und dergleichen mehr. Es gab da ‚Grundzahlen‘, ‚Grundfiguren‘, eine ‚Triangulatur‘ eine ‚Quadratur‘ usw.“56 Und damit im Zusammenhang ist das Hüttengeheimnis zu sehen, das immer eine Verbindung zwischen geometrischer Konstruktion, deren Genese, die damals vielleicht nicht immer alle herleiten konnten, und der tieferen Bedeutung solcher geometrischer Schlüssel in der Symbolik und im täglichen Leben der Steinmetze darstellt. 53

Dazu A. Reinsperger, S. 15 f.: „Dieselben (die Gerichte – Anmerkung des Verfassers) erfreuten sich der Autonomie, d.h. sie waren auf ihrem Gebiete die Herren; sie hatten keine Bürokratie über sich; sie waren in gewissem Sinne souverän. So verstand das ‚finstere‘ Mittelalter die korporative Selbständigkeit, die Freiheit. Die Bestrafungen der Hüttengenossen waren entweder disziplinarischer Art oder sie erfolgten auf gerichtlichem Wege, wo es drei Instanzen gab. Die örtlichen Hütten-Gerichte konnten nur zu einfachen Bußen verurteilen. Die Gau-Gerichte mussten aus drei Hütten bestellt werden. Regelmäßig am Johannistage fanden ordentliche Gaugerichts-Sessionen statt. Das höchste Gericht befand sich durchweg in Straßburg; während gewisser Zeiträume bestand ein solches auch noch in Wien, Köln und Zürich.“ 54 L. Keller, Zur Geschichte der Bauhütten und der Hüttengeheimnisse, Berlin 1898, S. 6. 55 F. Durach, Mittelalterliche Bauhütten und Geometrie, S. 55. 56 A. Reinsperger, S. 17–18.

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Durach führt in der Folge auch aus, dass eine gewisse zusätzliche Bindung einerseits durch die Tatsache zustande kommt, dass es sich hier um ein Männerbündnis handelt, dass aber andererseits diese Exklusivität wieder dadurch aufgehoben wird, dass diese Institution sich ja in der gesamten Kirche geborgen fühlt, weil sie in ihrem spezifischen Sinne Anteil an der Verherrlichung Gottes hatte. „Und innerhalb der Kirche stand die Bruderschaft so, dass sie als freie Laienwerkvereinigung durch ihr Leben und Schaffen genau dasselbe praktisch darstellte, was der gelehrte Mönch auf seinem Wege zum Baue der übersinnlichen Kirche beitragen konnte. D.h. es lässt sich sehr wohl eine Parallele zwischen der Scholastik und dem Hüttenwesen sehen. . . . Es ist so, dass das Mittelalter die bedeutsame Lebensfrage nach der Übereinstimmung von Kopf und Hand für sich an diesem Punkte in bewunderungswürdiger Weise gelöst hatte.“57 Das Prinzip ist also ein geometrisches, ein „allseitig wirkendes, aber zugleich synthetisches“. Durach betont, dass das Hüttenwesen „auch ohne den Nimbus des Geheimnisvollen, der ihm oft beigegeben wird, besonders in Anbetracht seiner Symbolik, als eine der bedeutsamsten Leistungen des mittelalterlichen Menschen erscheinen muss.“58 Interessant ist, dass für die Dombauhütte als Gemeinschaft Folgendes gilt: „Jedoch kann der Gedanke der historischen Tradition (etwa, dass diese Bauhütten schon auch zurückgingen bis zur Zeit der Ägypter, der Assyrer oder Inder – Anmerkung des Verfassers) auf jeden Fall nicht in die vorchristliche Zeit ausgedehnt werden. Denn es ist ein anderes, ob Sklaven bauen oder eine Bruderschaft.“59 Die Struktur – etwa auch mit einer eigenen Gerichtsbarkeit der Dombauhütten – muss auch unter dem Aspekt betrachtet werden, dass diese sich ja außerhalb der eigentlichen Stadtstruktur und außerhalb der Zünfte gebildet hat. Die Dombauhütten waren gewissermaßen auch ein Fremdkörper in der Umgebung. Durach betont, dass das für die Datierung des Auftretens von Steinmetzzeichen eine gewisse Schwierigkeit bedeutet. „Denn die Mönche brachten keine Zeichen an. Steinmetzzeichen treten erst im 12. Jahrhundert auf . . . Dass die Mönche keine Zeichen führten, erklärt sich aus der Einstellung und Einordnung des einzelnen Mönches in das dienende Prinzip seinem Kloster gegenüber.“60 Trotzdem kann man nicht die „Männer des Glaubens“ nun „ganz und gar weltlichen Maurern“ gegenüberstellen, die einem freien, bindungslosen Denken anhängen. Mit dieser eben beschriebenen Entwicklung im Bereich der Dombauhütten hängt auch die Behauptung des Viollet-le-Duc zusammen, dessen „gewaltiger Ruf die Hypo57 58 59 60

Ebd., S. 55. Ebd., S. 56. F. Durach, Mittelalterliche Bauhütten und Geometrie, S. 49. Ebd., S. 50.

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these vom antiklerikalen Bildner in Künstlerkreisen und von da aus in Freimaurerkreisen ganze Jahrzehnte hindurch glaubhaft machte“. Dabei geht es um „steinerne Satiren“, die laut Mellor „heute allgemein anerkannt zur moralischen Belehrung dienten.“61 Diese steinernen Satiren waren Darstellungen von Geistlichen, die überzeichnend auch durchaus problematische Verhaltensweisen aufzeigten bzw. karikierten. Satiren gab es auch in anderen Bereichen, etwa in den Oster- bzw. Mysterienspielen, bei denen oft auf sehr deftige Art und Weise eine Belehrung der Menschen erfolgte. Diese waren zu dieser Zeit kein antiklerikales Spezifikum. „Die Sache wurde erst im 16. Jahrhundert anders, als die Reformierten diese Anlässe benutzten, um aus dem Munde des Annas und Kaiphas echte Schmähungen gegen den Klerus laut werden zu lassen.“62 In diesem Zusammenhang scheint es bedeutsam zu erwähnen, dass die sog. Predigerorden ganz bewusst ihre Kirchen von städtischen Baumeistern errichten ließen, um damit möglicherweise auch ein Gegengewicht zu den Dombauhüten und ihren „geistlichen Traditionen zu schaffen.“63 Die Behauptung, die Freimaurer seien eigentlich diejenigen gewesen, die die geistliche Tradition abgelöst, ja verändert hätten, dürfte also eher auf wackeligen Beinen stehen. Freilich war der Aufstieg des Laientum das große Ereignis der zweiten Hälfte des Mittelalters; es erfolgte jedoch keineswegs gegen die Kirche, sondern war vielmehr deren Werk. Die Ersetzung des romanischen Rundbogens durch den gotischen Spitzbogen war keine antiklerikale, sondern eine künstlerische Revolution, und sobald, nach einem Wort von M. E. Lambin, „die Mönche sahen, dass ihre Schüler fähig waren, mit eigenen Flügeln zu fliegen, räumten sie ihnen bereitwillig das Feld . . .“64 Ein Beispiel für der Signatur des weltlichen Dieners am Bau für den allerhöchsten Gott ist in unserer Region beispielsweise der „Fenstergucker“ im Dom zu St. Stephan in Wien, wo sich Meister Pilgram, einer der Baumeister, zweimal verewigt hat. Deshalb markiert er auch „nicht nur das Ende des anonymen Mittelalters, dessen Werk sich damit nach dem ersten Repräsentanten der Neuzeit benennt, (sondern er hat auch damit das Gedächtnis aller anderen Baumeister verdrängt – Anmerkung des Verfassers)“.65 Dazu sei angemerkt, dass zwar grundsätzlich gerade für das frühe Mittelalter die Sichtweise, wonach in Zeit- und Ruhmlosigkeit nur zur Ehre Gottes gebaut 61 A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, Graz/Wien/Köln 1964, S. 26. 62 Ebd., S. 27. 63 Siehe F. Durach, Mittelalterliche Bauhütten und Geometrie, S. 50. 64 A. Mellor, Unsere getrennten Brüder, S. 26. 65 K. Öttinger, Anton Pilgram und die Bildhauer von St. Stephan, Wien 1951, S. 10.

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wurde, zutrifft, es wäre aber andererseits unzutreffend, zu meinen, es gäbe im Mittelalter grundsätzlich keine Signatur.66 Dass von den Steinmetzen der damaligen Zeit fundiertes Wissen in Bezug auf ihr Fach vonnöten war, ist eine unbestreitbare Tatsache. Es gibt auch genug Außenstehende im Mittelalter, die glaubten, es ginge bei manchen kühnen Konstruktionen von Kirchen nicht mit rechten Dingen oder gar mit dem Teufel zu. Darauf weisen auch zahlreiche Sagen und Legenden hin. Zur Illustration sei etwa die Legende vom Dombaumeister Hans Puchsbaum (gest. 1454) genannt, einer historisch verbürgten Persönlichkeit, die am Bau des Wiener Stephansdoms beteiligt war. Diese Legende berichtet, dass der genannte Dombaumeister sich erbötig gemacht hätte, den Nordturm in besonders kurzer Zeit fertigzustellen. Dies konnte er allerdings nur mit der Hilfe des Teufels tun, so die Sage. Allerdings wurden nicht alle Bedingungen von dem Dombaumeister erfüllt, er durfte nämlich weder den Namen Gottes noch den Namen der Jungfrau Maria oder anderer Heiliger aussprechen. So stürzte das Bauwerk ein, als er trotzdem den Namen seiner vermeintlich im Kirchenbereich erspähten Freundin Maria aussprach und dieser Einsturz sei auch, so die Legende, der Grund, warum der Stephansdom nach wie vor nur einen Turm besäße.67 Es handelt sich also noch zusätzlich hier um eine aitologische Erzählung. Es steht außer Streit, dass dieses Fachwissen der Dombauleute, die in den Dombauhütten organisiert waren, auch entsprechend geschützt wurde. Schon aus Konkurrenzgründen entwickelten die Dombauleute eine eigene Sprache, bildeten sich eigene Vorstellungen und Gebräuche sowie Erkennungszeichen und ein Berufswissen, das Außenstehenden nicht zugänglich gemacht wurde. Aber das ist doch sehr weit von einer Art revolutionärem Geheimwissen entfernt. Von Interesse dürfte eine Anmerkung sein, die dieses Geheimhalten von Wissen auf die Kontinuität der Bauhütten mit ihren Vorläufern bezieht: Dabei wird dieses Gebot des Schweigens in der klösterlichen Zucht verwurzelt gesehen.68 Interessant ist dabei aber die Feststellung, die Konkurrenten am Bau wären durch Mönchsorden, vor allem durch die Dominikaner, in England im Zuge des Hexenwahnes aus bloßen Konkurrenzgründen verfolgt worden, 66 Zu Künstlersignaturen im 12. und 13. Jahrhundert gibt es einige Beispiele. Diese werden etwa genannt in: Der Brockhaus, Kunst, Künstler, Epochen, Sachbegriffe, Mannheim2 2001, S. 1072 f. 67 Alte Volkssage. U. a. auch in: Die schönsten Sagen aus Österreich, Wien 1990, S. 37. 68 O. E. Plettenbacher, Zur Geschichte des Handwerks der Steinmetzen von Wien, in: Österreichischer Steinmetztag 1980, hrsg. von Landesinnung Wien der Steinmetzmeister, Wien 1980, S. 15.

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I. Problemstellung

und daher solle dann diese Geheimhaltung stammen.69 Viel wahrscheinlicher ist es anzunehmen, dass gerade wegen einer solchen Geheimhaltungspraxis und eines Wissens, das mehrere Symbole auch ambivalent verwendete, ein gewisses Misstrauen Platz griff. Gerade das 20. Jahrhundert lehrt uns eindringlich, was Andersartigkeit oder der bloße Verdacht der Andersartigkeit an Hass und Menschenverachtung bewirken kann. Das Ganze ist für uns also leicht vorstellbar. Abschließend muss die Frage gestellt werden, ob es legitim ist, wenn sich die Freimaurerei von den mittelalterlichen Dombauhütten ableiten. Ist die mittelalterliche Steinmetzbruderschaft nur eine Folie, die verwendet wird, um etwas ganz anderes zu konstruieren, um gleichzeitig aber scheinbar die geschichtliche Kontinuität zu wahren? Dazu Reinsperger: „Man kann sich nicht wohl einen klareren Begriff von dem äußeren Wesen des mittelalterlichen Steinmetzentums machen, als wenn man das Zeremoniell und die Gebräuche unserer Freimaurer näher ins Auge fasst. Es ist das, wie gesagt, nur die Schale jenes Steinmetzentums; dessen inneres Wesen ist den Freimaurern durchaus fremd geworden. Die alten Steinmetzen befolgten den Spruch: ‚Bete und arbeite.‘ Wie es mit dem Beten bei den Freimaurern aussieht, mag hier dahingestellt bleiben; dass ihr ‚Arbeiten‘ aber ganz anderer, ja entgegengesetzter Art ist, darüber kann jedenfalls kein Zweifel sein.“70 b) Andere Wurzeln der Freimaurerei Es würde nicht einer sachgerechten Analyse der Freimaurerei entsprechen, wollte man sie lediglich auf das Bauhüttenwesen des Mittelalters zu69 A. Oslo, Freimaurer: Humanisten? Häretiker? Hochverräter?, Frankfurt a. M. 1998, S. 56. Im Zuge der Überlegungen, die Freimaurer (die Steinmetze) wären als Häretiker aus Konkurrenzgründen verfolgt worden, meint Allen Oslo auch, es müsse auf die strikte Trennung zwischen den eigentlichen Maurern und den Steinmetzen, die er als „freestone masons“ identifiziert, hingewiesen werden. Erst als die Steinmetze verfolgt wurden, hätten sie sich in England mit den übrigen Maurern zusammengeschlossen. Die meisten anderen Autoren – von den Verhältnissen im deutschen Sprachraum ausgehend, sehen zwar auch die Unterschiede zwischen der normalen Maurerzunft und den Steinmetzen, die in einer Dombauhütte arbeiten, begründen aber die Unterschiede zwischen der Maurerzunft und den „Freimaurern“, eher mit den besonderen Verhältnissen beim Kirchenbau und den ganz anderen Schwerpunkten sowie der anderen Spiritualität. So waren die Maurer (als Zunft zusammengeschlossen im Gegensatz zu den Bauhütten, die sich anlassmäßig zu einem Kirchenbau bildeten) zumeist nur an profanen Bauten beteiligt. Die Meister mussten nicht – wie bei den Zünften – Bürger der betreffenden Städte sein. Valmy meint im Gegensatz zu Oslo, dass gerade England als Hort der Steinmetze vor der Inquisition zu sehen war, da im übrigen Europa eine Beziehung zwischen dem Orden der Tempelherrn und den Steinmetzen konstruiert worden sei. M. Valmy, S. 22. 70 A. Reinsperger, Die Bauhütten im Mittelalter, S. 17.

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rückführen. Vielmehr ist sie ein Cocktail von vielen Elementen, vor allem aber von Einflüssen, die vornehmlich in der Zeit der Aufklärung für die Entwicklung der Freimaurerei prägend waren. Wenn man diese verschiedenen Einflüsse nebeneinander betrachtet, sieht man erst, wie aktuell die Freimaurerei und die vielfältigen Bezüge davon heute sein mögen. Denn derzeit blühen die Verschwörungstheorien, man pflegt Geheimlehren ähnlich manchen Stars wie etwa der Sängerin Madonna, die der Kabbala anhängt; Bücher, die Verschwörungstheorien pflegen, sind auf den Bestsellerlisten. Nicht umsonst boomt Dan Brown mit dem Buch „Illuminiati“ und auch sein Buch „Der Schlüssel Salomons“, in dem es sich thematisch um die Washingtoner Freimaurerloge dreht, erregt großes Interesse71. Auch das Buch „Unter den Tempeln Jerusalems“72 in dem gefragt wird, ob die Freimaurer entweder die großen Weltverschwörer oder die Erben der wahren Lehre Jesu sind, gehört in diese Kategorie. Das Wesentliche dieses Buches ist schließlich die anschauliche Darstellung, dass die freimaurerischen Rituale einen verborgenen Hinweis auf den Aufbewahrungsort der Schriften Jesu enthalten.73 Genauso wichtig ist in der derzeitigen Medienlandschaft das Thema „Tempelritter“ und die Pflege der Gralssage in Verbindung mit den verschiedensten Spekulationen. Nun zu den anderen geistigen Ahnherrn der Freimaurerei: Offiziell werden sehr oft nur die mittelalterlichen Bauhütten als „Grundstein“ für die Freimaurer genannt, daneben treten aber, wenn es um das Esoterische und Nichtchristliche geht, eine Reihe von anderen Gruppen auf, die wesentlichen Einfluss haben, ja manche meinen, die die mittelalterlichen Einflüsse marginalisiert haben. Somit scheint das Bauhüttenwesen in einem Maße überformt, sodass sich zu Recht die Frage stellt, ob es überhaupt noch zutreffend ist, wenn man das Bauhüttenwesen mit der heutigen Ideenmaurerei in Zusammenhang bringt. So meint etwa M. Valmy: „Die Freimaurerei versteht sich als geistiges Erbe der antiken Mysterienreligionen.“74 In der Tat spielen diese Mysterienreligionen in Bezug auf das freimaurerische Selbstverständnis, aber auch in Bezug auf die Symbolik und im Bereich der Initiation eine große Rolle. So legen etwa auch die vier Elemente, die Reisen in den einzelnen rituellen Arbeiten sowie die Stufung der Erleuchtung eine 71

„Der Schlüssel Salomons“: Dan Brown über die Freimaurer. Die Presse (6.12.2007), in: http://diepresse/home/kultur/literatur/347764(index.do, eingesehen am 21. November 2008. 72 C. Knight/R. Lomas, Unter den Tempeln Jerusalems, Rottenburg 2007. 73 www.kopp-verlag.de/websale7/Unter-den-Tempeln-Jerusalems.htm?shopid=kopp -verlag&act=product&prod_index=903400&cat_index=000052, eingesehen am 21. November 2008. 74 M. Valmy, Die Freimaurer. Arbeit am Rauen Stein; mit Hammer, Zirkel und Winkelmaß, München 1988, S. 19.

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Verbindung mit oder gar eine Abhängigkeit von den Mysterienreligionen nahe.75 So scheinen die christlichen Bauhüttentraditionen u. U. nur das Material zu liefern, mit dem die Überformung im Hinblick auf das Mysterienhafte gelingen mag. Das wesentlichste Grundelement der Freimaurerei dürfte aber unbestritten die Aufklärung sein. So wurde „die europäisch-neuzeitliche Bewegung, die sich selbst ‚Aufklärung‘ (‚les lumiéres‘, ‚enlightenment‘) nannte, der Erbe der christlichen Weltveränderung, ein radikalisierender Erbe. Wohl zum ersten Mal in der Geschichte gilt in ihr ‚Fortschritt‘ als ein Wert in sich.“76 Ausdruck findet dieser Fortschrittsglaube im neuen Menschenbild, politisch-explizit in den Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der französischen Revolution, aber auch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und in der Verfassung der USA. Und dieses Menschenbild wird wesentlich von Freimaurern als Akteuren mitgeprägt, etwa in Amerika,77 wo man sich auch noch heute viel offener zur Freimaurerei bekennt. Ein konstitutives Element in der Entwicklung der Freimaurerei neben der Aufklärung und dem Deismus dürfte das Rosenkreuzertum sein. Michael W. Fischer befindet: „So umstritten der Ursprung der Freimaurerei auch ist, glaube ich dennoch, dass das Freimaurertum neben anderen Bedingungsfaktoren strukturell und organisatorisch auch in dem nach England verpflanzten Rosenkreuzertum wurzelt. Dadurch behauptet diese zumeist unterschätzte literarische und geistige Bewegung in der Ideengeschichte des 17. Jahrhunderts zwischen Renaissance einerseits und der in der Französischen Revolution andererseits einen hervorragenden Platz.“78 Auch einer der bedeutendsten Freimaurerhistoriker, der Deutsche August Wolfstieg leugnet die rosenkreuzerischen Einflüsse auf die Freimaurerei nicht.79 Bei den Rosenkreuzern handelt es sich um „Ge75 Vgl. G. Schenkel, Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte, Gotha 1926, S. 71 f. 76 C. F. von Weizäcker, Religion und Aufklärung, in: Die Vernunft und ihr Gott. Studien zum Streit zwischen Religion und Aufklärung, hrsg. von E. Rudolph, Stuttgart 1992, S. 130. 77 „Zu den Unterzeichnern der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gehörten neun Freimaurer, darunter John Hancock und Benjamin Franklin. . . . Nach dem Krieg unterzeichneten 39 Männer die amerikanische Verfassung, ein Drittel von ihnen waren Freimaurer.“, aus: C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, Weinheim1 2006, S. 58. 78 M. W. Fischer, Freimaurerei und Toleranz. Ein Rekonstruktionsversuch anhand historischer Bemerkungen, Manuskript ohne Erscheindungsdatum bzw. Erscheinungsort, S. 7. Fischer führt in diesem Zusammenhang in einer Fußnote (20) an: „Die wesentliche Vorarbeit zum Verhältnis Rosenkreuzertum – Freimaurerei hat geleistet J. G. Buhle, Über den Ursprung und die vornehmen Schicksale der Orden der Rosenkreuzer und Freimaurer. Eine historisch-kritische Untersuchung, Göttingen 1804.“ (Siehe ebd., S. 26.) 79 A. Wolfstieg, Ursprung und Entwicklung der Freimaurerei, Bd. III, Berlin 1920, S. 91–93.

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heimbünde des 17. bis 18. Jahrhunderts mit humanitär-ethischen und universal-reformatorischen Zielen80, aber auch um Gruppen in unserer heutigen Zeit, „die das alte Ziel durch neugnostisch-theosophische Lehren und eine lebensreformerische und okkultistische Praxis anstreben.“81 Ziel der Rosenkreuzer, die auf den Theologen Johann Valentin Andrae bzw. dessen Gruppe zurückgehen, ist es, im Anschluss an die Reformation eine Art Generalreformation der Welt auf mystischem Hintergrund anzustreben. Das Symbol dieser Bewegung ist das Rosenkreuz. „Von den Anhängern der Rosenkreuzer wurde das Kreuz, das Zeichen der Erlösung, neu verkündet. Aber nun war es nicht mehr das Kreuz im christlichen Sinn, sondern, wie der Name der Bewegung besagt ‚das Kreuz in der Rose‘ – das Kreuz, als Zeichen der Erlösung, in der Rose, dem Zeichen der vielgestaltigen Schöpfung, der Natur, der Welt. Zunächst hat das Kreuz für den Menschen die Bedeutung, ‚in den Stoff einzutauchen, um den Stoff und das Leben darin zu erkennen und schließlich zu überwinden‘.“82 Die Rose erblüht dann, wenn der Mensch sich dem Licht öffnet. Das Symbol „Rose“ zeigt auch „auf das göttliche Prinzip im menschlichen Herzen hin, das durch den Prozess der Hingabe (das Kreuz) zum Leben erweckt wird.“83 Dabei handelt es sich bei den Rosenkreuzern angeblich um einen Geheimbund, ganz der Mode der Zeit entsprechend, denn Akademien, Sozietäten und Vereinigungen waren das Movens für viele Ideen in der nachreformatorischen bzw. gegenreformatorischen Zeit (Anfang des 17. Jahrhunderts). Hauptperson, um die sich diese Bewegung der Legende nach rankt, ist Christian Rosenkreuz (auch Frater C. R. oder Christianus Rosencreutz). Eines der drei Rosenkreuzer-Manifeste hat den Titel „Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreuz anno 1459“, das 1616 anonym in Straßburg erschienen ist und dem erwähnten Andrae zugeschrieben wird. In diesem Roman kommen erstmals zentrale Kategorien der Aufklärung wie Fortschritt oder Aufklärung als Aufgaben vor. „Für die Rosenkreuzer ist dabei charakteristisch, dass sie neben der sozialen und politischen Weltverbesserung, die sich vor allem durch neue wissenschaftliche Kenntnisse erhofften, stets auch eine Weltverbesserung durch ‚innere Umkehr‘ vor Augen hatten.“84 80 K. Algermissen, Rosenkreuzer, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, hrsg. von J. Höfer/K. Rahner,. Freiburg i. Br.2 1986, S. 49 f. 81 Ebd., S. 50. 82 H. Hittorf, Das Lectorium Rosicrucianum und das Rosenkreuzertum. Ihr Verhältnis zu Schöpfung, Welt und Erlösung, Diplomarbeit an der Theologischen Fakultät Innsbruck, nicht veröffentlicht, Innsbruck 1998, S. 15. Er zitiert dabei aus Pentagramm 15/5 (1993), S. 29. 83 Wer sind die Rosenkreuzer? Eine kleine Informationsschrift, Calw (ohne Erscheinungsdatum), S. 1. 84 M. W. Fischer, Freimaurerei und Toleranz, S. 5.

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I. Problemstellung

Hier ist also eine weitere wesentliche Parallele zu den Freimaurern. Fischer weist daraufhin, dass die Folie für diese innere Umkehr der Neuplatonismus liefert. So wird immer wieder vom Neuplatonismus als dem wesentlichen Hintergrund der Freimaurerei gesprochen, auch etwa von Freimaurern zur Zeit der Aufklärung, so zum Beispiel von Anton Kreil, der 1784 und 1785 Mitglied der Loge „Zur wahren Eintracht“ in Wien war. Er meint „sowohl die Freimaurerei als auch der Neuplatonismus gehen davon aus, dass die Anführer der antiken Mysterien und Religionen, wie zum Beispiel Zoroaster, Moses, Plato und Pythagoras, aus derselben Quelle geschöpft haben, dass alle die ursprüngliche Religion gelehrt haben, und dass diese Religion darauf ausgerichtet war, die Menschheit von ihrem Fall zu rehabilitieren und sie in ihrem alten Glanz wieder erstrahlen zu lassen.“85 Also entspricht die Seelenläuterung – so wie sie im Neuplatonismus propagiert wird – dem Fortschreiten in der Erkenntnis, sowohl bei den Rosenkreuzern als auch bei den Freimaurern. „Die Seelenläuterung der Neuplatonisten entspricht dem Arbeiten des Freimaurers an seiner eigenen Vervollkommnung und an dem Wohl der Menschheit.“86 Bei den Rosenkreuzern ist diese Erkenntnis getragen von der Sehnsucht, das Wissen der Welt mit dem a priori göttlichen Wissen zu vereinigen. Die Rosenkreuzer verfechten also ein pansophisches Konzept. „Gott und die Welt gilt als ein und dieselbe große Einheit. Gott steht nicht über oder außerhalb der Welt, sondern alles Seiende, alle Welten im Universum sind selbst göttlicher Natur.“87 Damit spielt die Erleuchtung, das Wissen um das, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, eine enorme Rolle. „Er (gemeint ist Christian Rosenkreutz, der Held in der ‚Chymischen Hochzeit‘) kennt die Gnosis und ist in sie eingeführt, was sie besagen soll, dass er aus einem innersten Wissen lebt, aus einer Offenbarung, und dass er seiner inneren Stimme und dem, was in seinem Herzen spricht, folgt.“88 Natürlich wird das Rosenkreuz als Symbol – vor allem von den Rosenkreuzern selber – als sehr alt ausgewiesen, denn „schon seit Jahrtausenden beschäftigten sich Mystiker mit der Zusammenstellung von ‚Kreuz und 85 W. te Lindert, Aufklärung und Heilserwartung, Philosophische und religiöse Ideen Wiener Freimaurer (1780–1795) (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850, hrsg. von H. Reinalter, Bd. 26), Frankfurt a. M. 1998, S. 80 f. 86 Ebd., S. 81. 87 M. W. Fischer, Freimaurerei und Toleranz, S. 6. Fischer zitiert in diesem Zusammenhang: M. W. Fischer, Die Reise nach innen. Über Vergangenheit und Gegenwartskultur esoterischer Weltanschauungen, Sendungsmanuskript „Salzburger Nachtstudio“ vom 19.6.1983. 88 A. H. van den Breul, in: Pentagramm 9/1 (1987), S. 50 f.

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Rose‘, die für sie u. a. das Erwachen der Menschheit zu höherem Bewusstsein bedeutete.“89 Damit immer in Verbindung ist ebenfalls die Lichtsymbolik – ein ebenfalls in der Gnosis wesentliches Element. So heißt es: „Schon in ältester Zeit scharten Meister ihre Schüler um sich, um sie Stufe für Stufe in die Mysterien einzuweihen. Den Meistern wurde das Licht anvertraut, um es an die weiterzugeben, die sich bereitfanden, es in dem Maße zu empfangen, wie sie aufnahmefähig waren.“90 Dieses Licht betrifft nicht nur die äußere Welt, sondern vor allem das Innere des Menschen, die Erleuchtung des Einzelnen. „Der Mensch sollte seine Würde, seinen Wert und seine Rolle verstehen, die er nach dem Plan Gottes zu erfüllen hat. Ein neues Denken wird angekündigt, das sich von den Dogmen der Religion befreit hat und doch im religiösen Urquell des Menschen verwurzelt bleibt.“91 Nicht nur aus der Geschichte des Valentin Andreae, sondern auch aus dem Bewusstsein der Aufklärung wird damit klar, dass man eine Religion ohne Dogmen anstrebte und damit auch sogar die Idee einer neuen Weltordnung. „In einem neuen Menschwerden sollte ferner die innere Verwandtschaft der Religionen offenbar werden.“92 Damit haben wir in der Dogmenlosigkeit und in der Gleichgültigkeit, die für alle Religionen im Zuge des Toleranzanspruches innerhalb der Loge gegeben ist, zwei wichtige Motive, die in der Freimaurerei zu bemerken sind und möglicherweise ihren Ursprung im Rosenkreuzertum haben. Das Rosenkreuzertum lebt besonders – und nicht nur aus der Tatsache der Abkunft von Valentin Andreae – aus einer starken protestantischen Tradition. Damit lautet die Parole Andreaes und der Rosenkreuzer der damaligen Zeit: „Für Christus gegen den Papst, für eine allumfassende christliche Philosophie, das heißt Welterkenntnis aus Christus für die Heilighaltung und die Würde des Lebens.“93 Folgende historisch überlieferte Kennzeichen prägen – neben dem Neuplatonismus – die Philosophie der Rosenkreuzer: Alchimie, Kabbala und die Hermetik94. Es schließt sich also – mit den Bezügen auf diese Punkte, vornehmlich auf die Hermetik – der Kreis in Bezug auf die Betrachtung der Philosophie der Freimaurerei. Immer wieder wird ja von den Freimau89 H. H. Sievert, Im Zeichen von Kreuz und Rose. Zur Geschichte der Rosenkreuzer (Bd. I), Berlin 1996, S. 8. 90 Ebd., S. 8. 91 H. Hittdorf, Das Lectorium Rosecrucianum und das Rosenkreuzertum, S. 17. 92 Ebd., S. 17. 93 J. V. Andreä, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz Anno 1459, Oberhain 1974, S. 38. 94 Vgl. dazu: W. Frietsch, Die Geheimnisse der Rosenkreuzer, Göttingen 2005. Dazu auch die Hinweise in: K. R. H. Frick, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit, Graz 1973, S. 213.

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rern selber die Abkunft ihrer Ideen von Mysterientraditionen betont. H. Reinalter, selbst Freimaurer, befindet: „Besonders stark bildete sich die Hermetik bei den Rosenkreuzern aus, die die Alchemie dann in die Freimaurerei brachten, . . .“95 Dabei macht Reinalter auch deutlich, dass parallel zu dem stark rationalistischen Entwicklungsstrang der Aufklärung immer das Esoterische eine große Rolle in der Freimaurerei gespielt hat und spielt. Dabei schränkt Reinalter den Begriff „Esoterik“ für die Freimaurerei in diesem Zusammenhang vor allem „als Suche nach verborgener Erkenntnis“ ein. „Die Esoterik im freimaurerischen Sinne ist keine Philosophie, sondern stärker als Praxis zu verstehen, die aber philosophische Thesen (. . .) voraussetzt.“96 Auch die Gnosis hat neben dem Neoplatonismus ihren festen Platz in der Hermetik. Die Hermetik ist also ebenso wie bei den Rosenkreuzern eine starke Säule in der Entwicklung der freimaurerischen Weltanschauung. Wenn die Hauptintention der hermetischen Schriften also „auf Gnosis, Gotteserkenntnis und Erlösung gerichtet ist“97, so spielt das erwähnte Gedankengut auch eine Rolle in der freimaurerischen Philosophie. Allerdings geht es in der Freimaurerei eher um die sittlichen Kategorien, während in der Gnosis und auch im Manichäismus zumeist eine strikte Trennung zwischen der Materie und dem Licht, zwischen dem Bösen und dem Guten gegeben ist.98 In der ersten deutschen Utopie „Christanopolis“, die dem Rosenkreuzertum entstammt und die ebenfalls Andreae zugeschrieben wird, ist die Metapher für Gott „Architekt“99, der für das gesamte Universum „zuständig“ ist. Dieser Architekt wird in der Freimaurerei zum A. B. A. W., zum Allmächtigen Baumeister aller Welten, entsprechend auch der Bautradition der Steinmetze. „Die Ideengleichheit von Rosenkreuzertum und Freimaurerei kommt in einer Fülle von identischen Symbolen zum Ausdruck. . . . Im England des 17. Jahrhunderts bezeichnen die Namen ‚Freimaurer‘ und ‚Rosenkreuzer‘ ein und dasselbe. Die Bezeichnung Rosenkreuzer wurde erst wegen ihrer Vermengung mit der mehr und mehr in Verruf geratenen ‚Alchemisterei‘ fallen gelassen. So muss auch der Ausspruch von Henry Adamson of Perth aus dem Jahre 1638 verstanden werden, dass nämlich die ‚Brüder vom Rosenkreuz‘ das ‚Maurerwort‘ besaßen (Sp. 13).“100 Allerdings – das sei auch 95

H. Reinalter, Die Freimaurer, S. 47. Ebd., S. 49. 97 H. Schwabl, Hermes Trismegistos, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, hrsg. von J. Höfer/K. Rahner, Freiburg i. Br.2 1986, S. 258. 98 Vgl. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei. Eine interkulturelle Perspektive (Interkulturelle Bibliothek, hrsg. von H. R. Yousefi/K. Fischer u. a., Bd. 124), Nordhausen 2006, S. 59. 99 Siehe J. V. Andreä, Christianopolis, aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort hrsg. von W. Biesterfeld, Stuttgart 1975, S. 88 ff. 96

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nicht verhehlt – meinen andere Autoren, dass es nur zufällige Berührungspunkte zwischen Freimaurerei und Rosenkreuzertum gegeben haben soll, und zwar vor allem durch manche Personen, die sich für beides interessierten oder Mitglieder von beiden Gesellschaften waren.101 Wesentlich erscheint das Motiv der sozialen und politischen Weltverbesserung, das als Movens für beide, Rosenkreuzer und Freimaurer, von großer Bedeutung ist. Dabei gehen beide Geheimbünde aus von der Selbstveränderung, die ausstrahlt und schließlich dadurch zur Weltveränderung wird. Bei den Analogien zwischen den Rosenkreuzern und Freimaurern kann man durchaus annehmen, dass diese Selbstveränderung, Erleuchtung, und dieses denkende Einholen des Wissens – so wie schon bei den Rosenkreuzern dargestellt – etwas mit dem Einholen oder Teilen einer Art von „göttlicher Weisheit“ zu tun hat. Auch die Templertheorie wird im Zusammenhang mit der Genese der Freimaurerei immer wieder genannt. Bereits im 18. Jahrhundert trat Chevalier de Ramsay mit dieser Theorie hervor und u. a. John Robinson102 bringt im 20. Jahrhundert diese Theorie wieder zum Aufleben. Dabei stellt man einen Zusammenhang zwischen den Tempelrittern, den Mitgliedern der „Armen Ritterschaft vom Salomonischen Tempel“, ein Orden, der schließlich aufgelöst und wegen Ketzerei verfolgt wurde, und der Freimaurerei her, weil Tempelritter angeblich nach Schottland geflohen sein sollen, wo sie dann zu den Urhebern der spekulativen Freimaurerei geworden wären. Denn etwa die Bezüge zum Tempel Salomons, aber auch der Schurz der Freimaurer (entsprechend dem ledernen Gürtel der Tempelritter als Symbol der Keuschheit) und das Geheimnis zum Schutz vor der Verfolgung seien ein Indiz dafür. Auf der Flucht hätten die Tempelritter „auf geheime Passworte und andere Erkennungszeichen zurückgreifen müssen. Die Tempelritter hätten sich als strenggläubige Katholiken betrachtet, die von der Kirche fälschlicherweise der Ketzerei beschuldigt worden seien, weshalb sie untereinander nicht über religiöse Belange diskutiert hätten – das Bekenntnis zum Glauben an Gott sei völlig ausreichend gewesen.“103 Damit soll einerseits das Verbot erklärt werden, innerhalb der Freimaurerloge über religiöse Themen zu sprechen, andererseits will man damit auch den nur sehr allgemeinen Bezug zum diffusen allmächtigen Baumeister erklären. Auch das 100 M. W. Fischer, Freimaurerei und Toleranz, S. 7. Fischer führt als Beleg dafür an, dass die Bezeichnung Rosenkreuzer erst durch die Korrumpierung wegen der Alchimie fallen gelassen wurde: F. D. Castelles, Our Ancient to Organizators of Freemasonry. An Introduction to the History of Rosicrucianism. Dealing with the Period A. D. 1300–1600, London 1932, S. 74 und 77. 101 So etwa C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, Weinheim1 2006, S. 176. 102 J. Robinson, Born in Blood. The lost secrets of freemasonry, New York 1989. 103 So etwa C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, S. 48.

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I. Problemstellung

Streben nach Vervollkommnung wird von manchen als vom Mönchtum herkommende Eigenschaft gesehen. Trotzdem dürfte die Theorie, wonach die Tempelritter die Ahnherrn der Freimaurerei seien, nur auf sehr schwachen Beinen stehen und nicht abgesichert sein.104 „Es gibt in keiner wie immer gearteten Urkunde auch nur eine einzige Zeile, die auf einen lehrhaften Templereinfluss auf die Werkmaurerei vor dem 18. Jahrhundert hinweist, nicht einmal in den ungeheuren, wiederholt publizierten Prozessakten.“105 Natürlich entstehen im 18. Jahrhundert diverse Systeme, die gerade auf die Templerlegende Bezug nehmen. Diese verstehen sich in dieser Zeitspanne auch als freimaurerische Systeme, so etwa die Strikte Observanz.106 Jene Elemente, wenn man solche in der Freimaurerei überhaupt lokalisieren kann, die angeblich vom Mönchtum herkommen sollen, dürften eher aus dem Bereich des Bauhandwerkes kommen, da ja, vor allem zu Beginn, der Anteil der Arbeit der Mönche im Bereich des Kirchenbaues relativ groß war. In der Freimaurerei wird immer wieder an biblische, vornehmlich alttestamentarische Traditionen angeknüpft und manche weisen darauf hin, dass jüdisch-kabbalistische Traditionen die Freimaurerei beeinflusst haben sollen.107 Wenn, dann dürfte diese Tradition auch über den Umweg über die Beeinflussung durch die Rosenkreuzer gekommen sein oder aber es ist eine Wirkung der christlichen Wurzeln, die hier entsprechend verwendet und umgedeutet werden, indem man sich bewusst vom NT absetzt und die Wiederentdeckung der Kabbala im Fluidum der Zeit der Aufklärung Früchte trägt. Tatsächlich hat die Kabbala im achtzehnten Jahrhundert eine weitere Blüte, aber auch eine Neuentdeckung erlebt, vor allem mit dem Auftauchen von Israel Ben Eliezer, der auch als Baal Sehm Tov („Träger des guten Namens“) bekannt wurde und der auch als Begründer des Chassidismus gilt. So wird die Kabbala teilweise als Grundlage für die westlichen Mysterientraditionen angesehen.108 Allerdings, wie etwa Kilcher betont, handelt es sich dabei nur um eine spezielle Ausformung der Kabbala-Interpretation, die ausgeht von einer hermetisch-esoterischen Sichtweise. „Die Kabbala 104 105

Vgl. dazu ebd., S. 48. A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, Graz/Wien/Köln 1964,

S. 36. 106 Siehe E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder (Hrsg.), Internationales Freimaurerlexikon, München5 2006, S. 833. 107 M. Hohl-Wirz, Freimaurerei – Wurzeln, Ziele, Hintergründe, Lage3 2003, S. 29. Hier zitiert Hohl-Wirz J. von Ins, Zur Frage nach den Quellen der freimaurerischen Symbolik, in: Freimaurer. Ausstellung 1983/84, Begleitpublikation des Museums für Völkerkunde und Schweizerischen Museums für Volkskunde, Basel 1984, S. 78 ff. 108 Vgl. dazu W. Parfitt, Die Kabbala, Braunschweig2 1997, S. 29 f.

2. Die „Standards“ in den Alten Pflichten

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wird neben die Namen Orpheus, Zoroaster oder Hermes Trismegistos gestellt und mit Wissenschaften wie Magie und Alchemie konfiguriert.“109 Vor allem der magische Aspekt der Kabbala, so Kilcher, sei – etwa in Anlehnung an die Schrift „Occulta philosophia“ (1533) von Agrippa von Nettesheim – wichtig geworden für die weitere Entwicklung. Kilcher dazu: „Ausgehend vor allem von dieser Schrift erscheint die Interpretation der Kabbala als Modell eines okkulten und naturmystischen Wissens in der Trias ‚Kabbala – Magie – Alchemie‘ der alchemistischen, paracelsischen und rosenkreuzerischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, und sie findet sich noch in den Gründungstexten einer esoterisch ausgerichteten Freimaurerei im 18. und 19. Jahrhundert.“110 2. Die „Standards“ in den Alten Pflichten Ausgehend von der Beleuchtung des vielfältigen ideengeschichtlichen Hintergrundes ist es nun bedeutsam, die Vorstellungen der Freimaurer näher zu beleuchten, wie sie sich in einer wesentlichen Urkunde, die das Selbstverständnis der Freimaurerei nicht nur repräsentiert, sondern auch so prägt, dass heute noch die sog. Alten Pflichten als Referenzrahmen und Maß für die Freimaurerei gelten, darstellt. a) Religion in den Alten Pflichten Die einleitende Frage: Wie prägt das Thema Religion diese „Verfassung“, diese „Magna Charta“ der Freimaurerei, und – umgekehrt gefragt, welche Auswirkungen haben diese Festlegungen auf die Stellung der Religion innerhalb des Freimaurertums? Dazu heißt es in den Basic Principles: „Aber obwohl in alten Zeiten die Maurer verpflichtet waren, in jedem Lande der Religion jenes Landes oder Volkes anzugehören, welche es auch war, so wird es doch jetzt für zweckmäßiger gehalten, sie nur zu derjenigen Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen, indem man ihre besonderen Meinungen ihnen selbst überlässt, nämlich: gute und redliche Männer zu sein, . . ., durch was für Benennungen und Überzeugungen sie sich auch unterscheiden mögen.“111 In Bezug auf die Formulierung „was 109 A. Kilcher, Zur Erforschung der christlichen Kabbalah, in: www.lzz.unihalle.de/publikationen/essays/nl12_kilcher.pdf, S. 3, eingesehen am 25. Februar 2007. 110 Ebd., S. 3. In diesem Zusammenhang erwähnt Kilcher auch die Referenz auf G. Sholem, Alchemie und Kabbala, in: Judaica4, Frankfurt 1984, S. 19–128. 111 Rev. Anderson, Wortlaut der Alten Pflichten, übersetzt von W. Begemann, in: B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei. Geschichte und textkritische Betrach-

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I. Problemstellung

die Religion betrifft, in der alle Menschen übereinstimmen“, muss eine Ergänzung gemacht werden, die in der Pflicht VI, 2 folgendermaßen formuliert wird: „Therefore, no private Piques of Quarrels must be brought within the Door of the Lodge, far less any Quarrels about Religion, or Nations, or State Policy, we beeing only, as Masons, of the Catholick Religion abovemention’d; we are also of all Nations, Tongues, Kindreds, and Languages, and are resolv’d aganist Politicks, as what never yet conduc’d to the Welfare of the Lodge, nor ever will.“112 Hier geht es um das Betragen der Brüder innerhalb der Loge, nachdem die rituelle Arbeit beendet worden ist: Es ist eine praktische Verhaltensanweisung, die Bezug nimmt auf die allgemeine Religion – an dieser Stelle wird für allgemeine Religion „Catholick Religion“ verwendet, was sicher nicht christliche oder katholische Religion heißen soll, obwohl auch diese These manche Protagonisten – vor allem christlich orientierter Logen – vertreten haben.113 Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Zusammenhang das Fluidum jener Zeit, in der die Alten Pflichten konzipiert wurden, das wesentlich durch das Aufkommen des Deismus, „das System einer natürlichen Religion, die sich als kritischer Maßstab für alle positive Religion wertet, daher grundsätzlich eine Offenbarung im strengen Sinn des Christentums ablehnt“114, gekennzeichnet ist. Herbert von Cherbury, einer der Begründer dieser Anschauung, „verlangt zwar die Anerkennung und Verehrung Gottes, scheidet aber alle christlich übernatürlichen Glaubensüberzeugungen aus. Auf der Ebene einer allgemeinen Vernunftreligion können sich alle Konfessionen einigen.“115 b) Die Religion, in der alle übereinstimmen Cherbury will in seinen fünf Sätzen, die ausgehen von einer höchsten Gottheit, von der Verehrung derselben, von der Tugend und Frömmigkeit, vom Sühne- und Reuegedanken und von dem Bewusstsein von Lohn und Strafe nach dem irdischen Leben, die allgemeine Religion erweisen, das sind „die ‚katholischen‘ (d.h. allgemeinen Wahrheiten), oder die kathotungen zu den „Alten Pflichten“, Die Blaue Reihe, Heft Nr. 8/9, Hamburg2 (keine Jahresangabe), S. 3. 112 J. Anderson/B. Franklin, (P. Royster), The Constitutions of the Free-Masons (1734), an Online Electronic Edition, Faculty Publications, UNL Libraries, University of Nebraska, Lincoln 2006, gefunden in: digitalcommons.unl.edu/cgi/viewcon tent.cgi?article=1028&context0librarysience, S. 29, eingesehen am 30. Dezember 2006. 113 Z. B. siehe E. Rouselle, Grundriss der Ordenswissenschaft, in: Zirkelkorrespondenz der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland, Jg. 1926, Nr. 5. 114 J. Th. Engert, Deismus, in: Lexikon für Theologie und Kirche, S. 195. 115 E. Coreth/H. Schöndorf, Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts (Grundkurs Philosophie, 8), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz S. 85 f.

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lischen Artikel. ‚Die Offenbarung ist nach ihnen zu beurteilen, nicht umgekehrt. Ihre Anhänger sind ‚die wahre katholische oder allgemeine Kirche‘.“116 Konsequent von diesem Einigungsgedanken beseelt – wenn man den Ausschluss all dessen anzielt, was in der Loge als trennend empfunden werden kann – scheinen hier also die Alten Pflichten. „Man kann mit der Gottesdeutung des Begriffes ‚Deismus‘ eine große Bandbreite an Toleranz abdecken. Das mag Anderson und mit ihm der bestätigende Ausschuss bewogen haben, die Formel ‚von der Religion, in der alle Menschen übereinstimmen‘ in die Präambel der Konstitution von 1723 aufzunehmen.“117 Religion wird hier also nicht unbedingt abgelehnt, sie wird nur aus der Gemeinschaft der Loge ausgeklammert, sofern sie trennend wirken kann bzw. diese „höhere“ Idee der Gemeinschaftlichkeit stört, insofern sie also Konfliktstoff bietet. Damit sind die Prioritäten klar: Die Gemeinschaft steht an erster Stelle. Dazu: „Tabu in der Loge sind Streitgespräche über tagesbzw. parteipolitische und konfessionelle Themen. Erfahrungsgemäß führen derartige Diskussionen häufig zu solch engagierten und hitzigen Debatten, dass der brüderliche Zusammenhalt und die Achtung vor der anderen Meinung Schaden nehmen könnten. Selbstverständlich haben die durch sie (existenzielle Themen – Anmerkung des Verfassers) angesprochenen Themen – von den genannten Ausnahmen abgesehen – einen hohen Stellenwert im freimaurerischen Geistesleben.“118 Beyer weist darauf hin, dass die Alten Pflichten in Bezug auf Religion keineswegs eine Maximal-, sondern eine Mindestforderung aufgestellt hat. „Man ließ sich in den Logen wohl vom Deismus beeinflussen, lehnte ihn aber als Religion ausdrücklich ab. Der Deismus einer- und die Freimaurerei andererseits kamen auf ganz verschiedenen Wegen auf den allen Menschen gemeinsamen Gott.“119 Beyer meint, dass die Freimaurerei zwar die Gottesfrage „neutralisierte“, um Streit darüber auszuschließen, sich gleichzeitig aber nicht weiter auf die deistischen Grundüberzeugungen, wie Gott, Unsterblichkeit und Wiedervergeltung nach dem Tode einlassen wollte.120 116 B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei. Geschichte und textkritische Betrachtungen zu den „Alten Pflichten“, Die Blaue Reihe, Heft Nr. 8/9, Hamburg2 (keine Jahresangabe), S. 25. 117 M. Wailand, Freimaurerei und Kirche. Eine Gegenüberstellung in periodischen Teilaspekten, Grabenstätt 2002, S. 41. 118 www.freimaurer.org/faq/eingesehen am 30. Dezember 2006. In diesem Abschnitt werden häufig gestellte Fragen zur Freimaurerei beantwortet. Diese Homepage hat insofern einen sehr informativen Charakter, als sie das Organ der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD) ist. 119 B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei, S. 37. 120 Binder erinnert daran, dass es natürlich gegenüber den Alten Pflichten in Bezug auf diesen Punkt sehr wohl eine Entwicklung gegeben hat, als beispielsweise nach dem Streit zwischen den Moderns und den Antients 1815 Konstitutionen vor-

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Trotzdem erfolgte aber eine Verschiebung der Wichtigkeit der Religion in der Freimaurerei. Von größerer Bedeutung als alle Religionen und Konfessionen scheint die gemeinsame freimaurerische Kommunikationsbasis und damit auch die rituelle Arbeit. Eine für das weitere Verständnis zuträgliche Erläuterung gibt M. Dierickx: Er zeigt dabei auf, dass die englische Auffassung im Zusammenhang mit dem Deismus ganz anders zu bewerten sei als jene der Freimaurer in Frankreich des 18. Jahrhunderts. Während es in den Logen im England zur Zeit der Basic Principles vornehmlich um das Genießen des Clublebens, um christliche Wohltätigkeit gegenüber Notleidenden gegangen sein dürfte, so Dierickx, hat der Deismus in Frankreich einen ganz anderen Stellenwert: „Da in England die Kirche und der Staat tolerant waren, hatten die Freimaurer keinen Grund, antiklerikal zu sein, wogegen die französischen Freimaurer immer mehr Mitglieder aufnahmen, die ausgesprochen antiklerikal waren, was schließlich im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt mit der Ablehnung des Obersten Baumeisters des Weltalls erreichte.“121 c) Reduktionistischer Religionsbegriff So verpflichten die Freimaurer – auch wegen der Uneinheitlichkeit ihres Denkens – nicht alle auf ein deistisches Modell, sondern es wird von einer allgemeinen Religion – in einem extremen Reduktionismus – gesprochen, um jedem Einzelnen es selbst zu überlassen, seinen je eigenen Gottesbegriff festzulegen. Natürlich muss dieser auf dem Hintergrund der Gesamtgesellschaft im Zeitalter der Aufklärung gesehen werden. Die sog. Vernunft wird also Maßstab für die Religion und die Tatsache, dass eine Art Kompromissformel eventuelle Auseinandersetzungen über Religion nicht mehr ausbrechen lässt, da in dieser sehr vieles an Anschauungen von Gott Platz hat, scheint genau dieser Vernunft zu entsprechen. Der Vernunft scheint aber auch zu entsprechen, was man in solch einer reduktionistischen Religion, wie sie der Deismus vertrat, erwartete: Denn es wurde damit jegliche Begelegt wurden, die besagen, „dass der Freimaurer verpflichtet sei, dem Gesetz der Moral zu gehorchen, und wenn er die Kunst recht versteht, wird er niemals ein dummer Atheist oder Wüstling ohne Religion sein. Er muss von allen Menschen am besten verstehen, dass Gott nicht sieht, wie der Mensch sieht. Denn der Mensch sieht die äußere Erscheinung, Gott aber sieht das Herz. Ein Mann mag eine Religion oder eine Art der Verehrung haben, wie sie auch sei, er wird deshalb nicht vom Orden ferngehalten, vorausgesetzt, dass er an den erhabenen Architekten des Himmels und der Erde glaubt und die geheimen Pflichten der Moral übt.“ D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft: Geschichte und Symbolik der Freimaurer, Graz/Wien/ Köln 1988, S. 41 f. 121 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte: Ein Versuch zur Einsicht und Würdigung, Innsbruck/Wien 1999, S. 36.

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ziehung Gottes mit der Welt negiert, d.h. sowohl die Erhaltung der Schöpfung durch Gott (Conservatio) als auch sein Mitwirken beim Wirken der Geschöpfe (Concursus), aber auch die göttliche Vorsehung und Lenkung des Weltgeschehens wurde ausgeschlossen.122 Damit wird die Welt säkularisiert, sie wird gottfrei. Die Gefahr liegt also durchaus nahe, dass man mit der Auflösung des Gottesbegriffes in ein Neutrum im Sinne des höheren Zweckes der Verständigung untereinander in der Freimaurerei auch in Kauf nimmt, dass letztlich das gesamte deistische Gottesbild zurückwirkt. „Ein solcher Gott kann keine Forderungen an den Menschen stellen. Gebet und Gottesdienst, überhaupt alle ausdrücklich religiösen Akte, in denen wir Gott verehren, werden abgelehnt als Aberglauben, als unwürdige und sinnlose Schmeichelei, in der wir das Wohlgefallen, den Schutz und die Hilfe Gottes erbetteln.“123 So wird der Gottesglauben verdrängt in die Privatheit. Eine Entwicklung, die die Aufklärung maßgeblich eingeleitet und gefördert hat. d) Die Moral Die Forderungen, die aus den Alten Pflichten sprechen, können als Reaktion „gegen die Tyrannei und Korruption in politischer Beziehung, gegen religiöse Unduldsamkeit und gegen die bestehende Sittenlosigkeit“ angesehen werden.124 Damit kommt die ethisch-moralische Seite der Alten Pflichten in unser Blickfeld, eine Seite, die gerade in der Aufklärung als Kriterium für die Güte einer Religion angesehen wird, indem die „Brauchbarkeit“ und der „Gebrauchswert“ einer solchen beurteilt wurde. Abgesehen von den Kriterien der Redlichkeit, der Tatsache, frei geboren zu sein und der Güte – wie schon erwähnt – steht schon ganz am Anfang der Alten Pflichten, im ersten Kapitel, das die Religion betrifft: „A Mason is oblig’d by his Tenure, to obey the moral Law.“125 Was bedeutet nun hier „Tenure“? Es kann hier nicht von einem allgemeinen Beruf gesprochen werden, sondern vielmehr von der Bauhüttenarbeit, die alle eint, von dem, was einer tut, wenn er als angenommener Maurer in diesem Bund integriert ist. Damit ist also – ganz in der Tradition der Aufklärung und des Deismus – die Moral und ein Sittengesetz an die Stelle einer Religion getreten. „Wahre Religion ist Moral. So wird das Wissen des Religiösen im bloß Moralischen aufgehoben. . . . Auch wissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse 122

Siehe E. Coreth/H. Schöndorf, Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts,

S. 84. 123

Ebd., S. 85. B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei, S. 30. 125 J. Anderson/B. Franklin, (P. Royster), The Constitutions of the Free-Masons (1734), S. 27. 124

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sollen praktischen Nutzen für den Fortschritt der Menschheit erbringen. So auch die Religion; sie ist sinnlos und wertlos, wenn sie nicht praktisch greifbaren Nutzen erbringt. Praktischen Nutzen für die menschliche Gesellschaft bringt sie aber allein im moralischen Handeln.“126 Dieses von den Freimaurern angesprochene Sittengesetz ist aber in den Alten Pflichten nicht genauer definiert. B. Beyer stellt dazu fest: „Das Sittengesetz der Alten Pflichten geht über die Zehn Gebote hinaus, wenn diese auch ohne Zweifel ihrem ganzen Wortlaut nach in den Begriff des Sittengesetzes hineinfallen.“127 Eher schon wird – entsprechend der Aufklärung – der kategorische Imperativ Kants der Rede vom Sittengesetz gerecht. Wenn auch nach der erstmaligen Verlautbarung der Constitutiones von Anderson diese Pflichten anscheinend erweitert wurden „durch die Gebote, ‚keine Abgötterei zu treiben und Bildwerke zu verehren, den Namen Gottes nicht zu lästern, kein Blut zu vergießen und sich vor jedem Totschlag zu hüten, Blutschande und Unzucht zu vermeiden, nicht zu stehlen und zu rauben und nach Recht und Gerechtigkeit zu leben‘ “128, so wird anscheinend heute in „modernen Fassungen des Gelöbnisses des Freimaurers von der Verpflichtung gesprochen, sich um die Verwirklichung der Menschenrechte und der Menschenwürde sowie des Friedens und der Eintracht in der Welt zu bemühen“129. Hier wird zum Beispiel auch ausgeführt, dass das Bezugssystem, worauf man sich als Garanten bezieht, heute nicht mehr der Große Baumeister oder Gott sei, sondern vielmehr bei der Ehre des Freimaurers bzw. bei seinem Gewissen geschworen wird. e) Das Gewissen „Damit (mit dieser Bezugnahme auf das Individuum und sein Gewissen allein – Anmerkung des Verfassers) hat das Gelöbnis wieder zurückgefunden zum liberalen Geist der Aufklärung, welcher damals die neuen Menschenrechte mit den Forderungen an den loyalen Staatsbürger und den metaphysischen Bedürfnissen des religiös-gläubigen Menschen zu verbinden suchte.“130 Wenn wir von den moralischen Vorstellungen der Aufklärung ausgehen, dann überrascht es uns nicht, wenn in der Interpretation von B. Beyer gesagt wird: „Letzten Endes finden wir also in den Alten Pflichten 126

E. Coreth/H. Schöndorf, Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 85. B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei, S. 38. 128 Zitiert von I. K. aus der Freimaurerloge „Reinoldus zur Pflichttreue“ aus Dortmund (Große Landesloge von Deutschland) unter www.freimaurer-loge.de/es says/hauptteil_pflichten.html, eingesehen am 9. Jänner 2007. 129 Ebd. 130 Ebd. 127

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die Forderung nach dem reinen Menschentum aufgestellt, das mit dem goldenen Winkelmaße des Gewissens bestimmt wird, das Gott in jedes guten Menschen Herz gelegt hat.“131 Damit wird – durch die Hintertür – eine überweltliche Begründung geschaffen, eine Begründung geschaffen, die sich noch nicht ganz von einer Art Gottesvorstellung gelöst hat. „Das Sittengesetz ist – im Sinne der ‚natürlichen Religion‘ – das Ergebnis des jeden guten Menschen (und nur solche kommen ja für die Freimaurerei in Frage) angeborenen Gewissens. Und dieses wiederum ist ein Ausfluss Gottes, ein göttlicher Funke, der dem Menschen mitgegeben ist.“132 Damit ist klar, dass die erste Pflicht des Freimaurers es ist, das Sittengesetz zu beobachten, d.h. damit ergibt sich eine „praktische“ Religion. Einerseits wird in Bezug auf die Bestätigung dieser Grundsätze des Gesetzes auf eine überweltliche Macht zurückgegriffen, andererseits wird das Gewissen hier bei Beyer als eine Art „Kanal“ gesehen, durch den Gott wirkt. Und zwar wird in diesem Zusammenhang von einer „natürlichen“ Religion gesprochen. Damit werden die innermenschlichen Grenzen nicht verlassen, Offenbarung spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, höchstens in Bezug auf das Sittengesetz, das aber auch als „menschengemäß“ gesehen wird. Also ist es etwas, das für einen jeden Menschen einsehbar bzw. vernünftig begründbar ist. Auch hier befindet man sich – durchaus konsequent – im Gefolge der deutschen Aufklärung, denn etwa für Kant „ergibt sich die Unentbehrlichkeit der Religion für den aufgeklärten Menschen aus der Insuffizienz der Begründung von Moral allein aus Gründen der Vernunft.“133 Mit der Begründung der Moral und des Sittengesetzes durch die Religion hat diese insofern eine Dienstfunktion, als sie die bürgerliche Freiheit davor bewahrt, heteronomen Normen folgen zu müssen. Diese Art Heteronomie – durch Gott – ist dem Innerweltlichen entzogen. f) Die Stellung zum Atheismus Wenn wir ausgehen von der Religion, in der alle Menschen übereinstimmen, wird die Frage virulent, wie sich die Freimaurerei gegenüber Atheisten stellt. In den Alten Pflichten heißt es: „An if he rightly understands the Art, he will never be a stupid Atheist, nor an irreligious Libertine.“134 Somit ergibt sich, dass der Atheist sehr wohl in der Loge sein kann, nur kann 131

B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei, S. 38. Ebd., S. 38. 133 E. Rudolph, Vorwort, in: Die Vernunft und ihr Gott. Studien zum Streit zwischen Religion und Aufklärung, hrsg. von E. Rudolph, Stuttgart 1992, S. 9. 134 J. Anderson/B. Franklin, (P. Royster), The Constitutions of the Free-Masons (1734), S. 27. 132

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er dann offensichtlich nicht recht die Kunst verstehen. Viele Interpreten dieser Stelle – vor allem freimaurerischer Provenienz – betonen in diesem Zusammenhang, dass man das Gewicht hier durchaus auf „stupid“ verlagern kann, dann „würde der Sinn der sein, dass nur ein stumpfsinniger Gottesleugner die Kunst nicht recht versteht, während ein durch wissenschaftliche Forschung und Überzeugung zum Atheisten Gewordener ganz anders zu beurteilen ist.“135 Wenn auch Einzelne136 den Atheismus als etwas mit der Freimaurerei gänzlich Unvereinbares sehen, so dürfte sich doch allgemein – nicht nur bei den theoretischen Grundlegungen wie bei Beyer, sondern auch im Vollzug in den einzelnen Logen – die Praxis herausgebildet haben, keinen aufgrund seines Atheismus auszuschließen oder deshalb Schwierigkeiten zu machen. g) Bedenken aus katholischer Sicht Nun sollen aus katholischer Sicht einige Problempunkte im Zusammenhang mit der Stellung der Religion in den Alten Pflichten und somit in der Freimaurerei beleuchtet werden. Dass die sog. gemeinsame (Catholick) Religion, wie sie in der Freimaurerei angesprochen wird, vor allem den Zweck hat, Missverständnisse zu vermeiden bzw. die Gemeinschaft zu fördern, scheint evident. Damit wird diese Religion, „in der alle übereinstimmen“, also bewusst zu einem Minimalkonsens, der aber umgekehrt die Wichtigkeit der Religion abstuft. Religion wird abgewertet, an erster Stelle steht damit die Toleranz in dem Sinne, dass die Gemeinschaft gefördert wird und die Privatisierung der Religion erfolgt. Zu Recht kritisiert die „Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz“ vom 12. Mai 1980 das relativistische Religionsverständnis der Freimaurerei. Alle Religionen sind in der Freimaurerei nur herabgestuft als miteinander konkurrierende Systeme. Von einer Wahrheit in Bezug auf Gott wird hier geschwiegen, wobei sich hier offensichtlich die Frage nach der Wahrheit gar nicht zu stellen scheint. „Denn dieser Gotteswahrheit angemessen ist nur die vieldeutige, der Interpretationsfähigkeit des einzelnen Maurers überlassene Sprache der maurerischen Symbole.“137 Im Gefolge des Deismus wird dabei auch über die Frage nach einer Offenbarung hinweggesehen, eine solche stellt sich nicht mehr. Die Offenbarung wird ausgeklammert und an deren Stelle steht eine ganz andere Art von Kundmachung, die durch das Sittengesetz erfolgt und dessen 135

B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei, S. 34. A. Wolfstieg, Die Philosophie der Freimaurerei. Die geistigen, sittlichen und ästhetischen Werte der Freimaurerei (Bd. II), Berlin 1922, S. 43. 137 Zitiert nach: www.freimaurer-ilv.ch/info/kirche/02/kath.htm, vom 29. Dezember 2004. 136

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Rationalität allein entscheidend zu sein scheint. Trotzdem wird dieses aber nicht durch die Vernunft begründet, sondern irgendwie findet sich – wenigstens bei Beyer – doch ein Bezug zu einer göttlichen Begründung desselben, nicht weil der Gottesglauben selber so wichtig schiene, sondern weil es eine Begründung geben sollte, die nicht auf gleicher Ebene mit anderem aus der Vernunft Hergeleitetem steht. Allerdings scheint man sich heute doch der sachgerechteren Begründung und der Begründung mit Menschenrechten zu besinnen, trotzdem bleiben die Gefahren, die bei einer Begründung der Moral durch die Vernunft aufkommen, bestehen. Für eine solche innerweltliche Begründung machen sich nicht nur manche Freimaurer wie Horst Kischke stark. Kischke: „Ich komme nach sorgfältiger Prüfung nicht um die eindeutige Feststellung herum: Die sauberste und konsequenteste Lösung wäre, auf alle religionsbezogenen Elemente in der Freimaurerei zu verzichten, um den Vorwurf, eine Ersatzreligion zu sein, zu entkräften.“138 Dabei nimmt Kischke in seiner Begründung für die Forderung nach dem Verzicht der Freimaurerei auf die Begründungsinstanz Gott für die eigene Moral auf den katholischen Theologen Reinhold Sebott Bezug, der kritisch fragt: „Könnte es nicht sein, dass die Freimaurerei von ihren Mitgliedern vor allem deshalb den Glauben an den Großen Baumeister aller Welten verlangt, weil sie befürchten, Moral und Sittengesetz könnten ohne Gott keinen Bestand haben?“139 Der Maurer wird durch seine Zugehörigkeit allein dazu verpflichtet, dem Sittengesetz zu folgen. Von dieser Sichtweise her braucht es zunächst keine Religion. Das Sittengesetz selber wird damit ins Zentrum gerückt. Moralisches und ehrenhaftes Handeln wird zu gemeinschaftskonformem und religiösem Handeln. Die Religion wird damit lediglich zum Garanten der Moral. Allerdings bleibt die Frage, vor der viele Aufklärer und auch Anderson gestanden sind, nach wie vor virulent: Kann menschlich Bedingtes unbedingt verpflichten? „Aus den endlichen Bedingtheiten des menschlichen Daseins, aus menschlichen Dringlichkeiten und Notwendigkeiten lässt sich nun einmal ein unbedingter Anspruch, ein ‚kategorisches‘ Sollen nicht ableiten. Und auch eine verselbständigte abstrakte ‚Menschennatur‘ oder ‚Menschenidee‘ (als Begründungsinstanz) dürfte kaum zu irgendetwas unbedingt verpflichten.“140 Was Kant begründet, ist die Sinnhaftigkeit des Gewissens und des sinnvollen Handelns. Ja, das Gewissen selber ist Grundlage der Religion. Kant dazu: „Alle Glaubensbekenntnisse müssen so gefordert 138 H. Kischke, Die Freimaurer. Fiktion, Realität und Perspektiven, Wien 1996, S. 121. 139 R. Sebott, in humanität. Nr. 6, 1983, S. 10 f., zitiert nach: Kischke, ebd., S. 120. 140 H. Küng, Projekt Weltethos, München 1990, S. 76.

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werden, dass volle Aufrichtigkeit damit verbunden werden kann“; denn ist erst einmal das Gewissen abgehärtet, „worauf will man“ dann „Religion gründen“? (Reicke Lose Bl. S. 31.).141 Es bleibt also das Dilemma der Begründung eines gemeinsamen Sittengesetzes ohne Religion, wenn gleichzeitig die Religion oder Nicht-Religion in die Beliebigkeit verdunstet ist. Allerdings ist dieses Sittengesetz in der Freimaurerei selber nicht genauer definiert. Die biblischen 10 Gebote, die Grundlage der jüdischen, christlichen und islamischen Religion, sind es nicht ausschließlich, die dort angezielt werden, obwohl es eine Abkunft vor allem vom Christentum her – allein schon von der Genese der Freimaurerei her – gibt. Auch Jesus wird hier von sehr vielen Freimaurern als Protagonist einer Sittenreligion allein gesehen. Die Sittlichkeit allein würde es ausmachen und damit werden alle anderen Bereiche Jesu ausgeblendet. „Da es ihm (Jesus – Anmerkung des Verfassers) ganz auf die Echtheit und Lebenswirklichkeit ankam, formulierte er keine abstrakten Begriffe, sondern versuchte, seine geistige Welt in Bildern zu übermitteln. . . . Die Freimaurerei geht den gleichen Weg bewusst, indem sie grundsätzlich auf jede begriffliche Formulierung des eigenen Lebensgeheimnisses verzichtet und die Bildersprache für geeignet, ja für geeigneter hält.“142 Damit wird die Authentizität das einzige Kriterium, Jesus ist damit ein Muster an Authentizität und damit ein sittlicher Mensch. Auch die Vorstellung von Jesus als einen, der lediglich Bilder favorisiert hat, gibt zu denken. Denn damit wird ja auch ausgesagt, dass die Macht des Irrationalen, der Bilder alleine, wesentlich die Botschaft Jesu ausmacht. Jesus ist also ein Eingeweihter, der durch die Bildersprache Menschen in Richtung Sittengesetz bildet. Aber Jesus hat eben nicht nur eine Art von Lehre angeboten, ein unverbindliches ethisches Angebot gemacht, sondern letztlich ist er selber diese Botschaft, die in letzter Konsequenz Hingabe für die Menschen bedeutet. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Er hat also nicht nur ein ethisches Beispiel gegeben und ist als eingeweihter Meister, als Hierophant im Sinne der alten Mysterien, ohne „Beschädigung“ bzw. ganz „cool“ aus der Kreuzigung wieder herausgekommen, sondern er hat als wahrer Mensch dieses Leid durchlitten und damit ist nichts mehr gleich wie vorher. Nicht umsonst heißt es bei Matthäus, wie der den Tod Jesu geschildert wird: „Da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte, und die Felsen spalteten sich. Die Gräber öffneten sich, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen waren, wurden auferweckt.“ (Math 27,51f) Jesus wird 141 Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie. Altertum – Mittelalter – Neuzeit. 1903, in: www.textlog.de/36149.html, hrsg. von P. Kietzmann, Berlin, eingesehen am 21. November 2008. 142 G. Schenkel, Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte, Gotha 1926, S. 155.

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hier also nicht als steriler Weisheitslehrer gezeigt, er ist Gottes Sohn, dessen Tod letztlich alle Grundfeste des Lebens, und nicht nur der Welt erschüttert. Wenn die christologischen Implikationen der Kirche nur einigermaßen ernst genommen werden, dann ist Gott selber erschüttert, dann bedeutet der Tod Christi etwas Elementares für Gott und die Menschheit. Es gibt sehr viele Unschärfen in Bezug auf die gemeinsame Ethik, aber auch auf die Gewissensentscheidungen der einzelnen Freimaurer. Auch die Lösung in Bezug auf die Verpflichtung auf die Menschenrechte wird wahrscheinlich zu kurz gefasst sein, wenn es um eine individuelle Ethik des einzelnen Freimaurers geht, der er verpflichtet sein soll in seiner Entwicklung, in seiner persönlichen Auseinandersetzung mit seinem „rauen Stein“, seiner jeweiligen Persönlichkeit. Der Freimaurer bezieht sich in Bezug auf die Begründung seiner Gewissensentscheidung allein aufgrund der freimaurerischen Ethik ja lediglich auf ein „natural law“, auf das er in Bezug auf seine Moral verweisen kann, das gewissermaßen im Innersten des Menschen zu erspüren ist, weil es sich aufgrund der Arbeit am rauen Stein „automatisch“ entwickelt. Das Gewissen als Richtmaß hat auch der Christ. Bei ihm ist es nicht eine abstrakte Ethik, der er verpflichtet ist, sondern es ist die Bindung an den lebendigen Gott. Das Gewissen ist hier also eine Beziehungskategorie. Während es also in der römisch-katholischen Kirche eine gemeinsame Ethik gibt, die ausgeht von einer lebendigen Beziehung der Liebe und auf die Liebe hin, auf Gott hin, ist das Gemeinsame im Bereich der Ethik im Freimaurertum nebulos. Trotzdem bleibt die Bedeutung der Instanz „Gewissen“ für beide. Das Vatikanum II sagt vom Verbindenden des Gewissens – und damit scheint zunächst einmal die Gemeinsamkeit aller Menschen angesprochen: „Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen. Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten.“143 In der Kirche und bei vielen Gemeinschaften ist allerdings das Wissen darum, was das „rechte Gewissen“ ist ausgebildet und normiert. Genau eine solche Norm soll es aber – wegen der adogmatischen Ausrichtung der Freimaurerei – nicht geben, auch wenn irgendwie – so zum Beispiel im vorigen Zitat von Beyer – von Gott als Begründung gesprochen wird. Genau deshalb ist es auch ganz gleichgültig, ob ein Atheist Freimaurer wer143

Gaudium et Spes 16.

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den will oder ist. Denn auch der Atheismus scheint letztlich auf derselben Ebene zu stehen wie der Theismus, weil ja die religiösen Anschauungen in den privaten Bereich hinein verdrängt wurden. So formuliert dagegen das Konzil den Zielpunkt des Gewissens: „Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird.“144 So ermöglicht das Gewissen nach den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils einerseits das Erkennen jenes Gesetzes, das sowohl die Erfüllung in der Liebe mit dem Nächsten aber auch mit Gott bedeutet, das andererseits aber gerade dieses Alleinsein, diese Konfrontation mit Gott ausmacht. Was hat die Freimaurerei dem entgegenzusetzen, außer die adogmatische Ausrichtung, die nebulose und ein wenig halbherzige Ausrichtung auf einen ewigen Baumeister, die aber keineswegs verpflichtend ist und letztlich der Privatheit geopfert wird? Möglicherweise das Geheimnis des Rituals bzw. das, was als Ziel durch dieses angestrebt wird. 3. Die Landmarken So wie die Grenzsteine für das menschliche Zusammenleben unverrückbar sind, weil sie das Eigentum in Bezug auf Land markieren, so soll es solche Grenzsteine auch neben den Alten Pflichten in der Freimaurerei geben; diese werden dort „alte Landmarken“ genannt. „Das Wort geht auf Anderson zurück: In der XXXIX. Bestimmung der General-Regulations, die den Old Charges angehängt wurden, heißt es, dass ‚the old Land-Marks be carefully preserved‘. Die alten Landmarken sollten also sorgsam geschützt werden, wobei in der gleichen Satzung auch der Vorgang beschrieben wird, wie, wann und unter welchen Voraussetzungen Verfassungsänderungen vorgenommen werden dürfen. Was unter Landmarks verstanden werden soll, sagte Anderson nicht. . . . Anderson spricht sonst immer nur von Charges, Regulations und Rules. Hier taucht eine neue Bezeichnung auf. Also muss ihr auch eine andere Bedeutung zugrunde liegen.“145 Seitdem gibt es ein großes Rätselraten über die Frage, was die Landmarken eigentlich beinhalten. Es ist klar, dass sie die unverrückbaren Traditionen der Freimaurerei bzw. den Kern derselben bedeuten sollen. Man hat natürlich versucht, diesen schriftlich zu fassen, die wichtigsten Traditionen zu systematisieren. Aber dabei konnten sich die Freimaurer insgesamt nicht auf eine solche Zusammenstellung einigen, auch deshalb, so die Meinung des Autors dieser Arbeit, weil eine solche nicht dem Wesen der Freimaurerei entsprechen 144

Ebd., S. 462. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder (Hrsg.), Internationales Freimaurerlexikon, S. 28. 145

3. Die Landmarken

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würde, die ja solche theoretischen Festlegungen wegen des immer wieder betonten adogmatischen Charakters der Maurerei ablehnt. So wird der Terminus „Landmarken“ nur zu einem Topos. „Man bezeichnet damit allgemein die alten Überlieferungen in Brauchtum, Einrichtung und Übungen, ohne dabei an etwas Bestimmtes zu denken. Wogegen in Amerika mit dem Wort ‚Landmark‘ ein bestimmter Satz von Bestimmungen verstanden wird, der von jeder Großloge mehr oder willkürlich konstruiert wurde.“146 Damit kann man sich auf den Terminus Landmarken zwar zurückziehen, gleichzeitig wird damit vermieden, etwas Konkretes auszusagen. „Die verschiedenen Sammlungen von Landmarken legen unterschiedliche Grenzlinien des einen maurerischen Gedankens fest: aus ihrer Vielfalt erkennt man ihr Ungenügen. Dies ist besonders deutlich bei jenen Fragen, in denen die Freimaurerei zwischen unterschiedlichen Positionen hin und her schwankt, wie zum Beispiel in ihrer Einstellung zur Religion oder in rituellen Fragen.“147 Wenn man sich auch nicht einigen kann in Bezug auf die Landmarken, so gibt es andere Festlegungen vor allem in der sog. Frage der Regularität, die eine sehr große normative Potenz hat. Die Basic Principles for Grand Lodge Recognition wurden 1929 publiziert und zeigen auf, was notwendig ist, damit eine Großloge als regulär gilt. „Eine Großloge muss – unter diesen Voraussetzungen – von einer anerkannten Großloge oder von mindestens drei anerkannten Logen erreichtet werden (Punkt 1). Voraussetzung für die Aufnahme eines Mitgliedes in eine Loge ist dessen Glaube an den Großen Baumeister aller Welten und an seinen geoffenbarten Willen (Punkt 2). Jeder Aufzunehmende muss ein Gelöbnis auf das geöffnete Buch des Heiligen Gesetzes ablegen (Punkt 3). Nur Männer können Mitglieder werden. Daraus resultiert ein Kontaktverbot zu gemischten Logen und weiblichen Logen (Punkt 4).“148 Wenn auch noch andere wichtige Festlegungen getroffen wurden, so etwa was die Möglichkeiten der jeweiligen Großlogen und die drei Grade anbelangt, so ist doch auch interessant, dass in der Folge erneut von den alten Landmarken, die beachtet werden müssen, gesprochen wird. Die „Basic Principles for Grand Lodge Recognition“ von 1989 sind die bisher jüngsten Festlegungen in Bezug auf die Regularität. „Die auffallendste Änderung betraf den Gottesbegriff, das Symbol des Großen Baumeisters aller Welten. Während es 1929 noch hieß: ‚Voraussetzung für die Aufnahme eines Mitgliedes in eine Loge ist dessen Glaube an den Großen 146

Ebd., S. 30 f. M. Heider, Selbsterziehung als Ideal – Die Freimaurer, Diplomarbeit, Salzburg 1997, S. 49. 148 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder (Hrsg.), Internationales Freimaurerlexikon, S. 31. Der Artikel fasst damit die Festlegungen zusammen, die abgedruckt sind in: Masonic Year Book 1997–1998, London 1997, S. 834. 147

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I. Problemstellung

Baumeister aller Welten und an seinen geoffenbarten Willen‘, wurde 1989 die theistische Gottesauffassung von einer deistischen abgelöst: ‚Freimaurer innerhalb ihrer Zuständigkeit müssen an ein höchstes Wesen glauben (Punkt 4).‘ (‚Freemasons . . . must believe in a Supreme Beeing.‘).“149 Damit wird also gerade die Frage nach der Frage über die Beziehung zu einem Gott immer wieder einer Veränderung unterworfen. Über die organisatorische Festlegung dessen, was für die Regularität notwendig ist, wird damit massiv eingegriffen in die innere Struktur des Bundes und damit zeigt sich recht deutlich, dass nicht sosehr der Topos „Landmarken“ die große Wirkmächtigkeit hat, sondern mitunter solche organisatorischen Details in einem viel höheren Maß wirken.

149

Ebd., S. 33.

II. Das Ritual Wie schon festgestellt, ist das Ritual, das mit Hilfe der umfangreichen freimaurerischen Symbolik vollzogen wird, der Kern der freimaurerischen Arbeit als Weg zur Identitätsstiftung bzw. zum Aufbau der freimaurerischen Persönlichkeit, des Tempels der Humanität. Somit muss das Ritual auch eine Hauptrolle in unserer Untersuchung spielen. Dabei sollen immer die zwei Pole dieser Arbeit, nämlich einerseits das Freimaurerische, andererseits das Christliche bzw. das Sakramentale und die Beziehungen zueinander sowie die Relevanz dieser In-Beziehung-Setzung für die kirchenrechtliche Beurteilung im Vordergrund stehen. Es werden in diesem Kapitel viele Einzelaspekte des freimaurerischen Rituals behandelt, aber immer werden sie in Beziehung gesetzt mit dem, was im Sakrament geschieht oder wie das Sakrament gesehen wird. Das ist sozusagen die theoretische Grundlage, damit man dann in einem weiteren Schritt diesen Vergleich bzw. deine Beurteilung aus katholischer Sicht machen kann. 1. Was ist ein Ritual? Es existiert eine enge Verbindung zwischen Symbolen und Ritualen. Durch diese Bezogenheit aufeinander ist es sehr schwierig, diese beiden Elemente voneinander zu trennen, da das Ritual ohne Symbole nicht auskommt, andererseits hat ja auch das Ritual wieder einen Symbolgehalt. So sind Symbole und Rituale menschliche Grundkonstanten, existentielle Mechanismen des menschlichen Vollzuges. Wenn es bei Ritualen auch nicht immer nur um Grundfragen menschlicher Existenz geht, sondern auch um praktische Fragen des Alltags, so haben Rituale doch wesentlich etwas mit dem Aspekt der Sicherheit und Ordnung zu tun. Aber Rituale stillen auch unser Bedürfnis nach Klärung der Welt. Sie können unsere Existenz bzw. Teilbereiche des Lebens verständlich machen und erklären. Sie sind als Ordnungselemente auch sehr oft institutionell verfasst und strukturieren unser Leben, greifen damit aber auch oft direkt in das gemeinschaftliche Leben ein. Gerade im Zusammenhang mit existenziellen Fragen wie Geburt, Tod, ja alle wesentlichen Lebensstationen menschlichen Seins, kommt den Ritualen eine entscheidende Bedeutung zu. Wenn wir fragen, wo die Rituale ihren Ursprung haben, muss die Antwort sehr differenziert ausfallen. Denn verschiedene Rituale mögen ja auch Aspekte aufweisen, die etwa schon von Verhaltensforschern im Tierreich beobachtet werden, andere wieder ha-

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II. Das Ritual

ben mit ganz ursprünglichen Handlungszusammenhängen und basalen Bedürfnissen des Menschen zu tun, so zum Beispiel mit dem gemeinsamen Essen und Trinken, mit der Ernte oder mit der Jagd, aber auch mit Notwendigkeiten, die sich in der Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft entwickelt haben, so etwa im Zusammenhang mit der Partnerwerbung, der Familienbildung oder mit religiösen Praktiken. Anthony Wallace versucht in seinem Werk1 eine funktionale Kategorisierung der verschiedenen Ritualformen. Dabei teilt er die Rituale in fünf Klassen ein: So sieht der das Ritual als Technologie, als Therapie und Antitherapie, als Ideologie bzw. Möglichkeit der sozialen Kontrolle, als Salvation und als Revitalisierung. Durch die Ausführung von Ritualen müssen Handlungen nicht mehr immer wieder neu erfunden werden, diese sind im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert und haben eine gewisse Entlastungsfunktion. So definiert Rappaport die Verwendung des Begriffes folgendermaßen: „Ich verwende den Ausdruck ‚Ritual‘, um das Auftreten von mehr oder weniger einheitlichen Folgen von formalen Akten und Äußerungen zu bezeichnen, die nicht in ihrer Gesamtheit von den Auftretenden kodiert wurden.“2 Sie schaffen den Rahmen für menschliche Vollzüge und können damit auch die Welt strukturieren. Dabei kann eigentlich – in einer sehr umfassenden Sichtweise – jede wiederkehrende Handlung als Ritual angesehen werden, allerdings muss diese Wiederkehr sich nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Menschen beziehen, sondern kann auch auf die gesamte Menschheit bezogen werden. Es steht weiters die Frage im Raum, ob es nicht auch Rituale gibt, die deswegen Rituale sind, weil eine gewisse Feierlichkeit gegeben ist und jene speziellen Elemente, die eine solche Feierlichkeit intendieren, verwenden. Natürlich haben Rituale vor allem etwas mit einem gemeinsamen Kontext zu tun, in dem sich das Ritual bewegt, aber auch die Ausgestaltung des Rituals ist abhängig von einem kulturellen Kontext. Nicht umsonst sollten wir uns daran erinnern, dass „Kult und Kultur eine gemeinsame Wurzel haben.“3 Eine wesentliche Basis aller Kultur ist aber die Kommunikation, ein Grundbestand menschlichen Seins, die wiederum nicht auskommt ohne Symbole, ohne gemeinsame Zeichen und eine gemeinsame Sprache, die ja auch auf Zeichen beruht. Eine der Definitionen des Rituals lautet: Ein Ritual (von lateinisch ritualis = „den Ritus betreffend“) ist allgemein ein „gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung, Zeremoniell“4, in der Psychologie ein „stereotypes, starres Verhalten, eine 1

A. Wallace, Religion. An Anthropological View, New York 1966. R. A. Rappaport, Ritual and Religion in the making of humanity, Cambridge studies in social and cultural anthropology, Cambridge5 2002, S. 24. 3 L. L. Mitchell, The Meaning of Ritual, New York2 1977, S. 33. 4 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, Bd. XVIII, Mannheim19 1992, S. 450. 2

1. Was ist ein Ritual?

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feste Abfolge von Handlungsschritten, die meist an bestimmte Anlässe (. . .) gebunden sind, aber auch als ein vom Situationsbezug losgelöster Mechanismus auftreten kann.“5 Religionswissenschaftlich versteht man unter einem Ritual einen „kultischen Handlungsablauf (Worte, Gesten, Handlungen), der mit religiöser Zielsetzung (Umgang mit dem Numinosen) in seinen Bestandteilen genau festgelegten Regeln folgt (Zeremonien) und deshalb, weitgehend unabhängig von räumlichen oder zeitlichen Umständen, als identisch wiederholbar erscheint.“6 Die Frage der Abgrenzung des Begriffes „Ritual“ wird sehr stark von jedem Einzelnen abhängen. Damit zusammenhängend natürlich auch die Frage, inwiefern es eine Abgrenzung braucht zwischen Ritualen einerseits und alltäglichen Gewohnheiten andererseits. Eine solche Abgrenzung erfordert schon eine Option dafür, dass Rituale etwas Besonderes sind und von der Aura des Alltages abgehoben werden müssen, das heißt, dass sie etwas Wesentliches über die Existenz des Menschen aussagen, besondere Aspekte desselben zusammenfassen und den Alltag transzendieren. a) Nichtreligiöse Rituale Sogar im religiösen Bereich, im Bereich des Kultes, versuchte man mitunter, ohne Ritual auszukommen, und es erhebt sich die Frage, ob ein Auskommen ohne Ritual schon wieder ein Ritual ist bzw. ob eine religiöse Verehrung nicht immer schon ritualisiert ist. So lehnten zum Beispiel „die frühen Quäker das traditionelle christliche rituelle System ab und drückten ihre Ablehnung desselben etwa dadurch aus, dass sie ihre Hüte in der Kirche trugen, während sie beim Gottesdienst saßen und auch keine feststehenden Gebetsformen verwendeten und indem sie etwa die Stille nur durchbrachen, wenn der Hl. Geist sich meldete. Diese spezielle Ablehnung war selber ein neues rituelles System, indem symbolisch der Bruch mit der traditionellen liturgischen Kirche vollzogen wurde und ihrem Willen Ausdruck verlieh, durch das innere Licht des Heiligen Geistes geführt zu werden.“7 Wenn auch unser Blick beim Begriff „Ritual“ zuerst einmal auf das religiöse Ritual gelenkt wird, auch von der ursprünglichen historischen Bedeutung her, dann darf doch nicht vergessen werden, dass es immer parallel dazu weltliche Rituale gab und dass die Religion keinesfalls nur die alleinige Trägerin des Rituals ist, obwohl manche „weltliche“ Rituale auch religiösen Charakter besitzen. Erwähnt werden müssen die Rituale, die vom Staat verwendet werden und die unter anderem auch die Herrschaft absi5 6 7

Ebd. Ebd. L. L. Mitchell, The Meaning of Ritual, S. 15.

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II. Das Ritual

chern bzw. die Machtausübung zeigen. Es wurde schon von der Entlastungsfunktion der Rituale für den Menschen gesprochen. Diese zeigt sich etwa dann, wenn menschliche Begegnung systematisiert und strukturiert wird. Ein Gruß, das Händeschütteln, die Frage „Wie geht es?“ oder ein Lächeln haben so eine Entlastungsfunktion und gehören zu den menschlichen Basisritualen. Sie müssen nicht immer neu erfunden werden und sind fix eingebettet in den menschlichen Handlungszusammenhang: Es ist klar und berechenbar, was passieren wird und welche Reaktion normalerweise darauf erfolgt, wenn dieses Ritual vollzogen wird. Aber auch moralische Akte bzw. Vorstellungen können als Rituale gesehen werden, ja der Ritualbegriff darf nicht einmal auf den Menschen beschränkt werden, sondern muss etwa auch auf Tiere ausgedehnt werden.8 Rituale werden also auch von anderen Ritualen beantwortet, teilweise – etwa bei der Zugehörigkeit der Teilnehmer in einem Ritualzusammenhang zu unterschiedlichen Kulturen oder differenten Verständnisvoraussetzungen – gibt es Missverständnisse und die gegebene Antwort ist mitunter eine für den anderen unverständliche. Tatsache ist aber, dass auch Rituale Wandlungen unterworfen sind und teilweise sinnentleert werden können, womit dann oft das Verständnis für Rituale fehlt. Heutzutage gibt es neben solchen Basisritualen, die eindeutig säkularisiert bzw. säkular sind, natürlich auch eine ganze Palette anderer Rituale, die noch viel stärker diese Emotionale des ursprünglich Religiösen in sich tragen und die eine gewisse religiöse Referenz, wenigstens was die Tatsache betrifft, dass sie den Menschen (im Augenblick) mit voller Schärfe erfassen und eine Art existentielle Sinndeutung (in Teilbereichen) möglich machen, erspüren lassen. In diesem Zusammenhang drängen sich nicht nur die Gedanken an die römischen „Circenses“, nicht nur an die Feier- und Weihestunden im staatlichen und halbstaatlichen Bereich auf. Man muss dabei auch gar nicht nur an die opulenten Inszenierungen des Nationalsozialismus denken, der sehr bewusst das rituelle Element in der Mitte der Ideologie verankert hat. Da spielen etwa Symbole wie Fahnen, rituelle Parolen und Gesänge, aber auch die Bewegung der Massen, Verzückung und Begeisterung, eine dominante Rolle. Auch die Sportveranstaltungen von heute sind solche rituellen bzw. ritualisierten Bereiche. Aber auch Gerichtshöfe, Partys, aufwendig inszenierte Konzertveranstaltungen leben von solchen Ritualen. Wichtig ist immer die Interpersonalität von Ritualen. So werden Rituale immer – wenigstens was den Wirk- und Beziehungszusammenhang betrifft, von mindestens zwei Proponenten vollzogen. Dabei kann das zweite angesprochene Du sowohl eine Gottheit als auch die Natur sein. So figuriert etwa die Gottheit, 8 Vgl. dazu R. A. Rappaport, Ritual and Religion in the making of humantity, S. 25.

1. Was ist ein Ritual?

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die Natur, oft im Ritual repräsentiert durch einen Fetisch, ein Totem oder einfach durch einen Gegenstand, der eine gewisse repräsentative Kraft aufweist, als Gegenüber, als Du. Bei säkularen Ritualen wird dann etwa der Staat oder auch die gesamte Umwelt dieses Gegenüber, und damit wird im Ritual gewissermaßen die Beziehung zur menschlichen Mitwelt bzw. materiellen Umwelt neu geordnet und abgesteckt. b) Dynamik des Rituals und Abgrenzungen zum religiösen Bereich Die Dynamik des Rituals kommt in der Definition von B. Alexander zum Ausdruck, der meint: „Der Begriff ‚Ritual‘ im allgemeinen und grundlegenden Sinn ist geplante oder improvisierte Aufführung (Vorstellung = wörtl. performance), die eine Überleitung des alltäglichen Lebens in einen alternativen Zusammenhang, in dem der Alltag transformiert wird, bewirkt.“9 Eine solche Dynamik bezieht sich dann wohl eher auf das Verständnis des Begriffes „Ritual“ in einem existentiellen und/auch religiösen Zusammenhang. Ritual hat in diesem Verständnis etwas mit Umwandlung zu tun, nach diesem Ritual ist nicht alles gleich-gültig, sondern das Ritual hat seine verändernde Kraft. Gleichzeitig wird in dieser Definition auch auf das Ritual als Drama verwiesen. Es ist nicht leicht, eine Abgrenzung des allgemeinen Begriffs „Ritual“ zum religiösen Ritual vorzunehmen. Bowie zitiert dazu Victor Turner, der diese Abgrenzung so versucht: „Ein vorgeschriebenes formales Verhalten für Gelegenheiten, die nicht der technischen (alltäglichen) Routine anheimfallen, die einen Bezug auf mystische (oder nicht empirische = wörtl. ‚non empirical‘) Wesen oder Kräfte haben, die als Erst- und Zielursachen aller Effekte angesehen werden.“10 Also hebt sich hier das religiöse Ritual von der Routine ab, aber es ist vor allem der Bezug der performativen Elemente auf das Über-sinnliche, aber auch auf die Antworten auf die Fragen „Woher kommen wir, wohin gehen wir“, auf die Frage nach der Herkunft von allem. Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese Trennung zwischen alltäglicher Routine und dem Anspruch des religiösen Rituals nicht ganz einfach ist, denn letztlich gibt es diese Trennung zwischen Alltag und Religiosität nicht, weil ja Alltag und Religiosität einander durchdringen und bedingen. 9 B. C. Alexander, Ritual and current studies of ritual, Overview, in: S. D. Glazier, Anthropology of religion, London 1997, S. 139. 10 F. Bowie, The anthropology of religion. An Introduction, Oxford/Malden 2000, S. 153. Sie zitiert V. Turner, From ritual to theater and back. The human seriousness of play, New York 1982, S. 79.

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II. Das Ritual

Wichtig erscheint die Verbindung der vorher referierten Definition Turners mit jener Alexanders. Eine Säule des Begriffes „religiöses Ritual“ müsste also einerseits der Anspruch sein, außergewöhnliche Situationen heraufzubeschwören, die Bezug haben zu nicht Alltäglichem, also zu Dingen und Kräften, die im Alltag nicht erfahrbar sind, die aber gleichzeitig auch den Schlüssel zu allem bieten. Dieser Schlüssel ist also religiös, das ist die religiöse Deutung der Welt und des Menschen. Anderseits ist die zweite Säule des religiösen Rituals die Transformation, und zwar – im Lichte der ersten Säule betrachtet – eine Transformation, die bis an die Wurzeln der Existenz menschlichen Lebens geht, diese also betrifft und den Menschen und sein Selbstverständnis aus dem Alltag heraushebt. Auch nach diesem Definitionsversuch, der durchaus plausibel erscheint, bleibt eine gewisse Schwierigkeit, im Einzelfall immer abgrenzen zu können. So ist die Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen in der Gesellschaft nicht nur eine politische, sondern umfasst alle Dimensionen des seines Lebens, also auch seine Fragen nach dem Woher und Wohin. Wenn es also beispielsweise zu ritualisierten Transformationsprozessen im politisch-sozialen Status eines Menschen kommt (Ernennungen, Ehrungen, Vereidigungen, Inaugurationen, u. dgl.) dann hat das möglicherweise oft einen tiefgreifenderen Einfluss auf den Betreffenden, als wir mitunter annehmen können. Allerdings ist die Frage, ob letztlich die gesamte Existenzdeutung davon betroffen ist. Wie schon angedeutet, ist der religiöse und kulturelle Hintergrund auch bedeutungsvoll, um zu beantworten, inwieweit der „weltliche“ vom „religiösen“ Bereich des Rituals abgegrenzt werden kann, sofern es überhaupt im jeweiligen Einzelfall möglich ist, so eine Abgrenzung vorzunehmen. So vergleicht etwa der Anthropologe Robin Horton die Riten von afrikanischen Stämmen, die ausgehen von einer animistischen Weltsicht, mit unserem westlichen, apersonalen Modell, die Welt zu betrachten. Dabei betrachtet er die Definitions- und Eingrenzungsversuche der Symbolisten in Bezug auf das Ritual als reduktionistische Modelle, die die Realität und Kräfte des Rituals schlichtweg leugnen. „Horton kritisiert die Versuche des Symbolismus (vor allem John Beattie und Maurice Bloch) wegen ihrer Unfähigkeit, zu akzeptieren, dass die Verwendung religiöser Vorstellungen ‚wortwörtlich und ernsthaft als Möglichkeit der Erklärung, der Voraussage und zur Kontrolle der Welt‘ (. . .) die Kraft eines Rituals darstellen kann, um dessen Teilnehmer zu bewegen und zu verändern.“11 Wesentlich erscheint also in der Abgrenzung des Rituals von sonstigen Handlungen des Alltages zu sein, dass nämlich das Ritual den Blick öffnet 11 F. Bowie, The anthropology of religion, S. 157. Sie zitiert dabei R. Horton, Patterns of thougt in Africa an the West, Cambridge 1994, S. 361.

1. Was ist ein Ritual?

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auf eine neue Dimension hin, die gerade im religiösen Bereich möglicherweise jenseits von Raum und Zeit ist, also gewissermaßen dem profanen Alltag entflieht, sehr wohl aber mit der verdichteten Existenz des Menschen etwas zu tun hat. Wichtig im Zusammenhang mit der begrifflichen Abgrenzung des Rituals von anderen Handlungen ist sicher auch die Situationsgebundenheit bzw. das Abzielen auf einen ganz bestimmten Handlungszusammenhang. Gerade in bestimmten Bereichen des Lebens hat das Ritual eine sinnstiftende Funktion, bekommt die Sinnhandlung „Ritual“ ihr besonderes Gewicht. Besonders deutlich wird das etwa im Bereich der Initiation, aber auch an anderen Weggabelungen des Menschen bzw. in Lebenszusammenhängen, die den Menschen existentiell betroffen machen. So spielt etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – die Initiation eine wesentliche Rolle, ganz evident sowohl in der Freimaurerei als auch im Christentum. c) Ritual und/als Drama Jane Harrison meinte, dass „die Ursprünge des westlichen Dramas im Ritual liegen.“12 Es wird dabei auf das griechische „dromenon“ zurückgeführt, das „eine Sache getan“ heißen soll. Wichtig ist die Unterscheidung der aktiven Teilnehmer am Ritual vom Publikum, das im westlichen Drama eher nicht aktiv eingebunden ist und vorzugsweise nur schaut und hört. Rappaport dazu: „Es ist bei der Aufführung anwesend, aber es ist nicht Teil dieser Aufführung.“13 Das bedeutet, von den Akteuren innerhalb eines rituellen Dramas erwartet man, dass sie mitsingen, mit ihren Körperhaltungen wie Knien oder Stehen mitmachen oder lesen oder Dinge nachsprechen und singen. Das Publikum ist also eigentlich ein Gegenüber für die Schauspieler im westlichen Drama, ein Gegenüber zum Drama, das zwar intellektuell beurteilt werden kann oder sogar irgendwie aufwühlt, indem man sich identifiziert, aber eben anders als beim rituellen Drama, bei dem ich selbst mitmache. In diesem Zusammenhang muss auch vom epischen Theater eines Bert Brecht gesprochen werden, das auch den Begriff des westlichen Dramas noch einmal verändert hat. In seinem epischen Theater durchbricht er ganz bewusst die bisherige Anschauung, der Theaterbesucher müsse sich mit der Handlung bzw. den Protagonisten des Stückes identifizieren und würde gewissermaßen an der Hand geführt, um durch dieses Miterleben dann – etwa wie in der deutschen Klassik gefordert – verändert zu werden. Die Konzeption Brechts geht davon aus, dass der Theaterbesucher sich im12 R. A. Rappaport, Ritual and Religion in the making of humantity, Cambridge studies in social and cultural anthroplology, Cambridge5 2002, S. 135. 13 Ebd., S. 135.

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II. Das Ritual

mer wieder aus dem Stück herausnimmt, dass ihm gezeigt wird, wie wichtig es ist, wenn er sich nicht als Teil des Stückes empfindet, wenn er immer wieder über die handelnden Personen und die Handlung selber reflektiert. Dies ist gewissermaßen eine anti-rituelle Haltung, hier werden selbst Anklänge an das Ursprüngliche des Rituals, das sicher auch im Theater vorhanden ist, bekämpft zugunsten einer Anschauung von Rationalität. Ein weiteres Unterscheidungskriterium zwischen Ritual und westlichem Drama dürfte die Unmittelbarkeit darstellen: Und zwar stellt sich die Frage, ob das jeweilige Geschehnis etwas direkt mit den Personen, und damit also auch mit der Existenz dieser Personen zu tun hat. Inwiefern betrifft dieses Handeln die jeweiligen Protagonisten oder kann ich selbst entscheiden, ob ich Protagonist bin und eine Notwendigkeit habe, um zu handeln? Weil im Theater die Schauspieler Fiktionales spielen, lediglich Rollen bekleiden, wird von ihnen auch wirklich nichts anderes verlangt, als dies zu tun. „Es ist zu betonen, dass der rituelle Akt ‚etwas macht‘, er bedeutet eine Handlung, die darauf ausgerichtet ist, die Welt zu beeinflussen, und sie erreicht es wahrscheinlich auch. Im Gegensatz dazu bedeutet das Handeln in einem Drama nicht das Handeln, um die Welt zu verändern und zu beeinflussen, sondern nur vorzugeben, als handelte man so.“14 Es geht letztlich nicht nur um diese Bereitschaft, die Welt als Ganze zu verändern, sie in einer neuen Perspektive zu sehen, sondern einzutauchen in eine neue, andere Perspektive. Dabei spielt auch die Absicht eine wesentliche Rolle: Wie gehe ich an das Ritual heran bzw. wie sehe ich das Theater? Sehe ich etwas als Konsument, der sich lediglich irgendwie peripher identifiziert, oder sehe ich es als Beteiligter, weil dieses rituelle Drama zuvorderst etwas mit mir und meiner Existenz zu tun hat und mein ganzes Leben repräsentiert. Dabei sehen wir auch ein gewisses Bedürfnis zu unterscheiden. Denn auch das Drama im Theater kann etwas mit meiner Existenz zu tun haben, kann etwas von meinem Leben (be-)deuten, kann mir zur Interpretation meines Lebens helfen oder beitragen, mein Leben zu meistern. Trotzdem geht es um die Frage, was bleibt und darum, inwieweit ich selber aktiv in die Handlung einbezogen werde und selbst gefordert werde, eine Antwort mit meiner gesamten Existenz zu geben. Rappaport dazu: „Ein Beter (Kirchgänger) nimmt teil am Ritual, indem er auf diese Art eintaucht in das Dauerhafte des Seins, während ein Schauspieler eine Rolle im Stück spielt, die verdunstet, sobald der Vorhang fällt und seine eigene Identität erwartungsgemäß zurückkommt, um seine Handlungen wieder zu leiten.“15 Damit geht es also auch um diese Überantwortung: Die Überantwortung an etwas ganz anderes, das mich leitet und das 14 15

Ebd., S. 136. Ebd., S. 136.

1. Was ist ein Ritual?

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auf eine gewisse Dauerhaftigkeit ausgerichtet ist. Während im Theater die Rolle nicht den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit ausfüllt, also keine Veränderung des Schauspielers durch die Rolle erfolgt, ja gar nicht die Absicht besteht – und zwar von niemandem – diese einmal ausgefüllte Rolle auf Dauer auszufüllen und damit eine Veränderung zu bewirken, ist das im Ritual sehr wohl der Fall. Apropos Veränderung: Hiezu muss natürlich angeführt werden, dass etwa bei Schiller durchaus die Schaubühne als „moralische Anstalt“ von Bedeutung ist. Trotzdem muss angeführt werden, dass die Beziehungen des Theaters – etwa der griechischen Tragödie – mit dem religiösen Ritual durchaus gegeben sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Ritual und dem Theater ist also die Ehrlichkeit, ist die Authentizität: „So mögen zwar die Teilnehmer eines Rituals eine Rolle spielen, aber sie täuschen normalerweise nicht vor.“16 So lassen sich die Unterschiede zwischen dem Ritual und dem Drama auch herausstellen als Unterschiede zwischen Wirksamkeit und Unterhaltung, wie das im Folgenden dargestellt wird.17 Wirksamkeit

 !

Unterhaltung

Ritual

Theater

Resultate

Freude/Spaß

Verbindung zu(m) (auch) abwesenden Anderen

Nur für die Anwesenden

Symbolische Zeit

Betonung auf das Hier und Jetzt

Der/die Ausführende

Der/die Ausführende weiß,

ist ergriffen, ist in Trance

was er/sie tut

Das Publikum nimmt (aktiv) teil

Das Publikum schaut zu

Das Publikum glaubt

Das Publikum hat Verständnis

Kritik ist nicht erwünscht

Kritik ist normal

Kollektive Kreativität

Individuelle Kreativität

16

F. Bowie, S. 159. F. Bowie, S. 160. Sie zitiert dabei: R. Schechner, Performance Theory, New York/London 1994, S. 120. 17

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II. Das Ritual

2. Ritualfähigkeit Im Zusammenhang mit dem Blick auf die Rituale ist die Frage zu stellen, ob der Mensch überhaupt mit dem Ritual umgehen kann, inwiefern er Rituale versteht bzw. als Ausdruck seiner selbst sieht. Inwiefern können Rituale das ausdrücken, was den Menschen ausmacht, bzw. inwiefern repräsentieren sie dasselbe, was sie den Menschen früher bedeuteten? Wann ist der Mensch besonders für Rituale empfänglich? Treffen Rituale den Menschen? Es wird sich also fundamental die Frage nach der Ritualfähigkeit stellen. Gerade in unserer heutigen Zeit sprechen viele davon, dass dem modernen Menschen das Sensorium für Rituale abgeht und dass ihm deshalb auch die Fähigkeit abgeht, die Sprache der Rituale zu deuten, ja zu erfühlen. Andererseits wird gerade in der Esoterik bevorzugt von Ritualfähigkeit gesprochen, in einer Art, die weitgehend weder etwas mit Religion und dem Christentum noch mit der Freimaurerei zu tun hat. Ja, Religion und auch die Freimaurerei würden sich von solchen sehr oft rein magischen Praktiken abgrenzen. Hier wird ja Ritualfähigkeit in einem umfassenden Sinn verstanden, wonach der das Ritual Vollziehende eine Ähnlichkeit mit den Göttern, eine Fähigkeit hat, um das Göttliche oder nur das Objekt magischer Rituale zu beeinflussen. Damit ist Ritualfähigkeit also die Ähnlichkeit, die Kommunikation (als Magie oder auch Zauberei) erst ermöglicht. Damit werden Gott bzw. Götter eingegrenzt auf einen Kanal, den sie gemeinsam mit dem jeweiligen Priester haben. In diesem Zusammenhang müssen auch „mediale“ Fähigkeiten genannt werden. Für uns stellt sich aber auch die Frage: Hat Ritualfähigkeit vor allem etwas mit dem Gefühl zu tun oder aber mit dem Kognitiven? a) Ritualfähigkeit in der Freimaurerei In der Freimaurerei ist die Ritualfähigkeit ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme bzw. für die Mitgliedschaft als Freimaurer. „Das Ritual ist eine besondere Sprache der Freimaurer, die sie von anderen Bruderbünden mit ethisch-humanitärer Zielsetzung unterscheidet.“18 Wird hier von der Freimaurerei bzw. für die Freimaurer in Bezug auf das (eigene?) Ritual also eine Sonderstellung eingefordert, wenn es auf der anderen Seite in vielen Bünden, ja sogar Vereinen, Rituale gibt? Es stellt sich also auch die Frage, wodurch man so ohne weiteres diese Sonderstellung für die Freimaurerei beanspruchen kann. 18 W. H. in: www.freimaurer.org/cgi-bin/faq-dat.cgi?line=Symbolik&suchtitel= Symbol-Fragen, eingesehen am 25. März 2007, S. 24. Dieses Zitat stammt aus der Homepage der Vereinigten Großlogen von Deutschland.

2. Ritualfähigkeit

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Wesentlich für die Beurteilung der Ritualfähigkeit für den angehenden Freimaurer bzw. Lehrling scheint die Beantwortung der Fragen, die dem Suchenden gestellt werden und die dieser in der Kammer der verlorenen Schritte bzw. Kammer des Nachdenkens ausgearbeitet hat. Dieses Elaborat dient als Arbeitsgrundlage für die Beantwortung der Frage, ob der Suchende aufgenommen werden soll. Diese Fragen lauten: „1. Was sagt Ihnen der Begriff des großen Baumeisters der Welten? 2. Was erwarten Sie von Ihrer Aufnahme für Ihr künftiges Leben? 3. In welcher Weise glauben Sie zur Verwirklichung der Idee der Freimaurerei beitragen zu können?“19

Danach erfolgt der Bericht des Vorbereitenden Bruders an die übrigen Freimaurer der Loge, in die der Suchende rezipiert werden soll, über den Eindruck, den der Suchende auf ihn gemacht hat und der Sekretär liest die Fragebeantwortung vor. Danach gibt es die Gelegenheit, darüber zu diskutieren und dazu Stellung zu nehmen. Dazu heißt es in einer anderen Quelle ebenfalls: „In der Zwischenzeit werden in der Loge die Fragen und Antworten vorgelesen und die Ritualfähigkeit, Verträglichkeit und Begeisterungsfähigkeit des Suchenden werden diskutiert.“20 Damit wird die Ritualfähigkeit inhaltlich also mit der Verträglichkeit – anzunehmen ist, dass hier die soziale Verträglichkeit gemeint ist, inwiefern also jemand zu Mitgliedern einer bestimmten Loge menschlich passt – als auch mit der Begeisterungsfähigkeit verknüpft. Nun ist interessant, dass hier die Begeisterungsfähigkeit thematisch noch einmal von der Ritualfähigkeit getrennt ist. Bedeutet Ritualfähigkeit dann etwa, dass man in der Lage ist, das Ritual zu verstehen, dass gewissermaßen die Codierung verstanden wird und über diesen Code kommuniziert wird. Dabei scheint sicher von Bedeutung, dass das Ritual einen tiefen Eindruck machen kann und dass man das Ritual für sein eigenes „Wachstumsstreben“ ein- und umsetzen kann. Möglicherweise impliziert der Begriff „Ritualfähigkeit“ auch, dass man ein gewisses Sensorium für Mystik hat, dass man also Symbole und Rituale auf ihren Bedeutungsgehalt hin in Beziehung zum eigenen Lebens setzen kann? Eine Linie zum Verständnis dieser Ritualfähigkeit ist die folgende: „Die Freimaurerei arbeitet mit Symbolen und Ritualen und entschleiert dadurch dem andächtigen, religiösen Menschen den wahren Sinn seines Wesens, (. . .), seine Zusammengehörigkeit mit anderen Menschen und sein Streben nach Ver19 Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland. Handschrift für Brr. Freimaurer, Hamburg5 1974, S. 20. 20 Geschichte, Philosophie und Symbolik der Freimaurerei, in: http://h725957. serverkompetenz.net/mythologie/pdfs/Geschichte%20Philosophie%20und%20Sym bolik%20der%20Freimaurer.pdf, S. 16, eingesehen am 30. März 2007.

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II. Das Ritual

vollkommnung.“21 Noch einmal muss zurückgekommen werden auf die drei zu beantwortenden Fragen. Diese Fragen implizieren eine gewisse Ausrichtung des Lebens, wenigstens eine Reflexion darüber. Damit kann Ritualfähigkeit auch zu einem gewissen Teil Reflexionsfähigkeit bzw. religiöse Sensibilität bedeuten, indem die Frage nach einer größeren Macht, nach der Ausrichtung des eigenen Lebens in Bezug auf die Freimaurerei bzw. auf die ethische Ausrichtung des jeweiligen Lebens gestellt wird. Die Frage nach der Ritualfähigkeit ist damit eigentlich die Frage danach, ob der betreffende Suchende Tiefe hat, indem er sich über das Woher und das Wohin, auch über die Gesamtausrichtung seines Lebens Gedanken macht und dabei die Freimaurerei in sein Leben integriert. Der Freimaurer G. Imhof prägt als geistige Voraussetzung zur Aufnahme das Wort von der Humanität und meint damit „nicht eine verschwommene Gefühlsduselei, sondern die klare Erkenntnis, dass des Menschen Leben nicht restlos im Diesseits verankert und mit Befriedigung aller biologischen Bedürfnisse erschöpft sei, sondern dass des Menschen Weg von niedern zu höheren geistigen und seelischen Daseinsformen aufsteigend, den Weg zum A. B. A. W., zur Gottheit, suchen soll.“22 Imhof geht hier sicher sehr weit, wenn er derart massiv den Allmächtigen Baumeister aller Welten ins Spiel bringt, dieses dürfte nicht konsensfähig unter allen Logen bzw. Freimaurern sein, aber diese Aussage unterstützt die schon vorher angezogene These, Ritualfähigkeit habe vor allem etwas mit anzustrebender menschlicher Tiefe zu tun. Das stützt auch folgende Aussage: „Dass die freimaurerischen Rituale keinen dominant und einseitig religiösen Charakter haben, ist für Außenstehende schwer einsehbar. . . . Eine derartige (gemeint ist eine religiöse – Anmerkung des Verfassers) Interpretation ist für den einzelnen Bruder möglich, von der Freimaurerregeln her aber nicht ausdrücklich intendiert.“23 Köneke, der Verfasser der vorstehenden Aussage, stellt den Bezug der Freimaurerei zur Esoterik her und meint in Bezug auf das Ritual, es handle sich dabei um „Verhaltensweisen, Verhältnissen und Kenntnisse, die nur einem inneren Bereich bekannt sein können oder dürfen und auch nur von denen in diesem Bereich verstanden werden können oder dürfen. Der Zugang wird nur bestimmten Menschen nicht verwehrt im Gegensatz zu denen, die außerhalb bleiben müssen.“24 Im An21 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 161. Der Klammerausdruck wurde bewusst nicht aufgenommen, weil er m. E. nach nicht unbedingt der Ausdruck der gesamten Freimaurerei ist. Es handelt sich dabei um den Verweis auf die Abhängigkeit vom Obersten Baumeister. 22 G. Imhof, Kleine Werklehre der Freimaurerei. I. Das Buch des Lehrlings, bearbeitet von H.-P. Löw, Lausanne5 1983, S. 12 f. 23 H.-R. Köneke, Freimaurerlogen. Die letzten Mysterienbünde, Delmenhorst 1998, S. 128.

2. Ritualfähigkeit

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schluss wird auf die Abstufung der einzelnen freimaurerischen Rituale in den einzelnen Graden und auf die Tatsache verwiesen, dass es sich um einen wesentlichen Bestandteil der Freimaurerei handelt, wenn die Angehörigen der früher zu vollziehenden Rituale nicht wissen, was in den späteren Ritualen passiert. Das bedeutet, dass sich in den späteren Ritualen wieder eine neue, eigene Welt auftut. „Letztlich ist das freimaurerische Ritual ein System der Verinnerlichung, der inneren Erneuerung, der Gedankenklärung und Bewusstseinserweiterung.“25 Daraus kann man also – ganz im Sinne der bisherigen Gedankengänge – schließen, dass der künftige Freimaurer fähig sein muss, neben Selbstreflexion und dem Forscherdrang, nicht nur das Unmittelbare in der Welt zu sehen, sondern hinter die Kulissen zu blicken und nach dem „Warum“ zu fragen, aber auch den Anspruch zu haben, nach innen zu gehen, sich zu versenken und an sich zu arbeiten. Schwierig ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage Klaus Horneffers zu deuten, der meint: „Es gibt viele, sehr anziehende, ästhetisch befriedigende Zeremonien, aber all diese würden nichts sein, wenn man nicht sehr gut vorbereitet ist, vor allem innerlich vorbereitet ist, nicht dass man was weiß, sondern dass man eine innere Gestimmtheit hat; ich sage, man kann eigentlich eine Tempelarbeit nicht erleben, wenn man nicht reinen Herzens dort ist.“26 Trotzdem bleibt nun die eingangs gestellte Frage bestehen: Was unterscheidet die von den Freimaurern angestrebte Ritualfähigkeit von dem Anspruch anderer Vereine, was hebt sie aus der Masse anderer „profaner“ Institutionen heraus. „Es muss jemand schon ein reichlich kindliches Gemüt haben, dass man ihm weismachen kann, es bedürfe eines wohlorganisierten Bundes und eindrucksvoller Rituale, nur um dem Einzelnen, noch dazu unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit, eine etwas liberalere Version der zehn Gebote beizubringen.“27 Damit kann vorab gesagt werden, dass im Ritual – vom Anspruch her – mehr geschieht, als nur eine moralische Veränderung oder Besserung im Sinne der freimaurerischen Ideale. Die Frage des Meisters vom Stuhl bei der Aufnahme an den Aufzunehmenden weist darauf hin, dass eben nicht nur die Vervollkommnung des künftigen 24 Ebd., S. 129. Hier wird zitiert: H. Wissmann, Esoterik I, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. X, Berlin 1982, S. 366. 25 H. Reinalter, Die Freimaurer, München 2000, S. 35. 26 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven“. 27 H. Vollkammerer, Das Ritual als Bauplan unseres Lebens, in: Das Unbekannte im Ritual. Versuch einer Darstellung von Instruktionen für Ritual, Symbolik und Logenordnungen in der Großloge AF und AM von Deutschland, hrsg. von W. Scherpe, Braunschweig3 1990, S. 64. Vollkammerer zitiert dabei Martin Erler. Das Buch, aus dem zitiert wird, wird allerdings nicht genannt.

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II. Das Ritual

Maurers im Mittelpunkt des Geschehens stehen soll, sondern darüber hinaus auch, dass sich der künftige Freimaurer „dem Dienst an der Menschheit widmet.“28 Diese Andersartigkeit der freimaurerischen Ritualfähigkeit wird im folgenden Zitat entfaltet. Dabei wird auf die notwendige Veränderung des Menschen im Ritual von der Individualnatur zum Bereich des Transpersonalen gesprochen: „Aus diesem Grunde ist immer nur ein Eingeweihter ritualfähig, das heißt: ein Mensch, dem in mehr oder minder hohem Maße seine eigene Transpersonalität bewusst geworden ist.“29 Damit wird die Ritualfähigkeit verstanden als Möglichkeit, sich auf einen Prozess mit überpersönlichen Elementen einzulassen. „Ebenso wie der Hirte des Hermas und die F.’.M.’. sieht Neumann die Bestimmung des Menschen darin, sich möglichst fugenlos in die Gemeinschaft als Baustein einzufügen.“30 Lindinger sagt aber in diesem Kontext auch, dass immer nur ein Eingeweihter ritualfähig sei. Damit stehen wir hier aber auch quasi vor einem hermeneutischen Zirkel: Der Einzuweihende wird auf seine Ritualfähigkeit geprüft, kann aber nur als ritualfähig bewiesen werden, wenn er bereits aufgenommen bzw. eingeweiht ist. Damit bleibt wieder die Frage offen, wie diese Ritualfähigkeit eines Suchenden sich ausdrückt. b) Ritualfähigkeit in der katholischen Kirche Das Herzstück aller Rituale bildet in der katholischen Kirche das Sakrament. Die Sakramente sind dabei „Zeichen und Mittel, durch die der Glaube ausgedrückt und bestärkt, Gott Verehrung erwiesen und die Heiligung der Menschen bewirkt wird.“31 Das ist zunächst einmal die dürre kirchenrechtliche Formulierung eines komplexen Prozesses, der letztlich die Kommunikation des Menschen mit Gott thematisiert und letztlich auch den 28

Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland, S. 29. H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, hrsg. von der gerechten und vollkommenen St. Johannis-Loge Mozart im Orient Wien, Wien 1999, S. 56. 30 Ebd., S. 56. Wenn im Originalzitat F und M jeweils mit Punkten in Form eines Dreiecks versehen sind, dann konnte das nicht original wegen des Zeichensatzes dargestellt werden. Trotzdem bedeuteten diese Punkte, auch im Anschluss an das Wort Br (für Bruder – und damit Freimaurer) eine besondere Art in manchen freimaurerischen Schriften, das Wort „Bruder“ oder „Freimaurer“ bzw. „Freimaurerei“ besser hervorzuheben. Wegen dieser Art von Darstellung wurden und werden die Freimaurer auch „Dreipunktbrüder“ genannt. Mit Neumann ist der Schüler C. G. Jungs Erich Neumann gemeint. 31 Codex Iuris Canonici, künftig immer nur unter der Abkürzung CIC zitiert, c. 840, lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis, hrsg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Luxemburg, von Lüttich, von Metz und Straßburg, Kevelaer2 1984. 29

2. Ritualfähigkeit

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gesamten Menschen in seiner Existenz umgreift. Was bedeutet also gerade im Zusammenhang mit dem Sakrament für Christen das Wort „Ritualfähigkeit“? Ist sie ebenfalls ein Kriterium, um Christ werden zu können? aa) Kirchenrechtliche Maßgaben Im Unterschied zur Freimaurerei wird eigentlich in der Kirche nicht ausdrücklich von Ritualfähigkeit gesprochen. Es heißt im CIC: „Die geistlichen Amtsträger dürfen die Sakramente denen nicht verweigern, die zur gelegentlichen Zeit darum bitten, in rechter Weise disponiert und rechtlich an ihrem Empfang nicht gehindert sind.“32 Das bedeutet scheinbar einen hohen Ermessensspielraum für die einzelnen Amtsträger. Findet also hier – im Vergleich zur Freimaurerei – nur einer Verschiebung der Verantwortung von der Versammlung der Freimaurer, die über die Neuaufnahme bestimmt, hin zu den Amtsträgern statt? Wenn man nun nach dem Buchstaben dieses Kanons ginge, schiene durchaus eine Vergleichbarkeit, ja Analogie mit der Durchführung der freimaurerischen Aufnahme und der Frage nach der Ritualfähigkeit gegeben. Auch die Aufnahme eines Suchenden spielt sich ja nach einer entsprechenden Zeit der Beobachtung ab, sie spielt sich ab zu einer ganz bestimmten, vorgeschriebenen Zeit, zu der die Loge zusammenkommt, um den Suchenden aufzunehmen und es wird nach der Disponierung gefragt, was etwa nicht nur die Frage bedeutet, ob es sich hier um einen „freien Mann mit gutem Ruf“ handelt, sondern auch die Beurteilung der erwähnten Ritualfähigkeit mit einschließen könnte. Die zitierte „gelegentliche“ Zeit könnte auch mit einschließen, dass ja auch die Überführung in andere Sakramente bzw. Freimaurergrade, z. B. vom Lehrlings- zum Gesellengrad, ihre Zeit und Beurteilung durch die jeweiligen Träger der Verfügungsgewalt braucht. Diese Jurisdiktionsgewalt wird auch in Bezug auf die Formulierung „rechtliche Verhinderung am Empfang“ ausgesprochen. Es kann ja auch in der Freimaurerei einen Ausschluss aus der Loge und damit von den Ritualen vorkommen, obwohl natürlich die Einheitlichkeit der Vorgangsweise – immerhin gibt es sehr viele Lehrarten und verschiedene Spielregeln – in der Freimaurerei nicht so gegeben ist wie in der Weltkirche. Trotzdem gibt es auch bei den Freimaurern die Überzeugung, dass einer, der einmal Freimaurer geworden ist, auch danach ein Leben lang Freimaurer bleibt, auch wenn er aufgrund irgendwelcher Vorkommnisse ausgeschlossen wurde. Eines ist aber hier von vornherein schon in der Terminologie der kirchenrechtlichen Bestimmung zum Sakramentenempfang hervorstechend im Gegensatz zu den Aufnahmevoraussetzungen 32

C. 843 – § 1.

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II. Das Ritual

bei den Freimaurern: Es wird hier nicht von einer selektiven Aufnahme gesprochen, sondern vielmehr davon, dass man niemandem, der die Voraussetzungen erfüllt, die Sakramentenspendung verweigern dürfe. Natürlich schließt das auch eine gewisse Fürsorgepflicht der gesamten Kirche mit ein: „Die Seelsorger und die übrigen Gläubigen haben jeweils gemäß der ihnen eigenen kirchlichen Aufgabe die Pflicht, dafür zu sorgen, dass jene, die Sakramente erbitten, auf ihren Empfang durch die erforderliche Verkündigung und katechetische Unterweisung unter Beachtung der von der zuständigen Autorität erlassenen Normen vorbereitet werden.“33 Der zukünftige Freimaurer hingegen wird zwar bei den Gästeabenden und durch den Bürgen über die Freimaurerei informiert, sodass er die Möglichkeit hat, zu entscheiden, ob dieser Bund für ihn attraktiv erscheint, er wird aber normalerweise nicht über die Rituale, die ihn erwarten, unterrichtet, ja es ist sogar wünschenswert, dass diese Rituale erst beim Vollzug derselben in den einzelnen Graden kennen gelernt werden. Wenn in der Freimaurerei von Ritualfähigkeit und damit auch von einer gewissen Exklusivität gesprochen wird, dann stehen die Kriterien für die Aufnahme in die katholische Kirche in einem krassen Gegensatz zu dieser Exklusivität. So heißt es ja im entsprechenden Kanon: „Fähig zum Empfang der Taufe ist jeder und nur der Mensch, der noch nicht getauft ist.“ Das schließt ja auch ein, dass unmündige Kinder getauft werden können. Allerdings verlangt das Kirchenrecht, dass „die begründete Hoffnung bestehen muss, dass das Kind in der katholischen Religion erzogen wird.“34 Wie schon erwähnt – die Frage der Disposition für die übrigen Sakramente ist jeweils zu klären, denn die Spendung anderer Sakramente ist doch auch an gewisse Bedingungen geknüpft.35 bb) Sakramententheologische Überlegungen zur Ritualfähigkeit Wenn auch erst später die besondere Eigenart des Sakraments gegenüber dem freimaurerischen Ritual genauer geklärt wird, so ist es doch notwendig, einen Blick auf die Ritualfähigkeit im Hinblick auf die Sakramententheologie zu werfen. Wenn wir mit J. Ratzinger überspitzt formulieren: 33

CIC, C. 843 – § 2. CIC, C. 868 – § 1, Abs. 2. 35 Diese Bedingungen werden auch für die Taufe im Laufe dieser Arbeit noch näher erläutert. Im o. a. Kontext wird ja nur auf die Kindertaufe eingegangen. Gerade das Verfahren bei der Erwachsenentaufe kann sehr gut mit dem Auswahlverfahren bei den Freimaurern verglichen werden kann. Auch hier gibt es – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen und Voraussetzungen – eine Beurteilung, ob der Kandidat (Katechumene) geeignet ist oder nicht. 34

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„Was sollen ein paar Tropfen Wasser mit dem Gottesverhältnis des Menschen zu tun haben?“36 So müssen wir uns fragen, was es also für den Menschen braucht, um „sakramentenfähig“ zu werden, denn die Magie des Wassers – um bei dem Beispiel der Taufe zu bleiben – macht das Sakrament sicher nicht aus. Wenn wir die Frage nach der Sakramentenfähigkeit stellen, kommt die Frage nach dem Sakrament insgesamt in den Blick und wie sich dieses vom „normalen“ Ritual abhebt. Dieser Fragenkomplex wird in der Folge thematisiert. Grundsätzlich muss aber vorab gesagt werden, dass ein Sakrament nie einseitig vom Menschen her gedacht werden kann und von seiner „Fähigkeit“ her verstanden werden darf. Das wäre eine Verengung des Sakramentes und damit eine Themenverfehlung. Es muss dabei immer vom Angebot Gottes her gesehen werden und von der Möglichkeit, mit diesem Gott zu kommunizieren. Dabei spielt das Heilshandeln Gottes die erste und entscheidende Rolle. Dieses Heilshandeln ist der Quell der Kommunikation. Und diese Kommunikation ist letztlich nicht nur der Schöpfungsakt oder das Erhalten dieser Schöpfung. Die Schöpfung ist ja nichts, das weit weg vom Menschen ist, sondern es ist der Mensch selber, der gewissermaßen oberstes Ziel dieser Schöpfung ist. Und so hat dieses Heilshandeln mit einem Tun Gottes zu tun, das ausgeht von der ganzheitlichen Annahme des Menschen. Der Mensch ist Ge- und Berufener zu diesem Heil. Im Christentum sprechen wir in diesem Zusammenhang vom „allgemeinen Heilswillen Gottes“. Dabei ist „immer schon der Gott des übernatürlichen Heils und der Gnade am Werk, so dass der Mensch gar nie anfangen kann, etwas zu tun oder auf Gott hin zu gehen, ohne dass er darin schon getragen wäre durch die Gnade Gottes.“37 Das II. Vatikanische Konzil spricht diesen allgemeinen Heilswillen Gottes klar an, wenn gesagt wird: „Der Grund dieser missionarischen Tätigkeit ergibt sich aus dem Plan Gottes, der ‚will, dass alle Menschen heil werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn es ist nur ein Gott und nur ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle hingegeben hat‘ (1 Tim 2,4–6), ‚und in keinem anderen ist Heil‘ (Apg 4,12).“38 Damit ist ganz klar die gesamte Menschheit ohne Ausnahme der Adressat für diesen Ruf Gottes. Damit müssen wir immer vom Menschen sprechen als einen, der jeweils dieses Mensch-Sein repräsentiert. Damit ist auch der geistig oder körperlich Behinderte gemeint, aber auch jeder Sünder. Es ist auch jener ge36

J. Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, München 1982, S. 29. K. Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg i. Br.3 1984, S. 150. 38 Vat. II, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad gentes“ (Art. 7). 37

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meint, von dem wir nicht wissen, wie seine individuelle Geschichte mit Gott und der Welt verläuft, weil wir zwar von der Möglichkeit davon durch sein Mensch-Sein und durch seine Menschenwürde wissen, weil wir aber gleichzeitig nicht ermessen können, ob es im Einzelfall so etwas gibt, wenn wir etwa an einen Menschen denken, dessen Hirnfunktionen sehr eingeschränkt sind. Trotzdem müssen wir den Menschen als Abstraktum sehen, ihn sehen als von Gott Gerufenen. Und damit kommen wir zu einem wesentlichen Unterschied zwischen Sakramentenfähigkeit und der Ritualfähigkeit der Freimaurer. Während der Freimaurer ein exklusiv Gefragter ist, einer, der sehr genau ausgewählt wird aufgrund der Kriterien der Freimaurerei bzw. der einzelnen Logen, ist vom katholischen Glauben her der Mensch als Mensch ein Angesprochener. In diesem Zusammenhang muss noch einmal ein Verweis auf das Kirchenrecht gemacht werden, insofern dieses ja auch in Recht gegossenes Glaubensbewusstsein ist, wenn etwa in Bezug auf die Taufe bestimmt wird: „In Todesgefahr wird ein Kind katholischer, ja sogar nichtkatholischer Eltern auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft.“39 Damit sieht die Gemeinschaft den von Gott geliebten Menschen mit all seinen Entfaltungsmöglichkeiten im Mittelpunkt und nicht den konkreten Menschen, der sich die Rituale – etwa durch die Ritualfähigkeit – erst verdienen müsste. Das ist aber nur ein Aspekt, der andere ist sicher der, dass diese Auffassung, die hier von Seiten des Kirchenrechtes uns vermittelt wird, möglicherweise dem, was über die Glaubens- und Gewissensfreiheit etwa im II. Vatikanischen Konzil gesagt wird, entgegenstehen mag. Die Voraussetzung im Bereich des Spenders ist – so setzt es das kirchliche Lehramt fest – die Vollmacht, die von der Kirche her gegeben ist, um die jeweiligen Sakramente spenden zu können. In diesem Zusammenhang gilt es auf das Prinzip der Kirche „ex opere operato“ (= aufgrund des Werkes, das bewirkt wird) hinzuweisen, wenn es um die eine Seite des Rituals geht, nämlich um eben diesen Sakramentenspender. Natürlich ist dieser – und dies muss im Hinblick auf alles Weitere betont werden – zuallererst Christus, der menschliche Spender ist nur Werkzeug. Im Christentum kann es eben nicht sein – so wie die Waldenser es im Mittelalter propagiert haben – dass das Sakrament nur verstanden wird als abhängig von besonders geistbegabten oder heiligen Spendern. „Wenn der Mensch und seine Frömmigkeit zum Maß der Erlösung des Mitmenschen werden, fragt sich, welche Verantwortung dann ein solcher Mensch für das Heil der Mitmenschen trägt! Mehr noch: Würde der Mensch zum Maß der Erlösung seines Nächsten gemacht werden, dann würde innerhalb einer sakramentalen Begegnung der menschliche Spender zu einem Halbgott werden, der Sakramentenemp39

C. 868 – § 2.

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fänger oft und oft zum Skrupulanten. Denn er wird in Skrupel fallen, ob der Spender nun tatsächlich jene für die Wirksamkeit des Sakramentes notwendige Heiligkeit besitzt.“40 Sofern es sich aber im Vollzug des Sakraments, des Rituals, um einen Spender handelt, dann wirkt dieses Sakrament aus dem richtig gesetzten Vollzug heraus. Das bekräftigt das Konzil von Trient, indem es sagt: „Wer sagt, durch die Sakramente des Neuen Bundes werde die Gnade nicht kraft des vollzogenen Ritus (= ex opere operato) mitgeteilt, sondern zur Erlangung der Gnade reiche der bloße Glaube an die göttliche Verheißung hin, der sei ausgeschlossen.“41 Das gibt die Sicherheit, dass man nicht bangen muss, ob das Ritual (Sakrament) wohl wirkt, ob es wirklich vollzogen wurde. Denn, „wenn die persönliche Integrität des Spenders entscheidende Bedingung für das Zustandekommen eines Sakramentes sein soll, wer weiß dann noch, wo wirklich ein Sakrament vollzogen wird?“42 Damit ist die Entscheidung klar erfolgt: Das Wichtige ist nicht der fromme Mensch, sondern das Heilshandeln Gottes, dass sich im richtig vollzogenen Zeichen manifestiert. Aber das bedeutet nun nicht, dass die Beteiligten überhaupt keine Voraussetzungen hätten: „Der Spender muss auf jeden Fall die Absicht haben, zu tun, was die Kirche tut (faciendi quod facit ecclesia). Der Empfänger muss mindestens die Bereitschaft haben, kein Hindernis entgegenzusetzen.“43 Das bedeutet nun nicht Vergewaltigung des Empfängers. Und es heißt nicht, dass das subjektive Moment eines Menschen zugunsten eines Höheren total ausgeblendet wird. Wir bezeichnen diese subjektive Gegebenheit des Einzelnen als „opus operantis“ (aufgrund des Werkes dessen, der wirkt). In diesem Kontext wird in der katholischen Sakramententheologie von der Würdigkeit gesprochen und diese meint nicht anderes, als „dass der Empfänger des Sakramentes von sich aus alles das wolle und tue und auch sei, was Voraussetzung für die von Christus gewollte Begnadigung und neue Heiligung oder auch Erstheiligung sein muss.“44 Es braucht also auch auf der Seite des Empfängers den Willen, das Sakrament annehmen und empfangen zu wollen, es braucht dieses Zusammenwirken beider, des Spenders und des Empfängers. Damit haben wir auf der Seite von „opus operantis“ die Frage nach der Fruchtbarkeit eines Sakramentes. „Damit das Sakrament 40 L. Lies, Sakramententheologie. Eine personale Sicht, Graz/Wien/Köln 1990, S. 29. 41 Neuner/Roos 513; Denzinger/Schönmetzer 1608. 42 T. Schneider, Zeichen der Nähe Gottes. Grundriss der Sakramententheologie, Mainz 1979, S. 64. 43 Ebd., S. 65. 44 D. Feuling, Katholische Glaubenslehre. Einführung in das theologische Leben für weitere Kreise, Salzburg4 1951, S. 706.

