Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission: Art. 290 und Art. 291 AEUV und deren Auswirkungen auf die Komitologie [1 ed.] 9783428543175, 9783428143177

Theresa Ilgner beschäftigt sich mit der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission zur Durchführung der Rechtsakte des europä

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Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission: Art. 290 und Art. 291 AEUV und deren Auswirkungen auf die Komitologie [1 ed.]
 9783428543175, 9783428143177

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Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 98

Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission Art. 290 und Art. 291 AEUV und deren Auswirkungen auf die Komitologie

Von

Theresa Ilgner

Duncker & Humblot · Berlin

THERESA ILGNER

Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von M a r t i n Ne t t e s h e i m in Gemeinschaft mit He i n z -D i e t e r A s s m a n n , J o c h e n v o n B e r n s t o r f f J ö r g E i s e l e , M a r t i n G e b a u e r, K r i s t i a n K ü h l H a n s v o n M a n g o l d t , We r n h a r d M ö s c h e l Thomas Opperma nn, Stefa n Thomas Wo l f g a n g G r a f V i t z t hu m sämtlich in Tübingen

Band 98

Die Durchführung der Rechtsakte des europäischen Gesetzgebers durch die Europäische Kommission Art. 290 und Art. 291 AEUV und deren Auswirkungen auf die Komitologie

Von

Theresa Ilgner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Hochschule für Rechtswissenschaften, Bucerius Law School Hamburg, hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 978-3-428-14317-7 (Print) ISBN 978-3-428-54317-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84317-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meinen Gefährten Jan-Niklas Green in liebevoller Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Doris König am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine Staatslehre, Völker- und Europarecht der Bucerius Law School in Hamburg. Sie wurde im Wintersemester 2013 / 2014 von der Bucerius Law School als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung erfolgte am 10. Dezember 2013. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von Oktober 2013. Besonders danke ich meiner Doktormutter, Prof. Dr. Doris König, für die wundervollen Jahre an ihrem Lehrstuhl, das sehr herzliche Miteinander und nicht zuletzt für die Betreuung und Förderung der Arbeit. Dank gebührt auch meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Markus Kotzur, für die überaus zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen hilfreichen Hinweise. Den Herausgebern der Tübinger Schriften zum internationalen und europäi­ schen Recht sei für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe gedankt. Mein Dank gilt ferner den vielen freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bucerius Law School. Namentlich hervorzuheben sind insbesondere Elke Schmitz-Gerke, Claudia Adelmann, Michael Kern, Francesco Omobono und Astrid Powl. Mein ganz persönlicher Dank gilt meinen lieben Freundinnen und Korrekturleserinnen, die mich bei meiner Arbeit und weit darüber hinaus unterstützt haben. Ich danke meiner Oma, Edelgard Nitzlaff, meiner „amikablen“ Ex-Kollegin Dr. Katharina Koch, meiner (fast schon zu gewissenhaften) Korrekturleserin Dr. Caroline Schulze Harling und meiner Kindergartenund Schulfreundin Anne-Katrin Olechnowicz. Ich danke schließlich meinen Eltern, Simona und Dr. Bernd Ilgner, für ihre Unterstützung während meines Studiums, meiner Doktorarbeitszeit und meines Referendariats. Die Ausbildungszeit findet nun langsam ein Ende, ich hoffe, ihre Geduld noch lange nicht. Ich widme diese Arbeit meinem Freund, Jan-Niklas Green, der mit mir alle Höhen und Tiefen durchwandert und mein liebster Gefährte ist. Seine Zuversicht und seine gute Laune hatten maßgeblichen Einfluss auf die erfolgreiche Fertigstellung dieser Arbeit. Hamburg, im Dezember 2013

Theresa Ilgner

Inhaltsverzeichnis Einführung 

17

A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gegenstand der Untersuchung: Die Durchführungsrechtsetzung der Kommission vor und nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . 20 C. Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Teil 1

Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission als Teil der europäischen Rechtsetzungstätigkeit vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 25

A. Einordnung der Durchführungsrechtsakte in das System der Rechtsakte und Überblick über die Entstehung der Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Der Begriff der „Durchführung“ als terminus technicus des EG-Vertrags. 27 II. Rechtsgrundlage für die Übertragung von Durchführungsbefugnissen  . 31 III. Die Regelzuständigkeit der Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Die Einordnung der Übertragung von Durchführungsbefugnissen als „Delegation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Auslegung des EG-Vertrags  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Der Delegationsbegriff des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Im Schrifttum vertretener Delegationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Inhaber der Delegationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen . . . . . 48 I. Abstrakt-generelle Rechtsakte als Durchführung des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Durchführung und wesentliche Grundzüge einer Materie – Der Versuch einer materiellen Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Die Delegationsvoraussetzungen der Meroni-Rechtsprechung . . . 52 b) Die Ermessensgrenzen des Rats bei der Delegation von Durchführungsbefugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Das Ermessen der Kommission zur Konkretisierung der übertragenen Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Die Grenzen der Selbstermächtigung des Rats . . . . . . . . . . . . . . . 69

10 Inhaltsverzeichnis e) Der Einfluss der verfassungsvertraglichen Kategorie der „delegierten Europäischen Verordnung“ auf die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Deutsche und europäische Wesentlichkeitstheorie im Vergleich . . . . 77 3. Der Vorbehalt des Gesetzes im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . 81 a) Grundrechtsrelevanz als mitbestimmendes Kriterium der Wesentlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Ausblick: Notwendige Reformen hinsichtlich der Ausgestaltung der Durchführungsbefugnisse der Kommission . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Einzelfallmaßnahmen als Durchführung des Gemeinschaftsrechts . . . . . 89 D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte: Normenhierarchie oder Verhältnis partieller Hierarchisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Primärrecht und Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Tertiärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Auflösung von Normenkollisionen innerhalb des Sekundärrechts . . . . . 96 IV. Das neue System der Durchführung im gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Normenhierarchie im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Die Entwicklung vom uniformen zum zweigliedrigen Durchführungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Normenhierarchien im gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Teil 2

Die Übertragung von Durchführungsbefugnissen unter Einschaltung von Ausschüssen – Die Komitologie vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 108

A. Begriff und Funktion der Komitologie, Aufbau und Arbeitsweise der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Aufgaben der Kommission und der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Der erste Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1987 . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Der Modus vivendi im Mitentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Der zweite Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1999 . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Komitologie im Verfassungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 V. Der dritte Komitologiebeschluss aus dem Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Definition (quasi-)legislativer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Der Umfang des parlamentarischen Prüfungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Die Umsetzung des Komitologiebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Bewertung der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 D. Bedeutung der Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Die Einbeziehung von spezialisierten Agenturen in den Komitologieprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Inhaltsverzeichnis II. Steigerung der Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 III. Reduzierung der Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Stärkung des Europäi­schen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 V. Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie und die Herausarbeitung der einzelfallbezogenen Durchführung als eigene dogmatische Kategorie der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Das Konzept der Durchführung als Einzelfallmaßnahme am Beispiel der Europäi­schen Produktzulassungsentscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Dezentrale Zulassungsverfahren – überwiegende Verfahrensherrschaft der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Zentrale Zulassungsverfahren – Verfahrensherrschaft der Kommission. 169 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte als eigene dogmatische Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte und Anhörungsrechte Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte und Individualrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Kein unmittelbarer Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Direkte Klagemöglichkeit gegen einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Ausblick: Notwendige Reformen des Individualrechtsschutzes . . . . . . . 193 Teil 3

Die „Durchführung“ des Unionsrechts durch die Kommission als Teil der europäischen Rechtsetzungstätigkeit nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 196

A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . 197 I. Gesetzgebungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Rechtsakte ohne Gesetzescharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Delegierte Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Die Wandlung des Begriffs der „Durchführung“ durch die Einführung der Kategorie der „delegierten Rechtsakte“ und der „Durchführungsrechtsakte“ in Art. 290 und Art. 291 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Die Übertragung der Befugnis zum Erlass von delegierten Rechtsakten gemäß Art. 290 AEUV: Der neue unionsrechtliche Delegationsbegriff  . 226 III. Der Wegfall der Beteiligung der Komitologieausschüsse im Anwendungsbereich des Art. 290 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

12 Inhaltsverzeichnis IV. Die verfahrenstechnische Ausgestaltung der Kontrollrechte des Europäi­ schen Parlaments und des Rats bei der Übertragung delegierter Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 V. Die Einbindung des Komitologieverfahrens in die neue Rechtslage: Die Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Die Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Kritische Würdigung der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU . 239 a) Die untergeordnete Rolle des Beratungsverfahrens und die Unverbindlichkeit der Kritierien zur Wahl einer Verfahrensart . . . . 239 b) Die unvollkommene Reduzierung der Verfahrensarten durch die Einführung des Berufungsausschusses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Die Verlagerung der Kontrollbefugnisse des Parlaments und des Rats auf die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 d) Weniger Komitees – mehr Transparenz?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 e) Keine verpflichtende Einbeziehung von spezialisierten Agenturen in den Komitologieprozess trotz expliziter Anerkennung des Agenturwesens im Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Umstellung von „Altrechtsakten“ auf das neue System der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . 250 C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 D. Normenhierarchien im Unionsrecht nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 I. Die Neugestaltung der Rechtsakttypen: Normenhierarchische Konsequenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Das normenhierarchische Verhältnis von Gesetzgebungsakten und Rechts­akten ohne Gesetzescharakter sowie von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Ausgangspunkt: Rechtsschutzlücken im gemeinschaftsrechtlichen Regime der Nichtigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 II. Individualrechtsschutz gegen abstrakt-generelle delegierte Rechtsakte und abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Individualrechtsschutz gegen konkret-individuelle Durchführungs­rechts­­ akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick 

281

A. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 B. Schlussbemerkung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Abkürzungsverzeichnis a. A.

andere(r) Ansicht

ABlEG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

ABlEU

Amtsblatt der Europäischen Union

ABlEWG

Amtsblatt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

Abs. Absatz AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Alt. Alternative Anm. z.

Anmerkung zu

AöR

Archiv für öffentliches Recht

Art. Artikel Aufl. Auflage Bd. Band Begr. Begründer BR-Drs. Bundesrats-Drucksache BSE

Bovine Spongiforme Enzephalopathie

BT-Drs. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Amtliche Sammlung)

bzw. beziehungsweise ca. circa CML Rev.

Common Market Law Review

CONV

Dokumente des Verfassungskonvents

COREPER

Comité des représentants permanents (Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten)

d. h.

das heißt

Dok.

Dokument

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd. ebenda EFSA

European Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)

14 Abkürzungsverzeichnis EG

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Fassung seit dem Vertrag von Amsterdam)

EG a. F.

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Fassung vor dem Vertrag von Amsterdam)

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EIoP

European Integration Online Papers

ELJ

European Law Journal

ELR

European Law Review

EMA

European Medicines Agency (Europäische Arzneimittel-Agentur)

EMRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte

endg. endgültig ERA

Europäische Rechtsakademie

EU

Europäische Union

EuG

Europäisches Gericht Erster Instanz

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht (Zeitschrift)

EUV

Vertrag über die Europäische Union (Fassung seit dem Vertrag von Lissabon)

EUV a. F.

Vertrag über die Europäische Union (Fassung vor dem Vertrag von Lissabon)

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EVV

Vertrag über eine Verfassung für Europa

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f.

folgende (Einzahl)

ff.

folgende (Mehrzahl)

Fn. Fußnote fortgef. fortgeführt Frankfurt a. M. Frankfurt am Main FS Festschrift GASP

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GenTG

Gesetz zur Regelung der Gentechnik

GG Grundgesetz GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Fassung seit dem Vertrag von Lissabon)

Abkürzungsverzeichnis15 GRUR

Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR Int

Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil

GVO

genetisch veränderte Organismen

Hrsg. Herausgeber HS

Halbsatz

i. d. F.

in der Fassung

i. e. S.

im engeren Sinne

i. V. m.

in Verbindung mit

i. w. S.

im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

JÖR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JuS

Juristische Schulung

JZ Juristen-Zeitung KOM Kommission KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

lit.

littera (Buchstabe)

LMuR

Lebensmittel und Recht

Losebl. Loseblatt MJ

Maastricht Journal of European and Comparative Law

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

No. Number Nr. Nummer NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

RL Richtlinie RMC

Revue du Marché Commun

Rn. Randnummer(n) Rs. Rechtssache RTDE

Revue trimestrielle de droit européen

S.

Seite, Satz

s. a.

siehe auch

Slg. Sammlung

16 Abkürzungsverzeichnis sog.

sogenannte, sogenanntes, sogenannten

Sp. Spiegelstrich StoffR Stoffrecht u. a.

unter anderem, und andere

UAbs. Unterabsatz Urt. Urteil v.

vom, von

Var.

Variante

verb. Rs.

verbundene Rechtssache

Verw

Die Verwaltung

VerwArch Verwaltungsarchiv vgl.

vergleiche

VO Verordnung Vol.

Volume

Vorb. Vorbemerkung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WRP

Wettbewerb in Recht und Praxis

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht

z. B.

zum Beispiel

ZEuS

Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZfRV

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZJS

Zeitschrift für das Juristische Studium

ZLR

Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht

ZÖR

Zeitschrift für öffentliches Recht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

„Komitologie: Der Europäische Da-Vinci-Code.“1

Einführung Nach dem System der Europäischen Gemeinschaft,2 welches im Gegensatz zum Grundgesetz nicht auf einer klassischen Gewaltenteilung, sondern auf dem „institutionellen Gleichgewicht“3 beruhte, war grundsätzlich die Kommission4 das zentrale Exekutivorgan, das die durch den Gemeinschaftsgesetzgeber5 geschaffenen Rechtsakte (auch Basisrechtsakte genannt) durchzuführen hatte. Diese Aufgabe wurde der Kommission vom Rat6 übertragen (Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG). In jedem Basisrechtsakt waren 1  Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei der Abschlusspressekonferenz zum Europäischen Rat im Juni 2006, zitiert nach Schusterschitz, Europa Blätter 2006, 176. 2  Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurde die Existenz der Europäischen Gemeinschaft beendet. Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft ist die Europäische Union, Art. 1 UAbs. 3 EUV. Der EGVertrag wurde in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV) umbenannt, Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABlEU C 83 v. 30.03.2010, S. 49. 3  Der Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“ wurde vom EuGH geprägt. EuGH, Urt. v. 22.05.1990 – Rs. C-70 / 88, Slg. 1990, I-2041 ff., Rn. 21 f. – Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften: „Die Verträge haben […] ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft geschaffen, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institu­ tionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist. Die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts gebietet es, daß jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt“. Das institutionelle Gleichgewicht im Gemeinschaftsrecht war somit anders als die klassische Gewaltenteilung kein autonomes Prinzip, sondern eine Ausprägung der zwischen den Organen der Gemeinschaft bestehenden Zuständigkeitsverteilung. 4  Die offizielle Bezeichnung seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon lautet: „Europäische Kommission“, Art. 13 Abs. 1 EUV. In den Vertragsdokumenten (und auch in dieser Arbeit) ist aber vereinfachend weiterhin von der „Kommission“ die Rede. 5  Der Begriff des „Gemeinschaftsgesetzgebers“ für den Rat (respektive Rat und Parlament) hatte sich in der Europäischen Gemeinschaft eingebürgert und wurde auch vom EuGH verwendet, siehe bereits EuGH, Urt. v. 15.07.1970 – Rs. 41 / 69, Slg. 1970, 661 ff. – ACF Chemiefarma NV / Kommission. So auch Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 9 Rn. 1. 6  Die offizielle Bezeichnung seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon lautet: „Europäischer Rat“, Art. 13 Abs. 1 EUV. In dieser Arbeit wird aber weiterhin vereinfachend von dem „Rat“ gesprochen. 1

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die Befugnisse der Kommission sowie die Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnisse festgelegt. „Die fortschreitende Konkretisierung einer Regelung über die verschiedenen Stufen einer hierarchisch gegliederten Rechtsordnung“7 – um deren europarechtliche Form es im Folgenden gehen wird – ist auch in den verschiedensten nationalen Rechtsordnungen ein bekanntes Phänomen: Der Erlass von Durchführungsbestimmungen zu den vom Parlament8 beschlossenen Gesetzen wird zuweilen der Exekutive überlassen. Mit der Übertragung der Durchführungsbefugnisse soll das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aus Effizienzgründen von der Befassung mit nicht wesentlichen Regelungen entlastet werden. Auf europäischer Ebene haben sich die Mitgliedstaaten bei der Durchführungsrechtsetzung allerdings ein Mitspracherecht ausbedungen: Bei dem Erlass von Durchführungsmaßnahmen wird die Kommission von Ausschüssen, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehen, beraten oder – negativ ausgedrückt – kontrolliert.9 Für dieses Ausschusswesen hat sich der Begriff „Komitologie“ eingebürgert. Die Kritik an dem Komitologieverfahren als Bestandteil des europäischen Rechtsetzungsprozesses ist im Laufe seines 50-jährigen Bestehens nie abgerissen.10 Die Komitologie gilt als Inbegriff der Intransparenz, als schwer nachvollziehbare Rechtsetzungstätigkeit „hinter verschlossenen Türen“.11 An die Öffentlichkeit gelangten in der Regel nur vereinzelte, besonders brisante Fälle, wie etwa die BSE-Krise oder die Beendigung des Gen-Moratoriums.12 Zudem sparten Politiker nicht mit anmutenden Metaphern und v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S. 202. offizielle Bezeichnung vor und nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon lautet „Eurpäisches Parlament“, Art. 7 Abs. 1 EG; nunmehr Art. 13 Abs. 1 EUV. Im Verlauf dieser Arbeit wird vereinfacht teilweise auch nur von dem „Parlament“ gesprochen. 9  Siehe G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 80. 10  Vgl. etwa zum Vorwurf des Demokratiedefizits der Komitologie Bleckmann, JZ 2001, 53 (55 ff.); v. Danwitz, Zwischen Symbolismus und Realismus, Internationale Politik 2001, 37 (42). 11  Ähnlich Everling, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 961 (980); Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (129); H. Hofmann / Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, 209 (214). 12  Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeit“ – aktuelle Rechtslage und Modell der Europäischen Verfassung, EI Working Paper Nr. 72, 2006, S. 5; G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 81; siehe dazu auch noch ausführlich Teil 2 D. und F. 7  Siehe 8  Die



A. Ziel der Untersuchung19

drastischen Übertreibungen, um ihr Missfallen an der Komitologie deutlich zum Ausdruck zu bringen: Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel beispielsweise bezeichnete bei der Abschlusspressekonferenz zum Europäischen Rat im Juni 2006 die Komitologie als „eine Art Da-VinciCode, den es zu entschlüsseln gilt“13. Ebenso illustrativ war 1999 der Ausspruch des Vorsitzenden des konstitutionellen Ausschusses im Europäischen Parlament Biagio de Giovanni: „La comitatologia è un inferno“14. Es handle sich dabei, so der Abgeordnete weiter, „um ein scheinbar technisches Problem, in Wahrheit aber um ein zutiefst politisches Problem, nämlich um das Problem der Kontrolle von Durchführungsmaßnahmen und der Zuständigkeit für die Kontrolle von Durchführungsmaßnahmen“15. Charakterisierungen wie die „Unterwelt der Ausschüsse“16 und „twilight zone“17 fielen ebenfalls im politischen und sogar im rechtswissenschaftlichen Diskurs. Ist das Komitologieverfahren tatsächlich eine Art Hölle, eine Feuersbrunst? Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon18 haben sich nicht nur die einschlägigen Artikel geändert, nach denen die Kommission ermächtigt wird, Durchführungsrechtsakte zu erlassen. Das System der Durchführungsrechtsetzung wurde vielmehr einer grundlegenden Reform unterworfen. Dies betrifft auch die Komitologie. Es stellt sich mithin die Frage, ob die Kritik an der Durchführungsrechtsetzung im Allgemeinen und an der Komitologie im Besonderen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verstummt ist.

A. Ziel der Untersuchung Diese aktuellen Entwicklungen werden zum Anlass genommen, die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission in dem bedeutsamen Bereich der Komitologie vor und nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu vergleichen und ihre Auswirkungen auf die Unionsbürger zu analysieren sowie – sofern erforderlich – Reformvorschläge zu unterbreiten. In diesem Zusammenhang werden einige relevante Regelungsgebiete, die eine nähere nach Schusterschitz, Europa Blätter 2006, 176. Komitologie ist ein Inferno“, zitiert und übersetzt nach Tichy, ZfRV 2000,

13  Zitiert 14  „Die

134.

15  Ebd.

16  Große

Hüttmann, Gesellschaft Wirtschaft Politik, 2002, 187. in: Joerges  /  Dehousse (Hrsg.), Good Governance in Europe’s Integrated Market, 2002, S. 35 (48). 18  Volltitel: Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, in Kraft getreten am 1. Dezember 2009, ABlEU C 306 v. 17.12.2007, S. 1. 17  Lenaerts / Verhoeven,

20 Einführung

Konkretisierung im Wege der Komitologie erfahren haben, beleuchtet und deren Bedeutung für die Praxis erörtert. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie sich der Betroffene gegen eine unrechtmäßige Normsetzung im Gefüge der Gemeinschaft zur Wehr setzen konnte und welche Veränderungen der Vertrag von Lissabon in diesem Bereich mit sich brachte.

B. Gegenstand der Untersuchung: Die Durchführungsrechtsetzung der Kommission vor und nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Zum besseren Verständnis und zur weiteren Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands ist es erforderlich, dieser Arbeit einige grundsätzliche Zusammenhänge und Begriffsbestimmungen voranzustellen. Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die Durchführungsrechtsetzung der Kommission gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG. Der Anwendungsbereich dieser Normen umfasste dabei sowohl konkret-individuelle Verwaltungsentscheidungen der Kommission als auch das Idealbild der Durchführungsrechtsetzung, nämlich den Erlass von Rechtsakten abstraktgenereller Natur.19 Die folgende Abhandlung konzentriert sich hauptsächlich auf den Erlass von abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten der Kommission. Neben diesem Gesichtspunkt regelten die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG ferner die Übertragung der Durchführungsbefugnisse von dem Rat auf die Kommission. Dieser Vorgang wird überwiegend mit dem Begriff der „Delegation“ gleichgesetzt. Der Inhaber der Delegationskompetenz wird als Delegant bezeichnet. Nach der vertraglichen Regelung (Art. 203, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG) stand die Delegationskompetenz ausschließlich dem Rat zu, der die Durchführungsbefugnisse auf den Delegatar, den Delega­ tionsempfänger – die Kommission – übertrug. Nach der Übertragung der Durchführungsbefugnisse konnte die Kommission den vom Gemeinschaftsgesetzgeber erlassenen Rechtsakt (Basisrechtsakt) mittels eines Durchführungsrechtsakts näher ausgestalten. Dabei war sie jedoch an den vom Gemeinschaftsgesetzgeber im Basisrechtsakt vorgezeichneten Rahmen gebunden. Der Basisrechtsakt war also die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Durchführungsrechtsakten und gab den Umfang der Durchführungsbefugnisse der Kommission vor. Da die Durchführungsrechtsetzung ihre Ermächtigungsgrundlage nicht unmittelbar aus 19  Siehe

Bueren, EuZW 2012, 167 (169).



B. Gegenstand der Untersuchung21

dem Vertrag, sondern aus einem sekundärrechtlichen Akt – dem Basisrechtsakt – bezog,20 wurde die Durchführungsrechtsetzung der Kommission auch als „abgeleitete“21 oder als „tertiäre Rechtsetzung“22 bezeichnet. Bevor die Kommission einen Durchführungsrechtsakt erlassen konnte, musste schließlich noch eine letzte Hürde überwunden werden, die Komitologie. Dabei handelt es sich um ein europäisches Phänomen ohne Vorbild in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Mit der Komitologie wird die Existenz einer bestimmten Art von Ausschüssen beschrieben, die vom Rat bei der Kommission eingerichtet werden und in denen mitgliedstaatliche Vertreter Stellungnahmen zu den Durchführungsvorhaben der Kommission abgeben. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat sich der oben überblicksartig dargestellte Ablauf der Durchführungsrechtsetzung der Kommission jedoch grundlegend geändert. Dies betrifft nicht nur das institutionelle Gefüge zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament, sondern auch die Komitologie. Da diese Neuerungen an anderer Stelle ausführlich erläutert werden, sei hier nur auf zwei terminologische Besonderheiten verwiesen: Im Gemeinschaftsrecht existierte ausschließlich der Begriff der „Durchführung“ zur Qualifizierung der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG, welcher sowohl legislativähnliche als auch exekutive bzw. administrative Befugnisse der Kommission umfasste, ohne sie jedoch als zwei eigenständige Rechtsakttypen zu charakterisieren. Zur Kennzeichnung dieser Besonderheit wird im Verlauf der Untersuchung auch von Durchführungsrechtsakten im weiteren Sinne gesprochen. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags existieren nunmehr zwei eigenständige Kategorien von 20  Siehe dazu auch schon den Wortlaut des Art. 202, 3. Sp. EG: „[…] überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften, die er erläßt“. 21  D. König, in: Schulze  / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 2; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 4; Riedel, EuR 2006, 512 (515); siehe auch v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (93), die die abgeleitete bzw. tertiäre Rechtsetzung auch als „habilitierte“ Rechtsetzung bezeichnen. 22  Streinz, Europarecht, 9. Aufl. (2012), § 1 Rn. 4, § 5 Rn. 445; Gundel, EWS 2011, 25 (32) m. w. N.; Biervert, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 249 EG Rn. 41; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 4; Magiera, DÖV 1998, 173 (175); siehe zu den normenhierarchischen Implikationen des Begriffs des „Tertiärrechts“ Teil 1 D. II. als tertiäre Rechtsetzung wurden die Akte vertraglich nicht vorgesehener Einrichtungen (vor allem von Europäischen Agenturen) des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, vgl. Riedel, EuR 2006, 512 (514). Diese Kategorie von tertiärer Rechtsetzung wird in dieser Arbeit nicht behandelt.

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Rechtsakten, nämlich die delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV) und die Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV), so dass bei Letzterer, da sie nun nicht mehr beide Befugnisse enthält, von Durchführungsrechtsakten im engeren Sinne gesprochen wird.

C. Gliederung der Arbeit Die Arbeit ist in drei Hauptteile untergliedert. In dem ersten Kapitel (Teil 1) soll die Dogmatik der Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf europäischer Ebene aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang wird zunächst der Begriff der „Durchführung“ für diese Arbeit eingegrenzt und seine wesentlichen vertraglichen Grundzüge dargestellt. Ausgangspunkt ist das System vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. Im Anschluss an die Thematik der Delegation rechtsetzender Befugnisse widmet sich dieses Kapitel der Ausgestaltung der Durchführungsbefugnisse, indem untersucht wird, welche zwingenden Vorgaben der Basisrechtsakt bei der Delegation von Durchführungsbefugnissen enthalten musste, um der Kommission beim Erlass von Durchführungsrechtsakten Grenzen zu setzen. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit der Gemeinschaftsgesetzgeber in der Befugnis, Normsetzungsaufgaben auf die Exekutive zu delegieren, beschränkt war. Daran anschließend wird die hierarchische Stellung der (tertiären) Durchführungsrechtsakte im System der Gemeinschaft erörtert. Beide Themengebiete sind eng miteinander verknüpft, da es sowohl bei der Delegation von Durchführungsbefugnissen als auch bei normenhierarchischen Überlegungen um die Zuweisung von Befugnissen legislativer und exekutiver Natur geht. Das Hauptaugenmerk wird sodann auf die Darstellung der Hierarchie der Rechtsakttypen nach dem gescheiterten Verfassungsvertrag23, also der Rechtsakte mit Gesetzescharakter und solcher ohne Gesetzescharakter, gelegt. Das zweite Kapitel (Teil 2) beschäftigt sich mit dem Themenkomplex der Komitologie, da sie seit jeher eine herausgehobene Stellung in der Debatte um die Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission eingenommen hat. In einem ersten Schritt werden – nach einer Begriffsbestimmung – zunächst der Aufbau, die Arbeitsweise, die Aufgaben der Aus23  Volltitel: Vertrag über eine Verfassung für Europa, unterzeichnet in Rom am 24. Oktober 2004, ABlEG C 310 v. 16.12.2004, S. 1. Ursprünglich sollte der Verfassungsvertrag am 1. November 2006 in Kraft treten. Aufgrund der gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden ratifizierten jedoch nicht alle Mitgliedstaaten den Vertrag über eine Verfassung der Europäischen Union.



C. Gliederung der Arbeit23

schüsse und die Bedeutung der Komitologie beleuchtet. In einem zweiten Schritt wird die historische Entwicklung der Komitologie im Kontext der jeweiligen Ausschusstypen nachvollzogen. Dabei nimmt die viel diskutierte Forderung nach einer Einbindung des Europäischen Parlaments bei der Kontrolle der Durchführungsrechtsetzung der Kommission einen zentralen Stellenwert der Untersuchung ein, wobei Defizite im gemeinschaftsrecht­ lichen System aufgezeigt und Schlussfolgerungen für eine Reform des Komitologieverfahrens abgeleitet werden. Das Hauptaugenmerk wird auf die unterschiedlichen Kontrollmechanismen gelegt, die dem Parlament im Laufe der Zeit gegenüber der Kommission eingeräumt wurden. Abschließend wird die praktische Bedeutung und die politische Dimension der Komitologie anhand von Beispielsfällen aus brisanten Politikbereichen aufgezeigt und mit Rechtsschutzgesichtspunkten gegen abgeleitete Rechtsakte verknüpft. Das dritte Kapitel (Teil 2) bildet eine Klammer um die zwei vorangegangenen Kapitel, in dem es wesentliche Ergebnisse wieder aufgreift und mit der Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vergleicht. Während das erste Kapitel die gemeinschaftsrechtliche Durchführungsrechtsetzung i. w. S. thematisiert, konzentriert sich das zweite Kapitel auf eine europäische Besonderheit dieser Durchführungsrechtsetzung, die Komitologie. Das dritte Kapitel greift die beiden Aspekte wieder auf und stellt deren Modifikationen, die sie aufgund der Lissabonner Vertragsreform erhalten haben, vor. Die inhaltliche Verschränkung der Kapitel ist vor allem auf die Zweiteilung der gemeinschaftsrechtlichen Durchführungsrechtsetzung i. w. S. in zwei eigenständige Rechtsakttypen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zurückzuführen. Denn anders als noch unter der Ägide des Gemeinschaftsrechts (Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG) differenziert der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union24 (AEUV) nunmehr zwischen den Befugnissen, die der Kommission zur Änderung oder Ergänzung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsakts delegiert werden können (Art. 290 AEUV), und den Befugnissen zum Erlass von Durchführungsrechtsakten i.  e.  S. (Art. 291 AEUV). Durch diese Zweiteilung und die Einführung der Kategorie der ­ Gesetzgebungsakte im primären Unionsrecht (Art. 289 AEUV) hat sich nicht nur das institutionelle Gleichgewicht von Kommission, Rat und Europäischem Parlament grundlegend verändert. Betroffen von den weitreichenden Reformen ist auch die Komitologie, deren Rechtsgrundlage neu verortet wurde. Damit ist auch der Untersuchungsgegenstand des letzten Kapitels eingegrenzt: Zunächst werden die reformierten Rechtsakttypen des Vertrags 24  Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABlEU C 115 v. 09.05.2008, S. 47.

24 Einführung

von Lissabon vorgestellt und deren Inhalte sowie die Abgrenzung ihrer Anwendungsbereiche bestimmt. Anschließend werden die Konsequenzen des neuen zweigliedrigen Durchführungsmodells untersucht. Dies betrifft zum einen die gewandelte unionsrechtliche Bedeutung der Begriffe „Durchführung“ und „Delegation“ und zum anderen die Verortung der Komitologie innerhalb dieser beiden neuen Rechtsakttypen. Da sich mit dem novellierten System der unionalen Rechtsakte – wie auch schon im gescheiterten Verfassungsvertrag – abermals die Frage nach einer expliziten oder impliziten Rangordnung der Rechtsakte im Vertrag von Lissabon stellt, wird ferner untersucht, ob sich mit der Einführung der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte neben dem Primär- und Sekundärrecht eine tertiäre Hierachieebene herausgebildet hat. Abschließend sollen die Reformen im Bereich des Individualrechtsschutzes gegen abgeleitetes Unionsrecht25 vorgestellt und ihr Mehrwert gegenüber der bisherigen gemeinschaftsrecht­ lichen Rechtslage analysiert werden.

25  Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist die Unterscheidung zwischen Unions- und Gemeinschaftsrecht entfallen. Die Europäische Gemeinschaft ist in der Union aufgegangen (Art. 1 UAbs. 3 EUV), welche ausdrücklich Rechtspersönlichkeit erlangt hat (Art. 47 EUV). Aus diesem Grund wird der Begriff des Unionsrechts statt des Gemeinschaftsrechts gebraucht, sofern sich die Ausführungen auf die Zeit nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon beziehen. Anders als dies noch im Verfassungsvertrag vorgesehen war (Art. I-6 EVV), existiert in dem durch den Reformvertrag geänderten EU-Vertrag keine Vorschrift, die den Begriff des „Unionsrechts“ näher erklärt.

Teil 1

Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission als Teil der europäischen Rechtsetzungstätigkeit vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon An der Rechtsetzung der Gemeinschaft war die Kommission in dreierlei Weise beteiligt: Erstens, indem sie dem Rat und dem Parlament Vorschläge für die Rechtsetzung unterbreitete (vgl. Art. 211, 3. Sp., 1. Var., Art. 208, Art. 192 Abs. 2 EG; nunmehr modifiziert Art. 17 Abs. 1  EUV26, Art. 241 AEUV, modifiziert Art. 225 AEUV). Davon zu unterscheiden war zweitens die eigenständige Rechtsetzungstätigkeit der Kommission. Dabei trat die Kommission nur ausnahmsweise als autonomes Rechtsetzungsorgan auf (vgl. Art. 211, 3. Sp., 2. Var. EG; nunmehr modifiziert Art. 17 Abs. 1 EUV), nämlich dann, wenn der Vertrag dies ausdrücklich vorsah (z. B. Art. 86 Abs. 3 EG; nunmehr Art. 106 Abs. 3 AEUV). Bei den meisten Rechtsakten, die die Kommission erließ, handelte es sich jedoch drittens um sog. „Durchführungsbefugnisse“ (vgl. Art. 202, 3. Sp., Art. 211, 4. Sp. EG; nunmehr modifiziert Art. 290, Art. 291 AEUV und Art. 17 Abs. 1 EUV). Gegenstand dieser Arbeit ist allein diese Art der Beteiligung der Kommission an der Gemeinschaftsrechtsetzung. Die Befugnis zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts erhielt die Kommission vom Rat bzw. von ihm und – entgegen dem Wortlaut der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG27 – dem Europäischen Parlament.28 Die Kommission erließ unter Geltung des EG-Vertrags jährlich 2.500 bis 3.000 Durchführungsmaßnahmen (in Form von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen).29 80.000 solcher Maßnahmen hat die Kommission 26  Die Abkürzung „EUV“ bezieht sich auf den Vertrag über die Europäische ­ nion (ABlEU C 83 v. 30.03.2010, S. 13) nach dem Inkrafttreten des Vertrags von U Lissabon, der zusammen mit dem „AEUV“ Grundlage der Union ist, Art. 1 UAbs. 3 EUV. Ältere Fassungen werden mit der Abkürzung „EUV a. F.“ kenntlich gemacht. 27  Siehe Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 3; siehe ebenfalls Teil 1 B. II. 28  Vgl. Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 272 ff. 29  Szapiro, in: H. Hofmann / Türk (Hrsg.), Legal Challenges in EU Administrative Law, 2009, S. 89 (90); Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (2).

26

Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

seit den 1960er Jahren erlassen.30 Demgegenüber hat der Rat (respektive Rat und Parlament) lediglich ca. 10.500 EG-Basisrechtsakte (in Form von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen) verabschiedet.31 Damit überschritt die exekutive Rechtsetzungstätigkeit der Kommission bei Weitem die legislative Tätigkeit von Rat und Parlament. 2011 erließ die Europäische Kommission – neben 723 Beschlüssen  /  Entscheidungen – 1.263 Verordnungen und 71 Richtlinien, während der Rat insgesamt nur 670 Sekundärrechtsakte (davon in 123 Fällen gemeinsam mit dem Europäischen Parlament) verabschiedete.32 Rein quantitativ gesehen ist die Kommission damit das Hauptrechtsetzungsorgan der Union.33 Die meisten dieser Rechtsakte ergingen auf der Grundlage der vom Rat an die Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse. Dieser Übertragungsvorgang wird im Folgenden ausführlich untersucht. Dabei erscheint zunächst eine Klärung des Begriffs „Durchführung“ sinnvoll, um den Themenbereich dieser Arbeit festzulegen. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der „Delegation“, welcher häufig im Zusammenhang mit der Übertragung von Durchführungsbefugnissen fällt. Der vorletzte Abschnitt dieses Kapitels widmet sich den Grenzen der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen, indem vor allem aus der Rechtsprechung des EuGH34 materielle Kriterien herausgearbeitet werden, die der Basisrechtsakt enthalten musste, um Durchführungsbefugnisse auf die Kommission zu delegieren. Eng ver30  Schlacke, JÖR 2013, 293 (296); Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 5. 31  Ebd. Die Gesamtzahl der von den Ausschüssen im Jahr 2009 abgegebenen Stellungnahmen betrug 2.091 (gegenüber 2.185 im Jahr 2008); die Anzahl der von der Kommission erlassenen Durchführungsmaßnahmen belief sich auf 1.808 (gegenüber 2.022 im Jahr 2008), siehe Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 6. Die Ausschüsse haben auf der Grundlage von Art. 291 Abs. 2 AEUV i.  V.  m. der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU im Jahr 2011 1.868 Stellungnahmen abgegeben; von der Kommission wurden insgesamt 1.788 Durchführungsrechtsakte i. e. S. erlassen, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685) endg., S. 12. 32  Eur-Lex einfache Suche nach allen Sekundärrechtsakten, die im fraglichen Zeitraum von dem Rat auf der einen und der Kommission auf der anderen Seite angenommen und unterzeichnet wurden, http: /  / eur-lex.europa.eu / de / index.htm. 33  Blom-Hansen, Journal of European Public Policy 2011, 607 (610 f.); Haibach, VerwArch 1999, 98. 34  Nach Art. 19 Abs. 1 EUV ist der „Gerichtshof der Europäischen Union“ nunmehr die Sammelbezeichnung für die europäische Gerichtsbarkeit. Danach besteht der Gerichtshof der Europäischen Union aus dem Gerichtshof, kurz EuGH, dem Gericht, kurz EuG (ehemals als Gericht Erster Instanz bezeichnet) und den Fachgerichten, die bisher als Gerichtliche Kammern firmierten. Siehe zu dieser Umbezeichnung Kotzur, EuR-Beiheft 1, 2012, 7 (10).



A. Die Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. EG27

knüpft mit der Frage der Delegation rechtsetzender Befugnisse ist die Thematik der Hierarchisierung des Gemeinschaftsrechts. Insofern erfolgt im letzten Abschnitt zunächst eine Analyse der Normenhierarchie im Gemeinschaftsrecht, um im Anschluss daran das Hierarchiemodell des gescheiterten Verfassungsvertrags vorzustellen. Im dritten Kapitel schließt sich dann der Kreis mit der Analyse des reformierten Durchführungsmodells nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. Im Rahmen dieser Untersuchung wird sich zeigen, ob sich eine „echte“ Normenhierarchie im Unionsrecht durchgesetzt hat.

A. Einordnung der Durchführungsrechtsakte in das System der Rechtsakte und Überblick über die Entstehung der Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG I. Der Begriff der „Durchführung“ als terminus technicus des EG-Vertrags Mit dem Terminus „Durchführung des Gemeinschaftsrechts“ wurden teilweise unterschiedliche Sachverhalte beschrieben.35 Zum einen fiel unter den Begriff die mitgliedstaatliche Pflicht zur Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben – „sei es durch die Gesetzgebung oder durch Rechtsakte der einzelstaatlichen Verwaltungen“36 – und zum anderen der gemeinschaftseigene Vollzug.37 Für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts waren nach Art. 5 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 5 Abs. 1 EUV), dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, und aufgrund der Geltung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 Abs. 2 EG; nunmehr Art. 5 Abs. 3 EUV) primär die mitgliedstaatlichen Behörden 35  So auch Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 50; Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 159 ff.; Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (534 Fn. 280); Riedel, EuR 2006, 512 (514); Möllers, EuR 2002, 483 (496); Rengeling, EuR 1974, 216 (217 f.). 36  Riedel, EuR 2006, 512 (514). 37  Hummer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 19 (59); Beljin, EuR 2002, 351 (371); Möllers, EuR 2002, 483 (Fn. 65); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 236 ff. Schroeder, Grundkurs Europarecht, 3. Aufl. (2013), § 8 Rn. 2 versteht „Durchführung“ als Oberbegriff für „die planmäßige Ausführung des Unionsrechts durch Rechtsnormen, seine Vollziehung durch rechtliche Einzelakte der Verwaltung und seine Anwendung durch Entscheidungen der Gerichte“.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

zuständig,38 zumal die Gemeinschaft auch nur begrenzt über eigene Exekutivbehörden verfügte.39 Innerhalb des mitgliedstaatlichen Vollzugs ließen sich wiederum zwei Unterfälle differenzieren: In dem Fall, dass die nationalen Behörden unmittelbar EG-Recht anwendeten, sprach man vom unmittelbaren mitgliedstaatlichen Vollzug. Als mittelbarer mitgliedstaatlicher Vollzug wurde dagegen die Anwendung nationalen Rechts bezeichnet, welches zur normativen Konkretisierung von EG-Recht ergangen war.40 Für den gemeinschaftseigenen Vollzug41, welcher insbesondere bei Informations-, Überwachungs- und Koordinierungsaufgaben einschlägig war, bestand grundsätzlich die Zuständigkeit der Kommission, wie z. B. bei der Durchsetzung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts einschließlich der Aufsicht über die nationale Beihilfenpraxis (vgl. Art.  81 ff., Art.  87 ff. EG; nunmehr Art. 101 ff., Art. 107 ff. AEUV)42. Die Mehrzahl der Vollzugsbefugnisse in diesem Bereich wurde der Kommission jedoch erst durch Sekundärrechtsakte übertragen. Die am häufigsten verwendete Handlungsform des externen gemeinschaftseigenen Vollzugs war die Entscheidung im 38  Schroeder, AöR 2004, 1 (11  ff.); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 237 ff. Vgl. auch die 43. Erklärung zum Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit anlässlich der Vertragsrevision von Amsterdam, ABlEU Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 140. Darin heißt es, dass „die administrative Durchführung des Unionsrechts grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bleibt“. 39  Hobe, Europarecht, 7. Aufl. (2012), § 10 Rn. 105; Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeit“ – aktuelle Rechtslage und Modell der Europäischen Verfassung, EI Working Paper Nr. 72, 2006, S. 8; Schroeder, AöR 2004, 1 (12). 40  Streinz, Europarecht, 9.  Aufl. (2012), § 7 Rn. 575 ff.; Jarass / Beljin, NVwZ 2004, 1 (6); Beljin, EuR 2002, 351 (371 f.). 41  Siehe auch die terminologische Begriffsverwendung bei Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 240 ff., der zwischen direktem gemeinschaftsrechtlichen Vollzug und indirektem mitgliedstaatlichen Vollzug unterscheidet. Ebenso Winter, EuR 2005, 255 (256 ff.). Der gemeinschaftseigene Vollzug beinhaltet wiederum zwei Unterfälle, zum einen den internen direkten Vollzug (dazu gehören gemeinschaftsinterne Bereiche wie Personal- und Haushaltsangelegenheiten) und den externen direkten Vollzug, vgl. Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 47 f. Siehe zum gemischten Vollzug Bieber / Epiney / Haag, Die Europäische Union, 10. Aufl. (2013), § 8 Rn. 29. 42  Siehe zur neuen Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Nemitz, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 17 EUV Rn. 39 ff.; Streinz, Europarecht, 9. Aufl. (2012), § 7 Rn. 572 ff.; Kment, JuS 2011, 211 (212); und zur alten Rechtslage Winter, EuR 2005, 255 (257); Nettesheim, EuR 2004, 511 (522); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 237; Magiera, DÖV 1998, 173 (175); Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, 924 (925).



A. Die Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. EG29

Sinne von Art. 249 Abs. 2 EG (nunmehr der „Beschluss“, Art. 288 UAbs. 2 AEUV). Neben diesem allgemeinen Begriffsverständnis umfasste der Terminus der „Durchführung“ ferner eine weitere wesentliche Komponente. Gemeint ist die Durchführung nach Art. 202, 3. Sp.43 und Art. 211, 4. Sp. EG44. Danach war im Regelfall die Kommission befugt, für die vom Rat (bzw. gemeinsam mit dem Parlament) verabschiedeten (Basis-)Rechtsakte die Durchführungsbestimmungen zu erlassen, die wiederum für den Vollzug der Basisrechtsakte in den Mitgliedstaaten notwendig waren.45 Diese Durchführungsmaßnahmen gestalteten zwar die primärrechtlichen Ermächtigungsnormen des Rats (bzw. des Rats und des Parlaments) näher aus, sie stellten aber keine Vollzugsakte im staatsrechtlichen Sinne dar, sondern waren Akte der Sekundärrechtsetzung, die von der weitergehenden Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten unterschieden werden mussten.46 Der Begriff „Vollzug“ kann somit nicht herangezogen werden, um den Vorgang der Durchführung gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG zu beschreiben. Allerdings fielen unter den Regelungsgegenstand der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG nicht nur der Erlass von abstrakt-generellen Durchführungs­ rechts­akten,47 sondern beispielsweise auch Maßnahmen konkret-individueller Art.48 Während die erste Kategorie (quasi-)legislative Aufgaben der Kom43  Art. 202 EG wurde durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Wesentlichen ersetzt durch Art. 16 Abs. 1 EUV und die Art. 290 und 291 AEUV. 44  Art. 211 EG wurde durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Wesentlichen ersetzt durch Art. 17 Abs. 1 EUV. 45  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 39; Möllers, EuR 2002, 483 (495, 515). 46  So auch Martel, ZEuS 2008, 601 (611); Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (144); Möllers, EuR 2002, 483 (503); Magiera, DÖV 1998, 173 (175). 47  Wie z. B. zur Anpassung von Verordnungen und Richtlinien an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt durch die Änderung des Basisrechtsakts. Vgl. dazu Art. 13 RL 70 / 156 / EWG des Rates v. 06.02.1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger, ABlEWG L 42 v. 23.02.1970, S. 1; Art. 8 Abs. 2 RL 76 / 768 / EWG des Rates v. 27.07.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, ABlEWG L 262 v. 27.09.1976, S. 169; Art. 28 und Art. 29 RL 92 / 32 / EWG des Rates vom 30.04.1992 zur siebten Änderung der Richtlinie 67 / 548 / EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe, ABlEWG L 154 v. 05.06.1992, S. 1. Für eine ausführliche Kategorisierung siehe Teil 2 B. 48  So auch Schlacke, JÖR 2013, 293 (299); Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund, 2011, S. 122 f.; G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 82 f.; Falke / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 541 (542). Vgl. dazu auch Art. 10

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

mission betraf, gehörte Letztere eher in den Bereich der administrativen Kompetenz der Kommission,49 wobei die Übergänge häufig fließend waren. Eine klare Abgrenzung existierte nicht.50 Bei dem Erlass von Durchführungsrechtsakten gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG wurde nicht zwischen dem Erlass „reiner“ Durchführungsmaßnahmen und „echter“ Rechtsetzungstätigkeit der Kommission unterschieden.51 Die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG umfassten vielmehr zwei Arten von Gemeinschaftsrechtsakten. Insofern handelt es sich bei „Durchführung“ im Sinne der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG um einen „primärrechtlich eingeführten terminus technicus, der eine eigenständige Kategorie von Gemeinschaftsrechtsakten bezeichnet“52, nämlich die abstrakt-generellen Rechtsakte und die konkret-individuellen Einzelfallentscheidungen der Kommission zur Durchführung der vom Rat (und gegebenenfalls vom Parlament) erlassenen Basisrechtsakte.53 Der Vertrag von Lissabon führt demgegenüber eine Unterscheidung zwischen delegierten Rechtsakten (Art. 290 AEUV) und Durchführungsrechtsakten (Art. 291 AEUV) ein und kündigt damit eine grundlegende Änderung des bisherigen Durchführungsmodells an. Diese Änderungen werden im dritten Kapitel eingehend erörtert.54

Abs. 4 RL 90 / 425 / EWG des Rates vom 26.06.1990 zur Regelung der veterinärrechtlichen und tierzüchterischen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Erzeugnissen im Hinblick auf den Binnenmarkt, ABlEWG L 224 v. 18.08.1990, S. 29 und die darauf gestützte und nach Stellungnahme des Ständigen Veterinärausschusses getroffene Entscheidung der Kommission 93  /  364  /  EWG v. 18.06.1993 über Schutzmaßnahmen gegen die klassische Schweinepest in Deutschland, ABlEWG L 150 v. 22.06.1993, S. 47. 49  Daher spricht sich Möllers, EuR 2002, 483 (510 f.) gegen ein weites Verständnis der „Durchführung“ im Sinne der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG aus. Riedel, EuR 2006, 514 ff. sieht hingegen in dem Begriff der „Durchführung“ einen terminus technicus des Primärrechts, der letztendlich beide Kategorien von Gemeinschaftsrechtsakten beinhaltet. 50  Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 297; D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 93; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 97. 51  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 270 f.; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (495); Jacqué, RTDE 2008, 457 (479); McDonnell, in: FS Bieber, 2007, S. 372 (380 f.); Teichmann, in: Kämmerer  /  Wyrzykowski (Hrsg.), Verfassungsgebung für Europa II, 2005, S. 149 (160). 52  Riedel, EuR 2006, 512 (514). 53  Siehe dazu noch Teil 1 C. I. und C. II. 54  Siehe dazu noch Teil 3 B.



A. Die Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. EG31

II. Rechtsgrundlage für die Übertragung von Durchführungsbefugnissen Bereits in den Anfangsjahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestand im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass der Rat nicht in der Lage war, sämtliche Detailfragen selbst zu regeln.55 Für ihn ergab sich daher die Notwendigkeit, seine Rechtsetzungsbefugnisse in gewissem Umfang auf andere Instanzen zu übertragen, die sachkundiger waren und die über personelle Ressourcen und eine rasche Anpassungsfähigkeit an wechselnde Normierungsbedürfnisse verfügten.56 Als Adressat derartiger Ermächtigungen kam aufgrund des vorhandenen Verwaltungsunterbaus vor allem die Kommission in Betracht.57 Umstritten war jedoch, auf welcher Rechtsgrundlage die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen erfolgen konnte.58 Anfang der sechziger Jahre wurde von einem Teil der Literatur als Rechtsgrundlage der erste Spiegelstrich des damaligen Art. 155 EG a. F. (Art. 211 EG) herangezogen.59 Mitte der sechziger Jahre setzte sich die Ansicht durch, dass nicht mehr der erste, sondern vielmehr der vierte Spiegelstrich als Kompetenzgrundlage zum Erlass von Durchführungsvorschriften anzuwenden sei.60 Als Hauptargument dieser Ansicht wurde hervorge55  Vgl. Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 277; H. Hofmann / Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, 209 (2010); Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (545); Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1977, Rn. 317. 56  Dehousse, in: Joerges  / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 109 (110 f.); Däubler, DVBl. 1966, 660. Ausführlich zu den Gründen für die Delegation von Befugnissen Héritier / Moury / Bischoff u. a., Chang­ ing Rules of Delegation, 2013, S. 10 ff. 57  Vgl. Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S. 106; Schmitt v. Sydow, Organe der erweiterten Europäischen Gemeinschaften – Die Kommission, 1980, S. 66. 58  Ausführlich zum Streitstand Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 160 ff. m. w. N. 59  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 73 mit Verweis auf Kraushaar, DÖV 1959, 726 (727, 729 f.). 60  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 73 m.  w.  N.; Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), § 7 Rn. 512 ff.; Schmitt von Sydow, Organe der erweiterten Europäischen Gemeinschaften – Die Kommission, 1980, S. 65; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 20 / 50; Holch, EuR 1969, 213 (217, 220 f., 228); Morand, La législation dans les Communautés Européennes, 1968, S. 215; W. Möller, Die Verordnung der Europäischen Gemeinschaften, 1967, S. 88; Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963, S. 108; Glaesner, DÖV 1959, 653 (656); vgl. auch EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 10 / 14 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

bracht, dass die Aussage des Art. 155, 4. Sp. EG a. F.61 sinnlos wäre, wenn sich bereits aus Art. 155, 1. Sp. EG a. F.62 eine Befugnis des Rats zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission ergeben würde.63 Eine Klärung dieser streitigen Frage schien erst die Einheitliche Europäi­ sche Akte aus dem Jahre 198664 zu bringen. Danach wurde durch Art. 10 der Einheitlichen Europäischen Akte der damalige Art. 145 EG a. F. um die bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in Art. 202, 3. Sp. EG enthaltene Regelung ergänzt. Die Neuregelung sah vor, dass der Rat der Kommission in den von ihm (bzw. ihm und dem Europäischen Parlament) angenommenen Rechtsakten die Befugnis zur Durchführung dieser Vorschriften übertrug. Trotz der Vertragsergänzung bestand weiterhin Uneinigkeit darüber, welche Vorschrift die Rechtsgrundlage für die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen bildete.65 So wurde teilweise Art. 211, 4. Sp. EG als alleinige Rechtsgrundlage bezeichnet,66 andere Autoren dagegen zogen Art. 202, 3. Sp. EG heran67. Aufgrund des fast gleichlautenden Wortlauts, der keine Anhaltspunkte dafür lieferte, dass zwischen den beiden Vorschriften sachliche Unterschiede bestanden, wurde jedoch überwiegend davon ausgegangen, dass Art. 211 mit Art. 202 EG korrespondiert68 bzw. Art. 202, 3. Sp. an Art. 211, 4. Sp. EG anknüpft69. Insofern wurden mehrheitlich beide Vorschriften als einheitliche Delegationsnorm herange61  „Um das ordnungsgemäße Funktionieren und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, erfüllt die Kommission folgende Aufgaben: – die Befugnisse auszuüben, die ihr der Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt.“ 62  „Um das ordnungsgemäße Funktionieren und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, erfüllt die Kommission folgende Aufgaben: – für die Anwendung dieses Vertrags sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrags getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen; […].“ 63  Vgl. Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), § 7 Rn. 512; Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963, S. 104 f. 64  Unterzeichnet am 28. Februar 1986, in Kraft getreten am 1. Juli 1987. 65  Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (543); Sedemund / Montag, NJW 1987, 546; Pescatore, EuR 1986, 153 (167). 66  Siehe Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 100, deren Aussage sich allerdings noch auf die Vorgängernorm des Art. 211, 4. Sp. EG, Art. 155, 4. Sp. EG a. F., bezieht. 67  Siehe Streinz, Europarecht, 8. Aufl. (2008), § 6 Rn. 522. 68  Ruffert, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 211 EG Rn. 15. Nach Ansicht von Breier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 4. Aufl. (2006), Art. 211 EG Rn. 9 wird Art. 211, 4. Sp. durch Art. 202, 3. Sp. EG konkretisiert. 69  So Wichard, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5, der des Weiteren noch feststellt, dass Art. 202, 3. Sp. über



A. Die Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. EG33

zogen.70 Begründen ließ sich dies vor allem damit, dass Art. 202, 3. Sp. EG den Status des Deleganten (Rat) und Art. 211, 4. Sp. EG denjenigen des Delegatars (Kommission) regelte.71 Gegen eine solche „Verdopplung der Delegationsnormen“72 konnte auch nicht die systematische Trennung der beiden Vorschriften im Vertrag angeführt werden. Dieser Trennung war keine inhaltliche Bedeutung beizumessen.73 Sie war vielmehr der an ­verschiedenen Stellen beschriebenen Aufgabenbereiche der beiden Organe – Rat (Abschnitt 2) und Kommission (Abschnitt 3) – geschuldet.74 Rechtsgrundlage für die Übertragung von Durchführungsbefugnissen war somit eine einheitliche Delegationsnorm bestehend aus Art. 202, 3. Sp. EG und dem daran anknüpfenden Art. 211, 4. Sp. EG. Obwohl diese Delegationsnorm im Gemeinschaftsrecht einzigartig war (außerhalb der vertraglich vorgesehenen Verlagerung der Kompetenzen auf die Kommission durch Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG waren wegen des allgemein vorherrschenden Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung75 weitere Kompetenzdelegationen nicht zulässig)76, bildeten beide Vorschriften dennoch keine selbständige Rechtsgrundlage, aufgrund derer ein Durchführungsrechtsakt erlassen werden konnte.77 Die Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG hinausgeht, da er „die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission zum Regelfall erklärt“. 70  So z. B. Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 4. Aufl. (2009), § 12 Rn. 31; Breier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 4. Aufl. (2006), Art. 202 EG Rn. 5; Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 276; Mensching, EuZW 2000, 268; Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 41; Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 230. Vgl. auch die ausführliche Auseinandersetzung bei Blumann, RTDE 1988, 23 (30 f.). 71  Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 230. 72  Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 162. 73  Ebd. 74  Ebd. 75  Ausführlich zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrags, 1991; siehe auch v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 96 ff. 76  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 74; Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 39; Hummer, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (Hrsg.), EUV a. F. / EGV Altband II, Losebl. (Stand: Mai 1999), Art. 155 EG a. F. Rn. 67; Schindler, DVBl. 1971, 356. 77  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 75; Hummer, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (Hrsg.), EUV a. F. / EGV Altband II, Losebl. (Stand: Mai 1999), Art. 155 EG a. F. Rn. 67; so auch W. Möller, Die Verordnung der Europäischen Gemeinschaft, 1967, S. 88.

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211, 4. Sp. EG enthielten letztendlich nur Organkompetenzen des Rats78 und allgemeine Aufgabenzuweisungen an die Kommission79, die den rechtlichen Rahmen – also das „Wie“ – der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen regelten. Erst in Verbindung mit den Vertragsbestimmungen, auf die sich der Basisrechtsakt stützte, war eine solche Übertragung von Durchführungsbefugnissen zulässig,80 also überall dort, wo der europäische Gesetzgeber zum Erlass von Sekundärrechtsakten aufgrund des EG-Vertrags zuständig war.81 Die Kompetenz der Kommission zur Durchführungsrechtsetzung war folglich an einen normativen Zwischenschritt des Rats (bzw. des Rats und des Parlaments) gekoppelt.82 Aus diesem Grund wurde die Durchführungsrechtsetzung als „abgeleitete“83 oder auch als „tertiäre Rechtsetzung“84 bezeichnet, die sich – rein formal gesehen – von der vertragsunmittelbaren Rechtset78  Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (544); Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 104. 79  Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 163; Nicolaysen, Europarecht I, 2. Aufl. (2002), S. 303; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 46. 80  Der Rat konnte der Kommission also nicht allgemein und generalklauselartig die Durchführungsbefugnisse zuweisen, sondern nur in Zusammenhang mit dem durchzuführenden Rechtsakt. Im Bereich der nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben beispielsweise haben Europäisches Parlament und Rat, gestützt auf Art. 95 EG (nunmehr Art. 114 AEUV) – mithin im Rahmen ihrer Zuständigkeit – die Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG erlassen, deren Art. 15 Abs. 4 die Kommis­ sion zum Erlass von Durchführungsvorschriften ermächtigt. Da die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG nicht die unmittelbare Rechtsgrundlage der dadurch begründeten Kommissionskompetenz darstellten, brauchte die Übertragungsnorm (Art. 15 Abs. 4 Health Claims-Verordnung Nr.  1924  /  2006  /  EG) nicht ausdrücklich auf die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG gestützt zu werden, vgl. Schmitt v. Sydow, Organe der erweiterten Europäischen Gemeinschaften – Die Kommission, 1980, S. 67. 81  Der Basisrechtsakt konnte nach den im Gemeinschaftsrecht geltenden Legislativverfahren entweder nur von dem Rat oder von Rat und Parlament gemeinsam erlassen werden. Die im Basisrechtsakt enthaltene Befugnis zur Übertragung von Durchführungsmaßnahmen besaß jedoch ausschließlich der Rat (Delegant, vgl. Art. 202, 3. Sp. EG), der deswegen auch als Inhaber der Delegationskompetenz bezeichnet wurde, siehe dazu ausführlich Teil 1 B. II. 82  Möllers, EuR 2002, 483 (485). 83  D. König, in: Schulze  / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 2; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 4; Riedel, EuR 2006, 512 (515). 84  Schlacke, JÖR 2013, 293 (295); Streinz, Europarecht, 9.  Aufl. (2012), § 1 Rn. 4, § 5 Rn. 445; Gundel, EWS 2011, 25 (32) m. w. N.; Biervert, in: Schwarze /  Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 249 EG Rn. 41; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 4; Ma­ giera, DÖV 1998, 173 (175). Siehe zu den normenhierarchischen Implikationen des Begriffs „Tertiärrecht“ Teil 1 D. II.