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seine Wirkungen spenden kann, muss im Empfänger eine positive innere Absicht vorhanden sein. Das ist eine conditio sine qua non, ohne die das Sakrament nicht fruchtbringend empfangen wird.“45 Damit ist zu betonen: Es handelt sich beim Vollzug des Sakramentes keineswegs nur um ein Ding oder um ein bloßes Ritual, sondern vielmehr um einen menschlichen Akt, der ausschließlich auf der Ebene der Vernunft und des Willens vor sich gehen kann. Aber auch hier müssen wir noch einmal das Motiv aufnehmen, das schon betrachtet wurde, um den Unterschied zur exklusiven Auswahl von ritualfähigen Menschen im Bereich der Freimaurerei zu markieren. Für die Christen gilt: „Wer aber nicht den Vernunftgebrauch besitzt und nicht frei handeln kann, kann die Sakramente doch fruchtbringend empfangen, insofern sie ein Geschenk Gottes sind, und die Kirche will solche, die sie nicht aus eigenem Entschluss empfangen können, ihrer nicht berauben. In diesem Fall erneuert die feiernde Gemeinde ihren eigenen Glauben und ihre innere Bereitschaft und verpflichtet sich, die Betreffenden so weit als möglich zu einer persönlichen Beteiligung zu führen.“46 Damit springt die gesamte Kirche in ihrer Verantwortung gegenüber den Hilflosen und Schwachen ein, sie dient gewissermaßen als Medium, um dem Menschen Hilfestellung zur Fruchtbarkeit der Sakramente zu geben. Kirche ist in diesem Falle nicht nur die örtlich begrenzte, sondern auch die örtlich unbegrenzte und überzeitliche Institution als Leib Christi, als Gemeinschaft der Heiligen. Und diese Gemeinschaft ist immer an Jesus Christus und damit an die Frage nach dem Heil gebunden. Natürlich hat auch im Ritual der Freimaurer die Gemeinschaft ihre Wichtigkeit, indem etwa das Ritualerlebnis von dieser Gemeinschaft getragen wird, indem ein jeder seinen spezifischen Platz hat. Um diese Gemeinschaft zu bekräftigen, wird etwa der Lehrling bei seiner Aufnahme in die Bruderkette mit eingeschlossen. Dazu heißt es von Seiten des Meisters vom Stuhl: „Meine Brüder, wir vollenden das Lehrlingszeichen und schließen die Kette.“ (Erklärung: Die beiden Aufseher schließen den neuen Bruder in die Kette ein – Anmerkung des Verfassers)47 Diese Kette – das ist das im Kreis einander bei den Händen Halten – ist ein Symbol für die Freundschaft der Freimaurererbrüder, die dem Einzelnen helfen soll, an sich selber zu arbeiten und weiterzukommen in der Absicht, am Tempel der Humanität zu arbeiten. Aber es ist hier also nicht dieselbe Unterstützung zu sehen wie durch die Kirche im Sakra45 B. Testa, Die Sakramente der Kirche. Amateca Lehrbücher zur katholischen Theologie, Bd. IX, Paderborn 1997, S. 64. 46 B. Testa, Die Sakramente der Kirche, S. 64. 47 Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland. Handschrift für Brr. Freimaurer, Hamburg5 1974, S. 40.

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ment: Denn auch wenn die Gemeinschaft in der Bruderkette funktionieren mag, wenn auch die Möglichkeit gegeben ist, dass man national und international durch die Freimaurerei Unterstützung erfährt, so bedeutet Kirche doch den lebendigen Leib Christi, der auch den Bezug hat zu den Heiligen, die nicht nur als bloßes Vorbild wirken, sondern in dieser Gemeinschaft gemeinsam mit Christus bleiben, gemeinsam mit all den anderen Menschen, denen diese zugesagt ist. Der Austausch der Liebe, der in der Kirche und damit auch im Sakrament wirkt, ist nicht nur irgendein „Background“, auf den sich der Einzelne letztlich verlassen kann, sondern macht die Weite des Sakramentes aus. Allerdings verhält sich das Ganze völlig anders, wenn diese Bruderkette und das Vorstoßen des Freimaurers beim Aufbau des Tempels der Humanität in der eigenen Person in einen mystischen Bereich erfolgt, in den Bereich des Numinosen. Wenn ein solcher Vorstoß möglich, ja durch das freimaurerische Ritual ermöglicht wird – wie das durch die folgenden Untersuchungen nahegelegt wird –, dann scheint diese Unterscheidung gegenstandlos, weil dann haben wir es mit zwei Arten von religiösen Systemen zu tun. Denn, wie es der ehemals hochrangige und jetzt ausgetretene deutsche Freimaurer Burkhardt Gorissen formuliert: „Der christlichen Wahrheit, dass in Christus Gott Mensch geworden ist, setzt die Freimaurerei die irdische Gewissheit entgegen, dass in der neuen Weltordnung der Mensch Gott ist.“48 Nach katholischem Sakramentenverständnis wird also das Eingangssakrament der Taufe ohne exklusive Forderungen gewährt. In diesem Zusammenhang hat aber auch eine Entwicklung stattgefunden: Immerhin hat es in der Frühzeit des Christentums, also zu Zeiten, in denen das Katechumenat das Normale war, weil es die Kindertaufe nicht oder nur in Ausnahmefällen gab, sehr wohl eine Form des Hineinwachsens in das Sakrament und in die Kirche als Zeit der Bewährung gegeben. Freimaurerei lebt ganz und gar von dieser Initiation, nicht nur bei der Aufnahme, sondern auch bei der Erhebung in die weiteren Grade. Vor diesem Aufnahmeritual scheint die persönliche Disposition sehr wichtig. Die Erhebung in die anderen Grade benötigt auch eine gewisse Disposition, wenigstens theoretisch, nur darüber wird geschwiegen. Auf eine diesbezügliche Frage des Autors an die Großloge von Österreich wurde diesem mitgeteilt: „Bedauerlicherweise sehe ich aus Gründen der Verschwiegenheit keine Möglichkeit, Sie über die von Ihnen erfragten Wissensinhalte in Kenntnis zu setzen.“49 Nach dem Abschluss meiner Dissertation konnte ich den Großmeister der österreichischen Großloge, Nikolaus Schwärzler (siehe 48

B. Gorissen, Ich war Freimaurer, Augsburg 2009, S. 43. Brief der Großloge von Österreich der Alten, Freien und Angenommenen Maurer vom 10. April 2007, unterzeichnet von G. Ratzenberger, Großsekretär. 49

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Interview im Anhang) kennenlernen, der auf die diesbezügliche Frage im persönlichen Gespräch Folgendes erläuterte: „Diese Frage ist relativ leicht zu beantworten. Wenn man im Laufe vieler Wochen den Bruder regelmäßig bei den Abenden und bei Zeichnungen, (das sind die Vorträge über freimaurerische Themen im Rahmen der Logenarbeit) erlebt, dann ist es relativ einfach, sich ein klares Urteil darüber zu bilden, wann jemand reif für den nächsten Grad ist.“50 Eine Antwort, wie diese Disposition bzw. Würdigkeit der Freimaurer gehandhabt wird, wenn es um die Erhebung in den nächsthöheren Grad geht, wird bei Hodapp gegeben. Allerdings kann man in diesem Zusammenhang auch auf den freimaurerischen Weg Friedrichs des Großen, des Königs von Preußen, verweisen, der in einer Nacht nach seiner Aufnahme die verschiedenen Grade der Johannismaurerei, also den des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters durchlaufen hat. Durch diese Erhebung im Schnellverfahren wird das Prinzip der Bewährung im entsprechenden Grad für eine gewisse Zeitdauer in Frage gestellt. Allerdings gelten wahrscheinlich auch in der Freimaurerei andere Kriterien, wenn es um Könige geht. Trotzdem, Hodapp sagt dazu: „Ein Mitglied muss sich in seinem Grad bewähren, bevor er (sic – Anmerkung des Verfassers) den nächsten Grad erreichen kann. Diese Bewährung besteht in der Regel darin, dass man sich Wissen über die Symbole und das Brauchtum des jeweiligen Grades aneignet. Manche Logen verlangen auch einen ausgearbeiteten Vortrag zu einem Thema, mit dem nachgewiesen wird, dass sich der Bewerber mit der Geschichte der Bruderschaft auseinandergesetzt hat.“51 Bei den Katholiken hört man hie und da auch den Vorwurf, dass es sich hierbei für den einzelnen Gläubigen um ein „Sakramentales System“ oder um einen „Sakramentalismus“ handelt. „Der Mensch werde durch ‚dies System‘ dazu erzogen, die eigene Gewissensverantwortung und das sittliche Wollen und Tun bequem von sich zu werfen, sich der Anstrengung eigener sittlicher Erhebung zu entziehen, sein Heil von einem bloßen Mechanismus der Sakramente lässig zu erwarten.“52 Das ist gewissermaßen die Kehrseite von ex opere operato. Trotzdem wird immer wieder innerhalb der Kirche zu Recht darauf hingewiesen, dass das sakramentale Leben nicht einer Tankstelle gleicht, bei der man immer nur einseitig nimmt. Auch die ängstliche Frage nach Fruchtbarkeit und Würdigkeit bringen letztlich im christlichen Verständnis des Sakramentes nur einen Teilaspekt ins Bild. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, dass der Begriff „Instrument“ für das Sakrament ebenfalls nicht passend ist. Man wollte mit diesem 50 51 52

Gespräch am 15. März 2010. C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, Weinheim1 2006, S. 32. D. Feuling, Katholische Glaubenslehre, S. 708.

3. Die Bedeutung des Rituals

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Begriff die Vorstellung betonen, dass ja das Heilshandeln nur von Gott kommt und dass die Sakramente wie Instrumente geführt werden. Dabei ist wichtig, den Begegnungscharakter in der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen zu sehen. 3. Die Bedeutung des Rituals Wir haben schon davon gesprochen, dass Rituale unseren Alltag, aber auch die Gemeinschaft strukturieren und so direkt oder indirekt wichtige Bereiche unseres Lebens umfassen. Damit markieren sie Leitlinien. Angesichts unserer Themenstellung wird nun zu fragen sein, wie bedeutsam die Rituale für die Freimaurerei sind und wie die Sakramente in der katholischen Kirche gesehen werden. a) Die Bedeutung des Rituals in der Freimaurerei Welche Bedeutung wird nun dem freimaurerischen Ritual zugemessen? „Im Ritual sind uralte Weisheiten auf kürzestem Raum zusammengefasst und erhalten worden. Die Urform ist den alten Mysterienbünden eigen. Sie setzt sich zusammen aus dem Wort (einem Wechselgespräch), dem Kulttanz (rudimentär sind Schritte, Körperhaltungen, Zeichen erhalten) und der Musik. Wort, Tanz und Musik sollten zu einer höheren Seinsebene führen und die Begegnung mit dem Numinosen (Göttlichen) herstellen.“53 Was ist nun dieses Göttliche, das hier angestrebt wird, das aber gleichzeitig numinos und scheinbar nicht fassbar bleibt? Die Tatsache, dass vom Allmächtigen Baumeister Aller Welten gesprochen wird und in den Ritualen teilweise religiös anmutende Texte bestehen, die anscheinend fast Gebetscharakter haben, verschärft die Frage nach der Religiosität der Rituale der Freimaurerei. Nicht umsonst sprechen manche Freimaurer vom Ritual sogar als „Bauplan unseres Lebens“, denn „die Einmaligkeit der Maurerei liegt in ihrem Wesen. Die Maurerei ist eine Bruderschaft, die uraltes Wissen der Menschheit um die Geheimnisse des Lebens bewahrt. Sinn und Bedeutung ihrer Symbolik geht weit über eine nur ethisch-moralische Ausdeutung hinaus.“54 Der Freimaurer Holtorf stellt diese Vernetzung der Lehren und Erkenntnisse der Freimaurerei mit dem rituellen Geschehen dar und versteht das Ritual von den Lehren her, aber dieses ist anscheinend eben nicht nur von 53 W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual. Versuch einer Darstellung von Instruktionen für Ritual, Symbolik und Logenordnungen in der Großloge AF und AM von Deutschland, Braunschweig3 1990, S. 73. 54 H. Vollkammer, Das Ritual als Bauplan unseres Lebens, in: W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual, S. 64.

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II. Das Ritual

den Lehren abhängig: „Der in der Loge aufgenommene Bruder lernt, dass sich die Lehren und Erkenntnisse des Bundes primär in Symbolen und rituellen Handlungsabläufen darstellen und dass er nun seinerseits durch eigenes Begreifen und eigenes Nachdenken die Nutzanwendung der Lehren und Erkenntnisse üben muss. In letzter Konsequenz wird er sich selbst dann – in der Sprache der Maurer – als ‚Werkzeug des Höchsten‘ begreifen.“55 Dass der Höchste hier unter Anführungszeichen gesetzt ist, ist nicht ganz zufällig, sondern entspricht natürlich der Weite, die die freimaurerische Ideologie, gerade wenn es um den Allmächtigen Baumeister Aller Welten oder um die Verehrung eines Höchsten Wesens geht, offenlässt. Dies wurde ja schon im Zusammenhang mit den „Standards der Freimaurerei“ ausführlich entwickelt. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass gerade oft in Büchern, die sich an außenstehende Laien richten, die Freimaurerei einfach – oder sollte man sagen vereinfachend? – als eine Art „Persönlichkeitstraining“ dargestellt wird: „Auch in der Freimaurerei geht es um Bewusstseinsveränderung, um ein ‚besserer‘ Mensch zu werden. Frei nach der Aufforderung eines prominenten Weisen aus dem Morgenland: ‚Metanoie‘ – Ändere deinen Sinn! Das fordert Johannes der Täufer, Schutzpatron der Freimaurerlogen, laut biblischer Überlieferung. ‚Change your mind‘ und ‚Selbstoptimierung‘ würden es heute wohl Persönlichkeitstrainer sagen.“56 Fragt sich nun, warum die Geheimhaltung der Rituale so wichtig für die Freimaurerei ist und warum Verräterschriften immer wieder gebrandmarkt werden. „Wer nichts Mystisches in der Freimaurerei findet, muss ein Gegner jeglicher Geheimhaltung und ebenso ein Gegner der Symbolik sein. Demnach hätte also die Freimaurerei wirkliche Geheimnisse? Ja; sie zu leugnen wäre der Tod des Bundes . . . Nein, dort wo die Lehre aufhört, Lehre zu sein und Erlebnis wird, wo das Wort zum Bilde, der Gedanke zum Symbol wird, fängt das Geheimnis an.“57 August Horneffer legt hier also klar, dass seiner Ansicht nach eben nichts, was kognitiv zu erfassen wäre, dieses Geheimnis bedeutet, sondern dieses Geheimnis auf einer anderen Ebene stattfindet. Nun stellt sich dann allerdings auch die Frage, ob es angemessen ist, von solch einem Geschehen als „Geheimnis“ zu sprechen. Auch Hans Biedermann, ein intimer Kenner der Freimaurerei, obwohl selber nicht Mitglied, schließt sich diesem Befund an, indem er feststellt: „Diese (die Erlebnisdimension – Anmerkung des Verfassers) stellt das einzige echte ‚Geheimnis‘ des Bundes dar und soll programmgemäß vor der Profanierung durch Verächter und Gegner beschützt werden, obwohl sie ohnedies nicht in Worten ausgedrückt werden 55 J. Holtorf, Die Logen der Freimaurer. Einfluss – Macht – Verschwiegenheit, Hamburg (keine Angabe der Jahreszahl), S. 24. 56 P. Militz, Freimaurer in 60 Minuten, München/Wien3 2010, S. 8. 57 A. Horneffer, Symbolik der Mysterienbünde, Heidelberg 1924, S. 14 f.

3. Die Bedeutung des Rituals

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kann.“58 Mit Recht weist Biedermann darauf hin, dass ja in vielen Bereichen die äußere Form in Worte gefasst wird, dass aber letztlich die eigentliche Tiefe nicht in Worte gekleidet werden kann, dass also die Erlebnisdimension – etwa in der Feier der Eucharistie – noch einmal etwas anderes ist als die Summe der Handlungen und der Worte. Warum, so stellt sich die Frage, werden angesichts von vielen Verräterschriften, in denen Rituale publiziert wurden, diese nicht geändert? Biedermann sieht deshalb vor allem in der Geheimhaltung des Rituals „ein Zugeständnis der Tatsache, dass der Bund seinerseits auch quasireligiöse Züge trägt und damit, was auch Horneffer nicht leugnet, als Erbe der alten Mysterienbünde zu gelten hat.“59 Auch Jan Lewke, ein Freimaurer, muss eingestehen: „Es passt mir zwar nicht, aber sie (die freimaurerischen Rituale – Anmerkung des Verfassers) sind doch wohl religiös im Sinne der damaligen Zeit, und das heißt, sie sind christlich. Ich meine nämlich, dass das Tempelerlebnis auf Sinnzusammenhängen und Wertigkeiten basiert, wie die damalige Zeit sie vom Christentum her kannte.“60 Damit stellt er dar, dass gewissermaßen als Gegengewicht zu den aufklärerischen Tendenzen mit all der Vernunft, es trotzdem einen Rückgriff auf die Frömmigkeit im freimaurerischen Ritual gegeben hat. Wenn aber das Ritual das Herzstück der gesamten Freimaurerei bedeutet, wenn sich dort der größte Teil der freimaurerischen Arbeit vollzieht und sich die Freimaurerei genau aus diesem Zentrum heraus definiert, dann wird man sich sehr schwer tun, im Zusammenhang mit der Freimaurerei von einem nichtreligiösen System zu sprechen. Klaus Horneffer dazu: „Es (das Ritual – Anmerkung des Verfassers) wäre gar nicht zu erklären, wenn man dieses Religiöse an der Vereinigung in Abrede stellen würde. Es würde gar nicht zu erklären sein, warum diese Vereinigung so streng an ihren überkommenen Ritualen festhält. Die Rituale sind es überhaupt, das ist der Kern der Freimaurerei, die ihre Lebensfähigkeit, ihren Zusammenhalt, die Begeisterungsfähigkeit, die Begeisterung ihrer Mitglieder ausmachen. Das ist einer der wesentlichen Gründe, warum ich sage, das ist eine religiöse Erscheinung, keine Religion.“61 Damit also einmal mehr eine strikte Abgrenzung zum Konfessionalismus, aber auch trotzdem die Betonung dessen, was die Zielrichtung des Rituals ausmacht, wenn Horneffer im Folgenden erklärt: „Praktisch am Tage meiner Aufnahme hat ein älterer Freimaurer mir gesagt: Ich bin ein gläubiger protestantischer Christ, aber ich finde, in der Freimaurerei, da lerne ich praktisch. 58 H. Biedermann, Das verlorene Meisterwort. Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums, Wien/Köln/Weimar3 1999, S. 9. 59 H. Biedermann, Das verlorene Meisterwort. 60 Ebd., S. 5. 61 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven“.

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II. Das Ritual

Die Kirche sagt mir das nicht, wie ich das praktisch umsetzen soll. Aber bei den Brüdern lerne ich das.“62 Über die Bedeutung des Rituals konnten sich auch Vertreter der Evangelischen Kirche Deutschlands in der Diskussion mit Freimaurern nicht einigen. In der Zusammenfassung der Problematik wird über die Gesprächsteilnehmer der evangelischen Kirche Folgendes berichtet: „Dabei bewegte sie die Frage, ob das Ritualerlebnis und die Arbeit des Maurers nicht die Rechtfertigung aus Gnaden in ihrer Bedeutung für den evangelischen Christen mindern könnte.“63 Wenn auch im Laufe der Geschichte die evangelische Kirche kaum im Widerspruch mit der Freimaurerei gestanden ist, so gab es doch auch von einzelnen Exponenten der Evangelischen Kirche solche Abgrenzungsversuche. So hat etwa ab 1853 in Preußen der evangelische Theologieprofessor Hengstberg und der Magdeburger Superintendent Möller gegen die Freimaurerei gearbeitet; diese Angriffe konnten erst durch das Eingreifen des preußischen Kronprinzen gestoppt werden.64 Allerdings diagnostizierten die Verfasser der Schlusserklärung zu diesen Gesprächen insgesamt Folgendes: „Ein genereller Einwand gegen eine Mitgliedschaft evangelischer Christen in der Freimaurerei kann nach Meinung der evangelischen Gesprächsteilnehmer nicht erhoben werden.“65 Aber immerhin haben evangelische Christen in ihrer Erklärung eine gewisse Sorge zum Ausdruck gebracht, dass unter Umständen die freimaurerischen Rituale doch mit einer Art Automatik die Selbsterlösung des Menschen produzieren oder zumindest das in diese Richtung verstanden werden kann? „Heutige Anfragen aus evangelischer Sicht beziehen sich vor dem Hintergrund der Rechtfertigungslehre ‚allein aus dem Glauben‘ auf den Stellenwert des Ritualerlebnisses beim Einzelnen und auf die Selbstpositionierung der Freimaurerei zwischen Säkularität und Männerspiritualität.“66 Auf der Seite der Freimaurerei kann man beide Aspekte beobachten, nämlich einerseits das Ritual und dessen Vollzug, auf der anderen Seite aber die (erhoffte bzw. zugesagte) Wirkung des Rituals für die Zukunft und damit für die zukünftige Entwicklung des einzelnen Freimaurers, an dem das Ritual vollzogen wird. In diesem Zusammenhang darf an die Lehre Huldrich Zwinglis erinnert werden, der von den Sakramenten spricht, als würden sie nicht die Gnade Gottes beinhalten, sondern als wären sie nur „Tätigkeit“ 62

Ebd. Information Nr. 58 der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 58/74, S. 19. 64 http://friedrich-ludwig-schroeder.de/OrganisierteKirchen.html, eingesehen am 6. Dezember 2008. 65 M. Pöhlmann, Verschwiegene Männer, Berlin 2006, S. 187. 66 M. Pöhlmann, Freimaurer. Wissen, was stimmt, Freiburg/Basel/Wien2 2010, S. 108. 63

3. Die Bedeutung des Rituals

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der Gemeinde, indem sie diese repräsentierten und damit den Glauben derselben. Die Beschränkung auf die jeweilige freimaurerische Loge und auf den Einzelnen, der den erhofften Prozess im Sinne einer Selbsterziehung in Richtung der freimaurerischen Ethik mitmacht, sind hier durchaus Parallelen zur Prädestinationslehre Zwinglis. Allerdings gibt es dabei noch die weltweite Bruderkette, die irgendwie im freimaurerischen Leben betont wird, die aber mehr die Möglichkeit bedeutet, dass man mit Hilfe der Ethik und des gemeinsamen Wollens verbunden ist und auch die Möglichkeit hat, in anderen Logen auf der Welt „die gemeinsame Sprache“ des Rituals und der Symbole zu sprechen. Noch einmal: Was ist der Gegenstand des Rituals? Ein anonymer Freimaurer sagt dazu in einem 1961 erschienen Buch mit dem Titel „Les authentiques ‚Fils de la Lumière‘ “: „Unsere Rituale entsprechen keiner Dogmatik, nein, sie deuten vielmehr auf etwas anderes hin, und dieses andere muss Bein von eurem Bein und Fleisch von eurem Fleisch werden. Die Initiation und die Analogie sind, viel mehr als der Verstand und die Logik, die Mittel, mit denen wir uns diesem anderen nähern können. Unsere Texte und unsere Zeremonien sind der Weg und das Leben, die auf asymptotische Weise, d.h. immer nur annähernd, zur Wahrheit führen.“67 b) Die Bedeutung des Rituals/Sakramentes in der katholischen Kirche Ein Mensch, der ein Bild von einem lieben Verstorbenen zeigt und dann sagt: „Schau, ich habe ihn auf diese Weise immer dabei!“, will damit zeigen, dass er an ihn denkt, dass er mit ihm lebt, dass dieses Bild irgendwie diesen Menschen repräsentiert. Für Gott ist das Ganze unangemessen, auch wenn wir manchmal das Gefühl haben, dass auch Menschen, indem sie Bilder von Gott oder irgendwelche für sie privat heilige Gegenstände mit sich führen, meinen, sie hätten Gott bei sich. Beim Sakrament gilt diese Freiwilligkeit des Beieinander-Seins von beiden Seiten. Ein Sakrament ist also keine Zwangsehe, in die man den absoluten, ewigen Gott wie das heilige Kalb behandelt, indem man ihn für sich verfügbar macht und dabeihat. Das wäre die Vorstellung des Automatengottes, der gefälligst zu spuren hat, wenn ich meine Leistungen erbringe. Auch dieser „Leistungsgedanke“ geht ins Leere. In Einheit mit der Theologie Martin Luthers bzw. eigentlich schon der des Römerbriefes, also der Paulinischen Theologie, muss man – unter Umständen – aufkeimende Versuchungen in diese Richtung von sich weisen. Denn Gottes Handeln ist das Angebot, das ich im Glauben annehmen darf, aber ein Angebot, das nicht unfrei macht, sondern befreit. 67

Zitiert nach: M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 139.

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II. Das Ritual

„Sakramente sind weder der Käfig, in dem Gott den Menschen fängt, noch der Käfig, in dem der Mensch Gott fängt.“68 Gegen ein sehr eindimensionales und dem Sakrament kaum gerecht werdenden Sprechen von der Tankstelle, das wir früher schon angezogen haben, ist zu betonen, dass ja auch der Verheißungscharakter des Sakramentes eine wesentliche Rolle spielt. Damit soll nichts gegen die Eigenwirksamkeit eines Sakramentes gesagt werden, denn natürlich wirkt dieses hier und jetzt. Trotzdem ist von Bedeutung, dass die Sakramente „auch für die persönliche Geschichte des Sakramentenempfängers und seine Zukunft etwas aussagen, verkünden und wirksam verheißen.“69 Somit hat das Sakrament immer mehrere Dimensionen und im Laufe der Geschichte wurden sakramententheologisch auch immer wieder andere Aspekte betont. Wir versuchen, besonders diese personale Betrachtung der Sakramente in den Blick zu nehmen, wobei klar ist, dass ich in der Behandlung der Sakramentenfrage immer auswählen muss, bei der Akzentsetzungen und persönliche Gewichtungen notwendig sind. aa) Das Sakrament als Anfangspunkt von dialogischer Geschichte und Entfaltung Um den Faden der personalen Betrachtung des sakramentalen Geschehens weiterzuspinnen: Ich selber bin in diesem Sakrament mit enthalten. Ich kann nicht so tun, als ob ich als Mensch nur die Verheißung bzw. das Angebot Gottes annehmen müsste und dann bleibt alles beim Alten. Seine ganze Lebensgeschichte und Persönlichkeit bringt der Mensch im Sakrament ein, in diese Begegnung zwischen Mensch und Gott. Und damit ist dieser Begegnungsraum nicht etwas Statisches, bei dem alles gleich bleibt. Im Gegenteil, eine Begegnung, die stattfindet, schafft neue Räume, schafft neue Dimensionen, bedeutet einen lebendigen Austausch und schafft Leben. Das Sakrament ist also Grundlage für eine lebendige Entfaltung des Menschen im Angesicht Gottes. Aber nicht nur im Angesicht Gottes: Ganz wesentlich ist dieses Dialogische, das immer gleichzeitig vonstattengeht. Ich kann also nichts tun, ohne dass nicht auch dieses „Aufeinander-antworten“ da wäre, wenn ich vom Angesicht Gottes, vor dem ich stehe, spreche. Eben weil mich dieser Gott liebt und mir seine Liebe zusagt, auch und vor allem im sinnenfälligen Zeichen des Sakramentes, kann ich mich entfalten. Die Verheißung Gottes im Sakrament ist letztlich seine Zusage, die sich erst im Laufe des Lebens in seiner Tiefen- und Höhendimension voll entfaltet. Das Sakrament schafft also Raum für die Begegnung mit Gott, der in diesem partnerschaftlichen Dialog mit dem Menschen Heil schafft und damit 68 69

L. Lies, Sakramententheologie, S. 33. L. Lies, Sakramententheologie, S. 33.

3. Die Bedeutung des Rituals

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die Gnade gibt für das, was im „Hier und Jetzt“ begonnen wurde. Das Sakrament ist, so gesehen, nicht nur etwas, das im Augenblick wirksam ist, sondern es begleitet letztlich auch – wenn wir beispielsweise nur an die Ehe denken – eine Entwicklung. Gerade in der Ehe ist und war lange Zeit im Kirchenrecht die Rede vom Tatbestand: „Nupta rata, sed non consumata.“ Das heißt, man sah zwar das Sakrament der Ehe in dem sakramentalen Akt des Ja als geschlossen, aber wenn der Geschlechtsakt nicht vollzogen wurde, dann konnte die Ehe aufgelöst werden. Damit schwingt die Vorstellung mit, dass alles nur an einem Akt selber hängt, dass irgendwie die Dimension der Entwicklung fehlt. Heute ist man in Bezug auf das Sakrament geneigt, beide Seiten, die Seite des Aktes und der Wirksamkeit in actu, also auch die Wirksamkeit des Aktes als Beginn eine zukünftige Entwicklung zu sehen, was bedeutet, dass beide Aspekte nicht gegeneinander ausgespielt werden können und dürfen. Wenn Sakrament Kommunikation in Wort und Tat ist, dann spielt sich diese Kommunikation nicht nur auf einer Ebene ab. Dann wirkt sie weiter: Wenn wir nämlich einem Menschen begegnen, dann ist diese Begegnung auch keine punktuelle. Dann brennt sich diese Begegnung irgendwie in unserem Sein ein, dann sind wir u. U. nicht mehr dieselben, die wir vorher waren. Umso mehr ist dieser Prozess auch in der Begegnung mit Gott in einem Sakrament zu sehen, da nicht nur die Erinnerung irgendwie wirkt, sondern ich als Mensch und Gerufener dieser Begegnung innewerde. Dabei stellt sich aber auch die Frage nach der Qualität und Intensität dieses Innewerdens. Denn in diesem Dialog gibt es nur Freiwilligkeit. Es stellt sich dabei immer die Frage, wie weit ich mich auf den anderen, also vornehmlich Gott, einlasse. Jetzt bleibt natürlich auch die Frage nach der Möglichkeit dieses Vollzuges der Begegnung zu stellen. Inwiefern ist diese Begegnung menschengemäß, inwiefern ist sie ausgerichtet auf die Kommunikationsstruktur des Menschen? Der Mensch ist insgesamt ausgerichtet auf ein Du, auf Begegnung. Diese Ausrichtung auf Kommunikation gehört zum innersten Wesenskern des Menschen und entspricht der Tatsache, von der wir biblisch sprechen, wenn wir den Menschen als Ebenbild Gottes klassifizieren. Deswegen kann Gott uns nahe sein, deshalb erfolgt auf der Ebene dieser Begegnung auch die Offenbarung Gottes an den Menschen. Und letztlich ist es diese Ebene der Zeichen, auf die wir angewiesen sind, weil sie verwendet werden als gemeinsame Sprache. Ohne genauer auf die trinitarische Seins- und Handlungsstruktur einzugehen, muss doch ein zentraler Punkt des Glaubens betont werden, „dass es das kommunikative Wesen Gottes ist, das das ganze ‚Funktionieren‘ der Sakramentenökonomie begründet und auch stetig in Gang hält.“70 Gott ist in diesem System der Kommunikation A. Ganoczy, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt2 1984, S. 134. 70

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II. Das Ritual

aber nicht einer, der gewissermaßen zwanghaft sendet und der Mensch wird auch nicht zum bloßen Empfänger degradiert: Gerade weil er nicht Befehlsempfänger ist, sondern freier Dialogpartner, bietet Gott sich im Sakrament diesem als „dialog-, bündnis- und kooperationsbereit an.“71 Das ist ein tiefes Ernstnehmen der Freiheit beider Seiten in diesem dialogischen Prozess. „In der Taufe konkretisiert sich dieses Selbstangebot Gottes dadurch, dass Christus die ‚Empfänger‘ zum ‚Mitsterben‘ ‚Mitauferstehen‘ und ‚Mitherrschen‘ mit ihm aufruft.“72 Das bedeutet aber auch, dass wir als Menschen in gleicher Weise diesem Ruf folgen können, da Christus ja auch diesen unseren menschlichen Weg mitgegangen ist. Auch beim Sakrament der Eucharistie, beim Herrenmahl, lässt sich diese Kommunikationsstruktur zwischen Gott und Mensch erschließen: „In der Eucharistie so, dass Christus, der ‚Sender‘, sich selbst zum Medium macht: sein Leib und sein Blut, d.h. seine hingebende Person, bieten sich als Nahrung der ekklesialen Einheit und Brüderlichkeit an.“73 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, darauf hinzuweisen, dass die kommunikationstheoretische Behandlung des Sakramentes aber nicht als hinreichende Erklärung gelten kann und darf: Würde man sich mit einer Erklärung als Ganzes zufrieden geben, die schließlich wieder verabsolutiert wird, dann wäre das dem Geheimnis Gott unangemessen, weil dadurch suggeriert würde, man könne dieses Mysterium gewissermaßen von „unten“ rekonstruieren und erklären. Die Begegnung zwischen Gott und Mensch ist nie ganz erklär- und einholbar. Trotzdem muss eines klar betont werden: Es ist keinesfalls so, dass die Liturgie und die Sakramente nur Gott gegenwärtig machen. „Vielmehr werden wir (auch) in der Liturgie und mit ihrer Hilfe Gott dem Vater gegenwärtig gemacht, vor sein Angesicht gebracht: durch seinen Sohn Jesus im Heiligen Geist. Der göttliche Geist als das Jesus und den Glaubenden Gemeinsame ist in der Liturgie das Medium der Gegenwart Jesu, seiner Person und seines ganzen Lebensschicksals.“74 bb) Die christologische Dimension Sakramente können nur verstanden werden, wenn sie im Zusammenhang mit dem Christusgeschehen betrachtet werden. „Damit die Liturgie der wirksamen Gnadenzeichen nicht auf die öde Eindimensionalität falsch verstandener gruppendynamischer Übungen herabsinkt, wird sie nur in dem Bewusstsein angemessen gefeiert, dass die jeweils konkret vollzogene und 71 72 73 74

A. A. A. H.

Ganoczy, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, S. 135. Ganoczy, S. 135. Ganoczy, S. 135. Vorgrimler, Sakramententheologie, Düsseldorf1 1987, S. 39.

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empirisch fassbare Austauschdynamik kraft des Glaubens auf der tragenden Wirklichkeit des ewig aktuellen Jesus Christus beruht.“75 Nur durch die Inkarnation Gottes in Christus kann also dieses sakramentale Geschehen überhaupt eine tragende Rolle spielen. Der auf die Erde zu uns Menschen herabgekommene Sohn Gottes, der Christus, ist also dieses Zeichen der absoluten Kommunikation, er ist Garant für diesen Willen zur Kommunikation durch Gott. Dieses sichtbare Zeichen, in der Person Jesu Christi, ist gleichzeitig auch Begründung für die Sakramentalität, für die Möglichkeit im Zeichen das anzuzeigen, was es bewirkt. „Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist katabatisches (absteigendes) Segensgeschehen, indem der himmlische Vater die Menschen durch die Sendung des Sohnes Gottes ins Fleisch segnet. Der Sohn verbindet sich mit allen Menschen und gibt dadurch allen Menschen in sich im Himmel anabatisch (aufsteigend) Lebensraum und Stimme. . . . In beiden Bewegungen, der katabatischen und der anabatischen, vollzieht sich perichoretische Einheit von Personen, eine Einheit, die zugleich Segen und Erlösung und gegenseitiges Raum- und Stimme-Geben bedeutet: die Menschen im dreifaltigen Gott und der dreifaltige Gott in den Menschen.“76 Damit wird klar, dass dieses Geschehen zwischen Gott und Mensch nicht nur irgendeine, vielleicht eine höhere und bessere, Kommunikation ist, sondern dass wir in diesem Leib Christi mit ihm verbunden sind und dass wir durch diesen Leib Christi letztlich auch Grenzen verschieben. Wir sind also im Sakrament nicht nur irgendwelche Dialogpartner Gottes, sondern Erlöste. Eine Erlösung, die mit ihm, durch ihn und in ihm zum Tragen kommt. Und insofern sind wir nicht Isolierte, sondern wir sind gemeinsam zu dieser Eucharistie berufen, zu dieser Teilhabe an seinem Leib, die letztlich auch Teilhabe am kirchlichen Leib bedeutet, wie dies Paulus in Eph 1,22–23 ausdrückt: „Alles hat er ihm (Christus – Anmerkung des Verfassers) zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht.“ Wir haben schon von der Qualität der Erlösung gesprochen, einer Erlösung, die deshalb möglich wird, weil sie nicht nur zeichenhaft ist, sondern real inkarniert wird in diese Welt und in die Geschichte. Damit stehen wir als Menschen nicht irgendwie außerhalb, sondern mitten in diesem Heilsgeschehen. Und damit findet nicht nur der Dialog zwischen Gott und Mensch statt, sondern dieses Geschehen, zu dem wir durch Christus autorisiert sind, weil er es uns geschenkt hat, das wir Sakrament nennen, hat nicht nur eine Wirkung auf den Dialog mit Gott. Mitunter hat man ja das 75 76

A. Ganoczy, S. 112. L. Lies, Die Sakramente der Kirche, Innsbruck/Wien2 2005, S. 44.

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II. Das Ritual

Sakrament nur reduziert auf diese vertikale Begegnung mit Gott. Aber wenn ich das Christentum im wahrsten Sinne des Wortes – als von Christus selber ausgehend – ernst nehme, dann kann diese Vertikalität, so wichtig sie auch ist, nicht für sich alleine bleiben. Ein Aspekt dieses Christusgeschehens ist auch besonders im Hinblick auf die Weltsicht und das Sakramentenverständnis zu betonen: Der inkarnierte Gott zerstört radikal die Vorstellung der Trennung von Weltlichem (Profanem) und Sakralem. Es gibt keine für Gott reservierten Bereiche, die nur sakral sind, denn alles hat letztlich mit dem Menschen zu tun, weil diese Gottesliebe auf den Menschen bezogen ist. „Die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth besagt dem gegenüber, dass der Bereich, in dem Gott den Menschen sich selber mitteilend und bleibend nahe kommt, nicht aus der Welt – und diese sei noch so negativ geprägt – ausgegrenzt ist.“77 Denn diese Teilhabe am Leib Christi und damit an der göttlichen Liebe bedeutet letztlich auch, dass nichts mehr so ist wie vorher, seit es diese Inkarnation gegeben hat. Die Geschichte wird also neu, sie wird überstrahlt und zwar in alle Dimensionen hinein, also auch in die Dimension der Zeit vor Christus. Denn „die Liebe, deren Absolutheit erfahren wird (wenn sie auch nicht von ihr selbst her, sondern nur im Anblick ihrer radikalen Einheit mit der Liebe Gottes durch Jesus Christus ganz zu sich selber kommt) will mehr als nur eine ihr transzendent bleibende göttliche ‚Garantie‘. Sie will eine Einheit von Gottes- und Nächstenliebe, in der die Nächstenliebe – wenn eventuell auch unthematisch – Gottesliebe und so erst absolut ist.“78 Wir sind durch Christus also perichoretisch verwoben in eine neue Gemeinschaft mit Gott, der nicht mehr irgendwie fern und auch mitunter unnahbar empfunden wird, wie dies auch das Volk Israel bisweilen erfuhr, auch wenn er im AT als sich selbst offenbarender und mit seinem Volk gehender Gott angesehen wird. „Das christliche Sakrament integriert nämlich die Sakramente so in die Geschichte Jesu Christi, dass Christus in einem spezifischen Sinn ihr Urheber wird. So bedeutet Taufen jetzt nicht mehr einfach Anteil gewinnen am Leben der Gottheit, sondern vielmehr Eintauchen in das Leben Jesu Christi. Das heilige Mahl essen heißt dann nicht mehr bloße Teilhabe an der Gottheit, sondern Essen des Leibes des Herrn und Partizipation an seiner Auferstehungsgeschichte.“79 Jesus Christus ist also das Subjekt der Liturgie, nicht nur ein Gegenstand einer bestimmten Erinnerung. Damit merken wir aber auch, wie angesichts des Geheimnisses Gottes der Begriff der Kommunikation defizient erscheint. Denn aus dieser perichoretischen Situation der drei göttlichen Personen, mit denen wir durch die Verbindung mit 77 78 79

H. Vorgrimler, Sakramententheologie, S. 30. K. Rahner, Grundkurs des Glaubens, S. 289. L. Boff, Kleine Sakramentenlehre, Düsseldorf 1985, S. 88.

3. Die Bedeutung des Rituals

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dem erhöhten Christus verbunden sind, erfahren wir, dass letztlich unsere gesamte menschliche Existenz betroffen ist und verwandelt wird. „Insofern sind die Sakramente Ausdruck des einen Heilsmysteriums Jesus Christus, und dies nicht nur im Sinne eines Ur-Bild-Abbild-Schemas, sondern als wirksames Begegnungs-Zeichen, in dem Christus sich dem Menschen als geschichtlich verwirklichtes, personales Heilsangebot Gottes aktuell zuspricht. Dieses Urdatum der Sakramentenlehre, die Person Jesu Christi im irdischen Lebensvollzug wie im Zustand der Verherrlichung bei gewandelter, aber im Hl. Geist gleich bleibender Nähe zu den Seinen in der Welt (frühchristliche Gemeindepraxis) gilt es zu bedenken.“80 cc) Gemeinschaft – ekklesiale Aspekte Damit bedeutet Sakrament Hinwendung zum anderen Menschen. Die horizontale Dimension gehört also ganz automatisch zur vertikalen Dimension, weil eben Christus auch seine Hände ausgebreitet hat, weil er für uns Menschen gestorben und auch auferstanden ist. So lebt die Gemeinschaft der Menschen nicht aus sich heraus, sondern wesentlich mit diesem und in diesem Christus. Wir haben schon gesagt, dass die Inkarnation alles grundlegend verändert hat. So ist die Gemeinschaft, die in Christus steht, etwa im Sakrament der Eucharistie, nicht irgendeine Gemeinschaft. Gerade durch die neue Beziehung und Neuausrichtung auf Gott ist sie keine aus und für sich selbst konstruierte oder nur zweckgerichtete. Sie ist eine verdankte, d.h. sie weiß sich in dieser Christusgemeinschaft verfasst. „Christus ist als Ursakrament und Segen zugleich der von Gott gewirkte Ort der Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit dem dreifaltigen Gott. Diese Gemeinschaft ist immer eine auch leibhaftige Gemeinschaft in Christus und in ihm im dreifaltigen Gott.“81 Diese sakramentale Gemeinschaft bedeutet nun eine andere Dimension: Wie wir noch im Zusammenhang mit den Strukturelementen der Sakramente vom christlichen Standpunkt aus ausführen werden, muss betont werden, dass diese Heiligkeit der Sakramente bzw. der Gemeinschaft eben nicht aus dem Inneren der Gemeinschaft alleine kommt. Die Legitimation irgendeiner Gemeinschaft wäre zu schwach. Hier ist sie als Kirche aber bezogen auf Christus und so wird sie von ihm angeboten und wird gleichzeitig von ihm erfleht. Die Kirche, zeichenhaft in der Mahlgemeinschaft der Eucharistie verdichtet, lebt also aus einem anderen heraus, der seine Präsenz letztlich leibhaft zugesagt hat. Damit ist die sakramentale Gemeinschaft nicht auf sich selbst ausgerichtet, sie 80 O. Meuffels, Kommunikative Sakramententheologie, Freiburg/Basel/Wien 1995, S. 83 f. 81 L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 36 f.

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II. Das Ritual

ist auch nicht eine, die Erlösung aus eigener Machtvollkommenheit konstruiert und zusagt. Nicht die Riten und Rituale sind das Entscheidende, indem man nur die Tradition peinlich genau einhält, damit man Heil „erzwingt“. Gleichzeitig geben diese Rituale aber auch Sicherheit, wenn der Mensch sich in diese hineinbegibt, indem er dann nicht nach der Gültigkeit eines Sakramentes jeweils fragen muss, sondern indem er diese zugesagt bekommen hat. Die Tradition ist nicht um ihrer selbst willen da, wie schon im NT Jesus anmerkt, sondern diese Bindung an den Sinn ist das Entscheidende. Das bedeutet aber nun keinesfalls, dass das Stehen in der Tradition und die Gemeinschaft, die durch diese über die Zeiten hinweg besteht, nicht wichtig wäre. Trotzdem, nur genaues Befolgen von Überlieferungen wäre zu wenig: Das würde doch dann bedeuten, dass es wieder nicht um diese Koinonia mit Christus in Gott geht, sondern vielmehr um das Individuelle. Damit wäre eine einseitige Ausrichtung auf das persönliche Seelenheil gegeben. Nun ist aber Christentum vor allem ein Anvertrauen, ein Sich-Bergen meiner Individualität und damit meiner ganzen Lebensgeschichte in Christus selber. Durch dieses gemeinsame Stehen vor und in ihm ist die Ausrichtung nicht nur auf das Ritual des Sakramentes selbst oder auf mich als Person, sondern die Ausrichtung ist auf Gott und den Mitmenschen hin gegeben. Durch Christus richte ich mich als Christ nicht auf mich selber aus, sondern auf ein Du. Somit hat uns Christus in seinem Leben, aber auch durch den Tod hindurch gezeigt, dass menschliche Existenz nicht Selbstbespiegelung und Selbst-zweck ist, sondern Befreiung zu sich selbst durch Ausrichtung auf das Du. So müssen die Gemeinschaft vor Gott und somit die Sakramente verstanden werden als „Systeme verbaler und nonverbaler Kommunikation, durch welche zum Christusglauben berufene Menschen in die Austauschbewegung der je konkreten Gemeinde eintreten, daran teilnehmen und auf diese Weise, getragen von der Selbstmitteilung Gottes in Christus und seinem Geiste, auf dem Weg zu ihrer Selbstwerdung vorankommen. Nach dieser Begriffsbestimmung wären also die Sakramente des christlichen Kultes nicht einfach ‚Selbstvollzüge‘ einer mystischen, empirisch kaum fassbaren Kirche, sondern interaktive Begegnungsereignisse zwischen der Gnade und dem Glauben ganz bestimmter lebensgeschichtlich so oder anders orientierter Mitglieder einer konkreten Gemeinde.“82 Dabei geht es m. E. nicht nur um eine konkrete Gemeinde, das wäre zu kurz gedacht, denn die Wirklichkeit vor dem Sakrament und im Vollzug des Sakramentes ist nicht zu trennen von der Kirche als Gemeinschaft, insofern die Kirche ja selbst Gemeinschaft und lebendige Lebenswirklichkeit der Sakramente ist. Diese Gemeinschaft wird letztlich konstituiert durch die Agape mit Gott 82

A. Ganoczy, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, S. 116.

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und wird dadurch selber wieder zur Agape, die gefeiert wird. Dieses MahlHalten als Ausdruck der Liebe Gottes, die letztlich auch der Ursprung aller Liebe ist, ist nicht nur eschatologisches Zeichen Jesu für das heranbrechende bzw. angebrochene Gottesreich im Neuen Testament, es ist vor allem auch sakramentale Wirklichkeit. „Denn der Ritus, die Feier, ist in der Funktion der Signifikation letztlich auf personale Kommunikation ausgerichtet, damit der Mensch und die Gemeinschaft neue Lebensperspektiven erhalten – aus Christi Botschaft und Existenz.“83 dd) Die Sprachstruktur des Sakramentes Wie haben schon von jenem Konzept von Lothar Lies gesprochen, das das Sakrament als Begegnungsraum zwischen Gott und den Menschen aufzufassen. Dabei muss aber ergänzt werden, dass es sich dabei auch um einen Raum handelt, der ausstrahlt auf alle Menschen, Begegnung wird deshalb ganz zentral Annahme des anderen Menschen. Begegnung heißt also konkret Gottes- und Menschenliebe. Lothar Lies sieht das Sakrament als „ein menschliches Symbol, in dem sich der Mensch mitteilt, und das Gott annimmt, um dem Menschen dadurch Heil bringend zu begegnen.“84 Es ist also Ausdrucksmöglichkeit von beiden Seiten und gemäß der Gottesebenbildlichkeit entspricht dieses Zeichen auch der Wirklichkeit des unverfügbaren Gottes bzw. hat einen wichtigen Bezug zu ihm, der mit uns kommuniziert. In der Tradition hat man immer wieder davon gesprochen, dass das Sakrament das anzeigt, was es bewirkt, und es wird gesehen „als ein von Christus verordnetes wirksames Zeichen zur Vermittlung einer je besonderen Gnade . . .“85 Heute würde man nicht mehr von Verordnung und in Zusammenhang damit dann von Gehorsam sprechen, denn es geht ja darum, nicht etwas nur abzubilden, sondern durch die Gnade Gottes etwas zu schaffen, das normalerweise außerhalb des unmittelbaren Verfügungsbereiches von uns Menschen ist, obwohl wir sonst gewohnt sind, mit Zeichen zu leben und zu arbeiten, weil wir auf Zeichen angewiesen sind. Sicher müssen wir die Zweiteilung des Augustinus von „signum et res“, von Zeichen und bezeichneter Realität bedenken. Wir sprechen von Realsymbol im Unterschied zu einem informellen Zeichen, wenn dieses Symbol irgendwie Wirklichkeit schaffend ist, d.h. wenn z. B. ein Handschlag zur Besiegelung eines Geschäftes dient bzw. ein Versprechen in die Tat umsetzt, es reali83

O. Meuffels, Kommunikative Sakramententheologie, S. 276. L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 221. 85 R. Schnackenburg, Sakrament, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. IX, S. 218. 84

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II. Das Ritual

siert. Das Konzil von Florenz sieht in seinem Lehrentscheid über das Sakrament drei Elemente: „Durch den dinglichen Vollzug als Materie, durch die Worte als Form, durch die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der Absicht, zu tun, was die Kirche tut.“86 In einem anderen Modell hat man in der Sakramententheologie immer von Form und Materie gesprochen, hat es gesehen als zusammengesetzt aus Wort und Zeichen. „Wenn man bei dem Begriff Materie hier nur nach einem im engeren Sinn materiellen Bestandteil des Zeichens sucht, wird diese Unterscheidung allerdings problematisch.“87 Wenn auch in den meisten Sakramenten solche sichtbare Zeichen durchaus vorhanden sind, so ist etwa zu fragen, ob wir angesichts der Buße oder der Ehe nur auf sichtbare Zeichen bestehen dürfen. Denn bei den genannten Sakramenten ist das Wort zugleich auch Zeichen, z. B. das Schuldbekenntnis oder das Versprechen der beiden Eheleute. Deshalb betont Karl Rahner: „Es gibt nach katholischer Lehre Sakramente, die nur im Wort vollzogen werden, und darum muss das eigentliche Wesen des Sakramentes überhaupt im Wort bestehen.“88 Es geht also nicht um diese Trennung zwischen Wort und Materie, es geht auch nicht um irgendwelche Einzelelemente, die formalistisch einfach nur zusammen wirken müssen, um die Kriterien eines Sakramentes zu erfüllen, sondern es geht um die gesamte Zeichenhandlung, die im Sakrament vollzogen wird. Das eben Dargelegte bedeutet auch keine Abwertung des oben zitierten Konzilstextes (NR 503): Dieser war durchaus wichtig zur Abgrenzung und Verdeutlichung dessen, was nach katholischer Auffassung ein Sakrament ist. Auch Walter Kasper betont die Handlungssituation des Sakramentes: „Das sakramentale Zeichen besteht also in einer durch einen gemeinschaftlichen Vollzug symbolhaft dargestellten menschlichen und sozialen Ursituation.“89 Damit schließt sich der Kreis, wenn wir uns an das über die menschliche Kommunikationssituation Gesagte erinnern. Zusätzlich wird in der Folge aber auch über die Frage nachzudenken sein, inwieweit bestimmte Lebenssituationen tatsächlich als Ursituationen zu klassifizieren und zu begreifen sind, wenn sie bestimmte Rituale (in diesem Fall Sakramente) konstituieren. Aber noch einmal: Ohne diese Öffnung auf Gott hin könnte das Sakrament nicht denkbar sein: Und damit muss ich von einem personalen Ansatz ausgehen. Denn nur von Raumschaffung für diese 86

NR 503. G. Koch, Wort und Sakrament als Wirkweisen der Kirche, in: Gegenwärtig in Wort und Sakrament. Eine Hinführung zur Sakramentenlehre, hrsg. von der Domschule Würzburg, Freiburg/Basel/Wien, 1976, S. 80. 88 K. Rahner, Was ist ein Sakrament, in: E. Jüngel/K. Rahner, Was ist ein Sakrament? Vorstöße zur Verständigung, Freiburg 1971, S. 67. 89 W. Kasper, Die Heilssendung der Kirche in der Gegenwart, in: Pastorale. Handreichung für den pastoralen Dienst, Einleitungsfaszikel, Mainz 1970, S. 69. 87

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Begegnung mit Gott und Mensch als Klassifizierung des Sakramentes zu sprechen, ist insofern nicht ganz ausreichend, da dieser Raum ja nicht nur vom Menschen gemacht wird, sondern wesentlich von Gott bestimmt und verfasst ist. Ich kann mir diesen Raum im Sakrament schenken lassen. Damit müssen wir, um auch tatsächlich dem Charakter des Sakramentes gerecht zu werden, von dem personalen Geschehen sprechen, das im Sakrament zum Tragen kommt. ee) Das Sakrament als personaler Zugang Im Folgenden soll in einer Art Aufriss die wichtige personale Seite des Sakramentes aufgezeigt werden, wie das Verständnis des Sakramentes auf dem Hintergrund der Strukturelemente von Anamnese, Epiklese, Koinonia und Prosphora erfolgt, wenn auch in einem späteren Kapitel noch einmal das personale Geschehen im Vergleich zwischen Freimaurerei und dem katholischen Sakramentenverständnis umfassender und genauer ausgeführt wird. Wenn es auch sehr viele Perspektiven gibt, unter denen die Sakramente betrachtet werden können und auch betrachtet werden, so hat doch die personale Sichtweise eine sehr große Wichtigkeit. Sakramente werden damit als Dialogräume gesehen. „So wird heute Sakrament als Begegnungsraum personaler, wenn auch ungleicher Partner, die sich gegenseitig mitteilen, verstanden. Die spezifischen Sakramente werden als Symbole verstanden, in die hinein Gott sich mitteilt und in denen die Menschen sich Gott übergeben.“90 Sakrament ist also zutiefst Begegnung, das gegenseitige Sich-aufeinander-Einlassen. Sakramente gehen dabei wesentlich von einer menschlichen Grundtatsache, seinem Wesen, aus: „Der Mensch ist existenziell eine gedächtnishaft-geschichtliche (anamnetisch), eine auf Bitte und Dank (epikletisch), auf Gemeinschaft (koniotisch) und Hingabe orientierte Existenz.“91 Das ist gewissermaßen die Voraussetzung und Bedingung, unter der Gott dem Menschen begegnet. Das ist der Hebel, an dem jedes Symbol auch ansetzt. Wenn ich von der menschlichen Existenz spreche, dann ist diese nie ganz eindeutig, sondern letztlich sind alle oben angeführten Lebensvollzüge ambivalent. So bedeutet Anamnese, dass der Mensch, wenn er seiner eigenen Persönlichkeit gewahr wird, immer auch Anteile und Elemente vorfindet, die unvollständig und ungenügend sind; deshalb sucht er nach einer Ergänzung, die ihm gleichzeitig auch Sicherheit und Geborgen90

L. Lies, Sakramente als Kommunikationsmittel, in: Gegenwärtig in Wort und Sakrament. Eine Hinführung zur Sakramentenlehre, hrsg. von der Domschule Würzburg, Freiburg/Basel/Wien 1976, S. 120. 91 Vgl. L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 10.

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II. Das Ritual

heit verleiht. Genauso ist es im Bereich der Epiklese: „Alle Symbole, die um diese Liebe bitten, bleiben von dieser Ambivalenz nicht verschont!“92 Somit gibt es auch hier, in der Existenz des Menschen als Bittender, als Angewiesener auf andere, keine Eindeutigkeit, sondern er schwankt ständig zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Genauso auch im Bereich der Gemeinschaft: Auch hier pendelt der auf Gemeinschaft ausgerichtete und angelegte Mensch zwischen seiner Angst, von der Gemeinschaft inhaliert oder aber ausgestoßen zu werden. Auch im Bereich der Prosphora besteht diese Ambivalenz: Wie sind hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sich jemandem voll hinzugeben und anzuvertrauen, und der Angst, dass unsere Hingabe letztlich auch Preis- und Aufgabe unseres Selbst bedeuten könnte. Unsere Existenz ist also eine ambivalente, Eindeutigkeit ist nur in Teilaspekten unseres Lebens vorhanden. Zugleich sucht der Mensch aber genau nach solcher Eindeutigkeit: „Daher sind auch die Sakramente, soweit sie vom Menschen her als Symbole und noch nicht von Gott her als Sakramente verstanden werden, Ausdruck des persönlichen Bemühens, die Begegnungen der Menschen untereinander zu vereindeutigen.“93 Für den gläubigen Christen gibt es also vor allem anderen eine besondere Möglichkeit dieser Vereindeutigung durch die Sakramente, weil diese die Beziehungssymbole des Menschen sind. „Diese Vereindeutigung der Perichorese ist für den Christen in der Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott gegeben. Denn nach dem Glauben der Kirche ist die Einheit der drei göttlichen Personen in der trinitarischen Perichorese auf göttliche Weise gelöst.“94 Der Christ findet hier in dieser Perichorese der drei göttlichen Personen seine Erlösung, seinen Platz. Was bedeutet Perichorese innerhalb der Trinität? „Die drei Personen bilden eine Einheit und sind ein Gott, insofern sie sich gegenseitig durchdringen, ohne sich zu bedrohen oder zu nivellieren. Sie behindern sich nicht, sie machen sich gegenseitig nicht zum Gefangenen, sie sind in ihrer unendlichen Verschiedenheit und Distanz zugleich von einer absoluten Nähe. Sie begeben sich in den anderen hinein und werden dabei doch nicht unterdrückt oder erdrückt.“95 Damit kann der Christ in dieser Perichorese sich selber finden, denn er weiß, dass eben die göttliche Trinität alles umfasst und das Sakrament jenes Mittel ist, das genau dieser unverfügbare Gott in seiner Liebe gegeben hat, um uns seiner selbst teilhaftig werden zu lassen. Wenn wir schon nach unserem Glauben von Gott, der Trinität, vom ersten Augenblick an umfangen und darin geborgen sind, so bedeuten Sakramente letztlich die Konkretisierung dieses Umfangenseins 92 93 94 95

L. L. L. L.

Lies, Lies, Lies, Lies,

Sakramententheologie, Sakramententheologie, Sakramententheologie, Sakramententheologie,

S. S. S. S.

151. 154. 154. 154.

4. Die Geheimhaltung des Rituals

97

für uns, sie „bedeuten den Ruf des Menschen nach der Bleibe in Gott. Aber dieser Ruf ist seinerseits schon Angebot und die Verheißung des dreifaltigen Gottes, sich in ihm zu bergen.“96 4. Die Geheimhaltung des Rituals Geheimes Wissen ist ein sehr starker Integrationsfaktor für Gemeinschaften. So hat man auch sehr oft Angst, dass ein solches Wissen profaniert werden bzw. in falsche Hände kommen könnte. Durch einen gewissen Schutz kann sich ein solches auch entfalten und vermehren. „Das Wissen muss, mit anderen Worten, geschützt werden, weil es durch diesen Schutz überhaupt erst erzeugt wird.“97 Das kann bedeuten: Dieses Wissen konstituiert überhaupt die jeweilige Gesellschaft. Ist das wirklich so und welche Bedeutung hat die Geheimhaltung dabei und muss die Geheimhaltung der einzige „Schutzfaktor“ sein? Qualifiziert sich damit auch die Freimaurerei zu einem autonomen Kommunikationssystem innerhalb der modernen Gesellschaft? Beide, Freimaurerei und katholische Kirche sehen ihre Rituale bzw. Sakramente als zentrale Punkte an. Beide sehen auch diese (mehr oder weniger stark) überweltlich verfasst. Der Schutz dieses Wissens bzw. die Geheimhaltung wird aber ganz unterschiedlich bewertet. a) In der Freimaurerei Geheimhaltung in der Freimaurerei besteht also vor allem in Bezug auf die Rituale. Köneke meint beispielsweise, der Vortrag von Ritualtexten wirke bei Gästeabenden eher kontraproduktiv, um die Freimaurerei besser zu verstehen, möglicherweise sogar albern.98 So wird also für die Geheimhaltung mit der Unverständlichkeit des Rituals argumentiert. Das ist aber natürlich keine inhaltliche Interpretation und hat am ehesten etwas mit dem Bedürfnis nach Schutz des Rituals zu tun. Trotzdem räumt auch Köneke ein, dass es offensichtlich Geheimhaltung gibt, und zwar von Ritualtexten, Erkennungszeichen und von den Namen der Logenbrüder.99 Zudem zeigt er in diesem Zusammenhang auch auf, dass zwar immer wieder die Offenheit bzw. offensichtliche Zugänglichkeit der Rituale für jedermann behauptet und damit auf die Beschaffungsmöglichkeit in Universitätsbibliotheken verwiesen wird. 96 97 98 99

L. Lies, Sakramententheologie, S. 155. N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt 1997, S. 234. Vgl. Köneke, S. 123. Vgl. Köneke, S. 123.

98

II. Das Ritual

Das sei aber – so Köneke – alles nur Taktik, denn in diesen Bibliotheken würden bestenfalls nur antiquarisch erworbene Uralt-Ritualexte gelagert.100 Damit steht er im Gegensatz zu anderen Autoren. Im selben Atemzug behauptet er aber, die interessierte Öffentlichkeit sei sehr wohl gut über die Belange der Freimaurerei informiert und habe auch die Möglichkeit, sich über das Freimaurermuseum in Bayreuth bei begründeten Nachfragen Bücher zugänglich zu machen.101 Lenhoff meint dagegen: „Es gibt nur ein Geheimnis der Freimaurerei: die Einweihung, und es gibt nur eine Einweihung: sich in der Bruderkette zu fühlen. Wem dieses Mysterium sich enthüllt hat, der besitzt das freimaurerische Geheimnis; er versteht die – unzählige Menschen über Raum und Zeit verbindende – Sprache der Freimaurerei, die in der Symbolik ihr innerstes Wesen entfaltet, wie die Kirche in ihrer Dogmatik.“102 Zum Bereich „Geheimnis in der Freimaurerei“ gibt es, so scheint es, zwei Zugangsweisen: Einmal, man könne ohnehin nichts verraten, da man sowieso nur die Freimaurerei erleben könne: „Jeder Freimaurer muss durch Eindringen in die Symbolik des Bundes und durch eine beständige Betrachtung und Analysierung alles dessen, was er bei den Logenarbeiten vernimmt, die Geheimnisse der Freimaurerei für sich entdecken.“103 Das heißt damit aber, dass die Tatsache, dass in der Freimaurerei Mystisches zu finden ist, auch gleichzeitig die Geheimnishaftigkeit in der Freimaurerei fördert. Damit wird aber auch der Individualität das Wort geredet. Es geht ja um das individuelle Erlebnis, das von einem anderen nur schwer nachzuvollziehen ist. Damit entzieht sich das Ritualerlebnis aber jeder interpersonalen Mitteilung und auch jedem Diskurs. Es ist vergleichbar mit dem religiösen Erlebnis, das letztlich ein persönliches, um nicht zu sagen ein personales Erlebnis darstellt. Nur, weil eben vieles sich der Erklärung entzieht, an Erlebnissen und Begegnungen mit Symbolen und Ritualen, nur deshalb fänden sich in der Freimaurerei Befürworter der Geheimhaltung und der Symbolik. Damit finden wir aber auch Parallelen zum Christentum. Natürlich ist da einmal die Parallele mit der Urkirche: Deshalb, weil man den Urchristen mannigfaltige Verfehlungen und Geheimnisse nachsagte, deshalb wurden sie verfolgt, und umgekehrt förderte natürlich die Verfolgung wieder die Geheimhaltung. Soweit also eine rein äußerliche Parallele, die sich aufdrängt. Denn auch die Freimaurer betonen als Gründe für ihre Praxis der Geheimhaltung die Tat100

Vgl. ebd., S. 123. Vgl. ebd., S. 124. 102 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 121. Er zitiert hier Lennhoff und bezieht sich hier offenbar auf dessen Buch: E. Lennhoff, Die Freimaurer, Zürich 1929. 103 P. F. Lobkowicz, Die Legende der Freimaurer, Wien/München2 1992, S. 77. 101

4. Die Geheimhaltung des Rituals

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sache, dass sie vom Staat und von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder verfolgt wurden. In diesem Kontext wird auch immer wieder von einer möglichen Profanierung der Erlebnisdimension gesprochen, wenn das Ritual bekannt würde oder wenn der Mensch, der sich diesem Ritual unterzieht, schon frühzeitig damit bekannt gemacht würde. Mit der Geheimnishaftigkeit wird also das Ritual gewissermaßen auch immunisiert gegenüber Kritik oder Verächtlichmachung. Es braucht hier nur einen sehr kleinen Schritt, um einen Bezug zum alttestamentlichen Gottesverständnis herzustellen: Es heißt nicht nur in den 10 Geboten, man dürfe den Namen Gottes nicht achtlos aussprechen, sondern auch in der Praxis des alttestamentlichen Gottesvolkes war es so, dass sich mit der Zeit die Tendenz herausbildete, Ersatzformen für den geoffenbarten Gottesnamen zu finden und diese auch zu verwenden, weil man Angst hatte, den Gottesnamen Jahwe zu verballhornen und damit Gott zu beleidigen und damit Schuld auf sich selbst zu laden. Hat dieser Bezug – auch im Hinblick auf das, was schon über die religiöse Dimension des Rituals gesagt wurde – auch eine gewisse Bedeutung? Heißt Profanierung des Rituals durch Publikation und Verrat nicht auch die Angst vor einer Unterschlagung bzw. Unterdrückung des mystisch-spirituellen Momentes bzw. des Religiösen. Bedeutet das dann auch eine Art Entweihung? Heißt damit Profanierung auch die Tatsache, dass die Welt nicht versteht, wenn man im Freimaurerbund zwar von Aufklärung und Selbsterziehung spricht, gleichzeitig aber einer rational geprägten Welt nicht erklären kann oder will, dass gleichzeitig ein Wesenselement der Freimaurerei das Irrationale ist, das sich nur im persönlichen Erleben kundtut? Wo bleibt auf dieser Stufe die Unterscheidung zum religiösen Erlebnis oder zur Religion? Ein weiterer Aspekt ist das Identitätsstiftende des Rituals. Wird durch das freimaurerische Ritual das Selbst des Freimaurers angesprochen und so repräsentiert, dass die Veröffentlichung gleichzeitig auch bedeuten würde, man sei ohne Heimat und unbehaust? Ist dieses Ritual also das Haus, in dem sich der Freimaurer von der profanen Welt zurückzieht und dessen Einrichtung deshalb nicht preisgegeben werden darf? Fast scheint es, als ob ein Verrat der Einrichtungsgegenstände, zu denen ja der Freimaurer eine andere Beziehung hat als ein „Profaner“, ein Sakrileg bedeuten würde. Natürlich könnte in diesem Zusammenhang vom Verständnis her auch eine Verbrämung soziologischer Effekte erfolgen, indem beispielsweise ein Geheimnis und der soziale Druck von außen das Elitedenken und den Zusammenhalt in der Gruppe fördern mag. An dieser Stelle muss aber auch noch über ein Weiteres nachgedacht werden. Auch wir Christen sind uns im Klaren, dass es, jenseits aller Theologie, für uns unergründliche Geheimnisse gibt. Die Theologie selbst kann

100

II. Das Ritual

zwar Rechenschaft über den Glauben geben, aber sie kann letztendlich das Absolute, unser Geheimnis, nämlich Gott, nicht erfassen oder eingrenzen. Damit würde der Mensch immer Gefahr laufen, Gott von unten zu konstruieren und gar nicht mehr offen zu sein für den Anspruch Gottes. Allerdings scheint ein wesentlicher Unterschied zwischen der Rede vom Geheimnis durch die Theologie und durch die Freimaurerei gegeben, denn auf der anderen Seite wird ja gerade dieses Gottesverhältnis immer offen gelassen und die Rede vom Allmächtigen Baumeister aller Welten scheint in den meisten Fällen eine Chiffre bzw. das verschämte Sprechen über etwas, das nicht näher untersucht und thematisiert wird – außer bei explizit christlichen Freimaurerlogen, die aber dann schon sehr genaue Vorstellungen haben und den christlichen Gott ansprechen. Noch eine Dimension des Geheimnisses soll an dieser Stelle nur ganz kurz genannt werden, und zwar die Dimension der Moral. Erst durch die Abgrenzung scheint oft nämlich die Freimaurerei eine moralische Qualität zu bekommen. Im Folgenden werden wir noch Gelegenheit bekommen, Parallelen zum Christlichen zu finden. „Ohne das Geheimnis gäbe es keine Freimaurerei, die erst durch die Abgrenzung ihre Qualität als moralische Instanz gewinnen kann. So wurde durch die Ablehnung der Politik die Freimaurerei als moralisches Gewissen der Politik eingesetzt und durch die Trennung von Moral und Politik das bestehende politische System als unmoralisch verurteilt.“104 Inwiefern gibt es auch heute noch Indizien für die Geheimhaltung von Informationen vonseiten der Freimaurerei, speziell wenn sie sich auf Fragen der Ritualistik und Symbolik bezieht? Meine diesbezügliche Recherche via Internet brachte ein sehr interessantes Ergebnis. So stellte der Autor dieser Arbeit in der offenen, also auch für Nicht-Freimaurer zugänglichen Mailingliste die einzelnen Autorenmeinungen zum Thema „Geheimnis“ nebeneinander dar und fragte, was nun von der Geheimnishaftigkeit der Rituale zu halten sei, und ob es Möglichkeiten gäbe, in aktuelle Ritualtexte Einsicht zu nehmen. Das Resultat war dementsprechend erschütternd: Keiner nahm überhaupt Notiz von der Frage und auch der schon erwähnte Gerd Scherm, an den sogar ein separates E-Mail ergangen war, machte keine Anstalten, auf die Frage zu reagieren. Erst nach nochmaligem Nachfragen erklärte er: „Es ist de facto so, dass Ritualtexte nach wie vor unter die sog. Arkandisziplin fallen und nicht an ‚Profane‘ gegeben werden dürfen.“105 Damit ist es natürlich schwierig, überhaupt auf Ritualtexte Bezug zu nehmen. Ande104

T. Maurer, Moderne Freimaurerei? Ursprünge der Freimaurerei und ihres Geheimnisses und deren Bedeutung für die Genese politischer Modernität, Frankfurt a. M. 1992, S. 169. 105 E-Mail von Gerd Scherm vom 4. Juli 1999.

4. Die Geheimhaltung des Rituals

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rerseits werden solche Texte aber immer wieder in sog. „Verräterschriften“ überliefert, Schriften, die einerseits von den Freimaurern zutiefst verachtet werden, zum anderen aber doch auch zu Erforschung der Freimaurerei sogar durch die Maurer selbst herangezogen werden. Begütigend wird von freimaurerischer Seite immer wieder gesagt, dass es ja ohnehin kein Ritual gäbe, das nicht schon lange in diesen Verräterschriften verraten wurde. Die andere Frage ist, ob diese Rituale und Texte dazu auch heute noch aktuell und authentisch sind. Gerade Dieter Binder hat in seinem Buch106, das sich auf österreichische Verhältnisse in Bezug auf die Freimaurerei bezieht, solche Ritualtexte aufgenommen und besprochen. Allerdings habe Binder angeblich alte Rituale abgedruckt, die auch in Österreich nicht mehr bearbeitet werden.107 Möglicherweise ist das nur eine Schutzbehauptung aus Freimaurerkreisen, allerdings musste der Autor dieser Arbeit sich selbst das neueste ihm zugängliche Ritual für die einzelnen Grade besorgen, und zwar das der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, die die größte aller deutschen Logen ist. Dieses fand er in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt. Diese Rituale können für uns doch eine gute Arbeitsgrundlage bieten, wenn es darum geht, eine Vorstellung vom Ritual und den dazugehörigen Texten zu bekommen. Daran kann man auch sehen, welche Wertvorstellungen und Ansichten das Ritual und die dazugehörigen Texte bestimmen. Aber Blauäugigkeit wäre in diesem Zusammenhang fehl am Platz. Denn sehr viele glauben, sie müssten sich nur die Authentizität oder die Abkünftigkeit der Texte oder einzelner Elemente freimaurerischer Riten bestätigen lassen und hätten dann schon „das freimaurerische Ritual im Griff“. Das ist aber allein deshalb schwer vorstellbar, weil jede Großloge ihre eigenen Rituale pflegt und weil ja beispielsweise bei der GL AFAM v.D.108 „Ritualfreiheit“ herrscht, d.h. dass die Logen ihre tradierten Rituale weiter pflegen und durchführen dürfen, mindestens einmal im Jahr aber das aktuelle AFAM-Ritual praktizieren müssen. Einige Beispiele seien hierzu angegeben: So pflegt die Loge „Eleusius zur Verschwiegenheit“ Bayreuth das sog. „Sonnenritual“, das nach der ehemaligen Großloge „Zur Sonne“ Bayreuth, die 1949 in der AFAM aufging, benannt ist. Die Loge „Zur Wahrheit“ Nürnberg pflegt das Ritual des FZaS („Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne“), der ehemaligen freigeistig und sozialistisch orientierten Großlogen, der z. B. Tucholsky und von Ossiezky angehörten, und die bis Mitte 106

D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft. Laut Mitteilung von Gerd Scherm vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit der vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD) und Mitglied der Forschungsloge „Quatuor Coronati“. 108 Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. 107

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II. Das Ritual

der 50er-Jahre existierte. Die erwähnte Nürnberger Loge ist das letzte Überbleibsel.109 Damit hält man bei den Maurern die Tradition aufrecht, und gleichzeitig wird auch die Selbständigkeit der einzelnen Logen zum Ausdruck gebracht. Zum Ausdruck gebracht wird aber hier auch die Vielfältigkeit der Entwicklungen und die schon öfter betonte Uneinheitlichkeit, die natürlich in der Freimaurerei ein entscheidendes Wesenselement darzustellen scheint. b) In der Kirche Wenn vom Sakrament als Geheimnis die Rede ist, dann denken wir sofort an die Eucharistie, wo es nach der Wandlung als Ausdeutung und Bekenntnis heißt: „Geheimnis des Glaubens!“ Und das Volk antwortet, akklamiert: „Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!“ Das ist also das zentrale Mysterium des Sakramentes. „Geheimnis“ bekommt hier eine ganz andere Dimension wie in der Freimaurerei, wo es eher um Geheimhaltung geht. Das zentrale Geheimnis des Christentums ist der unbegreifliche Gott, der in seiner Liebe die Menschen umfasst und wodurch Jesus Christus dem Menschen nahegebracht wird: Das bedeutet, dass diese Liebe überall greifbar, aber eben nicht begreifbar wird, weil Gott eben nicht einer ist, der sich in die rationalen Kategorien unserer menschlichen Begrifflichkeit zwängen lässt oder auf diese reduziert werden kann. Er ist eben nicht der Verfügbare, der sich zwingen lässt oder mit dem Menschen handeln kann und will nach dem Motto „do ut des“. Wenn wir ihn auch nicht begreifen können, so bekommen wir von diesem liebenden Gott durch seine Machttaten, aber auch durch sein Ansprechen des Menschen, das wesentlicher Bestandteil dieser Machttaten ist, eine Ahnung von dieser Liebe. Und dass diese Liebe von einer Ahnung zu einem geschichtlichen Festmachen führt, das zeigt dieses Offenbarwerden Gottes als Mensch. Gerade weil Gott Mensch wird, weil sein Geheimnis in Leiblichkeit mit-geteilt wird, gerade deswegen kann das Christentum keine geheime Religion sein. „Es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar wird, und nichts Geheimes, das nicht bekannt wird und an den Tag kommt.“ (Lk 8,17) Es geht also um die „Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war, jetzt aber nach dem Willen des ewigen Gottes offenbart und durch prophetische Schriften kundgemacht wurde . . .“ (Röm 16,25) Diese Gnade wurde also „durch das Erscheinen des Retters Jesus Christus offenbart. Er hat dem Tod die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium . . .“ (2 Tim 1,10) Auch 109

Mitgeteilt von Gerd Scherm.

5. Die Wirkung des Rituals

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der Terminus Evangelium, frohe Botschaft, zeigt, dass das Christentum vor allem Botschaft und nicht Geheimnis ist. Diese Universalität Christi und seiner Botschaft kommt auch zum Ausdruck, wenn es im Evangelium heißt: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ (Mt 28,19) Damit ist also der innerste Kern des Christentums ein missionarischer: Diese frohe Botschaft von Gott, der Mensch wird, findet seinen Platz nicht in der Enge von einigen Auserwählten, er muss mitgeteilt werden, weil eben das Herz voll ist und deshalb der Mund übergeht. Jesus hat also aus seiner Botschaft, aus seiner eigenen Person, nie ein Hehl gemacht. So heißt es im Johannesevangelium: „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen.“ (Joh 18,20) Wenn es also einerseits die Anweisung Jesu gibt, hinauszugehen in alle Welt und dieses offenbarte Geheimnis weiterzutragen, wenn es die Kirche gibt als Vehikel dieser Botschaft und wenn die Sakramente diese Einheit mit Christus repräsentieren, wenn sie auf Christus hin durchscheinend sind, dann ist es widersinnig, davon zu sprechen, dass sie ein Geheimnis in dem Sinne sind, dass man nichts verraten darf. Nein, gerade dieses Mit-teilen des Leibes Christi ist das Besondere des Sakramentes. Unbestritten ist, dass in der griechischen Theologie das Wort für sakramentum mysterion ist. Und es ist auch unbestritten, dass diese göttliche Stiftung menschlicher Zeichen, diese Hingabe Christi in absoluter Liebe, ja überhaupt die gesamte göttliche Liebe als unbegreifliches in seinen Dimensionen nicht absehbares Geheimnis zu sehen ist. 5. Die Wirkung des Rituals a) In der Freimaurerei „Im Ritual liegt tiefste Weisheit. Nicht die Weisheit des Wortes, sondern die Weisheit der Wirkung.“110 Diese Wirkung bedeutet den Bau des Tempels der Humanität und bedeutet Selbsterziehung. Rolf Appel sieht das freimaurerische Ritual abgegrenzt vom Schauspiel, aber auch vom Gottesdienst „als bewusstes Hinrücken der teilnehmenden Bruderschaft in die Sphäre, wo ein wie auch immer vorgestellter Großer Baumeister aller Welten angenommen wird.“111 Dabei tritt also der Bruder in eine mystische Sphäre ein, F. C. Endres, Das Geheimnis des Freimaurers, Bonn11 1999, S. 75. 111 R. Appel, Die verbindende Sprache der Freimaurer, in: R. Appel/Oberheide (Hrsg.), Was ist Freimaurerei, Münster 1985, 30. 110

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II. Das Ritual

eine Sphäre, die mit dem Ewigen in Zusammenhang gebracht wird. Bedeutet das nun, dass es sich hier laut freimaurerischen Zeugnissen um ein religiöses Geschehen handelt? Die Ausdeutung durch Appel dazu: „Dabei dient die rituelle Handlung nicht einem göttlichen Gegenüber, sondern will im Hier und Heute den Bruder einstellen, einbinden als ein Teil des umfassenden ganz Großen und Ewigen.“112 Dem gegenüber stellt Jan Lewke die Frage nach der Angemessenheit des Rituals in der heutigen Zeit und meint: „Es gehört auch schon ein ganz schönes Abstraktionsvermögen dazu, einer Versammlung seit den Tagen der Aufklärung die christliche Bibel oder eine andere positive Offenbarung vorzulegen und zu erwarten, darin nicht auch einen Programmpunkt zu sehen. Und der müsste lauten: Es gibt einen sich offenbarenden Gott.“113 So spielt sich also die Diskussion um die Arbeit bzw. deren Wirkung zwischen zwei Extremen ab. Wobei es auch gar nicht so sehr um die Frage des sich offenbarenden Gottes geht, denn diese wird meist gar nicht beantwortet oder gar positiv gestellt, außer vielleicht in ausdrücklich christlichen Logen. Wenn dann spielt sich die Diskussion darüber ab, ob es nicht dennoch neben christlichen Hüllen bzw. Traditionen etwas gibt, das in die Dimension des Ewigen und Heiligen führt. Appels voriges Bekenntnis zu dieser Dimension wird also gar nicht tangiert bzw. es wird ihm nicht unbedingt die Schärfe genommen, wenn von ihm weiter ausgeführt wird: „Dem Ritual ist sein eigenständiger Inhalt genommen, es gilt als Angebotskatalog, dem man einzelne persönliche Lieblingssymbole entnimmt.“114 Wenn aber das Ritual als Bezugssystem gilt, in dem die Symbole ihren Platz finden und auch dementsprechend eingeordnet sind, dann dürfte dieser „Angebotskatalog“ nicht mehr nur wie ein Steinbruch unverbindlich wirken, sondern dann wirken eben die Symbole in diesen Bezugsystem auf denjenigen, mit dem das Ritual vollzogen wird, indem die Sprache des Rituals seine Wirkung tut und es dann dem Einzelnen überlassen ist, in welcher Intensität die einzelnen Symbole wirken oder wie das Bezugsystem diese Dimension, die Appel anspricht, bewirkt. Damit wird zwar eine Art „Belastung“ durch den christlichen, historischen Hintergrund konzediert, gleichzeitig lässt sich mit diesem Hintergrund feststellen: „Auf dieser Basis, Symbole nicht fixiert anzubieten, sie freizuhalten von historischen Elementen, wird sich gut arbeiten lassen . . .“115 So ist eine der Wirkungen die Formel, die sowohl Menschheit 112

Ebd., S. 30. J. Lewke, Zur Symbolsituation in der Freimaurerei, in: http://internetloge.de/ arstzei/symbos.htm, eingesehen am 11. April 2007. 114 Ebd. 115 Ebd. 113

5. Die Wirkung des Rituals

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als auch Existenz darstellen soll. Appel dazu: „Denn alle Gebräuche, Symbole und sinnbildliche Handlungen der Freimaurer stellen eine würdige, schöne, treffende und sinnvolle Darstellung des Lebens der Menschheit und der Arbeit der Freimaurer-Brüder selbst dar.“116 Damit bedeutet also das Ritual eine Möglichkeit, zu sich selbst zu kommen, die Möglichkeit, den Kosmos zu verstehen und in diesem intuitiven Verstehen des Kosmos sich selbst und des Lebens innezuwerden. Die Wirkung soll somit tiefste Harmonisierung sein. Der Mikrokosmos der Freimaurerei wird also quasi zum Makrokosmos, er spiegelt das Weltgeschehen wider. Und ist das dann nur ein Spiegel, eine Abbildung, oder ist das dann mehr? Die Antwort auf diese Frage wird durch das Folgende noch dringlicher eingefordert. Und damit bedeutet die angestrebte Wirkung des Rituals, das ja die Symbole der Freimaurerei integriert, „zu einem Geschehen, in welchem wir uns harmonisch in kosmische Gesetzmäßigkeiten einordnen, in welchem wir den ewigen Kreislauf des Stirb und Werde erleben; . . . So werden wir wieder zum Baustein dieser Schöpfung, der sich harmonisch einfügt in den gewaltigen und geheimnisvollen Bau des Kosmos. . . . Wir erkennen, dass das Leben dem ewigen Gesetz der Wandlung unterworfen ist, einer Wandlung zu einer immer höheren Stufe des Seins, wie es uns die Stufen der Arbeitstafeln symbolisieren. Und mancher fühlt im Geschehen des Rituals vielleicht eine Annäherung an das Göttliche. Das hängt von der Gemütsstruktur des Einzelnen ab.“117 Nach dieser Aussage werden also Mikrokosmos und Makrokosmos irgendwie eins, damit ergibt sich die Tatsache, dass die intuitive Deutung des Selbst, des eigenen Ich aber auch der Schöpfung durch das Ritual möglich wird. Diese Wirkung geht aber weit über einen bloßen Selbsterziehungsprozess hinaus, der nur mit dem „Schau in dich“ gleichzusetzen ist. Denn „der Prozess der Individuation, der Selbstfindung, ist also untrennbar mit dem rituellen Geschehen verbunden.“ Kristina Hasselmann, eine Nichtfreimaurerin, befindet: „Das Ritual dient der Visualisierung des Unsichtbaren. In der Freimaurerei ist dies einerseits das Wesen des Göttlichen und andererseits der geistigen Erkenntnisstand und der Individuationsprozess der Brüder. Es ist dabei zu unterscheiden, inwieweit sich das Ritual auf ein Individuum oder das Kollektiv von Brüdern bezieht.“118 Dieses Sich-selbst-Finden wird für den ernsthaft Suchenden aber zu einer frappierenden Entdeckung: „Er erkennt sich selbst als einen Fremden. . . . Hat man sich aber einmal gleichsam von außen betrachtet und als Fremden erkannt, dann tritt einem der wirklich Fremde, der Mitmensch, plötzlich 116

R. Appel, Die verbindende Sprache der Freimaurer, S. 28. A. Lehner, Die Esoterik der Freimaurer, Gerabronn/Crailsheim4 1997, S. 78. 118 K. Hasselmann, Identität – Verwandlung – Darstellung. Das Freimaurer-Ritual als Cultural Performance, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002, S. 47. 117

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II. Das Ritual

als Bruder entgegen.“119 Selbsterkenntnis durch das Ritual bedeutet also hier in dieser Interpretation das intuitive Bewusstsein, dass man sich selbst nicht kennt und damit wird dann Selbstbewusstsein instinktives Verstehen des anderen, der damit vom Fremden zum Freund wird. Und all das leistet das Ritual. Es leistet das alles quasi automatisch, nur dadurch dass man sich auf dieses einlässt. Und natürlich versucht man dabei – in der Ausdeutung des Rituals – sich immer wieder der Tatsache zu vergewissern, dass das Ritual ja irgendwie rückgebunden ist bei den Mysterien des Altertums, von denen man nicht nur die Arkandisziplin und Mystagogie bezieht, sondern eben auch die Wirkungen, die man immer wieder versucht von denen der christlichen Religion abzugrenzen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der Freimaurer Robert Baden Powell, der Gründer der Pfadfinderbewegung, seinen Grundsatz „learning by doing“ von den Freimaurern her auf die Jugendbewegung und –Erziehung übertragen hat. Das Tun ist also das Entscheidende im Ritual und hat einen Vorrang vor dem Wort. Trotz der besonderen Wirkung des Rituals betonen Freimaurer, dass die Mitwirkung des Einzelnen in dem Sinne, dass er sich dem Ritual öffnet, dass er bereit ist, an sich selbst zu arbeiten, als Voraussetzung für den Mitvollzug des Rituals wesentlich ist. Damit versuchen sie sich auch abzugrenzen von jeglicher Magie. Trotzdem gibt es ja nicht „das Ritual“ sondern ganz genaue Abstufungen in der Selbsterziehung. Inwiefern an den einzelnen Kreuzungspunkten der Ritualgrade Lehrling, Geselle, Meister auch diese Würdigkeit und dieses Mittun gefragt ist, das ist eine offene Frage, die ja schon einmal im Vorigen gestellt wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Folgende, und das stützt wieder eher die Theorie, dass eine gewisse Automatik der Ritualwirkungen gegeben sein dürfte, wenn man einmal, für ritualfähig befunden, in diese „heiligen Hallen“ (wie das in der Freimaureroper „Die Zauberflöte“ vom Freimaurerbruder Mozart ausgedrückt wird) der Freimaurerei eingetreten ist und die rituelle Bereitschaft bekundet hat. „Die Verwechslung oder Gleichsetzung des Esoterischen mit dem Magischen kann (. . .) dazu führen, dass einzelne oder ganze Gruppen von Freimaurern zu dem Fehlschluss gelangen, die Initiation bringe ‚automatisch‘, kraft irgendwelcher übernatürlicher Faktoren, ohne eigene Mitwirkung des Bruders das Wunder zustande, aus einem Mitglied einer Loge einen besseren Menschen zu machen.“120 Trotzdem kann dieses Setzen auf die scheinbar automatische Wirkung in einem großen Bereich der Freimaurerei nicht von der Hand gewiesen werden. Dabei spielt auch das Licht (die Lichtsymbolik ist in der Freimaurerei sehr wichtig, nicht umsonst wird von 119

Ebd., S. 84. H. Kessler, Der Schottische Ritus in Geschichte und Gegenwart, Heft I, Eigenverlag d. DOR, Frankfurt am Main 1985, Manuskript f. Brr. Joh. Mstr., S. 73. 120

5. Die Wirkung des Rituals

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der Einbringung des Lichtes in die Loge gesprochen) eine große Rolle. So heißt es etwa: „Die rituelle Symbolik der freimaurerischen Tempelarbeiten wirkt also durch die Priorität des Lichtes als Hauptsymbol auf das Gemüt erhellend, Verstand und Vernunft aufklärend und auf das Gewissen bestärkend. Diese tiefgründigen und vielseitigen psychologischen Symbolbilder, die gezielt und schockartig über die Gefühle auf das Unbewusste wirken, lassen den Betroffenen durch die Wahrnehmung und durch das Erlebnis ihr Bewusstsein erweitern, ändern und wandeln. Für die Wirksamkeit der Symbolbilder ist es belanglos, ob man sie versteht. Eine Wirkung ist auch zu verzeichnen, wenn man sich nur mit ihnen beschäftigt und über sie nachdenkt.“121 Wenn auch immer wieder vonseiten der freimaurerischen Literatur versucht wird, im Hinblick auf die übernatürliche Wirkung der Rituale alles in den Bereich des Unbewussten zu verlegen, so ist diese Argumentation doch durchaus zwiespältig. Gerade mit dem psychologischen Erklärungsmuster scheint ja in Bezug auf die Sakramente eine gewisse Abgrenzung gegeben. Trotzdem bleibt diese über-natürliche Wirkung des Rituals, die nicht nur (wie später auch aufgezeigt werden soll) als tiefenpsychologisch bedeutsam beschrieben werden kann. Wenn wir der Wirkung des Rituals auf der Spur sind, dann trifft viel eher die folgende Aussage zu: „Das Wesen der Freimaurerei hat etwas mit der Bestimmung des Menschen zu tun, der Ergründung von sich selbst. (. . .) Ein ernstes, würdiges Spiel (nämlich Bezug nehmend auf die Tempelarbeit – Anmerkung des Verfassers), das die tiefsten Kräfte der Seele weckt und in Bewegung bringt und den Freimaurer weit mehr zum humanitären Verhalten anregt und befähigt, als dies Belehrungen je vermögen.“122 Damit wird dem Ritual selbst tiefste Weisheit zugesprochen, „die freimaurerische Weisheit soll uns zu wahren Menschen machen.“123 Ein sehr hoher Anspruch, der auch eine Norm mit einschließt, nämlich die Vorstellung, was es bedeutet, wahrer Mensch zu sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, wie die Freimaurer Wahrheit sehen, nämlich in einer nach dem Dafürhalten des Autors dieser Arbeit sehr relativistischen Art und Weise. Umso interessanter wäre es, zu klären, was dann hier der Terminus vom „wahren Menschen“ bedeutet. Das initiantische Geheimnis ist also das Eigentliche, das die Freimaurerei konstituiert. Di Bernardo spricht zwar immer wieder von Initiation, die auch als „Maurerweihe“ bezeichnet wird,124 aber kaum von der rituellen 121 T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und geheimnisvoll, Bad Oeynhausen2 2002, S. 79. 122 R. Appel, Die verbindende Sprache der Freimaurer, S. 31. 123 T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und geheimnisvoll, S. 84. 124 Ebd., S. 52.

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II. Das Ritual

Arbeit nach dieser Aufnahme. Wenn er von einem „Prozess der initiantischen Vervollkommnung“125 redet, dann scheint er Initiation mit der gesamten rituellen Arbeit seit der Initiation gleichzusetzen, was den Schluss zulässt, dass bei ihm das freimaurerische Ritual insgesamt als ein immer weiter andauernder Prozess gilt, der permanente Auseinandersetzung und Einführung, also Initiation bedeutet. Für den eigentlichen Initiationsakt spielt laut diesem freimaurerischen Autor der sog. Eid eine ganz wesentliche Rolle und dieser steht neben dem Akt „der Unterwerfung unter eine Autorität“, die durch den Meister vom Stuhl repräsentiert wird, mit der Anerkennung des maurerischen Menschenverständnisses gleichberechtigt als wesentliches Kriterium der Freimaurerei, das letztlich eine Art Wesensänderung bewirkt: „Ein Maurer kann nie in seinen früheren Zustand zurückkehren (das heißt ein Ex-Maurer werden), . . .“126 Das initiantische Geheimnis (und damit auch das Ritual) steht gewissermaßen einer Ethik gegenüber, die sicher grundlegend ist, die aber andererseits auch von Nichtmaurern akzeptiert werden kann. Di Bernardo spricht von den „fundamentalen profanen Prinzipien der Freimaurerei“, nämlich von Freiheit, Toleranz, Brüderlichkeit und Transzendenz.127 Diese vier Elemente sind nach Di Bernardo „objektive Werte“ für alle Menschen, also auch für Nichtfreimaurer, und sind konstitutiv für ethisches Bewusstsein. Diesen Werten entgegengesetzt und sie ergänzend ist jedoch die differentia spezifica der Freimaurerei. „Der vollständige Gehalt der maurerischen philosophischen Anthropologie wird nur durch die Initiationsriten erworben, das heißt indem man Freimaurer wird.“128 Damit wird also durch das initiantische Geheimnis die Ethik, die Freimaurer miteinander mit allen anderen Menschen laut ihren Vorstellungen teilen können, eine Ethik des Kompromisses aller Menschen guten Willens sozusagen, erst zur freimaurerischen Ethik. „Das Geheimnis der Initiation, welches ein umfassendes erkennendes Bewusstsein vermittelt, wirft ein ‚neues Licht‘ auf die Vierzahl – Freiheit, Toleranz, Brüderlichkeit und Transzendenz – und verleiht ihr einen noch tieferen Sinn.“129 Dieses Geheimnis der Wirkung von Symbolen und Ritualen lässt sich so umschreiben: „In der Freimaurerei drücken die Symbole nur ein einziges Geheimnis aus, das Geheimnis der Initiation. Es gibt nur eine Initiation, sie besteht darin, sich als Glied der idealen Bruderkette zu begreifen.“130 125

Ebd., S. 91. Ebd., S. 52. 127 Vgl. G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild: über die Philosophie der Freimaurer, Wien 1989, S. 46 f. 128 Ebd., S. 47. 129 Ebd., S. 48. 130 Ebd., S. 57. 126

5. Die Wirkung des Rituals

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In einem anderen Zusammenhang wird die Rolle des Rituals als „Vorschlag“ bzw. Angebot gesehen. Dieser Angebotscharakter erscheint sehr viel unverbindlicher und gerade angesichts der Tatsache, wie zentral das Ritual im Allgemeinen in der Freimaurerei gesehen wird, verwundert eine solche „Untertreibung“. Immerhin wird dadurch auch das Spektrum der Zuschreibungen von Wirkungen in Bezug auf das Ritual angedeutet. Auf jeden Fall unterstreicht auch dieser Blickwinkel, dass Symbolik und Ritual zur Erziehung, und damit ist es Selbsterziehung, führen. Dazu im Folgenden aus einer „Zeichnung“ (auch Baustück genannt), so nennt man die Beschäftigung mit für die Freimaurerei inhaltlich relevanten Dingen durch die einzelnen Mitglieder im Rahmen der freimaurerischen Arbeit. Diese inhaltliche Auseinandersetzung gehört zwar auch zur Arbeit in der Loge, ist aber getrennt zu sehen vom unmittelbaren Ritual: „Auch wir haben im Ritual eine Vielzahl von Vorschlägen darüber, was uns wichtig sein sollte, auf persönlicher, sozialer und spiritueller Ebene. Ein gutes Beispiel und schönes Werkzeug ist der 24-zöllige Maßstab, eines der Werkzeuge des Lehrlings. Er besagt, dass wir die Zeit, die uns gegeben ist ‚mit Weisheit‘ einteilen sollen. Was aber ist diese Weisheit? Wir sollten Arbeit, Familie, Schlaf und Erholung und ‚der Arbeit an uns selbst‘ gleich viel unserer Zeit schenken.“131 Eine andere Zeichnung sieht die Rituale und Symbole als eine Möglichkeit, sich gegenseitig mitzuteilen und damit sind sie als eine Art von Sprache zu sehen. Die Wirkung dieser Sprache ist, dass damit viel leichter das Intendierte aufzufassen ist. „Die Freimaurerei bringt es durch ihre Symbole (und damit natürlich auch durch die Rituale, die ja die Form und den Rahmen bilden – Anmerkung des Verfassers) zustande, zu den Wahrheitssuchern der verschiedenen Länder in einer Sprache zu sprechen und ihnen ein persönliches Erlebnis zu vermitteln, das Geheimnis der Freimaurerei.“132 Zwei Aspekte sind hier von Bedeutung: Einmal, dass diese eingängige Sprache des Rituals als für alle verbindend gesehen wird, dass ihr also eine gewisse Bedeutung für das Gemeinsame und damit für die Konstituierung der Gemeinsamkeit nicht abzusprechen ist. Durch diese Sprache können auch Freimaurer aus anderen Kulturen und anderer Sprachzugehörigkeiten „verstehen“. Di Bernardo sieht in dieser Art Sprache eine Möglichkeit, dass die Freimaurerei für das Projekt einer neuen Utopie für die Menschheit 131

Zeichnung von Br. L. S., Erkenne dich selbst – aber wie? Gedanken über das Wichtige und das Handeln, in: www.loge-arst.de/bibliothek/erkennedich.html, eingesehen am 5. Mai 2007. 132 Zitat aus einem Brief, der im Rahmen der offenen Internetliste zur Freimaurerei auf die Frage des Autors nach der Bedeutung der Rituale für die Persönlichkeitsbildung an den Autor gerichtet wurde. Johannes Steuer-Emmerich schrieb diesen Brief am 6. Mai 1999. Er zitiert darin aus einem Baustück, das er für die Arbeit in seiner Loge verfasste.

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II. Das Ritual

eine wichtige Rolle einnehmen könnte. Er parallelisiert die Bestrebungen, eine Weltethik der Religionen aufzustellen, mit dem Ziel eines Dialoges aller Religionsbekenntnisse, mit dem Beitrag der Freimaurerei. „Wenn beide Ethiken sich auch zum Ziel setzen, den Menschen zu bessern und harmonische soziale Beziehungen zu schaffen, so ist ihre Wirkmöglichkeit doch begrenzt. (. . .) Die universelle Ethik der Freimaurerei andererseits wird zwar seit langer Zeit realisiert, bleibt aber in ihrer Wirkung auf den Kreis der Freimaurer beschränkt. Es wäre für die ganze Menschheit von Nutzen, wenn sie eine größere Verbreitung fände und als ethisches Modell für den Menschen schlechthin vorgestellt würde.“133 Damit könnte der Beitrag der Freimaurerei und damit das Besondere nicht nur in einer Vorlage eines ethischen Konzeptes liegen, so Di Bernardo, sondern auf der Symbolebene. Gerade weil die Freimaurerei von dieser Ebene ausgehen, könne sie in diesem Bereich der Verständigung eine Rolle spielen: „Gerade durch ihren symbolischen Charakter nähert sie sich der Mystik. Deshalb ist der Freimaurer für den Gebrauch der Symbolsprache vorbereitet, wenn er seine Wahrheiten ausdrücken will. Er ist deshalb potentiell darauf ausgerichtet, den Symbolen Bedeutungen zu verleihen, die über die historischen Gegebenheiten hinausgehen, an welche die Freimaurerei als menschliche Gesellschaft gebunden ist.“134 Diese über die historischen Gegebenheiten hinausgehende Sprache ist aber verankert in der Mystik. Di Bernardo dazu: „Die Mystik liefert der Freimaurerei jene intuitive Grundlage, welche wesentliche Vorbedingung für die freimaurerischen Rituale bildet.“135 Wie schon im Vorigen dargelegt wurde: Durch diese gemeinsame Sprache des Rituals tritt dem einzelnen Freimaurer auch die Verbindung innerhalb der Bruderkette vor Augen. Diese Bruderkette umschließt aber natürlich dann alle Freimaurer und nicht alle Menschen guten Willens im Sinne einer Ethik. Damit wird durch Initiation bzw. Ritual eben auch ein „Mehr“ konstituiert, eine Verbindung der Freimaurer, aller Träger des initiantischen Geheimnisses, untereinander. Dieses Mehr unterscheidet sich aber eindeutig von der reduktionistischen Haltung, die vertritt, die Rituale hätten nur Vorschlagscharakter. Das Zweite ist der Terminus „Wahrheitssucher“, der hier verwendet wird. Bei den meisten freimaurerischen Autoren wird der Be133 G. Di Bernardo, Die neue Utopie der Freimaurerei, Wien 1997, S. 137. Er beleuchtet in seinem Werk die Gemeinsamkeit einer Ethik der Weltreligionen, ganz im Sinne von Hans Küng, in dessen Buch „Projekt Weltethos“ Überlegungen der Erklärung für eine weltumfassende Ethik eines Kongresses der Vertreter verschiedener Religionen 1993 in Chicago (Parlament der Weltreligionen). 134 Di Bernardo, Die neue Utopie der Freimaurerei, S. 139. 135 Ebd., S. 139.

5. Die Wirkung des Rituals

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griff der Wahrheit nur mit großer Vorsicht verwendet, da der Anspruch einer absoluten Wahrheit insgesamt in Zweifel gezogen wird, was ja vor allem auch durch den Adogmatismus der Freimaurerei unter Beweis gestellt wird. „Für den Maurer dagegen ist die Wahrheit ein gedanklicher Richtpunkt, nach dem er sich bei seiner initiantischen Selbstveredelung ausrichtet. Die Wahrheit ist ein fern liegendes Ziel, dem er sich schrittweise nähern kann, ohne es je zu erreichen. Kein Maurer kann für sich in Anspruch nehmen, die Wahrheit zu besitzen. Wenn er das täte, so würde er die Wahrheit zum Inhalt einer Offenbarung machen und damit der Freimaurerei die Bedeutung einer Religion geben.“136 Allerdings gibt es in diesem Kontext auch andere Stimmen, die sogar das Jesuswort „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ masonisch kommentieren, wenn es heißt: „Der ‚Weg‘, der das Ziel ist, befiehlt die richtige Richtung, die des universellen Humanismus. Das Ich muss diesen Weg gehen. Die ‚Wahrheit‘ setzt eine entsprechende Erkenntnisfähigkeit voraus, ich muss die Wahrheit erkennen. Das ‚Leben‘ letztendlich symbolisiert die konkrete, angewandte Umsetzung des ‚Weges‘ und der ‚Wahrheit‘, die kein Selbstzweck ist. In dieser Dreieinigkeit der ‚Ich‘-Bildung spiegelt sich die gesamte masonische Ethik wider.“137 Von Bedeutung ist im Zusammenhang mit der Behandlung der Wirkung des Rituals die folgende Aussage, die die Vereinigte Großloge der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von England 1983 unter dem Titel „Erklärung über Freimaurerei und Religion“ getroffen hat, indem sie die Wirkung der Freimaurerei insgesamt, aber natürlich auch des zentralen Elementes, des Rituals, wie folgt bestimmt: „Sie (die Freimaurerei – Anmerkung des Verfassers) sucht kein Seelenheil durch Werke, geheime Erkenntnis oder auf andere Weise.“ („Die maurerischen Geheimnisse haben nur mit den Erkennungszeichen und nichts mit dem Seelenheil zu tun.“)138 Was wird also nun vom Ritual erwartet, welche Funktion hat das maurerische Ritual in diesem Kontext der Selbstverwirklichung? „Wenn für die Freimaurerei die Initiation das Mittel ist, die ethische Vervollkommnung des Menschen zu bewirken, so sind die Rituale Werkzeuge, mit denen die ethische Vervollkommnung schrittweise und kontinuierlich herbeigeführt wird. Das Ritual lehrt, ‚wie der raue Stein zu glätten sei‘, und ist darum von fundamentaler Bedeutung.“139 Das ist also der Anspruch der 136 G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild über die Philosophie der Freimaurer, S. 45. 137 P. Stiegnitz. Gott ohne Kirche, S. 158 f. 138 Zitiert nach G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild über die Philosophie der Freimaurer, S. 100 f. 139 Ebd., S. 123.

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II. Das Ritual

Freimaurerei, der in diesem Zusammenhang nur etwas mit Ethik, aber nicht mit Erlösung zu tun haben will. Di Bernardo betont, dass es bei dieser Ethik nur um die Entwicklung in die Richtung, ein besserer Mensch zu werden, geht und so ist „die christliche Vorstellung der Vervollkommnung nicht identisch mit der maurerischen Vervollkommnung und unterscheidet sich von dieser durch den Einbezug von Werten, die nicht rein ethischer Art sind.“140 Damit redet zumindest Di Bernardo der Beschränkung der Wirkung des freimaurerischen Rituals auf einen Teilbereich des Lebens das Wort und versucht eine klare Demarkationslinie zum religiösen Anspruch zu ziehen. Das setzt andererseits auch voraus, dass er versucht, auch diejenigen religiösen Freimaurer, die im Ritual eine Ergänzung des Glaubens sehen, in die Pflicht zu nehmen und ihnen sagt, das wäre dann zwar individuell möglich, gleichzeitig müsste man sich allerdings vor Augen halten, dass das Ritual ja für alle Freimaurer Gültigkeit haben müsse. Allerdings wird in diesen Abgrenzungsversuchen gegenüber der Religion bei Di Bernardo eines ganz deutlich: Bei allem fast ängstlichem Bemühen trifft hier der Versuch der Demarkation nur jene Begriffe von Religion, die vordergründig mit dem Christentum und der Religion zu tun haben scheinen. Das zeigt sich etwa, wenn Di Bernardo davon spricht, dass sich die Freimaurerei ja nur selber beschränke und keine Heilslehre sein wolle, die von ganzheitlicher Erlösung spricht. Andererseits favorisiert Di Bernardo sehr die die Idee des Weltethos, eine religions-übergreifende Idee, deren Wichtigkeit immer wieder in der Freimaurerei hervorgehoben wird. Der frühere Freimaurer Burkhardt Gorissen zu Hans Küng, dem Schöpfer der Definition des Begriffes „Weltethos“, der 2007 den Kulturpreis der Deutschen Freimaurer erhielt, und zur angeblichen Nähe Küngs zur Positionierung der Freimaurer gegenüber der Religion: „In Küngs Glaubenskosmos existiert Gott nur am Rande, als Denkfigur der Gnosis. In seinem Glaubensbekenntnis geht es ausschließlich um Humanität. Logisch, dass er die Gottessohnschaft Jesu zugunsten einer Beliebigkeitsfloskel verkauft. Damit entspricht Nichtfreimaurer Küng in vorauseilendem Gehorsam dem freimaurerischen Welteinheitsbild, das zwar mit christlicher Wahrheit nichts zu tun hat, dafür die Entchristlichung zugunsten einer Neuen Weltreligion vorantreibt.“141 b) In der Kirche In der Kirche geht es um die Begegnung mit Gott, es geht um das Heil des Menschen. In diesem Kapitel gehen wir aus von einer zunächst sehr 140 141

Ebd., S. 122. B. Gorissen, Ich war Freimaurer, S. 277 f.

5. Die Wirkung des Rituals

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legalistischen, allgemeinen Betrachtung der Wirkung der Sakramente, um dann über den persönlichen Anteil eines jeden Einzelnen zu sprechen. Dabei ist das eine untrennbar mit dem anderen verbunden. aa) Aus der Sicht der Lehrsätze Wie ist also nun die Wirkung des Sakramentes/der Sakramente zu sehen? Die Kirchenversammlung von Florenz (1438–1445) gibt dazu eine Antwort: „Diese unsere Sakramente enthalten die Gnade und teilen sie denen mit, die sie würdig empfangen. Die ersten fünf dieser Sakramente sind zur eigenen geistigen Vervollkommnung eines jeden Menschen bestimmt, die letzten zwei zu Leitung und Mehrung der Gesamtkirche.“142 Beim ersten Lesen dieses Lehrentscheides drängen sich durchaus Parallelen zu dem auf, was wir als Wirkung des freimaurerischen Rituals dargestellt haben. Dabei wird ja auch von der geistigen Vervollkommnung bzw. von dem Aufbau des Tempels der Humanität gesprochen. Auch von der Unterstützung der Ethik war die Rede. Eine wesentliche Sache fehlt aber: Die Heilsrelevanz. Trotzdem wird in weiterer Folge zu fragen sein, ob nicht auch das freimaurerische Ritual eine gewisse Form der (Selbst-)Erlösung darstellt. Mit dem ersten Satz, von der Gnade, scheint also im Dogma von Florenz doch eine wesentliche Unterscheidung markiert. Trotzdem überrascht die knappe Formulierung der Florentiner Kirchenversammlung, vor allem auf dem Hintergrund, dass im Satz davor nur dürr darüber gesprochen wird, dass die Sakramente des Alten Bundes nicht jene Gnade wirkten, sondern nur darauf hinwiesen, dass „die Gnade durch Christi Leiden einmal gegeben werde.“143 Wenn auch danach die Wirkungen der einzelne Sakramente thematisiert werden, so fällt doch auf, dass man, wie schon an anderer Stelle beschrieben, durchaus einen fast mechanistischen Zugang zu den Sakramenten als Möglichkeit der Gnadenmitteilung, eben als Gefäße der Gnade, hatte. Auch hier, in einer gewissen Sicht des Automatismus des Rituals könnte man Parallelen feststellen. Könnte man, wenn man nur eine einseitige Sicht hätte, die sich ausschließlich auf den Lehrentscheid zur Unterweisung der Armenier im Text der Kirchenversammlung von Florenz beziehen wollte. Wenn auch das Konzil von Trient im Wesentlichen vor allem auf die Lehren von Luther reagiert und klarstellt, so scheint doch eine Punktion wesentlich: „Wer sagt, die Sakramente des Neuen Bundes seien nicht alle von Christus Jesus, unserem Herrn, eingesetzt, . . ., der sei ausgeschlossen.“144 142 143 144

DH 1312. DH 1310. DH 1601.

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II. Das Ritual

Wenn auch das Konzil von der Stoßrichtung her in diesem Dogma auf die Siebenzahl der Sakramente geht, dann ist hier in unserem Kontext wohl eher die Tatsache von Bedeutung, dass alles letztlich festgemacht und zentriert wird an und auf Jesus Christus hin und damit das Christusereignis der Angelpunkt schlechthin ist. Wie schon erläutert ist er der, von dem alles Sakramentale ausgeht und damit ist er die Verbindung zwischen Gott und Mensch, Christusbegegnung ist damit Gottesbegegnung. Noch einmal beziehen wir uns auf die Kirchenversammlung von Trient, die bezüglich der Wirkungen der einzelnen Sakramente feststellt: „Denn durch die Taufe werden wir geistig wiedergeboren; durch die Firmung wird unsere Gnade gemehrt und unser Glaube gestärkt; wiedergeboren und gestärkt werden wir genährt durch die göttliche Speise der Eucharistie; wenn wir durch die Sünde in Krankheit der Seele fallen, werden wir durch die Buße geistig geheilt; geheilt werden wir auch geistig, und, falls es der Seele nützt, körperlich durch die Letzte Ölung; durch die Weihe aber wird die Kirche gelenkt und geistig gemehrt; durch die Ehe wird sie leiblich gemehrt.“145 bb) Sakramente der Lebendigen und der Toten Natürlich hat man gerade die Einzelaspekte zu den Sakramenten in der Theologie im Laufe der Jahrhunderte ausgefaltet und hat eine wichtige Unterscheidung gemacht: Es gibt sog. Sakramente der Toten und der Lebendigen. Tot bzw. lebendig wird hier immer verstanden im Zusammenhang mit der Gnade, ein Begriff, der sich logischerweise in unserer Darstellung der Wirkung im freimaurerischen Ritual, wenigstens nicht ausdrücklich, findet. Ein Mensch, der noch nicht oder nicht mehr im Stande der heilig machenden Gnade ist, dem wird dieses Sakrament gegeben bzw. kann ihm geschenkt werden Dabei ist vornehmlich an Taufe, Buße und Krankensalbung zu denken, die ja alle auch auf Sündenvergebung abgestimmt sind. Den Gnadenstand des Empfängers setzen die sog. Sakramente der Lebendigen voraus, also Firmung, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe und auch die Krankensalbung. Allerdings ist diese Unterscheidung nicht festgefahren: „Wenn jemand in gutem Glauben vergisst, dass er im Stande der Todsünde ist, und aufrichtig und in religiöser Absicht ein Sakrament der Lebendigen empfängt, so wird dieses Sakrament auf Grund der Tatsache, dass die konkrete Gnade immer eine Erlösungsgnade ist, zugleich die Vergebung der Todsünde bewirken.“146 Damit wird sowohl die Dimension des Todes als auch der Sünde, des schuldhaften Versagens eines Menschen, im Zusam145

DH 1311. E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, Mainz 1960, S. 138. 146

5. Die Wirkung des Rituals

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menhang mit dem Ritual (Sakrament) ins Spiel gebracht und damit erfolgt auch eine klare Absetzbewegung von den Ritual-Wirkungen bei den Freimaurern. Auch Gnade ist ein Begriff, der die Besonderheit der Gottesbeziehung bzw. des Sakramentes bestimmt. Sie ist sogar das Schlüsselwort in Bezug auf die Wirkung des Sakramentes. Wichtig aber, das wurde schon im Vorherigen betont, ist es zu bedenken, dass diese Gnade eine nicht vom Menschen gemachte oder von Gott verselbstständigte Sache ist. Auch die Idee der Todsünde, des Abgeschnitten-Seins von Gott durch eine bewusste Entscheidung des Menschen ist spezifisch christlich. Daraus ergibt sich die besondere Verantwortung des Einzelnen für seine Taten, aber auch für den anderen bzw. der Gemeinschaft für die Menschen innerhalb derselben. Und dieses Abgeschnitten-Sein ist nicht etwas, wofür nur der Mensch die Verantwortung hat, sondern letztlich bleibt das Ganze Gott anheimgestellt. Es liegt an ihm, zu versöhnen bzw. die Versöhnung anzunehmen. Im Christentum spielt die Verbindung des Todes mit der Sünde eine entscheidende Rolle, wenn es etwa in Eph 2,5 heißt: „Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet.“ Diese klare Verbindung zwischen dem HeilsMittel Sakrament und Christus, der uns diese Gnade zuspricht, kommt auch klar zum Ausdruck, wenn es im NT heißt: „Mit Christus werdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt, durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat. Ihr wart tot infolge eurer Sünden, (. . .); Gott aber hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht und uns alle Sünden vergeben.“ (Kol 2,12f) Von Bedeutung ist im Zusammenhang mit der Vergebung, die durch das Sakrament in Gottes Güte erfolgt, auch die Betonung des Weges, den der Mensch im Sakrament mit ihm geht, wie auch die Freimaurerei das Prozesshafte des Rituals betont. „Denn obwohl die Vergebung als solche in einem Augenblick vollzogen wird, kennt sie trotzdem einen weiteren dynamischen Prozess, durch den die Heiligkeit je länger je mehr die ganze Psychologie des ‚Bekehrten‘ ergreift und umformt. Dies weist auch darauf hin, dass die verschiedenen Sakramente, so sehr sie sich auch formal voneinander unterscheiden, ein organisches Ganzes bilden, durch das die Gnade allmählich zu ihrem vollen Triumph kommt und der Mensch persönlich voll erlöst wird.“147 Wenn die Freimaurer also in den Kontext des Rituals eingetreten sind, dann bedeutet ja auch das Nacheinander von Initiation bzw. Ritual einen gewissen „heiligen“ Bereich (in der Unterscheidung vom profanen Bereich), der diese Vervollkommnung des Menschen zu bewirken hat. Es erhebt sich die Frage, ob das, wenn man das Ritual nicht so ganz147

E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 138.

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II. Das Ritual

heitlich wie das Sakrament sieht, überhaupt geht. Oder ist die Aussage, das freimaurerische Ritual würde nicht den ganzen Menschen umfassen und sei eigentlich nicht am Heil des Menschen orientiert, nur eine Ausrede? cc) Der persönliche Anteil Wie groß soll bzw. muss also der persönliche Anteil eines Menschen im Sakrament selber sein? Braucht die Christusbegegnung im Sakrament Gegenseitigkeit bzw. wie groß ist die Rolle des Menschen dabei? Hier müssen wir uns ganz klar von jedem Denken, man könne sich diesen Liebeserweis Christi selber als Mensch durch eigene gute Werke und durch eigenes Handeln irgendwie verdienen, distanzieren. Ein solches Denken, das ausgeht von einer Art Selbsterlösung, wäre nicht christlich und würde letztlich auch den Anteil Christi bzw. Gottes marginalisieren. Wir gehen also aus von der ausgestreckten Hand Gottes in der Inkarnation durch Christus. Sie ist Grund, Anfangs- und Endpunkt des Sakramentes und unseres Heiles. Trotzdem stellt sich die Frage, ob damit der Passivität und Automatik das Wort geredet wird. „Passieren“ mir als Menschen eigentlich nur diese Sakramente, weil ich irgendwie in den christlichen Kontext gestellt wurde? Die Liebe Christi bleibt, ganz unabhängig, ob der Mensch diese beantwortet oder nicht. Sie ist eigentlich der Fixpunkt, der das Sakrament konstituiert. „Doch damit ist noch lange nicht alles gesagt. Denn der innere religiöse Einsatz des empfangenden, oder besser: mitbittenden und mitfeiernden, Subjekts ist keine bloße vorsakramentale Disposition oder innere Verfassung, sondern tritt in das Wesen des sakramentalen Kultmysteriums der Kirche selbst ein.“148 Es geht also – um noch einmal die Sprache des oben zitierten Konzils von Florenz aufzunehmen – darum, dass man das Sakrament würdig empfängt. Wir haben schon von dieser ausgestreckten Hand Gottes im Sakrament gesprochen. Diese stellt den Termin her, die Situation zu einer solchen Begegnung, das ist auch die Gelegenheit, einfach in der Gemeinschaft der Kirche, in die diese Begegnung hineinvermittelt und -konstituiert ist, das alles zu erleben. Aber diese Begegnung wäre eine Fiktion, sie wäre heuchlerisch und lügnerisch, wenn sie nicht auch letztlich gebunden wäre an beide Partner. Auch wenn ein Sakrament sicher zustande kommt, wenn diese Sicherheit des Geschehens ermöglicht wird, dann bleibt immer noch die Frage offen, ob der Mensch dieses Angebot der Gnade wirklich annimmt oder nicht. Denn dieses Sich-nur-über-sich-ergehen-Lassen eines Sakramentes wirft doch die Frage danach auf, wie die Disposition des Einzelnen war. „Weil die Gegenseitigkeit der Begegnung wesentlich für die Be148

E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 135.