A. Die Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 202, 3. Sp. EG35

zung der Gemeinschaftsorgane durch ihre Ermächtigungsgrundlage, welche nicht unmittelbar auf dem Vertrag, sondern auf einem sekundärrechtlichen Akt – dem Basisrechtsakt – beruhte, unterschied.85 Demgegenüber musste der Basisrechtsakt (teilweise auch Grundverordnung oder Habilitationsakt86 genannt) auf eine unmittelbare Ermächtigungsgrundlage in den Gemeinschaftsverträgen zurückzuführen sein.87 III. Die Regelzuständigkeit der Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten Der Wortlaut der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG offenbarte, dass der Rat zusätzlich zu seinen legislativen Kompetenzen (vgl. Art. 207 Abs. 3 S. 3 EG „der Rat als Gesetzgeber“) originäre exekutive Kompetenzen inne­ hatte.88 Denn in spezifischen Fällen konnte es sich der Rat gemäß Art. 202, 3. Sp., S. 3 EG vorbehalten, Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben. Damit wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der EG-Vertrag keine materielle Aufteilung der Rechtsetzungszuständigkeiten in dem Sinne kannte, dass der Rat nur Grundvorschriften und die Kommission die entsprechenden Ausführungsvorschriften zu erlassen hatte. Diese Regelungen verdeutlichen vielmehr, dass die Durchführung von Rechtsakten durch die Kommission die Regel und die Durchführung durch den Rat die Ausnahme sein sollte (Grundsatz der sog. „Regeldelegation“89).90 Die Stellung des Rats konnte mit der einer „Durchgangsstation“91 verglichen werden. In dem Mo85  Riedel, EuR 2006, 512 (514); v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (93); H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 116. Siehe dazu auch schon den Wortlaut des Art. 202, 3. Sp. EG: „[…] überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften, die er erläßt“. 86  Siehe v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (93). 87  Riedel, EuR 2006, 512 (514). 88  Möllers, EuR 2002, 483 (484). 89  Begriff nach Wichard, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5; Schweitzer, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: Oktober 2005), Art. 202 EG Rn. 26; Klösters, Kompetenzen der EG-Kommission im innerstaatlichen Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1994, S. 41; Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (543). 90  So auch Hix, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 202 EG Rn. 10; Riedel, EuR 2006, 512 (516); Lenaerts / Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. (2005), S. 611; Majone, ELJ 2002, 319 (328); Nicolaysen, Europarecht I, 2. Aufl. (2002), § 8 S. 303; Jacqué, in: Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 59 (61); Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994, S. 170; Hailbronner, JuS 1990, 439 (441). 91  Möllers, EuR 2002, 483 (484).

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

ment, in dem ein Basisrechtsakt mit delegationsfähigem Inhalt zur Entstehung gelangte, erwuchs die Pflicht des Rats,92 die entstandenen Durchführungsbefugnisse an die Kommission weiterzuleiten.93 Eingeführt wurde dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis durch Art. 10 der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986, demzufolge Art. 145 EG a. F. die Ergänzung um einen weiteren Absatz erfuhr. Diese Vertragsänderung führte zur Verschiebung des institutionellen Kräfteverhältnisses innerhalb der Gemeinschaft, da nunmehr die Durchführung von Rechtsakten der Kommission oblag.94 Bis zur Reform der Verträge durch die Einheitliche Europäische Akte konnte der Rat die Durchführungsbefugnisse von Fall zu Fall zuweisen95 und somit die Zuständigkeit auch für sich behalten oder die Abgabe der Exekutivkompetenzen an die Kommission durch diverse Modalitäten an bestimmte Bedingungen knüpfen.96 Dies führte zu einer Schwerfälligkeit des Entscheidungsverfahrens in der Gemeinschaft. Nicht zuletzt die starke Beanspruchung des Rats mit eher technischen Einzelregelungen und die Gefahr einer „zweiten nationalen EG-Bürokratie“97 verstärkte auch bei den Mitgliedstaaten die Einsicht, die Delegationsmöglichkeit nicht ausschließlich dem Ermessen des Rats zu überantworten.98 Insofern war es ein 92  Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird diese Aufgabenteilung anders umschrieben. Gemäß Art. 290 Abs. 1 AEUV „kann“ der Kommission in Gesetzgebungsakten die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter zu erlassen. 93  Schlacke, DVBl. 1995, 1288 (1289); Pache, Der Schutz der finanziellen Interessen der EG, 1993, S. 346; Bradley, CML Rev. 1992, 693 (703, 714 ff.); Blumann, RTDE 1988, 23 (30 f.); Ehlermann, RMC 1988, 233; Glaesner, EuR 1986, 119 (146); Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5 hält diese Pflicht allerdings kaum für durchsetzbar, „da dem Rat ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, der durch die Beschränkung auf ‚spezifische Fälle‘ kaum begrenzt ist“. Ebenfalls kritisch Schweitzer, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: Oktober 2005), Art. 202 EG Rn. 25; Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), § 7 Rn. 515 spricht sich ebenfalls gegen eine Verpflichtung des Rats zur Übertragung von Durchführungsbefugnissen an die Kommission aus. 94  Bradley, CML Rev. 1992, 693 (730). Trotz Einführung der Regeldelegation tendierte der Rat bis Mitte der 90er Jahre zu einer zögerlichen Vornahme der Delegation von Durchführungsbefugnissen an die Kommission, so Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 179 m. w. N. 95  Scheel, ZEuS 2006, 521 (523 ff.); Ehlermann, RMC 1988, 233. So auch der EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 9 – Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co. 96  Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662; Glatthaar, RIW 1992, 179. 97  Nach Constantinesco, EuR 1981, 209 (219) führte die Beschäftigung des Rats mit Verwaltungsproblemen zu einer „Nationalisierung der Gemeinschaftsverwaltung“ und zu einer Schwächung der Kommission. 98  Riedel, EuR 2006, 512 (516).



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen37

ausdrückliches Reformziel der Einheitlichen Europäischen Akte, die Kommission stärker als bislang mit Durchführungsbefugnissen zu betrauen.99 Dies geschah jedoch nicht in der von der Kommission gewünschten Weise, die für eine vertraglich garantierte, originäre Kompetenz zur Durchführung von Ratsbeschlüssen plädierte.100 Vielmehr machte das „Delegationsmodell“ des letztendlich eingefügten Art. 145, 3. Sp. EG a. F. deutlich, dass die Mitgliedstaaten nicht gewillt waren, im Einzelfall auf die Möglichkeit einer eigenhändigen Durchführung durch den Rat zu verzichten.101 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass trotz des Wortlauts des Art. 202, 3. Sp. EG, der sowohl dem Rat als auch der Kommission die Befugnis zur Durchführung verlieh, von der Durchführung als „Heimgut“102 der Kommission gesprochen werden konnte.103 Als Rechtsbegriff der Gemeinschaftsverträge umschrieb der Begriff „Durchführung“ damit maßgeblich die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission.104

B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG Im Rahmen der Diskussion um die Durchführung des Gemeinschaftsrechts wurde nicht selten auch der Begriff der „Delegation“105 ins Spiel gebracht.106 Auch die bisherigen Ausführungen zur Übertragung von Durch99  H. Hofmann / Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, 209 (212); Klösters, Kompetenzen der EG-Kommission im innerstaatlichen Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1994, S. 40 ff.; Blumann, RTDE 1988, 23 (29); Ehlermann, RMC 1988, 232 f.; Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (543); Glaesner, EuR 1986, 119 (145 f.). 100  Möllers, EuR 2002, 483 (485); Hailbronner, JuS 1990, 439 (441); Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (543). 101  Möllers, EuR 2002, 483 (485). 102  Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 228. 103  Schäfer, in: Andenas  /  Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 3 (6). 104  Riedel, EuR 2006, 512 (516 f.). Mit Verweis auf die Parallele zur bundesdeutschen Lehre vom originären Verordnungsrecht der Exekutive Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 249. 105  Siehe zur Delegation von Hoheitsbefugnissen der Gemeinschaft auf eine internationale öffentlich-rechtliche Anstalt und sog. „third parties“ wie beispielsweise Agenturen Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (713); Lenaerts, ELR 1993, 23 (25 ff.). Diese Art der Delegation wird in dieser Arbeit nicht behandelt. 106  Der Ausdruck findet sich sowohl in der Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe dazu Teil 1 B. I. 2. als auch in der Literatur. Vgl. für einen Großteil der europarechtlichen Literatur etwa Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 4. Aufl. (2009), § 12 Rn. 31; Streinz, Europarecht, 8. Aufl. 106

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

führungsbefugnissen im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG sprechen ganz selbstverständlich von einer „Delegation“ von Durchführungsbefugnissen, obwohl die Verwendung dieser Terminologie in dem dargestellten Bezug nicht unumstritten war und eine abschließende, abstrakte Klärung des Delegationsbegriffs im Gemeinschaftsrecht trotz der Fülle an Literatur nicht gelungen ist.107 Es erscheint somit unwahrscheinlich, diesbezüglich neue Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Zudem kann in dieser Arbeit angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Ansätze keine umfassende Analyse der rechtstheoretischen Grundlagen der Delegation erfolgen. Mit der vorliegenden Untersuchung soll jedoch ein wenig Licht ins Dunkel des Delegationsbegriffs gebracht (2008), § 6 Rn. 522 ff.; Alfé / Christiansen / Piedrafita, in:  Best / Christiansen / Settembri (Hrsg.), The Institutions of the Enlarged European Union, 2008 (Nachdruck 2010), S.  205 ff.; Gundel, JA 2008, 910 ff.; v. Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S.  202 ff.; Bradley, in: FS Bieber, 2007, S. 286 ff.; Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 28 ff.; Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 5; Möllers, EuR 2002, 483 (492 ff.); Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 145 ff.; Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 43 (53 ff.); Haibach, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 53 ff.; Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 39 ff.; Jacqué, in: Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 59 (61 f.); Haibach, MJ 1997, 373 ff.; Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (587 ff.); Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 225 ff.; Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 13 (46 f.); Lenaerts, ELR 1993, 23 ff.; Bradley, CML Rev. 1992, 693 (697 ff.); Engel / Borrmann, Vom Konsens zur Mehrheitsentscheidung, 1991, S. 51 ff.; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1977, Rn. 304, 313  ff.; Däubler, DVBl. 1966, 660; Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963, S. 108 ff. 107  Umfassend zum Delegationsbegriff Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 29 ff.; vgl. auch Möllers, EuR 2002, 483 (493 f.); Michael Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1999, S. 71 ff.; Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993, S.  177 ff.; Pechstein, Die Mitgliedstaaten der EG als „Sachwalter des gemeinsamen Interesses“, 1987, S. 190 ff.; Harnier, Kompetenzverteilung und Kompetenzübertragung zwischen Rat und Kommission unter Berücksichtigung der Einsetzung von Hilfsorganisationen im Recht der EWG, 1969, S. 80 ff.; Göttelmann, Die Delegation hoheitlicher Befugnisse internationaler Organisationen und ihrer Organe, 1968. Siehe auch den eigenen Ansatz von Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 99 ff., dem folgend Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 175 ff.



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen39

und aufgezeigt werden, welche unterschiedlichen Definitionsansätze existierten, welches Begriffsverständnis dieser Arbeit zugrunde gelegt wird und wie die Rechtsnatur der Kompetenzübertragung auf die Kommission zu charakterisieren ist. Darüber hinaus werden mit dem Delegationsbegriff in Zusammenhang stehende Fragen aus der Perspektive des Europäischen Parlaments beleuchtet.108 I. Die Einordnung der Übertragung von Durchführungsbefugnissen als „Delegation“ 1. Auslegung des EG-Vertrags Weder im EG-Vertrag noch in den übrigen Gemeinschaftsverträgen existierte eine Definition des Delegationsbegriffs.109 Ferner hat der Begriff in der deutschen Fassung keinen Eingang in den EG-Vertrag gefunden. Die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG sprachen nur von „übertragen“. Vergleicht man die Wortwahl in der englischen und französischen Fassung („confer on“ und „conférer à“), so zeigt sich, dass der Terminus „Delega­ tion“ im Bereich der Durchführungsrechtsetzung somit auch in diesen Vertragstexten nicht fiel. Das deutsche Wort „übertragen“ wurde nicht mit „transférer“ übersetzt. Zu beachten sind jedoch die französische und italienische Fassung des Art. 206 EG, da diese die Begriffe „délegation“ bzw. „delega“ enthielten. Abweichend davon verwendete die deutsche Version des Art. 206 EG den Terminus „übertragen“. Insofern ließ sich – wie schon an verschiedenen Stellen im europarechtlichen Schrifttum betont110 – aus dem EG-Vertrag selbst eine klare begriffliche Umschreibung des Terminus „Delegation“ nicht entnehmen.

108  Im Teil 3 wird dann untersucht, welcher der genannten Definitionsansätze nunmehr seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon durch die Einfügung des Begriffs „delegiert“ in Art. 290 AEUV Eingang ins Primärrecht gefunden hat. Siehe dazu Teil 3 B. II. 109  M. Koch, Die Externalisierungspolitik der Kommission, 2003, S. 168; FischerAppelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 99 ff.; Bohr, Schutznormen im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1994, S. 140; Lenaerts, ELR 1993, 23 (24 f.); Rengeling, EuR 1974, 216 (223); Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 37, 38. 110  Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 37, 38 f. mit einer Zusammenfassung der verschiedenen sprachlichen Varianten; siehe auch M. Koch, Die Externalisierungspolitik der Kommission, 2003, S. 168.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

2. Der Delegationsbegriff des EuGH Insofern stellt sich die Frage, ob sich aus der bislang existierenden Rechtsprechung des EuGH Rückschlüsse auf ein gemeinschaftsrechtliches Delegationsverständnis ziehen lassen. Erstmals hat sich der Gerichtshof mit der Bedeutung des Begriffs „Delegation“ 1958 in seinen „Meroni-Entscheidungen“111 auseinandergesetzt. In den Meroni-Urteilen ging es um die Zulässigkeit einer in Art. 53 Abs. 1 EGKS-Vertrag vorgesehenen Übertragung von Durchführungsbefugnissen der Hohen Behörde (mit dem Inkrafttreten des Fusionsvertrags112 1967 als Europäische Kommission bezeichnet) auf eine nach dem innerstaatlichen Recht eines Mitgliedstaats errichtete juristische Person des Privatrechts (die sog. Brüsseler Organe113). Die Brüsseler Organe waren in die Organisation der EGKS nicht eingegliedert. Folglich untersuchte der EuGH, ob tatsächlich hoheitliche, der Hohen Behörde nach dem Vertrag zustehende Aufgaben auf die Brüsseler Organe übertragen worden waren oder ob diese lediglich ermächtigt wurden, Beschlüsse zu fassen, deren Durchführung der Hohen Behörde vorbehalten blieb und für welche diese die Verantwortung zu tragen hatte.114 Der Ge111  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  /  56, Slg. 1958, 11 ff. und Rs. 10  /  56, Slg. 1958, 53 ff. – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. In den Meroni-Urteilen hatte der EuGH inhaltlich über die Zulässigkeit der Delegation von Befugnissen auf vertragsfremde Einrichtungen zu entscheiden. Da dieser Vorgang und die Delegation von Exekutivbefugnissen durch den Rat an die Kommission (Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG) gewisse Parallelen aufweisen, kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf die Rechtsprechung des EuGH zu den Meroni-Urteilen Bezug genommen werden, um den Delegationsbegriff für den Anwendungsbereich der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG zu klären; vgl. Görisch, Demokratische Verwaltung durch Unionsagenturen, 2009, S. 369; Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 99. Ausführlich zur Möglichkeit der Übertragung von Befugnissen auf vertragsfremde Einrichtungen Michael Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1999, S. 71 ff.; Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979. 112  Volltitel: Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, unterzeichnet in Brüssel am 8. April 1965, in Kraft getreten am 1. Juli 1967, ABlEWG 152 v. 13.07.1967, S. 1. 113  Die Brüsseler Organe setzten sich zusammen aus dem „Gemeinsamen Büro der Schrottverbraucher“ und einer „Ausgleichskasse für eingeführten Schrott“. Sie waren als Gesellschaften des (belgischen) Privatrechts gegründet worden. Vgl. Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993, S. 179 ff. 114  Siehe Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S. 268. 111



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen41

richtshof setzte die tatsächliche Übertragung hoheitlicher Befugnisse mit dem Begriff der „Delegation“ gleich.115 Um diesem Konturen zu verleihen, grenzte er ihn negativ zum Rechtsbegriff der Ermächtigung ab.116 Eine bloße Ermächtigung soll nach Ansicht des EuGH dann vorliegen, wenn zwar außerhalb der Gemeinschaft stehende Organe im Aufgabenbereich des EGKS-Vertrags Beschlüsse fassen, die Hohe Behörde sich diese Beschlüsse jedoch zu eigen macht und die volle Verantwortung für den Inhalt der Beschlüsse trägt.117 Ausschlaggebend bei der Beantwortung dieser Frage war für den EuGH folgende Stellungnahme der Kommission im Verfahren: „Der […] Auszug aus der Klagebeantwortung [der Kommission] zwingt jedoch zu dem Schluss, dass die Hohe Behörde sich die Beschlüsse der Brüsseler Organe über die Festsetzung des Abgabensatzes nicht zu eigen macht. Die Entscheidung Nr. 14 / 55 enthält demnach tatsächlich eine Übertragung von Befugnissen; […].“118

Weiterhin differenzierte der Gerichtshof zwischen zwei Erscheinungsformen der Übertragung von Befugnissen, nämlich einer Delegation von „genau umgrenzten Ausführungsbefugnissen“ und einer von solchen „Befugnissen, die nach freiem Ermessen“ auszuüben sind.119 Erstere könnten an vertragsfremde Organisationen delegiert werden, da ihre Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objektiver Tatbestandsmerkmale obliege. Die Übertragung von Befugnissen mit einem weiten Ermessensspielraum liefe hingegen auf eine Verlagerung der Verantwortung hinaus:120 „An die Stelle des Ermessens der übertragenden Behörde tritt dann nämlich das Ermessen derjenigen Stelle, der die Befugnisse übertragen worden sind.“121

Aus dem Grundsatz des Gleichgewichts der Gewalten ergebe sich nach Ansicht des EuGH bei der Übertragung von Befugnissen mit Ermessensspielraum an vertragsfremde Organisationen ein Delegationsverbot.122 115  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9 / 56, Slg. 1958, 11 (43 f.) – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Euro­ päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 116  Ebd., 11 (36). 117  Ebd., 11 (37 ff.). 118  Ebd., 11 (38). 119  Ebd., 11 (43). 120  Ebd., 11 (44). 121  Ebd., 11 (44). 122  Ebd., 11 (44); siehe auch Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S. 269; Kühling, EuZW 2008, 129. A. A. Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäischen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 149 ff., wonach auch Ermessensentscheidungen delegiert werden können, solange die Kontrolle und Verantwortung bei den Gemeinschaftsorganen verbleibt.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der EuGH in den Meroni-Urteilen den Begriff der „Delegation“ mit einer „Übertragung von hoheitlichen Befugnissen“ gleichsetzte.123 Dieses Begriffsverständnis zog der EuGH auch in anderen Urteilen heran.124 Allerdings fand der Delegationsbegriff in manchen Entscheidungen zum Anwendungsbereich der damaligen Art. 145, 3. Sp. und 155, 4. Sp. EG a. F. keine Erwähnung,125 oder aber der EuGH sprach nur von einer Delegation, ohne auf die Begrifflichkeit der „Übertragung von Befugnissen“ einzugehen.126 Im Ergebnis schien der EuGH den Begriff der „Delegation“ aber dennoch als Synonym für die „Übertragung von Befugnissen“ verstanden zu haben.127 3. Im Schrifttum vertretener Delegationsbegriff Das europarechtliche Schrifttum verwendete den Delegationsbegriff nicht einheitlich.128 Bei der Mehrheit der Autoren mangelte es zudem an einer 123  Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993, S. 186. Auch der Generalanwalt Roemer verwendete in den verb. Schlussanträgen v. 19.03.1958 – Rs. 9 / 56 und 10 / 56, Slg. 53, S. 90 (115) – Meroni Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl den Begriff „Delegation“ synonym mit dem der Übertragung. 124  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 9 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co; EuGH, Urt. v. 05.07.1988 – Rs. 291 / 86, Slg. 1988, 3679 ff., Rn. 12 ff. – Central-Import Münster GmbH & Co. KG / Hauptzollamt Münster; EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240 / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 30 ff. – Bundesrepublik Deutschland / Kommission; EuGH, Urt. v. 06.07.2000 – Rs. C-356 / 97, Slg. 2000, I-5461 ff., Rn. 16 ff. – Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen eG / Hauptzollamt Lindau. 125  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff. – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero; EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – verb. Rs. 279 / 84, 280 / 84, 285 / 84 und 286 / 84, Slg. 1987, 1069 ff. – Rau u. a. / Kommission; EuGH, Urt. v. 24.10.1989 – Rs. 16 / 88, Slg. 1989, 3457 ff. – Kommission / Rat der Europäischen Gemeinschaften. 126  Vgl. beispielsweise EuGH, Urt. v. 14.10.1999 – Rs. C-104 / 97 P, Slg. 1999, I-6983 ff., Rn. 76 – Atlanta u. a. / Kommission und Rat der Europäischen Union. 127  So Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 100; Breulmann, Normung und Rechtsangleichung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993, S. 186. 128  So Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 47. Ebenso wenig lieferten Äußerungen der Gemeinschaftsorgane brauchbare Anhaltspunkte, was unter dem gemeinschaftsrechtlichen Delegationsbegriff zu verstehen war. Das Europäische Parlament sprach beispielsweise von „Vollmacht“, siehe Europäisches Parlament, Entschließung zur Änderung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse – „Ausschußwesen“ (Beschluss des Rates vom 13. Juli 1987) v. 16.09.1998, ABlEG Nr. C 313 v. 12.10.1998, S. 101–104. Der zweite Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen43

inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Begriffs.129 Es wurden vielmehr ohne nähere Begründungen Begriffe wie „Ermächtigung“130 und „Übertragung“131 als Synonyme für den Terminus der „Delegation“ herangezogen. Darüber hinaus orientierten sich einige Autoren an zivilrechtlichen Anschauungen, indem sie die „Delegation“ mit der Einräumung einer Vertretungsmacht132 oder einer cessio iuris133 gleichsetzten. Aufgrund dieses Begriffschaos im europäischen Kontext stellte sich die Frage, ob im öffentlichen Recht der Mitgliedstaaten gemeinsame Anschauungen hinsichtlich des Delegationsbegriffs existierten, die im Wege der Lückenfüllung zur Herausarbeitung eines gemeinschaftsrechtlichen Delegationsbegriffs nutzbar gemacht werden konnten.134 Es hat sich jedoch bei übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 184 v. 17.07.1999, S. 23 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG) lehnte sich in Art. 1 dagegen an den vertraglichen Wortlaut der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG an und bezeichnete den Vorgang als „Übertragung“. Eine einheitliche Linie ist somit auch in der Rechts­ praxis nicht zu erkennen. Siehe ausführlich zum Delegationsbegriff in der Praxis der EWG Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 45, 51 ff. Vgl. auch Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979, S. 23 (Fn. 71). 129  So Görisch, Demokratische Verwaltung durch Unionsagenturen, 2009, S. 371 f.; Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 46. Ohne Erläuterung wird der Delegationsbegriff verwendet von der Mehrheit der in Fn. 106 aufgezählten Autoren, die den Begriff der Delegation verwenden, ihn als streitig bezeichnen aber eine nähere Auseinandersetzung unterlassen. 130  Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 4. Aufl. (2009), § 12 Rn. 31; Gundel, JA 2008, 910 ff.; Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), § 7 Rn. 512 ff.; Götz, JZ 1963, 265 (266); Däubler, DVBl. 1960, 660 ff.; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 20 / 49 spricht von einer Ermächtigung durch Delegation, trifft also diesbezüglich keine terminologische Unterscheidung. Ebenso Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994, S. 161, die von einer Ermächtigung des Rates zur Delegation spricht. 131  Vgl. Streinz, Europarecht, 8. Aufl. (2008), § 6 Rn. 522 ff.; v. Danwitz, Europäi­ sches Verwaltungsrecht, 2008, S. 202 ff.; Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S.  28 ff.; Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5; Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 43 (52 ff.); Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 39; Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 103; Priebe, Entscheidungsbefugnisse vertragsfremder Einrichtungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979, S. 23 (Fn. 71); Torrelli, RMC 1969, 465 (468); Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963, S. 108 ff. 132  Knöpfle, EuR 1968, 30 (34 Fn. 16a). 133  Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1977, Rn. 313. 134  Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 161.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

solch einer rechtsvergleichenden Untersuchung herausgestellt, dass der Delegationsbegriff in den Mitgliedstaaten überwiegend in der Beziehung Gesetzgeber / Verordnungsgeber geführt und dadurch mit dem Streit um den formellen und materiellen Gesetzesbegriff in Verbindung gebracht wurde.135 Eine Übernahme dieses „belasteten“ Delegationsverständnisses ins Recht der Gemeinschaft war daher nicht angebracht.136 Dies wurde insbesondere vor dem Hintergrund einer fehlenden typologischen Ausdifferenzierung des Sekundärrechts in Gesetzgebungsakte und in Durchführungsrechtsakte vertreten. Dementsprechend formulierte Schindler abschließend zu seiner rechtsvergleichenden Analyse: „Freilich ist in allen Mitgliedstaaten die grundsätzliche Delegationsproblematik geläufig, auch gewisse Übereinstimmungen sind zweifelsohne festzustellen, so etwa das Bewusstsein, dass Delegation in irgendeiner Weise mit der Verschiebung von Kompetenzen zu tun hat. Ein hinreichend scharf umrissener Delegationsbegriff ergibt sich daraus jedoch nicht.“137

Vorzugswürdig war daher die „moderne“ Definition Fischer-Appelts, die auf dem extensiven Delegationskonzept des EuGH aufbaute.138 Danach konnte „Delegation […] im Gemeinschaftszusammenhang verstanden werden als die Übertragung von Befugnissen zur eigenständigen Wahrnehmung von einem Organ auf ein anderes […]“139. Der Nutzen dieser Definition bestand darin, dass sie das Wesentliche der Delegation erfasste, nämlich die Übertragung von Befugnissen. Alle anderen Aspekte – wie beispielsweise die Modalitäten des Delegationsvorgangs und die beteiligten Organe – blieben unerwähnt, so dass mit dieser Definition den verschiedenen Vorgängen im Gemeinschaftsrecht Rechnung getragen werden konnte.140 135  Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 56. 136  Picard, in: Andenas  /  Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 67 (69 f.). 137  Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 57. Aus diesem Grund sahen beispielsweise Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 167 und Michael Berger, Vertraglich nicht vorgesehene Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, 1999, S. 71 ff. von einer rechtsvergleichenden Untersuchung ab. 138  Siehe dazu Teil 1 B. I. 2. 139  Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S.  100; ebenso Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (115); Lenaerts, ELR 1993, 23 (24): „In order to overcome that conceptual difficulty [of delegation in Community law], I propose to take as a starting point the definition of ‚delegation of powers‘ given by Blacks Law Dictionary (in the context of American law): ‚Transfer of authority by one branch of government in which such authority is vested to some other branch or administrative agency‘ “. 140  Vgl. Lenaerts, ELR 1993, 23 (24 f.).



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen45

Darüber hinaus hatte sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Autoren der Begriff der „Delegation“ zur Beschreibung des Übertragungsvorgangs im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG – unabhängig von den jeweiligen mitgliedstaatlichen Delegationsverständnissen141 – eingebürgert.142 II. Inhaber der Delegationskompetenz Nach dem Wortlaut der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG war der Rat alleiniges Delegationsorgan und somit Inhaber der Delegationskompetenz, denn der Rat „überträgt […] der Kommission in den von ihm143 angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften, die er erläßt“. Befremdlich an diesem Ergebnis war die Tatsache, dass das Parlament zwar an dem Basisrechtsakt – sofern dieser im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurde – gleichberechtigt mitgearbeitet hatte, aber nicht mit dem Rat gemeinsam als Inhaber der Delegationskompetenz im Vertrag ausgewie141  Siehe zur Delegationsproblematik im deutschen Verfassungsrecht grundlegend Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942 und Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, 1962. 142  A. A. Möllers, EuR 2002, 483 (492 ff.). Danach hält diese Begriffsverwendung einer näheren Untersuchung der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG nicht stand. Als Delegation bezeichnet er vielmehr die Vorgänge, die im Anschluss an eine bereits erfolgte Kompetenzübertragung stattfanden, d. h. wenn die Kommission die ihr eingeräumten Befugnisse ihrerseits auf eine andere Stelle weiterleiten wollte. Erst mit dieser Weiterleitung, würden Ausnahmen von der vertraglichen Regelzuweisung auftreten, die man daher mit der mitgliedstaatlichen Verfassungstradition als Delegation bezeichnen könnte. 143  Nach dem Wortlaut des Art. 202, 3. Sp. EG konnte der Rat nur in den von ihm (allein) angenommenen Rechtsakten Befugnisse auf die Kommission übertragen. Im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG wurden die Rechtsakte jedoch von Rat und Parlament gemeinsam erlassen, so dass hier nach dem Vertragswortlaut kein Raum für eine Befugnisübertragung blieb. Allerdings verfolgte der EuGH eine andere Sichtweise. Vgl. EuGH, Urt. v. 02.10.1997 – Rs. C-259  /  95, Slg. 1997, I-5303 ff., Rn. 26 – Parlament  /  Rat der Europäischen Union: „Sofern nichts näheres bestimmt ist, sind Rechtsakte des Rates solche, deren Verfasser er ist, sei es auch im Rahmen der gemeinsamen Beschlußfassung mit dem Parlament. Dies ergibt sich aus verschiedenen Vorschriften des EG-Vertrags [z.  B. Art. 95 Abs. 1 S. 2 EG], wonach die Rechtsakte, die der Rat und das Parlament gemeinsam erlassen, als Rechtsakte des Rates angesehen werden.“ So auch Krajewski / Rösslein, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: April 2007), vor Art. 250–252 EG Rn. 32; Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 18. Ausführlich dazu Bradley, West European Politics 2008, 837 (839); Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (655 f.).

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

sen wurde, obwohl es einen entscheidenden Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Basisrechtsakts hatte.144 Das Parlament vertrat insofern die Ansicht, dass Art. 202, 3. Sp. EG nicht für Durchführungsmaßnahmen zu Rechtsakten gelte, die auf der Grundlage des mit dem Vertrag von Maastricht eingeführten Mitentscheidungsverfahrens verabschiedet worden seien, da Art. 202, 3. Sp. EG (damals noch Art. 145, 3. Sp. EG a. F.) ausweislich seines Wortlauts nur solche Rechtsakte betreffe, die allein vom Rat erlassen worden seien.145 Die Kommission war der Auffassung, dass Art. 202, 3. Sp. EG eine Regelungslücke in Hinblick auf Durchführungsmaßnahmen aufweise, welche sich auf Rechtsakte bezögen, die nach dem Verfahren des Art. 251 EG (ehemals Art. 189b EG a. F.; nunmehr Art. 294 AEUV) angenommen worden seien.146 Knemeyer spricht demzufolge davon, dass „der sich aus dem Wortlaut ergebende Inhaber der Delegationskompetenz nicht mit der legislativen Realität übereinstimmt, wo Rat und Parlament gemeinsam die Delegationsanordnung erlassen“ und plädiert für eine Änderung des „verfassungspolitischen Widerspruchs“ dahingehend, dass „auch das Parlament als Inhaber der Delega­ tionskompetenz im Vertragswortlaut erscheint“147. 144  Vgl. Haibach, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 53 (64); Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Türk, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 217 (223). 145  Entschließung des Europäischen Parlaments v. 16.12.1993 zu den mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union zu erwartenden Problemen mit dem Ausschusswesen, ABlEG Nr. C 20 v. 24.01.1994, S. 176; siehe auch Blumann, RTDE 1996, 1 (6 ff.) mit einer ausführlichen Darstellung der Ansichten des Parlaments und des Rats. 146  So Jacqué, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 202 EG Rn. 30; siehe auch das Weißbuch der Kommission, Europäisches Regieren, KOM (2001) 428 endg., S. 4 Ziffer 20: „Im Ergebnis sollte Artikel 202 EG-Vertrag geändert werden, nach dem nur der Rat befugt ist, Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission festzulegen. Dieser Artikel ist überholt, da in vielen Bereichen das Mitentscheidungsverfahren gilt, bei dem Rat und Europäisches Parlament gleichermaßen für die Gesetzgebung zuständig sind. Folglich sollten Rat und Europäisches Parlament auch bei der Überwachung der Art und Weise, in der die Kommission ihre Exekutivfunktion wahrnimmt, eine gleichberechtigte Rolle spielen.“ 147  Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 172. Um diesen Widerspruch aufzulösen, befürwortet Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 3 eine ergänzende Vertragsauslegung. Art. 202, 3. Sp. EG müsse im Fall von Rechtsakten, die im Mit­ entscheidungsverfahren erlassen wurden, so gelesen werden, dass nicht nur der Rat die Durchführungsbefugnisse übertragen kann, sondern auch das Parlament. Andernfalls wären zum einen die Rechte des Parlaments im Mitentscheidungsverfahren inhaltlich erheblich eingeschränkt worden und zum anderen auch sinnlos, da das



B. Die Rechtsnatur der Übertragung von Durchführungsbefugnissen47

Rat und Parlament unterbreiteten den Teilnehmern der Regierungskonferenz zum Vertrag über die Europäische Union Vorschläge zur Änderung von Art. 202, 3. Sp. EG (damals noch Art. 145, 3. Sp. EG a. F.). Die Vorschläge wurden jedoch nicht berücksichtigt. Offenkundig wollten die „Herren der Verträge“ die bestehende Rechtslage nicht ändern.148 Hummer verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise darauf, dass die Mitgliedstaaten wohl davon ausgegangen seien, dass sich „die ‚legislative Potenz‘ des EP […] in der Mitwirkung an der gemeinsam mit dem Rat getroffenen Grundsatzregelung erschöpft hat, sodass das EP für die darauf folgende Ermächtigung der Kommission zur Durchführung dieser Regelung gar nicht mehr benötigt wird […]“149. Grund für diese Sichtweise war anscheinend die Annahme der Mitgliedstaaten, dass es sich bei der Durchführungsrechtsetzung der Kommis­ sion um einen bloßen „Vollzugsakt“, statt um einen Akt der Sekundärrechtsetzung handelte.150 Jacqué macht darüber hinaus deutlich, dass es sich bei den nach Art. 251 EG verabschiedeten Rechtsakten formal betrachtet durchaus um vom Rat angenommene Rechtsakte handelte.151 Dies ergibt sich aus der in den jeweiligen vertraglichen Rechtsgrundlagen enthaltenen Formulierung, mit der auf das Verfahren nach Art. 251 EG hingewiesen wird: „Der Rat …, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere Artikel 251“. Nach dieser Ansicht existierte keine Regelungslücke im Vertrag. Art. 202, 3. Sp. EG galt somit für alle Rechtsakte des Rats, einschließlich derer, die nach dem Mitentscheidungsverfahren von Parlament und Rat gemeinsam verabschiedet wurden.152 Trotz der Aufwertung des Parlaments zum (fast gleichberechtigten) Ko-Gesetzgeber blieben damit die Regelungen zur Ausübung der Durchführungsbefugnisse unverändert. Eine Aufwertung des Parlaments im Bereich der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission brachten erst die Neuerungen des Vertrags von Lissabon. Die neu eingeführte Kategorie der „delegierten Rechtsakte“ (Art. 290 AEUV) in das Recht der EU ermöglicht es dem Gesetzgeber, also dem Europäischen Parlament und dem Rat, der Kommission Parlament seine Vorstellung zur Durchführungsübertragung insofern durchsetzen könnte, wenn es einfach den Rechtsakt im Mitentscheidungsverfahren insgesamt ablehnt. 148  Jacqué, in: v. der Groeben  /  Schwarze (Hrsg.), EUV a. F.  /  EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 202 EG Rn. 30. 149  Hummer, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 19 (60); so auch Bradley, West European Politics 2008, 837 (840). 150  Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (143); Tichy, ZfRV 2000, 134 (136); siehe dazu auch schon Teil 1 A. I. 151  Jacqué, in: v. der Groeben  /  Schwarze (Hrsg.), EUV a. F.  /  EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 202 EG Rn. 30. 152  Ebd.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

die Befugnis zu übertragen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesent­ licher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen.153 Abschließend ist festzuhalten, dass das Parlament durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Bereich der delegierten Rechtsakte eine (fast) völlige Gleichstellung mit dem Rat erlangt hat.154 Das Parlament ist nunmehr sowohl Inhaber der Gesetzgebungskompetenz als auch Inhaber der Delegationskompetenz.

C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen Den Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG ließ sich nicht entnehmen, welche Regelungsinhalte im Basisrechtsakt normiert werden mussten, wieviel Spielraum der Rat der Kommission zur Durchführung überlassen durfte und welche Kompetenzen auf die Ebene der Durchführungsrechtsetzung delegiert werden konnten. Allerdings stellten die Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG jeweils auf die Übertragung von Befugnissen zur Durchführung der vom Rat (bzw. Rat und Parlament) erlassenen Basisrechtsakte ab, so dass die Delegation auf die Einräumung einer Kompetenz zum Erlass von Durchführungsvorschriften beschränkt war.155 Dies lässt den Schluss zu, dass es dem Rat überlassen blieb, welche Befugnisse er an die Kommission weitergab, solange es sich dabei nur um Durchführungsbefugnisse handelte.156 Über die bereits dargestellten formellen Kriterien157 hinaus, ließ sich der Begriff der „Durchführung“ inhaltlich jedoch nur schwer greifen, insbesondere die genaue Abgrenzung der Durchführungsrechtsakte von den Basisrechtsakten blieb unklar.158 Zur Klärung dieser Frage ist eine materielle Definition des Begriffs der „Durchführung“ erforderlich.159 153  Siehe

dazu noch ausführlich Teil 3 A. II. 1. in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (218). 155  Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (588); Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 13 (46). 156  So Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 189; Haibach, VerwArch 1999, 98 (104); Rabe, Das Verordnungsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1963, S. 109. 157  Siehe Teil 1 A. II. 158  Riedel, EuR 2006, 512 (517 f.). 159  Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (650) sprechen insofern davon, dass der „legal-basis test“ durch einen „substantive test“ ergänzt werden muss, um „legislation“ und „implementation“ voneinander zu unterscheiden. 154  Schusterschitz,



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen49

I. Abstrakt-generelle Rechtsakte als Durchführung des Gemeinschaftsrechts Im Gegensatz zum EuGH, der mangels einer Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vergleichbaren Vorschrift delegierte Befugnisse von legislativen Befugnissen lediglich mithilfe der Auslegung des Terminus „Durchführung“ voneinander abgrenzen konnte, bestimmt sich die Abgrenzung zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und exekutiver Rechtsetzung im deutschen Verfassungsrecht im Wesentlichen anhand abstrakter Kriterien.160 Der Gesetzgeber ist aufgrund der expliziten Regelung in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG dazu verpflichtet, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Delegation im Gesetz festzuschreiben.161 Diese Bestimmtheitstrias scheint eindeutige Vorgaben für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen zu machen. Doch hat das Bundesverfassungsgericht schon früh betont, dass es an einem allgemeinen, gleichbleibenden Maßstab für die Beantwortung der Frage fehlt, wann eine Ermächtigung die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG erfüllt.162 Dieses von Fall zu Fall differierende Anforderungsniveau rechtfertigte das Gericht mit dem Parlamentsvorbehalt, d. h. der Rahmen der erteilten Ermächtigung sei umso enger, je wesentlicher die Bedeutung einer übertragenen Materie für den Gesetzgeber sei bzw. je grundrechtsrelevanter die Auswirkungen für die von der Verordnung potentiell Betroffenen seien.163 Diese situationsbezogene Lösung anhand des Wesentlichkeitskrite­ riums übernahm in Grundzügen auch der EuGH bei der Auslegung des Durchführungsbegriffs.164 Im Ergebnis scheinen sich daher die beiden Möglichkeiten zur Abgrenzung der delegierten Befugnisse von den Gesetzgebungsakten nicht wesentlich zu unterscheiden.165 Auf die gleichwohl vorhandenen Differenzen wird im Verlauf dieses Abschnitts noch ausführlich eingegangen.166 Im Folgenden werden der Vertragswortlaut und die Judikatur des EuGH, insbesondere im Vergleich zur deutschen Wesentlichkeitstheorie, herangezogen, um den materiellen Gehalt des Begriffs der „Durchführung“ zu be160  Siehe dazu auch ausführlich H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 128 ff.; Haibach, VerwArch 1999, 98 (104). 161  Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (588 f.). 162  Vgl. etwa BVerfGE 58, 257 (277 f.), 62, 203 (210) m. w. N. 163  Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 81. 164  Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (714); Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (589). 165  So auch Haibach, VerwArch 1999, 98 (104); Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (589). 166  Teil 1 C. I. 2.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

stimmen und um die Basisrechtsakte von den Durchführungsrechtsakten zu unterscheiden. 1. Durchführung und wesentliche Grundzüge einer Materie – Der Versuch einer materiellen Begriffsbestimmung Eine Definition des Begriffs der „Durchführung“ existierte im Primärrecht nicht. Ebenso wenig lieferte ein Vergleich mit den anderen Textstellen des Vertrags, in denen der Begriff der „Durchführung“ ebenfalls verwendet wurde, wie z. B. Art. 18 Abs. 1 EG (Durchführungsvorschriften), Art. 39 Abs. 3 lit. d EG (Durchführungsverordnungen), Art. 71 Abs. 1 EG (Durchführung) oder etwa Art. 89 EG (Durchführungsverordnungen), mangels ­eines gleichen inhaltlichen Bezugspunkts, neue Erkenntnisse.167 Die verschiedenen sprachlichen Fassungen168 der einzelnen Mitgliedstaaten führten ebenfalls nicht zur Problemlösung,169 da anstelle des Begriffs der „Durchführung“ z.  B. folgende Bezeichnungen verwendet wurden: „l’application“ (Art. 18 Abs. 1 EG); „la mise en ouevre“ (Art. 11 Abs. 3 EG); „mesure nécessaires pour atteindre“ (Art. 34 Abs. 2 EG); „réaliser“ (Art. 71 Abs. 1 EG); „applicazione“ (Art. 18 Abs. 1 EG); „l’attuazione“ (Art. 11 Abs. 3 EG); „misure necessarie al“ (Art. 34 Abs. 2 EG); „welke noddzakelijck zijn“ (Art. 34 Abs. 2 EG); „uitvoering“ (Art. 11 Abs. 3 EG); „implementing regulations“ (Art.  39 Abs.  3 d) EG); „implementation“ (Art. 11 Abs. 3 EG); „regulations for the application“ (Art. 89 EG); „execution“ (Art. 103 Abs. 1 EG)“. Endgültige Schlüsse bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung von Durchführungsrechtsakten können damit aus den vom Vertrag verwendeten Formulierungen nicht gezogen werden.170 167  Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 39; Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 144; Harnier, Kompetenzverteilung und Kompetenzübertragung zwischen Rat und Kommission unter Berücksichtigung der Einsetzung von Hilfsorganisationen im Recht der EWG, 1969, S. 112. 168  In der Europäischen Union gibt es 23 authentische Sprachen. Die authentische Sprache ist die, in deren Fassung die Gründungsverträge verbindlich sind. Siehe zur Vorgehensweise bei Textdivergenzen Streinz, Europarecht, 9.  Aufl. (2012), § 4 Rn.  277 ff. 169  In den fremdsprachlichen Fassungen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG heißt es im französischen „compétence pour l’exécution“, im italienischen „competenze per l’attuazione“, im niederländischen „bevoegheded fer uitvoering“ und im englischen „powers for the implementation“. 170  Vgl. Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 152. Laut Harnier, Kompetenzverteilung und Kompetenzübertragung zwischen Rat und Kommission unter Berücksichtigung der Einsetzung von Hilfsorganisationen im Recht der EWG, 1969, S. 113 kann aus dem Vertrag heraus mit den



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen51

Da weder die wörtliche Auslegung des Durchführungsbegriffs noch ein Sprachenvergleich zu einem Ergebnis geführt haben, wird in diesem Abschnitt zur Bestimmung des Durchführungsbegriffs die Spruchpraxis des EuGH näher beleuchtet.171 Zunächst ist festzuhalten, dass der EuGH den Begriff der „Durchführung“ weit ausgelegt hat: „[Er] umfasst sowohl die Ausarbeitung von Durchführungsvorschriften als auch die Anwendung von Vorschriften auf den Einzelfall durch den Erlass individueller Rechtsakte. Da der Vertrag den Begriff ‚Durchführung‘ verwendet, ohne ihn durch einen näheren Zusatz einzuschränken, lässt sich dieser Begriff nicht so auslegen, daß er individuelle Rechtsakte ausschließt.“172

Auch wenn der Gerichtshof damit ein weites Konzept von „Durchführung“ zugrunde gelegt hat, betonte er doch auch immer wieder die Grenzen, die bei der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen zu beachten sind.173 Die Konturierung der Durchführungsrechtsetzung durch die Rechtsprechung des EuGH (und durch die europarechtliche Literatur) orientierte sich dabei jedoch maßgeblich am Leitbild der Durchführung als abstrakt-generelle Rechtsetzung.174 Dies war vor allem der Ähnlichkeit der Durchführungsrechtsetzung auf europäischer Ebene mit der auf nationalstaatlicher Ebene vorgefundenen exekutiven Rechtsetzung geschuldet.175 Ob es sich bei den konkret-individuellen Verwaltungsentscheidungen der Kommission ebenfalls um Durchführungsakte handelte, wird an späterer Stelle erörtert.176 üblichen Auslegungsmethoden kein einheitlicher Durchführungsbegriff, der für Art. 155, 4. Sp. EG a. F. verbindlich wäre, gefunden werden. 171  Siehe auch die ausführliche Untersuchung bei Türk, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 217 ff. 172  EuGH, Urt. v. 24.10.1989 – Rs. 16 / 88, Slg. 1989, 3457 ff., Rn. 11 – Kommission / Rat der Europäischen Gemeinschaften. 173  Grundlegend EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co; siehe auch EuGH, Urt. v. 15.07.1970 – Rs. 41 / 69, Slg. 1970, 661 ff., Rn. 63 / 67 – ACF Chemiefarma NV / Kommission; EuGH, Urt. v. 27.09.1979 – Rs. 230 / 78, Slg. 1979, 2749 ff., Rn. 6 – SpA Eridania – Zuccherifici nazionali u. a. / Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister für Industrie, Handel und Handwerk u.a; EuGH, Urt. v. 16.06.1987 – Rs. 46 / 86, Slg. 1988, 2671 ff., Rn. 16 – Romkes / Officier van Justitie; EuGH, Urt. v. 13.10.1992 – verb. Rs. C-63 / 90 und C-67 / 90, Slg. 1992, I-5073 ff., Rn. 14 – Portugal und Spanien / Rat der Europäischen Gemeinschaften; EuGH, Urt. v. 10.05.1995 – Rs. C-417 / 93, Slg. 1995, I-1185 ff., Rn. 30 – Parlament / Rat der Europäi­ schen Union; EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156 / 93, Slg. 1995, I-2019 ff., Rn. 18 – Parlament / Kommission; EuGH, Urt. v. 14.10.1999 – Rs. C-104 / 97 P, Slg. 1999, I-6983 ff., Rn. 76 – Atlanta u. a. / Kommission Rat der Europäischen Union. 174  Vgl. Möllers, EuR 2002, 483 (503 ff.); Joerges, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 17 (40); Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (654.). 175  So auch Riedel, EuR 2006, 512 (517). 176  Siehe Teil 1 C. II. und Teil 2 F. II.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Im Folgenden wird die Spruchpraxis des EuGH zur Abgrenzung von Basisrechtsakten und Durchführungsrechtsakten abstrakt-genereller Natur vorgestellt. a) Die Delegationsvoraussetzungen der Meroni-Rechtsprechung Durch die Meroni-Entscheidungen177 des EuGH wurden erstmals 1958 die Grenzen der Delegation von Befugnissen der EG-Organe auf vertragsfremde Institutionen konturiert. Aus den bereits an anderer Stelle178 besprochenen Urteilen lassen sich drei Grundsätze179 ableiten, die im Folgenden noch einmal kurz wiedergegeben werden: (1) Von der Delegation zu unterscheiden ist die Ermächtigung. Während bei einer Delegation hoheitliche Befugnisse vollständig auf ein anderes Organ übertragen werden, bleibt bei einer Ermächtigung die Durchführung der übertragenden Befugnisse und die Verantwortung dafür in vollem Umfang dem übertragenden Gemeinschaftsorgan vorbehalten.180 (2) Eine Delegation hoheitlicher Befugnisse ist nach der Meroni-Rechtsprechung auch auf außervertragliche Stellen möglich, sofern sich das übertragende Organ dadurch nicht seiner Pflichten aus dem Vertrag entledigt. Es dürfen keine weiterreichenden Befugnisse auf nachgeordnete Behörden übertragen werden als die, die dem übertragenden Organ nach dem Vertrag selbst zustehen.181 (3) Die Meroni-Doktrin besagt ferner, dass Befugnisse mit Ermessensspielraum nicht auf vertragsfremde Einrichtungen übertragen werden dürfen, da ansonsten der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts verletzt wird.182 Genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse hingegen können auf vertragsfremde Einrichtungen delegiert werden, da insofern ihre „Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objekti177  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  /  56, Slg. 1958, 11 ff. und Rs. 10  /  56, Slg. 1958, 53 ff. – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 178  Siehe Teil 1 B. I. 2. 179  Vgl. Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S.  269 f. 180  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  / 56, Slg. 1958, 11 (36) – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäi­ schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 181  Ebd., 11 (40). 182  Siehe dazu auch Jacqué, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 218 EG Rn. 31; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S.  285 (288 f.); Bradley, CML Rev. 1992, 693 (698).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen53

ver Tatbestandsmerkmale, die von der übertragenden Behörde festgesetzt werden“183, obliege. b) Die Ermessensgrenzen des Rats bei der Delegation von Durchführungsbefugnissen Der EuGH hat die in den Meroni-Entscheidungen herausgearbeiteten Kriterien auch in Bezug auf die Anforderungen an die Übertragung von Durchführungsbefugnissen gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG zur Anwendung gebracht.184 Bei dieser Rechtsprechung ist zu unterscheiden nach den Urteilen, welche die Frage des Ermessens des Rats, Durchführungsbefugnisse an die Kommission zu übertragen, behandeln und solchen Urteilen, die auf das Ermessen der Kommission im Rahmen der delegierten Befugnisse Maßnahmen zu erlassen, rekurrieren.185 Bei der nun folgenden Analyse einiger repräsentativer Fälle lassen sich – wenn auch nur zögerlich – allgemeine Tendenzen herleiten. Die Grundregel zur Bestimmung des Ermessens des Rats (und gegebenenfalls des Europäischen Parlaments), Durchführungsbefugnisse zu delegieren, ergibt sich aus der Meroni-Doktrin:186 Die Übertragung von Durchführungsbefugnissen ist dadurch begrenzt, dass das delegierende Organ nur die Befugnisse übertragen darf, die ihm nach dem Vertrag zustehen. Der Gerichtshof hat aber im Laufe der Zeit noch weitere Kriterien zur Bestimmung dieser Ermessensgrenzen herausgearbeitet. In der für den Bereich der Durchführungsrechtsetzung grundlegenden Entscheidung in der Rechtssache Köster187 aus dem Jahr 1970 hat sich der Gerichtshof zum ersten Mal zur Problematik des an Bedeutung gewinnenden Komitologieverfahrens und in diesem Zusammenhang zur Delegation von Zuständigkeiten zwischen Organen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Rat / Kommission) nach Art. 155, 4. Sp. EG a. F. geäußert. Der EuGH musste u. a. darüber befinden, ob Grenzen für eine Übertragung von Durchführungsbefugnissen vom Rat auf die Kommission bestehen: 183  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  / 56, Slg. 1958, 11 (44) – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäi­ schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 184  So auch Görisch, Demokratische Verwaltung durch Unionsagenturen, 2009, S. 369; vgl. dazu auch schon Fn. 111. 185  Gliederung nach Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S. 270 ff. 186  Ausführlich Griller / Orator, ELR 2010, 3 (15 ff.). 187  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25  / 70, Slg. 1970, 1161 ff. – Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Nach der Verordnung Nr.  19 / 62 / EWG des Rats188 war für alle Einfuhren oder Ausfuhren von Getreide die Vorlage einer Einfuhr- bzw. Ausfuhrlizenz erforderlich. Die Verordnung machte zudem die Erteilung einer Einfuhrlizenz von der Stellung einer Kaution abhängig, die verfiel, wenn die Einfuhr nicht tatsächlich erfolgte. Zur Durchführung der Ratsverordnung verabschiedete die Kommission im Komitologieverfahren (im Verwaltungsausschussverfahren189) die Verordnung Nr.  102 / 64 / EWG190, welche die Erteilung von Einfuhr- und auch Ausfuhrlizenzen von der Stellung einer Kaution abhängig machte, die nach Zeitablauf für die Einfuhr bzw. Ausfuhr verfiel. Die deutsche Firma Köster hatte nach Hinterlegung der Kaution eine Ausfuhrlizenz erlangt. Die Ausfuhr erfolgte jedoch nicht innerhalb der vorgeschriebenen Gültigkeitsdauer der Lizenz, so dass die zuständige deutsche Behörde die Kaution für verfallen erklärte. In der hiergegen gerichteten Klage rügte die Firma Köster, nur der Rat hätte die Verordnung Nr. 102 / 64 / EWG nach dem in Art. 43 Abs. 2 EG a. F. (Art. 37 EG; nunmehr Art. 43 AEUV) festgelegten Verfahren erlassen können, nicht jedoch die Kommission nach einem anderen Verfahren. Das deutsche Gericht legte diese Frage dem EuGH vor. Dieser wies das Vorbringen der Firma Köster mit der Begründung zurück, es genüge, wenn „die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie nach diesem [dem im Vertrag vorgesehenen] Verfahren festgelegt worden sind. Dagegen können die Durchführungsbestimmungen zu den Grundverordnungen vom Rat selbst oder aufgrund einer Ermächtigung gemäss Art. 155 von der Kommission nach einem von Art. 43 abweichenden Verfahren erlassen werden“191. Dies folge sowohl aus dem „Rechtsetzungssystem des Vertrages, wie es insbesondere in Art. 155 letzter Gedankenstrich zum Ausdruck kommt“ als auch aus „den in allen Mitgliedstaaten anerkannten Rechtsauffassungen“192. Anschließend prüfte der Gerichtshof die sekundärrechtliche Ermächtigungsstruktur. In einer sehr großzügigen – auf das „harmonische Funktionieren 188  VO Nr. 19 / 62 / EWG des Rates v. 04.04.1962 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide, ABlEWG L 30 v. 20.04.1962, S. 933. 189  Siehe zu den Komitologieverfahren im Einzelnen Teil 2 C. 190  VO Nr. 102  / 64 / EWG der Kommission v. 28.07.1964 über die Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen für Getreide und Getreideerzeugnisse, Reis, Bruchreis und Verarbeitungserzeugnisse aus Reis, ABlEWG 126 v. 05.08.1964, S. 2125. 191  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel  /  Köster und Berodt & Co. Diese Rechtsprechung wurde im Folgenden mehrfach bestätigt, siehe z. B. EuGH, Urt. v. 16.06.1987 – Rs. 46 / 86, Slg. 1988, 2671 ff., Rn. 16 – Romkes / Officier van Justitie; EuGH, Urt. v. 13.10.1992 – verb. Rs. C-63 / 90 und C-67 / 90, Slg. 1992, I-5073 ff., Rn. 14 – Portugal und Spanien / Rat der Europäischen Gemeinschaften. 192  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen55

der Regelung“193 abstellenden – Lesart sah der EuGH die Kommission auch zum Erlass von Kautionsregelungen für Ausfuhrlizenzen ermächtigt. Der EuGH hat in dieser Rechtssache erstmals eine Art „Wesentlichkeits­ kriterium“194 aufgestellt, um die Grenzen der übertragbaren Durch­ führungsbefugnisse aufzuzeigen.195 Demnach musste die Basisverordnung die wesentlichen Regelungen normieren, damit nicht unter „Umgehung“ der im Primärrecht festgelegten Rechtsetzungsverfahren196 bedeutsame Rechtsakte erlassen wurden. Denn die in Art. 250 ff. EG vorgeschriebenen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte des Parlaments waren im Verwaltungsausschussverfahren gerade nicht vorgesehen. Unklar blieb allerdings, was der EuGH unter den wesentlichen Aspekten der zu regelnden Materie verstand. In der dem Köster-Urteil vorausgehenden Rechtssache ACF Chemie­ farma197 gestand der Gerichtshof dem Rat ebenfalls ein weites Ermessen für die Delegation von Durchführungsbefugnissen zu. Die Kläger, mehrere Chemiefirmen, beanstandeten, dass die Kommission durch die Verordnung Nr.  17 / 62 / EWG des Rats198 zur Gesetzgebungstätigkeit ermächtigt worden sei, was mit Art. 87 und Art. 155 i. V. m. Art. 4 EG a. F. (Art. 83, Art. 211 und Art. 7 EG; nunmehr Art. 103 AEUV, Art. 17 Abs. 1 und Art. 13 EUV) unvereinbar sei. Der EuGH stellte jedoch fest, dass der Rat der Kommis­sion ausreichend konkrete Vorgaben gemacht habe, indem er die grundsätz­liche Anhörungspflicht der Beteiligten in der Basisverordnung festgeschrieben habe. Die Kommission sei daher lediglich ermächtigt gewesen, Ausführungsbestimmungen über Anhörungen zu erlassen: „Da die Anhörung der Beteiligten durch die Kommission im Grundsatz vom Rat vorgeschrieben worden ist, stellen die Vorschriften über das hierbei einzuhaltende Verfahren, so wichtig sie auch sein mögen, Durchführungsmaßnahmen dar.“199

Regelt also die Ermächtigungsgrundlage die „Grundsätze“, sind alle übrigen Vorschriften, die die Kommission innerhalb dieses Politikbereichs er193  Ebd.,

Rn. 17. „Wesentlichkeits“-Rechtsprechung des EuGH siehe auch Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 25  ff., 28  ff.; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 228 ff. 195  In dem Köster-Urteil wurde noch eine andere Frage mitentschieden, nämlich die Zulässigkeit der Selbstermächtigungspraxis des Rats, siehe dazu Teil 1 C. I. 1. d). 196  Siehe zu den gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsverfahren Streinz, Europarecht, 8. Aufl. (2008), § 6 Rn. 498 ff. 197  EuGH, Urt. v. 15.07.1970 – Rs. 41 / 69, Slg. 1970, 661 ff. – ACF Chemiefarma NV / Kommission. 198  VO Nr. 17 / 62 / EWG des Rates v. 06.02.1962: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABlEWG Nr. 13 v. 21.02.1962, S. 204. 199  Ebd., Rn.  63 / 67. 194  Zur

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lässt, als Durchführungsvorschriften zu qualifizieren. Ferner wies der EuGH darauf hin, dass auch für einen bestimmten Sektor besonders bedeutsame Regelungen gleichwohl als Durchführungsvorschriften ergehen könnten.200 Der Gerichtshof vertrat folglich die Ansicht, dass politisch wichtige Bestimmungen eines Sachgebiets nicht zugleich zwingend wesentliche Statuten der zu regelnden Materie darstellten.201 Einen weiteren Hinweis auf den Umfang der Übertragung von Durchführungsbefugnissen enthält die verbundene Rechtssache Rau  /  BALM202. Hintergrund der deutschen Vorlage an den EuGH war eine Ratsverordnung203, die die Kommission zur Verhinderung struktureller Überschüsse auf dem Markt für Milch und Milcherzeugnisse ermächtigte. Die Kommission ordnete daraufhin im geografisch isolierten Markt von West-Berlin einen Vertriebstest von Butter zu niedrigen Preisen an. Sie erhoffte sich, durch diese Entscheidung Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Verbraucher auf eine Senkung des Butterpreises reagieren würden. Dies löste vor allem bei Margarine-Herstellern Missfallen aus. Der EuGH musste die Frage klären, ob die Ratsverordnung dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit genügte. Denn der weit gefasste Spielraum der Kommission ließ keine Vorhersage mehr zu, in welchem Sinne diese davon Gebrauch machen würde. Der EuGH bejahte jedoch die hinreichende Bestimmtheit der Ratsverordnung: „Die Natur der Sache gebot es, diese Ermächtigung weit zu fassen. Vor Erlass der von ihr zu treffenden Maßnahmen musste die Kommission nämlich zunächst feststellen, welche Maßnahmen geeignet waren, zur Verwirklichung der angestrebten Ziele beizutragen. Unter diesen Umständen war es dem Rat nicht möglich, diese Maßnahmen genau zu definieren.“204

Interessant an dem Urteil ist vor allem, dass es sich um eine deutsche Vorlage handelte, die die Bestimmtheit nach deutschen Maßstäben rügte.205 200  Ebd.