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gegnung selbst ist, gehört die religiöse Haltung des empfangenden oder begegnenden Subjekts zum Kern des vollwertigen Sakramentes als einer personalen Begegnung mit dem lebendigen Christus.“149 Ich muss mir also vergegenwärtigen, dass dieser Christus ganz konkret zu mir kommen will, ganz persönlich zu mir. Ich kann nicht darauf schauen, mich dem irgendwie adäquat würdig zu erweisen, aber ich kann mich um eine Haltung bemühen, die dieser Begegnung eher entspricht. Ich kann mein Selbst irgendwie zurichten, so wie wenn man sich schöne Kleider anzieht, wenn man zu einem wichtigen Termin geht. Natürlich hinkt auch dieser Vergleich, weil es in dieser sakramentalen Begegnung um den Kern der Persönlichkeit geht und nicht nur um die reine Äußerlichkeit. Trotzdem: Die Haltung, dass ich diese personale Begegnung, die mich im Innerstern trifft, nicht nur zulasse, sondern dass ich mein ganzes Leben irgendwie auf diese Metanoia auf Christus hin, durch die Begegnung, ausrichte, bedeutet, dass ich diese Symbolhandlung nicht nur passiv über mich ergehen lasse, sondern dass ich in Freiheit die Antwort in dieser Begegnung einbringe. Denn als in Freiheit Gerufener hat der Christ die Möglichkeit, auch im sakramentalen Geschehen Nähe und Distanz selbst zu definieren. Als Christen sprechen wir in diesem Zusammenhang von der Fruchtbarkeit des Sakramentes. Und damit müssen wir immer auch die Gemeinschaft der Heiligen, das heißt die gesamte Kirche mitdenken. „Der religiöse Einsatz des empfangenden Subjekts zeugt gerade von einem positiven Willen, sich inniger an die kirchliche Gnadengemeinschaft und in ihr an Christus anzuschließen, von dem allein das Heil erwartet wird.“150 Das Sakrament wird damit zur Antwort, zum Greifen nach der Erlösung durch Christus. Hier wird die Erlösungsgnade dem Menschen voll und ganz vermittelt und es liegt am Menschen, wie er antwortet, was er aus dieser macht. Fruchtbarkeit heißt in diesem Falle das Bemühen und Bestreben, dem Christusgeheimnis noch mehr inne zu werden und dabei zu wissen, dass ich es nie ganz erfassen könnte, wenn nicht Christus uns dieses Sakrament als Sicherheit im Zeichen geschenkt hätte. Das Sakrament ist aber auch nicht ein Weg, durch den man „sich, im Gegensatz zu der außersakramentalen Begnadung, reichlichere Gnade unter weniger religiöser Treue erwerben kann.“151 Man darf also das Sakramentale und damit von Christus Geschenkte und innerhalb der Gemeinschaft der Kirche autorisierte Zeichen nicht ausspielen gegenüber anderen Formen der Frömmigkeit und des Strebens nach Heiligkeit. Damit würde das Sakrament entwertet und umgekehrt würde 149 150 151

E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 135. E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 136. E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 137.

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II. Das Ritual

man dem persönlichen Bemühen, das ja – wie wir in der Diskussion um den persönlichen Beitrag im Streben nach der Fruchtbarkeit des Sakramentes gesehen haben – keinen guten Dienst erweisen, da es ja für die Fruchtbarkeit in der personalen Begegnung mit Christus auch im Sakrament wesentlich ist. dd) Schicksalsgemeinschaft mit der Trinität Wir haben schon über diese neue, innige Verbindung mit Christus, seinem Leben, Leiden und Sterben, aber auch mit seiner Auferstehung gesprochen, die letztlich immer die Schicksalsgemeinschaft mit der Trinität herund darstellt. Diese Einwohnung in Gott ist letztlich die Fülle des Sakramentes und damit die Wirkung desselben. Wenn wir in dieser schicksalhaften Gemeinschaft mit Christus sind, dann sind wir mitten drinnen in Christus. „Das heißt, dass die Selbstenteignung und das Opfer zur Grundlage unserer Gottesgemeinschaft werden und dass wir gerade in der Erniedrigung des Lebens zur Mitverherrlichung mit Christus kommen. Durch diese Tatsache selbst werden die ‚Naturwunden“ geheilt.“152 Das bedeutet nun nicht, dass das Leiden vollständig ausgelöscht wird, aber die personale Gemeinschaft mit Gott bedeutet letztlich Heilung. Bedeutet Heilung in einem umfassenden Sinn, nämlich Hineingenommen-werden in diese Beziehung der Trinität, diese unmittelbare Wirkung der Sakramente, die innerhalb der Kirche stattfindet, macht also aus, dass „der sakramentale Mensch nie allein ist, sondern dass er in Intimität mit dem stets Wirksamen seine christlichen Lebensaufträge ausführt.“153 Das bedeutet nun aber nicht Vertröstung auf eine andere Ebene der Welt und somit das, was Marx als die Wirkung der Religion als „Opium des Volkes“ gesehen hat. Es meint aber auch nicht, dass christliche Lebensaufträge irgendwie ein Gängelband darstellen, wodurch man die Freiheit freiwillig aufgibt. Vielmehr ist diese Integration in Gottes Fülle die Ganzheit des Lebens, bei der es eben keine Aufträge gibt, sondern Entfaltung in Freiheit und Liebe, wie auch hier die Liebe die Unzulänglichkeiten und Unzukömmlichkeiten des Lebens einfach in sich birgt und aufhebt. Durch diese Fülle in Gott wird die Liebe geschenkt und damit werden Hindernisse in eine neue, andere Dimension gehoben, ohne allerdings dem Leben abwertend oder abwartend gegenüber zu stehen. Im katholischen Sakramentenverständnis unterscheiden wir die Sakramente Taufe, Firmung und Weihe von den übrigen vier insofern, als diese drei ein geistliches und unauslöschliches Zeichen der Seele einprägen (Konzil von Florenz). „Der wesentliche Sinn dieses 152 153

E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 186. E. H. Schillebeeckx, Christus, Sakrament der Gottesbegegnung, S. 188.

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Merkmals ist die bleibende consecratio an Christus.“154 Diese Sakramente mit ihrem unauslöschlichen Zeichen können demnach nur einmal im Leben empfangen werden, was bedeutet, „dass dem Charakter seiner Inhaltlichkeit nach die bleibende, durch ein sakramental geschichtliches Vorkommnis geschehende Beanspruchtheit des Getauften durch die Kirche Christi ist.“155 Lothar Lies erklärt den im Mittelalter immer wieder angesprochenen Aspekt der „Unzerstörbarkeit“ des Merkmales dadurch, dass die Unzerstörbarkeit des Charakters „nichts anderes meint als die niemals kündbare Treue Gottes. Der Charakter ist ‚indebilis‘, weil die Treue Gottes zum Menschen nicht zerstörbar ist. An den unauslöschlichen Charakter zu glauben, heißt die Treue Gottes zu verherrlichen, die in der Taufe, in der Firmung und auch in der Priesterweihe mich und die ganze Kirche heimsucht.“156 Wichtig ist es in diesem Zusammenhang noch einmal zu betonen, dass wegen der Unterscheidung vom unauslöschlichen Charakter trotzdem alle Sakramente diese Fülle der Gnade beinhalten und Gnadenmittel sind. Alle Sakramente beinhalten diese Begegnung und diese Innewerden mit Gott, sie umgreifen alle Aspekte des menschlichen Lebens. Und sie sind nicht nur diese o. a. Schicksalsgemeinschaft mit Gott, sondern sie sind auch eingebunden in diese Schicksalsgemeinschaft der Menschen in der Kirche. Insofern ist auch der Anspruch der Kirche(n) als katholisch zu sehen: „Der extensive Sinn von ‚katholisch‘ kann kosmisch, räumlich und zeitlich verstanden werden. Keine bloß menschliche Gemeinschaft darf sich dieses Prädikat zulegen. Die Katholizität der Kirche besagt zugleich die innige Gemeinschaft mit Christus.“157 Damit ist natürlich nicht die Bezeichnung „katholische“ Kirche als rein konfessionelle Bezeichnung gemeint. Katholisch ist eine Kirche in der Ausrichtung auf alle Menschen hin, weil natürlich auch die Ausrichtung Christi und seines Erlösungswerkes letztlich alle Menschen und den gesamten Kosmos umgreift. „Alle Sakramente haben, weil durch die Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes mit der Kirche verbunden und in ihr gegründet, an der Katholizität der Kirche teil und stiften ihrerseits diese Katholizität immer wieder neu. Somit sollen wir vom Sakrament niemals – wie das ja immer wieder geschieht – nur das Trennende sehen – sondern vielmehr die einigende Funktion desselben.“

154 F. Courth, Die Sakramente. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis, Freiburg/ Basel/Wien 1995, S. 64. 155 K. Rahner, Kirche und Sakramente, Quaestiones Disputatae 10, Freiburg 1961, S. 79. 156 L. Lies, Sakramententheologie, S. 221. 157 L. Lies, Sakramententheologie, S. 204.

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II. Das Ritual

6. Ritualliturgie Es ist nun auch wichtig, die Gestalt beider, des freimaurerischen Rituals und des Sakramentes der katholischen Kirche miteinander zu vergleichen. Dabei geht es nicht nur um die bloße Struktur oder um irgendwelche Strukturelemente alleine, sondern diese Liturgie der Rituale lebt ja nicht für sich, sondern sagt selber sehr viel über das jeweilige Ritual und über das, was es zelebriert, aus. a) Im freimaurerischen Ritual Natürlich gibt es bei den Freimaurern unterschiedliche Rituale und es besteht Ritualfreiheit, trotzdem sind „allen Ritualen der Freimaurer besondere Kriterien eigen, ohne die von einem freimaurerischen Ritual nicht gesprochen werden kann.“158 Es geht also um Elemente, die unabdingbar sind und ohne die das freimaurerische Ritual nicht auskommen kann. „Unabdinglich sind: 1. Das Gebet (die Anrufung) 2. Der Eid (ursprünglich in einer schweren, symbolisch verschlüsselten Form.) 3. Die Vermittlung von Zeichen, Wort und Griff und die besonderen Umstände einer Aufnahme. 4. Die Fragestücke oder Katechismen.“159

Unter Ritual versteht man im Bereich der blauen Freimaurerei nur etwas, das entweder eine Initiation – etwa des Lehrlings – oder aber eine Transformation, eine Erhebung in einen anderen Bereich, etwa vom Lehrling zum Gesellen oder vom Gesellen zum Meister beinhaltet.160 Scherpe weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, wie wichtig es in manchen Ländern ist, dass das Ritual sich an die strengen Vorschriften hält und dass es dort mitunter sogar als äußerst problematisch angesehen wird, wenn man sich verspricht (z. B. in England). „Die falsche Passage (es wird alles auswendig gesprochen), ist sofort richtig zu wiederholen.“161 Bei der Analyse der Struktur ist auffallend, dass einerseits etwa Bock162 den Ablauf einer Tempelarbeit aus einem aufsteigenden und einem absteigenden Ast bestehend sieht, wobei es hier vor allem um die Frage des 158 W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual. Versuch einer Darstellung von Instruktionen für Ritual, Symbolik und Logenordnungen in der Großloge AF und AM von Deutschland, Braunschweig3 1990, S. 74. 159 W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual, S. 74. 160 Vgl. ebd., S. 76. 161 Ebd., S. 76.

6. Ritualliturgie

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Spannungsbogens geht. Dabei ist das Ganze nicht vergleichbar mit dem anabatischen und katabatischen Element im Sakrament. Es geht darum, dass in verschiedenen Stufen „das Heilige“ bzw. eine weihevolle Atmosphäre hergestellt wird: So steht als Ziel dieses Aufsteigens eigentlich die Schaffung der heiligen Zeit, nämlich von Hochmittag. Zu Beginn wird dabei das Urlicht entzündet, es erfolgt der Einzug der Brüder und schließlich der Beamten. Nach der Werklehre wird der heilige Raum installiert und es erfolgt die Entzündung der kleinen und großen Lichter, des flammenden Sterns und die Installierung des „Schwertes des Gesetzes“, das über die Alten Pflichten, die Ordnung der Großloge und das Hausgesetz gelegt wird. Nach dem Ritual bzw. am Ende desselben erfolgt die Durchführung der brüderlichen Ordnung, die Werklehre, das Löschen der Lichter, die Rückführung des heiligen Raumes, die Rückführung der heiligen Zeit (es ist am Ende des Rituals Hochmitternacht), schließlich die Entlassung der Brüder, die Entlassung der Beamten und die Löschung des Urlichtes, jenes Lichtes, woran alles andere entzündet wurde. Auch Erler zeigt in leicht abgewandelter Form dieses Modell des Aufund Absteigens an, indem er verschiedene Stufen darstellt.163 Wichtig erscheint ihm dabei, dass eine Balance zwischen den beiden Armen, dem aufsteigenden und dem absteigenden Ritus besteht, der in insgesamt zehn Stufen eingeteilt wird. Bei dieser Systematisierung steht als erste Stufe die Sicherung – d.i. die sog. Deckung der Loge – und Reinigung und damit der Eintritt in den Ritus. Auf Stufe II erfolgt die Darstellung des Vorhabens, also um welchen Ritus, um die Erhebung in welchem Ritual es geht. In der Stufe III wird das Licht hereingerufen und die Stufe IV ist praktisch die Übertragung auf eine höhere Ebene, damit meint Erler „die Festlegung des rituellen Ortes, des Tempels als Symbol des Weltalls“. Schließlich sieht Erler in Stufe V die eigentliche Arbeit bzw. den Hoch- oder Hauptritus. Damit ist die Spitze erreicht, in der Stufe VI beginnt der absteigende Ritus mit der Schließung der eigentlichen Arbeit, und genauer noch mit der „ersten Danksagung“. In Stufe VII wird das Licht „entlassen“, in der Stufe VIII erfolgt die Darstellung der vollendeten Arbeit bzw. die Sammlung in der Bruderkette. Die Stufe IX bedeutet nach Erler: „Zweite Danksagung (Kettenspruch), Übertragung der Ergebnisse auf die profane Ebene (‚Zeigen wir auch im profanen Leben‘ . . .), Schließung der Loge.“ Mit der Stufe X, der Entlassung der Brüder, ist der absteigende Ritus beendet. 162

W. Scherpe publiziert in seinem Buch „Das Unbekannte im Ritual“ als Abb. 12 die Darstellung des Ablaufs einer Tempelarbeit aus H. O. Bock, Die fünfte alte Pflicht der Freimaurer im Prozess der Dombauhütte von St. Stephan vor Kaiser Maximilian 1512, in: Quator Coronati, April 1971, Heft 8, S. 5. 163 Wir beziehen uns im Folgenden auf M. Erler, Der moderne Mensch und das Ritual, München 1964, S. 23 ff.

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II. Das Ritual

Es geht also bei beiden Systematisierungen um die Schaffung des heiligen Raumes, nur werden die Akzente – betrachtet man den gesamten Ritus – jeweils anders gesetzt. Dabei betont Bock eher die Details der einzelnen Vorgänge, während Erler eine andere Formalisierung in sog. Stufen vornimmt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber die Gegebenheit, dass beide Formalisierungen die Tatsache betonen, dass die beiden Äste, der aufsteigende und der absteigende, in der Waage gehalten werden sollen und dass beide Formalisierungen einander weitgehend entsprechen.164 b) Im Sakrament Auch hier müssen wir von den Grundbedingungen eines Sakramentes ausgehen: Es geht dabei um diese untrennbare Verbindung desselben mit dem Stifter, Jesus Christus, aber auch mit der Kirche. Ohne diese innere Verbindung ist ein Sakrament nicht vorstellbar. Das, was Kirche ausmacht, macht auch ein Sakrament aus, die Merkmale der Kirche sind gleichzeitig die Sinnelemente und die innere Struktur der Sakramente. So wie aber auch die Sakramente auf die Kirche bezogen sind, so ist die Kirche auf die Sakramente bezogen. Und diese innere Einheit ruht in Christus. Das Konzil von Nizäa hat im Jahr 325 die Gottheit Christi definiert, und zwar indem der Glaube an den Herrn Jesus Christus verkündet wird, „den Sohn Gottes, als Einziggeborener gezeugt vom Vater, das heißt aus der Wesenheit des Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem Vater.“165 Es ist ein logischer Schritt nach dieser „Positionsbestimmung“ der Einheit mit dem Vater, auch das Wirken Christi auf Erden über Tod und Auferstehung hinaus anzusprechen, wie es das Konzil von Nizäa auch tut, wenn über die Kirche gesprochen wird als von der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. „Seit diesen Tagen nennt man diese Bezeichnungen ‚Notae ecclesiae‘ (Merkmale der Kirche) und bringt sie zugleich mit Christus, dem Sohn Gottes, in Verbindung. Denn es besteht zwischen dem Christusereignis und den Notae ecclesiae ein heilsökonomischer Zusammenhang, sodass die Notae ecclesiae eigentlich Ausdruck der Gegenwart Christi in der Kirche sind.“166 Diese Merkmale der Kirche haben zutiefst mit dem Christusgeheimnis zu tun und sind daher nur in der Einheit zu sehen, sind deshalb nicht voneinan164

Siehe dazu W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual, S. 77. NR 155, DH 125. 166 L. Lies, Eucharistie als Höhepunkt kirchlichen Lebens – auch in der Gemeinde, Referat beim Diözesanen Priestertag der Diözese Fulda am 6.6.2001 in der Orangerie zu Fulda, zitiert aus: www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/98.html, eingesehen am 3. November 2007. 165

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der abzuheben oder zu trennen. So wie eben Christus der eine ist, der nur in dieser Ganzheit als wahrer Gott und Mensch gesehen werden muss, so muss eben auch die Kirche betrachtet werden. Und die Kirche kann nur deshalb als „heilig“ betrachtet werden, weil sie diese Heiligkeit durch Christus bekommt: Kirche ist in dem Sinne immer eine vermittelte, eine, die auf diesen Christus verweist. Christus steht am Anfang und am Ziel aller Sakramente. Deshalb kann mit Recht diese Heiligkeit, weil sie eine durch Christus geschenkte und vermittelte ist, ausgesagt werden über die Kirche. Wir haben im Vorherigen schon dargetan, dass Katholizität der Kirche nicht eingeschränkt werden darf auf die Konfessionsbezeichnung, sondern dass dieser Begriff ausgeht vom umfassenden Heilswillen Gottes durch Christus für alle Menschen. Die Apostolizität der Kirche meint letztlich das Bekenntnis zu Christus. Christus ist der Verursacher – des Heils und der Kirche – er ist damit auch Ur-Apostel. Die Kirche steht also in der Tradition der Apostel, der Bezeuger Jesu Christi und der Herrlichkeit des Vaters. „Die Kirche ist nicht nur deshalb apostolisch, weil sie das Zeugnis der Apostel verkündet, sondern weil sie sich in ihrem apostolischen Glauben zu dem Christus, der Urapostel selbst, als für alle Menschen gegenwärtig bezeugt.“167 Wie können wir nun diese Einheit von Christus mit seiner Kirche, die sich konkretisiert in Merkmalen, auch mit der Sinngestalt der Sakramente in Beziehung setzen? Diese Sinnstruktur der Sakramente ist gekennzeichnet durch den Segen, die Berakah, wie dieser im Alten Testament genannt wird oder die Eulogie, das Segensgeschehen. „Die in dieser Eulogie eingeschlossenen und untereinander nicht zu trennenden Sinn-Elemente sind Anmanese (Gedächtnis), Epiklese (Herabrufung des Geistes), Thaumasia (Staunen) über die Koinonia (Communio) mit dem gegenwärtigen Christus und den Menschen, schließlich Prosphora (Darbringung). Die Einheit der Sinnelemente wird besonders deutlich, wenn wir die genannten Sinn-Elemente in ihrem Segenscharakter formulieren: Deus benedixit (Anamnese); Deus benedicat (Epiklese); Deus benedicit (Koinonia); Deus benedicatur (Prosphora).“168 Damit ist nun die Brücke geschlagen zu den Strukturelementen des sakramentalen Geschehens in der katholischen Kirche. Diese Strukturelemente umfassen alle Sakramente. Was wir in diesem Zusammenhang also tun, ist ausgehen von der Sinngestalt der Sakramente, die verweist auf das Innerste des Christentums und des Heilsereignisses, und nicht von der Feiergestalt der einzelnen Sakramente. Bei unserer Betrachtung der Sinnstruktur des 167 L. Lies, Eucharistie als Höhepunkt kirchlichen Lebens – auch in der Gemeinde. Interpunktion wurde vom Autor dieser Arbeit im Hinblick auf das Original verändert, weil damit beabsichtigt wird, das Ziel des Textes besser hervorzuheben. 168 L. Lies, Eucharistie als Höhepunkt kirchlichen Lebens – auch in der Gemeinde.

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II. Das Ritual

freimaurerischen Rituals stand eher diese Feiergestalt im Mittelpunkt, die den aufsteigenden und den absteigenden Arm aufweist im Sinne eines Dramas, das dem Höhepunkt und der „Heiligkeit“, weg von der Profanität, zustrebt und schließlich wieder zurückführt in den Alltag. Für das Christentum bedeutet dieses Geschehen der Anamnese, Epiklese, Konionia und Prosphora dieses Ineinander von Kata- und Anabatischem. Es ist ein ganzheitlicher Prozess, der eben diese Kommunikation zwischen Gott und Mensch, dieses Einander-wert-sein in den Mittelpunkt stellt. Diese Identität, dieses Ineinander von Christus, Kirche und Sakrament wurde schon thematisiert. Das Segensgeschehen, das soeben skizziert wurde, spiegelt dieses Ineinander wider. Wenn wir von Anamnese sprechen, dann bedeutet diese Er-innerung: Ein Innewerden der Kirche auf Christus hin und damit vollzieht sie das, was unter den Merkmalen der Kirche vom NiceanoKonstantinopolitaneum gesagt wird: Die Kirche ist apostolische Kirche, sie lebt aus dem Zeugnis. „Damit ist die Kirche in ihrem Glaubensvollzug wesentlich ‚Gedächtnis‘ des Urzeugnisses der Apostel. Dieses Gedächtnis ist aber nicht ein leeres Nachdenken, sondern ein gläubiges Offensein für das mit der Botschaft ankommende Christusereignis. Gedenken der Kirche ist Gegenwart des Gedachten.“169 Genauso verhält es sich mit der Epiklese: Nur in Christus, dem Heiligen, kann die Heiligkeit der Kirche, aber auch jene der Sakramente gründen. Und er will die volle Koinonia, aller Menschen, die er umfasst, und damit ist der „Anteil an Christus, die Gemeinschaft mit ihm und unter den Christen in ihm, und durch ihn ausdrückliche Segenstat des Vaters im Himmel.“170 Bleibt noch die Prosphora und ihren inneren Wirkzusammenhang zu erläutern: Wenn es heißt, dass die Kirche nur eine bzw. einzige ist, dann ist sie das aufgrund ihrer Auserwählung, aufgrund ihres Gegenüber zu Christus und wegen der Tatsache, dass sie in seinem Geiste lebt. Und damit verbunden diese doppelseitige Hingabe: Die Hingabe Christi für uns und unsere Hingabe an Gott. „Das Lobopfer Christi, das Kreuz, geschieht zum Heil der Menschen und bedeutet Hingabe an sie. (. . .) Das jubelnde Bekenntnis zu Christus dem Herrn ist zugleich das Lobopfer der Christen zur Verherrlichung des Vaters.“171 Damit ist diese Konsistenz all dessen, was das Sakrament ausmacht, aufgezeigt: Es geht bei der Frage nach Strukturelementen nicht vordringlich um eine Systematisierung oder Erfassung bzw. Beschreibung der Feier, auch nicht um die Frage, wie der dramaturgische Höhepunkt im Heiligen 169 170 171

L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 47. L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 48. Ebd., S. 49.

7. Ritual als personales Geschehen

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zum Ausdruck gebracht wird oder besser zelebriert werden kann: Es geht um eine Gestalt, die ausgeht von dem einen, heiligen, uns in allem umfassenden und von den Aposteln bis heute bezeugten und erinnerten Christus, der in der Mitte der Kirche lebt. 7. Ritual als personales Geschehen Was ist personales Geschehen bzw. wie muss der Anspruch, jeweils im freimaurerischen Ritual bzw. im kirchlichen Sakrament personales Geschehen zu verwirklichen, gesehen werden? Dabei ist eines vorab zu klären: Es gab und gibt zwar eine Inflation, mit der man den Sachverhalt, der hinter dem Begriff „personales Geschehen“ steht, beschreibt, allerdings wird kaum davon gesprochen, was die Kriterien eines solchen personalen Geschehens tatsächlich sind. Anhand der vorgeschlagenen Gliederung versuchen wir, solche Kriterien sowohl im freimaurerischen Ritual als auch im Bereich der Sakramente zu orten. a) In der Freimaurerei In der Freimaurerei wird zwar auch von Brüderlichkeit, der Bruderkette und dem Miteinander gesprochen. Und natürlich ist das Ziel der Freimaurerei der Aufbau des Tempels der Humanität, der ja letztlich auf das soziale Leben abzielt. Trotzdem gibt es diesen Totalanspruch der Schicksalsgemeinschaft, wie ihn das Sakrament und die Kirche hat, nicht. Das freimaurerische Geschehen beschränkt sich ja ganz bewusst auf das Handeln und blendet – wenigstens der Theorie nach – das Gesamt des Menschen aus. Die Frage, die wir hier auch stellen müssen, ist, ob es solch einen Totalanspruch, der den Menschen umgreift und in dem der Mensch gewissermaßen zu seinem innersten Selbst, zu seinem Personkern kommt, überhaupt braucht, um vom personalen Geschehen zu sprechen. Trotzdem sehen wir aber, dass dieser totale Anspruch an den Menschen sehr wohl in der Freimaurerei gegeben ist, weil ja von ganzheitlicher Erziehung und einem Erlebnis der Ganzheit im Ritual gesprochen wird. Kann es, wenn ich mich auf die moralische Seite beschränke, eben auf diesen Aufbau des Tempel der Humanität, kann es da dann ein personales Geschehen im Ritual geben? aa) Personales Geschehen als Bewerten Letztlich geht es aber doch auch hier, beim Aufbau eines individuellen, von der Gemeinschaft der Freimaurer inspirierten Wertekatalogs, der das gesamte Leben umgreift und nicht nur irgendwelche kleinere, abgeschlos-

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II. Das Ritual

sene Bereiche, fundamental um Lebensausrichtung und Orientierung: Wenn personales Geschehen nun bedeutet, dass der Mensch von einem reinen Faktenwissen zu einem Wissen kommt, das den Stellenwert von Dingen persönlich bewertet, dann entspricht das freimaurerische Wert-Denken sicher auch dem Kriterium, ein Ausdruck personalen Geschehens zu sein. Damit muss dann auch eingeschlossen sein, dass diese persönliche Bewertung Konsequenzen für den jeweiligen Menschen hat, weil er nun damit auch seinen persönlichen, für ihn maßgeblichen Wertemaßstab gefunden hat und fürderhin in seinem Leben anlegt. Aber ist dieses persönliche Entscheiden und Bewerten schon genug, um personales Geschehen zu konstituieren? Trifft eine solche Entscheidung immer ganz den Personenkern, sind solche Entscheidung nicht hin und wieder sehr banal und pragmatisch und gehen u. U. auch von sog. Zufällen und Gewohnheiten aus? Natürlich spielen auch Konventionen und Zwänge eine leitende Rolle für viele solcher Entscheidungen. Ausschlaggebend ist also auch der Stellenwert einer solchen Entscheidung. Wann bin ich in einer solchen ganz auf mich selbst zurückgeworfen, wo nimmt mir niemand mehr diese ab? Das bedeutet, es wird auch von der Qualität der Frage abhängen, wie die Entscheidung selber zu beurteilen ist. Wir haben daran erinnert, wie die Leitfragen der Freimaurer an die Lehrlinge lauten: Dabei geht es doch um mehr als um die bloße Frage nach dem Hier und Jetzt. Es geht um die Stellungnahme zum Begriff des großen Baumeisters aller Welten. Das Ganze ist dabei entschärft durch das Wort „Begriff“. Wenn ich zu einem Begriff Stellung nehme, dann hat das eine andere Qualität als wenn ich zu einer Person meine Stellung beziehe. Und es gibt natürlich noch einmal einen Unterschied, ob dieses Stellung-Beziehen rein intellektuell ist oder ob meine persönliche Ausrichtung, mein Mittun und meine Antwort hier gefragt sind. Aber es ist nicht zu leugnen, dass es hier sehr wohl – wenigstens in Ansätzen – um ein persönliches Abstecken von Grenzen geht, wenn auch das Wort „Bekenntnis“ zu hochtrabend wäre. Ganz anders verhält es sich bei der zweiten Frage, nämlich wo es um die Erwartungen des künftigen Freimaurers geht, inwiefern das kommende Leben durch die Mitgliedschaft bei diesem Bund beeinflusst wird. Hier kann man diesen persönlichen Rahmen, der eine Ausrichtung erfordert, nicht wegleugnen, wenn auch diese Frage quasi „intellektuell“ und nicht „spirituell“ aufgelöst wird und sehr viele Rückzugsmöglichkeiten offenlässt. Ganz eindeutig um eine persönliche Stellungnahme – auch wenn diese Frage intellektuell gefärbt ist und Ausweichmöglichkeiten bietet – handelt es sich bei der dritten Frage, inwiefern der Gefragte an der Verwirklichung der Idee der Freimaurerei beitragen kann. Bezeichnend ist auch hier, dass es dabei nicht um Personen geht, sondern um die Idee als solche. Es wird hier zwar eine persönliche Stellungnahme eingefordert, aber der Begriff Idee ist

7. Ritual als personales Geschehen

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sehr weit gefasst und lässt viele Optionen offen. Der Sinn der freimaurerischen Arbeit, so sagt es das Lehrlingsritual, ist also: „Erziehung des Menschen und der Menschheit zur Menschlichkeit.“172 Bilanzierend kann gesagt werden: Wenn auch das Beispiel, betreffend die Fragen aus dem Lehrlingsritual, nur sehr punktuell ist, so wird doch der Entscheidungscharakter in der Freimaurerei betont und es ist irgendwie intendiert, dass mit dem Freimaurer-Werden auch Lebensorientierung verbunden ist, allerdings gibt es dabei sehr viele Möglichkeiten, sich zurückzuziehen und in eine gewisse Unverbindlichkeit, auch was die Beantwortung der Fragen abhängt, abzugleiten. In diesem Zusammenhang mag es auch von den jeweiligen Logenmitgliedern abhängen, inwiefern sie eine Art Unverbindlichkeit auch tatsächlich akzeptieren, wiewohl natürlich von der Ausrichtung der Freimaurerei auf große Toleranz es eher wahrscheinlich ist, dass eine solche Unverbindlichkeit im freimaurerischen Rahmen nicht nur Platz hat, sondern sogar durchaus in der Mehrzahl der Logen als Qualitätskriterium der eigenen Toleranz gesehen werden dürfte. Diese Interpretation wird auch unterstützt durch die folgende freimaurerische Definition des Toleranzbegriffes, wenn es heißt: „Die Einsicht in die Bedingtheit aller Wahrheiten bildet bei der freimaurerischen Toleranzidee das auslösende Motiv. . . . Die Freimaurerei fasst die Toleranzidee im weitherzigsten Sinne auf.“173 Trotzdem müsse natürlich betont werden, dass der freimaurerische Toleranzbegriff nicht der Indifferenz gegenüber der Handlung eines anderen das Wort rede, sondern betont, dass man die Handlungsweise oder Meinung eines anderen aus Respekt vor dem anderen toleriert.174 bb) Personales Geschehen als Begegnung Wenn man normalerweise von personalem Geschehen spricht, dann scheint die Begegnung bzw. der Begegnungscharakter von Handlungen einen ganz wichtigen Stellenwert einzunehmen. Inwiefern kommt in einer Handlung, einem Bündel von Handlungen, dieser Charakter zum Ausdruck, inwiefern wird durch eine solche Handlung Begegnung gefördert bzw. evtl. auch verhindert? Wie sieht das nun im freimaurerischen Ritual aus? In allen Ritualen wird der Ausdruck „Bruder“ als Anredeform bzw. zur Identifikation im Selbstverständnis verwendet. Das impliziert natürlich 172 Ritual I der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. Bearbeitet vom Ritualkollegium der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, Hamburg5 1974, S. 58. 173 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 843 f. 174 Vgl. G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild über die Philosophie der Freimaurer, Wien 1989, S. 40.

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II. Das Ritual

schon eine gewisse Form der Beziehung in der Begegnung, die freundschaftlich ist und der normierenden Absicht nach genau diese Begegnung über den rein formalen Rahmen hinaus in einen personalen Rahmen hinein impliziert. Wie sollen nun die Freimaurer einander begegnen? Hiezu gibt das Lehrlingsritual zur Schließung der Loge eine Antwort: „Auf gleicher Ebene.“175 Damit soll angedeutet werden, dass es keine Klassen- und Rangunterschiede unter den Freimaurern selber gibt. Das ist ein Reflex der Gegebenheiten der Gründerzeit der Freimaurerei: „Jedes Mitglied sollte gleichberechtigt sein, egal welchem Stand es angehörte – für die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, die stark hierarchisch gegliedert war, eine echte Herausforderung.176 Allerdings bleibt der Begriff ‚Bruder‘ hier auf die Mitglieder der Freimaurer beschränkt. Im Lehrlingsritual heißt es, wenn es um den Umgang der Freimaurer untereinander geht: „Wir trennen die Kette der Hände, die Kette der Herzen bleibt.“177 Wenn das Ziel der Freimaurerei beleuchtet wird, dann geht es um die ‚Stärkung der Brüder‘, die nach dem Ritual ‚sicher und ruhig‘ zu den Pflichten des Lebens zurückkehren sollen.178 Im Gesellenritual wird der Begegnungscharakter um einen weiteren Aspekt bereichert, wenn die Aufforderung nach dem sinnbildlichen Zeigen der Stärke der Gemeinschaft in Form der Unzerbrechlichkeit vieler aneinandergefügter Stäbe an die Gesellen ergeht: „Wandert fröhlich in der Gemeinschaft, aber habt Acht auf euch selbst.“179 cc) Personales Geschehen als Vertrauen Vertrauen wird im Ritual immer wieder thematisiert, vor allem wenn etwa im Lehrlingsritual der mit einer Augenbinde Versehene sich durch die Hand des Bruders leiten lässt. Dabei wird gesagt: „Ich fasse Ihre Hand, denn unsicher sind die Schritte dessen, der seinen Pfad allein im Dunkel sucht.“180 Damit wird auch die Angewiesenheit aufeinander im sozialen Kontext zum Thema gemacht, wobei hier die Abbildungsfunktion des freimaurerischen Rituals für den Makrokosmos, für das Leben an sich, zu berücksichtigen ist. 175

Ritual I, S. 60. G. Kuhn, Die Freimaurer – auf der Suche nach der geistigen Vervollkommnung, in: Bayern2Radio – radio Wissen, Red. B. Reimer, zitiert aus: www.br-online.de/ wissen-bildung/collegeradio/medien/ethik/freimaurer/manuskript/freimaurer__manu skript.pdf vom 25. August 2007. 177 Ritual I, S. 40. 178 Vgl. Ritual I, S. 58. 179 Ritual II der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. Handschrift für Brr. Freimaurer, Münster2 1985, S. 41. 180 Ritual I, S. 24. 176

7. Ritual als personales Geschehen

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Die Frage der Bürgschaft ist von großer Bedeutung, z. B. im Lehrlingsritual, bei dem aufgrund der Vertrauenswürdigkeit dieses Bürgen festgestellt wird, dass dem Neuankömmling, dem neu Aufzunehmenden, der Eintritt in den Bund gestattet wird.181 Die Tatsache wird im Lehrlingsritual vor Augen geführt, dass man zwar vor Fremden lange Zeit die Charakterfehler verbergen könne, nicht jedoch seinem Bruder gegenüber. Dabei heißt es: „Sie haben uns erlaubt, Ihre Augen zu verschließen und Sie an einen unbekannten Ort zu führen. Wir werden Ihr Vertrauen nicht missbrauchen . . .“182 In der zweiten Reise als Lehrling wird allegorisch die Gefahr des Lebens nachgespielt und letztlich wird hier auch das Vertrauen angesprochen, wenn es heißt: „Die Hand eines sehenden Bruders hat Sie bewahrt. Wohl dem, der stets einen Freund und Bruder zur Seite hat.“183 Weiters wird dem Gesellen im Ritual gesagt, dass „allein Ordnung und brüderliche Gemeinschaft den Bau fördern.“184 Im Meisterritual gibt es die Aufforderung, sich mit Mut und Vertrauen zu wappnen185, vor allem angesichts des Todes, der im Meisterritual thematisiert wird. dd) Personales Geschehen als Annahme „Meine Brüder Meister und Gesellen erkennen mich dafür (ein Freimaurer zu sein – Anmerkung des Verfassers).“186 Damit wird im freimaurerischen Lehrlingsritual der Ausweis gegeben für die freimaurerische Identität des Lehrlings. Weil die Brüder ihn, den Lehrling, als Freimaurer erkennen, ist er ein solcher. Er wird und ist also Freimaurer durch die anderen, die ihn als gleichwertig und als Bruder angenommen haben. Gleichzeitig bedeutet das aber auch die Verpflichtung der anderen, dem Neuen, dem Lehrling zu helfen, indem man ihn einführt. „Brüder, helft unserem neuen Bruder, mit den Schritten des Lehrlings den Arbeitsteppich zu überschreiten.“187 Dabei wird auch die Freundschaft thematisiert, wenn es etwa bei der zweiten Reise durch Norden im Lehrlingsritual heißt: „Ich ziehe Sie an mich, und es kann Ihnen nichts geschehen.“188 Die freimaurerische Annahme gibt also Sicherheit, es kann dem anderen nichts geschehen, wenn er 181

Ritual I, S. 27. Ritual I, S. 28. 183 Ritual I, S. 31. 184 Ritual II, S. 43. 185 Ritual III der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. Handschrift für Brr. Freimaurer, Münster2 1985, S. 33. 186 Ritual I, S. 14. 187 Ritual I, S. 41. 188 Ritual I, S. 32. 182

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II. Das Ritual

in der Bruderkette ist. Trotzdem bleibt die Bruderkette nicht das alleinige Zeichen der Annahme. Weiters wird diese Brüderlichkeit auch durch das Unterhaken dargestellt: Der Lehrling, der das Beförderungsritual zum Gesellen erlebt, soll, wenn er die Zeichen seiner Zugehörigkeit zu den Lehrlingen gegeben hat, nämlich das Passwort des Lehrlingsgrades nach Zeichen, Wort und Griff, sich beim Vorbereitenden Bruder unterhaken.189 Ein weiteres gemeinsames Zeichen – wie wir schon thematisiert haben –, ist auch der Allmächtige Baumeister aller Welten, der aber nur sehr rudimentär vorkommt, und von dem noch zu klären ist, ob es sich um einen wichtigen Begriff oder gar um eine Chiffre handelt. Gerade in einem weiteren Kapitel werden wir der Frage nachgehen, ob es sich bei der Wendung an dem A. B. A. W. um eine Art Gebet handelt. „Ihr Blick ist nach Osten gerichtet, auf das Symbol der Allgegenwart des Großen Baumeisters der Welten. In den Ewigen Osten geht unser aller Weg. Er ist auch das Ziel Ihrer irdischen Wanderung.“190 Mit dem Führungsgriff wird im Meisterritual der zu befördernde Geselle quasi auf der Reise durch den Tempel zu den Sinnbildern im Norden, Osten und Westen geleitet.191 Diese Konfrontation mit dem Tod, vorbereitet dadurch, dass man dem zu befördernden Gesellen vorher einen Totenschädel in die Hand gegeben hat, ist so etwas wie ein Zeichen der Beruhigung, der körperlichen Nähe, des Mit-seins und der Solidarität. Ein weiteres körperliches Zeichen für diese Nähe ist das Halten des Gesellen bei der Hand durch die Aufseher, wenn die ersten Schritte, wenn die drei Meisterschritte über den Sarg vollzogen werden.192 Bei der Erhebung aus dem Tode zur Meisterschaft gibt es weitere solche körperliche Zeichen: „Dies sind die fünf Punkte der Meisterschaft: Fuß gegen Fuß, Knie gegen Knie, Hand in Hand, Brust an Brust und den linken Arm um den Nacken des Bruders gelegt, wobei man einander das neue Meisterwort mitteilt.“193 Interessant ist die Bedeutung, die diesen fünf Zeichen unterlegt wird und die auch entsprechend im Ritual erklärt wird: „Fuß gegen Fuß: wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Knie gegen Knie: was dir heilig ist, das soll auch mir heilig sein. Brust gegen Brust: in Freud und Leid soll mein Herz mit dem deinen schlagen. Hand in Hand, die Finger zur Kralle gebogen: ich will dich führen und geleiten und werde dich von unbedachter Handlung zurückreißen. Die linke Hand um den Nacken des Bruders: ich werde dich aufrichten, wenn du zu fallen drohst. Ich werde auch das von dir abwenden, was hinter deinem Rü189 190 191 192 193

Vgl. dazu: Ritual II, S. 35. Ritual I, S. 41. Vgl. Ritual III, S. 34. Vgl. Ritual III, S. 36. Ritual III, S. 45.

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cken dir Schaden bringen kann.“194 Die erste Erklärung ist nichts anderes als ein Zitat aus dem Buch Rut, das vor allem in Trauungsgottesdiensten verwendet wird. Diese erste Bedeutung, gemeinsam mit „in Freud und Leid soll mein Herz mit dem deinen schlagen“ bzw. mit „ich werde dich aufrichten, wenn du zu fallen drohst“ sind im Ritual starke Kundgaben der Sicherheit und Annahme. Sie sind auf die Zukunft ausgerichtet und sollen die Haltung der Brüder gegenüber dem jeweils anderen zeigen. Generell bedeutet Annahme in der Freimaurerei die Radikalisierung der Frage nach dem Selbst, nach der Erkenntnis der je eigenen Person, es ist dieses „Erkenne dich selbst“, das in der Johannismaurerei in drei Stufen – entsprechend den Entwicklungsstufen Lehrling, Geselle Meister konzipiert ist. Dabei geht man im Bereich des Lehrlings von der Selbsterkenntnis aus, der Gesellengrad wird als „die Stufe der Selbstbeherrschung“ und damit als „diejenige Stufe angesehen, bei der man lernt, wie man sich harmonisch in die Gemeinschaft einfügt, und schließlich der Meistergrad soll die Stufe der Selbstveredelung sein, die zur Vollendung des Tempelbaus führt.“195 Damit erkennen wir ein Modell, indem man von dem Ich ausgeht und dann dadurch alle anderen Bezüge in den Blick bekommt. „Logen waren und sind – so verstanden – Modelle, und zwar keine abstrakten Denkmodelle, sondern konkrete ‚Übungsstätten‘ für das schwierige Geschäft der zwischenmenschlichen Beziehungen.“196 Mit diesem Zitat wird die bisherige Sichtweise abgerundet. Damit wird nämlich insinuiert, dass es sich dabei eher um etwas Technisches handelt, um etwas, das man erlernen kann, ganz im Sinne von Lebenshilfe und von kommunikationstheoretischen Grundlagen. Das würde dann auch das Kriterium der „Annahme“ nicht mehr ganz betreffen. ee) Zusätzliche Kriterien für personales Geschehen? Wenn wir persönliche Entscheidung zur Lebensorientierung, Begegnung, Vertrauen und Annahme als wichtige Kriterien für personales Geschehen angegeben haben, dann muss auch gefragt werden, ob diese Kriterien schon genügen. Wenn im Vorigen drei Bedeutungen der fünf Punkte der Meisterschaft herausgenommen wurden, die alle eine bestimmte Haltung der Brüder zueinander demonstrieren, dann erhebt sich die Frage, inwieweit es sich bei diesen Bedeutungen um echte persönliche Bekenntnisse handelt, wo ein Bruder bekennt, für den anderen einstehen zu wollen. Handelt es sich dabei um ein Versprechen, eine persönliche Beziehung? In den meisten Fällen, 194 195 196

Ritual III, S. 49. Vgl. J. Holtorf, K.-H. Lock, Stichwort Freimaurer, München3 1996, S. 52. J. Holtorf, Die Logen der Freimaurer, S. 19 f.

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die wir hier aus den drei Ritualen zum Beweis für Vertrauen, Begegnung und Annahme angeführt haben, werden zwar diese Kriterien berührt und angeführt, trotzdem werden sie aufgelöst im Ritual. Damit scheint die Referenz, durch Wort genauso wie durch Zeichen, auf diese Bereiche hin, wichtiger und stärker, als diese Eigenschaften selbst. Es handelt sich hier scheinbar um denselben Unterschied wie zwischen der Realität des Handelns und Seins einerseits und dem Sprechen darüber andererseits. Das Ritual deutet und spricht über Brüderlichkeit und dgl., aber diese Ereignisse, von denen gesprochen wird, sind vermittelt durch das Ritual alleine. Damit werden solche im Ritual vermittelte Ereignisse ein Reden über etwas, aber nicht unbedingt ein Bekenntnis zu etwas. Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Rituellen im sakramentalen Bereich werden wir solche zusätzliche Kriterien ins Spiel bringen, die ein zusätzliches Maß an Personalität und Beziehung bedeuten. Wenn auch gewisse Grundformen des personalen Geschehens und der Beziehung im freimaurerischen Ritual und auch im Alltag, wenn es etwa um Mildtätigkeit geht, durchaus verwirklich sind – wenn auch unter Umständen vermittelt, wie wir festgestellt haben – dann erhebt sich die Frage, ob es im sakramentalen Geschehen des Christ-Seins nicht doch innerhalb der katholischen Kirche eine wesentlich andere Qualität des personalen Geschehens gibt. b) In der katholischen Kirche In der katholischen Kirche ist der Bezugspunkt ganz ein anderer. Hier gehe ich nicht aus von der alleinigen Reflexion über mich selbst, sondern letztlich geht es dabei zentral um das, was Jesus Christus vermittelt, wenn er die Gottesliebe und die Nächstenliebe als das Wesentliche uns vor Augen stellt. Und auch das Sakrament ist nicht etwas, das selbstverursachend und für sich alleine steht, sondern auch dieses ist letztlich immer etwas durch Gott Gestiftetes. aa) Personale Begegnung als Bewerten Jesus, der Christus, fordert den Menschen, damals wie heute, zu einer Entscheidung heraus, die ihm niemand abnehmen kann, die eine ganz persönliche ist, die letztlich diese Nachfolge Christi für jeden Einzelnen bedeutet. Die Frage wird auch heute an uns noch sein, wie sie damals Jesus an seine Jünger gestellt hat: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ (Mt 16,13) Das Bekenntnis, das Simon Petrus daraufhin gibt, muss auch von seiner Kirche, von allen Mitgliedern seiner Kirche und damit auch von uns immer neu nachvollzogen werden: „Du bist der Messias, der Sohn des

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lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16) Dieses hat dann weit reichende Konsequenzen: Richtmaß ist dann nicht mehr meine Person oder mein Selbstkonzept alleine, ich muss dieses integrieren in die Nachfolge Christi, ausgerichtet auf dieses Du Gottes, genauso wie Christus auf uns Menschen ausgerichtet ist und auf Vater und Geist. Dabei ist diese klare Stellungnahme eminent wichtig – so wie es im NT heißt: „Ich kenne deine Werke, du bist weder kalt noch heiß. Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“ (Offb 3,15) Damit ist eines klar: Man kann sich als Christ nicht durchlavieren durch alle Fährnisse des Lebens und dabei immer – ohne anzuecken – im opportunistischen Sinne das tun, was gerade günstig ist. Man muss sich entscheiden in dieser Nachfolge Christi: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lk 9,23) Und das bedeutet ganz konkret eben auch die Konflikthaftigkeit durch die Botschaft Jesu. Die Botschaft Jesus bedeutet eben keinen Kuschelkurs, sondern konkrete Entscheidung, die auch Feindschaft und Unfrieden nach sich ziehen kann. Auf diesen Aspekt wird im NT hingewiesen, wenn es heißt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34) Damit hat der Friede seinen Preis, es ist der Preis, auch u. U. durch den Streit hindurch mit einem klaren Bekenntnis für eine Sache einzustehen. Die Qualität dieses Bekenntnisses zu Christus ist aber grundverschieden zum freimaurerischen Bekenntnis. Es ist nicht die Bindung an eine Idee wie in der Freimaurerei, sondern es ist die Bindung an eine konkrete Person, an Christus selbst. Wir leben in Christus. „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,5–2,8) Damit werden Selbstentäußerung und scheinbares Verlieren zum Programm, trotzdem ist das Christentum keine Religion der Verlierer oder Zu-kurz-Gekommenen, denn diese Kategorien haben seit und mit Christus eine ganz neue Dimension, deren einziges Richtmaß die Liebe darstellt. Das Christentum ist damit auch das Bekenntnis zu den Paradoxa: Zum Paradoxon des Kreuzes, das unmittelbar als Schandmal Christus und seine Botschaft radikal in Frage stellt, danach aber zum Heils- und Siegeszeichen wird. Genauso verhält es sich mit: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Mt 16,24) Diese Orientierung in der Nachfolge Christi hat also radikale Auswirkungen. So darf man vor einem Satz nicht die Augen verschließen: „Willst du aber das Leben erlangen, so halte die Gebote!“ (Mt 17,19) Denn die Auflösung der Komponente, bei der Jesus zum Han-

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deln aus seinem Geist heraus aufruft, würde dem Christentum massive Gewalt antun und würde es verzerren. „Diese aus der Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft sich ergebende Moral zu suspendieren, die von den Vätern mit der Aussicht auf himmlischen Lohn verbunden wird, der dem gläubigen Menschen in einer ganz neuen Weise gestattet, selbstlos zu sein und aufmerksam für die Mitmenschen, würde die christliche Gemeinschaft für die Zukunft aller Anziehungskraft berauben. Dass neben die Forderung nach christlicher Vollkommenheit die Verheißung und Bereitschaft nach uneingeschränkter Sündenvergebung treten muss, sollte keines weiteren Wortes bedürfen.“197 So ist das Christentum immer Entscheidung und Orientierung, aber nicht vordergründig an irgendwelchen abstrakten Ideen, sondern an der Hauptperson Jesus und damit auch am Menschen. Diese Bindung an Christus und an die Menschen steht im Zentrum. bb) Personales Geschehen als Begegnung Wenn an anderer Stelle davon gesprochen wird, dass es am angemessensten ist, von Sakramenten als Begegnungsräume mit Gott zu sprechen, dann wird deutlich, dass die Begegnung eine wesentliche Rolle spielt. Begegnung meint im sakramental-christlichen Kontext aber zugleich auch ein Sich-Öffnen. Ohne diese Öffnung auf Gott und den anderen hin ist ein Sakrament nicht vorstellbar und auch von der Stiftung her nicht vorgesehen. Gerade weil Christlichkeit etwas Gemeinschaftliches ist, bei dem ich nicht allein mein „Christ-Sein“ verwirklichen kann, wurde die Kirche gestiftet und nur in der Verfasstheit der Kirche ist Sakrament zu denken. Diese Überzeugung „ist auf ihre Art ein Zeugnis dafür, dass Gottes den Menschen ergreifende Initiative der menschlichen Entscheidung zuvorkommt, vor allem aber besagt sie, dass die Heilszusage Gottes im Sakrament auch den Anruf an den einzelnen Menschen darstellt, er möge seine ‚Christusfrömmigkeit‘ (Gal 3,27) über das Individuelle hinaus als kirchliche Existenz akzeptieren und innerhalb der Kirche die ihm zukommenden Aufgaben wahrnehmen.“198 Wir haben schon betont, dass der Anspruch des Katholischen weit jenseits eines Konfessionsanspruches steht. Dieses Allumfassende ist nicht nur der Lebensvollzug in einer fest abgegrenzten Kirche, sondern durch das Allumfassende des Heilswillens Gottes, in dem alle Menschen eingeschlossen sind, wird diese sakramentale Begegnung letztlich auch eine Begegnung des glaubenden Menschen mit der Menschheit. 197

E. Dassmann, Geschichtlichkeit der Offenbarung und gnostische Bedrohung, in: A. Görres/W. Kasper (Hrsg.), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann, Questiones Disputate, 113, Freiburg 1988, S. 64 f. 198 H. Vorgrimler, Sakramententheologie, Düsseldorf1 1987, S. 113 f.

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Gerade dieser allumfassende Heilswille, der sich im Sakrament innerhalb der und durch die Kirche manifestiert, befähigt zur Begegnung und entzündet die Begegnung. Gott, das ist die Botschaft der Begegnung des Menschen mit Christus, will die Begegnung der Menschen untereinander, weil das Sakramentale durch diese Übernatürlichkeit der Stiftung auch immer über das Hier und Jetzt und das Konkretum der feiernden Gemeinde hinausweist auf die gesamte Menschheit. cc) Personales Geschehen als Vertrauen Wenn diese Bindung zu Gott, diese Orientierung an der Perichorese innerhalb der Trinität, wenn auch von uns Menschen nie ganz einhol- und erfassbar, im Zentrum unseres christlichen Lebens steht, dann ist, wie oben ausgeführt, zwar die Lehre, die sich für mein Handeln als Christ ergibt, die logische Folge dieser Beziehung, aber diese Lehre ist nicht das Primäre. Das Primäre ist vielmehr die Orthopraxis, das Handeln, das sich aus dieser Beziehung ergibt. Man kommt also hier, im religiösen Glauben, nicht weiter, wenn man das platte Wort von „Glauben heißt nichts wissen“ transportiert. Auch auf der Ebene des Umgangs mit anderen Menschen sprechen wir von Glaubwürdigkeit, die Würdigkeit, dass dem anderen geglaubt werden kann. Wir sagen auch nicht immer nur: „Ich glaube, was du sagst!“ Irgendwann müssen wir uns entscheiden, was aus dieser Summe der Glaub-würdigkeiten wird, ob nicht daraus schließlich diese Ganzheit der personalen Ansprache wird, bei der ich dann formuliere: „Ich glaube dir!“ Das will heißen: Man hat erkannt, dass diese gesamte Person glaubwürdig ist, man abstrahiert und meint diese Person im Gesamten. Damit sind nicht nur einige Wahrheiten glaubwürdig, sondern diese Glaubwürdigkeit geht auf die jeweilige Person über. Genauso verhält es sich auch auf der Ebene der Begegnung mit anderen Menschen, wenn es um das Vertrauen geht. Vertrauen kommt vom Wortstamm her von „trauen“. Man traut dem anderen, dass er nichts Böses will, ja man traut ihm etwas zu, will heißen, man erwartet sich etwas Gutes von ihm. Bei diesem Vertrauen gibt es ebenfalls ein implizites Wissen, ein Wissen von derselben Qualität wie jenes beim Bekenntnis: Ich glaube dir. Im Bereich des Glaubens ist es die Tatsache der Vorerfahrungen, die allesamt glaub-würdig waren. Für den Bereich des Vertrauens braucht es auch diese Vorerfahrungen: Gerade weil der andere bisher immer vertrauens-würdig war, kann ich ihm trauen. Das ist ein Vertrauen, das sich nicht nur im Einzelnen mit der Zeit aufbaut, dieses kann sich auch innerhalb von Menschengruppen und innerhalb der Geschichte manifestieren.

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Das Christentum ist so eine gelebte Vertrauensgeschichte. Diese beginnt schon im Alten Testament. Dieser Gott ist treu, er ist nicht nur allen Völkern überlegen, nein, er scheut sich nicht, diese Option für sein Volk, letztlich für alle Menschen, die zu ihm gehören, einzusetzen und durchzusetzen. So heißt es etwa im AT: „Nicht die verschiedenartigen Früchte ernähren den Menschen, sondern dein Wort erhält alle, die dir vertrauen.“ (Weish 16,26) „Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen. Denn meine Stärke und mein Lied ist der Herr. Er ist für mich zum Retter geworden. Ihr werdet Wasser schöpfen voll Freude aus den Quellen des Heils.“ (Jes 12,2f) „Denn alle sollen sich freuen, die auf dich vertrauen, und sollen immerfort jubeln. Beschütze alle, die einen Namen lieben, damit sie dich rühmen. Denn du, Herr, segnest den Gerechten. Wie mit einem Schild deckst du ihn mit deiner Gnade.“ (Ps 12,5f) Im Neuen Testament wird den Menschen dieses absolute Vertrauen in einem sehr starken Bild beschrieben, wenn es heißt: „Bittet, dann wird euch gegeben; suchet, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. . . . Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.“ (Mt 7,7f und Mt 7,11) Dieses Vertrauen erweist sich auch als Geheimnis der christlichen Botschaft, insofern die Menschen – vor allem in der apostolischen Zeit und in der Frühzeit der Kirche – ermutigt werden, für Christus und seine Botschaft einzutreten. Dieses Vertrauen befreit und beflügelt: „In ihm haben wir den freien Zugang durch das Vertrauen, das der Glaube an ihn schenkt.“ (Eph 3,12) „Längere Zeit blieben sie dort und predigten freimütig im Vertrauen auf den Herrn; er legte Zeugnis ab für das Wort seiner Gnade, indem er durch die Hände seiner Apostel Zeichen und Wunder geschehen ließ.“ (Apg 14,3) Wie hier in der Apostelgeschichte berichtet wird, legitimiert der Herr dieses Vertrauen durch Zeichen. Vertrauen ist also immer wechselseitig und das größte Vertrauen wurde letztlich immer wieder manifestiert durch den Bund, den Gott mit seinen Menschen einging. Dieses Gemeinsame wird im Alten Testament offenbar in dem Bund, den Gott mit seinen Menschen immer wieder neu schloss, mit jeweils neuen Zeichen des Bundes, aber der immer gleichen Verheißung. Diese gemeinsame Basis zwischen Gott und den Menschen war eine gute, durchgehende. Gott erweist sich damit als der Stabile und Bleibende. Es ist diese einmalige Erfahrung des Fundamentes durch den starken Gott, eine Erfahrung in der Geschichte der Juden und Christen, die am besten durch das folgende alttestamentliche Wort demonstriert wird: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ (Jes 7,9) Bei Abraham, aber auch im Kernstück des Deuternomiums (Dtn 5–28), vollzieht sich dieser Bund ganz nach den Prinzipien der Vasallenverträge

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der damaligen Zeit, etwa der Verträge der Hethiter oder nach dem Muster des Codex Hammurabi199. Diese Verträge in der orientalischen Umwelt wurden zumeist zwischen einem König und einem unterworfenen König als Folge eines militärischen Sieges geschlossen, so etwa der Vertrag „zwischen Hattusili II. und dem Pharao Ramses II. vom Jahre 1278 v. Chr. als Folge des Sieges von Kades am Orontes um 1288. Beide Herrscher nennen einander ‚Bruder‘ und verpflichten sich zu ‚ewiger‘ Freundschaft. Zu den wechselseitigen Vertragspflichten gehören unter anderem Beistandspflicht bei feindlichen Angriffen, Auslieferung von Flüchtlingen, Thronfolgegarantie. Beide Herrscher beschwören den Vertragsinhalt, der durch Fluchklauseln gesichert wird.“200 Gerade im Deuteronomium wird dieser Vertragsgedanke sehr stark ausgefaltet. Am Ende der Wüstenwanderung – nach vierzig Jahren – muss Moses sterben und setzt statt seiner Person auf die Anweisung Gottes hin Josua ein. „Offenbar kann er das nicht, ohne dass bei dieser Gelegenheit die ganze Rechtskonstruktion Israels gewissermaßen reaktiviert wird. Diese geht auf einen ‚Bund‘, sagen wir ruhig: auf einen Vertrag Gottes mit Israel am Berg Sinai zurück. In einer Vertragszeremonie wird das alte, identitätsbegründende Rechtsverhältnis von neuem beschworen. Die so genannten deuteronomistischen Gesetze, die Mose in den Kapiteln 5–28 vorträgt, die also den Hauptteil des Buches bilden, sind die Vertragsurkunde. Wo wir also mit einem Gesetzbuch rechnen würden, finden wir schon vom narrativen Zusammenhang her eine Urkunde, und zwar die Urkunde eines Vertrages zwischen für uns zumindest etwas ungewöhnlichen Partnern: Auf der einen Seite ein Volk, auf der anderen die Gottheit.“201 Darin sind auch die Selbstverfluchungsrituale der damaligen Zeit integriert. Nicht umsonst wird auch in Gen. 15,1–21 berichtet, wie eine lodernde Fackel und ein rauchender Ofen durch die Fleischstücke hindurchgingen, womit diese Bekräftigung durch beide Vertragspartner angedeutet wird: Beide, Abraham und Gott, verpflichten sich beim Zeichen der Tiere, die in Fleischstücke auseinandergerissen wurden, den Vertrag einzuhalten. Gott, nämlich der unnahbar scheinende Jahwe des Alten Testamentes, begibt sich auf diese gleiche Ebene mit dem Menschen, um dem Menschen dieses Vertrauen zu zeigen, aber auch zu initiieren. Er zeigt Abraham aber auch die Vielzahl der Sterne, um seine Verheißung von der Tatsache, dass er ihn 199 Vgl. dazu etwa M. Weinfeld, Traces of Assyrian Treaty Formulae in Deuteronomy, Bilbia 46 (1965), 417–427. 200 R. Haase, Recht im Hethiter-Reich, in: Die Rechtskulturen der Antike. Vom Alten Orient bis zum Römischen Reich, hrsg. von U. Manthe, München 2003, S. 149. 201 Norbert Lohfink, Rechtstexte im Alten Testament. Referat, gehalten bei der Frankfurter Juristischen Gesellschaft am 19. Februar 1998, in: http://www.1theolexa men.de/at/einleit/Lohfink%20Rechtstexte.rtf, eingesehen am 23. Dezember 2008.

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zum Stammvater eines großen Volkes, das so zahlreich wie diese Sterne sein wird, zu machen gedenkt, zu bekräftigen. Genauso wird auch die Geschichte der Sintflut letztlich dazu benutzt, um diesen Vertrauensbeweis Gottes den Menschen sichtbar vor Augen zu halten: Der Regenbogen, Zeichen der Fülle des Gottes selbst, wird hier zum Bekräftigungszeichen, dass Gott die Menschen für die Zukunft verschonen wird vor seinem Zorn, weil eben diese Bindung mit ihm da ist. Der neue Bund bedeutet noch einmal eine andere Dimension: Da ist dieses Zeichen der Bekräftigung und der Treue Gottes nicht nur irgendein vages Zeichen: Da wird letztlich Gott selber, durch den Sohn Gottes, Jesus Christus, zum Zeichen und gleichzeitig zur Erfüllung dieses Zeichens. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14) Damit ist der Verkünder dieses Vertrauens in Gott gleichzeitig der Verkündigte, damit wird er selbst zur Vertrauenszusage Gottes an die Menschen. Damit erfolgt die Einladung, nicht nur in diesem Vertrauen zu leben, sondern das Vertrauen selbst zu leben. Dieses gelebte Vertrauen verbleibt hier nicht nur auf der Ebene der Geschichte, und damit bei der Möglichkeit des kollektiven Erinnerns. Gerade in den Sakramenten wird dieses kollektive Erinnern aus der Ebene der NurHistorie gerissen und tritt in die Ebene des Hier und Jetzt des jeweiligen Menschen, der jeweiligen Generation und der jeweiligen Zeit ein: Das Erinnern hat dadurch eine ganz andere Qualität, weil dieses Erinnern gleichzeitig immer auch ein Vergegenwärtigen im wechselseitigen Vertrauen zwischen Gott und Mensch bedeutet. Wenn gesagt würde, das Vertrauen wird durch das Sakrament institutionalisiert, oder die geschichtliche Tat Gottes, dieses Bündnis zwischen Mensch und Gott, wird durch das Sakrament institutionalisiert, dann entspricht dies einfach nicht der Größe des Sakramentes, das ja nicht von derselben Qualität ist wie beispielsweise irgendeine andere Institution. Trotzdem wird hier das Vertrauen und die personale Beziehung durch die Stiftung durch Jesus Christus in eine lebbare Form gebracht, wodurch das personale Vertrauen Gottes immer neu erfahren und lebendig wird. Die liturgischen Texte im Zusammenhang mit den Sakramenten sind im Gegensatz zu den Ritualen der Freimaurerei allgemein bekannt. Es ist wichtig zu betonen, dass hier das Vertrauen auf Gott nur irgendwie vermittelt oder versteckt wird durch das Ritual, sondern dieses gegenseitige Vertrauen ist zentrale Botschaft als Gottes Zusage in Christus und wird greifbar und sinnlich gemacht im Sakrament. In der Freimaurerei spielt ja Vertrauen insofern eine Rolle, als damit die menschliche Dimension der Bruderschaft, der Freundschaft, in den Dienst genommen wird von dem Ziel der Selbsterziehung des Menschen, des Einzelnen. Die Bruderkette ist

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zwar wichtig und gewissermaßen ein Markstein zur Erziehung, sie wird auch in der Betrachtung des Einzelnen und seiner Bedürfnisse als soziales, auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen für die angestrebte Ganzheit der Freimaurerei und ihres Menschenbildes im Ritual von großer Bedeutung sein, aber trotzdem bleibt der grundlegende Unterschied zum freimaurerischen Ritual, was diese Betrachtung betrifft im Hinblick auf das Vertrauen, das im Sakrament manifestiert wird. Während im Sakrament dieses Vertrauen das Ziel und das wesentliche Element ist, dieses Vertrauen gewissermaßen der Hauptpunkt selbst ist, weil diese Bindung des Menschen mit Gott in die aktuelle Tat umgesetzt wird, scheint es für das freimaurerische Ritual nur Ergebnis und Mittel zum Zweck, nämlich zur Erziehung. Gerade durch die Begriffe Toleranz und Freiheit, die die Freimaurerei immer wieder einfordern – und auch zu leben versuchen – wird die Frage nach dem, wer oder was vertrauens-würdig ist, gar nicht gestellt, ja soll nicht gestellt werden. Eine Frage in Bezug auf das Thema Vertrauen bezieht sich noch auf das Vertrauen der Menschen untereinander. Dabei kann das Thema „Vertrauen“ nicht aufgespalten und zweigeteilt werden. Wenn ich das gegenseitige Vertrauen zwischen Gott und Mensch im Sakrament feiere, dann hat dieses Vertrauen einfach Konsequenzen auf die feiernde Gemeinde bzw. auf das gesamte Volk Gottes, die Kirche als Leib Christi. Wir haben schon über die Kirche als Grundsakrament gesprochen. Dieses Vertrauen ist also Fluidum der „Gemeinschaft der Heiligen“, wie die Kirche zur Zeit der Didache (um 100) noch viel akzentuierter gesehen wurde. Diese Verbindung mit dem Leib und Blut Christi – vor allem diese lebendige, sakramentale Beziehung – wurde als das Heilige angesehen. „Wer also am Leib und Blut Christi Anteil erhielt, und das waren die Getauften, der gehörte zur Gemeinschaft der Heiligen. Mit der Zeit erkannte man aber immer deutlicher, dass diese Gemeinschaft am Heiligen die Menschen selbst zu einer heiligen Gemeinschaft zusammenschließt.“202 Damit wird aber klar, dass Vertrauen ansteckt, dass es nicht genügt, nur abstrakt dieses Vertrauen Gottes zu den Menschen, das Vertrauen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes innerhalb der Trinität, aber auch das Vertrauen des Menschen zu Gott, zu zelebrieren, sondern dass es in diesem Klima dieses Vertrauens, in dieser heiligen Gemeinschaft, in der Konsequenz nur wieder Vertrauen in- und miteinander geben kann. Voraussetzung dafür ist natürlich die Feier der Nähe Gottes zu den Menschen im Sakrament. Natürlich ist die Kirche eine Gemeinschaft von fehlbaren Menschen, aber die Communio durch die Taufe, die Communio im Sakrament der Eucharistie und in der Tatsache, dass alle Sakramente in ihrer Be202

L. Lies, Sakramententheologie, S. 202 f.

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zogenheit auf Inkarnation, Tod und Auferstehung Jesu Christi stehen, lässt es nicht zu, dass die Kirche zur Tagesordnung, das heißt zu einem alltäglichen Leben ohne diesen Bezug zur gottgewirkten Gemeinschaftlichkeit übergehen kann. Gerade durch die Möglichkeit, dieses Vertrauen im Sakrament herunterzubrechen auf den menschlichen Alltag, bedeutet, dass die Gottmenschlichkeit Jesu Christi diese Gemeinschaft umschließt und diese Gemeinschaft der Heiligen eben eine vom Vertrauen – auch zueinander und untereinander – getragene und durchdrungene wird und ist. dd) Personales Geschehen als Annahme Die Kantschen Weltfragen sind sicher für die Menschen aller Zeiten wesentlich: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“203 „Was ist der Mensch?“204 Trotzdem scheint sich vieles auf die eine Frage zu reduzieren, nämlich: Wer bin ich? Die Antwort auf diese Frage hat enorme Konsequenzen in Bezug auf die Art, wie ich mich selber annehmen kann und wie ich den anderen sehe und ihm gegenüberstehen kann. Dieses „Erkenne dich selbst“ ist eine der Leitlinien der Freimaurerei, immerhin lautet ihr oberstes Ziel ja Selbsterziehung bzw. die Selbstveredelung. Immerhin ist ja in der Freimaurerei „der Aufbau eines Gebäudes Symbol für den Aufbau des menschlichen Charakters.“205 Für den Christen lautet die Frage nicht sosehr „Wer bin ich“, sondern vielmehr: „Wer bin ich, dass er zu mir kommt?“, entsprechend Lk 1,43 bzw. Mt 3,14 und Lk 5,8; 7,6, wo es heißt: „Wer bin ich, dass du zu mir kommst?“ Damit sind die Gewichte in Bezug auf die Frage nach der Annahme in eine andere Richtung verschoben: Es geht dabei nicht nur – wie in der Freimaurerei – um Selbsterkenntnis, die eben auch Welt- und Gemeinschaftserkenntnis bzw. die Frage nach dem Tode ist, es ist nicht das Kreisen um meine Person, vielmehr lege ich als Christ meinen Fokus auf Christus. Er befreit mich von meiner Selbstbezogenheit, er signalisiert mir im Sakrament, dass dieser ewige Gott in die Immanenz einbricht und dass es gerade die Nächstenliebe, die Bezogenheit aufeinander ist, die verwandelt und mich zu mir selber kommen lässt. Die Gottes- und die Nächstenliebe sind also die Möglichkeit, dass ich als Mensch ganz zu mir selber komme. Ich erkenne mich in den Augen des anderen. Das ist das Konzept des Christentums und der Sakramente, so wie sie die katholische Kirche sieht. Und durch diese Beziehung zu Christus werde ich auch davon befreit, peinlich genau darauf achten zu müssen, ja nichts falsch zu machen. Denn dieser Blick auf Christus wirkt befreiend: 203 204 205

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B832–B833. I. Kant, Logik (IX 25). C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, Weinheim1 2006, S. 31.

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So wie er den Menschen befreit, indem er ihm die Chance gibt, auf Gottes Menschwerdung im kleinen, unschuldigen Kind zu schauen, so wie er mit dem Menschen mitlebt und mitleidet und durch den Tod hindurch das Leben schafft. Das bedeutet: Der Mensch braucht und kann sich nicht selber erlösen durch ängstliches Achten auf irgendwelche Handlungsprinzipien. Die Botschaft dieses Christus lautet im Gegensatz dazu: Du bist ein Erlöster und diese Erlösung geht von einer persönlichen Beziehung mit mir aus. Auch auf einer Ebene, die die anthropologischen Grundgegebenheiten im Blick hat, können wir fragen: Wodurch ist das Wesen der menschlichen Person konstituiert? „Die Person verwirklicht sich im eigenen freien Selbstvollzug. Der Vollzug ‚meiner selbst‘ ist immer zugleich Vollzug ‚meines anderen‘. Selbstvollzug und Weltvollzug bilden eine dialektische Einheit. Der primäre Bezugspunkt des personalen Vollzugs ist aber die andere Person. ‚Das andere‘ des Menschen ist primär ‚der andere‘. Personaler Vollzug meiner selbst geschieht im personalen Bezug zum anderen. Nur in mitmenschlicher Gemeinschaft kommt der Mensch zu sich selbst.“206 Natürlich gibt es auch im freimaurerischen Menschenbild diesen so wichtigen Aspekt der menschlichen Gemeinschaft: Allerdings scheint dieses Stufenmodell insofern hinterfragbar, als ja auch das „Erkenne dich selbst“ nie isoliert zu betrachten ist, sondern jede Selbsterkenntnis etwas mit Fremderkenntnis und Welterkenntnis zu tun hat. Das Ganze ist ineinander verwoben und meine individuelle Erkenntnis bleibt leer, wenn sie nicht immer auch bezogen ist auf den anderen, in dem ich mich wieder erkenne. Auf dem Weg zur Menschwerdung wird dem Liebenden gewissermaßen ein Spiegel des eigenen Selbst durch den geliebten Menschen vorgehalten wird. Damit erkennt er: Ich bin erst ganz durch den anderen. In der Freimaurerei herrscht doch m. E. eine eher statische Sichtweise, indem nur durch freimaurerische rationale Erkenntnis, durch moralische Vorgaben und durch das Ritual und die Symbolik diese Realität menschlicher Selbstwerdung nachkonstruiert wird. Diese menschlichen Bezüge, die wesentlich mit dem Angenommen-Sein eines Menschen, mit dem Grundbedürfnis nach Nähe, Geborgenheit und menschlicher Sicherheit zu tun haben, kommen dabei eher zu kurz. Damit hat man fast den Eindruck, dass Freimaurerei etwas Künstliches, Konstruiertes ist, indem hier wie im Nachhinein menschliche Personwerdung und Existenz in ein Schema gepresst werden. Im Christentum ist dieses Angenommen-Sein doch eines, das die gesamte Person umfasst. Das wird uns durch Christus ganz klar vor Augen geführt. Der Mensch erfährt hier diesen Ort der Geborgenheit, indem der Mensch Gott gegenübersteht als gleichberechtigter Partner, der geliebt wird, der 206 E. Coreth, Was ist der Mensch? Grundzüge einer philosophischen Anthropologie, Innsbruck3 1980, S. 167 f.

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auch eine negative Stellungnahme gegenüber Gott und seiner Botschaft abgegeben kann. Der Mensch ist durch Christus ein zur Freiheit Befreiter207, durch ihn kann er – ganz seiner Sehnsucht nach Angenommen-sein entsprechend – gewiss sein, dass er ein von Gott Geliebter ist. Aber auch bei den Freimaurern wird von Liebe gesprochen, von brüderlicher Liebe. So heißt es: „Freimaurer verpflichten sich zur brüderlichen Liebe, zur gegenseitigen Unterstützung, zur Anerkennung des Gleichheitsprinzips, zur Geheimhaltung und zum gegenseitigen Vertrauen.“208 Es lässt sich fragen, ob eine Selbstverpflichtung auf Liebe und Vertrauen hin so ohne weiteres geht. Liebe und Vertrauen stehen uns hier nur als Begriffe neben vielen anderen gegenüber, sie scheinen genauso statisch und irgendwo aufgelöst wie alles andere durch das freimaurerische Ritual Geregelte. Tatsache ist, so scheint es dem Autor dieser Arbeit, dass nach einer Diagnose dessen, was im Ritual vorkommt, wovon das Ritual handelt, die Liebe kein Zentralbegriff ist. Ja, auch alle diese menschlichen Sehnsüchte wie nach dem Angenommen-werden, wie nach Zuwendung, Nähe, Wärme u. dgl. kommen eigentlich im Ritual nicht vor. So bleibt, auch wenn wir Bewertung, Begegnung, Vertrauen und Annahme als Voraussetzungen für personales Geschehen ansehen und diese Dinge in der Freimaurerei und im Ritual durchaus auch irgendwie vorhanden sind, doch ein gewisses Vakuum übrig. Wir haben am Schluss unserer Analyse über diese personalen Gegebenheiten in der Freimaurerei die Frage gestellt, ob es nicht Kriterien braucht, um den Begriff vom „personalen Geschehen“ noch einzugrenzen bzw. zu spezifizieren. Gerade das Christentum, so scheint uns, bezieht sich auf diese Kriterien und weist ausdrücklich darauf hin. ee) Zusätzliche Kriterien für personales Geschehen? „Für jetzt bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13) Paulus bringt diese zusätzlichen Kriterien ins Spiel. Sie sind weniger Gebote, sondern vor allem Einstellungen, Tugenden, die gefordert sind, und ohne die eine christliche Existenz nicht denkbar wäre. Dabei wird eine eindeutige Hierarchie angegeben: Die Liebe ist die größte aller Tugenden. Und Paulus bezieht eine klare Position gegenüber dem Hier und Jetzt und der Vollendung, wenn es heißt: „Die Liebe hört niemals auf. . . . Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles 207

Vgl. dazu Röm 8,21: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ Gal 5,1 „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ 208 C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, S. 31.

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Stückwerk.“ (1 Kor 13,18ff) Diese Liebe überdauert also alles, sie hat diesen lebendigen Bezug zu Gott und zur Vollendung. Diese Trias scheint für alles personale Geschehen wesentlich, scheint den Begriff von personalem Geschehen abzurunden und zu perfektionieren. Entsprechend Lk 10,27 sieht Jesus diese doppelte Verankerung in der Liebe, nämlich zu Gott und zum Nächsten, als Ziel menschlichen Lebens und des Gesetzes. In der Freimaurerei wird vor allem im Ritual nicht so sehr vom Nächsten gesprochen, sondern vor allem vom Bruder und der Bruderliebe. In den Konstitutionen Andersons kommt sehr wohl das Wort „love“ vor, und zwar zwölfmal. Das umfasst dann sowohl die Geschichte der Freimaurerei als auch die Regeln innerhalb der Konstitutionen. In den Regeln geht es etwa darum, wie die Brüder den Oberen in den jeweiligen Hierarchien zu begegnen haben, nämlich sie sollen diesen „in aller Ergebenheit, Achtung, Liebe und Bereitwilligkeit gehorchen.“209 Es wird aber auch das Ziel angesprochen, woraufhin ein Jüngerer unterwiesen wird, „damit er den Werkstoff nicht aus Unkenntnis beschädige und damit die brüderliche Liebe untereinander wachse und fortdauere.“210 Dieser Werkstoff ist der Mensch selber, der bearbeitet wird. Zum Abschluss der Alten Pflichten heißt es: „So pflegt ihr die brüderliche Liebe, die der Grundstein und der Schlussstein, das uns alle verbindende Band und der Ruhm unserer Bruderschaft ist, und vermeidet Zank und Streit, üble Nachrede und Verleumdung.“211 Auch für etwaige Gerichtsprozesse von Brüdern gegen Brüder ist vorgesorgt: Wenn die Vermittlung von anderen Freimaurern aussichtslos ist, dann „sollen sie ihren Prozess vor Gericht ohne Leidenschaft und Erbitterung – wie es so oft geschieht – führen und nichts sagen oder tun, das brüderlicher Liebe entgegensteht . . .“212 In den allgemeinen Anordnungen, den „General Regulations“, die erstmals von George Payne im Jahr 1720 zusammengestellt wurden, geht es darum, dass alle Beschwerden in brüderlichem Geist und möglichst noch vor dem Festmahl geregelt werden sollen, sodass die brüderliche Liebe erhalten bleibt.213 In den „Warden’s Songs“ ist auch von dieser brüderlichen Liebe die Rede.214 Wenn man also die Art 209 J. Anderson, Die Alten Pflichten von 1723. In neuer Übersetzung herausgegeben von der Großloge A. F. u. A. M.v. D., Bonn 1998, S. 12. 210 J. Anderson, Die Alten Pflichten von 1723, S. 14. 211 J. Anderson, Die Alten Pflichten von 1723, S. 17. 212 J. Anderson, Die Alten Pflichten von 1723, S. 17. 213 Vgl. J. Anderson, Die Alten Pflichten von 1723, S. 33. 214 J. Anderson/B. Franklin (P. Royster), The Constitutions of the Free-Masons (1734), an Online Electronic Edition, Faculty Publications, UNL Libraries, University of Nebraska, Lincoln 2006, gefunden in: digitalcommons.unl.edu/cgi/view content.cgi?article=1028&context0librarysience, S. 46, eingesehen am 30. Dezember 2006.

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und Weise betrachtet, wie offiziell, und zwar sowohl im Ritual als auch in den Konstitutionen von Anderson von Liebe gesprochen wird, dann ergibt sich der Eindruck, dass diese vor allem innerhalb des Bundes verbleibt, also vornehmlich als Bruderliebe gesehen wird. Dieser Lesart entgegengesetzt ist das folgende Zitat, das sehr allgemein formuliert: „Die Ideologie des Freimaurers verpflichtet ihn zur Menschenliebe, seine Bausymbolik richtet deren Tempel auf. ‚Licht, Liebe und Leben hervorzaubern, ist das Ziel der Freimaurerei.‘ (Herder) Ihre (die der Freimaurer – Anmerkung des Verfassers) Liebe ist die zum Nächsten, aber auch die zum Fernsten und Künftigen.“215 Somit wird also auch von einer allgemeinen Menschenliebe als Tugend gesprochen. Das Freimaurerlexikon zitiert Magelhaes Lima, um auszudrücken, was Liebe für die Freimaurerei bedeuten soll: „Es gibt nur ein dauerndes Gesetz auf der Welt, das ist das Gesetz der Liebe. Es ist nicht allein die Liebe, die sich in Güte und unendlicher Schönheit offenbart, in dem großen Mitleid mit jeglicher Kreatur, sondern es ist auch die Liebe, die sich kurz als die Liebe zum Weltall ausdrücken lässt, als der brennende Wunsch, für andere zu leben. Es ist die Liebe für die Kleinen, für die Bescheidenen, für die Bedrückten. Diese Liebe erleuchtet, diese Liebe macht solidarisch: das ist die Liebe des Freimaurers.“216 Des Weiteren wird im Freimaurerlexikon217 das Symbol der Liebe in der Freimaurerei, nämlich enthalten in den drei Johannisrosen, besprochen. Diese drei deuten auf Licht, Liebe und Leben hin. Weil also in den offiziellen Leitlinien, also im Ritual und in den Konstitutionen, bezüglich des Begriffes Liebe, der nicht identisch ist mit der Bruderliebe, wenig steht, werden als Kronzeugen berühmte Freimaurer und ihre Bekenntnisse herangezogen. Bei dem bisher Zitierten ist bemerkenswert, dass gerade diese „Liebe zum Weltall“, diese allgemeine Liebe als brennender Wunsch, für andere zu leben, wie das Magelhaes Lima ausdrückt, doch wenig konkret und fast pantheistisch anmutet. Was bedeutet Liebe zum Weltall? Wie kann ich für andere leben? Setzt das nicht das viel realistischere Konzept Jesu voraus, das davon ausgeht, dass man nur einen anderen lieben kann, wenn man selbst geerdet ist in der Liebe zu sich selber? Und widerspricht nicht das scheinbar sehr allgemeine Wort „vom Leben für andere“ auch der freimaurerischen Konzeption, die davon ausgeht, vor allem sich selbst zu vervollkommnen und zu veredeln und erst dadurch den anderen? Die freimaurerische Liebe überwindet aber auch, so das Freimaurerlexikon, Grenzen: Die Grenzen der Zeit als auch der Nationalstaaten: „Die frei215 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 515. 216 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 515. 217 Vgl. ebd., S. 515.

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maurerische Liebe denkt über die Zeit hinaus. Daher ist die Freimaurerliebe, eingeschlossen in der Humanitätslehre, auch eine Liebe für das Kommende. Das Land der Kinder, an das sie denkt, ist die Heimat und die sie bewohnende Volksgemeinschaft. . . . Aber sie macht auch nicht an der Landesgrenze Halt; ihr Zielstreben reicht weiter. Der wahre Freimaurer nennt Humanität die Betätigung der allumfassenden Menschenliebe, erblickt in dieser die bedeutsamste soziale Tugend.“218 Wenn schon in dem eben zitierten Artikel über die Liebe ebenfalls gesagt wird, dass der Ausdruck der Bruderliebe die Kette sei, welche den Erdkreis umspannt, dann stützt das wohl eher wieder die Vorstellung, dass Liebe zwar als Ausdruck für die freimaurerische Humanität durchaus gut und wichtig ist und auch in humanitären Taten ihren Ausdruck finden soll, dass aber andererseits die Bruderliebe innerhalb des Bundes den Vorrang genießen mag. Die Konzeption Jesu ist dagegen eine offene: Das zeigt sich etwa in der Beantwortung der Frage: Wer ist mein Nächster? Nicht nur im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30–10,37) beantwortet dies Jesus, sondern auch indem er sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Damit wird die Universalität der Botschaft Jesu und des Christentums uns vor Augen geführt. Liebe hat damit einen ganz anderen Stellenwert als in der Freimaurerei, wo sie zwar ein Begriff ist und einer Forderung zur Pflichterfüllung entspricht, gleichzeitig aber irgendwie zur Randerscheinung mutiert. Das wird etwa auch darin deutlich, wenn von der Arbeit bzw. der Haltung der Freimaurer so gesprochen wird, als handle es sich dabei um ein „großes Naturgesetz der gegenseitigen Hilfe“219. So heißt es, um die Zielrichtung der freimaurerischen Arbeit zu verdeutlichen: „Alle Arbeit des Freimaurers soll eine Arbeit an der Harmonisierung der Person und der Gemeinschaft sein, in welcher der Freimaurer lebt, in der Familie, in der Loge, im Volke und in der Menschheit.“220 Gerade die Auflösung aller weltlichen Gegebenheiten und Bindungen ist die klare Botschaft Jesu in Bezug auf die Liebe: „Es gilt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ (Gal 3,28) Diese Aussage entspricht auch der folgenden: „Durch den einen Geist wurden wir durch die Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden mit dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13) Wenn auch die Freimaurerei Standesunterschiede und Nationalitätsunterschiede innerhalb des Bundes aufgrund ihres Humanitätsideals zu überwinden trachtet, 218 219 220

Ebd., S. 515. Vgl. T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und doch geheimnisvoll, S. 137. T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und doch geheimnisvoll, S. 137.

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II. Das Ritual

sind jene Aussagen, die zur Liebe gemacht wurden, doch verschieden von der Einfachheit und Bedingungs- und Fraglosigkeit dessen, was Jesus Christus dazu sagt. Wenn wir den Begriff „Glauben“ betrachten, dann ergibt sich das Bild, dass „der Glaube des Freimaurers nicht eine Religion der Gunstwerbung im Sinne Kants sein kann.“221 Wichtig sind in diesem Zusammenhang lediglich die sittlichen Ableitungen, die der einzelne Freimaurer aus seinen persönlichen Anschauungen macht. Der Begriff Glaube wird dabei innerhalb der Freimaurerei ganz unterschiedlich gesehen und dessen Bedeutung unterschiedlich gewichtet, er geht von einem expliziten Glauben an den christlichen Gott in manchen Obedienzen bis hin zum A. B. A. W. und einem sehr allgemeinen Begriff. „Während es 1929 noch hieß – Voraussetzung für die Aufnahme eines Mitgliedes in eine Loge ist dessen Glaube an den großen Baumeister aller Welten und an seinen geoffenbarten Willen –, wird 1989 die theistische Gottesauffassung von einer deistischen abgelöst – Freimaurer innerhalb der Zuständigkeit müssen an ein höchstes Wesen glauben (must believe in a Supreme being).“222 Von Bedeutung ist der Begriff „Glaube“ vor allem im Hinblick auf die Frage nach der Erreichung des freimaurerischen Zieles und des Sinnes der freimaurerischen Arbeit. So heißt es: „Die immanente Sittlichkeit des großen Weltgeschehens gibt dem Freimaurer den Glauben zur Arbeit und die Hoffnung auf Erfüllung seines Bauzweckes.“223 Damit wird letztlich dem Sinn von allem das Wort geredet. Glaube wird also hier gefasst und aufgelöst als Glaube an einen Sinn des Ganzen, ja zumindest an einen Sinn des eigenen Wollens und Tuns, an ein Ziel, das verwirklicht werden kann. Diese Formen von Glauben haben sicherlich weniger mit der Vorstellung einer personalen Komponente zu tun. Wenngleich auch alles Glauben, auch an Sinn und Ziel einer Sache oder der eigenen sittlichen Handlung, wie wir im Vorigen ja schon festgestellt haben, mit einer personalen Beurteilung und Entscheidung zu tun hat, so fehlt doch hier in dem eben Festgestellten der explizite Bezug zum anderen in dem Sinne von „ich glaube dir“. Wenn in der Neufassung der Basic Principles gefordert wird, an ein höheres Wesen zu glauben, dann fehlt ebenfalls diese ganzheitliche Komponente, die bei Paulus gemeint ist, wenn er vom Glauben im christlichen Sinne spricht, nämlich vom Glauben an denjenigen, der ihn, den Paulus, ausgewählt hat und mit ihm geht. 221

E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 350. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 350. Diese Erklärung bezieht sich auf die Neufassung der Basic Principles durch die United Grand Lodge of England im Jahre 1989. 223 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 350. 222

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Es handelt sich bei der diffusen Anerkennung eines höchsten Wesens – wie sie in der Freimaurerei als Minimalerfordernis gesehen wird – sicherlich nicht um diese personale Haltung des Glaubens im Sinne des Vertrauens, wie das dem christlichen Gott gegenüber im Christentum verlangt bzw. ermöglicht wird. Es geht nämlich bei dieser Forderung, an ein höheres Wesen zu glauben, lediglich um eine intellektuelle Anerkennung; die Konsequenzen daraus werden nicht thematisiert. Theoretisch könnte damit die Begründung der Sittlichkeit erfolgen, praktisch muss diese nicht erfolgen. Also ist diese Anerkennung ausschließlich theoretisch und hat wenige Auswirkungen auf alle Lebensdimensionen des Freimaurers. Natürlich wird damit immer vorausgesetzt, dass es dem Freimaurer ohnehin unbenommen und seine Privatsache ist, wenn er einen persönlichen Gott anspricht und favorisiert, aber die Rolle des Glaubens ist hier doch auf der offiziellen Ebene der Freimaurerei doch eine wenig personale. Der Begriff „Hoffnung“, für die Christen ein Zentralbegriff, ist etwas, das zutiefst verbunden ist mit der Frage „Wer liebt mich?“ und verknüpft ist mit der Frage nach der persönlichen Erlösung durch Jesus Christus. Jesus Christus steht im Fokus jeder christlichen Hoffnung und er ist der Grund dieser christlichen Hoffnung. Wenn man das Freimaurerlexikon nach diesem Begriff durchforstet, dann wird zwar auf die Rosenkreuzergrade mancher Hochgradsysteme verwiesen, bei denen dieser Begriff als Wortsymbol neben Glaube und Liebe die drei Flammen (Säulen) darstellen, aber ansonsten dürfte diesem Begriff bei den Johannismaurern wenig Relevanz zufallen. Dieser Befund wird auch nicht angetastet durch die Tatsache, dass Dierickx meint, „wenn der Kandidat (in der Johannismaurerei – Interpretation des Autors dieser Arbeit) eingeweiht ist, dann vernimmt er, dass die Säulen (die drei Säulen der Freimaurerei, nämlich Weisheit Stärke und Schönheit – Anmerkung des Verfassers) auch drei Tugenden bedeuten, die uns vertrauter sind: Glaube, Hoffnung und Liebe.“224 Dierickx bezieht sich dabei auf Albert Pikes „The Meaning of Masonry“. Der Begriff „Hoffnung“ präsentiert sich kryptisch als „die Sehnsucht der Menschenseele nach dem Unendlichen, die Fackel, die allein leuchtet und den Weg weist, wenn ringsum sich alles in Finsternis hüllt.“225 Aber wohin geht dieses Leuchten? Hat diese Hoffnung eine konkrete Entsprechung in der freimaurerischen Wirklichkeit; was bedeutet es, wenn gerade die Fackel allein leuchtet und den Weg weist? Der Weg wird zwar in Richtung Sittlichkeit gewiesen, er kann auch in die Richtung eines höchsten Wesens führen. Trotzdem muss alles auf eine Frage radikalisiert werden: Wo ist der personale Grund dieser Hoffnung, kann eine Hoffnung auf ein Etwas, das 224 225

M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 155. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 357.

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II. Das Ritual

ein Bündel von Normen und Selbsterziehung bedeutet, wirklich die Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach dem ganz Anderen stillen? Eine konkrete Hoffnung – analog zum Christentum – gibt es hier also nicht. Wenn von Hoffnung gesprochen wird, dann könnte man lediglich auf die Hoffnung auf die Zukunft, auf Begriffe wie Humanität und Gleichheit und Brüderlichkeit verweisen. Eine Hoffnung, die sich aber vor allem in der Immanenz abspielt und die – so zeigt es die Erfahrung – immer wieder überholt und konterkariert wird durch die Fährnisse und Probleme des Lebens, durch die Geneigtheit des Menschen, in Versuchung zu kommen, das Böse zu tun. Die Christen sehen diese Welt als nicht perfekt an, sie erwarten sich auch gar nicht – weil sie u. a. die Erbsünde kennen – dass die Perfektion des Lebens in der Immanenz kommen wird. Kann aber freimaurerische Hoffnung die Immanenz transzendieren, ja will sie das überhaupt? Die christliche Hoffnung ist immer eine im Hier und Jetzt, die aber wesentlich eschatologische Hoffnung ist. Hoffnung bedeutet aber bei Paulus auch einen Sicherheitsmechanismus, nicht vorschnell das „Noch nicht“ zu überspringen in einem blinden Anfall von Schwärmerei. Der Bezug der Hoffnung zum zweiten Begriff dieser Trias, zum Glauben, und damit zu einer gewissen Verschränkung all dieser von Paulus angezogenen Begriffe ist evident. Christliche Hoffnung „als Ausdruck der ‚Geworfenheit‘ des Menschen (Ps 22,10f), ausgerichtet auf die von Gott erwartete Zukunft, ist Hoffnung das Merkmal der Existenz des Menschen vor Gott überhaupt. Wer hofft, ist fromm: die Hoffnung der Gottlosen aber ist leer und trügerisch. Wer auf Gott hofft, kann nicht zugleich seine Hoffnung auf anderes setzen (Ps 40,5; Is 31,1); er muss die eigene Selbstsicherheit preisgegeben (Is 30,12) . . .“226 Somit ist christliche Hoffnung immer ein Mitleben, ein SichHineinbegeben in das Heilsgeheimnis Jesu Christi, ein Auferstehen mit ihm. Christliche Hoffnung hat aber auch immer etwas mit dem Bewusstsein zu tun, dass Bosheit und Bedrohtheit der Existenz existieren und thematisiert diese Bereiche, weil deren Überwindung naheliegt. Christliche Hoffnung zeigt: Man kann diese Dinge überwinden. Sünde wird damit im Christentum zum Konkretum und die Hoffnung ist der Gegenbegriff dazu, weil gerade die Bindung an Christus all diese Probleme überwindet. So ist christliche Hoffnung immer Bindung, personale Bindung an Christus. Aus dieser Bindung folgt letztlich auch die sakramentale Gemeinschaft. Denn das sakramentale Zeichen ist Ausdruck der Hoffnung im gemeinsamen Glauben an ihn. Das Sakrament bedeutet: Konkretisierung und Verwirklichung dieser Hoffnung, die Entfaltung der Eschatologie, die Möglichkeit, Hoffnung zu spüren und dabei einzutauchen in das 226 P. Engelhardt, Hoffnung, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, hrsg. von J. Höfer/K. Rahner, Freiburg i. Br.2 1986, S. 416.

8. Das Leben umgreifen: Das Ritual als Ausdruck der Lebenswirklichkeit

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„Wir“ dieser Hoffnung, in diese Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott. Noch eine Bedingung der Möglichkeit für personale Begegnung und Personalität sei nur kurz – und quasi der guten Ordnung halber – erwähnt: Das ist die Freiheit. Sie spannt erst den Bereich auf, in dem Personalität, Raum geben und bekommen, möglich wird. 8. Das Leben umgreifen: Das Ritual als Ausdruck der Lebenswirklichkeit a) In der Freimaurerei In der Johannismaurerei besteht das rituelle Leben aus drei Graden, nämlich aus jenem des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters. Auch wenn es in der sog. roten Maurerei noch weitere Stufen gibt, wird doch Wert darauf gelegt, dass in diesen drei Graden der blauen Freimaurerei eigentlich alles enthalten sein soll, die Stufen der roten Maurerei werden nur als sog. Perfektionsstufen gesehen. Der Maurer wird initiiert, er tritt als freier Mann mit gutem Ruf in den Bund ein und so erstreckt sich der Abschnitt des maurerischen Lebens über die Zeit des Erwachsenenalters. Das Lernen und die maurerische Selbstveredelung bis zur Beschäftigung mit dem Tod passiert demnach in den Ritualen der drei genannten Grade. „Aus der Erfahrung heraus, dass inneres Reifen des Menschen erdauert werden muss, erfolgt die maurerische Erziehungsarbeit in Etappen – vom Lehrling über den Gesellen zum Meister. Diese Stufen versinnbildlichen die menschliche Entwicklung von der Geburt über das Leben zum Tode. Im Lehrlingsgrad heißt die Losung ‚schau in dich!‘; folgerichtig ist die Selbsterkenntnis die Aufgabe des Maurers auf dieser Stufe. ‚Schau um dich!‘, heißt es im Gesellengrad, wo der Kandidat angehalten wird, beharrlich weiterzuarbeiten, sich in der Tugend der Selbstbeherrschung zu üben und sich in die Gemeinschaft seiner Mitmenschen einzuordnen. Der Selbstvervollkommnung schließlich ist der Meistergrad geweiht; ‚schau über dich!‘, lautet gleichsam hier die Weisung, wo der alte Mensch in ihm sterben und mit neuen Erkenntnissen über sich, die Welt und den Kosmos gleichnishaft wiedergeboren werden soll.“227 Das Ziel ist also, der reife Mensch. „Die Instrumente, die das Reifwerden begünstigen, haben sich in der Freimaurerei bewährt. Sie sind: Initiation, Tempelarbeit und die reiche Symbolik. Was aber der einzelne Freimaurer dabei lernt, kann nur er selbst 227 M. Badilatti, Freimaurerei zwischen Ideal, Alltag und Zukunft, Vortrag gehalten im Rahmen der Volkshochschule des Kantons Zürich am 20.2.1996 als Teil der Ringvorlesung über „Die Freimaurer“, in: www.freimaurer-mcl.ch/freimaurerei.htm, eingesehen am 18. September 2007.

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II. Das Ritual

entdecken.“228 Trotzdem ist auffallend, dass es hier vor allem um die Selbsterkenntnis geht. Nur der einzelne Freimaurer kann damit beurteilen, wie und in welche Richtung er sich entwickelt hat. Das Geheimnis, die Zielrichtung der „königlichen Kunst“, wie die das Bauen am Geisttempel229 als Charakteristikum der Freimaurerei noch genannt wird, zielt also auf den Menschen ab: „Das Mysterium der Freimaurerei ist das Mysterium des Menschen selbst. Er sucht Zukunft und Glück nicht mehr auf Mond oder Mars, sondern im unbekannten Mikrokosmos seines eigenen Körpers. Das göttliche Feuer, das der Prometheus der griechischen Sage vom Himmel holte, befindet sich nicht mehr unerreichbar fern im All, es brennt in jedem Menschen. Nur dort ist seine Wunderkraft zu finden.“230 Allerdings stellt sich dann die Frage, wie bei einer solchen Orientierung an der Entwicklung der eigenen Person dann letztlich die „Wiedergeburt der Welt und des Kosmos“ gleichnishaft erfolgen soll und kann. Die Antwort, was das freimaurerische Ritual in diesem Zusammenhang leisten soll, ist aufschlussreich: „Im Ritual wird der Bruder aus dem Alltagsgeschehen herausgehoben und ‚ordnet sich bewusst in die Gesetzmäßigkeiten des großen kosmischen Geschehens ein. Er soll durch diese lebendige Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos lernen, sein Leben in zunehmendem Maße aus einem übergeordneten Bewusstsein zu gestalten.‘ (Hjalmar Vollkammer).“231 aa) Simulation von Lebenssituationen Immer im Zusammenhang mit der Freimaurerei begegnet uns eine gewisse Antinomie: Einerseits beansprucht das Ritual nur seinen Platz als Übungs- und Erziehungsfaktor, andererseits wird es aber gesehen im Zusammenhang mit einer – fast möchte man sagen – übernatürlichen Wirkung wie im eben angeführten Zitat. Ist also das freimaurerische Ritual eine Analogie des Lebens? Umspannt es dieses Leben mit all seinen Aspekten? Die einzelnen Grade bzw. die Bezeichnungen Lehrling, Geselle und Meister „charakterisieren Entwicklungen im Menschheits- und Weltverständnis.“232 Das wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass das Ritual doch den An228

T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und doch geheimnisvoll, S. 180. Vgl. dazu T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und doch geheimnisvoll, S. 203. 230 T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und doch geheimnisvoll, S. 197. 231 Homepage der Freimaurerloge Reuchlin Matrikel Nr. 409 i. O. Pforzheim, gestiftet am 6. April 1865, Ritual, Symbole, in: www.loge-reuchlin.de/rs.phtml, eingesehen am 18. September 2007. 232 E. F. Bienz, Symbole, Marksteine am Weg zu sich, in: www.freimaurermcl.ch/texte.htm, eingesehen am 18. September 2007. 229

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spruch erhebt, über das Unmittelbare der Selbsterziehung hinaus Einsichten in die Richtung eines größeren Ganzen zu vermitteln. In den Graden soll also die Evolution, die Entwicklung der Menschheit, aber auch des einzelnen Menschen erfahrbar werden. Während der Lehrling also die Menschwerdung erforscht, wie er angeblich in der Begegnung mit der Natur seine Kräfte entwickelt und „dadurch vom kreatürlichen zum geistbegabten Wesen aufsteigt“233, geht der Geselle in diesem Lernen weiter, indem er „die Mitmenschlichkeit ergründet. Dabei sieht er ein, dass das Zusammenleben mit anderen der Regelung durch Übergeordnetes und Verbindliches bedarf, und unterwirft sich den Geboten der Sittlichkeit. Zugleich bekämpft er alles Denken und Handeln, das diese Ordnung stört und gefährdet.“ Auch der Meistergrad hat seine Zweckbestimmung, die letztlich alles abrundet und damit den Lebensbezug der freimaurerischen Ritualistik abschließend ergänzt, wie Bienz das beschreibt: „Der Meister erkennt, dass er nur ein Glied in der Kette der Generationen ist. So wächst er über sich selbst hinaus. . . . Im Meistertum offenbart die Baustein- und Bauopfersymbolik ihren eigentlichen Sinn.“ Damit sieht also die Freimaurerei die Allegorie des Lebens durch die Beschäftigung mit Geburt in der Gemeinschaft, mit Intro- und Extraspektion sowie mit der Konfrontation mit dem Tod auf der individuellen Ebene und damit auch mit dem Überstieg auf die überindividuelle, kosmische Ebene in den Erkenntnisebenen des Rituals erfüllt. Allerdings erscheint nach unserem Geschmack gerade dieser Überstieg reichlich problematisch und dieser dürfte von Voraussetzungen ausgehen, die mit gnostisch orientierten Richtungen zusammenhängen. Trotzdem muss gefragt werden, ob das Ritual der Johannismaurerei, auch wenn es für sich diese Überindividualität beansprucht, wirklich das Leben umgreift. Wenn auch der einzelne Mensch (resp. Mann) eine Richtung vorgegeben bekommt, so ist doch die Frage, ob nicht viele Details, die das Leben ausmachen, in diesem Angebotskatalog des Rituals nicht einfach ausgespart werden. Und damit ist nicht nur die Frage nach dem Gottesbezug, nach einem überindividuellen Du gestellt. Klarerweise gibt es den „Platzhalter“ Allmächtiger Baumeister aller Welten. Dennoch bleibt der als erratischer Block im Ritual übrig, der gewissermaßen nur den Kosmos vertritt. Im Meistergrad wird zwar der Tod thematisiert, aber kann es wirklich eine befriedigende Antwort sein, wenn man sich zwar mit dem Tod konfrontiert, ihn symbolisch durchlebt, aber nichts weiter erfolgt? Ein kritisches Urteil 233 Es wird in diesem Abschnitt das referiert bzw., sofern Anführungszeichen gesetzt werden, das zitiert, was E. F. Bienz zum Thema Gradwesen sagt. Damit wird Bezug genommen auf E. F. Bienz, Symbole, Marksteine am Weg zu sich, in: www.freimaurer-mcl.ch/texte.htm, eingesehen am 18. September 2007.

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II. Das Ritual

dazu: „Im Grunde ist es nichts anderes als eine Totenbeschwörung. Während des Verwesungsprozesses wird der Tote durch die Magie des Meisters vom Stuhl wieder zum Leben erweckt. Diese freimaurerische Recyclingidee erinnert stark an die Reinkarnationslehren antiker und fernöstlicher Religionen. Damit steht das Meisterritual in krassem Gegensatz zur Auferstehung im Christentum.“234 Eine Sache muss aber noch thematisiert werden: Wie sieht es mit Schuld und Krankheit, mit dem Bezug zum weiblichen Geschlecht und zum Dienstamt aus? Im unmittelbaren Ritual kommen diese Bereiche nicht vor, diese sind also Faktoren, die von außerhalb gewissermaßen diese Selbsterziehung und Selbstveredelung eines Menschen begleiten, deswegen aber in die Freimaurerei hineinragen. Es wird aber andererseits doch ein ganzheitlicher Anspruch an die Rituale gestellt, wenn sie auch in unserer Zeit erklärt werden mit Hilfe von psychologischen Paradigmen. Allerdings könnte man von der Seite der Freimaurerei einwenden, dass das Ritual ja nur ein zwar wesentlicher Aspekt ist, dass aber trotzdem die Tafellogen, die Bauzeichnungen und die karitativen Aktivitäten und die informellen Treffen – auch außerhalb der Logen – die Arbeit irgendwie abrunden. In diesem Kontext müssen wir den Fokus unserer Betrachtung darauf richten, welche Situationen nun im freimaurerischen Ritual betrachtet werden, wo das Schwergewicht diese Situationen liegt. Dabei wird nun von uns zunächst noch die Konfrontation mit dem Kosmos und damit mit den verschiedenen Elementen betrachtet, weil diese quasi den zweiten thematischen Schwerpunkt im Ritual bildet. Wenn wir von Lebenssituationen sprechen, die im freimaurerischen Ritual ihren Platz bzw. ihren Reflex finden, dann sprechen wir vor allem die Initiation des Suchenden an, der seine Neuheit im Kreis der Freimaurer erfährt und im Laufe des Rituals zur Entscheidung kommt, dieser Gemeinschaft angehören zu wollen und ihre Grundsätze zu verfolgen, indem er dies feierlich verspricht. Die Thematik des Lichtes und die Bruderkette werden und wurden schon an anderen Orten in dieser Arbeit ausreichend thematisiert. Wir können uns also in dem Zusammenhang mit der Frage nach den Lebenssituationen eher auf die Reisen in den einzelnen Graden konzentrieren. Und es wirft ein entsprechendes Licht auf die Lebenssituationen, die hier angesprochen werden, wenn es gewissermaßen als Präambel im Lehrlingsritual heißt: „Alles, was Sie von nun an erleben werden, hat eine symbolische Bedeutung, die auf den Geist der Maurerei und den Sinn des Lebens hinweist.“235 234 235

B. Gorissen, Ich war Freimaurer, S. 125. Ritual I, S. 23.

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Ein solcher thematischer Schwerpunkt ist die Freundschaft, die angesprochen wird. Wir sprachen schon von der Belehrung, dass man vor einem Freunde sich nicht verstecken könne und von der Allegorie, die im Zusammenhang mit dem Licht dem Lehrling vorgestellt wurde: Vertrauen soll symbolisiert werden, indem in der Situation der Lehrlingsaufnahme dem Suchenden die Augen verbunden werden, um ihn dann des Lichtes teilhaftig werden zu lassen. Auch durch die Abnahme des Metalls will man dem Suchenden den Zustand des Leeren, des Nackten und nicht nur aufgrund seiner Besitztümer akzeptierten Mitgliedes der Gemeinschaft vermitteln. In der ersten Reise wird dem Suchenden im Lehrlingsritual der Abgrund und die Schutzfunktion der Gemeinschaft vor Augen gestellt. Auch auf der zweiten Reise werden die Suchenden vor der Heimtücke gewarnt, danach werden in der dritten Reise durch Norden die Gefahren angesprochen, die vom Inneren her drohen, vornehmlich durch die Leidenschaften. Auch in der ersten Reise des Gesellen geht es um den „Pfad zum Licht“ und um den Winkel, der sich jedem in den Weg stellt und der die Rechtschaffenheit im Betragen fordert – letztlich wird danach betont, wie auch das Leben eine Wanderung ist. Die Wanderer werden danach auch mit einem Getränk aus einem Krug gelabt. Bei der nächsten Wanderung stellt sich der Zirkel in den Weg als Symbol für die Grenzen der Pflicht. Im Meistergrad spielt der Tod die entscheidende Rolle: Der in den Meistergrad zu Erhebende bekommt einen Totenschädel in die Hand gelegt und er wird an den Sinnbildern des Todes vorbeigeführt. Wenn der Meister dann die Schritte über den Sarg macht, so bedeutet das auch dieses Memento mori. Auch die Schläge, die der Meister im Gedenken an Hiram erfährt und das anschließende allegorische Liegen im Grab, bedeckt von einem Tuch, sind solche Erinnerungen an die Situation des Todes. Danach geht es zur Situation der Auferstehung, die auch nachgespielt wird. Nur mit den fünf Punkten der Meisterschaft gelingt diese Auferstehung. Wenn wir nun in einer kurzen Zusammenfassung, die wesentlichen Punkte an Situationen der einzelnen Grade Revue passieren haben lassen, so fällt doch auf, dass diese immer mit einer Simulation zu tun hat. Durch diese Simulation, diese Vorstellung von Situationen des Lebens soll für den Freimaurer das Leben ins Ritual hineinragen. Dadurch, dass Lebensbereiche heruntergebrochen und mit der Freimaurerei verbunden werden, soll es dem Menschen erleichtert werden, in sich zu gehen und die Ziele der Freimaurer zu erkennen bzw. zu internalisieren. Aus diesem Schema einigermaßen herausragend ist lediglich das Meisterritual, bei dem die Geschichte des jeweiligen zu erhebenden Meisters teilweise verbunden wird mit dem Schicksal des Meisters Hiram. Natürlich gibt es dabei auch Anklänge, die sich zum Auferstehungsgeschehen im Christentum ergeben. Trotzdem hat dieser Verweis und diese „Nachfolge“ gegenüber Hiram ganz eine andere Zielrichtung.

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II. Das Ritual

In der Konfrontation mit dem eigenen Tod und mit Hiram geht es zwar darum, den Tod allegorisch zu leben, aber eben nur so wie die übrige Natur auch. Auch der Akazienzweig deutet meiner Meinung auf diesem Umstand hin, nämlich auf die Tatsache, dass dieser beständige Kreislauf des Werdens und Vergehens auch uns Menschen betrifft. Es geht also bei diesen Lebenssimulationen um Nutzanwendungen. Die Bilder und wesentlichen Bereiche der Freimaurerei werden hier verbunden mit Bildern aus dem Leben. Allerdings erhebt sich an dieser Stelle die Frage, ob das Leben tatsächlich umgriffen wird in dem Sinne, dass alle Aspekte beinhaltet sind. Es wird sicher hier nicht der Versuch unternommen, über das Leben durch das Ritual sehr viel auszusagen, ganz im Gegenteil. Das Leben liefert hier die Bilder, die dann mit den Aspekten der Freimaurerei im Ritual verknüpft werden. Das Leben wird also hier dem freimaurerischen Ritual dienstbar gemacht. Damit kann man festhalten: Das Ritual verwendet simulierte Lebenssituationen, um damit diese Veränderung des Menschen im Sinne der Selbsterkenntnis zu erreichen. Aber diese Konfrontationen mit dem NichtIch ist nur ein Aspekt; ein zumindest gleich wichtiger Aspekt im Ritual ist die Frage nach der Natur, die uns als die vier Elemente und damit auch als Kosmos entgegentritt. Es sei noch einmal auf den Aspekt des Mikrokosmos Mensch im Makrokosmos Universum erinnert. Eine Antwort, warum die Selbsterkenntnis gleichzeitig zur Welterkenntnis führen kann, kann man nach Ansicht des Autors dieser Arbeit auch aus dem Ritual selbst herausdestillieren. Und das Umfeld, dieser „heilige“ Raum, indem sich diese Beziehung Mikro-Makrokosmos abspielt, ist der freimaurerische Tempel, dessen Urbild – etwa in der Hiram-Legende – der Tempel Salomons ist: „Es liegt auf der Hand, dass der Tempel das Universum, das Weltall, bedeutet. Dieses Symbol zeigt das Gesetzmäßige sowohl im Makrokosmos, im Weltall, als auch im Mikrokosmos, beim Menschen, an. Bauen am Tempel kann einmal bedeuten: Bauen an einer besseren Welt um uns, zum anderen: Bauen an unserer eigenen Vervollkommnung. Und wenn wir noch tiefer in dieses Bild dringen, dann muss das Studium von Gesetzmäßigkeit und Ordnung uns zum Ursprung dieser Gesetzmäßigkeit führen, zum Obersten Baumeister des Weltalls.“236 236 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 140 f. Allerdings ist beim Schluss in Richtung „Oberster Baumeister“ insofern ein wenig Skepsis angebracht als der Dierickx selbst kein Freimaurer ist, sondern katholischer Theologe und Jesuit, der die Freimaurerei nur interpretiert. Dieser Schritt ist zwar nachvollziehbar und erscheint logisch, es dürfte damit auch eine gewisse Gefahr verbunden sein, die Freimaurerei in die Glaubenswelt des Christentums „heimzuholen“ bzw. sie zu christianisieren und damit ist dieser letzte Schritt zumindest überprüfenswert. Gerade viele Freimaurer – das belegt diese Arbeit – würden eine solche eine Grenzüberschreitung, wenn sie als Allgemeingut angesehen würde und nicht jedem selbst überlassen wäre, ablehnen.

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bb) Begegnung mit den Elementen als Verbindung mit dem Kosmos Denn die Konfrontation des einzelnen Freimaurers mit dem Kosmos, symbolisiert durch die verschiedenen Reisen und durch die einzelnen Elemente, spielt eine zentrale Rolle im Zu-sich-Kommen der einzelnen Persönlichkeit im Rahmen der Selbsterziehung, wenn nämlich der Einzelne „durch mancherlei Prüfungen durch die Nacht der Unwissenheit zum Licht geht.“237 Der Lehrling wird konfrontiert mit dem Element des Feuers, indem seine Hand durch die Flamme geführt wird. Ebenso wird ihm auch das Wasser vorgestellt, indem sein Hand in eine Schale eingetaucht wird. Auch heißt es im Lehrlingsritual, wenn man gleichzeitig die Hand des Suchenden auf die Erde legt: „Ihre Hand berührt Erde. Von ihr ist unser Körper genommen und in ihren Schoß kehrt er zurück, wenn die Stunde kommt.“238 Daneben wird aber auch das vierte Element ausdrücklich mit einbezogen, nämlich die Luft, als „Atem der Welt, Anhauch des Ewigen.“239 Diese vier Elemente repräsentieren demnach die Welt, aber auch den Kosmos, und die Konfrontation mit diesen Elementen bedeutet gemeinsam mit den Reisen, bei denen es um die Demonstration der Wichtigkeit der Gemeinschaft und der Freundschaft geht, ein wesentliches Kriterium der Selbsterziehung des Freimaurers. So spiegeln diese vier Elemente gleichzeitig auch die ganze Welt wider. Mit Hilfe dieser vier Elemente, in denen die gesamte Welt repräsentiert wird, scheint auch der Überstieg zum Kosmos zu erfolgen. Nicht umsonst wird bei der Genese der Freimaurerei die Alchemie ins Spiel gebracht, diese vier Elemente spielen in der Alchemie ja eine entscheidende Rolle. Diese Vierelementenlehre geht auf die ionische Naturphilosophie zurück und Empedokles sieht in seiner Lehre sogar diese vier Elemente als Bausteine aller Dinge, womit er einem Physikalismus huldigt, der diese vier Elemente auch höherstellt als die Götter, indem diese Elemente unvergänglich erscheinen. Nicht ausdrücklich genannt ist die sog. Quintessenz, die bei Aristoteles als fünfte Wesenheit als eine Art Äther vorkommt, die gleichzeitig ein unwandelbares, ewiges Wesen dieser Elemente darstellt und diese durchdringt. In der Alchemie wurde nach der „Weisheit“ der einzelnen Elemente gesucht, damit ist gemeint, dass die einzelnen Elemente nicht nur für sich sind, sondern dass letztlich diesen allen ein gemeinsamer Gehalt innewohnt, eben diese Quinta essentia, die auch zu einer Art Lebenselixier führen würde. Wie immer dann dieses Destillat auch heißen mag und wozu es dient, als Mit237 238 239

Ritual I, S. 24. Ritual I, S. 33. Ritual I, S. 34.

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tel zur Lebensverlängerung, zur Erzielung ewigen Lebens oder gar als Stein der Weisen, der unedle Metalle zu Gold verwandelt, dies alles wohnt irgendwie den Elementen inne. Aufschlussreich ist die Frage, die an den Suchenden im Lehrlingsritual gestellt wird, wenn es heißt: „Ich frage Sie nun zum letzten Mal, ob Sie ihren Wunsch, Freimaurer zu werden, aufrechterhalten. Prüfen Sie sich noch einmal, ob Sie diese Frage angesichts von Feuer und Wasser, Luft und Erde und der Räume außerhalb der Erde mit ja beantworten können.“240 Hier werden gewissermaßen als fünftes Element „die Räume außerhalb der Erde“ genannt und wir können uns mit Recht fragen, ob nicht dadurch auch irgendwie ein Anklang an die Quintessenz erfolgt. Warum werden fast beschwörend diese vier Elemente bzw. die Räume außerhalb der Erde genannt? Das Ganze kann nur ein Ziel haben: Das Gewicht und die Bedeutsamkeit der Frage nach der Entscheidung durch einen Verweis darauf zu erhöhen. Damit ist aber eine Rückfrage nach der tatsächlichen Bedeutung dieser Elemente zu machen. Gerade angesichts des Überstiegs vom Mikrokosmos Mensch zum Makrokosmos scheint die Frage berechtigt, ob nicht der gesamte Kosmos bzw. die Kraft, die in ihm enthalten ist, zum Zeugen angerufen wird für diese bedeutungsvolle Handlung der Aufnahme in der Freimaurerbund bzw. der persönlichen Entscheidung dazu. Es wird zwar in der Folge auch der Allmächtige Baumeister Aller Welten angesprochen, um dieses Versprechen zu besiegeln, allerdings hat dieser Zeugnischarakter des Kosmos der Beurteilung des Autors dieser Arbeit nach eine mindestens ebenso starke Bedeutung wie dieser Allmächtige Baumeister. Damit treten auch Analogien oder zumindest Assoziationen von der Göttlichkeit des Universums und des Pantheismus in Bezug auf das freimaurerische Ritual, was die Bedeutung des Kosmos betrifft, auf. Und so ist es überhaupt nicht verwunderlich, wenn über den Tempel der Freimaurer Folgendes gesagt wird: „Er ist ein Symbol des Weltalls, ein Ort, an dem geistige Bestrebungen gepflegt werden, die auch über den Bereich des Irdisch-Materiellen hinausgehen. Das Ritual ist gewissermaßen ein dynamisches Symbol des großen kosmischen Geschehens.“241 b) In den Sakramenten der katholischen Kirche Wodurch werden die Dinge erst sprechend, wodurch konstituiert sich der Lebensbezug der Sakramente? Wir stehen unmittelbar vor der Frage, was das Sakrament mit den Lebensbezügen zu tun hat, ja inwiefern der Ritus in 240

Ritual I, S. 36. H. Vollkammer, Das Ritual als Bauplan unseres Lebens, in: W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual, S. 65. 241

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denselben auf das Leben hingeordnet ist. Man könnte in diesem Zusammenhang von den sieben Sakramenten ausgehen und zeigen, dass hier einfach alle Lebenssituationen erfasst und gespiegelt werden. Die Taufe – auch für das unmündige Kind, das noch nichts bewusst miterlebt – bedeutet die Situation der Sozialisation in der Gemeinschaft, vornehmlich der Kirche und des Glaubens, die Firmung wird dabei gerne als Sakrament des Erwachsenwerdens und der bewussten, mündigen Entscheidung gesehen. Die Eucharistie zeigt diese Gemeinschaft des Mahles gemeinsam mit den anderen Menschen aber auch mit Gott in Christus, die Priesterweihe stellt diese Arbeit in der Gemeinschaft und das Leben für die Gemeinschaft und ist gleichzeitig das Zeichen für die Indienstnahme durch Gott. Sie führt diese Kontinuität des Dienstes Gottes bei den Menschen als Mittlertätigkeit vor Augen, während die Ehe als Zeichen Gottes für einen weiteren wesentlichen Lebensbereich steht. Und schließlich auch die Thematisierung der dunklen Seite: Sünde wird u. a. aufgefangen durch die Verzeihung Gottes in der Buße, die Fährnisse, die dem Körper drohen, werden durch die Krankensalbung „behandelt“, als Zeichen für die liebende Zuwendung und Heilung durch Gott in Krankheit. Wir könnten aus diesem Modell, das vornehmlich von einzelnen Lebenssituationen ausgeht, im Vergleich mit dem Ritual der Freimaurer in einer ersten Analyse durchaus zubilligen, dass sehr viel mehr Bereiche des Lebens durch das Sakrament abgedeckt werden, wenn auch heute die Siebenzahl der Sakramente nicht mehr die Bedeutung hat wie früher. Sie „kann symbolisch verstanden werden, braucht nicht als zwingend nachgewiesen werden.“242 Wenn auch dieser situative Ansatz für das Sakrament vor allem in der Religionspädagogik – etwa nachweisbar im Bereich der Religionsbücher – explizit oder nur nebenbei – verwendet wird, so trifft er nicht das, was das Sakrament eigentlich ausmacht. Denn auch das Leben kann nicht repräsentiert werden durch einzelne Situationen, in denen sich die Menschen wiederfinden können, auch wenn diese Situationen wichtige Lebensstationen darstellen, wenn viele Menschen diese durchlaufen. Das Leben ist eindeutig bunter und kann nicht nur durch irgendwelche Weggabelungen umfassend dargestellt werden. Es kann auch nicht „eingefangen“ werden und im Ritual kondensiert werden. aa) Perichorese von Leben und Ritual Es muss also eine andere Art von Beziehung sein, die da das Leben mit dem Sakrament eingeht. Natürlich besteht diese Beziehung aus Zeichen, ist zeichenhaft, weil unser ganzes Leben eben auch zeichenhaft ist. Und sie ist 242

H. Vorgrimler, Sakramententheologie, Düsseldorf1 1987, S. 57.

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letztlich auch gestiftet, sonst könnte der Anspruch, dass Sakramente ein Begegnungsraum mit Gott sind, nicht aufrechterhalten werden. Perichorese ist ein Begriff, der auf Johannes von Damaskus zurückgeht und die innertrinitarische Beziehung aufzuzeigen sucht. „Indem der Damaszener dieses alte Bewegungswort in den begrifflichen Rang erhebt – wonach es so viel wie Ineinandersein, Ineinanderverschränkung, Ineinanderdringen bedeutet –, gelingt ihm eine der geistvollsten Begriffsschöpfungen der abendländischen Ideengeschichte.“243 Dieser Begriff ermöglicht es aber auch, in Frage zu stellen, dass immer nur das eine ein Abbild des jeweils anderen sein kann oder auch, dass das eine im anderen besteht oder eine direkte Beziehung hat, ganz nach dem Muster Mikrokosmos-Makrokosmos. Dass bedeutet im Gegensatz dazu Verschränktheit, das bedeutet, dass es ein wirkliches Ineinander gibt ohne Modell- oder Vorbildcharakter. Es ist auch nicht das Leben etwa nur ein Teil des Rituals und umgekehrt. Die entscheidende Frage in dem Zusammenhang wird jedoch sein, wie die Relation von Sakrament und Leben nach katholischem Verständnis erfolgt bzw. wie diese Relation von der Gestiftetheit der Religion intendiert ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass hier die Perichorese dem in sehr vielen Bereichen Platz greifenden Behälter-Modell oder KübelTheorie entgegengesetzt wird. Mit dieser Kübel-Theorie ist gemeint, dass der jeweilige Behälter etwas aufnimmt, das dann genau quantifizierbar, lokalisierbar und beschreibbar ist. Perichorese „steht für nichts weniger als den anspruchsvollen Gedanken, dass die Personen nicht in äußeren, bei der Physik geliehenen Räumen lokalisierbar sind, sondern dass sie den Ort, an dem sie sind, selber durch ihre Beziehung zueinander stiften.“244 Damit wird unser Fokus also einerseits auf die Relation zwischen den maßgeblichen Bereichen bzw. in diesem Fall zwischen den Handelnden gerichtet. Aber auch die Beziehung zwischen dem Leben und dem Sakrament können wir stimmig durch dieses Modell beschreiben als Ineinandergreifen, als Perichorese. An einem anschaulichen Beispiel soll sichtbar gemacht werden, wie diese Ortlosigkeit des Ineinandergreifens funktioniert. Das macht Sloterdijk mit Hilfe der anschaulichen Perichorese von Schultze in Anlehnung an den Film „Schultze gets the Blues“ sichtbar. Schultze ist in diesem Film ein gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzter Bergarbeiter, der Ziehharmonika spielt und er spielt jene Literatur, die in seinem Bereich durchaus üblich und traditionell ist, nämlich Polkas und volkstümliche Stücke. Plötzlich dringt aber aus dem Radio eine Musik an sein Ohr, die sein gesamtes musikalisches Verständnis in Frage stellt und gleichzeitig neu ordnet. Es ist dies 243 244

P. Sloterdijk, Sphären, Bd. I, Frankfurt 2004, S. 617. P. Sloterdijk, S. 619.

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eine Art von Musik, die in sein Leben einbricht und es könnte durchaus sein, dass diese Musik, Zydeco nämlich, eine Akkordeonmusik aus dem Süden der USA, auch wenn er sie vorher gehört haben mochte, bis jetzt auf ihn auf jedenfalls keinen Eindruck gemacht haben sollte. „Nun ist Schultze zwar immer noch in seiner Küche, aber doch schon ganz woanders: er ist an einem Ort, wo die neuartige und unerhörte Musik zu ihm spricht, er ist in seiner Zukunft, die in diesem Moment eine unerwartete Richtung bekommen hat und er befindet sich in einer Vergangenheit, der bis dahin etwas gefehlt hat, was er vielleicht spürte, wovon er aber nichts wusste.“245 Damit hat sich für Schultze etwas Wesentliches geändert. Er lebt in einer vollkommen anderen Beziehung zur Umwelt, indem sich diese seine Beziehung zu einer Musikform geändert hat, weil sein gesamtes Denken in Frage gestellt wurde durch ein singuläres Ereignis. Diese singuläre Ereignis, diese Veränderung der Beziehungen bedeutet letztlich eine Änderung des gesamten Lebens. Dieses Beziehungsgeflecht des Lebens macht aber auch nicht vor der grundlegenden Beziehung eines jeden Menschen Halt, das ist der Kult, sprich im Christentum, das Sakrament. Wie kann nun diese Perichorese zwischen Leben und Ritual geschehen? (1) Unsere Existenz als Ineinander von Heil und Unheil Es geht also darum, dass der Mensch in seiner leib-seelischen Ganzheit alle Lebensvollzüge durchlebt. Einer dieser Lebensvollzüge ist auch dieses Fragen über sich selber hinaus, ist die Frage nach dem „Wer liebt mich“, nach Geborgenheit und nach dem Wozu, der Sinnfrage. Gerade in dieser Sinnfrage komme ich auch bei aller Verstricktheit in die Alltäglichkeit auf die Frage nach dem Größeren, nach der Religion. „Der christliche Glaube hat immer gewusst, dass das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf nicht ein Verhältnis des Nebeneinanders, sondern des Ineinanders ist.“246 Das heißt, damit handelt es sich nicht um einen Gott, der in ein Eck zu stellen ist oder der mit meiner Leiblichkeit als Mensch nichts anfangen kann und somit in einen bestimmten Bereich, den sakralen, verbannt werden muss. Gerade weil wir als Menschen in diesem Ineinander mit Gott leben, können wir nicht Sakrales vom Profanen trennen. Diese Relation ergibt sich schon aus dem Schöpfungszusammenhang des Alten Testamentes: Die Schöpfungserzählungen im AT zeigen diese Entdivinisierung und Entdämonisierung des Kosmos auf. Weil Jahwe als ein nicht unmittelbar-weltlich zugäng245

M. Wörther, Schäumende Medien. Überlegungen zu Sloterdijk, in: Magazin für Theologie und Ästhetik, Heft 35, zitiert aus: www.theomag.de/35/maw1.htm, eingesehen am 2. Oktober 2007. 246 L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 30.

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licher, abstrakter und persönlicher Gott nicht nur über, sondern jenseits der Welt steht und doch alles beherrscht, wird eine Beziehung zum Menschen durch ihn und von ihm, Jahwe, der immer da ist, konstituiert. Gleichzeitig hat diese Beziehung eine andere Qualität, weil diesem alttestamentlichen Gott, der weder eine Konkurrenz in der ewigen Materie noch in einem Demiurgen hat, nichts auf Erden reserviert ist. Damit werden die Erde und alles Leben dem Menschen zwar anvertraut, aber auch brauchbar, d.h. also in den Dienst genommen für den Menschen. Nicht umsonst wird gerade diese Entsakralisierung der Welt als Eckstein und als Grundlage für die moderne Naturwissenschaft und Technik angesehen. Die Entsakralisierung der Natur bedeutet einerseits also Verantwortung des Menschen für diese Welt, andererseits aber auch ein Freimachen der Welt und des Kosmos. Man muss nicht darauf Rücksicht nehmen, dass etwa Gestirne, die Sonne oder irgendwelche Substanzen, die in der Natur vorkommen, alleine Gott vorbehalten sind. Mit dieser Entsakralisierug der Natur und der Tatsache, dass man einem Gott gegenübertritt, den man sich nicht vorstellen, aber auch nicht wegstellen kann, ist auch verbunden, dass dieser Gott nicht nur an einem bestimmten Ort „festgehalten“ bzw. festgemacht werden kann. Gott ist nicht nur in einem bestimmten Bereich lokalisierbar, Jahwe „ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten“. (Dtn 4,39) Es ist dabei kein Widerspruch, wenn er trotzdem im Tempel ganz besonders verehrt wird. Diese Präsenz Gottes, dieses Gehen mit den Menschen – repräsentiert im AT durch Gottes Mitgehen mit seinem Volk – bedeutet aber auch, dass damit das gesamte Leben umfasst wird. Wenn nicht mehr nur einzelne Bereiche der Welt und des Kosmos sakralisiert sind, weil sie per se heilig sein sollen, dann heißt das aber auch angesichts eines Gottes, der mit den Menschen geht, dass er mitten im Leben steht und dass aus dieser Beziehung heraus Räume geschaffen werden können und auch werden, die mitten im Leben genau diese Beziehung zwischen Gott und Mensch repräsentieren. Aus der Ortlosigkeit per se wird also eine Lokalisierbarkeit Gottes in allen Dingen, die aber nichts mit Pantheismus zu tun hat, weil diese Lokalisierbarkeit eben einerseits an Zeichen hängt und andererseits an der Stiftung durch Christus. Denn alle Sakramente müssen letztlich über ihre christologische Mitte verstanden werden, der Zugang kann nur über diesen Christus erfolgen. Das bedeutet aber auch praktisch, dass alles, was den Menschen ausmacht, was für ihn und an ihm wesentlich ist, in und bei Gott ist. „Gott ist unter der Rücksicht der Gemeinschaft und Perichorese seiner göttlichen Person der Segen schlechthin, der Mensch als geschaffenes Abbild Gottes ist geschaffener und so abgebildeter Segen aufgrund des Segen-Seins Gottes. Der Mensch vollendet sich als Segen, wenn er in diese Segensgemein-

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schaft zurückkehrt.“247 Also ist alles umfangen von der liebenden, gestifteten Begegnung durch den inkarnierten Gott. Und damit ist das ganze Leben dabei, wie mit einem Brennglas zentriert. Also auch die dunklen, schwierigen Zeiten, die Unheilssituationen: Diese werden schon im AT angesprochen, wenn etwa die Heilsgeschichte des Menschen im Alten Testament mitteilt, dass bei allem Unheil letztlich das Heil des Menschen an erster Stelle steht, vermittelt durch den mitgehenden Gott, der dem Menschen das Bleiberecht durch den Glauben gibt, wenn er sagt: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ (Jes 7,9) Jesus Christus steht ganz auf diesem alttestamentlichen Hintergrund. „Zugleich müssen diese Unheilssituationen in Christus hinein zurückgebunden und so gewandelt sein. Daher ist es durchaus möglich und sinnvoll, unsere der Unheilsgeschichte des Volkes Israel analogen Unheilssituationen mit einzubeziehen in das Sakrament seines Leibes und Blutes. . . . Alle Sakramente . . . haben also die Aufgabe, unsere Unheilssituation in dieser menschlichen Person Jesu zusammenzutragen.“248 Damit ist die Beziehung angesprochen, die wir mit Christus haben und die etwas Ähnliches bedeutet wie diejenige, die der von uns zuvor angesprochene Schultze plötzlich durch die neue Musikerfahrung bekommt. Dabei handelt es sich in dieser Beziehung zu Gott nicht nur um irgendeinen Perspektivenwechsel, sondern um eine Änderung in der Grundausrichtung des Lebens, nicht nur des Einzelnen, sondern sogar der Menschheit, wenn Gott selber Mensch wird und diese Erfahrung allen nahegebracht wird. So wie dieser Gott leibhaft wird und damit die Solidarität Gottes mit uns Menschengestalt angenommen hat, sichtbar für alle, so ist diese Leibhaftigkeit ans Leben und an Zeichen gebunden. Wir Menschen sind in ihm und er ist in uns. „In der Gegenwart des Heilandes wird alles heil. Alles also, was von uns an ihm aufscheint, das harrt der Wandlung. . . . Unsere Sakramente bringen unser Unheil an die Person Christi heran. Dort in ihm wird unser Unheil gewandelt. Weil die Sakramente ihre Mitte in Christus haben, werden Symbole in Sakramente gewandelt.“249 Das heißt, unser gesamtes Leben, auch das Unheil, wird konzentriert zu Christus gebracht. Gerade diese beispiellose Solidarität Gottes mit uns Menschen lebt gerade nicht vom konservierenden oder konservierten, lebensfernen Ritual in der Abstellkammer des Lebens, sondern lebt vom Alltag. Gerade, dadurch, dass das Gesamte, was den Menschen ausmacht, von einem, der Mensch geworden ist so wie wir alle, thematisiert wird, wurde das alltägliche Leben geheiligt und gleichzeitig dieser Alltag in das Geheimnis Gottes hineingenommen. Denn es ist eben unser Alltag in all unseren 247 248 249

L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 33. L. Lies, Sakramententheologie, S. 93. L. Lies, Sakramententheologie, S. 96.

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Lebenssituationen, auf die sich die Inkarnation Gottes bezieht. Der Tempelvorhang zerriss am Karfreitag (Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45) und das ist nicht nur ein Bild für die Tatsache, dass der Alte den Neuen Bund ergänzt und auch wichtig ist, weil ja Jesus dazu steht, und sich die Heilsgeschichte mit Jesus vollendet. Es wird auch gezeigt, dass das Heiligtum mitten in der Welt ist, wenn wie es etwa im Sakrament der Eucharistie in den Wandlungsworten, analog zum Einsetzungsbericht des Abendmahls heißt: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut!“ Das meint, dass Gott in dieser Welt zeichenhaft präsent sein kann – selbstverständlich neben dieser Präsenz, die insgesamt immer gegeben ist. Aber im Sakrament ist eben diese bewusste Bindung an das Zeichen da, die von Gott ausgeht und damit zum Heils-mittel wird. Dieses Ereignis des zerrissenen Tempelvorhangs meint aber auch, dass die Dimensionen des Todesereignisses Christi letztlich alles, Himmel und Erde, in seinen Grundfesten erschüttern und auch vor der innertrinitarischen Perichorese Gottes – nicht Halt machen. Es ist nichts mehr so wie früher und die Menschen haben daran auch Anteil. Und dieser Anteil wird im Sakrament nicht nur gespiegelt, sondern vergegenwärtigt. Gerade wenn wir bei unserem vorherigen Beispiel von Schultze bleiben, dann hat sich nicht der Ort geändert, sondern lediglich die Beziehung zur Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit, die wir Leben, auch manchmal Alltag nennen, ist eine unteilbare. Wir kommen mit all unseren Sorgen und Problemen, mit allem, was unsere menschliche Wirklichkeit ausmacht, um das Sakrament zu feiern. Somit ist die Feier des Sakramentes, dieses Innewerdens Christi immer die Feier unserer eigenen Existenz, weil wir Angenommene sind, die der Großtaten Gottes innewerden. Das Heil ist nicht ein Heil, das sich nur auf einen Teilaspekt oder auf den Kult bezieht. (2) Christ-Sein bedeutet miteinander essen Franz Mussner bringt auf den Punkt, was das Christentum ausmacht: Das Wesen des Christentums ist synestihein.“250 Diese Miteinander-Essen251, diese Tischgemeinschaft, ist der große Programmpunkt Jesu. Sie ist auch die Verheißung, sie ist das Bild für die Anschauung Gottes. Sie ist es auch, wodurch Jesus wiedererkannt wird, als die Jünger nach Emmaus gehen und mit ihm Brot brechen. Diese ist auch die sakramentale Mitte der Gemeinschaft Kirche in der Eucharistie. Es ist zunächst einmal nur dieser simple Vorgang des Essens, der Nahrungsaufnahme, eine alltägliche Situation, die 250 F. Mussner, Der Galaterbrief. Herders Theologischer Kommentar zum NT, Bd. IX, Freiburg3 1977, S. 423. 251 Vgl. W. Kern, Jesus – Mitte der Kirche, Innsbruck 1979, S. 83.

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zum Leben wie kaum etwas anderes dazugehört, die die Fülle des Lebens repräsentiert. Dieses gemeinschaftliche Essen ist wesentlich in der jungen Kirche. So gibt es etwa in der Gemeinde von Korinth Streit, weil man gerade nicht miteinander isst, aufeinander wartet, miteinander teilt, sondern in egoistischer Manier nur seinen Hunger und seinen Durst befriedigt. Gerade weil eben die schwierige Unterscheidbarkeit zwischen Alltäglichkeit und Ritual nicht gegeben war, weil ja Leben und Ritual zusammengehören, gerade deswegen gab es Streit in Korinth und deswegen sagt auch Paulus in dieser Situation: „Wer Hunger hat, soll also vorher zu Hause essen; sonst wird eure Zusammenkunft zum Gericht.“ (1. Kor 11,34) Paulus geht also in dieser Anordnung davon aus, dass es sehr schwierig war für die Menschen der damaligen Zeit, zwischen dem normalen Mahlhalten und dem Herrenmahl zu unterscheiden. Das Leben ist also das Beherrschende in jedem Sakrament. Und weil das Christentum immer auch auf diesen Alltag ausgerichtet ist, wirkt das Sakrament auch nach. Denn Ritual und Orthopraxis gehören zusammen: Somit begehe ich also eine Verrat an Jesus Christus, wenn ich mein Leben nicht weiter bestimmen lassen würde durch das Sakrament, das in meinem Alltag Früchte tragen soll, mich für das Leben auch stärkt. Es besteht also diese Dialektik zwischen Leben und Sakrament, dieses Ineinander und die Orientierung aufeinander. (3) Das Ineinander von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft und Ewigkeit Es entspricht aber auch unserem Kästchen-Denken als Menschen, dass wir gerne unsere Lebenswirklichkeit aufzufächern versuchen. Gerade im Gedenken, im Innewerden der Wirklichkeit der Vergangenheit, die ja eine wesentliche Basis unseres „Hier und Jetzt“ darstellt, sehen wir nicht nur, woher wir kommen, sondern auch, wer wir sind. Wir werden durch dieses Gedenken an unsere Wurzeln gewissermaßen zu uns selber befreit. Gott ist der Ewige. „Mit Gottes schöpferischem Handeln ad extra tritt in Raum und Zeit auseinander, was als Ewigkeit in ursprünglicher Weise beieinander und ineinander ist. Indem die Ewigkeit als Raum und Zeit auseinandertritt (ohne auseinanderzufallen), tritt die Zeit in die drei Zeitmodi der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft und der Raum in Hier und Dort auseinander.“252 Er ist also die Bedingung für Zeit und Raum und er tritt durch sein Handeln in der Welt gerade in diesen Raum und die Zeit ein, er ist durch sein Menschsein für uns Menschen die Bedingung der Möglichkeit, dass auch wir in diese Ewigkeit Gottes, in diese für uns Menschen neue, ge252 E. Jüngel, Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2003, S. 350.

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schenkte Wirklichkeit in der gemeinsamen Auferstehung mit Jesus Christus gelangen. Diese schenkende, befreiende Liebe geht an die Wurzeln der menschlichen Existenz. Gott selbst kommt in die Welt als Mensch! Dieses einmalige Ereignis der Inkarnation überstrahlt die gesamte Geschichte und hat im Sakrament in der Anamnese wesentliche Auswirkungen auf mein Leben. Wir können also sagen, dass in der Anamnese der Großtaten Gottes für die jeweilige menschliche Person eben Grenzen überwunden werden: Im Sakrament wird die Heilswirklichkeit Jesu, sein Leben, Leiden und Sterben, aktualisiert und präsent gesetzt. Sakrament als bestehend aus menschlichen Zeichen zielt dabei im anamnetischen Sinne immer auf die Heilstaten Gottes, aber auch immer auf die Aktualisierungen derselben in meinem Leben. Katholisches Ritual, Sakrament, ist also nichts, das im Kirchenraum versperrt ist, sondern es sagt gleichzeitig etwas über die jeweilige Person aus, die sich diesem Sakrament zuwendet. Das Sakrament ist offen, es ist in der Welt und für die Welt, weil es für alle Bereiche des menschlichen Lebens ist. Und diese Person bringt nicht nur einige Aspekte des Lebens mit in die Kirche, indem sie etwa fragt, wie sie sich beispielsweise nur ethisch orientieren kann oder wie sie ethisch wachsen kann (so wichtig das auch ist). Der wesentlichste Aspekt des menschlichen Lebens ist allerdings die Frage nach sich selbst. Dieses Fragen nach sich selbst kann aber nie in sich selbst verschlossen sein. „Personales Erinnern und dessen Verinnerlichung bedeutet, in hörender Begegnung den Worten und Lebensäußerungen anderer in mir Lebensraum und Stimme zu ermöglichen. Erinnern heißt, dass ich innerlich nicht von mir besetzt und daher so frei bin für die Äußerungen anderer Personen.“253 Wir geben also den anderen Raum und bekommen Raum in ihnen. Gottes Raum-Geben ist aber nicht versperrt in der Zeit um das Jahr Null, sondern ist für uns immer da. Mit dem Christusereignis werden Grenzen überschritten, denn „einer aus der Dreifaltigkeit wird Mensch und kommt so den Menschen entgegen. Die Person des Sohnes Gottes nimmt eine Menschheit mit Leib und Seele an und hebt sie auf ihre göttlich-personale Höhe, ohne diese Menschheit mit der Gottheit zu mischen.“254 Diese Perichorese ist also auch eine Initialzündung für die Perichorese der Zeit. Christus ist das Ursakrament, er ist der Grund für die Möglichkeit, dass wir immer wieder neu für uns und unser Leben in unserer Zeit, dem Jetzt und Heute, dieses Christusereignis, das vor 2000 Jahren stattgefunden hat, aktualisieren können. Christus ist präsent, nicht aufgrund von Magie, sondern weil diese Perichorese mit ihm Realität geworden ist, weil sie nicht 253 254

L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 14 f. L. Lies, Die Sakramente der Kirche, S. 33 f.

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nur irgendwann in der Geschichte belassen und aufgehoben wird, sondern weil dieses Angebot und Geschenk der Beziehung immer wieder neu auf unser Leben abgestimmt ist, da im Sakrament klar ist, dass dieser feiernde Bezug zu jeder Zeit neu Christus Raum gibt. Es ist also eine Perichorese der Zeiten bzw. von Ewigkeit und Zeit, vor der wir stehen: Es ist das Ineinander des ewigen Gottes, der sich in der Zeit zu einem bestimmten Punkt innerhalb der Geschichte uns schenkt, was wiederum Auswirkungen auf die Zeit hat. Schon die Menschen der alttestamentlichen Zeit erfahren dieses Ineinander der Zeit, das durch Gott geschaffen und Wirklichkeit wird, indem Gott sich selber als Jahwe als Herr dieser Zeit und der Geschichte, als einer, der alle Zeiten übersteigt und begleitet, selber offenbart. Wir erfahren im Sakrament diese Fülle Gottes, diese Ewigkeit, und erfahren dadurch eine Art Zeitfenster, das uns durch Christus selber Vergangenheit Zukunft und Ewigkeit gleichzeitig erfahren lassen kann. Christus ist ja der einzige Mittler dieser Türangel der Zeit: Wir können ihn herabrufen, er ist der Grund für diese neue Gemeinschaft mit Gott, aber auch mit den Menschen, die tief in unserem Leben wirkt, und gleichzeitig dürfen wir sagen, um zu verdeutlichen, was dieses Ineinander der Zeit bedeutet, wie es im Epheserbrief formuliert wird: „Wir sind zum Lobe seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben.“255 Ein spezifisches Hoffen auf Gott, das die gesamte Menschheit aller Zeiten verbindet und in Beziehung setzt. bb) Begegnung mit dem Kosmos? Das Hauptziel des Christentums ist nicht der Kosmos, denn es geht sowohl im Christentum als auch im alttestamentlichen Judentum immer nur vorrangig um diesen Bund zwischen Gott und Mensch. Die Frage ist also umgekehrt zu stellen: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Christus, der Inkarnation Gottes, und dem Kosmos, sprich der Schöpfung? Christus ist das Haupt des Alls, er hat diese Welt und seine Geschichte „sich zu eigen gemacht und in sich zusammengefasst“256, er hat letztlich das All zusammengefasst257. Er ist also Herrscher und Haupt dieses Alls: Nicht der Kosmos oder die Schöpfung oder die Überleitung vom Mikro- zum Makrokosmos oder umgekehrt steht an erster Stelle, sondern vielmehr Christus und die Christologie. Und damit kann nicht nur von Schöpfung allein die Rede sein, sondern muss gleichzeitig immer eine Verbindung mit der Soteriologie bestehen. „Wenn oder gesetzt dass Gott seine Schöpfung (auf jeden 255 256 257

Eph 1,12. Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, 38. Vgl. Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“, 45.

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Fall) auf eine maximale (natürlich-übernatürliche) Weise vollenden wollte, so gab es dafür keinen sinnvolleren Weg als den, dass er den Menschen als den Mikrokosmos und Repräsentanten der Gesamtschöpfung durch Einigung mit sich selbst in einem Gottmenschen vollendete.“258 Damit wird die Spannung zwischen dem Makrokosmos Mensch und dem Kosmos aufgebaut, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt der Mittlerschaft Jesu Christi, der als Ausgangspunkt und Ziel alles vollendet. Soteriologie und Eschatologie also als Perspektiven und keinesfalls die Analogie zwischen dem Mensch oder den Elementen als Vorbild oder Urbild des Kosmos. Bekannt ist Christus der Pantokrator besonders aus der Ikonographie; dieser Ausdruck und auch die Art, wie das Gemeinte vornehmlich in der Ostkirche dargestellt ist, ist „eine Interpretation, um die Universalität Gottes in griechischer Sprache auszudrücken.“259 Natürlich ist das Ganze auch eine interkulturelle Übersetzung in dem Sinne, dass der jüdische Jahwe Zebaoth mit der griechischen Vorstellungswelt eines Zeus Pantokrator verbunden wird. Christus ist als Pantokrator zugleich Weltenherrscher und Sinnbild der Voraussicht Gottes, die über alles wacht. (1) Schöpfung und Kosmos im biblischen Befund Es soll bei einer biblischen Sondierung nicht einer Aufspaltung der Betrachtungen zwischen AT und NT das Wort geredet werden. Wir haben ja schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass es letztlich bei beiden um diesen Bund geht, aber auch darum, die gemeinsame Sichtweise, dieses Zueinander, zu betonen. Gerade die erste, priesterschriftliche Schöpfungserzählung wird im Johannesprolog wiederaufgenommen und ergänzt. Besonders in der stufenartig auf Gott bezogenen Ordnung von Gen 1,1–2,4a ist alles auf den Menschen konzentriert, er ist das Zentrum aller Kreise. „Er allein ist nur mehr auf Gott bezogen ohne weitere Zwischenstufen. In ihm ist alle Kreatur geeint: Gott ist der einzige Urheber aller Welt, neben dem es kein Prinzip mehr gibt; sein alleiniges Gegenüber ist die eine Menschheit, auf die alles andere bezogen ist.“260 Gleichzeitig erfolgt irgendwie schon der Überstieg zum Johannes-Prolog im Neuen Testament, wenn im AT Gott souverän durch sein Wort schafft und dieses Wort, der Logos, wiederaufgenommen wird als Kern der Botschaft. „Für Johannes ist der personale Logos, der Fleisch geworden ist, jenes Wort, durch das Gott alles 258 R. Haubst, Vom Sinn der Menschwerdung, „Cur Deus Homo“, München 1969, S. 145. 259 F. Zoepfl, Pantokrator, in: LThK, Bd. VII., S. 29. 260 W. Beinert, Christus und der Kosmos. Perspektiven zu einer Theologie der Schöpfung, Freiburg i. Br. 1974, S. 17.

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geschaffen hat. Er wird schon dadurch in die denkbar engste Verbindung mit Gott gerückt.“261 Damit wird auch nicht die zeitliche Komponente betont, wie dies im zeitlichen Nacheinander des Berichtes in Genesis erfolgt, sondern gerade diese betonte Präexistenz des Logos zeigt, dass „der Heiland von V. 16 (im Johannesprolog – Anmerkung des Verfassers) als personaler, bei Gott existierender und Gott seiender Logos sofort dadurch beschrieben wird, dass er den Primat vor aller Schöpfung hat.“262 Wir können in den meisten neutestamentlichen Perikopen, die sich mit der Schöpfung und mit Christus als an dieser Schöpfungswirklichkeit aktiv Tätigen beschäftigen, diese Einheit zwischen Schöpfungs- und Erlösungswirklichkeit orten. Die wichtigste Stelle in Bezug auf die Frage nach dem Christus im Zusammenhang mit dem Kosmos ist der große Christushymnus im Kolosserbrief (Kol 1,15–20). Formal fällt in dieser gesamten Perikope auf, dass sie praktisch in zwei Strophen gegliedert ist: Einmal von Vers 15 bis Vers 17 wird die Rolle Christi als Schöpfer betont, während Vers 18 bis 20 die Rolle des Erlösers Jesus Christus herausgestellt. Dort heißt es etwa: „Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“ (Kol 1,16) Damit wird ganz klar gezeigt, wie Christus alles dominiert, dass er wirklich Herr des Kosmos ist und gleichzeitig auch das Ziel dieses Kosmos. Damit ist die Beteiligung Christi an der Schöpfung, auch als Ziel dieser Schöpfung und als Mittlergestalt, hervorgehoben. In Röm 1,36 heißt es: „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung.“ Damit ist auch aus dieser Stelle klar Folgendes ersichtlich: „Christus wird im Hymnus als die wirkursächliche, die exemplarische und die finale Ursache der Schöpfung gezeichnet. Paulus verliert dabei niemals die umfassende Einheit der Schöpfung aus dem Auge, die in ihrer Abhängigkeit und Bezogenheit auf Christus gründet. . . . Der kitisiologische, der soteriologische und der eschatologische Aspekt werden zusammengesehen.“263 In diesem Bereich bewegt sich auch die Glaubensformel bei Paulus, die diese doppelte Achse von Vater und Sohn und diese Gleichrangigkeit der beiden sieht, eine Gleichrangigkeit, die sich klarerweise auch auf die Schöpfung bezieht (siehe dazu 1 Kor 8,6). Natürlich ist diese Glaubensformel auch anlassbezogen, geht es doch um die Frage nach dem Genuss von Götzenopferfleisch. Es geht aber doch auch um eine höhere Wirklichkeit: Der Genuss des Götzenopferfleisches kann nicht wirklich die Menschen be261 262 263

W. Beinert, Christus und Kosmos, S. 45. W. Beinert, Christus und Kosmos, S. 45. W. Beinert, Christus und Kosmos, S. 30.

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flecken, er bleibt belanglos, weil Paulus das Gegenkonzept eines anderen Glaubens betont, eines, das von vornherein überlegen ist, weil es sich dabei auf den Schöpfer von allem bezieht. Dabei setzt Paulus einerseits einen bewussten Kontrapunkt zu den Vorstellungen der heidnischen Schöpfungsmythologie, gegen viele Götter, setzt sich aber auch (scheinbar) ab von dem alttestamentlichen und jüdischen Konzept eines strengen Monotheismus. Christus steht damit im Zentrum, wenn es heißt: „So haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn.“ Christus ist aber auch der Herr über den Tod, er ist der Herr der „jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat“ (1 Kor 15,24) und er ist der Erstling der Auferstehung (siehe 1 Kor 15,23). „So ergibt sich, dass auch das Erlösungsgeschehen unter schöpfungstheologischen Vorzeichen steht. Christi Schöpfertat vollendet sich in seiner Erlösertat. Er ist Erlöser als Schöpfer der Welt.“264 Eine wesentliche Perikope, die die Fülle einer kosmischen Christologie verkörpert, ist Eph 1,3–10. Natürlich geht es in dieser Eulogie um die großen Taten Gottes, aber auch um die umfassende, zentrale Bedeutung Christi im Plan Gottes. „In den Versen 4ff wird entfaltet, worin dieser Segen (in Christus – Anmerkung des Verfassers) besteht: er ist Erwählung und Vorherbestimmung, Begnadung und Sündenvergebung. Er ist endlich Einweihung in ein Mysterium.“265 Mit und in Christus ist gewissermaßen eine bzw. die einzige Möglichkeit gegeben, diesen Gottessegen zu erreichen. Er ist der kosmische Mittler, in ihm, dem Christus, ist alles vereint, der gesamte Kosmos zentriert. Somit ist Rettung nicht nur durch das Faktum Christus an ihn irgendwie gebunden, sondern prinzipiell ohne ihn nicht denkbar. Dabei ist die Gerichtetheit dieses Segens und der Segensfülle sowohl auf die Gemeinde als auch auf die Welt hin gegeben. „Die Segensfülle, die Gott in Christus der Gemeinde geschenkt hat, erweist sich dann aber auch als Begnadung der Welt, die sich konkret durch die Gemeinde ereignet. Es ist dann nicht verwunderlich, wenn sich der Blick des Autors ab V. 8 von der Gemeinde wieder auf die Welt richtet.“266 Das bedeutet damit de facto auch eine Rückenstärkung für die Gemeinde, die diesem Modell verbunden ist bzw. ein Adressat für die Tatsache ist, dieses Loblied anzustimmen: „Die Gemeinde, die dieses Lied singt oder singen soll, kann sich nicht als verlorene Schar im Weltgetriebe begreifen, sie ist aufgerufen, ihren Standort im Kosmos zu sehen.“267 264 265 266

W. Beinert, Christus und Kosmos, S. 32. W. Beinert, Christus und Kosmos, 38. W. Beinert, Christus und Kosmos, 39.

8. Das Leben umgreifen: Das Ritual als Ausdruck der Lebenswirklichkeit

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Damit geht also aus dieser Perikope eine Tatsache klar hervor, die offensichtlich eine wesentliche, gemeinsame Richtung im NT aufzeigt: Die Christengemeinde sieht durch diese Verbindung mit Christus als Herrn des Kosmos die eigene Stellung als bevorzugt und wichtig. Durch diese Bindung an Christus ist diese Auserwählung gegeben, sie bedeutet Heiligung, Auserwählung und Sendung innerhalb des Kosmos. Die Frucht dessen, was im NT reflektiert wurde, findet sich schließlich auch im Symbolum von Nicea und Konstantinopel wieder, wenn es über Christus heißt: „Wir glauben an den einen Gott, . . . und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener gezeugt vom Vater, . . ., wesenseins mit dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und auf Erden ist . . .“268 (2) Menschheit und Christus im Kreuzes- und Auferstehungsereignis Wenn es auch in der Tradition des Christentums viele Überlegungen in Anknüpfung an die Bibel zur Frage nach „Christus und Kosmos“ gibt, so etwa bei Anselm von Canterbury, der in seiner Schrift „Cur Deus homo“ vornehmlich die Frage nach der Rolle Christi im Zusammenhang mit der Sünde stellt, oder bei Bonaventura, der davon ausgeht, dass sich in der Schöpfung, im Kosmos, die Trinität abbildet, so ist doch eine Konzeption der Neuzeit es wert, näher beschrieben zu werden – nämlich jene von Teilhard de Chardin. Weil Bonaventura erwähnt wurde, muss – um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen – klargestellt werden: Seine Zielrichtung geht ausschließlich dahin, dass der Kosmos bzw. die Schöpfung Abglanz Gottes ist, aber in dem Sinne, dass wir durch die Welt zu ihm geführt werden, nicht jedoch, dass die Welt selbst vergöttlicht oder selber Gott ist. Der Blick auf Teilhard de Chardin ist für unsere Arbeit deshalb interessant, weil er das Sakrament der Eucharistie unter besonderer Rücksicht des kosmischen Kontextes betrachtet. Somit ist ein Vergleichspunkt mit der Verbindung des freimaurerischen Rituals mit dem Kosmos gegeben. Teilhard geht aus vom Gottesbild des kosmischen Christus269 und setzt damit dieses Gottesbild anderen, traditionellen Gottesbildern gegenüber. Natürlich fußt für ihn als Naturforscher und Paläontologe dieses Gottesbild in seiner persönlichen Beziehung zum Kosmos, aber auch in einem gewissen Fortschrittsoptimismus – seiner Zeit. Er bekennt: „Die Welt braucht einen Gott! 267 J. Gnilka, Der Epheserbrief, Herders theologischer Kommentar zum NT X/2, Freiburg i. Br. 1971, S. 77. 268 NR 155. DH 125. 269 Vgl. dazu A. Glässer, Konvergenz. Die Struktur der Weltsumme Pierre Teilhards de Chardin, Kevelaer 1970, S. 312.

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II. Das Ritual

Aber unsere Vorstellung von Gott muss weit sein wie die Dimensionen unserer Welt.“270 So wie eben dieser schöpferische Christus mit dem Kosmos verbunden ist als Haupt des Alls, so lebt diese Verbindung mit Christus nicht nur als individuelle Verbindung eines Menschen mit ihm, sondern auch in seinem mystischen Leib, der Kirche, wie das ja auch Paulus immer betont. Und diese Kirche ist ja überzeitlich, die Dimensionen dieser Kirche umfassen nicht nur die Menschheit, sondern auch den Lebensraum derselben, den Kosmos. Bei Teilhard heißt das die Verbindung zwischen der Evolution und Christus. „Geschick und Geschichte Jesu werden in die Menschheit und in den Kosmos hinein fortgesetzt. Durch die Kirche, durch die heilige Eucharistie, werden Menschheit und Kreuzes- und Auferstehungsereignis hineingenommen.“271 Teilhard de Chardin spricht in diesem Zusammenhang von der „Messe für die Welt“ und meint damit dieses Einssein mit all den Eucharistiefeiern auf der Welt. Teilhard unterscheidet sehr wohl zwischen der Eucharistiefeier, wo die Transsubstantiation erfolgt, und die wirklich eben diese Vergegenwärtigung des Opfers Christi im Brot und im Wein darstellt, die sehr individuell und einzigartig geschieht, obwohl sie das einmalige geschichtliche und dabei überzeitliche Ereignis vergegenwärtigt und der sog. Transformation. „Die Transformation ist von anderer Art und Intensität. Durch sie wird dem Menschen Anteil an Gottes Liebe und Vereinigung mit Christus geschenkt, die Kirche als der Leib Christi erbaut und Kosmos konsekriert. Christus steigt sakramental in jeden seiner Gläubigen hinab, um ihre Herzen mit höchster Glückseligkeit vollkommen auszufüllen und sich mit ihnen zu vereinen.“272 So gehen die Wandlungsworte gewissermaßen in den gesamten Kosmos und lassen auch diesen mystischen Leib Jesu Christi entstehen. „Das eucharistische Mysterium ist ein ‚Ereignis des Weltalls‘: die Messe der Welt, die Konsekration des Kosmos in eine universale Hostie ist die eigentliche Wirklichkeit der Evolution. Die kosmische ‚Messe‘, deren Zelebration Jahrmilliarden dauert, nimmt alle Gebete, alle Arbeit, alles Leiden in sich auf. Es gibt keine profane Sphäre der Aktion. Unsere Handlungen gehören zum sakralen Ritus der kosmischen Wandlung.“273 Damit gehören die Communio der Eucharistie und diese kosmische Communio zusammen. Teilhard sieht den kosmischen Christus in einer Verbindung mit der Entwicklung des Kosmos, wenn er schreibt: „Ich glaube, dass das Weltall eine 270 T. de Chardin, Geheimnis und Verheißung der Erde, Freiburg i. Br. 1958, S. 152. 271 G. Lanthaparambil, Konsekration des Kosmos. Theologie der Eucharistie bei Teilhard de Chardin, masch. Dipl., Innsbruck 2002, S. 57. 272 G. Lanthaparambil, Konsekration des Kosmos, S. 60. Er bezieht sich dabei auf A. Glässer, Konvergenz, S. 104. 273 G. Lanthaparambil, Konsekration des Kosmos, S. 24.

8. Das Leben umgreifen: Das Ritual als Ausdruck der Lebenswirklichkeit

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Evolution ist. Ich glaube, dass die Evolution in die Richtung des Geistes strebt. Ich glaube, dass der Geist sich im Personalen vollendet. Ich glaube, dass die Vollendung des Personalen der ‚universale Christus‘ ist.“274 Der Konzeptentwurf des kosmischen Christus ist sicherlich bei Paulus (z. B. Eph 1,4–1,23) grundgelegt. Trotzdem erscheint die Haltung Teilhards, alle Evolution nur in Richtung Vollendung strebend zu sehen, doch sehr optimistisch und einseitig gefärbt, wenn es um die Zukunft der Welt alleine geht. Natürlich ist diese immer verbunden mit Christus und deshalb muss letztlich, in einer eschatologischen Sichtweise, Optimismus das Beherrschende sein. Aber Christus ist auch einer, der wandelt, der die Sünde wandelt: Diese Sünde, die Störung dieser Evolution, hat bei Teilhard allerdings keinen Platz.275 Trotzdem gibt es Autoren, die meinen, in Teilhards Konzept (in Wirklichkeit ist sein Modell ja kein System und eher ungeordnet) hätte auch das Böse seinen Platz: „Evil occurs by statistical necessity.“276 Das Übel oder das Kreuz wird nicht stehen gelassen als Diskontinuität. Es wird gleich heimgeholt in die Notwendigkeit. Gerade aber das Christentum muss das Kreuz ganz aushalten, um auch diese Wandlung durch das Kreuz, die Wandlung des Kreuzes in die Auferstehung hinein ganz ernstzunehmen und auch erleben zu können. Ein Interpret Teilhard de Chardins beschreibt diese Umdeutung bzw. „Heimholung“ der Diskontinuitäten so: „Teilhard bestreitet keineswegs, dass das Kreuz ein Zeichen des Widerspruchs sei und bleibe. Durch es vollzieht sich eine Scheidung inmitten der Menschheit. Das Wesentliche ist, dass es nicht zu einem Zeichen des falschen Widerspruchs wird, was unausweichlich geschieht, wenn es nicht ‚als ein erhabenes Ziel, das wir erreichen, indem wir uns selbst überwinden‘, sondern als ‚ein Symbol der Traurigkeit, der Beschränkung, der Unterdrückung‘ dargestellt wird. Durch eine solche Reihe von Formulierungen könnte man das Kreuz zum Widersacher des menschlichen Strebens machen. In Wirklichkeit verkündet das Kreuz, dass sich angesichts ‚der gewaltigen menschlichen Unruhe‘ ein Weg öffnet, der aufsteigt.“277 Auch Ratzinger meint, dass diese Verbindung mit dem heutigen Weltbild eine nicht unbedenkliche Tendenz aufs Biologistische hin hat.278 Aber zumindest kann das Modell der kosmischen Dimension der Sakramente, nicht 274

T. de Chardin, Mein Glaube, Olten 1974, S. 116. Vgl dazu W. Beinert, Christus und Kosmos, S. 69, wenn er meint: „Man hat sich trotzdem gefragt, ob seine (Teilhards – Anmerkung des Verfassers) Ideen in Kohärenz zu den Gedanken der biblischen Autoren stehen. Welche Rolle hat die Sünde in seiner Vision?“ 276 R. L. Faricy, Teilhard’s Theology of the Christian in the World, London 1967, S. 144. 277 G. Crespy, Das theologische Denken Teilhard de Chardins, Stuttgart2 1964, S. 151. 275

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II. Das Ritual

nur der Eucharistie, für uns heutige Menschen ein wichtiger Ansatzpunkt sein. Ein Ansatzpunkt und nicht ein Ersatzpunkt, indem eine zu sehr weltbildhafte Vermischung angestrebt wird, weil Kosmogenese und Christogenese zu sehr zusammenfallen und – oberflächlich betrachtet – die Gefahr besteht, dass beides undifferenziert zusammen gesehen wird, ohne dass eine Trennung möglich erscheint. 9. Konstitutive Legenden oder Offenbarungen a) In der Freimaurerei Anders als in der christlichen Religion stehen Legenden am Anfang der Freimaurerei. Die Freimaurerei führt sich zwar auch auf Taten zurück, „doch anders als für Religionen sind diese Taten und Ereignisse wenig spektakulär. Abermals anders als Religion betrachtet Freimaurerei ihre Herkunft nicht als realhistorisches Ereignis, sondern als Legende.“279 Zwei Arten von Legenden sind für die Freimaurerei besonders von Bedeutung: Einmal handelt es sich um die Legende vom „Sohn der Witwe“, von Hiram Abif. Zum Zweiten geht es um die Genealogie dieses Meisters Hiram – eigentlich ein Anschlussprodukt der eigentlichen Hiramslegende – weiters geht es um die „Kanonisierung“ der freimaurerischen Vergangenheit, das will heißen, dass man die Freimaurerei möglichst schon in den Anfängen der Menschheit ansiedelt und so zeigt, dass die Freimaurerei eigentliche ein Menschheitsphänomen bzw. ein Menschheitsbedürfnis ist. aa) Der Sohn der Witwe – Hiram Die Hiramslegende ist insofern von Bedeutung, als diese eine direkten Bezug zum Meistergrad bzw. zum dazugehörigen Ritual hat. Sie ist für den Meistergrad konstitutiv. Manche freimaurerischen Autoren meinen sogar, dass die Hiramslegende „die geistige esoterische Komponente“ der Freimaurerei erst schafft.280 Diese Legende sei, so Binder, in den Bauhütten Englands verbreitet gewesen und „dort wurde diese Legende zur ‚Freimaurermythe‘ ausgestaltet.“281 Daneben gibt es aber auch andere Ansichten über diese Legende: So etwa, dass es sich dabei um eine uralte „Bausage“, 278 Vgl. G. Schiwy, Ein Gott im Wandel. Teilhard de Chardin und sein Bild der Evolution, Düsseldorf 2001, S. 4. Siehe dazu J. Ratzinger, Einführung ins Christentum, S. 192. 279 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 23. 280 Vgl. dazu H. Kopp, Im Zeichen des Logos: Alle Menschen werden Schwestern und Brüder. Geschichte und Wesen der humanitären Freimaurerei, Hannover 2005, S. 27.

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ja um ein „Bauopfer“ handle, was aber auch nicht strittig sei.282 In diesem Zusammenhang wird auch erwähnt, dass diese Legende, als uralter Besitz der Steinmetzbruderschaften, im 17. Jahrhundert schon den dritten Grad dominiert habe und dass sich erst mit der Zeit dann das Dreigradsystem entwickelt haben soll. „Dieser Meinung steht die von Mackey, Gould u. a. gegenüber, die in der Hiramlegende einen ursprünglich fremden, erst im 18. Jahrhundert in die Freimaurerei gelangten Bestandteil erblickten.“283 In der Bibel kommt ein Hiram Abif vor, der am Bau des Salomonischen Tempels beteiligt war. Im 1. Buch der Könige heißt es: „König Salomo ließ Hiram aus Tyrus kommen. Dieser war der Sohn einer Witwe aus dem Stamm Naftali. Sein Vater war ein Bronzeschmied aus Tyrus. Er war mit Weisheit, Verstand und Geschick begabt, um jede Bronzearbeit auszuführen. Er kam zu König Salomo und führte alle Arbeiten für ihn aus.“284 Hiram, der Erbauer des Tempels, wird also hier als Sohn einer Witwe aus dem Stamm Naftali bezeichnet, während er in 2 Chron 2,12f als Sohn einer Frau aus dem Stamm Dan und eines aus Tyrus kommenden Vaters gezeigt wird. Soweit die biblischen Grundlagen. Auch der jüdische Historiograph Flavius Josephus (37–ca. 100 n. Ch.)285 hält sich an die biblischen Grundlagen und erzählt die Geschichte von diesem Oberaufseher des salomonischen Tempelbaues. Dabei wird dieser selbst in der Bibel auch als Meister in der Metallbearbeitung gesehen.286 Eine der vielen Untersuchungen zu diesem Thema geht etwa davon aus, dass er zwar der „Verschönerer“ des Tempels war, aber der ursprünglichen Konzeption der biblischen Berichte entsprechend nicht unbedingt der Steinmetz, als der er schließlich in der freimaurerischen Legende beschrieben wird.287 Dabei spielt auch die Vorstellung eine Rolle, der eigentliche Meister des Tempels sei Salomon selbst. „Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als sich das Wiederaufleben der Freimaurerei ereignete, wurde die allgemein eingewurzelte Vorstellung beibehalten, dass Salomo der erste Maurer am Tempelbau war; aber sein wahrer Name Hiram oder Hiram Abif wird erstmals in einem geschriebenen oder gedruckten Bericht gefunden.“288 Diese Vorstellung von 281 D. Binder, Die Freimaurer. Ursprung, Rituale und Ziele einer diskreten Gesellschaft, S. 382. 282 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 395. 283 Ebd., S. 395. 284 1 Kön 7,13 f. 285 Flavius Josephus, 8. Buch, 3. 286 Siehe dazu auch in 2 Chr 4,16, wo Hiram als Bronzeschmied dargestellt wird. 287 Vgl. P. F. Lobkowicz, S. 41. 288 Ebd., S. 40.

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II. Das Ritual

Salomon als ersten Maurer ist insofern nicht ganz von der Hand zu weisen, da ja auch im Mittelalter der Bauherr, meist der Abt oder Bischof, eine wesentliche Funktion neben dem Baumeister hatte, bzw. sogar selbst eventuell Baumeister war. Gerade dieser war es dann auch, der so etwas wie eine ideelle Mitgliedschaft zur Dombauhütte hatte und dadurch ja auch indirekt die Vorläuferschaft zu den angenommenen Maurern oder Ideenmaurern begründete. Hiram Abif, der große Baumeister, soll also – so wie jeden Tag – in den Tempel gegangen sein, um zu beten.289 „Fünfzehn Gesellen vom Bau des Temepels sahen, dass das Werk fast vollendet war, ohne dass sie bislang das Meisterwort erhalten hatten. Sie begehrten, es vor der rechten und gesetzmäßigen Zeit zu erlangen, um in anderen Ländern für Meister angesehen zu werden und Meisterlohn zu empfangen. Sie taten sich zusammen, um es ihrem Meister mit Gewalt abzufordern. Zwölf bereuten ihren Vorsatz, drei beschlossen, ihn auszuführen.“290 Drei von ihnen blieben schließlich also bei diesem Plan, die anderen wollten bald nichts mehr davon wissen. Diese drei Attentäter postierten sich nun an den den verschiedenen Himmelsrichtungen zugewandten Toren des Tempels291. Als er nun den Tempel verließ, wurde er von den dreien jeweils mit entsprechenden Maurerwerkzeugen auf den Kopf geschlagen, so mit dem 24-zölligen Maßstab, dem Winkelmaß und dem Spitzhammer (oder dem Senkblei). Der Meister weigerte sich trotz dieser Angriffe, das Meisterwort und auch den Meistergriff bekannt zu geben, und so tötete ihn schließlich der letzte Schlag. Daraufhin verscharrten die drei Gesellen den Meister in einer Grube in ost-westlicher Richtung und steckten als geheimes Erkennungszeichen einen Akazienzweig in den Grabhügel. So wird die Akazie in enge Verbindung 289 Es gibt auch eine andere Darstellung der Legende, nämlich jene von Charles William Heckethorn in seinem Buch: Geheime Gesellschaften, Geheimbünde und Geheimlehren, Leipzig 1900. In diesem wird ein vollkommen anderes Bild des Königs Salomo gezeichnet und es wird dargestellt, wie Salomo eigentlich drei Männer anstiftet, um Hiram zu töten, weil dieser die Gattin Salomos für sich zu gewinnen wusste und der König eifersüchtig war. Schließlich wird Hiram gerettet, indem er Hilfe von einer mächtigen Instanz erfährt. Diese gebietet ihm, sich in die Flammen zu stürzen, als Sohn des Feuers, der er war, und er wird damit zum Mittelpunkt der Erde geführt, wo er auch vom Baum der Erkenntnis kosten darf. Diese Version ist sicherlich nicht im „normalen“ Ritual der Freimaurerei vorhanden, in dem ja auch der König Salomo der Große ist, dem es nachzueifern gilt. 290 Ritual III der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, S. 39. 291 Wie es dem Charakter einer Legende entspricht, scheiden sich bei der genauen Darstellung – etwa der verschiedenen Tore – die Geister. Es wird daher versucht, nur den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Darstellung dieser Legende zu finden.

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mit Meistergrad gebracht. „Der Akazienbaum bezeichnet also das dem Meister zur Pflicht gemachte Streben nach Unschuld und Reinheit.“292 Die zwölf reuigen Gesellen machten sich nun auf Geheiß des Königs auf die Suche nach dem verschwundenen Baumeister, aber auch nach dem verschollenen Meisterwort. Interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die Zwölfzahl, die möglicherweise auch mit der Zwölfzahl der Apostel und überhaupt mit der Wichtigkeit dieser Zahl in den verschiedenen Kulturkreisen etwas zu tun hat. Man fand schließlich Hiram Abifs Leichnam unter dem erwähnten, mit dem Akazienzweig gekennzeichneten Erdhaufen. Beim Hochheben des Leichnams konnte man nur mehr feststellen, dass er schon in Verwesung übergegangen war (putrefactio in der Alchimie). „Einem der Männer entschlüpfte der Ausruf ‚Mach-benak‘ (etwa: ‚Das Fleisch löst sich vom Knochen‘)293, ein Ausspruch, der nunmehr ersatzweise als Losungswort des Meistergrades akzeptiert wurde.“ Irgendwie übernimmt also der neue Meister die Rolle dieses Hiram und so kann dieser Vorgang auch dahingehend interpretiert werden, dass „die Auferweckung Hirams durch den neuen Meister erfolgt.“294 Denn gerade „jeder neue Meister, der die Legende rituell nachvollzieht, setzt in einer Art Auferstehung das Leben des großen geistigen Ahnherrn Hiram Abif fort.“295 Und nicht umsonst nennen sich die Freimaurer selbst in Anklang an diesen Hiram „Söhne der Witwe“. Nach einer anderen Version lautet der Ausruf „Adonai Elohim“ („O Herr, mein Gott!“) oder gibt eine andere Form des Gottesnamens wieder, der dann „als Ersatz des verlorenen Meisterwortes galt.“296 In einer anderen Interpretation wurde aus Besorgnis über einen möglichen Verrat des Meister292 W. Schroeder, Handbüchlein für Brr. Meister. Zum Gebrauch für die unter der Gr. National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ arbeitenden Logen, Berlin 1909, S. 25. 293 Vgl. dazu H.-R. Köeneke, Freimaurerlogen, S. 139. Dort heißt es zur Interpretation dieses Wortes: „Das Wort wird unterschiedlich gedeutet, zumeist aber mit „Er lebt im Sohn“ übersetzt. Das irische Wort Mac (Sohn) und Benah (Tod) soll die etymologische Basis darstellen. Das neue Meisterwort wird nun mit dem alten gleichgesetzt und zum Wort des Lebens erklärt, das den Tod überwindet.“ 294 Vgl. H.-R. Köneke, Freimaurerlogen, S. 139. 295 H. Biedermann, S. 64 f. 296 H. Biedermann, S. 64. In einer Anmerkung zu dem Wort „Mach-benak“ geht Biedermann akribisch der Herkunft dieses Wortes nach und meint, bevor er alle möglichen Interpretationsmuster aufzählt: „Wieso ‚Machbenak‘ etwa ‚Das Fleisch löst sich vom Knochen‘ bedeuten soll, wie es die freimaurerische Tradition will, dürfte den Semitisten nicht recht klar sein.“ (Biedermann, S. 203) Biedermann stellt hier auch die Nähe der Verwesung (ein sehr wichtiger Vorgang für die Alchimie) und das Übrigbleiben der Knochen dar.

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wortes dieses zugunsten der Zeichen und Worte bei der Auffindung des Leichnams geändert. Auch den weggeworfenen Talisman des großen Baumeisters will man gefunden haben, und selbst der Akazienbaum auf des Meisters Grab trieb neu aus. Dieser hat auch heute noch eine ganz besondere Bedeutung für die Freimaurerei: Er ist Sinnbild des nicht endenden Lebens, des Fortwirkens der Kunst des Meisters. „Nekromantische oder besser nekyomantische (Toten beschwörende) Züge trägt die Legende dort, wo dem bereits toten Hiram Abif irgendwie sein Meisterwort entlockt werden oder ein Ersatz dafür gefunden werden soll . . .“297 Wie schon angedeutet, wird diese Legende vor allem für die Deutung des freimaurerischen Rituals wichtig; darüber hinaus kann man anhand dieser Legende auch die Frage nach dem Verhältnis der Freimaurerei zu Tod und Auferstehung, aber auch zu den verschiedenen außerchristlichen Vorstellungen darstellen. Wohl ein wenig sehr am Rande – sowohl der herrschenden freimaurerischen als auch der katholischen Vorstellungen – ist die Absicht, beide das Christentum und diese freimaurerische Legende, darzustellen als etwas, das gleiche Legenden und Bezüge hat und in der Gegensätzlichkeit Vorläufer für das Kosmische des Rosenkreuzertums ist. Dazu äußert sich Max Heindl unter Bezugnahme auf die Hiramlegende, aber auch unter ständiger Verknüpfung derselben mit dem AT: „Wir achten die katholische Religion; denn sie ist genauso göttlich in ihrem Wesen wir die mystische Freimaurerei. . . . Beide haben eine Botschaft und eine Aufgabe in der Welt zu erfüllen, die heute nicht mehr offen zutage liegen. . . . Das Bestreben dieser Darstellung ist es, diese Verhüllung zu entfernen und den kosmischen Zweck dieser beiden großen Vereinigungen aufzuzeigen, die einander so gegensätzlich gegenüberstehen.“298 Von der Hiramslegende wird auch manchmal als von einem „kleinen Ostermysterium“ gesprochen. Dabei wird sogar bemerkt: „Dass die Hiramslegende eine vorchristlich-mythische Vorwegnahme eines späteren geschichtlichen Geschehens bildet, ist je und je bemerkt worden.“299 Auch Lagutt sieht eine Parallele zum Christentum, genauer zu Jesus Christus selber, indem sich gewissermaßen das Historische dieses Christus auflöst, um nur mehr dem Mythischen Platz zu machen, das sich thematisch mit dem Tode beschäftigt. Christus und Hiram werden damit faktisch austauschbar, wenn Lagutt formuliert: „Geht es nicht vielmehr darum, dass Einer (sic) kam, Einer ganz als Mensch durch den Tod schritt und der Todesmacht das Menschenurbild entriss, um es als Auferstandener 297

H. Biedermann, S. 72. M. Heindl, Freimaurerei und Katholizismus, Darmstadt2 1987, S. 1 (Titel der amerikanischen Originalausgabe: Freemsonary and Chatholicism. by the Rosicrucian Fellowship, Oceanside, California, USA). 299 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei. Erkenntnis und Verkennung (Lehre und Symbol), Bd. 9, Bern4 1993, S. 47. 298

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vor die Welt zu stellen? Hier schritt doch Einer durch den Tod, dessen ganzes Sein und Wesen, Licht war, so dass dem Grabe, der Finsternis nichts verfallen konnte.“300 Es wurde schon davon gesprochen, dass die Hiramlegende konstitutiv für die Freimaurerei ist. In diesem Zusammenhang darf aber auch über den historischen Anspruch bzw. über den Anspruch überhaupt reflektiert werden, den diese Legende an die Freimaurerei hat bzw. den die Freimaurerei an die Legende stellt. Hilfreich ist in dem Zusammenhang G. Imhof, der zum Stellenwert der Legende und zur Deutung derselben schreibt: „Ist in der Maurerei die Rede vom Geiste Hirams, von den großen Meistern, oder den unbekannten Oberen, so brauchen darunter nicht unter allen Umständen geschichtlich belegbare Figuren verstanden zu werden. Es handelt sich dabei vielmehr um diesen latent vorhandenen Geist, der zur Manifestation drängt. Er ist der menschlichen Seele eingeboren und will sich in jedem von uns, seiner Entwicklungsstufe gemäß, neu offenbaren. Deshalb hat man schon früh versucht, Gedankenbilder zu schaffen, die fähig sind, seelisch-geistige Zustände auszudrücken. Man hat sich dabei jener Zeichen bedient, die dem Maurer, von der ehemals beruflichen Seite her, sofort eine bestimmte Vorstellung wachrufen.“301 Eine andere Überlegung geht davon aus, dass es eine innere Verwandtschaft mit der Osiris-Sage gibt. Dazu: „Eine solche besteht zweifellos. Allein Legenden geben ja vielen Deutungsmöglichkeiten Raum. So kann man Hiram auch als Repräsentanten des Menschen schlechthin auffassen.“302 Und zwar sieht Lagutt den Menschen, hier vertreten durch Hiram, als bedroht von den niedrigen Eigenschaften und so können nach einer solchen Interpretation die drei Mörder die Triebe und Instinkte repräsentieren und „tatsächlich spricht die esoterische Tradition auch davon, dass Zweifel, Aberglaube und Wahn die drei Übeltäter sind, welche den Menschen innerlich zu Fall bringen und ihn zu erschlagen vermögen.“303 In die Nähe der Religion wird die Essenz der Hiramslegende beim Freimaurer Kopp gerückt, der den Schluss der Legende so betrachtet: „Sie ist von der Aussage überhaupt das Wesentlichste, was die Meistererhebung rituell vermitteln kann: ‚Gott ist in Dir! Du bist ein Teil dieser Schöpfung.‘ Das ist nicht nur eine sehr bedeutende Botschaft, sondern auch ein beeindruckendes rituelles 300 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 48. Lagutt führt auch in einer Fußnote dazu an, dass es im Christentum ja nicht um die Lehre ginge, sondern um die Verwirklichung des Mythos des sterbenden und auferstehenden Gottes. 301 G. Imhof, Kleine Werklehre der Freimaurerei. III. Das Buch des Meisters, Lausanne4 1983, S. 36. 302 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 64. 303 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 64.

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Erlebnis.“304 Über dieses rituelle Erlebnis und seine Beziehungen zur Hiramslegende gilt es noch nachzudenken. Lagutt weist darauf hin, dass ja jeder, der eine Einweihungszeremonie durchläuft, Tod und Auferweckung erfährt.305 Das bedeutet für den Meistergrad oder Meister-Zustand, dass nichts mehr so ist wie früher: „Wer die dritte Stufe (den Meistergrad – Anmerkung des Verfassers) erklomm, wird, als aus dem Grabe Erweckter, nicht der Alte bleiben dürfen. Er muss fürderhin sein Streben, sein Denken und Fühlen aus ‚jenseitigen‘, transzendentalen Zielsetzungen heraus gestalten.“306 Trotzdem ist es wichtig, auch für Lagutt, dass die Freimaurerei vor allem diesseitsorientiert ist.307 Interessant ist, dass keine konkrete Vorstellung in Bezug auf ein Leben nach dem Tode direkt mit der Freimaurerei verbunden ist, dass es aber sehr wohl im Umfeld der Freimaurerei solche Vorstellungen gehäuft geben kann; diese sind aber dann nicht originär der Freimaurerei zuzurechnen. „Daraus resultiert, dass innerhalb der Maurerei keine abstrakte Lehre, jedoch bildhafte Vorstellungen über das Leben nach dem Tode bestehen. Kult und Legende geben dem Menschen eine bestimmte Blickrichtung. Ein Versprechen, eine Verheißung ist mit der Vorstellung einer nachtodlichen Wanderung nicht verbunden.“308 Die Hiramslegende schweigt also über das, was nach dem Tod kommt, obwohl der Tod das Bestimmende des Meistergrades darstellt. Der Schluss, der vor allem gezogen werden soll, ist ein moralischer: Man soll gerade nicht tröstende Antworten suchen, sondern vielmehr sein Leben und Streben so einrichten, „als hätte man nach dem Tode keine weitere Chance, um Vergehen zu korrigieren . . .“309 Wenn auch kryptisch angedeutet wird, dass etwa bei jeder mit Initiationsriten verbundenen Einweihungslehre, so also auch bei den Freimaurern, das Motiv von Sterben und Auferstehung vorhanden sein mag, so bleibt doch die Tatsache, dass man zwar an sein jeweils eigenes Sterben im Meistergrad besonders denkt, dass man dieses vor Augen geführt bekommt und sogar diesen Hiram als Vorbild nimmt, dass aber trotzdem das Konkretum der Überwindung des Todes fehlt. Es bleibt die Transformation, das, was sich etwa als Akazienzweig manifestiert und das, was als verlorenes Meisterwort bleibt. Der Legende fehlt aber ganz klar – bei aller Deutung und bei der 304

H. Kopp, Im Zeichen des Logos, S. 66. Vgl. dazu J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 46. 306 Ebd., S. 46. 307 Siehe ebd., S. 41. 308 Ebd., S. 43. 309 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei. Eine interkulturelle Perspektive (Interkulturelle Bibliothek, hrsg. von H. R. Yousefi/K. Fischer u. a., Bd. 124), Nordhausen 2006, S. 37. 305

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Frage nach der Transformation das Auferstehungsmotiv.310 Es besteht die Vermutung, dass dieses irgendwie immer schon mit der Legende verbunden war, weil es ja auch in den Initiationsriten ein wichtiger Bestandteil ist, oder dass es eben mehrere Varianten dieser Legende geben mag. „Sicher ist dabei nie an eine leiblich-fleischliche Auferstehung gedacht worden, spielt doch das Meistergrab mit den Gebeinen des Ermordeten bei gewissen Hochgradstufen eine Rolle. Mit einiger Not könnte man die Hebung des Leichnams aus der Grube, worin ihn die Mörder verscharrten, zum Ausgangspunkt des Auferstehungsmythos nehmen.“311 Trotzdem bleibt auch dieser Mythos hängen an der persönlichen Transformation des Einzelnen in der Begegnung mit dem Tode des Hiram und damit mit dem eigenen Tod im Ritual. So scheint die Botschaft dieses Hiram denn doch nur jene zu sein, jener kleinste „freimaurerischen Nenner“, worauf wir sie bringen können: Angesichts der Majestät des Todes, der als solcher irgendwie im Ritual erfahren werden soll, muss die Unverrückbarkeit der Bedeutung einer ethischen Entscheidung ernst genommen und deutlich gemacht werden. Diese Majestät des Todes hat das freimaurerische Ritual vor Augen, wenn von der „Einübung auf dem Tod“ und von der „Überwindung“ des Todes gesprochen wird; denn „nur wer die Angst vor dem Tod überwindet, wird wirklich frei.“312 bb) Die Abstammung des Hiram Abif – seine Wurzeln Vordergründig wichtig ist natürlich die Legende von Hiram Abif, bedeutungsvoll ist aber auch der Hintergrund derselben, der eigentlich wenig mit dem Ritual selber zu tun hat, der aber als hermeneutische Folie durchaus ein gewisses Schlaglicht auf das Gesamte wirft. Hiram wird gesehen als Nachkomme der Kainiten und manche meinen, „aus der Parteinahme für die Tat und die Tatmenschen (in der Freimaurerei – Anmerkung des Verfassers) ergibt sich auch eine Parteinahme für Kain und seine Nachkommenschaft.“313 Tatsächlich hat der Name „Tubalkain“ eine besondere Bedeutung als Passwort einiger Freimaurergrade314 und dieser Tubalkain, ein 310

Vgl. ebd., S. 50. Ebd., S. 50. 312 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 841. 313 M. Hohl-Wirz, Freimaurerei – Wurzeln, Ziele, Hintergründe, Lage3 2003, S. 15. 314 Vgl. dazu E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 851. 311

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II. Das Ritual

Nachfahre von Kain, rettet Hiram laut einer Legende, die aber über das hinausgeht, was im Ritual von Hiram gesagt wird. „Tubalkain gilt in den alten Bauhüttengeschichten als einer der Begründer der Kunstfertigkeit der Menschen.“315 Auch in der Bibel kommt Tubalkain, auch Tubalkaijn oder Tubal-Kaijn geschrieben, als einer der Nachfahren des Kain vor, und zwar wird er dargestellt als einer, „der die Geräte aller Erz- und Eisenhandwerker schmiedete.“316 Bei all diesen Verbindungen mit der freimaurerischen Legende spielt natürlich auch das Sagenumfeld des Judentums eine entscheidende Rolle. Nach Heckethorn, dessen Legendenaufzeichnung wir hier schon erwähnten, wird Hiram nicht nur in den Mittelpunkt der Erde geführt, sondern es wird ihm von Tubalkain, „dem Vater seiner Väter“ auch dargetan, dass er „ins Reich des großen Kain geführt wurde. Dort endet der Neid und die Tyrannis Adonais.“317 Weiters heißt es: „Und Tubalkain führte Hiram ins Heiligtum des Feuers. Dort legte er ihm die Schwächen Adonais dar, der, um sich an den Feuergeistern (Kainssöhnen?) zu rächen, die die Menschen mit Wohltaten überschütteten, seinen eigenen Geschöpfen (den Menschen) feindlich sei und sie dem Tod überantwortete. Dann sah Hiram seinen Urvater Kain, in dessen Schönheit sein Erzeuger, der Eloah318, sich widerspiegelte. Und Kain erzählte seine Leiden, die Jehovahs Grausamkeit über ihn verhängte.“319 Verfolgt man die eben ausgefaltete Darstellung von der Rolle des Hiram inmitten seiner Vorfahren bzw. die Platzierung Kains und Tubalkains, dann könnte man meinen, es besteht ein bewusst herbeigeführter Gegensatz zwischen Kain, seinen Nachfahren und Gefolgsleuten, den Freimaurern einerseits und den Nachfahren Abels. Da steht also auf der einen Seite das schöpferische Geschlecht der Kainiten, auf der anderen Seite stehen die Nachkommen Abels, dessen Gottergebenheit ein wesentliches Kennzeichen darstellt. „Die Hiramslegende, so wie wir sie wiedergeben, schildert die Kains-Kinder als den vorwärtsstürmenden, erfindungsreichen, schöpferischen Menschentypus, während Abel jenen Typus darstellt, der sich mit dem natürlich Gewordenen, dem ‚Gott-Gegebenen‘, zufrieden gibt.“320 Es 315

Ebd., S. 851. Gen 4,22. 317 Heckethorn, hier zitiert von J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 57. Lagutt gibt zu bedenken, dass das, was hier die Legende von Adonai sagt, den frommen Juden selbstverständlich als Blasphemie gilt. 318 Dabei geht es um die Legende, die – darauf verweist Lagutt – anscheinend darin besteht, dass einer Urgeister, der Elohim (sonst auch der Name von Jahwe) sich mit Eva verband und so Kain entstand. Nach Dionysos Areopagita, so Lagutt, handle es sich dabei um die vierte Engelsstufe über den Menschen oder – von oben gerechnet – um die unterste Engelsstufe. 319 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 58. 320 J. K. Lagutt, Grundstein der Freimaurerei, S. 62. 316

9. Konstitutive Legenden oder Offenbarungen

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besteht aber auch im biblischen Bewusstsein ein gewisser Gegensatz zwischen diesen beiden Menschen, der seinen Grundstein auch in der Gegensätzlichkeit und den Konflikten zwischen den Ackerbauern und den Viehzüchtern bzw. Nomaden der biblischen Frühzeit haben mag. Auch in Gen 4,17–22 wird berichtet, dass die Nachkommen Kains etwa sehr geschickt waren, vor allem was die kulturellen Belange anlangt, so wird von Jubal als Stammvter aller Zither- und Flötenspieler berichtet und eben von Tubalkain als Schmied. Wenn nun auch in der Legende, vor allem wenn sie ihren Ursprung in der jüdischen Sagenwelt haben sollte, wie Lagutt das behauptet, so manche Ungereimtheit bezüglich der Herkunft der Kainiten – was die Verwandtschaft mit der Gegenwelt zum einen Gott betrifft – gegeben sein sollte, so kann doch nun nicht stellvertretend die Freimaurerei für diese Legende „büßen“ müssen, indem so getan wird, als vereinige die Freimaurerei all das, was sich gegen den Menschen oder gegen Jahwe verschworen habe. Tatsache ist, dass gerade die kulturellen Motive, aber auch dieses „Nischendasein“ Kains, indem er gerade als „Querdenker“ gilt, besonders interessant waren, um eine gewisse Seelenverwandtschaft mit den Freimaurern herzustellen. Sie, die sich als Handwerker und Tatkräftige einerseits und andererseits als konsequent in der Aufklärung Stehende empfinden, mögen deshalb sich in der kainitischen Tradition wohlgefühlt haben. Lagutt diagnostiziert dazu: „Es wäre mehr als nur kindisch, aus den Legenden und allen Darlegungen zu entnehmen, die Freimaurerei und ähnliche Gemeinschaften, wenn sie sich auch auf eine so merkwürdige Legende stützen, gäben sich damit als eine höchst suspekte Bewegung zu erkennen. In der Tat ist u. a. die Freimaurerei schon als Teufelswerk bezeichnet und betrachtet worden.“321 Diese Deutung bzw. Erweiterung der Hiramslegende „ist gnostisch und reiht diesen Teil der Legende in den Kreis der Teufelsanbeter ein.“322 Zum Thema „Teufelswerk“ muss festgestellt werden, dass diese Qualifizierung nicht aus dem zeitlichen und situativen Zusammenhang gerissen werden darf und letztlich auch genauer untersucht werden muss. Trotzdem muss aber festgestellt werden, dass die Legende nicht vom Himmel gefallen ist und dass sich die Freimaurerei sicher sehr bewusst gerade diese zueigen gemacht hat. Man könnte also in Abwandlung eines Sprichwortes sagen: Sage mir, welche Legenden du hast und ich sage dir, wer du bist. Welche Motive können also aus dieser Legende bzw. aus der Verbindung mit der 321

Ebd., S. 64. K. R. H. Frick, Licht und Finsternis. Gnostisch-theosophische und freimaurerisch-okkulte Geheimgesellschaften bis an die Wende zum 20. Jahrhundert, Teil 1: Ursprünge und Anfänge, Graz 1975, S. 322. Frick zitiert dabei aus einem Kommentar von Schwartz-Bostunitsch zum Thema „Ausdeutung der Adonhiram-Legende“. 322

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II. Das Ritual

Genealogie des Kain herausdestilliert werden? Wenn jede Legende auch etwas Identitätsstiftendes hat, und das hat die Hiarmslegende sicher, wenn sie sogar den Kern des Meisterrituals bildet, dann lassen sich aus der Legende auch Rückschlüsse auf die Freimaurerei und deren Rituale ziehen. Zunächst fällt auf, dass diese Kainsgeschichte ein Gegenkonzept ist. Ein verneinendes Konzept, das ja immerhin den Mord am Bruder zum Inhalt hat. Nun wäre es sicher zu kurz gegriffen, wenn man diese Tatsache konsequent auf die Interpretation der Freimaurerei umlegen würde und sagte, die Freimaurerei versuche, in der Tradition des Kain zu stehen und Unmoralisches, ja den Mord zum Konzept zu machen oder zu rechtfertigen. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Freimaurerei sich gerade diese Tradition erwählt hat, dass einige Aspekte offensichtlich sehr wohl bedeutsam sind und etwas an Aussagekraft über die Freimaurerei haben, somit also Faktoren der Identitätsstiftung beinhalten Da ist zunächst sicher die Tatsache, dass dieses Kainsmal auch bedeutet, dass man sich innerhalb der Gesellschaft doch ein wenig ausgeschlossen vorkommt oder sich selber ausschließt, zumindest aber, dass man jemand Besonderer ist, der in manchen Punkten seinem Protest gegen herrschende Traditionen seine Stimme verleiht. Das könnte ein gewisses Auserwählungs- und Sendungsbewusstsein ausdrücken, indem man als Mitglied der Loge etwa als Erfüller aufklärerischen Gedankengutes oder als Gesandter der Bauhüttentraditionen oder als Bewahrer der Geheimnisse im Geiste der alten Mysterientraditionen bzw. -religionen fungieren mag. Und hiefür kann auch Kain, der eigentlich in der biblischen Tradition vor allem jener ist, der das Unheil nach dem Sündenfall in der Gottferne weiterentwickelt, durch den gezeigt wird, dass der Mensch sich gegen den eigenen Bruder erhebt und tätlich wird, ein Beispiel werden: Der Aspekt des Tätlichwerdens wird so zum Aspekt des Tätigwerdens, des Handelns. Und somit wird ein kleines Mosaiksteinchen, ein Schlaglicht, das Kain u. a. beleuchtet, zum Ganzen und damit kann Kain zur Galionsfigur des Protestes gegen das religiöse „Establishment“ und zur Integrationsfigur des Geheimnisses werden. Die Identifikation mit Kain könnte also eine Art stiller Protest gegen die Gesellschaft sein, könnte bedeuten, dass man nicht unbedingt von freimaurerischer Seite her eine Anti-Moral aufstellt, aber doch eine eigene Moral hochhält, die etwas Besonderes bedeutet und gewisse Widersprüche auch beinhaltet. Sie könnte auch ein Protest gegen herrschende Formen der Religion sein, ohne dass sie sich – wie auch im Zitat schon angedeutet – als Anti-Religion eindeutig identifiziert. Aber zumindest könnte dieses Bekenntnis zu Kain den Mut bedeuten, einen Neuanfang des Denkens zu wagen, der unkonventionell ist und Herrschendes in Frage stellt.

9. Konstitutive Legenden oder Offenbarungen

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cc) Freimaurerei gibt es von Anfang der Menschheit an . . . Immer wieder wird versucht, die Freimaurerei als sehr alt zu erweisen und Legenden haben dabei die Funktion, dieses Alter als unbezweifelbar darzustellen und das Ganze einzuzementieren. Sie sind quasi ein Teil einer Immunisierungsstrategie. „James Anderson, der Autor des ‚Konstitutionenbuchs‘ (1723), und erster Geschichtsschreiber der Freimaurerei, führt ihre Entstehung auf Adam zurück. Sein Überschwang wurde von William Preston aus Edinburgh noch weitgehend übertroffen: Er verbindet die Anfänge der Freimaurerei in seinem im Jahre 1722 erschienenen Buch ‚Illustrations of Freemasonry‘ mit der Erschaffung der Welt.“323 Noch abenteuerlicher wird das Ganze bei George Oliver, der in seinem Buch „Antiquities of Freemasonry“ behauptet, „dass die maurerische Wissenschaft schon vor Entstehung der Erde auf älteren Planetensystemen zu Hause gewesen sei.“324 In diesem Zusammenhang spricht Dieter Binder von „Geschichtsklitterung“. Er stellt dazu fest: „Es tritt hier die dienende Rolle der Hofhistographie schön zu Tage; einzige Aufgabe dieser Darstellung ist letztlich, das ‚ehrwürdige Alter‘ des Bundes ‚zu dokumentieren‘.“325 Aber wenden wir uns zunächst einmal der Darstellung Andersons zu: „Weder dieser (gemeint ist Reverend Anderson, der eine sog. Geschichte der Freimaurerei geschrieben hat – Anmerkung des Verfassers) noch die Brüder um ihn haben ernsthaft daran geglaubt, dass die Juden ‚unter Großmeister Moses durch die Wüste gezogen seien, oft von ihm zur Hauptloge berufen‘, oder dass ‚der große Monarch Nebukadnezar als Großmeister in seinem Lande viele Bauten errichten ließ‘, oder dass ‚Kaiser Augustus Großmeister der Loge von Rom‘ war usw.“326 Dabei geht es in diesen Legenden mehr um die erzieherischen Tendenzen, damit sich wie ein roter Faden dieses Bauwerk des salomonischen Tempels, das ja letztlich ein Erziehungsauftrag an jeden Einzelnen ist, seinen eigenen Tempel durch Selbsterziehung zu bauen, durchzieht. Es muss also Vorsicht am Platz sein, wenn allzu schnell unterschiedliche Standpunkte miteinander vermischt und auch umgedeutet werden. Da323 R. Müller, Die Legenden der königlichen Kunst, in: Die Wurzeln der Freimaurerei I (Schweizer Freimaurer-Rundschau, März 2005), zitiert nach: www.frei maurerei.ch/d/alpina/artikel/artikel-2005-3-01.shtml, eingesehen am 28. Dezember 2007. 324 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 625. 325 D. Binder, Vorwort zur Neuaufl., in: E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, 5., überarb. u. erw. Neuaufl., Wien/München 2006, S. 17. 326 B. Beyer, Das Fundament der Freimaurerei. Geschichte und textkritische Betrachtungen zu den „Alten Pflichten“, Die Blaue Reihe, Heft Nr. 8/9, Hamburg2 (keine Jahresangabe), S. 46.

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II. Das Ritual

mit gilt für die Ursprünge der Freimaurerei genau dasselbe wie für die Legenden anderer Institutionen und Weltanschauungen: „Die verschiedenen Legenden, die sich um den Ursprung aller Institutionen, aller Nationen und aller Religionen ranken, sind Erfindungen, die die Anhänger in ihrem Glauben und ihrer Begeisterung bestärken sollen. Da der Mensch die in grauer Vorzeit verborgene Wirklichkeit nicht aufzuspüren vermag, lässt er seiner Phantasie die Zügel schießen. Aber so schön und überzeugend diese Legenden auch klingen, für einen Historiker sind sie als Arbeitsgrundlage unbrauchbar.“327 Diese sind aber insofern wichtig, als doch einzelne Aspekte des Bewusstseins, das sich in diesen Legenden materialisiert, herausgefiltert werden können. Immerhin sind neben Andersons Chronik „fast 100 Manuskripte erhalten, in denen die Legenden und Vorschriften mannigfach abgewandelt wurden (Knoop/Jones, 65–90).“328 Warum gibt es aber in der Steinmetzkunst bzw. bei jenen, die dieser anhängen, diesen Versuch, die Geschichte mit der eigenen Geschichte zu durchdringen? „Der Zug ist durchaus verständlich: Innerhalb der feudalen Gesellschaft, in der die Herkunft schon einen Rang bedeutete, suchten natürlich auch die bürgerlichen Handwerker und ihre Arbeiter sich ein Ansehen und ihrem Berufsstand eine ‚Ehre‘ zu geben, indem sie mangels eigener Ahnen von Stand die Vorläufer des eigenen Handwerks beschworen.“329 Tatsache ist, dass man sich – etwa in der Chronik Andersons – sehr weitgehend an die Bibel anlehnt und damit natürlich auch eine gewisse „Sakralisierung“ der eigenen Geschichte zu bezwecken scheint. Die Grundintention und damit auch der Grundton, der sich durch seine Chronik zieht, scheinen das Bestreben zu sein, Kontinuität aufzuzeigen. Ein Bestreben, das wir auch aus dem Bereich der Theologie kennen, wo ja auch der Aufweis einer möglichst lückenlosen Nachfolge von größter Bedeutung ist, um damit zu zeigen, dass ein Verhalten oder eine Tradition auf Jesus zurückgeht. Am bedeutsamsten ist dabei die sog. apostolische Sukzession, in deren Zusammenhang etwa nachgewiesen werden soll, dass es eine unmittelbare Überlieferungslinie des Papstamtes von Petrus bis in unsere Tage herauf gibt.

327

Ch. V. Bokor, Winkelmaß und Zirkel, S. 9. R. Müller, Die Legenden der königlichen Kunst. 329 Ebd. Müller zitiert hier die Gebrüder Hermann und Georg Schreiber (S. 201–202). Es ist allerdings das Werk, aus dem zitiert wird, nicht auszumachen. Es dürfte sich aber möglicherweise um das Buch Mysten, Maurer und Mormonen, München 1992, handeln. 328

9. Konstitutive Legenden oder Offenbarungen

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b) In der katholischen Kirche aa) Legenden bilden nicht den Kern Legenden spielen in der Kirche eine vergleichsweise geringe Rolle, bedingt dadurch, dass das Fundament und auch der Anspruch ein anderer ist: Während bei einer Legende doch eher das Konstruierte, Hinzugefügte eine große Rolle spielt, hebt sich das Christentum davon ganz klar ab: Hier geht es um den Jesus von Nazareth, indem Gottes Sohn selber als Mensch in die Geschichte eintritt. Es geht also um den Anspruch, dass dies ein historisches Ereignis ist, das so den Rahmen eines singulären Ereignisses weit sprengt. Es geht darum, dass dieses Ereignis für alle Menschen, vor und nach Christus, das Entscheidende ist, dass der große, unbegreifliche Gott als Mensch unter Menschen solidarisch lebt. Gott kommt als Mensch zu den Menschen, er ist ein Gott, der auf Augenhöhe mit dem Menschen seine Liebe erweist. Der diese Liebe zeigt und damit den Tod überwindet und alles neu macht. Er wird zu Recht als der neue Adam bezeichnet, indem er zum Erstling der Auferstehung wird und damit den Tod für uns besiegt hat. Würde man das als Legende sehen, dann würde das Gesamte in Frage gestellt werden. Gerade weil es keine Legende ist, kann der Anspruch der Realität für alle Menschen, das Angesprochensein aller Menschen, letztlich die Universalität der Botschaft Christi, die gleichzeitig die Universalität Gottes erahnen lässt, betont werden. Das ist also der entscheidende Punkt: Durch die Offenbarung Gottes werden die „Rituale“, die Sakramente der Kirche, konstituiert: Durch diese Rituale erfahren wir die Aktualisierung historischer Vorgänge, die damit nicht mehr nur historische Vorgänge sind, sondern die Präsenz Gottes und damit die Vollendung der Geschichte bedeuten. Von einer Auflösung der Geschichte können wir nur in dem Sinne sprechen, dass das historische Ereignis auch die Zeit vor und nach Christus überstrahlt. Wenn wir auch ganz klar diese Unterscheidung zwischen Offenbarung und Legenden betonen, so müssen wir uns dennoch fragen, welche Bedeutung Legenden im Christentum bzw. in der katholischen Kirche haben. Die Bedeutung derselben dürfte ähnlich stark sein wie in den meisten Sozietäten, bei denen Tradition eine wichtige Bedeutung hat. Und diese Tradition spielt gerade für die Institutionalisierung der Kirche eine entscheidende Rolle. So sei etwa auf die Betonung des Petrusamtes und die apostolische Sukzession hingewiesen, so sei hingewiesen auf die Kurzformeln des Glaubens und schließlich auch auf das apostolische Glaubensbekenntnis. Das Wesentliche dieser Weiterentwicklung des Christentums in der Tradition ist aber die Tatsache, dass alles verankert ist in dem historischen Jesus, in der Tatsache der Inkarnation Gottes. Wenn wir nur von Legenden sprechen:

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II. Das Ritual

Der Unterschied zwischen den freimaurerischen Legenden und den christlichen Legenden liegt nach Ansicht des Verfassers dieser Arbeit vor allem darin, dass sich die christlichen Legenden um den Kern, der das Wesentliche des Christentums bedeutet, ansiedeln, während doch die Legenden in der Freimaurerei auch zum Kern dazugehören. Welcher Art sind nun im Christentum die Legenden und wozu dienen sie? Wir haben schon von dem Bestreben gesprochen, Sukzession nachzuweisen. Weil man in der Nachfolge der Tradition steht, weil man den historischen Christus und seine eigentliche Absicht erreichen will, möchte man beweisen, dass die Überlieferung lückenlos passiert. Somit ist bei der Frage nach Legenden auch im weitesten Sinne immer auch die Frage zu stellen, was primäres Glaubensgut ist, das von Christus her nachweisbar ist, und was sekundär ist. Wenn heute zum Beispiel vom Priestertum der Frau gesprochen wird, ob dieses aus der jesuanischen Tradition ganz lückenlos abzulehnen ist, dann spielt genau diese Frage eine entscheidende Rolle: Was ist aus der Bibel erweisbar, was ist zeitbedingt und was hat das eine mit dem anderen etwas zu tun? Zudem ist dann noch die Frage zu stellen, welche Bedeutung die Gemeinsamkeit, diese Katholizität hat. Damit ist klar, dass auch dem Sensus fidelium eine enorm wichtige Rolle zukommt. Nur aufgrund des biblischen Befundes allein kann nichts entschieden werden. Wir müssen also unterscheiden zwischen Zeitbedingtem, das dann zu einer Art Legende wird, und den Blick auf das originär Jesuanische verstellt. Wir müssen aber auch fragen, inwiefern das, was wir unter Umständen nur als Legende ansehen, seine Wirkmächtigkeit in Bezug auf das Ganze entfaltet. bb) Die Entwicklung des Kanons der biblischen Bücher Wir haben hier nur einzelne Dinge angetippt; es geht nicht darum, diese umfassend zu klären, weil dies den Umfang der Arbeit sprengen würde. Trotzdem müssen wir in dieser Unterscheidung auch die Entwicklung des biblischen Kanons ins Bild rücken. Es wurde in der Frühzeit der Bibel, in einem längeren und lange nicht abgeschlossenen Prozess festgelegt, was der biblische Kanon ist. Der Kanon, der Maßstab, hat definiert, inwiefern etwas nur Legende war und inwiefern etwas wirklich der jesuanischen Tradition – wenn wir jetzt in Bezug auf das Neue Testament sprechen – entspricht. Trotzdem muss aber auch gesagt werden, dass einzelne Legenden oder auch Legendenteile durchaus unter Umständen als authentischer Ausdruck des Glaubens verstanden werden können. Insofern ist die Unterscheidung sehr schwierig. Nicht nur in der Volksfrömmigkeit haben ja die apokryphen Bücher eine große Rolle entfaltet. Auch die Theologie und die Kunst, die diese anschau-

9. Konstitutive Legenden oder Offenbarungen

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lich machte oder interpretierte, lebte und lebt von den Apokryphen. Denken wir nur beispielhaft an das Bewusstsein, das sich in Bezug auf Marias Herkunft von Anna und Joachim bildete. Das bedeutet: Auch im Christentum gibt es von Anfang an Legenden, die sich an die Bibel – ähnlich wie in der Freimaurerei – „anlagern“. In einem weiteren Zusammenhang, als der allgemeine Sprachgebrauch von „Legende“ es meint, müssen wir etwa auch bestimmte Sicht- und Redeweisen der Bibel in diesem Bereich nennen: Denn auch in der Bibel kommen zeitbedingte Wirklichkeits- und Erklärungsmodelle und auch eine mythologische Redeweise vor. Denken wir nur an den Gen 2 oder Gen 3, wo nicht nur die Entstehung des Menschen, sondern auch der Sündenfall thematisiert wird. Dabei geht es auch nicht um das historische Ereignis, sondern mit einer solchen Darstellung wird tatsächlich etwas über die Grundbefindlichkeit des Menschen bzw. über das Verhältnis desselben zu Gott ausgesagt. Wesentliches Geschäft der Tradition und des Lehramtes war es, diese Anlagerungen zu erkennen und eventuelle Bedrohungen des Kerns festzustellen und hintanzuhalten. Die Legenden haben also durchaus ihre Wirkmächtigkeit gehabt und innerhalb der Theologie auch entfaltet. cc) Heiligenlegenden als Aktualisierung der christlichen Botschaft Wir haben schon vom wesentlichen Glaubenskern gesprochen, von dem, was primär die christliche Identität stiftet. Trotzdem gibt es daneben auch Formen, die das christliche Leben interpretieren und zeigen, inwiefern manche Tugenden in der jeweiligen Zeit und in der jeweiligen Situation lebbar sind. Gerade die Vorbilder der Christen, jene, die kanonisiert wurden, d.h. in die Liste der Heiligen ganz offiziell von der Kirche aufgenommen wurden, bedeuten eine ganz wichtige Botschaft für die Glaubenswelt der Menschen. Ihr Leben bedeutet etwas. Wenn im Religionsbuch der 1. Klasse der Sekundarstufe I in Österreich330 etwa mit Hilfe einer Geschichte erklärt wird, dass Heilige diejenigen sind, deren Leben durchscheinend ist für Gott, dann müssen wir in Abwandlung dessen sagen, dass die Legende diese Eigenschaften, diese Lebenswelt der Heiligen sammelt. Ihr Leben ist eine Konkretisierung und Aktualisierung der christlichen Botschaft. Und Legenden zielen darauf ab, diese Aktualisierung weiterzuvermitteln, mit Hilfe von Beispielen zu zeigen, was christliches Leben tatsächlich ausmacht. Dabei spiegeln sie sicher auch eine Art Propaganda wider: Denn bestimmte Eigenschaften haben zu gewissen Zeiten unterschiedliche Bedeutung. Auf diese Art sind Heiligenlegenden nicht nur die Aktualisierung der christ330 Lebensquellen. Glaubensbuch 1 für die 1. Klasse an HS/AHS, hrsg. von K. Zisler/D. Uhl/H. Finster, St. Pölten2 2003, S. 27.

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II. Das Ritual

lichen Botschaft, sondern sagen auch sehr viel über die jeweilige Zeit und das Christsein in einer gewissen Epoche aus. So haben also die Heiligenlegenden eine lebenspraktische und nicht nur eine didaktische Funktion. Natürlich spielt auch die Didaktik in Bezug auf Heilige eine große Rolle: Man kann sich zu Recht fragen, warum zu einer bestimmten Zeit bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten für die Kirche eine besondere Bedeutung haben und deshalb dann der jeweilige Mensch heiliggesprochen wird. So hat der Widerstand in den Zeiten der Unterdrückung des Nationalsozialismus oder der Einsatz für bestimmte Menschengruppen zu bestimmten Zeiten anlassbezogen Vorbildcharakter. Und so lagern sich dann auch Legenden um eine bestimmte hervor-ragende Personen herum an und zeigen auf, wie das Christentum zu ganz bestimmten Zeiten lebbar und erlebbar wird. Somit ähneln gerade die Heiligenlegenden ein Stück weit der Legende von Hiram. Auch diese wird immer wieder anders erzählt – je nach der Tradition, die man gerade betrachtet –, und auch aus manchen Heiligenlegenden kann ausgewählt werden. Ja sogar die Frage, welcher Heilige einem persönlich in sein Glaubensbild oder in seine jeweilige Situation passt, kann man sich als Christ stellen. Hier besteht doch aber in Bezug auf die Hiramslegende ein Unterschied: Die Hiramslegende hat doch mit dem Kern der Johannisfreimaurerei zu tun, wenn auch insgesamt Ritualfreiheit besteht. Somit müssen wir die Bedeutung von Legenden in der Freimaurerei doch wesentlich höher ansetzen: Sie dürfte in etwa vom Grad der Verbindlichkeit, wenn auch in diesem Bereich jeder Vergleich hinkt – eher dem der Offenbarung im christlichen Bereich entsprechen. 10. Formen des Ansprechens – des Betens a) In der Freimaurerei Das Gebet spielt auch in der Freimaurerei eine Rolle: „Ebenso wie in alten Gilden zu Beginn der Versammlung eine Invokation, ein Gebet an Gott, früher auch an die Dreifaltigkeit gerichtet wurde, ist in vielen Großlogen die Übung des Gebetes beibehalten worden.“331 So wird dieses Gebet – sofern es in der Großloge eingeführt ist, laut dem Internationalen Freimaurerlexikon entweder von einem Geistlichen irgendeiner Konfession (in den angelsächsischen Logen) oder aber vom Meister vom Stuhl gesprochen und wird oft am Beginn der Logenarbeit gesprochen. „Das Gebet der Freimaurer ist im Allgemeinen ein unkonfessionelles, das sich an den A.B.a.W. 331

E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, S. 324.

10. Formen des Ansprechens – des Betens

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richtet, ein Gottesbegriff, der alle konfessionellen Deutungen der Gottheit überbrückt.“332 Im Johannismaurer-Ritual, das wir bisher untersucht haben, sind Anrufungen des Allmächtigen Baumeisters aller Welten in allen Graden gegeben, und zwar sowohl eingebunden in das Ritual als auch zu Beginn desselben. Beide lassen Rückschlüsse über den Charakter der Gebete und des Umganges mit dem Allmächtigen Baumeister aller Welten vonseiten der Freimaurer zu. aa) Gebete und Gedichte, nicht direkt innerhalb des Rituals beheimatet Der Anhang des Lehrlingsrituals figuriert unter dem Titel „Gebete und Sinnsprüche“. Für den Anfang der Arbeit heißt es: „Großer Baumeister der Welten! Sei mit unserer Arbeit, segne sie und gib uns Kraft, sie zu Deiner Ehre zu vollbringen.“333 Wir stellen hier also eine gewisse Zirkelbewegung fest: Wenn der große Baumeister mit der maurischen Arbeit ist und sie segnet, dann vollbringen die Maurer dieses Werk zur Ehre des Baumeisters. Somit lobt also das Werk den Meister. Ein weiteres Gebet lautet: „Großer Baumeister aller Welten! Lass uns stark sein im Geiste der Königlichen Kunst, auf dass diese Bauhütte ein Tempel werde zu Deiner Verehrung, eine Heimat brüderlicher Gesinnung, eine Schule der Menschlichkeit und eines sichere Stätte für alle, die die Wahrheit suchen.“334 Ein weiters Gebet geht direkt auf Weisheit, Schönheit und Stärke ein, Zentralbegriffe der Freimaurerei, die das Ritual wesentlich gestalten. Sie sind „kleinen“ Säulen der Freimaurerei, die ursprünglich den drei antiken Säulenarten nachempfunden waren, nämlich einer jonischen, dorischen und einer korinthischen Säule. „Diese drei Säulen stehen im Osten, Süden und Westen. Sie sind Lichtträger des höheren Lichtes der Weisheit, Stärke und Schönheit.“335 So heißt es: „Weltenmeister, segne, schütze Unsre Werke, gib Gedeihn, Dass der Bau der Menschheit nütze, Dem sich hier die Brüder weihn. Weisheit leite uns’re Schritte, Stärke wohn in unserer Mitte, Schönheit ziere unsre Bahn. Was wir tun, sei wohlgetan. 332 333 334 335

Ebd., S. 324. Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland, S. 64. Ebd., S. 64. T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und geheimnisvoll, S. 32.

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II. Das Ritual Leite uns zu Deiner Weisheit, Herr, dess’ Hand die Welt bereitet. Alle Sonnen hält und leitet. Deine Weisheit, Herr, verleih’, Dass der Bau gesegnet sei! Rüste uns mit Deiner Stärke, Dass wir auch in dieser Stunde Einig bau’n auf festem Grunde, Dass in Wahrheit, Lieb und Treu Unser Bund gesegnet sei! Herr, vollende Du in Schönheit, Was wir mangelhaft beginnen, Weih’ der Liebe, Herz und Sinnen. Dass der Bau der Maurerei, Meister, Deiner würdig sei.“336

Bemerkenswert ist bei diesem Gebet, dass der A. B. A. W. also einerseits seinen Segen und Schutz den Werken geben, diesen Werken aber auch Wachstum verleihen soll. In der zweiten Strophe wird dieses Segensmotiv wieder aufgenommen, aber nun am Schluss, gewissermaßen als Bestätigung und Klammer zwischen erster und zweiter Strophe. Und zwar wird eine Analogie hergestellt in Bezug auf die Weisheit, eine der kleinen Säulen, die ja laut erster Strophe und auch laut Ritual die Schritte der Freimaurer leiten soll. Es soll die Weisheit des A. B. A. W. sein, die hier nach der Bitte in der zweiten Strophe verliehen sein soll, damit der Segen eintritt. Unklar ist die Qualifikation, die dem A.B.A.W, gegeben wird, indem gesagt wird, dass er, der Herr, die Welt mit seiner Hand bereitet. Was bedeutet hier „bereiten“? Heißt das, der Baumeister wird als Schöpfer angesprochen? Bedeutet das Weitere, dass gesagt wird, dass er auch die Sonnen hält und leitet, wirklich auch die direkte Intervention dieses Baumeisters oder hat es eher etwas mit Anleitung zu tun und dem Rückzug von der Welt, sobald die Richtung derselben festgelegt ist? Ist damit der kosmische Baumeister gemeint, ein Baumeister, dessen Tätigkeit vor allem in diesen Bereich verlagert ist? Interessant ist auch eine weitere Parallele zwischen erster und zweiter Strophe: Bei beiden kommt der Ausdruck „leiten“ vor. Einerseits leitet die Weisheit die Schritte, andererseits geht es um die Weisheit des Baumeisters, der die Welt leitet. Also doch eine Intervention in der Welt, allerdings wird der- oder dasjenige, der oder das diese Intervention vollbringt, mit dem Begriff Weisheit verbrämt und das Ganze ist damit wieder offen und nicht ausdrücklich auf den Baumeister zurückzuführen. 336

Ebd., S. 64.

10. Formen des Ansprechens – des Betens

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In der dritten Strophe wird nun der Inhalt der zweiten Säule thematisch aufgenommen, nämlich die Stärke. Sie wird in Beziehung gesetzt zum festen Grund, zur Wahrheit, Liebe und Treue und auch hier kommt es zu einer Wiederholung, wenn auch nicht zu einer Anapher, wenn es als Strophenabschluss – fast analog zum Abschluss der zweiten Strophe heißt: „Dass (wird noch von der vierten Zeile der dritten Strophe mitgenommen und soll einerseits die Anklänge an die Anapher noch verstärken, andererseits wird dadurch eine Betonung der eben genannten Begriffe – Wahrheit, Liebe und Treue – erzielt) unser Bund gesegnet sei.“ Dabei wird nun der Segen vom Bau in der zweiten Strophe verlagert. Aber das Segensmotiv wird also tatsächlich sowohl am Ende der zweiten als auch am Ende der dritten Strophe aufgenommen und damit wird eine Aktualisierung des Segensthemas der ersten Zeile der ersten Strophe erreicht. Die dritte Säule, die Schönheit, wird in der fünften Strophe thematisiert und es wird nach der Exposition dieses Themas in der ersten Strophe, wo es heißt: „Schönheit ziere unsere Bahn“, nun diese Bahn näher beschrieben, nämlich dem Baumeister wird zugeschrieben, er möge diese Bahn vollenden, das, was „wir mangelhaft beginnen“. Wichtig ist hier wieder der Begriff der Liebe, der ja auch in der dritten Strophe vorkommt. Allerdings wird diese Liebe verbunden mit Herz und Sinnen und damit wird festgestellt, dass nur mit entsprechender Intervention des Weltenmeisters es ermöglicht wird, dass der Bau geschaffen wird, der auch ihm würdig ist. Interessant dass in diesem Gebet oder Gedicht immer nur von Weltenmeister statt Baumeister die Rede ist und dass auch hier wieder diese zirkuläre Bewegung wichtig ist: Vom Weltenmeister aus, der den Werken Hilfe angedeihen lässt, sodass diese Werke dann wieder sich diesem Meister würdig erweisen. Es soll hier nur anhand eines Beispiels eine literarisch-inhaltliche Interpretation versucht werden und diese ist stellvertretend für die Untersuchung anderer Gebete zu sehen. Dieses Gebet ist insofern stellvertretend, als man hier sehr genau maurerische Motive einerseits und doch ein gewisses Ansprechen und eine gewisse Größe des Angesprochenen andererseits spürt. Die Verankerung im Bauwesen ist hier also besonders spürbar. Man erinnert sich dabei fast ein wenig an Schillers „Das Lied von der Glocke“, wo es um den Meister geht, und um die Form, die er zerbrechen kann, er, der gleichzeitig vom Segen von oben abhängig ist. Er trifft den Ton der bisherigen Gebete, wenn er davon spricht, dass der Meister der Erschaffer ist, so wie es heißt: „Und dies sei fortan ihr Beruf, Wozu der Meister sie erschuf: Hoch über’m niedern Erdenleben Soll sie im blauen Himmelszelt, Die Nachbarin des Domes, schweben

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II. Das Ritual Und grenzen an die Sternenwelt, Soll eine Stimme sein von oben, Wie der Gestirne helle Schar, Die ihren Schöpfer wandelnd loben . . .“

Friedrich Schiller hatte zwar mit sehr vielen Freimaurern Kontakt und hat auch viele freimaurerische Themen bearbeitet, war aber selbst nie Freimaurer. Auch dem Werben der Freimaurer widersteht Schiller. Sein Freund Körner schreibt mehrfach an Caroline von Wolzogen: „Schiller trat weder den Illuminaten noch einem anderen Geheimbund dieser Art bei, obwohl ihm manche Avancen gemacht wurden.“337 Den Ton der Freimaurer vermittelt auch das Folgende, ohne jedoch ausdrücklich jemanden anzusprechen: „Die wir hier in der Ordnung stehen und uns unermüdlicher Arbeit an uns selbst bemühen (sic), uns der allwaltenden Ordnung allen Seins ehrfürchtig einfügen: Die wir in unserem brüderlichen Zusammensein die Selbsterkenntnis üben, um aus ihr das Wissen um unseren irdischen Auftrag und unsere Kraft zu schöpfen, auf dass sie zum willigen, selbstlosen Dienst am Nächsten werde; Die wir im Dreiklang von Weisheit, Stärke und Schönheit das Gleichnis erblicken für das Walten des ewigen Seins im Kleinsten und Größten: Wir stehen gleichzeitig in der Gemeinschaft aller Menschen auf Erden, die guten Willens sind, und wollen ihr in wahrer Brüderlichkeit, in echter Toleranz und in vorbehaltloser Achtung vor der Heiligkeit des Lebens und der Würde der freien Persönlichkeit begegnen.“338

Mit diesem Zitat ist die Spannung angedeutet, die sich im Bereich der freimaurerischen Gebete bzw. Sinnsprüche ergibt: Hier wird nicht einmal etwas Waltendes, oder gar Höheres mit Individualität angesprochen, es nur vom Walten eines ewigen Seins gesprochen, und zwar im Kleinsten und im Größten, was wieder diese Beziehung zwischen Mikro- und Makrokosmos nahelegt. Damit ist vor allem eine Reflexion auf die eigenen Haltungen und Handlungen gegeben. Natürlich kommen auch wieder Weisheit, Stärke und Schönheit vor. Bedeutsam ist, dass diese ganz unterschiedlichen Zugänge sich in einer Vielzahl verschiedener Anrufungen widerspiegeln. Dabei greift man nicht nur auf bestimmte freimaurerische Autoren zurück, sondern sehr vieles scheint Ausdruck des freimaurerischen Bewusstseins zu sein, so etwa auch das Gebet von Franz von Assisi, das auch aufgenommen wurde, wo es heißt: „O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“ Daneben gibt es fast einen Streifzug durch die Gedichte verschiedener wichtiger deutscher Autoren, sei es Stefan George, Ernst Wichert oder Friedrich 337

www.internetloge.de/arst/schiller.htm, eingesehen am 3. Jänner 2007. Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland, S. 65. Es wird dabei Peter von Anderten zitiert. 338

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Nietzsche und der Barockdichter Paul Fleming. Originär Freimaurerisches unter Bezugnahme auf genau diese Symbolik finden wir in dem Gedicht von Rainer Maria Rilke mit dem Titel „Werkleute sind wir“, das folgendermaßen lautet: „Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister, Und bauen dich, du hohes Mittelschiff, Und manchmal kommt ein ernster Hergereister, Geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister, Und zeigt uns zitternd einen neuen Griff. Wir steigen in die wiegenden Gerüste, In unseren Händen hängt der Hammer schwer. Bis eine Stunde uns die Stirnen küsste, Die strahlend und ob sie alles wüsste, Von dir kommt wie der Wind zum Meer. Dann ist ein Hallen von den vielen Hämmern, Und durch die Berge geht es Stoß um Stoß; Erst wenn es dunkelt, lassen wir dich los, Und deine kommenden Konturen dämmern: Gott, bist du groß!“339

In diesem Gedicht wird sehr viel von der Maurerei und dem Bezug derselben zum Leben gesagt, somit wird gezeigt, wie die Maurerei das Leben irgendwie selbst ist, aber sehr wenig über diesen Baumeister aller Welten, der uns hier mit dem Namen Gott entgegentritt und uns nur bekenntnishaft, als Schrei gewissermaßen, entgegentritt. Es ist nur eine Ahnung, die in der letzten Zeile der letzten Strophe aufgenommen wird, nicht mehr. Aber es bleibt der Bezug dieses höchsten Seins zur Lebensmaurerei in einem beeindruckenden, verdichtenden Grundmuster, wie es nur ein wirklich großer Literat schafft. Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang Johann Wolfgang von Goethe, der ja immer wieder zitiert wird, wenn es um große Freimaurer geht. Er ist in dieser Gedicht- und Gebetsammlung vertreten mit folgendem Gedicht340: „Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord und südliches Gelände Ruht im Frieden seiner Hände. 339

Ritual I der GL. der A. F. U. A. M. von Deutschland, S. 67. Siehe J. W. Goethe, Westöstlicher Diwan; Buch des Sängers, in: Johann Wolfgang von Goethe: Werke, Kommentare und Register, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd. II: Gedichte und Epen II, hrsg. von Erich Trutz, München17 2005, S. 10. 340

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II. Das Ritual Er, der einzig Gerechte, Will für jedermann das Rechte. Sei von seinen hundert Namen Dieser hochgelobet – Amen. Mich verwirren will das Irren, Doch Du weißt, mich zu entwirren. Wenn ich handle, wenn ich dichte, Gib Du meinem Weg die Richte.“341

Sowohl die verschiedenen Himmelsrichtungen, der Osten beispielsweise, der auch eine Metapher für den Tod bedeutet, wenn man vom Eingehen in den ewigen Osten spricht, oder auch die anderen Richtungen, wenn es etwa um die genaue Sitzordnung der jeweiligen Grade oder um die Anordnung der Gegenstände im Tempel geht, werden hier thematisiert als auch das Rechte oder die Richte, die in der freimaurerischen Arbeit durch das Winkelmaß, aber auch durch die anderen Maurerwerkzeuge wie den Zirkel symbolisiert wird. Dieser nicht direkt mit einem Namen Angesprochene gibt das Richtmaß, er leitet auf den richtigen Weg, ein Zentralthema in der Freimaurerei, wo es ja um diesen Weg der ethischen Vervollkommnung in der Arbeit im Tempel als Ziel geht. bb) Gebete und Anrufungen im Ritual selbst Im Lehrlingsritual – bei der Aufnahme, nachdem der Aufzunehmende sich auf das linke Knie niedergelassen, sein rechtes Bein nach vorn „ins Winkelmaß gestellt hat“ und die rechte Hand auf Bibel, Winkelmaß und Zirkel gelegt hat – spricht der Meister vom Stuhl Folgendes: „Großer Baumeister der Welten! Entzünde in den Herzen der Männer, die hier versammelt sind, das heilige Feuer des Geistes. Segne den Bund der Freundschaft, den wir mit dem Suchenden vor deinem Altar schließen wollen. Gib, dass wir in ihm einen treuen und zuverlässigen Bruder finden.“342 Von Bedeutung erscheinen hier die Ähnlichkeit der Wortwahl mit Gebeten der Kirche und gleichzeitig auch die Akzentverschiebung, wenn es um die Bitte geht, nämlich um die Entzündung des heiligen Feuers des Geistes statt des Feuers des Heiligen Geistes. Es stellt sich natürlich die Frage, um welchen Geist es sich handelt, der da entfacht werden soll, und warum es sich hier um ein heiliges Feuer handeln soll. Wenn wir an das anschließen, was wir schon über den Kosmos und die Elemente gesagt haben, dann könnte die Erklärung in einer Divinisierung der Elemente liegen. Trotzdem 341 342

Ebd., S. 68. Ebd., S. 37.

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wird der Baumeister angerufen, erstens dieses Feuer zu entzünden und zweitens auch die Freundschaft zu segnen. Dass dieser Bruder zuverlässig ist, das soll auch etwas sein, das eigentlich vom Baumeister empfangen werden soll. Der Baumeister ist also Quell eines heiligen Feuers, der Quell der Freundschaft, der Treue und der Zuverlässigkeit. Auch das Gesellenritual hat unmittelbar verknüpft mit der Aufnahme als Geselle solch ein Gebet, und zwar wieder vor dem Gelöbnis. Dieses Gebet lautet: „Großer Baumeister aller Welten! Dein Segen sei mit uns in dieser Stunde, da wir den Bund mit unseren Brüdern bekräftigen und vertiefen wollen. Gib ihnen die Kraft, nicht mehr vom Ziel abzuirren und lasse den Flammenden Stern leuchten auf all ihren Wegen.“343 Auch hier wird also wieder der Segen erbeten, und zwar mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Feierlichkeit der Stunde. Damit wird also praktisch diese Feierstunde geheiligt und es wird wieder davon ausgegangen, dass die Kraft, zielgerichtet zu leben bzw. eine gedeihliche Entwicklung zu haben, vom Baumeister ausgeht. Der Flammende Stern wurde von uns ja bereits thematisiert. Eine Interpretation einer gewissen Stellvertretung des Baumeisters durch den Flammenden Stern kann vom Sinn her nicht ganz ausgeschlossen werden. Das Leuchten des Flammenden Sterns bedeutet ein Erleuchten des Weges, ein Integrieren dessen, was den Gesellenstatus ausmacht, da ja dieser Stern auch ein Kennzeichen des Gesellenrituals ist, aber es kann darin möglicherweise auch hier eine gewisse Nähe zur Erleuchtung durch den Heiligen Geist, wie das in der katholischen Kirche und in Gebeten – v. a. auch im sakramentalen Vollzug – erblickt werden. Im Meistergrad wird während der Erhebung sogar die Bibel zitiert, wenn gesagt wird: „In der Bibel heißt es im 90. Psalm: Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“344 Dieses Zitat kommt ganz unvermittelt und spricht der Vorbereitende Bruder, wobei nicht ganz klar ist, worum es sich wirklich handelt. Denn es wird in diesem Kontext niemand persönlich angesprochen, trotzdem wird das „Du“ verwendet, um die Bitte anzuschließen, dieser Angesprochene möge lehren. Man kann hier Zweifel anmelden, ob es sich hierbei wirklich um ein Gebet handelt oder ob nur im Anschluss an das Zitat aus dem Psalm die Ernsthaftigkeit der Erfahrung mit Hilfe der persönlichen Ansprache herausgestrichen werden soll. Es kann aber auch sein, dass hier eine Tradition synkretistisch aufgenommen wird und mit einer gewissen Eigenlogik interpretiert wird bzw. dienstbar gemacht wird. Ritual II der GL. der A. F. u. A. M. von Deutschland, Münster2 1985, S. 46. 344 Ritual III der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, Münster2 1985, S. 27. 343

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II. Das Ritual

Auch der Meistergrad folgt demselben Muster des Ablaufes wie in den übrigen Graden: Auch hier wird unmittelbar vor dem Gelöbnis der große Baumeister aller Welten angerufen. Es heißt: „Großer Baumeister aller Welten! Hilf uns in dieser Stunde, da wir das Werk der Meister fortsetzen wollen, die uns vorangegangen sind. Gib, dass dieser Geselle ein Nachfolger Hirams werde, der seine Pflicht ernst nimmt, der Bruderschaft dient und dem Gesetz treu bleibt.“345 Es wird also diesmal nicht der Segen, sondern die Hilfe des großen Baumeisters erbeten, es wird aber auch gesagt, dass man an die verstorbenen Meister denkt, damit deren Werke irgendwie ins Leben der derzeit lebenden Freimaurer integriert werden können. Der Verweis auf die Nachfolge Hirams ist also auch eine Art Anamnese und der Hauptgedanke, die Hauptbitte, ist, dass der große Baumeister helfen soll, dass der neue Meister seine Pflicht erfüllt und dem Gesetz treu ist. cc) Die Bedeutung des Gebetes Es ist bei den meisten dieser Gebete die Richtung klar: Es geht um spezifisch freimaurerische Inhalte. Es wird also praktisch freimaurerisches Tun und Wirken, vor allem aber das freimaurerische Ritual in den Gebeten sichtbar. Nicht nur, dass dieses freimaurerische Gedankengut Spuren hinterlässt: Nach Ansicht des Autors wird jedes Gebet daraufhin befragt, wie es sich in dieses freimaurerisches Streben einpasst. Das bedeutet, dass etwa auch ein Gebet des Franz von Assisi deshalb aufgenommen werden kann, weil es ja beispielsweise Vorstellungen vom Werkzeug, einem freimaurerisch sehr wichtigen Begriff, in sich trägt. Auf der anderen Seite wird damit ein Gebet zu etwas, das die Befindlichkeit der im Ritual versammelten Freimaurer widerspiegelt und vielleicht auch damit die Feierlichkeit des Rituals erhöht. Das Gebet gibt also der Stunde auch einen gewissen Weihecharakter. Wenn der A. B. A. W. seinen Segen geben soll, dann doch vor allem deshalb, um damit das intendierte Werk zu unterstützen und er tut es gewissermaßen nicht umsonst, sondern dieses Werk kommt ja dann wieder seinem Lobe zugute, scheinbar ganz in der Tradition der Werkmaurerei. Es ist also ein Tauschgeschäft und es geht dabei in keiner Weise um den Baumeister selbst. Natürlich geht es um Kontinuität und Tradition. Aber geht es tatsächlich im freimaurerischen Ritual um die Buntheit des Lebens? Es kommt doch eigentlich aus den Banden des Rituals nicht heraus bzw. kommt außerhalb desselben nicht vor. Andere Themen als die Arbeit an sich selbst und an der Veränderung des Selbst bzw. die freimaurerische Identität stehen somit nicht im Mittelpunkt des freimaurerischen Gebetes.

345

Ebd., S. 37.

10. Formen des Ansprechens – des Betens

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b) In der katholischen Kirche Im Anschluss an das vorher Dargelegte und an die zitierten Gebete müssen wir nun ernsthaft fragen, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen den freimaurerischen Gebeten und den Gebeten, die von der katholischen Kirche verwendet werden, gibt. Die Gebete der Freimaurer, wie die hier dargestellten, sind sehr unterschiedlich in der Form, aber auch in Bezug auf den Inhalt. Da gibt es Gebete, die durchaus christlich anmuten mögen und solche, die diese Folie überhaupt nicht aufweisen. Das ist auch deshalb verständlich, weil es natürlich eine gemeinsame Quellenlage gibt und weil – wie ja schon betont wurde – eine gewisse Entwicklung der Freimaurerei u. a. auch aus christlichen Wurzeln erfolgte. Wo können wir also Unterschiede orten? aa) Zentrierung der Buntheit des Lebens im Gebet Es wurde schon betont, dass das freimaurerische Gebet eigentlich nicht aus dem Ritual herauskommt, dass auch die Gebetsthemen sich eigentlich nur um die Arbeit innerhalb des Rituals ranken. Sie sollen die Feierlichkeit des Rituals unterstützen, sie sollen die rituelle Arbeit unterstützen und gegebenenfalls auch „heiligen“, wenn man das freimaurerisch überhaupt sagen darf. In der katholischen Kirche haben Gebete doch eine ganz andere Funktion: Sie sind nicht nur beschränkt auf das „Ritual“ des Sakraments – wobei natürlich dieses auch einen ganz anderen Weltbezug und Charakter hat als das freimaurerische Ritual –, sondern letztlich lebt die christliche Identität von diesem Bezug zu Gott durch Christus. Gerade weil es daraus lebt, wird alles das, was den Menschen ausmacht, in das Gebet hineingenommen: Alles, was der Mensch erstrebt, was ihm bedeutsam erscheint, wird damit auch zentriert im Hinblick auf Gott. Gott als Zentrum ist gleichzeitig auch Zentralpunkt des Gebetes. So wie das Leben bunt ist und laut christlichem Glauben keine Flecken hat, die von Gott ausgenommen sind, so umfasst auch das Gebet das Gesamte. Der Mensch als der, der sich an Gott wendet, der sich bewusst ist, dass er ganz in der Hand Gottes ist, der von ihm alles erbittet, nimmt nicht einen Teilaspekt seines Lebens aus. Im Sakrament vollzieht sich das Geheimnis der Beziehung zwischen Gott und Mensch auf besondere Weise. Weil Christus als wahrer Gott und Mensch uns diese Heilsmöglichkeit seiner Präsenz geschenkt hat, weil diese Kommunikation eine gestiftete ist, sind wir dazu aufgerufen, uns als Person ganz einzubringen. Aber es handelt sich nicht nur bloß um irgendeine Kommunikation: Diese Kommunikation ist eine, die wir nicht von uns selber aus herstellen können, die einen ganz anderen Charakter trägt, weil letztlich

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II. Das Ritual

darin Christus und Gott selber als Geschenk darin aufleuchtet und präsent ist. Die Sakramente sind also Begegnungs- und Heilsräume für uns und das wird natürlich auch durch die jeweiligen Gebete widergespiegelt. Und somit bleiben die Sakramente nicht im engen Rahmen des Kirchengebäudes allein, sondern vollziehen sich im Leben, sind als Mittel des Heils, vom Anspruch her also Lebens-Mittel und Lebens-Mitte. bb) Das Gebet von Gott her denken – Ziel des Gebetes Ein wesentlicher Unterschied des christlichen Gebetes gegenüber dem freimaurerischen ist, dass jedes Gebet, sei es ein Dank-, Bitt- oder Lobgebet immer auch von Gott her zu denken sein muss. Auch wenn ich noch so ein großes Anliegen habe, muss mir doch vorher bewusst sein, um welchen Gott es sich eigentlich handelt, an den ich mich wende. Geht es bei dieser Wendung, bei diesem Gebet nur um Psychologie, vielleicht um Selbstbespiegelung oder den Effekt, den ich durch die Anrufung Gottes im Hinblick auf Feierlichkeit erzielen will, oder geht es mir – bei allen persönlichen Anliegen und Nöten – doch zunächst einmal um Gott? Im Christentum gibt es zwar immer wieder Tendenzen, die nahelegen, dass in den Köpfen der Menschen das Prinzip „do ut des“ nicht ganz tot ist, vor allem wenn man an die Votivtafeln oder an manche Bittgebete geht. Trotzdem bedeutet das Wesen des Christentums, dass ich mich an den großen, absoluten Gott wenden kann, dass dieser sich aber auch an mich wendet. Damit ist der christliche Gott kein Automatengott und durchbricht das Bild eines Gottes, der wie ein Händler mit „do ut des“ unter Druck gesetzt werden kann und somit gezwungen werden kann, automatisch das zu bewirken, was ich von ihm möchte, wenn ich nur meinen Teil des „Deals“, also zum Beispiel das entsprechende Gebet, vollzogen habe. Und es handelt sich im Christentum bei dieser Beziehung mit Gott nicht um eine Einbahnstraße. Dabei wird nicht die Macht Gottes an die erste Stelle gestellt, sondern vielmehr seine Taten für den Menschen, seine Beziehung, ja man könnte fast sagen, wenn man das Ganze auf menschliche Ebenen herunterbrechen wollte, seine Beziehungsarbeit. Dieser Gott ist eben einer, zu dem der Mensch ein persönliches Verhältnis haben darf und soll, wie uns Christus das mit seiner Botschaft, seinem Leben und Sterben, aber auch mit seinem Selbst vor Augen bringt. Er selbst zeigt uns aber auch dieses personale Verhältnis, das nicht nur er zum Vater hat, sondern das auch wir zum Vater haben dürfen, wenn er sagt, wie wir beten sollen. Nämlich indem wir Abba, Vater, sagen dürfen, etwa im Vaterunser. Wir rufen in der Eucharistie nach der Wandlung die Worte: „In Christus und durch ihn und mit ihm ist Dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit

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des Heiligen Geistes, alle Herrlichkeit und Ehre, jetzt und in Ewigkeit. Amen.“346 In dieser Doxologie bekennen die Katholiken ehrfürchtig und staunend, was diese Ausrichtung auf Gott bedeutet. Hier wird auch klar, was Gebet ist: Dieses Sich-einlassen aufeinander wird in Worte gefasst. Natürlich bedeutet dieses dann zweiseitige Kommunikation, bedeutet nicht nur ein ehrfürchtiges Stammeln angesichts der Größe Gottes, sondern gerade aufgrund der Tatsache, dass der Mensch zu Gott Vater sagen kann, bedeutet es ein Teilen aller Lebensumstände. Das heißt, sowohl von der Ausrichtung des Gebets auf Gott hin, auf sein Wesen und seine Offenbarung, als auch von der Ausrichtung auf den zweiten Pol, den Menschen, kann das Gebet nie einseitig oder verzweckt sein. Auch wenn es um ganz bestimmte Anlässe geht, in deren Zusammenhang das Gebet gesprochen wird: Es geht um diese ganzheitliche Partnerschaft zwischen Gott und Mensch, aus der nicht nur irgendwelche Befindlichkeiten herausleuchten, sondern aus der immer die Beziehung zwischen Gott und Mensch als Träger, auf die die Kommunikation ausgerichtet ist, offenbar wird. Ohne die Ausrichtung auf beide Pole und damit eine ganzheitliche Ausrichtung, wäre eine solche Kommunikation leer und defizient. Ein solches Gebet, das nur das Selbst im Blick hätte ohne das Du des anderen, in diesem Fall ist es das Du Gottes, wäre äußerst problematisch und es stellte sich die Frage, ob ein solches Gebet überhaupt die Qualifizierung als Gebet verdienen würde. Außerdem ist diese Beziehung eine intime. So intim, dass wir eben zu Gott als „lieber Vater“ sprechen können. Diese Liebe, diese Intimität muss immer aus dieser Kommunikation herausleuchten, sie ermöglicht diese Klima der Wertschätzung des Gebetes, das einen unumkehrbaren Kommunikationsprozess in Richtung Weiterentwicklung bedeutet. 11. Das Handeln als Basis? Es ist hier zu fragen, wer jeweils in der Freimaurerei und im Christentum im Ritual bzw. Sakrament handelt, wie wird dieses Handeln selbst gesehen. Hat das jeweilige Ritual eine Eigendynamik, handelt es von sich aus oder wer ist der Handlungsträger außer demjenigen, der das Ritual erlebt bzw. vollzieht? Was ist das Ziel des Handelns und um welche „Arbeit“ handelt es sich im rituellen Geschehen?

346 Das ist die Doxologie am Schluss des Hochgebetes in der katholischen Kirche.

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II. Das Ritual

a) In der Freimaurerei aa) Am Anfang war die Tat Wenn Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust mühsam um die Frage ringen lässt, wie man den Beginn des Johannesprologs übersetzen soll, so kommt es m. E. nach nicht von ungefähr, wenn Faust schließlich triumphierend verkündet: „Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat und schreib getrost: Am Anfang war die Tat!“347 Das Zentrum der freimaurerischen Existenz ist das Ritual: „Das Ritual ist vielfach den alten Handwerksbräuchen der Steinmetzen nachgebildet und hat von dort seinen Ursprung.“348 Gerade auch die Symbole wie Schurz, Senkblei, Zirkel und Winkelmaß, aber auch die Ausrichtung auf die Bearbeitung des rauen und kubischen Steines und die Arbeit am Reißbrett, die Entwurfsarbeit im Meistergrad, spiegeln das wider. Das Ritual ist also ein Handeln, die Grundlage für die Arbeit am Tempel der Humanität. Die regelmäßige Übung, das Handeln selber ist also das Wesentliche in der Freimaurerei, damit komme ich zur Erkenntnis und zu mir selber.349 In den Ritualen erfolgt rein menschliches Handeln und dieses Handeln soll etwas bewirken, das den ganzen Menschen prägt und verändert. Der Mensch entfaltet sich – ganz im Sinne der Handwerkstradition – im Tun. Damit wird auch klar, warum das freimaurerische Handeln eigentlich immer als Arbeit gesehen wird. Diese Arbeit formt den Menschen. Dabei spielen Worte eine vielleicht untergeordnetere Rolle. „Das Ritual hat insgesamt in der Freimaurerei eine besondere Bedeutung, weil die freimaurerischen Lehren nicht durch Worte, sondern durch sinnbildliche Formen mitgeteilt werden.“350 Dieses „learning by doing“ im Ritual ist also von entscheidender Bedeutung. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass zu diesen Handlungen nicht auch Worte dazugehören. Ganz im Gegenteil, Wechselreden haben einen wichtigen Platz im freimaurerischen Ritual. Trotz allem gilt aber: „Schau alle Wirkenskraft und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen.“351 Das Ritual stellt also die Ordnung her, in der sich die sinnbildlichen Handlungen vollziehen. „Kultus, Riten und Symbole ersetzen also die Sprache, sie schaffen und sind eingefügt in eine ‚außersprachliche Ordnung‘.“352 347

J. W. Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Z 1234 f., Stuttgart 1986, S. 36. H. Reinalter, Die Freimaurer, S. 34. 349 Siehe J. Holtorf, Die Logen der Freimaurer, S. 25. 350 H. Reinalter, Die Freimaurer, S. 34. 351 J. W. Goethe, Faust, Z 384 f. 352 J. von Ins, Zur Frage nach den Quellen der freimaurerischen Symbolik, in: Freimaurer. Ausstellung 1983/84, Begleitpublikation des Museums für Völkerkunde und Schweizerischen Museums für Volkskunde, Basel 1984, S. 82. 348

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bb) Wer handelt? Die Frage nach der Trägerschaft dieses Handelns ist klar beantwortbar: Es ist der Mensch, der nicht nur das Ziel dieses Handelns darstellt, weil er der Tempel der Humanität ist. „Hier wird an einem unsichtbaren, geistigen Tempel der gesamten Menschheit gebaut.“353 Es geht also darum, „den Menschen im Menschen zur Entfaltung zu bringen.“354 Wenn auch Lagutt in diesem Kontext darauf hinweist, dass es „ohne Anerkennung eines höheren Prinzips im Menschen selbst . . .“355 nicht gehen wird, so ist trotzdem evident, wer das eigentliche Ziel des freimaurerischen Handelns darstellt: Der Mensch alleine. Das Credo, das den Menschen ausschließlich in den Mittelpunkt stellt, so Lagutt, werde in keinem Logentext ausdrücklich erwähnt, trotzdem sei es die unausgesprochene Basis der Freimaurerei.356 Dieses „Credo“ lautet: „Ich glaube an den Menschen im Menschen, durch alle Irrungen und Schwächen hindurch. Ich glaube an die Berufung des Menschen, einst Mensch und nur Mensch zu sein. Ich glaube an das in der Tiefe des Menschenherzens schlummernde, Wahre, Schöne und Gute. Und ich glaube, dass dieses einst in vollem Glanze hervorbrechen wird und diese Erde in den Stern des Wahren, Schönen und Guten verwandelt.“357 Es handelt also der Mensch und das Ziel dieses Handelns ist wieder der Mensch, die Verwandlung desselben, die im Ritual ermöglicht wird. Damit bleibt der Mensch, auch wenn er vom Umfassenden, Ganzen oder von einem Prinzip redet, das alles einschließt, doch auf seiner bzw. der Ebene der Welt, auch wenn dieser Mikrokosmos im Ritual in Beziehung gesetzt wird zum Makrokosmos Welt. cc) Die normative Kraft des Handelns Wir sprechen von der normativen Kraft des Faktischen dann, wenn durch das Handeln selbst schon Strukturen und Gegebenheiten geschaffen wurden, an denen man nicht vorbeikommt, die selber schon wieder Normen und Grenzen produzieren. Auch bzw. gerade in der Freimaurerei geht man davon aus, dass das Handeln des Menschen im Ritual eine gewisse normative Kraft hat, wodurch es dann gar nicht notwendig ist, Normen aufzustellen. Man vertraut also auf diese normative Kraft des Handelns, die so eine normative Kraft des Rituals ist. Man vertraut auf das Ritual, durch dieses wird 353 354 355 356 357

T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und geheimnisvoll, S. 68. J. K. Lagutt, Der Grundstein der Freimaurerei, S. 122. Ebd., S. 122. Vgl. ebd., S. 122. Ebd., S. 122.

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II. Das Ritual

sich alles andere, auch die Normen, entwickeln. Es ergibt sich also hier folgender Schluss: Der Mensch handelt im Ritual und das Ritual handelt im und am Menschen, es entfaltet den Menschen und seine An- bzw. Einsichten. Darum braucht es laut Freimaurerei auch keine Dogmen oder andere Festlegungen, weil es ja durch die Symbolik und durch das Handeln zu einer Eigendynamik kommt, zu einer Eigendynamik des freimaurerischen Rituals. Kritiker der Freimaurerei sehen die freimaurerische Arbeit als Aufstieg „aus dem profanen, in Dunkelheiten verhafteten Menschen zu einem lichtvollen, erkenntnisreichen, zu höchster Lichtfindung aufsteigenden“358 Weg. Allerdings mag die eigentliche „Werk-Arbeit“ der Geistmaurerei in der Johannismaurerei in diesem Stufenbau eine gewisse Form der „Selbsterlösung“ oder „Selbstbefreiung“ markieren.359 Dazu passt auch die Aussage eines freimaurerischen Schriftstellers, der den Unterschied des Rituals zur christlichen Liturgie folgendermaßen charakterisiert: „Das Geschehen einer christlichen Messfeier tritt in mancher Hinsicht auch in Freimaurer-Ritualen in Erscheinung. Hier hat es allerdings eine säkularisierte Funktion. Es will nicht den Menschen verkleinern, indem er sich im Loben und Preisen der überragenden Herrlichkeit seines Gottes steigert (sic), sondern es spürt diejenigen Momente der Liturgie heraus, die geeignet sind, im Menschen die Fähigkeit zur Bewältigung seiner diesseitigen Lebensaufgabe zu steigern.“360 Dieses Zitat bringt wieder jene Frontstellung zum Christentum, wenn nicht gar zur Religion, die ausgeht von einem göttlichen Wesen, zur Sprache, die wir etwa auch in der Projektionstheorie Feuerbachs finden, indem so getan wird, als ob das Gute, das Gott zugeschrieben wird, den Menschen paralysiert. Das entspricht einem sehr verkürzten Gottesbild, das Gott als den Konkurrenten des Menschen postuliert und somit nichts mit dem christlichen Gottesbild zu tun hat. „Der Protest richtet sich gegen einen Gott, der den Menschen erdrückt, erniedrigt und entrechtet, dem Menschen seine Würde und Freiheit, die Entfaltung seiner eigenen Kräfte und Werte missgönnt. Er ist ein Gott, der als der große Gegner des Menschen erscheint, gegen dessen Eingriff in unsere Welt man sich empört.“361 Wenngleich das Zitat Grüns vielleicht für manche nicht ganz repräsentativ für die Anschauungen der Freimaurer sein dürfte, so zeigt es doch eine gewisse Rationalität, weil natürlich in der Zeit Aufklärung die Reaktionsweise auf Gott durchaus oft entweder die Depo358 R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung, S. 94. 359 Vgl. ebd., S. 94. 360 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 63. 361 E. Coreth, Weltverständnis und Gottesfrage, in: Atheismus kritisch betrachtet. Beiträge zum Atheismusproblem der Gegenwart, hrsg. von E. Coreth/J. Lotz, München/Freiburg 1971, S. 254.