201  Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 48. 202  EuGH, Urt. v. 21.05.1987 – verb. Rs. 133–136 / 85, Slg. 1987, 2289 ff. – Walter Rau Lebensmittelwerke u. a. / Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung. Eine Zusammenfassung der Urteile ist wiedergegeben bei Arnull, ELR 1987, 451 ff.; G. Meyer, WRP 1987, 546 f. 203  VO Nr. 1079 / 77 / EWG des Rates v. 17.05.1977 über eine Mitverantwortungsabgabe und Maßnahmen zur Erweiterung der Märkte für Milch und Milcherzeugnisse, ABlEWG L 131 v. 26.05.1977, S. 6. 204  EuGH, Urt. v. 15.07.1970 – Rs. 41 / 69, Slg. 1970, 661 ff., Rn. 31 – ACF Chemiefarma NV / Kommission; siehe auch EuGH, Urt. v. 06.03.2003 – Rs. C-14 / 01, Slg. 2003, I‑2279 ff., Rn. 38 – Molkerei Wagenfeld Karl Niemann GmbH & Co. KG / Bezirksregierung Hannover. 205  Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 12.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen57

Der deutsche Generalanwalt Lenz prüfte daher wohl ausführlich, ob die beanstandeten Artikel der Ratsverordnung Nr. 1079  /  77  /  EWG den rechtsstaatlichen Erfordernissen in Bezug auf den Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit genügten.206 Im Ergebnis bejahte er u. a. unter Rückgriff auf die Hauptziele der Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse – Ausgleich von Angebot und Nachfrage sowie Gewährleistung eines angemessenen Preisniveaus – und dem ausdrücklichen Hinweis in den Erwägungsgründen der Ratsverordnung Nr. 1079 / 77 / EWG – „ein besseres Verhältnis zwischen Erzeugung und Marktbedarf schrittweise wiederherzustellen und die erheblichen finanziellen Lasten, die sich aus der derzeitigen Lage, insbesondere den beträchtlichen Überschüssen, für die Gemeinschaft ergeben, zu mildern“ – die hinreichende Bestimmtheit der Ratsermächtigung.207 Abschließend verwies der Generalanwalt noch darauf, dass derartige Ermächtigungen unter dem Vorbehalt stünden, dass sie die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft einschließlich der Grundrechte respektieren, was im vorliegenden Fall ebenfalls gegeben sei.208 Der EuGH bejahte die Rechtmäßigkeit der Ratsermächtigung lediglich mit einer knappen Begründung209 und bestätigte somit seine ständige Rechtsprechung, die nur geringe Anforderungen an die Bestimmtheit der Ratsermächtigung stellte.210 Ein Jahr nach dem Urteil in der Rechtssache Rau / BALM äußerte sich der EuGH in der Rechtssache Central-Import Münster / Hauptzollamt Münster211 erneut zu den Bestimmtheitserfordernissen zweier mit Delegationsmöglichkeiten versehenen Ratsverordnungen212. Die Firma Central-Import Münster GmbH & Co. KG, die getrocknete Trauben aus Drittländern einführte, hatte wegen der Nichteinhaltung des 206  Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 05.12.1986 – verb. Rs. 133– 136 / 85, Slg. 1987, 2301 (2323–2325) – Walter Rau Lebensmittelwerke u. a. / Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung. 207  Ebd., 2301 (2324 f.). 208  Ebd., 2301 (2325). 209  EuGH, Urt. v. 15.07.1970 – Rs. 41 / 69, Slg. 1970, 661 ff., Rn. 29–31 – ACF Chemiefarma NV / Kommission. 210  Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 53. 211  EuGH, Urt. v. 05.07.1988 – Rs. 291 / 86, Slg. 1988, 3679 ff. – Central-Import Münster GmbH & Co. KG / Hauptzollamt Münster. 212  VO Nr. 516  / 77 / EWG des Rates v. 14.03.1977 über die gemeinsame Markt­ organisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, ABlEWG L 73 v. 31.03.1977, S. 1; VO Nr. 521 / 77 / EWG des Rates v. 14.03.1977 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die Schutzmaßnahmen für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse, ABlEWG L 71 v. 21.03.1977, S. 28.

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von der Kommissionsverordnung Nr.  2742 / 82 / EWG213 geforderten Mindesteinfuhrpreises eine Ausgleichsabgabe an das Hauptzollamt Münster abzuführen. Vor dem Finanzgericht Düsseldorf machte die Klägerin daraufhin u. a. geltend, dass die der Erhebung von Ausgleichsabgaben zugrunde liegenden Ratsverordnungen Nr.  516 / 77 / EWG und Nr.  521 / 77 / EWG eine zu weitreichende Delegation beinhalteten bzw. keine hinreichend bestimmte Ermächtigung für die Kommission darstellten. Der EuGH bestätigte in diesem Urteil erneut die Zulässigkeit einer weiten Delegation, allerdings prüfte er diesmal etwas ausführlicher, ob die Ermächtigung den Bestimmtheitsanforderungen genügte: „Damit eine solche Ermächtigung gültig ist, muß sie in dem Sinne hinreichend bestimmt sein, dass der Rat die Grenzen der der Kommission übertragenen Befugnis deutlich anzugeben hat. Im vorliegenden Fall ist deshalb zu prüfen, ob die Artikel 1 und 2 der Verordnung Nr. 521 / 77 i. V. m. Artikel 14 der Verordnung Nr. 516 / 77 die der Kommission übertragene Befugnis hinreichend umschrieben haben.“214

Daran anschließend legte der EuGH dar, dass es sich bei den genannten Verordnungsbestimmungen des Rats um Vorschriften für Notsituationen handelte, die immer dann betroffen seien, wenn aufgrund von Einfuhren oder Ausfuhren eine ernstliche Störung des Marktes vorlag oder drohte. „Diese Bestimmungen haben somit die Situationen, in denen Schutzmaßnahmen getroffen werden können, die Kriterien, nach denen beurteilt werden kann, ob eine solche Situation besteht, sowie die Art und die Dauer der zu treffenden Maßnahmen festgelegt. Diese Faktoren grenzen die der Kommission übertragene Befugnis mit hinreichender Bestimmtheit ab.“215

Die Ratsverordnungen enthielten nach Ansicht des EuGH eine ausreichend bestimmte Ermächtigung der Kommission für Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr getrockneter Trauben. Anders als bei den vorherigen Urteilen erkannte der EuGH hier ausdrücklich gewisse Bestimmtheitsanforderungen an und prüfte diese, wenn auch in knapper Form. Einen kleinen Schritt in Richtung der Konkretisierung dessen, was der EuGH unter dem „Wesentlichen“ verstand, wird aus der Rechtssache C‑240 / 90216 aus dem Jahre 1992 deutlich. Im Mittelpunkt des Verfahrens 213  VO Nr. 2742  / 82 / EWG der Kommission v. 13.10.1982 über Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von getrockneten Trauben, ABlEWG L 290 v. 14.10.1982, S. 28. 214  EuGH, Urt. v. 05.07.1988 – Rs. 291 / 86, Slg. 1988, 3679 ff., Rn. 13 – CentralImport Münster GmbH & Co. KG / Hauptzollamt Münster. 215  Ebd., Rn. 15. 216  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240 / 90, Slg. 1992, I-5383 ff. – Bundesrepublik Deutschland / Kommission; siehe auch ausführlich zum Urteil Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 179 ff.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen59

stand die Frage, ob – zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten – die Gemeinschaft zum Erlass von Sanktionen gegen Einzelne zuständig sei und gegebenenfalls ob und unter welchen Bedingungen der Erlass von Sanktionen auch von der Kommission im Rahmen ihrer Durchführungskompetenz nach den Art. 145 und 155 EG a. F. vorgenommen werden könne. Nach den beanstandeten Verordnungen217 zur Gewährung von Beihilfen im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik musste ein Landwirt, der bei der Beantragung einer finanziellen Beihilfe Unregelmäßigkeiten begangen hatte, neben der Erstattung der bereits gewährten Prämie einschließlich der Zinsen einen weiteren Zuschlag zahlen. Ferner verpflichteten die angegriffenen Verordnungen die nationalen Behörden beim Vorliegen von Unregelmäßigkeiten, die Wirtschaftsteilnehmer ein Jahr lang von der Gewährung der Subvention auszuschließen. Die Bundesregierung rügte in diesem Zusammenhang die Unzuständigkeit der Gemeinschaft und der Kommission zum Erlass dieser Sanktionen, da sie ein strafrechtliches Unwerturteil über den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer beinhalte, das als Bestandteil des Strafrechts allein den Mitgliedstaaten vorbehalten sei.218 Ferner machte die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die Einführung von Sanktionen gegen Wirtschaftsteilnehmer auch deshalb nicht als Ausübung der Zuständigkeit der Kommission im Sinne der Art. 145 und 155 EG a. F. angesehen werden könne, da es sich dabei nicht lediglich um eine Durchführung der Grundverordnung des Rats handele, sondern um deren Ergänzung.219 Der EuGH wies diese Einwände jedoch zurück und erläuterte zunächst die Systematik der Art. 145 und 155 EG a. F.: „Nach dem Urteil vom 17. Dezember 1970 in der Rechtssache 25 / 70 [Rechtssache Köster] unterscheiden die genannten Bestimmungen zwischen Vorschriften, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen, und Vorschriften, deren Erlaß, da sie nur der Durchführung dienen, der Kommission übertragen werden kann. Im vorliegenden Fall können die von der Bundesregierung beanstandeten Vorschriften nicht als 217  Angefochten wurden Art. 6 Abs. 6 der VO Nr. 3007  / 84 / EWG der Kommis­ sion v. 26.10.1984 mit Durchführungsbestimmungen für die Prämie zugunsten der Erzeuger von Schaffleisch, ABlEWG L 283 v. 27.10.1984, S. 28 i. d. F. der VO Nr. 1260 / 90 / EWG der Kommission v. 11.05.1990, ABlEWG L 124 v. 15.05.1990, S. 15, sowie Art. 13 Abs. 3 Buchstabe b und c der VO Nr. 3813 / 89 / EWG der Kommission v. 19.12.1989 mit Durchführungsbestimmungen für die vorübergehenden landwirtschaftlichen Einkommensbeihilfen, ABlEWG L 371 v. 20.12.1989, S. 17 i. d. F. der VO Nr. 1279 / 90 / EWG der Kommission v. 15.05.1990, ABlEWG L 126 v. 16.05.1990, S. 20. 218  Zur strafrechtlichen Seite des Urteils siehe auch Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. (2012), § 4 Rn. 70 f.; Pache, EuR 1993, 173 (178 f.). 219  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240  / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 31–33 – Bundesrepublik Deutschland / Kommission.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

wesentlich für die durch die erste Grundverordnung eingeführte gemeinsame Marktorganisation und die durch die zweite Grundverordnung eingeführte Beihilferegelung angesehen werden. Wesentlich sind nämlich nur solche Bestimmungen, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. Dies ist bei Sanktionen nicht der Fall, die, wie die Zuschläge oder der Leistungsausschluß, diese Entscheidungen dadurch absichern sollen, daß sie eine ordnungsgemäße Verwaltung der zu ihrer Verwirklichung dienenden Gemeinschaftsmittel gewährleisten.“220

Das „Wesentliche“ bestimmte der EuGH anhand des Gescheinschaftsziels der Verwirklichung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Der Rechtsschutz der Betroffnen dagegen schien kein Kriterium für die Bestimmung des Begriffs „wesentlich“ zu sein. Ein Grundrechtseingriff erhöhte demnach – im Gegensatz zur deutschen Wesentlichkeitstheorie – nicht den erforderlichen Bestimmtheitsgrad der Ermächtigungsgrundlage.221 Hilfsweise machte die Bundesregierung für den Fall, dass entgegen ihrer Rechtsauffassung die Befugnis zum Erlass der streitigen Sanktionen auf die Kommission übertragen werden könne, geltend, die Grundverordnungen des Rats genügten jedenfalls nicht den Bestimmtheitsanforderungen des Komitologiebeschlusses222 von 1987.223 Dieser schreibe in Art. 1 Abs. 1 S. 2 vor, dass der Rat zur Legitimation der Übertragung die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnisse festlegen müsse. Auch diese Forderung wies der EuGH mit Hinweis auf das Köster-Urteil zurück: „Aus dem bereits angeführten Urteil Köster geht hervor, daß der Rat, sobald er in seiner Grundverordnung die wesentlichen Vorschriften für die zu regelnde Materie festgelegt hat, der Kommission die allgemeine Befugnis übertragen kann, die Modalitäten von deren Anwendung zu regeln, ohne daß er die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnisse genau festlegen müsste, und daß zu diesem Zweck eine allgemein gefasste Bestimmung eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage abgibt.“224

Nach Ansicht des EuGH konnte also die Kommission in ihren Durchführungsrechtsakten selbst dann Sanktionen festlegen, wenn der Rat ihr hierzu nicht explizit die Befugnis erteilt hatte.225 Eine ausdrücklich darauf bezoge220  Ebd.,

Rn. 36, 37 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). EuR 2002, 483 (489 f.); Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 97 ff. 222  Beschluss 87 / 373 / EWG des Rates v. 13.07.1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEWG L 197 v. 18.07.1987, S.  33 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG); siehe dazu noch ausführlich Teil 2 C. I. 223  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240  / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 40 – Bundesrepublik Deutschland / Kommission. 224  Ebd., Rn. 41. 225  Siehe hierzu Pache, EuR 1993, 173 (181). 221  Möllers,



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen61

ne Zuständigkeitsübertragung sei nicht notwendig. Zudem müsse die Ratsverordnung auch nicht die Hauptbestandteile der zu übertragenen Befugnis bestimmen, da nach Ansicht des EuGH der EG-Vertrag keine solchen Anforderungen an die Delegation stelle. Insofern könne auch der Komitologiebeschluss als Maßnahme des abgeleiteten Rechts keine über die Bestimmungen des Vertrags hinausgehenden Verpflichtungen begründen.226 Die sehr allgemein gefasste und in der Gemeinsamen Agrarpolitik übliche Formulierung „zum Erlass aller zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen“227 reiche bei der Übertragung von Zuständigkeiten aus. Auch in anderen Entscheidungen228 des EuGH wird deutlich, dass bei der Übertragung von Durchführungsbefugnissen die „Hauptziele der Ermächtigung“ – letztendlich also der effet utile – im Vordergrund standen.229 Dieser Judikatur wurde zu Recht vorgeworfen, in Widerspruch zu Art. 202, 3. Sp., S. 4 EG zu treten, der den gesetzgebenden Organen primärrechtlich aufgab, den Vorschriften des auf dieser Grundlage erlassenen Beschlusses zu entsprechen.230 Der EuGH hat diesen Widerspruch mittlerweile aufgelöst und festgehalten, „dass der Rat [auf der Grundlage von Art. 202, 3. Sp. EG] ermächtigt ist, Grundsätze und Regeln aufzustellen, denen die Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse entsprechen müssen. Diese Grundsätze und Regeln sind daher beim Erlass von Rechtsakten, mit denen der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden, zu beachten“.231 226  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240  / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 42 – Bundesrepublik Deutschland / Kommission. 227  Vgl. EuGH, Urt. v. 15.05.1984 – Rs. 121  / 83, Slg. 1984, 2039 ff., Rn. 13 – Zuckerfabrik Franken GmbH / Hauptzollamt Würzburg; EuGH, Urt. v. 17.11.1995 – Rs. C-478 / 93, Slg. 1995, I-3081 ff., Rn. 31 – Königreich der Niederlande / Kommission; EuGH, Urt. v. 04.02.1997 – Rs. C-9 / 95, C-23 / 95 und C-156 / 95, Slg. 1997, I-645 ff., Rn. 37 – Königreich Belgien und Bundesrepublik Deutschland / Kommis­ sion; EuGH, Urt. v. 15.07.2005 – verb. Rs. C-37  /  02 und C-38  /  02, Slg. 2004, I-6911 ff., Rn. 56 – Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl / Ministero del Commercio con l’Estero. 228  EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – Rs. 265 / 85, Slg. 1987, 1155 ff., Rn. 14 f. – Van den Bergh en Jurgens BV u. a. / Kommission; EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22 / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 16 – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij; EuGH, Urt. v. 17.10.1995 – Rs. C-478 / 93, Slg. 1995, I-3081 ff., Rn. 30 – Niederlande / Kommission; EuGH, Urt. v. 04.02.1997 – verb. Rs. C-9 / 95, C-23 / 95 und C-156  /  95, Slg. 1995, I‑645 ff., Rn. 36 – Belgien und Bundesrepublik Deutschland / Kommission; EuGH, Urt. v. 19.11.1998 – Rs. 159 / 96, Slg. 1998, I-7379 ff., Rn. 41 – Portugiesische Republik / Kommission. 229  Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 11. 230  Ebd. Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 15. 231  EuGH, Urt. v. 21.01.2003 – Rs. C-378 / 00, Slg. 2003, I-937 ff., Rn. 40 – Kommission / Parlament und Rat der Europäischen Union. Daher gehörten die Komitolo231

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Vergleicht man die Rechtssache Central-Import Münster mit der vorliegenden Rechtssache zur Sanktionskompetenz der Kommission, drängt sich der Verdacht auf, dass der Gerichtshof von seinen im Central-Import Münster-Urteil aufgestellten strengen Bestimmtheitsanforderungen wieder abgewichen ist. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich der Fall Central-Import Münster nicht im Agrarbereich abspielte und der EuGH in anderen Politikbereichen strengere Bestimmheitsanforderungen an die Ermächtigungsgrundlage stellte. So zeichnete sich in der Rechtsprechung des EuGH die Tendenz ab, dass nur im Bereich des Agrarmarktes und im Außenhandelsrecht allgemein gefasste Bestimmungen eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellten,232 da allein die Kommission in der Lage sei, „die Entwicklung der Agrarmärkte bzw. die internationale Marktentwicklung ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation gebotenen Schnelligkeit zu handeln“233. Nach Ansicht des EuGH giebeschlüsse in der Normenhierarchie der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsquellen einer höheren Stufe im Sekundärrecht an. Sie galten als eine „interne Standardisierung zum Gebrauch bei der Normsetzungsarbeit der Gemeinschaftsorgane“, Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 43 (57). Aus dieser Stellung ergab sich ferner, dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlass von Basisrechtsakten an die Vorgaben des Typenzwanges der Komitologiebeschlüsse halten musste, wenn er die Befugnis zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen auf die Kommission übertragen wollte. Abweichungen waren nur zulässig, sofern die Komitologiebeschlüsse dies vorsahen, vgl. Schlacke, JÖR 2013, 293 (298); Tichy, ZfRV 2000, 134 (135); a. A. Sydow, JZ 2012, 157 (162). 232  Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08.09.2005 – Rs. C-66 / 04, Slg. 2005, I-10553 ff., Rn. 53 – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Parlament und Rat der Europäischen Union, die von bereichsspezifischen strengeren Maßstäben spricht, die sich auch in folgenden Urteilen widerspiegeln: EuGH, Urt. v. 05.07.1988 – Rs. 291 / 86, Slg. 1988, 3679 ff., Rn. 13 – Central-Import Münster GmbH & Co. KG  /  Hauptzollamt Münster; EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22 / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 17 – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij; EuGH, Urt. v. 12.07.2005 – verb. Rs. C-154 / 04 und C-155 / 04, Slg. 2005, I-6451 ff., Rn. 90 – The Queen, auf Antrag von Alliance for Natural Health und Nutri-Link Ltd / Secretary of State for Health (C-154 / 04) und The Queen, auf Antrag von National Association of Health Stores u. a. / Secretary of State for Health u. a. (C-155 / 04). 233  Vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08.09.2005 – Rs. C-66 / 04, Slg. 2005, I-10553 ff., Rn. 53 – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Parlament und Rat der Europäischen Union mit Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23  /  75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 10  /  14 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero, EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22 / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 16 – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij; EuGH, Urt. v. 04.02.1997 – verb. Rs. C-9  /  95, C-23  /  95 und C-156  /  95, Slg. 1995, I-645 ff., Rn. 36 – Belgien und Bundesrepublik Deutschland  /  Kommission zum Agrarrecht sowie zum Außenhandelsrecht EuGH, Urt. v. 19.11.1998 – Rs. 159 / 96, Slg. 1998, I-7379 ff., Rn. 40 f. – Portugiesische Republik / Kommission.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen63

genügten in diesen Bereichen folglich solch allgemeine Ermächtigungen wie: „Die Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung … werden nach dem Verfahren … erlassen“234. Eine weitere Konkretisierung des Wesentlichkeitsmerkmals nahm der EuGH in der Rechtssache C-156 / 93 (ökologischer Landbau)235 vor. Das Urteil betraf zum ersten Mal das emotional diskutierte Thema neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (sog. Novel Food236). Auch bei dieser Entscheidung zog der EuGH wieder seine Grundsätze zur Wesentlichkeitstheorie heran. Zusätzlich verwies er in dieser Rechtssache noch auf das Verbot des Ermessensmissbrauchs, um den Umfang der Rechtsetzungsbefugnis der Kommission festzulegen. Streitgegenstand zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission war die Zulassung genetisch veränderter Mikroorganismen in Produkten aus dem ökologischen Landbau. Die Kommission hatte mit der Verordnung Nr.  207 / 93 / EWG237 den Anhang VI der Grundverordnung 234  Vgl. z. B. Art. 12 VO Nr. 768 / 89 / EWG des Rates v. 21.03.1989 zur Einführung vorübergehender landwirtschaftlicher Einkommenshilfen, ABlEWG L 84 v. 29.03.1989, S. 8. 235  EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156  /  93, Slg. 1995, I-2019 ff. – Parlament / Kommission. 236  „Novel Food“ sind Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten – und damit vor dem 15. Mai 1997 – in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Siehe Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 258 / 97 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, ABl­ EG L 43 v. 14.02.1997, S. 1 (im Folgenden: Novel-Food-Verordnung Nr. 258 / 97 / EG). Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die genetisch veränderte Organismen (GVO) im Sinne der RL 90 / 220 / EWG enthalten oder aus solchen bestehen sowie Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus GVO hergestellt werden, solche jedoch nicht enthalten, gehören mit Wirkung vom 7. November 2004 nicht mehr zum Geltungsbereich der Novel-Food-Verordnung, sondern werden durch die ab dem 18. April 2004 anwendbare VO Nr. 1829  /  2003  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.09.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABlEG L 268 v. 18.10.2003, S. 1 sowie die VO Nr. 1830 / 2003 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.09.2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmittel und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001 / 18 / EG, ABlEG L 268 v. 18.10.2003, S. 24 geregelt. Siehe dazu auch noch Teil 2 F. I. 1. 237  VO Nr. 207 / 93 / EWG der Kommission v. 29.01.1993 zur Festlegung des Inhalts des Anhangs VI der Verordnung Nr. 2092 / 91 / EWG des Rates über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel sowie der Durchführungsvorschriften zu deren Arti­ kel 5 Absatz 4, ABlEWG L 25 v. 02.02.1993, S. 5.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Nr.  2092 / 91 / EWG238 des Rats konkretisiert, d. h. sie hatte in Positivlisten sämtliche Stoffe, die als Zutaten nicht landwirtschaftlichen Ursprungs zulässig sind (Teil A), und Stoffe, die bei der Aufbereitung verwendet werden dürfen (Teil B), vermerkt. In Teil A Nr. 4 Ziffer ii und Teil B Ziffer ii des so aufgestellten Anhangs VI hatte die Kommission festgelegt, dass grundsätzlich auch genetisch veränderte Mikroorganismen in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung bei Produkten aus ökologischem Landbau in die Positivliste aufgenommen werden konnten. Am Verfahren zum Erlass der Kommissionsverordnung wurde das Europäische Parlament nicht beteiligt. Die Kommission hatte die ihr vom Rat übertragene Befugnis zur Konkretisierung des Anhangs VI im Regelungsverfahren gemäß Art.  14 Grundverordnung i. V. m. Art.  2 Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG ausgeübt. Das Europäische Parlament versuchte daraufhin – mit Blick auf die politische Brisanz dieser Kommissionsmaßnahme239 – die Anwendung des normalen Gesetzgebungsverfahrens gemäß Art. 43 EG a. F. (Art. 37 EG; nunmehr Art. 43 AEUV) und somit seine Anhörung zu der Entscheidung über die Zulässigkeit genetisch veränderter Mikroorganismen zu erreichen. Der EuGH hatte u. a. darüber zu entscheiden, ob die Kommission für den Erlass ihrer Durchführungsverordnung und damit für die Erwähnung genetisch veränderter Mikroorganismen im Anhang VI zuständig war. Als Maßstab für die Bestimmung der Reichweite der Delegationsbefugnisse des Rats ermittelte der EuGH den Schutzzweck der Grundverordnung. Eine Verletzung des Wesentlichkeitsgrundsatzes läge demnach vor, wenn gegen den Zweck der Grundverordnung, der zu den wesentlichen Elementen gehöre, verstoßen worden wäre. Ziel der Grundverordnung sei es, den Verbraucher vor Täuschungen zu schützen, indem einheitliche Erzeugungs-, Kontroll- und Etikettierungsbestimmungen für Produkte aus dem ökologischen Landbau festgelegt wurden.240 238  VO Nr. 2092 / 91 / EWG des Rates v. 24.06.1991 über den ökologischen Landbau / die biologische Landwirtschaft und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, ABlEWG L 198 v. 22.07.1991, S. 1. Mittlerweile wurde diese Verordnung aufgehoben und durch die VO Nr. 834 / 2007 / EG des Rates v. 28.06.2007 über die ökologische / biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen  /  biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 2092 / 91, ABlEWG L 189 v. 20.07.2007, S. 1, ersetzt. Siehe auch die VO Nr. 889 / 2008 / EG der Kommission v. 05.09.2008 mit Durchführungsvorschriften zur VO Nr. 834 / 2007 / EG des Rates, ABlEG L 250 v. 18.09.2008, S. 1. 239  Vgl. Streinz, in: Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, Losebl. (Stand: April 2009), II.H. Gentechnik, Rn. 500. 240  EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156 / 93, Slg. 1995, I-2019 ff., Rn. 19 – Parlament / Kommission.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen65

Der EuGH sah in dem Erlass der streitigen Vorschriften keine Überschreitung der Befugnisse der Kommission.241 Schließlich war bis dato kein konkreter genetisch veränderter Mikroorganismus in Anhang VI aufgenommen worden.242 Die streitigen Vorschriften müssten hiernach lediglich als unverbindliche Absichtserklärungen der Kommission gewertet werden, künftig nach dem Verfahren des Art. 14 Verordnung Nr. 2092 / 91 / EWG darüber zu entscheiden, ob und wenn ja, welche genetisch veränderten Mikroorganismen in Produkten aus ökologischem Landbau zulässig sein sollen.243 Damit ignorierte der EuGH die Tatsache, dass die Grundverordnung nicht ausdrücklich den Gebrauch von genetisch veränderten Mikroorganismen erlaubte244 und er widersprach somit seiner eigenen Urteilsfindung in der Rechtssache Meroni: „Eine Übertragung von hoheitlichen Befugnissen wird nicht vermutet; die übertragende Behörde muss vielmehr […] eine Entscheidung erlassen, aus der diese Übertragung ausdrücklich hervorgeht.“245

Mit dieser Entscheidung hat es der EuGH vermieden, sich inhaltlich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob genetisch veränderte Mikroorganismen in Lebensmitteln aus dem ökologischen Landbau zulässig sind und ob die Kommission das zuständige Organ ist, um darüber zu entscheiden.246 Der EuGH verdeutlichte dem Europäischen Parlament, dass es verfrüht geklagt hatte, denn die eigentliche Entscheidung über die Zulässigkeit von genetisch veränderten Mikroorganismen im ökologischen Landbau stand zum damaligen Zeitpunkt noch aus.247 Im Juni 2007 verständigten sich die Landwirtschaftsminister der Europäi­ schen Union auf eine vollständige Neufassung der Verordnung Nr. 2092 /  241  Kritisch Schlacke, DVBl. 1995, 1288 (1290), die einen Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz bejaht. 242  EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156 / 93, Slg. 1995, I-2019 ff., Rn. 23 – Parlament / Kommission. 243  Ebd., Rn. 26. 244  Ebenso kritisch Bradley, in: H. Hofmann  / Türk (Hrsg.), EU Administrative Governance, 2006, S. 417 (427 ff.). 245  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  / 56, Slg. 1958, 11 (42) – Meroni & Co. u. a. / Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 246  Als Gründe für die zurückhaltende Entscheidung des EuGH nannte Schlacke, DVBl. 1995, 1288 (1291) die bevorstehende Regierungskonferenz 1996, auf der sowohl die Rolle des EuGH als supranationale Gerichtsbarkeit als auch die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments in den Komitologieverfahren auf der Tagesordnung standen. 247  A. A. Türk, in: Pedler  / Schaefer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy: The Role of Committees and Comitology in the Political Process, 1996, S. 167 (174), der von einem obiter dictum des EuGH ausging, in dem dieser die genetisch veränderten (Mikro‑)Organismen nicht zu den wesentlichen Elementen der zu regelnden Materie zählte.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

91 / EWG. Nach 16 Jahren ihrer Anwendung wurde sie durch die Verordnung Nr.  834 / 2007 / EG248 über die ökologische / biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen  / biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 2092 / 91 / EWG ersetzt. Gemäß dem 9. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 834 / 2007 / EG werden genetisch veränderte Organismen und Erzeugnisse, die aus genetisch veränderten oder die durch genetisch veränderte Organismen erzeugt wurden, als mit dem ökologischen / biologischen Produktionskonzept und der Auffassung der Verbraucher von ökologischen / biologischen Erzeugnissen unvereinbar eingestuft. Insofern ist seit der Neufassung abschließend geklärt, dass der Einsatz von Gentechnik im ökologischen Landbau unzulässig sein soll. Als Zwischenergebnis der vorhergehenden Ausführungen kann Folgendes festgehalten werden: Grundsätzlich hat der EuGH dem Rat ein weites Ermessen für die Übertragung von Durchführungsbefugnissen eingeräumt. Dies galt insbesondere in Bereichen, in denen ein unverzügliches Handeln erforderlich war. Die Grenzen des Delegationsermessens des Rats wurden durch das Wesentlichkeitsmerkmal bestimmt, wobei der Rat das Wesentliche der zu regelnden Materie selbst in der Grundverordnung festlegen musste, und die Frage der Wesentlichkeit anhand des jeweils betroffenen Politikbereichs zu bestimmen war. Das Wesentlichkeitskriterium wurde zudem eng ausgelegt.249 Daher ist es auch nicht erstaunlich, dass der EuGH nur in wenigen Fällen dazu gekommen ist, eine Kompetenzübertragung an die Kommission als zu weitreichend einzustufen und damit für unzulässig zu erklären.250 Demgegenüber befand der EuGH schon mehrfach einen Durchführungsakt für nichtig, der sich nicht innerhalb des durch den Basisrechtsakt gesetzten Rahmens bewegte251 oder der zu unpräzise gefasst war252. 248  VO Nr. 834 / 2007 / EG des Rates v. 28.06.2007 über die ökologische / biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen / biologischen Erzeugnissen und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 2092  /  91  /  EWG, ABlEG L 189 v. 20.07.2007, S. 1. 249  Vgl. Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S.  274 f. 250  Haibach, VerwArch 1999, 98 (105); vgl. auch Türk, in: Pedler / Schaefer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy: The Role of Committees and Comitology in the Political Process, 1996, S. 167 (184). 251  Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 16.06.1996 – Rs. C-303  / 94, Slg. 1996, I-2943 ff., Rn. 23 ff. – Parlament / Rat der Europäischen Union; hierzu Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 43 (73); EuGH, Urt. v. 23.10.2007 – Rs. C-403 / 05, Slg. 2007, I-9045 ff., Rn. 68 – Parlament / Kommis­ sion; siehe auch Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (594 f.). 252  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 46 / 48 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen67

c) Das Ermessen der Kommission zur Konkretisierung der übertragenen Befugnisse Im Rey Soda-Urteil253, welches im Bereich der Marktorganisation für Zucker erging, gestand der EuGH – jedenfalls im Agrarbereich – dem Rat das Recht zu, der Kommission weitgehende Beurteilungs- und Handlungsbefugnisse zu übertragen.254 Diese weite Auslegung rechtfertigte der EuGH damit, dass „nur die Kommission in der Lage [sei], die Entwicklung der Agrarmärkte ständig und aufmerksam zu verfolgen und mit der durch die Situation gebotenen Schnelligkeit zu handeln“255. Die Grenzen einer derartigen Delega­ tion zog der Gerichtshof sehr großzügig, indem er Folgendes formulierte: „Hat der Rat der Kommission auf diese Weise eine weitreichende Zuständigkeit verliehen, so sind deren Grenzen nach den allgemeinen Hauptzielen der Marktorganisation und weniger nach dem Buchstaben der Ermächtigung zu beurteilen.“256

Nach dem EuGH reichte es folglich aus, wenn der Rat zentrale Begriffe umfassend in den einzelnen Artikeln und Begründungserwägungen erläuterte.257 Damit gewährte der Gerichtshof der Kommission einen weiten Beurteilungsspielraum bei komplexen wirtschaftlichen Entscheidungen, den er nur daraufhin überprüfte, ob ein offensichtlicher Beurteilungsfehler, ein Ermessensmissbrauch oder eine Ermessensüberschreitung eines Gemeinschaftsorgans vorlag.258 Zugleich machte der EuGH jedoch geltend, „daß 253  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff. – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero. 254  Ebd., Rn. 10 / 14; siehe auch EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – Rs. 27 / 85, Slg. 1987, 1129 ff., Rn.  14 – Vandemoortele / Kommission. 255  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 10 / 14 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero; siehe auch EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – Rs. 27 / 85, Slg. 1987, 1129 ff., Rn. 14 – Vandemoortele / Kommission; EuGH, Urt. v. 21.03.1991 – Rs. C-359 / 89, Slg. 1991, I-1677 ff., Rn. 16 – SAFA Srl / Amministrazione delle finanze dello Stato; EuGH, Urt. v. 06.03.2003 – Rs. C-14 / 01, Slg. 2003, I-2279 ff. Rn. 38 – Molkerei Wagenfeld Karl Niemann GmbH & Co. KG / Bezirksregierung Hannover; EuGH, Urt. v. 15.07.2005 – verb. Rs. C-37 / 02 und C-38 / 02, Slg. 2004, I-6911 ff., Rn. 55 – Di Lenardo Adriano Srl und Dilexport Srl / Ministero del Commercio con l’Estero. 256  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 10 / 14 – Rey Soda  /  Cassa Conguaglio Zucchero; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – Rs. 265 / 85, Slg. 1987, 1155 ff., Rn. 14 – Van den Bergh en Jurgens BV u. a. / Kommission; EuGH, Urt. v. 11.03.1987 – Rs. 27 / 85, Slg. 1987, 1129 ff., Rn. 14 – Vandemoortele / Kommission; EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22 / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 16 – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij. 257  Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1999 – Rs. C-104  /  97 P, Slg. 1999, I-6983 ff., Rn. 70 ff. – Atlanta u. a. / Kommission und Rat der Europäischen Union. 258  Siehe EuGH, Urt. v. 20.10.1977 – Rs. 29 / 77, Slg. 1977, 1835 ff., Rn. 19 / 20 – SA Roquette Frères  /  Französischen Staat – Zollverwaltung; EuGH, Urt. v.

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eine solch weite Auslegung der Befugnisse der Kommission nur im Rahmen der Regelungen über die Agrarmärkte in Betracht kommt“259. Nachdem der EuGH in der vorliegenden Rechtssache festgestellt hatte, dass die Basisverordnung Nr.  1009 / 67 / EWG260 des Rats in ihrer weiten Fassung rechtmäßig war, prüfte er, ob sich die Kommission in ihrer Durchführungsverordnung Nr.  873 / 74 / EWG261 an die Vorgaben der Verordnung Nr.  1009 / 67 / EWG gehalten hatte. Art.  37 Abs.  2 Verordnung Nr.  1009 / 67 /  EWG ermächtigte die Kommission, im Verwaltungsausschussverfahren die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung bestimmter preisbedingter Störungen auf dem Zuckermarkt zu treffen. Art. 6 Durchführungsverordnung Nr. 873 / 74 / EWG wiederum ermächtigte den jeweiligen Mitgliedstaat, hier Italien, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Der EuGH untersagte daraufhin der Kommission, ihre Befugnisse auf die Mitgliedstaaten zu übertragen, ohne selbst Kriterien für das Handeln der Mitgliedstaaten zu definieren. Da es an einer solchen Präzisierung fehlte, zog der EuGH daraus den Schluss der Ungültigkeit der Kommissionsregelung.262 In dem schon besprochenen Urteil zum ökologischen Landbau263 prüfte der EuGH neben dem zulässigen Umfang der Übertragung von Durchführungsbefugnissen264 zusätzlich das Ermessen der Kommission bei der Ausfüllung der ihr vom Rat übertragenen Befugnisse. Im Ergebnis erkannte der 13.11.1990 – Rs. C-331 / 88, Slg. 1990, I-4023 ff., Rn. 8, 14 – The Queen / Minister of Agriculture, Fisheries and Food und Secretary of State for Health, ex parte: Fedesa u. a.; EuGH, Urt. v. 12.07.2001 – Rs. C-189 / 01, Slg. 2001, I-5689 ff., Rn. 80 – H. Jippes, Afdeling Groningen van de Nederlandse Vereniging tot Bescherming van Dieren u. a. / Minister van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij; EuGH, Urt. v. 06.03.2003 – Rs. C-14 / 01, Slg. 2003, I-2279 ff. Rn. 39 – Molkerei Wagenfeld Karl Niemann GmbH & Co. KG / Bezirksregierung Hannover. 259  EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22  / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 17 – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij. Diese am Agrarmarktrecht orientierte Argumentation für einen weiten Durchführungsbegriff hat der EuGH in späteren Urteilen auch für die internationale Marktentwicklung (EuGH, Urt. v. 19.11.1998 – Rs. C-159 / 96, Slg. 1998, 7379 ff., Rn. 41 – Portugiesische Republik / Kommission) und das Zollrecht übernommen (EuGH, Urt. v. 11.11.1999 – Rs. C-48 / 98, Slg. 1999, 7877 ff., Rn. 34 – Söhl & Söhlke). 260  VO Nr. 1009 / 67 / EWG des Rates v. 18.12.1967 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker, ABlEWG 308 v. 18.12.1967, S. 1. 261  VO Nr. 873  / 74 / EWG der Kommission v. 05.04.1974 über den Erlass von Maßnahmen zur Verhinderung von Marktstörungen infolge einer Veränderung des Preisniveaus im Zuckerwirtschaftsjahr 1974 / 75, ABlEWG L 99 v. 09.04.1974, S. 15. 262  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 46 / 48 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero. 263  EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156  /  93, Slg. 1995, I-2019 ff. – Parlament / Kommission. 264  Siehe dazu schon Teil 1 C. I. 1. b).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen69

EuGH jedoch keine Überschreitung der Ermessensgrenzen durch die Kommission: Sie habe gerade keine genetisch veränderten Mikroorganismen für ökologisch erzeugte Produkte in ihre Durchführungsverordnung aufgenommen, weshalb die streitigen Vorschriften in der Durchführungsverordnung die Grundverordnung des Rats auch nicht eigenmächtig modifiziert hätten.265 Als Zwischenergebnis der vorhergehenden Ausführungen kann Folgendes festgehalten werden: Der EuGH erlaubte großzügige Befugniszuweisungen zwischen Rat und Kommission. Der Gerichtshof gab dem Begriff „Durchführung“, wie gezeigt, eine weite Bedeutung. Daher besaß die Kommission – vor allem im Agrarbereich – einen erheblichen Ermessensspielraum, um Maßnahmen zur Ausfüllung generalklauselartiger Ermächtigungsvorschriften zu ergreifen. Für die Grenzen der Befugnisse der Kommission kam es zudem nicht auf den Wortlaut der jeweiligen Grundverordnung, sondern auf die allgemeinen Hauptziele der Marktorganisation an. Die wesentlichen Elemente des zugrunde liegenden Rechtsakts musste die Kommission jedoch gleichwohl beachten. d) Die Grenzen der Selbstermächtigung des Rats Gemäß Art. 202, 3. Sp. EG konnte sich der Rat in spezifischen Fällen vorbehalten, die Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben.266 Allerdings musste er sodann – nach mehrheitlich vertretener Ansicht – jede nicht vorgenommene Delegation begründen.267 Diese Ansicht vertrat auch der EuGH und 265  EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156 / 93, Slg. 1995, I-2019 ff., Rn. 26 ff. – Parlament / Kommission. Kritisch Schlacke, DVBl. 1995, 1288 (1290), der zufolge die Aufnahme von genetisch veränderten Mikoorganismen in die Positivliste dem 4. Erwägungsgrund der Grundverordnung widerspreche, wonach „bei der Ausarbeitung von Anhang VI […] zu berücksichtigen [ist], daß Verarbeitungserzeugnisse aus ökologischem Landbau nach dem Verständnis des Verbrauchers im wesentlichen aus naturbelassenen Zutaten bestehen müssen“. 266  Die Ermächtigung in spezifischen Fällen erfolgte entweder im Wege der Selbstermächtigung oder in den Fällen des Art. 251 EG durch eine von Rat und Parlament gemeinsam erteilte Ermächtigung, siehe Krajewski / Rösslein, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: April 2007), vor Art. 250–252 EG Rn. 32. 267  Nettesheim, in: v. Bogdandy  /  Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 389 (406); Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5; Hummer, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (Hrsg.), EUV a. F. / EGV Altband II, Losebl. (Stand: Mai 1999), Art. 155 EG a. F. Rn. 98; Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 251; Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinchaftsrecht, 1994, S. 274; Lenaerts, ELR 1993, 23 (34); Bradley, CML Rev. 1992, 693 (714 ff.); Hailbronner, JuS 1990, 439 (441); Glaesner, EuR 1986, 119 (146).

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hielt eine ausführliche Begründung stets für erforderlich.268 Die Begründungspflichten wurden zudem ausdrücklich in Art. 1 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG statuiert.269 Wann genau aber ein solcher spezifischer Fall vorlag, blieb weitgehend ungeklärt. Insofern hat Meng zutreffend formuliert, die „spezifischen Fälle“ bedürften einer „Spezifizierung“: Da das Primärrecht eine solche nicht enthalte und da Art. 202, 3. Sp. EG gerade von einem Vorbehaltungsrecht des Rates ausgehe, werde man annehmen dürfen, der Rat habe diese Fälle selbst zu spezifizieren.270 Im Ergebnis bestand somit praktisch keine Einschränkung für das Selbstermächtigungsrecht des Rats, da diesem vom EuGH ein weiter politischer Spielraum zugestanden wurde und er nur genügend Phantasie für eine Begründung aufbringen musste.271 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon haben die Begründungspflichten nunmehr mit Art. 291 Abs. 2 AEUV272 ausdrücklich Eingang in das Primärrecht gefunden. Allerdings muss bezweifelt werden, ob der EuGH von seiner weiten Interpretation des „spezifischen Falls“ abrücken wird.273 Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die Verfasser des Vertrags von Lissabon nur das „case law“ und den Komitologiebeschluss mit der Einführung des Art. 291 Abs. 2 AEUV bestätigen wollten. Jedenfalls wurde auf präzisere Formulierungen als die der „detaillierten Begründung“274 verzich268  EuGH, Urt. v. 24.10.1989 – Rs. 16 / 88, Slg. 1989, I-3457 ff., Rn. 10 – Kommission / Rat der Europäischen Gemeinschaften; vgl. dazu die Urteilsanmerkung von Forman, CML Rev. 1990, 872  ff.; siehe auch EuGH, Urt. v. 18.01.2005 – Rs. C-257  /  01, Slg. 2005, I‑345 ff., Rn. 51 – Kommission  /  Rat der Europäischen Union: „Das bedeutet, dass der Rat entsprechend der Natur und dem Inhalt des umzusetzenden oder zu ändernden Basisrechtsakts eine ordnungsgemäße Begründung für eine Ausnahme von der Regel geben muss, dass es im System des Vertrages, wenn auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen zur Durchführung eines Basisrechtsakts zu treffen sind, Aufgabe der Kommission ist, diese Befugnis auszuüben.“ 269  „Außer in spezifischen und begründeten Fällen, in denen der Basisrechtsakt dem Rat die unmittelbare Ausübung von Durchführungsbefugnissen vorbehält, werden diese der Kommission entsprechend den einschlägigen Bestimmungen des Basisrechtsakts übertragen.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin) 270  Meng, ZaöRV 1988, 208 (222); siehe auch Türk, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 217 (222). 271  Vgl. Wichard, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 5; kritisch auch Kröll, ZÖR 2011, 253 (287 f.). 272  Art. 291 Abs. 2 AEUV: „Bedarf es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union, so werden mit diesen Rechtsakten der Kommission oder, in entsprechend begründeten Sonderfällen und in den in den Artikeln 24 und 26 des Vertrags über die Europäische Union vorgesehenen Fällen, dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin) 273  So auch Randazzo, CML Rev. 2005, 1737 (1747 f.). 274  Ebd., 1737 (1750).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen71

tet. Stattdessen wurde der schwammige Terminus der „entsprechend begründeten Sonderfälle“ eingefügt. Es wird sich zeigen, ob sich der EuGH durch die marginale Änderung des Primärrechts veranlasst sehen wird, bei der Überprüfung von Durchführungsrechtsakten des Rats nunmehr strengere Kriterien für das Vorliegen eines spezifischen Falls aufzustellen. Vermutlich wird er weiterhin an seiner Rechtsprechungslinie festhalten.275 Problematisch am sog. Selbstermächtigungsrecht276 des Rats ist, dass er in diesen Fällen allein, d. h. ohne Kommissionsvorschlag und ohne Mitwirkung des Europäischen Parlaments, handelt.277 Zudem ist der Rat – ebenso wie die Kommission beim Erlass von Durchführungsvorschriften – nicht an die strengen primärrechtlichen Verfahrensvorschriften, wie sie für den Erlass von Basisrechtsakten gelten, gebunden. Er muss sich bei der Ausübung der Durchführungsbefugnisse – im Gegensatz zur Kommission – noch nicht einmal an die Vorgaben der Komitologiebeschlüsse bzw. der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU278 halten.279 Trotz der vielfälti275  Siehe Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 226; Kröll, ZÖR 2011, 253 (287). 276  Vgl. Van Rijn, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV I, 6. Aufl. (2003), Art. 43 EG Rn. 21 spricht von einer „Selbstdelegation des Rates“; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (296) spricht dagegen vom sog. „Selbstermächtigungsrecht“; ebenso Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn.  19 ff. 277  Vgl. Randazzo, CML Rev. 2005, 1751 (1747); Türk, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 217 (219); Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994, S. 159. Allerdings hat sie diese Gefahr durch die gleichberechtigte Teilhabe des Europäischen Parlaments am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 1 AEUV) reduziert, vgl. Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 291 AEUV Rn. 13. 278  VO Nr.  182  /  2011  /  EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.02.2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 13 (im Folgenden: Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU). 279  Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 194; Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (671). Siehe auch Art. 1 Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG: „Mit Ausnahme der spezifischen Fälle, in denen er sich die unmittelbare Ausübung von Durchführungsbefugnissen vorbehält, überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der Vorschriften, die er erlässt. […]“. (Hervorhebungen durch die Verfasserin). Siehe Art.  1 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG: „Außer in spezifischen und begründeten Fällen, in denen der Basisrechtsakt dem Rat die unmittelbare Ausübung von Durchführungsbefugnissen vorbehält, werden diese der Kommission entsprechend den einschlägigen Bestimmungen des Basisrechtsakts übertragen. […]“. (Hervorhebungen durch die Verfasserin). Art.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU: „Diese Verordnung legt die allgemeinen Regeln und Grundsätze fest, die anzuwen-

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gen Kritikpunkte280 gegen ein Selbstermächtigungsrecht des Rats hat der EuGH bereits in der Rechtssache Köster281 – also vor der Einheitlichen Europäischen Akte 1986, als der EG-Vertrag den Rat dazu noch nicht ausdrücklich ermächtigte – diese Praxis gebilligt. Nach der Rechtsprechung des EuGH konnten „Durchführungsbestimmungen zu den Grundverordnungen vom Rat selbst […] erlassen werden“282. Der Rat brauchte dafür nicht das Verfahren des Art. 43 EG a. F. (Art. 37 EG; nunmehr Art. 43 AEUV) einzuhalten. Der EuGH begründete diese unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen mit der „ständigen Praxis der Gemeinschaftsorgane“, „dem Rechtsetzungssystem des Vertrages, wie es insbesondere in Art. 155 letzter Gedankenstrich zum Ausdruck kommt“, sowie den „in allen Mitgliedstaaten anerkannten Rechtsauffassungen“283. Mit der Anerkennung eines solchen Selbstermächtigungsrechts war aber noch keine Aussage über den zulässigen Umfang der übertragbaren Durchführungsbefugnisse durch den Rat an sich selbst und damit über eine Abgrenzung von Basisrechtsakten und Durchführungsrechtsakten getroffen. Damit stellt sich die Frage, ob die oben aufgezeigte Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH auch im Fall der Selbstermächtigung gilt. In der Rechtssache C-303 / 94 (Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln)284 hatte der EuGH zu den Ermessensgrenzen des Rats bei der „In-sich-Übertragung“ Stellung zu nehmen. den sind, wenn ein verbindlicher Rechtsakt der Union […] die Notwendigkeit einheitlicher Durchführungsbedingungen feststellt und vorschreibt, dass Durchführungsrechtsakte von der Kommission vorbehaltlich einer Kontrolle durch die Mitgliedstaaten erlassen werden. […]“. (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 280  Häufige Kritikpunkte: die Umgehung des Vorschlagsrechts der Kommission, die Störung des vertraglich gewollten Gleichgewichts zwischen Rat und Kommis­ sion, die vertraglich nicht geklärte Frage nach dem zulässigen Umfang sowie die Zweckverfehlung der Delegation. Siehe dazu Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 13 (41); Lenaerts, ELR 1993, 23 (34 ff.); Bradley, CML Rev. 1992, 693 (714 ff.). 281  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co; mehrfach bestätigt beispielsweise durch EuGH, Urt. v. 27.09.1979 – Rs. 230 / 78, Slg. 1979, 2749 ff., Rn. 7 – SpA Eridania – Zuccherifici nazionali u. a. / Minister für Landwirtschaft und Forsten, Minister für Industrie, Handel und Handwerk u. a.; EuGH, Urt. v. 16.06.1987 – Rs. 46 / 86, Slg. 1988, 2671 ff., Rn. 16 – Romkes / Officier van Justitie; EuGH, Urt. v. 18.06.1996 – Rs. C-303 / 94, Slg. 1996, I-2943 ff., Rn. 23 – Parlament / Rat der Europäischen Union; siehe zum Urteil in der Rechtssache Köster auch schon Teil 1 C. I. 1. b). 282  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co. 283  Ebd. 284  EuGH, Urt. v. 18.06.1996 – Rs. C-303  /  94, Slg. 1996, I-2943 ff. – Parlament / Rat der Europäischen Union.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen73

Zur Konkretisierung der (Basis-)Richtlinie 91 / 414 / EWG285 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln hatte der Rat die Durchführungsrichtlinie 94 / 43 / EG286 erlassen, wozu er nach Art. 18 der Basisrichtlinie287 ermächtigt worden war. Die Durchführungsrichtlinie sah im Gegensatz zur Basisrichtlinie keine Beteiligung des Europäischen Parlaments vor. Während erstere den Anwendungsbereich des zu regelnden Anhangs VI der Basisrichtlinie auf solches Grundwasser, das zur Trinkwassergewinnung bestimmt war, beschränkte, betraf Letztere jegliche Art von Grundwasser. Das Europäische Parlament sah darin nicht lediglich eine Konkretisierung, sondern eine Änderung der Basisregelung, die ohne Beachtung des vorgeschriebenen sekundärrechtlichen Rechtsetzungsverfahrens, d. h. ohne Anhörung des Parlaments, erfolgt war.288 Der EuGH hatte darüber zu entscheiden, ob die in Anhang VI vorgenommene Beschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln auf Grundwasser, das der Trinkwassergewinnung dient, eine unzulässige Abänderung der zugrunde liegenden Richtlinie bedeutete. In diesem Zusammenhang wies er zunächst darauf hin, dass die „wesentlichen Elemente der zu regelnden Materie“ vom Gesetzgeber in den dafür vorgesehenen Rechtsetzungsverfahren festgelegt werden müssten, während „die Durchführungsbestimmungen zu den Grundverordnungen und -richtlinien nach einem abweichenden Verfahren […], das in diesen Verordnungen oder Richtlinien festgelegt ist, [erlassen werden könnten]. Jedoch muß eine Durchführungsrichtlinie wie die streitige Richtlinie, die ohne Anhörung des Parlaments erlassen worden ist, die in der Grundrichtlinie nach Anhörung des Parlaments erlassenen Bestimmungen beachten“289. Gegen die Anwendung der Wesentlichkeitsrechtsprechung für die Fälle der Selbstermächtigung konnte auch nicht angeführt werden, der Rat behalte bei der vorliegenden Konstellation die Verantwortung für den Rechtsakt, da er schließlich der Urheber der zu regelnden Materie bleibe. Entscheidend war vielmehr, dass er – ebenso wie die Kommission bei der Durch285  RL 91  / 414 / EWG des Rates vom 15.06.1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABlEWG L 230 v. 19.08.1991, S. 1. 286  RL 94 / 43 / EG des Rates vom 27.07.1994 zur Festlegung des Anhangs VI der Richtlinie 91  /  414  /  EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ­ABlEG L 227 v. 01.09.1994, S. 31. 287  „(1) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die ‚einheitlichen Grundsätze‘ nach Anhang VI fest. (2) Nach dem Verfahren des Artikels 19 werden unter Berücksichtigung des Standes der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse die erforderlichen Änderungen der Anhänge II, III, IV, V und VI festgelegt.“ 288  Ausführlich Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (717). Vgl. auch die Urteils­ anmerkungen bei Schoo, EuZW 1996, 581 (583). 289  EuGH, Urt. v. 18.06.1996 – Rs. C-303 / 94, Slg. 1996, I-2943 ff., Rn. 23 – Parlament / Rat der Europäischen Union.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

führungsrechtsetzung – nicht den primärrechtlichen Verfahrensvorschriften unterlag. Für die Beantwortung der Frage, ob der Rat durch die in Anhang VI vorgenommene Beschränkung die Basisrichtlinie modifiziert hatte, stützte sich der Gerichtshof überwiegend auf den Schutzzweck der Basisrichtlinie, welchen er mithilfe der Erwägungsgründe des zugrunde liegenden Rechtsakts ermittelte. Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 91 / 414 / EWG „zwar auf die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln abzielt, daß sie aber auch die pflegliche Behandlung der Umwelt im allgemeinen und des Grundwassers im besonderen als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln festlegt“290. Da nun aber die Durchführungsrichtlinie diesen Schutzzweck auf den Schutz des Trinkwassers reduzierte, lag eine Änderung der Basisrichtlinie vor. Für eine derartige Änderung hätte es der Anhörung des Europäischen Parlaments bedurft. Der EuGH erklärte die Durchführungsrichtlinie aus diesem Grund für nichtig. Als Zwischenergebnis der vorhergehenden Ausführungen kann Folgendes festgehalten werden: Die wesentlichen Entscheidungen waren nach Ansicht des EuGH grundsätzlich von den im Vertrag dafür vorgesehenen Gesetzgebungsorganen und nach den dort festgelegten Rechtsetzungsverfahren zu regeln. Für die Delegation von nicht wesentlichen Bestimmungen sah der EG-Vertrag dagegen seit der Einheitlichen Europäischen Akte einen speziellen Rahmen vor – die Komitologieverfahren. An diese Verfahren war der Rat im Falle einer sog. Selbstermächtigung zwar nicht gebunden, allerdings mussten auch die Durchführungsrechtsakte des Rats die im Basisrechtsakt erlassenen wesentlichen Regelungen beachten.291 Die wesentlichen Elemente des zugrunde liegenden Basisrechtsakts ließen sich wiederum u. a. aus dessen Schutzzweck gewinnen. e) Der Einfluss der verfassungsvertraglichen Kategorie der „delegierten Europäischen Verordnung“ auf die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH Abschließend ist auf das Raucharomen-Urteil292, welches ersichtlich vom Willen zur strengeren Ausübung richterlicher Kontrolle hinsichtlich der Bestimmtheit der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kom290  Ebd.,

Rn. 28. auch H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (490). 292  EuGH, Urt. v. 06.12.2005 – Rs. C-66 / 04, Slg. 2005, I-10553 ff. – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland  /  Parlament und Rat der Europäischen Union. 291  So



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen75

mission geprägt ist, einzugehen.293 Hintergrund der Entscheidung war eine Nichtigkeitsklage des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Nordirlands gegen die Verordnung Nr.  2065 / 2003 / EG294, welche das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes im Bereich von Raucharomen, die in oder auf Lebensmitteln verwendet werden oder verwendet werden sollen, sicherstellen und gleichzeitig die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Verbraucherinteressen schaffen sollte, Art. 1 Verordnung Nr. 2065 / 2003 / EG. Die Verordnung regelte nicht unmittelbar, welche Raucharomen im Binnenmarkt verwendet werden dürfen, sondern sah im Wesentlichen in Art. 6 Abs. 1 das Regelungsverfahren295 vor, nach dem die Kommission sog. Primärprodukte für die Herstellung von Raucharomen für zulässig erklären konnte. Die zugelassenen Stoffe sollten in eine Positivliste im Anhang der Verordnung aufgenommen werden. Gegen den Erlass der streitigen Verordnung führte die Klägerin u. a. an, dass die Verordnung Art. 202, 3. Sp. EG verletze, „da sie Kernaufgaben der Rechtsangleichung an die Kommission delegiere. Zulässig sei aber nur die Delegation der Durchführung“296. Der EuGH hatte somit wieder einmal über die Voraussetzungen und Grenzen der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission zu entscheiden. In diesem Fall kam er zu dem Ergebnis, „dass zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Harmonisierung vorsieht“297: „Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist erstens verpflichtet, in dem Basisrechtsakt die wesentlichen Elemente der betreffenden Harmonisierungsmaßnahme festzulegen. Zweitens muss der Mechanismus zur Umsetzung dieser Elemente so angelegt seien, dass er zu einer Harmonisierung im Sinne des Art. 95 EG führt. Das ist dann gegeben, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber im Einzelnen die Modalitäten festlegt, nach denen die Entscheidungen in jedem Abschnitt eines solchen Zulassungsverfahrens getroffen werden müssen, und er die Befugnisse, die der Kommission als der Instanz zustehen, die die endgültige Entscheidung zu treffen hat, genau bestimmt und eingrenzt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die 293  So Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 30; Ohler, JZ 2006, 359 (361). 294  VO Nr. 2065 / 2003 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 10.11. 2003 über Raucharomen zur tatsächlichen und beabsichtigten Verwendung in oder auf Lebensmitteln, ABlEG L 309 v. 26.11.2003, S. 1. 295  Zu den einzelnen Ausschussverfahren siehe Teil 2 C. I. 296  Schlussanträge der Generalanwältnin Kokott v. 08.09.2005 – Rs. C-66  /  04, Slg. 2005, I-10553 ff., Rn. 16 – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Parlament und Rat der Europäischen Union. 297  EuGH, Urt. v. 06.12.2005 – Rs. C-66  / 04, Slg. 2005, I-10553 ff., Rn. 47 – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Parlament und Rat der Europäischen Union.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

fragliche Harmonisierung in der Erstellung einer Liste für die gesamte Gemeinschaft ausschließlich zugelassener Produkte besteht.“298

Der delegierende Basisrechtsakt musste also das Wesentliche selbst regeln und Inhalt, Zweck sowie Ausmaß der Delegation hinreichend bestimmen. Damit schien ein neuer Kurs vorgegeben, der deutlich über die bisherige Rechtsprechung hinausging. Bislang hatte der EuGH zwar bereits wesent­ liche von unwesentlichen Regelungen unterschieden, die Prüfung aber eher formal gehalten und unter die wesentlichen Grundsätzen nur die grundsätzliche Ausrichtung der jeweiligen Gemeinschaftspolitik subsumiert. Diese Rechtsprechung war offenkundig den speziellen Bedürfnissen der Agrarpolitik geschuldet, ließ aber ein Gespür für die rechtsstaatliche und die grundrechtliche Dimension vermissen. Die Generalanwältin Kokott erklärte daher auch in ihren Schlussanträgen, dass diese Vorgehensweise außerhalb der Agrarpolitik nicht (mehr) hinnehmbar sei: „Es geht nicht um schnelllebige und zugleich von intensiven Interventionen der Gemeinschaft geprägte Bereiche wie den Agrarmarkt. Vielmehr ist auf der Grundlage wissenschaftlicher Bewertung für jedes Primärprodukt ein einziges Mal eine Abwägung zwischen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von Unternehmen und dem Schutz von Gesundheit und Verbrauchern im Binnenmarkt zu treffen. Diese Abwägung verlangt nicht Flexibilität und Schnelligkeit, sondern eine sorgfältige Erhebung und Bewertung aller einschlägigen Informationen.“299

Im Gegensatz zur Generalanwältin ließ der EuGH aber nicht ausdrücklich erkennen, dass er nunmehr regelmäßig die in Basisrechtsakten des Rats (bzw. des Europäischen Parlaments und des Rats) vorgenommene Delega­ tion anhand von strengeren Maßstäben zu überprüfen gedenkt.300 In der Sache handelte es sich bei der Anwendung des erstmals strengeren Prüfungsmaßstabs aber wohl um die Übernahme der Anforderungen aus Art. I-36 Abs. 1 EVV301 (delegierte Europäische Verordnung). Nach dieser Vorschrift waren im Fall der Delegation in den betreffenden Europäischen 298  Ebd.,

Rn. 48, 49 (Hervorhebung durch die Verfasserin). der Generalanwältin Kokott v. 08.09.2005 – Rs. C-66  /  04, Slg. 2005, I-10553 ff., Rn. 55 – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nord­ irland / Parlament und Rat der Europäischen Union. 300  Vgl. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 80 f. 301  Art. I-36 Abs. 1 EVV: „In Europäischen Gesetzen und Rahmengesetzen kann der Kommission die Befugnis übertragen werden, delegierte Europäische Verordnungen zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzes oder Rahmengesetzes zu erlassen. In den betreffenden Europäischen Gesetzen oder Rahmengesetzen werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Europäischen Gesetz oder Rahmengesetz vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen.“ 299  Schlussanträge