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tenzierung Gottes durch die Exilierung außerhalb der Welt im Deismus als auch durch die Zuschreibung einer Lückenbüßerfunktion häufig gegeben war. Mit der Entdeckung des Menschen, der ja im freimaurerischen Ritual angezielt wird, geht in vielen Fällen diese Fronstellung zu Gott Hand in Hand, wenn auch andererseits gerade auch im Ritual der Allmächtiger Baumeister Aller Welten angesprochen wird. Die Vorstellung dahinter: „Gott vorenthält dem Endlichen die Subsistenz, er entlässt es nicht in die Freiheit, sondern frustriert und entmannt, fixiert es in der Herr-Knecht-Dialektik.“362 Diese Kraft der Freimaurerei, die Kraft, die sich durch freimaurerisches Handeln entfaltet, entfaltet sich mit einer gewissen Notwendigkeit. Denn „es ist die Arbeit in der Pflege des Rituals, die es nicht zulässt, dass ein Freimaurer sich gleichzeitig und auf Dauer in ausgeprägten Formen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung einbinden lässt.“363 Hier ist also wieder die Praxis an erster Stelle: „Er (gemeint ist der Freimaurer – Anmerkung des Verfassers) macht sich bewusst, dass moralisches Gewissen nicht in erster Linie auf ‚Gut-Denken‘ beruht, sondern auf Handeln.“364 Damit soll man also nicht über Verbote oder gemeinsame Handlungsmaximen reden, sondern diese werden von jedem Einzelnen in seiner freimaurerischen Arbeit mit Notwendigkeit gefunden, oder, besser, erreicht. Der Weg wird also über das Handeln und die Symbole, die meistens aus dem Handwerk entstammen, gegangen. Damit findet der Freimaurer die Möglichkeit, für sich persönlich – und nur für sich – die Selbstvervollkommnung zu finden. „Nicht Gebote oder Verbote als Instrumente einer Domestizierung findet er dort vor, sondern Werkzeuge der Arbeitswelt, die ihn zunächst nicht bewusst auf moralische Inhalte aufmerksam machen. Freimaurer betrachten das (nichtausbeuterische) Arbeiten, die Praxis, als Ausdruck des Moralischen selbst und nicht als äußerliche Zutat.“365 Damit ergibt sich also, dass die Arbeit im und am Ritual, also alle diese Vorgänge, die letztlich zu moralischen Einsichten und moralischem Handeln führen, jeden Einzelnen ohne Vorgaben in die Richtung zum höheren Menschsein bilden. Gleichzeitig treffen und betreffen aber diese Vorgänge auch andere. Die Basis des Ganzen: Das Vertrauen, dass durch die Eigendynamik der Arbeit alles gut wird, dass eine Automatik erfolgt, die auch – bei aller Freiheit der Interpretationen – jeden Einzelnen erfasst und ihn zu einem integralen Bestandteil der Freimaurerei machen wird. Damit kann man davon ausgehen, dass es keine einheitliche Lehre und keine einheitliche 362 F. Ulrich, Nietzsche und die atheistische Sinngebung des Sinnlosen, in: Atheismus kritisch betrachtet, S. 30. 363 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 93. 364 Ebd., S. 104. 365 Ebd., S. 104.

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II. Das Ritual

Interpretation braucht, weil sich ja ohnehin alles richtig entfalten wird und seinen Gang geht. Hinter dieser automatischen Entfaltung steht dann etwas, das mit der Natur und dem Kosmischen als Abbildung desselben, mit den Gesetzen einer Ordnung zu tun hat. Kann man sich diesen Gesetzen der Natur und des Kosmos, die auf diese Art auch im Ritual wirken, dem Ritual, wenn man die Fähigkeit des Hinhörens hat, irgendwie entziehen? b) Im katholischen Glauben aa) Im Anfang war das Wort Wenn auch in Bezug auf das Handeln nach Goethes Interpretation in Faust I der Johannesprolog nicht ganz ausreichend freimaurerisches Leben zu beschreiben vermag, so hat der Prolog doch seinen festen Platz in der Loge. Immerhin ist in vielen Johannislogen366 die Bibel an dieser Stelle aufgeschlagen. Und nicht umsonst feiert man in der Freimaurerei den Johannestag auch im Gedenken an Johannes den Täufer, den Schutzpatron der Maurerei, am Johannestag. „Er fällt zusammen mit dem Tag der Sommersonnenwende nicht zufällig. Es ist der Tag, an dem am meisten Licht in der Welt scheint. . . . Die Kirche, da sie diese kosmischen Tage nicht abschaffen konnte, hat sie nun zum Tag zweier ihrer Heiligen erklärt, Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten. Sie beide zeugten vom Licht, vom Licht im freimaurerischen Sinne. Zu Recht sind sie Schutzpatrone der Freimaurerei.“367 Damit wird die Bedeutung des Johannesprologs vor allem mit dem Bezug auf die Symbolkraft des Lichtes gesehen368, wenn es dort heißt: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“369 Damit erfolgt die Fokussierung auf einen Teilbereich des Johannesprologs, der nicht unbedingt mit der ganzheitlichen Sicht bzw. einer Kontextualität übereinstimmt. In der katholischen Kirche wird der Johannesprolog heute im Gottesdienst zu Weihnachten gelesen, weil er dieses Weltdrama, in dem Gott die entscheidende Rolle spielt, einzigartig zusammenfasst und das tiefste Ge366 Dabei muss erläutert werden, dass Johannes seit uralten Zeiten der Patron der Steinmetzgilden bzw. der ihnen angeschlossenen Bruderschaften ist, vor allem in England und Norddeutschland, während im übrigen Deutschland und in Österreich das vorher die Quator Coronati, die vier Gekrönten, waren. Siehe dazu E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, Neuaufl., S. 436. 367 W. H., Johannes der Täufer. Eine freimaurerische Predigt zum Johannestag, Freimaurerloge Nr. 79 in Rapperswil, in: www.freimaurer-rapperswil.ch/1851543. htm, eingesehen am 14. März 2008. 368 Siehe ebd. 369 Joh, 1,9.

11. Das Handeln als Basis?

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heimnis des Glaubens anspricht. Diese neue Sicht auf die Schöpfung, diese Verwandlung von allem, erfolgt dadurch, dass sich Gott ganz auf diese Welt und den Menschen einlässt, dass die Inkarnation stattfindet. Es wird im Johannesprolog einerseits also die Erschaffung der Welt, als die Schöpfung, thematisiert, gleichzeitig aber auch als deren Vollendung. Wichtig dabei ist, dass von Gott die Initiative ausgeht, dass alles von Gott her zu denken ist, denn Schöpfung und Erlösung gehören zusammen und „vor aller Zeit, immer schon hat der Logos (wie es auf Griechisch heißt: das Wort) Anteil am Gottsein des Vaters.“370 In Joh 1,4 kommt schließlich der Mensch ins Spiel, der aber die tröstliche Gewissheit hat, dass das Gute, das Licht, stärker ist als alles andere sonst. „Da Gott die Welt durch sein Wort, den Logos, geschaffen hat und ‚in‘ ihm alles Leben ist, ist bereits die Erschaffung der Welt, die Verheißung der Vollendung. Die Vollendung besteht in der Anteilgabe aller Geschöpfe an der Liebe zwischen Gott, dem Vater, und dem göttlichen Logos.“371 So ist der Logos eigentlich der Angelpunkt der Schöpfung, um den sich alles andere dreht. Er ist derjenige, der alle Probleme und alles das, was der Mensch an Schuld auf sich lädt, trägt und auffängt, indem er das endgültige Heil dem Menschen zusagt. Gerade weil der Logos Fleisch angenommen hat und weil gerade dieses Fleisch-Annehmen ganz wesentlich ist für das Heil, ergibt sich, dass wir hier einer Uminterpretation gnostischer Folien gegenüberstehen, wenn auch diese Denkweisen teilweise weiterbestehen und auch im Christentum durchaus ihre Wirkmächtigkeit in einer gewissen Leibfeindlichkeit haben mögen. Hier aber hat gerade das Fleisch seine Heilsfunktion, die Tatsache der Inkarnation ist ja gerade die Erlösung als vollkommene Solidarisierung Gottes mit dem Menschen. Natürlich wird in Joh 1,6 schon der Täufer eingeführt, „weil dieser in der Geschichte Israels der Zeuge des Logos vor dem Kommen Jesu Christi ist, der die Summe der gesamten Offenbarung Gottes vor der Fleischwerdung Jesu Christi zieht.“372 Die selbstständige Rolle des Täufers und viele Züge desselben treten aber hinter diese Zeugenschaft zurück: „Die . . . Bestreitung der Identifikation des Täufers mit ‚Elia‘ und die Streichung aller Züge des Bußpropheten, des Umkehrrufs und der Taufe ‚zur Vergebung der Sünden‘ dient im Ganzen dem Ziel, den Täufer ausschließlich als ‚Stimme‘ des Zeugen zu stilisieren, der für Jesu Würde als ‚das Licht‘ (Joh 1,8), den Präexistenten (Joh 1,15.30), das Lamm Gottes (1,29) und den ‚wahren Bräutigam‘ (Joh 3,29) Zeugnis ablegt.“373 Damit ist zwar 370 T. Söding, Im Anfang war das Wort, Der Johannesprolog (Joh 1,1–18), in: www.kirchensite.de/index.php?myELEMENT=108497, eingesehen am 17. März 2008. 371 Ebd. 372 Ebd. 373 J. Frey, Das Vierte Evangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition. Zum Problem: Johannes und die Synoptiker, in: Johannesevangelium –

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II. Das Ritual

klar, dass die Lichtsymbolik eine wesentliche Rolle dafür spielt, dass die Hochschätzung der Freimaurer dieses Textes erfolgt, andererseits treten die individuellen Züge des Täufers zugunsten der Person Jesu gerade in diesem Prolog sehr zurück. Damit stellt sich die Frage nach der freimaurerischen Bedeutung des Evangeliums gerade angesichts der so vollständigen Indienstnahme des Johannesbildes für Jesus. Oder ist das etwa gar noch ein Relikt aus der Glaubenstradition der englischen Dombauhütten? Ein weiterer Schwerpunkt, der für die Freimaurerei von Bedeutung ist und der m. E. in dieser Beziehung nicht hoch genug einzuschätzen ist, ist die Tatsache, dass ja die eben schon erwähnte Folie gnostischer Symbolik hier vorkommt, auch wenn sie krass umgedeutet wird. Denn Fleisch steht hier für das volle Menschsein, es umfasst auch die Hässlichkeit, die Hinfälligkeit und den Tod des Menschen. „Das ‚Fleisch‘ ist nicht die äußere Hülle des Gottessohnes, sie ist Teil seiner Identität. Fleisch zu sein, verbindet den Sohn Gottes mit allen Adamskindern. Die Menschwerdung ist ein definitives Ereignis. Ein für allemal ist der Gottessohn Mensch geworden, ohne dass er dadurch seine Gottessohnschaft aufgegeben hätte; ein für allemal ist Gottes Gottheit durch die Menschwerdung seines Sohnes bestimmt.“374 Der Johannesprolog zeichnet also vor, was es bedeutet, dass diese Welt von Gott ausgeht, dass er ein Gott ist, der dem Menschen nachgeht und treu zu seinem Wort steht. Er ist der Bleibende, einer der in seiner Liebe als Gegenüber des Menschen bis zum Äußersten geht, indem er den Menschen in der ganzen Fülle annimmt. Diese Fülle bedeutet aber nicht nur Schöpfung, bedeutet nicht nur „ein Schlucken“ aller Sünden des Menschen, sondern die Dimension der Gerichtetheit auf den Menschen durch die Inkarnation, die letztlich auch Auswirkungen auf diesen Gott hat. Es ist die Potenz der Liebe Gottes, der hier nachgespürt wird und die nie hinreichend erfasst werden kann. bb) Wer handelt? Der Johannesprolog zeigt beispielhaft auf, wer hier handelt: Es handelt Gott, aber er handelt nicht für sich alleine, im Zentrum steht immer auch der Mensch. Deshalb, weil er alles umgreift, die Schöpfung, die er gut gemacht hat, den Menschen, den er als Du sieht, können beide, Mensch und Gott nicht reduziert werden auf die Dimension der Selbstbespiegelung und des Für-sich-Seins. Gerade weil das innerste Wesen Gottes dieses Zugehen auf den Menschen ist, weil dieses Zugehen auf den Menschen nicht in beMitte oder Rand des Kanons. Neue Standortbestimmungen, hrsg. von T. Söding (Questiones disputatae, Bd. 203), Freiburg 2003, S. 98. 374 T. Söding, Im Anfang war das Wort.

11. Das Handeln als Basis?

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leidigtes „Für-sich-Reservieren“ und ein „Sich-Zurückziehen“ ist, sobald dieser Mensch Fehler macht, sondern ein treues Stehen zur Liebe, wird alles verwandelt. Gott wird wahrer Mensch, das bedeutet ein vollkommenes Einlassen auf den Menschen selbst. Das bedeutet, dass Gott derjenige ist, der zuerst handelt, der, dessen Liebe immer da ist und der diese Liebe immer wieder von neuem anbietet. Aber gleichzeitig wird der Mensch nicht besetzt. Er wird schon im AT als Mitschöpfer gesehen, dem alles auf Erden anvertraut ist, um diese Erde zu gestalten und zu bebauen. Er ist damit Partner Gottes. Ein Partner, der nicht ferngesteuert oder manipuliert wird, sondern dessen freies Handeln ermöglicht wird durch die Liebe. Liebe ist also hier die Folie allen Handelns. Nicht den anderen bevormunden. So muss sich der Mensch nicht selber bespiegeln oder nur auf sich konzentrieren. Denn „Jesus verlangt von seiner Kirche (und analog dazu natürlich auch von jedem Menschen – Anmerkung des Verfassers), dass sie eine eschatologische Existenz führe, dass sie ein offenes System bleibe, dass sie sich selbst permanenter Kritik aus Kraft und Wesen ihres eigenen Lebensprinzips unterziehe, dass sie zur Umkehr je-jetzt bereit sei . . .“375 Damit wird klar, dass die Dimension des den Menschen und das Menschliche Übersteigenden, die Dimension der Transzendenz ein Korrektiv darstellt zur Vergottung des Menschen als Mensch bzw. zum Rückzug des Menschen auf sich selber, was letztlich nur ein eindimensionaler Vorgang ist. Das bedeutet nun nicht, dass jede Orientierung am Menschen und jede Begründung im Menschen von Vornherein schon defizient sein muss. Allerdings bedingt eine Ausschließlichkeit dieser Orientierung am Menschen doch auch gewisse Gefahren. Die christliche Botschaft geht davon aus, „dass die Horizontalität von Zukunft und Freiheit begründet ist und ermöglicht wird durch die ihr vorausliegende (gegenstrebige) Vertikalität, die zugleich – nicht in abstrakter Entgegensetzung, sondern in konkreter Vermittlung – das immanente Richtmaß und Korrekturprinzip der ‚horizontalen‘ Verwirklichungsdimensionen und Realisationsfaktoren abgibt.“376 Diese vertikale Dimension geht aus von der Liebe Gottes, die stärkt und unsere Liebe selbst entzündet. Die Liebe „kommt nie zu Ende mit jemandem. Sie transzendiert jede mögliche Erfüllung, sie will immer mehr. Eben dieses Nie-zuEnde-kommen nennt die Sprache der Tradition: Transzendenz.“377 Nicht umsonst ist das Bild für die Vollendung in der Nachfolge Christi für Jesus Christus das Festmahl, das Hochzeitsmahl mit Freunden. Jesu Hingabe führt 375 W. Kern, Disput um Jesus und um Kirche. Aspekte – Reflexionen, Innsbruck 1980, S. 181. 376 W. Kern, Alter Glaube in neuer Freiheit, Innsbruck 1976, S. 123. 377 D. Sölle, Nachfolge, in: Christliche Verantwortung. Eine ökumenische Bestandsaufnahme zeitgemäßer Ethik, hrsg. von V. Hochgrebe, Würzburg 1968, S. 366.

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II. Das Ritual

bis zum Kreuz und darüber hinaus. Liebe in der Nachfolge Christi bedeutet damit: „Du musst das Risiko der Situation selbst übernehmen, so wie Christus es übernommen hat, du musst Gott für die anderen wagen, so wie Christus Gott für die anderen gewagt hat.“378 Das bedeutet aber in dem Rahmen, den uns schon der Johannesprolog vor Augen stellt: Die Initiative für alles geht von Gott aus, aber er sieht den Menschen als Mit-Handelnden, als einen, der befreit ist zu seiner eigenen Initiative. Er ist aber auch befreit zu Antworten, die über rein innerweltliche, den Menschen oder eine Idee verabsolutierende Dimensionen hinausgehen und die die Möglichkeit mit einschließen, die transzendierende Dimension der Hingabe Gottes, der als geschichtliches Ereignis in die Welt kommt, ins Kalkül zu ziehen. Damit ist der Fokus verschoben auf alle Menschen und nicht nur auf einen selber, auf die gesamte Schöpfung und letztlich auf Gott, der mit den Menschen durch die Zeiten geht und der immer war und immer sein wird. cc) Die normative Kraft des Handelns Auf liebendem Vertrauen basiert letztlich die gesamte christliche Religion. Aber dieses Gut-Werden bleibt nicht nur in der endlichen Dimension und beschränkt sich auch nicht nur auf innerweltliche Lebensbewältigung, weil das Christentum ja keinesfalls auf die nachtodliche und außerweltliche Dimension reduziert werden darf. Im Sakrament kommen diese beiden Dimensionen – Horizontale und Vertikale – immer nur gemeinsam zum Tragen und damit ist das eine immer auch Korrektiv des anderen. Das Sakrament ist genau in diesem Schnittpunkt des Kreuzes Jesu Christi, das sowohl ins Hier und Jetzt als auch in die göttliche Dimension reicht, aufgestellt und ist genau das, was die Ortung jeder Sakramentalität ausmacht. Wenn wir auch darauf verlassen können, dass wir letztlich im Heil Gottes geborgen sind, dann unterliegt das, was wir vom Sakrament erwarten können oder im Sakrament tun, nicht der Beliebigkeit. Nicht wir als Menschen werden durch das sakramentale Handeln gemacht, indem wir irgendeinem Zauber oder einer psychologischen Notwendigkeit unterliegen, noch machen wir das Sakrament aus uns selber. Nur weil Gott handelt und weil wir in diesem Handeln Gott begegnen, kann ein Sakrament entstehen. Das bedeutet dann aber auch, dass für uns die Mitte des Sakramentes, des Rituals, unverfügbar ist und dass es für uns eine vorsichtige und demütige Annäherung braucht. Das Heilige ist damit eben für uns Menschen nicht mach- oder konstruierbar. Es benötigt Respekt und das Bewusstsein der Stiftung durch Gott selber. 378

Ebd., S. 361.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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Ein Begegnungsraum – wie es das Sakrament ist – kann nicht nur einseitig von dem einen Partner, dem Menschen, verändert werden. Ein Raum der Begegnung muss immer offen sein, trotzdem aber dem entsprechen, was die einander Begegnenden für diese Begegnung brauchen. Darum muss man als Mensch diesen Grundbestand achten, der für uns Menschen unverfügbar ist, und darum muss auch dieser Grundbestand außer Zweifel stehen. So ist die Entwicklung des Dogmas, die begriffliche Fassung vieler Voraussetzungen, die etwa im Sakrament gemacht werden, zu sehen aus der Ehrfurcht vor dem Partner des Menschen, vor Gott, damit nicht eine Grenzüberschreitung stattfindet und der Mensch in seiner Beziehung zu Gott, die von diesem in Jesus Christus gestiftet wird, abdriftet in die Gott-losigkeit. „Insofern könnte man in einem präzisen Sinn wohl nur das Dogma selbst als die kirchliche Theologie des Neuen Testamentes bezeichnen.“379 Damit wird aber auch die Botschaft klar: Es ist nicht alles machbar, es unterliegt nicht alles der Beliebigkeit und damit heißt das auch, dass das Sakrament kein Ritual ist, das versucht, lediglich auf der psychischen Ebene zu landen, um etwa allein eine moralische Veränderung zu bewirken. Normative Kraft des Handelns heißt also: Gott handelt am Menschen, Gott handelt mit dem Menschen gemeinsam, diese Begegnung ist eine gestiftete und ermöglicht dem Menschen, dass er hautnah erfährt, was Solidarität und Liebe Gottes bedeuten, jetzt und täglich in der Welt. 12. Die Freimaurerei als Religion? In der Diskussion, ob die Freimaurerei eine Religion ist, begegnen wir immer wieder, vor allem von Seiten der Freimaurerei selber, dem Argument, dass die Freimaurerei zwar religiös sei, aber keine Religion. Dabei wird ausgegangen von einem Religionsbegriff, der eigentlich nur auf den Konfessionalismus abzielt. Gerade dieser Konfessionalismus sollte ja durch die freimaurerische Toleranz zu Anfang des 18. Jahrhunderts überwunden werden durch eine Religion, wie es die Alten Pflichten formulieren, in der alle Menschen übereinstimmen. Seitdem hat sich die Freimaurerei auch in die Richtung nichtchristlicher Religionen geöffnet. Und man betont nun vonseiten der Freimaurerei, dass der Begriff Religion eine ganz bestimmte institutionelle Verfasstheit oder gewisse Bedingungen wie die Orientierung an einem überweltlichen Heil braucht. Dem gegenüber steht aber die Tatsache, dass sehr wohl auch in der Freimaurerei Bezug genommen wird auf eine nicht menschlich erzeugte bzw. erzeugbare Realität, wenn wir besonders an das Ritual denken, das diese Funktion der Umwandlung des Men379 J. Ratzinger, Wort Gottes, Schrift – Tradition – Amt, hrsg. von P. Hünermann/T. Söding, Freiburg/Basel/Wien 2005, S. 57.

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II. Das Ritual

schen und der umfassenden Lebensorientierung desselben durchaus haben dürfte. Das Ritual schafft auch dieses Identitätsstiftende und diese Einheit, die dann auch keine anderen Normen braucht, um gemeinsame Identität zu schaffen. Somit ist die Freimaurerei von einem funktionalistischen, weniger engen Religionsbegriff her sehr wohl eine Religion, vornehmlich wenn man die umfassende Funktion des Rituals zur Lebensorientierung ernst nimmt. Wenn wir etwa von der Definition von Luckmann ausgehen, können wir durchaus die engen Bestimmungskategorien für Religion vergessen. Er sieht sie nämlich als „das, was den Menschen zum Menschen werden lässt“ und als „Einübung und Einzwängung in ein das Einzeldasein transzendierendes Sinngefüge.“380 Und dieses transzendierende Sinngefüge, das man im Ritual erlebt, ist in der Freimaurerei wesentlich. a) Religion oder religiös sein? Die Frage, ob es sich bei der Freimaurerei um einen Religion handelt, ist sehr schwierig und wird in den allermeisten Fällen von den Freimaurern selber mit nein beantwortet. Dazu kommt noch, dass es ja ohnehin keine authentische Interpretation für alle Freimaurer gibt, was zur Folge hat, dass in diesem Bereich die unterschiedlichsten Ansichten vorherrschen. Das ergibt sich nicht nur aufgrund der Interpretationsspielräume der einzelnen freimaurerischen Autoren, sondern auch aufgrund der unterschiedlichen Lehrsysteme und deren Ansprüche in Bezug auf Religion bzw. Religiosität. Trotzdem lassen sich verschiedene markante Tendenzen und Linien herausfiltern. Im Allgemeinen erfolgt die folgende oder eine ähnliche Abgrenzung der Freimaurerei vom Begriff Religion. So heißt es: „Es fehlen ihr (der Freimaurerei – Anmerkung des Verfassers) sämtliche dafür notwendigen Merkmale: Der Freimaurerbund will das Hier und Heute bewältigen helfen. Er tastet die unterschiedlichen Gottes- und Jenseitsvorstellungen seiner einzelnen Brüder nicht an. Der Bund hat weder ein heiliges Buch noch einen Heilsweg. Er kennt keine Dogmen. Jenseitiger Lohn oder Bestrafung sind nicht seine Sache. Sakramente, Gnade oder Erlösung spendet er nicht.“381 Das Internationale Freimaurerlexikon zitiert in diesem Zusammenhang Goethe, der meinte: „Unser Bund soll das Innere ohne Beziehung auf eine bestimmte Religion religiös verwirklichen.“382 Eines scheint klar, und das un380 T. Luckmann, Religion in der modernen Gesellschaft, Freiburg i. B. 1963, S. 176. 381 www.3wk.org/antworten/religion.htm, eingesehen am 15. Jänner 2008. 382 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, Neuaufl., S. 702.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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terstreicht auch das Freimaurerlexikon: Das bindende und auch begründende, erste Element ist nicht so sehr die Religion, sondern vielmehr die Sittlichkeit. Denn „auch dort, wo die Freimaurerei streng gottesgläubig ist, führt die Sittlichkeit zur Religion und nicht umgekehrt.“383 Trotz der Tatsache, dass immer wieder von freimaurerischer Seite betont wird, dass es etwa weder einen Gott noch einen Teufel der Freimaurer gäbe, dass die Freimaurerei nie für sich beansprucht habe, eine Religion zu sein, und dass die Freimaurerei eine menschliche Erfindung sei, wird doch festgestellt: „Religiös ist die Freimaurerei allerdings schon. . . . Es bleibt aber jedem Einzelnen überlassen, was er glaubt und wie er seinen Glauben lebt.“384 Die Frage die sich im Anschluss an diese Erklärung allerdings stellt: Wie kann der Sprung von einer Zuschreibung, die die Freimaurerei als Ganze betrifft, zu einer Eigenschaft, die jeden Einzelnen betrifft und auch unterschiedlich ausgefaltet wird, überhaupt funktionieren? Bisweilen wird auch der Versuch unternommen, die Freimaurerei als Lebensstil zu anzusehen, um damit zu zeigen, dass sie für alle Religionen offen ist, denn „sie hat kein klar umschriebenes Dogma, nur bestimmte Lebensregeln, die in verschiedenen Lehrmeinungen zusammengefasst werden können.“385 Also befinden wir uns auf einer Linie mit der bisherigen Interpretation: Der Unterschied zur Religion wird von manchen Autoren daran festgemacht, dass die Freimaurerei ethisch-praktisch agiere, also in Richtung einer praktischen Ethik, während die Religion eher auf der Linie des Theoretischen, der Orthodoxie verharre.386 In dieselbe Kerbe schlägt auch ein Ausschuss der englischen Großloge, der dazu am 12. September 1962 feststellt, dass es sich um ein Verhalten handle, das von der Freimaurerei angezielt wird, das von allen Glaubensrichtungen gebilligt werden müsse und dass die freimaurerische Lehrweise die Religion ergänzen würde. Und es wird dargelegt, dass die Freimaurerei ja eine Stütze der Religion darstelle, da ja von jedem erwartet würde, irgendeinen religiösen Glauben zu haben. Damit wird die Funktion des religiösen Glaubens, der dem Menschen Orientierung verleiht, ja sein ganzes Leben umfasst, doch scheinbar eher verniedlicht. Dies gerade angesichts der Tatsache, dass ja der allmächtige 383 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon. Neuaufl., S. 701. 384 C. Hodapp, Freimaurer für Dummies, Weinheim1 2006, S. 86. Vorher führt Hodapp u. a. auch die im Vorigen angesprochenen Kriterien an. Dabei wird auch angemerkt, dass es keinen freimaurerischen Heilsplan gebe und dass die Freimaurerei weder ein Kult noch okkult sei. 385 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte. Ein Versuch zur Einsicht und Würdigung, S. 150. 386 Vgl. dazu M. Dierickx. Dieser zitiert im o. a. Werk auf S. 150 dazu G. Schenkel, Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte, Gotha 1926.

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II. Das Ritual

Baumeister aller Welten sehr gerne von freimaurerischen Autoren dazu benützt wird, um das ethische System der Selbsterziehung im Ritual zu überhöhen und dieser Selbsterziehung eine gewisse Feierlichkeit zu geben. Und wenn vom freimaurerischen Ritual gesprochen wird, redet man zwar kaum von Religion; aber gerade deshalb muss die Frage gestellt werden, wieso dieses verhüllende Sprechen, oder besser Schweigen, was die Religion anlangt, besteht. Vor allem angesichts des folgenden Zitates wird klar, wie groß die Bandbreite dessen ist, was unter dem Ritual und dessen Wirkungen verstanden werden kann: „Das freimaurerische Brauchtum“, so schrieb unlängst van Eck, „ist ein Prozess stufenweiser Erkenntnis unserer Berufung als Mensch und als geistiges Wesen und unseres Verhaltens zu unseren Mitmenschen und zum Obersten Baumeister des Weltalls. Unser Brauchtum drückt die religiösen Gefühle und geistigen Werte aus, die nicht mit dem Verstand zu erfassen sind und daher nur unvollkommen in Worte gefasst werden können.“387 Ein anderes Zitat zeigt eine weitere Facette in dieser Diskussion auf: „Freimaurerei ist eine Lebenshaltung auf religiöser Basis, sofern man Re-ligio als das versteht, was sie sein soll: die Rück-bindung an das Absolute, das der Freimaurer zu begreifen sucht unter dem ‚Allmächtigen Baumeister aller Welten‘. Immer eröffnet sich dem wahrhaft Suchenden in den Logen die Mystik der Vernunft, der Tugend, des Mitgefühls, der menschlichen Brüderlichkeit, wie sie . . . Jean Jacques Rousseau entwickelt hat, frei von jeder Zwangsjacke, allen Möglichkeiten des Denkens und Erschaffens offen, die Gott dem Menschen gewähren mag. Trotz allen Angriffen steht die Freimaurerei unerschüttert da, weil sie die einzige Ideologie ist, in der sich Wissen und Glauben in eins setzen.“388 Interessant ist dieses Selbstbewusstsein, dass hier Glaube und Wissen eins sind. Also hat nach dieser Aussage die Freimaurerei die Wahrheit, die eine weltliche und gleichzeitig religiöse ist. Religion und Ritual sind damit irgendwie deckungsgleich. Dazu passt sicher auch die Tatsache, dass in den meisten Fällen das Religiöse, das man vielleicht im Ritual orten könnte, aufgelöst wird und stattdessen die Begriffe Mysterium und Mysterienbund verwendet werden. Natürlich folgt dann meist der Zusatz, dass man ja ohnehin sich selber von den alten Mysterien(religionen) unterscheiden würde. Eine Engführung im Kontext der Frage, ob die Freimaurerei eine Religion sei, erfolgt, indem zwischen der sog. objektiven und der subjektiven 387 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte. Ein Versuch zur Einsicht und Würdigung, S. 151 f. 388 Zitiert aus G. Kuess/B. Scheichelbauer, 200 Jahre Freimaurerei in Österreich, Wien 1960. Zitiert ohne Seitenangabe sowie ohne Jahres- und Ortsangabe in: R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung. Masonische Gnosis im Kampf gegen Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben, in: Freimaurerei und Kirche sind unvereinbar, S. 109.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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Seite unterschieden wird. Konsequenterweise wird dann alles das, was soziologisch als Elemente der Religion gelten mag oder was als kognitive Bausteine der Religion angesehen werden kann, in die objektive Ecke gestellt, während alles andere, das subjektive Erleben und die subjektive Ausformung von religiösem Glauben dem anderen Bereich zugeordnet werden. Also einerseits hier die Lehre, auf der anderen Seite die praktische Vervollkommnung des Menschen. „Die Freimaurerei dagegen kümmert sich nur um das subjektive Erlebnis, um das persönliche Streben des Einzelnen nach einem vollkommeneren, erfüllteren, würdigeren Leben und überlässt die dogmatische Begründung den Kirchen und Religionen.“389 Damit wird aber von vornherein ein Begriff von Religion angenommen, der sehr kurz greift und nicht dem entsprechen dürfte, was Religion letztlich ist oder umfasst. Diese Betonung der subjektiven Seite des (religiösen?) Erlebens wird noch verschärft, indem gesagt wird: „Der Freimaurer muss zuerst und vor allem in sein Herz und in sich blicken, alle sein Gebrechen und Unzulänglichkeiten kennenlernen. Dann kann er mit Erfolg den anderen wesentlichen Ausspruch bei den Aufnahmefeierlichkeiten: ‚Auf dich kommt es an‘, begreifen lernen, um ihn zu verwirklichen und nach ihm zu leben.“390 In diesem Begründungssystem wird nun ein Gegensatz zwischen Gottesdienst und Menschendienst in den Religionen – aber nicht in der Freimaurerei – irgendwie konstruiert. Gott sei an erster Stelle und ich begegne eben noch, weil das der Gottesdienst in der Gemeinde so mit sich bringt, dem Mitmenschen. „Wenn ich jedoch in die Loge gehe, dann geschieht das, weil ich an meine Mitmenschen glaube. Durch die Zusammenarbeit mit meinen Brüdern in der Loge, durch die Zuneigung, die sie mir entgegenbringen, und durch die Unzulänglichkeiten, die sie besitzen, erkenne ich ein Stück von mir selbst, und es wird mir bewusst, dass ich einem Teil des großen Mysteriums gegenüberstehe.“391 Das heißt, damit ist das eigentliche Mysterium der Bruder; die eigentliche Offenbarung ist die Tatsache, dass man den Bruder, dass man die Nächstenliebe entdeckt. Die Religion – so wie sie hier dargestellt wird, ist also irgendwie ein Umweg, denn letztendlich landet man ja ohnehin beim Bruder, in der Religion scheint dies nach freimaurerischer Anschauung eine „Begleiterscheinung“ zu sein, in der Freimaurerei erscheint das Ritual ja auf diese Weise wesentlich zielgerichteter. Der Weg der Freimaurerei führt also gewissermaßen in die umgekehrte Richtung: „Sie spornt den Menschen zum Höchsten an, wozu er berufen ist, zur 389 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte. Ein Versuch zur Einsicht und Würdigung, S. 153. 390 Ebd. 391 Ebd., S. 155. Dierickx zitiert dabei nach eigenen Angaben H. J. Zeelvalking, der das in „Maconniek Sextet“ schreibt.

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II. Das Ritual

Nächstenliebe, zur Ehrerbietung vor dem Schöpfer des Mikro- und Makrokosmos und nicht zuletzt zum Ringen mit seinem größten Gegner, mit sich selbst.“392 Der Weg der Freimaurerei ist also zuerst in Richtung zu sich selbst und danach – konsequent von der Beziehung zwischen Mikro- und Makrokosmos ausgehend, zum Schöpfer. Damit – wenn man diese Argumentation ernst nimmt – ist das Ritual eigentlich eine Vorstufe bzw. eine Ermöglichung von Religion. Diese Religion oder diese Art von Religiosität ist aber gewissermaßen von unten und individuell konstruiert. „Der Stufenbau im Entwicklungsprozess der vom Menschen zu bewegenden ‚Selbsterlösung‘, ‚Selbstbefreiung‘ markiert die eigentliche ‚Werk-Arbeit‘ der Geistesmaurerei in den so genannten ‚blauen Niedergraden‘, nämlich der Johannismaurerei . . . Die Dreistufigkeit will aus dem profanen, in Dunkelheiten verhafteten Menschen einen lichtvollen, erkenntnisreichen, zu höchster Lichtfindung aufsteigenden machen.“393 Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die Tatsache, über die Religion zu schweigen, um damit alle möglichen Männer der verschiedensten Glaubensrichtungen nicht vor den Kopf zu stoßen und auszugrenzen, ein wichtiger Aspekt der Freimaurerei ist. Abgesehen von diesem Aspekt der Toleranz und dieser Integrationsmaßnahme könnte man aber auch meinen, dass die Freimaurerei deshalb zum Thema Religion schweigt, weil die Religion angesichts der Größe der eigentlichen, freimaurerischen Aufgabe eine zweitrangige Sache sein könnte. Zu dieser Zweitrangigkeit von Religion passt auch, wenn folgendermaßen formuliert wird: „Friedrich II. von Preußen hat freimaurerisch gesprochen, wenn er sagte, dass jeder auf seine Fasson selig werden soll. ‚Selig werden‘, das heißt, den inneren Frieden in der Weltanschauung finden. Auf den inneren Frieden kommt es an, nicht auf das Gebäude der Weltanschauung.“394 Ein weiterer Schluss, der gezogen wird: „Die Freimaurerei erhebt sich über die Religionen, erklärt sich zum Richter über die Religionen und erklärt alle als gleichwertig. Keiner kommt absolute Wahrheit zu, ihr relativer Wert soll anhand der praktischen Früchte für die Welt und den Menschen gemessen werden. (Ringparabel) Aus der Sicht der Freimaurerei hat das Christentum nur eine bedingte, relative Bedeutung. Die Freimaurerei stellt sich darüber.“395 Es wird also hier auch der Aspekt betont, die Freimaurerei 392 Noch einmal ein Zitat von Zeevalking, ebenfalls im vorher angeführten Werk von Dierickx zu finden. 393 R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung. Masonische Gnosis im Kampf gegen Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben, in: Freimaurerei und Kirche sind unvereinbar, S. 94. 394 F. C. Endres, Das Geheimnis des Freimaurers, S. 42. 395 M. Hohl-Wirz, Freimaurerei – Wurzeln, Ziele, Hintergründe, Lage3 2003, S. 91.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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als Über-Religion zu sehen, in der sich alle anderen Religionen integrieren können oder die besser bzw. wahrhafter ist als alle anderen Religionen. Das wird von manchen Freimaurern auch so gesehen. So hat etwa der Freimaurer Ernst Horneffer auf einem internationalen Kongress in Paris dazu gesagt: „Die dogmatischen Religionen sind zusammengebrochen. Ihre Schwäche war das Dogma. Die Freimaurerei als die beste Universalreligion muss die bisherigen Konfessionen ersetzen.“396 Der Freimaurer Rolf Appel fragt ganz pointiert: „Ist eine durch Achtung und Toleranz gebotene Verbrüderung und Übereinstimmung der nach Religionen getrennten, aber in Ehrfurcht vor dem großen Baumeister zusammengeführten Männer nicht Religion?“397 Im Sinne des vorher schon Angedeuteten könnte man also auch das Schweigen über die Religion so interpretieren, dass das, was den Menschen in seinem Innersten ausmacht, was ihn rührt, ohnehin nicht von der Religion kommt, sondern von der Freimaurerei und dass deshalb die Freimaurerei selber diesen Platz einer alle Menschen verbindenden Religion einnimmt. „Ist dann die Freimaurerei doch eine Religion? Ich wage das nicht zu bejahen, denn die meisten Logen müssen sich rituell in diese Rolle erst hineinfinden, aber ich kann die Frage auch nicht rundweg verneinen. Vielleicht befindet sich die Freimaurerei in einer Entwicklung? Ich halte das Entstehen eines neuen Gottesbildes für folgerichtig und nötig. Die Freimaurerei bietet es an.“398 Welcher Art dieses Geheimnis einer solchen religiös-freimaurerischen Sichtweise sein könnte, erschließt sich uns, wenn wir Folgendes in seiner Tragweite abwägen: „Die Symbole und Traditionen der Freimaurerei bewahren das große ‚Geheimnis‘ für die, welche es durch Studium und Hingebung erlangen wollen: es ist die Erschließung des Verständnisses in der Seele des Menschen zwischen jenem höheren ‚Selbst‘ in ihm und dem Mehr, dem ‚Über-das-Selbst-hinaus‘, von wo er sein Leben erhält, wo seine Intuition entspringt. Die wahre Einweihung ist: Eins-werden!“399 Damit zusammenhängend auch die Ortung der Freimaurerei im Wesen des Menschen. „‚Der freimaurerische Gedanke aber‘, sagt ein Rituale, ‚ist uralt‘. Er ist nicht gebunden an Zeit und Ort und wurzelt tief in der Seele des Menschen.“400 Damit wird klar: Es gibt eine Einheit mit dem Wesen des Menschen, mit einer höheren Instanz oder Macht, die über das bloß Individuelle hinausweist und an einer Überindividualität Anteil hat. Das ist danach auch 396

R. Appel, Freimaurerei eine Universalreligion?, Bonn 1995, S. 2. Ebd., S. 10. 398 Ebd., S. 15. 399 B. Scheichelbauer, Die Johannis Freimaurerei. Versuch einer Einführung (unveränderter Nachdruck der Ausgabe des Verlages O. Kerry, Wien 1953 – Edition zum rauen Stein), Innsbruck/Wien/München 2000, S. 11. 400 Ebd., S. 85. 397

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II. Das Ritual

der Sinn der Initiation. Damit könnte diese Verbindung mit einer höheren Macht gleichzeitig auch eine Art Wissen – auch implizit – oder ein gewisser emotionaler Zustand bedeuten. Möglicherweise könnte man diesen Anteil an der Überindividualität auch als einen Anteil an der Göttlichkeit sehen, wenngleich es für manche Autoren zu betonen wichtig ist, dass es sich hierbei nicht um Übernatürlichkeit handelt. Die Frage stellt sich, was Natürlichkeit im freimaurerischen Kontext bedeutet. Bedeutet das nur, dass damit keine andere göttliche Person außerhalb der Welt ins Spiel kommt oder kommt der Natürlichkeit und Natur selbst eine Art göttliche Funktion zu, wird gerade diese Natürlichkeit verabsolutiert und vergottet? Dieser Anspruch der Überindividualität wird auch dadurch spürbar, dass der esoterische Kern der Freimaurerei Teilstück einer universalen Überlieferung sein soll, die gleichzeitig die „Seelentümer“ aller Völker speisen würde.401 Aber dem eben zitierten Autor ist die Überindividualität alleine zu wenig, diese Überindividualität selber ist Ausgangspunkt für den Begriff von Religion. „Das esoterische Wesen der Freimaurerei erfassen, heißt, sich den Urbegriffen alles Religiösen nähern, den ‚Urweisen, die allen Religionen gemeinsam sind‘, sofern unter Religion das Bewusstsein der Rückverbundenheit des Menschen in Gott verstanden wird.“402 b) Vom „ewigen Menschen“ Der Bogen dessen, was dieser Art von Religiosität bzw. Religion zugeschrieben wird, spannt sich sehr weit. Diese religiöse Element, das quasi am Anfang der Religion als gemeinsames religiöses Erleben aller Menschen steht, was eine Art gemeinsamer Grundfähigkeit darstellt, ist sehr schwer zu fassen und wird unterschiedlich interpretiert bzw. auch vereinnahmt. Bernhard Scheichelbauer, ehemals Großmeister der GL von Österreich, sieht die große Chance der Freimaurerei – aufbauend auf Leopold Ziegler – darin, dass vom Bild des ewigen Menschen gesprochen wird und damit eine neue Katholizität bzw. Ökumene aller Religionen ermöglicht werden kann. Dabei wird rekurriert auf Mythen des Ostens bzw. auf die Religion des Hinduismus. Im Zuge dieser Überlegungen wird das Selbst und die Weltseele, also Brahman, als Ausgangspunkt genommen. Er stellt das Bild Brahmans dem Leser folgendermaßen vor Augen: „Das Selbst ist reines Bewusstsein. Und dieses Selbst, das reine Bewusstsein, ist Brahman. Es ist Gott und es ist die Gesamtheit der Götter. Es ist die fünf Elemente – Erde, Luft, Feuer, Wasser, Äther. . . . Die Wirklichkeit, verborgen hinter allen Ge401 402

Vgl. ebd., S. 85. Ebd., S. 85.

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schöpfen, ist Brahman, und Brahman ist das reine Bewusstsein.“403 Scheichelbauer geht also aus von diesem Selbst, das das Zentrum für die Erkenntnis dieser Identität der eigenen Seele mit Gott ist und ihn, den Menschen, damit unsterblich macht. Das ist dann, so Scheichelbauer, der „ewige Mensch“, was dann auch wahres Wissen und die Verwirklichung eines neuen Seinszustandes bedeutet, nämlich die Identität des Individuellen mit dem Brahman. Und so diagnostiziert hier Scheichelbauer, und diese Diagnose ist weit entfernt von einer bloßen Referenz auf Positionen des Hinduismus, sondern soll in diesem Zusammenhang die Freimaurerei beleuchten, wenn er meint: Die Verschiedenheit zwischen Gott und der Seele ist nur Schein.404 Ein weiterer Punkt, der uns schon in Bezug auf die Behandlung der Natur bzw. der Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos begegnet ist, wird angesprochen, indem damit auf Mani und Zarathustra verwiesen wird: Das sei „der Gedanke der durchgängigen Entsprechung einerseits der geistigen Welt immateriell-präexistenter Formen und der irdisch-materiellen Welt, andererseits von Makrokosmos und Mikrokosmos.“405 Dieser Gedanke wird eingebracht, um auf die Verwandtschaft von Urmensch, Prophet und Erlöser hinzuweisen, was wiederum für Scheichelbauer den Ausdruck einer Wesensgemeinschaft darstellt und damit auch das vorher über den „ewigen Menschen“ Gesagte unterstreichen soll. Diese Überlegungen kulminieren in der Identifikation mit den Mysterienreligionen bzw. – um es neutraler zu formulieren – mit den Mysterienkulten, und mit der Alchimie bzw. der Hermetik. Die Mysterienkulte des Altertums werden ja immer und fast durchgängig von den Freimaurern als Grundlage ihrer Ideen angesehen und es wird ja auch fast einhellig von Freimaurerseite behauptet, dass die Freimaurer den einzigen noch existierenden Mysterienbund bilden.406 Dabei wird, was die Bestimmung des Begriffes „Mysterium“ bzw. „Mysterien“ betrifft, etwa von derselben Einschätzung wie bei Beyer ausgegangen, der folgende Merkmale sieht: „1. Geheimhaltung des Brauchtums, 2. Verehrung irgendeiner Gottheit, oder, wenn man das Mysterium auf ein urmenschliches Mysterium zurückführt: des Gottes, 3. Prüfungen und Mutproben für die Neophyten, 4. Vermittlung der Weisheit durch Symbole oder symbolische Handlungen, 5. Wiedergeburt nach innerer Wandlung. Diese Kernstücke aller Mysterien finden sich auch im Freimaurerbund.“407 403

Ebd., S. 88. Vgl. ebd., S. 89. 405 Vgl. ebd., S. 107. 406 Vgl. dazu auch www.loge-arst.de/bibliothek/gottesverehrung.php, eingesehen am 4. Februar 2008. Es handelt sich dabei um die offizielle Homepage der Freimaurerloge „Am rauhen Stein i. O. Hamburg“. 407 Siehe ebd. 404

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II. Das Ritual

Auch hier wird der Gedanke angezogen, dass u. U. bei einem Mysterium das Urmenschliche selbst das Zentrum sein könnte. Damit werden also gewissermaßen zwei Arten von Mysterien gesehen. Damit ist aber auch eine gewisse Verknüpfung mit dem, was Scheichelbauer als Analogie zwischen dem Selbst und dem Göttlichen versteht, gegeben. Es ist diese Einheit, die immer wieder zum Ausdruck gebracht wird: Nicht nur die Einheit mit dem Göttlichen, die sich auch im Selbst widerspiegelt, sondern auch die Einheit des Makro- mit dem Mikrokosmos. Wenn vorher schon von der Alchimie die Rede war, dann zu Recht, denn auch sie vermittelt diese Einheit und gleichzeitig die Wandlung: So erscheint auch „der homo philosophicus doppelsinnig: einerseits bedeutet er das Eine, das nicht stirbt und alles Tote belebt – die Tinktur –, andererseits aber den inneren unsterblichen Menschen, der mit dem Ewigen Menschen identisch ist. Im letzten Grunde wollen die Adepten ein corpus fertile, den feinen Leib, herstellen wie die Chinesen den ‚Diamantenleib‘, d.h. die Unsterblichkeit durch die Wandlung des Körpers erringen.“408 Damit wird die Einheit Mensch-Kosmos markiert, denn die Veredelung der Metalle bis zum Versuch, Gold herzustellen, läuft gleich ab wie die Veredelung des Menschen. Von dieser Weisheit, die den Elementen und letztlich allem gemäß Alchimie innewohnt, wurde ja bereits an anderer Stelle gesprochen. Die Wandlung des Einzelnen ist die treibende Kraft in der Freimaurerei, aber auch in der Alchimie. Der Stein der Weisen der Alchimie sieht nichts anderes als „den zum Gott gewordenen oder den zum Menschen gewordenen Gott. Die Wandlung kann also nur vom Einzelnen ausgehen.“409 Ein weiterer Aspekt dieses Ewigen Menschen wird, ausgehend von den Alten Pflichten, ins Spiel gebracht. Der Gehorsam gegen das Sittengesetz scheint ja das Universale zu sein. Durch den Gehorsam gegen dieses Sittengesetz – eine quasi religiöse Handlung – verwirklicht der Freimaurer den „ewigen Menschen“. Damit wird das Sittengesetz bzw. dessen Absolutheit selbst eine Art Gottheit, etwas Absolutes und Unabdingbares. Wie sieht nun das Verhältnis des „ewigen Menschen“, abgesehen vom Sittengesetz, zu Gott oder zur Göttlichkeit aus? Wie gestaltet sich dieses Verhältnis, wenn das Ganze in Bezug auf den Schöpfergott gesehen wird? „Im Verhältnis zum Schöpfergott stellt der Ewige Mensch dessen Eben- und Gegenbild dar, zugleich dessen anrufbares, ansprechbares Du; im Verhältnis zu Schöpfung und Welt aber steht er für sämtliche Geschöpfe, deren Gestaltenreihe er krönt“.410 Hier wird wohlweislich nicht vom Menschen als Einzelnen gesprochen, als von dem Menschen, von dem auch die Schöpfungserzählung 408 409 410

B. Scheichelbauer, Die Johannis Freimaurerei, S. 120. Ebd., S. 123. Ebd., S. 126.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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in Genesis spricht. Denn sonst wäre es auch nicht notwendig, von einem Gegenbild zu sprechen. Man bräuchte dann auch nicht ein eigenes Wesen „Ewiger Mensch“ zu schaffen, wenn sich dieses nicht von dem Menschen als Gattungsbegriff unterschiede. Denn dieser Ewige Mensch gelangt genau zu dieser Ewigkeit, indem dieses Selbst des Menschen entbunden ist in Richtung Göttlichkeit, womit es dann einen ganz besonderen Prozess der Selbstläuterung und der Arbeit an sich selbst braucht, um diesen Zustand der (Pseudo-)Göttlichkeit zu erreichen. Damit werden wir wieder erinnert an die Rosenkreuzer bzw. an das, was an gnostischen Tendenzen den Freimaurern anhaftet. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Formulierung, dass die Ebenbildlichkeit dem Menschen selbst aufgegebenen sei, „die er sich durch Freimachung des an die Finsternis verlorenen Lichtes stufenweise erringen soll, indem er durch die Schichten des Seins dringt und aufsteigt, bis das ‚Selbst‘ in ihm, das ihm auch als materialisiertem Wesen noch verbliebene Licht, aufstrahlt zur vollen Stärke des göttlichen Urlichtes.“411 Damit ist also das wahre Selbst ein Anteil am Urlicht, damit wird „Ebenbildlichkeit“ eine Aufgabe, die in Richtung geistige Erkenntnis geht. „Die Erreichung der Ebenbildlichkeit – die Vollendung der Selbsterkenntnis, die eins ist mit der reinen Gotteserkenntnis – bringt die Erlösung aus der Finsternis.“412 Diese Ebenbildlichkeit, wie sie im AT verstanden ist, ist also von dieser so interpretierten Form wohl unterschieden. Die biblisch gemeinte Ebenbildlichkeit umfasst das Ganze des Menschen, bedeutet dieses Du, während die Ebenbildlichkeit in diesem Modell nur einen Teil des Menschen bedeutet, einen Teil, der dazu angetan ist, zum Göttlichen aufzusteigen und damit Anteil zu haben am göttlichen Licht. Damit ist es die Aufgabe des Menschen, gewissermaßen selbst göttlich zu werden, und zwar in dem Sich-einlassen auf die Arbeit an sich selbst. Eine Arbeit, die etwa viele Mysterien anzielen, und die den Neophyten „stufenweise zum Absoluten emporführen, aus der Finsternis zum Lichte, aus der Unwissenheit zum Wissen.“413 Diese Emporführung zum Lichte ist eigentlich die Erkenntnis des Menschen seiner selbst, ist damit das Innewerden der göttlichen Kraft im Menschen selbst. Und hier begegnen wir in dieser Selbsterkenntnis eine Art der Selbsterlösung, die schließlich auch zur globaleren Form der Erlösung führt, denn „da die Kräfte des Makrokosmos auch in seinem Mikrokosmos vorhanden sind, soll er (der Mensch – Anmerkung des Verfassers) und die Welt durch die ‚Übung des Lichtweges‘ zur Vollkommenheit erlösen.“414 Damit ist aber auch klar, dass der Stein der Weisen, so wie er in der Alchimie gesehen wird, die Veredlung in diese Richtung, eigentlich wir 411 412 413 414

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S.

127. 127. 127. 129.

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II. Das Ritual

selber sein sollen, denn dieser lapis philosophorum „stellt die Ureinheit in unserer Seele und durch sie die Ureinheit zwischen Gott und Schöpfung her.“415 Diese Konzeption, wie sie Scheichelbauer hier darlegt, entbehrt nicht einer gewissen innere Konsistenz und Logik: Die Erlösung bedeutet Arbeit an sich selbst und damit in der gesamten Gesellschaft, bedeutet letztlich Anteil zu erhalten am Göttlichen, bedeutet aber auch ein Aufsteigen zum Licht und ein Liebäugeln mit den Betrachtungen, die nicht nur die Mysterienkulte anstellen, sondern auch explizit die Häresie des Manichäismus und die Lehre des Zarathustra. Damit werden auch gnostische Elemente, die über die Rosenkreuzer und die Alchimie in die Freimaurerei gekommen sein dürften, verständlich und diese erweisen sich doch auch als nicht unbedeutend für den Kern der freimaurerischen Wirklichkeit. Denn das All-eine sei zugleich Weltgrund, das Absolute, aber auch Seelengrund und das sei auch der Grund für die Unsterblichkeit des Ewigen Menschen.416 Doch Scheichelbauer ist nicht der Einzige, der von einer Konzeption des Menschen ausgeht, die in sich selbst Göttlichkeit findet. Klaus Preiß lokalisiert diese als wesentliches Element in der Freimaurerei, die über die Mystik eines Meisters Eckhart Eingang gefunden haben soll in die Freimaurerei, die sich selbst ja als Abkömmling des mittelalterlichen Bauhüttenwesens versteht. „Kernpunkt der Gedanken Eckharts war die Beziehung von Gott und menschlicher Seele. Ausgangspunkt war seine – im Gegensatz zur thomistischen Scholastik stehende – Erkenntnis des göttlichen Wesens. . . . Die Bewegung Gottes (Schöpfung = intellectus agens) erscheint bei ihm als Ausformung der (unbeweglichen) göttlichen Potenz (intellecuts possibilis), die im Kreislauf in das unbewegliche Wesen zurückkehrt. Gott wurde insofern als zirkeliges Wesen verstanden.“417 Das hat aber weitreichende Konsequenzen, sowohl für das Gottes- als auch für das Menschenverständnis: „Die menschliche Seele – genauer: ein Fünklein am Grund der Seele – gilt nach Eckhart als Spiegelbild Gottes. Die göttlichen Eigenschaften finden sich daher in diesem Teil der Seele wieder. So wie Gott als unbewegliches Wesen reiner Geist = Intellekt = Vernunft = Denken ist, so ist Vernunft als göttlicher Funken der wesentlichste Teil einer unsterblichen Seele.“418 Preiß versucht nachzuweisen, dass dieses Erreichen des göttlichen Funkens genau das ist, was letztlich den Kern der Freimaurerei ausmacht. Gerade in Verbindung mit den sog. Kleinodien Eckharts sieht er diese Ähnlichkeit freimaurerischer Grundvorstellungen bzw. Symbole mit den Anschauungen Eckharts gegeben. Meister Eckhart ist von der Kirche verurteilt worden. Es ist genau diese diffuse Abgrenzung von Göttlichkeit, 415 416 417 418

Ebd., S. 129. Vgl. ebd., S. 130. K. Preiß, Freimaurerei und Ethik, S. 24. Ebd., S. 24 f.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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die Probleme machte und heute auch noch machen kann. Es muss also sehr genau analysiert werden, inwiefern – ob eine tatsächliche Abhängigkeit oder ein Gleichklang der Freimaurerei von oder mit der Mystik des Meister Eckhart besteht oder nicht – die Freimaurerei diese Vergöttlichung des Menschen betreibt. Dieser Verdacht wird auch durch andere Zeugen wie Scheichelbauer und weitere Zeugnisse in der Folge aber nur noch verstärkt. c) Synchronisation mit dem Kosmos Wenn von einem Freimaurer davon gesprochen wird, dass es etwa Buddha insofern ein Vorbild für die Freimaurerei sein kann, weil er „die Trennung zwischen Mensch und Kosmos wiederherstellt durch Wissen“419, dann scheinen die Parallelen von fernöstlichen Religionskonzeptionen ohne dahinterstehende Göttlichkeit zur Freimaurerei evident. Dabei wird eingegangen auf die Religion des Buddhismus, die sich wesentlich unterscheide vom Bisherigen des Eingottglaubens, der bis jetzt in unserer Kultur dominiere. Die Parallelen zwischen Freimaurerei und Buddhismus werden darin gesehen, dass beide den vollkommenen Menschen anstreben würden. Außerdem: „In der Freimaurerei steht das ‚Erkenne dich selbst‘ an oberster Stelle. Im Buddhismus auch; nur der Buddhismus sagt es mit etwas anderen Worten.“420 Diese Beziehung zum Kosmos und dem Wissen wird immer wieder bei freimaurerischen Autoren als konstitutives Merkmal der Freimaurerei angesprochen. Dabei wird auch betont, dass einzelne Rituale, die etwa vom Christentum gepflegt werden, keinesfalls Alleinbesitz einer einzelnen Religion seien. „Freimaurerei gibt den Menschen in ihrer Gesamtheit ihr Verhältnis zur kosmischen wie irdischen Ordnung zurück und bestreitet durch den Vollzug feierlicher Einbindung von individuellem Leben in das Weltgeschehen die Gültigkeit von Monopolen.“421 Damit wird die Freimaurerei das einende Band, das jenseits aller Religionen eine neue Beziehung des Mikrokosmos Mensch zum Makrokosmos Universum zeigt. „Indem wir ein Ereignis ins Zeichen einer kosmischen Konstellation stellen, stellen wir es in den Besitz aller unter der Sonne Lebenden.“422 Zwar wird im selben Atemzug sehr wohl gesagt, dass mit dieser Aussage nicht gemeint ist, dass es einen kosmischen Zusammenhang zwischen der rituellen Handlung und 419 H-G. G., Buddha, der erste Freimaurer? oder Was ein Freimaurer aus dem Buddhismus lernen könnte, in: www.loge-arst.de/bibliothek/buddha.php, eingesehen am 11. Februar 2008. 420 Ebd. 421 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei. Eine interkulturelle Perspektive (Interkulturelle Bibliothek, hrsg. von H. R. Yousefi/K. Fischer u. a., Bd. 124), Nordhausen 2006, S. 18. 422 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 18.

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II. Das Ritual

der Himmelswelt gäbe, dass es also nicht – wie in der Astrologie dargelegt – zwischen Himmels- und Menschenwelt ein kausales Verhältnis gebe. Dabei geht es aber mehr um eine Astrologiekritik, die sich vornehmlich auf das Bestreben des Menschen bezieht, Macht zu bekommen, um in die Zukunft zu blicken. Es geht dabei also nicht darum, die Beziehung zwischen dem Menschen und dem Kosmos zu negieren. Das wird erhärtet durch das Eingehen auf den kosmischen Kreislauf der Natur und es wird eindringlich darauf verwiesen, dass etwa die Johannisfeuer der „Ausdruck einer Art Allgegenwart des Initiationsrituals“ seien. „Der Initiationsritus kennzeichnet einen Beginn, der sich insofern von reiner Willkürhandlung unterscheidet, als er sich synchronisiert mit dem Gang der Welt, auf den das Individuum keinen Einfluss hat. Auf diese Weise reflektiert es die Bedeutung eines Ereignisses, das der Beliebigkeit fernliegt.“423 Damit wird diese Nähe zur Natur und damit zum Kosmos fokussiert, damit wird klargestellt, dass das Individuum sich im Gegenüber mit dem befindet, worauf es keinen Einfluss hat und das der Beliebigkeit fern liegt. Kosmische Zeiten, also Zeiten, die den Gang der Welt anzeigen, sind hier also Zeichen einer gewissen Verbindlichkeit, denen der Mensch gegenübersteht. „Nach masonischem Lehrgut machen schon die Rituale der ersten drei Grade der Freimaurerei die Gesetzmäßigkeiten des Universums bewusst. Sie offenbaren sich im Lauf der Gestirne, in der lebendigen Beziehung zwischen Makro- und Mikrokosmos, in der stetigen Erneuerung der ganzen Natur und wecken beim Einzelnen die Einsicht, dass er selbst Teil des Universums ist und deshalb seinen Lebensweg ‚sub specie aeternitatis‘ gestalten muss.“424 Eine andere freimaurerische Aussage betont das religiöse Moment dieser Beziehung zu Zeit und Makrokosmos: „Die Zeit wird geheiligt durch religiöse Feste, der Raum wird geheiligt durch Orte inbrünstigen Erlebens und der Offenbarung und Wunder. Somit dient Religion der Vergegenwärtigung des Heiligen auf Erden. Ist das nun sehr weit von der Freimaurerei entfernt?“425 Diese o. a. Synchronisation mit dem Kosmos bedeutet nicht nur ein Ausgeliefertsein gegenüber dieser Verbindlichkeit, sondern hat Konsequenzen für das ganze Leben des Freimaurers. Dabei übernimmt die Aktualisierung des Initiationsritus im ständigen Wiederholen derselben Umstände des Ritus quasi die Funktion des Kosmos. Mit dieser Synchronisation mit dem Kosmos wird also das Überindividuelle, Überkulturelle, die Menschen Verbindende in den Blick gebracht. Dabei wird betont, dass es sich dabei nicht um eine übernatürliche Ordnung handelt, gerade deshalb, weil ja die Natur 423

Ebd., S. 19. R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung, S. 93. 425 R. Appel, Freimaurerei eine Universalreligion?, S. 10. 424

12. Die Freimaurerei als Religion?

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und der Kosmos hier Richtmaß sind.426 Damit ist das Transzendente in der Freimaurerei das den Menschen Überragende, Übersteigende. Somit wird irgendwie sehr wohl auf die Natur und den Kosmos verwiesen, wenn etwa ganz allgemein von Seiten mancher freimaurerischer Schriftsteller formuliert wird, dass „der ‚Große Baumeister‘ in seiner Wirksamkeit den ewigen Hintergrund und allumfassenden Rahmen, aus dem das Leben Sinn und menschliche Verantwortung erhält, symbolisiert.“427 Dieser ewige Rahmen der Transzendenz ist also am ehesten mit Kosmos und Natur zu umschreiben. Denn „der Mensch, der sein Handeln mit der Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit eines Naturphänomens synchronisiert, bringt dadurch zum Ausdruck, dass es ihm um mehr geht als um eine Laune, eine vorübergehende Gemütsstimmung, eine eitle Selbstverliebtheit oder um eine von nächstliegenden Sachzwängen erwirkte Mechanik.“428 Es geht also nicht nur um etwas Überindividuelles, Zeitloses, sondern auch um die Orientierung an etwas Höherem, an einer höheren Macht oder Instanz. Der Mensch „bringt dadurch den Wunsch zum Ausdruck, dass der Grund seines Handelns nicht in der Unvollkommenheit seines kurzen und bedeutungslosen Daseins, in seinem vergänglichen, individuellen Leib allein liegen möge.“429 Damit befindet sich die Argumentation diesbezüglich auf einer Gratwanderung: Einerseits ist die Orientierung in Richtung auf Höheres, Überindividuelles, das aber gleichzeitig die Natur darstellt, gleichzeitig wird hier von einem Gegenüber gesprochen, das gerade die Antithese zu Vergänglichkeit, zur Bedeutungslosigkeit des Daseins und zur Unvollkommenheit darstellt. Damit werden gewisse Positionen, die normalerweise die Religionen besetzen, angezielt, gleichzeitig wird aber von der Freimaurerei als Nicht-Religion gesprochen. Aber es wird hier, nicht nur durch den Verweis auf Transzendenz und deren Regulativität gegenüber der Sittlichkeit, d.h. als regulatives Ideal als Voraussetzung für ein ethisches Verhalten430, eine Art Verbindlichkeit eingefordert, die quasi durch diese Synchronisation mit dem Kosmos oder der Natur erfolgt. „Das Johannisfest von 1717 in London ist beispielhaft für eine freimaurerische Feierstunde, für eine Tempelarbeit. Sie erinnert nicht zuletzt auch daran, dass selbst die Kraft der Verbindlichkeit einer Religion aus der Kraft der Verbindlichkeit der kosmischen Ordnung und Bewegung stammt, keineswegs umgekehrt.“431 Damit ist also der Anfang jeder Verpflichtung, jeder Verbindlichkeit auf den Kosmos fokussiert: 426 427 428 429 430 431

Vgl. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 20. H. Reinalter, Die Freimaurer, S. 35. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 20. Ebd., S. 20. Siehe H. Reinalter, Die Freimaurer, S. 37. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 21.

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II. Das Ritual

Die Ordnung der Natur macht also den Beginn aller Religion aus. Damit wird aber auch ganz klar die Unterordnung, etwa der Offenbarung unter die Naturphänomene und unter die Ordnung der Natur postuliert. In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, wenn immer wieder der Vorwurf an die Freimaurerei kommt, sie verstehe sich als Über-Religion. „Die Beobachtung des Gleichmaßes, der Genauigkeit und der Proportionen der geometrischen Formen führen zu Analogieschlüssen, die auf die Strukturen der Himmelskörper, die Eigenschaften des Lichts, das Leben der Pflanzen und Tiere, das Wesen vieler anderer Dinge und vor allem auf die Macht und Gerechtigkeit der Schöpfung schließen lassen.“432 Nicht die Offenbarung verursachte Freimaurerei, sondern das Hinhören auf die Natur und ihre Prozesse wird als Anfang der Freimaurerei aufgewiesen. Und damit kommt man zu einer Art Verbindlichkeit, die scheinbar schwerwiegender ist als alles andere. Das setzt aber voraus, dass man schon die Vorentscheidung getroffen hat, dass Religion also etwas Menschliches, von Menschen Gemachtes ist. „Nicht weil mächtige Männer einer großen Nation sowie Mitglieder einer bestimmten Religion einen Beschluss fassten und ihm kodifizierte Gestalt gaben, soll die Praxis der Freimaurerei sich mit Bedeutung füllen, sondern weil sie in erster Linie eine Nachahmung derjenigen Bewegungsabläufe ist, die selbst erst Religion ihre Bedeutung verleihen konnten. Alle vom Menschen entdeckte Ordnung hat zunächst ihr Vorbild in der Betrachtung dieser Ordnung am Firmament und in dem Versuch, ihr rationale Gehalte abzugewinnen.“433 Damit scheint es, als ob die Freimaurerei nur von dieser kosmischen Ordnung in den Dienst genommen worden wäre, als ob die Freimaurerei im Imitieren dieser oben angesprochenen Bewegungsabläufe gewissermaßen vor der Religion steht. Das Primäre, nicht nur zeitlich, ist also diese Ordnung. Was ist nun damit gemeint, dass der Religion durch die Bewegungsabläufe Bedeutung verliehen wird? Einerseits kommt damit ein sehr eingeschränktes Bild von Religion in den Blick, das hauptsächlich ausgeht von Naturreligionen bzw. Erfahrungen, dass das Heilige (re-)konstruiert wird aus bestimmten Ereignissen und Erscheinungen, denen eine gewisse Ordnungsstruktur zugeschrieben werden kann. Damit sind diese Ereignisse das Wesentliche; die Frage danach, wie und ob das Heilige sich selbst mitteilt, wird nicht gestellt. Damit wird eine wesentliche Voraussetzung, dass das Phänomen Religion durchaus zwei Pole hat, nämlich die Seite des Menschen, der irgendwelche Spuren des Heiligen sieht, und die Seite Gottes bzw. die Offenheit gegenüber diesem Göttlichen, von vornherein zugunsten des ersteren Pols entschieden. Es 432 R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung, S. 94. 433 Ebd., S. 21.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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stellt sich auch weiters die Frage, ob es überhaupt möglich ist, solche Phänomene der Natur – hier werden sie Bewegungsabläufe genannt – in ein Ritual zu fassen und eins zu eins umzusetzen. „Während die Zeichen am Himmel von verschiedenen Kulturen und Religionen mit unterschiedlicher Bedeutung ergänzt werden, fasst das freimaurerische Ritual einen allen gemeinsamen Inhalt ins Auge. Die Nachahmung der Bewegungsabläufe in Kosmos und Natur durch den Menschen erhalten (sic) durch Rituale eine moralisch-sittliche Bedeutung. Handlungen der Menschen synchronisieren sich mit einer Struktur der Ordnung, die überdies nicht von Menschenhand geschaffen wurde.“434 Der Überstieg von einer Ordnung des Kosmos zur sittlich-moralischen Ordnung funktioniert also hier ebenfalls, was doch ein wenig verwunderlich weil simplifizierend erscheint. Das in der Natur Grundgelegte strahlt aus auf das freimaurerische Ritual: Der Anspruch desselben ist ein großer. Immerhin scheint dieses das allen Menschen Gemeinsame, aus der Natur Erlebte, in eine Struktur fassen und ist damit gewissermaßen nicht nur vorreligiös, weil interpretationsfrei, sondern auch überreligiös, weil es das Gemeinsame betont, ohne diesen Strukturen schon eine kulturelle oder religiöse Bedeutung zu unterlegen. Das Ritual soll durch die Nachahmung kosmischer Geschehnisse dem Menschen eine Ahnung vom dem Ganzen des Daseins erzeugen, durch dieses Erspüren des Sonnenlaufes und durch den Reigen um die Zeit der Sommersonnenwende, der sogar teilweise mit der Bruderkette gleichgesetzt wird.435 In diesem Kontext muss auch noch auf einen „Ahnherrn“ der Freimaurerei – so wird er bei Stiegnitz genannt – gesprochen werden, dessen Erwähnung ein bezeichnendes Licht auf die Darstellung der Religion in der Freimaurerei werfen mag: Es handelt sich um Ludwig Feuerbach. „Die Theologie hielt Feuerbach für eine ‚verwelkte schöne Blume‘, für eine ‚abgestreifte Puppenhülle‘ und sogar für eine ‚überstiegene Bildungsstufe‘. Genau diese Art des religiösen, wenn auch keineswegs theologischen Denkens charakterisiert unser Verhältnis zur Religion.“436 Und hier kommt wieder der Naturbegriff ins Spiel: „Als Bezugspunkte dieser ‚Selbstveredelung‘ (ein masonischer Begriff) wählte er (Feuerbach – Anmerkung des Verfassers) die beiden angewandten Begriffe ‚Anschauung‘ und ‚Natur‘. . . . ‚Anschauung‘ heißt heute in unseren Reihen (gemeint sind hier die Freimaurer – Anmerkung des Verfassers) ‚Analyse‘, und ‚Natur‘ setzen wir mit dem Menschen gleich.“437 Stiegnitz bespricht das Abhängigkeitsgefühl, das Feuerbach in seiner Schrift „Das Wesen der 434

Ebd., S. 22. Vgl. dazu A. Lehner, Freimaurerische Symbole und Rituale in der Entwicklung der unterschiedlichen Logensysteme, in: Geheime Gesellschaft. Weimar und die deutsche Freimaurerei, hrsg. von J. Berger/K.-J. Grün, München 2002, S. 114. 436 P. Stiegnitz, Gott ohne Kirche, S. 144. 437 Ebd., S. 145. 435

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II. Das Ritual

Religion“ thematisiert, wo es heißt: „Das Abhängigkeitsgefühl des Menschen ist der Grund der Religion; der Gegenstand dieses Abhängigkeitsgefühls, das, wovon der Mensch abhängig ist und abhängig sich fühlt, ist aber ursprünglich nichts anderes als die Natur. Die Natur ist der erste, ursprüngliche Gegenstand der Religion, wie die Geschichte aller Religionen und Völker sattsam beweist.“438 So setzt also Feuerbach dem Abhängigkeitsgefühl die Natur gegenüber. „Für Feuerbach, aber auch für die Freimaurer, setzt sich das religiöse Bedürfnis der Menschen aus diesen beiden Eigenschaften bzw. Begriffen zusammen. Ohne Zweifel abstrahiert sich das Christentum von der Natur – und Feuerbach, ein Heglianer durch und durch, stellt die religiöse Beziehung des Menschen ‚vom Kopf wieder auf die Beine‘.“439 Wenn auch diese Feuerbachzitate bei Stiegnitz fast ein wenig assoziativ erscheinen mögen, dann markiert die Berufung auf Feuerbach und seine Anschauungen in Bezug auf Religion respektive Religionskritik doch auch eine gewisse Richtung. d) Pantheismus Wenn wir von dem eben Dargelegten ausgehen, dann erscheint der Pantheismusvorwurf, der der Freimaurerei immer wieder gemacht wurde und wird, durchaus plausibel. Im Zusammenhang mit diesem Vorwurf wird immer wieder – und meines Erachtens zu Recht – John Toland zitiert. Allerdings sind hierzu die freimaurerischen Forscher ganz unterschiedlicher Meinung. So lautet etwa eine Ansicht: „Erst spät hat die Forschung erkannt, dass für die Ausbildung einer ‚spekulativen Maurerei‘ der Deist und radikale Pantheist John Toland (1670–1722) eine zentrale Rolle spielte. Er war berüchtigt dafür, ein masonisches Ritual verfasst zu haben, das dem Lob der Natur und nicht der Anbetung eines Gottes dienen sollte.“440 Ganz anders das Internationale Freimaurerlexikon, das zwar auf das Ritual Tolands hinweist, aber auch dazusagt, dass zwar noch in der zweiten Ausgabe des Handbuches der Freimaurerei 1863 ein Zusammenhang mit der Tolandschen Liturgie mit dem Freimaurerritual als wahrscheinlich angesehen wird, dass aber schon in der dritten Auflage des Handbuches 1901 dieser Zusammenhang wieder verworfen wird.441 Trotzdem wird darüber berichtet, und das lässt doch eine gewisse Ähnlichkeit mit bzw. eine Abhängigkeit vom L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, Leipzig2 1849, S. 3. P. Stiegnitz, Gott ohne Kirche, S. 145. 440 K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 44. Grün zitiert als Zeugnis dafür: M. C. Jacob, The Radical Enlightement. Pantheists, Freemasons and Republicans, London 1981, S. 24 f. 441 Vgl. dazu E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 843. 438 439

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Freimaurerritual wieder wahrscheinlicher werden, dass Toland als einzige verehrungswürdige biblische Person – ganz in freimaurerischer Tradition und getreu dem Hiramsritual – eigentlich Salomo sieht. „Sein Gott“, so bringt es das Internationales Freimaurerlexikon auf den Punkt, „ist die Natur.“ Die freimaurerische Geschichtsforschung könne an Toland und auch an seinem Werk nicht vorbei, „um aus der Gleichartigkeit der Form und zahlreichen inneren Gemeinsamkeiten den gleichen Boden zu erkennen.“442 Der Verdacht des Pantheismus in der Freimaurerei wird – neben dem, was der Autor dieser Arbeit bisher schon in anderen Kapiteln dazu eingebracht hat – auch gestützt durch das Folgende: „Der Naturalismus der von Ernst Bloch so genannten ‚aristotelischen Linken‘ mit seinem Ursprung in der arabischen Aristoteles-Auslegung findet über den Umweg des Pantheismus der englischen Aufklärung Eingang in die Philosophie der Freimaurer.“443 Damit ist ein starker Gegenpol zur Kultur, vor allem zur religiösen, gegeben und stattdessen kommt dieser als Natur mit aller Macht in den Blick. Natürlich hat das in der Freimaurerei auch zu Reibereien geführt, nämlich dort, wo die religiöse Bindung sehr stark war, auch im aufgeklärt protestantischen Bereich, wie Grün betont.444 Neben diesem naturalistischen Pantheismus, der ausgeht von einer besonderen Bedeutung der Natur, besteht auch ein Pantheismus, der ausgeht vom Deismus, der „stärker politische, gesellschaftsbezogene Implikationen hat als seine naturalistische Spielart. Beide zusammen erst – dies ist bislang in der Forschung vernachlässigt worden – prägen den philosophischen Geist der Freimaurerei.“445 Hier sind wir wieder beim gemeinsamen Fundament und bei der Überreligion, die nur eint und nicht trennt. „Der Mensch kann nach freimaurerischer Lehre seine ‚ursprüngliche Identität‘ durch die Rückkehr in das ‚All-Eine‘ auffinden und zurückgewinnen.“446 Damit wird aber dieses All-Eine vorausgesetzt, das erst durch diese symbolische Verwandlung des Menschen hinein in diese Einheit berührt werden kann. Damit zusammenhängend natürlich die Vorstellung, dass letztlich die sittlichen Kategorien das Höchste darstellen, wie das an anderer Stelle schon dargestellt wurde. Das Sittliche löst also alles andere, auch die Natur, u. U. auf und ab. „Das Reich der Finsternis und das Reich des Lichts vereinigen sich in Wechselbezügen, die sich im Verhältnis zwischen Natur und Sittlichkeit widerspiegeln: Natur wird zur sittlichen Kategorie und Sittlichkeit erhält eine naturhafte Basis.“447 442 443 444 445 446 447

Ebd., S. 843. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 51. Ebd., S. 52. Ebd., S. 54. K. Hasselmann, Identität – Verwandlung – Darstellung, S. 29. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 59.

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II. Das Ritual

e) Der Allmächtige Baumeister Aller Welten – ein Gottesbegriff? Vieles wurde schon im Laufe dieser Arbeit über den „Allmächtigen Baumeister Aller Welten“ (A. B. A. W.) dargelegt, etwa auch, wenn es um die Anrufungen desselben geht. Wenn man vor der Frage steht, ob die Freimaurerei religiös oder eine Religion ist, dann kommt man an einer Beleuchtung der Rolle dieses Baumeisters nicht vorbei. Zunächst ist hervorstechend, dass vom A. B. A. W. immer als Symbol, als „Symbol für Transzendenz“ gesprochen wird. Das soll den Vorteil haben, dass der Freimaurer sehr wohl etwas Höheres hat bzw. haben kann, das mit individuellen Inhalten gefüllt werden kann und soll. „So bewegen sich die Freimaurer in Tuchfühlung mit dem Metaphysischen, ohne seinen Gefahren ausgesetzt zu sein.“448 Interessant ist, dass hier von den Gefahren des Metaphysischen gesprochen wird, offenbar wirkt hier ein Toleranzbegriff, der alles, was von einem Gott ausgesagt wird, als intolerant und irgendwie trennend empfindet. „Nur auf diesem Wege ist es möglich, dass Menschen, die nicht nur den verschiedenen Glaubensbekenntnissen einer Religion, sondern auch verschiedenen Religionen angehören, sich in Freiheit von Mensch zu Mensch zu begegnen.“449 Außerdem scheint man sich auf diese Art und Weise davon zu absentieren, das Transzendente als Gegenstand der Freimaurerei zu sehen: Damit wird das Transzendente offiziell in die Schublade „Religion“ gesteckt und es ist auf diese Art auch leichter, davon zu sprechen, dass die Freimaurerei selber keine Religion sei. Noch einer „Gefahr“ scheint die Freimaurerei durch diesen Begriff ausweichen zu wollen: „Das Göttliche ist unvorstellbar, es ruht jenseits jeglicher Vorstellungsmöglichkeit . . . Das Symbol gibt also keine Vorstellung des Symbolisierten und bewahrt vor einer anthropomorphen Gestaltung des Immateriellen.“450 Hierbei finden wir natürlich ein hermeneutisches Problem vor: Denn inwiefern hat das Symbol dann noch irgendeine Beziehung, wenn das Symbol keine Vorstellung des Symbolisierten und keine irgendwie geartete Gemeinsamkeit mit demselben gibt? Ist dieses Symbol dann nicht überhaupt leer, nur mehr eine Chiffre für das Symbolisierte? Oder aber wird damit ausgesagt, dass der Mensch etwas grundsätzlich nicht erreichen kann, weil es ohnehin jenseits seines Bereiches ist? Wenn auch das Göttliche nicht instrumentalisiert werden kann oder soll, dann dürfte der Gedanke von der Unvorstellbarkeit des Göttlichen hier nicht etwas mit dem Bilderverbot des AT zu tun haben, bei dem man auch u. a. aus Angst davor, Gott durch eine konkrete bzw. falsche 448 449 450

Ebd., S. 33. J. K. Lagutt, Der Grundstein der Freimaurerei, S. 119 f. F. C. Endres, Die Symbole des Freimaurers, Hamburg 1977, S. 32.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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Vorstellung „einzuschränken“ und damit ihm gänzlich inadäquat zu begegnen, es als wichtig ansah, Gott nicht darzustellen. Hier spielt also m. E. nach eher eine gänzliche Unerreichbarkeit des A. B. A. W. eine Rolle. So wird der A. B. A. W. gesehen „als Symbol für die ‚schöpferische, uns Menschen unerforschliche Wesenheit‘ im „Mittelpunkt des Kreislaufes“, um den sich „alles Leben bewegt“. „Dem einzelnen Freimaurer bleibt es unbenommen, unter der Metapher des ‚Großen Baumeisters‘ die dem All innewohnende schöpferische Energie, ein höchstes Wesen, das die Welt lenkt oder auch einen persönlichen Gott zu verstehen.“451 Damit kann also sowohl die Materie als auch das All für diesen Baumeister stehen, der Begriff ist individuell interpretierbar und passt fast überall hinein. Das ist damit auch abhängig von den verschiedenen Quellen bzw. ergibt sich aus der Differenz derselben. Der Ausdruck A. B. A. W. mag einerseits ein historisch gewachsener sein, und zwar aus der Sprache der Bauhandwerker kommend, er hat also sehr wohl etwas mit der ursprünglichen Lebenswelt der Maurer etwas zu tun gehabt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder darauf verwiesen, dass es ja auch mittelalterliche Darstellungen Gottes als Baumeister, sogar mit Zirkel und Winkelmaß, gibt. Eine andere Interpretation bezüglich der Herkunft dieses Begriffes geht davon aus, dass unter dem „Baumeister“ eigentlich der Demiurg452 verstanden wird, der vor allem in der Gnosis, aber auch bei Plato eine wichtige Rolle spielt. „Die Gnostiker nannten Demiurg den vom höchsten Gott unterschiedenen Schöpfer der materiellen Welt und identifizierten ihn mit dem Gott der Juden.“453 Diese Interpretation der Herkunft aus der Gnosis in der Freimaurerei ist insofern auch durchaus denkbar, weil wir ja sehr wohl gnostische Elemente – etwa als Erbe der Rosenkreuzer und der Alchimie – lokalisiert haben und ein Kokettieren in der Freimaurerei mit einem gewissen Dualismus nicht von der Hand zu weisen ist. Trotzdem bleibt also die Frage, ob dieses Symbol tatsächlich noch etwas bezeichnet oder bezeichnen kann, wenn andererseits immer die Angst mitschwingt, dass jede inhaltliche Füllung gleichzeitig auch eine Überforderung der Toleranz bedeutet. Ist „Symbol“ in diesem Kontext dann nur ein Ersatzwort, um sich jede Aussage sparen zu können? 451

M. Kraus (Hrsg.), Die Freimaurer, Salzburg 2007, S. 84. Es handelt sich nicht unbedingt um einen Beweis im wissenschaftlichen Sinne, wenn dargestellt werden kann, dass diese Interpretation auch in Wikipedia verfolgt wird. Denn Wikpedia ist natürlich in Bezug auf Zuverlässigkeit und Unbeeinflussbarkeit von einzelnen Pressure Groups in letzter Zeit Kritik ausgesetzt gewesen. Dennoch ist die Tatsache der Erwähnung des Demiurgen auch bei Wikipedia ein gewisses Indiz: Siehe unter: d.wikipedia.org/wiki/Allm%C3%A4chtiger_Bau meister_aller_Welten 453 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 110. 452

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II. Das Ritual

Zumindest wird von einem Immateriellen gesprochen und von der Angst, dass Menschen dieses nach ihrem Bilde gestalten könnten. Die Gegenfrage dazu: Wird nicht auch im weitesten Sinne alles, von dem ich spreche, das mit menschlichen Mitteln besprochen wird, über das Vorstellungen und Aussagen existieren, schon irgendwie anthropomorph gestaltet, weil der Mensch damit umgeht? Man könnte noch mehr Gegenfragen in diesem Zusammenhang stellen, etwa, ob dieses, wovon man spricht, zielgerichtet und intentional ist, ob es überhaupt einen Sinnanspruch hat, ob es – so wie der Baumeister – überhaupt etwas entwirft, ja ob es überhaupt existiert. Während also beispielsweise der biblische Gott einen Namen trägt, der viel über ihn aussagt, während dieser ein Wesen hat und während dieser aber auch durchaus abstrakt und nicht in der Gestalt eines anzubetenden konkret-sichtbaren, endlichen Objektes (Stichwort Goldenes Kalb) gedacht werden kann, hat der A. B. A. W. nichts von alledem, er ist weit weg von jedem Festmachen in ihm. Die Menschen haben mit diesem biblischen Gott gemeinsam eine Geschichte, in dieser Geschichte lokalisieren sie nicht nur die Machttaten dieses Gottes an ihnen, sondern diese Geschichte wird zur Conditio sine qua non des Heils, indem in ihr auch die Inkarnation Gottes erfolgt. Der Baumeister ist abgeschottet von Geschichte, er ist dieser Geschichte entzogen und entzieht sich ihr gleichermaßen. So ist er weder konkret noch abstrakt, weil in keiner Weise irgendwie fassbar. Denn dieser Begriff bleibt jedem Menschen überlassen und damit für alle gleich gültig, weil er für alle keine Gültigkeit beansprucht, er ist eigentlich nicht interverifizierbar. „Der freimaurerische Allmächtige Baumeister aller Welten (A. B. A. W.) ist nicht identifizierbar. Er hat keinen konkreten Namen.“454 Immerhin handelt es sich dabei für manche um eine Art Prinzip: „Das große weltenschöpferische Prinzip verehren die Freimaurer im Bilde des ‚Großen Baumeisters aller Welten‘.“455 Wenn allerdings dieses Prinzip nur mehr als Chiffre anzusehen ist und durchaus in der Tradition der Gnosis betrachtet wird, dann erhebt sich die Frage, ob die Creatio ab nihilo haltbar ist: Der Demirug gestaltet um, er steht in Opposition zur Materie und entspricht der Vorstellung vom Handwerker, der gleich schafft wie der Maurer. „Dieses ‚göttliche Wesen‘ “, so ein Kritiker der Freimaurerei, „ist auch in unverbindlicher Weise nur als Schöpfer zu bezeichnen, wiewohl der ‚Baumeister aller Welten‘ als in etwa unverursachte Ursache angesehen wird. . . . Das Gottesbild ist nicht einmal hinsichtlich einiger wesentlicher Aussagen fundamentaltheologisch erkennbar. Seine Beschreibung ist dem Gefühl und der willkürlichen Orientierung des einzelnen Menschen ausgeliefert. Nicht einmal das Gesetz der Kausalität zwischen Schöpfer und 454

M. Hohl-Wirz, Freimaurerei – Wurzeln, Ziele, Hintergründe, Lage3 2003,

S. 96. 455

T. Bunovic, Freimaurerei, weltbekannt und geheimnisvoll, S. 41.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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Geschöpf hat vordergründige Bedeutung.“456 Eine weitere Sicht des A. B. A. W. geht von der Geometrie aus. Dabei wird gerade die Vielfalt der Gottesvorstellungen bzw. der Darstellungen Gottes zum Anlass genommen, um nach einer Gemeinsamkeit zu fragen: „Wenn Gott überhaupt in der Schöpfung ausgemacht werden konnte, dann nicht in der Vielfältigkeit der Gestalten, sondern in den gemeinsamen Prinzipien, die jenen Gestalten zugrunde lagen. Mit anderen Worten, Gott war in den Prinzipien der Form – letztlich bestimmt durch die Grade eines Winkels – und der Zahl auszumachen.“457 Damit geht man davon aus, dass „gewisse absolute Gesetze“ durch das Studium der Geometrie sichtbar zu werden scheinen, „Gesetze, die von einer allumfassenden Ordnung zeugten. . . . Eine sichtbare Manifestation der göttlichen Macht, des göttlichen Willens, der göttlichen Kunst.“458 Damit kommen wir wieder auf die mittelalterliche Vorstellung zu sprechen, dass der gesamte Kosmos harmonisch (gemäß Weish 11,20) geordnet sei. Paul Naredi-Rainer dazu: „Die Verbindung der PLATONISCHEN Vorstellung des nach musikalischen Harmonien geordneten Kosmos mit der Augustinischen Idee nach ‚Maß, Zahl und Gewicht‘ geordneten Universums – sie ist jahrhundertelang in zahlreichen Schriften zu belegen, etwa im 9. Jahrhundert bei JOHANNES SCOTUS ERIGENA oder im 11. Jahrhundert bei OTLOH VON ST. EMMERAM – beeinflusst die mittelalterliche Architekturauffassung nachhaltig.“459 Wenn dem u. U. auch so sein mag – was in Bezug auf eine einheitliche Architekturtheorie, die die theoretische Grundlage bietet, vom Autor bezweifelt wird, dann bleibt doch die Tatsache bestehen, dass alle diese Vorstellungen auf dem Boden des christlichen Gottesbildes erfolgten. Das heißt aber, dass der biblische, in der Geschichte identifizierbare Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, hier gemeint ist und kein anderer. Wenn dieser Harmonie also gewissermaßen der Boden weggezogen wird, dann bleibt diese Harmonie alleine übrig und diese wird dann – im Zusammenhang mit einem geschichtsund gesichtslosen Baumeister – schal, leer und ist nicht mehr begründet und nimmt selber göttliche Ausmaße an. Dann wird diese Harmonie mitunter selber zu Gott, zu einem Prinzip oder eben zu einem göttlichen Baumeister. 456

R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung. Masonische Gnosis im Kampf gegen Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben, in: Freimaurerei und Kirche sind unvereinbar, hrsg. von H. Baum/ R. Prantner, Stein am Rhein6 1998, S. 101. 457 R. D. Schulz, Geometrie – ein Geheimnis der Baumeister?, in: www.siegendewahrheit.de/downloads/index.php?page=1&limit=15&order=date&sort=desc unter BaumeisteralsMagie.pdf, eingesehen am 14. Juli 2008. 458 Ebd. 459 P. von Naredi-Rainer, Architektur und Harmonie, S. 21 f.

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II. Das Ritual

Interessanterweise gibt es auch im Bereich der Freimaurer Tendenzen, sich vom deistischen Gottesbegriff in Bezug auf den Allmächtigen Baumeister zu lösen, da „somit ganz allgemein der deistische Gott nicht alle jene Eigenschaften besitzen kann, welche ihm die einzelnen Religionen zuschreiben.“460 Der Begriff des Baumeisters soll ja noch ein weiterer, weniger definierter sein. Di Bernardo sieht den Großen Baumeister aller Welten als „regulatives Ideal“ an gegenüber der „deistischen Haltung eines theologischen Synkretismus“461. „Die Auffassung des Höchsten Wesens als regulatives Ideal bedeutet, das Höchste Wesen als Prinzip zu betrachten, welches imstande ist, der moralischen Spannung des Menschen Sinn zu geben, das Prinzip, welches die Vervollkommnung repräsentiert, nach der ein Mensch in seinen moralischen Aktivitäten unablässig strebt.“462 Damit ist dieser A. B. A. W. nicht als ontologische Realität zu sehen, sondern muss so allgemein gefasst sein, dass noch Platz ist für die Existenz eines Gottes, an die jeder Einzelne persönlich glauben kann oder nicht. Di Bernardo zu dieser Mindestanforderung, an ein höchstes Wesen zu glauben: „Die schließt jedoch nicht aus, dass das regulative Ideal, an welches der Freimaurer glaubt, sich mit dem Gott deckt, an den er glaubt, und zwar nicht als Maurer, sondern zum Beispiel als Christ, Jude, Moslem etc. In diesem Fall wird die Bedingung des Glaubens an ein regulatives Ideal weiterhin erfüllt, geht aber auf in der weitergehenden des Glaubens an den Gott derjenigen Religion, zu der sich der Maurer bekennt.“463 Die Rede von einem sog. regulativen Gottesverständnis geht aus vom Kontext eines moralischen Gottesbegriffes. „Es besagt, dass wir zwar Gott annehmen müssen, aber nur im Sinn eines vom Menschen gesetzten Postulats. Das ist eine Art Placebo – er wirkt, ohne dass etwas Substanzielles anwesend ist. Die Kraft des Glaubens alleine verbürgt seine Wirkung.“464 Die Funktion des Baumeisters bzw. der Transzendenz, ein Begriff, mit der der A. B. A. W. u. U. auch benannt wird, ist aber für Di Bernardo ganz klar: Damit wird einerseits zwar das Verlangen nach dem Transzendenten befriedigt, andererseits bewahrt der Begriff „vor der Gefahr, das Höchste Wesen in der Art des Naturalismus zu einem Teil der Immanenz, der Erfahrungswelt werden zu lassen.“465 Damit wird die Transzendenz zur reinen Zweckerfüllerin: „1. sie rechtfertigt moralische Wertmaßstäbe und verleiht dem menschlichen Dasein einen Sinn. 2. sie stellt das höchste Ziel dar, welchem der Mensch bei der Verwirklichung seiner Ideale entgegenschreitet.“466 Es erhebt sich in diesem 460 461 462 463 464 465

G. Di Bernardo, Die neue Utopie der Freimaurerei, S. 48. Vgl. dazu ebd., S. 50. Ebd., S. 48. Ebd., S. 49. K.-J. Grün, Philosophie der Freimaurerei, S. 106. G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild, S. 46.

12. Die Freimaurerei als Religion?

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Zusammenhang natürlich schon die Frage, ob so ein undefinierbares, freischwebendes Ideal, das die Vervollkommnung repräsentieren soll, Sinn geben kann oder irgendeine Kraft aufweist. Damit erweist sich der Begriff des G. A. B. W. als reiner Kunstbegriff, da er ohne konkrete religiöse Vorstellung meines Erachtens nach nicht für sich alleine existieren kann. Andererseits steht er aber doch als selbstständiger Begriff irgendwie in Opposition zu konkreteren religiösen Vorstellungen. Auch die Deutsche Bischofskonferenz lokalisiert in ihrer Stellungnahme zur Freimaurerei den „Großen Baumeister aller Welten“ an zentraler Stelle in den Ritualen der Johannismaurer, in die die Kommission, die Gespräche namens der Deutschen Bischofskonferenz mit den Freimaurern geführt hat, Einsicht genommen hat. Sie empfindet ganz klar die Opposition zu den Glaubensvorstellungen der Katholiken: „Der ‚Große Baumeister aller Welten‘ ist ein neutrales ‚Es‘, undefiniert und offen für jedwedes Verständnis. . . . Der Weltenbaumeister gilt den Freimaurern nicht als Wesen im Sinne eines personalen Gottes, deshalb genügt für sie ein beliebiges religiöses Empfinden für die Anerkenntnis des ‚Baumeisters aller Welten‘. Diese Imagination eines im deistischen Abseits thronenden Weltenbaumeisters entzieht der Gottesvorstellung des Katholiken und seiner Antwort auf den ihn väterlich-herrscherlich ansprechenden Gott den Boden.“467 Diese Kritik kann auch nicht dadurch entschärft werden, dass etwa das Internationale Freimaurerlexikon darauf hinweist, dass der Begriff Allmächtiger Baumeister aller Welten ja ursprünglich auf biblische Ursprünge zurückgehe.468 Es ist nicht auszuschließen, dass die christlichen Dombaumeister in den entsprechenden Werklogen sich durchaus auf die Begrifflichkeit vom Baumeister bzw. auf alles, was mit Bausymbolik in der Bibel in Zusammenhang gebracht werden kann, gestürzt haben. Wir haben im Zusammenhang mit der Darstellung des mittelalterlichen Bauhüttenwesens schon die wesentlichen Stellen dazu genannt. Die Autoren des Freimaurerlexikons zitieren Hebr 11,10: „Denn er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hatte.“ Zudem zitieren sie die von uns schon erwähnte Perikope 1 Kor 3,10: „Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt, ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut.“ Beide zur Thematik zitierten Stellen können aber in keiner Weise 466

Ebd., S. 46. Aus der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei (12.5.1980), in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, Bd. 43 (1980), 64–68. 468 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 101. 467

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II. Das Ritual

dazu verwendet werden, um zu sagen, der Begriff „Baumeister“ in dem Sinne, wie er in der Freimaurerei mit dem A. B. A. W. identifiziert wird, sei biblisch grundgelegt. Denn in der ersten Perikope geht es um den Glauben, der durchträgt und der wie eine starke Grundmauer von Gott geschaffen wurde, im zweiten geht es um die Verbreitung des Glaubens bzw. um die Kirche – alles dies ist aber abhängig von der Gnade Gottes. Wenn es also in einem organischen Zusammenhang mit dem biblischen Gottesbild durchaus sinnvoll ist, als einen der Züge Gottes auch den des Schöpfers und Baumeisters zu sehen, so bereitet die isolierte Verwendung und Zuschreibung dieser Eigenschaft in Richtung auf einen Baumeistergott ohne andere Eigenschaften schon Probleme. Es besteht ja hier damit ein wesentlicher Unterschied zum A. B. A. W. Wenn auch andere Elemente der Bausymbolik in der Bibel begierig von den Dombauleuten des Mittelalters aufgenommen wurden, dann vor allem auch das Wort vom „Eckstein“, der Christus ist.469 13. Die psychologische Deutung des Rituals Der Allmächtige Baumeister Aller Welten hat also einerseits seine besondere Funktion im Ritual, andererseits wird aber gerade in unserer Zeit versucht, das Ritual vor allem psychologisch zu erklären und damit noch klarer und stärker von einem eventuellen religiösen Hintergrund abzusetzen. Dabei sieht man das Ritual als besonderes psychologisches Phänomen, das aber schon wieder durch die Außergewöhnlichkeit dessen, was es „kann“, m. E. quasireligiöse Züge trägt. a) Das freimaurerische Ritual als Schaffung von Transpersonalität Die Freimaurerei beansprucht esoterisches Wissen, „dieses Wissen ist nur Eingeweihten zugänglich und stellt eine über die gewöhnlichen menschlichen Erkenntnismöglichkeiten, die auch Nichteingeweihten zugänglich sind, hinausgehende Erkenntnisquelle und Kenntnis dar.“470 Damit ist das Ritual angezielt, hier wird die Erkenntnis durch Handeln geschaffen. Dabei geht es um ein kollektives Bewusstsein, das im Ritual angesprochen wird. „Eine heilige Handlung wie der Ritus kann ursprünglich niemals durch einen von der Gruppe oder vom Unbewussten losgelösten Nur-Einzelnen durchgeführt werden. So wie im tierischen Instinkt das Überpersönliche der Natur oder der Welt von einem überpersönlich Reagierenden beantwortet 469 Vgl. dazu: Apg 4,11, Mt 21,42, Mk 12,10, Lk 20,17 und 1 Petr 2,6 mit Verweis auf Ps 118,22; 1 Petr 2,7 unter Verweis auf Jes 28,16. 470 H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, S. 27.

13. Die psychologische Deutung des Rituals

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wird, reagiert auch im Ritual ein Überpersönliches im Menschen auf eine überpersönliche Situation.“471 Damit stellt sich aber die Frage, warum der Ritus bzw. das Ritual hier als heilig angesehen wird. Qualifiziert also dieser Bezug zum Überpersönlichen damit das Ritual selber schon als heilig? Es geht also um diese Kollektivität, die Ausdruck einer Ganzheit sein soll? Wie wirkt nun das Ritual? „Die im Bewusstsein zentrierte Individualisierung des Einzelnen muss, soweit sie schon vorhanden ist, rückgängig gemacht und aufgehoben werden. Die Gruppe wird (im Tanz, Gesang, Kult) als die Ganzheit hergestellt, die sie ursprünglich war, und der Einzelne erlebt sich als gewandelt, gesteigert und zugleich in die Gemeinschaft rückaufgenommen, die sein Profansein und sein Vereinzelt-Sein aufhebt.“472 Es besteht nun die Schwierigkeit, vor allem auf dem Hintergrund der Massenpsychologie oder der Inszenierungen von Massenphänomenen – etwa im Nationalsozialismus –, dass der Unterschied zwischen dem Erfahren dieses Gemeinsamen, das offenbar etwas mit einer – vielleicht verlorenen – Ganzheit zu tun hat, und den Massenphänomen nicht leicht feststellbar ist. Lindinger sieht diese Ganzheit, die im Ritual wieder geschaffen wird bzw. neu erschaffen wird, unter dem Stichwort „Transpersonalität der Gruppe“. Eine Unterscheidung, die nun das Ritual der Freimaurer von dem Bereich „Massenphänomen“ möglicherweise abgrenzen kann, ist die Verbindung zwischen dieser Transpersonalität einerseits und dem „Ort, der Tod und Leben in sich vereint“473. Lindinger erklärt diesen Ort genauer, wenn er sagt: „Die Totenwelt, die Geist- und Geisterwelt der Menschheit ist der Ort und die Macht, in der das Transpersonale beheimatet ist. Es ist die Heimat der Ur-Bilder und der Vorbilder, die Welt der Herkunft der Menschheit, in der als der mythischen Welt alles geschehen ist, geschieht und geschehen wird, was wesentlich ist. Sie ist transpersonal und ewig, raum- und zeitlos, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“474 Somit bedeuten die Einweihung in das Mysterium, das Sich-Einlassen auf das Ritual mit dem Durchleben von Tod und Auferstehung gleichzeitig auch das Vertrautsein mit dieser Art von Transpersonalität. Damit wird diese „Geist- und Geisterwelt der Menschheit“ zum Zentrum, zu dem Bereich, der im Ritual „erreicht“ werden kann. Und dadurch hat das Ritual auch seine Kraft, um den Menschen wirklich zu verwandeln: „Wenn im Ritus die wesenhafte wirkliche Welt der numinosen Mächte angerufen und aktiviert wird, muss sich auch der anrufende Mensch in sein wesenhaft Wirkliches verwandeln oder sich mit ihm verbinden. Es 471 472 473 474

Ebd., S. 56. Ebd., S. 56. Vgl. ebd., S. 55. Ebd., S. 54 f.

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II. Das Ritual

wird ja die transpersonale psychische Schicht im Menschen angerufen, und diese kann nur durch eine echte Verwandlung des Menschen in Bewegung gesetzt werden, nämlich durch eine wirkliche Verbindung des Menschen mit der Tiefenschicht des Numinosen in seinem Unterbewussten.“475 Damit kommt der Mensch also mit anderen Mächten und mit den Ahnen in Kontakt, indem er selber wird wie sie, „die sich im Lebendigen verwirklichen, aber sich mit keiner Verwirklichung verwechseln.“476 Tatsächlich wird mit diesem Erklärungsversuch durch Lindinger in eine Art „Geisterwelt“ vorgestoßen. Es ist eine andere Welt, die scheinbar auch die Grenzen des Lebens und des Todes zu überschreiten vermag und diese wird mit dem Begriff „das Numinose“ umschrieben. Mit der Einführung dieses Begriffes und der Aussage, dass man im Ritual die Maske der Mächte auf sich nimmt, mit denen man in Kommunikation tritt477, wird auch ausgesagt, dass man in eine Welt vorstößt, die „Transpersonalität“ tiefer ansiedelt, also nicht nur im Bereich der Tiefenschichten des Bewusstseins. Dazu passt auch der Anspruch, ein Wissen über „kosmische Zusammenhänge und Geheimnisse der Schöpfung“ zu haben.478 Das Erleben des freimaurerischen Rituals wird als eine solche Möglichkeit angesehen, dieser Zusammenhänge innezuwerden. „In diesen Bereichen des Rituals, welche die Grundfragen des Menschen, jene nach dem Sinn von Leben und Schöpfung berühren, liegt der Ursprung aller Riten und Mysterien. Hier finden wir diejenige Freimaurerei, von der Lessing sagt, sie war immer.“479 Denn, so sagen Freimaurer, „der Mensch, der zum ersten Mal innere Sehnsucht nach der Harmonie der Natur empfand, war der erste Freimaurer. Schon im Altertum bildete sich ein Erfassen des großen Mysteriums vom Leben, aus dem die Ströme der Magie und der Religionen ihren Ursprung nahmen. Die größere Intuitionsstärke der noch jungen Menschheit verband sie enger und bildsichtiger mit dem Universum. Sie verfügten wohl über Sinne, die mit dem Älterwerden der Menschheit verloren gingen.“480 Damit wird die Esoterik erwiesen als Sehnsucht des Mensch, genau dieser begrifflichen Fassung und Erfassung von allem zu entfliehen, zugunsten der Ahnung von diesem Mysterium und die Freimaurerei wird gesehen als „Kind urältester Esoterik“.481 Der Mensch wird durch das Ritual harmonisiert.482 „So wer475

Ebd., S. 55. Ebd., S. 55. 477 Vgl. ebd., S. 55. 478 Vgl. dazu: A. Lehner, Die Esoterik der Freimaurer, S. 16. 479 Ebd., S. 23 f. 480 F. C. Endres, Das Geheimnis des Freimaurers, S. 9. 481 Ebd., S. 10. 482 Vgl. A. Lehner, Das Ritual als psychologisches Phänomen. Texte zur Freimaurerei, hrsg. von R. Appel/H.-J. Jung, Bonn 1992, S. 4. 476

13. Die psychologische Deutung des Rituals

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den wir wieder zum Baustein dieser Schöpfung, der sich harmonisch einfügt in den gewaltigen und geheimnisvollen Bau des Kosmos. . . . Und mancher fühlt im Geschehen des Rituals vielleicht eine Annäherung an das Göttliche. Das hängt von der Gemütsstruktur des Einzelnen ab. Und eben dasselbe geschah – natürlich in den mystischen Ausdrucksformen ihrer Zeit – in den alten Mysterien.“483 Im Laufe dieser Arbeit wurde hinreichend von diesem esoterischen, die Natur erfassenden und über den Menschen hinausweisenden und gleichzeitig kosmischen, pansophischen und pantheistischen Aspekt der Freimaurerei gesprochen. Von Interesse ist aber nun für uns die Tatsache, dass dieses transpersonale (kosmische und esoterische) Element bei sehr vielen freimaurerischen Autoren zugunsten eines Transpersonalen, das auf der Basis der Tiefenpsychologie beruht, umgedeutet wird. Trotzdem scheint man sich aber vom kosmischen Element nicht lösen zu können. Alfried Lehner dazu: „Die Formen der ‚Archetypen‘ kann man als Ausdruck der Ursehnsucht des Menschen nach Ergründung der ewigen Geheimnisse des Kosmos, nach Annäherung an das Göttliche deuten.“484 Das freimaurerische Ritual wird also auch einfach als eine kollektive Möglichkeit gesehen, Individualität zu überschreiten und das Wissen und die Erkenntnisse der Menschheit, des Menschentums, zu erreichen. Und so verweist man vonseiten der Freimaurer immer wieder auf einige Tiefenpsychologen: „Die Vertreter der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs sind die hervorragendsten, aber nicht die einzigen Repräsentanten philosophischer Systeme, in denen sich der Gedanke der F.M. widerspiegelt. Es sind noch die Vertreter der Richtung des Transzendentalismus in der amerikanischen Philosophie zu nennen. Ralph Waldo Emerson (1803–1882) und Henry David Thoreau (1817–1862), deren Schule die Verbundenheit des Menschen mit den transzendenten Mächten des Numinosen als Anteilnahme und ‚Teilhabe an der Weltseele, die sich in dem Empfinden für die überwältigende Schönheit der Natur und in der Unbedingtheit des sittlichen Handelns zeigt‘, beschreibt.“485 Auffallend ist, dass auch beim Verweis auf den Transzendentalismus nicht nur der Versuch unternommen wird, das, was im freimaurerischen Ritual geschieht, auch mit Hilfe der Psychologie zu erklären oder Muster zu zeigen, die auf der psychologischen Ebene allein verbleiben, es erfolgt sofort wieder der Versuch der Anbindung an das Numinose. Natürlich – diese Einschränkung muss seriöserweise gemacht werden – gibt es auch keine vo483 484 485

Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, S. 57.

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II. Das Ritual

raussetzungslose Wissenschaft und schon gar keine Psychologie, die gänzlich ohne Voraussetzungen und dahinterstehende Philosophie arbeitet. Nur stellt sich gerade angesichts des Verweises auf den Transzendentalismus die Frage, ob es nicht auch hier wieder zu einer Vermischung von psychologischen mit religiösen Kategorien kommt, so wie etwa auch Emerson sagt: „Eine Nation von Menschen (ursprünglich steht nur ‚men‘ – Anmerkung des Verfassers) wird erstmals existieren, weil sich jeder von der göttlichen Seele inspiriert fühlt, die alle Menschen inspiriert.“486 Als Kronzeuge für die freimaurerische Sichtweise des Rituals wird auch der Begründer des Pragmatismus, William James, angesehen, „der ‚ursprüngliche unterbewusste, überindividuelle, im eigentlichen Sinne das All umfassende Verbundenheit des Menschen mit Gott‘ angenommen hat.“487 Der Pragmatismus will kein System sein, sondern eine Methode, die Wahrheit eines jeden Urteils an seinen praktischen Konsequenzen gemessen wird. „Wahr ist, was unser inneres Leben fördert, uns zu nützlichem Handeln antreibt und deshalb Befriedigung gewährt.“488 Es handelt sich hier also – um mit Vorländer zu sprechen – um eine „Subjektivitäts-Philosophie“ und um eine „pluralistische“ und „melioristische Religion“, weil es nur um das geht, was uns am besten passt und für den Fortgang der Welt am besten ist.489 James zeigt aber trotzdem „das emotionale Weltverständnis als den religiös-existenziellen Zusammenhang von Glauben (faith) und Universum auf neue Weise. Im Universum realisieren sich die religiösen Ideale – und das nicht nur in der Gemeinschaft der Menschen, sondern im Sinne der religiösen Hypothese durchaus als ‚superhuman forces‘ (A46)“490 Damit ist James nicht der Ansicht, dass die jeweiligen Götter, Religionen oder deren Lehren die Menschen zu beeinflussen mögen, sondern, im Gegenteil, die Religionen hängen von den Menschen ab. So schreibt James: „Es ist die Stimme der menschlichen Erfahrung in uns, die alle Götter beurteilt und verurteilt, die quer zu dem Weg stehen, auf dem sie selbst vorwärts zu gehen meint.“491 Dabei bedeutet für James religiöse Erfahrung in erster Linie eine starke Emotion, der durchschnittliche Gottesdienstbesucher 486

www.transcendentalists.com/what.htm, eingesehen am 19. März 2008. H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, S. 57. 488 Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie. Altertum – Mittelalter – Neuzeit, 1903, in: www.textlog.de/6631.html, hrsg. von P. Kietzmann, Berlin, eingesehen am 20. März 2008. 489 Siehe ebd. 490 H. Deuser, Zur Achten Vorlesung: Pragmatismus und Religion, in: William James, Pragmatismus. Ein neuer Name für einige alte Wege des Denkens, hrsg. von K. Oehler, Berlin 2000, S. 202 f. 491 W. James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur, Frankfurt a. Main/Leipzig 1997 (Original erschienen 1902), S. 340. 487

13. Die psychologische Deutung des Rituals

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spielt bei ihm kaum eine Rolle, wohl aber das Ekstatische im Religiösen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass dabei aber Lehren, Dogmen oder die Kognition kaum eine Rolle spielen, die Emotionen selber sind das Entscheidende – auch hier eine Nähe zur Freimaurerei. Also nimmt auch der Pragmatismus, bei aller Abgrenzung zum Transzendalismus, den „Zusammenklang dieser Traditionen religiös-kosmologischer Naturverehrung, die aus dem Zusammenstimmen von Selbst und Universum herauswächst“492 wieder auf. In seiner Suche nach maurischem Gedankengut führt der Freimaurer Lindinger auch Henri Bergson an, „der“, so Lindinger, „die Beziehung des Menschen zur Transzendenz als ‚Koinzidenz des Menschen mit Gott, der Liebe ist, im emotionalen Erleben‘ sieht.“493 Von freimaurerischer Seite wird sogar der Versuch unternommen, Alexander Mitscherlich irgendwie als Zeuge für diese Beziehung zum Überindividuellen, Numinosen einzuspannen.494 Ins Bild passt dabei auch die Zitierung Rattners, der von der Religion als Vatersehnsucht spricht. „Die Freimaurer, diese Kindeskinder des jüdisch-christlichen Monotheismus, assoziieren ‚Vater‘ immer noch mit Ratio und Herrschaft – nicht unbedingt mit Autorität – und ‚Mutter‘ mit Gefühl und Verständnis. Wer mit Gott hadert, der rebelliert gegen die Ratio, der will sich – bestenfalls – als ‚Teil der Schöpfung‘, aber keinesfalls als etwas fertig ‚Geschöpftes‘ sehen.“495 Der wichtigste „Unabhängige“ aus dem Bereich der Wissenschaft, der immer wieder im Zusammenhang mit diesem Transpersonalen zitiert wird, ist C. G. Jung. Damit soll aufzeigt werden, wie das freimaurerische Ritual und Gedankengut über-menschlich und bedeutungsvoll und gleichzeitig nicht religiös sein kann. Das wird auch erklärt aufgrund der freimaurerischen Beziehung zum Mythos, der ja in der Freimaurerei insofern eine wichtige Rolle spielt – wie wir ja schon gesehen haben – in den meisten Fällen innerhalb der Maurerei Geschichtlichkeit zugunsten des Mythos und der Symbolik aufgelöst wird. Ein Ausdruck dafür mag der Chorus mysticus bei Goethe sein, wenn es heißt: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“496 Dazu zitiert Scherpe ebenfalls C. G. Jung: „Der Mythos kommt aus dem kollektiven Unterbewussten.“497

492

Ebd., S. 202. H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, S. 57. 494 H. Lindinger, Fakten, Illusion und Utopie, S. 57. 495 P. Stiegnitz, Gott ohne Kirche, S. 165. 496 J. W. Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, Z 12104, zitiert aus: Reclam, hrsg. von L. J. Scheithauer, Stuttgart 1976, S. 22. 497 W. Scherpe, Das Unbekannte im Ritual, S. 278. 493

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II. Das Ritual

b) Die Lokalisierung des Überindividuellen in der Psychologie Wo ist also dieses Überindividuelle, das seitens freimaurerischer Autoren teilweise sehr undifferenziert angesprochen wird und bei dem immer wieder die Referenz auf die Psychologie geht, beheimatet. Es geht um einen Ort, an dem die Begriffe „das Numinose“ und „das Überindividuelle“ festzumachen sind. Weiters geht es auch darum, zu fragen, inwieweit dabei die Psychologie als Erklärung für das, was man von freimaurerischer Seite dem Ritual zuschreibt und was man vom ihm erwartet, ausreicht und ob man sich so ganz vom Religiösen absentieren kann. In dieser Suche nach einem Beurteilungsstandort sollen exemplarisch zwei Forscher näher betrachtet werden: Rudolf Otto und seine Vorstellung vom Numinosen und der gerade von den Freimaurern immer wieder ins Zentrum gerückte Carl Gustav Jung498. aa) Rudolf Otto Rudolf Otto, evangelischer Theologe, geht nicht von der Gegensätzlichkeit zwischen Begrifflichkeit bzw. Kognition und religiösem Erleben aus, sondern sieht diese Bereiche eher als selbstständige Ergänzungen des je anderen an.499 Er stellt sich als gläubiger Christ und Wissenschaftler die Frage, „wie Wesen und Wahrheit der Religion wissenschaftlich und begrifflich erfasst werden können. Dabei wurde ihm die Frage nach dem Wesen des religiösen Erlebnisses wichtig.“500 Ausgehend vor allem von Jakob Friedrich Fries, der drei Erkenntnisarten postuliert, nämlich Wissen, Glaube und Ahnung, die Fries als Gefühl sieht, versucht er vor allem an dieser Ahnung anzuknüpfen. So sagt Otto: „Was aber das Begreifen nicht vermag, das vermögen wir im Gefühl. Das Gefühl gibt uns zu Wissen und Glauben eine dritte Art von Erkenntnis, eine beide verbindende und zur Einheit bringende: das Ahnen.“501 Otto beschäftigt sich besonders mit dem „Heiligen“ und 498 Im Wesentlichen nehme ich in dieser Darstellung über Otto und Jung auf Gedankengänge von H. Machon sowie von Görres und Grom (siehe Zitate aus den jeweiligen Abhandlungen in diesem Abschnitt) Bezug. 499 Dazu meint Otto, dass einander das rationale Element und das irrationale Element jeder Religion auch „in gesunder und vollkommener Harmonie stehen“ sollen, in: R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1. Aufl. 1917), München 1997, S. 170. 500 K. Dienst, Otto, Rudolf. Biographisch-Biliographisches Kirchenlexikon, hrsg. von T. Bautz, Bd. VI, Herzberg 1993, Sp. 1381–1383. 501 R. Otto, Kantisch-Fries’sche Religionsphilosophie und ihre Anwendung auf die Theologie. Zur Einleitung in die Glaubenslehre für die Studenten der Theologie, Tübingen 1909, S. 83.

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241

weist darauf hin, dass der Begriff „das Heilige“ alles Sittliche auch mit einschließt, der sich aber nicht nur in diesem erschöpft, sondern eindeutig mehr ist.502 Wo wird nun dieses „Heilige“ lokalisiert? Das macht schon der Untertitel von Ottos Werk klar: Im Bereich des Irrationalen in der Idee des Göttlichen. Er führt einen neuen Begriff ein das „Numinose“. Er sieht darin das Heilige, das er allerdings entkleidet sieht von diesem sittlichen Moment.503 „Demzufolge ist das Numinose der Gegenstand und zugleich der Zweck der Religion, im Sinne vom absolut Guten und Heil Spendenden.“504 Somit zeigt sich das Numinose in verschiedenen Komponenten, etwa im tremendum, majestas, mysterium, mirum, fascinans und augustum.505 Dabei hat natürlich dieses Mysterium eine ganz wesentliche Funktion, indem es für sich selber steht und eigentlich uninterpretierbar ist. „Jeder Versuch, das mysterium ‚irgendwie zu deuten‘, heißt schlicht sein Erlebnis zu dämpfen, mit dem Ergebnis, dass es sich hier nicht mehr um wahre Religion handelt, sondern bloß um ihre verkrüppelte, rationalisierte Form (. . .). Kurz: Das Mysterium erlebt man, ohne es durch klare Begriffe deuten zu können. Im Erlebnis des Numinosen kommen aber vor allem sehr intensiv erlebte Gefühle vor, wie ‚Rausch, Verzückung und Ekstase‘.“506 Diese „Ahnung“ des Menschen, der frommen Seele, manifestiert sich also im Kreaturgefühl des Menschen, wobei zwei herausragende Begriffe wesentlich sind: tremendum et fascinans. Dabei geht es also einerseits, beim tremendum, um das Unheimliche, das mit der „normalen“ Furcht nichts zu tun hat, sondern eher schon um „ein erstes Sich-Erregen und Wittern des Mysteriösen“.507 Damit erlebt der Mensch dieses „Kreaturgefühl“ gerade angesichts des ganz Anderen, das drei Aspekte hat, nämlich einerseits den „Zorn Gottes“, die Majestät Gottes als etwas Übermächtiges, Überwältigendes, und das Energetische. Diese Aspekte bringen besonders Momente alttestamentlicher Gottesvorstellungen in Erinnerung, die etwa am besten mit dem „Gottesschrecken“, mit den Verträgen, die in etwa den Kö502

R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1. Aufl. 1917), München 1997, S. 5 f. 503 Vgl. ebd., S. 6. 504 H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition. William James’, Karl Girgensohns, Rudolf Ottos und Carl Gustav Jungs Psychologie des religiösen Erlebens (Münchner Beiträge zur Psychologie), München 2005, S. 106. Machon verweist im Zuge dieser eben zitierten Feststellung auf: R. Otto, Das Heilige, S. 7 und S. 44. J. Splett, Die Rede vom Heiligen. Über ein religionsphilosophisches Grundwort, Freiburg/München 1971, S. 291. 505 Vgl. dazu G. Benavides, Holiness, State of Exception, Agency, in: Religion im kulturellen Diskurs. Festschrift für Hans G. Kippenberg, hrsg. von B. Luchesi/ Kocku von Stuckrad, Berlin/New York 2004, S. 62. 506 H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 109 f. 507 R. Otto, Das Heilige, S. 17.

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nigsverträgen der orientalischen Umwelt ähneln, oder auch den Vorstellungen eines Gottes Jahwe, den man im Sturm und in den Naturgewalten findet. So wie es etwa in einem Loblied auf den Schöpfer heißt: „Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet. . . . Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Sturmes. Du machst dir die Winde zu Boten und lodernde Feuer zu deinen Dienern.“ (Ps 104,1–4) Es ist auf jeden Fall ein eifersüchtiger, ausschließlicher und zorniger Gott, mit dem die Menschen konfrontiert sind. Natürlich findet Otto „ähnliche Züge Gottes bei Luther, betont sie stark und ist genau in dieser Hinsicht vom Vater des Protestantismus inspiriert.“508 Otto verwendet als Unterscheidung zwischen den sog. „normalen“, „alltäglichen“ und religiösen Gefühlen den Begriff Ideogramm, denn im Unterschied „zu den ‚Anthropomorphismen‘, die Gott mit natürlichen Begriffen beschreiben, hat jedes Ideogramm stets einen numinose (sic) Charakter.“509 Es geht also nicht nur um irgendwelche anthropozentierte Zuschreibungen, sondern um dieses Übermächtige, das ein Kreaturgefühl auslöst. Dabei steht das „tremendum“ in einer eigenartigen „Kontrastharmonie“ zum „fascinans“. So erklärt Otto: „Der qualitative Gehalt des Numinosen (an dem das Mysteriosum die Form gibt), ist einerseits das schon ausgeführte abdrängende Moment des tremendum mit der ‚majestas‘. Andererseits aber ist er offenbar zugleich etwas eigentümlich Anziehendes, Bestrickendes, Faszinierendes, das nun mit dem abdrängenden Momente des tremendum in eine seltsame Kontrastharmonie tritt.“510 Das fascinans ist mit positiven Gefühlen besetzt, nämlich etwa mit Freude, Begeisterung oder Dankbarkeit. „Unter den parallelen Bezeichnungen zum fascinans nennt Otto, Liebe, Erbarmen und Mitleid. Ähnlich wie beim tremendum sind es lediglich analoge, weil natürliche Begriffe, denn das fascinans hat ‚viel mehr‘ an sich (H, 43).“511 Durch dieses Bewusstsein der Analogie dieser Begriffe ist also auch klar, dass alle diese Begriffe von der Wirklichkeit Gottes bzw. des Göttlichen wesentlich überstiegen werden. Wesentlich ist aber immer der Gefühlsbereich, hier kommt religiöse Erfahrung wesentlich zustande: „Religiöse Erfahrung als eine Kontrastharmonie des mysterium tremendum et fascinans wird lediglich im Gefühl teilweise enthüllt: Das Erkennen des mysterium vollzieht sich in seinem Erleben, indem der religiöse Mensch sich auf das Heil und auf das Höchste Gut öffnet.“512 Trotzdem setzt sich Otto klar gegen den Pragmatis508 509 510 511 512

H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 112. Ebd., S. 114. R. Otto, Das Heilige, S. 42. H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 115 f. Ebd., S. 121.

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mus ab, indem er betont, dass Gefühle eben nicht bloße emotionale Zustände sind, sondern immer an der Erkenntnis eines Objektes anknüpfen, was dem dialektischen und theoretischen Erkennen vorgelagert ist.513 Eines ist allerdings gewiss: „Im emotionalen Erlebnis zeigt sich das Numinose als das Wesentliche der Religion.“514 Otto stellt zwei Seiten des Heiligen dar: Einerseits dieses Numinose, Emotionale und Irrationale, das er sicherlich ins Zentrum stellt und überbewertet, und auf der anderen Seite das Rationale, das ebenfalls zu diesem Heiligen dazugehört und das mit dem Emotionalen eigentlich in Harmonie stehen sollte. Trotzdem „versucht Otto, von dieser allgemeinen Charakteristik des Religiösen aus (also vor allem aus der Betrachtung dieser ‚Ahnung‘ und des Gefühls – Anmerkung des Verfassers) das christliche Verständnis des göttlichen Heilshandelns festzuhalten; die religionsgeschichtliche Behandlung der Begriffe ‚Reich Gottes‘ und ‚Menschensohn‘ zeugt von Ottos persönlichem Interesse an der Erforschung der Wahrheit des christlichen Glaubens.“515 bb) Carl Gustav Jung Nicht ganz unbedeutend ist einerseits, dass Jungs Werk von Otto beeinflusst wurde516, andererseits, dass seine Biographie immer wieder durch sein Werk hindurchleuchtet. So kommen Einflüsse einerseits durch die große Zahl an protestantischen Pfarrern, die neben seinem Vater als Verwandte wirkten, als auch durch seinen Großvater, der Freimaurer war. Aber auch der Okkultismus, den er über seine Mutter mitunter praktizierte, war ihm vertraut und beeinflusst ihn. „Jung will rein psychologisch, d.h. durch eine in Bezug auf metaphysische Thesen agnostische Position, psychische Phänomene und Erlebnisse lediglich beschreiben und nicht nach ihrem ontologischen Status und nach ihrer allgemeinen Gültigkeit (Wahrheit) fragen. Die Ausgrenzung metaphysischer Theorien erklärt er durch die Treue zum psychologischen Standpunkt, dem zufolge sowohl die Frage nach der Wahrheit als auch das Problem der Ontologie (was wirklich existiert und was in diesem Kontext ‚wirklich‘ bedeutet) die Grenzen der Kompetenzen überschreiten.“517 Er beschränkt sich also lediglich auf die Analyse religiöser Erlebnisse und interessiert sich – im 513

Vgl. dazu ebd., S. 122 f. Ebd., S. 124. 515 K. Dienst, Otto, Rudolf. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Sp 1381–1383. 516 J. H. Chapman, Jung’s three theories of religious experience, Lewiston/ Queenston 1988, S. 111. 517 H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 153. 514

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II. Das Ritual

Rahmen seiner Studien – nicht mehr für das, was hinter dem Ganzen gefunden werden kann. Wichtig war für Jung immer die Beobachtung von Ideen, die mit starken Emotionen besetzt waren und die gleichzeitig aus der Lebensgeschichte des jeweiligen Patienten allein kaum ausreichend erklärt werden konnten. Jung dazu: „Aber ebenso, wie es kein Individuum gibt, das zu einem Zustand von absoluter Einzigartigkeit differenziert ist, gibt es auch keine individuellen Schöpfungen von absolut einzigartiger Qualität. Sogar Träume sind zu einem sehr hohen Grade aus kollektivem Material gemacht, ebenso wie in der Mythologie und im Folklore verschiedener Völker gewisse Motive sich in fast identischer Form wiederholen.“518 Aus dieser Wiederholung, aber auch aus der schon benannten Tatsache, dass wie ein Blitz aus heiterem Himmel gewisse Motive bei Patienten immer wieder vorkommen, Motive, die nicht entsprechend aus dem Kontext der persönlichen Erfahrungen erklärt werden können, kommt Jung zur Hypothese vom kollektiven Unterbewussten. Laut Jung wiederholen sich diese Motive des Unbewussten nicht zufällig, sondern diese haben ihre Quelle im kollektiven Unbewussten. Jung nennt diese Motive Archetypen und versteht darunter eine Vorstellungsform a priori, „ein nur formal und nicht inhaltlich bestimmtes Urbild der Psyche, das beim Eintritt ins Bewusstsein sich zu konkreten Vorstellungen kristallisiert.“519 Damit sind Archetypen der Ausdruck von Menschheitserfahrungen. Diese Erfahrungen des Archetyps sind ein wirkliches Erlebnis, das eine enorme Bedeutung für den Menschen hat. Bei diesem Erlebnis wird sehr viel emotionale Energie frei und Jung nennt in Anlehnung an Otto diese Haupteigenschaft des Archetyps Numinosität. Dabei bleibt aber Jung nicht bei diesen Archetypen stehen, sein Hauptinteresse liegt dabei auch nicht in der bloßen Behandlung krankhafter Zustände bzw. von Neurosen, sondern es geht bei ihm um die Annäherung an das Numinose. Denn es sei so, „dass der Zugang zum Numinosen die eigentliche Therapie ist, und insoweit man zu den numinosen Erfahrungen gelangt, wird man vom Fluch der Krankheit erlöst.“520 Das bedeutet, dass vom Unbewussten eine Macht und zugleich auch eine Therapie ausgeht. Die unbewussten Elemente, die Energien des Numinosen, sollen integriert werden in das Bewusstsein der Menschen und durch dieses Zum-Bewusstsein-Kommen kann der Mensch sich selbst verwirklichen, weil er sich von der Vergangenheit aber auch von der eigenen Person löst und damit zum Ganzen gelangt. Jung nennt das In518 C. G. Jung, Psychologie und Religion. Gesammelte Werke, Bd. XI (Erstausgabe 1940), Zürich/Stuttgart 1963, S. 54. 519 C. G. Jung, Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. Gesammelte Werke, Bd. 9.1, Olten/Freiburg i. Br. 1976, S. 95. 520 C. G. Jung, Allgemeines zur Komplextheorie. Gesammelte Werke, Bd. 8, Zürich/Stuttgart 1967, S. 119.