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen77

Gesetzen und Rahmengesetzen Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung auf die Kommission ausdrücklich festzulegen. Das Urteil in der vorliegenden Rechtssache wurde daher auch als ein Beispiel für die Tendenz des EuGH angeführt, Elemente des zum damaligen Zeitpunkt vom Scheitern bedrohten Verfassungsvertrags in das geltende Gemeinschaftsrecht zu integrieren.302 Ob sich dieses Urteil tatsächlich zu einer der künftigen „landmark decisions“303 entwickelt hätte und sich infolgedessen einheitliche Standards für die Grenzen der Delegation an die Kommission herausgebildet hätten, ist seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und durch die Einführung der delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV) neben den Durchführungsrechtsakten (Art.  291 AEUV) nunmehr bedeutungslos geworden. Art. 290 AEUV legt nämlich in Abs. 1 fest, dass der Kommission die Befugnis übertragen werden kann, Änderungen und Ergänzungen bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts zu erlassen. In den betreffenden Gesetzgebungsakten müssen dann allerdings „Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung“ ausdrücklich festgelegt werden. 2. Deutsche und europäische Wesentlichkeitstheorie im Vergleich Auf den ersten Blick scheint die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH aufgrund ihrer Diktion eine deutliche Parallele zur sog. „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts304 aufzuweisen.305 Im Zusammenhang mit den Aussagen des EuGH zum zulässigen Delegationsumfang war in der Literatur bereits vielfach von einer „gemeinschaftsrechtlichen Wesentlichkeitstheorie“ die Rede.306 Aus diesem Grund werden im Folgenden die deut302  So Bueren, EuZW 2012, 167 (170); Streinz, JuS 2006, 445 (448); ähnlich Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 1185. 303  Streinz, JuS 2006, 445 (447). 304  Vgl. dazu BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (248 ff.); 47, 46 (78 f.); 49, 89 (126 f.); 57, 295 (320 f.); 58, 257 (268 f.); 83, 130 (142); 108, 282 (311 f.). Zur Reichweite der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts und ihrer Bedeutung für die richterliche Entscheidung Jachmann, JA 1994, 299 ff. 305  So auch Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 30; Riedel, EuR 2006, 512 (518); Wunderlich, Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 188. In diesem Sinne ist wohl auch das Vorbringen der Bundesregierung in der Rechtssache C-240 / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 9 f. – Bundesrepublik Deutschland  /  Kommission zu verstehen; a.  A. Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (714); Ipsen, in: FS Lerche, 1993, S. 425 (432). 306  Siehe Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 Rn. 67; Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

sche und die europäische Wesentlichkeitstheorie in Relation zueinander gesetzt, um deren Gemeinsamkeiten, aber vor allem auch die gemeinschaftsrechtlichen Besonderheiten herauszuarbeiten, die letztendlich zu dem oben besprochenen,307 weiten Konzept der Durchführung geführt haben. Trotz der terminologischen Ähnlichkeit unterscheidet sich die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH auf zwei Arten von der Rechtsprechung des obersten deutschen Gerichts,308 die besagt, dass der Gesetzgeber insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung verpflichtet ist, die wesentlichen Regelungen selbst zu treffen.309 Erstens legte der EuGH – wie bereits erörtert310 – einen weiten Durchführungsbegriff zugrunde, welcher nach den Hauptzielen der Ermächtigung bemessen wurde. Daher besaß die Kommission ein erhebliches Ermessen, um Maßnahmen zur Ausfüllung generalklauselartiger Ermächtigungsvorschriften zu ergreifen. Zudem unterließ es der EuGH, präzise Bestimmtheitsanforderungen an die Ermächtigungsnorm des Rats aufzustellen.311 Eine mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vergleichbare Vorschrift fehlte im Gemeinschaftsrecht (siehe aber nunmehr Art. 290 Abs. 1 AEUV). Die Grenzen des Delegationsermessens des Rats wurden nur durch das Wesentlichkeitskriterium determiniert, welches der EuGH eng auslegte. Damit bedurfte es nach Ansicht des EuGH nicht der gleichen strengen Anforderungen an die Delegationsnorm, wie sie vom Bundesverfassungsgericht für Art. 80 GG gefordert werden.312 Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S.  154 ff.; Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 55, 57 f.; Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (714); Triantafyllou, Vom Vertrags- zum Gesetzesvorbehalt, 1996, S. 235. 307  Siehe Teil 1 C. I. 1. 308  Siehe zu den konzeptionellen Unterschieden auch Schlacke, JÖR 2013, 293 (308); Riedel, EuR 2006, 512 (518). 309  Siehe zur Entstehung der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts Lindseth, in: Joerges / Dehousse (Hrsg.), Good Governance in Europe’s Integrated Market, 2002, S. 139 (147); Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 104 ff. 310  Siehe Teil 1 C. I. 1. 311  Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 51. 312  Siegel, DÖV 2010, 1 (6); Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 4. Aufl. (2009), § 12 Rn. 33; Fuhrmann, DÖV 2007, 464 (467); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 178; Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß, 2003, S. 920; Böse, Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 104; Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (544); Frowein, EuR 1983, 301 (305 f.).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen79

Der Sinn der Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts durch die Delegationsvoraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG besteht in der Sicherung der demokratischen Legitimation von Rechtsakten und der Rückbindung der ­Exekutive an dieselbige. Dies ließ sich aber auf das Verhältnis von Rat und Kommission nicht übertragen.313 Beide Organe standen sich nicht als Legislative und Exekutive gegenüber, denn auch die Kommission nahm gesetzgeberische Funktionen314 wahr (vgl. z. B. das Initiativmonopol der Kommis­ sion) und der Rat handelte als „Exekutive“, wenn er Durchführungsbestimmungen selbst erließ.315 Darüber hinaus war die Rolle des Europäischen Parlaments am Rechtsetzungsprozess eingeschränkt und es hat erst im Laufe der Zeit an Bedeutung als Mitgesetzgeber gewonnen. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat das Europäische Parlament umfassende Mitwirkungsbefugnisse am europäischen Gesetzgebungsprozess erworben. Die nunmehr im Primärrecht in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV vorgeschriebenen Bestimmtheitsanforderungen sind daher zur Sicherung der neu gewonnenen Einflussmöglichkeiten des Europäischen Parlaments und zur Stärkung der demokratischen Legitimation der exekutiven Normsetzung erforderlich. Zweitens unterschied sich die „europäische Wesentlichkeitstheorie“ in ihrer Zielsetzung von derjenigen auf deutscher Ebene. Die Rechtsprechung des EuGH war – im Gegensatz zur deutschen Wesentlichkeitstheorie – in erster Linie nicht von dem Willen getragen, die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme als Kriterium für die Wesentlichkeit einer Regelung anzusehen. Ausschlaggebend für die Wesentlichkeit einer Regelung war vielmehr die effektive Umsetzung der Gemeinschaftspolitiken.316 Dies wird insbesondere in 313  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 79; Hammer-Strnad, Das Bestimmtheitsgebot als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 159. 314  Trotz dieser legislativen Mitwirkungsbefugnisse war und ist die Kommission kein Legislativorgan, weil sie nur mittelbar demokratisch legitimiert ist und selbst ihre vertragsunmittelbaren Rechtsakte funktionell keine Gesetze sind. Denn der Vertrag ist bzgl. dieser Rechtsetzungstätigkeit (vgl. z. B. Art. 86 Abs. 3 EG; nunmehr Art. 106 Abs. 3 AEUV) bereits so präzise, „dass er selbst die Rolle des Gesetzes einnimmt und die Rechtsetzung der Kommission eher ausführenden bzw. Verordnungscharakter hat“, siehe Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 93. 315  Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 194; v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (140 f.); Demmke, Eipascope 1998, 14 (15); Schindler, Delegation von Zuständigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft, 1972, S. 158 f.; siehe auch Grams, KritV 1995, 112 (119), der den Rat auch als „Zwitterorgan“ bezeichnet, „das sowohl Legislative als eine Art Vorstufe zur föderalen Staatenkammer als auch Exekutive in sich konzentriert“. 316  Bueren, EuZW 2012, 167 (169 f.); Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 78 ff.; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 3; Möstl,

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

der schon besprochenen Rechtssache C-240  /  90 (Deutschland  /  Kommis­ sion)317 deutlich, in der trotz des Vorbringens der deutschen Seite, die im Verfahren streitigen Sanktionsvorschriften berührten Grundrechte der Betroffenen, der EuGH die Erforderlichkeit einer Regelung durch den Rat verneinte: „Im vorliegenden Fall können die von der Bundesregierung beanstandeten Vorschriften nicht als wesentlich für die durch die erste Grundverordnung eingeführte gemeinsame Marktorganisation und die durch die zweite Grundverordnung eingeführte Beihilferegelung angesehen werden. Wesentlich sind nämlich nur solche Bestimmungen, durch die die grundsätzlichen Ausrichtungen der Gemeinschaftspolitik umgesetzt werden. Dies ist bei Sanktionen nicht der Fall, die, wie die Zuschläge oder der Leistungsausschluß, diese Entscheidungen dadurch absichern sollen, daß sie eine ordnungsgemäße Verwaltung der zu ihrer Verwirk­lichung dienenden Gemeinschaftsmittel gewährleisten.“318

Die grundrechtsrelevante Rechtsetzung lag somit nicht nur in den Händen von Rat und Parlament, sondern wurde auch durch die Kommission vorgenommen. Abgesehen von diesen Differenzen, gibt es auch Ähnlichkeiten mit der sog. „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts. Denn letztlich stand hinter der Rechtsprechung des EuGH „ebenso wie im deutschen Verfassungsrecht der aus dem Demokratieprinzip abgeleitete Gedanke, dass die grundlegenden Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen […]“319. Durch die Aufwertung des Europäischen Parlaments zum gleichberechtigten Gesetzgeber im Zuge der Lissabonner Vertragsreform wurde diesem Grundsatz dadurch in verstärktem Maße Rechnung getragen, dass nunmehr „Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung“ ausdrücklich in den Gesetzgebungsakten festgelegt werden müssen und die wesentlichen Aspekte eines Bereichs diesen Gesetzgebungsakten vorbehalten bleiben.320 Durch die primärrechtlich geforderten Bestimmtheitsanforderungen soll zukünftig deutlicher zu Tage treten, in welchem DVBl. 2011, 1076 (1083); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 178; Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (590 f.). 317  Siehe Teil 1 C. I. 1. b). 318  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240  / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 36, 37 – Bundesrepublik Deutschland / Kommission (Hervorhebung durch die Verfasserin). 319  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 102; siehe auch Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag, 2007, Art. I‑36 EVV Rn. 3; Riedel, EuR 2006, 512 (519); Giegerich, Europäische Verfassung und deutsche Verfassung im transnationalen Konstitutionalisierungsprozeß, 2003, S. 920. 320  Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 188; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag, 2007, Art. I‑36 EVV Rn. 4; Streinz, JuS 2006, 445 (446).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen81

Umfang Befugnisse übertragen werden. Das schwammige Kriterium der Wesentlichkeit ist nur noch ein Aspekt zur Abgrenzung der Basisrechtsakte (Gesetzgebungsakte) von den Rechtsakten ohne Gesetzescharakter. Dabei orientiert sich Art. 290 Abs. 1 AEUV offensichtlich an der Regelung des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG321, indem nunmehr dessen Anforderungen weitgehend auf die europäische Ebene transportiert wurden. Da dem Gerichtshof die Auslegung der Vertragsvorschriften obliegt, dürfte davon auszugehen sein, dass das Gebot der Regelung wesentlicher Fragen in den zugrunde liegenden Gesetzgebungsakten weiterhin an die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH anknüpfen wird.322 Der EuGH kann zur Auslegung des Merkmals „der wesentlichen und nicht wesentlichen Aspekte eines Bereichs“ auf eine umfangreiche, aber – mangels abstrakter Kriterien – wenig praktisch handhabbare Kasuistik zurückgreifen.323 Unter den Begriff „wesentlich“ werden damit aller Voraussicht nach wie bisher nur die politischen Grundentscheidungen einer Materie fallen. Insofern wurde eine bereits existierende Praxis durch den Lissabonner Vertrag konstitutionalisiert.324 Es bleibt daher abzuwarten, ob durch die Festlegung zusätzlicher Bestimmtheitsanforderungen in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV ein höheres Maß an Klarheit hinsichtlich des zulässigen Umfangs bzw. des Inhalts der delegierten Befugnisse erreicht werden kann325 und ob die Grundrechtsrelevanz zum mitbestimmenden Krite­ rium der Wesentlichkeit einer Maßnahme wird. 3. Der Vorbehalt des Gesetzes im Gemeinschaftsrecht Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Grundrechtseingriff aufgrund von Durchführungsrechtsakten der Kommission dem Gesetzesvorbehalt des Art. 52 Abs. 1 der nunmehr verbindlichen Charta der Grundrechte der Europäischen Union326 (im Folgenden: GRCh) genügt oder ob diese 321  „Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden.“ 322  H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (490 f.); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 195; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 64. 323  Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 18; H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 (9.). 324  H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (490); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 195. 325  Zweifelnd Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 266 f. 326  Zum 1. Dezember 2009 ist die Charta der Grundrechte der Europäischen ­Union (ABlEU C 83 v. 30.03.2010, S. 389) verbindlich geworden und zwar im gleichen Rang wie der EU-Vertrag und der AEUV, vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EUV. Siehe

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Vorschrift verlangt, dass die Belastung individueller Freiheit zwingend durch den europäischen Gesetzgeber in einem Basisrechtsakt festgelegt wird.327 Ein solcher Parlamentsvorbehalt, d. h. der Erlass eines formellen Gesetzes durch den parlamentarischen Gesetzgeber, welcher über die wesentlichen Fragen selbst entscheidet (die unwesentlichen Fragen können hingegen nach Art. 80 Abs 1 S. 2 GG delegiert und durch untergesetzliche Rechtsnormen geregelt werden328), wird im deutschen Verfassungsrecht immer „in grundlegenden normativen Bereichen“, insbesondere „im Bereich der Grundrechtsausübung“329 gefordert. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob eine solche Selbstentscheidungspflicht des europäischen Gesetzgebers für grundrechtsrelevante Rechtsetzung besteht. Bei einer Beeinträchtigung der Unionsgrundrechte urteilte der EuGH bereits im Jahr 1989, dass jeder Eingriff der öffentlichen Gewalt in den grundrechtlichen Schutzbereich natürlicher oder juristischer Personen in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einer Rechtsgrundlage zum Schutz gegen willkürliche oder unverhältnismäßige Eingriffe bedürfe. Das Erfordernis eines solchen Schutzes sei folglich als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen.330 zu den unterschiedlichen Formulierungen des Art. 52 GRCh im Verlaufe der Konventsarbeiten Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (83 ff.). Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 9 Rn. 3 verweist zudem darauf, dass der doppelte Anwendungsbereich der Charta (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh: „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“.) die Formulierung eines geeigneten Gesetzesvorbehalts als Grundrechtsschranke, der sowohl auf die Union als auch auf die Mitgliedstaaten zugeschnitten ist, erschwere. 327  Ausführlich zu dieser Frage allerdings in Bezug auf Art. II-112 Abs. 1 EVV Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 157; Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 59 ff. 328  Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 133  ff. Das Verhältnis des Parlamentsvorbehalts zu den Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ist umstritten, vgl. Cremer, AöR 1997, 248 ff. Man wird hier wohl im Sinne eines einheitlichen Parlamentsvorbehalts den Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als Konkretisierung dieses Grundsatzes auffassen müssen. So auch Voßkuhle, JuS 2007, 118 (119) und Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (72), wonach zum Parlamentsvorbehalt inhaltlich-systematisch die Wesentlichkeitstheorie gehört. Allgemein zum Gesetzesvorbehalt, der vom BVerfG „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung“ zum Parlamentsvorbehalt fortentwickelt wurde Kingreen / Poscher, Grundrechte, 29. Aufl. (2013), § 6 Rn. 271 ff. 329  BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249); 41, 251 (260); 45, 400 (417 f.); 47, 46 (78 ff.); 48, 210 (221). 330  EuGH, Urt. v. 21.09.1989 – verb. Rs. 46 / 87 und 227 / 88, Slg. 1989, 2859 ff. Rn.  19 – Hoechst AG / Kommission.



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen83

In dem Urteil in der Rechtssache Knauf Gips KG331 hat der EuGH den Begriff „gesetzlich vorgesehen“ in Art. 52 Abs. 1 GRCh dahingehend präzisiert, dass ein Unionsakt mit individueller Geltung ohne eine ausdrückliche Rechtsgrundlage als solcher nicht die Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten einschränken darf. Unklar blieb jedoch, wie die geforderte Rechtsgrundlage beschaffen sein muss.332 Nun liest sich Art. 52 Abs. 1 GRCh aber so, als ob ein europäischer „Parlamentsvorbehalt“ seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestünde, denn danach muss jeder Eingriff in ein Grundrecht der Charta „gesetzlich vorgesehen“333 sein, also auf einen Gesetzgebungsakt, nicht aber auf einen Rechtsakt ohne Gesetzescharakter, zurückzuführen sein.334 Allerdings ist der Wortlaut „muss gesetzlich vorgesehen sein“ weniger streng als beispielsweise „muss durch formelles Gesetz ausdrücklich bestimmt sein“. Die Formulierung spricht daher nicht zwingend gegen einen materiellen Gesetzesbegriff. Diese strenge Sichtweise wurde jedoch zum Zeitpunkt der Kreationsphase des Verfassungsvertrags unter dem Gesichtspunkt der einheit­ lichen Auslegung des Begriffs „Gesetz“ in Teil I (Nomenklatur der Rechtsakte) und Teil II (Die Charta der Grundrechte der Union) des Verfassungsvertrags vertreten.335 Aufgrund der terminologischen Neufassung des Vertrags von Lissabon kann diese Schlussfolgerung nun aber nicht mehr gezogen werden, wurde doch der Rechtsakt des Europäischen (Rahmen-) Gesetzes wieder aus dem Katalog der Rechtsakttypen (vgl. Art. I-33 EVV; 331  EuGH, Urt. v. 01.07.2010 – Rs. C-407 / 08 P, Slg. 2010, I-6375 ff., Rn. 91 – Knauf Gips KG / Kommission. 332  Vgl. Lenaerts, EuR 2012, 3 (8 f.); Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2011), Art. 52 GRCh Rn. 20; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 Rn. 67; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S.  151 ff. 333  Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (85) sind der Ansicht, dass „durch diese Formulierung […] ein semantischer Abstrahierungsgrad erreicht worden war, der im Wortlaut der Norm sowohl die Frage nach der Rechtsnatur des einschränkenden Rechtsakts als auch die Frage nach dem erlassenden Organ offen ließ“. 334  Sehr ausführlich legt Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 158 ff. Art. 52 GRCh nach seinem Wortlaut, seiner Entstehungsgeschichte, seiner Systematik und nach seinem Sinn und Zweck aus, um herauszufiltern, welche Anforderungen an die Rechtsgrundlagen des Unionsrechts zu stellen sind. Ebenso ausführlich Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 59 ff. 335  So Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 195; H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 (11–12); ablehnend Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2011), Art. 52 GRCh Rn. 21; Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (695).

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

nunmehr Art. 288 AEUV) gestrichen. Zudem verwendet auch der EGMR in seiner Rechtsprechung einen materiellen Gesetzesbegriff336, wenn er sich auf Artikel stützt, die einen ähnlichen Wortlaut wie Art. 52 GRCh aufweisen.337 Dieses Argument erlangt allein schon wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh338 an Gewicht, welcher die Übereinstimmung der Rechte der Grundrechtecharta mit den entsprechenden Garantien der EMRK verlangt.339 Ferner würde die Forderung einer formell gesetzlichen Grundlage340 für Grundrechtseingriffe in Bereichen, in denen den Unionsorganen der Zugriff auf Gesetzgebungsakte verweigert ist, Eingriffe in Grundrechte gänzlich verbieten.341 Dies beträfe beispielsweise die Wettbewerbspolitik, da die einschlägigen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse gezielt eine Beeinträchtigung von grundrechtlich verbürgten Rechten der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer hervorrufen.342 Die Ausübung der in Art. 101–109 AEUV (Wettbewerbsregeln) garantierten Befugnisse von Rat und Kommission würde bei der Zugrundelegung eines formellen Gesetzesbegriffs folglich verhindert 336  Gesetz im materiellen Sinn ist jede allgemein-verbindliche Rechtsnorm, H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. (2011), § 4 Rn. 17; siehe auch Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 54; v. Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S.  171 (174 f.). 337  Z. B. in Art. 6 Abs. 1, Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 EMRK; siehe auch EGMR, Urt. v. 16.04.2002 – 37971 / 97, ECHR 2002-III, Rn. 43 – Société Colas Est and others / France; Lenaerts, EuR 2012, 3 (8 f.); Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeits­ theorie, 2007, S. 80 ff. 338  „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“ 339  So Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 Rn. 67 (Fn. 203). 340  Gesetz im formellen Sinn ist jeder Hoheitsakt, der durch die gesetzgebenden Organe im Gesetzgebungsverfahren als „Gesetz“ erlassen wird, H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. (2011), § 4 Rn. 17; siehe auch Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 54. 341  Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 161; v. Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S. 171 (175). 342  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 281 f.; kritisch dazu Schwarze, EuR 2009, 171 (180), der das Erfordernis eines formellen Gesetzes im Bußgeldbereich aufgrund der Grundrechtsrelevanz des Eingriffs und mit Blick auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh fordert. 336



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen85

werden.343 Schließlich könnten bei einem so verstandenen Gesetzesvorbehalt zahlreiche Sekundärrechtsakte nicht mehr zur Grundrechtsbeschränkung herangezogen werden, da sie ohne die Mitwirkung des Parlaments ergangen sind.344 Bast formuliert insofern treffend, dass „bis auf Weiteres der Grundrechtsschutz und das System der Rechtsakte getrennte Abteilungen des Europäischen Verfassungsrechts bleiben“345. a) Grundrechtsrelevanz als mitbestimmendes Kriterium der Wesentlichkeit? Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass ein Parlamentsvorbehalt nach deutschem Vorbild in Art. 52 Abs. 1 GRCh gerade nicht geregelt ist,346 denn im Gemeinschaftsrecht (bzw. nunmehr Unionsrecht) wird bislang die Wesentlichkeit von Grundrechtsbelangen verneint. Das bedeutet, der Gemeinschafts- bzw. nunmehr der Unionsgesetzgeber konnte bzw. kann auch Maßnahmen delegieren, die Grundrechtsbezug aufweisen. Die Grundrechtsrelevanz ist daher noch kein mitbestimmendes Kriterium für die Wesentlichkeit einer Regelung.347 Ansätze für die Herausbildung eines Delegationsverbots für grundrechtsrelevante Rechtsetzung offenbart bislang lediglich die unzweifelhaft durch das deutsche Verfassungsrecht beeinflusste Argumentation der deutschen Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen der Rechtssache C-66 / 04 (Raucharomen).348 343  Vgl. Bast, in: v. Bogdandy  /  Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (550); v. Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S. 171 (175). 344  Vgl. Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (85); Philippi, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2002, S. 41. 345  Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (550). 346  So Fassbender, NVwZ 2010, 1049 (1050); Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (550); Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S.  88 f. m. w. N.; Philippi, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2002, S. 41; Weber, NJW 2000, 537 (543); ähnlich Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 200, die feststellt, dass der schwache gemeinschaftsrechtliche Parlamentsvorbehalt dem Frankreichs und Großbritanniens ähnelt, „aber auch dort richten sich Delegationsverbote nach der Grundrechtsrelevanz bestimmter Regelungsgegenstände“. 347  So auch Bueren, EuZW 2012, 167 (170). 348  Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 08.09.2005 – Rs. C-66  /  04, Slg. 2005, I‑10553 ff., Rn. 54 ff. – Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland / Parlament und Rat der Europäischen Union.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Der Vorbehalt des Art. 52 Abs. 1 GRCh bedeutet somit nicht, dass stets das unmittelbar demokratisch legitimierte Europäische Parlament handeln muss.349 Aufgrund des besonderen Charakters der Union kann die Rechtsetzung nicht innerhalb der gleichen Bahnen verlaufen wie im innerstaatlichen Bereich. Aus diesem Grund sind die Anforderungen einer gesetzlichen Regelung für Grundrechtseingriffe daher auch durch solche Rechtsakte gewahrt, die vom Rat, als indirekt demokratisch legitimiertem Organ, ohne oder nur mit schwacher Beteiligung des Europäischen Parlaments erlassen werden.350 Der Vorbehalt des Gesetzes wird somit durch eine abstrakt-generelle Regelung oder eine konkret-individuelle Verwaltungsentscheidung der Kommission ebenfalls gewahrt, solange sich diese auf eine gesetzliche Grundlage351 – des Rats bzw. des Rats und des Europäischen Parlaments – stützt und sich im Rahmen der Ermächtigung hält, d. h. lediglich konkretisierender Natur ist.352 Dieser „weiten“ Auslegung des gesetzlich Vorgesehenen in Art. 52 Abs. 1 GRCh ist mittlerweile auch der EuGH in den Rechtssachen Schecke und Eifert353 gefolgt: Danach erfüllen auf einer Durchführungsverordnung der Kom349  Siehe EuGH, Urt. v. 19.07.2012 – Rs. C-130 / 10, Slg. 2012, Rn. 83 f. – Europäi­ sches Parlament / Rat der Europäischen Union; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, 2. Aufl. (2013), Art. 52 GRCh Rn. 27; Lenaerts, EuR 2012, 3 (8 f.); Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 88 m. w. N.; Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (695). 350  So auch Lenaerts, EuR 2012, 3 (8 f.); Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 Rn. 67; Kingreen, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 52 GRCh Rn. 62; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 162 f.; Ohler, JZ 2006, 359 (361); Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (85 f.); Hector, in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, S. 189 (202); Weber, NJW 2000, 537 (543); a. A. Calliess, EuZW 2001, 261 (264). 351  Der Gesetzesvorbehalt gilt ebenfalls in den Fällen des Selbstermächtigungsrechtes des Rats, siehe dazu Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 194. 352  So auch Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (49); Fassbender, NVwZ 2010, 1049 (1050); Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (85 f.); Kingreen, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 52 GRCh Rn. 62; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, 2. Aufl. (2013), Art. 52 GRCh Rn. 26 f.; einschränkender Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl. (2009), § 14 Rn. 67. 353  EuGH, Urt. v. 09.11.2010 – verb. Rs. C-92  /  09 und C-93  /  09, Slg. 2010, I-11063 ff., Rn. 65 f. – Volker und Markus Schecke GbR (C-92 / 09) und Hartmut Eifert (C‑93 / 09) / Land Hessen: „Art. 52 Abs. 1 der Charta lässt Einschränkungen der Ausübung der Rechte wie derjenigen zu, die in ihren Art. 7 und 8 verankert sind, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Frei-



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen87

mission beruhende Einschränkungen der in der Charta anerkannten Grundrechte die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts in Art. 52 Abs. 1 GRCh. Eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments an der Basisverordnung ist danach nicht erforderlich.354 Zwar können auch in Deutschland Grundrechte „durch oder auf Grund eines Gesetzes“355 beschränkt werden. Das zur Delegation ermächtigende Gesetz bedarf allerdings – im Gegensatz zum europäischen Gesetzgebungsakt – stets einer Beteiligung des Parlaments. Ein an der gleichberechtigten Mitwirkung des Europäischen Parlaments orientierter Gesetzesvorbehalt ist jedoch wünschenswert und greift auch der Zukunft nicht mehr so weit voraus, wie es Weber noch im Jahr 2000 formulierte,356 denn je mehr der Kompetenzbereich der Union wächst und je mehr die Rechtsbetroffenheit des Einzelnen dabei zunimmt, desto stärker stellt sich die Frage nach ausreichender demokratischer Legitimation der Union bei der Ausübung ihrer Hoheitsgewalt.357 Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zudem den Status einer verbindlichen, primären Grundrechtsquelle erlangt. Das lässt darauf schließen, dass in Zukunft ein neuer Maßstab358 für das Handeln der europäischen Organe im Falle von Grundrechtseingriffen angelegt werden muss.359 heiten anderer tatsächlich entsprechen. Erstens steht fest, dass der Eingriff, der sich daraus ergibt, dass Daten unter Nennung der Namen der betroffenen Empfänger auf einer Internetseite veröffentlicht werden, als im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta ‚gesetzlich vorgesehen‘ anzusehen ist. In Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 der Verordnung Nr. 259 / 2008 [der Kommission] ist eine solche Veröffentlichung nämlich ausdrücklich vorgesehen.“ 354  Kritisch Türk, in: Biondi  /  Eeckhout  /  Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (72), der insbesondere darauf hinweist, dass Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, deren Rechtsgrundlage sich unmittelbar aus dem primären Unionsrecht ergibt – mangels einer Beteiligung des Parlaments – nicht als Eingriffsgrundlage für die in der Charta anerkannten Grundrechte in Betracht kommen dürfen. Siehe zu diesen sog. vertragsunmittelbaren bzw. vertragsdurchführenden Rechtsakten Teil 1 D. IV. 2. und Teil 3 D. II. 355  Siehe z. B. Art. 8 Abs. 2 GG. 356  Vgl. Weber, NJW 2000, 537 (543). 357  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 104. 358  Zurückhaltender Schima, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 325 (341 f.) der darauf verweist, dass die in der Charta niedergelegten Rechte vor allem eine Bekräftigung von Grundrechten aus anderen Quellen darstellen und für den Gerichtshof daher nicht die Notwendigkeit besteht, seine Argumentation zu den Unionsgrundrechten grundlegend zu ändern, auch wenn zukünftig die Charta erster Ansatzpunkt für die Beurteilung des Bestehens solcher Grundrechte werden dürfte. 359  Vgl. Wunderlich / Hickl, EuR 2013, 107 (110 ff.). Dies wird auch in Hinblick auf den Beitritt der Union zur EMRK vertreten, ausführlich dazu Reich, EuZW

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

b) Ausblick: Notwendige Reformen hinsichtlich der Ausgestaltung der Durchführungsbefugnisse der Kommission Um dem hier geforderten unionsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes recht zu werden, muss sich auch die Wesentlichkeitsrechtsprechung EuGH fortentwickeln.360 Anknüpfungspunkt der Wesentlichkeit sollten künftig nicht mehr ausschließlich die Unionspolitiken, sondern daneben allem die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme sein.361

gedes zuvor

In diesem Zusammenhang ist die Einführung von abstrakten Kriterien zur Eingrenzung des Delegationsumfangs in Art.  290 Abs.  1 UAbs.  2 ­AEUV grundsätzlich zu begrüßen, erwartet man doch von ihnen, dass sie zu einer geringeren Detailliertheit der Basisverordnungen führen und gleichzeitig die demokratische Legitimation der Kommissionshandlungen fördern.362 Allerdings sah auch schon Art. 1 Komitologiebeschluss 1999 /  468 / EG vor, dass in den Bestimmungen des Basisrechtsakts die Hauptbestandteile der übertragenen Befugnis festzulegen sind.363 Die Bestimmtheitsanforderungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV sind jedoch konkreter und sie wurden auf die Ebene des Primärrechts befördert, was zugleich für einen Bedeutungszuwachs und für eine Zunahme ihrer normativen Kraft spricht. 2011, 379 ff. Eine verstärkte Grundrechtskontrolle durch den Gerichtshof lässt sich auch anhand jüngerer Entscheidungen ablesen, vgl. EuGH, Urt. v. 01.03.2011 – Rs. C-236 / 09, Slg. 2011, I-773 ff., Rn. 3, 17, 30, 32 – Association Belge des Consommateurs Test-Achats ASBL u.  a.  /  Conseil des ministres; vgl. dazu auch Wehlau / Lutzhöft, EuZW 2012, 45 (48 ff.). Zur Anwendbarkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union siehe Generalanwältin Kokott Schlussanträge v. 30.09.2020 – Rs. C-236 / 09, Slg. 2011, I-773 ff., Rn. 28 – Association Belge des Consommateurs Test-Achats ASBL u. a. / Conseil des ministres. 360  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 102; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 196; ähnlich Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 15; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 64. 361  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 103; Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. (2011), Art. 52 GRCh Rn. 20; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 189 ff.; Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeits­ theorie, 2007, S. 210 ff.; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 64; Kalbheim / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 583 (599). 362  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 247 f.; Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (75 f.); Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (202); Lenaerts, European Constitutional Law Review 2005, 57 (59). 363  Siehe dazu Teil 1 C. I. 1. b).



C. Umfang und Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen89

Nichtsdestotrotz machen die abstrakten Regelungen nur Sinn, wenn die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme künftig mitbestimmendes Kriterium der Wesentlichkeit wird. Denn mit der Übernahme der fast gleichlautenden Formel des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV können nur dann abstrakte Kriterien für die Definition von wesentlichen Fragen auf der Unionsebene gewonnen werden, wenn auch das in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG verankerte Verständnis des Rechtsstaatsprinzips auf der Unionsebene Berücksichtigung findet.364 Zu diesem Prinzip gehören nämlich auch die Wesentlichkeitstheorie und das Bestimmtheitsgebot.365 Diese Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips beruhen auf einem umfassenden Verständnis der Grundrechte als objektive Werteordnung für die gesamte deutsche Rechtsordnung.366 Daher bilden sowohl die Wesentlichkeitstheorie als auch das Bestimmtheitsgebot den Maßstab, mit dessen Hilfe „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der Delegation näher konkretisiert werden und mit dem es dem Bundesverfassungsgericht367 ermöglicht wird, Aussagen über die erforder­ liche Regelungsdichte und ‑intensität der Delegationsnorm zu treffen.368 Den abstrakten Kriterien des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV kann daher ohne den inhaltlichen Anknüpfungspunkt der Grundrechtsrelevanz kein konkretisierender Mehrwert gegenüber dem Grundsatz, der Gesetzgeber müsse das „Wesentliche“ selbst regeln, beigemessen werden.369 Abschließend ist somit festzuhalten, dass allein die Etablierung von ab­ strakten Kriterien in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV zur Bestimmung des Umfangs der Delegation nicht genügt. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich zusätzlich die Grundrechtsrelevanz einer geplanten Regelung zum mitbestimmenden Kriterium der Wesentlichkeit entwickelt.370 II. Einzelfallmaßnahmen als Durchführung des Gemeinschaftsrechts Wie insbesondere mithilfe der vorangegangenen Rechtsprechungsübersicht gezeigt, war mit dem Begriff der „Durchführung“ gemäß Art. 202, 3. Sp. 364  So H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 116. 365  Ebd., S. 117. 366  So bereits BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 367  BVerfGE 23, 62 (73); 58, 257 (277 f.); 62, 203 (210). 368  H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 117. 369  Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 152 f. 370  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 42; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 152 f.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

und Art. 211, 4. Sp. EG in erster Linie die abstrakt-generelle Rechtsetzungstätigkeit der Kommission zur Steuerung der nationalen Vollzugsbehörden im Sinne der Gemeinschaftspolitiken gemeint. Dennoch kannte das Gemeinschaftsrecht auch Fälle konkret-individueller Verwaltungsentscheidungen der Kommission, die auf einer sekundärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage fußten.371 Dass es sich bei ihnen nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich ebenfalls um Durchführungsrechtsakte handelte, ergab sich zum einen daraus, dass die konkret-individuellen Entscheidungen der Kommission stets unter Beteiligung des jeweils zuständigen Komitologieausschusses ergingen.372 Zum anderen lässt sich dafür das weite Konzept der „Durchführung“ des EuGH anführen: „Der Begriff der Durchführung […] umfasst sowohl die Ausarbeitung von Durchführungsvorschriften als auch die Anwendung von Vorschriften auf den Einzelfall durch den Erlass individueller Rechtsakte. Da der Vertrag den Begriff ‚Durchführung‘ verwendet, ohne ihn durch einen näheren Zusatz einzuschränken, lässt sich dieser Begriff nicht so auslegen, daß er individuelle Rechtsakte ausschließt.“373

Der EuGH hat demnach das „doppelte Konzept der Durchführungsrecht­ setzung“374 ausdrücklich für vertragskonform erklärt. Der Rat konnte somit auch die Befugnis zum Erlass konkret-individueller Rechtsakte auf die Kommission übertragen.375 Dass es sich dabei um eine eigenständige Kategorie von Rechtsakten handelte, die von der abstrakt-generellen Rechtsetzung abzugrenzen war, wird ein Blick auf die Erscheinungsformen dieser konkret-individuellen Entscheidungen aufzeigen. Eine große Rolle spielen – auch nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags – konkret-individuelle Kommissionsentscheidungen in europäischen Produktzulassungs­ ver­ fahren,376 welche daher bei der Untersuchung dieser Kategorie von Rechtsakten als Referenzgebiet dienen sollen. Da die konkret-individuellen Kom371  Damit unterschieden sich die konkret-individuellen Durchführungsrechtsakte explizit von anderen administrativen Einzelakten der Kommission, die auf einer vertragsunmittelbaren Ermächtigungsgrundlage fußten (siehe Art. 85 Abs. 2 und Art. 88 Abs. 2 EG; nunmehr Art. 105 Abs. 2 AEUV und Art. 108 Abs. 2 AEUV). 372  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, S. 82; Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710; siehe dazu noch ausführlich Teil 2 F. 373  EuGH, Urt. v. 24.10.1989 – Rs. 16 / 88, Slg. 1989, 3457 ff., Rn. 11 – Kommission / Rat der Europäischen Gemeinschaften. 374  Riedel, EuR 2006, 512 (531). 375  Breier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 202 EG Rn. 8; Lenaerts / Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. (2005), S. 612; Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2000, S. 43 (52); Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (651). Kritisch zu diesem weiten Konzept der Durchführung Möllers, EuR 2002, 483 (488, 490). 376  Vgl. Riedel, EuR 2006, 512 (531 ff.).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte91

missionsentscheidungen teilweise erheblich in die Rechte der betroffenen Marktteilnehmer eingreifen und sie daher in Zusammenhang mit der Frage nach der Tragweite der im Wege der Komitologie erlassenen Durchführungsrechtsakte stehen, werden die dogmatischen Konsequenzen der konkret-individuellen Durchführungsrechtsakte erst im zweiten Kapitel – nach der Vorstellung des Systems der Komitologie – erläutert.377

D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte: Normenhierarchie oder Verhältnis partieller Hierarchisierung? Aufs Engste mit der Thematik der Delegation rechtsetzender Befugnisse verknüpft und von dieser nur schwer loszulösen, ist die Frage nach der Normenhierarchie im Gemeinschaftsrecht, da auch bei dieser im Kern die Problematik der Zuweisung von legislativen und exekutiven Befugnissen betroffen ist. Aus diesem Grund soll nachfolgend zunächst das System der Normenhierarchie – wie es im Bereich des Gemeinschaftsrechts vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon existierte – konturiert werden. Der Schwerpunkt der folgenden Untersuchung liegt jedoch auf der Darstellung der im gescheiterten Verfassungsvertrag angelegten, neuen Kategorisierung von Rechtsakten und der damit möglicherweise einhergehenden Hierarchisierung der verschiedenen Rechtsakttypen im Unionsrecht. Im dritten Kapitel schließt sich dann der Kreis mit der Analyse der seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden Rangstufen im Unionsrecht.378 Dann wird sich zeigen, ob sich eine „echte“ Normenhierarchie im Unionsrecht durchgesetzt hat. I. Primärrecht und Sekundärrecht Das Gemeinschaftsrecht wurde anhand seiner Rechtsquellen in primäres und sekundäres Recht gegliedert. Zur ersten Kategorie gehörten im Wesentlichen die Verträge zur Gründung (und später zur Weiterentwicklung) der Gemeinschaften. Unter dem Begriff „Sekundärrecht“ wurde wiederum das von den Gemeinschaftsorganen auf der Grundlage des Primärrechts erlassene Recht verstanden.379 Es wurde insoweit auch als „abgeleitetes Recht“ charakterisiert.380 377  Siehe

Teil 2 F. Teil 3 D. 379  Siehe ausführlich zur Unterteilung des Gemeinschaftsrechts in Primär- und Sekundärrecht Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 4. Aufl. (2009), § 10 Rn. 21 ff.; Streinz, Europarecht, 8. Aufl. (2008), § 1 Rn. 3 f. 378  Siehe

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Die oberste Rangstufe nahm in der Rechtsordnung der Gemeinschaft das Primärrecht ein.381 Dies ergab sich schon aus Art. 7 Abs. 1 S. 2 EG (nunmehr Art. 13 Abs. 2 AEUV), wonach jedes Organ nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse zu handeln hatte.382 Daraus folgte, dass sich das Sekundärrecht an die Vorgaben des Primärrechts halten musste und diesem nicht widersprechen durfte.383 Das Primärrecht war folglich der Maßstab, an dem die Rechtmäßigkeit des sekundärrechtlichen Akts gemessen wurde.384 Der EuGH hat insofern einmal formuliert, dass das Primärrecht „Grundlage, Rahmen und Grenze“385 für die von den Gemeinschaftsorganen zu erlassenden Rechtsakte bilde. 380

Eine dritte Gliederungsebene, für die teilweise die Begrifflichkeit „Ter­ tiärrecht“ gebraucht wurde, existierte – wie sich im Folgenden zeigen wird – nach hier vertretener Ansicht nicht. Vielmehr bestanden innerhalb des 380  Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 9 Rn. 19, 65; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 93; Streinz, Europarecht, 8. Aufl. (2008), § 1 Rn. 4; Wölker, EuR 2007, 32; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 8; Gaitanidis, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 220 EG Rn. 16; Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 33; Magiera, integration 1995, 197 (198). 381  Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 9 Rn. 21; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 249 EG Rn. 14; Gaitanidis, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 220 EG Rn. 17; Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 33, 59. Dieser innergemeinschaftsrechtliche Vorrang war von dem „Vorrang des Gemeinschaftsrechts“ insgesamt gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Siehe dazu ausführlich Schütz / Bruha /  D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 68 ff. Wölker, EuR 2007, 32 ff. spricht insofern von einer „internen“ und einer „externen Hierarchie“. 382  Schmidt, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG Rn. 22 ff.; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 232. 383  Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 9 Rn. 66; Zuleeg / Kadelbach, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 8 Rn. 11. 384  Vgl. zu den hier nicht behandelten hierarchischen Stufen innerhalb des Primärrechts Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 10 Rn. 37 ff.; H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, 80 ff.; Magiera, integration 1995, 197 (199); Heintzen, EuR 1994, 35. 385  EuGH, Urt. v. 05.10.1978 – Rs. 26 / 78, Slg. 1978, 1771 ff., Rn. 9 ff. – Institut national d’assurance maladie-invalidité und Union nationale des fédérations mutualistes neutres / Antonio Viola; siehe aber zur schwachen Ausprägung der Bindung des Sekundärrechts an das Primärrecht Siegel, DÖV 2010, 1 (4 f.); Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (653 f.).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte93

Sekundärrechts gewisse Abstufungen,386 denen aber keine hierarchische Qualität zukam.387 Für die vorliegende Untersuchung von Interesse ist insbesondere das Verhältnis von ermächtigendem Sekundärrechtsakt zu den Durchführungsrechtsakten im Sinne von Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG. II. Tertiärrecht Eine typologische Ausdifferenzierung des Sekundärrechts in ermächtigende Gesetze und durchführende Rechtsverordnungen, die Rückschlüsse auf das normenhierarchische Gefüge unterhalb des Primärrechts hätte zulassen können, enthielten die Gemeinschaftsverträge nicht. Zudem existierte im Gemeinschaftsrecht auch keine exklusive Handlungsform für Rechtsakte des Parlaments und des Rats. Teilweise wurde aber der Begriff des „Tertiärrechts“ gebraucht, um damit die Rechtssätze zu charakterisieren, die auf der Grundlage von sekundärrechtlichen Ermächtigungen ergingen.388 Dieser Begriff mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, da er die Rechtsakte plastisch beschrieb, die auf einem Sekundärrechtsakt beruhten. Allerdings vermittelte er den fälschlichen Eindruck, dass zwischen Basisrechtsakten und Durchführungsrechtsakten ein ebenso absolutes Stufenverhältnis wie zwischen Rechtsakten des Primär- und Sekundärrechts bestanden haben könnte.389 Zwar ging der EuGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Durchführungsvorschriften am ermächtigenden Basisrechtsakt 386  Schütz / Bruha / D. König, Casebook Europarecht, 2004, S. 63 f. nennen an dieser Stelle z.  B. den Nachrang einer Durchführungsverordnung gegenüber ihrer Grundverordnung oder das Über- und Unterordnungsverhältnis von Verordnung und Entscheidung. Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 12 weist beispielsweise darauf hin, dass die jeweiligen Komitologiebeschlüsse eine höhere Stufe im Sekundärrecht darstellen; siehe dazu auch schon Fn. 231. 387  So auch Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1077) m. w. N. 388  Biervert, in: Schwarze / Becker / Hatje u.  a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 249 EG Rn. 41; Gundel, JA 2008, 910; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 13; Magiera, DÖV 1998, 173 (175). 389  Eine Reihe von Autoren zog diesen Schluss vgl. u. a. Gundel, JA 2008, 910; Wichard, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 202 EG Rn. 9; Schmidt, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG Rn. 24; Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 77; Magiera, DÖV 1998, 173 (175); Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 179. Weitere Nachweise bei Teichmann, in: Kämmerer / Wyrzykowski (Hrsg.), Verfassungsgebung für Europa II, 2005, S. 149 (173). Enger wird der Begriff von Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 255 ff., Siegel, NVwZ 2008, 620 und T. Groß, DÖV 2004, 20 (24) verwendet, die darunter

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

messen lassen müssten und die Kommission in einer Durchführungsverordnung den Anwendungsbereich eines Basisrechtsakts nicht ohne eine entsprechende Ermächtigung ändern dürfe.390 Doch sprechen die besseren Argumente gegen die Aufspaltung des Sekundärrechts, zumal der EuGH seine Erwägungen augenscheinlich nicht dogmatisch auf die absolute Höherrangigkeit von Basisrechtsakten stützte, sondern die Kommission vielmehr aufgrund von kompetenzrechtlichen Bestimmungen (Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG) an die Vorgaben des Rats (bzw. des Rats und des Parlaments) gebunden sah.391 In der Praxis bestimme der Basisrechtsakt solche Änderungsmöglichkeiten jedoch teilweise selbst.392 In diesen – keineswegs seltenen – Fällen war die Kommission befugt, in den Bestand des Basisrechtsakts einzugreifen.393 Dieses Gestaltungsmittel wurde vor allem in Politikbereichen wie dem Produktsicherheitsrecht oder dem Umweltrecht394 genutzt, die eine schnelle Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt erforderten.395 Aus dem vorgenannten ergibt sich, dass in der Europäischen Gemeinschaft ein Vorrang nur im Verhältnis zwischen der sekundärrechtlichen Ermächtigungsvorschrift und dem darauf beruhenden Durchführungsrechtsakt bestand und gerade kein allgemeines hierarchisches Überordnungsverhältnis nur formal nicht bindende Rechtsakte der Kommission (Auslegungsmitteilungen der Kommission) zu fassen scheinen. 390  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co; EuGH, Urt. v. 10.03.1971 – Rs. 38 / 70, Slg. 1971, 145 ff., Rn. 10 – Deutsche Tradax GmbH / Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel; EuGH, Urt. v. 16.06.1987 – Rs. 46 / 86, Slg. 1988, 2671 ff., Rn. 16 – Romkes / Officier van Justitie; EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22 / 88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 24 ff. – Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij; EuGH, Urt. v. 13.07.1995 – Rs. C-156 / 93, Slg. 1995, I-2019 ff., Rn. 18 – Parlament / Kommission. 391  So Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 84 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.09.1989 – Rs. 22  /  88, Slg. 1989, 2049 ff., Rn. 24 ff. – ­Vreugdenhil u. a. / Minister van Landbouw en Visserij. 392  Zur Zulässigkeit einer solchen gesetzesändernden Rechtsverordnung in Deutschland vgl. Horsch, ZRP 2009, 48 (49 f.). 393  Lenaerts / Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2.  Aufl. (2005), S. 571. 394  Vgl. Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (715). 395  Siehe Art. 13 RL 70 / 156 des Rates v. 06.02.1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger, ABlEWG L 42 v. 23.02.1970, S. 1. Art. 8 Abs. 2 RL 76 / 768 des Rates v. 27.07.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, ABlEWG L 262 v. 27.09.1976, S. 169. Art. 6 Abs. 2 VO Nr. 1592 / 2002 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.07.2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit, ABlEG L 240 v. 07.09.2002, S. 1.



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte95

der Ermächtigungsvorschrift gegenüber jeglichen Durchführungsrechtsakten der Kommission existierte.396 Es konnte allenfalls von einer „partiellen Hierarchisierung“397, d. h. nur im Verhältnis zwischen dem Basisrechtsakt und dem von diesem abgeleiteten Durchführungsrechtsakt die Rede sein, nicht aber zwischen Basisrechtsakten und Durchführungsrechtsakten schlechthin.398 Der Terminus „Tertiärrecht“ brachte zwar den besonderen Prüfungsmodus zum Ausdruck, also die notwendige Übereinstimmung dieser Rechtsakte mit dem ermächtigenden Basisrechtsakt, er vermochte aber nicht zu begründen, warum das „Tertiärrecht“ gegenüber dem gesamten Sekundärrecht nachrangig sein sollte. Eine derartige Interpretation hätte zudem die Position der Kommission am Rechtsetzungsprozess als gleichberechtigtes Organ geschmälert.399 Angesichts der gefundenen Ergebnisse ließe sich allenfalls von partiellem Tertiärrecht sprechen, um den relativen Vorrang sekundärrechtlicher Basisrechtsakte gegenüber Durchführungsrechtsakten auszudrücken. Zudem sind weitere Versuche, innerhalb der Gemeinschaft über institutionelle, nach der Bedeutung der am Rechsetzungsverfahren beteiligten Organe400, oder prozedurale, nach der Art des Rechtsetzungsverfahrens,401 Erwägungen eine Hierarchie der Rechtsakte zu etablieren, nicht gelungen.402 Ebensowenig ließ sich eine Rangordnung innerhalb des Sekundärrechts mit den verschiedenen Handlungsformen des Art. 249 EG (nunmehr Art. 288 AEUV) begründen, da zwischen diesen Handlungsformen Gleichrangigkeit herrschte.403 396  So Sydow, JZ 2012, 157 (158); Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (535); Nettesheim, EuR 2006, 737 (765); Riedel, EuR 2006, 512 (520); Teichmann, in: Kämmerer / Wyrzykowski (Hrsg.), Verfassungsgebung für Europa II, 2005, S. 149 (174). 397  Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, S. 301 ff. 398  So Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (535); Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 21; Riedel, EuR 2006, 512 (520); Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (654 ff.). 399  So Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 249 EG Rn. 16. 400  Siehe ausführlich Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (530 f.); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F.  /  EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 234; Bieber / Salomé, CML Rev. 1996, 907 (915). 401  Ausführlich Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (531 f.); Bieber / Salomé, CML Rev. 1996, 907 (916). 402  So im Ergebnis auch Riedel, EuR 2006, 512 (521 f.). 403  Ausführlich Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (532 ff.); Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 19 ff.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

III. Auflösung von Normenkollisionen innerhalb des Sekundärrechts Das Sekundärrecht war mithin eine hierarchisch ungegliederte Rechtsmasse,404 womit sich die Frage des Rangverhältnisses stellte, wenn sich zwei Normen dieser Hierarchieebene widersprachen. Es existierten jedoch keine allgemein anerkannten Lösungsansätze bezüglich der Auflösung dieser Normenkollisionen. Verordnungen, die vom Rat erlassen wurden, gingen Kommissionsverordnungen nicht automatisch vor.405 Rechtsakten, die durch die Mitwirkung des Europäischen Parlaments zustande gekommen waren, wurde kein höherer Stellenwert eingeräumt als den Rechtsakten, die ohne die Beteiligung des Parlaments erlassen wurden.406 Richtlinien hatten auch nicht notwendigerweise das Nachsehen gegenüber Verordnungen.407 Fest stand lediglich, dass sich ein Durchführungsrechtsakt an die Voraussetzungen der jeweiligen Ermächtigungsnorm halten musste.408 Mangels eindeutiger Regelungen musste eine Normenkollision mit den allgemeinen Konfliktlösungsregeln wie dem Lex-posterior- und dem Lexspecialis-Grundsatz409 aufgelöst werden.410 Im Gemeinschaftsrecht setzte der Lex-posterior-Grundsatz allerdings voraus, dass die widerstreitenden Normen von den gleichen Organen und im gleichen Verfahren erlassen worden waren.411 Auf diese Weise sollten die Gleichberechtigung der am 404  Zuleeg / Kadelbach, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 8 Rn. 11. 405  Vgl. Schmidt, in: v. der Groeben  /  Schwarze (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG Rn. 24; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 234. 406  Vgl. Schmidt, in: v. der Groeben  /  Schwarze (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG Rn. 24. 407  Vgl. Hetmeier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV a. F.  / EGV, 4. Aufl. (2006), Art. 249 EG Rn. 23; Bieber / Salomé, CML Rev. 1996, 907 (919). 408  Siehe dazu Teil 1 D. II. 409  Siehe zur Rechtsnatur des Lex-posterior- und des Lex-specialis-Grundsatzes Vranes, ZaöRV 2005, 391 ff. 410  Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. (2012), Rn. 378 ff.; Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 22; Lenaerts / Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. (2005), S. 704; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 235; Bieber / Salomé, CML Rev. 1996, 907 (918); siehe ein Beispiel für die Anwendung des Lex-specialis-Grundsatzes bei Generalanwalt Stix-Hackl, Schlussanträge v. 13.09.2005 – Rs. C-220 / 03, Slg. 2005, I-10595 ff., Rn. 63 – Europäische Zentralbank / Bundesrepublik Deutschland. 411  Vgl. Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV a. F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 249 EG Rn. 16; siehe auch Knemeyer, Das Europäische Parlament und die ge-



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte97

Rechtsetzungsprozess beteiligten Organe und die besonderen Funktionen einzelner Verfahren gewahrt werden.412 Unklarheiten entstanden aber dann, wenn sich die beiden Konfliktlösungsregeln widersprachen, also zum Beispiel dann, wenn die später erlassene Norm allgemeiner war als die schon länger bestehende, speziellere Norm oder wenn der „älteren“ Norm ein genereller und fundamentaler Charakter zukam, die später erlassene Norm sich dagegen konkreter und in ihrer Wertigkeit geringer darstellte.413 Eindeutige Regelungen zur Auflösung der Normenkollisionen lieferten folglich auch nicht der Lex-poste­ rior- und der Lex-specialis-Grundsatz.414 Der EuGH schien die Auffassung zu vertreten, dass in fundamentalen Angelegenheiten den grundlegenderen Vorschriften Vorrang gegenüber den nachfolgend erlassenen, spezielleren Normen eingeräumt werden müsse.415 Der Lex-specialis-Grundsatz trat somit hinter einer materiellen Würdigung der Norm zurück. Grundlegenden Normen kam somit ein Vorrang gegenüber den Ausführungsvorschriften zu.416 Es finden sich in der Rechtsprechung des EuGH aber auch Entscheidungen, in denen der früheren spezielleren Norm Vorrang vor der späteren grundlegenderen Norm zugesprochen wurde.417 Die uneinheitliche Rechtsprechung des EuGH ließ somit eine Systematisierung des Sekundärrechts ebenfalls nicht zu. IV. Das neue System der Durchführung im gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Normenhierarchie im Unionsrecht Obwohl die Herstellung einer angemessenen Rangordnung der verschiedenen Arten von Normen und die damit einhergehende Vereinheitlichung, Vereinfachung und Rationalisierung der Gemeinschaftsrechtsakte das Ziel meinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 124; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: August 2002), Art. 249 EG Rn. 234. 412  Schmidt, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG Rn. 24. 413  Siehe ausführlich zum Verhältnis der Vorrangsätze zueinander Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 455. 414  So auch Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. (2012), Rn. 378. 415  So EuGH, Urt. v. 09.09.2003 – Rs. C-25 / 02, Slg. 2003, I-8349 ff., Rn. 24 ff. – Katharina Rinke / Ärztekammer Hamburg. 416  Nettesheim, EuR 2006, 737 (766). 417  EuGH, Urt. v. 15.07.2010 – Rs. C-582 / 08, Slg. 2010, I-7195 ff., Rn. 30 ff. – Kommission / Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

langwieriger vorangegangener Reformbemühungen gewesen war,418 deutete erst die Einführung des Gesetzesbegriffs419 im Verfassungsvertrag die seit langem geforderte Hierarchisierung des (sekundären) Unionsrechts420 an. Im ursprünglichen Aufbau der Union als reine Wirtschaftsgemeinschaft bestand keine Notwendigkeit für normenhierarchische Differenzierungen.421 Zwar war die Unterscheidung von Primär- und Sekundärrecht unabdingbar, doch rechtfertigte sich dies aus der Stellung der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge, um eine Verselbständigung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verhindern. Normenkonflikte waren zielorientiert im Rahmen der Verwirklichung vertraglich vorgegebener Projekte zu lösen.422 Mit der Aufwertung der Stellung des Europäischen Parlaments durch den Vertrag von Maastricht zum Ko-Gesetzgeber änderten sich jedoch die institutionell-legitimatorischen Konstellationen,423 so dass es nunmehr notwendig erschien, die veränderten legislativen Prozesse auch in den Konfliktlösungsmechanismen und in einer normenhierarchischen Rangordnung abzubilden.424 Dieses Ziel wurde allerdings nicht erreicht. Der unbegrenzte „Wildwuchs“ an Handlungsformen gewann vielmehr im Zuge der Einführung der sog. zweiten und dritten Säule durch den Vertrag von Maastricht 418  Siehe dazu Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 290; Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 249 EG Rn. 19; Alves, Cahiers de droit européen 2004, 691 (700); Hilf / Classen, in: FS Selmer, 2004, S. 71 (87 ff.); Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (146 ff.); H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 ff.; Jacqué, RTDE 1997, 903 ff.; Monjal, RTDE, 1996, 681 (684); Magiera, integration 1995, 197 ff. 419  Siehe beispielsweise den Entwurf der Luxemburger Präsidentschaft für einen reformierten Vertrag von 1991, der ein „Gesetz“, das gegenüber allen anderen Handlungsformen vorrangig sein sollte, ausdrücklich vorsah; Non-Paper der luxemburgischen Präsidentschaft vom 17. April 1991 – Entwurf von Artikeln für den Vertrag im Hinblick auf die Errichtung einer Politischen Union, dokumentiert in: Weidenfeld (Hrsg.), Maastricht in der Analyse, 2. Aufl., 1995, S. 265 (288). 420  Der Verfassungsvertrag sollte eine einheitliche Europäische Union schaffen, die an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft als deren Rechtsnachfolgerin tritt. Damit wäre die bisherige Unterscheidung zwischen Unions- und Gemeinschaftsrecht obsolet geworden (vgl. Art. I-6 EVV). Aus diesem Grund wird im Folgenden nunmehr von Unionsrecht statt von Gemeinschaftsrecht gesprochen. 421  Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (746). 422  Vgl. Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (657). 423  Ausführlich zur Entwicklung der Befugnisse und der Stellung des Europäischen Parlaments im Entscheidungsgefüge der Union Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S. 45 ff. 424  McDonnell, in: FS Bieber, 2007, S. 372 (377 f.); Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (748 ff.).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte99

noch an Gewicht.425 Die Komplexität der verschiedenen Verfahrensarten sowie der Handlungsformen (vgl. u. a. Art. 249 EG) und das daraus resultierende Normenchaos führten zu einer intransparenten, anwender- und bürgerfeindlichen Sekundärrechtsetzung.426 Im Verfassungsvertrag wurde daher der Versuch unternommen, Handlungsformen sowie Rechtsetzungsverfahren abzuschichten, miteinander zu verknüpfen und eine Kategorisierung von Rechtsakten mit bzw. ohne Gesetzescharakter einzuführen, um so zu einer klaren Normenhierarchie zu gelangen. 1. Die Entwicklung vom uniformen zum zweigliedrigen Durchführungsmodell Verwirklicht werden sollte die seit langem geforderte Neuordnung durch Art. I-33 EVV: Dieser beinhaltete nicht nur eine Umstrukturierung der Handlungsformen unter Verwendung der Begriffe „Europäisches Gesetz“ und „Europäisches Rahmengesetz“, sondern verlieh der Hierarchisierung der Rechtsakte dadurch Ausdruck, dass er zwischen Akten mit und ohne Gesetzescharakter, also legislativen und exekutiven Handlungsformen, unterschied.427 Der Verfassungsvertrag reformierte damit das Konzept der Gleichrangigkeit sekundärrechtlicher Handlungsformen dahingehend, dass nunmehr unterschiedliche Handlungsformen für legislative und exekutive Rechtsetzungsbefugnisse der Union existierten.428 Während für den Erlass von Rechtsakten mit Gesetzescharakter grundsätzlich Rat und Parlament gemeinsam im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zuständig waren (vgl. Art. I-34 Abs. 1 EVV), konnten Rechtsakte ohne Gesetzescharakter jeweils vom Rat, der Kommission und auch der Europäischen Zentralbank beschlossen werden (vgl. Art. I-35 Abs. 2 EVV). Die Zuständigkeit richtete 425  Härtel,

Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 6 Rn. 1 ff. Maurer, integration 2003, 440 (444); Bieber / Salomé, CML Rev. 1996, 907 (921); Ruthig, in: Beckmann / Dieringer / Hufeld (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 2004, S. 289 (300) spricht insofern von einem „Wildwuchs“ der Beschlussfassungsverfahren. 427  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 248 ff.; Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 117. 428  Lenaerts / Van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2.  Aufl. (2005), S.  571 f.; A. Maurer, in: Busek / Hummer (Hrsg.), Der Europäische Konvent und sein Ergebnis – eine Europäische Verfassung, 2004, S. 147 (153); H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 (5). Lenaerts, ELR 1993, 23 (27): „A legislative act is one adopted by the Community institutions interacting in accordance with the decision-making procedure laid down in the Treaty provisions which serves as legal basis for the act. An executive act is one adopted by the Member States, the Commission or the Council implementing a legislative act (or an earlier executive act) which serves as legal basis for the act.“ 426  A.

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

sich rein formal nach dem Rechtsetzungsverfahren, das zur Entstehung des Rechtsakts geführt hat.429 Zu den Rechtsakten ohne Gesetzescharakter gehörten vor allem die delegierte Europäische Verordnung (Art. I-36 EVV) und der Durchführungsrechtsakt (Art. I-37 EVV). Mithilfe der delegierten Europäischen Verordnung konnten nicht wesentliche Bestimmungen eines Europäischen (Rahmen‑)Gesetzes ergänzt oder geändert werden. Der Erlass delegierter Europäischer Verordnungen wurde insofern auch als exekutive Rechtsetzung430 bezeichnet, wie sie in Form von Rechtsverordnungen auch in der deutschen Rechtsordnung bekannt ist. Während die delegierte Europäische Verordnung der inhaltlichen Ausführung und Ergänzung von Unionsgesetzen diente, ermöglichte Art. I-37 Abs. 2 EVV die Regelung des einheitlichen verwaltungsmäßigen Vollzugs der Unionsrechtsakte.431 Sämtliche Befugnisse zur Konkretisierung oder Anwendung von Rechtsvorschriften – ohne Ermächtigung zur Modifizierung des Wortlauts der Basisrechtsakte – sollten danach in den Bereich des Art. I-37 EVV fallen. Mit der Einführung dieser beiden neuen Kategorien von Rechtsakten kam es zur Aufhebung der bisherigen Zusammenlegung von administrativen und (quasi-)legislativen Kommissionsbefugnissen in Art. 202, 3. Sp. EG.432 Die administrativen und (quasi-)legislativen Befugnisse der Kommission wurden nunmehr eigenen Regeln unterworfen.433 Diese Aufspaltung der Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission hat dazu geführt, dass sich das bisherige uniforme Durchführungsmodell in ein zweigliedriges Modell434 gewandelt hat: Während nach der Kategorisierung im 429  McDonnell,

in: FS Bieber, 2007, S. 372 (380); Dougan, ELR 2003, 763 (781). Hummer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 19 (62); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, Kommentar I, 2006, Art. I-36 EVV Rn. 5. 431  Zum Pendant der deutschen Verwaltungsvorschriften, die in vielfältigen Erscheinungsformen (organisationsrechtlichen, verhaltenslenkenden, normenkonkretisierenden und normeninterpretierenden) auftreten, siehe Saurer, DÖV 2005, 587. 432  Hetmeier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV / AEUV / GRCh, 6.  Aufl. (2013), Vorb. Art. 290, 291 AEUV Rn. 1; D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 93; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag, 2007, Art. I‑37  EVV Rn. 1. 433  Der Versuch einer Abgrenzung zwischen diesen beiden neuen Rechtsakttypen erfolgt im Rahmen der Darstellung der Neuerungen durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, siehe dazu Teil 3 C. 434  Grapisch dargestellt bei Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäische Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeit“ – aktuelle Rechtslage und Modell der Europäischen Verfassung, EI Working Paper Nr. 72, 2006, S. 52. 430  Vgl.



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte101

gescheiterten Verfassungsvertrag zwischen der delegierten Europäischen Verordnung und den Durchführungsrechtsakten (i. e. S.) zu differenzieren war, fielen diese beiden Rechtsakttypen unter den einheitlichen Begriff der „Durchführung“ im Gemeinschaftsrecht.435 Insofern existierte im Gemeinschaftsrecht bisher nur ein uniformes Durchführungsmodell bestehend aus Durchführungsrechtsakten i. w. S. Bei dem Begriff der „Durchführungsrechtsakte i. e. S. und i. w. S.“ handelt es sich um eine Wortschöpfung der Verfaserin. Damit kommt zum Ausdruck, dass es im Gemeinschaftsrecht ausschließlich den Begriff der „Durchführung“ zur Qualifizierung der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG gab. Dieser gemeinschaftsrechtliche Durchführungsbegriff umfasste aber sowohl legislativähnliche als auch exekutive bzw. administrative Befugnisse der Kommission, ohne sie jedoch als zwei eigenständige Rechtsakttypen zu kennzeichnen.436 Daher wird hier von einer Durchführung im weiteren Sinne gesprochen. Diese beiden eigenständigen Kategorien von Rechtsakten, nämlich die (quasi‑)legislative delegierte Europäische Verordnung und die exekutiven Durchführungsrechtsakte, waren erstmals im gescheiterten Verfassungsvertrag enthalten, so dass letztere Kategorie, da sie seitdem nicht mehr beide Befugnisse enthielt, in dieser Arbeit auch als Durchführungsrechtsakte im engeren Sinne bezeichnet wird. Dieses zweigliedrige Durchführungsmodell hat sich schließlich mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – durch die Einführung der delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV) und der Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV)437 – durchgesetzt. 2. Normenhierarchien im gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa Obwohl der Verfassungsvertrag keine Aussage zur Normenhierarchie enthielt,438 erscheint es gleichwohl auf den ersten Blick möglich, die Differenzierung zwischen Gesetzgebung und untergesetzlicher Normgebung in ein normenhierarchisches Verhältnis zu setzen,439 wie es auch im deutschen 435  Sydow,

JZ 2012, 157 (159). auch den Ansatz von Bueren, EuZW 2012, 167 (171 ff.) bei der Bestimmung des Durchführungsbegriffs nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 437  Siehe dazu noch Teil 3 A. II. 1. und A. II. 2. 438  Siehe v. Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S. 171 (173). 439  So Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 291; Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (763); Teichmann, in: Kämmerer  /  Wyrzykowski (Hrsg.), Verfassungsgebung für Europa II, 2005, S. 149 (177); 436  Siehe

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

Verfassungsrecht bekannt ist440. Konsequenterweise hätte dann beim Inkrafttreten des Verfassungsvertrags untergesetzliches Recht nicht mehr nur den Vorgaben der Ermächtigungsnorm entsprechen müssen, sondern hätte darüber hinaus keiner anderen Norm mit Gesetzesrang widersprechen dürfen.441 Der Verfassungsvertrag sah somit – anders als noch für das Gemeinschaftsrecht entschieden442 – scheinbar einen tertiären Rang für das untergesetz­ liche Unionsrecht vor.443 Zweifel am Bestehen einer solchen hierarchischen Ordnung kamen jedoch auf, wenn man über die Einteilung in Gesetzgebungsakte und untergesetzliche Rechtsakte hinaus auf die anderen Verfahrensarten blickte, die zum Erlass eines Gesetzgebungsakts führten.444 Während in Art. I-34 Abs. 1 EVV das ordentliche Gesetzgebungsverfahren niedergelegt war, statuierten die Art. I-34 Abs. 2 und Abs. 3 EVV besondere Gesetzgebungsverfahren.445 Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren entsprach im Wesentlichen dem früheren Mitentscheidungsverfahren.446 Ein Rechtsakt konnte im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nicht gegen den Willen des Parlaments zustande kommen. Aber auch der Rat musste dem entsprechenden Rechtsakt des Parlaments zustimmen, um zu dessen Wirksamkeit beizutragen. Mit anderen Worten: Rat und Parlament waren somit in diesem Gesetzgebungsverfahren gleichberechtigt. Im Verfassungsvertrag wurde der Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens erheblich ausgeweitet und nahezu verdoppelt,447 dennoch siehe auch Blumann, in: Études en l’Honneur de Jean-Claude Gautron, 2004, S.  249 ff. 440  Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union, DVBl. 2003, 1234 (1238): „Neubezeichnung entsprechend dem staatsnahen Entwicklungsstand der ­Union“. 441  So auch Nettesheim, EuR 2006, 737 (768 f.). 442  Siehe Teil 1 D. I. 443  So Vedder, in: Vedder  / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag, 2007, Art. I-37 EVV Rn. 2; wohl auch Nettesheim, EuR 2006, 737 (768); Streinz / Ohler / Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005, § 9 S. 64. Vgl. auch die Intention des Konvents, durch die Neuordnung der Rechtsakte der Union eine Hierarchie der Normen herbeizuführen: CONV 424 / 02, Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29.11.2002, S. 2 ff. 444  So Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (692); A. Maurer, in: Busek / Hummer (Hrsg.), Der Europäische Konvent und sein Ergebnis – eine Europäische Verfassung, 2004, S. 147 (154). 445  Siehe im Einzelnen Streinz / Ohler / Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005, § 9 S. 74 ff. 446  Siehe zum Ablauf des Verfahrens Art. 251 EG (nunmehr Art. 294 AEUV; ehemals Art. III-396 EVV). 447  Schusterschitz, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (222 und Fn. 65); Wessels, integration 2004, 161 (163).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte103

gestattete Art. I-34 Abs. 2 EVV zahlreiche, über den gesamten Verfassungsvertrag verstreute Ausnahmen vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. So blieb das besondere Gesetzgebungsverfahren denjenigen Bereichen vorbehalten, die das interne Organisationsrecht der Institutionen tangierten oder die von den „Herren der Verträge“ als politisch besonders brisant eingestuft wurden.448 Eine Beschreibung dieses Verfahrens existierte nicht, d. h. jede Norm, die das besondere Gesetzgebungsverfahren vorsah, traf auch die entsprechenden Bestimmungen über die Ausgestaltung des Verfahrens. Dabei wurden entweder die Rechte des jeweils anderen Mitgesetzgebers, hauptsächlich die des Parlaments, herabgestuft, oder es wurden andere Mehrheitserfordernisse für die Abstimmung im Rat festgelegt. Im Wesent­ lichen aber knüpfte das besondere Gesetzgebungsverfahren an das bisherige Anhörungsverfahren an.449 Aus dem Verfassungsvertrag ließ sich folglich kein normenhierarchisches Stufenverhältnis nach deutschem Vorbild450 durch die Verbindung eines Gesetzes mit einem ganz bestimmten Erlassverfahren ableiten.451 Lediglich 78 Gesetzes- und 48 Rahmengesetzesermächtigungen von den insgesamt möglichen 171 Handlungsermächtigungen zum Erlass von (Rahmen‑)Gesetzen sahen das ordentliche Gesetzgebungsverfahren vor und folgten somit einer klaren Normenhierarchie nach nationalstaatlichem Vorbild.452 Im Verfassungsvertrag ist es zudem unterlassen worden, trotz der Unterscheidung von Legislativ- und Exekutivrechtsakten, das „Gesetz“ generell auf einer höheren Ebene zu verorten als exekutive Handlungsformen.453 So 448  Schusterschitz, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (223). 449  Siehe zu den unterschiedlichen Kategorien besonderer Gesetzgebungsverfahren Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (223). 450  H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl (2010), § 17 Rn. 14. 451  Siehe Schulze-Fielitz, in: FS Scheuing, 2011, S. 165 (174); Hable, in: Hummer (Hrsg.), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und natio­ nalem Recht der Mitgliedstaaten, 2010, S. 651 (662); Gundel, JA 2008, 910 (Fn. 6); Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 526; Nettesheim, EuR 2006, 737 (768). 452  Siehe die Tabelle I zur Normentypologie bei A. Maurer, in: Busek / Hummer (Hrsg.), Der Europäische Konvent und sein Ergebnis – eine Europäische Verfassung, 2004, S. 147 (155). 453  Dies galt auch für Gesetze, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, also mit der größtmöglichen demokratischen Legitimation, der Beteiligung des Parlaments, erlassen wurden. Denn auch der Verfassungsvertrag beinhaltete, trotz der Ausweitung der Kompetenzen des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren, nicht das Ziel der größtmöglichen direkten demokratischen Legitimation durch das Europäi-

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Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

blieb beispielsweise unklar, nach welchen Kriterien der Verfassungsvertrag zwischen einem Europäischen (Rahmen-)Gesetz und einer Europäischen Verordnung differenzierte,454 wenn beide, was nach dem Verfassungsvertrag möglich war, vom Rat auf vertragsunmittelbarer Grundlage erlassen wurden.455 Einige Vertragsvorschriften setzten gemäß Art. I-34 Abs. 2 EVV lediglich die Anhörung des Europäischen Parlaments beim Erlass von Gesetzen voraus.456 Anderen vertragsunmittelbaren Rechtsakten sprach man Verordnungscharakter zu, obwohl sie ebenfalls vom Rat nach Anhörung des Parlaments erlassen wurden.457 Der Unterschied zwischen beiden Rechtsakttypen konnte demnach nicht im Verfahren oder der Urheberschaft der Rechtsetzung liegen. Er könnte aber darin bestanden haben, dass die Verordnungen im Gegensatz zu den Gesetzgebungsakten eher technischer, durchführender Natur waren.458 Allerdings beinhaltete der Verfassungsvertrag auch vertragsunmittelbare Verordnungen, die nicht weniger legislativen Charakter hatten als die in den Vertragsbestimmungen vorgesehenen Gesetze.459 Mit der Kategorie der vertragsunmittelbaren Verordnung schuf der Verfassungsvertrag daher die Möglichkeit zum Erlass von Rechtsakten, die sich in ihrem legislativen Gehalt nicht von Gesetzen unterschieden, die aber das Gesetzgebungsverfahren und damit auch die Kontrolle des Parlaments unterlaufen konnten.460 sche Parlament. Vgl. Art. I-46 Abs. 2 EVV, der die direkte demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments mit der indirekten demokratische Legitimation des Rats über die nationalen Parlamente gleichstellt. Siehe dazu Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (549); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, 122. 454  Es wird hier der Kritik von Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 121 f. gefolgt. 455  Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (764); Lenaerts, European Constitutional Law Review 2005, 57 (61); Lenaerts / Gerad, ELR 2004, 289 (313); Dougan, ELR 2003, 763 (784); siehe zu den sog. „borderline cases“ Liisberg, Jean Monnet Work­ ing Paper 01 / 06, S. 27 ff. 456  Z. B. Art. I-54 Abs. 3, Art. III-125 Abs. 2, Art. III-126 Abs. 1, Art. III-171, Art. III-173, Art. III-184 Abs. 13 UAbs. 2, Art. III-185 Abs. 6, Art. III-210 Abs. 3, Art. III-234 Abs. 2, Art. III-251 Abs. 3, Art. III-269 Abs. 3, Art. III-275 Abs. 3, Art. III-277, Art. III-393 EVV. 457  Z. B. Art. III-163, Art. III-169, Art. III-183 Abs. 2, Art. III-184 Abs. 13 UAbs. 3, Art. III‑186 Abs. 2, Art. III-263, Art. III-412 Abs. 2 EVV. 458  Z. B. Art. III-169, Art. III-263, Art. III-412 Abs. 2 EVV. 459  So Bumke, in: Schuppert / Pernice / Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S.  643 (694 f.); Dougan, ELR 2003, 763 (783 f.). Vgl. etwa Verordnungen auf der Grundlage von Art. III-163 EVV. 460  Vgl. Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 121; v.  Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S. 171 (178).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte105

Als Beispiel sei hier insbesondere auf die Vertragsbestimmung zur Gestaltung und Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik verwiesen.461 Während Abs. 2 des Art. III-231 EVV noch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren für den Erlass von Bestimmungen zur „Verwirklichung der Ziele der gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik“ festlegte, gestattete Abs. 3 dem Rat nach Vorschlag der Kommission den Erlass von „Europäischen Verordnungen oder Beschlüssen zur Festsetzung der Preise, der Abschöpfungen, der Beihilfen und der mengenmäßigen Beschränkungen sowie zur Festsetzung und Aufteilung der Fangmöglichkeiten in der Fischerei“. Die „exekutive Reserve“ des Rats hinterließ den Eindruck, dass dieser dem Parlament als Mitgesetzgeber misstraute, da das Parlament aus Sicht des Rats möglicherweise zu viele Details hätte regeln wollen.462 Insofern treten hier erneut Zweifel an der übergeordneten Stellung Europäischer (Rahmen‑) Gesetze vor Europäischen Verordnungen, die auf einer vertragsunmittelbaren Ermächtigungsgrundlage fußten, zu Tage.463 Die Vielzahl der Ausnahmen vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und die weiterhin existierende Möglichkeit des Rats zur eigenständigen Verordnungsgebung verwischten die Grenzen einer klaren hierarchischen Neuordnung.464 Vielmehr schienen diese Möglichkeiten die angestrebte ­Hierarchie ad absurdum zu führen. Insofern kann man auch nicht davon sprechen, dass sich durch die Einführung des Europäischen (Rahmen‑)Gesetzes und der delegierten Europäischen Verordnung ein Modell wie das des Verhältnisses von Gesetz und Verordnung nach deutschem Vorbild verwirklicht hätte. Die für diesen Abschnitt formulierte, fragende Überschrift „Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte: Normenhierbei Liisberg, Jean Monnet Working Paper 01 / 06, S. 29. Röder, Der Gesetzesvorbehalt der Charta der Grundrechte der Union im Lichte einer europäischen Wesentlichkeitstheorie, 2007, S. 146. 463  So auch Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (764). 464  Angesichts der teilweise willkürlichen Qualifizierung der Rechtsakte fragt man sich unweigerlich, welche Auswirkungen eine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter überhaupt hat: Der Unterschied bestand hauptsächlich in der Transparenz der Rechtsetzungsverfahren und den Möglichkeiten öffentlicher Kontrolle. Bei Verordnungen war der Rat nicht verpflichtet, öffentlich zu beraten und abzustimmen, Art. I-50 Abs. 2 EVV (nunmehr Art. 16 Abs. 8 S. 1 EUV und Art. 15 Abs. 2 AEUV). Die nationalen Parlamente hielten zudem nur bei Gesetzgebungsakten Informations- und Beteiligungsrechte inne, 1. und 2. Protokoll zum Verfassungsvertrag (siehe auch Art. 12 lit. a EUV). Darüber hinaus konnten natürliche und juristische Personen Rechtsschutz nur gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter im Rahmen der Nichtigkeitsklage erlangen, ohne die individuelle Betroffenheit beweisen zu müssen, Art. III-365 Abs. 4 EVV. Siehe dazu ausführlich v. Bogdandy / Bast, in: Curtin / Kellermann / Blockmans (Hrsg.), The EU Constitution: The Best Way Forward?, 2005, S. 171 (177 f.). 461  Beispiel 462  Ähnlich

464

106

Teil 1: Die „Durchführung“ des Gemeinschaftsrechts

archie oder Verhältnis partieller Hierarchisierung?“ kann also weiterhin nur zugunsten der letzteren Kategorie beantwortet werden.465 Inwiefern sich im untergesetzlichen Rechtskorpus Abstufungen vornehmen ließen, konnte der Verfassungsvertrag ebenfalls nicht beantworten. Es stand allerdings außer Frage, dass die Kommission oder der Rat bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen (Art. I-37 Abs. 2 EVV) nicht nur die Vorgaben der Ermächtigungsnorm in ihrer bei Erlass der Durchführungsmaßnahme geltenden Fassung, sondern auch ihre Änderungen oder Ergänzungen, welche durch die delegierte Europäische Verordnung eingefügt wurden (Art. I-36 Abs. 1 EVV), einhalten mussten.466 Ein genereller Vorrang der delegierten Europäischen Verordnung vor den Durchführungsrechtsakten ließ sich daraus jedoch nicht herleiten.467 Beide Rechtsakte gehörten dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht an. Insofern kann nach hier vertretener Ansicht – in Anlehnung an das oben zum Gemeinschaftsrecht Gesagte468 – vielmehr nur von einem relativen Vorrang der delegierten Europäischen Ermächtigungsverordnung vor dem abgeleiteten Durchführungsrechtsakt gesprochen werden.469 Abschließend ist festzuhalten, dass es trotz der Aufspaltung des Sekundärrechts in Rechtsakte mit Gesetzescharakter und in Rechtsakte ohne Gesetzescharakter aufgrund der Vielzahl von Ausnahmen und Unklarheiten nicht gelungen ist, eine „echte“ Normenhierarchie in das Unionsrecht einzuführen.470 Der Verfassungsvertrag stellt lediglich einen ersten Anlauf zur Bildung einer klaren Normenhierarchie auf Unionsebene dar. 465  A. A. Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 118: „Gegenüber dem Gesetz ist die Verordnung grundsätzlich von niedrigerem Rang […]“. So auch Calliess / Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, Kommentar, Teil I, 2006, Art. I-33 EVV Rn. 8. 466  Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (765). 467  So wohl auch Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 52 und § 15 Rn. 31, die davon spricht, dass der Durchführungsrechtsakt nicht nur ein Gesetz ausführt, „sondern auch die dazugehörige delegierte Verordnung“. Insofern bestehe im Fall eines „Gesetzes-Stammbaums“ ein normenhierarchischer Vorrang der delegierten Europäischen Verordnung, vgl. Härtel, ebd. 468  Siehe Teil 1 D. II. 469  Siehe zur Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Teil 3 D. II. 470  So auch Liisberg, Jean Monnet Working Paper 01  / 06, S. 43; siehe auch die Schlussfolgerung von Liisberg S. 45: „The new distinction between legislative and non-legislative acts, it seems, is basically a harmless ornament in the European construction, the added value and beauty of which mainly depend on the eyes of the beholder.“ Ferner Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 5 Rn. 48 ff.; Bumke, in: Schuppert  /  Pernice  /  Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, S. 643 (692); Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (763 f.).



D. Die normenhierarchische Verortung der Durchführungsrechtsakte107

Eine vollständige Hierarchisierung des Unionsrechts würde aber nur dann einen Zugewinn darstellen, wenn in der Normenhierarchie auch eine stimmige Legitimationshierarchie zum Ausdruck käme. Voraussetzung dafür wäre beispielsweise eine konsequente Parlamentarisierung der vertragsunmittelbaren Rechtsetzung.471 Der Frage, ob der Vertrag von Lissabon die vorhandenen Lücken geschlossen hat, wird im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit nachgegangen.472

471  So Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (536). 472  Siehe dazu Teil 3 D.

Teil 2

Die Übertragung von Durchführungsbefugnissen unter Einschaltung von Ausschüssen – Die Komitologie vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Im ersten Kapitel wurden die dogmatischen Grundlagen der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vom europäischen Gesetzgeber auf die Kommission dargelegt. Dabei wurde zum größten Teil auf die Rechtslage unter der Ägide des Gemeinschaftsrechts abgestellt. Bevor im dritten Kapitel auf das nunmehr reformierte Modell der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen eingegangen wird, erfolgt in diesem zweiten Kapitel ein Abriss des bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden Komitologiesystems. Die Komitologie sah grundsätzlich die zwingende Beteiligung eines Komitologieausschusses beim Erlass von Durchführungsrechtsakten der Kommission vor. Die Kommission war folglich in ihrer Befugnis zur Durchführung der Basisrechtsakte gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG nicht völlig frei. Die mit der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen vom Gesetzgeber an die Kommission verbundene Gewichtsverlagerung wurde also wiederum eingeschränkt durch ein Ausschusssystem, welches je nach Verfahrensmodell eine mehr oder minder starke Bindung der Kommission an die Stellungnahme des entsprechenden Ausschusses und damit einhergehend bei ablehnender Stellungnahme zum Teil auch einen Rückfall der Rechtsetzungskompetenz an den Rat forderte. Anschaulich wird dabei von einer „delegation with strings attached“473 gesprochen. Der Begriff der Komitologie, ihre Funktion, der Aufbau und die Arbeitsweise der Komitologieausschüsse, die Aufgaben, die Entwicklung und schließlich die Verfahrensarten des Ausschusssystems sowie die Bedeutung der Komitologie werden im Folgenden nur überblicksartig dargestellt (Abschnitte A. bis D.), da bereits eine Fülle an Literatur zur sog. „Komitologie“ besteht.474 Ausführlicher wird auf die Kritikpunkte am bisherigen Komito473  Riedel, EuR 2006, 512 (523) mit Verweis auf Docksey / Williams, The European Commission and the execution of Community policy, in: Spence  /  Edwards (Hrsg.), The European Commission, 2. Aufl. (1997), S. 125 (129). 474  Siehe beispielsweise Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (49 Fn. 100 m. w. N.); Fuhrmann,



A. Begriff und Funktion der Komitologie109

logiesystem eingegangen (Abschnitt E.), um im dritten Kapitel475 einen Vergleich mit der im Rahmen von Art. 291 Abs. 3 AEUV neu ergangenen Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU476 zu ziehen. Es wird sich dabei zeigen, ob der Reformbedarf mit der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU ein Ende gefunden hat oder ob die alten Konflikte weiter schwelen. Nicht behandelt werden im Folgenden solche Ausschüsse, die die Kommission selbst ohne spezielle rechtliche Grundlage zu ihrer Beratung einsetzen konnte477 sowie die großen Ausschüsse, die im EG-Vertrag verankert waren (Wirtschafts- und Sozialausschuss und Ausschuss der Regionen). Die vorliegende Arbeit untersucht lediglich solche Ausschüsse, die im Rahmen der Durchführungsrechtsetzung obligatorisch tätig wurden. Nur für diese hat sich der Terminus „Komitologieausschüsse“ etabliert.478 Abschließend werden einige brisante Politikbereiche beleuchtet, in denen die Kommission im Wege der Komitologie bedeutsame Durchführungsmaßnahmen erlässt (Abschnitt F.). Im Mittelpunkt der Untersuchung dieses letzten Abschnitts stehen dabei die Verfahrensrechte und die Rechtsschutzmöglichkeiten der von einer Durchführungsmaßnahme der Kommission betroffenen Bürger.

A. Begriff und Funktion der Komitologie, Aufbau und Arbeitsweise der Ausschüsse Der in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis gebräuchliche Begriff der „Komitologie“479 (französisch „comitologie“, englisch „comitology“) DÖV 2007, 464 ff.; Scheel, DÖV 2007, 683 ff.; Riedel, EuR 2006, 512 (522 ff.); Scheel, ZEuS 2006, 521 ff.; Bergström, Comitology, 2005 (Nachdruck 2008); Töller, Komitologie, 2002; Mensching, EuZW 2000, 268 ff.; Haibach, VerwArch 1999, 98 ff.; Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 ff. 475  Siehe Teil 3 B. V. 2. 476  VO Nr.  182  /  2011  /  EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.02.2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 13 (im Folgenden: Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU). 477  Siehe zu diesen Ausschusstypen ausführlich Glatthaar,  RIW 1992, 179 (180) sowie http: /  / ec.europa.eu / transparency / regexpert / index.cfm?Lang=DE. Zur weiteren Klassifizierung von Ausschüssen siehe Vos, ELJ 1997, 210 (212 f.) und Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (33). 478  So auch Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 6 (Fn. 9); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (Fn. 1 m. w. N.). 479  Der Begriff der Komitologie sowie das englische „comitology“ haben sich in der Rechtspraxis allgemein eingebürgert und werden auch vom Europäischen Ge-

110

Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

stammt etymologisch vom französischen „comité“ (= Ausschuss).480 Dieser Begriff wurde erstmals im Europäischen Parlament kurz nach Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 geprägt.481 Komitologie bezeichnet das bereits seit Anfang der sechziger Jahre existierende System verschiedener Ausschussverfahren, durch das die Europäi­ sche Kommission bei der Durchführung von Basisrechtsakten von jenen, die die Durchführungsmaßnahmen letztlich umzusetzen haben, nämlich den Mitgliedstaaten, unterstützt, aber auch überwacht werden sollte.482 Die Ausschüsse wurden nicht von der Kommission selbst eingesetzt, sondern durch einen Basisrechtsakt des Rats (bzw. soweit das Mitentscheidungsverfahren betroffen war – des Parlaments und des Rats) einberufen. In diesen Ausschüssen führte zwar ein Kommissionsvertreter den Vorsitz, dieser war allerdings nicht stimmberechtigt. Im Übrigen entsandten die Mitgliedstaaten in jeden Ausschuss gewöhnlich zwei Mitglieder, zumeist ein repräsentatives (meist ein Beamter des zuständigen Ministeriums) und ein begleitendes Mitglied (in der Regeln ein Beamter einer Behörde, der den technischen Sachverstand einbrachte).483 Es kam aber auch vor, dass ein Mitgliedstaat – beispielsweise aus Budgetgründen – gar keinen Vertreter entsandte.484 Zudem entsandten die Mitgliedstaaten teilweise auch Vertreter von Interessengruppen oder Wissenschaftler.485 Insgesamt existierten rund 270 derartige Ausschüsse, wobei die genaue Zahl wegen richtshof – zuerst in den Schlussanträgen von Generalanwalt Darmon v. 26.05.1988 – Rs. 302 / 87, Slg. 1988, 5615 ff., Rn. 1 – Europäisches Parlament / Rat der Europäi­ schen Gemeinschaften – verwendet: „On 5 November 1987, on the basis of Article 91 of the Rules of Procedure, the Council raised an objection of inadmissibility to the action for annulment brought on 2 October 1987 by the European Parliament against the Council’s decision of 13 July 1987 laying down the procedures for the exercise of implementing powers conferred on the Commission, (1) a decision generally known as the ‚comitology‘ decision“. 480  So Martel, ZEuS 2008, 601 (610); Scheel, ZEuS 2006, 521 (522) m. w. N.; a. A. Weiler / Kocjan, European Community System: Comitology, 2004 / 05, S. 3: „comitology […] derives more from the word ‚comity‘ than from the word ‚committee‘ “. A. A. Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 23 (Fn. 12 m. w. N.). 481  Bradley, CML Rev. 1992, 693 (694 Fn. 7); siehe auch Roller, KritV 2003, 249 (Fn. 2). 482  McDonnell, in: FS Bieber, 2007, S. 372 (377); K. Fischer, The European ­Union, 2001, S. 79; Haibach, VerwArch 1999, 98 (99). 483  Scheel, ZEuS 2006, 521 (522); Bergström, Comitology, 2005 (Nachdruck 2008), S. 25; Töller, Komitologie, 2002, S. 273 f. 484  Larsson, in: Essays in honour of Günther F. Schäfer, 2003, S. 157 (168). 485  Ebd., S. 157 (168); siehe zur Besetzung der Ausschüsse auch Falke / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 541 (554 f.).



A. Begriff und Funktion der Komitologie111

der Neubildung, Auflösung und Zusammenlegung von Ausschüssen jährlich schwankte.486 Die Stimmgewichtung in den jeweiligen Ausschüssen entsprach derjenigen des Rats (Art. 205 Abs. 2 EG; im Wesentlichen nunmehr Art. 16 Abs. 4 und Abs. 5  EUV).487 Auf diese Weise wurde eine Machtverschiebung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission verhindert. Jeder Ausschuss gab sich eine Geschäftsordnung, die auf dem Modell der Standardgeschäftsordnung488 des Rats beruhte. Die nicht öffentlichen Sitzungen erfolgten auf Einladung der Europäischen Kommission, die je nach Arbeitsbelastung mehrmals im Jahr stattfanden.489 Die Bedingungen für eine Mitwirkung der Ausschüsse an der Durchführungsrechtsetzung ergaben sich dabei zunächst aus dem Komitologiebeschluss des Rats aus dem Jahr 1987490 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG), der von dem zweiten Komitologiebeschluss aus dem Jahre 1999491 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG) abgelöst wurde. Der Komitologiebeschluss 1999  ­ /  468  /  EG wiederum wurde durch den dritten Beschluss von 2006492 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 486  Siehe Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 4. Im Jahr 2008 bestanden 269 und im Jahr 2009 266 Ausschüsse. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU hat sich die Anzahl nicht grundlegend verändert. Im Jahr 2010 bestanden 259 und im Jahr 2011 268 Ausschüsse, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685) endg., S. 8. 487  Larsson, in: Essays in honour of Günther F. Schäfer, 2003, S. 157 (167). 488  Standardgeschäftsordnung – Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates – Geschäftsordnung des Ausschusses …, ABlEG C 38 v. 06.02.2001, S. 3. 489  Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund, 2011, S.  135 f.; Alfé / Christiansen / Piedrafita, in: Best / Christiansen / Settembri (Hrsg.), The Institutions of the Enlarged European Union, 2008 (Nachdruck 2010), S. 205 (210); siehe zum Ablauf einer Ausschusssitzung Falke / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 541 (566 ff.). 490  Beschluss 87 / 373 / EWG des Rates v. 13.07.1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 197 v. 18.07.1987, S. 33 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 87 / 373 / EG). 491  Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 184 v. 17.07.1999, S. 23 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 1999  /  468 / EG). 492  Beschluss 2006 / 512 / EG des Rates v. 17.07.2006 zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 200 v. 22.07.2006, S. 11 (im Folgenden: Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG).

112

Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

2006 / 512 / EG) modifiziert. In diesen Beschlüssen waren die Modalitäten der Ausschussmitwirkung niedergelegt, die Rat und Parlament beim Erlass der Basisrechtsakte zur Verfügung standen. Rechtsgrundlage für die Einsetzung dieser Ausschüsse war Art. 202, 3. Sp. EG.493 Die Funktion dieser Ausschüsse bestand darin, die Kommission an die Stellungnahmen der nationalen Beamten und Sachverständigen zu binden und so das Unionsorgan Kommission neben Parlament und Rat als „drittes Rechtsetzungsorgan“ unter mitgliedstaatliche Kontrolle zu stellen.494 Mit der Komitologie sollte die Kommission aber nicht nur überwacht, sondern vor allem auch unterstützt werden, da sie aufgrund des Personal- und Ressourcenmangels nicht in der Lage war, die „abgeleitete“ Rechtsetzung allein zu bewältigen.495 Die Experten der nationalen Behörden in den Ausschüssen lieferten der Kommission somit das nötige Fachwissen.496

B. Aufgaben der Kommission und der Ausschüsse Die Aufgaben, die die Kommission im Rahmen der Ausschussverfahren zu bewältigen hatte, waren ausgesprochen vielfältig. Sie reichten von der Regelung rein formaler Fragen, wie der Gestaltung eines Formblattes497, bis hin zu Regelungen mit erheblichen Auswirkungen für die Gemeinschaft, die 493  Siehe zur ursprünglichen Rechtsgrundlage (implied powers) vor Einführung des Art. 145, 3. Sp. EG a. F. (Art. 202, 3. Sp. EG) Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (125). 494  Scheel, DÖV 2007, 683; Roller, KritV 2003, 249 f.; Grams, KritV 1995, 112. 495  Haltern, Europarecht, 2.  Aufl. (2007), § 3 Rn. 282; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann / Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäische Verwaltungsverbund – Formen und Verfahren der Verwaltungszusammenarbeit in der EU, 2005, S. 1 (17). Schlacke, JÖR 2013, 293 (320) spricht insofern von einer Entlastungs-, Unterstützungs- und Kontrollfunktion des Ausschusswesens, da den etwa 30.000 Experten, die in den Ausschüssen tätig waren, etwa 5.300 Kommissionsbeschäftigte gegenüberstanden. 496  So auch ein Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, KOM 2002 (719) endg., S. 4; ebenso EuGH, Urt. v. 12.07.2005 – verb. Rs. C-154 / 04 und C-155 / 04, Slg. 2005, I-6451 ff., Rn. 78 – The Queen, auf Antrag von Alliance for Natural Health und Nutri-Link Ltd / Secretary of State for Health (C-154 / 04) und The Queen, auf Antrag von National Association of Health Stores u. a. / Secretary of State for Health u. a. (C-155 / 04); siehe ausführlich zur Bedeutung der Komitologie für die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission und für das institutionelle Gleichgewicht der Gemeinschaft Teil 2 D. 497  Vgl. Art. 6 VO Nr. 1798 / 2003 / EG des Rates v. 07.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218 / 92, ABlEG L 264 v. 15.10.2003, S. 1.



B. Aufgaben der Kommission und der Ausschüsse113

Mitgliedstaaten und nicht zuletzt die Bürger. Trotz dieser Vielfältigkeit ließen sich die Aufgaben kategorisieren.498 Die erste Kategorie betraf Tätigkeiten der Kommission und der Komitologieausschüsse, die als normenkonkretisierend charakterisiert werden konnten. Dabei wurden die unbestimmten Regelungen des Basisrechtsakts durch eine Durchführungsmaßnahme der Kommission unter Beteiligung des zuständigen Komitologieausschusses ausgefüllt. Die Konkretisierung betraf teilweise technische oder formale Regelungen, wie etwa die Aufstellung einer Liste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben zur Lebensmittelkennzeichnung gemäß Art. 13 Abs. 3 der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel499, oder die formale Festlegung eines Standardformulars, welches nach Art. 6 der Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer500 für ein Ersuchen um Auskunft verwendet werden musste. Häufig ging diese Konkretisierungstätigkeit aber über rein technische Details hinaus und enthielt gesundheits- und wirtschaftspolitische Wertungen. Als Beispiel sei hier die Verpflichtung des Lebensmittelherstellers genannt, bei dem Antrag auf Zulassung eines „Health Claims“ zur Verringerung von Krankheitsrisiken wissenschaftliche Daten vorzulegen, die den Wahrheitsgehalt der Angaben belegen.501 Die zweite Kategorie bestand in der Aufgabe der Ausschüsse, den generalklauselartigen Ermächtigungen der Basisrechtsakte zum Erlass von Durchführungsrechtsakten nachzukommen, wobei die unbestimmten Ermächtigungen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Generalermächtigungen nicht ganz unbedenklich waren. So bestimmte etwa Art. 4 Abs. 5 Novel-FoodVerordnung Nr.  258 / 97 / EG502, der das Inverkehrbringen von neuartigen Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten betraf, dass etwaige Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel nach dem Verfahren des Artikels 13 [Regelungsverfahren] zu erlassen seien. Ebenso allgemein gehalten war 498  Einteilung nach Roller, KritV 2003, 249 (25 ff.); siehe auch Schlacke, JÖR 2013, 293 (297). 499  VO Nr.  1924  /  2006  /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABlEG L 12 v. 18.01.2007, S. 3 (im Folgenden: Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG). 500  VO Nr. 1798 / 2003 / EG des Rates v. 07.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218 / 92, ABlEG L 264 v. 15.10.2003, S. 1. 501  Art.  15 Abs.  3 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 502  VO Nr. 258 / 97 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, ABlEG L 43 v. 14.02.1997, S. 1.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Art. 12 der Verordnung zur Einführung vorübergehender landwirtschaft­ licher Einkommensbeihilfen503, wonach die Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung sowie erforderlichenfalls Übergangsmaßnahmen zu Artikel 11 nach dem Verfahren des Artikels 13 [Verwaltungsverfahren] zu erlassen seien. Als dritte Kategorie ließen sich die konkret-individuellen Entscheidungen504 ausmachen, mit denen im Wege des Ausschussverfahrens beispielsweise über die Zulassung eines Produkts in der Gemeinschaft entschieden wurde. Trotz des Einzelfallcharakters derartiger Entscheidungen steckt in ihnen erhebliches Konfliktpotential, wie etwa der jahrelange Streit über die Zulassung von genetisch verändertem Mais belegt.505 Von erheblicher Bedeutung war als vierte Kategorie die Anpassung von Verordnungen und Richtlinien an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt durch Änderung des Basisrechtsakts selbst oder durch Erlass bzw. Änderung von Anhängen zu Richtlinien und Verordnungen. Charakteristisch für diese Kategorie waren normative Festlegungen, die allgemeinverbindlich das Anforderungsniveau in einem bestimmten Politikbereich – vorrangig in dem des Umweltschutzes – regelten.506 Schließlich kristallisierte sich eine fünfte Kategorie heraus. Diese betraf Fälle, in denen auf den Bestand des Basisrechtsakts erheblich eingewirkt wurde, indem z. B. die Kommission im Ausschussverfahren den Anwen503  VO Nr. 768 / 89 / EWG des Rates v. 21.03.1989 zur Einführung vorübergehender landwirtschaftlicher Einkommenshilfen, ABlEWG L 84 v. 29.03.1989, S. 8. 504  Ausführlich zur Kategorie der konkret-individuellen Durchführungsrechtsakte der Kommission Teil 2 F. II. 505  Töller, Komitologie, 2002, S. 398 ff.; siehe dazu auch noch Teil 2 F. I. 2. 506  Art. 8 RL 91 / 676 / EWG des Rates v. 12.121991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen, ABlEWG L 375 v. 31.12.1991, S. 1 und Art. 15 RL 94 / 67 / EG des Rates v. 16.12.1994 über die Verbrennung gefährlicher Abfälle, ABlEG L 365 v. 31.12.1994, S. 1. Siehe auch die Entscheidung 2005 / 717 / EG der Kommission v. 13.10.2005 zur Änderung des Anhangs der Richtlinie 2002 / 95 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten zwecks Anpassung an den technischen Fortschritt, ABlEG L 271 v. 15.10.2005, S. 48. Siehe dazu EuGH, Urt. v. 01.04.2008 – verb. Rs. C-14 / 06 und C-295 / 06, Slg. 2008, I-1649 ff. – Parlament und Königreich Dänemark / Kommission, Leitsätze: „[Die Entscheidung 2005 / 717 der Kommission], die einer generellen Freistellung für den Einsatz von Deca‑BDE in Elektro- und Elektronikgeräten gleichkommt, wurde aber erlassen, ohne dass die vom Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002 / 95 aufgestellten Voraussetzungen beachtet wurden, und läuft dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwider, den Grundsatz des Verbots der in dieser Richtlinie aufgeführten Bestandteile festzulegen. Die Kommission hat somit dadurch, dass sie die genannte Entscheidung, soweit diese die Freistellung von Deca‑BDE betrifft, erlassen hat, gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie verstoßen.“



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse115

dungsbereich des Basisrechtsakts durch Ausnahmeregelungen modifizieren und sogar weitgehend aushöhlen konnte507. So regelte die Verordnung über Raucharomen zur tatsächlichen und beabsichtigten Verwendung in oder auf Lebensmitteln nicht unmittelbar, welche Raucharomen im Binnenmarkt verwendet werden dürfen, sondern sah im Wesentlichen gemäß Art. 6 der Verordnung das Regelungsverfahren vor. Nach diesem erklärt allein die Kommission sog. Primärprodukte für die Herstellung von Raucharomen für zulässig, die in eine Positivliste in dem Anhang der Verordnung aufgenommen werden. Der Positivliste kommt damit konstitutive Bedeutung für die Anwendbarkeit der Verordnung zu, da diese nur auf diejenigen Primärprodukte Anwendung findet, die in der Positivliste aufgeführt sind.508 Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Kommission nicht nur unbedeutende Konkretisierungsaufgaben zukamen. Teilweise wurde ihr – und mit ihr den Komitologieausschüssen als letzte Kontrollinstanz – ein erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Basisrechtsakte eingeräumt.509

C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse Ursprünglich waren die Ausschüsse ausschließlich im Agrarsektor beheimatet.510 Bereits Anfang der 1960er Jahre, als die ersten gemeinsamen 507  Siehe Art. 11 Abs. 3 RL 94 / 62 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle, ABlEG L 365 v. 31.12.1994, S. 10. 508  Siehe dazu auch die Festlegung von Nährwertprofilen, denen Lebensmittel oder bestimmte Lebensmittelkategorien entsprechen müssen, um nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben tragen zu dürfen. Nach Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 1924 / 2006 /  EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABlEG L 12 v. 18.01.2007, S. 3 legt die Kommission im Wege des Ausschussverfahrens derartige Nährwertprofile fest. 509  So auch Schlacke, JÖR 2013, S. 293 (297). 510  Zur Entwicklung der Komitologie siehe Schlacke, JÖR 2013, S. 293 (295 ff.); Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 7 ff.; Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 ff.; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 6 ff.; Blom-Hansen, Journal of European Public Policy 2008, 208 ff.; Pedler / Bradley, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 235 (243 ff.); Moreiro González, ZEuS 2003, 561 ff.; Pollack, Compara­ tive Political Studies 2003, 125 ff.; Töller, Komitologie, 2002, S. 231 ff.; Haibach, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 185 ff.; Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S. 106 ff.; Tichy, ZfRV 2000, 134 ff.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (287 ff.); Bradley, ELJ 1997, 230 (231 ff.); Demm-

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Marktorganisationen im Agrarbereich eingerichtet wurden, sah der Rat die Notwendigkeit einer personellen und fachlichen Unterstützung seitens der Kommission beim Erlass der Detailregelungen zur Durchführung der Basisrechtsakte.511 Da der Rat zu dieser Zeit vorwiegend noch einstimmig entschied, wurde zudem nach einer Möglichkeit gesucht, den Rechtsetzungsprozess beim Erlass von Durchführungsvorschriften zu beschleunigen.512 Allerdings war der Rat auch nicht bereit, diese Aufgabe allein der Kommission zu überlassen. Abhilfe schafften die damals noch als Verwaltungsausschüsse bezeichneten Komitologieausschüsse, die den Einfluss des Rats auf die Kommissionsentscheidungen sicherten.513 Erstmals in der Verordnung über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide vom 4. April 1962514 verankerte der Rat einen Verwaltungsausschuss zur technischen Beratung und Kontrolle der Kommission bei der Durchführung der Getreidemarktordnung: die Geburtsstunde der Komitologie.515 Anfangs wurden die Ausschüsse nur befristet eingeführt;516 durch die Verordnung des Rats über die Beibehaltung des Verwaltungsausschussverfahrens erhielten sie 1969 jedoch eine dauerhafte „Bleibe“ im Gefüge der (Europäischen Wirtschafts‑)Gemeinschaft.517 Die Aufgabe der Ausschüsse bestand darin, zu den Maßnahmeentwürfen der Kommission Stellung zu nehmen. Ungeachtet einer negativen Stellungke / Haibach, DÖV 1997, 710 f.; Vos, ELJ 1997, 210 (211 f.); Demmke / Eberharter / Schaefer / Türk, in: Pedler / Schaefer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy: The Role of Committees and Comitology in the Political Process, 1996, S. 61 ff.; Meng, ZaöRV 1988, 208 ff. 511  Scheel, ZEuS 2006, 521 (523); Roller, KritV 2003, 249 (250); Vos, in: Joerges  /  Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S.  19 ff.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (288); Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710. 512  Grams, KritV 1995, 112 (114 f.). 513  Dies wird überwiegend auch als Hauptmotiv für die Einrichtung von Ausschüssen gesehen, vgl. etwa Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (126); Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710; Grams, KritV 1995, 112; Meng, ZaöRV 1988, 208 (210). 514  VO Nr. 19  / 62 / EWG des Rates v. 04.04.1962 über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide, ABlEWG 30 v. 20.04.1962, S. 933. 515  Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S. 107. 516  VO Nr. 2602  / 69 / EWG des Rates v. 18.12.1969 über die Beibehaltung des Verwaltungsausschussverfahrens, ABlEWG L 324 v. 27.12.1969, S. 23. 517  Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (3); Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (70); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (290).



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse117

nahme518 des beteiligten Ausschusses war die Kommission befugt, die von ihr geplante Maßnahme sofort zu erlassen. Allerdings musste sie in diesem Fall sofort den Rat benachrichtigen. Im Anschluss an diese Mitteilung an den Rat konnte die Kommission die Durchführung der von ihr beschlossenen Maßnahmen um einen Zeitraum von höchstens einem Monat verschieben (Ermächtigung zur Aufschiebung). Der Rat konnte dann innerhalb dieses Zeitraums mit qualifizierter Mehrheit eine andere Entscheidung treffen, war allerdings nicht berechtigt, die Kommissionsmaßnahme abzulehnen.519 Dieser älteste Ausschusstyp (sog. IIa-Verwaltungsausschussverfahren) kam vor allem im Agrarbereich zur Anwendung520 und wurde dort insbesondere zur Ausfüllung konkretisierungsbedürftiger Grundnormen eingesetzt. Als die Gemeinschaft begann, auch außerhalb des Agrarsektors tätig zu werden, wurde 1963 eine Modifizierung dieses ersten Ausschussverfahrens eingeführt: Die Kommission konnte zwar weiterhin unabhängig von der Stellungnahme des Ausschusses die unmittelbar geltenden Durchführungsmaßnahmen erlassen. Allerdings musste sie nunmehr die Durchführung der von ihr beschlossenen Maßnahmen um einen Zeitraum von maximal drei Monaten verschieben (Verpflichtung zur Aufschiebung). Der Rat konnte innerhalb dieser Frist mit qualifizierter Mehrheit einen anderslautenden Beschluss fassen.521 Dieses sog. IIb-Verwaltungsausschussverfahrens ermöglichte es der Kommission dringende Maßnahmen zur Durchsetzung des Binnenmarkts sofort zu erlassen. Der Rat verlor dennoch nicht die Kontrolle über die Durchführung dieser Maßnahmen, da die (Rechtsetzungs‑)Kompetenz im Falle eines negativen Ausschussvotums an ihn zurückfiel und die Kommission die Durchführung der von ihr beschlossenen Maßnahmen solange aufschieben musste, bis die Frist von maximal drei Monaten abgelaufen war und der Rat keinen anderslautenden Beschluss gefasst hatte.522 Wegen bestehender Uneinigkeiten innerhalb des Rats darüber, welches der bereits vorhandenen Verfahren für Maßnahmen im Zoll-, Veterinär- und Futtermittelbereich gelten sollte, wurde 1966 ein neues Verfahren, das sog. Regelungsausschussverfahren (Verfahren III) eingeführt.523 In diesem Ver518  Es wurde das gleiche System der qualifizierten Mehrheit wie im Rat befolgt, vgl. Art. 205 Abs. 2 EG. Für eine positive oder negative Stellungnahme war in allen Ausschusstypen die qualifizierte Mehrheit erforderlich. 519  Siehe Art.  2 IIa-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. 520  Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (126, 127); Mensching, EuZW 2000, 268 (269). 521  Siehe Art.  2 IIb-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. 522  Riedel, EuR 2006, 512 (525). 523  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (133); Roller, KritV 2003, 249 (251); Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (292 f.).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

fahren waren die Möglichkeiten des Rats, seinen Einfluss geltend zu machen, am stärksten ausgeprägt. Im Unterschied zum Verwaltungsausschussverfahren konnte die Kommission hier die beabsichtigte Maßnahme nur erlassen, wenn sie mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmte (Notwendigkeit einer positiven qualifizierten Mehrheit im Gegensatz zur Vermeidung einer negativen qualifizierten Mehrheit beim Verwaltungsausschussverfahren). Sprach sich der Ausschuss in der Variante a dieses Verfahrens (sog. IIIa-Regelungsausschussverfahren) gegen den Entwurf der Kommission aus, konnte diese die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht sofort erlassen, sondern musste dem Rat das Dossier vorlegen, welches dieser mit qualifizierter Mehrheit annehmen konnte. Wollte der Rat den Vorschlag ablehnen, benötigte er gemäß Art. 250 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 293 Abs. 1 AEUV) die Einstimmigkeit seiner Mitglieder.524 Äußerte sich der Rat innerhalb der Frist von maximal drei Monaten nicht oder kam keine Einstimmigkeit im Rat zustande, konnte die Kommission die vorgeschlagene Maßnahme erlassen.525 Aus diesem Grund wurde das Verfahren auch als „Filet“-Verfahren bezeichnet, da die Kompetenz für die Annahme des fraglichen Durchführungsrechtsakts „in das Netz“ der Kommission zurückfallen konnte. Zweck des „Filet“-Verfahrens war es, Entscheidungsblockaden im Rat zu verhindern. Einigen konnte man sich auf dieses Verfahren u. a. im Zollbereich,526 während z. B. im Bereich des Veterinär- und Futtermittelrechts das „contrefilet“-Verfahren (besonderes Regelungsausschussverfahren) 1968 Einzug hielt.527 Dieses sog. IIIb-Verfahren sah für den Fall, dass der Rat innerhalb von maximal drei Monaten keinen anderslautenden Beschluss mit qualifizierter Mehrheit fasste, den Erlass der vorgeschlagenen Maßnahme durch die Kommission vor, es sei denn, der Rat sprach sich gegen die genannte Kommissionsmaßnahme mit einfacher Mehrheit aus.528 Kam die qualifizier524  Bradley, CML Rev. 1992, 693 (707): „[…] where no opinion can be adopted, the Commission carries the day“. Das Einstimmigkeitserfordernis findet sich nicht in Art. 2 IIIa-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. Es handelt sich dabei um eine vom Rat akzeptierte Rechtsauffassung der Kommission, siehe Riedel, EuR 2006, 512 (525 Fn. 93); Mensching, EuZW 2000, 268 (269 f.); H. Hofmann / Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, 209 (217 f.). 525  Siehe Art.  2 IIIa-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. 526  Art. 12 ff. VO Nr. 802 / 68 / EWG des Rates v. 27.061968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung für den Warenursprung, ABlEWG L 148 v. 28.06.1968, S. 1 und Art. 15 ff. VO Nr. 803 / 68 / EWG des Rates v. 27.061968 über den Zollwert der Waren, ABlEWG L 148 v. 28.06.1968, S. 6. 527  Roller, KritV 2003, 249 (251); Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S.  110 f.; Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (292). 528  Siehe Art.  2 IIIb-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. 524



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse119

te Mehrheit nicht zustande, vermochte es der Rat folglich mit einfacher Mehrheit, die Maßnahme zu blockieren. Die Kommission konnte ihre Entscheidungskompetenz dann nur wieder erlangen, wenn sie dem Ausschuss einen abgeänderten Entscheidungsentwurf vorlegte, dem dieser in seiner Stellungnahme zustimmte.529 Auf die Beratenden Ausschüsse wurde dagegen zurückgegriffen, wenn es um Angelegenheiten von geringer politischer Tragweite ging.530 Die Stellungnahmen dieser Ausschüsse waren auch bei einem negativen Votum für die Kommission nicht bindend, sondern lediglich soweit wie möglich zu berücksichtigen.531 Dieses Verfahren beschränkte die Mitwirkungsrechte der Mitgliedstaaten am stärksten. Ein Rückfall der Durchführungskompetenz an den Rat war ebenfalls nicht vorgesehen; dieser verlor mit der Verabschiedung des Basisrechtsakts seinen legislativen Einfluss auf die Durchführungsmaßnahmen der Kommission.532 Entsprechend selten wurden daher die Beratenden Ausschüsse im Basisrechtsakt festgeschrieben.533 I. Der erste Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1987 Bis in die Mitte der 1980er Jahre waren die Ausschüsse nicht normiert. Sie verfügten über keine standardisierte Geschäftsordnung, es mangelte an einer geregelten finanziellen Deckung und sie wurden ad hoc einberufen. Das Parlament stellte sich von Anfang an gegen die Einsetzung von Ausschüssen.534 In seiner Entschließung vom 3. Oktober 1968535 akzeptierte das Parlament zwar widerwillig die formelle Rechtmäßigkeit des Komitologiesystems, äußerte jedoch starke politische Bedenken, die im Laufe des Bestehens der Komitologie nie abrissen. Zum einen sah es durch das intransparente Ausschusswesen sein Aufsichtsrecht gegenüber der Kommission als verletzt an (vgl. Art. 201 EG; nunmehr Art. 234 AEUV), da die Kommis­sion 529  Blattner,

Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 166. Beispiele bei Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 9. 531  Siehe Art.  2 I-Verfahren Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG. 532  Grams, KritV 1995, 112 (119). 533  Im Jahr 2009 wendeten lediglich 22 von 266 Ausschüssen das Beratungsverfahren an, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 5. 534  Ausführlich Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (5 ff.); Hix, in: Christiansen / Kirchner (Hrsg.), Committee governance in the European Union, 2000, S. 62 (70 ff.). 535  Entschließung des Europäischen Parlaments v. 03.10.1968 über die Gemeinschaftsverfahren zur Durchführung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, ABlEWG Nr. C 108 v. 19.10.1968, S. 37. 530  Siehe

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht nicht mehr dem Parlament, sondern einem Ausschuss bestehend aus Vertretern der Mitgliedstaaten verantwortlich war.536 Zum anderen beanstandete es eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den Organen, sofern der Rat die Substanz von Rechtsakten unter Ausschaltung des Parlaments verändere und die Kommission zunehmend (quasi-)legislative Maßnahmen erlasse, womit sie faktisch als Gesetzgeber agiere.537 Ferner monierte das Parlament, dass die Ausschüsse weder auf mitgliedstaatlicher Ebene noch auf europäischer Ebene einem demokratisch legitimierten Organ verantwortlich seien. Es hätten sich Strukturen entwickelt, die das Primärrecht so nicht vorgesehen habe.538 Aus diesen Gründen hatte sich der EuGH schon mehrfach mit verschiedenen Gesichtspunkten des Komitologiewesens auseinanderzusetzen.539 In der für den Bereich der Durchführungsrechtsetzung grundlegenden Entscheidung der Rechtssache Köster540 aus dem Jahr 1970 äußerte sich der Gerichtshof zum ersten Mal zur Problematik des an Bedeutung gewinnenden Komitologiesystems. Er urteilte u. a., die Komitologieverfahren – damals noch als Verwaltungsausschussverfahren bezeichnet – seien mit dem EWG-Vertrag vereinbar. Denn das Verwaltungsausschussverfahren gehöre zu den Modalitäten, von denen der Rat gemäß Art. 155 EG a. F. eine Ermächtigung der Kommission zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen abhängig machen könne. Der Verwaltungsausschuss sei jedoch nicht befugt gewesen, anstelle der Kommission oder des Rats zu entscheiden. Somit habe – so der EuGH – der Verwaltungsausschuss nicht die Gemeinschaftsstruktur und das institutionelle Gleichgewicht verfälscht.541 Diese Rechtsprechung bestätigte der EuGH in der Rechtssache Rey Soda.542 Obwohl das Komitologieverfahren bis Mitte der 1980er Jahre nirgends schriftlich niedergelegt war, qualifizierte es der EuGH durchgängig als vertragskonform.543 536  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (134); Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (139). 537  Petersen / Heß, ZUR 2007, 567 (569). 538  Siehe dazu Scheel, ZEuS 2006, 521 (524); Vos, ELJ 1997, 210 (221). 539  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (35 f.); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (294 ff.); Bradley, ELJ 1997, 230 (243); Vos, ELJ 1997, 210 (220 ff.). 540  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25  / 70, Slg. 1970, 1161 ff. – Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel / Köster und Berodt & Co. 541  Ebd., Rn. 9; siehe dazu auch Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (714). 542  EuGH, Urt. v. 30.10.1975 – Rs. 23 / 75, Slg. 1975, 1279 ff., Rn. 10 / 14 – Rey Soda / Cassa Conguaglio Zucchero; siehe auch EuGH, Urt. v. 05.10.1977 – Rs. 5 / 77, Slg. 1977, 1555 ff., Rn. 52 / 57 – Carlo Tedeschi / Denkavit Commerciale s.r.l. 543  EuGH, Urt. v. 24.10.1989 – Rs. 16 / 88, Slg. 1989, I-3457 ff., Rn. 13 – Kommission / Rat der Europäischen Gemeinschaften: „Das Recht des Rates, für die Aus-



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse121

Während die Forderungen des Parlaments zunächst ungehört blieben, wurde den Wünschen der Kommission nach einer generellen Zuständigkeit für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts zumindest in Teilen Rechnung getragen. So wurde Art. 145 EG a. F. (Art. 202 EG) mit der Einheitlichen Europäischen Akte dahingehend geändert, dass der Rat der Kommission in der Regel die Durchführungsbefugnisse überträgt.544 Eine Ausnahme bestand weiterhin für spezifische Fälle, in denen sich der Rat die Durchführung vorbehalten konnte.545 Um eine unkontrollierte Kompetenzausweitung der Kommission zu verhindern, wurde ebenfalls mit der Einheitlichen Europäischen Akte bestimmt, dass der Rat die Modalitäten dieser Kompetenzübertragung festlegt. Auf der Grundlage des neuen Art. 145, 3. Sp. EG a. F. (Art. 202, 3. Sp. EG) normierte der Rat am 13. Juli 1987 mit seinem Beschluss zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse546 in Art. 2 die fünf existierenden Verfahrenstypen als Verfahren I, Verfahren II mit den Varianten a und b und Verfahren III mit den Varianten a und b.547 Welches Verfahren im Einzelfall einschlägig sein sollte, bestimmte der Basisrechtsakt, wobei die Kommission aufgrund ihres Vorschlagsmonopols im Hinblick auf den Basisrechtsakt zugleich auch über das anzuwendende Verfahren befand.548 Allerdings konnte der Rat durch einstimmigen Beschluss vom Vorschlag der Kommission abweichen und ein anderes Verfahren wählen (Art. 250  Abs. 1 EG).549 Dabei erfolgte die Wahl der jeweiligen Verfahrenstypen häufig politischer Opportunität;550 vor allem das Regeübung der der Kommission übertragenen Befugnisse bestimmte Modalitäten festzulegen, ist durch die Änderungen des Artikels 145 EWG-Vertrag aufgrund der Einheitlichen Europäischen Akte ausdrücklich bestätigt worden. Diese Modalitäten müssen den Regeln entsprechen, die der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments vorher einstimmig festgelegt hat. Der Rat hat diese Modalitäten mit seinem Beschluß 87 / 373 vom 13. Juli 1987 […] festgelegt.“ Siehe zur Vertragskonformität des Komitologieverfahrens auch Schmolke, EuR 2006, 432 (442 f.). 544  Siehe dazu schon Teil 1 A. III. 545  Siehe dazu schon Teil 1 C. I. 1. d). 546  Beschluss 87 / 373 / EWG des Rates v. 13.07.1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 197 v. 18.07.1987, S. 33. 547  Das Verfahren für Schutzmaßnahmen, Art.  3 Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG und Art.  6 Komitologiebschluss 1999 / 468 / EG, soll hier vernachlässigt werden, da es aufgrund fehlender Ausschussbeteiligung kein Ausschussverfahren im hier behandelten Sinne darstellt. 548  Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 30. 549  Ebd. 550  Vgl. Héritier / Moury / Bischoff u.  a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 117; Riedel, EuR 2006, 512 (526). 547

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

lungsverfahren galt als Hinweis auf die politische Bedeutsamkeit einer Durchführungsmaßnahme.551 Der Komitologiebeschluss regelte erstmals verbindlich die Mitwirkung von Ausschüssen bei der Durchführungsrechtsetzung der Kommission. Diese stand dem Beschluss allerdings skeptisch gegenüber, zumal sie die Abschaffung des „Contre-filet“-Verfahrens erhofft hatte.552 Das Parlament lehnte den Komitologiebeschluss ebenfalls ab und erhob Nichtigkeitsklage vor dem EuGH.553 Es machte geltend, der Beschluss verletze Verfahrensrecht, da das Parlament, nachdem der Rat Änderungen am Entwurf der Kommission vorgenommen habe, nicht erneut angehört werde.554 Zudem missachte der Beschluss in materiell-rechtlicher Hinsicht das in Art. 144 EG a. F. (Art. 201 EG; nunmehr Art. 234 AEUV) verankerte parlamentarische Aufsichtsrecht und verschiebe das Gleichgewicht der Gewalten, da dem in Art. 145, 3. Sp. EG a. F. enthaltenen Grundsatz der Regeldelegation nicht ausreichend Rechnung getragen worden sei. Der Komitologiebeschluss führe vielmehr dazu, dass der Rat in der Mehrheit der Fälle zum letztentscheidenden Organ werde. Der EuGH wies die Klage aufgrund fehlender Klagebefugnis des Parlaments nach der damaligen Fassung des Art.  173 Abs.  1 EG a.  F. (Art. 230 Abs. 1 EG; nunmehr Art. 263 Abs. 1 AEUV) als unzulässig ab.555 551  Falke, in: Joerges  /  Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen ­Union, 2000, S. 43 (69). 552  Hauschild, ZG 1999, 248 (249). Die Kommission hat sich mit der Komitologie nie zufrieden gegeben und keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Kontrollrechte des Rats und des Parlaments im Grunde für überflüssig hält. Ausführlich zur Kritik der Kommission Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 8. 553  EuGH, Urt. v. 27.09.1987 – Rs. 302 / 87, Slg. 1988, 5615 ff. – Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften; siehe zur Kritik der Mitgliedstaaten am ersten Komitologiebeschluss Hauschild, ZG 1999, 248 (249). 554  Siehe dazu Neyer, integration 1997, 24 (32). 555  EuGH, Urt. v. 27.09.1987 – Rs. 302 / 87, Slg. 1988, 5615 ff., Rn. 10 ff. – Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften. Zwei Jahre später kam der EuGH in seinem Tschernobyl-Urteil zu einem anderen Ergebnis, EuGH, Urt. v. 22.05.1990 – Rs. C‑70 / 88, Slg. 1990, I-2041 ff., Rn. 26 f. – Parlament / Rat der Europäischen Gemeinschaften: „Das Fehlen einer Bestimmung in den Verträgen, die das Recht des Parlaments zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage vorsieht, mag eine verfahrensrechtliche Lücke darstellen, es kann jedoch nicht schwerer wiegen als das grundlegende Interesse an der Aufrechterhaltung und Wahrung des von den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften festgelegten institutionellen Gleichgewichts. Folglich kann das Parlament beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage lediglich auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird. Unter diesem



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse123

In der Folgezeit kam es zu einer Reihe von interinstitutionellen Überein­ künften,556 die der Kommission im Verhältnis zum Parlament zumindest kleine Zugeständnisse abverlangten. II. Der Modus vivendi im Mitentscheidungsverfahren Die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht am 1. November 1993 verschärfte den Machtkampf der Gemeinschaftsorgane von neuem.557 So erhielt das Parlament in einigen Bereichen die Rolle des gleichberechtigten Mitgesetzgebers. Bei der Übertragung der Durchführungsbefugnisse auf die Kommission behielt jedoch nach wie vor der Rat die alleinige Delegationsgewalt.558 Das Europäische Parlament nutzte schließlich das neue Gesetzgebungsverfahren der Mitentscheidung, um die Diskussion über das Ausschusswesen erneut anzufeuern.559 Dabei zögerte es nicht, seine im Verfahren nach Art. 251 EG (nunmehr Art. 294 AEUV) gewonnene Macht einzusetzen, um Zugeständnisse im Bereich der Komitologie zu erzwingen. So verweigerte das Parlament unstrittigen Vorlagen des Rats die Zustimmung.560 Ferner blockierte es erstmals 1984 und erneut 1994 / 1995 und 1999 Haushaltsmittel für die Finanzierung der Ausschüsse.561 Vorbehalt unterliegt die Nichtigkeitsklage des Parlaments den Regeln, die die Verträge für die Nichtigkeitsklage der anderen Organe vorsehen.“ 556  So die Plumb-Delors-Übereinkunft v. 14.03.1988 zwischen dem Präsidenten des Parlaments und dem Präsidenten der Kommission, mit der sich die Kommission verpflichtet hatte, dem Parlament alle Vorschläge für Durchführungsmaßnahmen zur gleichen Zeit zuzuleiten wie dem Komitologieausschuss (allerdings nur soweit wie es um Maßnahmen legislativer Natur ging) und die Klepsch-Milan-Übereinkunft v. 13.07.1993, mit der sich die Kommission zur Einhaltung eines Verhaltenskodexes bei der Durchführung der Strukturpolitiken der Gemeinschaft verpflichtete. Zur Erfolglosigkeit dieser Übereinkünfte Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (38); Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (136); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (304 ff.); Vos, ELJ 1997, 210 (219). 557  Siehe ausführlich dazu Héritier / Moury, West European Politics 2011, 145 ff. 558  Scheel, ZEuS 2006, 521 (526); Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Haibach, VerwArch 1999, 98 (108 f.); siehe zu dieser Problematik auch schon Teil 1 B. II. 559  Ausführlich Jacqué, in: v. der Groeben / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 202 EG Rn. 29 ff. 560  Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (311); Bradley, ELJ 1997, 230 (239); vgl. auch Fn. 760. 561  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (138 ff.); Fuhrmann, DÖV 2007, 464 (465); Scheel, ZEuS 2006, 521 (524); Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (139); Haibach,

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Der Konflikt konnte erst durch den sog. „Modus vivendi“562 entschärft werden. Darin vereinbarten Parlament, Rat und Kommission, dass „der zuständige Ausschuß des Europäischen Parlaments […] zur gleichen Zeit und unter den gleichen Bedingungen wie der im grundlegenden Rechtsakt vorgesehene Ausschuß jeden von der Kommission vorgelegten Entwurf für einen Durchführungsrechtsakt von allgemeiner Geltung […]“563 erhält. Ferner wurde vereinbart, dass die Kommission im Rahmen des Modus vivendi „etwaigen Bemerkungen des Europäischen Parlaments möglichst weitgehend Rechnung trägt und […] letzteres in allen Abschnitten des Verfahrens über ihr weiteres Vorgehen im Anschluß an diese Bemerkungen [unterrichtet], damit das Parlament in voller Sachkenntnis seine eigenen Befugnisse wahrnehmen kann564“. Darüber hinaus sah der Modus vivendi vor, dass der „Rat […] einen Durchführungsrechtsakt von allgemeiner Geltung, der gemäß einem Durchführungsverfahren an ihn zurückverwiesen worden ist, erst [verabschiedet], nachdem er das Europäische Parlament unterrichtet und ihm eine angemessene Frist zur Abgabe seiner Stellungnahme eingeräumt hat […]“565. Im Falle einer ablehnenden Stellungnahme des Europäischen Parlaments erlässt der Rat diesen Durchführungsrechtsakt erst, nachdem er „unverzüglich und ordnungsgemäß von dem Standpunkt des Europäischen Parlaments Kenntnis genommen hat, um in angemessenem Rahmen eine Lösung herbeizuführen“566. Eine Pflicht zur Berücksichtigung der Standpunkte des Parlaments – und somit eine ernsthafte parlamentarische Kontrolle des gemeinsamen Handelns von Kommission und Rat bei der Durchführungsrechtsetzung – enhielt der Modus vivendi damit nicht.567

VerwArch 1999, 98 (108); Hummer, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1998, S. 285 (301 und 312). Siehe zu den Kosten der Ausschusswesen Neuhold, Das Europäische Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäischen Union, 2000, S. 198 f. und den Haushaltsplan der Europäischen Union, abrufbar unter: http: /  / eur-lex.europa.eu / bud get / www / index-de.htm. Im Jahr 2013 war ein Budget von 12.863,000 Euro für die Ausschusssitzungen eingeplant. 562  Entschließung zu – einem Beschluss des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über Einzelheiten der Ausübung des Untersuchungsrechts des Europäischen Parlaments und – einem Modus vivendi v. 20.12.1994 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission betreffend die Maßnahmen zur Durchführung der nach dem Verfahren des Artikels 189b EG [a. F.] erlassenen Rechtsakte, ABlEG C 43 v. 20.02.1995, S. 37. 563  Ebd. 564  Ebd. 565  Ebd. 566  Ebd. 567  Mensching, EuZW 2000, 268 (270); Vos, ELJ 1997, 210 (219 f.).