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dividuation, deren numinoser Gehalt einerseits auf früher Stufe das „Geschäft“ von Schamanen und Medizinmänner, danach von Ärzten und schließlich dann von Religion und Philosophie sei. Ganz egal, ob es sich wirklich bei Jung beim Begriff „Gott“ um eine Hypothese oder um ein dieser Hypothese entsprechendes Real-Existierendes handelt, es handelt sich bei Gott um eine überwältigende Macht: „Diejenige psychologische Tatsache, welche die größte Macht in einem Menschen besitzt, wirkt als ‚Gott‘, weil es immer der überwältigende psychische Faktor ist, der ‚Gott‘ genannt wird. Sobald ein Gott aufhört, ein überwältigender Faktor zu sein, wird er ein bloßer Name. Sein Wesentliches ist tot, und seine Macht ist dahin.“521 Dabei geht es also nicht um die reale Existenz, sondern nur um das, was dieser „Gott“ bewirkt. Damit ist diese Wirkung etwas Überindividuelles, die Menschen Verbindendes, das außerhalb des Menschen ist und das als das Numinose bezeichnet wird. Damit ist Religion also nichts anderes als eine wichtige Beziehung zu den seelischen Vorgängen, zu Vorgängen, die aber nicht von einem selber wissentlich und willkürlich beeinflusst werden, sondern von einem Überindividuellen, Gemeinsamen her kommen. Damit ist das Numinosum also „entweder die Eigenschaft eines sichtbaren Objektes oder der Einfluss einer unsichtbaren Gegenwart, welche eine besondere Veränderung des Bewusstseins verursacht.“522 Damit wird Religion gesehen als religiöse Erfahrung, sofern sie intensiv ist. Wenn auch Jung die reale Existenz eines Gottes nicht thematisiert, so sieht er als Therapeut sehr wohl die Wirkung religiöser Erfahrung. Es ist die Heilung. Das ist das Zentrale, das für ihn wirklich zählt. Auch die Dogmen thematisiert Jung, indem er von ihnen im Vergleich zur religiösen Erfahrung immer von einem Ersatz spricht und sie eher negativ beurteilt. „Ihre Funktion in den verschiedenen Religionen, die er wegen des Vorrangs der kirchlichen Lehren vor dem lebendigen Erleben ‚Konfessionen‘ nennt, besteht oft darin, dass sie die unmittelbare Erfahrung ausschließen, indem sie sie durch passende Symbole und starke Organisationsformen ersetzen.“523 Damit ist klar: Wesentlich sind für Jung die Erlebnisse, die am großen Ganzen, an der Überindividualität teilhaben lassen, und die von diesem Aspekt er wahr sind, weil sie etwas bewirken. „Jede Erweiterung und Verstärkung des rationalen Bewusstseins aber führt uns weiter weg von den Quellen der Symbole und verhindert durch dessen Übermacht das Verständnis letzterer.“524 521 C. G. Jung, Psychologie und Religion. Gesammelte Werke, Bd. XI (Erstausgabe 1940), Zürich/Stuttgart 1963, S. 88. 522 Ebd., S. 3. 523 H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 175. Machon zitiert dazu auch Belegstellen, die diese Analyse untermauern.

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II. Das Ritual

c) Kritische Reflexion im Hinblick auf die Freimaurerei aa) In Anlehnung an Jung Verdeutlichen wir uns noch einmal das, was Jung hier vom Erleben des Göttlichen durch die Macht der Symbole sagt: Die Symbole wirken von sich aus, das Irrationale, Überindividuelle überwältigt den Menschen, was bedeutet, dass er nur durch dieses Erlebnis wichtige „Einblicke“ erfährt. Das Rationale hingegen bringt den Menschen eher von diesem Erlebnishaften weiter weg. Damit haben die Menschen mit diesem Überindividuellen Anteil am Größeren, am Überindividuellen, das ihnen auch Veränderung, Gesundung bzw. Heilung verschafft. Die Freimaurerei spricht in diesem Zusammenhang nicht von Religion, sie spricht hingegen vom Numinosen, weil dieser Begriff, nicht zuletzt durch Jung, auch psychologisch besetzt erscheint. Trotzdem muss betont werden, dass Jung sehr wohl auch das Wort „Religion“ in den Mund nimmt, wenn auch das Rationale immer eher etwas Zweitrangiges darstellt. Betont wird von der Freimaurerei diese schöpferische Macht des Ergriffenseins vom Ritual, das den Menschen neu schafft, das ihm durch die Symbolik, die ihm innewohnt, eine neue Sichtweise gibt und ihn moralisch verändert, und zwar zum Positiven. Dieses Charakteristikum sieht auch Jung – allerdings auf einer anderen Stufe –, indem er die moralische Wirkung der Religion betont, die auch den Menschen dazu bringt, etwa seine Instinkte zu beherrschen. In der Freimaurerei ist die unmittelbare Wirkung der Rituale diese moralische Komponente: Die Menschen werden im Ritual, das so menschengemäß ist und eben auf dieses „Kollektive“ (Unbewusste?) hinzielen, ja diese Bilder (Archetypen?) enthalten und vollziehen, verwandelt und wie von selbst zur Moral und zu einem „höheren Menschentum“ geführt. Damit wird also das, was offensichtlich in den Religionen als „Wirkung“ gesehen wird, nunmehr kanalisiert, indem alles auf die ursprüngliche „heilsame“ Wirkung zurückgeführt wird. bb) In Anlehnung an Otto Otto kommt das Verdienst zu, die Kategorie des Numinosen eingeführt zu haben, abgesehen von Zinzendorf, der vom „sensus numinis“ sprach. Dabei ist auch der Begriff des „Heiligen“ etwas durchaus Neues. „Im Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart kann man das Aufkommen des neuen Begriffes genau nachweisen mittels des Vergleiches der ersten und 524 C. G. Jung, Versuch einer psychologischen Deutung des Trinitätsdogmas. Gesammelte Werke, Bd. 11, Zürich/Stuttgart 1967, S. 216.

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der zweiten Auflage (. . .). . . . ‚Dieses Heilige im Sinne des Numinosen ist in seinem Gemütsreflex als ein religiöses Grund- und Urgefühl anzusehen, und in allen Religionen anzutreffen.‘ Später gibt derselbe Religionshistoriker, Gustav Mensching, in seinem Buch Die Religionen und die Welt (1947) eine breit angesetzte Definition, . . . ‚Religion ist erlebnishafte Begegnung mit heiligen Mächten und antwortendes Handeln des vom Heiligen berührten und bestimmten Menschen.‘ “525 Spielt dieses zunächst einmal bei Otto unpersönliche Heilige, das verdolmetscht wird durch den Begriff des Numinosen, auch eine Rolle bei den Versuchen der Freimaurerei, diese Unbedingtheit des Rituals und der Erfahrungen, die in demselben stattfindet, zu vermitteln? Das wird vor allem auch durch die Verwendung des Begriffes „numinos“ nahegelegt. Trotzdem verdeutlicht etwa Grom, dass numinoses Erleben nicht in jedem Fall religiös sein muss, denn als Ausnahmeerscheinung kann es bei manchen Menschen auch als panische Angst oder als einen Verlust der Selbstkontrolle identifiziert werden.526 Otto hat besonderen Wert auf das Irrationale gelegt. Zwar stellt Otto natürlich beide Teile des Heiligen dar, „beschreibt aber nur das Irrationale ausführlich, dem Rationalen dagegen widmet er fast keine Aufmerksamkeit, er erklärt auch nicht weiter, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und was ihre Harmonie ausmacht . . .“527 Bei den Freimaurern tut sich auch eine Kluft zwischen dem Irrationalen und dem Rationalen auf, die aber nicht einmal ansatzweise zu überwinden versucht wird. In der Freimaurerei betont man einerseits das strikt Rationale, die Humanität, die Orientierung an den Begriffen der Aufklärung, was als Ziel formuliert wird. Daneben gibt es andererseits das Esoterische, das sich im Ritual findet und das diese Erziehung vornimmt, indem der Mensch mit den Handlungen und Symbolen im Ritual konfrontiert wird. Und damit tritt auch das Irrationale und Numinose in dieses Ritual ein, daraus kommt dessen Kraft. Gerade diese Kraft und diese Verwandlung im Ritual wird ja immer wieder von freimaurerischen Schriftstellern betont, die davon sprechen – ganz im Sinne Ottos und Jungs – dass man das Ganze „erleben“ muss, dass nichts Geheimnis ist, wenn es nicht selber erlebt wird und dass nichts von alledem rational aufgelöst werden kann. Otto bleibt zumindest seiner Absicht treu, als Theologe und Christ, das Numinose im Zusammenhang mit der Religion zu sehen. Er versucht auch das Heilige auf diesen beiden Beinen zu stabilisieren, 525 A. M. Reijnen, Das Heilige als Kategorie bei Rudolf Otto und Paul Tillich, in: Mystisches Erbe in Tillichs philosophischer Theologie, hrsg. von G. Hummel/ D. Lax, Berlin/Hamburg/Münster 2000, S. 208. 526 Vgl. dazu B. Grom, Religionspsychologie, München/Göttingen 1992, S. 399. 527 H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 138.

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II. Das Ritual

im Rationalen und im Irrationalen, auch wenn das Irrationale überbetont wird. Somit kann er noch wenigstens einen Horizont dessen erhalten, was Religion bedeutet. cc) Die Auflösung der Transzendenz? Otto spricht vom Heiligen und versucht damit, das Religiöse zu klären und Bereiche zu erhellen, die auf das Verständnis der Heilsgeschichte des Christentums abzielen. Damit bleibt er auf das Religiösen fixiert, wenn er sich auch allzu sehr nur auf die religiöse Emotion konzentriert. „Otto übersieht, dass viele der von ihm beschriebenen religiösen Erlebnisse nicht spontan und plötzlich auftreten, sondern oft Ergebnisse eines durch verschiedene Praktiken beeinflussten religiösen Lebens waren, die sich im Rahmen einer konkreten Religion, mit ihrer Tradition und ihren Dogmen entwickelt hat. . . . Er fragt nicht, von was sie (religiöse Erfahrung – Anmerkung des Verfassers) ausgelöst wird und übersieht dabei Glaubensinhalte, die immer in ihr vorhanden sind und ihre Bedeutung schon in der Sprache der Beschreibung zeigen.“528 Damit ist die ganz wichtige Frage des Kontextes angesprochen: Ohne diesen Hintergrund bleibt Ottos Analyse beschränkt. Wie sieht allerdings der Hintergrund des freimaurerischen Rituals aus? Kann man so ohne weiteres dieses Ritual bar eines religiösen Verständnishorizonts sehen, ist es ohne einen solchen überhaupt vorstellbar? Dieselbe Frage muss auch an Jungs Konzeption gestellt werden. Religion wird als heilend empfunden. „Durch ihre lange Geschichte und ihre Verankerung im kollektiven Unbewussten bietet für ihn Religion eine Energieform, die mächtiger als andere ist, indem sie dem Menschen eine fruchtbare Konfrontation mit den heilenden Quellen der Archetypen ermöglicht.“529 Eine Frage erhebt sich auf diesem Hintergrund aber in aller Dringlichkeit: Kann man so ohne weiteres auch Religion nur beurteilen nach dem Muster des Pragmatismus, wo es ausschließlich darum geht, ob ein Konzept sich bewährt und einen Nutzen bringt? Und wie kann etwas in seiner Ganzheitlichkeit heilend wirken, wenn alles nur aufs Formale beschränkt ist. Viele Autoren530 kritisieren die Konzeption der Jungschen Theorie vom kollektiven Unbewussten, denn sie „kann weder bewiesen noch widerlegt werden . . . Die Betonung des Unbewussten als des einzigen Ursprungs der Religion macht deshalb ihre Darstellung durch Jung sehr problematisch, weil 528

H. Machon, Religiöse Erfahrung zwischen Emotion und Kognition, S. 137. Ebd., S. 185. 530 Ebd., S. 187. Machon nennt auf dieser Seite etwa Grom, Goller, Balmer und Neber. 529

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nicht verifizierbar.“531 Auch an diesem Punkt kommen wir wieder zur Frage, inwiefern das Religiöse aufgelöst werden kann und in einer Engführung der gesamte Mensch auf eine, nämlich die kollektive bzw. auf eine psychische Tiefenschicht zurückgeführt werden kann. dd) Probleme einer Engführung unter Ausschluss des Göttlichen Das, was sich dem Menschen entzieht, das was eigentlich unfassbar ist und das der Mensch trotzdem immer wieder „in den Griff zu bekommen“ versucht, figuriert im Allgemeinen als das Göttliche. Sehr oft – wir haben gerade im Vorhergehenden davon gesprochen – versucht man nun die Dimension der Religion zu ersetzen, indem man so tut, als würde der Mensch selber bzw. dessen Innerstes alle Probleme hinreichend lösen und als wäre er und seine Gattung die Antwort auf alles. Unter Verweis auf die Archetypen Jungs wird dieser Versuch auch oft unternommen. Auch manche Theologen wie Drewermann versuchen nicht nur, die Theologie und das Geschehen des Glaubens mit Hilfe der Psychoanalyse zu erhellen, sondern mitunter kommt es auch zu einer Ablöse der Religion zugunsten der verschiedenen Dimensionen der Tiefenpsychologie. Damit übernimmt nun die Tiefenpsychologie die Antworten, demgemäß wären die Antworten im Menschen ohnehin schon verankert und man müsste diese nur hervorholen. Diese Antworten sind auch im Ritual der Freimaurer vorhanden, so wie diese die Wirkung des Rituals verstehen. Der Mensch ist damit der eigentliche Weg des Rituals und das Ritual ist der eigentliche Weg des Menschen. Damit ist sowohl in der Tiefenpsychologie als auch in der Freimaurerei die Richtung fast ausschließlich auf ein Zentrum ausgerichtet: Auf den Menschen allein. Wenn allerdings nur mehr das zum Mittelpunkt ohne Wenn und Aber und unter dem Ausschluss sämtlicher möglicher zusätzlicher Dimensionen fraglos und ausschließlich wird, dann kann man m. E. nach von einer Engführung sprechen. Da wird dann jegliches religiöses Geschehen entmythologisiert und es bleibt dabei keine reale, geschichtliche Dimension übrig. Das ist also die eine Seite: Aus der Perspektive der Archetypen allein wird Religion bzw. Religiosität beurteilt bzw. das Berührt-Werden durch etwas „Kollektives“, Gemeinsames, gesehen und alles nach diesem Schema qualifiziert.

531

Ebd., S. 87.

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II. Das Ritual

d) Die Einordnung der Tiefenpsychologie Wenn die Tiefenpsychologie zu Rate gezogen wird, um die freimaurerischen Rituale und ihre Symbolik zu beleuchten, dann ist das durchaus sinnvoll. Trotzdem muss man aber die Grenzen der Tiefenpsychologie sehen. So können Tiefenpsychologie und Psychologie immer nur eine Hilfe und ein mögliches Modell von vielen bedeuten, um eine bestimmte Situation zu erhellen, aber keinesfalls restlos zu verstehen. So meint ein Tiefenpsychologe, dass es eben nicht „die“ Tiefenpsychologie an sich gibt, sondern „sie ist ein Konglomerat von Schulen, mit so gegensätzlichen Hypothesen, Theorien und Praktiken, dass man nur wenige tiefenpsychologische Sätze formulieren kann, die nicht von angesehenen Forschern mit guten Gründen bestritten werden.“532 Also kann diese Entgegensetzung – hie gesichertes wissenschaftliches, tiefenpsychologisches Wissen, dort die auf unsicheren Beinen stehende Religion – nicht so funktionieren, wie manche uns das gerne glauben machen wollen. „Jedenfalls ist es unberechtigt, uns Tiefenpsychologen (der hier zitierte Autor ist selber Tiefenpsychologe – Anmerkung des Verfassers) zu Sachverständigen oder gar Schiedsrichtern in Lebens- und Glaubensfragen machen zu wollen. Niemand sollte schön bescheiden bei der Tiefenpsychologie in die Schule gehen: sie ist eine oft geniale, aber unzuverlässige Lehrmeisterin.“533 Ein riesiges Problem besteht: Es gibt in der Tiefenpsychologie keine Wahrheitskriterien. Das bedeutet, dass man mit der Vielzahl an Theorien der einzelnen Vertreter der Tiefenpsychologie sehr wohl viel Wertvolles und Plausibles deuten und aus den Träumen oder Bewusstseinszuständen herauslesen kann, trotzdem bleibt die Tiefenpsychologie der Beliebigkeit unterworfen, da ein gültiger, verbindlicher Beurteilungsmaßstab fehlt. Es geht auch meist um etwas ganz anderes, es geht oft um eine individuelle Art von „Wahrheit“, womit dann vor allem auch die Wirkung von Psychotherapie angesprochen werden muss. Denn die Wirkung bzw. der Erfolg gibt hier dem Therapeuten recht. Es geht aber nicht die Frage, ob die Träume, Symbole und Archetypen tatsächlich der Realität entsprechen. Damit ist auch die Lebenswirklichkeit kein Richtmaß für diese inneren Realitäten. Denn die innere Realität kann und darf einerseits nicht gegen das ausgespielt werden, was ich „außen“ erlebe, andererseits ist beides, also auch das, was sich beispielsweise in meinen Träumen abspielt, real. Trotzdem: Wenn ich träume, dass mir ein anderer etwa Schmerzen zugefügt oder 532

A. Görres, Erneuerung durch Tiefenpsychologie?, in: A. Görres/W. Kasper (Hrsg.), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann, S. 141. 533 Ebd., S. 142.

13. Die psychologische Deutung des Rituals

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mich bedroht hat, oder dass ich in einer Angst einflößenden Situation war, dann heißt das noch lange nicht, dass das außerhalb der Traum- oder Phantasiewelt wirklich so passiert. Trotzdem darf die Interpretation aus dem Blickwinkel der Tiefenpsychologie, zumindest aber die Therapie nach diesen Modi nicht nur negativ gesehen werden. So geht es auch nicht um ein Ausspielen gegeneinander, sondern vielmehr um die Grenzziehung und darum, dass nicht die Ebenen beider Bereiche miteinander vermischt werden. Wenn die Beschäftigung mit der Tiefenpsychologie auch bedeutet, dass man sich bewusst macht, dass der Mensch einen Sensus hat für das Große, ganz Andere, dann kann hier die Tiefenpsychologie durchaus auch einen Beitrag zum Verständnis der Religion leisten. „So ist es nicht nur in der Einzeltherapie, sondern auch in Gruppen möglich, auf diese Weise gestörte oder zerstörte Grundformen personaler Beziehung, die Vertrauen, Glauben, Hoffen, Lieben ja doch sind, so anzufachen wie einen glimmenden Docht.“534 aa) Auf der Suche nach dem „sakramentalischen Sinn“ Goethe bezieht sich auf das Abendmahl und sagt: „Ein solches Sakrament dürfte aber nicht allein stehen, kein Christ kann es mit wahrer Freude, wozu es gegeben ist, genießen, wenn nicht der symbolische oder sakramentalische Sinn in ihm genährt ist.“535 Damit wird ein Bereich angesprochen, der natürlich – ganz im Sinne dessen, was wir zuerst dargestellt haben – nicht nur von der Religion „besetzt“ wird, sondern auch u. a. von der Tiefenpsychologie. Es geht dabei um die Frage nach den Voraussetzungen für religiöses Erleben, für das Erleben des Sakramentes und des Symbols, womit ja auch hier schon eine Brücke zum Erleben des Rituals der Freimaurerei geschlagen wird. Freimaurer sehen und thematisieren diesen Anfang immer wieder als die Ritualfähigkeit. Natürlich kann uns die Tiefenpsychologie zum Verständnis der Voraussetzungen des Ritualerlebnisses gewisse Möglichkeiten und Angebote schaffen. Es können auch gewisse Störungen oder Verflechtungen zwischen diesen Erlebnissen und der Persönlichkeit des Menschen transparenter und verständlicher gemacht werden. Und damit hat die Tiefenpsychologie als Hilfe durchaus eine wichtige Aufgabe. Aber es kann auf der anderen Seite die Tiefenpsychologie – vornehmlich auf dem Hintergrund der verschiedenen Ansätze und Schulen derselben – nicht dazu gebraucht werden, in diese vermeintliche Erklärungslücke hineinzuschlüpfen und alle diese Bereiche des rituellen Erlebens nur mehr aus ihr selbst zu erklären. 534 535

Ebd., S. 151. Vgl. dazu: www.wortpfau.de/zitate/Sinn-6.html, eingesehen am 8. April 2008.

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II. Das Ritual

bb) Das „Gnothi Seauton“ Ein – oder besser – das Schlüsselwort der Freimaurerei ist das „Gnothi Seauton“, das „Erkenne dich selbst“, das im delphischen Orakel der Leitspruch war. Konsequenterweise wird deshalb auch der Mensch – und nur der Mensch – ins Zentrum der Betrachtungen gestellt, aber immer in der Interaktion mit dem Kosmos. Auch der A. B. A. W. kommt dabei vor. Allerdings scheint er nicht die Rolle zu haben, den Fokus auf sich zu ziehen. „Der delphische Spruch enthält in seinem Ursinn eine Ermahnung, angesichts des Gottes seiner menschlichen Beschränktheit eingedenk zu sein.“536 Hans Urs von Balthasar erhärtet diese Behauptung mit vielen Beispielen aus der Antike.537 Wenn auch dieser Spruch in der Antike im Allgemeinen dazu dienen hätte sollen, diese Selbstbescheidung des Menschen gegenüber Gott zu zeigen, so kann das Ganze auch in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn man an Pompejus denkt, „der in Athen den Göttern opfert, liest bei der Gelegenheit einige auf ihn gemachte Inschriften. An der inneren Seite stand nämlich diese: ‚Insoweit du weißt, dass du ein Mensch bist, insoweit bist du ein Gott‘.“538 Das führt uns hin zum platonischen und neuplatonischen Ansatz. „Bei Plotin wird Selbsterkenntnis zur Einsicht in die Struktur der Seele, der philosophische Grundakt der ‚Umwendung‘ (epistrophè) wird identisch mit dem Gnothi Sauton. Sich erkennen heißt für die Gnostiker auf den eigenen Ursprung zurückblicken, von dem her die Seele ‚abgestiegen‘ ist.“539 So ist hier dieses Gnothi Sauton eingebunden in dem Gedankenkonstrukt von verschiedenen Stufen, die sich konstituieren je nach ihrem Anteil an der körperlichen und geistigen Welt, wobei dieser geistigen Welt der Vorzug zu geben ist. „Ja, Plotin spricht auch wohl von zwei Seelen, einer höheren, rein geistigen, und einer zweiten, niederen, die das Körperliche gestaltet. Und zwar betrifft das sowohl die Welt- als auch die Einzelseele. Auch die immaterielle Weltseele strahlt eine zweite, die gestaltende Naturkraft (physis) aus, die aus feinstem Äther besteht und mit dem Weltköper verbunden ist, wie unsere Seele mit unserem Körper.“540 Damit haben wir zwei Bewegungen zu verzeichnen, was die Interpretation dieses Gnothi Sauton betrifft: Einmal diese Bewegung in Richtung des Kennenlernens des Ich, das sich bewusst macht, dass der Mensch sich zu bescheiden hat, weil er im Angesicht Gottes, eines Größeren, steht. Und andererseits die Vorstellung, dass wir selbst eine Seele haben, einen Anteil an der Göttlichkeit durch den Anteil an der 536

H. U. von Balthasar, Theodramatik. Erster Band, Prolegomena, Einsiedeln 1973, S. 459. 537 Vgl. ebd., S. 459 f. 538 Ebd., S. 460. Von Balthasar gibt als Beleg dafür Plutarch, Pompejus 27 an. 539 Ebd., S. 461. 540 Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie, in: www.textlog.de/6343.html.

13. Die psychologische Deutung des Rituals

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Weltseele. Das ist dann auch die Vorstellung, die das Materielle abwertet und das Positive vor allem in der Reinigung vom Körperlichen sucht, was letztlich den Dualismus des Neuplatonismus ausmacht. Damit ist aber eines gesagt: Dieses „Erkenne dich selbst“ kommt nie ganz aus, ohne auch die Beziehung zum Göttlichen zu denken, den Menschen und die menschliche Seele in diese Beziehung einzuordnen. Wenn auch die eben referierten Anschauungen des Neuplatonismus eine gewisse Problematik in sich tragen, so sind sie insofern auch wichtig, weil sie auch gewisse Einflüsse sowohl im frühen Christentum – vor allem auch in seiner Auseinandersetzung mit Irrlehren, etwa des Manichäismus – als auch auf die Freimaurerei haben dürften. Fazit: Die Frage nach dem Gnothi Sauton ist immer schon eine Bewegung, die nicht nur nach dem Kern des Menschen allein fragt, sondern auch das „Größere“ mit einbezieht. cc) Das Gegenmodell des Angerührt-Werdens durch Gott Nach Ansicht des Autors dieser Arbeit wird die Wichtigkeit eines Modells übersehen, das im Gegensatz zu den Versuchen steht, die Tiefenpsychologie als Totalerklärung auszugeben für jene Phänomene, die im Zusammenhang mit dem Ritual oder Sakramentserlebnis stehen. Eines Modells, das zwar sehr wohl die Gemeinsamkeiten der Menschen unterschiedlicher Kulturkreise in Rechnung stellt, aber ganz andere Schlüsse zieht, weil es nicht nur in einem säkularen Bereich bleibt, sondern diese religiöse Dimension mit einbezieht. Vor allem ist es problematisch, hier nur ein „Entwederoder“ gelten zu lassen, wo es doch in diesem Bereich meist ein „Sowohlals-auch“ gibt. „Die Bedeutungskraft der Symbole aber ist in ihren Urformen in jeder Religion vorhanden und gehört zu den Archetypen alles menschlichen Gottsuchens. Die Forschung C. G. Jungs (ist) nicht etwa eine Repristination alter liberaler ‚Religionsgeschichte‘, sondern (stößt) in eine viel tiefer liegende Schicht der Gemeinsamkeit aller Religionen hinab, in die geheimnisvolle Welt der Archetypen – die katholische Theologie würde sagen, in die allen Menschen gemeinsame, auf Gott hin angelegte Natur, die in eben dieser ‚Religiosität‘ auch ansprechbar ist für eine möglich Offenbarung des sprechenden Gottes, der dann nur in ‚menschlichen‘ Worten sprechen kann, wenn er vom Menschen verstanden werden soll.“541 Damit wird die christliche Sicht des Angelegt-Seins auf Gott hin und das Gerufen-Werden durch ihn uns wieder ins Gedächtnis gerückt und das ist ein wichtiger Kontrapunkt zu Tendenzen, alles (hinreichend) innerweltlich und säkular zu erklären und bzw. zum Zwang, dies so erklären zu müssen. Auch das ist m. E. nach eine Art Dogma. Damit kommt man auch auf die 541

H. Rahner, Griechische Mythen in christlicher Deutung, S. 28 f.

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II. Das Ritual

Frage nach einer Art „höherem“ weil überindividuellem Bewusstsein, das den Menschen durchdringt, das von gnostischen Zugängen mitunter als Schema angewandt wird und irgendwie an die Freimaurerei und ihr Bewusstsein erinnert, nicht ganz zufällig, wie es scheint, wenn man den gnostischen Hintergrund der Freimaurer durch die Rosenkreuzer mit beachtet. Romano Guardini charakterisiert diese Umdeutung des gnostischen Hintergrundes folgendermaßen: „Aus der biblischen Offenbarung wird ein Durchdringen des göttlichen Lichtes im freigewordenen höheren Bewusstsein. Aus dem Glauben, dessen Kern im Hinüberschritt der Person zum rufenden Gott und ihrer Selbstbindung in Gehorsam und Treue besteht, wird eine Stufenfolge geistiger und mystischer Erkenntnis.“542 Das christliche Verständnis ist eben ein anderes: Nicht nur Erkenntnis, sondern Zuwendung und Liebe, nicht nur Rezeption, sondern Antwort geben und Antwort bekommen, ja Verantworten dieser Beziehung mit Gott und von Gott her. Damit bedeutet dieses Angelegt-Sein auf Gott, dieses Bewusstsein des Menschen, der nach etwas Höherem strebt in der Religion, nicht nur die Zulassung einer zusätzlichen Dimension, die außerhalb des Menschen ist, sondern auch die Zulassung und den Aus- und Aufbau einer neuen Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die nicht nur vom Ich her gedacht wird, sondern auch das Du eines Größeren mit einschließt. „Das weist indes auf Grundsätzliches hin. Es geht dem Menschen nämlich in der Religion nicht – wie die Schule C. G. Jungs erklärt – um ein Verhältnis zum eigenen Seelengrund, um Selbst-Bezug, sondern um ein Verhältnis und Gegenüber zu Gott.“543 Und – was in diesem Zusammenhang noch besonders betont werden muss – bei diesem Gottesbezug geht es auch nicht darum, dass man sich selber als Mensch als Gott oder das Ich sieht, sich selber also vergöttlicht.

542 R. Guardini, Das Christusbild der paulinischen und johanneischen Schriften (Erstaufl. 1940), Mainz 1987, S. 141. 543 J. Splett, Wahrheit und Geschichte, Mythos und Person, in: A. Görres/ W. Kasper (Hrsg.), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann, S. 92.

III. Theologische Bilanz Nun gilt es, die Symbole und Rituale der Freimaurerei in der Zusammenschau zu beurteilen, um auf diese Art die Beurteilung in kirchenrechtlicher Hinsicht zu fundamentieren bzw. vorzubereiten. 1. Symbolik und Geschichtlichkeit Zwei verschiedene Zugänge finden wir in der Freimaurerei und im Christentum. In der Freimaurerei geht es zwar um Geschichte. Allerdings ist diese Geschichte eine heilige Geschichte insofern, als dadurch die Ehrwürdigkeit der Freimaurerei mit allen ihren Facetten beleuchtet wird. Damit wird sie zu einer Geschichte aus Geschichten. Im Zentrum steht also das Narrative, nicht das Historische. Zwar hat auch im Christentum das gesamte Leben, als auch etwa die gesamten Lebens- und Glaubensvollzüge des Volkes Israel seinen Platz und damit ist auch das Narrative wichtig, allerdings ist das gesamte Christentum zentriert auf das historische Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes, dessen Kulminationspunkt die Menschwerdung Gottes ist. Die Freimaurer interessiert es letztlich eigentlich nicht, ob diese Geschichten wirklich in der Geschichte ihren Platz haben: Wirklich interessant ist nur die Geschichte der Freimaurerei, soweit sie seit 1717 belegbar ist bzw. deren reale Wurzeln, um freimaurerische Forschung und auch Apologie betreiben zu können, ein Recht, das jeder Gemeinschaft zusteht. Nur diese Art von Geschichte ist die eigentliche Geschichte der Freimaurerei, denn gegenüber dem eschatologisch aufgeladenen Geschichtsbegriff des Christentums „ist natürlich die Freimaurerei Profangeschichte und vor allem in ihren Zielsetzungen – bei allem Sinnhintergrund des Göttlichen und Geistigen – ist sie doch rein innerweltlich in dem, was sie anstrebt und worauf sie hinauswill.“1 Aber das freimaurerische Selbstverständnis wird nur zum Teil von dieser Art Geschichtsforschung getragen. Dort, wo es mit dem Symbol zu tun hat und damit zu einer Geschichte aus Geschichten wird, ist das 1 A. Schmidt, Podiumsgespräch zwischen A. Schmidt und G. Essen – Freimaurerei und christlicher Glaube. 21. Jänner 2008, abgehalten in der Karl-Rahner-Akademie in Köln, in: www.kath.de/akademie/rahner/01Aktuell/02aktuell/Freimaure rei_und_christlicher_Glaube_kurz.wma, eingesehen und aufgezeichnet am 20. Juli 2008.

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III. Theologische Bilanz

Ganze ahistorisch. Deswegen wird vonseiten der Freimaurerei immer davon gesprochen, dass die Freimaurerei immer war. Die freimaurerische Hagiographie braucht diese heilige Geschichte aber nicht nur dazu, um – wie wir etwa bei Anderson gesehen haben, der auch Moses und andere zu Freimaurern erklärte – die Größe der Freimaurerei zu erklären, sondern es ist auch ein wenig der Versuch der Sakralisierung in einem System, das große Schwierigkeiten hat, zwischen Sakralität und reiner Immanenz zu unterschieden. Die heilige Geschichte wird daher immer wieder aufgelöst durch das Symbol. Denn die heilige Geschichte selber ist symbolisch zu sehen. Damit ist die Geschichte der Freimaurerei als freimaurerische Hagiographie eine Ansammlung von Geschichten, die aber jeweils austauschbar sind. Denn nicht der Gehalt dieser Geschichten, die ja (symbolische) Wirkung und Wirkmächtigkeit haben sollen, ist von entscheidender Bedeutung, sondern die Kraft des Symbols und dessen Einwirkung auf den Menschen. Es ist durchaus beachtlich, wie diese Kraft eingeschätzt wird, weil sie scheinbar eine vom Menschen oft abstrahierte Eigendynamik bekommt. Es ist eine Weisheit der Wirkung, wie wir im Kapitel über das freimaurerische Ritual auch zitiert haben. Diese Weisheit ist es letztlich, die einerseits eine ganz menschliche Weisheit ist, andererseits aber auch einen gewissen Totalanspruch hat, den wir noch beim Thema „Ritual“ ansprechen werden müssen. Mit dieser Auflösung im Symbolischen verwahrt sich vieles in der Freimaurerei dem Zugriff des Rationalen. Sehr oft, wenn ein Symbol oder ein Ritual begrifflich gefasst werden soll, gibt es gleichzeitig auch den Hinweis, dass dies auf der rationalen Ebene nicht funktioniert, und zwar von der Sachgerechtigkeit her, weil sich diese Sache dem rationalen Zugriff entzieht. Es wird dann hingewiesen auf die Tatsache, dass die Symbole und Rituale weniger beschreibbar, sondern vielmehr nur erlebbar sind. Also erlangen diese nur ihre Wirkmächtigkeit ausschließlich im Vollzug. Damit ist sowohl das Ritual als auch das Symbol – bei aller geschichtlichen Festlegung und Tradition – immer wieder neu offen für die individuelle Deutung und damit auch (bewusst) entzogen einer geschichtlichen Ortung und immun gegen ein Festmachen. Die Geschichte wird im Christentum immer als Heilsgeschichte gesehen. Nur in der konkreten Geschichte spielt sich die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus und damit auch die Selbstentäußerung Gottes als die Liebe ab. Nur aus der Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist, ans Kreuz geschlagen wurde, sich sogar im Tod mit dem Menschen solidarisierte und diesen Tod auch überwunden hat, ist der Mensch ein Erlöster. Und diese Erlösung wird auf Erden greifbar: In der gemeinsamen Geschichte mit Gott, in dieser Solidarität Gottes, indem mit dem Menschen Zeichen, zutiefst menschliche Zeichen in den Sakramenten vereinbart wurden, um damit einen Begegnungsraum mit ihm zu schaffen.

2. Dialektik zwischen Säkularität und Religiosität in der Freimaurerei

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Diese Begegnung ist ein Segensgeschehen: Dieses Gemeinsame der Anamnese, der Epiklese, indem der Mensch Gott anruft und ihn bittet, ganz in der Gemeinschaft mit dem Menschen zu sein, woraus diese Gemeinschaft selber erfahrbar wird und die Hingabe Gottes bzw. an ihn. Damit ist diese gemeinsame Geschichte mit Gott, die schon in der Geschichte des Gottesvolkes des AT und in der Schöpfungsgeschichte zum Bewusstsein gebracht wird, ein Schlüssel zum dem heilgeschichtlichen Verständnis, das das Christentum hat. Das bedeutet aber auch: Es kann keine Trennung zwischen Heils- und Profangeschichte geben. „Alle Formen eines doppelten Geschichtsbegriffs, hier die Heilsgeschichte, dort die Profangeschichte, ist strikt, christlich gesprochen, häretisch und würde darauf hinauslaufen, Gottes Kommen ins Fleisch nicht ernst zu nehmen.“2 Symbolik wird hier nicht wie in der Freimaurerei zur Veränderung des Menschen alleine oder zur Erlangung einer übernatürlichen Weisheit eingesetzt, sie ist auch nicht das Einzugsgebiet einer anonymen Macht, die willkürlich bestimmt werden kann, sondern Symbolik ist hier (sofern sie sich auf das innerste sakramentale Geschehen bezieht) das Gemeinsame zwischen Gott und Mensch, sie gibt es deshalb, weil es eine Vereinbarung mit diesem Gott gibt. Und so wird auch nicht eingesetzt, um Geschichte aufzulösen oder jenseits und neben der Geschichte noch eine Kategorie einzuführen, sondern sie bleibt geschichtlich verfasst, kann aber genau dieses Hindernis der Zeit dadurch überwinden, indem etwa in den Sakramenten, so in der Eucharistie – Christi Leben, vergegenwärtigt wird. Gerade „die Eucharistie ist dem christlichen Glauben zufolge die Form, in der dieser garstig breite Graben (der Geschichte – nach Lessing – Anmerkung des Verfassers) überbrückt wird.“3 2. Dialektik zwischen Säkularität und Religiosität in der Freimaurerei Einerseits werden Freimaurer – stellvertretend sei etwa Di Bernardo erwähnt – nie müde zu erklären, dass Religion und Freimaurerei nichts miteinander gemein hätten, da sie auf ganz und gar verschiedenen Ebenen lägen, denn die Freimaurerei sei ausschließlich auf das Immanente ausgerichtet. Auf der anderen Seite wird aber immer wieder diese Transzendenz gebraucht, um den sittlichen Anspruch zu rechtfertigen, und zwar als regulatives Ideal im Sinne Kants. Daneben wird aber auch im Ritual ein „Allmächtiger Baumeister Aller Welten“ angerufen. In der Freimaurerei gehe es um individuelle Selbstvervollkommnung, nicht um das Heil, wie immer 2 3

G. Essen, Podiumsgespräch zwischen A. Schmidt und G. Essen. G. Essen, Podiumsgespräch.

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III. Theologische Bilanz

wieder betont wird. Trotzdem umfasst die Freimaurerei letztlich die Erziehung des Menschen, umfasst ihn total. All das zeigt schon diesen Anspruch der Freimaurerei: Einmal die behauptete alleinige Ausrichtung auf das Diesseits, andererseits aber die Ritualistik, die weit über psychologische Mechanismen hinausgeht, und auch im Theoretischen der Versuch, die Sittlichkeit als hohes (oder sollte man sagen höchstes Gut) durch ein höchstes Wesen abzusichern. Daneben bleibt auch der Begriff der Natürlichkeit und der Gedanke der Vernunft, der hier an die Stelle des höchsten Wesens treten kann. Damit treffen wir auf ein Hin und Her zwischen behaupteter Säkularität bzw. Ausrichtung auf das Diesseits und durchaus feststellbarer Ausrichtung auf etwas über das Diesseits Hinausgehendes. Der Freimaurer Alfred Schmidt meint dazu: „Die religionsphilosophische Grundlage der humanitären Freimaurerei ist in ihren sämtlichen Obödienzen dieselbe. Stets handelt es sich um den tastenden Versuch, einen letzten Sinnhintergrund der Welt und ihrer Ordnung anzugeben. Wir setzen ihn aus moralisch-regulativen Gründen voraus, ohne ihn zu erkennen. Ein ungetrübter Blick aufs Seiende im Ganzen, wie alle Metaphysik ihn zu erreichen sucht, ist uns verwehrt, weil wir, eingesperrt ins Gehäuse unserer Subjektivität, menschlichem Maß verhaftet bleiben.“4 Das Ziel ist also u. a. die übernatürliche Absicherung der Ethik. Sie ist also eigentliches Ziel. Und dabei nimmt man auch die Indienstnahme von etwas in Kauf, das sonst nicht in den theoretischen Überlegungen der Freimaurerei verwendet wird. Was ist also nun das Religiöse bzw. der religiöse Glaube in der Freimaurerei, abgesehen von der theoretischen Absicherung der Moral durch das Transzendente? Daneben bleibt aber auch die drängende Frage nach dem Ritual. Denn die Nichtfestlegung des Rituals, das gewissermaßen aus sich selber wirkt und am Menschen handelt, das Schweigen über das „Geheimnis“ des Rituals gegenüber Profanen scheint vor allem religiöse Gründe zu haben. Es ist eine Handlung, die hier vollzogen wird, die den Menschen auch irgendwie religiös in den Dienst nimmt. Nicht umsonst ist derjenige, der ein mit dem Ritual Vertrauter ist, kein Profaner mehr. 3. Die Unbedingtheit der Toleranz Der Zentralbegriff im freimaurerischen Denken ist die Toleranz. Wenn sich auch die Freimaurerei nicht als Angebot für die breite Masse versteht, 4 A. Schmidt, Freimaurerei und Religion: historisch-philosophische Grundlagen ihres Verhältnisses, in: Quatuor Coronati. Jahrbuch für Freimaurerforschung, 41, 2004, S. 11–20, zitiert aus: www.freimaurerforschung.de/index.php?option=com_ content&task=view&id=19&Itemid=40, eingesehen am 14. Mai 2008.

3. Die Unbedingtheit der Toleranz

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„sondern nur für die Glücklichen, die den Zugang finden“5, so ist ein wichtiges Movens der Freimaurerei gerade die grundsätzliche Offenheit für alle Menschen. In der Beurteilung muss aber gefragt werden, welchen Charakter diese Toleranz hat: Also, was wird dieser alles untergeordnet und vor allem welchen Platz haben im freimaurerischen Denken Wahrheit und Religion tatsächlich? a) Der Wahrheitsbegriff Die freimaurerische Vorstellung von Toleranz geht einher mit einem Wahrheitsbegriff, der davon ausgeht, dass der Mensch sich nur asymptotisch der Wahrheit nähern kann. Es geht hier auch gar nicht vordergründig um Wahrheit. Den Wahrheitsbegriff der Freimaurer kritisiert auch die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz: „Von den Freimaurern wird die Möglichkeit objektiver Wahrheitserkenntnis verneint.“ Während der Verhandlungen wurde besonders an das bekannte Wort von G. E. Lessing erinnert: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzig immer regen Trieb, obschon mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: ‚Wähle‘, ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: ‚Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja nur für dich alleine.‘ “ (G. E. Lessing, Duplik 1977, Ges. Werke, V, 100.) Dies wurde in den Gesprächen als für die Freimaurer signifikant bezeichnet. „Die Relativität jeder Wahrheit stellt die Basis der Freimaurerei dar.“ Wir werden in der Folge sehen, dass das nur zum Teil stimmt. Einmal bedeutet hier Wahrheit in der Freimaurerei nicht Intersubjektivität in dem Sinne, dass hier Wahrheit als rational bestimmt wird. Wenn auch der Vernunft, entsprechend den Grundlinien der Aufklärung, ein sehr hoher Stellenwert beigemessen wird, so ist hier die letzte Wahrheitserkenntnis im kognitiven Bereich nur auf die Subjektivität bezogen. Und das bedeutet dann, dass Wahrheit auch nicht einzugrenzen oder mit anderen Leitlinien zu normieren ist, wenn man sich darauf verständigt, dass man sich der Wahrheit nur annähern, aber sie nicht erreichen kann. Wenn wir die Denkweise der Freimaurerei ernst nehmen, dann müssen wir davon ausgehen, dass ja gerade das für sie Zentrale, also die Symbolik und Ritualistik, sich dem Rationalen und Argumentativen entzieht, weil die Wirklichkeit und auch Wirkmächtigkeit desselben sich vor allem im Individuellen entfaltet. Natürlich wird in der Freimaurerei immer wieder betont, dass das Suchen nach der Wahrheit eine wesentliche Tugend darstellt. Hier geht es also (oft) darum – wie dies auch in der Argumentation in der Diskussion 5 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven“.

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III. Theologische Bilanz

mit der Deutschen Bischofskonferenz dargestellt wurde –, dass nicht das Ziel die Wahrheit selber darstellt, sondern lediglich der Weg zu einer solchen Annäherung an sie. P. Alois Kehl SVD, der die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz sehr scharf kritisierte, meint dazu: „Die Freimaurerei hat keinen eigenen Wahrheitsbegriff. Der einzelne Freimaurer kann sich dem philosophischen System anschließen, das ihm beliebt, und auch an eine geoffenbarte Wahrheit glauben, ohne darin beeinträchtigt zu sein.“6 Der Autor dieser Arbeit stellt die Frage, ob bei einem umfassenden weltanschaulichen System, das die Freimaurerei mit ihrer Erziehung des ganzen Menschen sicher ist, hier so ohne weiteres die Wahrheitsfrage nur der Subjektivität überlassen werden kann. Vielmehr wäre es naiv, die Wahrheitsfrage den Weltanschauungen zu überlassen, denen jeder anhängt, gleichzeitig aber, wenn es um die Erziehung des Menschen geht, nur von abstrakten, freischwebenden und teilweise immer nur von jeweiligen Weltanschauungen zu füllenden Prinzipien auszugehen. Der Artikel zum Thema „Relativismus“ im „Internationalen Freimaurerlexikon“, bringt das vorher Dargelegte auf den Punkt, wenn es dort heißt: „Aus dem Relativismus lässt sich der Standpunkt der Freimaurerei zu den Problemen der Welt und der Menschheit ableiten: In ihrer Symbolik und in ihren Ritualen tritt die relativistische Einstellung klar zutage. Die Freimaurerei ist von der Bedingtheit aller Wahrheiten durchdrungen.“7 b) Das quasireligiöse Moment der Toleranz Eine Wahrheit steht aber trotzdem außer Zweifel und das ist die freimaurerische Toleranz. Wenn politische Gespräche und Diskussionen über Religion zugunsten dieser Toleranz vermieden werden, aber auch die konfessionelle Religionszugehörigkeit in den privaten Bereich verschoben wird, dann hat das nicht nur Auswirkungen auf die Frage nach der Bedeutsamkeit, dem Stellenwert der Religion. Die Toleranz tritt hier an die erste Stelle, gemeinsam mit der Moral, die ja das eigentliche Ziel der Freimaurerei ist. Lessing erklärt in seiner Ringparabel („Nathan der Weise“), dass ja möglicherweise die wahre Religion verloren gegangen sein könnte und dass sich der wahre Ring, die wahre Religion, wahrscheinlich nur aus den Früchten, aus der Moral erkennen lassen könnte. Man behilft sich hier, im Sinne Andersons, mit der Religion, „in der alle Menschen übereinstimmen“. Der Freimaurer Schmidt definiert diese in Anlehnung an Kant „als Erkenntnis ‚aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote‘. Sie enthält kein Geheimnis 6 A. Kehl, Warum Dialog zwischen Katholiken und Freimaurern, zitiert aus: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 174. 7 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 700.

3. Die Unbedingtheit der Toleranz

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und bildet daher, wie Kant hinzufügt, einen Bestandteil ‚der Religion der meisten gesitteten Völker‘.“8 Damit bleiben die Aussagen über die Religion selber und gar über Gott unbestimmt, aufs Private und Subjektive verwiesen. Die Religion ist damit Subjektivität, ganz im Sinne der Aufklärung, nur mehr für das Private maßgeblich. Die Qualitätssicherung bei dem Ganzen scheint die Vernunft zu übernehmen. Wie wichtig hier die Einflüsse des Deismus sind, stellt in diesem Zusammenhang Schmidt auch dar, indem er meint, dass ja gerade im Deismus „sich der geistesgeschichtliche wie sozialhistorische Prozess des allmählichen Auseinandertretens von positiver, geoffenbarter Religion und einer Religiosität manifestiert, die in der vernünftigen, das heißt sittlichen Natur des Menschen gründet. Die englische Aufklärung setzt einen in allen Menschen wirksamen moral sense voraus, ein Sensorium für das der Gesellschaft und dem Individuum Zuträgliche und Nützliche.“9 Die sittliche Natur selber ist damit die Basis für die Argumentation. Weil diese im Menschen gründet, scheint hier also alles für die gemeinschaftliche Suche nach der Moral, nach der Pflicht, Hinderliche weggeschoben worden zu sein. Gleichzeitig erfolgt aber die Sinngebung durch die Gemeinschaft, deren Voraussetzung die Herstellung derselben durch eine Zurückdrängung des Konfessionalismus ist. Der Preis dafür ist das Schweigen über Religion. Haben damit die Gemeinschaftlichkeit selber und die Toleranz den Platz der Religion eingenommen? Fast scheint es so. Deswegen sieht auch Di Bernardo die Freimaurerei als eine Wegbereiterin und als mögliche Fahnenträgerin für das von Hans Küng vorgeschlagene Weltethos. Heute haben sich die gesellschaftlichen Grundlagen aber total geändert: Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der es in Bezug auf ethische Ziele nur mehr einen Minimalkonsens gibt. Hier kann man sich durchaus u. U. auf solche gemeinsamen ethischen Grundlagen ohne Gottesbezug verständigen, um damit eine Diskurs- und Entscheidungsmöglichkeit innerhalb der pluralen Gesellschaft zu haben. Aber die Freimaurerei ist mehr als eine Gemeinschaft von Fremden, die das Schicksal zufällig zusammengeführt hat. Gerade durch die gemeinsame Symbolik und Ritualistik hat sie ein großes Potential an Religiosität. Hier dann die konfessionelle Religiosität zu verschweigen bzw. zu verdrängen, aber sehr wohl den religiösen Bezug zu haben und auch zu leben, ist fragwürdig. Wenn der religiöse Bezug durchaus gegeben ist, aber trotzdem der Konfessionalismus zurückgedrängt wird, ist die Frage offen, ob nicht eine Art religiöser Konkurrenz aufgebaut wird und damit religiöse Toleranz selber auch zu einer Art Religiosität oder zum Wegbereiter einer anderen Form von Religiosität wird. 8 9

A. Schmidt, Freimaurerei und Religion. Ebd.

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III. Theologische Bilanz

c) Das scheinbar Adogmatische der Freimaurerei Wenn die Vernunft an erster Stelle steht, dann darf es keine Denkgeoder -verbote geben. Das scheint die logische Konsequenz einer aufklärerischen Haltung, in der der rationale Diskurs und die besseren Argumente das Bestimmende sind. Denn alle Leitlinien, die diesen Diskurs beschneiden, erscheinen damit als fragwürdig. Wie steht nun die Freimaurerei zum Dogma? Das Internationale Freimaurerlexikon sieht den Umgang der Freimaurerei mit Dogmen folgendermaßen: „Institutionen auf dogmatischer Grundlage, als deren hervorstechendste die katholische Kirche gelten kann, üben Glaubenszwang aus. Die Freimaurerei kennt keine Dogmen, nimmt aber die Anhänger der verschiedensten religiösen, politischen und nationalen Dogmen auf, insofern sie sich der Pflicht der Toleranz unterwerfen. Sie ist adogmatisch, nicht antidogmatisch, wie vielfach behauptet wird. Die adogmatische Einstellung der Freimaurerei ist die Hauptquelle der vom Katholizismus gegen sie gerichteten Anfeindungen.“10 Alois Kehl betont, dass hier der Begriff „Dogma“ nicht nur in einem religiösen Sinn verwendet wird, sondern auch im Zusammenhang mit politischen und nationalen Weltanschauungen. Seine Erklärung: „So ist hier gemeint, dass ein Freimaurer sich nicht blindlings den etwa vom Marxismus, Faschismus, Nationalismus usw. propagierten Lehren hingeben soll. . . . Da also die Freimaurerei keinen eigenen Wahrheitsbegriff hat, kann hier auch keine Unvereinbarkeit mit dem katholischen Wahrheitsbegriff konstatiert werden.“11 Ist es überhaupt möglich, ohne Wahrheitsbegriff auszukommen? Es soll hier nicht auf das philosophische Problem des Wahrheitsbegriffs eingegangen werden. Trotzdem muss betont werden, dass ja auch die Freimaurerei Aussagen macht, der sie Wahrheit im weitesten Sinne zuschreibt. Damit ist z. B. auch die Frage nach dem Adogmatischen der Freimaurerei gemeint: Wenn man behauptet, die Freimaurerei sei adogmatisch, dann ist das ja ebenfalls eine Festlegung in dem Sinne, dass Festlegungen grundsätzlich nicht möglich sind. Und das hat sehr wohl Auswirkungen auf die gesamte Weltanschauung der Freimaurer. Festlegungen – und damit wird der behauptete Adogmatismus aber sehr wohl durch Festlegungen und Lehren durchbrochen – werden allerdings für den Bereich der Symbolik und Ritualistik gemacht. Es gibt ja feste Symbole, es gibt festgeschriebene Rituale und es gibt einen Grundbestand an Festlegungen, etwa im Bereich der Alten Pflichten und der Alten Landmarken. Sind das keine Lehren, ist die gemeinsame Ausrichtung auf das Ziel des Aufbaus des Tempels der Humanität keine Festlegung, in 10

E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 230. A. Kehl, Warum Dialog zwischen Katholiken und Freimaurern, zitiert aus: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 115. 11

3. Die Unbedingtheit der Toleranz

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der die Gemeinschaft übereinstimmt? Die Symbole und Rituale sind in und aus der Praxis vom Einzelnen zu interpretieren: Aber die Wahrheit, die für den Einzelnen aus diesen Symbolen und Ritualen für den Einzelnen entspringt, hat ja auch einen Anspruch, wenigstens einen subjektiven, der aber dann letztlich als ein solcher für die Freimaurer als für die Erziehung relevant angesehen und verteidigt wird. Damit sind also gewisse Grunddaten in Bezug auf die Wahrheitsfindung durchaus auch für die Freimaurerei gegeben. Der Freimaurerei überhaupt keinen Wahrheitsbegriff zuzumessen, auch wenn sie sich aufgrund des Toleranzgebotes gegen dogmatische Festlegungen offiziell wehrt, erscheint dem Autor unrealistisch, ja problematisch. Wenn nicht die Gemeinschaft einen gewissen Grundkonsens hätte, und wenn es nur die Toleranz wäre, dann könnte sie nicht existieren und dann fehlte auch der Grund, warum man Freimaurer werden wollte. Offensichtlich gibt es also hier zwei verschiedene Begriffe von Dogma: Während die Wahrheiten, auf die die katholische Kirche verweist, vonseiten der Freimaurerei mit Glaubenszwang in Verbindung gebracht werden, sind andere gemeinsame Festlegungen sakrosankt, haben aber auch einen Charakter von hoher Verbindlichkeit, etwa wenn die Regularität einer Loge der Johannisfreimaurerei von der Anerkennung durch die Großloge von England abhängig gemacht wird, die aber sehr wohl auch Beurteilungskriterien (und damit Festlegungen) dafür hat. Man könnte hier eine Frontstellung der Freimaurerei gegen gewisse Arten von Festlegungen lokalisieren, die als nicht vernunftgemäß und gegen die freimaurerischen Prinzipien festgestellt werden und damit dogmatisch erscheinen, und andere, denen man dieses Etikett nicht verleiht, weil sie im Sinne der freimaurerischen Wahrheit(skriterien) sind. Auch der Glaube daran, dass die Rituale und Symbole gewissermaßen aus sich selbst – und hier muss noch gar nicht auf den religiösen Gehalt der Rituale hingewiesen werden – wirken, ist so ein freimaurerisches Dogma, eine Festlegung. Noch einmal zu Dogmenfreiheit und Relativismus. Die Deutsche Bischofskonferenz bezieht sich in ihrer Erklärung auf „das als objektive Quelle anerkannte ‚internationale Freimaurerlexikon‘ “, wo es heißt: „Die Freimaurerei dürfte das einzige Gebilde sein, dem es auf die Dauer gelungen ist, Ideologie und Praxis weitgehend von Dogmen freizuhalten (was ja vom Autor dieser Arbeit schon begründet in Zweifel gezogen wurde – Anmerkung des Verfassers). Die Freimaurerei kann daher als eine Bewegung aufgefasst werden, die relativistisch eingestellte Menschen zur Förderung des Humanitätsideals zusammenzufassen trachtet.“12 Gegen diesen Sachverhalt wendet sich die Deutsche Bischofskonferenz: „Ein Subjektivismus dieser Art lässt sich mit dem Glauben an das geoffenbarte und vom Lehramt authentisch ausgelegte Gotteswort nicht in Einklang bringen. Außerdem er12

E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 700.

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III. Theologische Bilanz

zeugt er eine Grundeinstellung, welche die Haltung des Katholiken zu Wort und Handlungen im sakramentalen und sakralen Geschehen der Kirche gefährdet.“13 d) Die Stellung zur Offenbarung So etwas wie Offenbarung – das wird auch im Anschluss an das von der Bischofskonferenz Gesagte deutlich – kann also in einem Kontext, der ausgeht von einer behaupteten Dogmenfreiheit und der Regentschaft der Vernunft nicht vorkommen. Derlei wird dann in den privaten Bereich verwiesen, der aber für die Freimaurerei zwar durchaus gegeben ist, der aber nichts mit einem (gemeinsamen) Bewusstsein in der Rolle als Freimaurer zu tun haben sollte. In der Praxis wird es sehr schwer sein, diese Dinge voneinander zu trennen. Offenbarung kommt in der Freimaurerei höchstens im Zusammenhang mit dem Sittengesetz vor, das für den Menschen als verbindlich angesehen wird. Durch den ahistorischen Umgang mit freimaurerischen Legenden, bei denen es ja eben nur um die dahinterliegende Symbolik, nicht aber um den historischen Kern und die historische Verwurzelung geht, wie im Christentum, ist eine Offenbarung mit einer existentiellen Relevanz für den Bereich der Freimaurerei prinzipiell ausgeschlossen. Da hilft es auch nicht, wenn einzelne Freimaurer meinen, dass ja die persönliche Offenbarung nicht ausgeschlossen sei: „Eine unmittelbare Offenbarung (Theophanie) kann genauso im Freimaurertempel, in der Kirche, in freier Natur oder anderswo erlebt werden.“14 Was aber sehr wohl zu thematisieren sein wird, ist die Frage die sich im Zusammenhang mit den Ritualen für die Möglichkeit einer Offenbarung stellt. Muss hier nicht ausgegangen werden von einer möglichen Privatoffenbarung des Göttlichen innerhalb des Ritual, vor allem deshalb, weil ja nur das eigene Erleben des Rituals und die Folgen daraus, nämlich die darauf aufbauenden Interpretationen der Wirklichkeit, zu einer Norm werden, die fast absolut gesetzt wird, weil sie nicht hinterfragbar sind. Sie sind ja geschützt durch den Verweis auf die subjektive Dimension des Erlebnisses. 4. Begegnung mit dem Göttlichen? Wenn auch von Freimaurern immer wieder versichert wird, dass ihr Bund keine Religion darstellt, weil das Denken ja innerweltlich ausgerichtet ist und nicht auf das Heil des Menschen, weil „nur“ die ethische Vervoll13 Erklärung der deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei (12.5.1980). 14 H.-R. Köneke, Freimaurerlogen, S. 187.

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kommnung desselben angestrebt wird, so scheint die Praxis innerhalb des Rituals eine andere Sprache zu sprechen. Dazu der Freimaurer Hans-Hermann Höhmann, selbst Vorsitzender der Forschungsloge „Quator Coronati“ in Deutschland: „Sind freimaurerische Rituale trotz aller Abgrenzung der Freimaurerei gegenüber der Religion in ihrem Kern aber nicht doch religiös? In einer weiteren, funktionalistischen Perspektive kann diese Frage bejaht werden.“15 Er zitiert in diesem Zusammenhang den Soziologen Thomas Luckmann, indem dieser die Religion als „Einübung und Einzwängung in ein das Einzeldasein transzendierendes Sinngefüge“16 sieht. Höhmann weiter: „In diesem Sinne haben die Rituale der Freimaurer als Bestandteil der Sozialisierung und ‚Personwerdung‘ des Menschen durchaus religiösen Charakter, ohne dass deshalb die Freimaurerei insgesamt zu einer religiösen Vereinigung würde.“17 Gerade dem Ritual wird von freimaurerischer Seite eine so hohe Bedeutung zugemessen, weil es den gesamten Menschen existentiell betrifft und nicht nur einen Teil davon erzieht. Dieser Anspruch an das Ritual, aber auch die Funktion des Allmächtigen Baumeisters im Ritual legen den Verdacht nahe, dass sehr wohl eine Verbindung mit dem Göttlichen angezielt wird. Natürlich wird dieses Ziel nicht expressis verbis genannt. Es wird verschleiert und in den Bereich der Psychologie und des Transpersonalen abgeschoben, damit der immer wieder sonst betonte rationale und nichtreligiöse Anspruch der Freimaurerei gewahrt bleiben kann. a) Das Ritual Gerade das Ritual wurde von der Deutschen Bischofskonferenz eingehend geprüft. Sie befindet dazu: „Unabhängig von allen subjektiven Auffassungen manifestiert sich das objektive Wesen (der Freimaurerei – Anmerkung des Verfassers) in den offiziellen Ritualien der Freimaurerei.“18 In der Kritik der Bischofskonferenz wird darauf verwiesen, dass diese Symbolhandlungen „ihrem ganzen Charakter nach in einer deutlichen Konkurrenz zu einer sakramentalen Umwandlung (des Menschen – Anmerkung des Verfassers) stehen und weil sie ja „einen sakramentenähnlichen Charakter“ haben. 15

H.-H. Höhmann, Das „Geheimnis“ der Freimaurer im Wandel der Zeit. Hompage der Freimaurerloge Ver Sacrum i. O. Köln Nr. 797, in: www.versacrum.org/ Seiten/Geheimnis.html, eigensehen am 14. Juli 2008. 16 T. Luckmann, Religion in der modernen Gesellschaft, in: J. Wössner (Hrsg.), Religion im Umbruch. Soziologische Beiträge zur Situation von Religion und Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft, Stuttgart 1972, S. 5. 17 H.-H. Höhmann, Das „Geheimnis“ der Freimaurer im Wandel der Zeit. 18 Erklärung der deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei (12.5.1980).

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aa) Die Transformation des Menschen als ganzheitlicher Akt Symbol und Ritual sind, wie wir aufgezeigt haben, der Dreh- und Angelpunkt der Freimaurerei. Wenn in der freimaurerischen Hagiographie davon gesprochen wird, dass die Freimaurerei immer war, weil sie dargestellt wird als eine anthropologische Konstante, eine Notwendigkeit, die zum Menschen gehört, dann gilt diese Ewigkeitsbedeutung auch für die Conditio sine qua non der Freimaurerei, die Symbolik und Ritualistik. Sie ist also der Schlüssel zur Freimaurerei, wie wir zeigen konnten. Das Ritual, nicht eine bestimmte Lehre, besorgt die ganzheitliche Erziehung des Menschen mit Hilfe der Symbole. Man versucht nun diesen Vorgang von Seiten der Freimaurer zu erklären, indem man das Ganze in den Bereich der Psychologie und des Transpersonalen ansiedelt. Damit, so wird gesagt, wird das verlorene Gemeinsame des Menschen wiederhergestellt. Tatsächlich ist dies keine hinreichende Erklärung für die Tatsache, dass ja gleichzeitig auch davon gesprochen wird, dass man mit Hilfe des Rituals auf eine ganz andere Ebene kommen könnte und die Begegnung mit dem Transzendenten herbeiführen kann. Das Transzendente oder das Numinose ist also das eigentliche Ziel des Rituals, so wird es von Freimaurern eigentlich durchgängig erklärt, um die Besonderheit und Größe des Rituals zu rechtfertigen. Auch die Anrufung des Allmächtigen Baumeisters Aller Welten, die im Ritual prominent situiert ist, ist ein Indiz für diese übernatürliche Wirkung des Rituals. „Die christliche Religion sucht die Einheit mit Christus, bei der Freimaurerei aber steht die Verbrüderung zwecks gemeinsamer Arbeit an der eigenen Vergöttlichung im Mittelpunkt.“19 Die angestrebte Transformation des Menschen im freimaurerischen Bewusstsein ist eine ganzheitliche und wird dem Ritual überlassen. Sie umfasst ihn, bezieht sich, wenn wir das Ritual anschauen, nicht auf einzelne Teilaspekte des menschlichen Lebens wie etwa nur auf das Handeln. Es geht um den ganzen Menschen, der ja auch ein religiöses Wesen ist, und dem wird offensichtlich dadurch Rechnung getragen, dass der A. B. A. W. angerufen wird, als Bekräftigung des Rituals und der Vorgänge, aber auch der Anstrengungen des Menschen. Das Ritual stellt den Anspruch, ein Abbild des gesamten Lebens zu sein, und damit nicht nur des Lebens des Einzelnen, sondern des Kosmos insgesamt. Das kommt auch klar nicht nur in der Anrufung des A. B. A. W. zum Ausdruck, sondern auch in dem Bezug zu den Elementen, einem Erbe des 19

K. Hasselmann, Identität – Verwandlung – Darstellung, S. 36.

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Rosenkreuzertums und damit auch der Alchemie; ein Bezug, der gewissermaßen die Totalität des Seins als Gegenüber des Menschen, die alte Makrokosmos-Mikrokosmos-Analogie, repräsentiert. Damit steht im Ritual ganz klar der Mensch im Mittelpunkt, der durch die Vorgänge und Symbole erzogen wird. Dieses weihevolle Handeln ist aber immer ein Lernen im Handeln, ein learning by doing. Jetzt ist das aber keine „normale“ Erziehung, sondern es geht dabei vom Anspruch her um das Gesamte der menschlichen Persönlichkeit, das durch Über- bzw. Außerirdisches – zumindest durch etwas, das über dem Menschen steht – verändert werden soll. Wichtig ist also hier der Sinn, der außerhalb von Lehren oder bloßen Beziehungen steht, sondern dieser Sinnbezug wird hergestellt durch den Verweis auf etwas, das über den Menschen steht, aber gleichzeitig dem Menschen dabei hilft, einen Sinn für sich selber zu konstituieren. bb) Die Eigendynamik des Rituals Wenn das göttliche Feuer ganz auf den Menschen bezogen wird und letztlich er ganz er selber innerhalb des Kosmos wird, weil er durch das Ritual zu dieser Verwandlung kommt, dann muss vor allem die Wirkkraft des Rituals thematisiert werden. Diese Wirkkraft kann damit nicht nur etwas sein, das den Menschen irgendwie bewegt und betrifft, es ist sicher mehr. Denn das Ritual zentriert ja das ganze Leben des Menschen, in ihm werden die Lebensstationen des Menschen nachgespielt, simuliert. Damit ist auch eine gewisse Normierung verbunden. Das Erlebnis des Menschen, sein Handeln innerhalb des Rituals, bildet die Norm für seine Entwicklung. Damit wird die Konfrontation des Menschen mit dem Ritual die Konfrontation mit dem eigenen Selbst, es wird die ganz private, individuelle Konfrontation mit dem Kosmos und mit einer Art von Religiosität, der es um das eigene Selbst geht. Eine Sichtweise einer Nichtfreimaurerin dazu: „Die heiligen Ritualgegenstände und die formelle Ordnung des Rituals senden über die Suggestion einer Präsenz des Göttlichen eine magische Strahlung aus, durch die die Brüder ‚ins Wissen gesetzt werden‘ sollen. Variierende Kombinationen und Interpretationen festgelegter Zeichen in den verschiedenen Gradstufen ähneln dem generativen Kalkül der Kombinatorik in der Alchemie.“20 Das freimaurerische Ritual erfüllt eindeutig, so wie es sich uns im Laufe der Arbeit dargestellt hat, die Kriterien für ein religiöses Ritual. Es ist ganz und gar auf das Überweltliche und Transzendente bezogen, wenn diese Tatsache auch manchmal sprachlich verhüllt wird. Zu diesem Auseinandertreten zwischen der immer wieder eingeforderten Toleranz 20

Ebd., S. 60.

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einerseits und der andererseits behaupteten Dogmenfreiheit der Freimaurerei äußert sich auch eine Darstellung der Freimaurerei in der Zeitschrift Geo, wenn es heißt: „Ein Widerspruch ist, dass die angestrebte freie Selbstverwirklichung im starren Korsett des Rituals befördert werden soll. Niemals, nicht einmal in Nuancen, ändert sich der Ablauf der Tempelarbeit. Selbst die einzigen aktiven Rollen in diesem Mysterienspiel – die des Meisters vom Stuhl und seiner Aufseher – sind nur scheinbar handelnde: In Wirklichkeit sind sie nichts als Rezitatoren des Ritualtextes. Die ständige Wiederholung der maurischen Botschaft soll zur Verinnerlichung der Ideale führen, die Symbolik zur Meditation über die Ziele der Bruderschaft.“21 Wir können also hier durchaus m.E. nach von einer Indienstnahme der am Ritual Beteiligten durch eine höheres Etwas, durch die religiöse, unveränderliche Kraft und Macht des Rituals sprechen. Deshalb braucht die Freimaurerei keine Dogmen. Das Dogma entwickelt sich aus den Grundkonstanten der Maurerei und damit steht der Mensch zwei wichtigen Polen gegenüber, nämlich dem individuellen maurerischen Erlebnis und dem feststehende Ritual. Durch dieses Handeln wird der Mensch transformiert, er wird ganz er selber und damit genau das, so die Überzeugung der Freimaurerei, was er eigentlich von seinem Potential sein könnte. Das Erlebnis innerhalb des Rituals, dieses Erlebnis einer Simulation des gesamten Kosmos genügt, um den Menschen zu verwandeln. Dadurch, dass nichts anderes, weder irgendwelche Lehren noch andere Prinzipien stören, ist diese Konfrontation, diese Rückführung des Menschen auf sich selber durch das Ritual ganz verwirklicht. Das Besondere ist also dieses unbegrenzte, religiöse Vertrauen in das Ritual. Dieses Ritual wirkt also wie eine „Himmelsmacht“ auf den Menschen, indem dieser Über-Sinn den Menschen zu sich selber bringt. Es ist ein Sinn, der gewissermaßen frei schwebt, der dem Menschen die Kraft gibt, sich zu wandeln. Dabei wird zwar der A. B. A. W. als Zeuge und gewissermaßen als weihevoller Bestätiger angerufen, aber die Akteure sind wesentlich der Freimaurer, der in diesem Erlebnis steht, und das Ritual, das sich selber entwickelt und damit dem Menschen hilft, sein wahres Menschentum zu verwirklichen. Durch dieses Ritual entwickelt sich der Mensch also mit absoluter Notwendigkeit, damit ist klar, dass das Vertrauen in das Ritual das eigentlich Religiöse ist. Der Mensch wird auch durch das Ritual anders, neu in die Natur eingebunden. Er unterwirft sich dieser Natur, er synchronisiert sich mit ihr. Damit ist das Ritual ja selber Natur und Göttlichkeit. Die Eigendynamik des Rituals bedeutet nichts anderes als subjektives Erleben; das ist nichts anderes als der „Subjektivismus“, wie die Deutsche Bischofskon21

Geo, Das Reportage-Magazin, Nr. 2, Februar, Hamburg 1988, S. 24.

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ferenz ihn beschreibt und kritisiert, eine Religiosität, die zwar gefühlt, aber jeder weiteren Erläuterung, weil eine solche immer inadäquat wäre, entzogen ist. Es wird darauf verwiesen, dass es sich beim Ritualerlebnis um eine ganz andere Ebene handelt, dass die Ratio und das Sprechen von Prinzipien damit nichts zu tun haben. Damit wird das eigentlich Religiöse jeder Erörterung entzogen, wird immunisiert und geschützt. Damit ist das das eigentliche Geheimnis, weil das Erlebnis des Numinosen innerhalb des Rituals eine ganz individuelle Wirkung hervorbringt, die nicht kontrolliert werden kann und die auch nicht einem allgemein beschreibbaren Ziel entspricht. Deshalb kann man auch sagen, dass das Ritual die Weisheit der Wirkung entfaltet, wie die Freimaurerei dies ausdrückt. Das Ritual ist nach wie vor der „heilige Gral“ der Freimaurerei, der durch das Arkanum geschützt wird. Wenn die Deutsche Bischofskonferenz ihm sakramentenähnlichen Charakter unterstellt, dann müssen aber auch die Unterschiede zum Sakrament angerissen werden. Beim Sakrament gibt es kein Dahinter, keinen geheimnishaften Vorbehalt, es steht ohne doppelten Boden in der Öffentlichkeit und es hat ganz offen den Anspruch, den wir in dieser Arbeit ausgefaltet haben. Im Ritual der Freimaurerei gibt es zwar diese Ähnlichkeit mit dem Sakrament, aber es wird andererseits der Mantel des Schweigens der Arkandisziplin über es gelegt und es wird auch gesagt, der Unterschied zum Sakrament bestehe in einer vollständig anderen Herkunft. Die Rituale kämen ja von den mittelalterlichen Bauhütten.22 Auch wenn man dieses Argument aufnähme, müsste man aber betonen, dass die mittelalterlichen Bauhütten ja auch christlich und damit auch von den Sakramenten geprägt wurden. Trotzdem muss man klar sagen: So lange die Freimaurer in Bezug auf ihr Innerstes, das Ritual, mit der Arkandisziplin schützen, bleiben sie dem Vorwurf, quasisakramentale Handlungen zu vollziehen, ausgesetzt. cc) Das Quasisakramentale Wenn das Ritual das eigentliche Gegenüber des Menschen schafft, der damit der ideale Mensch werden kann, auch mit der Einschränkung, dass der Mensch sein Ziel nie ganz erreichen kann, sondern sich diesem nur annähert, wenn dieses die Sinnerfüllung des Menschen gewissermaßen selber schafft, dann kann man vom Ritual als von dem eigentlich Heiligen sprechen. Der Mensch, der nicht dieses freimaurerische Erleben hat, der dem Ritual fern ist, weil nicht eingeweiht, der ist also der Profane, entsprechend der Diktion der Freimaurer, die ja von Nichtfreimaurern als Profanen sprechen. 22 K. Horneffer in einer Diskussionsveranstaltung unter dem Titel: „Streng geheim: Die Freimaurerei und ihre Perspektiven“.

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Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur Freimaurerei vom 12. Mai 1980 fragt: „Was sollen sakramentale Heilsvermittlung in Taufe, Buße und Eucharistie noch bewirken, wenn bereits durch die drei grundlegenden Grade die in den Ritualien ausgesagte Erleuchtung und Todesüberwindung erzielt wird?“ Das stützt genau die Bedenken des Autors aufgrund der in dieser Arbeit dargelegten Rolle des Rituals. Die Rituale, die ja zur Vervollkommnung des Menschen in seiner Totalität dienen, die eine Eigendynamik aufweisen, die mit absoluter Notwendigkeit geschieht und damit in einem gewissen Automatismus den Menschen neu schaffen, ihn konstruieren, sind als quasisakramental zu qualifizieren. Sie sind eigentlich eine Art Religionsersatz, weil nicht Gott im Mittelpunkt steht, sondern nur der Mensch und sein Gegenüber, das Ritual. Der Mensch wird ja in der Konfrontation mit dem Ritual zum neuen Menschen. Er erreicht damit sein Ziel, der zu werden, der er immer schon sein könnte, ganz im Sinne Feuerbachs. Nur wird hier nicht gegen Gott polemisiert oder die Abschaffung Gottes verlangt, sondern es wird der Gottesbegriff, wenigstens formal beibehalten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass er faktisch aber eine sehr geringe Wirkkraft hat, eine ungleich geringere als das Ritual. Wieder die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz in Bezug auf die Vervollkommnung des Menschen: „Hier konnten die Bedenken nicht ausgeräumt werden, dass die ethische Vervollkommnung verabsolutiert und so von der Gnade gelöst wird, dass kein Raum für die Rechtfertigung des Menschen im christlichen Verständnis bleibt.“ Alois Kehl, katholischer Theologe und Apologet des Freimaurerischen, argumentiert dagegen: „Die freimaurerische Haltung ist durch die sichere Lehre der Kirche gedeckt: M. Schmaus, Katholische Dogmatik III, 2 (München 1950) S. 273: ‚Die Kirche lehrt also, dass auch der Mensch mit seinen natürlichen Kräften ohne übernatürliche Gnade Gottes Dasein erkennen und sittlich Gutes tun kann.‘ “23 In gleicher Weise versucht auch Alfred Schmidt von Thomas von Aquin her zu argumentieren: „Schon die Hochscholastik des dreizehnten Jahrhunderts kennt eine Gotteslehre, die sich aufs lumen naturale, auf natürliche Erkenntnis beruft. . . . So übersteigt die theologische Lehre vom dreieinigen Gott menschliches Erkenntnisvermögen, während Dasein und Einheit Gottes sich philosophisch darlegen lassen.“ Beide Arten von Wahrheit widersprechen Thomas zufolge einander nicht, da beide in der widerspruchslosen Weisheit Gottes gründen. Da dessen Dasein nicht allein aus dem Glauben erschließbar ist, kommt der „Naturerkenntnis“, so Thomas, „hoher Wert für die gläubige Betrachtung“ der Dinge zu. Durch „das Nachdenken über die Werke Gottes“, fährt er fort, „(werden wir) in 23 A. Kehl, Warum Dialog zwischen Katholiken und Freimaurern, zitiert aus: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 118.

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den Stand gesetzt, seine Weisheit, wie unvollkommen auch immer, zu bewundern und zu betrachten.“24 Im Ritual geht es aber nicht nur darum, dass man mit dem Licht der natürlichen Vernunft versucht, Gutes zu tun, oder Gottes Weisheit und Wirken zu betrachten oder zu erkennen. Das Ritual selber wird ja zum quasigöttlichen Gegenüber des Menschen und damit erfolgt eigentlich die Absicherung des Menschen gegenüber Gott durch das Heilige des Rituals. Damit muss dem Ritual eine andere Qualität zugeschrieben werden, auch wenn innerhalb des Rituals der Allmächtige Baumeister aller Welten angerufen wird. Gerade das Adogmatische der Freimaurerei gründet ja in dem Bewusstsein, dass der Mensch selber sich aufgrund der Leitlinien, die das Ritual und nicht irgendwelche rationale Lehren aufstellt, auch eine Art von „Gnade“ schafft, die im Menschen ganz automatisch wirkt und wodurch der Mensch eigentlich auch eingebunden ist in eine gewisse Form der Göttlichkeit innerhalb des Kosmos. dd) Selbsterlösung des Menschen Wenn die Gnade aber nicht von Gott erwartet wird, sondern diese Gnade im Ritual vom Menschen bezweckt werden kann, wenn der Mensch sich gegenüber Gottes Gnade absichert, indem er ja die Versicherung „Ritual“ als Wirkmacht hat, dann müssen wir von einer Selbsterlösungstendenz innerhalb der Freimaurerei sprechen. Es wird damit auch gar nicht mehr notwendig, vom Allmächtigen Baumeister Aller Welten zu sprechen oder die Rolle desselben herauszustreichen, wenn andererseits ja gerade im Ritual der Mensch konstruiert werden kann und in einer Simulation des Lebens von der Geburt bis zum Tod und bis zu einer (eventuellen) Überwindung des Todes alles schon hergestellt wird. Der Mensch kann also eine Art Selbsterlösung erreichen, indem er im Ritual sein Selbst herstellt. „Der mystische Gottesglaube der Freimaurerei zielt auf die aktive persönliche Gotteserfahrung ab und will die Suche nach einer unmittelbaren göttlichen Erkenntnis fördern. Dazu gehören die Suche nach der Immanenz des göttlichen Geistes in der eigenen Seele sowie das Gefühl der ganzheitlichen Verbundenheit mit dem Weltenbau. Das Göttliche soll individuell als unmittelbare und lebendige Wirklichkeit erfahren werden.“25 Natürlich bleiben offene Fragen: Es wird zum Beispiel die Frage nach dem Tod nur unzureichend gelöst, indem beispielsweise von einem Weiterleben nicht explizit – wenigstens in der Johannisfreimaurerei – ge24 25

A. Schmidt, Freimaurerei und Religion. K. Hasselmann, Identität – Verwandlung – Darstellung, S. 38.

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sprochen wird. Es wird das Böse im Ritual nicht thematisiert, die Frage nach der Schuld und nach der Überwindung derselben hat absolut keinen Platz im Ritual und wird auch insgesamt nur ins Private verschoben. Das ist aber auch nur konsequent, denn die Freimaurerei geht ja von einem Menschenbild aus, in dem der Mensch subjektiv im Kontext des Rituals fast seine Perfektion erreichen kann, ganz nach dem Motto, das Goethe in seinem Faust die Engel sagen lässt, die Faustens Unsterblichkeit tragen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“26 Dabei geht es in dem Verständnis des Rituals und des freimaurerischen Bewusstseins gar nicht so sehr immer um eine Sichtweise, die nur alles vom Ziel her sieht, sondern es wird vor allem der Weg, eben das Handeln und das Ritualerleben, für das maurerische Bewusstsein so konstitutiv, dass man hier wirklich davon sprechen kann, dass auch der Weg das Ziel darstellt. Aber es wird nicht nur ausgegangen von einer Welt, in der der Mensch Schuld eigentlich als gleichgültig empfindet, indem Schuld und das Böse gegenüber dem menschlichen Bemühen nicht relevant sind. Schuld und das Böse sind keine Kategorien innerhalb der Freimaurerei, sie sind auch gegenüber einer Selbsterlösung, die in der „Tat“ des Menschen bzw. im Menschen selber wurzelt, nur störend. Dasselbe gilt auch für die Krankheit. Die Kategorien „Gut und Böse“, aber auch Hinfälligkeit und Krankheit, werden ja auch dadurch aufgelöst bzw. irrelevant, dass diese nicht mehr thematisiert werden müssen, weil die Harmonie, ein wichtiger Begriff innerhalb der Freimaurerei, ja ohnehin durch das Ritual hergestellt wird. Mit Hilfe des Rituals wird die Selbsterziehung des Menschen und die Harmonie desselben erreicht, damit werden alle anderen Kategorien zweitrangig und sind nicht mehr bedeutungsvoll. Im Kontext der Selbsterlösung muss – weil Freimaurer die Ähnlichkeit dieses Gedankenganges mit der Freimaurerei immer wieder betonen – noch einmal auf das Konzept eingegangen werden, wonach es am Grund der Seele ein Fünklein gibt, der den Menschen nach Meister Eckhart dazu befähigt, Gott zu schauen: Eckhart sieht das als Gottesgeburt der Seele, die „unio mystica“. „Das Erlebnis dieser Vereinigungen führt nach Eckhart zu einer Verwandlung des Menschen, zu gottförmigen, sittlichem Verhalten, also zu dem, was die Freimaurerei als ihr höchstes Ziel anstrebt.“27 Damit wird also zu zeigen versucht, dass das freimaurerische Konzept auf den Gedanken der mittelalterlichen Mystik eines Meisters Eckhart aufbaut. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass es ja in der Gedankenwelt der Mystik um eine rein religiöse Gegebenheit handelt. „Man könnte das 26 J. W. Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, Z 11936 f., zitiert aus: Reclam, hrsg. von L. J. Scheithauer, Stuttgart 1976, S. 217. 27 K. Preiß, Freimaurerei und Ethik, S. 27.

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Modell der Vereinigung zwischen Gott und Mensch, wie die mittelalterliche Mystik dies entwickelt, etwa so formulieren: Gott und Mensch sind als Geistwesen miteinander ‚irgendwie‘ verwandt. Wenn (der dreifaltige) Gott real und wirksam in die Seele des Menschen einkehrt, dann muss sie leer sein von eigenen Vorstellungen über Gott und die Welt, muss gänzlich passiv und hörend-gehorchend-gläubig sein. Sie muss gegen Weltlich-Irdisches indifferent und affektlos sein nach außen und innen, weil einerseits Gott nicht ‚von außen her‘ durch Vermittlungen kreatürlicher Wirklichkeiten, sondern unmittelbar ‚von innen her‘ in die Seele eintritt, und andererseits die sich unmittelbar selbst gegebene Seele immer mehr zu Gott werden kann, den sie empfängt.“28 Meister Eckhart zeigt, dass der demütige Mensch von Gott verwandelt wird, „sodass wir ihn erkennen können, wie er ist.“29 Dieses Wort „bekennen“, wie es im mittelhochdeutschen Original heißt, bedeutet damit nicht nur kennen, erkennen, mit den Gedanken erfassen, sondern auch bekennen, bekannt machen oder gegen jemanden zeugen.30 Damit hat „bekennen“ eben mehrere Dimensionen, aber ganz stark wird auch das Erkennen in einer Art und Weise, dass das Wirken und Werden eins sind. Eckhart bringt den Vergleich mit dem Zimmermann, der wirkt, damit das Haus wird. Damit ist alles vom Wirken dieses Zimmermannes abhängig. Aber dieser Vergleich hinkt trotzdem. „Das Haus wird nicht zum Zimmermann, das Holz geht nicht restlos im Feuer auf. Doch des Erkennen erkennt durch Gottes Wirken Gott, wie er ist, wie zugleich Gott den Menschen erkennt – und beides ist schlechthin gleich.“31 Meister Eckharts Mystik ist Gegenstand der päpstlichen Bulle „In agro dominico“, in der 17 Aussagen als häretisch verurteilt werden, elf davon werden kritisiert. So präzisiert die Bulle etwa die (als Häresie qualifizierte) Aussage: „Wir werden völlig in Gott umgeformt und in ihn verwandelt; auf gleiche Weise, wie im Sakrament das Brot verwandelt wird in den Leib Christi, so werde ich in ihn verwandelt, dass er selbst mich hervorbringt als sein Sein als eines, nicht (etwa nur) als gleiches; beim lebendigen Gott ist es wahr, dass da kein Unterschied besteht.“32 Wenn auch Meister Eckhart 28 L. Lies, Mittelalterliche deutsche Mystik und Rechtfertigung, in: www.uibk. ac.at/theol/leseraum/texte/93.html#49, (Abs. 13) eingesehen am 16. Oktober 2008. 29 Meister Eckhart, Deutsche Werke, hrsg. von N. Largier, Frankfurt a. M. 1993, Predigt 6, Seite 83, Zeile 14 f. 30 Vgl. dazu Matthias Lexers Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart37 1986, S. 13. 31 D. Schoeller Reisch, Enthöhter Gott – vertiefter Mensch. Zur Bedeutung der Demut ausgehend von Meister Eckhart und Jakob Böhme, Freiburg/München 1999, S. 115. 32 Zitiert aus der Übersetzung der Bulle „In agro dominico“ in: www.eckhart.de/ version1/bulle.htm, eingesehen am 16. Oktober 2008.

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erklärt, dass sich göttliches Erkennen vom menschlichen unterscheidet, da es die Ursache der Dinge sei, während unsere Erkenntnis von den Dingen verursacht sei,33 so ist doch göttliches Erkennen bei dem Mystiker auch Selbsterkennen. Damit kommen wir wieder dorthin, wo die Kritik der Bulle ansetzt: Das Ineinander von Gott und Mensch, das auch bedeutet, dass beide irgendwie ineinander aufgehen und so bedeutet das nichts anderes als: „Erkennt sich der Mensch in Gott, so erkennt sich zugleich Gott als Gott. Dahingehend auch die Bedeutung von Eckharts Worten, dass – wenn göttliches Wesen und menschliches Wirken eins geworden sind – sich Mensch und Gott ‚schlechthin gleich‘ erkennen.“34 Das alles ist noch auf dem Hintergrund der Mystik verständlich, auch wenn dieser Sachverhalt päpstlicherseits verurteilt wurde. Man kann ja davon ausgehen, dass es sich hier um ein Geschehen handelt, das des Menschen Wendung an Gott unterstützt und fördert. Von Bedeutung ist auch in der Eckhart-Rezeption bis heute, dass damit der Versuch unternommen wurde, die menschliche Würde zu begründen bzw. wenigstens sehr stark herauszustellen. „Aus diesen Texten geht eindeutig . . . hervor, dass Eckhart die Gottesgeburt nicht als ein zeitlich bedingtes und außergewöhnliches Ereignis betrachtete, das bestimmten Menschen zuteil wird und bestimmten anderen nicht, sondern als ein jedem Menschen eigenes Prinzip, das das Wesen jedes Menschen begründet. Denn die Gottesgeburt begründet den Menschen in seinem höchsten Teil, in der Vernunft – und daher in seinem ganzen Wesen.“35 Damit wird klar, dass es ein Sensorium gibt, das es dem Menschen ermöglicht, dass Gott in ihm wirkt, wenn andererseits dieser Mensch dies zulässt. „Das Faktum, dass die meisten Menschen diese fundamentale, seinsbegründende Präsenz Gottes im Kern ihres Wesens nicht wahrnehmen, ändert nichts an der Tatsache, dass Gott präsent ist. Es fordert vielmehr den hiervon bewussten Denker und Theologen heraus, sein Wissen zu verkünden und die ethischen und anthropologischen Konsequenzen zu ziehen.“36 Zwar bleibt der Mensch, wenn er sich in Demut Gott ganz anvertraut, noch er selber, allerdings „letztlich verliert der Mensch in dieser Gottesvereinigung mindestens existentiell, d.h. erlebnismäßig seine Eigen-Existenz.“37 Bei all den brennenden theologischen Anfragen an Eckhart, wo in diesem Konzept sowohl das Eigene des Menschen als auch Gottes bleibt, dürfen wir eine wesentliche Voraussetzung seiner Gedanken nicht verges33

Siehe D. Schoeller Reisch, Enthöhter Gott – vertiefter Mensch, S. 115. Ebd., S. 119 f. 35 L. Sturlese, Homo divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse, Stuttgart 2007, S. 42. 36 Ebd., S. 43. 37 L. Lies, Mittelalterliche deutsche Mystik und Rechtfertigung. 34

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sen: „Die Geburt Gottes – so Nikolaus Largier in einem neulich erschienenen Aufsatz – meint bei Eckhart nie die Verwirklichung eines naturhaften Vermögens, sondern immer die gnadenhafte, vom Menschen passiv erfahrene Überformung des Menschen durch Gott. Wo bleibt sonst ‚Eckhart der Mystiker‘.“38 Wesentlich in Bezug auf unsere Fragestellungen im Zusammenhang mit der Freimaurerei heißt das, dass ja letztlich immer das Gnadenhafte bei Eckhart im Vordergrund steht. Es ist ein mystisches Konzept und bei allen theologischen Anfragen an dieses steht doch im Vordergrund, dass Gott hier die „treibende Kraft“ ist, ein bestimmender und zugleich bestimmter Gott, den wir ansprechen können, weil er sich uns in der Geschichte offenbart hat. Was bedeutet es aber nun, wenn diese göttliche Dimension plötzlich ausfällt, bzw. – wie in der Freimaurerei – zu einem unbestimmten Symbol wird, dem zwar „Wirkung“ zugeschrieben wird, von der aber auch unbestimmt ist, ob sich diese etwa nur auf ein psychologisches Phänomen beschränkt oder ob damit der Mensch das Göttliche erreichen kann und sich dessen auch habhaft machen kann? Als einziger Fixpunkt in diesem Modell der Begegnung mit dem Göttlichen, diesem mystischen Modell, bleibt, wenn ich es nach der Art der Freimaurerei dienstbar mache und irgendwie „säkularisiere“, ohne dass ich das Gnadenhafte des sich dem Menschen nähernden, sich offenbarenden Gott in den Vordergrund rücke, der Mensch übrig. Hier wird dann der Mensch derjenige, der als der Übriggebliebene vergöttlicht werden muss. Dann ist es eben der Verstand, dieses Fünklein als Sensorium für das Unbedingte, der schließlich auch selber die Tendenz hat, dieses Unbedingte zu werden, weil ich das andere bewusst ausgeblendet habe. Denn wo bleibt die Beziehung, die als Voraussetzung für die unio mystica gegeben ist, wenn derjenige, mit dem der Mensch diese Beziehung hat und der diese Beziehung auch leitet, in die Nebel der Unbestimmtheit, der Beliebigkeit und des Es eintaucht? Dann bleibt einer übrig: Der Mensch und seine Vergöttlichung; und das Ganze wird entweder verbrämt durch die Rede von unbestimmter und unausgesprochener Göttlichkeit oder aber von psychologischen Mechanismen, die angeblich so menschengemäß sein sollen, dass sie den Menschen total umfassen und der Mensch dadurch zu sich selber kommt. ee) Pantheismus Wenn aber diese Göttlichkeit unausgesprochen durch das Ritual erfahren werden kann, wenn sich damit der Mensch eingebunden fühlt in einer Harmonie, ein Schlüsselbegriff der Freimaurerei, innerhalb des Universums in 38

L. Sturlese, Homo divinus, S. 44.

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dieser Analogie zwischen Mikro- und Makrokosmos, dann ist auch die Gefahr eines Pantheismus virulent. Das Ritual ist ja das, was diese Harmonie darstellen soll und will. Und diese Harmonie ist damit nicht nur in der Seele des Menschen, sondern auch in diesem größeren Ganzen vorhanden, sie ist außen genauso wie innen. Goethes Faust weist nach der sog. Gretchenfrage auf dieses Unbestimmte der Göttlichkeit hin, wenn er sagt: „Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn. Wer empfinden. Und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub ihn nicht. Der Allumfasser, der Allerhalter. Fasst und erhält er nicht dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht da droben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? Und steigen freundlich blickend ewige Sterne nicht herunter? Schau ich nicht Aug in Auge dir, und drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir, und webt in ewigem Geheimnis unsichtbar sichtbar neben dir? Erfüll davon dein Herz, so groß es ist, und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, nenn es dann wie du willst, nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür.“39 Nicht ganz zufällig dürfte Faust als Protagonist Goethes den Pantheismus vertreten. Auch das Freimaurerlexikon befindet, nach einer Klärung des Begriffs „Pantheismus“: „Der Freimaurer-Philosoph K. Ch. E. Krause begründete den Pantheismus: ‚Alles ist in Gott. Gott offenbart sich in der Welt, wir leben, weben und sind in Gott, nicht Gott selber, sondern in und durch Gott.‘ “40 Wenn auch Lagutt und andere betonen, die Meinung, die Freimaurerei sei nicht in Richtung Pantheismus gefährdet, sei falsch41, so ergibt sich doch aus den einzelnen, hier auch dargelegten Anschauungen dazu, dass der Pantheismus doch eine gewisse Rolle in der Freimaurerei spielt. Dazu passt auch folgende Darstellung: „Das ‚Ordo‘ des Universums fungiere als Garantie gegen das Seins-Riskio. Der Mensch könne die Gesetze aus dem ‚Buch der Natur‘ nur in ihrer Wirkung, nicht in ihrer Ursache und ihrem Ziel erkennen. Hier liegt der entschiedene Unterschied zum teleologisch orientierten Menschenbild der naturrechtlichen christlichen Anthropologie. Bei der Suche nach dem Schlüssel helfen ihm (dem Freimaurer – Anmerkung des Verfassers dieser Arbeit) die Regeln der Geometrie.“42

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J. W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Z 3432–3456. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder (Hrsg.), Internationales Freimaurerlexikon, S. 641. 41 Vgl. J. K. Lagutt, Der Grundstein der Freimaurerei, S. 109. 42 R. Prantner, Das Freimaurertum als Widerspruch zur christlichen Offenbarung, S. 94. 40

4. Begegnung mit dem Göttlichen?

277

b) Der Begriff „Allmächtigen Baumeister Aller Welten“ aa) Chiffre und Platzhalter Der Allmächtige Baumeister Aller Welten wird immer wieder im Ritual angesprochen und auch in jüngsten offiziellen Erklärungen der Freimaurer wird auf ihn verwiesen, so beispielsweise in der schon einmal zitierten Erklärung der GL von England 1983 zum Thema „Freimaurerei und Religion“, wo es dazu heißt: „Die Bezeichnung für das Höchste Wesen erlaubt Männern unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse, sich in gemeinsamem Gebet zu vereinigen (jeder zu dem Gott, den er sich vorstellt), ohne dass der Gehalt des Gebetes Uneinigkeit unter ihnen hervorrufen kann. Es gibt keinen besonderen freimaurerischen Gott; der Gott eines Freimaurers bleibt der Gott des Bekenntnisses, dem er angehört.“43 Damit erfolgte also eine Neutralisierung Gottes, eine Depersonalisierung und die Situierung der Gottesvorstellung und der Beziehungen zu diesem Gott im privaten Bereich. Alois Kehl kritisiert die schon zitierte, in der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vorgetragene Kritik, der A. B. A. W. wäre „ein neutrales Es“, indem er anmerkt: „Wenn der G. B. A. W. (hier heißt es der ‚Große Baumeister Aller Welten‘ – Anmerkung des Verfassers) ein ‚neutrales Es‘ ist, dann ist er damit definiert; dann ist er nicht mehr offen für jedwedes Verständnis, dann kann eben nicht mehr jeder seine eigene Gottesvorstellung einbringen, gleich welcher Religion er ist; dann würde damit ein Glaubensbekenntnis zum ‚neutralen Es‘ gefordert, und es könnte niemand mehr in den Freimaurerbund aufgenommen werden, der ein anderes Glaubensbekenntnis hat.“44 Auch wenn das „neutrale Es“ nicht das Gottesbild der Freimaurer sein mag, schafft doch die angezielte Offenheit und Toleranz einen Kunstbegriff, den es im Bereich der Religionen eigentlich nicht gibt. Es handelt sich hier mindestens um einen Gott der Vorläufigkeit, ein Bild, das ein jeder mit Leben und Begriffen zu füllen hat. Ein solches Bild von einem vorläufigen Gott bringt auch stark die Versuchung mit sich, sich selber einen privaten Gott zu konstruieren, ohne dass man dazu eine Glaubensgemeinschaft hat, in der man verankert ist, weil ja die andere „Gemeinschaft der Glaubenden“45, die Freimaurerei, schon das Abdriften des Gottesbild ins Private fördert. Wir haben des Weiteren kritisiert, dass es sich bei einem solchen entleerten Gottesbegriff nur mehr um eine Chiffre handelt. Diese Chiffre wird da43

G. Di Bernardo, Die Freimaurer und ihr Menschenbild, S. 100. K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 116. 45 A. Kehl charakterisiert den Religionsbegriff der Freimaurer folgendermaßen: „Die Freimaurerei ist keine Glaubensgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft von Glaubenden“, aus: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 115. 44

278

III. Theologische Bilanz

mit zum Platzhalter für alle möglichen religiösen Vorstellungen. Wir verstehen gemeinhin den religiösen Glauben als Form einer gewissen Gottesbeziehung, d.h. Gott ist doch ein wesentliches Kriterium von Religion. Dabei fielen aber sowohl manche Formen des Buddhismus, des Animismus, der Ahnenverehrung und auch der Esoterik aus einem solchen Verständnis von Religion im engeren Sinne heraus. Wir merken die Richtung der Freimaurerei, was die Gottesvorstellung betrifft: Zuerst ist diese zwar noch beeinflusst und geleitet vom Christentum bzw. von persönlichen, monotheistischen Gottesvorstellungen. Diese werden aber um der Toleranz willen depersonalisiert, sodass auch die unterschiedlichsten Verständnisse, also auch solche, in denen es gar keine eigentliche Gottesbeziehung mehr geben kann, weil hier kein persönlicher Gott vorhanden ist, Platz haben können. Damit wird also sehr wohl mit diesem Kunstbegriff vom A. B. A. W. etwas Neues geschaffen, von dem man hofft, dass dieses nicht mehr gegen das Toleranzgebot verstößt. Ein weiterer Zug dieses Kunst-Gottesbegriffes ist die Tatsache, dass ein jeder das eigene Gottesbild in den privaten Bereich abdrängen soll. Damit ist natürlich auch eine gewisse Eigenwirkung des freimaurerischen Kunst-Gottesbegriffes gegeben. Denn ich kann nicht Gebete an einen solchen Kunst-Gott, der für alle offen ist, sprechen, ihn als Garanten anrufen, andererseits aber für ihn keinen Platz im öffentlichen Raum der Loge haben. Auch durch seine Funktion als Garant der Moral wird er zu nichts anderem als zu einem Lückenbüßer-Gott, der zwar noch da ist, dem aber nicht irgendwelche bestimmten Züge und Eigenschaften zugeschrieben werden können, und der auch keine öffentliche Bedeutung hat. Es wird zwar vom Freimaurer die Anerkennung eines höchsten Wesens gefordert, aber auch diese Anerkennung wird nur äußerlich verlangt und es gibt ja auch in der Freimaurerei die Ansicht (wie aus den Ausführungen zu den Alten Pflichten ersichtlich, wo es sehr wohl eine Lehrart gibt, die behauptet, man könne auch als Atheist Freimaurer sein, wenn der Atheismus als Ergebnis eines gedanklichen Prozesses zu werten ist): „Die Menschen, die zu uns kommen wollen, müssen allerdings fähig sein, sich in die Gemeinschaft der Loge einzugliedern, sie müssen mit den ethischen Prinzipien der Freimaurerei übereinstimmen, und sie müssen die Symbolwelt des Freimaurerbundes akzeptieren. Zu dieser Symbolwelt gehören auch Gesetzbuch und der GBAW.“46

46 W. S., Freimaurerei und Atheismus, in: www.loge-arst.de/bibliothek/atheis mus.php, eingesehen am 18. September 2008. W.S. zitiert in seiner Zeichnungen damit die Ansichten von Hans-Hermann Höhmann zu diesem Thema.

4. Begegnung mit dem Göttlichen?

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bb) Der A. B. A. W. als Symbol Der A. B. A. W. ist also – so wie das Ritual auch – nur von der Symbolhaftigkeit her zu verstehen. Es wurde schon die Tatsache der „Ungeschichtlichkeit“ der Symbole thematisiert und der Grundzug der Freimaurerei, dass die Wirkung, die Symbole auslösen, nur dem Subjektiven des Menschen zugerechnet werden. Höhmann zum A. B. A. W.: „Die Freimaurer haben auch keinen gemeinsamen Gottesbegriff. Die symbolische Präsenz eines ‚Großen Baumeisters aller Welten‘ im Ritual der Freimaurer darf folglich nicht mit den verschiedenen Gottesverständnissen der Religionen verwechselt oder sogar gleichgesetzt werden. Die freimaurerische Symbolik begründet – wie gelegentlich missverstanden wird – auch keine religiösen Minimalanforderungen an den Freimaurer. Das Symbol des ‚Großen Baumeisters‘ stellt vielmehr das umfassende Sinnsymbol des Bundes dar und ist als solches vom Freimaurer zu respektieren, setzt doch ethisch orientiertes Handeln in masonischer Sicht die Anerkennung eines übergeordneten sinngebenden Prinzips voraus, das Verantwortung begründet und auf das die Ethik des Freimaurers letztlich rückbezogen ist.“47 Hier wird also sogar dieser Baumeister nur mehr als Sinnsymbol der Freimaurerei gesehen – neben dem schon bisher referierten Phänomen, den A. B. A. W. als Garanten von Moralität zu betrachten. Auch Kehl spricht die Funktion des Baumeisters als Symbol an: „Der G.A. B. A. W. ist vielmehr von den Freimaurern nur als Symbol gedacht, das zwar gedeutet wird: Gott, aber dessen Inhalt offen bleibt für die gläubige Überzeugung des Einzelnen.“48 Durch die Tatsache, dass der Baumeister entweder als Symbol der Transzendenz oder als Symbol, das die verschiedensten Deutungen zulässt oder sogar als Sinnsymbol für die Freimaurerei selbst stehen kann, wird offenbar, wie schwierig es ist, vom „Großen Baumeister“ als von einem Gottesbegriff zu sprechen. Nicht nur im Ritual, sondern auch in der Rede vom A. B. A. W. wird also das Ganze in Symbolik und Subjektivismus aufgelöst. cc) Die Rückwirkungen dieses Symbols Wir haben gesehen, dass die Konzeption des A. B. A. W. und die Redeweise zwar sehr geprägt sind vom Monotheismus und im Speziellen vom Christentum, dass aber die Deutungsmöglichkeiten, die es gibt, die aber auch nicht nur zugelassen, sondern sogar intendiert werden, so vielfältig sind, dass dieser Begriff nichts mehr mit dem Ausgangs-Gottesbild zu tun 47 48

H.-H. Höhmann, Das „Geheimnis“ der Freimaurer im Wandel der Zeit. K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 116.

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III. Theologische Bilanz

hat. Das Symbol des Großen Baumeisters wird damit zum Tarnkappenbomber, der, geht es nach der landläufig so gedeuteten Absicht der Freimaurer, für alles offen ist. Aus dieser Offenheit für alle möglichen Deutungen ergibt sich aber auch die große Schwierigkeit. Es wird zwar immer wieder betont, dass die Freimaurer keinen eigenen Gottesbegriff hätten. Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass die Übereinkunft, die die Freimaurer haben, wenn sie vom A. B. A. W. als Symbol sprechen, ja auch eine gewisse Wirkung hat. Obwohl also weiterhin das Symbol mit dem individuellen Gottesbegriff gefüllt werden kann, kann umgekehrt aber auch dieses Symbol als Gottesbegriff selber wirken und kann in Opposition stehen zu einem Gottesbegriff im christlichen Sinne. Es besteht also die Gefahr, dass sich das Symbol als Gottesbegriff verselbständigt. Ein solcher Begriff steht dann anderen Gottesbegriffen gegenüber. Ein solcher aus dem Symbol des A. B. A. W. sich entwickelnder „freimaurerischer“ Gottesbegriff stellt keine Anforderungen. Er ist depersonalisiert und hat mit dem christlichen Gott nichts mehr zu tun. Ein solcher Gottesbegriff „verkündigt“ einen Gott der Genügsamkeit. Es ist ein vorläufiger Begriff, der nichts für sich in Anspruch nimmt, der bescheiden ist und nichts braucht. Ein solcher Gottesbegriff hat mit einem Gott nichts zu tun, er zeigt wirklich nur auf ein „neutrales Es“ und es wird im freimaurerischen Zusammenhang ohnehin nicht von Heil gesprochen. Damit zeigt er einen Weg auf, theoretisch zwar vom Transzendenten zu sprechen, in Wirklichkeit aber Gott zu einer Leerformel werden zu lassen, die im Leben keine Bedeutung hat. Die Zurückdrängung der Religion ins Private in der Freimaurerei ist ein weiterer wichtiger Schritt in die Richtung, dass Religion und auch die eigene Gottesvorstellung angesichts des einigenden Prinzips „einer Religion, in der alle Menschen übereinstimmen“, die es aber tatsächlich nicht gibt, an Bedeutung verliert. So konnte das Symbol des „Allmächtigen Baumeisters Aller Welten“ durchaus seine Wirkung entfalten und auch als „freimaurerischer Gottesbegriff“ in Opposition zum christlichen Gottesbegriff kommen. Damit können sowohl Ritual als auch das Symbol des Allmächtigen Baumeisters aller Welten sowohl zum Symbol für Transzendenz als auch zum Gottesersatz werden.

IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte Wenn zunächst der Wesenskern der Freimaurerei, das Ritual, in den Blick genommen und auch entsprechend theologisch beurteilt wurde, dann müssen jetzt doch die vielfältigen Beziehungen beider Systeme zueinander, der katholischen Kirche mit der Freimaurerei, untersucht werden. Im Laufe der Geschichte sind aber auch Wunden geschlagen worden. Und das bedeutet nicht nur, dass die katholische Kirche einseitig gegen einen humanitär-toleranten Freundschaftsbund, die Freimaurerei, agierte, sondern vor allem die Freimaurer in den romanischen Ländern, haben teilweise nicht nur antiklerikal gearbeitet, sondern auch mitunter versucht, mit Hilfe „satanistischer“ Propaganda die katholische Kirche zu treffen und herauszufordern. In einer Abhandlung zur kirchenrechtlichen Klärung dessen, was die Beurteilung der Freimaurerei ausmacht, muss auch deshalb die Darrstellung der beziehungen der Freimaurerei mit der katholischen Kirche im Laufe der Geschichte einen besonderen Platz haben, weil ja gerade die päpstlichen Verurteilungen einerseits Rechtskraft besaßen und andererseits diese eine wichtige Basis zum Verständnis und zur Interpretation der CIC von 1917 und 1983 darstellen. Man kann nämlich nicht so tun – wie das manchmal vereinfachend geschieht – als würde es vor dem Erscheinen des CIC/1983 keine Geschichte und keine Entwicklung der Rechtsquellen geben. Das bedeutet aber, dass wir nach wie vor, wenn auch aus der aktuellen Perspektive des derzeit gültigen Kirchenrechts, andere rechtssetzende Akte im Blick haben müssen. 1. Päpstliche Verurteilungen Es ist interessant, dass die eigentliche inhaltlich-theologische Auseinandersetzung mit der Freimaurerei vonseiten der Kirche eher spät erfolgt ist. Vorher war diese Frontstellung vor allem strukturell, politisch und in einer gewissen Konkurrenzsituation begründet. Dieses Kapitel soll nur einen kurzen Abriss der wesentlichen Konfliktlinien bieten, keinesfalls soll detailgetreu den einzelnen Konflikten und Argumenten nachgespürt werden. Gerade vor dem CIC/1917 wurden nämlich sehr viele einzelne Gesetze von den kirchlichen Autoritäten gegen die Freimaurerei erlassen, was zu einer gewissen Unübersichtlichkeit insgesamt geführt hat. Trotzdem ist wichtig,

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

woher gewisse Tendenzen in der kirchenrechtlichen Argumentation gekommen sind und inwiefern diese im CIC/1917 bzw. im CIC/1983 ihren Niederschlag gefunden haben. Noch detaillierter hat Klaus Kottmann in seinem Werk die einzelnen Stationen der kirchenrechtlichen Entwicklung dargestellt.1 Wenn man bedenkt, dass der Gesamtkirche nachgesagt wird, sie reagiere eher langsam und verhalten auf aktuelle Ereignisse, weil sie ja in Jahrhunderten denke, so schien offensichtlich die Freimaurerei von solcher Wichtigkeit, dass die erste Stellungnahme der römischen Kirche schon 1738 mit der Bulle „In eminenti apostolus specula“2 durch Papst Clemens XII. erfolgte. Begründet wird das päpstliche Eingreifen u. a. damit, dass die Sicherheit der Reiche beeinträchtigt würde, dass sie (die Freimaurer) „weit und breit im Vormarsch“ wären und täglich erstarken sowie mit der Geheimnishaftigkeit, mit der Aufregung in der Bevölkerung („das Gerede“), dem zu leistenden Eid, vor allem aber auch mit der Tatsache, dass sich dort „Menschen aller Religionen und Sekten, die mit einer gewissen Art von natürlicher Rechtschaffenheit zufrieden sind, sich durch ein enges und geheimnisvolles Bündnis nach festgelegten Gesetzen und Statuten miteinander verbinden.“ Über „die anderen Uns bekannten und triftigen Gründe“ wurde schon viel spekuliert3. Bedeutsam ist aber, dass zwar gesagt wird, dass diese Gesellschaft zu verurteilen und zu verbieten ist, aber dass es gleichzeitig den Ortsordinarien und Inquisitoren überlassen ist, „Übertreter als der Häresie sehr verdächtig mit angemessenen Strafen zu bestrafen“. Es geht dabei um die Qualifikation „der Häresie sehr verdächtig“, die nicht von vornherein insinuiert, dass es sich (automatisch) im Einzelfall um eine Häresie handeln muss und dass trotzdem gesagt wird, dass jemand durch die Tat selbst der Exkommunikation anheimfällt. Auch ein vom KardinalStaatssekretär Firrao 1739 für die päpstlichen Gebiete erlassenes Dekret, das schwere Strafen wie den Tod, die Beschlagnahme des Vermögens oder die Schleifung der Häuser, die als Versammlungsort der Freimaurerlogen dienten, vorsah, konnte nicht erreichen, dass die päpstliche Bulle allzu 1 K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche. Vom geschichtlichen Überblick zur geltenden Rechtslage. Adnotationes in Ius Canonicum, hrsg. von E. Gütthoff/K-H. Selge, Frankfurt a. M. 2009. 2 Clemens XII., „In eminenti apostolatus specula“ vom 28.04.1738, in: CIC-Fontes, I, Nr. 299, S. 656 f. 3 So meint etwa Binder, dass man diese Aussage durchaus als Generalklausel verstehen könnte (D. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 37). Daneben meint etwa Dierickx (M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 66), dass darin die Tatsache angesprochen wurde, dass „die Mitgliedschaft vieler bedeutender Katholiken und sogar Priester in den Logen bekannt war“, während Mellor das Ganze politisch interpretiert (A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, Graz/ Wien/Köln 1964, S. 188).

1. Päpstliche Verurteilungen

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große Resonanz fand. 1751 wird die Verurteilung der Freimaurer in einer weiteren päpstlichen Bulle4 durch Benedikt XIV. erneuert, indem er weitgehend dieselben Gründe anführt, allerdings die unklare Formulierung von den „anderen Uns bekannten und triftigen Gründen“ weglässt. Auch hier reagierte die Welt entsprechend: „Wir können schon vorweg sagen, mit derselben Gelassenheit und derselben Unwissenheit. Außer auf der iberischen Halbinsel, wo sich die weitgehend verstaatlichte Inquisition mit ihren Gerichten auf diese neue Art von Verbrechen stürzte, sehen wir in der übrigen katholischen Welt nur wenig oder gar keine Reaktion.“5 Wenn in beiden Bullen der Freimaurerei außer der Geheimniskrämerei nichts angelastet werden kann, was als konkreter Verbrechenstatbestand gegen sie verwendet werden könnte, so ist doch ein Aspekt sehr interessant: „Der Terminus: ‚die Freimaurer tragen das Brandmal der Bosheit und verkehrten Denkungsart‘, der in beiden Bullen verwandt wird, sollte auf eine ‚teuflische‘ Denkungsart der Maurer hinweisen, wie sie schon in früheren Jahrhunderten Ketzern in ihren zahlreichen Varianten vom römischen Klerus angedichtet wurden.“6 Diese Sichtweise wird fortgeführt: 1764 wird im englischen „Wonderful Magazine“ berichtet, die Freimaurer wären Teufelsanbeter und man fand die Verbindung der Freimaurerei mit der Teufelslegende „besonders in den romanischen Ländern in der antimaurerischen Literatur in allen Varianten.“7 Die Vorwürfe stammten aus der Zeit der Hexen-, Zauberer- und Ketzerliteratur und „erreichten schließlich ein Niveau, das die exponierten Vertreter der Institution Kirche nicht nur lächerlich machte, sondern ihr schließlich mehr schadete als den von ihr bekämpften ‚teuflischen Freimaurern‘“.8 Auch Papst Pius VII. gilt als Vorkämpfer gegen die Freimaurerei. Mit dem Rücken zur Wand – angesichts der Probleme mit Napoleon, der ihn 1809 auch aus dem Kirchenstaat vertrieben hatte – identifizierte er die Freimaurer mit den zeitgenössischen Freidenkern bzw. den Feinden des Klerus. Die in seinem Auftrag vom Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi 1814 veröffentlichte Bulle „Sollicitudio omnium ecclesiarum“ polemisierte gegen „die mörderische Entfaltung und die verborgenen Pläne dieser geheimen Vereinigungen und höllischen Zusammenkünfte“, beschwört die Tatsache, dass diejenigen, die in der Freimaurerei verharren, „im Zustand der Verdammnis“ sind, fordert sie zur Buße auf 4 Benedikt XIV., „Providas Romanorum Pontificum“ vom 18.05.1751, in: CICFontes, II, Nr. 412, S. 315–318. 5 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 71. 6 K. R. H. Frick, Satan und die Satanisten. Ideengeschichtliche Untersuchungen zur Herkunft der komplexen Gestalt „Luzifer/Satan/Teufel“, ihrer weiblichen Entsprechungen und ihrer Anhängerschaft, Teil 3, Graz 1986, S. 8. 7 Ebd., S. 11. 8 Ebd., S. 13.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

und bringt eine neue Facette ins Spiel, indem die Organisation der Carbonari als Spielart der Freimaurerei festgestellt wird. Allerdings hat diese Bulle nur im Kirchenstaat Gültigkeit. Schließlich, sieben Jahre später, verfasst derselbe Papst ein Rundschreiben mit dem Titel „Ecclesiam a Jesu“9, in dem er den Inhalt der bisher für den Kirchenstaat gültigen Bulle nun weltweit als gültig festsetzte. Nicht nur Pius VII., sondern auch Leo XII.10, Pius VIII.11 sowie Gregor XVI. („Mirari vos“12 bzw. „Inter praecipuas machinationes“13 erließen in der Folge Bullen bzw. Enzykliken gegen die Freimaurerei. Allmählich wird der politische Druck gegen den Kirchenstaat immer größer, die Carbonari werden immer mehr zum Feindbild und werden undifferenziert mit der Freimaurerei identifiziert, weil einige Exponenten der italienischen Einigungsbewegung Freimaurer waren, so etwa Mazzini, Garibaldi, Cavour, Victor Emanuel I. und der II.14 Pius IX. markiert einen Gipfel der päpstlichen Freimaurerbekämpfung. Schon im Jahre 1846 kam dessen Einstellung zur Freimaurerei in der Enzyklika „Qui pluribus“15 zum Ausdruck. Er erließ immerhin acht Enzykliken und Schriften, in denen er die Freimaurerei angriff. Für ihn waren die Freimaurerlogen „Synagogen des Satans.“16 Aber auch das Fluidum, in dem Antifreimaurerisches entstand, war zu dieser Zeit entsprechend wichtig. Unter anderem gehört etwa der Schriftleiter der 1850 neu gegründeten Zeitschrift „Civilità cattolica“ der Jesuit Antonio Bresciani als eine der treibenden Kräfte gegen die Freimaurerei in dieses Fluidum, indem er etwa Erzäh9 Pius VII., Konstitution „Eccelsiam a Jesu“ vom 13.09.1821, in: CIC-Fontes, II, Nr. 479, S. 721–724. 10 Leo XII., Konstitution „Quo graviora“ vom 13.03.1825, in: CIC-Fontes, II, Nr. 481, S. 727–733. 11 Pius VIII., Enzyklika „Traditi humilitati nostrae“ vom 24.05.1829, in: Magnum Bullarium Romanum, Continuatio, Tomus XVIII, Pii VIII., hrsg. von Andreas Barabèri, bearbeitet von Rainadi Segreti. Rom 1856. Fotomechanischer Nachdruck, Graz 1964, S. 17–20. 12 Gregor XVI., Bulle „Mirari vos arbitramur“ vom 15.08.1832, in: CIC-Fontes, II, Nr. 458, S. 744–752. 13 Gregor XVI., Enzyklika „Inter praecipus machinationes“ vom 08.05.1844, in: CIC-Fontes, II, Nr. 502, S. 797–804. ASS, Vol. IX (1876/77), S. 621 ff. 14 Vgl. M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 84. Auch Binder analysiert die Tendenz der damaligen Zeit, dass die Freimaurerei mitunter als „Tarnung“ gebraucht wurde. Er nennt dabei auch die „italienische Carboneria“. Binder: „Diese organisatorische Verwandtschaft, zu der im einen oder anderen Fall unterschiedlich starke personelle Querverbindungen traten, führten schon früh zu der Annahme, dass hinter allen Revolutionen die rege Hand der maurischen Brüder zu finden wäre.“ (D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 47 f.) 15 Pius IX., Enzyklika „Qui pluribus“ vom 09.11.1846, in: CIC-Fontes, II, Nr. 504, S. 807–817. 16 K. R. H. Frick, Satan und die Satanisten, S. 22.

1. Päpstliche Verurteilungen

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lungen verfertigte, die sich gegen die Freimaurerei wandten. „In den Jahren um 1860 steuerte der Liberalismus in mehreren Staaten Europas einen antiklerikalen Kurs und trachtete danach, den Einfluss der Kirche im öffentlichen Leben und vor allem im Unterricht zurückzudrängen oder vollständig auszuschalten. Der drohende Verlust des Kirchenstaates musste für Pius IX. als der letzte Schritt erscheinen, um die Kirche in Fesseln zu schlagen, indem man dem Papst selber die Bewegungsfreiheit nimmt.“17 All diese Zeiterscheinungen waren genug für Pius, um auf einer anderen Ebene zum Befreiungsschlag auszuholen: Der Zeitpunkt zur Erklärung der dogmatischen Absicherung der päpstlichen Unfehlbarkeit im I. Vatikanischen Konzil war eine der Maßnahmen, um den Verlust politischer Macht geistlich zu kompensieren. Man kann sich vorstellen, wie die Wogen hochgingen, als gleichzeitig mit dem Beginn des I. Vatikanischen Konzils auch die Freimaurer ein „Gegenkonzil“ abhielten.18 Bei diesem Gegenkonzil, das in Neapel 1869 stattfand, hieß es in der Botschaft der Turiner Freimaurer unter anderem: „Die römisch-katholische Religion ist eine Lüge. Ihre Herrschaft ist ein Verbrechen.“19 Eine andere Maßnahme, um zurückzuschlagen, war sicher auch der Syllabus, der gemeinsam mit der Enzyklika „Quanta Cura“20 herausgegeben wurde, die am 8. Dezember 1864 erschien und worin in einer Art Rundumschlag achtzig moderne Irrtümer aufgeführt wurden. „Mit Pantheismus und Rationalismus, Liberalismus und Sozialismus werden als Feinde auch die Geheimbünde genannt (. . .). . . . da war natürlich in erster Linie das Freimaurertum gemeint, das kein Geheimbund ist, freilich auf Verschwiegenheit Wert legt.“21 Für die weitere Entwicklung des Kirchenrechts in Bezug auf die Freimaurerei ist besonders die Konstitution „Apostolicae Sedis“ vom 12.10.1869 erwähnenswert: Dabei wurden insgesamt alle bisher von selbst eintretenden Beugestrafen neu geordnet, revidiert oder reformiert und in einem Strafrechtskatalog im Paragraphen II zusammengefasst. Damit verfügt diese Konstitution zur Freimaurerei: „Wir erklären, dass diejenigen die von selbst eintretende, dem Papst reservierte Tatstrafe der Exkommunikation auf sich ziehen, die der Sekte der Freimaurer oder der Carbonari oder anderen Sekten dieser Art beitreten ihren Namen geben, die gegen die Kirche 17

M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 85. Vgl. D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 58. 19 J. Müller, Freimaurerei und katholische Kirche. Ängste – Auseinandersetzungen – Dialogversuche, Freiburg 1995, S. 11. 20 Pius IX., Enzyklika „Quanta cura“ vom 08.12.1864, in: CIC-Fontes, II, Nr. 542, S. 993–999. ASS, Vol. III (1867/68), S. 163–166. 21 H. Küng, Dankesrede anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland 2007 an ihn, in: www.freimaurerei.de/index.php?id=1880, eingesehen am 29. August 2008. 18

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

oder die rechtmäßige Gewalt entweder öffentlich oder geheim Machenschaften betreiben oder diese Sekten auf irgendeine Weise unterstützen; oder deren geheime oberste Leiter und Führer nicht anzeigen, solange sie diese nicht angezeigt haben.“22 In dieser Zeit der Spannungen entfernt 1877 der Großorient von Frankreich „aus seinen Statuten die Verpflichtung, den Obersten Baumeister des Weltalls anzurufen und die Unsterblichkeit der Seele anzuerkennen, worauf die Großloge von England den französischen Großorient aus der Liste der ‚regulären Großlogen‘ strich; dieser Beschluss gilt immer noch. 1879 änderte übrigens die Mutter-Großloge von England den Text des Konvents von Lausanne wie folgt: ‚Die Freimaurerei verkündet schon von ihrem Ursprung an die Existenz Gottes, des Großen Baumeisters des Weltalls, und die Unsterblichkeit der Seele‘.“23 Damit ist klar, dass es nicht nur Gegenbewegungen und Frontstellungen gegenüber der Religion gegeben hat, aber offensichtlich erschien der römischen Kirche zu dieser Zeit und in dieser sehr schwierigen Situation der Bedrängnis von vielen Seiten so und die Freimaurerei wurde damit als eine der Hauptschuldigen für diese Entwicklung dingfest gemacht. Nach dem Verlust des Kirchenstaates gab es zwar von Seiten des italienischen Staates das sog. „Garantie- und Bürgschaftsgesetz“, trotzdem sah sich der Papst als „Gefangener im Vatikan“, auch deshalb, weil „provozierende“ Maßnahmen von Seiten der Regierung, vor allem im Hinblick auf den Klerus und die Rechte der Kirche erfolgten, aber auch ein „gehässiger Feldzug“ gegen Pius IX. und seine Ratgeber sowie gegen den Klerus allgemein von linken Elementen eingeleitet wurde.24 Tatsächlich ist es also die besondere Situation Italiens, aber auch Frankreichs und Belgiens, die fast alle Reaktionen der Päpste in dieser Zeit provozierte.25 „Der den Liberalismus begleitende Antiklerikalismus und der wiederum in Verbindung mit diesem Phänomen stehende Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der in der Staatswerdung Italiens in direkten Gegensatz zu den Interessen des Kirchenstaates kommen musste, formten die Maurerei ebenso wie die kontrahierende Kirche. Engstens mit diesen Bestrebungen verbunden waren die Carbonari, die als klassischer revolutionärer, terroristischer Geheimbund angesprochen werden müssen, wobei jedoch deutlich festzustellen ist, dass trotz einer häufigen personellen Identität die Freimaurerei eine völlig andere Organisationsform darstellt.“26 22

Pius IX., Konstitution „Apostolicae Sedis“ vom 12.10.1869, in: CIC-Fontes, III, Nr. 552, S. 26 f. 23 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 88. 24 Vgl. M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 91. 25 Vgl. M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 75. 26 D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 56.