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse125

Das Klima zwischen den drei Institutionen blieb also auch nach Einführung des Modus vivendi „vergiftet“568. Die Notwendigkeit einer Reform des Komitologiebeschlusses wurde zusätzlich – forciert durch die Brisanz der BSE-Krise Ende der 1990er Jahre – durch die Anschuldigungen des BSEUntersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments bekräftigt: „Abgesehen von der Undurchsichtigkeit, der Komplexität und dem antidemokratischen Charakter seiner Funktionsweisen scheint das gegenwärtige KomitologieSystem jeglicher Kontrolle zu entgehen und die nationale und / oder industrielle Einflußnahme auf den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozeß zu ermöglichen. Dies ist besonders gravierend, wenn es um den Schutz der Volksgesundheit geht.“569

Daher wurden neben der Vereinfachung der Verfahrensarten vor allem der Zugang zu den Ausschussdokumenten und der Ausbau der Informationsrechte des Parlaments gefordert.570 III. Der zweite Komitologiebeschluss aus dem Jahr 1999 Obwohl es eines der Ziele der Amsterdamer Regierungskonferenz war, die Komitologie zehn Jahre nach dem Bestehen des ersten Komitologiebeschlusses neu zu regeln,571 wurde die Kommission lediglich in einer der Schlussakte beigefügten Erklärung572 aufgefordert, bis spätestens Ende 1998 einen Vorschlag zur Modifizierung des Beschlusses von 1987 zu unterbreiten. Der Vorschlag573 der Kommission sah im Wesentlichen vor, die Anzahl der Verfahrenstypen zu verringern, Voraussetzungen für die Wahl des Aus568  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 103. 569  Bericht v. 07.02.1997 über behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bzw. Mißstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen und gemeinschaftlichen Gerichte, Nichtständiger Untersuchungsausschuß für BSE, Berichterstatter: Manuel Medina Ortega, A4-0020 / 97, A.I., Rn.  19.4. 570  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (39 f.). 571  Mensching, EuZW 2000, 268 (270); Tichy, ZfRV 2000, 134 (136). 572  Vgl. Vertrag von Amsterdam: 31. Erklärung zu dem Beschluss des Rates v. 13.07.1987, ABlEG Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 137: „Die Konferenz fordert die Kommission auf, dem Rat bis spätestens Ende 1998 einen Vorschlag zur Änderung des Beschlusses des Rates vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse zu unterbreiten“. 573  Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG C 279 v. 08.09.1998, S. 5.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

schusstyps festzulegen sowie eine Beteiligung des Parlaments zu gewährleisten.574 Der Rat ist diesem Vorschlag allerdings nur teilweise gefolgt und hat am 28. Juni 1999 – nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments575 – den alten Komitologiebeschluss aufgehoben und ersetzt.576 Auch die auf der Grundlage des alten Beschlusses eingeführten Ausschüsse mussten sich nunmehr nach dem neuen Beschluss richten.577 Das System der Komitologie wurde durch die Neuregelung insoweit vereinfacht, als die bisherige Unterteilung des Verwaltungsausschuss- und Regelungsausschussverfahrens (Verfahren II und III) in je zwei Varianten abgeschafft wurde.578 Ferner wurden beide Verfahrenstypen in „Verwaltungsund Regelungsverfahren“ umbenannt. Beim Verfahren I hatte sich bis auf die offizielle Umbenennung in „Beratungsverfahren“ nichts geändert. Insofern wurde die Zahl der Ausschussverfahren von fünf auf drei reduziert.579 Mit dieser Neuorientierung wurde zumindest teilweise auf die Kritik des Parlaments und der Kommission reagiert. Insbesondere das IIIb-Verfahren wurde von der Kommission abgelehnt, da dort der Rat bereits mit einfacher Mehrheit den Erlass einer Kommissionsmaßnahme verhindern konnte.580 Die Einführung des neuen Regelungsverfahrens nach Art. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG basierte auf einem Kompromiss zwischen den Varianten IIIa und IIIb Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG.581 Der Rat war nach diesem vereinheitlichten, neuen Verfahren dann einzuschalten, wenn sich der Ausschuss nicht mit qualifizierter Mehrheit für den Kommissionsentwurf ausgesprochen hatte. In diesem Fall musste die Kommission den Entwurf unverzüglich dem Rat unterbreiten (und das Parlament unterrichten).582 Der 574  Ausführlich zum Vorschlag der Kommission Pollack, Comparative Political Studies 2003, 125 (132 ff.); Tichy, ZfRV 2000, 134 (137 ff.). 575  Dok. A4-0169 / 99 v. 06.05.1999, Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse [KOM(98)0380 – C4-0501 / 98 – 98 / 0219(CNS)], ABlEG C 279 v. 01.10.1999, S. 404. 576  Siehe Art.  9 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 577  Ausführlich Tichy, ZfRV 2000, 134 (139). 578  Vgl. zu den kleinen Änderungen des Verwaltungsverfahrens Art. 4 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG; Große Hüttmann, Gesellschaft Wirtschaft Politik, 2002, 187 (193); Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (674). 579  Einen genauen Überblick über die Politikbereiche, in denen die Komitologie vertreten ist, bietet die Liste aller Ausschüsse im alljährlichen Komitologiebericht der Europäischen Kommission, siehe Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685), endg., S. 7 f. 580  Siehe Teil 2 C. 581  Vgl. Hauschild, ZG 1999, 248 (252). 582  Art.  5 Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG.



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse127

Rat benötigte nunmehr eine qualifizierte statt einer einfachen Mehrheit, um die Kommissionsmaßnahme abzulehnen.583 Dieses neue Mehrheitsverhältnis führte in politisch umstrittenen Fällen wie beispielsweise im Gentechnikrecht584 oder im Umweltrecht585 dazu, dass die Kommission ihre vorgeschlagene Durchführungsmaßnahme schon bei der Zustimmung weniger Mitgliedstaaten im Rat (aber gegen eine Mehrheit der Mitgliedstaaten) erlassen konnte.586 Denn sofern der Rat innerhalb eines Zeitraums von maximal drei Monaten nicht handelte (z. B. weil die qualifizierte Mehrheit für die Ablehnung der Kommissionsmaßnahme nicht zustande kam), blieb es bei der „Filet“-Regelung, d. h., der vorgeschlagene Durchführungsrechtsakt konnte nun von der Kommission erlassen werden. Damit war eine Blockade, wie sie im Verfahren IIIb entstehen konnte, ausgeschlossen,587 da die früher vorgesehene Möglichkeit des Rats, mit einfacher Mehrheit im Verfahren IIIb den Kommissionsentwurf abzulehnen, entfallen war.588 583  Art.  5

Abs.  6 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. Komitologie, 2002, S. 287, 398 ff. zum Gen-Mais Fall. 585  Siehe auch die Beispiele bei Demmke, Eipascope 1998, 14 (16) und den 7. Erwägungsgrund der Entscheidung 2005 / 717 / EG der Kommission v. 13.10.2005 zur Änderung des Anhangs der Richtlinie 2002 / 95 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten zwecks Anpassung an den technischen Fortschritt, ­ABlEG L 271 v. 15.10.2005, S. 48. 586  Siehe Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 13; Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (73); Riedel, EuR 2006, 512 (525 Fn. 93). 587  Siehe zu der theoretischen Möglichkeit, dass der Rat auch den erneuten Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ablehnt Roller, KritV 2003, 249 (270). Unklar war ferner, ob der Rat den Kommissionsvorschlag auch ändern konnte. Der Wortlaut des Art. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG spricht nur von einer Zustimmung oder Ablehnung mit qualifizierter Mehrheit. Dennoch soll eine Änderung – allerdings wie nach dem Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG – nur bei Einstimmigkeit möglich gewesen sein (siehe dazu schon Fn. 524). Dies legt auch die Verwendung des Wortes „Vorschlag“ in Art. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG und die damit erfolgte implizite Bezugnahme auf Art. 250 Abs. 1 EG nahe, vgl. Roller, KritV 2003, 249 (270); Tichy, ZfRV 2000, 134 (139). 588  In diesem Zusammenhang ist aber der Erklärung (der Kommission) zu Art. 5 Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates vom 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ­ABlEG C 203 v. 17.07.1999, S. 1 (als Zugeständnis an den Rat) besondere Bedeutung beizumessen: „Im Rahmen der Überprüfung von Vorschlägen für Durchführungsmaßnahmen in besonders empfindlichen Bereichen wird die Kommission es im Bemühen um eine ausgewogene Lösung vermeiden, sich einem im Rat vorherrschenden Standpunkt zur Ablehnung der Zweckmäßigkeit einer Durchführungsmaßnahme entgegenzustellen“. Diese Erklärung trug dazu bei, dem Rat den Übergang von der einfachen zur qualifizierten Mehrheit zu erleichtern. 584  Töller,

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Das neue Regelungsverfahren brachte aber auch Veränderungen für die Einbeziehung des Parlaments in den Prozess der Durchführungsrechtsetzung mit sich. Für den Fall, dass der Ausschuss ein negatives Votum zum Maßnahmeentwurf der Kommission abgegeben hatte (bzw. wenn keine Stellungnahme vorlag), musste die Kommission dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen vorlegen und gleichzeitig das Parlament über den Vorgang informieren.589 Wenn der Kommissionsentwurf auf einem im Mitentscheidungsverfahren590 angenommenen Basisrechtsakt beruhte, dann kam das Mitspracherecht des Parlaments zum Tragen. Hatte die Kommission nach Ansicht des Parlaments die im Basisrechtsakt festgelegten Befugnisse überschritten, unterrichtete das Parlament den Rat von seiner Auffassung.591 Der Rat wiederum entschied dann innerhalb einer im Basisrechtsakt festgelegten Frist von maximal drei Monaten unter Berücksichtigung des Standpunkts des Parlaments über den Vorschlag der Kommission.592 Sprach sich der Rat gegen den Vorschlag der Kommission aus, konnte diese dem Rat entweder einen neuen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen unterbreiten oder ihren ursprünglichen Vorschlag erneut vorlegen oder aber dem Rat den Erlass eines Basisrechtsakts für die zu treffenden Maßnahmen vorschlagen“593. Mithilfe der Unterrichtungsmöglichkeit des Parlaments konnte dieses gegen die von ihm kritisierte „Parallelgesetzgebung“594 vorgehen, verhindern konnte es die gerügten Maßnahmen aber nicht. Das Ungleichgewicht zwischen Rat und Parlament blieb somit, wenn auch in abgemilderter Form, bestehen.595 589  Art.  5

Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. der Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG L 256 v. 10.10.2000, S. 19, „erklärt sich die Kommission damit einverstanden, dem Europäischen Parlament auf Antrag seines zuständigen Ausschusses zur Information spezifische Entwürfe für Durchführungsmaßnahmen zu übermitteln, deren Basisrechtsakte nicht nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden, denen aber eine besondere Bedeutung für das Europäische Parlament zukommt“. 591  Art.  5 Abs.  5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 592  Art.  5 Abs.  6 UAbs.  1 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 593  Art. 5 Abs. 6 UAbs. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG: „Hat sich der Rat innerhalb dieser Frist mit qualifizierter Mehrheit gegen den Vorschlag ausgesprochen, so überprüft die Kommission den Vorschlag. Die Kommission kann dem Rat einen geänderten Vorschlag vorlegen, ihren Vorschlag erneut vorlegen oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.“ 594  Mensching, EuZW 2000, 268 (270). 595  Krajewski / Rösslein, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV a. F. / EGV III, Losebl. (Stand: April 2007), vor Art. 250–252 EG Rn. 39. 590  In



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse129

Ferner brachte Art. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG eine Neuerung für das Komitologiesystem, indem allgemeine Kritierien festgelegt wurden, nach denen nunmehr die Verfahrensauswahl stattfinden sollte. Damit wurde auf die Kritik des Parlaments, die Verfahrensauswahl nach dem Komitologiebeschluss 87 / 373 / EWG sei völlig unklar, reagiert. So sollten: „Verwaltungsmaßnahmen wie etwa Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik oder der gemeinsamen Fischereipolitik oder zur Durchführung von Programmen mit erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt […] nach dem Verwaltungsverfahren erlassen werden. Maßnahmen von allgemeiner Tragweite, mit denen wesentliche Bestimmungen von Basisrechtsakten angewandt werden sollen, wie Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen [nicht zuletzt wegen der BSE-Krise eingefügt] sollten nach dem Regelungsverfahren erlassen werden. Ist in einem Basisrechtsakt vorgesehen, daß bestimmte nicht wesentliche Bestimmungen des Rechtsakts im Wege von Durchführungsverfahren angepaßt oder aktualisiert werden können, so sollten diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren erlassen werden. […] das Beratungsverfahren [wird] in allen Fällen angewandt, in denen es als zweckmäßigstes Verfahren [anzusehen ist].“

Anzumerken ist jedoch, dass von diesen allgemein formulierten, unverbindlichen Kriterien596 abgewichen werden konnte.597 In diesem Sinne entschied auch der EuGH in der Rechtssache C-378 / 00. Abweichungen von den in Art. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG niedergelegten Kriterien seien danach aber nur dann gestattet, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber seine Entscheidung begründe.598 Dem Transparenzgebot wiederum wurde mit der Einführung des Art. 7 Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG Rechnung getragen.599 Danach hat die Kommission u. a. eine Liste aller Ausschüsse im Amtsblatt der Gemeinschaft zu veröffentlichen.600 Den Zugang der Öffentlichkeit zu den Ausschussdokumenten regelte Art.  7 Abs.  2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. Insoweit erfolgte eine Übernahme der fast zeitgleich ergangenen Rechtspre596  Verbindliche Auswahlkriterien stießen auf Widerstand der Mitgliedstaaten, siehe dazu Tichy, ZfRV 2000, 134 (137). 597  Siehe 5. Erwägungsgrund Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG. Gegen eine Pflicht zur Begründung im Fall der Abweichung von den unverbindlichen Kriterien des Komitologiebeschlusses Bradley, in: H. Hofmann / Türk (Hrsg.), EU Administrative Governance, 2006, S. 417 (423). 598  EuGH, Urt. v. 21.01.2003 – Rs. C-378 / 00, Slg. 2003, I-937 ff., Rn. 55 – Kommission / Parlament und Rat der Europäischen Union (LIFE); siehe auch EuGH, Urt. v. 23.02.2006 – Rs. C-122 / 04, Slg. 2006, I-2001 ff., Rn. 44 – Kommission / Parlament und Rat der Europäischen Union. 599  Kritisch zur Transparenz des Komitologiesystems Brandsma / Curtin / Meijer, ELJ 2008, 819 (831 ff.). 600  Siehe dazu ausführlich Brandsma / Curtin / Meijer, ELJ 2008, 819 (824  ff.); Scheel, ZEuS 2006, 521 (528); Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (130 f.).

130

Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

chung des EuG, in der das Gericht die Ausschüsse als Teil der Kommission „im Hinblick auf die Gemeinschaftsregelung über den Zugang zu Dokumenten“ ansah und aus diesem Grund die Dokumente der Ausschüsse den für die Kommission geltenden Transparenzregeln unterwarf.601 Dehousse beschrieb diese veränderte Stellung der Ausschüsse wie folgt: „A stroke of the pen transformed them from control bodies into structures subordinate to the very institution they were supposed to control.“602

Die Beteiligungsrechte, die dem Parlament durch den Modus vivendi zugesprochen worden waren, weitete zudem Art. 7 Abs. 3 des neuen Komitologiebeschlusses weiter aus. Das Parlament erhielt dadurch u. a. bei Vorschlägen zu Durchführungsvorschriften, deren Basisrechtsakt im Mitentscheidungsverfahren beschlossen wurde, die Protokolle, Abstimmungsergebnisse und die Tagesordnungen der Sitzungen.603 Dieser Informationsstand war nötig, um das Parlament in die Lage zu versetzen, seine Kontrollfunktion vollständig auszuüben.604 Über die bisherige Praxis ging auch Art.  8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG605 hinaus, der zum ersten Mal eine tatsächliche Einbindung 601  EuG, Urt. v. 19.07.1999 – Rs. T-188 / 97, Slg. 1999, II-2463 ff., Rn. 62 – Roth­ mans International BV / Kommission; zur Kritik an diesem Urteil siehe Bradley, in: H. Hofmann / Türk (Hrsg.), EU Administrative Governance, 2006, S. 417 (437 ff.). In EuG, Urt. v. 10.10.2001 – Rs. T-111 / 00, Slg. 2001, II-2997 ff., Rn. 38 – British American Tobacco International (Investments) Ltd / Kommission ging das Gericht sogar noch weiter als in Rothmans, in dem es feststellte, dass der Verbrauchsteuerausschuss als zur Kommission gehörig anzusehen ist, ohne die Einschränkung „im Hinblick auf die Gemeinschaftsregelung über den Zugang zu Dokumenten“ anzuwenden. 602  Dehousse, Journal of European Public Policy 2003, 798 (808): „To avoid creating a black hole in which important decisions could be made without any control, the Court had no choice but to opt for an innovative reading of the situation, in which ‚comitology‘ committees and the Commission are depicted as forming part of the same network-like structure.“ 603  Die bibliographischen Hinweise der dem Europäischen Parlament gemäß Art. 7 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG übermittelten Dokumente werden in einem von der Kommission erstellten Verzeichnis bzw. Register im Internet veröffentlicht (Art.  7  Abs.  5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG). Ausführlich Szapiro, in: H. Hofmann / Türk (Hrsg.), Legal Challenges in EU Administrative Law, 2009, S.  89 (92 f.). Das  Register  ist  abrufbar  unter:  http: /  / ec.europa.eu / transparency / regco mitology / index.cfm. Siehe dazu auch noch Teil 2 E. II. und Teil 3 B. V. 2. d). 604  Mensching, EuZW 2000, 268 (271). 605  Art. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG ist gegenüber dessen Art. 8 als lex specialis anzusehen. Letzterer ist als generelle Norm zwar auch im Regelungsausschussverfahren anzuwenden, aber nur solange der Ausschuss noch nicht negativ über den Kommissionsentwurf abgestimmt bzw. keine Stellungnahme abgegeben hat. Erst im Anschluss daran ist Art. 5 Abs. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG einschlägig und das Parlament muss sich nunmehr an den Rat wenden.



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse131

des Parlaments in den Komitologieprozess vorsah.606 Das Parlament konnte demnach (bei allen Ausschusstypen), wenn der Basisrechtsakt im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurde und es die Durchführungsbefugnisse der Kommission für überschritten hielt, dieses der Kommission in Form einer Entschließung mitteilen.607 Die Kommission prüfte dann den Vorwurf und konnte „unter Berücksichtigung dieser Entschließung und unter Einhaltung der Fristen des laufenden Verfahrens dem Ausschuß einen neuen Entwurf für Maßnahmen unterbreiten, das Verfahren fortsetzen oder dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag auf der Grundlage des Vertrags vorlegen“608. Außerdem informierte sie das „Europäische Parlament und den Ausschuß über die Maßnahmen, die sie aufgrund der Entschließung des Europäischen Parlaments zu treffen beabsichtigt, und über die Gründe für ihr Vorgehen“609. IV. Komitologie im Verfassungsentwurf Die Probleme des Parlaments wurden mit dem Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG jedoch nicht dauerhaft und umfassend gelöst. Das Verfahren nach dessen Art. 8 hatte lediglich zur Folge, dass sich die Kommission erneut mit ihrem Entwurf befassen musste. Eine tatsächliche Kontrolle der Durchführungsrechtsetzung durch das Parlament war mangels eines scharfen Instruments, wie z. B. eines Rückholrechts der Durchführungsbefugnisse, damit jedoch noch nicht gegeben.610 Ferner erwies sich das Regelungsverfahren mit seiner Ultra-vires-Kontrolle611 nach Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG für das Parlament 606  Scheel, ZEuS 2006, 521 (528); siehe zu den Fällen, in denen das Europäische Parlament von seinem neuen Recht Gebrauch gemacht hat Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (52). 607  Art. 8 Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG enthielt keinerlei Angaben über das Verfahren oder die Frist, innerhalb derer das Parlament sein Interventionsrecht ausüben musste. Siehe dazu Ziffer 5 bis 7 der Vereinbarung zwischen dem Europäi­ schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ­ABlEG L 256 v. 10.10.2000, S. 19. 608  Art.  8 S.  2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 609  Ebd. 610  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (149). Dem Europäischen Parlament war es jedoch nicht verwehrt, gegen eine die Ermächtigung überschreitende Durchführungsmaßnahme vor dem EuGH zu klagen (Art. 230 Abs. 2 EG). Diese Möglichkeit bestand unabhängig von den Bestimmungen des Komitologiebeschlusses 1999  /  468  /  EG, vgl. Härtel, Handbuch Europäische Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 44. 611  Bradley, West European Politics 2008, 837 (841).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

nur sehr selten als erfolgreich.612 Hintergrund dieser geringen Erfolgsquote waren die mehrheitlich auf den Inhalt der Maßnahme bezogenen Einwände des Parlaments,613 zu denen es aber nach Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG nicht berechtigt war.614 Diese Probleme hätten mit dem im Oktober 2004 unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für Europa behoben werden sollen. Nach dem Verfassungsvertrag sollte das System der Rechtsetzung durch die Kommission eine gegenüber Art. 202, 3. Sp. EG gänzlich neue Struktur erhalten, indem erstens die Durchführungsbefugnisse neu geordnet und zweitens das Instrument der „delegierten Europäischen Verordnungen“ in Art. I-36 EVV eingeführt werden sollte.615 Bei dieser Art der Rechtsetzung durch die Kommission hätte das Parlament das Recht erlangt, eine Maßnahme der Kommis­sion aus den gleichen – also auch aus inhaltlichen – Gründen wie der Rat abzulehnen (Vetorecht). Ferner sollte dem Parlament das Recht eingeräumt werden, die Übertragung der Befugnisse auf die Kommission zu widerrufen (sog. „Call-back“-Recht). In Art. I-37 EVV (Durchführungsrechtsakte) spiegelte sich zudem der Gedanke der Komitologie wider. Nach dessen Abs. 3 sollte die erneute Reform des bis dato bestehenden Komitologieverfahrens per Gesetz nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren geregelt werden, d. h., dass auch das Parlament und nicht mehr nur der Rat die Regeln und Grundsätze für die Kontrolle der Durchführungsrechtsakte festlegen können sollte. Die Kompetenz zur Kontrolle der Kommission bei der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse sollte gemäß Art. I-37 Abs. 3 EVV dann jedoch bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Im Unterschied dazu sollte die Kontrolle der Kommission beim Erlass von delegierten Europäischen Verordnungen dem Parlament und dem Rat obliegen. V. Der dritte Komitologiebeschluss aus dem Jahr 2006 Die negativen Referenden der Niederlande und Frankreichs im Jahr 2005 bereiteten dem Verfassungsprozess jedoch eine Niederlage und einen herben Rückschlag für das Parlament bei den Bemühungen um eine Gleichstellung mit dem Rat und um eine adäquate Mitsprache im Komitologieverfahren. Nachdem die Kommission das Recht des Parlaments auf Information über laufende Beratungen von Durchführungsrechtsakten in ca. 50 Fällen (haupt612  Neuhold,

EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (6). 1 (7). 614  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (148 f.); Petersen / Heß, ZUR 2007, 567 (568). 615  Siehe dazu ausführlich Teil 1 D. IV. 613  Ebd.,



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse133

sächlich in den sensiblen Bereichen Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz und Humanitäre Hilfe) missachtet hatte,616 unterbrach das Parlament im Sommer 2005 die Verhandlungen zu zwei Richtlinien617 und blockierte Budgetmittel für existierende Ausschüsse.618 Das Parlament wollte nicht erst die prozedurale Gleichstellung mit dem Rat bis zum ohnehin ungewissen Inkrafttreten des Art. I-36 EVV und eines an Art. I‑37 EVV anknüpfenden, neuen Komitologiebeschlusses abwarten. Der Rat setzte daher ab Herbst 2005 – zunächst unter britischem, ab Anfang 2006 unter österreichischem Vorsitz – eine sektorübergreifende Arbeitsgruppe von EU-Rechtsexperten („Freunde der Präsidentschaft – Komitologie“) ein, die eine Lösung der anstehenden Probleme erarbeiten sollte.619 Die Verhandlungen waren von Erfolg gekrönt und führten zum Beschluss des Rats vom 17. Juli 2006, der den Komitologiebeschluss 1999 an einigen Stellen, welche die Anliegen des Parlaments betrafen, abänderte.620 Zu Beginn der Verhandlungen musste geprüft werden, ob und zu welchen Bedingungen eine Einbindung des Parlaments in die Komitologie überhaupt möglich war.621 Denn zum einen war allein der Rat gemäß Art. 202, 3. Sp. EG Inhaber der Delegationskompetenz und zum anderen wurde der Erlass von Durchführungsbestimmungen als exekutiver Akt angesehen, so dass das Parlament als ausschließliches Legislativorgan nicht befugt war, solche Maßnahmen zu erlassen oder daran mitzuwirken.622 Einen Ausweg aus diesem Dilemma fand der Juristische Dienst des Rats, der Anfang Februar 2006 der Arbeitsgruppe ein Gutachten623 vorlegte, wonach eine Einbindung 616  Bericht der Kommission über die Arbeit der Ausschüsse im Jahr 2005, KOM 2006 (446) endg., S. 5 f.; Bradley, West European Politics 2008, 837 (843 f.); Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (7). 617  RL 2006  / 49 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.06.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten, ABlEG L 177 v. 30.06.2006, S. 201 und RL 2006 / 43 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.05.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78 / 660 / EWG und 83 / 349 / EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84 / 253 / EWG des Rates, ABlEG L 157 v. 09.06.2006, S. 87. 618  Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (76). 619  Bradley, West European Politics 2008, 837 (844  f.); Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (8). 620  Siehe ausführlich zu den Änderungsvorschlägen der Kommission zu einem neuen Komitologiebeschluss 2002 und 2004 Bradley, West European Politics 2008, 837 (842 f.); Scheel, ZEuS 2006, 521 (529 ff.). 621  Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (77). 622  Vgl. Art. 7, 189 und Art. 192 EG. Dagegen kann der Rat auch als Exekutiv­ organ auftreten, siehe Art. 202, 3. Sp. EG. 623  Das Gutachten ist kein öffentliches Dokument, siehe Schusterschitz, Europa Blätter 2006, 176 (177).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

denkbar sei, „wenn es sich bei den zu erlassenden Maßnahmen um solche handele, die die Gesetzgeber selbst hätten erlassen können (sog. ‚quasi-legislative‘ Maßnahmen)“624. Ferner sei nur eine nachgeordnete parlamentarische Kontrolle von Maßnahmen, deren Erlass kurz bevor stehe, zulässig, eine inhaltliche Modifizierung am Durchführungsrechtsakt sei dem Parlament jedoch nicht gestattet.625 Während des österreichischen Ratsvorsitzes im Frühjahr 2006 einigten sich Rat, Parlament und Kommission nach zähen Verhandlungen auf die Abänderung des Komitologiebeschlusses von 1999 unter Einführung eines neuen, vierten Verfahrens: das sog. „Regelungsverfahren mit Kontrolle“.626 Dieses Verfahren sollte immer dann zur Anwendung kommen, wenn der Basisrechtsakt im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurde und die von der Kommission zu erlassende Maßnahme von allgemeiner Tragweite war:627 „Ist in einem nach dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags erlassenen Basisrechtsakt vorgesehen, dass Maßnahmen von allgemeiner Tragweite angenommen werden, die eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen dieses Rechtsakts bewirken, einschließlich durch Streichung einiger dieser Bestimmungen oder Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen, so werden diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“628

624  Ebd.,

176 (177).

625  Schusterschitz / Kotz,

European Constitutional Law Review 2007, 68 (78 f.). zu den Verhandlungen, die zur Komitologiereform 2006 führten Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (79 ff.). 627  Problematisch an der Komitologiereform 2006 ist die parallele Anwendbarkeit mehrerer Verfahrensarten und deren ähnlich lautende Anwendungskriterien: Das Regelungsverfahren ohne Kontrolle und das Verwaltungsverfahren waren bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf jene Basisrechtsakte anzuwenden, die zuvor nicht im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden. Ist ein Basisrechtsakt im Mitentscheidungsverfahren ergangen oder ist er fristgerecht an die neue Rechtslage, den Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG, angepasst worden, unterfallen die Durchführungsmaßnahmen dem Regelungsverfahren mit Kontrolle. Die Festlegung, welches Verfahren zur Anwendung kommt, treffen Rat und Parlament im Basisrechtsakt. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon unterfallen alle neu zu erlassenden (quasi‑)legislativen Maßnahmen den delegierten Rechtsakten (Art. 290 AEUV), während Exekutivmaßnahmen den Durchführungsrechtsakten (Art. 291 AEUV) vorbehalten bleiben. Insofern stellt sich die Abgrenzungsproblematik nicht mehr in der Gestalt, dass verschiedene Verfahren zum Erlass (quasi-) legislativer Maßnahmen existieren, nunmehr ist zwischen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten zu unterscheiden. Siehe zu den Abgrenzungschwierigkeiten Teil 3 C. 628  Art. 2 Abs. 2 Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG. 626  Siehe



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse135

1. Definition (quasi-)legislativer Maßnahmen Die sog. (quasi-)legislativen Maßnahmen gemäß Art. 2 Abs. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG basierten auf einem hybriden Konzept.629 Der neue Anwendungsbereich war zum einen gegenüber rein legislativen Maßnahmen abzugrenzen, die allein dem Mitentscheidungsverfahren vorbehalten waren und somit nicht Gegenstand der Komitologie werden konnten. Dies gelang mit der alt bekannten Formulierung der „nicht wesentlichen Bestimmungen“. Nur jene Bestimmungen des Basisrechtsakts dürfen von der Kommission geändert werden. Dem Europäischen Parlament zufolge handelt es sich bei „nicht wesentlichen Bestimmungen“ um solche mit „normativem Inhalt“ wie z. B. Leitlinien oder technische Anhänge von Richtlinien.630 Hintergrund dieser Regelung ist die Rechtsprechung des EuGH, wonach der Gesetzgeber gehalten war, die wesentlichen Aspekte eines Rechtsakts, welche die grundsätzliche Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik betreffen, selbst zu regeln.631 Zum anderen musste die geplante Kommissionsmaßnahme von „allgemeiner Tragweite“ sein. In Art. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG werden als solche beispielsweise „Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen“ genannt. Auf diese Weise grenzte man sie von rein exekutiven Maßnahmen ab. Folglich fielen Einzelfallregelungen, wie z. B. die Zulassung eines genetisch veränderten Organismus oder an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidungen, aus dem Bereich der (quasi-)legislativen Maßnahmen heraus, denn hierunter fielen allein abstrakt-generelle Regelungen. Dies empfanden einige Parlamentarier, vor allem im Bereich des kontrovers diskutierten Gentechnikrechts, als „bittere Pille“632, fiel doch aus diesem Grund die Zulassung von genetisch veränderten Produkten in den Zuständigkeitsbereich der Kommission unter Anwendbarkeit des normalen Regelungsverfahrens, in dem das Parlament nur über sehr eingeschränkte Kontrollrechte verfügte.633 629  Schusterschitz / Kotz,

European Constitutional Law Review 2007, 68 (80). des Europäischen Parlaments v. 03.07.2006 über den Abschluss einer Interinstitutionellen Vereinbarung in Form einer gemeinsamen Erklärung hinsichtlich des Entwurfs für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, A-0237 / 2006, S. 8; siehe dazu auch Scheel, ZEuS 2006, 521 (530). 631  Bradley, West European Politics 2008, 837 (846); siehe dazu schon Teil 1 C. I. 1. 632  Bradley, West European Politics 2008, 837 (846). 633  Siehe Teil 2 C. III. 630  Bericht

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Um eine gewisse Kontrolle über das neue Regelungsverfahren zu behalten und eine vom Parlament gewünschte weit reichende Anwendung zu verhindern, wurde der Einsatz des Regelungsverfahrens mit Kontrolle nur dann zwingend vorgeschrieben, wenn die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG vorlagen.634 2. Der Umfang des parlamentarischen Prüfungsrechts Das neue Ausschussverfahren stellte einen Spezialfall des einfachen Regelungsverfahrens dar. Ein Entwurf der Kommission konnte nach zustimmender Stellungnahme des zuständigen Komitologieausschusses vom Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder oder vom Rat mit qualifizierter Mehrheit innerhalb einer Frist von drei Monaten635 aus denselben Gründen abgelehnt werden.636 In einem solchen Fall durfte die Kommission die Maßnahme nicht erlassen, sie musste stattdessen dem Ausschuss einen geänderten Maßnahmeentwurf unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen. Das Regelungsverfahren mit Kontrolle trug somit der Kritik des Parlaments nach verstärkten Mitspracherechten deutlich Rechnung, da das Parlament eine vorgeschlagene Maßnahme nicht mehr nur mit der Begründung ablehnen konnte, die Maßnahme gehe über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungs634  Siehe ausführlich zu den Bedingungen, bei deren Vorliegen das Regelungsverfahren mit Kontrolle zwingend zur Anwendung kam, Handbuch der Komitologie. Die Arbeiten des Europäischen Parlaments im Bereich Komitologie, März 2009, herausgegeben von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, PE405.166 / rev., S. 10 ff. Siehe dazu auch die Checkliste im Anhang D. des oben genannten Handbuchs der Komitologie, auf die sich das Parlament, der Rat und die Kommission nach der Verabschiedung des Komitologiebeschlusses 2006  /  512  /  EG geeinigt haben. Diese Checkliste soll es den Organen erleichtern, festzustellen, ob die Voraussetzungen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle erfüllt sind. Liegen die Voraussetzungen vor, wird das Regelungsverfahren mit Kontrolle mithilfe der Standardbestimmungen (siehe die Standardbestimmungen in Anhang E. des oben genannten Handbuchs der Komitologie) in den Basisrechtsakt aufgenommen. Diese von Parlament, Rat und Kommission vereinbarten Standardformulierungen sollen die interinstitutionelle Arbeit erleichtern, sind aber politisch oder rechtlich unverbindlich. 635  Siehe zu der Möglichkeit die Fristen zu verkürzen Art. 5a Abs. 5 und Abs. 6 Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 636  Parlament und Rat konnten sich nur gegen den Maßnahmeentwurf insgesamt aussprechen. Es war nicht möglich, lediglich einzelne Bestimmungen abzulehnen. Siehe Handbuch der Komitologie. Die Arbeiten des Europäischen Parlaments im Bereich Komitologie, März 2009, herausgegeben von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden,  PE405.166 / rev., S.  15.



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse137

befugnisse hinaus (Ultra-vires-Kontrolle).637 Die Rüge der Unvereinbarkeit des Durchführungsrechtsakts mit den Zielen oder dem Inhalt des Basisrechtsakts oder die Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Subsidiarität638 stellten nunmehr taugliche Begründungen dar, um einen Rechtsakt der Kommission zu Fall zu bringen (Vereinbarkeitskontrolle).639 Damit machte die Einführung des Art. 5a Komitologiebeschluss 2006 die Regelung in Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 überflüssig. Letzterem kam ein eigenständiger Anwendungsbereich nur noch für diejenigen Fälle zu, dass eine Durchführungsmaßnahme auf einem vor der 2006er-Reform erlassenen und noch nicht an das neue Komitologieverfahren angepassten Basisrechtsakt beruhte.640 Standen die von der Kommission beabsichtigten Maßnahmen nicht mit der Stellungnahme des Ausschusses im Einklang oder lag keine Stellungnahme vor, wurde die Maßnahme unverzüglich dem Rat unterbreitet und gleichzeitig dem Parlament zur Information übermittelt. Ersterer hatte innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung über den Vorschlag zu entscheiden. Sprach sich der Rat – was auch ohne Angabe von Gründen erfolgen konnte – mit qualifizierter Mehrheit gegen den Kommissionsvorschlag aus, konnte die Maßnahme nicht erlassen werden. Die Kommission hatte jedoch die Möglichkeit, einen geänderten Maßnahmeentwurf zu unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorzulegen.641 Das Parlament besaß in dieser Konstellation kein Vetorecht.642 Beabsichtigte der Rat, die Maßnahme zu erlassen oder äußerte er sich innerhalb der Frist nicht,643 unterbreitete im ersten Fall der Rat, im zweiten Fall die Kommission dem Parlament den Vorschlag. Das Parlament konnte 637  Siehe zu der Entscheidungsfindung innerhalb des Parlaments Art. 88 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments i. d. F. vom Juli 2013. 638  Die praktische Relevanz dieser Prüfung hält sich in Grenzen, da eine Subsidiaritätsprüfung bereits beim Erlass des Basisrechtsakts vorgenommen werden musste, siehe Protokoll (Nr. 30) zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Vgl. auch Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (83). 639  Art.  5a Abs.  3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 640  Craig / de Búrca, EU Law, 4. Aufl. (2008), S. 122. 641  Art. 5a Abs. 4 lit. a–c Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 642  Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäische Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (152). 643  Der Rat konnte den Maßnahmeentwurf auch einstimmig abändern, vgl. Art. 250 EG, der aufgrund der Wortwahl „Vorschlag“ in Art. 5 Abs. 4 Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG Anwendung

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

innerhalb einer Frist von vier Monaten ab erstmaliger Übermittlung zu Informationszwecken Widerspruch aus den oben genannten Gründen einlegen. Bei einer Ablehnung durch das Parlament durfte die Maßnahme nicht erlassen werden. Es stand der Kommission aber frei, einen geänderten Maßnahmeentwurf zu unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorzulegen.644 Äußerten sich Parlament und Rat nicht zu dem Maßnahmeentwurf der Kommission oder stimmten sie ihm zu, konnte die Kommission die Maßnahmen erlassen. Ferner sah das Regelungsverfahren mit Kontrolle auch eine kürzere Vorgehensweise in besonders dringlichen Fällen vor.645 Danach konnte die Kommission die Maßnahme sofort erlassen, wenn sie im Einklang mit der Stellungnahme des Ausschusses stand. Sie musste dies unverzüglich dem Parlament und dem Rat, welche die Maßnahme innerhalb eines Monats mit den bereits benannten Mehrheiten und nach den einschlägigen Kriterien ablehnen konnten, mitteilen. Auffällig war, dass das Recht des Rats, die vorgeschlagene Maßnahme im Falle eines negativen Votums durch den Ausschuss abzulehnen, an keine Voraussetzungen geknüpft war.646 Von einer Parität beider Organe konnte somit auch nach der erneuten Modifizierung des Komitologieverfahrens nicht gesprochen werden.647 Ferner konnte der Rat die Durchführungsmaßnahmen auch selbst erlassen, wenn keine Stellungnahme des Ausschusses vorlag bzw. dieser eine negative Stellungnahme abgegeben hatte.648 Das Parlament konnte dagegen in diesen Fällen Durchführungsmaßnahmen lediglich ablehnen, aber keine eigenen Vorschläge umsetzen.649 Augenfällig ist jedoch, dass die Verfahrensmodi die Kommission trotz eines positiven Ausschussvotums nicht zur sofortigen Ausführung der beabsichtigten findet, siehe Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (84 Fn. 62); vgl. auch Fn. 587. 644  Art. 5a Abs. 4 lit. d–f Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 645  Art.  5a Abs.  6 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 646  Art. 5a Abs. 4 lit. c Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 647  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (46); Martel, ZEuS 2008, 601 (615); Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (9). 648  Art. 5a Abs. 4 lit. d Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 649  Art. 5a Abs. 4 lit. e Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG i. d. F. Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG.



C. Die Entstehung der Komitologieausschüsse139

Durchführungsmaßnahme berechtigten, sondern Parlament und Rat als zusätzliche Kontrollgremien in das Verfahren integriert wurden. Der geänderte Komitologiebeschluss sah zudem – anders als noch Art. I‑36 Abs. 2 EVV – keine Rückholmöglichkeit der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vor. Eine parlamentarische Neubewertung der Umstände, die die Delegation an die Kommission vormals gerechtfertigt hatten, wurde abgelehnt. Eine derartige Neubewertung war im EG-Vertrag auch nicht vorgesehen und hätte eine Verletzung des Initiativrechts der Kommission bedeutet.650 Im gescheiterten Verfassungsvertrag war aus diesem Grund das Rückholrecht primärrechtlich verankert worden. Schließlich einigten sich Parlament, Rat und Kommission im Zuge der Verhandlungen zur Komitologiereform 2006 auf einen Kompromiss, wonach in den Basisrechtsakten die Möglichkeit von Nachprüfungsklauseln (revision clauses) vorgesehen werden sollte. Auf diese Weise konnte eine Überprüfung der Delegation nach einer bestimmten Zeit vorgenommen werden ohne das Initiativrecht der Kommission anzutasten.651 3. Die Umsetzung des Komitologiebeschlusses Der Komitologiebeschluss 2006 ist am 23. Juli 2006 in Kraft getreten. Alle Rechtsakte, die nach diesem Datum erlassen worden und in Kraft getreten waren, mussten das neue Verfahren beachten. In einer zeitgleich mit dem Komitologiebeschluss 2006 getroffenen Gemeinsamen Erklärung hatten sich Parlament, Rat und Kommission zunächst auf eine Liste mit 25 Basisrechtsakten geeinigt, auf die das neue Verfahren nachträglich angewendet werden sollte.652 Danach wurden noch vier von der Kommission zusammengestellte Legislativvorschläge für Sammelverordnungen, die Rechtsakte zur Umstellung auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle enthielten, von Parlament und Rat angenommen.653 650  Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (85  f.); Schmolke, EuR 2006, 432 (437). 651  Vgl. Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (86). 652  Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zum Beschluss des Rates v. 17.07.2006 zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (2006 / 512 / CE), ABlEG C 255 v. 21.10.2006, S. 1. 653  Vgl. VO Nr. 1137  / 2008 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Erster Teil, ABlEG L 311 v. 21.11.2008, S. 1; VO Nr. 1103 / 2008 / EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Insgesamt 250 alte Rechtsakte aus der Zeit vor der Reform wurden auf das neue Verfahren umgestellt.654 Einen Vorschlag655 für eine fünfte Sammelverordnung der Kommission vom März 2009 lehnte das Europäische Parlament in der ersten Lesung mit 622 zu 18 Stimmen (bei 13 Enthaltungen) ab.656 Es forderte die Kommission auf, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten, der die Vorschriften des Lissabonner Vertrags, insbesondere Art. 290 AEUV und die Entschließung657 des Europäischen Parlaments vom 23. September 2008 zur Anpassung von Rechtsakten an den neuen Komitologiebeschluss, berücksichtigt. 4. Bewertung der Reform Das Scheitern des Verfassungsvertrags bedeutete zweifelsohne eine Niederlage für das Parlament in seinen Bemühungen um eine gleichberechtigte Teilhabe und Kontrolle bei der Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission. Das im Verfassungsvertrag vorgesehene Konzept der die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Dritter Teil, ABlEG L 304 v. 14.11.2008, S. 80; VO Nr. 219 / 2009 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.03.2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Zweiter Teil, ABlEG L 87 v. 31.03.2009, S. 109; VO Nr. 596 / 2009 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18.06.2009 zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 des Vertrags gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Vierter Teil, ABlEG L 188 v. 18.07.2009, S. 14. 654  Europäische Kommission, Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Union, SEK(2008) 1000 endg., S. 276. 655  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 EG-Vertrag gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Fünfter Teil, KOM 2009 (142) endg. 656  Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 24.09.2009 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung einiger Rechtsakte, für die das Verfahren des Artikels 251 EG-Vertrag gilt, an den Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates in Bezug auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle – Fünfter Teil [KOM(2009)0142 – C7-0047  /  2009 – 2009  /  0048(COD)], ABlEG C 285E v. 21.10.2010, S. 128. 657  Entschließung des Europäischen Parlaments v. 23.09.2008 mit Empfehlungen an die Kommission zur Anpassung von Rechtsakten an den neuen Komitologiebeschluss [2008 / 2096(INI)], ABlEG C 8E v. 14.01.2010, S. 22.



D. Bedeutung der Komitologie141

„delegierten Europäischen Verordnung“ hätte eine solche Gleichstellung weitestgehend realisiert.658 Gemessen daran war der Komitologiebeschluss 2006 nur die zweite Wahl. Ohne eine Vertragsänderung konnte auch eine Überarbeitung des Komitologiesystems nicht so umfassend vorgenommen werden, wie es noch im Verfassungsvertrag vorgesehen war, denn Art. 202, 3. Sp. EG statuierte, dass lediglich der Rat der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen konnte. Gleichwohl gelang es in der schwierigen Phase nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags mit dem Komitologiebeschluss 2006, die jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen Rat und Parlament zu beenden. Zum ersten Mal war das Parlament effektiv am Komitologieverfahren beteiligt. Der Komitologiebeschluss 2006 war somit ein Beispiel für die Weiterentwicklung der institutionellen Struktur ohne Vertragsänderung. Die beständige Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens machte jedoch eine Vertragsänderung für den Bereich der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission unumgänglich. Die vermehrte Einbeziehung des Europäischen Parlaments bei der Kontrolle von Durchführungsmaßnahmen steigerte nicht nur die demokratische Legitimität von Durchführungsmaßnahmen, sondern auch die politische Akzeptanz der Komitologie durch das Parlament.659 Das eigentliche Ziel des Parlaments, eine völlige Gleichstellung mit dem Rat bei der Kontrolle von (quasi-)legislativen Kommissionsmaßnahmen, verwirklichte sich aber erst drei Jahre später mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009.660

D. Bedeutung der Komitologie Die enorme Bedeutung der Komitologie für den europäischen Rechtsetzungsprozess ließ sich schon anhand der Anzahl der Ausschüsse661 ablesen, die zum Einsatz kamen. Im Jahr 2009 vereinten die Bereiche Verkehr und Energie (39), Unternehmen und Industrie (39), Umwelt (36), Justiz, Freiheit und Sicherheit (24) und Gesundheit und Verbraucherschutz (16) mit 154 der insgesamt 266 Ausschüsse mehr als die Hälfte aller Ausschüsse auf sich.662 658  Siehe dazu schon Teil 1 D. IV. 2. Siehe zu den Unterschieden zwischen dem Komitologiebeschluss von 2006 und dem im Verfassungsvertrag vorgesehenen Konzept McDonnell, in: FS Bieber, 2007, S. 372 (384 f.). 659  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 255. 660  Siehe dazu ausführlich Teil 3 A. 661  Ein Ausschuss war in aller Regel nicht nur auf ein Entscheidungsverfahren begrenzt, sondern konnte abhängig von den anstehenden Aufgaben auch nach verschiedenen Verfahren arbeiten, Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  /  Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 93. 662  Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 5. Siehe für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Die Gesamtzahl der von den Ausschüssen im Jahr 2009 abgegebenen Stellungnahmen betrug 2.091 (gegenüber 2.185 im Vorjahr). Die Kommission erließ daraufhin 1.808 Durchführungsmaßnahmen (gegenüber 2.022 im Jahr 2008).663 Die Anzahl der in diesem Zeitraum erlassenen Durchführungsmaßnahmen, die im Regelungsverfahren mit Kontrolle zustande kamen, belief sich auf 131.664 Über diese rein quantitative Bedeutung hinaus haben die Ausschüsse einen immensen politischen Einfluss, schließlich sind sie das Kontrollinstrument des Rats bzw. der Mitgliedstaaten gegenüber der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission. Die im Rahmen der Komitologie erlassenen Durchführungsrechtsakte bestimmen die Wirkung der Basisrechtsakte entscheidend. Der große Einfluss des Rats bzw. der Mitgliedstaaten war vielfach der Anlass zur Kritik an der Komitologie.665 Allerdings wird die alleinige Reduzierung der Komitologie auf ein Kontrollsystem der Mitgliedstaaten den tatsächlichen Vorgängen in den Komitologiegremien nicht gerecht. Dies belegen auch Statistiken, wonach 90 Prozent aller Stellungnahmen zugunsten des Kommissionsentwurfs ergehen.666 Zu einer Befassung des Rats mit der Materie kommt es in den Fällen positiver Stellungnahmen der Ausschüsse dann nicht mehr. Ein Blick auf den Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse für das Jahr 2009 zeigt zudem, dass das Parlament im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle in nur einem Fall sein Veto gegen einen Durchführungsrechtsakt der Kommission eingelegt hat.667 Im Jahr 2008 lehnten Rat und Parlament lediglich sieben Durchführungsmaßnahmen ab.668 Dies ist für manche Autoren ein Indiz, dass die Ausschussdebatten in der Praxis weniger von der Konfrontation Kommis­ Vertrags von Lissabon und der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685), endg. 663  Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 7. 664  Ebd. 665  Siehe bereits Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (544). 666  Siehe Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No.  1, 1 (4); Pedler / Bradley, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 235 (245); Mensching, EuZW 2000, 268 (269 Fn. 13); Demmke, Eipascope 1998, 14 (15). 667  Siehe Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 7 f. Im Jahr 2011 wurde von diesem Vetorrecht in nur zwei Fällen Gebrauch gemacht, vgl. Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685) endg., S. 14. 668  Siehe Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahre 2009, KOM 2010 (354) endg., S. 8.



D. Bedeutung der Komitologie143

sion gegen Mitgliedstaaten gekennzeichnet seien, als von dem Corpsgeist, der die nationalen und europäischen Fachbeamten eine.669 Andere Stimmen in der Literatur sehen in dem konsensorientierten Verhalten der Kommission eine selbst auferlegte Zensur.670 Ferner weist die Kommission in einer Erklärung zum Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG darauf hin, dass sie stets bestrebt sei, einen befriedigenden Beschluss herbeizuführen, der im Ausschuss größtmögliche Unterstützung findet.671 Um dies zu gewährleisten, informiert die Kommission die Ausschüsse über eine geplante Durchführungsmaßnahme schon frühzeitig in einem Stadium, in dem die Einschaltung noch nicht rechtlich verpflichtend ist, antizipiert so die Widerstände der Ausschüsse und gleicht ihre Vorschläge an die Vorstellungen der Ausschussmitglieder an.672 Die Annahme einer Selbstzensur der Kommission liegt somit nicht fern.673 Gleichwohl nimmt die Kommission eine Schlüsselstellung im Komitologiesystem ein. Schließlich ist sie permanent – im Gegensatz zu den nationalen Beamten – auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene tätig und verfügt somit gegenüber den mitgliedstaatlichen Vertretern über einen Informationsvorsprung.674 Ferner nimmt ein Vertreter der Kommission in allen Ausschüssen zwingend den Vorsitz ein. Er kann somit trotz fehlender Abstimmungsberechtigung entscheidend auf das Arbeitsprogramm und die Abstimmungen einwirken.675 Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Kommission ihrerseits durch die Zusammenarbeit mit nationalen Beamten und 669  Schmitt v. Sydow, in: v. der Groeben  / Schwarze (Hrsg.), EUV a. F. / EGV IV, 6. Aufl. (2004), Art. 211 EG Rn. 98. 670  So auch Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2009, S. 3; Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Demmke, Eipascope 1998, 14 (15); ähnlich Bruha / Münch, NJW 1987, 542 (545). 671  Erklärungen zum Beschluss 1999 / 468 / EG des Rates v. 28.06.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABlEG C 203 v. 17.07.1999, S. 1. 672  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 46; Bergström, Comitology, 2005 (Nachdruck 2008), S. 24; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann / Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäi­sche Verwaltungsverbund – Formen und Verfahren der Verwaltungszusammenarbeit in der EU, 2005, S. 1 (18). 673  A. A. Mensching, EuZW 2000, 268 (269). 674  Riedel, EuR 2006, 512 (528); Neuhold, Das Europäi­sche Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäi­schen Union, 2000, S. 197; Joerges / Neyer, ELJ 1997, 273 (290). 675  Riedel, EuR 2006, 512 (528); Dehousse, Journal of European Public Policy 2003, 798 (802); Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­ schen Union, 2000, S. 43 (73); Bücker / Joerges / Neyer / Schlacke, in: T. König / Rieger / Schmitt (Hrsg.), Europäi­sche Institutionenpolitik, 1997, S. 289 (300 f.); Neyer, integration 1997, 24 (39); Falke / Winter, in: Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996, S. 541 (548).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Sachverständigen ihre Defizite im technisch-wissenschaftlichen Bereich ausgleicht.676 Insofern erzeugt das Komitologiesystem nicht nur Vorteile zugunsten des Rats. Roller führt darüber hinaus als weiteren Grund für den Nutzen der Komitologie an, dass es den „politischen Akteuren im Rat nur deshalb [gelinge], einen Kompromiss zu finden, weil wesentliche ‚Detailfragen‘ auf die Durchführungsebene verlagert werden, die lediglich scheinbar einen technischen Charakter haben, in Wahrheit aber weitreichende politische Implikationen aufweisen“677. Dieser dem Wesen der Komitologie immanente Nutzen darf aber nicht den Blick auf die Problematik des institutionellen Gleichgewichts zwischen Rat, Parlament und Kommission versperren. So wird dem Komitologieverfahren von vielen Rechts- und Politikwissenschaftlern vorgeworfen, nicht hinreichend demokratisch legitimiert zu sein, weil die „abgeleitete Rechtsetzung“ faktisch eine zweite Runde der Gesetzgebung eröffne und die Ausschüsse damit als Quasi-Gesetzgeber agierten.678 Dieses Argument kann jedoch dann entkräftet werden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Ausschüsse keine rechtsetzende Tätigkeit ausüben.679 Sie geben lediglich Stellungnahmen zu den Entwürfen der Kommission ab, welche gemäß Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG zur Rechtsetzung befugt ist. Diese Beratungs- und Stellungnahmefunktion der Ausschüsse hat keinen eigenen rechtsetzenden Charakter, der der Gemeinschaft oder den Mitgliedstaaten zuzurechnen wäre, und die Ausschüsse

676  Die Ausschüsse sind „Orte gebündelten Sachverstandes“, so Roller, KritV 2003, 249 (251); ähnlich Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 25; siehe auch Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (715) und EuGH, Urt. v. 25.01.1994 – Rs. C‑212  /  91, Slg. 1994, I-171  ff., Rn.  31  ff. – Angelopharm GmbH / Freie Hansestadt Hamburg: „Wie u. a. aus den Begründungserwägungen der Richtlinien 76 / 768, 82 / 368 und 90 / 121 hervorgeht, beruhen die Ausarbeitung und die Anpassung der Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der kosmetischen Mittel auf wissenschaftlichen und technischen Beurteilungen, die sich auf die neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung stützen müssen und oft komplexer Natur sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob ein Stoff gesundheitsgefährdend ist oder nicht. Wie die Kommission aber vor dem Gerichtshof selbst eingeräumt hat, ist sie nicht in der Lage, diese Beurteilungen selbst vorzunehmen“. (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 677  Roller, KritV 2003, 249 (251). 678  Siehe z. B. Winter, EuR 2005, 255 (268); Demmke, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in EC, 2000, S. 279 (281). Siehe zum Problem der demokratischen Legitimation der Ausschüsse auch Raschauer, Aktuelle Strukturprobleme des europäischen und österreichischen Bankenaufsichtsrechts, 2010, S. 349 ff.; Toeller / H. Hofmann, in: Andenas / Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000, S. 25 ff.; Schaefer, in: Pedler / Schaefer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy: The Role of Committees and Comitology in the Political Process, 1996, S. 3 (23). 679  Schütze, The Modern Law Review 2011, 661 (676 f.).



D. Bedeutung der Komitologie145

nehmen – gemessen an dem gesamten Ablauf der Durchführungsrechtsetzung – nur eine untergeordnete, beratende Rolle ein.680 Die Abschaffung der Komitologie stellt daher trotz der schon erwähnten Kritikpunkte keine Option dar.681 Ansonsten müsste die Europäi­sche Union entweder eigene Verwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten errichten oder die Differenzen, die bei der Umsetzung der europäischen Politiken in den mitgliedstaatlichen Verwaltungen entstehen, in Kauf nehmen. Ersteres würde einen erheblichen Anstieg der Verwaltungskosten bedeuten und hätte zudem einen Machtzuwachs der europäischen Ebene, insbesondere der Kommission zur Folge.682 Die zweite Alternative würde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der europäischen Bürger mit sich bringen. Die Komitologie vermeidet die genannten Probleme, indem sie eine zwingende Beteiligung der mitgliedstaatlichen Vertreter im Prozess der Durchführungsrechtsetzung vorsieht. Ferner wird der Machtzuwachs der Kommission dadurch limitiert, dass sie von den Vertretern der Mitgliedstaaten beraten und kontrolliert wird. Die Einbeziehung der nationalen Verwaltungsebene in den Prozess der Durchführungsrechtsetzung gewährleistet eine weitgehend einheitliche Umsetzung des europäischen Rechts innerhalb der Mitgliedstaaten (Vollzugsfreundlichkeit aufgrund vorheriger Beteili­ gung).683 Auf diese Weise kommt es nicht zu Doppelstrukturen und die Kommission benötigt im Verhältnis zu ihren Aufgaben nur relativ geringe Haushaltsmittel und Personalstellen.684 Zudem erhöht die Berücksichtigung von mitgliedstaatlichen Besonderheiten die Akzeptanz der Komitologie und verhindert starke regionale Gefälle bei der Anwendung europäischer Basisrechtsakte.685 Riedel spricht insofern von einer „Übersetzungsaufgabe“ des

680  So Raschauer, Aktuelle Strukturprobleme des europäischen und österreichischen Bankenaufsichtsrechts, 2010, S. 351. 681  So auch Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (53); Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 45; Vos / Wendler, in: Vos / Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 (129); zu den Alternativen siehe Demmke, Eipascope 1998, 14 (21). 682  Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 5. 683  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (52 f.); Fuhrmann, DÖV 2007, 464 (467); Winter, EuR 2005, 255 (257); Roller, KritV 2003, 249 (251); Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (663); Mensching, EuZW 2000, 268 (269); Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (715). 684  Riedel, EuR 2006, 512 (529); vgl. auch den Haushaltsplan der Kommission abrufbar unter: http: /  / eur-lex.europa.eu / budget / data / D2011 / DE / SEC03.pdf. 685  Vgl. D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 94; Härtel, Handbuch

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Komitologiewesens zwischen der Gemeinschaft bzw. Union und ihren Mitgliedstaaten.686 Ein etwas anderes Bild kommt allerdings u. a. im Lebensmittelbereich zum Vorschein.687 In dieser Domäne scheint durch die wachsende „Verwissenschaftlichung von Sicherheitsbestimmungen“ und die „Europäisierung der Wissenschaft“ der Einfluss der Mitgliedstaaten im Bereich der Durchführungsrechtsetzung zu schwinden.688 Auslöser für diese Entwicklung war der Ausbruch der BSE-Seuche Mitte der 1980er Jahre in Großbritannien und der Umgang einzelner Ausschüsse mit dieser Krise.689 Es wurden erhebliche Schwächen in der Struktur und Arbeitsweise dieser Ausschüsse deutlich. Ferner führte die Lebensmittelkrise zu einem Vertrauensverlust der Unionsbürger in die Leistungsfähigkeit der europäischen Institutionen.690 So wurde das im März 1996 verhängte, umfassende Exportverbot691 von Rindern und Erzeugnissen aus Rindern aus Großbritannien wegen des Risikos der Übertragung von BSE auf den Menschen im Juni 1996 nach einer Blockadehaltung Großbritanniens in den Gemeinschaftsorganen teilweise wieder aufgehoben.692 Die Kommission traf diese Entscheidung693 nach Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 25, 45; Riedel, EuR 2006, 512 (529); Demmke / Haibach, DÖV 1997, 710 (715). 686  Siehe Riedel, EuR 2006, 512 (529) und Möllers, EuR 2002, 483 (505) die ferner den Vergleich zum bundesdeutschen Verfassungsrecht, namentlich den allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Art. 84 Abs. 2 und 85 Abs. 2 GG ziehen. Ebenso Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S.  240 f. und Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1078) für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 687  Vgl. Vos, in: Ott  / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (53 ff.); Vos, in: Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 19 (30 ff.). 688  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (53). 689  Ausführlich dazu Vos / Wendler, in: Vos / Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 ff. 690  Siehe dazu auch Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­ sche Union, 2008, S. 231 (246 ff.); Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Instituionen, 2006, S. 441 f.; Krapohl, Journal of European Public Policy 2003, 189 (197 ff.); Vos, Journal of Consumer Policy 2000, 227 ff.; Rack / Gasser, EuZW 1998, 421. 691  Entscheidung 96 / 239 / EG der Kommission v. 27.03.1996 mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen, ABlEG L 78 v. 28.03.1996, S. 47. 692  Ausführlich Falke, in: Joerges  /  Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­schen Union, 2000, S. 43 (117 ff.). 693  Entscheidung 96  / 362 / EG der Kommission v. 06.06.1996 zur Änderung der Entscheidung 96 / 239 / EG mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enze-



D. Bedeutung der Komitologie147

Anhörung mehrerer Ausschüsse, u.  a. des Wissenschaftlichen Veterinär­ ausschusses694, nachdem der Ständige Veterinärausschuss695 zu dem Kommissionsvorschlag keine Stellungnahme696 abgegeben hatte und im Rat innerhalb der gesetzten Frist keine Zustimmung zu dieser Maßnahme mit qualifizierter Mehrheit erreicht wurde. Eine einfache Mehrheit im Rat zur Ablehnung des Kommissionsvorschlags über die Lockerung der Handelsrestriktionen konnte ebenfalls nicht erzielt werden. Folglich war die Kommission frei, selbst zu entscheiden (IIIb-Verfahren des Komitologiebeschlusses 87 / 373 / EWG).697 Sie gab letztendlich auch unter dem Druck der britischen Regierung nach und hob das Exportverbot für Rindersamen, Rindertalg und Rindergelantine wieder auf.698 Der am 17. Juli 1996 vom Europäi­ schen Parla­ ment eingesetzte Nichtständige Untersuchungsausschuss699 (Art. 193 EG; nunmehr Art. 226 AEUV) kritisierte, die Ausschüsse hätten nicht in neutraler und verantwortungsvoller Weise gehandelt. Hauptkritikpunkte waren vor allem die Besetzung des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses mit einem überproportional hohen Anteil an britischen Wissenschaftlern und der Umstand, dass die Kommission der Aufrechterhaltung des Rindfleischmarkts einen höheren Stellenwert beimaß als Gesundheits- und Konsumentenschutzinteressen.700 Ferner lagen dem Untersuchungsausschuss Beweise phalopathie zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen, ABlEG L 139 v. 12.06.1996, S. 17. 694  Beschluss 81 / 551 / EWG der Kommission v. 30.07.1981 zur Einsetzung eines Wissenschaftlichen Veterinärausschusses, ABlEWG L 233 v. 19.08.1981, S. 32. 695  Beschluss 68  / 361 / EWG des Rates v. 15.10.1968 über die Einsetzung eines Ständigen Veterinärausschusses, ABlEGW L 255 v. 18.10.1986, S. 23; siehe auch Krapohl, Journal of European Public Policy 2003, 189 (193 f.). 696  Dieser Beispielsfall macht auch deutlich, dass ein konsensorientierter Arbeitsstil der nationalen Delegationen in den Ausschüssen nicht funktioniert, wenn der Basisrechtsakt zu allgemein formuliert und das Regelungsziel kaum vorgegeben ist. In diesen Fällen werden von den Ausschüssen üblicherweise keine Stellungnahmen abgegeben, vgl. Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 13. 697  Siehe dazu schon Teil 2 C. 698  Falke, in: Joerges  /  Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­ schen ­Union, 2000, S. 43 (119); Rack / Gasser, EuZW 1998, 421 (422). 699  Bericht v. 07.02.1997 über behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bzw. Mißstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen und gemeinschaftlichen Gerichte, Nichtständiger Untersuchungsausschuß für BSE, Berichterstatter: Manuel Medina Ortega, A4-0020 / 97. Ausführlich zur Arbeit des Untersuchungsausschusses Chambers, in: Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S.  95 ff.; Rack / Gasser, EuZW 1998, 421 (422 ff.). 700  Augsberg, in: Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäi­ schen Union, 2011, § 6 Rn. 71; Schmidt-Aßmann, in: Schmidt-Aßmann / Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäi­sche Verwaltungsverbund – Formen und Verfahren der Verwal-

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

vor, die belegten, dass die Entscheidung zur Lockerung des Exportverbots bereits zwei Wochen vor der Vorlage verschiedener wissenschaftlicher Gutachten erfolgte. Die Entscheidung wurde also nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen, sondern erging unter wirtschaft­ lichem und politischem Druck durch das Vereinigte Königreich.701 Dieser als BSE-Krise bezeichnete Vorgang im Gemeinschaftsrecht, insbesondere im Bereich der Komitologie, hat in der post-BSE Ära zur Errichtung der Europäi­ schen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)702 im Jahr 2002 geführt.703 Die Aufgabe der EFSA besteht darin, eine effektive und zeitnahe Risikobewertung zu treffen und den Gesundheitsschutz der Verbraucher und die Sicherheit der Lebensmittel- und Futtermittelkette sicherzustellen.704 Dabei agiert die EFSA unabhängig von der Kommission, dem Europäi­schen Parlament und den Mitgliedstaaten, obwohl sie als europäische Behörde aus dem EU-Haushalt finanziert wird. In ihrer Eigenschaft als die für die Risikobewertung zuständige Stelle erarbeiten die wissenschaftlichen Gremien der EFSA, die aus unabhängigen Wissenschaftlern bestehen, Gutachten und Empfehlungen, um u. a. die Europäi­sche Kommission, das Europäi­sche Parlament und die EU-Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, effektive und rechtzeitige Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements zu treffen.705 Die Kommission kontaktiert mittlerweile die EFSA in vielen Bereichen des Lebensmittelrechts, bevor die geplante tungszusammenarbeit in der EU, 2005, S. 1 (19 f.); Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­ schen Union, 2000, S. 43 (119 f.); Rack / Gasser, EuZW 1998, 421 (423). 701  Bericht v. 07.02.1997 über behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bzw. Mißstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen und gemeinschaftlichen Gerichte, Nichtständiger Untersuchungsausschuß für BSE, Berichterstatter: Manuel Medina Ortega, A4-0020 / 97, Ziffer 5.17. 702  Die EFSA wurde durch die VO Nr. 178  / 2002 / EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäi­schen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABlEG L 31 vom 1.2.2002, S. 1 gegründet. Siehe zu dem verstärkten Einfluss von EG-Agenturen auf die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission Teil 2 E. I. und F. I. 703  Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (54); Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­sche Union, 2008, S. 231 (247 f.); Vos / Wendler, in: Vos / Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 (69 ff.); Majone, ELJ 2002, 319 (328 ff.). 704  Siehe zu den Aufgaben der EFSA Art. 22 VO Nr. 178 / 2002 / EG. 705  Kritisch zur Trennung zwischen Risikobewertung, vorgenommen von der EFSA, und dem hauptsächlich der Kommission unterstehenden Risikomanagement in der Union Vos / Wendler, in: Vos / Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 (119 ff., vgl. auch das Schaubild auf S. 73).



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie149

Kommissionsmaßnahme in die Komitologiephase eintritt.706 Die Arbeit der EFSA und anderer Regulierungsagenturen an der Schnittstelle zur Komitologie wird ausführlich im letzten Abschnitt F. (Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie und die Herausarbeitung der einzelfallbezogenen Durchführung als eigene dogmatische Kategorie der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG) dieses Kapitels erörtert.707

E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie Vor dem Hintergrund der bereits mehrfach angeführten Kritikpunkte – wie etwa der intransparenten Verfahrensstruktur und der mangelnden Beteiligung des Europäi­schen Parlaments – sind Reformen des Komitologiewesens erforderlich, die im Folgenden dargestellt werden. I. Die Einbeziehung von spezialisierten Agenturen in den Komitologieprozess Mit dem Ausbruch verheerender Tierseuchen – wie BSE – und den damit einhergehenden Lebensmittelkrisen wurde deutlich, dass die Risikoregulierung mittels des Komitologiesystems durch neue institutionelle Instrumente reformiert werden musste.708 Die BSE-Krise stellte die Neutralität der Veterinär- und Lebensmittelkomitologie zumindest in Hinblick auf ihre Präventions-, Risikobewertungs- und Risikomanagementfunktion in Frage.709 Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob die Einbeziehung von spezialisierten (Regulierungs‑)Einrichtungen in den Komitologieprozess die Effizienz der Risikoregulierung verstärken kann. Zuvor sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Gründung spezialisierter Verwaltungseinheiten schon zur damaligen Zeit keine neue Erscheinung im Recht der Europäi­ schen Gemeinschaft war, allerdings wurde die Schaffung von nicht in den Verträgen vorgesehenen Institutionen nur zögerlich vorangetrieben.710 Erst in den 706  So Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 (393); Vos, in: Ott / Vos (Hrsg.), Fifty Years of European Integration: Foundations and Perspectives, 2009, S. 31 (54). 707  Teil 2 F. I. 708  Wittinger, EuR 2008, 609 (618); Groenleer, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 156 (162); Moreiro González, ZEuS 2003, 561 (584). 709  Vos / Wendler, in: Vos  /  Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 (72 ff.); Dehousse, Journal of European Public Policy 2003, 798; Moreiro González, ZEuS 2003, 561 (584). 710  Gundel, in: Schulze  /  Zuleeg  /  Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 3 Rn. 26; Groenleer, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 156 (161 f.).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

1990er Jahren setzte eine systematische Gründungswelle ein.711 Für diese Art der rechtlich verselbständigten Verwaltungseinheiten hat sich der Oberbegriff der „Agentur“712 durchgesetzt. Zahlreiche ältere Agenturen agieren auch noch unter anderen Namen wie „Behörde“, „Amt“, „Zentrum“, „Stelle“ und „Stiftung“.713 Nach Ansicht der Kommission liegt der Vorteil von Agenturen „in ihrer Fähigkeit, sektorales hochgradig technisches Know-how zu nutzen, der größeren Sichtbarkeit, die sie den betreffenden Sektoren (und manchmal der Öffentlichkeit) verleihen, und den Kosteneinsparungen, die sie der Wirtschaft bieten. Der Kommission gibt die Schaffung von Agenturen die Möglichkeit, sich stärker auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren“.714 711  Siehe zu den Gründen (u.  a. BSE-Krise) Groenleer, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 156 (163 ff.). Einen Überblick über die derzeit bestehenden Regulierungsagenturen liefert die Website der Europäi­schen Union, abrufbar unter: http: /  / europa.eu / agencies / index_de.htm. 712  Siehe zu den unterschiedlichen Arten von Agenturen (Exekutivagenturen und Regulierungsagenturen) Gaitanides, JÖR 2013, 213 (215); Saurer, EuR 2010, 51 (55 f.); Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S.  296  ff.; Groen­leer, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S.  156 (165 f.); Kilb, EuZW 2006, 268 ff.; T. Groß, EuR 2005, 54 (56 ff.); Winter, EuR 2005, 255 (257). Anders als die Exekutivagenturen sind die Regulierungsagenturen von der Kommission inhaltlich unabhängig. Sie stehen nicht unter der Kontrolle der Kommission und sind auch nicht zwangsläufig in Brüssel angesiedelt. Siehe auch VO Nr. 58 / 2003 / EG des Rates v. 19.12.2002 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden, ABlEG L 11 v. 16.01.2003, S. 1. Der Entwurf der Kommission für eine institutionelle Vereinbarung zur Festlegung von Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen KOM 2005 (59) endg. wurde demgegenüber 2009 von der Kommission zurückgenommen, nachdem offenbar mit dem Rat hierüber kein Konsens erzielt werden konnte, ABlEU C 71 v. 25.03.2009, S. 17. Siehe dazu Gundel, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 3 Rn. 43. Mitte 2012 haben sich jedoch das Europäi­sche Parlament, der Rat und die Kommission auf einen gemeinsamen Ansatz für den Umgang mit den Regulierungsagenturen geeinigt. Der Text der gemeinsamen Erklärung und des gemeinsamen Ansatzes ist abrufbar unter: http: /  / ec.europa.eu / commission_2010-2014 / sefcovic / headlines /  news / 2012 / 07 / 2012_07_17_joint_agreement_agencies_de.htm; siehe dazu auch Šefčovič, EuZW 2012, 801 f. 713  Kilb, EuZW 2006, 268; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäi­schen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 40. Siehe zu der hier nicht näher besprochenen primärrechtlichen Kompetenz zur Gründung von Agenturen Kirste, VerwArch 2011, 268 (271 ff.); Saurer, EuR 2010, 51 (53); Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäi­schen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 137 ff. 714  Europäi­ sches Regieren. Ein Weissbuch, KOM 2001 (428) endg. S. 22; a. A. Demmke, Eipascope 1998, 14 (21). Zu den Vorteilen siehe auch Wittinger, EuR 2008, 609 (618).



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie151

Trotz der Agenturgründungswellen in den 1990er und 2000er Jahren ist die Frage, in welchem Umfang Rat und Kommission Aufgaben und Befugnisse auf europäische Agenturen delegieren dürfen, nach wie vor umstritten.715 Vor allem die Übernahme der Anforderungen der Meroni-Rechtsprechung716 bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Übertragung von Befugnissen auf Regulierungsagenturen wird von der Literatur und der Rechtspraxis immer wieder kritisiert und hinterfragt:717 In den Meroni-Urteilen stellte der EuGH strenge Voraussetzungen für die Delegation von Befugnissen auf vertragsfremde, nachgeordnete Gemeinschaftseinrichtungen auf und begründete dies mit der andernfalls drohenden Verletzung des institutionellen Gleichgewichts.718 So konnte die Kommission die ihr durch den Vertrag auferlegten Aufgaben, wie die Befugnis zum Erlass von Durchführungsbestimmungen gemäß Art. 202, 3. Sp. EG, nicht delegieren.719 Danach durften nur genau umgrenzte Entscheidungskompetenzen, deren Ausübung von der Kommission in vollem Umfang beaufsichtigt werden musste, an die Regulierungsagenturen weitergegeben werden.720 In formeller Hinsicht bedurfte 715  Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S.  72 ff.; Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (81 ff.); Saurer, EuR 2010, 51; Gundel, EuR 2009, 383 (384), der in Fn. 11 darauf hinweist, dass die Gemeinschaft nunmehr über Agenturen mit Entscheidungsfunktionen verfüge (z. B. das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt), deren Reichweite mit einer strikten Lesart der Meroni-Rechtsprechung nicht vereinbar sei. Ausführlich zur Übertragung von Kompetenzen auf vertragsfremde Einrichtungen Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäi­schen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 145 ff. 716  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  /  56, Slg. 1958, 11 ff. und Rs. 10  /  56, Slg. 1958, 53 ff. – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäi­ schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. In neuerer Zeit bekräftigt durch EuGH, Urt. v. 12.07.2005 – verb. Rs. C-154 / 04 und C-155 / 04, Slg. 2005, I-6451 ff., Rn. 90 – The Queen, auf Antrag von Alliance for Natural Health und Nutri-Link Ltd / Secretary of State for Health (C-154 / 04) und The Queen, auf Antrag von National Association of Health Stores u. a. / Secretary of ­State for Health u. a. (C-155 / 04). Siehe zur Meroni-Rechtsprechung ausführlich Teil 1 B. I. 2. 717  So bei Ludwigs, DVBl. 2011, 61 (65 f.); Saurer, EuR 2010, 51 (53) m. w. N.; Görisch, Demokratische Verwaltung durch Unionsagenturen, 2009, S. 371 f.; Dougan, CML Rev. 2008, 617 (651); Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­sche Union, 2008, S. 231 (234). 718  Siehe ausführlich Teil 1 B. I. 2. und C. I. 1. a). 719  Ausführlich Winter, EuR 2005, 255 (263); Hummer, in: FS Fischer, 2004, S.  121 (154 ff.). 720  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  / 56, Slg. 1958, 11 ff. (44) und Rs. 10 / 56, Slg. 1958, 53 ff. (81 f.) – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice  /  Hohe Behörde der Europäi­ schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

es zudem eines sekundärrechtlichen Rechtsakts für die Aufgabenübertra­ gung,721 der meist als Verordnung des Rats erging. Trotz dieser strengen Voraussetzungen kontaktiert die Kommission die Agenturen vermehrt im Vorfeld ihrer Rechtsetzungstätigkeit.722 So erarbeitet beispielsweise die EFSA als zuständige Stelle für die Risikobewertung im Lebensmittelbereich wissenschaftliche Gutachten und Empfehlungen, die der Kommission und den Ausschüssen als Grundlage für eine effektive und rechtzeitige Entscheidung im Bereich des Risikomanagements dienen.723 Diese Gutachten sind jedoch weder für die Kommission noch für die Komitologieausschüsse verbindlich.724 Der Kommission (i. V. m. den Komitologieausschüssen) kommt folglich auch die Letztentscheidungskompetenz über geplante Durchführungsbestimmungen zu.725 Insofern ist es auch die Kommission, die die Verantwortung für die Entscheidung gegenüber Dritten trägt.726 Befugnisse zur abstrakt-generellen Rechtsetzung hat aber bisher noch keine europäische Agentur erhalten.727 Hierzu bedürfte es einer expliziten primärrechtlichen Ermächtigung,728 die den europäischen Agenturen bislang nicht zugestanden wurde.729 Die Kommission formulierte in ihrer Mitteilung an das Parlament und den Rat zu den möglichen Perspektiven europäischer Agenturen: „Den Agenturen dürfen keine Befugnisse zum Erlass allgemeiner Regulierungsmaßnahmen übertragen werden. Die Agenturen dürfen lediglich Einzelentschei721  Ebd.,

11 ff. (42).

722  Schroeder / Kostenzer,

EuR 2013, 389 (393); siehe dazu schon Teil 2 D. EuR 2010, 51 (55). 724  Aus Art. 114 Abs. 3 AEUV (ehemals Art. 95 Abs. 3 EG) ergibt sich jedoch, dass die Unionsorgane vor Erlass einer Risikomanagementmaßnahme verpflichtet sind, die Ergebnisse der Risikobewertung zu berücksichtigen. Wollen sich die Unionsorgane den wissenschaftlichen Bewertungen nicht anschließen, müssen sie ­ diese Entscheidung in nachvollziehbarer Weise begründen, siehe EuG, Urt. v. 11.09.2002 – Rs. T-13  /  99, Slg. 2002, II-3305, Rn. 199 – Pfizer Animal Health SA / Rat der Europäi­schen Union; Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 (401). 725  Wittinger, EuR 2008, 609 (625). 726  Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 298. 727  Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1083); Saurer, EuR 2010, 51 (55). Die meisten Agenturen sind nach wie vor mit Aufgaben des Informationsaustausches und der Koordination beauftragt (Unterstützungsaufgaben). Allerdings gibt es Agenturen, denen Entscheidungsfunktionen, also der Erlass von Rechtsakten, die im Verhältnis zu Dritten verbindlich sind, eingeräumt werden. Siehe Beispiele dazu bei Gaitanides, JÖR 2013, 213 (214 ff.), Kirste, VerwArch 2011, 268 (277 f.) und H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (501). 728  Görisch, Demokratische Verwaltung durch Unionsagenturen, 2009, S. 387. 729  Im Teil 3 wird dieser Punkt wieder aufgegriffen und untersucht, ob das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon daran etwas geändert hat, siehe Teil 3 B. V. 2. e). 723  Saurer,



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie153 dungen in spezifischen Bereichen, die eine genau definierte technische Sachkenntnis erfordern, treffen und verfügen über keine wirkliche Ermessensbefugnis. Außerdem dürfen den Agenturen keine Befugnisse übertragen werden, die Zuständigkeiten berühren könnten, die nach Maßgabe des EG-Vertrags ausdrücklich der Kommission vorbehalten sind (wie das Tätigwerden als Hüterin der Verträge).“730

Abschließend ist festzuhalten, dass die Einbeziehung von Agenturen in den Rechtsetzungsprozess aufgrund des Vorteils der unabhängigen, effektiven und zeitnahen Risikobewertung in Teilbereichen durchaus üblich war.731 Dabei handelte es sich aber eher um eine sektorale Besonderheit – insbesondere im gefahrträchtigen Produktzulassungsrecht – und nicht um eine institutionalisierte Verfahrensweise. Zudem besaßen die Agenturen keine echten Entscheidungskompetenzen im Rechtsetzungsprozess. Die Einbeziehung der Agenturen erfolgte lediglich im Vorfeld des eigentlichen Entscheidungsprozesses, indem die Stellungnahmen und Gutachten der Agenturen als Entscheidungsgrundlage für die Kommission und die Ausschüsse im Komitologieverfahren dienten. Fraglich ist, ob sich an diesem Ergebnis etwas durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geändert hat. Diese Frage wird im dritten Kapitel wieder aufgegriffen und beantwortet.732 II. Steigerung der Transparenz Lange Zeit galt es als ein äußerst schwieriges Unterfangen, Einblicke in den Bereich der Komitologie zu erhalten, zumal die Ausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten.733 Empirische Untersuchungen hinsichtlich der Gesamtzahl der Ausschüsse wichen stark voneinander ab.734 Im Verlauf der „Geschichte der Komitologie“ wurden jedoch mit jedem neuen Komitologiebeschluss und jeder interinstitutionellen Übereinkunft die Informationsrechte des Parlaments und der Öffentlichkeit etappenweise erhöht.735 Aufgrund der Einführung von Art. 7 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG musste das Parlament regelmäßig über die Arbeiten der Aus730  Mitteilung der Europäi­ schen Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat. Europäi­sche Agenturen – Mögliche Perspektiven, KOM 2008 (135), endg., S.  5 f. 731  Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 (393); Demmke, Eipascope 1998, 14 (21). 732  Teil 3 B. V. 2. e). 733  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 47 lehnt öffentliche Ausschusssitzungen ab, da nach ihrer Ansicht davon auszugehen sei, dass auf diese Weise keine wirklich offene Debatte stattfinden werde und nur schwerlich Kompromisse erzielt werden könnten. 734  Huster, Europapolitik aus dem Ausschuss, 2008, S. 45. 735  Ausführlich Szapiro, in: H. Hofmann  / Türk (Hrsg.), Legal Challenges in EU Administrative Law, 2009, S. 89 (92 f.); siehe auch Teil 2 C.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

schüsse unterrichtet werden und erhielt u. a. die „Tagesordnungen der Sitzungen, die den Ausschüssen vorgelegten Entwürfe für Maßnahmen zur Durchführung der gemäß Artikel 251 des Vertrags erlassenen Rechtsakte sowie die Abstimmungsergebnisse, die Kurzniederschriften über die Sitzungen und die Listen der Behörden und Stellen, denen die Personen angehören, die die Mitgliedstaaten in deren Auftrag vertreten“. Seit 2003 werden diese Dokumente auch in einem elektronischen Register736 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.737 Zudem erstellt die Kommission seit dem Jahr 2000 ausführliche Jahresberichte738 mit statistischen Angaben zur Arbeit der Komitologieausschüsse.739 In einer Erklärung zu Art. 7 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG verpflichtete sich die Kommission zudem, nachhaltige Transparenzmaßnahmen zu ergreifen, die eine zeitgleiche Unterrichtung des Parlaments über Entwürfe von Durchführungsmaßnahmen, die den Ausschüssen unterbreitet werden, gewährleisten.740 Zur Verbesserung der Funktionsweise des Registers der Komitologiedokumente wurden folgende Maßnahmen zugesagt: „[1]  eine klare Identifizierung der Dokumente, die Gegenstand desselben Verfahrens sind und die Änderungen der Durchführungsmaßnahmen in den einzelnen Verfahrensstadien betreffen, [2] die Angabe des Verfahrensstadiums und des Zeitplans, [3] eine eindeutige Unterscheidung zwischen dem Entwurf von Maßnahmen, der zeitgleich beim Europäi­schen Parlament und bei den Ausschussmitgliedern gemäß deren Informationsrecht eingeht, und dem endgültigen Entwurf, der 736  Das Register enthält gemäß Art. 7 Abs. 5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG bibliographische Hinweise zu allen Komitologiedokumenten, die dem Europäi­schen Parlament  übermittelt  werden,  abrufbar  unter:  http: /  / ec.europa.eu / transparency / reg comitology / index.cfm?. Das Register wird ergänzt durch einen Speicher, der direkten Zugang zu den Dokumenten ermöglicht, mit Ausnahme der Dokumente, die nach Art. 9 VO Nr. 1049  /  2001  /  EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 30.05.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäi­schen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABlEG L 145 v. 31.05.2001, S. 43 als sensibel, d. h. förmlich als „EU-VERTRAULICH“ bzw. „EU-GEHEIM“ und „EUSTRENG GEHEIM“, eingestuft werden. Siehe zum Antrag auf Zugang zu Schriftstücken der Kommission, die im Register nicht erscheinen, http: /  / ec.europa.eu / trans parency / regdoc / aide.cfm?page=aidedocuments&CL=de. Für den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten der Ausschüsse sind die für die Kommission geltenden Grundsätze und Bedingungen sowie die für sie geltenden Datenschutzvorschriften anwendbar, Art.  7 Abs.  2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG (nunmehr Art.  9 Abs.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU). 737  Art. 7 Abs. 5 und Abs. 4 S. 1 und S. 2 Komitologiebeschluss 1999  / 468 / EG (nunmehr Art.  10 Abs.  5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU). 738  http: /  / ec.europa.eu / transparency / regcomitology / index.cfm?do=Report.Report. 739  Art.  7 Abs.  4 S.  3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG (nunmehr Art.  10 Abs.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU). 740  In das Ratsprotokoll aufzunehmende Erklärungen vom 17. Juli 2006, ABlEG C 171 v. 22.07.2006, S. 21.



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie155 dem Europäi­ schen Parlament nach Stellungnahme des Ausschusses übermittelt wird und [4] eine eindeutige Identifizierung aller Änderungen an Dokumenten, die dem Europäi­schen Parlament bereits übermittelt wurden.“741

Diese Maßnahmen erlauben eine zeitnahe Überprüfung der Tätigkeit der Ausschüsse und fördern damit deren Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament,742 da die Ausschüsse nun nicht mehr – wie so oft angeprangert743 – vollständig „im Dunkeln“ agieren, sondern vielmehr einzelne Verfahrensstadien vom Parlament eindeutig identifiziert und nachvollzogen werden können und somit auch konkrete Rückfragen zu den von den Ausschüssen vorgenommenen Änderungen möglich sind. Gleichwohl besteht hier weiterhin Verbesserungsbedarf. Informationen über die Zusammensetzung der Ausschüsse und die namentliche Nennung der mitgliedstaatlichen Vertreter, das Abstimmungsverhalten der einzelnen Ausschussmitglieder und die Protokolle der Ausschusssitzungen sind nicht über das Register für die Öffentlichkeit zugänglich. Dies sollte jedoch zur Gewohnheit werden,744 schließlich beteiligen sich die Ausschüsse an dem europäischen Rechtsetzungsprozess. Auf diese Weise können nicht nur die Ausschüsse insgesamt, sondern auch die Vertreter der Mitgliedstaaten in den Komitologieausschüssen von den mitgliedstaatlichen Parlamenten und somit letztendlich auch von der interessierten Öffentlichkeit für das Mitwirken an Durchführungsmaßnahmen der Kommission kontrolliert und gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen werden.745 Unabhängig von der noch ungeklärten Frage, wie die Vertreter der Mitgliedstaaten in den Komitologieausschüssen bei einem bestimmten Abstim741  Vereinbarung zwischen dem Europäi­ schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006 / 512 / EG, ABlEG C 143 v. 10.06.2008, S. 1. 742  So auch Neuhold, Das Europäi­ sche Parlament im Rechtsetzungsprozess der Europäi­schen Union, 2000, S. 216. 743  Siehe dazu beispielsweise die plakative Wortwahl bei Dehousse, Journal of European Public Policy 2003, 798: „Comitology: who watches the watchman?“; Große Hüttmann, Gesellschaft Wirtschaft Politik, 2002, 187: „Unterwelt der Ausschüsse“; Lenaerts / Verhoeven, in: Joerges / Dehousse (Hrsg.), Good Governance in Europe’s Integrated Market, 2002, S. 35 (48): „twilight zone“; Bradley, CML Rev. 1992, 693: „Comitology and the Law: Through a Glass, Darkly“. 744  So auch Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund, 2011, S. 192; Lenaerts / Verhoeven, CML Rev. 2000, 645 (685). 745  So auch Neuhold, EIoP 2008, Vol. 12, No. 1, 1 (12); Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 47; ebenso Bericht v. 07.02.1997 über behauptete Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht bzw. Mißstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE, unbeschadet der Zuständigkeiten der nationalen und gemeinschaftlichen Gerichte, Nichtständiger Untersuchungsausschuß für BSE, Berichterstatter: Manuel Medina Ortega, A4-0020 / 97, A.II, Rn.  1.5.

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mungsverhalten von den nationalen Parlamenten zur Verantwortung gezogen werden könnten, würde ein Mehr an Transparenz die Akzeptanz für das System der Komitologie erhöhen und zum Teil auch zur Kompensation der eingeschränkten parlamentarischen Kontrolle beitragen. Denn anders als bei den Regierungsvertretern im Rat, die für ihre Entscheidungen vor dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Parlament Rechenschaft ablegen müssen, existiert eine solche parlamentarische Kontrollmöglichkeit gegenüber den mitgliedstaatlichen Vertretern in den Ausschüssen nicht.746 Diese unterstehen lediglich der Kontrolle und den Weisungen des ressortzuständigen Bundesministeriums, welches wiederum dem Bundestag verantwortlich ist. Noch schwieriger wird die Zuweisung von Verantwortlichkeiten, wenn in den Komitologieausschüssen nicht-ministeriale nationale Vertreter, wie z.  B. unabhängige Wissenschaftler, agieren. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurden einige der genannten Forderungen zur Verbesserung der Transparenz des Komitologiewesens erfüllt: Für den Bereich der Durchführungsrechtsetzung im Sinne von Art. 291 Abs. 2 AEUV haben das Europäi­sche Parlament und der Rat am 16. Februar 2011 in einer Verordnung allgemeine Regeln und Grundsätze festgelegt, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission nunmehr kontrollieren. Diese Komitologieverordnung legt in Art. 10 einen Katalog von Informationspflichten der Kommission fest, der über die Anforderungen des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG hinausgeht. Ob dieser erweiterte Katalog tatsächlich ein Mehr an Transparenz schafft, wird im dritten Kapitel im Rahmen einer kritischen Würdigung der Neuerungen der Komitologieverordnung Nr. 182 /  2011 / EU erörtert.747 III. Reduzierung der Verfahrensarten Mit dem Inkrafttreten des ersten Komitologiebeschlusses 1987 wurde die unübersichtliche Verfahrensvielfalt der Anfangsjahre des Ausschusswesens begrenzt, indem lediglich fünf Verfahren festgeschrieben wurden. Der zweite Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG schaffte die Varianten des Verwaltungs- und Regelungsverfahrens ab, so dass nur noch insgesamt drei verschiedene Verfahrensarten existierten. Mit der Reform des Komitologiesystems im Jahr 2006 wurde jedoch ein neues Verfahren, das Regelungsverfahren mit Kontrolle, eingeführt. Hinzu kommt, dass die nach den alten Komitologieverfahren eingesetzten Ausschüsse so lange fortbestehen, bis 746  Vgl.

Winter, EuR 2005, 255 (268). Teil 3 B. V. 2. d).

747  Siehe



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie157

der Basisrechtsakt seine Gültigkeit verliert bzw. abgeändert wurde.748 Zwar legte der Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG erstmals Kriterien zur Wahl der verschiedenen Verfahrensarten fest, verbindlich waren diese jedoch nicht. Folglich wurde auch mit der dritten Komitologiereform keine vereinfachte Ausschussstruktur mit allgemeingültigen Kriterien für die Anwendung der verschiedenen Verfahren geschaffen. Hinter den vier verschiedenen Verfahren zum Erlass von Durchführungsrechtsakten standen die Interessen der am Rechtsetzungsprozess beteiligten Akteure.749 Das Parlament bevorzugte das Beratungsverfahren und in Fällen, in denen es als Ko-Gesetzgeber tätig wurde, das Regelungsverfahren mit Kontrolle. Bei ersterem war der Einfluss der Mitgliedstaaten und des Rats auf die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission am geringsten und beim Regelungsverfahren mit Kontrolle hatte das Parlament unter bestimmten Voraussetzungen ein Vetorecht. Der Rat hingegen präferierte das „normale“ Regelungsverfahren mit der Möglichkeit des Rückfalls der Kompetenzen an ihn bei negativer oder fehlender Stellungnahme der Ausschüsse. Dieser Interessenkonflikt um das im Basisrechtsakt festzulegende Verfahren überlagerte oft die inhaltliche Auseinandersetzung mit der zu regelnden Materie und führte zu Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren.750 Die Reduzierung der Verfahrensarten und die Festlegung verbindlicher Kriterien zur Bestimmung des einschlägigen Ausschusstyps könnten derlei Konflikte vermeiden. So hätte die Beibehaltung lediglich des Beratungsverfahrens den Vorteil, dass es nicht zu einer Vermengung der Zuständigkeiten zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten kommt und Kompetenzverlagerungen verhindert.751 Die Abgrenzung zwischen mitgliedstaatlicher und europäischer Ebene und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeit werden auf diese Weise erleichtert.752 Ein weiterer Vorteil des Beratungsverfahrens liegt in dessen einfacher Entscheidungsstruktur. Aufgrund der Unverbindlichkeit der Stellungnahmen der Ausschüsse bleibt die Kommission flexibel und hat gleichwohl weiterhin Zugriff auf das Expertenwissen der Aus748  Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (45); Schusterschitz, in: Hummer / Ob­ wexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (234); Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 28. 749  Pedler / Bradley, in: Spence  /  Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 235 (259). 750  So Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662 (667). 751  Zu den Vorteilen des Beratungsverfahrens siehe Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 48; Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662 (667). 752  Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662 (667).

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schussmitglieder.753 Nachteilig wirkt sich dieses Verfahren allerdings auf die Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten aus. Diese können einen ihrer Meinung nach ungeeigneten und nicht durchführbaren Rechtsakt nicht mehr abwehren. Im schlimmsten Fall hätte dies zur Folge, dass die Kommission Belastungen der Mitgliedstaaten ignorieren könnte.754 Hiergegen wird jedoch eingewandt, der Rat (gegebenenfalls gemeinsam mit dem Parlament) könne dieses Szenario bereits im Gesetzgebungsverfahren verhindern, indem er im Basisrechtsakt bestimmte Voraussetzungen an die Delegation knüpft.755 Die zum 1. März 2011 in Kraft getretene Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU regelt nunmehr lediglich noch zwei Verfahrensarten, das Prüfverfahren und das schon bekannte Beratungsverfahren.756 Auf den ersten Blick wurden damit die Forderungen nach einer Reduzierung der Verfahrensarten und einer herausgehobenen Rolle des Beratungsverfahrens erfüllt. Im dritten Kapitel dieser Untersuchung wird sich zeigen, ob diese vierte Reform tatsächlich zu einem übersichtlicheren und vereinfachten Komitologiesystem geführt hat.757 IV. Stärkung des Europäi­schen Parlaments Art. 202, 3. Sp. EG sah vor, dass allein der Rat der Kommission die Befugnis zur Durchführung der Basisrechtsakte übertragen konnte. Aufgabe der Komitologieausschüsse war es wiederum, die Kommission bezüglich der Ausübung dieser Kompetenzen zu kontrollieren. Konsequenz dieser Zuständigkeitsverlagerung waren stetige Auseinandersetzungen über die Regelungstiefe der Basisrechtsakte.758 Der Rat präferierte möglichst generell formulierte Basisrechtsakte und eine umfangreiche Ermächtigung der Kommission, denn schließlich übernahmen die Mitgliedstaaten mittels der Komitologieausschüsse die nachfolgende Kontrolle von deren Rechtsetzungstätigkeit. Das Europäi­sche Parlament hingegen versuchte regelmäßig, eine möglichst detaillierte Regelung durchzusetzen, um eine großzügige Übertragung von Kompetenzen an die Kommission zu verhindern, so dass den Mitgliedstaaten und dem Rat wesentliche Teile der europäischen Ge753  Ebd. 754  Ebd.

755  Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 27; Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662 (667). 756  Siehe ausführlich zu den neuen Verfahren nach der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU Teil  3  B.  V.  1. 757  Siehe Teil 3 B. V. 2. a) und B. V. 2. b). 758  Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 662 (667).



E. Anforderungen an eine Reform der Komitologie159

setzgebung nicht in die Hände fielen.759 Dieser Konflikt führte in der Vergangenheit dazu, dass das Parlament inhaltlich unstrittige Gesetzesvorhaben blockierte, um seiner Forderung nach stärkerer Einbeziehung Nachdruck zu verleihen.760 Eine Übereinstimmung von legislativer Kompetenz und der Kompetenz zur Delegation von Durchführungsbestimmungen würde – so die Auffassung des Europäi­schen Parlaments761 – diesen „Showdown“ der Institutionen und den durch ihn verursachten ineffizienten Gesetzgebungsprozess vermeiden.762 Durch die mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eingeführten Änderungen im Unionsrecht erfährt das Europäi­sche Parlament eine Aufwertung im Bereich der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission. Zum einen erscheint im Vertragswortlaut des Art. 290 AEUV nunmehr auch das Parlament als Inhaber der Delegationskompetenz. Es ist gegenwärtig sowohl Inhaber der Gesetzgebungskompetenz als auch Inhaber der Delegationskompetenz.763 Zum anderen obliegt es nunmehr auch dem Parlament, gemeinsam mit dem Rat, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren eine Komitologieverordung zur Ausgestaltung der Kontrolle von Durchführungsrechtsakten der Kommission zu erlassen (Art. 291 Abs. 3 AEUV). Dieser Bestimmung sind die beiden Gesetzgebungsorgane mit der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU nachgekommen.764 Die Ausgestaltung der Kontrollrechte des Parlaments und des Rats nach der neuen Komitologieverordnung werden im dritten Kapitel erörtert.765 V. Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips Das in Art. 5 Abs. 2 EG (nunmehr Art. 5  Abs. 5  EUV und Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV) ausdrücklich anerkannte Subsidiaritätsprinzip sollte eine aus759  Ebd.

760  Das Parlament hat beispielsweise eine Telekommunikationsrichtlinie (Vorschlag für eine RL des Rates zur Einführung des offenen Netzzugangs (ONP) beim Sprachtelefondienst, KOM 1992 (247) endg., ABlEWG C 263 v. 12.10.1992, S. 20) abgelehnt, um seiner Kritik Nachdruck zu verleihen. 761  Siehe Entschließung des Europäi­schen Parlaments zu den mit Inkrafttreten des Vertrags über die Europäi­sche Union zu erwartenden Problemen mit dem Ausschusswesen v. 16.12.1993, A3-0417 / 93, ABlEG Nr. C 20 v. 24.01.1994, S. 176. 762  Knemeyer, Das Europäi­ sche Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 172. 763  Siehe dazu auch schon Teill 1 B. II. 764  Siehe dazu Teil 3 B. V. 765  Siehe Teil 3 B. V. 2. c). 760

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

ufernde Inanspruchnahme der Regelungsgewalt durch die Gemeinschaft unterbinden, sofern nicht eine ausschließliche Zuständigkeit vorlag.766 Während diesem Grundsatz im Bereich der Gesetzgebung eine zentrale Rolle beigemessen wurde und eine lebhafte, kritische Auseinandersetzung über den Nutzen des Subsidiaritätsprinzips als Kompetenzausübungsschranke entbrannte,767 erfuhr dieses Prinzip im Bereich der Komitologie kaum Beachtung.768 Art. 202, 3. Sp. EG sah lediglich vor, dass der Rat der Kommission die Kompetenzen zum Erlass von Durchführungsbestimmungen überträgt. Die Vorschrift regelte jedoch nicht, in welchen Fällen die Durchführung von Rechtsakten der Gemeinschaft den Mitgliedstaaten oblag. Erst mit dem 2006 eingeführten Regelungsverfahren mit Kontrolle wurde das Subsidiaritätprinzip für einen kleinen Teil des Komitologiesystems sekundärrechtlich ausdrücklich anerkannt. Dieses Verfahren gestattete es den beiden Gesetzgebungsorganen, Maßnahmen mit der Begründung, sie gingen über den Basisrechtsakt hinaus, seien mit dem Ziel und Inhalt des Rechtsakts nicht vereinbar oder verstießen gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, abzulehnen.769 Durch die Lissabonner Vertragsreform hat sich nicht nur die Definition des Subsidiaritätsprinzips geändert (vgl. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 EUV), es wurden zudem die nationalen Parlamente zum Hüter des Subsidiaritätsprinzips bestellt (vgl. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 EUV)770 und für den Bereich der Komitologie muss nunmehr ein Bedürfnis für europaweit einheitliche Durchführungsbestimmungen bestehen (vgl. Art. 291 Abs. 2 AEUV). Ferner statuiert Art. 291 Abs. 1 AEUV, dass grundsätzlich die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung der verbindlichen Unionsrechtsakte erforderlichen Maß766  Ausführlich zum Subsidiaritätsprinzip und zur Unzulänglichkeit desselben als Kompetenzausübungsregel Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 11 Rn. 23 ff.; Lienbacher, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. (2009), Art. 5 EG Rn. 15 ff.; Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV a. F. / EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 5 EG Rn. 19 ff.; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 4 Rn. 45 ff. 767  Siehe Hable, in: Hummer (Hrsg.), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten, 2010, S. 651 (658 ff.). Das Subsidiaritätsprinzip wurde z. B. als „für die Katz“ und „zahnlos“ bezeichnet, vgl. Mager, ZEuS 2003, 471 (477); Oppermann, DVBl. 2003, 1165 (1171). 768  Winter, EuR 2005, 255 (261); Möllers, EuR 2002, 483 (501). 769  Art.  5a Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG. 770  Siehe zu den hier nicht näher besprochenen Neuerungen des Art. 5 Abs. 3 EUV Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 184 ff.; Geiger, in: Geiger /  Khan / Kotzur (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl. (2010), Art. 5 EUV Rn. 5 ff.; Hable, in: Hummer (Hrsg.), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten, 2010, S.  651 (677  ff.); Langguth, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV / AEUV / GRCh, 6.  Aufl. (2012), Art.  5 EUV Rn.  16 ff.



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie161

nahmen nach innerstaatlichem Recht ergreifen. Art. 291 Abs. 1 AEUV ist daher offensichtlich vom Subsidiaritätsprinzip geprägt771 und stellt eine Spezialregelung im Verhältnis zu Art. 4 Abs. 3 EUV dar772. Insofern scheint der Vertrag von Lissabon dem Subsidiaritätsprinzip verstärkt Rechnung zu tragen. Die konkrete Ausgestaltung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Absätze 1 und 2 des Art. 291 AEUV wird im dritten Kapitel ausführlich erörtert.773

F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie und die Herausarbeitung der einzelfallbezogenen Durchführung als eigene dogmatische Kategorie der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG Insgesamt war in der Gemeinschaft die Tendenz abzulesen, dass bei gleichbleibendem Regelungsbedarf eine deutliche Mehrheit der Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts auf einer abgeleiteten Rechtsgrundlage erging,774 während sich die Anzahl der vertragsunmittelbaren Sekundärrechtsakte immer weiter reduzierte775. Dabei wurde die abgeleitete Durchführungsrechtsetzung eindeutig von der Kommission dominiert.776 Diese Entwicklung stieß überwiegend auf Kritik, vor allem deshalb, weil die Praxis gezeigt hatte, dass die Durchführungsrechtsetzung nicht nur Routineangelegenheiten oder technische Aspekte von untergeordneter Bedeutung betraf, sondern in regelmäßigen Abständen auch Entscheidungen in außerordentlich sensiblen Bereichen 771  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 205; Edenharter, DÖV 2011, 645 (648); Kahl, Der Staat 2011, 353; Sohn /  J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 11; Ruffert, EuR-Beiheft 1, 2009, 31 (45); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäi­schen Union, Kommentar I, 2006, Art. I-37 EVV Rn. 7. 772  So Sydow, JZ 2012, 157 (159); Kahl, Der Staat 2011, 353 (354); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 291 AEUV Rn. 3. 773  Siehe Teil 3 A. II. 2. 774  Siehe Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäi­sche Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (132); Bergström, Comitology, 2005 (Nachdruck 2008), S.  10 ff.; v. Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (140); Dehousse, in: ­Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 109 (112 ff.) mit entsprechendem Zahlenmaterial. 775  Knemeyer, Das Europäi­ sche Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003, S. 200; Dehousse, in: Joerges / Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999, S. 109 (114). 776  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 82; v.  Bogdandy / Bast / Arndt, ZaöRV 2002, 77 (140).

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getroffen wurden.777 Dazu zählte beispielsweise die teilweise Aufhebung des Exportverbots für Rindfleischprodukte aus Großbritannien während der BSEKrise in den 1990er Jahren.778 Aber auch die Festlegung scheinbar rein technischer Größen kann politisch bedeutsame Auswirkungen haben, wie u. a. das Glühlampenverbot nach der sog. Ökodesign-Richtlinie779 zeigt. Aus mitgliedstaatlicher Sicht tangiert insbesondere die europäische umwelt- und gesundheitsrelevante Risikoregulierung nationalstaatliche Belange.780 Dies zeigen nicht nur die zahlreichen Auseinandersetzungen um die Neuzulassung genetisch veränderter Organismen oder die BSE-Krise, welche die strukturellen Schwächen der Komitologie zu Tage gefördert haben, auch die NovelFood-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG781 und die Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG782 erhitzen die Gemüter und unterstreichen eindrucksvoll die Bedeutung der Durchführungsrechtsetzung. Der folgende Abschnitt soll daher u. a. die praktischen Auswirkungen von Durchführungsmaßnahmen aufzeigen und die Tragweite der Regelungsgebiete, die eine nähere Konkretisierung im Wege der Komitologieverfahren erfahren, verdeutlichen. Die genannten Beispielsfälle betreffen allesamt den Bereich der konkretindividuellen Verwaltungsentscheidungen der Kommission,783 die sich vom Idealfall der bisher untersuchten abstrakt-generellen Durchführungsrechts­ 777  Härtel,

Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 137. dazu Teil 2 D. 779  Siehe VO Nr. 244 / 2009 / EG der Kommission v. 18.03.2009 zur Durchführung der Richtlinie 2005 / 32 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung von Haushaltslampen mit ungebündeltem Licht, ABlEG L 76 v. 24.03.2009, S. 3, i. d. F. der VO Nr. 859 / 2009 / EG der Kommission v. 18.09.2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 244 / 2009 hinsichtlich der Anforderungen an die Ultraviolettstrahlung von Haushaltslampen mit ungebündeltem Licht, ABlEG L 247 v. 19.09.2009, S. 3. 780  Die Probleme der europäischen Risikoregulierung können im Rahmen dieser Untersuchung keine nähere Berücksichtigung finden. Siehe dazu die in jüngerer Zeit erschienene Literatur Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 ff.; M. Möller, Die Anwendbarkeit des europäischen und nationalen Gentechnikrechts auf genetisch veränderte Tiere, 2011, S. 231  ff.; Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­ sche Union, 2008, S. 231 ff.; Krapohl, Journal of European Public Policy 2003, 189 ff.; aus der älteren Literatur Neyer, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­schen Union, 2000, S. 257 ff.; Schlacke, Risikoentscheidungen im europäischen Lebensmittelrecht, 1998, S. 167 ff. 781  VO Nr. 258 / 97 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, ABlEG L 43 v. 14.02.1997, S.  1 (im Folgenden: Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG). 782  VO Nr. 1924  /  2006  /  EG über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel v. 20.12.2006, ABlEG L 12 v. 18.01.2007, S. 3 (im Folgenden: Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG). 783  Siehe dazu schon Teil 1 C. II. 778  Siehe



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akte der Kommission unterscheiden784. Weiterführende vertragsdogmatische Konsequenzen wurden aus dieser Unterscheidung bisher nur äußerst selten gezogen.785 Bis auf die BSE-Krise, deren Anteil an dem schlechten Ruf der Komitologie bereits an anderer Stelle erörtert wurde,786 unterfallen die übrigen Bereiche dem europäischen Produktzulassungsrecht. Das Konzept der Durchführung als Einzelmaßnahme soll daher im Folgenden anhand dieses Referenzgebietes herausgearbeitet werden.787 Nachdem zunächst die verschiedenen Erscheinungsformen einzelfallbezogener Durchführungsrechtsakte im Produktzulassungsverfahren aufgezeigt werden, erfolgt anschließend ein Vergleich mit dem Leitbild der Durchführung als abstrakt-generelle Rechtsetzung. Dabei wird deutlich, dass es sich bei den konkret-individuellen Durchführungsrechtsakten der Kommission um eine eigene Kategorie von Rechtsakten handelt. I. Das Konzept der Durchführung als Einzelfallmaßnahme am Beispiel der Europäi­schen Produktzulassungsentscheidungen Die Europäisierung des Produktzulassungsrechts, also die Verlagerung von typischen (Vollzugs-)Aufgaben der nationalen Behörden auf Gemeinschaftsebene (bzw. nunmehr Unionsebene), ist keine sektorale Besonderheit.788 Sowohl im Gentechnikrecht als auch im Arzneimittelrecht oder bei der Zulassung von neuartigen Lebensmitteln sind die rein nationalen Produktzulassungsverfahren den mehrstufigen Verwaltungsverfahren, in denen sowohl Organe oder Einrichtungen der Union als auch mitgliedstaatliche Behörden eingebunden sind, gewichen.789 Die Zulassungsverfahren zeichnen sich durch viele Gemeinsamkeiten aus. Dennoch gibt es auch einige Unterschiede, die sich vor allem im Zusammenhang mit staatsübergreifenden Anerkennungstechniken der Zulassungsentscheidung oder der prozessualen Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Behörden und Unionseinrichtungen zeigen.790 Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Zulassungsverfahren: die zentralen Zulassungsverfahren, welche sich hauptsächlich auf der 784  Siehe

dazu ausführlich Teil 1 C. I. aber z. B. bei Riedel, EuR 2006, 512 (530 ff.). 786  Siehe dazu Teil 2 D. 787  Die Gliederung dieses Abschnitts orientiert sich zum Teil an dem Beitrag von Riedel, EuR 2006, 512 (531 ff.). 788  Martel, ZEuS 2008, 601 (617); D. Groß, Produktzulassung von Novel Food, 2001, S. 175; ausführlich zur Genehmigung im Produktzulassungsrecht Wahl /  D. Groß, DVBl. 1998, 2 ff. 789  Shirvani, DVBl. 2011, 674. 790  So Riedel, EuR 2006, 512 (532); G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 126 ff. 785  So

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Unions­ ebene abspielen, und die dezentralen Zulassungsverfahren, welche vornehmlich von den nationalen Behörden bestritten werden.791 Die zentralen Zulassungsverfahren führen zu einer Ausdehnung der ­ nionsweiten Vollzugskompetenz von Verwaltungsentscheidungen. Damit ist u zugleich – in stärkerem Maße als bei den dezentralen Zulassungsverfahren – ein Eingriff in den Kernbereich mitgliedstaatlicher Befugnisse bei der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht (nunmehr Unionsrecht) verbunden.792 Gleichwohl lässt sich insbesondere im Gefahrstoffrecht eine Tendenz zur Regelung im Wege der zentralen Zulassungsverfahren ausmachen.793 Der Grund dafür besteht darin, dass diesen Produkten die Gefahr der Beeinträchtigung bedeutsamer Schutzgüter wie Leben, Gesundheit und Umwelt innewohnt und es bei einem unionsweiten Warenverkehr nicht möglich ist, die damit einhergehenden Risiken auf einen Mitgliedstaat zu begrenzen.794 Darüber hinaus verweigern bei diesen Produkten die nationalen Zulassungsbehörden oftmals die Anerkennung der Zulassungen anderer Mitgliedstaaten, da sie ansonsten die Verantwortung für die von ihnen nicht geprüften Produkte zu tragen hätten.795 Im Ergebnis entscheiden somit die nationalen Behörden über jeden Zulassungsantrag erneut und kommen dabei aufgrund unterschiedlicher Verwaltungsorganisation, abweichender Verfahrensbestimmungen und Verfahrenstraditionen sowie aufgrund einer unterschiedlichen Rechtsauslegung und -anwendung häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen.796 In einigen Bereichen wie beispielsweise der Zulassung von hoch innovativen Arzneimitteln oder der Zulassung von genetisch veränderten Lebensmitteln ist es gelungen, die Blockade der gegenseitigen Anerkennung durch die Einführung zentraler Zulassungsverfahren aufzuheben.797 In anderen Bereichen, wie der Novel791  Die Übergänge sind häufig fließend. Teilweise existieren auch Mischformen. Bei der Zulassung von Arzneimitteln nach der Humanarzneimittel-Richtlinie 2001  /  83  /  EG kann der Antragsteller beispielsweise zwischen dem zentralen (Art. 27 ff.) und dem dezentralen (Art. 17 ff.) Zulassungsverfahren wählen. Siehe dazu Teil 2 F. I. 1.; vgl. auch Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 157. 792  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 12. 793  Riedel, EuR 2006, 512 (534); Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 12, 26. 794  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 12. 795  So Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­ sche Union, 2008, S. 231 (239). 796  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 34. 797  So Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­ sche Union, 2008, S. 231 (239); siehe dazu noch ausführlich Teil 2 F. I. 2.