1. Päpstliche Verurteilungen

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Die Auswüchse dieses Antiklerikalismus sieht man auch an den Aktionen, in denen man versuchte, die Kirche und die Religion in ihrem Innersten zu treffen und sich nicht mehr nur auf Politik beschränken wollte: „Bruder Carducci dichtete sogar eine „Hymne auf den Satan“ und wurde dafür in der ‚Rivesta della Massoneria Italiana‘ nächst Mazzini und Garibaldi als ‚der Dritte des ruhmreichen Triumvirates gegen die theologischen und politischen Schandtaten‘ gefeiert. In seiner Hymne erscheint Satan als der erste Verkünder der Menschenrechte, als der Dämon, der dem Gott der Päpste und königlichen Despoten den Fehdehandschuh hinwirft.“27 In dieser Hymne heißt es u. a.: „Und schon erzittern Mitren und Kronen: Heil dir, o Satans, o Rebellion, o rächende Kraft der Vernunft.“28 In dieser Entwicklung wird nun also der Satanismus, der zunächst vor allem von kirchlicher Seite herangezogen wurde, um die Freimaurerei zu diskreditieren, zum Bumerang, indem manche Freimaurerkreise diesen bereitwillig aufnehmen, um damit die Anti-Haltung zur Kirche pointiert zu kennzeichnen und so auch ein religiöses Kampfmittel gewinnen. Die Hemmschwelle gegenüber einer solchen Art von Satanismus wurde ja schon durch die Satanismuszuschreibung durch die Kirche selber überschritten. „Eine recht diabolische Großtat des humanitär-toleranten Freundschaftsbundes ereignete sich im Oktober 1917. Zu ihrer 200-Jahr-Feier entrollten italienische Freimaurer auf dem Petersplatz unter den Fenstern des Vatikans ein Satansbanner, auf dem eine verzerrte Darstellung des Erzengels Michael zu erkennen war, den Luzifer zu Boden warf. ‚Satan muss herrschen im Vatikan, und der Papst muss sein Sklave sein!‘, stand auf einem Transparent.“29 Der Nachfolger von Pius IX., Papst Leo XIII., hatte ebenfalls ein sehr schwieriges Verhältnis zum Königreich Italien. „Die Drohungen des erstarkten Liberalismus gegen das Papsttum beschäftigte ihn zu Beginn der 80erJahre besonders intensiv. Leo erwog zeitweilig sogar die Flucht aus Rom. Weit mehr als eine verzweifelte Abwehr muss die berühmt gewordene Enzyklika ‚Humanum genus‘ vom 20. April 1884 gewertet werden30. Leo brandmarkte hier die Freimaurerei als Teufelswerk und bezeichnete sie als ‚unreine Seuche‘ (impuram hanc leum).“31 In der Enzyklika wird ganz klar 27

M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 91. A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, S. 327. Mellor zitiert aus: Imno a Satana, di Giosuè Carduzzi. XIV. edizione, riveduta dall’autore, Bologna 1882. 29 B. Gorissen, Ich war Freimaurer, S. 138. Siehe dazu auch: M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, Durach 1992, S. 8. 30 Leo XIII., Enzyklika „Humanum genus“ vom 20.04.1884, in: CIC-Fontes, III, Nr. 591, S. 221–234. Deutsche Übersetzung in: Bonifatcius-Broschüren, Nr. 8, Paderborn 1884. 31 K. R. H. Frick, Satan und die Satanisten, 25 f. 28

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Satans unterschieden und der Kampf der beiden herausgestellt. „In unserer Zeit aber“, so heißt es in der Enzyklika, „scheinen diejenigen, die der schlechten Sache dienen, sich miteinander verschwören und insgesamt den heftigsten Anlauf zu nehmen unter dem Vorgange und der Hilfeleistung jener weitverbreiteten und fest organisierten Gesellschaft von Menschen, die man die Logenbrüder nennt.“ (Nr. 2) Die „Sekte“ der Freimaurer ist also gewissermaßen das Zentrum der Mächte der Finsternis; wieder wird das Geheimnis den Freimaurern als negativ angerechnet, es wird das von ihnen vorgegebene „Streben für den Fortschritt der Zivilisation und ihre Liebe zu dem armen Volk“ in Zweifel gezogen und es wird das unauflösliche Band beklagt, mit denen die Freimaurer die Menschen an den Bund fesseln. „Erstmalig unternahm dieser Papst auch eine ausdrückliche Differenzierung hinsichtlich der Bewertung individuellen Verhaltens innerhalb der Freimaurersekte. Zunächst unterschied er zwischen der Institution der Freimaurer an sich und dem einzelnen Mitglied, das sich gegebenenfalls an den Unternehmungen der Freimaurer gegen Staat und Kirche nicht beteiligt und diese auch nicht billigt. Trotz dieser Differenzierung kommt er dann aber dennoch zu dem Ergebnis, dass nicht die vollendeten Taten entscheidend sind, sondern die Mitgliedschaft in einem Bund, dessen prinzipielle Gesinnung und deren Grundsätze, insbesondere der dort vertretende schrankenlose Naturalismus und das Streben nach einer antichristlichen Staats- und Gesellschaftsordnung, als kirchenfeindlich zu bewerten.“32 Sie sollen angeblich „die Hand zum Morde bewaffnen“ und so wird festgestellt, das letzte Ziel ihrer Bestrebungen sei, „das ganze System der Religion und die Einrichtungen des Staatswesens, die den christlichen Grundsätzen zu verdanken sind, von Grund aus zu stürzen und nach ihrem Gutdünken an deren Stelle neue Formen schaffen, deren Grundlage und Gesetze vollständig im Naturalismus wurzeln.“ (Nr. 10) Es wird der oberste Grundsatz der Naturalisten beklagt, dass die menschliche Natur und die Vernunft in allem oberste Richtschnur sei. (Nr. 12). Daraus der Vorwurf: „Sie leugnen nämlich jede göttliche Offenbarung und verwerfen jedwedes religiöses Dogma; nach ihnen gibt es keine Wahrheit, die des Menschen Vernunft überschreitet, keinen Lehrer, der kraft seines Amtes das Recht hätte, Glauben von uns zu fordern.“ (Nr. 12) Auch in dieser Enzyklika wird wieder darauf eingegangen, dass die Freimaurer „Bekenner einer jeden Religion aufnehmen“ (Nr. 16) und „jene, welche unverhohlen behaupten, es gebe keinen Gott, werden ebenso leicht aufgenommen, als die anderen, welche zwar das Dasein Gottes zugeben, aber eine falsche Vorstellung von ihm haben, wie die Pantheisten ihn sich denken. Es heißt dies, von Gott einen gewissen wi32

K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 183 f.

1. Päpstliche Verurteilungen

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derspruchsvollen Schein noch beizubehalten, in Wahrheit aber ihn zu leugnen.“ (Nr. 17) Die Enzyklika: „So kommt es denn, dass auch das für sie ungewiss und zweifelhaft wird, was der Mensch in dem natürlichen Licht seiner Vernunft erkennt, wie das Dasein Gottes, die Immaterialität, Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele. . . . Denn wenn sie auch im Allgemeinen das Dasein Gottes annehmen, so legen sie doch selbst dafür Zeugnis ab, dass ihr Geist hierfür keine feste und unerschütterliche Gewissheit hat. (Nr. 17) Nach diesen inhaltlichen Vorwürfen, dem Vorwurf des Relativismus und des Indifferentismus, kommen nun wieder vor allem politische und zeitbedingte Vorwürfe an die Freimaurerei, wie etwa ihr Eintreten gegen die Zivilehe, die Absicht, die Geistlichen aus den Schulen auszuschließen, gegen die Annahme, jeder habe dieselben Rechte und Pflichten, und die Gewalt gehe vom Volk aus oder die Behauptung, die Freimaurer würden mit den Kommunisten bzw. Sozialisten gemeinsame Sache machen. Von Seiten des Heiligen Officiums wurde auch noch im Erscheinungsjahr von „Humanum genus“, 1884, in der Instruktion „Ad gravissima avertenda“33 klargestellt, dass, entsprechend „Apostolicae Sedis“ von Pius IX., allein aufgrund der Mitgliedschaft bei den Freimaurern oder auch bei anderen Sekten die Tatstrafe der Exkommunikation eintritt. Leo XIII. hat sich auch in seinem Brief an die Fürsten und alle Völker „Praeclara Gratulationis“34 und in seiner Enzyklika „Spesse volte“35 gegen die Freimaurer ausgesprochen, und gerade diese wieder in italienischer Sprache abgefasste Enzyklika war erneut ein Protest gegen die politische Situation in Italien, die er als Folge freimaurerischen Einflusses und des Hasses gegen die Religion diagnostiziert. Nach diesen vielen Schriften gegen die Freimaurerei mag es nicht verwunderlich sein, dass auch sein Apostolisches Schreiben „Annum ingressi“36, das gewissermaßen einen Rückblick auf sein langes Wirken als Pontifex darstellt, wieder das Freimaurerthema anzieht, indem Leo XIII. meint, der Freimaurei sei der Krieg gegen Gott und die Kirche angeboren, sie sei darauf aus, Staat und Kirche zu vernichten und habe sich, entsprechend 2 Kor. 11,14, vom Geist Satans erfüllt in einen Engel des Lichtes verwandelt. Im Zusammenhang mit dem Pontifikat Leos XIII. ist auch der Taxilschwindel zu erwähnen. Immerhin hat er das geistige Klima der Auseinan33 S. C.S.Off., Instructio „Ad gravissima avertenda“ vom 10.05.1884, in: CICFontes, IV, Nr. 1085, S. 415–419. ASS, Vol. XVII (1884/85), S. 44. 34 Leo XIII., Epistula „Praeclara gratulationis“, in: CIC-Fontes, III, Nr. 625, S. 441–450. 35 Leo XIII., Enzyklika „Spesse volte“, vom 05.08.1898, in: ASS, vol XXXI (1898/1899), S. 129–137. 36 Leo XIII., Apostolisches Schreiben „Annum ingressi“ vom 19.03.1902, italienische Fassung in: ASS, Vol. XXXIV (1901–1902), S. 513–532.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

dersetzung der katholischen Kirche mit der Freimaurerei wesentlich bestimmt und den Konflikt noch angeheizt. Im Gefolge der Enzyklika „Humanum genus“ erklärte nämlich 1885 der französische Journalist Marie Joseph Gabriel Antoine Jogand-Pagès, der als Leo Taxil auftrat, er wolle nun öffentlich für den Katholizismus eintreten; davor hatte Taxil gegen ihn agitiert – so war auch Leiter und Stifter der französischen Freidenker-Bewegung37 und wurde auch für seine Schrift „Die geheimen Liebschaften von Pius IV.“ gerichtlich verurteilt. Seine Enthüllungsschriften über die Freimaurerei, der er kurze Zeit angehört hatte, erzielten ziemliches Aufsehen und brachten auch großen finanziellen Erfolg. Seine erstes Buch „Les fréres Trois-Points“, („Die Dreipunktbrüder“) 1885 erschienen, ist eine in den meisten Bereichen frei erfundene vierbändige Geschichte der Freimaurerei, die ausgeht von fiktiven Augenzeugenberichten über die sog. „palladische Freimaurerei“, die luziferische Orgien pflegt. In seinen weiteren Werken geht er auch auf sexuell-Orgiastisches in Frauenlogen ein oder widmet sich dem „Meuchelmord in der Freimaurerei“. „In den „palladischen Satanslogen“ feierte man nach Taxil wahre Unzuchtsorgien. Luzifer wurde auch hier als Prinzip des Guten verehrt, der Gott der Christen als der Geist des Bösen geschmäht. „Hier beginnen der Kult und die direkte Anbetung des Teufels, die progressive Vertierung durch die Schwarze Kunst, endlich die Ehrenbezeugung an den Satan in Gestalt einer Schlange . . . der Adept ruft Satan als seinen Gott an . . . er betet ihn an in Gestalt von Baphomet38 (. . .), einem infamen Götzenbild mit Bocksfüßen, Frauenbrüsten und Fledermausflügeln.“39 Daneben wird die Gestalt einer Sophie Walder erfunden, die palladische Großmeisterin und eine Urgroßmutter des Antichrist ist, sowie die Palladistin Diana Vaughan, die angeblich als Tochter des Teufels Bitru geboren wurde. Auch der unter dem Pseudonym „Dr. Bataille“ auftretende deutsche Arzt Dr. Karl Hacks schrieb Gleichartiges, das das von Taxil Gesagte noch ergänzte. Diese Enthüllungen, so phantastisch sie auch waren, wurden in der Öffentlichkeit begierig aufgenommen. Auch Papst Leo XIII. konnte sich dem nicht entziehen und empfing Taxil sogar in einer Privataudienz, was sicherlich auch zu einer erheblichen Imagesteigerung Taxils in Kirchenkreisen führte. „1896 fand auf Anregung Taxils in Trient ein großer Antifreimaurerkongress (. . .) statt, zu dem 36 Bischöfe, 50 bischöfliche Delegierte und mehr als 700 Interessenten, größtenteils Geistliche, erschienen.“40 Dort kam aber schon eine 37

H. Gruber, Stimmen aus Maria Laach, Jg. 34, 1888, S. 229. Diese Gestalt wurde erstmals von Elias Lèvi in seinem Buch „Rituel de la Haute Magie“ dargestellt. Er geht dabei auf die Darstellung des Teufels auf Tarotkarten ein, die ihren Ursprung in den Bildern des angeblichen Idols der Templer „Baphomet“ haben (vgl. K. R. H. Frick, Satan und die Satanisten, S. 43). 39 E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 830. 40 Ebd., S. 831. 38

1. Päpstliche Verurteilungen

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gewisse Skepsis gegenüber den Darstellungen Taxils zum Ausdruck, die vor allem auch auf einem Artikel von P. Hermann Gruber S. J. fußte, den er 1896 in der Kölnischen Volkszeitung veröffentlichte.41 Taxil konterte mit einem Bild der angeblichen Miss Vaughan und Angriffen gegen P. Gruber. „Schließlich versprach Vaughan, unter deren Namen Taxils Sekretärin mit Würdenträgern der Kurie korrespondierte, sich in allen Hauptstädten Europas zu zeigen, und lud auf den 19.4.1897 nach Paris ein. Plötzlich erschien Taxil selbst und erklärte vor den zahlreich anwesenden Klerikern, Freimaurern und europäischen wie amerikanischen Journalisten, er habe 12 Jahre lang mit voller Absicht den katholischen Klerus einschließlich Papst und Kardinälen hinters Licht geführt. Der ‚größte Ulk des 19. Jahrhunderts‘, wie Taxil seinen Schwindel selber nannte, sei für ihn eine ergötzliche Komödie und ein einträgliches Geschäft gewesen.“42 Trotzdem wurden einerseits weiterhin Angriffe gegen die „Synagoge des Satans“ und gegen den Satanismus in der Freimaurerei durch die Kirche geführt. So Leo XIII. schrieb in dem zum Anlass des 25-Jahrjubiläums seines Pontifikates 1902 herausgegebenen Apostolischen Schreiben „Annum ingressi sumus“: „Gleichsam beseelt durch den Geist Satans, der sich nach dem Wort des Apostels ‚als Engel des Lichtes verkleidet‘, gibt sie sich als Gemeinschaft mit humanitären Zielen aus, während sie tatsächlich alles, soweit sie es kann, in den Dienst ihrer eigenen Ziele stellt. Sie versichert, absolut keine politischen Absichten zu haben, übt aber einen großen Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltung aus. In Worten bezeugt sie der Autorität der Herrscher höchste Ehrerbietung und behauptet, der Religion nicht feindlich gesinnt zu sein. Aber ihr Endziel ist, wie ihre eigenen ans Licht gebrachten Satzungen laut erklären, die Vernichtung der souveränen Autorität und der Hierarchie, die in ihren Augen beide Feinde der Freiheit sind.“ Man ist verwundert über den scharfen Ton der Auseinandersetzung und versteht ihn, wenn man umgekehrt auch das Klima betrachtet, in dem das Ganze geschrieben wurde. Gerade in Italien und Frankreich war der Antiklerikalismus am Höhepunkt: In Italien, so stellt es uns Dierickx dar, wird unter dem Ministerpräsidenten Crispi, einem Freimaurer, ab 1889 ein „wahrer Kreuzzug“ gegen die Kirche eingeleitet, mit Mordanschlägen und Unruhen. Mellor erwähnt zahlreiche Dokumente, die von Seiten der Freimaurerei ein Ende der Kirche anzielten. So zitiert er etwa Folgendes aus einem Rund41

Siehe dazu auch andere kritische Werke gegenüber Taxil, in: O. Köhler, Die Ausbildung der Katholizismen in der modernen Gesellschaft, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von H. Jedin, Bd. IV: Die Kirche in der Gegenwart, 2. Halbband, Freiburg/Basel/Wien 1973, S. 226. 42 M. Eder, Taxil, in: Biographisch-Biliographisches Kirchenlexikon, hrsg. von T. Bautz, Bd. XI, Herzberg 1996, Sp. 585–591.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

schreiben des Großmeisters Lemmi: „Das Gebäude, das die Freimaurer auf der Welt zu errichten im Begriff sind, könnte nicht als vollendet betrachtet werden, so lange die Freimaurer Italiens der Menschheit noch nicht die Trümmer aus der Zerstörung des Großen Feindes zum Geschenk gemacht haben. . . . Der Großorient ruft den Geist der Menschheit auf, damit alle Freimaurer mit allen Kräften daran arbeiten, die Steine des Vatikans zu zerstreuen, um daraus den Tempel der befreiten Natur zu machen.“43 Auch in Frankreich kam es zu scharfen Auseinandersetzungen, wobei das Schlagwort die Runde machte, ein guter Republikaner sei antiklerikal. So wurden ab 1901 die Mönchskongregationen unter Staatsaufsicht gestellt, es wurden 1903 so an die 20000 Ordensleute aus ihren Klöstern vertrieben, „der französische Großorient jedoch richtete seine Glückwünsche ‚an den eifrigen Freimaurer (den Ministerpräsidenten – Anmerkung des Verfassers), der in schwerer Stunde die ernste Aufgabe, die Republik zu laizieren gesichert hatte.‘ “44 Auch im Unterrichtswesen zog man diese Laisierung durch, indem man den Unterricht von Ordensangehörigen verbot, an die 15000 Schulen deshalb schloss, man kündigte einseitig das Konkordat 1905 und eine Spitzelaffäre, bei der man die Glaubensgesinnung der Offiziere im Visier hatte, erschütterte die Republik. Das alles wurde nicht getrennt von der Freimaurerei, denn in der Öffentlichkeit wurde dauernd ein Konnex zwischen den genannten Maßnahmen des Antiklerikalismus und der Laisierung innerhalb des Staates und der Freimaurerei hergestellt und auch bewusst gefördert. Der Kirchenrechtler Reinhold Sebott zu teilweisen regionalen und inhaltlichen Ausprägungen der Freimaurerei: „Vor allem in den lateinischen Ländern (etwa in Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, Portugal und Südamerika) geriet die Freimaurerei sicher auf Abwege. Man wird kaum leugnen können, dass die liberalen Bestrebungen auf kulturellem und kirchenpolitischem Gebiet ihren Ursprung in den dortigen Logen hatten. Ein weiteres Moment, das die Freimaurer in Misskredit brachte, waren ihre okkultistischmagischen Ideen und Praktiken.“45 Mellor charakterisiert diese Haltung der „Unversöhnlichen“, die sich selbst als Mitglieder einer „Gegenkirche“46 verstehen, indem er einen Satz eines Exponenten dieser Haltung zitiert: 43

A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, S. 326. Mellor führt in seinen Anmerkungen dazu noch auf: Wir zitieren dieses Rundschreiben nach dem Recueil des Lettres Apostoliques de S. S. Leon XIII:, Bd. VII, S. 207 (Paris 1904). 44 M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 97. Auch die anderen hier mitgteilten Vorgänge wurden von Dierickx übernommen. 45 R. Sebott, Die Freimaurer und die Deutsche Bischofskonferenz, in: Stimmen der Zeit 199 (1981), S. 76. 46 A. Mellor, Unsere getrennten Brüder. Die Freimaurer, S. 335. Er zitiert dabei aus der maurerischen Zeitschrift „Acaia“, 1903, S. 3, wo es heißt: „Die Freimaurerei ist eine Kirche, die Gegenkirche, der Gegenkatholizismus, die andere Kirche, die Kirche der Häresie, des Freidenkertums.“

2. Ansätze eines Dialogs

293

„Wer nicht verstanden hat, dass die laizistische und republikanische Auffassung eben der Geist der maurischen Einweihung ist, der hat überhaupt nichts verstanden, nichts; ist das klar?“47 Natürlich ist das der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien gemacht werden können und auch gemacht wurden. Es wurde sehr leicht möglich, die Freimaurerei zu Sündenbock für alle negativen Zeiterscheinungen zu machen oder sie als solche darzustellen. „Dieses Spektrum wurde später zu einem integralen Bestandteil der faschistischen Verschwörungsthese, wobei sich im Vorfeld dieser Argumentationskette auch im katholischen Bereich sehr rasch Antifreimaurerei, Kapitalismuskritik und offener Antisemitismus paarten.“48 Andererseits müssen wir auch von der Vielfalt der Freimaurerei sprechen, insofern weder die englische Großloge noch einzelne Repräsentanten derselben in einer Frontstellung gegenüber der Religion oder der katholischen Kirche standen. Mellor dazu: „Die Haltung der Vereinigten Großloge von England ist die eines Felsens. Man könnte wie folgt zusammenfassen: ‚Zwischen der katholischen Kirche und uns gibt es keinen Konflikt. Die katholische Kirche hat uns exkommuniziert, und wir haben die Schläge niemals erwidert. Wir haben uns niemals in England gegen die Befreiung der Katholiken gewendet, noch haben wir auf dem Kontinent die antiklerikalische Gesinnung der lateinischen Freimaurereien gebilligt. Wir stehen für Gott, für die Bibel, für Alt-England und für die königliche Familie.‘ “49 2. Ansätze eines Dialogs Während nach dem I. Weltkrieg einerseits von manchen Kreisen in Deutschland und Österreich ausgehend der Kampf gegen die Freimaurerei in der Öffentlichkeit durch Verschwörungstheorien nach dem Muster der Dolchstoßlegende, die etwa von General Ludendorff50 und seine Frau Mathilde auf die Freimaurer und ihr staatsfeindliches Wirken bezogen wurde, forciert wurde, kam es andererseits aber auch zu inhaltlichen Gesprächen zwischen Vertretern der katholischen Kirche und der Freimaurerei. Genau der schon erwähnte P. Gruber, einerseits „autoritativster Gegner der Frei47 A. Mellor, Logen – Rituale – Hochgrade. Handbuch der Freimaurerei, ins Deutsche übertragen von Oskar Jursa, Österreich (keine Ortsangabe) 1985, S. 490 f. 48 D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 68. Binder verweist seinerseits im Zuge dieser Aussage auf: J. Rogalla von Biberstein, Die These von der Verschwörung 1776–1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Frankfurt a. M. 1976 (Europäische Hochschulschriften II/65), S. 196 f. 49 Ebd., S. 493. 50 Ludendorff, Erich: Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse, München 1927.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

maurerei im militanten katholischen Lager“51, andererseits auch einer der Ersten, die den Taxilschwindel aufgedeckt haben, war ein Protagonist dieses Dialoges auf katholischer Seite. Vorbereitet wurde dieser Dialog durch ein umfassendes Wirken Grubers in der Behandlung des Themas „Freimaurerei“: Immerhin verfertigte er 70 Schriften dazu und wurde auch in diesem Bereich innerhalb der katholischen Kirche als der Experte konsultiert. Das Freimaurerlexikon konstatiert: „Eine Artikelserie in der österreichischen katholischen Wochenzeitschrift ‚Das neue Reich‘ betitelt ‚Der Kampf gegen die Freimaurerei im Lichte der jüngsten Kundgebungen Pius XI‘ (Juni 1926), zeigte in gewisser Hinsicht bemerkenswerte Loyalität, indem Gruber zum ersten Mal auf rein weltanschaulicher Basis die Freimaurerei zum Gegenstand einer philosophischen Analyse machte.“52 Interessant ist, dass damit Gruber zu einem Vorreiter der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Freimaurerei wird und sich auch abhebt von den päpstlichen Schreiben, die alle vornehmlich politische und zeitbedingte Gegebenheiten im Blick haben, sieht man vom Naturalismusvorwurf und dem Vorwurf des Indifferentismus bei Leo XIII. ab. „Als Wesenseinheiten der modernen spekulativen Freimaurerei erschienen ihm (Gruber – Anmerkung des Verfassers) dabei: 1. der praktische allem grundsätzlichen Liberalismus gemeinsame, angeblich religiöse oder konfessionell neutrale, tatsächlich antisupranaturalistische praktisch adogamtische und antidogmatische Charakter; 2. das naturalisitsch-humanitäre Fundamentalprinzip; 3. die deistische Grundidee.“53

Im Zusammenhang mit dem von Gruber 1926 publizierten Artikel befindet es das Freimaurerlexikon als erwähnenswert, dass das erste Mal durch die Person Grubers von katholischer Seite der Freimaurerei nicht der Vorwurf des Atheismus gemacht wurde. Es kam anschließend zur Korrespondenz Grubers mit dem Freimaurer Dr. Kurt Reichl, der Mitglied der Loge „Zur Zukunft“ war und auch die wichtigsten Ergebnisse dieses Schriftwechsels mit Gruber in Artikeln in der „Wiener Freimaurerzeitung“ festhielt. 1926 folgte schließlich die Aachener Konferenz, die zwar inoffiziell war, die aber doch eine gewisse Bedeutung hatte, weil nicht nur Reichl und Gruber, sondern auch Eugen Lennhoff (Mitautor des Internationalen Freimaurerlexikons) und der amerikanische Freimaurer Ossian Lang daran teilnahmen und diese auch in den Zeitungen publizistisch ausgewertet wurde. Zwei Jahre vorher hatte Lang schon im Vatikan mit Kardinalstaatssekretär Gaspari gesprochen. „Damit hatte der Dialog auf höchster Ebene bereits be51 52 53

E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 367. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 367. Ebd., S. 367.

2. Ansätze eines Dialogs

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gonnen, weil die Großloge von New York angeblich wegen des wachsenden Einflusses der katholischen Kirche in den USA daran interessiert war, Beziehungen mit dem Vatikan aufzunehmen.“54 Natürlich versuchte man diesen Dialog, von dem auch die Öffentlichkeit aus den Medien erfuhr, schlechtzumachen, und zwar sowohl von katholischer Seite, indem der Dialog von fundamentalisch-katholisch-antisemitischer Seite (Mgr. Jouin in Frankreich) kritisiert wurde, und auch das nationalistisch orientierte Spektrum, so zum Beispiel Ludendorff, sah das Ganze als Beweis für die „freimaurerisch-jesuitische Zusammenarbeit zur Vernichtung Deutschlands“.55 Die Aachener Gespräche brachten immerhin die Erkenntnis, „dass es sich bei dem Widerstreit Katholizismus und Freimaurerei um einen Gegensatz weltanschaulicher Fragen (religiöses Dogma und philosophische Toleranz) handle, die nicht zur Deckung gebracht werden können, dass sich aber daraus naturgemäß die Forderung ergebe, die Austragung des gegen die Freimaurerei geführten Kampfes aus dem von vielen Seiten seit Jahrzehnten allein betretenen Gebiet politischen Lügen- und Verleumdungsfeldzuges auf die höhere Ebene kritisch wissenschaftlichen Geisteskampfes zu heben.“56 Soweit die Sichtweise des Freimaurerlexikons. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass sich etwa Gruber zum Interdikt des Papstes über die Freimaurer dahingehend äußerte, das es grundsätzlich reversibel sei, „weil es ja keine unfehlbare Erklärung irgendeines der Heiligen Väter gewesen und daher des weiteren jederzeit widerrufbar, wenn die verbannte Sekte zu den Grundsätzen des Kirchenglaubens zurückfände.“57 Darauf meinen die Vertreter der freimaurerische Seite: Man könne nicht erwarten, dass die adogmatische Loge „sich das Dogma der Kirche zueigen mache. . . . Sie entnehme (die freimaurerische Seite – Anmerkung des Verfassers) der Loyalität Pater Grubers, dass ein kolossaler Schritt zur zeitlichen Aufhebung des Interdikts positive Zugeständnisse der Freimaurerei in der Frage des persönlichen Gottes seien, die Verwurzelung des freimaurerischen Humanismus in einem garantierenden und garantierten Glauben an einen persönlich gefassten Gottesbegriff. Die ferneren Unterhandlungen werden sich, nachdem die aktuellen Dinge einer Klärung zugeführt werden, um diese metaphysische Angleichung in erster Linie bemühen müssen.“ Natürlich waren sich beide Seiten im Klaren, dass wegen der Vielfältigkeit der Maurerei 54

M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, S. 57. Vgl. E. Lennhoff/O. Posner/D. A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, S. 368. 56 Ebd., S. 43. 57 Protokoll der Konferenz von Aachen, Punkt 2. Im Folgenden wird dieses Protokoll zitiert aus: M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, S. 59–61. Dieser beruft sich auf: F. A. Six, Freimaurerei und Christentum. Ein Beitrag zur politischen Geistesgeschichte, Hamburg 1940, S. 81–83. 55

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

eine Verständigung immer nur in Bezug auf ein Land und die entsprechende freimaurerische Ausformung dort möglich ist (Punkt 4). P. Gruber, aber auch P. Muckermann erklären sich bereit – auch seitens des Jesuitenordens –, „dafür Sorge zu tragen, dass die Freimaurerei in immer weiteren katholischen Kreisen als sittliche Ordnungsmacht, nur von einem anderen Ethos als das Christentum getragen, anerkannt wird.“ (Punkt 5) Man verurteilt auch gemeinsam die problematischen Ausformungen des Kampf gegeneinander und „man anerkennt gegenseitig, dass der radikale Kulturkampf der Schottischen Hochgradfreimaurerei, der so genannte ‚Mazzinismus‘ einerseits, der militante Kampf der Kirche andererseits kausal zueinander stehen.“ (Punkt 6) Man einigte sich auch darauf, „immer mehr die führenden Persönlichkeiten auf beiden Seiten in den Verhandlungskreis von Aachen einzubeziehen“ (Punkt 7), d.h. man rechnet damit, dass Aachen kein singuläres Ereignis bleibt, sondern der Dialog fortgesetzt wird. Beide Parteien erklären, darauf drängen zu wollen, die Angriffe gegeneinander zu minimieren, denn „die allgemeine Lage zeigt deutlich auf, wie diese Richtungen des Ungeistes (gemeint sind nihilistische, bolschewistische, kommunistische und marxistische Tendenzen), diese antikulturellen Strömungen gleicherweise gegen Kirche und Loge zu Felde ziehen. Umso mehr ist eine gemeinsame Abwehrfront ein wichtiges und dringendes Erfordernis.“ (Punkt 9) Die Teilnehmer sind sich aber – obwohl der Geist von Aachen beschworen wird (Punkt 10) –, dessen bewusst, dass die 200 Jahre des Konfliktes zwischen Kirche und Freimaurerei nicht in kurzer Zeit bereinigt werden können. Kontakte gab es auch in Frankreich zwischen dem Freimaurer Albert Lantoine und dem Jesuiten Joseph Berteloot. Mit Grubers Tod 1930 stockten die Bemühungen um den Dialog in Deutschland, die Freimaurerei kam in mehreren europäischen Staaten (Deutschland, Italien, Polen, Türkei, Spanien) zunehmend unter Druck und das Klima für einen Dialog wurde insgesamt rauer. 3. Eine neue Gesprächsbasis nach dem II. Weltkrieg Schon während des NS-Regimes kam es zu vorsichtigen Kontakten zwischen Freimaurerei und Katholizismus: „1938 vermerkte der Sicherheitsdienst der SS die Bestrebungen holländischer Freimaurer, mit der katholischen Hierarchie wegen gemeinsamer Aktionen gegen den Nationalsozialismus ins Gespräch zu kommen; im Frühjahr 1939 wurden diese Beobachtungen konkretisiert und ausgedehnt. ‚Besonders die französischen und schweizerischen Logenkreise halten ein Zusammengehen der Freimaurer mit dem politischen Katholizismus des Vatikans für unbedingt geboten.‘ “58 58

D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 90.

3. Eine neue Gesprächsbasis nach dem II. Weltkrieg

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Der Eindruck einer gemeinsamen Verfolgung, des II. Weltkriegs, der Not, Verfolgung und Unterdrückung bereitete das Bewusstsein für ein neues Gesprächsklima zwischen Freimaurerei und Kirche auf. Der Großmeister der österreichischen Freimaurer, Bernhard Scheichelbauer, hatte Kontakte mit dem Prälaten Jakob Fried und in der Folge auch mit Kardinal Innitzer. Dieser bezeichnet das Verhältnis zwischen österreichischer Kirche und Freimaurerei laut einem Gedächtnisprotokoll Scheichelbauers „in einem Ruhezustand“ und Scheichelbauer bedauerte: „Meine Verantwortlichkeit fühle ich dadurch belastet, dass mir Brüder, die gute Katholiken sind, zu verstehen geben, sie wären unverhältnismäßig hart dadurch getroffen, dass ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit die Sakramente verweigert würden.“59 Innitzer weist darauf hin, dass die Haltung der Kirche von Rom bestimmt wird. Die österreichische Freimaurerei und die Kirche haben aber auch danach Kontakte gepflegt, auch wenn Scheichelbauers Buch (das der Verfasser dieser Arbeit an anderer Stelle mehrfach zitiert hat) später auf den Index gesetzt wurde. In der vorkonziliaren Aufbruchstimmung und auch danach gab es viele Initiativen in den einzelnen Großlogen und auf Seiten einzelner Vertreter nationaler Kirchen. Besonders wichtig für dieses geistige Klima sind insbesondere die Bücher des Franzosen Alec Mellor, dessen erstes mit dem Imprimatur der Erzdiözese Paris erschienen ist und der schließlich sogar mit der Erlaubnis des Ortsordinarius in die Freimaurerloge „Espèrande Nr. 36“ aufgenommen wurde. Auch die Einladung von P. Riquet S.J., dem ehemaligen Kanzelredner von Notre Dame, mit Erlaubnis seiner Vorgesetzten, in die Loge „Volney“ in Laval (Westfrankreich) ist ein Ereignis, das vorbildhaft wirkte. „In aller Welt wurden jetzt nämlich überall von Freimaurern geistesverwandte Priester zu Vorträgen in Logentempeln eingeladen.“60 Schon im Vorfeld des II. Vatikanischen Konzils suchten vor allem Freimaurer die Kirche zu einer Veränderung ihrer Haltung zu bewegen; als Zeugnis für die Vielzahl dieser Initiativen mag der Brief der Großloge von Haiti gelten, die sich an die Vorbereitende Zentralkommission des Vatikanischen Konzils mit einer Art Bittschrift vom 26. Mai 1962 wendet. So greift der Brief etwa die Verurteilung der Freimaurer im CIC/1917 auf: „Sagen wir nochmals zu unserer Entlastung, im Vertrauen auf einen Traktat über das Kanonische Recht, der unter Leitung von Raoul Naz veröffentlicht worden ist, dass der Canon 2335 mit der Exkommunikation die Mitglieder aller Vereinigungen bestraft, die offen oder im Geheimen ‚gegen den Staat oder die Kirche Böses im Schilde führen‘ (machinatur). Wer könnte uns ei59 60

Zitiert nach: D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 92. M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, S. 77.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

nes solchen Vergehens überführen? Die Gegenwart und die Vergangenheit sprechen zu unseren Gunsten. . . . Unsere Institution, die als nationale und unabhängige Körperschaft am 25. Jänner 1842 gegründet worden ist, kann der Irreligiosität oder des Atheismus nicht beschuldigt werden.“61 Ganz dezidiert wendet sich die GL von Haiti gegen die verschiedenartigen, die Freimaurerei betreffende Vorwürfe. „Wir bekräftigen ohne Furcht vor Widerlegung und im Bewusstsein unserer völligen Unabhängigkeit, dass unsere gesamte freimaurerische Lehre uns weder zu Anhängern des Antiklerikalismus noch zu Helfershelfern des Atheismus macht. . . . Wir haben uns niemals gegen die Apostolische Autorität Eurer erhabenen Vorgänger aufgelehnt und sind gewiss, dass Eure Heiligkeit, seitdem sie den Stuhl Petri innehat, kein wie immer gearteter Vorwurf dieser Art zugeleitet worden ist. Wir haben niemals gegen die Kirche gekämpft; wir waren immer davon überzeugt, dass es zwischen den beiden Institutionen keine Gegensätzlichkeit gibt, da beide den Menschen zum Ziel haben, die eine auf der moralischen Ebene, die andere auf der geistigen Ebene.“62 Beim Konzil selber hat man zur Freimaurerei nicht Stellung genommen, es findet sich auch in keinem Konzilsdokument das Wort „Freimaurer“. „Wenn das Konzil eine im Sinne der Freimaurerei negative Erklärung abgegeben hätte, wie es die dem Konzil vorangegangene Diözesansynode unter Papst Johannes XXIII. getan hat, so hätte sich das auf den nachkonziliaren Dialog sicherlich nicht förderlich für das Grundanliegen der Loge ausgewirkt. Da aber das pastorale Konzil nach Weisung Johannes XXIII. keine Verurteilung aussprechen wollte, unterblieb konsequenterweise auch eine solche bezüglich der Freimaurerei.“63 Immerhin hatte sich einer der Mitglieder des Konzils, der mexikanische Bischof Sergio Mendez Arceo – allerdings erfolglos – bemüht, eine Änderung der offiziellen kirchlichen Haltung gegenüber der Freimaurerei zu erwirken. Wenn auch nichts Ausdrückliches über die Freimaurerei im Konzil beschlossen wurde, so ist die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“ doch ein Meilenstein, indem die Gewissensfreiheit betont wird. „Auch wenn in der Begründung dieses Dokuments weiterhin daran festgehalten wird, dass die römisch-katholische Kirche die einzig wahre Religion ist (sic), so wird gleichzeitig deutlich gemacht, dass ‚das Recht auf religiöse Freiheit in Wahrheit auf der Würde der menschlichen Person gegründet ist‘. Möglichkeiten zum dialogischen Gespräch mit den freimaurerischen Logen wurden damit eröffnet. Auch sah es zunächst so aus, als ob 61 A. Mellor, Logen – Rituale – Hochgrade, S. 501. Die Erklärung der GL von Haiti ist abgedruckt: S. 498–505. 62 Ebd., S. 503. 63 M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, S. 79.

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die Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Freimaurerei nicht mehr zentral, sondern von den einzelnen nationalen Bischofskonferenzen geregelt werden sollten. So beschloss 1966 die Bischofskonferenz Skandinaviens, jeder einzelne Bischof könne die Mitgliedschaft eines Katholiken in einer Loge gestatten; England und Wales schlossen sich bald danach dieser Entscheidung an.“64 Vier Wochen nach dem Ende des II. Vatikanums schrieb der Großmeister der österreichischen Großloge, Carl Helmke, einen Brief an Kardinal König mit dem Ersuchen, seine prominente Position in der katholischen Kirche dazu zu benützen, um das Vorhaben des Bischofs Arceo zu fördern. So heißt es in dem Brief: „Die österreichischen Freimaurer, eine Gesellschaft angesehener Bürger unseres geliebten Vaterlandes, haben den Konflikt zwischen ihnen und der katholischen Kirche nie gewollt und nur als unselige Folge jahrhundertelanger Missverständnisse angesehen. . . . Wir dürfen voraussetzen, dass es Eurer Eminenz bekannt ist, dass die Freimaurerei eine ethische, auf Humanität und Toleranz gerichtete Vereinigung ist und keineswegs eine Religion oder ein Religionsersatz sein möchte.“65 Viele Freimaurer waren sowohl mit dem Vorstoß der GL von Haiti als auch mit dem Brief Helmke nicht ganz einverstanden. Kurt Baresch formuliert die Begründung dafür folgendermaßen: „Weil es ausschließlich Sache der katholischen Kirche – jener Institution, dessen Hauptgebot die Nächstenliebe ist – gewesen wäre, ihre Fehleinschätzungen, ihre Fehlhandlungen, ja die fast 250 Jahre währende Bekämpfung und Diffamierung der Freimaurerei von sich aus aufzugeben.“66 1968 erging ein vertrauliches Rundschreiben von Kardinal Franjo Seper, dem Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, an die Vorsitzenden der regionalen Bischofskonferenzen mit 12 Fragen zum Verhältnis der regionalen Kirche zur Freimaurerei bzw. zum Verhalten der jeweiligen Freimaurer in den einzelnen Gebieten. Dabei fragt Seper u. a.: „Was denken sie (die Freimaurer – Anmerkung des Verfassers) über Gott, über die Religion, über die katholische Kirche? Wie verhalten sie sich in Wort und Tat gegen die katholische Kirche, ihre Hierarchie und ihre Einrichtungen?“67 Kardinal König als Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz nahm Kontakt mit Kurt Baresch, dem damaligen Deputierten Großmeister der österreichischen Großloge auf und holte diesbezügliche Informationen ein, die 64 Freimaurerei und katholische Kirche. Infosekten, Katholische Arbeitsstelle „Neue religiöse Bewegungen in der Schweiz“, in: www.kath.ch/infosekten/text_ detail.php?nemeid=49255, eingesehen am 3. September 2008. 65 K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, Wien 1983, S. 30 f. 66 Ebd., S. 33 f. 67 Ebd., S. 35.

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er in einem Brief an den Präfekten der Glaubenskongregation am 20. Mai 1968 weiterleitete. Vorausgehend gab es verschiedene Gespräche in einer Dialogkommission, der sowohl Freimaurer als auch Kirchenmänner angehörten. „Dieser Dialog, der durch die Erweiterung des Kreises kirchlicher Fachleute intensiviert wurde, fand mit Genehmigung von Kardinal Seper statt, nachdem Kardinal König sich als Vorsitzender des Sekretariates für die Nichtglaubenden (‚Pro Non Credentibus‘ – Anmerkung des Verfassers) für die Führung der Gespräche an sich als inkompetent erklärt hatte.“68 In dieser Phase gab es schon sachliche Differenzen zwischen Baresch und dem Alt- und Ehrengroßmeister der bundesdeutschen Freimaurerei Theodor Vogel, der zur Eile bei den Gesprächen mahnt und auf die Initiative der Freimaurerei pocht.69 Baresch bremst und auch König ist bestrebt, diese Gespräche bzw. deren Inhalt nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, um vor allem das Kirchenvolk nicht zu verunsichern, wie dies auch aus einem Brief, den er an Stephan Pfürtner schreibt, der die Absicht hat, in der Bundesrepublik Deutschland eine Art Kuratorium für die Aufklärungsarbeit über das Verhältnis zwischen Freimaurerei und katholischer Kirche zu gründen, hervorgeht.70 Denn Sepers Brief an die lokalen Bischofkonferenzen hatte ein durchaus erfreuliches Bild für diesen Dialog gebracht: Mit Ausnahme der spanischen Bischofskonferenz hatten sich nämlich die europäischen Bischöfe für eine Revision der Haltung der Kirche gegenüber den Freimaurern ausgesprochen. Kardinal Döpfner namens der deutschen Bischöfe sagt etwa in dieser Umfrage: „Die Exkommunikation hat nicht viel Wirkung, die Katholiken von der Freimaurerei abzuhalten. Viele Katholiken setzen den Sakramentsempfang einfach fort (7) . . . Die deutsche Bischofskonferenz hält es für zweckmäßig, in ordentlicher Abänderung die Exkommunikation aufzuheben.“71 Inzwischen haben die freimaurerischen Mitglieder der Dialogkommission Vogel (Deutschland) und Rösli (Schweiz) sich für mögliche gemeinsame Beschlüsse der Dialogkommission auch Rückendeckung durch die englische Großloge in London (in der zweiten und dritten Aprilwoche des Jahres 1970) geholt, „dass unsere Erklärung nicht zu einer Desavouierung oder Entfremdung führt.“72 In einer Sitzung der Dialogkommission in Einsiedeln 1969 hatte einer der kirchlichen Vertreter, Univ. Prof. Schwarzbauer, festgestellt, „dass die Rechtsgrundlagen der gegenwärtigen, so unbefriedigenden Beziehungen der Kirche zu den Freimaurern, insbesondere zu den katholischen Brüdern, die 68 69 70 71 72

D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 95. Vgl. dazu ebd., S. 40. K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, Wien 1983, S. 45. Zitiert nach M. Adler, Die Freimaurer und der Vatikan, S. 91. M. Wailand, Freimaurerei und Kirche, S. 312.

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mit der Exkommunikation bedroht sind, nicht mehr die Enzykliken und Bullen sind, sondern der Codex Juris Canonici. Dieser Codex befindet sich aber aufgrund der Beschlüsse des Vatikanischen Konzils in einer grundlegenden Überarbeitung vor allem in Richtung zu einem Rahmengesetz. Nach Prof. Dr. Schwarzbauer ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass dieses Rahmengesetz die Verurteilung der Freimaurerei nicht mehr enthalten werde.“73 Gleichzeitig kommt diese Meldung via Kathpress vom 17. August 1969 auch aus Italien: In einer aufsehenerregenden Diskussion zwischen dem italienischen Großorients Giodano Gamberini und dem katholischen Priester Rosario Esposito in Savona wird das Verhältnis zwischen der italienischen Freimaurerei und der Kirche besprochen, wobei Esposito ebenfalls davon spricht, dass im neuen Kirchenrecht die Passage über die Freimaurer nicht mehr enthalten sein werde. Auf Schloss Lichtenau in Oberösterreich treffen sich vom 3. bis zum 5. Juli des Jahres 1970 wieder die Mitglieder der Dialogkommission, um ein internes Arbeitspapier für Papst Paul VI. und die Kardinäle König und Seper zu diskutieren bzw. zu verabschieden. Damit kommt es zur berühmt gewordenen Lichtenauer Erklärung, die vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen den Freimaurern und den Katholiken herausstellt, ohne das Trennende allzu sehr zu thematisieren. Sie beginnt mit: „In Ehrfurcht vor dem großen Baumeister des Universums erklären wir: Die Freimaurer haben keine gemeinsame Gottesvorstellung. Denn die Freimaurerei ist keine Religion und lehrt keine Religion. Freimaurerei verlangt dogmenlos eine ethische Lebenshaltung und erzieht dazu durch Symbole und Rituale.“74 In der Folge werden nun die Probleme in der wechselseitigen Beziehung aufgearbeitet, und es erfolgt ein Bekenntnis der Fehler, die von Seiten der katholischen Kirche und der Freimaurer (Vorurteile u. dgl.) gemacht wurden. Im Abschnitt IV erfolgt ein Verweis auf die Situation des modernen Menschen und auf sittliches Verantwortungsbewusstsein sowie auf die Gottesfrage, an der niemand vorbeigehen könne. Nach Herausstellung der weiteren Gemeinsamkeiten und Zitierung des Konzilsdokumentes über die Nichtglaubenden (Abschnitt VII) heißt es in Abschnitt VIII: „Es ist für die von der Katholischen Kirche ‚getrennten Brüder‘ – die Freimaurer – daher unbegreiflich, dass die Gesetze der Kirche sie verurteilen, während die Gesetze der Großlogen jedem Katholiken gestatten, Mitglied einer Freimaurerloge zu werden, ohne dass seinem Glauben oder seinem Bekenntnis ein Schaden oder ein Schimpf geschieht.“ Danach heißt es, wohl auch als eine 73

K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, Wien 1983, S. 56. Im Folgenden wird die Lichtenauer Erklärung zitiert aus: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, S. 71–73. 74

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Art „Replik“ durch die katholische Seite im Abschnitt IX: „Wir sind der Auffassung, dass die päpstlichen Bullen, die sich mit der Freimaurerei befassen, nur noch eine geschichtliche Bedeutung haben und nicht mehr in unserer Zeit stehen. Wir meinen dies auch von den Verurteilungen des Kirchenrechtes, weil sie sich nach dem vorher Gesagten gegenüber der Freimaurerei einfach nicht rechtfertigen lassen von einer Kirche, die nach Gottes Gebot lehrt, den Bruder zu lieben.“ Kardinal König nahm diese Erklärung als Arbeitspapier in Empfang und stellte von sich aus klar, dass er die Überzeugung habe, im neuen Kirchenrecht werde der Passus über die Freimaurerei nicht mehr vorkommen. Die Arbeit der gemischten Kommission war damit getan. „Während die österreichischen und schweizerischen Brüder auf dem Standpunkt standen, dass die Initiative für weitere Möglichkeiten bei der katholischen Kirche lag, war Brr. Vogel anderer Meinung. In seiner ungeduldigen Art wollte er einen zweiten Weg beschreiten und war der Meinung, dass die Deutsche Bischofskonferenz dafür der geeignete Ansprechpartner sein müsste.“75 So unterrichtete Vogel teilweise die Mitglieder des Senates der Vereinigten Großlogen von Deutschland über die Lichtenauer Erklärung, obwohl über diese Stillschweigen vereinbart worden war, da es sich ja nur um ein internes Arbeitspapier handelte. Danach vereinbarten die deutschen Delegierten der Dialogkonferenz, dass sie mit der Deutschen Bischofskonferenz getrennte Verhandlungen aufnehmen wollten. Diese Verhandlungen begannen 1974. Die Leitung der kirchlichen Dialoggruppe hatte Bischof Joseph Stimpfle inne. Die Voraussetzungen für diesen Dialog waren ganz andere als bei den vorher geführten Gesprächen der gemischten Dialoggruppe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Die katholische Dialoggruppe sollte im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz feststellen, ob es in der deutschen Freimaurerei Veränderungen gegeben hatte und ob die Zugehörigkeit eines Katholiken zur Freimaurerei vereinbar sei.“76 Nunmehr wurden die Rituale der Johannisgrade von der Bischofskonferenz erbeten, um authentisch zu interpretieren, und entsprechend analysiert. Der Freimaurer Wailand zu diesen Analysen: „Es ist wohl auszuschließen, dass irgendwo anders eine so gründliche Untersuchung des Status ‚Freimaurerei‘ stattgefunden hat.“77 Konterkariert wurden die Verhandlungen und Analysen aber auch noch durch ein Buch von Appel (freimaurerischer Gesprächsteilnehmer beim ersten Dialog) und Vorgrimler (katholischer Gesprächsteilnehmer) mit dem Titel „Kirche und Freimaurer im Dialog“, in dem nicht nur die Lichtenauer Erklärung publiziert wurde, son75 76 77

M. Wailand, Freimaurerei und Kirche, S. 321. Ebd., S. 327. Ebd., S. 327 f.

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dern auch Vorgrimler über den äußeren Anlass des Buches schreibt, dass sich das Verhältnis der Kirche zur Freimaurerei geändert habe. Im Mai 1980 kam es dann zur berühmten Presserklärung der deutschen Bischofkonferenz, deren Beurteilung der Freimaurerei – und zwar der Johannismaurerei, deren Grade sie ja untersucht hat – in dem einen Satz gipfelt: „Die gleichzeitige Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und zur Freimaurerei ist unvereinbar.“ Wir haben in dieser Arbeit schon mehrfach diese Erklärung der Deutschen Bischofkonferenz vom 12. Mai 1980 angesprochen, in der ausführlich die Gründe für die Ablehnung besprochen werden. Dabei werden zuerst sehr wohl das humanitäre Anliegen der Freimaurer, die Wohltätigkeit, das Symbolverständnis, die Gemeinsamkeiten gegen den Materialismus, der Eindruck eines neuen Verhältnisses zur Kirche und die Öffentlichkeitsarbeit gewürdigt. Dazu: „Es besteht demzufolge ein Verhältnis der Nähe zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei.“78 Danach kommen allerdings die Bedenken, die die vorher zitierte Presseerklärung rechtfertigen sollen. Die Kommission nimmt u. a. auf ein Positionspapier der deutschen Freimaurerei Bezug und sagt dazu: „Darin ist die objektive Geltung der geoffenbarten Wahrheit grundsätzlich verneint und durch diesen Indifferentismus eine Offenbarungsreligion vom Prinzip her ausgeschlossen.“ Die Gründe für die Behauptung der Bischofskonferenz, dass „die Zugehörigkeit die Grundlagen der christlichen Existenz in Frage stellen“, und die Schwerpunkte des Fokus der Untersuchungen werden im Folgenden nur nach den jeweiligen Überschriften aufgelistet: – Die Weltanschauung der Freimaurer. – Der Wahrheitsbegriff der Freimaurer. – Der Religionsbegriff der Freimaurer. – Der Gottesbegriff der Freimaurer. – Freimaurerischer Gottesbegriff und Offenbarung. – Die Toleranzidee der Freimaurer. – Die Ritualhandlungen der Freimaurer. – Die Vervollkommnung des Menschen. – Die Spiritualität der Freimaurer. – Unterschiedliche Richtungen in der Freimaurerei. – Freimaurerei und katholische Kirche. – Abschließende Stellungnahme. 78 Erklärung der deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei (12.5.1980) in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, Bd. 43 (1980), 64–68.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

Interessant erscheint, dass in Bezug auf die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal König eine wichtige Einschränkung macht, indem er am 14. April 1981 schreibt: „Die neue Ausgabe des Kirchlichen Gesetzbuches liegt bereits im Probedruck vor. In dieser offiziellen Ausgabe wird die FM (Freimaurerei) nicht erwähnt, sondern es ist die Rede von Gemeinschaften, die offiziell die katholische Kirche bekämpfen. Die österreichische Bischofskonferenz ist durch die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz nicht betroffen.“79 Kardinal König, der ja durch seine Rolle als Ansprechpartner des Freimaurers Baresch wie kaum ein anderer in den Dialog zwischen Freimaurerei und Kirche involviert war, dürfte damit den eigenständigen, österreichischen Weg betonen, obwohl nirgends innerhalb dieses Dialogs geortet werden kann, dass König etwa parteilich gewesen wäre oder gar freimaurerische Postionen eingenommen hätte. Aber er nahm das Gespräch – auch als Verantwortlicher für das Sekretariat für die Nichtglaubenden – sehr ernst und sah offensichtlich diesen Dialog gefährdet. Zurück zum Gutachten der DBK: Es muss betont werden, dass damit erstmals die Rituale und die Inhaltlichkeit dessen, was Freimaurer umtreibt, theologisch untersucht und beurteilt wurden. Das ist umso wichtiger, als es das in dieser Form noch nicht gab und man meist nur sehr undifferenziert über die Freimaurerei sprach. Zu dieser Zeit berief man sich – auch die Haltung Kardinal Königs ist davon geprägt – auf den Erlass der Glaubenskongregation von 1974, in dem festgestellt wurde, dass zwar nach wie vor der Canon 2335 Gültigkeit habe, dass dieser aber nur diejenigen Katholiken betreffe, die wirklich etwas gegen die Kirche unternehmen würden. Nach der Beurteilung der deutschen Bischofskonferenz erfolgte eine für Freimaurergegner und Befürworter durchaus missverständliche Erklärung durch die Glaubenskongregation, die am 17. Februar 1981 im „Osservatore Romano“ veröffentlicht wurde. Darin wird Bezug genommen auf den vertraulichen Brief an alle Bischofskonferenzen zum Thema „Freimaurerei“. Es wird die Gültigkeit der bisherigen kirchenrechtlichen Bestimmungen lediglich noch einmal in Erinnerung gerufen, ohne einem neuen Kirchenrecht vorgreifen zu wollen. Dabei verwahrt sich die Kongregation auch dagegen, dass die einzelnen lokalen Bischofskonferenzen sich selbständig ein Urteil über die Freimaurer bilden. Ein wirklicher Meilenstein im Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei war, als im am 25. Jänner 1983 von Papst Johannes Paul II. 79 K. Baresch/F. König, Auswahl der wichtigsten Briefe zwischen Kardinal König und Kurt Baresch vom März 1968–September 2003, während des Dialog’s (sic): „Kath. Kirche und Freimaurerei“. Kardinal König zum Vermächtnis, MS Linz 2006, 14.4.1981, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei. Ein dokumentarischer Rückblick und die Dialoge in Österreich im 20. und 21. Jahrhundert, Wien 2009, S. 129.

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promulgierten Kirchenrecht der Passus über die Exkommunizierung der Freimaurer nicht mehr aufschien und die Freimaurer selber in diesem Gesetzeswerk mit keinem Wort mehr erwähnt wurden. Trotzdem gab es am 26. November 1983 die vom neuen Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Ratzinger unterzeichnete Erklärung „Declaratio de associationibus massonicis“80, die einen Tag, bevor das neue Kirchenrecht in Kraft trat, herausgegeben wurde. Manche behaupten sogar, man hätte auf diese Art und Weise die „Notbremse gezogen“. Dabei äußerst sich dieses Dokument zur Frage, „ob sich das Urteil der Kirche über die Freimaurerei durch die Tatsache geändert hat, dass der neue CIC sie nicht ausdrücklich erwähnt wie der frühere.“ Die Glaubenskongregation stellt dazu fest, dass hier das gleiche Kriterium der Redaktion angewandt wurde wie für andere Vereinigungen, die eben gleichfalls nicht erwähnt werden, weil sie in breitere Kategorien eingegliedert werden. Die Glaubenskongregation: „Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt. Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand der schweren Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen.“ Das Ganze schließt mit dem Hinweis darauf, dass Papst Johannes Paul II. die Veröffentlichung dieses Dokumentes angeordnet habe. Es muss also in der Folge untersucht werden, wie der Status des Freimaurers heute kirchenrechtlich beurteilt werden kann und wie dieses Dokument der Glaubenskongregation entsprechend sachgerecht im Bereich der kirchenrechtlichen Beurteilung eingeordnet werden kann. Der Freimaurer Max Wailand betont, dass das Dokument der Glaubenskongregation möglicherweise anderes ausgesehen hätte, wenn nicht die Seperatverhandlungen der deutschen Freimaurer mit der deutschen Bischofskonferenz gewesen wären. Denn „ohne die profunde Kenntnis Ratzingers (des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation) über die deutschen Verhandlungen wäre die Verlautbarung im ‚Osservatore Romano‘ wohl nicht in dieser konkreten Form veröffentlicht worden.“81 Zum Schluss dieser geschichtlichen Erläuterung soll auch auf die Haltungen anderer Konfessionen verwiesen werden, so etwa auf die orthodoxen Christen: So erklärten etwa die Bischöfe der griechischorthodoxen Kirche auf einer Konferenz am 12. Oktober 1953 unter anderem: „Freimaurerei ist eine Mysterienreligion, sie ist vom christlichen Glauben völlig verschieden, ihm entgegengesetzt und fremd. Wie die Mysterienkulte trotz scheinbarer Toleranz und Anerkennung fremder Götter zum Synkretismus führen, das Vertrauen zu anderen Religionen untergraben und 80 AAS 76 (1984) 330; deutsche Übersetzung im L’Osservatore Romano (Deutsche Ausgabe) vom 2. Dezember 1983, S. 3. 81 M. Wailand, Freimaurerei und Kirche, S. 389.

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IV. Das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei in der Geschichte

allmählich ins Wanken bringen, so ist die heutige Freimaurerei; sie möchte nach und nach alle Menschen umfassen und sittlich vervollkommnen, das Erkennen der Wahrheit fördern und sich zu einer Art Über-Religion erheben, wobei sie auf alle andere Religionen (die christliche nicht ausgenommen) als etwas Minderes herabsieht.“82

M. Adler, Die antichristliche Revolution der Freimaurerei, Jestetten5 1994, S. 94. 82

V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht Tatsächlich wurden die kirchenrechtlichen Maßgaben über weite Strecken, wenigstens bis zur Stellungnahme der Glaubenskongregation, eigentlich weniger von der theologischen Beurteilung als vielmehr von den Friktionen her, die es im Laufe der Geschichte zwischen Freimaurerei und Kirche gab, bestimmt. Wobei die sog. Declaratio der Glaubenskongregation kurz vor Inkrafttreten des CIC/1983 auch nicht explizit theologische Gründe anführt und uns zudem Rätsel aufgibt, was die kirchenrechtliche Beurteilung derselben anlangt. Vor der Genese des CIC/1917 kam es ja immer wieder, wenn wir die Frage nach der kirchenrechtlichen Beurteilung der Freimaurerei herausgreifen – zu einzelnen Verurteilungen durch die Päpste, wie dies im vorigen Kapitel dargestellt wurde. Eine durchaus wünschenswerte Bündelung und Klärung der verschiedenen päpstlichen Verurteilungen der Freimaurer findet schließlich im CIC/1917 statt. Mit Inkrafttreten des CIC/1917 wurde formal das geltende Recht bis zu diesem Zeitpunkt aufgehoben, wenn man vom Fortdauern mancher gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen und von einigen Disziplinargesetzen absieht. Trotzdem ist der CIC/1917 nicht voraussetzungslos, sondern baut, nicht nur in der Formulierung, sondern auch in den Bestimmungen auf dem Vorhergehenden auf. 1. Die Festlegungen im CIC von 1917 Im von Papst Benedikt XV. 1917 promulgierten CIC finden sich einige Canones, die die Freimaurerei bzw. die Freimaurer direkt betreffen. „Insgesamt“, so Binder, „führte die Neuregelung durch den Codex 1917 und die damit einhergehende Zurückhaltung in den offiziellen päpstlichen Äußerungen gegenüber den Freimaurern zu einer Versachlichung des Problems, obgleich immer noch eine Gleichsetzung der Freimaurerei mit associationibus machinatur contra Ecclesiam erfolgte.“1 Es kommt also durch diese Kodifizierung zu einer Sprachregelung, auf deren Basis gewisse Probleme anders und sachgerechter behandelt werden konnten als vorher, als man nur viele – oft gleichlautende – päpstliche Einzelurteile hatte. Interessant ist im 1

D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 70.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

CIC/1917 auch, dass zwar die Exkommunikation von katholischen Freimaurern aufrechterhalten wurde, dieses „nicht aber mehr diejenigen mit der Kirchenstrafe bedrohte, die die Freimaurer unterstützten. Auch mussten Oberhäupter der Logen nicht mehr angezeigt werden, wohl aber die Mitgliedschaft von Klerikern und Ordensleuten, die dann mit Disziplinarstrafen zu rechnen hatten und deren Namen dem Hl. Offizium zu melden waren.“2 a) Freimaurerei als Sekte? Der wichtigste Kanon in Bezug auf die Freimaurer ist sicher c. 2335, wo es heißt: „Wer seinen Namen der Sekte der Freimaurer oder irgendeiner anderen Vereinigung, deren Tätigkeit sich gegen die Kirche oder die legitime staatliche Obrigkeit richtet, leiht, wird durch diese Tat selbst mit der Strafe der Exkommunikation belegt.“ Schon in der Konstitution „Apostolicae Sedis“ von Pius IX. wird herausgestellt, was auch in diesem Kanon weitergeführt wird: Unter anderem die Tatsache, dass man die Freimaurer als mit dem Begriff „Sekte“ belegt. Diese Bezeichnung wird aber auch im CIC/1917 mehrdeutig verwendet, so etwa im Vereinsrecht: „Nicht einmal im Vereinsrecht selbst hat associatio immer dort, wo es stehen müsste, Platz gefunden. So kommt im ‚allgemeinen Teil‘ des Vereinsrechts secta (c. 693 § 1) als Gattungsbezeichnung vor, sonst bedeutet das Wort entsprechend unserem Fremdwort gewöhnlich die christliche Sekte (vgl. cc. 167 § 1 n. 4, 765. 2, 1240 § 1), aber auch jede nichtkatholische, christliche oder nichtchristliche Religionsgesellschaft (vgl. cc. 1131 § 1, 2314 § 1 n. 3). In der Bedeutung Verein wird es wie im früheren Recht nur für die Freimaurerverbände gebraucht (cc. 1240 § 1 n. 1, 1399 n. 8, 2335, 2336 § 2).“3 Interessant ist, dass schließlich der CIC/1983 auf diesen Begriff völlig verzichtet.4 Von Bedeutung ist nun, dass von „secta massonica“ gesprochen wird. Kottmann meint dazu – im Gegensatz zu Mörsdorf, der ja die Weite und auch eine gewisse Unbestimmtheit des Begriffes betont: „Da ‚secta‘ eine ergänzende Prüfung auf Häresien oder schismatische Haltungen gar nicht nötig macht, weil ‚secta‘ per definitionem immer häretisches oder schismatisches Verhalten in der Rechtssprache des CIC meint, hat die Wortverbindung ‚secta massonica‘ eine darüber hinausgehende, besondere Zielrichtung. Es 2

K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 200. K. Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici. Eine kritische Untersuchung, Paderborn 1937, S. 143. 4 Vgl. Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, hrsg. von A. von Camenhausen/I. Riedel-Spangenberger/R. Sebott, Bd. III, Paderborn/München/Wien/Zürich 2004, S. 541. 3

1. Die Festlegungen im CIC von 1917

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wird in der Intention des Gesetzgebers gelegen haben, die Freimaurer ausdrücklich als eine solche häretische Gruppe zu benennen, da andernfalls die sonst gewöhnliche Vokabel für auch gegebenenfalls verbotene Vereinigungen ‚associatio‘ in Verbindung mit ‚secreta‘, ‚damnata‘, ‚seditiosa‘ oder ‚suspecta‘ wohl ausgereicht hätte. Mit der Wortverbindung ‚secta massonica‘ konnte nämlich für katholische Christen inklusiv definiert werden, dass sie als Mitglieder der Freimaurersekte den Tatbestand der Häresie und/oder des Schismas erfüllten.“5 Wichtig erscheint die Qualifizierung als eigenständige Gruppe, also nicht als „secta haereticae seu schismatica“ oder als „secta acatholica“.6 Damit ist sprachlich sehr viel an Interpretationspielraum gegeben und subsummiert sowohl den abgefallenen Katholiken, der sich keiner anderen Religionsgemeinschaft angeschlossen hat, sowie auch diejenigen, die sich einer „secta acatholica“ angeschlossen haben. Mit der Sprachschöpfung „secta massonica“ hat also schon „Apostolicae Sedis“ die automatische Verbindung ins Bewusstsein gebracht, dass Freimaurer als Gruppe angeblich gegen die Kirche arbeiten. Die Wortverbindung selber ist einzigartig und darf aus den o. a. Gründen nicht sofort instrumentalisiert werden, indem man unsere heutige (negative) Begrifflichkeit für Sekte ausschließlich heranzieht. Trotzdem kann man annehmen, dass in der Rezeption der damaligen für die Freimaurerei relevanten Bestimmungen der Aspekt, dass die Freimaurerei als eine Art Gegenreligion zu klassifizieren sei, durchaus gegeben war. Das umso mehr, als wir ja auch in dieser Arbeit durchaus darstellen konnten, dass es sich bei der Freimaurerei um eine Gruppierung handelt, die auch als religiös klassifiziert werden kann. Damit wird aber dann auch automatisch eine Frontstellung intendiert: Im Falle, dass die Freimaurerei als Antihaltung gegen Religion oder gegen den Katholizismus gesehen wird oder sogar als Satansreligion, wie dies zur Zeit der Herausgabe von „Apostolicae Sedis“ durchaus schlüssig war, da ja damit von den italienischen Freimaurern durchaus auch eine Polititk in diese Richtung betrieben wurde, ist es nur logisch, dass der Begriff „secta massonica“ keine anderen Spielräume offen ließ. b) „Die Freimaurerei arbeitet gegen die Kirche!“ Im Wortlaut des c. 2335 wird von „machinatur“ gesprochen, das einerseits als „anstiften“ und „ersinnen“ und „bewerkstelligen“ gesehen werden kann,7 5

K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 207. Siehe zur Begrifflichkeit: K. Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici, S. 132 ff. 7 Der kleine Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, bearbeitet von M. Petschenig, Wien 1971, S. 304. 6

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

im kirchenrechtlichen Sprachgebrauch aber doch eher „etwas Böses denken“, „etwas gegen jemandem im Schilde führen“ bedeutet bzw. „jede schriftliche, mündliche agitatorische Tätigkeit, die zielgerichtet gegen die Kirche oder gegen die Staatsgewalt kämpft“ meint.8 Damit nahm man also automatisch an, dass die Freimaurer sich gegen die Kirche verschwören. Es handelt sich dabei um eine Tatstrafe, d.h. eine Strafe, die mit der Tat selber eintritt und diese Strafe war für den Apostolischen Stuhl reserviert. Somit wird hier die Tradition weitergeführt, die es seit der Verfolgung der Freimaurerei als kirchenrechtliche Straftat gibt. Binder betont, „dass bereits in den ersten Kommentaren zum Codex 1917 auf einzelne vage Formulierungen hingewiesen wurde, wobei besonders die Formulierung des Canons 2335 aliae eiusdem generis associationes und die unterschiedliche staatliche Handhabung im Mittelpunkt standen.“9 Diese Formulierung kann in zweifacher Hinsicht gedeutet werden: Zum einen kann der Relativsatz als eine nähere Bestimmung der jeweiligen antikirchlichen Vereinigung angesehen werden, wobei dann sich das quae auf die „sectae massonicae“ beziehen würde. Damit wäre die Ausrichtung gegen die Kirche noch nicht automatisch mit der Freimaurerei verbunden. Im zweiten Fall, wenn nämlich „quae“ sich auf „associationes eiusdem generis“ allein bezieht, dann würde automatisch mit der Tatsache der Zugehörigkeit zur Freimaurerei die Exkommunikation als Tatstrafe relevant, ohne dass ein Agieren gegen die Kirche nachzuweisen wäre.10 Interessant ist an diesem Kanon, dass er als Grund für die Exkommunikation die Verschwörung gegen die Kirche angibt. Wenn wir auch den CIC/1983 in unsere Überlegungen miteinbeziehen, dann können wir eine klare Linie der Entwicklung der Festlegungen, die Mitgliedschaft in der Freimaurerei betreffend, von „Apostolicae Sedis“ bis zum c. 2335 im CIC/1917 mit fast denselben Formulierungen feststellen und sodann in der Folge zum c. 1374 im CIC/1983, wo allerdings nur mehr dieses Agieren bzw. Agitieren gegen die Kirche als Kriterium expressis verbis drinnensteht, von der aber immer noch u. U. als Nachfolgekanon für die Begründung des Freimaurerverbots angesehen wird. Allerdings war auch die Interpretation dieses Sachverhaltes in der Rezeptions- bzw. Interpretationstardition seit der Promulgation des CIC/1917 nicht ganz einheitlich. Bei seiner Abhandlung über den Canon 2335 führt etwa Mörsdorf in seinem Lehrbuch für Kirchenrecht11 in einer 8 Belege dazu siehe K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 208. 9 D. A. Binder, Die diskrete Gesellschaft, S. 70. 10 Vgl. dazu auch: K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 212. 11 K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, begründet von Eduard Eichmann, Bd. III: Prozess- und Strafrecht, Paderborn11 1979, S. 441.

1. Die Festlegungen im CIC von 1917

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Fußnote das Schreiben der Glaubenskongregation12 an die Adresse verschiedener Bischöfe und Kardinäle – u. a. auch an Kardinal Döpfner in München – an. Dabei bezieht sich die Glaubenskongregation in ihrem Schreiben von 1974 auf das Prüfungsverfahren, im Rahmen dessen die Bischöfe befragt wurden, „um die Natur und die derzeitige Tätigkeit jener Vereinigungen (gemeint sind die Freimaurer in den einzelnen Ländern und Regionen – Anmerkung des Verfassers) besser kennenzulernen. Jedoch die große Gegensätzlichkeit der Antworten, welche davon Rechenschaft gibt, dass die Situation in jeder Nation grundverschieden ist, erlaubt es dem Heiligen Stuhl nicht, die allgemeine Gesetzgebung, die bisher in Kraft ist, zu ändern.“ Wichtig ist nun die Leitlinie, die nach der Veröffentlichung dieses Schreibens unter der Ägide des damaligen Präfekten der Kongregation Kardinal Seper, vorgegeben wird: „Wenn man aber besondere Fälle erwägt, muss man sich vor Augen halten, dass das Strafgesetz einer besonderen Auslegung unterliegt. Daher kann mit Sicherheit die Meinung derjenigen Autoren gelehrt und angewendet werden, die der Meinung sind, dass der oben erwähnte Canon 2335 sich nur auf diejenigen Katholiken bezieht, die Vereinigungen beitreten, die wirklich etwas gegen die Kirche unternehmen. Es bleibt jedoch in jedem Falle für die Kleriker und auch für religiöse Mitglieder weltlicher Institutionen das Verbot bestehen, irgendwelchen freimaurerischen Gesellschaften beizutreten.“ Das Kriterium für die Beurteilung der Strafwürdigkeit ist also gemäß diesem Schreiben die Kirchenfeindlichkeit: Die Gewichte wurden also hierdurch ganz klar von der Tatsache, einer freimaurerischen Vereinigung allein anzugehören, in Richtung Agitation gegen die Kirche verschoben, was Anlass dazu bot, einen Perspektivenwechsel in der gesamten Kirche, was die Beurteilung der Freimaurerei betrifft, zu orten oder wenigstens zu glauben, dass die Haltung der Kirche gegenüber der Freimaurerei nunmehr von der lokalen Einschätzung der jeweiligen Bischöfe bzw. Bischofskonferenzen abhänge. In dieser Weise kommentiert dies auch Strigl, indem er zur Interpretation von c. 2335 unter Verweis auf die Erklärung der Glaubenskongregation vom 18.7.1974 feststellt: „Zugehörigkeit zur Freimaurerei (c. 2335) ist für Kleriker, Religiosen und Mitglieder von Säkularinstituten generell verboten, für Laien dann, wenn es sich um eine Loge handelt, die direkt gegen die Kirche arbeitet. Nur in diesem Fall tritt die Exkommunikation als Tatstrafe ein.“13 12

S. C. pro Doctrina Fidei, Litt „Comlures episcopi“, ad praesides coferentiarum episcopalium de catholicis qui nomen dat associationibus massonicis, Prot. 272/44 vom 18.07.1974, in: AAS, Vol. LXXIII (1981), S. 240 f. 13 R. A. Strigl, Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, in: Grundriss des nachkonziliaren Kirchenrechts, hrsg. von J. Listl/H. Müller/H. Schmitz, Regensburg 1980, S. 767.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

Dieser Meinung wird aber mit der Erklärung der Glaubenskongregation vom 17.02.198114 entgegengetreten, indem ganz klar festgehalten wird, dass „die jetzige kirchenrechtliche Regelung, die in voller Geltung bleibt, in keiner Weise abgeändert wurde. Weder die Exkommunikation noch die anderen vorgesehenen Strafen sind aufgehoben worden.“ Und nun das eigentliche Anliegen der Erklärung, die Präzisierung: „Soweit im besagten Brief auf die Interpretation des in Frage stehenden Kanons Bezug genommen wird, muss dies, wie es die Absicht der Kongregation war, einzig verstanden werden als Hinweis auf die allgemeinen Grundsätze der Interpretation von Strafgesetzen bei der Lösung von (Gewissens-)Fällen einzelner Personen, die dem Urteil der Ortsbischöfe unterbreitet werden können. Es war hingegen nicht die Absicht der Kongregation, den Bischofskonferenzen anheimzustellen, sich in einem Urteil genereller Art öffentlich über die Natur der Freimaurer-Logen, das die Aufhebung besagter Normen in sich schließen würde, zu äußern.“ Damit scheint kein „Rückzieher“ gemacht worden zu sein, sondern es geht um die Diastase zwischen der Interpretation und der individuellen Beurteilung auf der einen Seite und einer generellen Sichtweise auf der anderen Seite. Dabei ging es natürlich auch um die Besorgnis der Glaubenskongregation und des Heiligen Stuhles, dass unterschiedliche Beurteilungen ein Auseinanderdriften zwischen den einzelnen Bischofskonferenzen in dieser Frage fördern würden. Unleugbar wird dieses Schreiben aber auch eine innerkirchliche Reaktion auf die von mir schon mehrmals angesprochene Beurteilung der Freimaurerei durch die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 1980 gewesen sein. Zur Erklärung der Glaubenskongregation von 1981 meint Sebott: „Der vorliegende Text ist missverständlich, und – wie ich meinen möchte – bewusst. Ganz mit Recht stellt D. A. Seeber fest: ‚In der Tat weiß man zum Schluss nicht so recht, gegen wen sich die Erklärung der Glaubenskongregation nachdrücklicher wendet: gegen die Bischofskonferenzen, die generell die Erlaubtheit der Mitgliedschaft von Katholiken in Freimaurervereinigungen bekunden, oder gegen die Deutsche Bischofskonferenz, die, ohne sich direkt auf can. 2335 zu beziehen, die gleichzeitige Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und zur Freimaurerei (auch in ihrer gegenwärtigen Situation) für ‚unvereinbar‘ erklärte und somit ein Gesamturteil über freimaurerische Vereinigungen abgab, das . . . Rom sich selbst vorbehalten will.‘“15 Entgegen dieser Meinung betont der Vorsitzende der Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, die den Dialog mit den Freimaurern regional geführt hatte, 14

S. C. pro Doctrina Fidei vom 17.02.1981, in: AfkKR Bd. 150 (1981), S. 172 f. R. Sebott, Der Kirchenbann gegen die Freimaurer ist aufgehoben, in: Stimmen der Zeit 201 (1983), S. 413. Er zitiert dabei D. A. Seeber, Freimaurer – Kirche: nicht unvereinbar, aber Reibungen, in: HK 35 (1981), S. 222. 15

1. Die Festlegungen im CIC von 1917

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Bischof Joseph Stimpfle, dass eine einheitliche Linie zwischen 1974, dem Brief der Glaubenskongregation und 1981, der weiteren Erklärung derselben, gegeben sei und dass „mit dieser Klarstellung den Handlungen und Veröffentlichungen von Caprile und vielen anderen der Boden entzogen ist.“16 Allerdings muss klar betont werden, dass die kirchenrechtlichen Gegebenheiten der Beurteilung der Deutschen Bischofskonferenz im Lichte dieser Rechtslage eher auch schwachen Beinen stehen, es ist also vor allem eine inhaltliche Auseinandersetzung, die die Gefahren der Freimaurerei aus der Sicht der Deutschen Bischofskonferenz bzw. aus dem Blickwinkel der genannten Kommission aufzeigen soll. Trotzdem muss die Vorstellung in Zweifel gezogen werden, dass nun, nach der Erklärung von 1981 die Unvereinbarkeitserklärung der Deutschen Bischofskonferenz keine rechtliche Gültigkeit mehr besitze: „Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 12. Mai 1980 stellt ein (partielles Kirchengebot auf, dessen Übertretung eine Sünde wäre.“17 Trotzdem bleibt insgesamt in der Diskussion in dieser Zeit der Akzent auf der Beurteilung einer möglichen Kirchenfeindlichkeit der einzelnen Freimaurergruppierungen bestehen. In dieser Weise kommentiert dies auch Strigl, indem er zur Interpretation von c. 2335 unter Verweis auf die Erklärung der Glaubenskongregation vom 18.7.1974 feststellt: „Zugehörigkeit zur Freimaurerei (c. 2335) ist für Kleriker, Religiosen und Mitglieder von Säkularinstituten generell verboten, für Laien dann, wenn es sich um eine Loge handelt, die direkt gegen die Kirche arbeitet. Nur in diesem Fall tritt die Exkommunikation als Tatstrafe ein.“18 Gerade mit Bezug auf die Erklärung der Glaubenskongregation von 1974 stellt Sebott die Rechtslage seitdem bis zur Promulgation des CIC/1983 wie folgt dar: „Zunächst einmal gilt ganz allgemein, dass man sich eine kirchliche Strafe nur dann zuzieht, wenn das entsprechende Delikt eine schwere Sünde war (vgl. can. 2195 und can 2218 § 2). Sodann entschuldigt jeder Irrtum der Verbotsnorm oder Strafdrohung (can. 2202 § 2), wenn es sich um Zensuren handelt (can 2229 § 3 n. 1); und das ist hier der Fall. Es dürften sich also vermutlich viele Freimaurer den Kirchenbann nicht zugezogen haben, weil sie entweder mit dem Eintritt in die Loge keine schwere Sünde begingen oder nicht wussten, dass der Logeneintritt mit dem Kirchenbann bedroht war.“19 Neben dieser allgemeinen Feststellung verweist Sebott aber auch auf die Unterschiede zwischen den Freimaurerlogen, die nicht so ohne 16 J. Stimpfle, Die Freimaurerei und die Bischofskonferenz, in: Stimmen der Zeit 199 (1981) 413. 17 R. Sebott, Der Kirchenbann gegen die Freimaurer ist aufgehoben, S. 414. 18 R. A. Strigl, Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, S. 767. 19 R. Sebott, Die Freimaurer und die Deutsche Bischofskonferenz, S. 81.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

weiteres negiert werden dürfen: „Wo nämlich die Statuten einer Freimaurerobödienz erklären, dass sie sich gegen alles verwahren, was als Machenschaft gegen Kirche und Staat anzusehen ist, fallen sie nicht unter die von can. 2335 vorgesehene Strafe.“20 In c. 2335 wird aber auch die weltliche Obrigkeit genannt, was die enge Verzahnung zwischen Kirche und Staat in einer Gesellschaft anspricht, die davon ausgeht, dass sich Thron und Altar, Kirche und weltliche Macht gegenseitig schützen und stützen. Damit ist auch ein gewisses Ineinander von religiöser und staatlicher Autorität gegeben, was wir heute nicht mehr nachvollziehen können. Kottmann kommentiert diesen Bezug zur staatlichen Obrigkeit folgendermaßen: „Die Kodifikation von gegenseitigen Bezügen im Staat-Kirche-Verhältnis im CIC/1917 trug einer wenn auch schon damals im Verschwinden begriffenen Staatskirchenverfassung Rechnung, die sich im CIC/1983 auch nach den Erkenntnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils, insbesondere der erklärten Unzuständigkeit der Kirche für den rein politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich, nicht mehr wieder finden lässt.“21 Dierickx hält zudem fest, dass sich ja „der Wortlaut des Kanons deutlich auf die vergangene antikirchliche und der Politik verhaftete Freimaurerei bezieht, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in den romanischen Ländern bestand. . . . Persönlich meinen wir, dass der kirchliche Bannstrahl nicht den regulären (das sind die von der GL von London anerkannten, humanitären Logen, die gemeinhin auch Johannislogen genannt werden – Anmerkung des Verfassers) Logen gilt.“22 Zusätzlich muss gesagt werden, dass die Funktion der Kirche als Ordnungsmacht auf derselben Ebene wie der Staat nicht mehr zeitgemäß ist. Somit war jedes Agieren gegen die sog. Obrigkeit auch gleichzeitig verdächtig, weil es im nächsten Schritt ja auch ein Agieren gegen die Kirche bzw. eine Infragestellung der Autorität an sich sein konnte. c) Weitere Bestimmungen speziell gegen Freimauerer In c. 2336 wird weiters festgelegt, Geistliche, die gegen den c. 2335 (auch gegen c. 2334, aber dieser ist für unser Thema nicht relevant) verstoßen, weil sie Mitglieder solcher Vereinigungen sind, „verlieren zusätzlich zu den in den oben erwähnten Canones angeführten Strafen zeitweilig oder endgültig die Benefizien, Würden, Pensionen und Ämter, die sie in der Kirche innehaben, die Ordensgeistlichen verlieren nicht nur ihre aktiven und 20 21 22

Ebd., S. 81. K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 258. M. Dierickx, Freimaurerei, die große Unbekannte, S. 192.

1. Die Festlegungen im CIC von 1917

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passiven Ämter und Funktionen, sondern haben auch die Strafen, die in den Regeln ihren Verfassungen vorgesehen sind, zu gewärtigen.“ „Außerdem sind sie der SC Fid. anzuzeigen (c. 2336 § 2), weil möglicherweise ein Glaubensvergehen vorliegt.“23 Interessant ist, dass es offensichtlich eine Anzeigepflicht gibt, Entschuldigungsgründe, warum man von solch einer Anzeige abzusehen hätte, nennt das Gesetz keine. Logischerweise war damit auch gemäß c. 542 Freimaurern der Eintritt in einen geistlichen Orden verboten bzw. auch religiöse Vereinigungen durften Freimaurer laut. c. 693 nicht als Mitglieder aufnehmen. „Gemäß c. 1065, § 1 waren die Gläubigen davon abzuhalten, Ehen mit Freimaurern, als Mitglieder einer kirchlich verurteilten Vereinigung (‚secta acatholica; societas ab Ecclesia damnata‘) einzugehen. Die Pfarrer durften einer solchen Eheschließung nur mit Zustimmung des Bischofs assistieren.“24 Besonders interessant, auch für eine mögliche Interpretation des neuen CIC auf der Basis der Grundlinien des CIC von 1917, ist c. 1240. § 1, wo sowohl „allgemein bekannten notorischen vom christlichen Glauben abgefallenen Apostaten, als auch notorischen Anhängern einer häretischen oder schismatischen Sekte oder der Sekte der Freimaurer oder einer anderen Sekte dieser Art“ das kirchliche Begräbnis verweigert wird. Jede Begräbnisfeierlichkeit und Jahresgedächtnismesse für Freimaurer untersagte c. 1242. Gemäß c. 1242 sollte sogar (sofern möglich), wenn versehentlich ein kirchliches Begräbnis erfolgte, der Leichnam exhumiert und in ungeweihter Erde begraben werden. Zudem erließ man auch einen Kanon, der die Teilnahme an Begräbnissen regelte, nämlich im c. 1233. § 2 wird festgelegt, dass Vereine und Abzeichen, die der katholischen Religion widersprechen, nicht zu einer Begräbnisfeier zugelassen sind. Das betrifft natürlich auch die freimaurerischen Zeremonien bei einem Begräbnis, wo die Freimaurer unter Umständen auch mit Schurz und Bijou auftreten, um die drei Rosen auf den Sarg zu legen oder die Bruderkette zu schließen. „Gemäß c. 1399. 8o war es Katholiken ohne weiteres (ipso iure) verboten, Schriften über die Freimaurerei, die behaupten, derartige Gesellschaften seien der Kirche und dem Staat nicht schädlich, sondern nützlich, zu lesen, aufzubewahren, zu verkaufen, zu übersetzen, herauszugeben oder zu verbreiten.“25 Auch das Patronatsrecht ist an einen Freimaurer gemäß c. 1453 nicht übertragbar.

23 K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, S. 442. 24 G. Fischer, Die Mitgliedschaft in der Freimaurerei nach dem neuen Kirchenrecht. Diplomarbeit, Innsbruck 1995, S. 26. 25 Ebd., S. 27.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei a) Die Prinzipien bei der Erstellung des CIC/1983 Paul VI. gab Richtlinien für die Neukodifikation des kirchlichen Rechtes heraus, indem er etwa im Leitsatz 3, Absatz 2 der „Principia quae CIC recognitionem dirigant“ forderte: „Die kanonischen Normen sollen keine Rechtspflichten auferlegen, wo Hinweise, Ermahnungen, Ratschläge und andere, die Gemeinschaft der Gläubigen fördernde Mittel ausreichen, die Ziele der Kirche zu erreichen.“26 Es geht also um die Einsicht der Gläubigen und nicht um Verbote, es geht und Grundideen, die leiten sollen, insgesamt aber um die Betonung der Eigenverantwortung der Glieder des Volkes Gottes und nicht nichtvorrangig um Disziplinierung. Zudem wird gerade im Adressatenkreis bzw. im Geltungsanspruch des CIC/1983 eine Einschränkung vollzogen: Während gem. c. 12 CIC/1917 noch prinzipiell alle Getauften als den kirchlichen Gesetzen unterworfen angesehen wurden, so bezieht sich nunmehr der Codex von 1983 ausschließlich auf diejenigen, die in der katholischen Kirche getauft und aufgenommen wurden. Damit werden die nichtkatholischen Christen nicht mehr als Sekte angesehen und der Integralismus fällt weg. Wenn früher also auch nichtkatholische Christen als Sektierer angesehen wurden, dann hat sich damit auch gegenüber früher das Bild von „Sekte“ verändert. Das bedeutet auch eine neue Sichtweise auf die Freimaurerei, die ja auch als Sekte apostrophiert wurde, selbst wenn man die negative Konnotation des Wortes im Kirchenrecht von 1917 nicht immer konsequent durchgehalten hat und das Wort auch anders verwendet haben mag. „War der CIC/1917 in seinem streng normativen Verständnis des Kirchenrechtes eine Spätblüte der Gesetzgebungskultur des 19. Jahrhunderts, so weht im CIC/1983 ein anderer Geist. Er folgt nicht mehr dem überkommenen Gliederungsschema des römischen Rechtes (personae-res-actiones), sondern nimmt schon in seinem Aufbau die Ekklesiologie des 2. Vatikanums auf.“27

Link stellt klar, dass man im neuen Kirchenrecht, dem Unbehagen des Konzils an einer Verrechtlichung des geistlichen Lebens Rechnung getragen hat und „dementsprechend ist auch die Sprache des neuen Codex weniger vom Gesetzesbefehl geprägt, sondern vielfach mehr appellativ, empfehlend, um Verständnis für die jeweilige Regelung werbend. Der Jurist mag bedauern, dass dies häufig auf Kosten jener Gesetzesklarheit geht, die den CIC/1917 auszeichnete.“28 Wenn auch eine solche theologische Sprache 26

Communicationes I (1969), S. 79 f. C. Link, Kirchenrecht. Theologie online, in: www.theologie-online.uni-goettin gen.de/pt/link.htm, eingesehen am 7. September 2008. 27

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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dem pastoralen Ziel der Kirche viel näher steht: Es bestehen sicherlich gerade im Bereich des Strafrechtes insgesamt jetzt mehr Interpretationsspielräume und allzu oft wird auch heute noch die Analogie zum CIC/1917 in der Interpretation heutiger Tatbestände gesucht. Alfred Hierold zeigt auf, dass bei der Revision des neuen Codex die Freimaurerei zunächst keine Rolle spielt, und spricht den Grund an, warum etwa verschiedene Canones im CIC/1983 nicht mehr vorkommen sollten: „In dem Strafrechtsschema von 1973 waren den c. 2335 und 2336 CIC/1917 entsprechende Normen nicht mehr vorgesehen. Der Grund dafür war, dass nur mehr solche Straftatbestände aufgenommen werden sollten, die einheitlich für die ganze Kirche unter Strafe gestellt werden müssten. Bezüglich anderer Delikte sollte durch teilkirchliche Gesetze und mit Strafgeboten vorgebeugt werden. Damit sollte auch dem Prinzip der Dezentralisation und Subsidiarität Rechnung getragen werden. Aus der Nichtberücksichtigung der Freimaurerei im Schema lässt sich wohl der Rückschluss ziehen, dass diese nicht als gesamtkirchliches Problem empfunden wurde und dass man sich der Verschiedenartigkeit der Freimaurerlogen in den einzelnen Nationen bewusst war.“29 Man sieht aber auch, dass diese Konzeption nicht in allen Bereichen der Kirche durchgehalten wird. Darauf weist nicht zuletzt das schon in dieser Arbeit zitierte Schreiben der Glaubenskongregation vom 26. November 1983 bzw. auch der Erlass derselben vom Februar 1981 hin, wo ja genau diese Regionalisierung kritisiert wird. Eine andere Meinung zu den Grundprinzipien im Strafrecht des CIC/1983: „Dabei soll keineswegs behauptet werden, dass es einfachhin das System ist, das im Strafrecht des CIC geltendes Recht geworden ist. Im Gegenteil wird sogar die nicht unbegründete These vertreten: ‚Dem Strafrecht des CIC/1983 liegt gar kein Konzept zugrunde. Die Normen folgen nicht einer Leitidee, sondern pragmatischen Entscheidungen in der Arbeitsgruppe der Codex-Reformkommission . . .‘ “30 Wir wollen uns nicht einlassen auf Spekulationen, warum es zur „pragmatischen Entscheidung“ kam, etwa die Freimaurer insgesamt aus dem Codex zu streichen. Allerdings kann das auch mit einer erhöhten Dialogbereitschaft und dem Bestreben, weniger ausgrenzen zu wollen, zu tun haben, 28

Ebd. A. Hierold, Katholische Kirche und Freimaurerei. Anmerkungen zu einer Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre, in: MThZ (1986), S. 92. 30 L. Müller, Warum und wozu kirchliche Sanktionen, in: „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch, hrsg. von P. Krämer/A. E. Hierold/L. Müller u. a., Berlin/Hamburg/Münster 2006, S. 193. Müller zitiert hier: K. Lüdicke, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Loseblattsammlung, Essen seit 1984, Stand vom Dezember 2003, Einleitung vor 1311/4, Rdnr. 4. 29

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

weil ja ohnehin die Strafe der Exkommunikation heute in vielen Gesellschaftsbereichen nicht mehr so stark wahrgenommen wird wie früher. 1981 wurde in der Vorbereitungskommission des CIC/1983 das Thema „Exkommunikation von Freimaurern“ behandelt. „Dabei trug die Unterkommission ‚De iure poenali‘ alle Argumente vor, die ihrer Meinung nach sowohl gegen die Exkommunikation, als auch gegen eine von selbst eintretende Strafe sprachen. Erstens falle die Unvereinbarkeit mit dem katholischen Glauben unter die Häresie und werde daher durch einen eigenen Canon bestraft, und zweitens sei es besser, auf Partikulargesetze zurückzugreifen, da die Freimaurerei nicht in allen Ländern gleich sei. Mit dem Hinweis darauf, dass niemand eine Exkommunikation für Kommunisten vorschlage, die ja viel mehr gegen die Kirche arbeiteten als die Freimaurer, kam der Vorschlag der Exkommunikation der Freimaurer schließlich zu Fall.“31 Interessant, auch dann im Hinblick auf die Erklärung der Glaubenskongregation von 1983 ist die Stellungnahme des späteren Papstes und damaligen Kardinals Joseph Kardinal Ratzinger, der sehr ausführlich, auf der Grundlage dessen, was die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Erklärung über die Freimaurerei gesagt hat, sich gegen die Freimaurerei wandte.32 Diese seine Argumente sollen hier aufgeführt werden, damit klar wird, inwiefern natürlich die Genese des Kirchenrechts bzw. der entsprechenden Festlegungen in Bezug auf die Freimaurerei nicht im theologisch-luftleeren Raum schweben, sondern immer bezogen ist auf theologische Sachargumente. Eine solche theologische Untersuchung macht ja auch den wesentlichen Kern dieser Arbeit aus. Zur Frage, warum die Freimaurerei nicht so wie der Kommunismus behandelt werden solle, meint er, die Freimaurerei arbeite verdeckter, während der Kommunismus viel eindeutiger fassbar wäre, die Absichten der Freimaurerei allerdings im Verborgenen seien. Weiters geißelt Ratzinger den von den Freimaurern vertretenen Relativismus, der dazu führe, dass letztlich das Bewusstsein der Menschen stark in diese Richtung beeinflusst werde. Damit würden nicht nur die Kategorien „wahr“ und „falsch“ miteinander vertauscht bzw. nicht mehr wahrnehmbar, sondern damit werde auch der Glaube beeinflusst, weshalb Ratzinger für die weitere Geltung der Tatstrafe der Exkommunikation für die Zugehörigkeit zur Freimaurerei plädiert. Ratzinger betont auch, dass schon die Johannisfreimaurerei – also die ersten drei Grade – nach dem Urteil der Deutschen Bischofs31 G. Fischer, Die Mitgliedschaft in der Freimaurerei nach dem neuen Kirchenrecht, S. 44. 32 Congregatio Plenaria diebus 20–29 octobris 1981 habita, S. 319 f.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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konferenz von 1980 nicht mit dem Glauben und den Sakramenten übereinstimmen würde, geschweige denn die Hochgrade und die Freimaurerei in anderen Ländern. b) „Die Exkommunikation für Freimaurer ist aufgehoben!“ In einem Gespräch mit einem Wiener Freimaurer erklärte dieser gegenüber dem Verfasser dieser Arbeit stolz, er sei froh, dass die Exkommunikation und alle kirchenrechtlichen Vorbehalte aufgehoben bzw. aufgelöst seien. Als Beleg zitierte er aus einer Diskussionsveranstaltung, in der der Großmeister der GL von Österreich, Michael Kraus, gemeinsam mit dem Abt des Stiftes Heiligenkreuz, P. Gregor Ulrich Henckel-Donnersmarck OCist., über die Freimaurerei sprach. Ein anderes Zeugnis dazu: „Ihr Gespräch verlief nach Angaben des ‚Ecowin-Verlages‘ zuerst scharf und dann fast freundschaftlich. . . . Abt Henckel-Donnersmarck gab sich im Mozarthaus versöhnlich.“33 Ein weiteres Zeugnis, das überdies vom Abt des Stiftes Heiligenkreuz vidiert wurde, bevor es in Druck ging: „Offensichtlich gibt es viele verschiedene Ausprägungen der Freimaurerei. Die Strafbestimmungen des heutigen Kirchenrechts gelten für Gruppierungen, die sich gegen die katholische Kirche richten. Wenn dies auf die österreichische Freimaurerei nicht zutrifft, sind auch die angegebenen Strafbestimmungen nicht wirksam.“34 aa) Argumentation auf der Basis des CIC Tatsächlich hat im Vorfeld des CIC/1983 Kardinal König immer wieder darauf hingewiesen, dass der umstrittene Canon 2335 aufgehoben wird und auch in den Presseerklärungen – etwa durch die Kathpress – wurde nichts von einem Ersatz gesagt. Eine Aussendung der Kathpress ist deshalb ganz außerordentlich, weil schon 1971 etwas vorweggenommen wurde, das dann erst 1974 durch den Brief der Glaubenskongregation und durch die Erklärung derselben 1981 offiziell wurde. Sie zitierte damals: „‚Die Gewissensfrage, die ein aufrechter Katholik sich vor dem Beitritt zu einer Loge stellt‘, formulierte der Dekan der Fakultät für Kirchenrecht der Gregoriana-Universität, J. Beyer S. J., ‚zielt darauf ab, klar und sicher festzustellen, ob der Freimaurer der Kirche und ihrer Sendung feindlich gegenübersteht. In der Vergangenheit haben zahlreiche Fälle diese Annahme bestätigt. Heute hin33

www.kreuz.net/article5400.html, eingesehen am 4. September 2008. H. Sichrovsky, Versöhnung nach 269 harten Jahren, in: News, Nr. 26 vom 26.6.2007. 34

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

gegen hat sich die Atmosphäre weitgehend entspannt und nicht wenige Indizien lassen eine Revision der bisherigen Haltung angebracht erscheinen. Der Beitritt zu einer nichtsektiererischen noch antichristlichen Loge kann, vom Standpunkt des Kirchenrechtes aus, künftig straffrei bleiben.‘ Demnach ist es nicht ausgeschlossen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft gute Katholiken geben kann, die gleichzeitig gute Freimaurer sind.“35 Reinhold Sebott befindet in der aktuellen Beurteilung der Frage, wie es um die kirchenrechtliche Frage in Bezug auf die Exkommunikation der Freimaurer heute steht: „Ein gewisser Abschluss im Verhältnis zwischen Freimaurerei und katholischer Kirche wurde durch die Publikation des CIC von 1983 erreicht. Die Freimaurer werden darin nicht mehr erwähnt. Damit ist (gemäß c. 6. 1 nn. 1 und 3 des CIC von 1983) der Kirchenbann von 1917 aufgehoben.“36 Damit wird ganz klar mit dem materialen Kirchenrecht argumentiert: Da das Verbot der Freimaurerei de facto nicht mehr im neuen CIC steht, muss das kirchenrechtlich akzeptiert werden. Sebott erinnert auch daran, dass im ursprünglichen „Schema documenti quo disciplina sanctionum seu poenarum in Ecclesia Latina denuo ordinatur“ (Typ. Pol. Vat. 1973), das ist ein Entwurf für die einzelne Bereiche des neuen Gesetzbuches, ursprünglich überhaupt keine Strafbestimmungen gegen die Freimaurer oder gegen Gruppen, die gegen die Kirche angeblich gegen die Kirche agieren, gegeben habe, allerdings kamen hier auch Einsprüche.37 Daraufhin wurde im „Schema codicis iuris canonici recognitum“ von 1980 ein Kanon eingefügt, der wieder diese Agitation gegen die Kirche mit einer Gottesdienstsperre belegt, die Freimaurer aber weiterhin unerwähnt lässt, wir das im Vorigen dargestellt haben. Diese Bestimmung wurde dann als c. 1374 in das CIC/1983 übernommen. Dazu Sebott: „1. Die Freimaurer werden nicht mehr genannt. Sie tauchen übrigens auch sonst nirgendwo im neuen CIC auf. 2. Der can. 1374 hat allerdings gewisse Anklänge sprachlicher Art an den alten can. 2335 (und an die Formulierung von ‚Apostolicae Sedis‘ von 1869, wie schon dargestellt wurde – Anmerkung des Verfassers) Er ist diesem offensichtlich nachgebildet. 3. Der Tatbestand, den der can. 1374 fassen möchte, ist in dem Relativsatz beschrieben: ‚quae contra Ecclesiam machinatur‘. Dadurch ist der vorliegende Kanon eindeutig und doch so allgemein, dass er auf jede kirchenfeindliche Gemeinschaft passt. . . .“38 Es ist anzunehmen, dass ein allgemeiner Straf35 W. Müss, Kathpress. 30. Juni 1971, Nr. 148/Beilage, in: K. Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei, Wien 1983, S. 84. 36 R. Sebott, Freimaurer, in: Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen, Frankfurt am Main – Virtueller Lesesraum, www.sankt-georgen.de/leseraum/ sebott2.pdf, eingesehen am 10. September 2008. 37 Siehe R. Sebott, Der Kirchenbann gegen die Freimaurer ist aufgehoben, S. 415.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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ausspruch im neuen CIC nicht erfolgt ist, weil man nicht generell allen Freimaurern unterstellen darf, gegen die Kirche Machenschaften zu unternehmen. Umgekehrt bedeutet die Tatsache, dass es kein Freimaurerverbot im CIC gibt, dass ein Strafausspruch in der Frage der Agitation gegen die Kirche nie generell passieren kann, also gegen eine Gruppe, weil dies immer eine entsprechende Untersuchung erfordern würde. „Anders ist es mit einer moralischen, d.h. gewissensmäßigen Prüfung des Sachverhaltes durch ein Mitglied. Wird die Kirchenfeindlichkeit erkannt, bewirkt die Beibehaltung der Mitgliedschaft die gleichen Wirkungen wie eine Strafe, nämlich das Verbot des Sakramentenempfangs (als Sperre = obex).“39 bb) Reduktion von Strafe und Strafmaß für Agitation gegen die Kirche Dieser „Nachfolgekanon“ für c. 2335 hat sich also doch ganz wesentlich verändert: Mit diesem können Freimaurer nur mehr über den Umweg des Vorwurfs, gegen die Kirche zu agieren, „dingfest“ gemacht werden und auch in Bezug auf die Strafe hat sich etwas Wesentliches getan: War noch in den beiden anderen Festlegungen, also in „Apostolicae Sedis“ und im CIC/1917 die dem Hl. Stuhl reservierte Tatsstrafe der Exkommunikation eingetreten, dann verändert sich nun das Ganze. So heißt es in c. 1374: „Jene, die gegen die Kirche Machenschaften betreiben, sollen mit einer gerechten Strafe belegt werden; wer aber eine solche Vereinigung fördert oder leitet, soll mit dem Interdikt bestraft werden.“ Das heißt, es wird hier klar zwischen den Anführern bzw. Förderern einerseits und dem „einfachen“ Mitglied andererseits im Hinblick auf die Strafbemessung unterschieden. „Die durch can. 1374 angedrohten Strafen sind eher geringfügig: keine Tatsperre, kein Kirchenbann, sondern eine gerechte Strafe bzw. eine Gottesdienstsperre.“40 Das Interdikt ist also keine Tatstrafe, es kann also nicht einmal von den zuständigen Autoritäten als eingetreten angesehen werden, die Verhängung setzt auf jeden Fall ein ordentliches Strafverfahren voraus, genauso wie die Verhängung einer „gerechten Strafe“, eine Formulierung, die vieles im Ungewissen lässt, trotzdem im CIC/1983 aber öfters vorkommt. Auch in Bezug auf das Strafmaß bei Verhängung „einer gerechten Strafe“ gibt es Einschränkungen. Immerhin heißt es in c. 1349: „Wenn eine Strafe unbestimmt ist und das Gesetz nichts anderes vorsieht, darf der Rich38

Ebd., S. 415 f. H. Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC, in: Recht im Dienste des Menschen. Eine Festgabe, Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag, hrsg. von K. Lüdicke/H. Paarhammer/D. A. Binder, Graz/Wien/Köln 1986, S. 425. 40 Ebd., S. 416. 39

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

ter keine schweren Strafen, zumal keine Beugestrafen verhängen, wenn nicht die Schwere des Falles dies unbedingt fordert; Strafen für immer darf er jedoch nicht verhängen.“ Das bedeutet aber praktisch, dass die Verhängung besonders schwerer Strafen wie von Zensuren (Exkommunikation, Interdikt und Suspension) ausgeschlossen ist.41 c) „Die Exkommunikation für Freimaurer besteht nach wie vor!“ Gibt es also eine rechtliche Basis für eine etwaige kirchenrechtliche Verurteilung der Freimaurer, auch wenn c. 2335 abgeschafft wurde? Einige Kanonisten führen die Erklärung der Glaubenskongregation ins Treffen, die noch am Tag vor dem Inkrafttreten des CIC/1983 verabschiedet wurde. Besteht damit die Möglichkeit, gewissermaßen am Kirchenrecht vorbei, jene zu maßregeln, die Freimaurer sind, oder sie davon abzuhalten, in diese Gemeinschaft einzutreten? Auch wenn einzelne Gruppierungen im CIC/1983 nicht mehr erwähnt wurden, gemäß der Zielrichtung einer Reduzierung der Strafbestimmungen durch die Nichterwähnung verschiedener Details und Gruppen, gibt es doch – wie schon erwähnt – einen direkten Zusammenhang zwischen dem alten c. 2335 und dem c. 1374 des neuen Kirchenrechts. Wir haben schon dargestellt, dass zwar die Freimaurer ausdrücklich im neuen CIC nicht mehr erwähnt werden, aber auch andere Gruppen wie die Kommunisten, denen man bisher Kirchenfeindlichkeit oder Machenschaften gegen die Kirche zu Recht oder zu Unrecht nachgesagt hat, werden im CIC/1983 nicht mehr genannt, was natürlich durch den neuen Charakter des Kirchenrechts zu einem gewissen Zug zur Unbestimmtheit und zu verminderter Klarheit führen mag. aa) Die Declaratio der Glaubenskongregation als Argument? Allerdings besteht ein Dissens zwischen der Aufhebung des Freimaurerverbotes bzw. der Nichterwähnung der Freimaurer im CIC/1983 und den Festlegungen der Glaubenskongregation von 1983.42 Dieses Schreiben der Glaubenskongregation im Wortlaut: „Erklärung über die freimaurerischen Vereinigungen, deren Prinzipien unvereinbar sind mit der kirchlichen Lehre und daher die Mitgliedschaft darin von der Kirche als verboten beurteilt wird. Es wurde die Frage gestellt, ob sich das Urteil der Kirche über die Freimaurerei durch die Tatsache geändert hat, dass der neue CIC sie nicht 41

Vgl. Dazu auch: K. Lüdicke, c. 1349, Münsterischer Kommentar, Rn. 4. S. C. pro Doctr. Fid., Declaratio de associationibus massonicis, in: AAS, Vol. LXXVI (1984), S. 300. 42

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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ausdrücklich erwähnt wie der frühere. Diese Kongregation ist in der Lage zu antworten, dass diesem Umstand das gleiche Kriterium der Redaktion zugrunde liegt wie für andere Vereinigungen, die gleichfalls nicht erwähnt wurden, weil sie in breitere Kategorien eingegliedert sind. Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt. Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand der schweren Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen. Autoritäten der Ortskirche steht es nicht zu, sich über das Wesen freimaurerischer Vereinigungen in einem Urteil zu äußern, das das oben Bestimmte außer Kraft setzt, und zwar in Übereinstimmung mit der Erklärung dieser Kongregation vom 17. Februar 1981. Papst Johannes Paul II. hat diese Erklärung, die in der ordentlichen Sitzung dieser Kongregation beschlossen wurde, bei der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz bestätigt und ihre Veröffentlichung angeordnet.“ Im Gefolge dieser Deklaration ist ein Jahr später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf sie ein Artikel im „Osservatore Romano“ erschienen, der sich ausführlich mit den Gründen für diese Erklärung auseinandersetzt. Es wird dabei immer wieder spekuliert, dass der damalige für die Glaubenskongregation zuständige Präses der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, selbst diesen Artikel verfasst haben könnte. So heißt es etwa in diesem Artikel einleitend: „Seit die Kirche sich in Bezug auf die Freimaurerei geäußert hat, wurde ihr negatives Urteil durch viele Gründe gestützt, die sowohl die Praxis als auch die Glaubenslehre betreffen. Sie sah die Freimaurerei nicht nur hauptverantwortlich für subversive Tätigkeiten gegen sie, sondern seit den frühesten päpstlichen Dokumenten über diesen Themenbereich und im Besondern in der Enzyklika ‚Humanum Genus‘ durch Leo XIII. hat das Lehramt der Kirche in der Freimaurerei philosophische Ideen und moralische Konzeptionen entdeckt, die entgegengesetzt zum katholischen Glauben sind.“43 Anschließend wird auf die Erkundigungen über die Freimaurerei durch die Kongregation eingegangen, die in den Siebzigerund Achtziger-Jahren des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben. Dann noch einmal die Bekräftigung des negativen Urteils: „Nun, nach eingehendem Studium, kommt die Glaubenskongregation zur Betonung der Tatsache, dass die Prinzipien der Freimaurerei nicht mit dem christlichen Glauben übereinstimmen.“ Im Artikel wird dargestellt, dass – ganz abgesehen ob es 43 L’Osservatore Romano vom 23.2.1985, S. 1. Der Titel des Artikels lautet: Inconciliabilita tra fede christiana e massoneria. Riflessioni a un anno della dichiarazone della congregazione per la dottrina della fede. Übersetzung vom Verfasser dieser Arbeit.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

eine feindliche Haltung der Logen gegen die katholische Kirche gibt oder nicht – die grundsätzliche Unvereinbarkeit in dieser Erklärung der Glaubenskongregation betont werden sollte. Und zwar geht es auch um den Relativismus, der zwar kein Dogma darstelle, aber im Zusammenhang mit einem relativistischen Symbol-Konzept und den relativierenden Werten einer solchen moralisch-rituellen Kommunität als problematisch erscheine. Im Artikel heißt es weiter: „Wenn auch, unter Rücksichtnahme auf die Unvereinbarkeit zwischen den Prinzipien der Freimaurerei und des katholischen Glaubens, aus den Reihen einiger Gruppen die Meinung verbreitet wird, es sei ganz wesentlich für die Freimaurerei, dass sie nicht irgendwelche ‚Prinzipien‘ im Sinne einer philosophischen oder religiösen Position auferlegt, die alle Mitglieder bindet. Aber noch wichtiger ist das, was sie zusammenschweißt, jenseits der Grenzen der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen, die Männer guten Willens auf der Basis humanistischer Werte, die allen gemeinsam und für alle akzeptabel sind.“ Ein ganz wesentlicher Satz bezieht sich auf den quasireligiösen Vorrang dieses Wertes der Gemeinschaft zu Ungunsten der Religion, wenn gesagt wird: „Im Kontext der verschiedenen Gemeinschaften, zu welchen die einzelnen Mitglieder in den Logen gehören, kann nur eine sehr einfache Institutionalisierung einer breiteren und exklusiven Wahrheit angenommen werden. Der Wert dieser Institutionalisierung allerdings erscheint unvermeidbar relativ im Hinblick auf diese breitere (= gemeinsame – Anmerkung des Verfassers) Wahrheit, die in der Gemeinschaft guten Willens gezeigt wird, in der freimaurerischen Bruderschaft.“ Danach wird noch einmal klar festgehalten: „Auf jeden Fall ist es für einen katholischen Christen unmöglich, seine Beziehung mit Gott in zweifacher Weise zu leben, indem nämlich diese aufgeteilt wird in eine übernatürliche, humanistische Form und in eine innere, christliche Form. Er kann weder auf zwei Arten die Beziehung zu Gott leben, noch kann er die Beziehung mit dem Schöpfer durch zwei verschiedene symbolische Formen ausdrücken. . . . Einerseits kann ein katholischer Christ nicht zur selben Zeit in voller Communio mit (in) der katholischen Gemeinschaft sein, wenn er andererseits auf die christliche Gemeinschaft von einer freimaurerischen Perspektive aus, als Außenseiter, (herunter)blickt.“ Es gehe also um diese Versuchung des Relativismus, die gleichzeitig die Krise unserer heutigen Zeit markiere. Ziel der Erlassung der Deklaration sei es aber nicht gewesen, den Dialog zwischen Freimaurerei und Kirche zu torpedieren, sondern vielmehr wird die Declaratio in diesem Artikel dargestellt als Warnung für die Katholiken vor einer Mitgliedschaft bei den Freimaurern.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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bb) Der Bezug zur „schweren Sünde“? Wie kann nun die Erklärung der Glaubenskongregation mit dem Kirchenrecht in einen Zusammenhang gebracht werden bzw. finden wir im Kirchenrecht einen Angelpunkt für jene Festlegungen, die die Glaubenskongregation macht? Was bedeutet die Tatsache, dass die Glaubenskongregation von jenen, die Freimaurer sind, spricht, als wären sie in „schwerer Sünde“ und dabei auch bestimmt, dass sie gleichzeitig nicht zur Kommunion gehen dürfen? „Für die Glaubenskongregation ergibt sich aus der Unvereinbarkeit nicht nur ein Verbot des Beitritts von Katholiken zur Freimaurerei; die Mitgliedschaft ist auch strafbewehrt. . . . Es handelt sich hierbei um einen vollständigen Rechtssatz bestehend aus Tatbestand (Mitgliedschaft eines Katholiken in der Freimaurerei) und Rechtsfolge (Nichtzulassung zur Kommunion).“44 Damit wäre dann der Akt der Glaubenskongregation auf dieselbe Ebene gehoben wie das Kirchenrecht, zumal es ja andererseits die „Päpstliche Kommission zur authentischen Interpretation des Codex des kanonischen Rechtes“ gibt, die für weitergehende Auslegungen bzw. andere Festlegungen in Bezug auf den Codex verantwortlich ist? Das Motu Proprio von Papst Johannes Paul II. sagt ganz klar zu den Aufgaben dieser Kommission: „Allein die Kommission wird das Recht haben, die mit Unserer Autorität zu bekräftigende authentische Interpretation der Canones des Codex des kanonischen Rechtes und der allgemeinen Gesetze der Lateinischen Kirche vorzulegen, in Angelegenheiten von größerer Bedeutung jedoch nach Anhören der Behörden, die unter sachlichem Gesichtspunkt für die Angelegenheit zuständig sind.“45 Allerdings hat diese Kommission zur Interpretation des Kirchenrechts auch andere Kommissionen anzuhören und das bedeutet ja auch, dass die Glaubenskongregation in der Vatikanischen Kurie doch einen hohen Stellenwert hat und deren Erklärung nicht so einfach vom Tisch zu wischen ist. Beide Entscheidungen, sowohl jene für die Einrichtung dieser Kommission als auch die Erklärung der Glaubenskommission wurden unter der Initiative bzw. Gutheißung des Papstes veröffentlicht. Alfred Hierold zum Charakter der Entscheidung der Glaubenskongregation: „Indem Katholiken, die Freimaurer sind, damit als objektive Sünder qualifiziert werden, ist zunächst eine moralische Kategorie angesprochen. Jedoch wegen des Charakters des kanonischen Rechtes als eines geistlichen Rechtes, wegen des Zusammenhanges zwischen Sittlichkeit und kirchlichem Recht und aufgrund des Beziehungsverhältnisses zwischen moralischem Verhalten und jeweiligem Ste44 G. Fischer, Die Mitgliedschaft in der Freimaurerei nach dem neuen Kirchenrecht, S. 51. 45 L’Osservatore Romano, 2. Februar 1984.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

hen in der kirchlichen Communio, hat eine solche Bewertung auch rechtliche Konsequenzen, von denen in der Erklärung nur eine genannt ist, nämlich der Ausschluss aus der eucharistischen Communio.“46 Damit wird die Erklärung der Glaubenskongregation extensiv interpretiert, das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass man sich auf c. 915 bezöge, wo diese Hinderung an der Zulassung zur Eucharistie normiert wird. In diesem Zusammenhang spricht ja der Gesetzgeber vom „hartnäckigen Verharren in einer offenkundigen schweren Sünde“. Auch für die Krankensalbung würde gelten, dass sie jenen nicht gespendet werden dürfte, „die in offenkundigen schweren Sünden verharren“. Kottmann führt zudem aus47, dass ja dann auch der Bezug zur Unerlaubtheit eines kirchlichen Begräbnisses gegeben wäre, und zwar nicht aufgrund eines Kanons, in dem die Freimaurerei extra erwähnt wird, wie das im CIC/1917 erfolgte, sondern vielmehr aufgrund von c. 1184 § 1 n. 3 CIC, wo es heißt: „Das kirchliche Begräbnis ist zu verweigern, wenn sie nicht vor dem Tod irgendwelche Zeichen der Reue gegeben haben . . . anderen öffentlichen Sündern, denen das kirchliche Begräbnis nicht ohne öffentliches Ärgernis bei den Gläubigen gewährt werden kann.“ Praktisch würde das bedeuten, dass man, wenn man den Charakter der Declaratio der Glaubenskongregation so einschätzt, als würde aus der Zugehörigkeit zur Freimaurerei eine schwere Sünde und damit eine Tatstrafe mit allen Konsequenzen erwachsen, dann könnte man so wie Hierold gewissermaßen ein Aufleben des alten c. 2335 durch die Hintertüre postulieren. Der Bezug zu c. 1374 ist vom Ausmaß der Strafe und auch aus der Tatsache, dass eine Strafverhängung nach diesem Kanon immer auch ein Strafverfahren voraussetzt, eher entfernter und damit unwahrscheinlich. Zwar gesteht Paarhammer ebenfalls ein, dass ein „prinzipieller“ Bezug zu c. 1374 durch die Declaratio „mit diesem pauschalen Verbot der Mitgliedschaft in der Freimaurerei“ gegeben ist, weil sie eben grundsätzlich als solche kirchenfeindliche Vereinigung anzusehen ist.48 Allerdings macht Paarhammer in der Folge eine wichtige Einschränkung: „Es ist zu beachten, dass über die strafrechtliche Seite der Mitgliedschaft in der Erklärung der SC Fid gar nichts gesagt wird. Das bedeutet, so lange die in c. 1374 vorgesehenen Spruchstrafen nicht ausgesprochen sind, was erst nach vorausgegangener monitio geschehen kann (c. 1347 § 1), besteht lediglich ein so genannter ‚obex‘ (= Sperre), dessen Beachtung wiederum abhängig ist vom subjektiven Empfiinden, sich im Stande der schweren Sünde zu befinden.“49 46 A. Hierold, Katholische Kirche und Freimaurerei. Anmerkungen zu einer Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre, S. 95. 47 K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 290. 48 Vgl. H. Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC, S. 426. 49 H. Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC, S. 426.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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Dazu äußert sich auch Pree in einem Rechtsgutachten. Er meint: „Im Hinblick auf die Freimaurererklärung wäre nun zu prüfen, inwieweit Gesetzeswidrigkeit im Hinblick auf can. 1374 CIC vorliegt. Meines Erachtens liegt hier Gesetzeswidrigkeit und als Folge Nichtigkeit der Declaratio de associationibus massonicis vor, da die Strafbestimmung mit Recht darauf abstellt, dass es sich bei den verbotenen Vereinigungen um solche handeln müsse, die tatsächlich gegen die Kirche Machenschaften betreiben; danach ist klar, dass die Zugehörigkeit zur Freimaurerei an sich (d.h. ohne Prüfung der Frage, ob sie tatsächlich kirchenfeindlich agiert) keinen Straftatbestand bildet. Da nun die genannte Deklaration aber davon ausgeht, dass die Zugehörigkeit zur Freimaurerei an sich bereits einen Straftatbestand bildet, der ohne weitere Prüfung den Betreffenden von der eucharistischen Tischgemeinschaft ausschließt (weil die Zugehörigkeit an sich schon als schwere Sünde gewertet wird), liegt hier ein Widerspruch vor.“50 Auch Primetshofer meint in seiner Stellungnahme zur Declaratio: „Aber eines kann jetzt schon mit Sicherheit gesagt werden, dass es vom Wortlaut des c. 1374 her keinesfalls berechtigt ist, Katholiken allein wegen ihrer Mitgliedschaft bei den Freimaurern von der Eucharistiegemeinschaft auszuschließen. Denn der Wortlaut des Kanons stellt ja keinesfalls expressis verbis auf die Freimaurerei ab – und dies aufgrund einer lange geführten Diskussion zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei – sondern enthält die Möglichkeit einer Bestrafung nur für den Fall bereit, dass jemand einer Vereinigung angehört, die gegen die Kirche Machenschaften betreibt.“51 cc) Der Bezug zur Häresie Eine weitere Möglichkeit wäre die Sichtweise, dass die Declaratio sich auf c. 1364 bezieht. In diesem Fall könnte man die im Vorigen besprochene Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses erneut ins Treffen führen. Denn unter c. 1184 § 1 n. 1 heißt es ebenfalls: „Das kirchliche Begräbnis ist zu verweigern, wenn sie nicht vor dem Tod irgendwelche Zeichen der Reue gegeben haben: 1º offenkundigen Apostaten, Häretikern und Schismatikern.“ Gerade die Anwendbarkeit dieses Kanons auf die Freimaurer ist umstritten und wird von unterschiedlichen Kanonisten auch jeweils anders beurteilt. Im c. 1364/1983 heißt es unter § 1: „Der Apostat, der Häretiker oder 50

Gutachten von Helmuth Pree für Kurt Baresch vom 27.6.1986, in: K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe 1968–2003. 27.6.1986, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei. 51 Gutachten von Bruno Primetshofer vom 2. Juni 1997, in: K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe 1968–2003. 2.6.1997, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

der Schismatiker ziehen sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu . . .“ Dieser Kanon wird nun auch von manchen Autoren in einen direkten Zusammenhang mit der Freimaurerei gebracht. Sollte also einer der Tatbestände, die hier dieser Kanon nennt, auf die Freimaurerei zutreffen, dann würde automatisch wieder die Tatstrafe der Exkommunikation eintreten. Georg Fischer erklärt dies so: „Die Erklärung der Glaubenskongregation stellt eine Unvereinbarkeit zwischen den freimaurerischen Prinzipien und der Lehre der Kirche fest. Wer Mitglied in der Freimaurerei ist, und damit solchen Prinzipien anhängt, stellt sich gegen die Lehre der Kirche und ist zumindest Häretiker, wenn nicht sogar Apostat. Er zieht sich also die Exkommunikation als Tatstrafe gemäß c. 1364 § 1 zu und kann gemäß c. 1364 § 2 mit weiteren Strafen belegt werden.“52 Für Wolfgang Waldstein bedeutet diese Erklärung der Glaubenskongregation gewissermaßen die Erklärung eines Generaltatbestandes: „Der Beitritt zu einer Vereinigung, deren Prinzipien mit fundamentalen Glaubenswahrheiten nicht vereinbar sind, schließt objektiv die Abstandnahme, die Trennung von dem Glauben in sich, für den diese Glaubenswahrheiten wesentlich sind.“53 Waldstein lässt auch den Einwand nicht gelten, die Glaubenskongregation wäre nicht für eine authentische Interpretation des Kirchenrechtes zuständig, sondern er meint in Anlehnung an Nikolaus Hillings, dass bereits ja auch schon im CIC/1917 die verschiedenen Kommissionen, so auch das Hl. Offizium Zweifelsfragen des CIC gelöst hätte und dass dies nunmehr fortgesetzt würde, was bedeutete, dass es sich bei der Erklärung der Glaubenskongregation um eine authentische Interpretation handelte.54 Damit habe die Glaubenskongregation nicht ein weiteres Mal die Freimaurerei „verdammt“, sie habe nur ein Missverständnis aufgeklärt, und das „ist ein rein deklaratorischer Akt, der den Wortsinn der Norm weder erweitert noch erst einen unklaren Wortsinn präzisiert.“55 In diese Richtung geht auch die Analyse von Rees, der sagt: „Hierzu vertritt Audomar Scheuermann die zutreffende Auffassung, dass ein Katholik durch seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei auf jeden Fall von der Tatstrafe der Exkommunikation betroffen werde, auch wenn der Codex diese Strafe nicht mehr vorsehe. Die 52

G. Fischer, Die Mitgliedschaft in der Freimaurerei nach dem neuen Kirchenrecht, S. 53. Fischer bezieht sich dabei auf Artikel sowohl von Audomar Scheuermann als auch von Bischof Joseph Stimpfle, die beide an den Gesprächen mit den deutschen Freimaurern namens der deutschen Bischofskonferenz beteiligt waren. 53 W. Waldstein, Zum rechtlichen Charakter der „declaratio de associationibus massonicis“, in: Im Dienst von Kirche und Staat. Gedenkschrift Holböck, hrsg. von F. Patotschnig/A. Rinnerthaler, Wien 1985, S. 526. 54 Ebd., S. 26. Er weist auch darauf hin, dass apostasia nichts anderes als die Trennung von etwas bedeute, also durch den Beitritt zu den Freimaurern sei auch der Abfall vom Glauben vollzogen. 55 Ebd., S. 526.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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Mitgliedschaft in der Freimaurerei müsse als Straftat gegen die Glaubenstreue, d.h. entweder als Häresie oder Apostasie (vgl. c. 1364) betrachtet werden.“56 In dieselbe Kerbe schlägt auch Gero P. Weishaupt, der in einem E-Mail an den Verfasser dieser Arbeit vom 9. September 2008 Folgendes schreibt: „Grundsätzlich können, außer der Päpstlichen Kommission für die Interpretation von Gesetzestexten auch andere römische Behörden, sofern der Papst ihnen gesetzgeberische Befugnis erteilt hat, universalkirchliche Gesetze authentisch interpretieren. Die Form hierfür ist die Veröffentlichung der Interpretation in den Acta Apostolica Sedis. Die Erklärung der Glaubenskongregation vom November 1989, die Sie anführen, entspricht diesen formalen Kriterien. Sie wird von Kanonisten darum als eine authentische Interpretation gewertet.“ Weishaupt kommt damit zum eindeutigen Schluss: „Für die Mitgliedschaft in einem freimaurerischen Verein gilt immer c. 1374. Wenn mit der Mitgliedschaft auch ein häretischer, apostatischer oder schismatischer Akt verbunden ist (das hängt von der Art der freimaurerischen Gruppierung ab), dann ist auch der Tatbestand des c. 1364 verwirklicht und treten die damit verbundenen Rechtsfolgen ein.“ Kritik an der Vorstellung, dass die Mitgliedschaft in der Freimaurerei als Straftat gegen die Glaubenstreue angesehen werden sollte, wird allerdings ebenfalls von anderer Seite geäußert: „Richtig ist an dieser Meinung nur, dass ein Freimaurer (wie übrigens jeder Katholik) von jedweder Strafmaßnahme getroffen werden kann, wenn er eine betreffende Straftat begeht. Wenn z. B. ein Katholik einer Freimaurerloge angehört, die eine Häresie vertritt und wenn der Katholik sich mit dieser Häresie identifizieren sollte, so wird er von c. 1364 § 1 getroffen. Dies alles kann freilich nicht vorausgesetzt, sondern muss bewiesen werden.“57 Gleich sieht dies auch Kottmann, was den generellen Verdacht für die Freimaurerei in Bezug auf Häresie, Apostasie oder Schisma betrifft. Er gibt zu bedenken: „Strafbar ist nach den allgemeinen Strafrechtsregeln des CIC nur die vorsätzlich begangene Tat (c. 1321 § 1 CIC), das heißt, dass der Betroffene die Tatbestände der Apostasie, der Häresie bzw. des Schismas als solche versteht und erfüllen will. Versteht er sein Handeln und Denken nicht so, das heißt, will er weder den katholischen Glauben aufgeben noch einzelne Glaubenswahrheiten leugnen oder die Gemeinschaft mit dem Papst kündigen, fehlt der Vorsatz, der wiederum die Strafbarkeit ausschließt.“58 56 W. Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte, Berlin 1992, S. 448. 57 J. Weier, Freimaurer, in: Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Bd. 1, hrsg. von A. Campenhausen u. a., Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 721. Weier bezieht sich dabei auch auf: R. Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311–1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992, S. 182. 58 K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 298.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

Welche Konsequenzen in Bezug auf das Kirchenrecht hat nun die Erklärung der Glaubenskongregation? Kottmann betont, dass ja, auch wenn der Hinweis auf die rechtsetzende Wirkung dieser Erklärung innerhalb der „Declaratio“ gemacht wird, doch einerseits kein Recht gesetzt wird, andererseits aber auch keine Erläuterung eines bestehenden Gesetzes damit erfolgt.59 „In kanonistischer Rücksicht ist die Erklärung der Glaubenskongregation weder ein Gesetz, noch ein Strafgesetz im Besonderen, sondern bleibt eine kirchenamtliche Erklärung, die mit drastischen Mitteln vor der Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge warnen will. Hintergrund ist, dass die Mitgliedschaft in der Freimaurerloge geeignet ist, die Identität des katholischen Christen zu gefährden.“60 Fischer geht (so wie viele andere Interpretatoren) davon aus, dass mit der Erklärung die Glaubenskongregation nicht nur theoretisch die Unvereinbarkeit der Freimaurerei mit der Lehre der Kirche erklären wollte, sondern dass diese Erklärung konkrete Folgen für das Kirchenrecht hat: „Sie hat (die Erklärung – Anmerkung des Verfassers) gleichsam die Bestimmungen des alten Codex ins rechte (geschichtliche) Licht gerückt. Auslöser des ursprünglichen kirchlichen ‚Nein‘ zur Freimaurerei war nicht deren kirchenfeindliche Tätigkeit, sondern deren Unvereinbarkeit mit dem katholischen Glauben gewesen. Die Bestimmungen des c. 2335/CIC 1917 hingegen resultierte aus den (politischen) Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts. Das Verbot der Mitgliedschaft in der Freimaurerei ist nun wieder ausschließlich ekklesiologisch begründet.“61 Trotzdem bleibt die Frage nach den kanonistischen Konsequenzen, da ja etwa der Begriff der schweren Sünde – auch in der Erklärung der Glaubenskongregation nicht genau definiert – ja durchaus ein moralischer ist. Fischer sieht nun hier also eine Verschiebung der Gewichte in Richtung Theologie. Er hat sicher insofern recht, als man sich vor allem erst im Zuge der Verhandlungen der deutschen Freimaurer mit den Vertretern der deutschen Bischofskonferenz über die Vereinbarkeit der Freimaurerei mit theologischen Inhalten Gedanken machte. Diese Arbeit versucht ja, gerade den Kern der Freimaurerei, die Symbolik und die Ritualistik in einen Zusammenhang mit der katholischen Theologie zu stellen. Insofern haben die Schlüsse, die aus dieser Arbeit gezogen werden (können), auch möglicherweise eine Beziehung zur kirchenrechtlichen Beurteilungsperspektive in Bezug auf die Freimaurerei.

59

Vgl. K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 280. Ebd., S. 305. 61 G. Fischer, Die Mitgliedschaft in der Freimaurerei nach dem neuen Kirchenrecht, S. 60. 60

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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d) Die Vermittlung zwischen beiden Positionen? Gibt es eine Vermittlung zwischen den beiden Positionen, der Feststellung, dass man außerhalb des CIC keine verbindliche kirchenrechtliche Grundlage hat und damit die Freimaurerei erlaubt ist, und der Meinung, dass mit dem Spruch der Glaubenskongregation eine neue kirchenrechtliche Grundlage geschaffen wurde? Natürlich wäre es „leichtfertig und ganz und gar verfehlt, das Kirchenrecht nach Ansicht des Rechtspositivismus lediglich als eine Summe von Gesetzestexten zu betrachten. Die kanonischen Normen beziehen sich tatsächlich auf eine Wirklichkeit, die über sie hinausgeht, eine solche Wirklichkeit setzt sich nicht nur aus historischen und zufälligen Ereignissen zusammen, sondern umfasst auch wesentliche und bleibende Aspekte, in denen das göttliche Recht offenbar wird.“62 Mit dieser Aussage hat Papst Johannes Paul II. keine Entscheidung in eine bestimmte Richtung getroffen. Klarerweise darf gerade das Kirchenrecht nicht sich selbst genügen und muss immer bezogen sein auf Lehramt und Theologie. So sagt er auch: „Ein noch gefährlicherer Reduktionismus (gefährlicher als das Kirchenrecht nicht in einer theologischen Sicht zu interpretieren – Anmerkung des Verfassers) besteht in der Forderung, die kirchlichen Gesetze losgelöst vom kirchlichen Lehramt zu interpretieren und anzuwenden. Nach einer solchen Auffassung hätten die lehrhaften Aussagen keinen disziplinären Wert, der nur den rein gesetzgebenden Akten zuzuerkennen wäre.“63 Der Papst zum Auseinanderdriften dieser beiden wesentlichen Elemente: „Es ist bekannt, dass man aufgrund dieser reduktionistischen Sicht so weit gekommen ist, zwei verschiedene Lösungen desselben kirchlichen Problems anzunehmen: eine, die sich an den lehramtlichen Aussagen orientiert, und die andere, die kirchenrechtlichen Bestimmungen folgt. Die Grundlage einer solchen Ansicht bildet eine äußerst verarmte Auffassung des kanonischen Rechtes, als ob sich dieses nur mit positiven Rechtsnormen identifizieren würde. Das trifft keineswegs zu: Weil theologisch gesehen der rechtliche Gehalt von innen her zu den kirchlichen Wirklichkeiten gehört, kann er tatsächlich Gegenstand der Aussagen des höchsten Lehramts, auch definitiver Lehraussagen, sein.“64 62 Ansprache von Johannes Paul II. an die Teilnehmer des vom päpstlichen Rat für die Interpretation von Gesetzestexten veranstalteten akademischen Tages am Freitag, den 24. Jänner 2003, in: www.vatica.va/holy_father/john_paul_ii/speeches/ 2003/january/documents/hf_jp-ii_spe_20030124_pc-intrptxt_ge.htm, eingesehen am 9. September 2008. 63 Ebd. 64 Ebd.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

Damit ist klargestellt, dass die Einheit gegeben sein muss, dass gerade die Interpretation des CIC nicht losgelöst sein kann von der theologischen Realität. Damit wird indirekt auch die Bedeutung der Glaubenskongregation und – in unserem Fall – ihrer Erklärung unterstrichen. aa) Die Frage nach dem Charakter der Declaratio Die Frage nach dem Rechtscharakter der Declaratio der Glaubenskongregation von 1983 über die Freimaurer wird damit umso drängender. Hat diese Erklärung der Glaubenskongregation also Gesetzescharakter? Zu denken gibt hierbei das von Kottmann vorgebrachte Argument, dass die Glaubenskongregation ja noch während der Gültigkeit des CIC/1917 diese Erklärung veröffentlicht hat. „Nach c. 6 CIC sind mit dem Inkrafttreten des CIC der CIC/1917 (n. 1), andere ihm widersprechende universelle und partikulare Gesetze (n. 2), die im CIC nicht aufgenommenen Strafgesetze (n. 3) sowie andere universelle Disziplinargesetze, sofern sie vom CIC gänzlich geordnet werden (n. 4), aufgehoben. Sollte es sich bei der zu behandelnden Erklärung also um ein Gesetz handeln, wäre es möglicherweise von c. 6 CIC betroffen und von daher aufgehoben.“65 Wenn man sich allerdings die geübte Praxis und die Traditionen im Rahmen des CIC/1917 vor Augen führt, wonach es Aufgabe des Hl. Officiums, dem Vorläufer der Glaubenskongregation, gewesen ist, solche Festlegungen vorzunehmen, dann könnte man unter Umständen davon ausgehen, dass dieser deklaratorische Akt der Erklärung in Bezug auf ein Verbot der Freimaurerei durchaus rechtssetzenden Charakter hat, allerdings ginge es dann um die Frage der Einordnung des Ganzen. Sollte es sich aber nicht um ein Gesetz handeln, dann bewegt sich die Diskussion auf einer anderen Ebene, es könnte sich dann also, so wie das viele Kanonisten auch meinen und wie das von uns schon ausgeführt wurde um eine authentische Interpretation des CIC handeln. Pree nimmt in seiner Analyse zu diesem Problem auf folgende Weise Stellung: „Die Erklärung der Glaubenskongregation vom 26.11.1983 über die Freimaurervereinigungen (AAS 76 (1984) 300) ist kirchenrechtlich nicht als decretum generale gemäß can. 29 (mit Gesetzeskraft ausgestattet) zu werten, sondern entweder als ‚decretum generale excutorium‘ (can. 32) oder als nur verwaltungsintern geltende ‚instructio‘ (can. 34).“66 Wenn es sich aber um eine Interpretation handelt, auf welchen Kanon bezieht sich diese dann? „Wenn es sich bei der Erklärung der SC Fid. von 65

K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 274. Gutachten von H. Pree vom 27.6.1997, in: K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe 1968–2003. 27.6.1986, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei. 66

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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1983 um eine authentische Interpretation des c. 1374 handeln sollte, dass nämlich freimaurerische Vereinigungen zu den dort genannten kirchenfeindlichen Gemeinschaften gehören, dann können aber auch nur die dort festgelegten Strafandrohungen gelten und keine anderen. Es gibt sicher noch eine ganze Reihe anderer Straftatbestände, deren Erfüllung darauf schließen lässt, dass es mit der Glaubenstreue eines Täters schwer hapert. Solle man diese immer zuerst unter den c. 1364 § 1 subsumieren und dann sagen, es können noch weitere Strafen verhängt werden, wie sie in dem jeweiligen Spezialkanon vorgesehen sind? So kann wohl im Strafrecht nicht überzeugend argumentiert werden.“67 Denn mit solch einer Vorgangsweise würde klar gegen das Analogieverbot im Strafrecht verstoßen werden. Die Schwierigkeit ist nun, dass das Strafrecht und theologische bzw. moralische Beurteilungen auf zwei verschiedenen Ebenen liegen, auch wenn der Bezug aufeinander gefordert, sinnvoll und normalerweise auch notwendig ist. Genügt also das Kriterium, dass das Ganze von der Glaubenskongregation formal richtig umgesetzt wurde, dass die Kongregation die päpstliche Befugnis hatte und dass es ordnungsgemäß veröffentlicht wurde? Im CIC heißt es zur Frage, wer eine authentische Auslegung vornimmt: „Gesetze interpretiert authentisch der Gesetzgeber und derjenige, dem von diesem die Vollmacht zur authentischen Auslegung übertragen worden ist.“ (c. 16 § 1) Auch eine solche Auslegung hat nach Promulgation dieselbe Gesetzeskraft wie das Gesetz selbst (c. 16 § 2). Besondere Verbindlichkeit schöpft die Declaratio „associationibus massonicis“ vor allem daraus, dass der Papst diese Erklärung approbiert hat. Bei einer Interpretation geht es aber inhaltlich und auch formal um die genauere Erläuterung eines zweifelhaften Gesetzes bzw. im Zusammenhang mit einem Gesetz. Allerdings wird in der Declaratio kein genauer Bezug auf ein bestimmtes Gesetz genommen, da ja das Wort „Freimaurerei“ im neuen Codex ausdrücklich nicht mehr vorkommt. Wir haben bereits über die Schwierigkeiten nachgedacht, die gegeben sind, sobald man versucht, die Interpretation an c. 1374 oder c. 1364 oder an beide anzulegen. Außerdem ist natürlich die Frage zu stellen, in welchen Bereichen es Zweifel geben soll. Kottmann dazu: „Eine authentische Interpretation des c. 1374 liegt somit nicht vor, da zweifelhaft weder die Norm des c. 1374 CIC selbst noch eine andere ist. Zweifelhaft ist, wenn auch unter anderem ausgehend von c. 1374 CIC, die möglicherweise veränderte Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Freimaurern. Dieser Zweifel war entstanden aufgrund des Fehlens ihrer ausdrücklichen Erwähnung im Nachfolgecanon des c. 2335 CIC/1917 wie im gesamten neuen CIC.“68 Pree zu diesem Pro67 68

H. Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC, S. 427. K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, S. 280.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

blem: „An ihrem Rechtscharakter als Verwaltungsakt ändert die Tatsache der päpstlichen Apporobation ‚in forma communi‘ nichts. Eine solche Approbation lässt den ursprünglichen Rechtscharakter eines Aktes unberührt und macht ihn nicht zu einem Rechtsakt des die Approbation Aussprechenden. Rechtlich ist also die genannte declaratio nach wie vor als genereller Verwaltungsakt einer römischen Kongregation (Verwaltungsbehörde) zu qualifizieren.“69 Damit hat die Declaratio genau nach dem Wortsinn zweierlei Bedeutung: Einerseits soll sie die Gefährlichkeit der Freimaurerei den Gläubigen erklären und zeigen, dass die Freimaurerei nach wie vor nicht mit den Prinzipien der katholischen Kirche übereinstimmt. Andererseits, und das muss in der Folge noch näher beleuchtet werden, erklärt die SC Fid., dass der Freimaurer sich einer schweren Sünde schuldig macht und damit außerstande ist, die Kommunion zu empfangen. Zudem wird innerkirchlich erklärt, dass niemandem zustehe, eine andere Position einzunehmen, also auch nicht lokalen Bischofskonferenzen, die ggf. in der Beurteilung der Freimaurerei eigenmächtig handeln könnten. So gesehen ist diese Erklärung einfach zum Schutz der Gläubigen vor den „Gefahren“ der Freimaurerei einerseits und andererseits zur Aufrechterhaltung der Disziplin und Ordnung im inneren Bereich angelegt. Dabei ist die moralisch-theologische Funktion dieser kirchenamtlichen Erklärung zweifellos voll gegeben, allerdings scheint – trotz der Hinweise auf eine Rechtssetzung – die Qualität als Gesetz im kirchlichen Sinn eher schwach bis gar nicht gegeben zu sein. bb) Unterschiedliche Ebenen von Sünde und Strafe Es fragt sich nun, welche Auswirkungen diese kirchenamtliche Erklärung, die „als Warnung“ und in pastoraler Absicht verstanden werden muss, nun tatsächlich auf das Kirchenrecht hat. Es ist eine unter Kanonisten unbestrittene Tatsache, dass nicht jede Erklärung, auch nicht von einer so hochrangigen Kongregation wie im konkreten Fall, als Gesetz verstanden werden muss. Es ist nämlich die Frage bedeutsam, ob die theologische oder lehramtliche Ebene rein formal immer auch in den rechtlichen Bereich hineinreicht. „Zum Verständnis der kirchlichen Position ist es wichtig, die (frühere) Strafandrohung durch c. 2335 CIC/1917 einerseits und das (jetzige) Verbot der Deutschen Bischofskonferenz (12.5.1980) und der römischen Glaubenskongregation (26.11.1983) andererseits zu unterscheiden. Verbot und Strafandrohung liegen auf verschiedenen Ebenen. Zwar setzt jede kirchliche Strafe voraus, dass die entspre69 Gutachten von H. Pree vom 27.6.1997, in: K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe 1968–2003. 27.6.1986, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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chende Tat schwerwiegend zurechenbar ist, (c. 1321. 1), aber längst nicht jede schwere Sünde ist durch eine kirchliche Strafe bedroht.“70

Eines dürfte aber klar sein: Die Erklärung der Glaubenskongregation ist nicht vom Tisch zu wischen, sie hat die Aufgabe, zu warnen und im Kontext der Diskussion um die Haltung der Kirche in Bezug auf die Freimaurerei Meinung zu bilden. Sebott dazu: „Selbstverständlich ist das Verbot der Glaubenskongregation vom 26. November 1983 nur die Formulierung eines moralischen Gesetzes. Es wird also die sog. Materie bzw. der Gegenstand des sündhaften Aktes näher bestimmt.“71 Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge nun nicht unmittelbar mit einer kirchlichen Strafe bedroht ist, gilt doch das Verbot der Mitgliedschaft, das durch die Glaubenskongregation „auf die ganze Welt“ ausgedehnt wurde.72 Die Schwierigkeit dieses moralischen Verbotes besteht aber dadurch, dass es zwar einerseits in die persönlichen Überlegungen des Katholiken, der eine Affinität gegenüber der Freimaurerei hat, ernsthaft einbezogen werden muss, auch die Materie des möglichen sündhaften Aktes näher bestimmt wird, dass aber andererseits in diesem Zusammenhang noch nicht von Sünde gesprochen werden kann. In diesem Kontext muss aber auch jetzt über das Gewissen gesagt werden: „Gewissen als Verortung, das dem Menschen Anteil gibt an der Wahrheit. Gewissen als Garant menschlicher Würde. Gewissen als bindendes Organ, dem daher zwingend zu gehorchen ist, um nicht eben diese menschliche Hoheit zu verlieren.“73 Nicht erst seit dem II. Vatikanischen Konzil, wie das oft irrtümlich behauptet wird, war es ein kennzeichnendes Merkmal, die Gewissensentscheidung innerhalb der Theologie als ganz wesentlich zu beurteilen und den Spagat zwischen „Gewissensmoral und einer Autoritätsmoral als zwei gegensätzliche Modelle im Kampf miteinander anzusehen“.74 Damit muss auf Thomas von Aquin hingewiesen werden, der ja betont, dass es sogar einen Widerspruch zwischen der Strafverhängung der Kirche einerseits und der Auffassung des Ketzers geben kann und dass der 70 R. Sebott, Freimaurer, in: Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen, Frankfurt am Main – Virtueller Lesesraum. 71 R. Sebott, Rezension zu K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, in: Theologie und Philosophie 85 (2010), S. 154. 72 Vgl. dazu R. Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311–1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992, S. 183. 73 A. Grochtmann, Justitiabilität der Gewissensfreiheit. Rechtsvergleichende Analyse zur kirchlichen Strafverhängung und zum Schutz des forum internum im Völkerrecht, in: Andnotationes in Jus Canonicum, hrsg. von E. Güthoff/K.-H. Selge, Bd. 47, Frankfurt a. M. u. a. 2009, S. 22. 74 J. Ratzinger, Gewissen und Wahrheit, in: Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg 2005, S. 102.

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V. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern und das Kirchenrecht

Ketzer angehalten wird, eher die kirchliche Strafe anzunehmen als seine Gewissensentscheidung zu verraten. So sagt Thomas: „Die Kirche nämlich urteilt demgemäß, was nach außen hin erscheint. Aber durch sein Gewissen wird ein jeder verpflichtet auf die Entscheidung für Gott, der auf das Herz schaut: und daher ist dem Gewissensurteil zu folgen, wie sehr auch die Kirche das Sichtbare bedenkt.“75 Gerade über diese Frage, nämlich inwiefern überhaupt eine Sünde vorliegt, geschweige denn ob ein kirchenrechtliches Vergehen gegeben ist, wird aber interessanterweise in der Declaratio der Glaubenskongregation geschwiegen. Damit muss aber ganz klar die Unterscheidung zwischen der rein äußerlichen Verletzung einer kirchlichen Anordnung und der Gewissensentscheidung und der inneren Disposition des jeweiligen Menschen betont werden. Eine Automatik gibt es weder im Bereich der Sünde und schon gar nicht im Bereich des Kirchenrechtes, wo es ja auch, wie wir gehört haben, bei den einschlägigen in Frage kommenden Canones immer auch um die Frage geht, inwieweit eine Zurechenbarkeit gegeben ist. Gerade zu diesem Sachverhalt hat sich Kardinal König im Zusammenhang mit der Freimaurerei geäußert, und zwar 1998, als er auf Anfrage Bareschs eine persönliche Stellungnahme abgab. Vorausgegangen war 1994 ein Brief des Vorsitzenden der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, der ja auch die Unvereinbarkeitserklärung verantwortete, in dem ganz allgemein formuliert wurde: „Sie (gemeint ist die Glaubenskongregation – Anmerkung des Verfassers) hat ein allgemeines Prinzip formuliert, wie es ihre Kompetenz ist.“76 Damit verschiebt Ratzinger das Anliegen Bareschs – nämlich ein klärendes Gespräch mit einem Vertreter der Glaubenskongregation – in den persönlichen Bereich nach dem Motto: Die Kongregation ist für eine allgemeine Formulierung zuständig, nicht jedoch für pastorale Gegebenheiten oder Lösungsansätze. Das müsse dann jeder mit seinem Gewissen ausmachen. Stringent ist dazu dann auch die Stellungnahme Königs, die genau in diese Lücke hineinstößt und besagt: „1. Wenn die deutsche BIKO von einem moralischen Verbot (Sünde) spricht, dann müssen nach christlicher und auch katholischer Auffassung drei Dinge feststehen. Mit einer persönlichen Schuld (Sünde) kann ich mich nur dann belasten, wenn feststeht: a. Ich erkenne den widersprüchlichen Sachverhalt ganz genau b. Ich handle bewusst gegen das Verbot c. Es muss sich um einen gravierenden Sachverhalt handeln. Ich glaube wohl feststellen zu können, dass diese drei Gesichtspunkte kaum bei einem Katholiken zutreffen, der gleichzeitig Freimaurer ist. 75

Zitiert nach: A. Grochtmann, Justitiabilität der Gewissensfreiheit, S. 23. K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe 1968–2003. Brief vom 9.4.1994, zitiert nach: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei, S. 162. 76

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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2. Ich würde Ihnen raten, das Dekret der Glaubenskongregation zu erwähnen, ohne sich auf eine Polemik einzulassen. Denn das Dekret der Glaubenskongregation weist in die Vergangenheit – der Codex des Kirchenrechtes aber in die Zukunft. 3. Seit dem Zweiten Vatikanum geht es um den ökumenischen Dialog, das Gespräch mit den getrennten Christen, geht es aber auch um den interreligiösen Dialog eines Gespräches mit anderen Religionen und Kulturen. Mit welchem Recht kann man einen Dialog mit der Weltorganisation der Freimaurer ausschließen? Der Dialog, in welcher Form immer, verlangt einen gegenseitigen Respekt und eine entsprechende Gesprächsbereitschaft. Warum sollte das in Ihrem Fall nicht gelten?“77

König, der sich mit dem Dialog von Anfang identifiziert hat, scheint mit dieser Aussage doch die Tatsache bitter zu finden, dass nach der Klarstellung der Glaubenskongregation, die Dialogsituation gestoppt oder zumindest gebremst wurde. Er erlaubt sich in seinem Brief an Baresch erneut einen Seitenhieb in die Richtung der Deutschen Bischofskonferenz, indem feststellt: „Interessant wäre die Frage, warum die Deutsche Bischofskonferenz drei Tage vor Erscheinung des neuen Kirchenrechtes für ihr deutsches Gebiet diese Schwierigkeit machte. Denn, so frage ich: Wenn in Deutschland diese Schwierigkeit bestand, warum nicht auch für die Länder aus der Sicht von damals?“78 cc) Die Frage nach Zurechenbarkeit bzw. Individualität Eine schwere Sünde kann also nicht ohne weiteres allein nur unter Bestimmung der sündhaften Materie bzw. des Aktes der Übertretung einer Norm oder eines Gebotes vorausgesetzt werden. Denn mit einer Qualifizierung von außen ist es nicht getan. Damit ist das Kirchenrecht zwar auch auf das Lehramt hingeordnet und bezogen und es wird auch nicht geleugnet, dass diese Erklärung der Glaubenskongregation ein gewichtiges Wort in der Gewissensbildung der Gläubigen, auch in der Öffentlichkeit, zu sagen hat. Für die Praxis, in der man nicht immer kirchenrechtlich argumentiert und unterscheidet, heißt das aber dann, „dass sie (die Freimaurer – Anmerkung des Verfassers) eben teilweise (. . .) ausgeschlossen sind.“79 Man müsste also immer zwischen einem strafrechtlichen Tatbestand und einer Einzelsünde differenzieren. Das bedeutet kirchenrechtlich – so wie das ja auch im CIC normiert ist – dass jeder Fall genau untersucht werden 77 K. Baresch, Auswahl der wichtigsten Briefe, 1968–2003. Brief vom 16.3.1998, zitiert aus: H. Schrefler, Die katholische Kirche und die Freimaurerei. 78 Ebd. 79 R. Sebott in: Tempel, Logen, Rituale. Das Geheimnis der Freimaurer.

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muss, um anzugeben, welche Motive den Menschen bewegen, um Freimaurer zu sein. Damit kann eine Spruchstrafe erfolgen, wenn klar ist, dass die Motive des Menschen, der sich einer Freimaurerloge angeschlossen hat, kirchenfeindlich oder dem Glauben gegenüber abträglich sind. Es ist immer davon auszugehen ist, dass der Fall untersucht und eine etwaige Verfehlung wirklich in einem kirchenrechtlichen Verfahren geklärt werden muss. Damit sind wir also bei der individuellen Seite der Sünde: Möglicherweise kommt man als Christ zu einer anderen Anschauung als zu der, die die Glaubenskongregation in der Freimaurerfrage vertritt. Das ist auf dem Hintergrund von c. 748 § 1 zu sehen. Dieser bestimmt ja: „Alle Menschen sind gehalten, in den Fragen, die Gott und seine Kirche betreffen, die Wahrheit zu suchen, sie haben kraft göttlichen Gesetzes die Pflicht und das Recht, die erkannte Wahrheit anzunehmen und zu bewahren.“ Das bedeutet aber auch, dass eine Sünde und auch eine kirchenrechtliche Verfehlung nur dann gegeben ist, wenn diese subjektive Seite sich eben ganz bewusst in freier (Gewissens-)Erkenntnis für die Übertretung entscheidet. Die Kriterien für die Zurechenbarkeit sind im CIC festgelegt. Damit heißt es beispielsweise in c. 1321 § 1: „Niemand wird bestraft, es sei denn, die von ihm begangene äußere Verletzung von Gesetz oder Verwaltungsbefehl ist wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit schwerwiegend zurechenbar.“ Allerdings ist die äußere Verletzung, also das, was auch in der Declaratio der Glaubenskongregation erfolgt, nämlich die Beschäftigung mit dem Delikt von der Außenansicht her, das Normale, bevor man in die nähere Untersuchung, ob wirklich ein zurechenbares Delikt vorliegt, einsteigt, so wie es auch ganz allgemein im CIC unter c. 1321 § 3 formuliert wird: „Ist die äußere Verletzung des Gesetzes oder des Verwaltungsbefehls erfolgt, so wird die Zurechenbarkeit vermutet, es sei denn, anderes ist offenkundig.“ Damit ergibt sich ein Unterschied gegenüber dem staatlichen Recht: Hier muss der so Angeschuldigte vor der Kirche beweisen, dass er mit der Begehung der äußeren Tat nicht schuldig ist. „Nach Pree ist diese Norm freilich so gut wie ohne Relevanz. Es werde nur die Zurechenbarkeit im Allgemeinen, nicht aber die schwere Zurechenbarkeit vermutet. Vorsatz und Fahrlässigkeit, gemäß c. 1321 § 1 CIC die beiden Formen der schweren Zurechenbarkeit, werden nicht vermutet. Es bleibt damit offen, welchen Sinn diese Norm für einen kirchlichen Richter haben kann.“80 Ein weiteres wesentliches Kriterium, das eine Zurechenbarkeit ausschließt, ist der Mangel an dauerndem Vernunftgebraucht (c. 1322). In c. 1323 wird eine Reihe von Hinderungsgründen aufgeführt, die jeweils die Straffreiheit bewirken, weil die Zurechenbarkeit nicht gegeben ist: Damit ist einerseits das Alter ein we80 R. P. de Mortanges, Das Schuldprinzip im CIC, in: „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch, S. 83.

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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sentlicher Faktor (16 Jahre als Grenze) sowie die Ausübung von Zwang oder physischer Gewalt, das Vorliegen einer Notlage, eines Zufalls oder einer „Beschwernis“ oder Notwehr sowie wenn schwere Furcht vorliegt. Ein ganz wesentliches Kriterium, das in unserem konkreten Fall wahrscheinlich in den meisten Fällen diese Zurechenbarkeit verhindert, lautet jedoch gem. c. 1323 2º: „Straffrei bleibt, wer bei Übertretung eines Gesetzes oder eines Verwaltungsbefehls schuldlos nicht gewusst hat, ein Gesetz oder einen Verwaltungsbefehl zu übertreten, der Unkenntnis werden Unachtsamkeit und Irrtum gleichgestellt.“ Das bedeutet aber faktisch, dass ja immer dann, wenn Freimaurerer entsprechend ihrem Gewissen glauben, dass sie ihren Glauben sehr wohl mit der Freimaurerei vereinbaren können, rein kirchenrechtlich nicht belangt werden können. Das sagt auch Sebott, indem er meint: „Es könnte durchaus sein, dass der Katholik, der in eine Freimaurerloge eintritt, bona fide handelt, also der Meinung ist, mit seinem Eintritt in die Loge nichts Böses zu tun.“81 Das bedeutet nun aber wieder nicht, dass damit die Declaratio der Glaubenskongregation so ohne weiteres bagatellisiert werden darf. Sie ist nach wie vor ein wichtiges Kriterium in der Gewissensbildung. Aber es geht immer um die Menschen und deren Motive, die hinter gewissen Handlungen stehen, diese gilt es zu beurteilen, abstrakte Deliktbegriffe und Formulierungen sind rein kirchenrechtlich zu wenig. Es gibt also zwar die Erklärung der Glaubenskongregation, aber ganz nach der Einstellung der Kirche, entsprechend dem Vatikanum II und der Gewissensfreiheit, muss geklärt werden, ob es sich im Einzelfall wirklich um eine schwere Sünde handelt. Damit ergibt sich aber das Problem, dass einerseits die Materie genau formuliert wird, andererseits es aber für die Zurechenbarkeit die Beurteilung bräuchte, ob eine schwere Sünde vorliegt. Wenn man das so interpretiert, dann „hätte der kirchliche Richter im Strafverfahren abzuklären, ob als Deliktselement eine Sünde vorliegt. Das kann wohl kaum seine Aufgabe sein. Als Leitsatz 2 der Arbeit der CIC-Reformkommission war ja postuliert worden, dass Konflikte zwischen dem forum internum und dem forum externum, wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch zu minimieren seien.“82 Damit werden uns einmal mehr die Schwierigkeiten vor Augen geführt, die bestehen, wenn einerseits die Glaubenskongregation Sünde definiert, andererseits aber das forum internum natürlich bei solch einer globalen Rundumsicht nicht berücksichtigt werden kann, damit also Rechtselemente mit dem Terminus „schwere Sünde“ vermischt werden. „Will man den Prinzi81

R. Sebott, Freimaurer, in: Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen, Frankfurt am Main – Virtueller Lesesraum. 82 R. P. de Mortanges, Das Schuldprinzip im CIC, in: „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch, S. 79.

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pien der CIC-Reform gerecht werden, hat man die Zurechenbarkeit als rechtstechnischen Begriff zu verstehen und nicht als moralische Kategorie. Zurechenbarkeit würde damit schlicht bedeuteten, dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegen.“83 Mit Renè Pahud de Mortagnes müssen wir weiters im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Beurteilung der Freimaurerei sagen: „Wenn man auch den Willen haben muss, gegen konkrete Normen des Strafrechtes des CIC zu verstoßen, dann werden wohl nur Kanonisten überhaupt in einem kirchlichen Strafverfahren zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Durchschnittskatholik wird (. . .) nicht wissen, dass und welche Straftatbestände der CIC enthält. Auch c. 1323 n. 1 CIC legt diese Interpretation nahe, wonach straffrei bleibt, wer schuldlos nicht gewusst hat, ein Gesetz oder einen Verwaltungsbefehl zu übertreten.“84 Noch einmal zurück zu unserem Anlassfall: „Wenn also in der Erklärung der Glaubenskongregation gesagt wird, der Katholik, der in die Loge eintrete oder in ihr verbleibe, sei im Zustand der (schweren) Sünde und dürfe deshalb gemäß can. 915 nicht zur Kommunion zugelassen werden, so ist diese Behauptung insofern ‚schief‘ und ungenau, als sie auch etwas sagen will über die Erkenntnis und den freien Willen des entsprechenden Katholiken. In Wirklichkeit lässt sich aber von außen über Erkenntnis und Wille der entsprechenden Person nichts sagen.“85 dd) Ist der Freimaurer Häretiker, Schismatiker oder Apostat? Ist nun im Zusammenhang mit der Warnung der Glaubenskongregation eventuell c. 1364 relevant? Das merken ja einige Kirchenrechtler – wie schon dargetan – in ihren Stellungnahmen an. In diesem Zusammenhang würde dann die Tatstrafe der Exkommunikation eintreten, man bräuchte nicht eine Spruchstrafe abzuwarten, wenn das alles so klar und eindeutig wäre. Angesprochen sind vom betreffenden Canon der Apostat, der Häretiker und der Schismatiker. „Mit der Pönalisierung der drei in c. 751 definierten Hauptvergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche führt die erste Strafbestimmung des Besonderen Teils unmittelbar zu den Essentials des katholischen Glaubensverständnisses. Es soll der Glaube geschützt werden, wie er vom Papst und vom Bischofskollegium in höchster, auf Jesus Christus zurückgehender Vollmacht gelehrt wird.“86 Apostasie wird in 83

Ebd., S. 79. Ebd., S. 80. 85 R. Sebott, Rezension zu K. Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche, in: Theologie und Philosophie 85 (2010), S. 154. 86 R. P. de Mortanges, Zwischen Vergebung und Vergeltung. Eine Analyse des kirchlichen Straf- und Disziplinarrechts. Rechtsvergleichende Untersuchungen zur 84

2. Der Codex von 1983 und die Freimaurerei

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c. 751 verstanden als „die Ablehnung des christlichen Glaubens im Ganzen.“ Natürlich ist das gegeben, wenn eine wesentliche Glaubenswahrheit geleugnet wird. „Die Apostasie kann sich äußern im Beitritt zu einer nichtchristlichen Vereinigung oder auch in einem praktischen Atheismus.“87 Die Apostasie und die Häresie, nämlich indem ein beharrlicher Zweifel an einer wesentlichen Glaubenswahrheit besteht, könnten theoretisch als Anknüpfungspunkt für eine kirchenrechtliche Verurteilung eines Freimaurers herangezogen werden. „Die Apostasie kann sich äußern durch den Beitritt zu einer kirchenfeindlichen Organisation (Das kann bereits nach c. 1374 (. . .) strafbar sein.) oder einer atheistischen Vereinigung, oder dann durch einen gänzlich areligiösen Lebenswandel (‚praktischer Atheismus‘).“88 Es ist nun auszuloten, was unter der Trennung von einer wesentlichen Glaubenswahrheit verstanden werden kann. Kann diese Trennung schon durch den Beitritt zur Freimaurerei und die gleichzeitige Qualifizierung der Freimaurerei als Sünde im Sinne der Warnung der Declaratio der Glaubenskongregation erfolgen? Es muss betont werden, dass „die verschiedenen Inhalte der definitiven Glaubenslehre unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen.“89 Das bedeutet dann aber auch praktisch, dass auch hier eine Hierarchie aufgrund unterschiedlicher Verbindlichkeit gegeben sein muss, die sich klar nach der Art und Weise richtet, um welchen Glaubensinhalt es sich handelt. Nicht alle lehramtlichen Entscheidungen sind aber unfehlbare Entscheidungen. „Das ordentliche und allgemeine oberste Lehramt liegt bei der Gemeinschaft der Bischöfe mit dem Papst, nicht beim Papst allein. Der Gesetzgeber schweigt über die Vorgehensweise und beschränkt sich auf die Feststellung, es erweise sich daran, dass die Gläubigen unter Leitung des Lehramtes gemeinsam an seinem Zeugnis festhalten.“90 Natürlich sind nicht nur die unfehlbaren Glaubensentscheidungen für die Gläubigen mit Verpflichtungscharakter ausgestattet, denn „wegen des Fehlens eines Formalaktes ist nicht in jedem Fall ohne weiteres zweifelsfrei, ob ein bestimmtes Zeugnis definitiven Charakter hat oder nicht.“91 gesamten Strafrechtswissenschaft, hrsg. vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br. durch H.-H. Jescheck/M. C. J Eser, Bd. XXIII, Baden-Baden 1992, S. 141. 87 R. Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311–1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992, S. 158. 88 R. P. de Mortanges, Zwischen Vergebung und Vergeltung, S. 142. 89 W. Aymans, § 63 Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramtes, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von J. Listl/H. Schmitz, Regensburg2 1999, S. 661. 90 W. Aymans, § 63 Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramtes, S. 662. 91 Ebd., S. 662.

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Dabei sind zunächst die unfehlbaren Glaubensentscheidungen im Zentrum und als grundlegend anzusehen. „Diese unfehlbaren Glaubensentscheidungen liegen nur in jenen besonderen Fällen vor, in denen dies – aufgrund des formalen Aktes – offenkundig, d.h. ausdrücklich erklärt oder zweifelsfrei zu schließen ist.“92 Der Bezug zur unfehlbaren Lehre wird noch durch c. 750 § 2 verstärkt bzw. exemplifiziert, wenn es dort heißt: „Fest anzuerkennen und zu halten ist auch alles und jedes, was vom Lehramt der Kirche bezüglich des Glaubens und der Sitten endgültig vorgelegt wird, das also, was zur unversehrten Bewahrung und zur getreuen Darlegung des Glaubensgutes erforderlich ist; daher widersetzt sich der Lehre der katholischen Kirche, wer diese als endgültig zu haltenden Sätze ablehnt.“ Das bedeutet aber praktisch, dass eine solche Gehorsamsverweigerung die Einheit der Kirche bzw. diese Communio innerhalb der Kirche gefährden muss. So ist „das Schisma ist nicht eine bloß disziplinär zu wertende Unbotmäßigkeit, sondern ein gegen die Gemeinschaft im Glauben gerichteter Tatbestand, weil die Einheit der Kirche auch in rechtlicher Hinsicht Gegenstand des Glaubens der Kirche ist.“93 Damit ist „die Leugnung anderer Wahrheiten Ungehorsam gegen Gott oder gegen die Kirche, erfüllt aber nicht den strafbaren Tatbestand des Irrglaubens.“94 Die Bestimmungen hinsichtlich der Häresie und Apostasie wurden schon hier erläutert. Damit bleibt die Frage offen, ob der Beitritt zur Freimaurerei sachlich und formal – nach der Erklärung der Glaubenskongregation – so schwer wiegt, dass tatsächlich hier c. 1364 in irgendeiner Form greift. Dabei muss auch die Verhältnismäßigkeit in Betracht gezogen werden: Denn der Beitritt zur Freimaurerei muss ja auch mit den anderen Akten, die Apostasie, Häresie oder Schisma implizieren, in einem Zusammenhang gebracht werden. Denn die von selbst eintretende Exkommunikation als Tatsstrafe „weist auf die besondere Schwere dieser Vergehen hin, die den katholischen Glauben grundsätzlich in Frage stellen und somit für diesen eine existentielle Bedrohung darstellen können. Voraussetzung für die Sanktionierung ist, dass die abweichende religiöse Gesinnung äußerlich kundgetan wird und schwerwiegend zurechenbar ist.“95 Zudem muss im Hinblick auf die Beurteilung der Freimaurerei auch beachtet werden, dass sich gerade die Sichtweise des Delikts „Schisma“ seit dem II. Vatikanischen Konzil theologisch als auch kirchenrechtlich sehr geändert hat. Damit gibt es einen Zug zur Betrachtung des Subjektes inner92 W. Aymans, § 63 Begriff, Aufgabe und Träger des Lehramts, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, S. 662 f. 93 Ebd., S. 663. 94 K. Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts III, Paderborn11 1979, S. 423. 95 R. P. de Mortanges, Zwischen Vergebung und Vergeltung, S. 143.

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halb der Gemeinschaft. „In der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils wird der getaufte Nichtkatholik nicht mehr für sich allein genommen betrachtet, sondern als Angehöriger einer Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft, die in unterschiedlichem Maß in ‚communio‘ mit der katholischen Kirche steht: einer ‚communio‘, von der das Taufsakrament nur das ‚initium et exordium‘ (UR 22) darstellt, während die Eucharistie den Abschluss ihrer vollen Entwicklung, die Herstellung der ‚integra incorporatio‘ in den Leib Christi bildet (PO 5). Im Licht dieser Konzilslehre über die Grade der kirchlichen ‚communio‘, aus der sich eine neue theologische und juristische Bewertung der Zugehörigkeit zur Kirche derjenigen Christen ergibt, die sich nicht der ‚communio plena‘ erfreuen, wird ebenfalls offensichtlich, dass auch die Begriffe ‚Schisma‘ und ‚Häresie‘ eine andere theologische Bedeutung erhalten, deren kanonistisches Profil noch nicht vollständig klar ist.“96 Wenn also dieses Prozesshafte im Vordergrund steht, das ja vielmehr der Tatsache entspricht, dass man sich meist nicht mit einem Paukenschlag von der Kirche entfremdet, sondern dass dies eine längere Entwicklung bedeutet, dann erscheint das durchaus angemessener der heutigen Situation. Gerade in einer Gesellschaft, in der die individuellen Bedürfnisse und die individuelle Entscheidung viel stärkeres Gewicht haben als früher, muss auch dieser Prozess des Hinaus- oder Hineinwachsens aus der oder in die Communio der Kirche individuell betrachtet werden. „Eine neue Gegebenheit tritt jedoch deutlich hervor: Die schwere Sünde gegen die Einheit der Glaubensgemeinschaft ist ‚in foro externo‘ nur als Delikt des Schismas strafbar, wenn sie aus Vorsatz begangen wird und sich objektiv als eine schwer zurechenbare ‚externa violatio‘ äußert und wenn sie von einem Katholiken begangen wird.“97 Damit ist für die kirchenrechtliche Bedeutung als Häresie oder Schisma noch einmal nicht nur die subjektive Entscheidung, sondern auch die Kommunikation dieser Entscheidung nach außen wesentlich. Die Frage, die wir uns in unserem Fragezusammenhang zu stellen haben: Inwiefern ist der reine Beitritt zur Freimaurerei sowohl diese bewusste subjektive Entscheidung im Prozess einer gelebten Entfremdung von der katholischen Existenz als auch inwiefern macht der Neo-Freimaurer daraus eine Fahne, die er als Bekenntnis gegen den Glauben und die Kirche vor sich herträgt?

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L. Gerosa, Exkommunikation und freier Glaubensgehorsam. Theologische Erwägungen zur Grundlegung und Anwendbarkeit der kanonischen Sanktionen, Paderborn 1995, S. 330. 97 Ebd., S. 330.

VI. Praxisrelevanz In der theologischen Beurteilung wurden konkrete Gefahren für die christliche Existenz durch die Freimaurerei aufgezeigt, Tendenzen, die eventuell mit dem, was Katholiken glauben, in Konkurrenz treten können. Nunmehr ist es geboten, die theologische Analyse und Bilanz mit der kirchenrechtlichen Untersuchung in einen Zusammenhang bringen. Das heißt: Welche Schlüsse ergeben sich aus der Synthese dieser beiden Analysen für die Praxis? 1. Noch einmal: Gefahren der Freimaurerei? Im Vorigen wurden die Gefahren aufgezeigt, die es aus dem Bereich der Johannisfreimaurerei – und nichts anderes ist hier Thema – für das religiöse Verständnis des Einzelnen entstehen können. Es gilt dabei all das, was schon in der theologischen Aufarbeitung gesagt wurde. Der Autor dieser Arbeit möchte nicht so weit gehen, dass er sagte, Christentum und Freimaurerei seien gänzlich unvereinbar. Trotzdem ist auf mögliche Gefahren für das Glaubensleben des Einzelnen hinzuweisen, die durch die Tatsache gegeben sind, dass im Ritual eine umfassende Sinndeutung erfolgt, die religiösen und quasisakramentalen Charakter aufweist. Es gibt im Ritual sicher prägende Elemente, die es dem Einzelnen schwerer machen, zwischen dem religiösen Anspruch der Freimaurerei und dem des Christentums zu trennen. Es kann sogar sein, dass die Freimaurerei mit ihrem Menschen- und Weltbild bzw. ihren Ritual- und Symbolvorstellungen irgendwie in Konkurrenz zum Christentum tritt, indem manchmal der falsche Eindruck entstehen kann, dass die Freimaurerei eine umfassendere und weiter gefasste Religiosität anpeilt. Gerade wenn die Freimaurerei im Fokus die Toleranz hat und eine Religion, die „alle Menschen guten Willens“ verbindet, könnte man u. U. meinen, eine Religiosität ohne die Fixierung auf eine genaue Basis (Gott), ohne persönliche bzw. personale Beziehung, die eigentlich die wesentlichen Dinge im Unbestimmten lässt bzw. die Ausgestaltung derselben dem Einzelnen total überlässt, wäre ein Universal- oder gar Über-Religion. Im Mittelpunkt freimaurerischer Religiosität steht ganz eindeutig der Mensch: Und das nicht nur im Hinblick auf Humanität allein, sondern das kann dazu führen, dass die Fokussierung auf die Transzendenz verschoben wird auf die Immanenz des Menschen hin. Damit ist die Gefahr gegeben,

2. Einordnung von Zeittendenzen und die Verhältnismäßigkeit

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dass freimaurerische Humanität und Menschenbildung gesehen wird als eine Art Religion, in der der Mensch unter Umständen Gott ablöst. Es kommt möglicherweise zu einer Art ritueller Genügsamkeit, indem man das Ritual als „wahrhaft die Menschen aller Religionen und Konfessionen Verbindendes“ anderen religiösen Riten vorzieht oder mit der postulierten umfassenden Verwandlung des Menschen durch das Ritual das Auslangen findet. Man bleibt auf dem Boden „der Religion, in der alle Menschen übereinstimmen“ und schafft damit zwar nicht theoretisch, aber sehr wohl praktisch eine Art Gegenreligion, aber zumindest eine Konkurrenzsituation etwa zum Christentum. Die Gefahr ist gegeben, dass man bei der Vorläufigkeit des Rituals bleibt, auch wenn immer wieder von freimaurerischer Seite betont wird, dass es vordergründig im Ritual nicht um das Heil geht, und damit sich durch das freimaurerische Ritual einen Ersatz für die Sakramente erwartet. 2. Einordnung von Zeittendenzen und die Verhältnismäßigkeit Es geht in dieser Arbeit um Anfragen an die Freimaurerei im Kontext der katholischen Religion. Nicht aus den Augen dürfen wir aber hier lassen, dass ja auch Zeiterscheinungen, Tendenzen und Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts in Beziehung gesetzt werden müssen zu dem, was die Freimaurerei tut. Und damit geht es um die Frage der Verhältnismäßigkeit in der Beurteilung und in der Reaktion der Kirche, was die Freimaurerei im Vergleich mit anderen religiösen Trends in unserer Gesellschaft betrifft. Wenn man also einerseits die Gefahren der Freimaurerei durchaus kritisch betrachtet, dann muss man sich auch fragen, wie man mit anderen Gefahren durch Zeit- und Modeerscheinungen umgeht. Ist es fair, deswegen, weil die Freimaurerei eine lange Konfliktgeschichte mit der Kirche hat, sie weiterhin gemäß den Verurteilungen zu behandeln oder muss man im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit auch die Beurteilung und die Reaktion auf andere Tendenzen kritisch hinterfragen? Noch etwas muss angemerkt werden: Die Deutsche Bischofskonferenz hat 1980 in ihrem Urteil über die Freimaurerei auch Positives gesagt: Sie sieht die Begründung des Dialogs mit der Freimaurerei als Ausdruck des umfassenden Auftrags des Konzils und auch der Antrittsenzyklika Pauls VI. „Ecclesiam suam“ mit allen Gruppen der Gesellschaft. Die Deutsche Bischofskonferenz zur Basis dieses Dialogs mit der Freimaurerei: „Die von der Kirche zumal im Zweiten Vatikanum geforderte richtig verstandene Freiheit des Menschen im privaten, religiösen und öffentlichen Leben ergab eine Gesprächsbasis mit der Freimaurerei, sofern sie sich in ihrer humanitären Haltung für die menschliche Freiheit verpflichtet fühlt. Ähnliches ist

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VI. Praxisrelevanz

bezüglich des Eintretens für die Menschenrechte zu sagen.“1 Die Bischofskonferenz führt dann weiters die verschiedenen Berührungspunkte zwischen der Freimaurerei und der Kirche an: Die karitative Gesinnung und Tätigkeit, das Verständnis für Symbolik und Riten und den gemeinsamen Kampf gegen den Materialismus. Wenn auch in der Folge die Bischofskonferenz danach – wie schon hier ausführlich dargelegt – zur Haltung kommt, die gleichzeitige Zugehörigkeit zur Freimaurerei und zur Kirche sei nicht miteinander vereinbar, so ist dennoch beeindruckend, wie viel an gemeinsamer Basis zwischen beiden von der DBK geortet wird. Seit der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz hat sich unsere Gesellschaft sehr verändert. Der Materialismus hat sicherlich noch größere Formen angenommen und viele Menschen wenden sich von den traditionellen Religionen bzw. christlichen Kirchen ab. Trotzdem lokalisieren wir in unserer Gesellschaft ein Interesse an Religion bzw. Religiosität. Der religiöse Bereich in unserer Gesellschaft wurde vielfach zu einer Art Supermarkt, in dem man sich Elemente aussucht, sich bedient und sich vielfach seine eigene Religion zurechtzimmert. Mit Mettner lassen sich signifikante Tendenzen bzw. Interpretationslinien auf dem religiösen Markt festmachen. Zum einen sind es „Prozesse der Deund Entinstitutionalisierung der Religion: Die lebensprägende und führende Macht von institutionalisierter Religion (z. B. der etablierten Kirchen) schwächt sich deutlich ab.“2 Das bedeutet aber auch geringeren Einfluss von religiösen Institutionen, z. B. Kirchen, in der Öffentlichkeit und damit aber auch die lockere Bindung der Menschen an die von den jeweiligen religiösen Institutionen vertretenen Glaubensinhalte, religiöse und kultische Formen und sittlichen Ansichten. Hand in Hand damit geht zweitens die Individualisierung von Religion. „In Sachen Religion erscheint heute tendenziell ‚jede(r) ein Sonderfall‘ geworden zu sein (Dubach/Campiche 1993), ein ‚religiöser Komponist‘, der sich seine Religion/Religiosität individuell zusammenstellt. Das auf die institutionalisierte Religion konzentrierte Modell religiöser Erfahrung verliert seine Integrationskraft. Religion nimmt eine stärker subjektive, erlebnis- und erfahrungsbezogene Form an. Mit dem Trend zur Individualisierung des Religiösen korreliert eine Dynamisierung des Marktes von Weltdeutungen und Lebensstilen, Symbolen und Ritualen.“3 Eines ist 1 Deutsche Bischofskonferenz, Erklärung vom 12.5.1980 zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei, in: Pressedienst des Sekretariats der DBK, Dokumentation Nr. 10/80, abgedruckt in: AfKR 149 (1980), S. 166. 2 M. Mettner, Religion und Markt, Erlebnisgesellschaft und City-Religiösität, in: Religion zwischen Sinnsuche, Erlebnismarkt und Fundamentalismus. Zu Risken und Nebenwirkungen von ICF und anderen christlichen Trendgemeinschaften, hrsg. von S. Schaaf/M. Mettner, Zürich 2004, S. 7. 3 Ebd., S. 7.

2. Einordnung von Zeittendenzen und die Verhältnismäßigkeit

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aber gewiss: „Das Phänomen ‚Religion‘ besitzt heute . . . und in anderen modernen Gesellschaften keine klaren Konturen mehr. Diverse und gegensätzliche Trends bestimmen ihr Erscheinungsbild: bunte Beliebigkeit und bornierter Fundamentalismus, ‚Patchwork-Religiosität‘ und Sondergemeinschaften mit sektiererischer Vereinnahmung, Erlebnismarkt und Kommerz, säuerlicher Moralismus und politisch reaktionäre Botschaften.“4 Dieser Markt der Sinnstiftung, der Verankerung und (auch überweltlichen) Beruhigung geht dabei oft über den „angestammten“ religiösen Bereich hinaus, indem Psychokulte, Selbsterfahrungsmechanismen sowie alles, was mit Esoterik zu tun hat, hier ebenfalls Platz findet. Denn „der Bedarf an Ich-Vergewisserung und Selbst-Verortung, Identität und Sinn, Motivation und Orientierung ist gewaltig.“5 Bei all diesem Bedarf gibt es nicht nur einen Supermarkt, in dem scheinbar problemlos eine Durchmischung von Religionen erfolgt und eine Auswahlreligiosität herrscht, sondern der Esoterikboom beschert die Beschäftigung mit unterschiedlichen okkulten Phänomen, von der Kristalltherapie über Geistheilung, Seancen, Tarot-Kartenlegen oder Gläserrücken. Auch der von der Religion oft schon losgelöste Engel-Kult und Formen, die sich zwar an einzelne Religionen anlehnen, diese aber letztlich dann konterkarieren wie etwa die Überbetonung von Dämonen und Gegengottheiten, passen in das inzwischen sehr unübersichtliche Bild der modernen Auswahl-Religiosität. So verkommt im esoterisch-religiösen Kontext dieses riesigen Marktangebots Sinnsuche und der Wunsch nach Rückbindung an etwas Höheres oft nur mehr zur Technik, mit der man etwa pendelt, Zukunft voraussagt, heilt oder vieles andere tut. Interessant dabei ist die Loslösung solcher esoterischer Mittel vom okkulten Weltbild: Es scheint oft auch für Menschen, die sich explizit zum katholischen Glauben bekennen, kein Widerspruch zu sein, sich gleichzeitig mit solchen Praktiken zu beschäftigen. Umgekehrt gibt es natürlich auch die Möglichkeit – gerade bei einer sektiererischen, fundamentalistischen Ausrichtung mancher katholischer oder evanglischer Christen, dass sekundäre Wahrheiten überbetont werden, sodass dann ebenfalls der Blick auf den Wesenskern der Religion verstellt wird. Noch einmal: Viele dieser Techniken werden als Unterstützung für die eigene Persönlichkeit, aber auch für die eigene Religiosität gesehen und somit integriert in das individuelle religiöse Bezugssystem. Daneben gibt es auch soziale Bindungen, etwa in Gruppen von Menschen, die ausgerichtet sind auf ein gemeinsames spirituelles Ziel, die aber trotzdem ihr je eigenes religiöses Bezugssystem bewahren, auch wenn die Tätigkeit in einer sol4 5

Ebd., S. 8. Ebd., S. 8.

348

VI. Praxisrelevanz

chen Gruppe auch wieder Rückwirkungen auf die religiöse Welt des Individuums hat. Wenn wir nach dieser Analyse der Veränderungen im religösen Kontext mit dem Aufkommen und der Integration von diversen Techniken in das religiöse Bezugssystem vieler Menschen nunmehr Schlüsse im Hinblick auf die Freimaurerei ziehen, heißt das: „Der Christ könnte aber auch die Freimaurerei als berechtigte Ergänzung dessen ansehen, ‚was man in Richtung auf seelische Heimat, Gruppenzugehörigkeit, ethische Vervollkommnung, Selbsterziehungstechniken usw. von der Kirche erhoffte, aber nicht erhielt und erhält‘6. Dann sei die Freimaurerei durchaus keine Ersatzreligion; sie ist vielmehr ein nützliches ‚Exerzitium‘, wie ein Christ sich auch mit Zen, Yoga, Ikebana usw. beschäftigen mag, und diese Dinge ihn nicht vom Christentum abbringen, das Christentum auch nicht ersetzen, es vielmehr befruchten können.“7 Und so wie eben auch andere Bausteine einer Auswahlreligion bzw. von esoterischen Elementen, die individuelle spirituelle Vertiefung anzielen, so könnte es sich von den Auswirkungen her auch mit der Freimaurerei verhalten: Einerseits kann sie u. U. das Glaubensleben verstellen und bedrohen, andererseits befruchten. 3. Kirchenrechtliches Fazit Das Problem in der kirchenrechtlichen Beurteilung ist nun, dass zwar die Freimaurerei nicht mehr im CIC/1983 erwähnt wird, dass aber gleichzeitig die „Declaratio associationibus massonicis“ der Sc. Fid. gilt. Diese „stellt klar, dass freimaurerische Vereinigungen prinzipiell zu den in c. 1374 genannten kirchenfeindlichen Vereinigungen zu rechnen sind, trifft jedoch über die strafrechtliche Seite der Mitgliedschaft keine Aussage.“8 Wenn auch immer wieder versucht wird, das Freimaurerverbot, das von der Glaubenskongregation hier formuliert wurde, kirchenrechtlich anzubinden, so sind solche Versuche eher zum Scheitern verurteilt. Das hängt einerseits mit dem vollkommen unklaren rechtlichen Charakter der „Declaratio“ zusammen, aber auch mit der Frage, mit welchem Kanon des CIC der Bezug zum Freimaurerverbot gegeben sein soll. Die beiden in Frage kommenden Canones sind dabei c. 1374 und c. 1364. Gerade in Be6 In diesem Zitat von Sebott (wird unten angeführt) bezieht sich dieser selber auf ein Zitat von H. Vorgrimler aus: R. Appel/H. Vorgrimler, Kirche und Freimaurerei im Dialog, Frankfurt 1975, S. 71. 7 R. Sebott, Die Freimaurer und die Deutsche Bischofskonferenz, in: Stimmen der Zeit 199 (1981), S. 84. 8 W. Rees, § 107 Die einzelnen Straftaten, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, S. 1142 f.

3. Kirchenrechtliches Fazit

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zug auf c. 1374, bei dem es um die Förderung von Vereinigungen geht, die Machinationen gegen die Kirche unternehmen, wurde aber schon vor Inkrafttreten des CIC/1983 und damit auch vor der Erlassung der Declaratio eine gewisse Entschärfung im Hinblick auf die Freimaurerei vorgenommen, als gerade auch durch die Glaubenskongregation und danach interpretativ durch Kanonisten festlgegestellt wurde, dass es sehr wohl Unterschiede innerhalb der Freimaurerei in deren Haltung gegenüber der katholischen Kirche geben mag, was zur Annahme führt, dass nur eine solche Freimaurerei gemäß dem damaligen c. 2335 zu bestrafen wäre, die wirklich gegen die Kirche agitiert. Wenn es aber zu Zeiten des CIC/1917 zwei Kategorien von Freimaurern gegeben hat, dann liegt der „Verdacht“ nahe, dass dies auch zu Zeiten eines CIC/1983 gilt, wo ja auch die Freimaurerei nicht mehr expressis verbis erwähnt wird. Eine ähnliche Schwierigkeit der Bezugnahme auf eine Bestrafung der Freimaurer ergibt sicher aber auch im Hinblick auf c. 1364. Die entscheidende Frage ist hiebei, ob die Zugehörigkeit zur Freimaurerei tatsächlich die christliche Existenz eines Menschen so total in Frage stellen bzw. ob die Wirkung im forum externum in einer Zeit, da wir doch recht locker mit der Frage nach Bekenntnissen und Zugehörigkeiten zu verschiedenen Vereinigungen umgehen, gerade das Bekenntnis zur Freimaurerei dazu angetan ist, solch ein Ärgnernis gegenüber dem Glauben und solche eine Demonstration gegenüber der Kirche zu vollführen, wie es notwendig wäre, damit c. 1364 greift. Zudem besteht ja wirklich die ernstliche Frage an jeden Freimaurer, der sich gleichzeitig auch als Katholik versteht, ob er nicht versucht, diese beiden Zugehörigkeiten für sich entsprechend seinem Gewissen positiv miteinander zu verbinden. Damit erhebt sich in den meisten dieser Fälle aber auch die Frage nach einer vorsätzlichen bzw. bewussten Entscheidung gegen den Glauben oder die Kirche. Ist allein die Erklärung der Glaubenskongregation dazu angetan, dass man von vornherein davon ausgehen muss, dass ein Katholik der gleichzeitig Freimaurer sein will, sich gegen den Glauben und die Kirche entscheidet? Wir haben schon gesehen, dass ja die Declaratio der Glaubenskongregation einen wesentlichen Mangel aufweist, indem zwar von Sünde und einem Hindernis des Empfangs der Eucharistie gesprochen wird, dass aber gerade die subjektive, individuelle Betrachtungsweise, die zur Qualifizierung der Sünde notwendig ist, hier total ausgeblendet wird. Das führt zu einer grundsätzlichen Anfrage an den Charakter der „Declaratio associationibus massonicis“. Wir haben in unserer Analyse – auch im Einklang mit anderen festgestellt, dass die Erklärung weder einen Interpretationscharakter noch einen Gesetzescharakter wirklich haben kann. Damit wird zwar ein diffuses Verbot verhängt, das aber nicht so sehr auf der rechtlichen als mehr auf der moralischen Seite zu finden ist. Das bedeutet aber nichts an-

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VI. Praxisrelevanz

deres, als dass es als Kriterium der Gewissensbildung irgendwie mit einzubeziehen ist, dass aber trotzdem der Katholik zu einem anderen Urteil nach ausführlicher Prüfung in Verantwortung kommen kann. 4. Die pastorale Seite Wie sieht nun der Alltag in der Pastoral aus? Ist die Frage der gleichzeitigen Zugehörigkeit zur Freimaurerei und zur Kirche überhaupt im seelsorglichen Alltag relevant oder ist diese Frage nur ein Scheingefecht, das akademisch geführt wird, in Wirklichkeit aber überhaupt kein Problem darstellt? Weiters wird noch zu klären sein, wie heute gerade in der Pastoral mit diesem Auseinandertreten von Gefahren und Verbot durch die Sc. Fid. einerseits und einem breiten Bewusstsein sowohl in der Gesellschaft als auch bei den Katholiken, dass Freimauerei heute etwas grundsätzlich Ungefährliches und nicht Bedrohliches für das Glaubensleben ist, andererseits, umgegangen wird. Stellt es also für Menschen des 21. Jahrhunderts jenseits aller Theorie im Alltag ein Problem dar, Freimaurerei und das katholische Christsein gemeinsam zu leben? a) Praxisbezogene Antworten des Vatikans im 21. Jahrhundert Praktische Antworten des Vatikans im Rahmen des konkreten Umgangs mit Menschen, die dieses Thema betrifft, aber auch von der Seite der offiziellen österreichischen Freimaurerei, in einem Interview mit dem Großmeister der Großloge von Österreich, sollen helfen, einige aktuelle Aspekte dieses Themas schlaglichtartig zu beleuchten. Zunächst sei eine Umfrage des Vatikans, genauer des Päpstlichen Rates für Kultur von 2003 unter den Bischöfen mit Hilfe eines Fragebogens genannt. Im erklärenden Begleitwort dazu heißt es, der Päpstliche Rat für Kultur wolle erneut seine Aufmerksamkeit auf „das Phänomen des Unglaubens und der religiösen Gleichgültigkeit richten“9. Dabei bestimmt er nun näher die Bandbreite seiner Untersuchung: „Der Rat will daher die tatsächliche Tragweite des Unglaubens, seine Formen und seine Auswirkungen auf die Gläubigen selbst untersuchen. Genauer unter die Lupe nehmen will er auch die so genannten ‚neuen religiösen Bewegungen‘ oder ‚alternativen Religionen‘, die eine Art Niemandsland zwischen Glauben und Unglauben darstellen.“10 Unter diesen Paradigmen lautet dann eine Frage im Fragebogen unter der Rubrik „Die 9

Päpstlicher Rat für die Kultur auf der Homepage des Vatikans: http://www. vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/cultr/documents/rc_pc_cultr_doc_200301 30_questionnaire-on-unbelief_ge.html, eingesehen am 27.11.2010. 10 Ebd.

4. Die pastorale Seite

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Herausforderungen der alternativen Religionen“: „Ist die Freimaurerei in Ihrer Region wirksam tätig? Gibt es irgendeine Form der Beziehung oder des Dialogs mit den Freimaurern?“11 Allerdings werden im Schlussdokument bei der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für Kultur die Freimaurer nicht ausdrücklich erwähnt.12 Allerdings sprechen allein die Überschriften Bände, wenn folgende Bereiche unter dem Kapitel „Neue Religiosität“ erläutert werden: „Ein gesichtsloser Gott“, „Die Religion des Selbst“, „Quid est Veritas“ (in Anlehnung an die Stellungnahme des Pontius Pilatus und ein Synonym für die Unentschiedenheit und hemmungslose Akzeptanz von allem), „Außerhalb der Geschichte“, „Neue Kontraste“. So heißt es in der Beschreibung der neuen Religiosität etwa und damit dürfte in hohem Maße auch die Freimaurerei angezielt sein: „Es ist eine romantische Form von Religion, eine Religion des Geistes und des Selbst, die ihre Wurzeln in der Krisis des Subjekts hat, das mehr und mehr narzisstisch bleibt und alle historischen und objektiven Elemente ablehnt. Somit ist das eine stark subjektive Religion, beinahe ein exklusives Reservat des Geistes, in das man flüchten und in einer ästhetische Art und Weise die Dinge erforschen kann, wobei hier das Individuum keine Verpflichtung hat, über seine Gründe und sein Verhalten Rechenschaft abzulegen.“13 Auch in Bezug auf die Gottesvorstellung mit der Überschrift „Ein gesichtsloser Gott“ können Anklänge an den Allmächtigen Baumeister Aller Welten der Freimaurer vermutet werden, wenn es heißt: „Die neue Religiosität hält fest an einem Gott, der oft weder ein Gesicht noch persönliche Charakteristiken hat. Über Gott befragt, betonen sowohl Glaubende als auch Ungläubige, dass sie an die Existenz einer Macht oder an ein höheres transzendentes Wesen glauben, das aber keine persönliche Attribute hat, noch weniger glauben sie damit an einen Vater.“14 Ausdrücklich geht dieses Dokument auch auf den Pantheismus ein; den Pantheismusvorwurf hat man ja auch immer wieder speziell auf die Freimaurerei bezogen: „In wissenschaftlichen Zirkeln macht der alte, atheistische Materialismus den Weg frei für die Rückkehr des Pantheismus, der das Universum selbst vergöttlicht.“15 Im März 2007, so berichtet Kottmann16, schreitet die Apostolische Pönitentierarie ein, weil ein Paulinerpater offensichtlich persönlich kein Problem 11

Ebd. Päpstlicher Rat für die Kultur. Vollversammlung (11.-13. März 2004). Der christliche Glaube am Beginn des neuen Jahrtausends vor der Herausforderung des Unglaubens und der religiösen Indifferenz. Unter: http://www.vatican.va/roman_cu ria/pontifical_councils/cultr/documents/rc_pc_cultr_doc_20040313_where-is-yourgod_en.html, eingesehen am 27.11.2010. 13 Ebd., Übersetzung durch den Verfasser. 14 Ebd. 15 Ebd. 12

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damit hatte, Freimaurerei und sein religiöses Bekenntnis miteinander in Einklang zu bringen. Bischof Gianfraco Girotti, Regent dieses Gerichtshofes, nimmt im Rahmen einer Tagung zum Thema „Freimaurerei“ zur Frage der öffentlich erklärten Mitgliedschaft von Geistlichen Stellung: „Die Haltung zu diesem Thema ist unverändert.“17 Die katholische Nachrichtenagentur legt weiters über diesen Sachverhalt Folgendes dar: „In ihren Selbstdarstellungen betonen Freimaurer wie etwa die ‚Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland‘ stets, dass sie der Völker verbindenden Idee der Freimaurerei verpflichtet seien: ‚Die geistige und humanitäre Wirkung und Ausstrahlung der Freimaurerei, unabhängig von Ländern, Grenzen und Sprachen, ist geprägt durch die christlich-humanitäre Aufgabe.‘ Bischof Girotti unterstrich nun seinerseits, dass Freimaurerei niemals mit dem katholischen Glauben vereinbar gewesen sei.“18 Eine weitere, mehr pastoral ausgerichtete Antwort gibt hierzu Radio Vatikan unter der Rubrik „Frag den Pfarrer“. Darin wird dargestellt, dass sich Freimaurerei und Christentum in ihrem Wesen zu unterscheiden, und es wird gesagt: „Es geht also nicht darum, dass die Kirche das verbietet, sondern man kann nicht gleichzeitig ja und nein sagen.“19 Damit wird also Bezug genommen auf die Wesensunterschiede zwischen den beiden Vereinigungen bzw. Weltanschauungen. Gerade die vielen Freimaurer, die gleichzeitig für sich in Anspruch nehmen, auch katholische Christen zu sein, prägen aber ein anderes Bild. b) Praktische Antworten des 21. Jahrhunderts vom Großmeister Es soll aber auch der Status quo von der anderen Seite her beleuchtet werden. Dazu konnte ich den Großmeister der österreichischen Freimaurer, Herrn Dr. Nikolaus Schwärzler im Rahmen eines Interviews in der Kanzlei der Großloge in Wien in der Rauhensteingasse 3 befragen. Das komplette Gespräch ist im Anhang zu finden, hier sollen nur ein paar Leitlinien nachgezeichnet werden. Schwärzler sieht absolut keine Probleme in Bezug auf die Vereinbarkeit beider Standpunkte und lokalisiert eventuelle Unvereinbarkeiten lediglich für ultrakonservativ-katholische Gruppen als persönliches Problem. Bemerkenswert ist dabei, dass derselbe Großmeister ja auch 16

K. Kottmann, Die katholische Kirche und die Freimaurerei, S. 19. www.kath.net/detail.php?id16154, eingesehen am 27. November 2010. 18 Ebd. 19 E. von Gemmingen, Frag den Pfarrer. Freimaurer. Radio Vatikan, die Stimme des Papstes und der Weltkirche. www.vaticanradio.org/tedesco/domande_e_risposte. htm, eingesehen am 30. Juli 2008. 17

4. Die pastorale Seite

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das Lehramt für Religion im Rahmen des theologischen Fernkurses der Erzdiözese Wien gemacht hat und gleichzeitig Rechtswissenschafler ist. Er hatte selbst zu Zeiten der Gültigkeit des CIC/1917 keine Probleme mit der Vereinbarkeit zwischen Katholizismus und Freimaurerei. Seine Sichtweise ist dabei eine sehr pragmatische, ein Problembewusstsein in Bezug auf die Theorie ist dabei eher nicht vorhanden. In diesem Interview wurden jene „wunden Punkte“, die im Laufe dieser Arbeit aufgezeigt wurden, vom Großmeister kaum angesprochen bzw. entkräftet. Interessant ist die pastorale Situation insofern, als es in Österreich offensichtlich keine dem Großmeister bekannten kirchlichen Verfahren für bekennende Freimaurer gibt. Die Auseinandersetzung zwischen Freimaurerei und Katholizismus spielt sich also eher auf der Ebene des Alltags und der praktisch-alltäglichen Begegnungen ab, die theoretische Auseinandersetzung wird eher nicht mehr gepflegt. Und es ist keine Auseinandersetzung im Sinne einer Konfrontation, sondern einer friedlichen Koexistenz, bei der die persönliche Begegnung und weniger Ideologien oder Werthaltungen eine ausdrückliche Rolle spielen. Davon unbeschadet sind natürlich implizite Werthaltungen, die natürlich jederzeit im Alltag einfließen können. Und dabei geht es meist nicht um die Firmenschilder „freimaurerisches Gedankengut“ oder „christliche Haltungen“, sondern sehr oft sind solche Haltungen nicht exakt lokalisierbar, sondern man sieht eine solche oft einfach nur als „human“ an. Mit dem Status quo, dem Ruhezustand zwischen den beiden Bereichen, so der Großmeister der österreichischen Großloge, scheint man auf beiden Seiten zufrieden zu sein. c) Pastorales Resümee Der Verfasser dieser Arbeit hat im Laufe der Recherchen zur Freimaurerei aber auch unter anderem mit einem ungenannten Wiener Freimaurer gesprochen, der meinte, es sei ganz und gar verwunderlich, dass gerade unter Papst Benedikt XVI. jetzt so ein Tauwetter zwischen der Freimaurerei und den Katholiken herrsche. Damit wird vor allem auf praktischer Ebene dieses Tauwetter lokalisiert, man hat im Alltag offensichtlich das Gefühl einer friedlichen Koexistenz. Dadurch ergibt sich auch hier eine scheinbare Diastase zwischen Praxis und Theorie, wenn es etwa nach Harald Schrefler geht, der im Buch „Der Papst und die Freimaurer“ speziell mit Papst Benedikt und seiner Haltung gegenüber den Freimaurern abrechnet. Natürlich muss man einerseits ausgehen von der Rolle, die Benedikt XVI. als Kardinal Ratzinger und Präfekt der Glaubenskongregation spielte, indem er die Erklärung der Kongregation gegen die Mitgliedschaft bei den Freimaurern am Vorabend der Promulgation des CIC/1983 herausbrachte bzw. auch möglicherweise initiierte. Wenn Schrefler scheinbar „nur“ die Haltung von

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VI. Praxisrelevanz

Papst Benedikt XVI. fokussiert, dann werden hier auch fundamentale Gegensätze zwischen der Freimaurerei und dem Christentum angesprochen. So nimmt er Bezug auf die Rede Benedikts in Paris zur Frage der Neuinterpretation der Trennung von Kirche und Staat im Jahr 2008, in der dieser über den christlichen Gott sagte: „Er, der eine, der wirkliche und einzige Gott ist auch Schöpfer. . . . Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich selbst zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden . . . Ein nur gedachter und erdachter Gott ist kein Gott.“20 Dazu zeigt Schrefler aus freimaurerischer Perspektive auf: „Wenngleich die Worte Logos, Demut und Vernunft ähnliches Gedankengut wie die Freimaurerei aufzeigen, ist der Schluss Benedikts, nur die Suche nach Gott sei die Grundlage der europäischen Kultur nicht mit dem freimaurerischen Toleranzgedanken kompatibel.“21 Schrefler zitiert noch einmal aus der schon angesprochenen Rede des Papstes in Paris: „Eine bloß positivistische Kultur, die die Frage nach Gott als unwissenschaftlich ins Subjektive abdrängen würde, wäre die Kapitulation der Vernunft, der Verzicht auf ihre höchsten Möglichkeiten und damit der Absturz der Humanität, dessen Folgen nur schwerwiegend sein könnten. Das, was die Kultur Europas gegründet hat, die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm zuzuhören, bleibt auch Grundlage wahrer Kultur.“22 Offensichtlich ist es gerade die Kritik am Abdrängen von Gott in die Richtung der Subjektivität, die hier für Schrefler zum Ärgernis wird und die den Freimaurern insgesamt möglicherweise einen Spiegel des eigenen Zugangs zur Gottesfrage vorhält. Der österreichische Großmeister ist in Bezug auf die Haltung der Kirche gegenüber der Freimaurerei der Meinung: „Es mag Brüder geben, denen es angenehm und wertvoll wäre, wenn, da sie sich auch sehr religiös sehen, ihre kirchliche Autorität sagen würde: ‚Bellum finitum est, wir haben kein Problem miteinander.‘ Die Brüder kann ich verstehen, aber es ist eher eine Minderheit, die hier vielleicht auch aus einem Unverständnis heraus eine solche Erklärung erwartet. Denn für mich ist es überhaupt keine Diskussion, worüber sollten wir denn streiten? Wir haben keinen Angriffspunkt gegenseitig!“23 Trotz dieser Meinung des Großmeisters habe ich im Laufe meiner 20 Benedikt XVI., Kultur Europas gründet auf der Suche nach Gott, http:// www.kathpress.at/content/site/infodata/database/20990.html, eingesehen am 16. Dezember 2010. Leider konnte dieser Link nicht aufgerufen werden. Ich beziehe mich deshalb mit dieser Angabe auch auf Schrefler, der darauf Bezug nimmt. 21 H. Schrefler, Der Papst und die Freimaurer. Ein wissenschaftlicher Diskurs, Innsbruck 2010, S. 215. 22 H. Schrefler, Der Papst und die Freimaurer, S. 215. Auchnhier wird Bezug genommen auf den Internet-Link aus der Kathpress-Seite, die nicht verifizierbar war. Es muss daher der bezug zur Zitation durch Schrefler genügen.

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Recherchen durchaus das Phänomen angetroffen, dass Freimaurer sich um die Religion und um die Anerkennung durch die katholische Kirche persönlich sehr bemühen. So gibt es viele, die versuchen, ein ethisch hochstehendes Leben zu führen, indem sie persönlich ihre Freimaurerei durchaus mit ihrem christlichen Glauben in Einklang zu bringen vermeinen, und die vor den Kopf gestoßen werden, wenn gleichzeitig immer wieder betont wird, dass ihr Handeln nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar wäre. Nach der theologischen Untersuchung der Rituale der Freimaurerei in dieser Arbeit drängt sich für den Verfasser aber auch eine persönliche Frage auf: Habe ich es als gläubiger Christ notwendig, die Rituale und Symbole der Johannismaurerei für meine Selbsterziehung wirken zu lassen? Sichere ich mich damit nicht eher gegen Gott in meiner Autonomie ab und komme ich nicht eher vom Glauben weg als zu einer Beziehungsmitte mit ihm? Ist mit diesen Ritualen nicht ein gewisser Glaubensersatz gegeben? Trotzdem muss umgekehrt aber auch eine andere Frage zugelassen werden: Könnte nicht die Freimaurerei unter Umständen eine Art Weg sein zur Vertiefung des Glaubens bzw. zum religiösen Wachstum des Menschen, wie er auch im II. Vatikanischen Konzil angesprochen ist? So heißt es: „So sind auch die übrigen in der ganzen Welt verbreiteten Religionen bemüht, der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen, indem sie Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie heilige Riten. . . . Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“ (Nostrae aetate 2) Im Laufe der Arbeit wurde vom Verfasser dieser Arbeit das ernsthafte Bemühen vieler Freimaurer um Wahrheit, Toleranz und eine tadellose, moralische Lebensführung registriert. Es sind zumeist honorige Männer, die sich ehrlich bemühen, diesen Spagat zwischen dem Ritual und Religion zu schaffen. Es ist deshalb ein Drahtseilakt, weil die Freimaurerei, nach Ansicht des Verfassers dieser Arbeit, das Christ-Sein eher erschwert als es zu erleichtern. Trotzdem ergeben sich wesentliche Fragen für die Pastoral: Kann man ausgehend von dieser Arbeit ein generelles Urteil über die einzelnen Freimaurer bzw. über ihren religiösen Glauben fällen? Festzuhalten ist, dass sowohl Freimaurerei als auch das Christentum den Fokus auf das sittliche Handeln und auf eine gute Lebensführung richten. Hier gibt es, das konzediert auch die Deutsche Bischofskonferenz, durchaus 23 Siehe das Interview mit dem Großmeister der österreichischen Großloge im Anhang.

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gemeinsame Anliegen: Etwa im Bereich des Humanitären, der Wohltätigkeit und des Kampfes gegen den Materialismus. In diesem Bereich haben Freimaurer und Christen eine gute gemeinsame Basis, wie das auch der Großmeister betont, der im Interview sogar davon spricht, dass „die Kirche froh ist“ bzw. sein sollte, wenn es Männer wie die Freimaurer gibt. Und offensichtlich kämpft die Freimaurerei heutzutage ebenfalls auf vielen Fronten der Moderne: Das beginnt bei einer gewissen Lauheit, die u. U. in bestimmten Weltgegenden und Freimaurerbereichen ebenfalls konstatiert werden kann: „Die meisten Mitglieder sitzen überall in der Welt zu Hause, zufrieden mit dem Lauf der Dinge und an keiner Veränderung interessiert, nicht motiviert genug, um ein Treffen zu besuchen.“24 Denn oftmals gibt es auch in der Freimaurerei dieses Auseinandertreten zwischen dem Anspruch und der tatsächlichen Umsetzung: „Wie wir in diesem Buch sehen (siehe zitiertes Werk – Anmerkung des Verfassers), ist die Freimaurerei eine symbolische Mysterientradition mit einigen lebenswichtigen Lektionen, die in unserer heutigen, feindlichen Welt wichtiger sind als je zuvor. Offenbar klafft eine Schlucht zwischen dem Inhalt und seinem Erleben.“25 Auch wenn die Freimaurerei ein Umweg sein sollte, um zu einem vertieften Christentum zu gelangen, kann – trotz aller hier aufgezeigten Gefahren – ein negatives Urteil nicht generell gesprochen werden. Es muss gerade in diesem Bereich sehr stark differenziert werden und es muss die Auseinandersetzung mit dem einzelnen Freimaurer über den Grund seines Glaubens und über den Einfluss der freimaurerischen Welt auf diesen gesucht werden, um auch (pastoral) beurteilen zu können, ob die Freimaurerei mitunter nur einen Umweg oder gar einen Irrweg darstellt. Dabei wird nicht nur das Rationale eine Rolle spielen, sondern immer auch die Frage, wie man hinter einer Sache steht und wie sich die freimaurerische Lebensorientierung letztlich auf die jeweilige religiöse Praxis auswirkt.

24 T. Dedopulos, Die Welt der Freimaurer. Die geheime Brunderschaft, Wien 2006, S. 121. 25 Ebd., S. 121.

Anhang: Interview mit dem Großmeister Fragen an den Großmeister der Großloge Österreichs Dr. Nikolaus Schwärzler am 29. November 2010 in der Kanzlei der Großloge in der Rauhensteingasse 3, 1010 Wien: Gibt es eine besondere Positionierung der Freimaurerei in Österreich etwa im Gegensatz zur FM in anderen umliegenden Staaten? Was ist das Besondere in Österreich? Nun, die Freimaurerei in Mitteleuropa ist, vor allem in den Ländern der deutschen Zunge sehr, sehr ähnlich. Ich würde die Freimaurerei in Österreich als eine vor allem eine auf das Humanitäre ausgerichtete Freimaurerei sehen. In den wesentlichen Momenten unterscheiden sich auch die anderen Freimaurereien, also weitergehend Italien, Ungarn und Slowenien nicht wesentlich von unserer eigenen. Wie würden Sie das offizielle Verhältnis der Johannismaurerei zur römischkatholischen Weltkirche charakterisieren? Weltfreimaurerei und Weltkirche würden sich allenfalls betrachtungsmäßig gegenüberstehen. Dazu ist schlicht zu sagen, dass nachdem die Kirche doch eine ziemlich einheitliche ist – rund um den Erdball, ohne größere Unterschiede, dass schlicht und einfach die Frage ist Johannesfreimaurerei und Kirche, nicht Weltkirche, denn die Johannesmaurerei ist weltweit dasselbe und die Kirche ebenfalls. Welche Konfliktpunkte gibt es in diesem Verhältnis? Was ist daran Ihrer Meinung nach gerechtfertigt, was nicht? Die Konfliktpunkte, die es in dem Verhältnis gibt, nun ich sehe eigentlich keine Konfliktpunkte, sieht man davon ab, dass für mich ein Konflikt darin besteht, dass die Kirche, wie ich meine, sehr unüberlegterweise die Freimaurerei durch hinreichend bekannte Dokumente verdammt hat und sie Qualitäten zugeschoben erhielt wie Kirche Satans, die einfach lächerlich sind. Wie ist das praktische Verhältnis zwischen Freimaurerei und Kirche hier in Österreich? Gibt es gemeinsame Konflikt- bzw. Berührungspunkte? In Österreich muss man zunächst einmal die katholische Kirche in ihrem Spektrum betrachten, das Spektrum von 360 Grad eines Kreises ist in ei-

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Anhang: Interview mit dem Großmeister

nem mir nicht völlig klaren Verhältnis aufzuteilen in erzkonservativ, konservativ und einer der Mehrheit ausmachenden allgemein fortschrittlichen Kirche nach II. Vatikanischen Konzil. Ich sehe Konflikt- und Berührungspunkte nur in ultrakonservativen Bereichen, wie etwa in der Zeitschrift „Der 13.“ oder „Treu im Glauben“, von einem Tiroler Franziskaner herausgegeben und vielleicht noch ähnliche, die ich nicht kenne. Diese ultrakonservativen Gruppen können freilich mit einem etwas lockereren Denken nichts anfangen und für sie ist die Freimaurerei nach wie vor ein Feindbild, wobei ich allerdings nicht erkennen kann, ob diese Gruppen überhaupt verstehen, was Freimaurerei ist. In der Vergangenheit hat es vor allem von Österreich ausgehend – vornehmlich durch die Bemühungen Bareschs aber auch Kardinal Königs – immer wieder Anstöße zu einem Dialog gegeben. Gibt es diesen Dialog auf offizieller Ebene mit der Kirche Österreichs? Wo, in welchen Kreisen, spüren die Freimaurer in Österreich Gegenwind? Welche gesellschaftlichen Gruppen in Österreich sind Gegner der Freimaurerei, wie gestaltet sich diese Gegnerschaft und welche Gründe sind dafür ausschlaggebend? Wir haben keine offiziellen Plattformen, auf denen sich solche Gespräche abspielen, mein Amtsvorgänger, Michael Kraus, hat mit dem Herrn Henckell-Donnersmarck, er ist Abt im Stift Heiligenkreuz, Gespräche geführt, die auch übertragen worden sind in den Medien. Auf meiner Seite ist es so, dass im Konzerthaus in Wien vor gut einem Jahr ein Gespräch stattgefunden hat mit dem Dompfarrer Faber von St. Stephan. Ich würde so sagen: Die Begegnungen von Freimaurern mit Vertretern einigen Ranges der katholischen Kirche sind konfliktfrei. Es ist eine sehr verständnisvolle und wertschätzende gegenseitige Begegnung. Ich kann nicht erkennen, dass – sieht man ab von diesen ultrakonservativen Gruppen – ein Gegenwind vonseiten der Kirche gegen Freimaurerei bestehen würde. Wir haben vor einiger Zeit eine Verabschiedung von einem Freimaurer in Oberösterreich gemacht und wir haben gesehen, wie sehr die Bevölkerung diese ganz bescheidene Art der Verabschiedung der Freimaurer von einem ihrer Mitglieder geschätzt hat und diese sogar als schön empfunden hat. Also ich sehe kein Konfliktpotential, wenn man nicht in Zeiten zurückfallen will, für die sich heute die katholische Kirche nicht mehr rühmen möchte. Orten Sie irgendwelche pastoralen Probleme der Freimaurer innerhalb der Kirche? Gibt es offizielle Anklagen vor der Kirche bzw. hat es in letzter Zeit Verfahren gegeben, die sich mit der Mitgliedschaft eines Katholiken in einer Freimaurerloge befassten? Mir sind keine Verfahren irgendeiner Kirchen-Jurisdiktionsebene gegen Freimaurer bekannt, ich kenne auch kein pastorales Problem. Wir haben

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Mitglieder, die selbstverständlich Katholiken sind, wir haben Mitglieder, die Juden sind, wir haben Mitglieder, die Muslime sind. Wir haben solche, die Protestanten sind, Orthodoxe, das ist für uns alles wahrlich kein Problem, denn letztlich kann man davon ausgehen, dass, wer an einen Gott glaubt, nur ein und denselben vor Augen haben kann. Man würde in einen Partikluarismus verfallen, wenn man Gott in mehrere Götter aufspalten würde. Das ist nicht der Fall. Gibt es lokale Unterschiede in Bezug auf die Freiheit des Bekenntnisses zur Freimaurerei innerhalb Österreichs, d.h. ist es in Wien oder einer Landeshauptstadt gleich schwierig, gleich leicht, sich offiziell zur Freimaurerei zu bekennen und inwieweit spielt dabei die Kirche noch eine Rolle in der Entscheidung, sich als FM zu deklarieren? Mir sind solche Unterschiede nicht bekannt. Wer sich als Freimaurer bekennt und persönlich Achtung und Wertschätzung genießt in der Gesellschaft, tut sich da und dort nicht schwer, sich als Freimaurer zu outen. Es mag sein, dass es Bereiche gibt, in denen die Kirche lieber keinen Freimaurer sehen würde in ihrer Nähe, aber das ist so eine vernachlässigbare Größe, dass sie keine wirkliche Rolle spielen dürfte. Was wird den Freimaurern vonseiten der Kirche vorgeworfen, wo sehen Sie ernsthafte inhaltliche Differenzen, die nicht zu überspringen sind? Ich bin mit zahlreichen Priestern von Bregenz bis eben zum Dompfarrer Faber in Wien im Gespräch und ich kann überhaupt keine Differenzen erkennen, weil auch kein Bemühen besteht, inhaltliche Differenzen zu konstruieren. Die Freimaurerei, das füge ich jetzt ein, ohne dass die Frage so gestellt ist, beschäftigt sich mit dem Weltbild unterhalb ganz konkreter Religionsansätze. Die Freimaurerei geht davon aus, dass es etwas über dem Menschen gibt. Wie immer dieses Etwas auch sein mag, die englische Freimaurerei, die sich in einem Boot mit der sog. in Anerkennungsverhältnissen stehenden Weltfreimaurerei befindet, hat den Begriff des „Supreme Being“ geprägt. Mit diesem Begriff „Supreme Being“ sind wir durchaus eines Sinnes. Die Kirche war da etwas weiter. Wenn mich meine Töchter fragen, wie denn ich es mit der Religion halte, dann sage ich, das Entscheidende ist, dass ich mich nicht als Creator fühle, sondern dass ich mich dessen bewusst bin, ich bin die Creatura. Denn mit dem Eingeständnis, Creatura zu sein, ist automatisch verbunden, dass es auch einen Creator geben muss. Das heißt, die Freimaurerei besteht eigentlich in ihrer Grundbasis auf einem Satz aus Deuteronomium, das ist: „Die Menschen alle waren Toren von Natur, weil ihnen die Erkenntnis Gottes fehlte. Sie vermochten nicht aus den sichtbaren Dingen auf den Seienden zu schließen.“ Das ist im Prinzip das-

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selbe: Freimaurer gehen auch davon aus, dass das Sichtbare hinter sich einen hat, der es sichtbar gemacht hat. Was sagen Sie zum Vorwurf, die Freimaurerei würde durch ihre Rituale beanspruchen, ins Numinose vorzustoßen und damit wäre sie religiös, was ja auch immer wieder prominente Freimaurer behaupten, die meinen, die Freimaurerei wäre zwar keine Religion, aber sehr wohl religiös? Jeder Freimaurer kann sich absplitten in den Mindestkonsens: Wir sind Creaturae, nicht die Schöpfer. Wer darüber hinaus sich mit Religion beschäftigt, der soll das. Es ist jedem völlig freigestellt, welche Religion, welche Konfession er hat. Es geht unterhalb dieser einzelnen Menschen unterschiedlicher Konfessionen nur darum, dass sie den anderen mit Achtung und Wertschätzung begegnen. Wir haben auch unter uns ein klares Verbot, dass wir uns religiösen Streitgesprächen hingeben. Das gibt es nicht. Und wenn jemand Religion darüber hinaus ausüben will, ist dies vorwurfsfrei möglich. Wir diskutieren nicht darüber, wer welcher Religion angehört, wir gehen nur von der Bescheidenheit der Creatura aus. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, an erster Stelle bei den Freimaurern stehe nicht die persönliche Gottesvorstellung, sondern vielmehr die Toleranz, sodass eigentlich Freimaurerei eine relativistische Quasireligion sei? Das ist eine wunderbare Frage. Wir kümmern uns, wie ich schon erwähnt habe, nicht darum, ob A eine Gottesvorstellung B hat, und C eine von B, sondern die Bescheidenheit der Creatura genügt. Aber Toleranz im Sinne von Achtung zu haben vor dem anderen und allenfalls vor dem, der eine andere Vorstellung hat, das ist eine Conditio sine qua non, Freimaurer zu sein. Wie beurteilen Sie die Unvereinbarkeitserklärung der deutschen Bischofskonferenz? Wie leben Sie als gläubiger Christ mit der „Declaratio de associationibus massonicis“, der Erklärung der Glaubenskongregation und wie gehen andere Katholiken damit um? Haben Sie das Gefühl, sündhaft zu sein, wenn Sie Freimaurer sind? Wie sehen Sie als Jurist – ich nehme an zu Ihrer Zeit hat man noch den Doktor beider Rechte verliehen – die kirchenrechtliche Situation? Da muss ich im Moment passen. Ich habe den Wortlaut dieser Erklärung nicht bei mir und nicht mehr so klar im Kopf, dass ich darauf kompetent Antwort geben könnte. Ich gehe davon aus, dass das geltende Kirchenrecht die Freimaurer nicht mehr eo ipso der Verdammnis anheimstellt, wobei ich sagen muss, dass auch die frühere Diktion des Canons 2335 auch kein Anlass war zu einem Problem, denn die Freimaurer waren nie eine Gruppe, die gegen Staat oder Kirche gekämpft hat, und das war die Voraussetzung

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für die eo ipso Exkommunikation. Das heißt, ich durfte frohen Mutes im Jahre 1980, als ich aufgenommen wurde in meine Loge, sagen: „Das geht mich gar nichts an, denn ich bin kein Kämpfer gegen Religion oder Staat.“ Ich habe mich auch damals überhaupt keine Sekunde lang exkommuniziert gefühlt. Das war einfach nicht das, was der Realität entspricht. Was ist Ihrer Meinung nach das eigentliche Geheimnis der Freimaurerei? Was ist denn in anderen Bereichen das Besondere, was ein anderer nicht erleben kann? Das ist die Zugehörigkeit. Wie wird das Besondere einer Profess empfunden? Das ist ein Akt, der eine besondere Freude enthält und wenn wir als Freimaurer die Passagen im Ritual, die Gewicht haben, als schön und wertvoll empfinden und andere das nicht verstehen können, dann ist das unser Geheimnis, weil wir meinen, es zu verstehen. Im Ritual des ersten Grades fragt der Meister vom Stuhl den II. Aufseher: „Bruder II. Aufseher, warum nennen wir uns Freimaurer?“ Und die Antwort des II. Aufsehers ist: „Weil wir bauen am Tempel der allgemeinen Menschenliebe.“ Daraufhin ist die Frage: „Mit welchen Bausteinen bauen wir diesen Tempel?“ Die Antwort: „Unsere Bausteine sind wir Menschen!“ Und der Stuhlmeister fragt den I. Aufseher: „Bruder I. Aufseher, was ist der Zweck unsere Arbeit?“ Und die Antwort darauf ist: „Den Geist zu erhellen und das Herz für das Wahre, Gute und Schöne zu erwärmen.“ Das sind die Passagen, die das Zentrum unserer Arbeitsauffassung sind. Das Zentrum vom Dienst an der Menschheit. Da findet sich kein einziges Wort, das in irgendeiner Weise eine Religion als verdächtig sehen müsste. Im Aufnahmeritual ist darauf Bezug genommen auf die Verschwiegenheit. Die Verschwiegenheit hat den Sinn, dass wir unsere Vorstellung und unsere rituelle Wortwahl davor bewahren von anderen, die das nicht verstehen, verunglimpft zu sehen. Wird nicht dadurch, dass die Rituale selbst eine menschenbildende Dynamik und Kraft haben und zudem noch die einzige normative Instanz neben allgemeinen Prinzipien sind, den Ritualen eine Eigenschaft zugeordnet, die sich mit Notwendigkeit entfaltet? Die Notwendigkeit der Entfaltung, das ist richtig. Wenn ich davon spreche, dass ich baue an einem Tempelbau der allgemeinen Menschenliebe, also an einer friedfertigen, friedliebenden Menschheit, dann ist das als Auftrag zu sehen. Ich halte es durchaus als eine Notwendigkeit, sich so zu benehmen als einer, der die Werte des Schönen, Wahren und Guten kennt. Wenn Sie jetzt die Frage stellen würden, was denn das Wahre ist, dann würde ich mir als Scherz erlauben, zunächst zu sagen: Es gibt eine nette Stelle im Neuen Testament, wo der von mir höchst geachtete und geschätzte in dem Prozess mit Pilatus verwickelte Jesus Christus von Pilatus

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gefragt wird: „Quid est veritas?“ Dieser hat darauf eine weise Antwort. Nun, wir kennen natürlich nicht, was die Wahrheit ist, aber kennen auch nicht, was das Schöne ist und wir kennen auch nicht, was das Gute schlechthin ist. Aber wenn wir, Sie und ich, uns unterhalten würden über irgendeinen Sachverhalt, wir kämen sehr schnell zu einem gemeinsamen Ergebnis, ob etwas dem Wahren, Guten und Schönen noch zu entsprechen vermag. Im Rahmen unseres abendländischen Kulturkreises, geprägt durch Christentum, Judentum, geprägt durch die Aufklärung, die Klassik würden wir sehr rasch, ohne mit einer Kirche in Konflikt zu kommen, erkennen, was wahr, gut und schön ist. Was sagen Sie zum Vorwurf, der freimaurerische Humanismus führe dazu, dass nicht mehr ein absolutes göttliches Wesen an erster Stelle stünde, sondern der Mensch vergöttlicht wird? Diese Frage ist offensichtlich recht provokant gestellt, denn keiner von uns käme auf die Idee zu sagen, der Mensch werde vergöttlicht. Nach dem, was ich schon sagte zum Mensch als Creatura unter Annahme von einem darüber befindlichen Creator ist die Frage nicht weiter zu behandeln. Der freimaurerische Humanismus ist ganz klar eine Errungenschaft, an der, wie ich meine, obwohl man das heute nicht mehr so sagen würde, das Christentum nicht ganz unbeteiligt war. Das Christentum hat auch zu den Menschenrechten geführt. Freilich war der Anteil der Aufklärung vielleicht ein stärkerer, aber Christentum und Menschenrechte können eigentlich nur in einer Folgewirkung und in einem Zusammenwirken gesehen werden. Der ehemalige Großmeister der österreichischen Freimaurer Bernhard Scheichlbauer hat in seinem Buch sehr große Anklänge an fernöstliche Gottesvorstellungen, die er mit der Freimaurerei verband. Inwiefern ist der Vorwurf gerechtfertigt, dass es sich bei der FM um eine Art Weg zur Selbsterlösung handelt? Es gibt eine ganze Menge von Religionen, Weltreligionen, Konfessionen, in denen man Wertvolles sehen kann. Dass jemand in einer Religion, Buddhismus muss ja keine Religion sein, sei es ein Weltbild meinetwegen, dort Dinge sieht, weil sie nachahmenswert sind, damit habe ich kein Problem. Ist die Freimaurerei deistisch, d.h. kommt der im Ritual und der freimaurerischen Arbeit Stehende nicht letztlich durch diese Dinge ohne Gott aus? Wird dieses Auskommen ohne Gott durch die Freimaurerei nicht gefördert? Nein, ich erwähnte schon, dass das Bild von einem über uns Stehenden ein typisch freimaurerisches Bild ist. Und nachdem wir uns nur auf der

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Ebene beschäftigen: Wir anerkennen das jenseits von uns Gelegene, haben wir kein Problem damit, dass wir Gott verdrängen wollen. Diese Vorstellung von Auskommen ohne Gott wird überhaupt nicht gepflegt. Schließlich sind auch für uns immer noch auch die Alten Pflichten maßgeblich, in denen klar auch zum Ausdruck kommt, dass ein Freimaurer weder ein Religionsfanatiker noch ein Gottesleugner sei. Das ist 300 Jahre alte Geschichte von Freimaurerei. Ist nicht der der Adogmatismus der Freimaurerei wieder dogmatisch? Ist nicht die Dynamik des Rituals hier das eigentliche Dogma, dem aber jeder Mensch subjektiv zu entsprechen hat, womit das Dogma hier auf einer individuellen Ebene liegt? Wird nicht dadurch dem Relativismus Tür und Tor geöffnet? Man kann es durchaus scherzhaft sehen: Jemand, der etwas ernsthaft behauptet, kommt immer in die Nähe von Dogma, von Dogmatismus. Wenn Sie wollen, dann würde ich sagen: Warum denn nicht soll unser Bild von Menschenliebe und von Toleranz als ein kleines Dogma gesehen werden? Diesen Spaß würde ich mir durchaus erlauben zu rechtfertigen, auch gegenüber meinen Brüdern. Dogmatismus ist uns fremd, das ist völlig richtig! Aber Grundsätze wie Toleranz und das Bild von einer menschenwürdigen Menschengemeinschaft, wenn das ein Dogma sein soll, dann soll es so sein, aber im engeren Sinne kennen wir kein Dogma. Warum werden die Rituale der Freimaurer nicht veröffentlicht? Warum ist man nicht daran interessiert, dadurch Vorwürfe auszuräumen bzw. in einen wissenschaftlichen Diskurs darüber zu treten? Nun, ich würde den wissenschaftlichen Diskurs über die Kernsätze, die ich über das Ritual bereits genannt habe, jederzeit führen wollen. Das Ritual enthält auch Brauchtum, das schlicht und einfach aus der Geschichte heraus kommt. Wenn jemand meint, dass die Brauchtumsfrage, um welche Zeit wir unsere Arbeit beginnen – wir sagen zu Mittag beginnen wir zu arbeiten –, dann ist das ein wertfreier Ausdruck, der hinter sich gar nichts hat, was versteckt werden müsste oder wo man etwas hineininterpretieren kann. Da ist nichts zu interpretieren, außer Bauhüttenbrauchtum. Und es dürfte wohl immer noch stimmen, dass Freimaurerei tatsächlich aus der mittelalterlichen Bauhüttengeschichte kommt. Ich erwähnte schon, dass die Veröffentlichung der Rituale eigentlich aus einem gewissen Selbstschutz heraus nicht geschieht, weil wir uns nicht unverständigen Menschen und ihrer allfälligen unverständlichen Kritik preisgeben wollen. Warum wird am A. B. A. W. innerhalb des Rituals festgehalten, wäre es nicht besser, von Seiten der FM gänzlich auf religiöse Anklänge im Ritual zu ver-

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zichten? Warum wird der A. B. A. W. auch immer noch als Verankerungspunkt der Moral angesehen? Wer ist denn ein allmächtiger oder ein großer Baumeister (– es gibt beides)? Ist das eine Frage der Religion, ist das nicht eine schlichte Frage, die jeder Mensch, welcher Religion er angehören oder nicht angehören mag, aber intuitiv selber spüren kann, dass er nicht Schöpfer ist, sondern dass etwas über ihm sein dürfte? Das ist nichts anderes als ein Bild von Bescheidenheit. Wir sind nicht die Baumeister, die allmächtigen, wir sind die, die mit Wertschätzung und Bewunderung auf seine Werke blicken. Sie haben mir erzählt, sie haben das Lehramt für Religion, war das vor Ihrer Freimaurerzeit oder schon danach? Ich bin eigentlich gelernter Buchhändler. Ich habe das Gymnasium im ersten Anlauf nicht geschafft, weil ich nicht wusste, wie man lernt. Ich komme aus einer sehr religiösen Familie, meine Schwester ist Nonne, die Eltern sind gläubige Menschen gewesen und ich war dem Religiösen auch als Ministrant sehr verbunden. Ich war überzeugt, dass das alles die reine Wahrheit ist, das war mein tiefster Glaube. Zu wanken hat’s begonnen mit der Beichte. Ich sagte: „Selbstverständlich geh ich zur Beichte, ich scheu mich nicht davor, denn der, der da drinnen sitzt, der ist ja ein Handwerker, der hat mir die Sünden nachzulassen.“ Da wurde etwas jugendliche Obstruktion wach. Das muss er tun, das ist kein gottähnlicher Mann, das ist einer, der hat von seiner Konfession die Aufgabe, mir bei meinem Bekenntnis zu sagen: „Nachgelassen!“ Das war also ein schönes Erlebnis. Und dann habe ich aus dem Interesse an religiösen Dingen und dem Zufall eines Prospektes über diesen Fernkurs für theologische Laienbildung der Erzdiözese Wien gedacht: „Probier mar’s!“ Ich wüsste ja, wie ich lernen kann. Und ich habe diesen Fernkurs locker gemacht. Und das war interessant. Und Deuteronomium kommt immer von dort her, von der Fundamentaltheologie. Der fundamentale Satz dort, mit dem kausalen Gottesbegriff, ist in der Freimaurerei bei uns beheimatet. Aber die Freimaurerei entdeckte ich erst durch die „felix culpa“ der katholischen Kirche. Die „felix culpa“ der katholischen Kirche war nämlich die, dass sie die Freimaurerei gehasst hat. Und da sagte ich mir: „Sonderbar, die Gründe kann ich eigentlich nicht erkennen!“ Meine Mutter sagte immer: „Die schlechtesten Früchte sind es nicht, an denen die Wespen nagen!“ Und so war für mich die Freimaurerei eine möglicherweise nicht schlechteste Frucht und ich fand, dass sie eine gute Frucht ist. Und ich habe ein Marterl geschaffen. Ein Marterl, das in Oberösterreich steht, ein Oktagon. Da sind die ersten drei Platten Symbole für Judentum, Islam und Christentum. Die vierte Platte, die mein Vater gemacht hat nach meiner

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Anweisung, ist das Symbol der Freimaurer. Und ich sagte bei der Segnung dieses Marterls durch den dortigen Dechanten: „Es wäre halt so schön gewesen, wenn die Religionen sich in unserem Kontinent nicht bekämpft hätten, sondern die Symbole der freimaurerischen Toleranz leben hätten lassen.“ Und die (gemeint ist die Leute bei dieser Segnung – Anmerkung des Verfassers) waren begeistert davon. Die fünfte bis zur achten Platte sind dann Symbolen gewidmet, die unserem Kontinent, unserem Mitteleuropa entsprechen. Nämlich ein Symbol für den Katholizismus, ein Symbol für den Protestantismus: Die Schlüssel Petri als typisches papistisches Element. Hier ist eben die Religion, die einen Papst als Oberhaupt hat, das Dominierende und jetzt weiß ich nicht mehr was die letzte Platte war. Wahrscheinlich war es ein Eucharistiesymbol – entweder der Wein oder Weizen. Das weiß ich jetzt nicht mehr genau, wie die Reihenfolge war. Müsste ich wieder einmal hinschauen. Wie sehen Ihr Freimaurer-Sein die Menschen in Ihrer Umgebung, vor allem auch Ihre Schwester, die Nonne ist? Wir drei Geschwister haben ein gutes Verhältnis zueinander. Meine Schwester sagt: „Weißt du, lieber Bruder Klaus, glauben zu können ist eine Gnade.“ Und ich sage: „Das glaube ich durchaus. Aber nicht glauben zu müssen ist auch eine Gnade!“ Und damit spielte ich natürlich an auf den Augsburger Religionsfrieden. Was war das für ein Friede? Aber es war ein Fortschritt, keine Frage, in einer finsteren Zeit. Aber, was war das für eine Errungenschaft? Wenn mein Landesherr sagen kann: Du musst Protestant werden, ansonsten zieh ab! Schrecklich! Also dieses Wortspiel von glauben können ist eine Gnade und nicht glauben müssen ist auch eine Gnade – beides stimmt natürlich im wohlverstandenen Sinne eines Gespräches von Leuten, die einander verstehen wollen. Beschäftigt sich die aktuelle Diskussion in der Freimaurerei irgendwo noch mit dem Verhältnis zur katholischen Kirche oder ist es einfach dieser Ruhezustand, den der ehemalige Großmeister Michael Kraus einfach sieht in diesem Verhältnis, dass man also nichts anrührt, dass man eigentlich sehr wohl alle Positionen kennt, nichts Neues auch erwartet und einfach diesen Status quo so lässt, wie er ist? Das mag etwas verschieden sein. Es mag Brüder geben, denen es angenehm und wertvoll wäre, wenn, da sie sich auch sehr religiös sehen, ihre kirchliche Autorität sagen würde: „Bellum finitum est, wir haben kein Problem miteinander.“ Die Brüder kann ich verstehen, aber es ist eher eine Minderheit, die hier vielleicht auch aus einem Unverständnis heraus eine solche Erklärung erwartet. Denn für mich ist es überhaupt keine Diskussion, worüber sollten wir denn streiten? Wir haben keinen Angriffspunkt gegen-

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seitig! Denn wir schätzen das, was Religionen – über Deuteronomium hinaus – aufbauen. Das ist in jeder Hinsicht frei und unbekämpft. Und – was sollen wir vorwerfen, was soll uns vorgeworfen werden? Nur Fanatiker können da noch was finden, was man einander vorwerfen könnte. Vielleicht Folgendes: Vor einiger Zeit sagte ich in einem Interview mit – damals war es das „Echo Vorarlberg“: „Die Kirche wird uns eines Tages noch dankbar sein, dass es Freimaurer gibt. Wenn nämlich so viele abgefallen sein werden vom Glauben, dass die Kirche froh ist, Männer zu finden, die die Demut haben zu sagen: „Deuteronomium zählt immer noch!“

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Verzeichnis der verwendeten Referenz-Seiten im Internet Es muss betont werden, dass das Internet heute ein wesentliches Medium darstellt, das für eine moderne Recherche besonders zum Thema Freimaurerei, die ohnehin immer mit der Geheimhaltung verbunden ist, essentiell notwendig ist. Deshalb wurde die Internet-Recherche in hohem Maße für diese Arbeit auch angewandt, allerdings mit dem Nachteil, dass das Internet ein flüchtiges Medium ist, sodass einige Informationen nicht zu jeder Zeit im Nachhinein verifizierbar sind. Trotzdem wurden diese Nachteile in Kauf genommen. Zur Qualitätssicherung wurde aber das Datum des Zugriffs protokolliert. http://www.freimaurerloge-erlangen.de, am 1. Jänner 2000. http:://graffiti.netbase.org/kunst.htm, eingesehen am 25. Mai 2002. http://www.muellerscience.com:80/MODELL/Architektur/DeutungenfruehererArchi tektur.htm, eingesehen am 21. November 2008. http://www.bildweg.ch/b/gr/do/04.htm am 25. Mai 2002. http://diepresse/home/kultur/literatur/347764/index.do, eingesehen am 21. November 2008. http://www.kopp-verlag.de/websale7/Unter-den-Tempeln-Jerusalems.htm?shopid= kopp-verlag&act=product&prod_index=903400&cat_index=000052, eingesehen am 21. November 2008. http://www.lzz.uni-halle.de/publikationen/essays/nl12_kilcher.pdf, S. 3, eingesehen am 25. Februar 2007. http:://digitalcommons.unl.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1028&context0librarysien ce, S. 29, eingesehen am 30. Dezember 2006. http://www.freimaurer.org/faq/, eingesehen am 30. Dezember 2006. http://www.freimaurer-loge.de/essays/hauptteil_pflichten.html, eingesehen am 9. Jänner 2007. http://www.freimaurer-ilv.ch/info/kirche/02/kath.htm, vom 29.Dezember 2004. http://www.textlog.de/36149.html, hrsg. von P. Kietzmann, Berlin, eingesehen am 21. November 2008. http://www.freimaurer.org/faq, eingesehen am 17. Dezember 2006. http://www.freimaurer.org/cgi-bin/faq-dat.cgi?line=Symbolik&suchtitel=Symbol-Fra gen, eingesehen am 25. März 2007.

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Sachwortverzeichnis A.B.A.W. 70, 190, 196, 228, 230, 232, 234, 266, 268, 277–280 ABAW 42, 130, 228–230, 363 Akazie 174 Alchimie 41, 43, 175, 217–219, 229 Allegorie 23, 151, 153 Alte Pflichten 15, 22–23, 45–47, 49–52, 56, 121, 143, 183, 209, 218, 262, 278, 363, 367–368 Anamnese 95, 123–124, 164, 196, 257 Anderson 22–23, 45–47, 49–51, 53, 56, 143–144, 183, 256, 367, 380 antiklerikal 48, 281, 292 Arbeit 5, 14–20, 24, 26, 28, 37, 44, 50, 55–56, 59, 74, 83–84, 100–101, 104–105, 107–109, 111, 121, 123, 127, 142, 145–147, 152, 154, 156–157, 169, 178–179, 186, 189, 192, 194, 196–197, 199–200, 202–203, 214, 219, 227–228, 237, 253, 260, 263, 266–267, 269–270, 276–277, 297, 302–303, 309, 317–319, 323, 329–330, 339, 344–345, 353, 355, 361–363, 378–379 Arkandisziplin 5, 17, 19, 100, 106, 269 Atheismus 51–52, 56, 202–203, 278, 294, 298, 341, 369, 382 Atheisten 51 Aufbau des Tempels 14, 79, 113, 125 Auferstehung 102, 118, 122, 140, 152–153, 164, 168, 171, 175–176, 178, 185, 235 Aufnahme 18, 57, 68–71, 73–74, 78, 80, 83, 108, 120, 146, 156, 194–195 Aufseher 78, 130, 268, 361 Ausschluss 47, 73, 249, 326

Basic Principles 45, 48, 57, 146 Bauhandwerk 20 Bauherr 25, 174 Bauhütte 21, 25, 31, 189 Bauhütten 21–22, 29–37, 172, 269, 369–370, 372, 376 Baumeister 24–26, 29–30, 34, 42–43, 50, 53, 56–58, 70, 81–82, 100, 103, 130, 146, 151, 154, 156, 174–175, 189–191, 193–196, 203, 212, 215, 223, 228–234, 257, 271, 277, 279, 286, 301, 351, 364, 368, 381 Baustück 109 Bausymbolik 144, 233 Berufung 31, 201, 212, 226 Bewusstseinserweiterung 71 Bibel 104, 169, 173, 180, 184, 186–187, 194–195, 204, 233, 293 Bruder 70, 72, 78, 80, 82, 103–104, 106, 127, 129–131, 137, 143, 150, 182, 194–195, 213, 287, 302, 361, 365 Bruderkette 78, 85, 98, 108, 110, 121, 125, 130, 138, 152, 225, 315 Brüderlichkeit 38, 88, 108, 125, 130, 132, 148, 192, 212 Bruderschaft 20, 24, 32–33, 80–81, 103, 138, 143, 196, 268, 324, 371 Bund 18, 23, 49, 74, 83, 126, 129, 136, 138, 149, 162, 165–166, 190–191, 194–195, 210, 264, 288 Buße 94, 114, 157, 270, 283 c. 1364 327, 329, 333, 340, 342, 348–349 c. 1374 310, 320–322, 326–327, 329, 333, 341, 348

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Sachwortverzeichnis

c. 2335 308–311, 313–314, 317, 321–322, 326, 330, 333–334, 349 c. 2336 314 Chiffre 100, 130, 228, 230, 277 Christusbegegnung 114, 116 CIC 16, 72–74, 281–287, 289, 297, 305, 307–308, 310, 313–322, 326–334, 337–340, 348, 353–354, 367–368, 371, 373, 375, 377 CIC/1917 281, 297, 307–308, 310, 314, 316–317, 321, 326, 328, 332–334, 349, 353 CIC/1983 281–282, 307–308, 310, 313–314, 316–322, 348–349, 354 Constitutiones 50 Deismus 38, 46–49, 52, 203, 227, 261 Deutsche Bischofskonferenz 16, 233, 263, 269, 292, 302, 312–313, 318, 337, 345–346, 348, 356, 369, 377 Diesseits 70, 258 Dogmen 41, 202, 210, 239, 245, 248, 262–263, 268 Dreifaltigkeit 21, 164, 188 Ehe 87, 94, 114, 157 Eid 108, 120, 282 Eigendynamik 199, 202–203, 256, 267–268, 270 Erhebung 79–80, 120–121, 130, 195 Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz 14, 16, 52, 233, 259–260, 270, 277, 304, 313, 346 Erleuchtung 37, 40–41, 43, 195, 270 Erlösung 39, 42, 76, 89, 92, 112, 117, 141, 147, 205, 210, 219, 256, 371 Ersatzreligion 53, 348 Erziehung des Menschen 14, 127, 258, 260, 266 Esoterik 42, 68, 70–71, 105, 236, 278, 347, 373 Ethik 14, 55, 85, 108, 110, 112–113, 207, 211, 220, 258, 272, 279, 371, 376

Eucharistie 83, 88–89, 91, 102, 114, 122–123, 139, 157, 162, 169–170, 172, 198, 257, 270, 326, 343, 349, 373, 380 Exkommunikation 282, 285, 289, 297, 300–301, 308, 310–313, 318–322, 328, 340, 342–343, 361, 370 Freundschaft 78, 129, 137–138, 153, 155, 194–195 Gebet 49, 120, 130, 188–192, 195–199, 277 Gebete 170, 189, 191–192, 194, 196–198, 278 Geheimhaltung 36, 82–83, 97–98, 100, 102, 142, 217, 379 Geheimnis 19, 21, 43, 56, 82, 88, 98–100, 102–103, 107–109, 136, 150, 161, 170, 197, 205, 214–215, 231, 236, 247, 258, 260, 265, 269, 276, 279, 288, 337, 361, 368–369, 378, 381 Geheimnisse 22, 30, 41, 81–82, 98–99, 111, 182, 236–237, 293, 369–370, 374, 378 Gemeinschaft 21, 27, 31, 33, 47, 52, 72, 76, 78, 81, 90–92, 95–96, 115–119, 124–125, 128–129, 131, 134, 139, 141, 145, 148–149, 151–153, 155, 157, 160, 162, 165, 192, 235, 238, 255, 257, 261, 263, 277–278, 291, 316, 321–322, 324, 329, 341–343 Geometrie 24, 31–34, 231, 276, 369, 381 Geselle 106, 130–131, 150, 195–196 Gesellen 21, 25, 30–31, 80, 120, 128–130, 149, 153, 174, 372 Gesellenritual 128, 195 Gewissen 13, 50, 53, 55, 100, 107, 203, 335, 339, 349, 376 GL der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland 20 Glaubenskongregation 16, 300, 304–305, 307, 311–313, 317–318,

Sachwortverzeichnis 322–323, 325, 328–340, 342, 348–350, 354, 360 Gnade 26, 75, 77, 84, 87, 92–93, 102, 113–117, 119, 136, 138, 210, 233, 270–271, 365 Gnosis 40–42, 112, 212, 214, 229–231 Gottesbegriff 16, 48, 57, 189, 228, 232, 270, 277, 279–280, 295, 303, 364 Gottesdienst 49, 61, 103, 204, 213 Gottesfrage 47, 202, 301, 355 Grad 80, 173, 188, 357 Großloge 20, 22–23, 57, 71, 79, 81, 101, 111, 120–121, 127–129, 143, 174, 188, 195, 211, 263, 285–286, 293, 295, 297, 299, 350, 353, 355, 357, 367, 376–377, 381 Großloge von England 20, 22, 263, 286, 293 Handeln 26, 50, 53, 66, 85, 109, 116, 125, 134–135, 151, 163, 199–201, 203–204, 207–208, 223, 234, 238, 247, 266–268, 272, 279, 329, 355–356 Häresie 220, 273, 282, 292, 309, 318, 327, 329, 341–343 Harmonie 27–28, 231, 236, 240, 243, 247, 272, 275, 375 Heil 14, 75–76, 78, 80, 86, 92–93, 112, 116–117, 124, 159, 161–162, 205, 208–209, 241–242, 257, 264, 280, 287, 345 heilig 27, 114, 123, 130, 160, 235 heilige 85, 90, 121, 154, 170, 194, 234, 255, 269, 305, 323, 355 heiliger Dienst 28 Hermetik 41, 217 Hiram 153–154, 172–180, 188 Hiramslegende 172, 176–178, 180–181, 188 Hochgrade 20, 293, 298, 319, 374 Hochmittag 121 Hochmitternacht 121

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Humanität 14, 70, 78, 103, 112–113, 125, 145, 148, 200–201, 247, 262, 299, 344, 354 Initiation 18, 37, 65, 85, 106–108, 110–111, 115, 120, 149, 152, 216 Jesus 54, 75, 78, 88–90, 92, 102, 113–114, 122, 132–133, 138, 143, 145, 147, 161–164, 167–169, 176, 184–185, 206–207, 209, 231, 256, 340, 361, 372 Johannismaurer 189, 233 Johannismaurerei 20, 28, 80, 131, 147, 149, 151, 202, 214, 303, 355, 357 Johannistag 22 Kabbala 37, 41, 44–45, 375 Kirchenbau 21, 26–27, 31, 36 Kirchenrecht 5, 74, 76, 87, 301–302, 304–305, 307, 310, 315–316, 318–320, 322, 325, 328, 330–331, 334, 337, 360, 370, 381 Kirchenversammlung 113–114 Konzil 56, 75–77, 94, 113–114, 118, 122, 285, 298, 335, 342, 355, 358 Kosmos 26–27, 105, 119, 149, 151–152, 154–156, 159–160, 165–171, 194, 204, 218, 221–223, 225, 231, 237, 252, 266–268, 271, 367, 373 Kraft 14, 20, 63–64, 115, 156, 168, 189, 192, 195, 201, 203, 207–209, 218–219, 223, 232, 235, 247, 256, 268, 275, 287, 305, 311, 323, 361 Landmarken 15, 56, 58, 262 Legende 35, 39, 98, 154, 172–181, 185–188, 374 Lehramt 16, 76, 263, 323, 331, 337, 341–342, 353, 364 Lehrling 69, 78, 106, 120, 129–131, 149–150, 153, 155 Lehrlingsritual 127–129, 152–153, 155–156, 194

386

Sachwortverzeichnis

Licht 26, 29, 39, 41–42, 61, 102, 106, 108, 121–122, 144, 152–153, 155, 177, 181, 204–205, 219, 225, 271, 289, 291, 330, 343, 370 Liturgie 18, 88, 90, 120, 202, 226 Magie 45, 68, 75, 106, 152, 164, 236, 290 Makrokosmos 105, 128, 150, 154, 156, 158, 165, 192, 201, 214, 217, 219, 221, 267, 276 Maurerwort 42 Meister 21, 25, 30–31, 34, 36, 41, 54, 106, 108, 120, 129, 131, 149–150, 153, 173–175, 178, 188–191, 193–194, 196, 220, 272–274, 361, 373, 377–378 Meistergrad 131, 149, 151, 153, 172, 175, 178, 195–196, 200 Meistergriff 174 Meisterritual 129–130, 152–153 Meisterwort 83, 130, 174–176, 178, 368 Menschenrechte 50, 55, 287, 346, 362 Menschenwürde 50, 76 Mikrokosmos 105, 150, 154, 156, 158, 166, 217–219, 221, 267 Moral 48–49, 51, 53, 55, 100, 134, 182, 246, 258, 260–261, 278, 364 Mystagogie 106 Mysterien 40–41, 54, 106, 212, 217–219, 236 Mysterienreligion 305 Mysterientraditionen 42, 44, 182 Mysterium 88, 98, 102, 150, 168, 170, 212–213, 217–218, 235–236, 241 Mystik 29, 69, 110, 212, 220, 272–274, 380 Mythos 177, 179, 239, 254 Nachfolge 14, 132–133, 153, 184, 186, 196, 207 Natur 39–40, 62, 151, 154, 160, 204, 216–217, 222–223, 225–227, 234,

236–238, 253, 261, 264, 268, 276, 288, 292, 311–312, 359, 372 Natürlichkeit 216, 258 Neuplatonismus 40–41, 253 Offenbarung 16, 40, 46–47, 51–52, 87, 102, 104, 111, 134, 185, 188, 199, 202, 205, 212–214, 222, 224, 231, 253–254, 264, 276, 288, 303 okkult 211 Orden 20, 36, 38, 43, 48, 315 Ordnung 21, 26–27, 31, 59–60, 121, 129, 149, 151, 154, 166, 192, 200, 204, 221–225, 231, 258, 267, 334 Pantheismus 156, 160, 226–227, 275–276, 285, 352 Perichorese 96, 135, 157–160, 162, 164 Praxis 15–16, 39, 42, 52, 98–99, 119, 203, 224, 263–265, 323, 332, 337, 344, 354, 356, 369 Profane 28, 100, 269 Profanierung 82, 99 Reduktionismus 48, 331 Reise 40, 129–130, 153 Relativismus 16, 260, 263, 289, 318, 324, 363 relativistisch 263 Religion, in der alle Menschen übereinstimmen 14, 47, 51, 280, 345 religiös 14, 50, 64, 81, 83, 209–210, 215, 228, 238–239, 247, 258, 265, 309, 355, 360, 365 religiöser Charakter 18 Ritualfähigkeit 68–74, 76, 251 Ritualfreiheit 15, 101, 120, 188 rituelle Arbeit 46, 48, 197 Rosenkreuzer 20, 38–44, 219, 229, 254, 370, 377–378 Rosenkreuzertum 38–39, 41–42, 371

Sachwortverzeichnis Sakrament 15, 19, 59, 72, 75–77, 79–80, 85–87, 89–96, 102, 114–119, 121–122, 124–125, 132, 134, 138–140, 148, 156–159, 161–165, 169, 197, 199, 208–209, 251, 269, 273, 370, 372, 377 Sakramente 14–15, 29, 72–74, 76–78, 80–81, 86, 88–97, 103, 107, 113–116, 118–119, 122–125, 139–140, 156–161, 164, 171, 185, 198, 210, 297, 345, 369, 374, 376, 378 Sakramentenfähigkeit 75–76 Säule 42, 64, 189, 191 Schau in dich 105 Schlussstein 29, 143 Schönheit 27, 144, 147, 180, 189–192, 237 Schöpfung 26, 29, 39, 49, 75, 105, 142, 165–167, 169, 177, 205–206, 208, 218, 224, 231, 236, 239, 367, 371 Schuld 99, 152, 205, 272, 336 secta massonica 308–309 Segen 89, 91, 123, 160, 168, 190–191, 195–196 Sekte 285, 288, 295, 308–309, 315–316 Selbstbefreiung 202, 214 Selbsterkenntnis 106, 131, 140–141, 149, 154, 192, 219, 252 Selbsterlösung 84, 116, 202, 214, 219, 271–272, 362 Selbsterziehung 57, 85, 99, 103, 106, 109, 138, 140, 148, 151–152, 155, 183, 212, 272, 355, 371 Selbstreflexion 71 Selbstveredelung 111, 131, 140, 149, 152, 225 Selbstvervollkommnung 149, 203, 257 Sittengesetz 49, 51–52, 54, 218, 264 Sittlichkeit 54–55, 146–147, 151, 211, 223, 227, 258, 325 Sohn der Witwe 172 Stärke 128, 136, 147, 189–192, 219

387

Steinmetz 29, 173 Stern 17, 195, 201, 378 Suchende 69–70 Sünde 114, 148, 157, 169, 171, 305, 313, 323, 325–327, 330, 334–339, 341, 343, 349–350 Tatstrafe 285, 289, 310–311, 313, 318, 321, 326, 328, 340 Taufe 18, 74–76, 79, 88, 114–115, 118, 139, 145, 157, 205, 270 Tempel 19, 27, 43, 54, 78, 103, 125, 130, 144, 154, 156, 160, 174, 183, 189, 194, 200–201, 292, 337, 361, 378 Tempelarbeit 71, 107, 120–121, 149, 223, 268 Tempelritter 37, 43 Templerorden 20 Tod 54, 59, 82, 92, 102, 122, 130, 133, 140–141, 149, 151, 153–154, 168, 175–176, 178–180, 185, 194, 206, 235, 256, 271, 282, 296, 326–327 Toleranz 16, 23, 38–40, 43, 47, 52, 108, 127, 139, 192, 209, 214–215, 229, 258–263, 267, 277–278, 295, 299, 305, 344, 355, 360, 363, 365, 370 Toleranzidee 127, 303 Transformation 64, 120, 170, 178, 266 Treue 13, 55, 117, 119, 138, 191, 195, 243, 254 Trinität 96, 118, 135, 139, 169 Umwandlung 63, 209, 265 Unheil 159, 161, 182 Vatikanum 55, 337, 339, 345 Verinnerlichung 71, 164, 268 Vernunft 28, 38, 48, 51, 53, 78, 83, 107, 140, 212, 220, 258–259, 261–262, 264, 271, 274, 287–288, 354, 372, 376

388

Sachwortverzeichnis

Vernunftreligion 46 Verräterschriften 82, 101 Verschwiegenheit 71, 79, 82, 101, 285, 361, 372 Verschwörungstheorien 37, 293 Vervollkommnung 14, 16, 22, 40, 44, 70–71, 108, 111, 113, 115, 128, 154, 194, 213, 232, 265, 270, 303, 348 Verwandlung 105, 201, 205, 227, 236, 247, 266–267, 271–272, 345, 371 Wahrheit 52, 55, 75, 79, 85, 101, 107, 111–112, 138, 189–191, 212, 214, 231, 238, 240, 243, 250, 254, 259–260, 262–263, 270, 288, 298, 303, 306, 324, 335, 338, 355, 362, 364, 376

Wanderung 130, 153, 178 Weihe 18, 27, 114, 118 Weisheit 22, 43, 103, 107, 109, 147, 155, 173, 189–190, 192, 217–218, 256–257, 269–271 Weltall 144, 154, 170 Weltveränderung 38, 43 Werkmaurerei 44, 196 Werkzeug 76, 82, 109, 192, 196 Werkzeuge 109, 111, 203 Winkel 153 Wirkung des Rituals 84, 103, 105–107, 111, 249, 266 Wort und Griff 120, 130 Zeichnungen 17, 80, 278