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie165

Food-Verordnung Nr. 258 / 97 / EG, dauert der politische Entscheidungsprozess über die Einführung strengerer zentraler Zulassungsverfahren mit einer einheitlichen Sicherheitsbewertung durch die EFSA und unter Wegfall der mitgliedstaatlichen Erstbewertung noch an.798 1. Dezentrale Zulassungsverfahren – überwiegende Verfahrensherrschaft der Mitgliedstaaten Mit den dezentralen Zulassungsverfahren lässt sich der Vollzug des europäischen Sekundärrechts unionsweit koordinieren,799 da hierbei die Zulassungsentscheidungen mit unionsweiter Wirkung im Vorfeld zwischen den Mitgliedstaaten im sog. Kooperationsverfahren abstimmt werden.800 Gelangen die Mitgliedstaaten im Kooperationsverfahren nicht zu einem einheit­ lichen positiven Ergebnis, wird das Verfahren auf die Gemeinschaftsebene (nunmehr Unionsebene) verlagert. Auf dieser Ebene erlässt die Kommis­ sion mit Unterstützung eines Komitologieausschusses eine verfahrensabschließende staatengerichtete Entscheidung, an welche die Mitgliedstaaten gebunden sind.801 Allerdings obliegt es den Mitgliedstaaten, eine außenwirksame Entscheidung gegenüber den Bürgern zu treffen. Auf diese Weise können nationale Besonderheiten im Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden.802 Im Folgenden wird die Ausgestaltung der dezentralen Zulassungsverfahren am Beispiel der Genehmigung zum Inverkehrbringen genetisch veränderter Organismen nach der sog. Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG803 und der Zulassung von Arzneimitteln nach der Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG804 erläutert. 798  Siehe

dazu Teil 2 F. I. 2. zum Zulassungsverfahren Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 146 ff. 800  Ebd. 801  Ebd., S. 150. 802  Ebd., S. 147. 803  RL 2001 / 18 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates vom 12.03.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90 / 220 / EWG des Rates – Erklärung der Kommission, ABlEG L 106 v. 17.04.2001, S. 1 (im Folgenden: Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG). Ausführlich zum Zulassungsverfahren Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 151 ff. und Schaubild auf S. 156. 804  RL 2001  / 83 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABlEG L 311 v. 28.11.2001, S. 67 (im Folgenden: Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG). 799  Ausführlich

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Die Verkehrsgenehmigung für genetisch veränderte Organismen805 (im Folgenden: GVO) – außerhalb geschlossener Systeme806 – setzt nach der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG zunächst die Anmeldung bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats voraus, in dem die GVO erstmals in den Verkehr gebracht werden sollen.807 Das Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen ist in den Art. 12 ff. Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG näher geregelt.808 Nachdem das Inverkehrbringen von GVO bei der nationalen Behörde angemeldet wurde, überprüft diese, ob die Anmeldung den Anforderungen der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG entspricht und erstellt einen positiven oder negativen Bewertungsbericht.809 Nach dieser Erstprüfung durch den Mitgliedstaat beginnt die Phase der übernationalen Konsultation und Koordination.810 In dieser Phase ist die Öffentlichkeit anzuhören.811 Nach Abschluss der Konsultationsphase, in der die zuständigen mitgliedstaat­ lichen Behörden und die Kommission Bemerkungen vorbringen oder begründete Einwände erheben sowie noch offene Fragen erörtern,812 kann die Behörde, die den negativen Bewertungsbericht erstellt hat, die Anmeldung des Produkts ablehnen.813 Diese Entscheidung ist zu begründen.814 805  Nach Art. 2 Nr. 2 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG ist ein genetisch veränderter Organismus „ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und / oder natürliche Rekombination nicht möglich ist“. 806  Zur Anwendung genetisch veränderter Organismen in geschlossenen Systemen siehe Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S. 227 f. und RL 2009 / 41 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 06.05.2009 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABlEG L 125 v. 21.05.2009, S. 75. 807  Art.  13 Abs.  1 UAbs.  1 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. Anschauliche Darstellung des Zulassungsverfahrens bei Temple Lang / Raftery, ELR 2011, 264 (265 f.) anhand eines aktuellen Falls zur Zulassung von genetisch modifiziertem Mais 1507 der Pioneer Hi-Bred International, Inc. Ausführlich zum Zulassungsverfahren Ittershagen / Runge, NVwZ 2003, 549 (550 ff.); Caspar, DVBl. 2002, 1437 (1438 f.). 808  Die Vorgaben für den Ablauf des Genehmigungsverfahrens in Deutschland ergeben sich aus einer Zusammenschau von § 16 GenTG und den Art. 14, 15 und 18 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG, auf die in § 16 Abs. 3 S. 2 HS 2 GenTG Bezug genommen wird. Ausführlich zum Genehmigungsverfahren in Deutschland Sinn / T. Groß, JuS 2011, 797 (799 ff.). 809  Art.  14 Abs.  1 und Abs.  2 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 810  Art.  14 Abs.  2, 2.  Sp. Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 811  Art.  9 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 812  Art.  15 Abs.  1 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 813  Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 130. Die ablehnende Entscheidung präjudiziert künftige Entscheidungen einer anderen mitgliedstaatlichen Behörde nicht, d. h. der Antragsteller (in



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie167

Liegt kein begründeter Einwand der Kommission oder eines anderen Mitgliedstaats im Falle eines positven Bewertungsberichts vor und konnten alle offenen Fragen geklärt werden, erteilt die Behörde, die den positiven Bewertungsbericht erlassen hat, die Zustimmung zum Inverkehrbingen der fraglichen GVO.815 Soweit allerdings Einwände gegen einen positiven Bewertungsbericht nicht aus dem Weg geräumt werden konnten, entscheidet die Kommission mit Unterstützung des zuständigen Komitologieausschusses abschließend im Regelungsverfahren über die Anmeldung der GVO.816 Die positive oder negative Entscheidung der Kommission ist für die federführende nationale Behörde verbindlich (Art. 249 Abs. 4 EG).817 Ist die Entscheidung negativ ausgefallen, muss die Behörde die Anmeldung ablehnen.818 Ist die Entscheidung der Kommission positiv ausgefallen, muss sie die Genehmigung zum Inverkehrbingen erteilen.819 Die Genehmigungserteilung bleibt damit formell den Mitgliedstaaten vorbehalten,820 hat aber ­unionsweite Auswirkung.821 Ein Mitgliedstaat darf grundsätzlich nicht von 814

der Terminologie der Richtlinie: der „Anmelder“) kann den fraglichen GVO bei einer anderen zuständigen Behörde wieder anmelden. Siehe dazu den 38. Erwägungsgrund der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG; Mechel / Prall, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 3. Aufl. (2010), § 11 Rn. 41; Calliess / Korte, DÖV 2006, 10 (17); Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 152. 814  Art. 15 Abs. 2 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. Die ablehnende Entscheidung entfaltet keine unionsweite Wirkung. In diesem Fall ist Rechtsschutz gegen die Versagung direkt bei den Gerichten des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnet. Allerdings kommt eine Verpflichtungsklage nicht in Betracht, da ein Verpflichtungsurteil das zwingend vorgeschriebene mehrphasige Zulassungsverfahren in den übrigen Mitgliedstaaten umgehen würde. Siehe zu den mitgliedstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem frühen Verfahrensstadium Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 192 f. 815  Art.  15 Abs.  3 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 816  Art.  18 Abs.  1 i. V. m. Art.  30 Abs.  2 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 817  Krämer / Winter, in: Schulze  /  Zuleeg  /  Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 26 Rn. 340; Riedel, EuR 2006, 512 (532); Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 131; siehe auch EuGH, Urt. v. 21.03.2010 – Rs. C-6 / 99, Slg. 2000, I-1651 ff., Rn. 47 – Association Greenpeace France u. a. / Ministère de l’Agriculture et de la Pêche u. a. 818  Shirvani, DVBl. 2011, 674 (679); Krämer / Winter, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 26 Rn. 340. 819  Art.  18 Abs.  2 Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG. 820  So Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 153 f. 821  Shirvani, DVBl. 2011, 674 (679); siehe auch § 14 Abs. 5 S. 1 GenTG: „Der Genehmigung des Inverkehrbringens durch die zuständige Bundesoberbehörde stehen Genehmigungen gleich, die von Behörden anderer Mitgliedstaaten der Europäi­

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

der positiven Kommissionsentscheidung abweichen.822 Dadurch soll vermieden werden, dass der Antragsteller in jedem Mitgliedstaat ein eigenes Zulassungsverfahren anstrengen muss.823 Dem Modell der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG folgt im Wesentlichen auch das dezentrale Zulassungsverfahren824 nach der Humanarzneimittel-Richtlinie 2001  /  83  /  EG. Der Unterschied zur Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG besteht jedoch darin, dass die nationale Behörde, die mit der Erstprüfung beauftragt wird, für ihr Hoheitsgebiet die Genehmigung zum Inverkehrbringen des Arzneimittels erteilen kann (Referenzzulassung durch einen Mitgliedstaat)825, ohne dass dadurch das weitere supranationale Anerkennungsverfahren betroffen ist.826 Erst wenn der Antragsteller die Erteilung einer Genehmigung in mehr als einem Mitgliedstaat begehrt, beginnt die übernationale Konsultationsphase827 (Verfahren zur Anerkennung der Referenzentscheidung)828. Liegt das Einverständnis der betroffenen Mitgliedstaaten vor, wird dieses vom Referenzmitgliedstaat festgestellt. Anschließend trifft jeder Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit dem Beurteilungsbericht des Referenzmitgliedstaats eine selbständige Entscheidung.829 schen Union oder anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäi­schen Wirtschaftsraum nach deren Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2001 / 18 / EG erteilt worden sind“. 822  Siehe Art. 23 i. V. m. 56. Erwägungsgrund Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG: „(56) Wird ein Produkt, das GVO als Produkte oder in Produkten enthält, in den Verkehr gebracht, und ist dieses Produkt nach dieser Richtlinie ordnungsgemäß zugelassen worden, so darf ein Mitgliedstaat die absichtliche Freisetzung von GVO als Produkte oder in Produkten, die den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht verbieten, einschränken oder behindern. Für den Fall einer Bedrohung der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt sollte ein Sicherheitsverfahren vorgesehen werden.“ 823  Shirvani, DVBl. 2011, 674 (679); Riedel, EuR 2006, 512 (532 f.). 824  Das zentrale Zulassungsverfahren für hoch innovative Arzneimittel ist geregelt in der VO Nr. 726 / 2004 / EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 31.03.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäi­ schen Arzneimittel-Agentur, ABlEG L 136 v. 30.04.2004, S. 1 (im Folgenden: VO Nr.  726 / 2004 / EG); siehe dazu Gehring / Kerler / Krapohl, in: Tömmel (Hrsg.), Die Europäi­ sche Union, 2008, S. 231 (239 ff.); ausführlich zum Zulassungsverfahren Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 158 ff. 825  So auch Riedel, EuR 2006, 512 (533 Fn. 141); Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 133 f.; G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 192 ff. 826  Art.  17 ff. Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 827  Art.  28 ff. Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 828  Shirvani, EuR 2011, 619 (623 ff.). 829  Art.  28 Abs.  4 S.  2 und Abs.  5 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG.



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Kann in dieser Phase dagegen keine Einigung erzielt werden (Divergenz­ bereinigungsphase)830, weil einer der betroffenen Mitgliedstaaten mit dem Inverkehrbringen des Arzneimittels aus Gründen einer potenziellen schwerwiegenden Gefahr nicht einverstanden ist,831 wird der Ausschuss für Arzneispezialitäten der Europäi­ schen Arzneimittel-Agentur832 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.833 Auf der Basis dieses Gutachtens – und da­rin besteht der zweite wesentliche Unterschied – erlässt die Kommission im Regelungsverfahren (Komitologieausschuss für Humanarzneimittel) ihre endgültige Entscheidung.834 Sie ist an die von der Angelegenheit betroffenen Mitgliedstaaten gerichtet835 und wird dem Antragsteller ebenfalls zur Kenntnisnahme übermittelt. Sodann müssen die Mitgliedstaaten, die am Divergenzsbereinigungsverfahren beteiligt waren, der Entscheidung entsprechen (z. B. die Genehmigung erteilen).836 Ähnlich wie die Bedenken eines Mitgliedstaats im Rahmen der Freisetzung von GVO nach der Freisetzungs-Richtlinie 2001  /  18  /  EG führt also auch hier die Verweigerung der Anerkennung durch andere Mitgliedstaaten zu einer Hochzonung des Zulassungsverfahrens auf die Unionsebene.837 2. Zentrale Zulassungsverfahren – Verfahrensherrschaft der Kommission Neben den besprochenen dezentral aufgebauten Zulassungsverfahren werden in jüngerer Zeit auch vermehrt zentralisierte Zulassungsverfahren angewandt.838 Es handelt sich dabei um Verfahrensformen, die in eine echte Unionsgenehmigung839, d. h. eine verfahrensabschließende Entscheidung der Kommission und nicht der mitgliedstaatlichen Behörden, münden.840 830  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 195 f.; Art.  29 Abs.  2 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 831  Art.  29 Abs.  1 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 832  Siehe Art. 5 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1 Nr. 1 lit. a VO Nr. 726 / 2004 / EG. 833  Art. 29 Abs. 4 i. V. m. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 834  Art. 34 Abs. 1 i. V. m. Art. 121 Abs. 2 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 835  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 196. 836  Art.  34 Abs.  1 und Abs.  3 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 837  So Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­ schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 135. 838  Riedel, EuR 2006, 512 (533). 839  Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind die hier untersuchten Verordnungen und Richtlinien des Produktzulassungsrechts Rechtsgrundlage für Unionsgenehmigungen. Art.  13 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU stellt inso-

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Im Unterschied zu den dezentralen Zulassungsverfahren sind bei der zweiten Kategorie die Kommission mit den Komitologieausschüssen sowie auch die zuständigen (Regulierungs-)Agenturen in stärkerem Maße involviert.841 Die Kommission als zentrale, supranationale Entscheidungsinstanz trifft unter Beteiligung der jeweils zuständigen Komitologieausschüsse die abschließende Entscheidung über das Zulassungsbegehren.842 Als weiterer Unterschied ist der Kommissionsentscheidung die vorherige Beurteilung der Zulassung durch eine europäische Agentur vorgeschaltet,843 deren Gutachten grundsätzlich keine inhaltliche Bindungswirkung für die Kommission entfaltet. Sie wird lediglich insoweit eingeschränkt, als sie ein Abweichen von der Stellungnahme der Agentur begründen muss.844 An dieser Stelle wird deutlich, dass das Produktzulassungsrecht einen wesentlichen Aufgabenschwerpunkt der Arbeit der europäischen Agenturen ausmacht.845 Im Folgenden werden zur Veranschaulichung zentralisierter Zulassungsverfahren die Zulassungsverfahren der Verordnung Nr. 1829 / 2003 / EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, der Verordnung Nr. 258  /  97  /  EG über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten und der Health Claims-Verordnung Nr. 1924  /  2006  /  EG überblicksartig dargestellt. Die genetisch veränderten Lebensmittel und Futtermittel unterliegen einem Genehmigungsvorbehalt. Danach darf niemand einen zur Verwendung als Lebensmittel bzw. einen in Lebensmitteln verwendeten genetisch veränderten Organismus in Verkehr bringen, wenn der Organismus oder das Le840

weit klar, welches Verfahren nach der neuen Komitologieverordnung zur Anwendung kommen soll, wenn die Basisrechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassen wurden, auf das Regelungsverfahren verweisen. Siehe dazu ausführlich Teil 3 B. V. 3. 840  Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 70; Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 164 spricht daher auch von einem gemeinschaftlichen Verwaltungsakt. 841  Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 219 ff.; D. Groß, Produktzulassung von Novel Food, 2001, S. 179. 842  Siehe Art.  10 Abs.  2 VO Nr.  726 / 2004 / EG. 843  Siehe Art.  10 Abs.  1 VO Nr.  726 / 2004 / EG; Art.  7 Abs.  1 VO Nr.  1829 / 2003 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 22.09.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABlEG L 268 v. 18.10.2003, S. 1 (im Folgenden: Verordnung Nr.  1829 / 2003 / EG); Art.  16 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 /  EG. 844  Siehe Art. 10 Abs. 1 UAbs. 3 VO Nr. 726 / 2004 / EG; Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO Nr.  1829 / 2003 / EG; Art.  17 Abs.  1 S.  2 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 845  Saurer, EuR 2010, 51 (55 f.); siehe dazu auch schon Teil 2 E. I.



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bensmittel nicht über eine gemäß den Vorgaben der Verordnung erteilte Zulassung verfügt und die entsprechenden Zulassungsvoraussetzungen erfüllt.846 Wie bei den dezentralen Zulassungsverfahren spaltet sich das Genehmigungsverfahren in verschiedene Verfahrensstadien auf. Zunächst – in der „nationalen Phase“ – ist der Zulassungsantrag bei der nationalen Behörde847 einzureichen, die ihn jedoch im Unterschied zu den dezentralen Verfahren lediglich an die EFSA (Europäi­sche Behörde für Lebensmittelsicherheit) mit allen vom Antragsteller gelieferten Informationen weiterleitet.848 Die EFSA wiederum übermittelt den Antrag und die bereitgestellten Informationen der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten.849 Die „Gemeinschaftsphase“ (bzw. nunmehr „Unionsphase“) ist geprägt von Untersuchungen der EFSA, beispielsweise ob die Unterlagen vollständig sind, ob das Lebensmittel keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch, Tier oder die Umwelt hat und die Verbraucher nicht irreführt.850 Anschließend bewertet sie die Risiken in einer Stellungnahme, die sie der Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Antragsteller übermittelt.851 Zu der Stellungnahme kann sich die Öffentlichkeit binnen 30 Tage nach Bekanntgabe äußern.852 Nach Erhalt der EFSA-Stellungnahme legt die Kommission dem Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit853 einen Entscheidungsentwurf vor. Stimmt der Entwurf nicht mit 846  Art.  4 Abs. 2 VO Nr. 1829  /  2003  /  EG; eine entsprechende Regelung sieht Art.  16 Abs.  2 VO Nr.  1829 / 2003 / EG für Futtermittel vor. 847  Der Zulassungsantrag für technologisch hochwertige Arzneimittel im zentralen Zulassungsverfahren ist demgegenüber direkt bei der Europäi­schen ArzneimittelAgentur einzureichen, Art.  4 Abs.  1 VO Nr.  726 / 2004 / EG. 848  Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a VO Nr. 1829 / 2003 / EG. 849  Art.  5 Abs.  2 lit.  b VO Nr.  1829 / 2003 / EG. 850  Art.  6 Abs.  3 VO Nr.  1829 / 2003 / EG. 851  Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 6 VO Nr. 1829 / 2003 / EG. 852  Art. 6 Abs. 7 VO Nr. 1829 / 2003 / EG; siehe für detaillierte Informationen zum Ablauf der Öffentlichkeitsbeteiligung den Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1829 / 2003 des Europäi­schen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, KOM 2006 (626) endg., Ziffer 2.1.3.: „Die Stellungnahmen sind an die Kommission zu richten. Um dies zu vereinfachen, hat die Kommission eine spezielle Seite auf dem der Verordnung gewidmeten Teil ihrer  Website [http: /  / ec.europa.eu / food / plant / gmo / authorisation / authorisation_applica tions_1829-2003_en.htm] eingerichtet. Auf dieser Seite wird deutlich erklärt, wann zu einem bestimmten Antrag Stellung genommen werden kann. Der Öffentlichkeit steht eine Maske zur Verfügung, damit die Stellungnahmen in strukturierter Form abgegeben werden können. Ein Link führt zu der betreffenden Stellungnahme der Behörde.“ 853  Eingesetzt durch Art. 58 VO Nr. 178  / 2002 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäi­schen Behörde für Le-

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

der Stellungnahme der EFSA überein, erläutert die Kommission die betreffenden Abweichungen.854 Die endgültige Entscheidung wird im Regelungsverfahren getroffen.855 Der Antragsteller wird unverzüglich über die Entscheidung der Kommission informiert.856 Die Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG857 enthält im Gegensatz zur Verordnung Nr.  1829 / 2003 / EG zwei Besonderheiten.858 Zum einen kann die zuständige nationale Behörde bei fehlenden Einwänden der anderen Mitgliedstaaten oder der Kommission das Inverkehrbringen genehmigen.859 Diese mitgliedstaatliche Zulassungsentscheidung hat unionsweite Wirkung.860 Liegen dagegen Einwände vor, tritt an die Stelle der mitgliedstaatlichen Genehmigung zum anderen die Unionsgenehmigung durch die Kommission direkt gegenüber dem einzelnen Antragsteller,861 ohne dass es eines weiteren nationalen Vollzugsakts bedürfte.862 Die Kommission trifft dabei ihre Durchführungsentscheidung im Regelungsverfahren.863 Neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten sind nach Novel-FoodVerordnung Nr. 258 / 97 / EG solche, die zum einen vor dem 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der Europäi­schen Union verzehrt wurden und die zum anderen in eine der vier Produktgruppen der Verordbensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABlEG L 31 v. 01.02.2002, S. 1. 854  Art.  7 Abs.  1 S.  2 VO Nr.  1829 / 2003 / EG. 855  Art. 7 Abs. 1 und Abs. 3 i. V. m. Art. 35 Abs. 2 VO Nr. 1829 / 2003 / EG. 856  Art. 7 Abs. 4 VO Nr. 1829 / 2003 / EG. Die Information über die Entscheidung wird im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Eine nach dieser Verordnung erteilte Zulassung gilt in der gesamten Gemeinschaft (bzw. nunmehr Union) zehn Jahre lang und kann auf Antrag erneuert werden, Art. 7 Abs. 5 VO Nr. 1829 / 2003 / EG. 857  Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 68 ff., 71 f.; Streinz, EuZW 1997, 487 ff. 858  Shirvani, EuR 2011, 619 (621 ff.); Streinz, in: Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, Losebl. (Stand: April 2009), II.H. Gentechnik, Rn. 518 ff.; Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 167; Streinz, EuZW 1997, 487 (490). 859  Art.  4 Abs.  2 Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG. Dieser Verfahrensabschnitt ähnelt dem dezentralen Zulassungsverfahren der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG, siehe S.  165 ff. 860  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 167. 861  Siehe zu diesem Zulassungsverfahren Art. 7 Abs. 1 und Art. 13 Novel-FoodVerordnung Nr.  258 / 97 / EG; ausführlich zum Genehmigungsverfahren D. Groß, Produktzulassung von Novel Food, 2001, S. 280 ff.; Wahl / D. Groß, DVBl. 1998, S. 2 (6). 862  Riedel, EuR 2006, 512 (533). 863  Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 164 f.



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie173

nung fallen.864 Diese Lebensmittel und Lebensmittelzutaten unterliegen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit einer einheitlichen Sicherheitsprüfung in einem Gemeinschaftsverfahren (bzw. nunmehr Unionsverfahren), bevor sie in der Gemeinschaft (nunmehr Union) in den Verkehr gebracht werden dürfen.865 Für neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die den bestehenden Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten im Wesentlichen gleichwertig sind, ist dagegen ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen.866 Von Beginn an problematisch war die Subsumtion der genetisch veränderten Lebensmittel867 unter die neuartigen Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die den bestehenden Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten „im wesentlichen gleichwertig“ sind.868 Somit unterlagen die genetisch veränderten L ­ ebensmittel lediglich einem Notifizierungsverfahren ohne Sicherheitsprüfung.869 Aufgrund der als unzureichend empfundenen Kennzeichnungs­pflichten, fehlender Bestimmungen zur Rückverfolgbarkeit und ungenügender Haftungsregelungen kam es zu einer Blockadehaltung einer Reihe von Mitgliedstaaten, die mit ihrer Sperrminorität alle Neuzulassungen von genetisch veränderten Lebensmitteln verhinderten. Dieses „De-facto-Morato­rium“870 für den Anbau von GVO beruhte auf einem Beschluss einiger Mitgliedstaaten, die Zulassung von GVO im Ministerrat solange zu blockieren, bis eine Novellierung für die Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GVO abgeschlossen sein würde.871 Mit der Verordnung Nr. 1829 / 2003 / EG über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel872, welche insbesondere die genetisch veränderten Lebensmittel aus dem Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG herausnahm873, und dem Inkrafttreten der neuen FreisetzungsRichtlinie 2001 / 18 / EG konnte das Moratorium überwunden werden.874 864  Art.  1

Abs.  2 lit.  c–f Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG. 2. Erwägungsrund der Novel-Food-Verordnung Nr. 258 / 97 / EG. 866  Art.  3 Abs.  4 und Art.  5 Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG. 867  Genauer Art.  1 Abs.  2 lit.  b Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG: „Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht enthalten“. 868  Art. 3 Abs. 4 i. V. m. Art. 1 Abs. 2 lit. b Novel-Food-Verordnung Nr. 258 / 97 / EG. 869  Art.  3 Abs.  4 und Art.  5 Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG; Kritik dazu bei Ittershagen / Runge, NVwZ 2003, 549 (552). 870  Blom-Hansen, ELJ 2011, 344 (349 ff.); Sander / Sasdi, EuZW 2006, 140 f. 871  Blattner, Europäi­ sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 77; Ittershagen / Runge, NVwZ 2003, 549 (550). 872  VO Nr.  1829  /  2003  /  EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 22.09.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABlEG L 268 v. 18.10.2003, S. 1. 873  Dies betrifft Art. 1 Abs. 2 lit. a und b Novel-Food-Verordnung Nr. 258 / 97 / EG. 874  Ausführlich Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund, 2009, S.  236 f.; Ittershagen / Runge, NVwZ 2003, 549 (550). 865  Vgl.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

Nach Ansicht der Kommission war damit das Vertrauen der Verbraucher in die Sicherheit der Verwendung von genetisch veränderten Lebensmitteln wieder gestärkt.875 Sie nahm daher die Genehmigungsverfahren für GVO erneut auf und erteilte am 19. Mai 2004 der Firma Syngenta, nachdem die notwendige Einstimmigkeit im Rat für einen anderslautenden Beschluss nicht erzielt werden konnte,876 die Zulassung für den genetisch veränderten Mais Bt-11 als Lebensmittel innerhalb der EU. Auf diese Weise wurde das Gen-Moratorium faktisch beendet.877 Am 14. Januar 2008 legte die Kommission, nach einer im Mai 2006 gestarteten Konsultationsphase,878 einen Vorschlag für eine neue NovelFood-Verordnung vor879. Dieser Vorschlag sah u. a. ein zentrales Zulassungsverfahren unter Wegfall der mitgliedstaatlichen Erstbewertung und die Einführung einer einheitlichen Sicherheitsbewertung durch die EFSA vor.880 Nach der zweiten Lesung im Europäi­schen Parlament am 7. Juli 2010881 hat der Rat in seiner zweiten Lesung nicht allen vorgeschlagenen Änderungen des Parlaments zugestimmt. Im Vermittlungsausschuss konnten sich Rat und Parlament auf keine Kompromisslösung einigen, so dass die Verhandlungen vorerst gescheitert sind und die Vorschriften der bestehenden Novel-FoodVerordnung zunächst weitergelten.882 Abschließend soll noch eine Besonderheit bei der Genehmigung gesundheitsbezogener Angaben nach der Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 /  875  Sander / Sasdi,

EuZW 2006, 140 (141). Einstimmigkeit (anstatt der qualifizierten Mehrheit) ist dann erforderlich, wenn sich der Rat über einen Vorschlag der Kommission hinwegsetzen und sachliche Änderungen vornehmen möchte, vgl. Falke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­schen Union, 2000, S. 43 (63, 103); H. Hofmann / Töller, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, 209 (217); siehe auch schon Fn. 524 und 587. 877  Sander / Sasdi, EuZW 2006, 140 (141). 878  Ausführlich zu den gesetzgeberischen Initiativen, die dem Revisionsvorschlag vorausgingen Gerstberger, ZLR 2008, 175 (176 ff.). 879  Vorschlag für eine Verordnung des Europäi­ schen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. XXX / XXXX, KOM 2007 (872) endg. 880  Streinz, in: Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, Losebl. (Stand: April 2009), II.H. Gentechnik, Rn. 531; Gerstberger, ZLR 2008, 175 (207 ff.). 881  Legislative Entschließung des Europäi­schen Parlaments v. 07.07.2010 zu dem Standpunkt in erster Lesung des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäi­schen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1331 / 2008 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr.  258 / 97 und der Verordnung (EG) Nr.  1852 / 2001 der Kommission [11261 / 3 / 2009 – C7-0078 / 2010 – 2008 / 0002(COD)], P7_TA(2010)0266. 882  Vermittlungsverfahren zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1331 / 2008 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr.  258  /  97 und der Verordnung (EG) Nr. 1852 / 2001 der Kommission über neuartige Lebensmittel [2008 / 0002(COD)]. 876  Die



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie175

EG vorgestellt werden.883 Nach dieser Verordnung bedürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln oder bei der Werbung für diese an den Endverbraucher abgegeben werden sollen,884 einer Genehmigung.885 Die Genehmigung gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel erfolgt für „andere gesundheitsbezogene Angaben als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und Gesundheit von Kindern“886 über eine im Wege des Komitologieverfahrens erstellte Liste887 zugelassener Aussagen.888 Die Besonderheit des Listenzulassungsverfahrens ergibt sich aus der Wirkung der Zulassungsentscheidung gemäß Art.  17 Abs.  5 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. Danach 883  Siehe ausführlich zum Aufbau der Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG Meisterernst / Haber, WRP 2007, 366 (365 ff.). 884  Art.  1 Abs.  2 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 885  Überwiegend wird die Health Claims-Verordnung Nr.  1924  /  2006  /  EG u.  a. wegen der Abschaffung des Systems der nachträglichen Kontrolle durch ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, der Unvereinbarkeit mit dem Primärrecht, der überhöhten Anforderungen an die wissenschaftlichen Nachweise und der Einführung sog. Nährwertprofile als Voraussetzung für die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben bei Lebensmitteln kritisiert, siehe Meisterernst / Haber, WRP 2007, 366 (364 ff.) m. w. N.; v. Danwitz, GRUR 2005, 896 ff.; Meisterernst, ZLR 2004, 43 (44 ff.); demgegenüber befürwortend Buchner / Rehberg, GRUR Int 2007, 394 ff. 886  Art. 13 Abs. 3 i. V. m. Art. 25 Abs. 2 Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 /  EG; siehe zum beschleunigten Zulassungsverfahren Art. 13 Abs. 5 i. V. m. Art. 18 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 887  Gemäß Art. 13 Abs. 3 Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG sollte die Kommission die Gemeinschaftsliste bis spätestens zum 31.01.2010 verabschieden. Dieser Zeitplan ist längst überholt. Die Kommission hat erst im Mai 2012 mit der Verordnung Nr. 432 / 2012 / EU v. 16.05.2012 (zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern, ABlEU L 136 v. 25.05.2012, S. 1) und erneut im Juni 2013 und im September 2013 mit den Verordnungen Nr. 536 / 2013 / EU v. 11.06.2013 (zur Änderung der Verordnung Nr.  432  /  2012  /  EU, ABLEU L 160 v. 12.06.2013, S.  4) und Nr. 851 / 2013 / EU v. 03.09.2013, (ABlEU L 235 v. 04.09.2013, S. 3) Teillisten zugelassener Gesundheitsangaben für Lebensmittel verabschiedet. Damit steigt die Zahl zugelassener Health Claims auf 231 zulässige Angaben. Gegen die Verordnung Nr. 432 / 2012 / EU haben Verbände und Unternehmen aus Großbritannien und den Niederlanden am 2. Juli 2012 Klage beim Gericht gegen die Kommission eingereicht, siehe zu den Klagegründen Rs. T-296 / 12, ABlEU C 250 v. 18.08.2012, S. 19 – Health Food Manufacturers’ Association u. a. / Kommission. 888  Nährwertbezogene Angaben hingegen können nur verwendet werden, wenn sie im Anhang der Verordnung aufgeführt sind und den in der Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG festgelegten Bedingungen entsprechen, vgl. Art. 8 Abs. 1 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG.

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

können gesundheitsbezogene889 Angaben, die in den Listen nach den Art. 13 und 14 Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG enthalten sind, grundsätzlich von jedem Lebensmittelunternehmen verwendet werden. Hingegen ist für die Verwendung von Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie Angaben über die Entwicklung und Gesundheit von Kindern eine Einzelzulassung erfoderlich,890 da diese Angaben in hohem Maße geeignet sind, das Käuferverhalten zu beeinflussen. In Hinblick auf derartige Angaben wurde das Zulassungsverfahren daher strenger reglementiert.891 Es gliedert sich in drei Teilabschnitte: erstens die Beantragung der Zulassung bei der zuständigen nationalen Behörde892, zweitens die Weiterleitung des Antrags an die EFSA, welche den Antrag prüft und eine Stellungnahme abgibt,893 und drittens die Erteilung oder die Verweigerung der Zulassung durch die Kommission im Regelungsverfahren und unter Berücksichtigung der Stellungnahme der EFSA894. Die Kommission unterrichtet den Antragsteller unverzüglich über die Entscheidung und veröffentlicht die Einzelheiten dieser Entscheidung im Amtsblatt der Europäi­ schen Union.895 3. Fazit Die verschiedenen Rechtsbereiche haben gezeigt, dass im europäischen Produktzulassungsrecht in mannigfaltiger Weise auf die Komitologie verwiesen wird.896 Dabei erstarkt der Entscheidungsentwurf der Kommission 889  Siehe zur Definition der gesundheitsbezogenen Angabe Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG, der nährwertbezogenen Angabe Art.  2 Abs. 2 Nr. 4 Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG und der Angabe über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos Art. 2 Abs. 2 Nr. 6 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. Kritisch zur Weite dieser Definitionen Holtorf, LMuR 2008, 105 (106 ff.); Meisterernst / Haber, WRP 2007, 366 (372 ff.). Diese Ungenauigkeiten haben zudem den Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit der EFSA veranlasst, ein „Guidance Paper“ zu verabschieden, in dem offene Fragen beantwortet werden sollen, siehe Guidance on the Implementation of Regulation No. 1924 / 2006 on Nutrition and Health Claims made on Foods, Conclusions of the Standing Committee on the Food Chain and Animal Health, v. 14.12.2007. 890  Ausführlich zum Zulassungsverfahren Delewski, LMuR 2009, 41 (45  ff.); Hempel, ZLR 2008, 262 (264 ff.); Jung, WRP 2007, 389 (393 f.). 891  Delewski, LMuR 2009, 41. 892  Art.  15 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 893  Art.  16 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 894  Art.  17 i. V. m. Art.  24 Abs.  2 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 895  Art.  17 Abs.  4 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 896  So auch Bücker / Joerges / Neyer / Schlacke, in: T. König / Rieger / Schmitt (Hrsg.), Europäi­sche Institutionenpolitik, 1997, S. 289.



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie177

erst dann zu einer endgültigen Entscheidung, wenn das in Bezug genommene Ausschussverfahren durchlaufen wurde. Sowohl bei den dezentralen als auch bei den zentralen Zulassungsverfahren ist in den jeweiligen Basisrechtsakten das Regelungsverfahren897 vorgeschrieben worden, also jenes Verfahren, bei dem der Rat einzuschalten war, wenn sich der Ausschuss nicht mit qualifizierter Mehrheit für den Kommissionsentwurf ausgesprochen hatte. In diesem Fall musste die Kommission unverzüglich dem Rat einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen unterbreiten (und das Parlament unterrichten898).899 Der Rat konnte den Kommissionsvorschlag mit qualifizierter Mehrheit ablehnen.900 Der Kommission blieb dann nichts anderes übrig, als dem Rat einen geänderten Vorschlag vorzulegen, ihren Vorschlag erneut vorzulegen oder einen Vorschlag für einen Basisrechtsakt zu unterbreiten.901 Allerdings führte das Regelungsverfahren, welches sich durch eine starke Stellung des Rats auszeichnete, in politisch umstrittenen Fällen wie beispielsweise im Gentechnikrecht902 häufig dazu, dass die Kommission ihre vorgeschlagene Durchführungsmaßnahme schon bei der Zustimmung weniger Mitgliedstaaten im Rat (aber gegen eine Mehrheit der Mitgliedstaaten) erlassen konnte,903 weil die qualifizierte Mehrheit für die Ablehnung der Kommissionsmaßnahme im Rat nicht zustande kam. Während im Falle der Freisetzungsrichtlinie 2001 / 18 / EG und der Human­ arzneimittelrichtlinie 2001  /  83  /  EG erst dann auf das Regelungsverfahren zurückgegriffen werden musste, wenn auf Gemeinschaftsebene keine Einigung über die Zulassung erzielt werden konnte, kam das Regelungsverfahren bei der Zulassung von Produkten nach dem zentralen Zulassungsverfahren immer zur Anwendung, da hier die Kommission in Verbindung mit den jeweils zuständigen Komitologieausschüssen die zentrale Entscheidungsinstanz darstellt. Ferner hat sich gezeigt, dass im zentralen Zulassungsverfahren sowie vereinzelt auch im dezentralen Zulassungsverfahren eine Funktionstrennung zwischen der Risikobewertung und der Risikokommunikation durch die euro­päischen (Regulierungs-)Agenturen einerseits und dem Risikomanage897  Siehe

898  Art.  5 899  Ebd.

900  Art.  5

zum Ablauf des Regelungsverfahrens ausführlich Teil 2 C. III. Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG.

Abs.  6 UAbs.  1 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. Abs.  6 UAbs.  2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 902  Töller, Komitologie, 2002, S. 287, 398 ff. zum Gen-Mais Fall; siehe zur Beendigung des Gen-Moratoriums Teil 2 F. I. 2. 903  Siehe Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 13; Schusterschitz / Kotz, European Constitutional Law Review 2007, 68 (73); Riedel, EuR 2006, 512 (525 Fn. 93). 901  Art.  5

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

ment durch die Kommission andererseits existiert.904 Dadurch wird zum einen der Meroni-Rechtsprechung905 des EuGH entsprochen, wonach qualifizierte Entscheidungskompetenzen nicht auf vertragsfremde Einrichtungen – wie die europäischen (Regulierungs-)Agenturen906 – übertragen werden dürfen. Zum anderen wird die Tätigkeit dieser Agenturen an die politische Zustimmung der Vertreter der Mitgliedstaaten im Komitologieverfahren gebunden, indem ihre Gutachten zur Grundlage des Entscheidungsentwurfs der Kommission werden. Diese Struktur ist somit als Absage an das Modell „spezialisierte Agenturen statt Ausschüsse“907 zu verstehen, das allein dem wissenschaftlich-technischen Sachverstand und nicht den Vertretern der nationalen Regierungen verpflichtet wäre.908 Vorteil der vermehrten Einbeziehung von Agenturen – unter Beibehaltung der Komitologieausschüsse – im Produktzulassungsrecht ist die „Durchmischung“ der einzelnen Ebenen, da einerseits dem Sachverstand der spezialisierten Unionsagenturen und andererseits auch dem Sachverstand der nationalen Behörden Rechnung getragen werden kann und gleichwohl die Akzeptanz der getroffenen Kommissionsentscheidung in den Mitgliedstaaten gefördert wird. II. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte als eigene dogmatische Kategorie Trotz der unterschiedlich ausgeprägten zentralen und dezentralen Zulassungsverfahren, bei denen entweder die Mitgliedstaaten oder die Marktteilnehmer Adressaten der Zulassungsentscheidung sind, lassen sich die Produkt904  Kritisch zur Trennung zwischen Risikobewertung, vorgenommen von der EFSA und dem hauptsächlich der Kommission unterstehenden Risikomanagement Vos / Wendler, in: Vos  /  Wendler (Hrsg.), Food Safety Regulation in Europe, 2006, S. 65 (119 ff., vgl. auch das Schaubild auf S. 73). 905  EuGH, Urt. v. 13.06.1958 – Rs. 9  /  56, Slg. 1958, 11 ff. und Rs. 10  /  56, Slg. 1958, 53 ff. – Meroni & Co., Industrie Metallurgiche, società in accomandita semplice / Hohe Behörde der Europäi­schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl; siehe zur Meroni-Rechtsprechung Teil 1 B. I. 2. und C. I. 1. a). 906  Siehe dazu schon Teil 2 E. I. 907  Siehe dazu Teil 2 E. I. und Teil 3 B. V. 2. e). 908  So G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 227. Besonderheiten gelten allerdings bei der Fluggerätezulassung nach der Verordnung Nr. 1592 / 2002 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 15.07.2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäi­schen Agentur für Flugsicherheit, ABlEG L 240 v. 07.09.2002, S. 1. Nach dieser Verordnung ist die finale Zulassungsentscheidung erstmals allein der Europäi­schen Agentur für Flugsicherheit (EASA) ohne Beteiligung der Kommission übertragen. Die Zuweisung von außenwirksamen Entscheidungsbefugnissen auf die Regulierungsagenturen der Union stellt jedoch noch die Ausnahme dar, so auch Pilniok, Governance im europäischen Forschungsförderverbund, 2011, S. 33.



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zulassungsentscheidungen jedoch sämtlich als Durchführungsrechtsakte der Kommission charakterisieren. Im Folgenden werden die dogmatischen Unterschiede zwischen den abstrakt-generellen und den konkret-individuellen Durchführungsrechtsakten der Kommission anhand zweier Beispiele909 – dem Anhörungsrecht und dem Individualrechtsschutz direkt Betroffener910 – herausgearbeitet und deren Auswirkungen auf die Komitologie aufgezeigt. 1. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte und Anhörungsrechte Betroffener Art. 41 Abs. 2 lit. a der nunmehr verbindlichen Charta der Grundrechte der Europäi­schen Union911 (im Folgenden: GRCh) berechtigt jede Person gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme durch die Unionsorgane und -stellen getroffen wird. Mit dem Anhörungsrecht hat die Charta ein Verfahrensgrundrecht normiert, welches von der Rechtsprechung des EuGH bereits 1974 im Urteil Transocean Marine Paint912 als allgemeiner Rechtsgrundsatz913 des Verwaltungsverfahrens herausgearbeitet wurde.914 Anders als das in Art. 41 Abs. 2 lit. a GRCh verankerte Anhörungsrecht richtet sich dieser ungeschriebene Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht nur an die Unionsorgane und -stellen sondern auch an die Mitgliedstaaten.915 Nach dieser Rechtsprechung müssen die Adressaten behördlicher Entscheidungen die Gelegenheit erhalten, ihren Standpunkt zu den von der Behörde angeführten Tatsachen darzulegen, wenn ihre Interessen durch die Entscheidung spürbar berührt werden.916 Zu den Kernelementen dieses weitere Beispiele bei Riedel, EuR 2006, 512 (534 ff.). zu der hier nicht näher behandelten Möglichkeit der Konkurrentenklage Delewski, LMuR 2009, 80 (84 f.). 911  Diese Regelung gilt nachweislich ihres Wortlauts zwar nicht für die Mitgliedstaaten, diese müssen beim Vollzug des Unionsrechts gleichwohl die Verfahrensgrundrechte beachten, die durch den EuGH als allgemeine Rechtsgrundsätze entwickelt worden sind, Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäi­schen Union, 3. Aufl. (2011), Art. 41 GRCh Rn. 9; G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 261 ff. 912  EuGH, Urt. v. 23.10.1974 – Rs. 17–74, Slg. 1974, 1063 ff., Rn. 15 – Trans­ ocean Marine Paint Association / Kommission. 913  Wie die anderen allgemeinen Rechtsgrundsätze hat der EuGH auch das Anhörungsrecht maßgeblich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hergeleitet, siehe dazu Schwarze, Europäi­sches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. (2005), S. 1202 ff. 914  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 253, 256 f., 269. 915  Siehe Kahl, DVBl. 2012, 602 m. w. N. 916  EuGH, Urt. v. 23.10.1974 – Rs. 17–74, Slg. 1974, 1063 ff., Rn. 15 – Trans­ ocean Marine Paint Association / Kommission. 909  Siehe 910  Siehe

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„Verteidigungsrechts“917 gehört ferner die Unterrichtung des Betroffenen durch die zuständige Behörde. Aus der Verletzung des Anhörungsrechts resultiert die Nichtigkeit des jeweiligen Rechtsakts, wenn das Verfahren zu seinem Erlass ohne die Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.918 Das Anhörungsrecht wird zudem durch zahlreiche individualschützende Verfahrensregelungen im Sekundärrecht ergänzt. Diese sekundärrechtlichen Regelungen gestalten die Verfahrensstandards des Gemeinschafts- bzw. nunmehr des Unionsrechts mit aus, indem sie beispielsweise die Verfahrensgrundrechte in mehrstufigen Verwaltungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft bzw. der Union konkretisieren.919 Demgegenüber kann es in mehrstufigen Verwaltungsverfahren zu einer Beeinträchtigung von Verfahrensrechten des Betroffenen kommen, wenn nicht die nach außen zuständige mitgliedstaatliche Behörde, sondern die Kommission die Sachentscheidung trifft, und das jeweils anwendbare Sekundärrecht keine Anhörungsrechte vorsieht.920 In diesen Fällen verneinte der EuGH zunächst noch ein allgemeines Anhörungsrecht.921 Seit der Entscheidung in der Rechtssache TU-München922 fordert der EuGH demgegenüber in ständiger 917  EuGH, Urt. v. 07.01.2004 – verb. Rs. C-204 / 00 P, C-205 / 00 P, C-211 / 00 P, C-213 / 00 P, C-217 / 00 P und C-219 / 00 P, Slg. 2004, I-123 ff., Rn. 64, 66 – Aalborg Portland A / S u. a. / Kommission. 918  EuGH, Urt. v. 14.02.1990 – Rs. C-301  /  87, Slg. 1990, I-307 ff., Rn. 31 – Frankreich / Kommission. 919  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 253, 257  ff. Siehe z.  B. das verfahrensinterne Widerspruchsverfahren nach der VO Nr. 1907 / 2006 / EG des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 18.12.2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäi­schen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999 / 45 / EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793 / 93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr.  1488  /  94 der Kommission, der Richtlinie 76 / 769 / EWG des Rates sowie der Richtlinien 91 / 155 / EWG, 93 / 67 / EWG, 93 / 105 / EG und 2000 / 21 / EG der Kommission, ABlEG L 396 v. 30.12.2006, S. 1 (im Folgenden: REACH-Verordnung Nr. 1907 / 2006 / EG), das dem Verfahrensbeteiligten (in einem frühen Stadium) ein Instrument des Individualrechtsschutzes gegen bestimmte Entscheidungen der Europäi­schen Chemikalienagentur zur Verfügung stellt. Die Details des Widerspruchsverfahrens wurden durch die VO Nr. 771 / 2008 / EG der Kommis­ sion vom 01.07.2008 zur Festlegung der Vorschriften für die Organisation und die Verfahren der Widerspruchskammer der Europäi­schen Chemikalienagentur, ABlEG L 206 v. 02.08.2008, S. 5 gesondert geregelt. Ausführlich dazu Tiedemann, DVBl. 2011, 993 (994 ff.); Martel, ZEuS 2008, 601 (637 ff.). 920  Gundel, in: Schulze  /  Zuleeg  /  Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 3 Rn. 140. 921  EuGH, Urt. v. 26.06.1986 – Rs. 203 / 85, Slg. 1986, 2049 ff., Rn. 13 ff. – Nicolet Instrument GmbH gegen Hauptzollamt Frankfurt am Main – Flughafen. 922  EuGH, Urt. v. 21.11.1991 – Rs. C-269 / 90, Slg. 1991, I-5469 ff., Rn. 23 ff. – Technische Universität München / Hauptzollamt München-Mitte.



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Rechtsprechung die Wahrung des rechtlichen Gehörs auch in mehrstufigen Verwaltungsverfahren. Er stellte ferner klar, dass die Anforderungen an das rechtliche Gehör nicht von seiner Ausgestaltung im jeweiligen Sekundärrechtsakt abhingen und die Kommission sich nicht allein auf die Kommunikation des Betroffenen mit der mitgliedstaatlichen Behörde verlassen könne.923 Eine unmittelbare Beteiligung des Betroffenen ist z. B. dann notwendig, „wenn die Kommission von der Bewertung eines Sachverhalts durch die nationalen Behörden zum Nachteil des Betroffenen abweichen will, oder wenn ein Gesichtspunkt als maßgeblich für die Entscheidung herangezogen wird, zu dem der Antragsteller nicht Stellung beziehen konnte“924. Im Falle sekundärrechtlicher Produktzulassungsverfahren finden sich demgegenüber vielfach explizite Regelungen zum Anhörungsrecht des Antragstellers. Z. B. wird im zentralen Arzneimittelzulassungsverfahren der Antragsteller unverzüglich unterrichtet, wenn das Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel zu dem Ergebnis kommt, dass der Antrag die Genehmigungskriterien nicht erfüllt.925 Der Antragsteller hat dann die Möglichkeit, Widerspruch gegen das Gutachten des Ausschusses zu erheben. Der Ausschuss muss sodann das Gutachten überprüfen und das überprüfte, endgültige Gutachten, welches sich mit den Einwänden des Antragstellers auseinandersetzt, anschließend an die Kommission übermitteln.926 Auf der Grundlage dieses Gutachtens erlässt die Kommission im Wege der Komitologie schließlich ihre verfahrensabschließende Zulassungsentscheidung.927 Im Verfahren der dezentralen Arzneimittelzulassung reicht das Anhörungsrecht des Betroffenen sogar über den grundrechtlich garantierten Mindeststandard hinaus.928 Denn hier erhält der Antragsteller vor Abgabe des – mög923  Kahl,

DVBl. 2012, 602 (603) m. w. N. in: Schulze  /  Zuleeg  /  Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 3 Rn. 142. 925  Art. 9 Abs. 1 VO Nr. 726 / 2004 / EG; siehe auch Abs. 2 der VO: „Innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt des in Absatz 1 genannten Gutachtens kann der Antragsteller der Agentur schriftlich mitteilen, dass er um Überprüfung des Gutachtens ersucht. In diesem Fall legt der Antragsteller der Agentur binnen 60 Tagen nach Erhalt des Gutachtens eine ausführliche Begründung des Gesuchs vor. Innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt der Begründung des Gesuchs überprüft der genannte Ausschuss sein Gutachten gemäß den in Artikel 62 Absatz 1 Unterabsatz 4 genannten Bedingungen. Die Gründe für die erzielten Schlussfolgerungen werden dem endgültigen Gutachten beigefügt.“ 926  Art.  9 Abs.  2 VO Nr.  726 / 2004 / EG. 927  Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 VO Nr. 726 / 2004 / EG. 928  So Shirvani, DVBl. 2011, 674 (678). In anderen europäischen Produktzulassungsverfahren sind die Verfahrensrechte des Betroffenen deutlich schwächer ausgeprägt. Kritisch insbesondere zur Novel-Food-Verordnung Vogt, Die Entscheidung als 924  Gundel,

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licherweise negativen – Gutachtens des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäi­schen Arzneimittel-Agentur die Möglichkeit, sich schriftlich oder mündlich zu äußern929 und er wird unverzüglich unterrichtet, wenn der Ausschuss zu dem Ergebnis kommt, dass der Antrag die Genehmigungskriterien nicht erfüllt.930 In diesem Fall kann der Antragsteller innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt des negativen Gutachtens der Agentur schriftlich Widerspruch einlegen.931 Darüber hinaus hat er ein Anhörungsrecht in der übernationalen Konsultationsphase932, in der sich die Mitgliedstaaten um eine Einigung über das Inverkehrbringen eines Arzneimittels bemühen.933 Diese Widerspruchsmöglichkeiten gegen die verfahrensinternen Gutachten des Humanarzneimittelausschusses, denen selbst keine Rechtswirkungen im Außenverhältnis zukommen, geben dem Antragsteller einen frühzeitigen Rechtsbehelf an die Hand, mit dem er verhindern kann, dass wegen unbegründeter wissenschaftlicher Einwände eine ablehnende Entscheidung getroffen wird, die nur in einem langwierigen Verfahren vor den europäischen Gerichten aufgehoben werden könnte.934 Derartige Beteiligungsmöglichkeiten sind jedoch nicht für die letzte Phase im Produktzulassungsverfahren, die Entscheidungsfindung zwischen Kommission und Komitologieausschuss, vorgesehen.935 Dieser Verfahrensabschnitt ist trotz seines bedeutenden Einflusses auf die Zulassungsentscheidung – erst wenn das Komitologieverfahren durchlaufen wurde, liegt eine verfahrensbeendende Entscheidung vor – bisher als reines Kommissionsinternum behandelt worden.936 Der Antragsteller hat daher in der Komitologiephase keine Gelegenheit, sich zu äußern.937 Er wird lediglich über den Entscheidungsentwurf der Kommission informiert, bevor darüber im KomiHandlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 283; Gärditz, ZUR 1998, 169 (175 f.). 929  Art.  32 Abs.  3 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 930  Art.  32 Abs.  4 UAbs.  1 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 931  Art.  32 Abs.  4 UAbs.  2 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 932  Siehe dazu schon Teil 2 F. I. 1. 933  Art.  29 Abs.  2 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 934  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 226. 935  Martel, ZEuS 2008, 601 (617, 636). Zur Notwendigkeit einer solchen Beteiligung G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S.  269 ff.; Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 155 ff. 936  Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 156 f. 937  Riedel, EuR 2006, 512 (538); Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 283 ff. Martel, ZEuS 2008, 601 (655 ff.) schlägt insofern vor, bei der Kommission ein Beschwerdekammermodell einzurichten. Danach können Betroffene ihre Interessen bereits dann einbringen, wenn die Kommission dem Komitologieausschuss eine abschließende Entscheidung vorlegt.



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tologieverfahren abgestimmt wird.938 Ferner gibt auch das Recht des Einzelnen auf Dokumentenzugang nach Art. 7 Abs. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG dem Betroffenen lediglich ein allgemeines Informationsrecht, welches jedoch hinter einem förmlichen Akteneinsichts- und Beteiligungsrecht zurückbleibt. Die Komitologie hat daher vor allem rechtssatzförmige Akte vor Augen, bei deren Erlass das Komitologieverfahren auf einen institutionellen Interessenausgleich zwischen Rat, Kommission, Parlament und – in vertikaler Hinsicht – den Mitgliedstaaten zielt.939 Die Rechtspositionen der von der konkret-individuellen Durchführungsmaßnahme betroffenen Marktbürger wurden dagegen nicht berücksichtigt.940 Dieses Ergebnis gilt auch nach dem Inkrafttreten der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU fort, denn auch die Bestimmungen der neuen Komitologieverordnung enthalten keine Angaben zu den Beteiligungsmöglichkeiten des Antragstellers im Komitologieverfahren.941 2. Einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte und Individualrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene Abschließend widmet sich die Untersuchung der Frage nach dem Maß des erforderlichen Individualrechtsschutzes gegenüber konkret-individuellen Durchführungsrechtsakten. Dabei wird sich zeigen, dass sich die konkretindividuellen Durchführungsrechtsakte auch in diesem Bereich von den abstrakt-generellen Rechtsakten unterscheiden. Zunächst sei jedoch darauf verwiesen, dass das Gemeinschaftsrecht keine im Primärrecht verankerte subjektivrechtliche Garantie des effektiven Rechtsschutzes gegenüber hoheitlichen Maßnahmen kannte.942 Allerdings leitete der EuGH bereits in den 1980er Jahren eine derartige Garantie aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten – z. B. Art. 19 Abs. 4 GG – und den Grundsätzen der Art. 6 Abs. 1 und 13 EMRK943 auch 938  Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3, Art. 32 Abs. 3 und Abs. 4, Art. 33 S. 4 Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG. 939  Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 169. 940  Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäi­schen Gemeinschaftsrechts, 2005, S. 285 f. 941  Siehe dazu noch Teil 3 E. III. 942  So Baumeister, EuR 2005, 1 (8); siehe aber nunmehr den Art. 47 Abs. 1 GRCh: „Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“. Siehe zur Bedeutung dieses Grundrechts für den Rechtsschutz Jarass, NJW 2011, 1393 ff. 943  Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 04.11.1950. In der Fassung der Bekanntmachung v. 22.10.2010 (BGBl. II S. 1198).

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für das Gemeinschaftsrecht her.944 In Art. 47 Abs. 1 GRCh der nunmehr verbindlichen Charta der Grundrechte der Union wird diese Justizgewährpflicht ausdrücklich primärrechtlich verankert. Für den Bereich der Durchführungsrechtsetzung der Kommission ergibt sich in Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz auf Gemeinschaftsebene jedoch folgende Schwierigkeit: Das Komitologieverfahren führt dazu, dass Letztverantwortlichkeiten für einzelne Entscheidungen nicht immer eindeutig zugewiesen werden können. Durch die unterschiedlichen Beteiligungsprozesse in den Ausschüssen entsteht ein unübersichtliches „Gebilde von Verantwortlichkeiten, Schutz- und Kooperationspflichten, die für die Norm­ unterworfenen und ‑betroffenen nur schwer nachvollziehbar sind“945. Laut Reinacher führt zudem der einheitliche europäische Binnenmarkt mit dem Ziel der Vermeidung von Mehrfachverfahren und der beabsichtigten unionsweiten Vereinfachung der Genehmigungsverfahren insbesondere im Bereich des Produktzulassungsrechts zu einer Verkomplizierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.946 Ob in diesem Bereich dennoch dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprochen werden kann, sollen die nachfolgenden Ausführungen klären.947 Dafür kommt es aber entscheidend darauf an, vorab die Zugehörigkeit des Durchführungsrechtsakts zu einer der beiden hier gebildeten Typen von Kommissionsmaßnahmen festzustellen. Die Rechtsschutzmöglichkeiten unterscheiden sich nämlich danach, ob ein abstrakt-genereller oder konkretindividueller Durchführungsrechtsakt vorliegt. 944  EuGH, Urt. v. 15.05.1986 – Rs. 222 / 84, Slg. 1986, 1651 ff., Rn. 18 – Marguerite Johnston / Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary. Neuerdings hat der EuGH den Anspruch auf Rechtsschutz als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts (auch schon vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 47 GRCh hergeleitet, siehe EuGH, Urt. v. 03.09.2008 –  verb. Rs. C‑402 / 05 P und C-415 / 05 P, Slg. 2008, I-6351 ff., Rn. 335 – Yassin Abdullah Kadi und Al Barakaat International Foundation / Rat der Europäi­schen Union und Kommission und EuGH, Urt. v. 16.07.2009 – Rs. C-385 / 07 P, Slg. 2009, I-6155 ff., Rn. 179 – Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH / Kommission. 945  Bücker / Schlacke, in: Joerges / Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäi­ schen Union, 2000, S. 161 (240). 946  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 186. 947  Nicht weiter behandelt werden soll hier die Problematik des Rechtsschutzes des Antragstellers bei ausbleibender Unterbreitung des Kommissionsentscheidungsentwurfs an den zuständigen Komitologieausschuss. Siehe zu den Rechtsschutzmöglichkeiten in diesen Fällen Temple Lang / Raftery, ELR 2011, 264 ff. mit Verweis auf den Beschluss des EuG im Fall Pioneer Hi-Bred International Inc. EuG, Beschluss v. 04.09.2009 – Rs. T-139 / 07, ABlEG C 267 v. 07.11.2009, S. 64 – Pioneer Hi-Bred International, Inc / Kommission.



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a) Kein unmittelbarer Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte Der Aspekt des Individualrechtsschutzes spielt bei abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten nur eine untergeordnete Rolle, da sie als Akte der Sekundärrechtsetzung von der weitergehenden Konkretisierung des Gemeinschaftsrechts durch den mitgliedstaatlichen Vollzug zu unterscheiden sind.948 Vollzugshandlungen der Mitgliedstaaten, die auf Gemeinschaftsrecht beruhten, mussten vor den nationalen Gerichten angegriffen werden.949 Zudem war der direkte Individualrechtsschutz natürlicher und juristischer Personen gegen europäische Legislativakte von vornherein nicht im Gemeinschaftsrecht vorgesehen.950 Dies lässt sich auch an der Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage ablesen. So kann gemäß Art. 230 Abs. 4 EG (nunmehr Art. 263 Abs. 4 AEUV) „jede natürliche oder juristische Person […] gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.“ Eine Kontrolle abstrakt-genereller Rechtsakte auf Antrag natürlicher oder juristischer Personen schied daher mangels individueller Betroffenheit in aller Regel aus.951 Die Individualnichtigkeitsklage war zudem grundsätzlich nur gegen „Entscheidungen“ statthaft. Für den Fall, dass eine Entscheidung im Gewande einer Verordnung erging952, obwohl der Betroffene eigentlich Adressat einer Entscheidung hätte sein müssen (Formenmissbrauch), ließ die zweite Alternative des Art. 230 Abs. 4 EG ebenfalls Rechtsschutz zu.953 Insofern formulierte der EuGH: „Es ist daran zu erinnern, daß [Art. 230 Abs. 4 EG] die Erhebung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Verordnung durch eine natürliche oder juristische Person davon abhängig macht, daß die Vorschriften der Verordnung, auf die sich die Klage bezieht, in Wirklichkeit eine diese Person unmittelbar und individuell betreffende Entscheidung darstellen.“954 948  Möllers,

EuR 2002, 483 (496). Trennungsprinzip, vgl. Lindner, JuS 2008, 1; J. Hofmann, in: Schmidt-Aßmann  /  Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäi­ sche Verwaltungsverbund, 2005, S. 353 (359); Gärditz, ZUR 1998, 169 (175 f.). 950  Kottmann, ZaöRV 2010, 547 (551 f.); Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 88. 951  Cremer, EuGRZ 2004, 577. 952  Sog. Scheinverordnung, also Akte die materiell eine individuelle Entscheidung darstellen, formell jedoch als Verordnung erlassen wurden, Baumeister, EuR 2005, 1 (10). 953  D. König, JuS 2003, 257 (258). 954  EuGH, Urt. v. 18.05.1994 – Rs. C-309  / 89, Slg. 1994, I-1853 ff., Rn. 17 – Codorníu SA / Rat der Europäi­schen Union (Hervorhebung durch die Verfasserin). 949  Prozessuales

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Im Laufe der Zeit legte der EuGH die Tatbestandsvoraussetzung „Entscheidung“ dahingehend erweiternd aus, dass auch bei „echten“ Verordnungen, d. h. abstrakt-generellen Verordnungen, ein Anfechtungsrecht des Einzelnen bei unmittelbarer und individueller Betroffenheit nicht ausgeschlossen war.955 Eine natürliche oder juristische Person war allerdings nur in Ausnahmefällen individuell betroffen, „wenn die streitige Vorschrift sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt956 [und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten].“957 Der EuGH nahm damit im Ergebnis eine Korrektur über das Tatbestandsmerkmal der individuellen Betroffenheit vor.958 Obwohl das Rechtsschutzsystem auf Gemeinschaftsebene – anders als das deutsche Recht – nicht die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts voraussetzte, stellten die zum Ausschluss von Popularklagen einschränkenden Kriterien der „unmittelbaren und individuellen Betroffenheit“ eine „kaum zu überwindende Barriere“959 beim direkten Vorgehen gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte dar: Um individuell betroffen zu sein, mussten die Voraussetzungen der sog. Plaumann-Formel vorliegen960 Diesen Rechtsgedanken haben der EuGH und das EuG über den Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG auch auf Scheinrichtlinien übertragen, siehe EuGH, Urt. v. 29.06.1993 – Rs. C‑298 / 89, Slg. 1993, I-3605 ff., Rn. 20 ff. – Regierung von Gibraltar  /  Rat der Europäi­ schen Gemeinschaften; EuG, Urt. v. 17.06.1998 – T-135  /  96, Slg. 1998, II-2335 ff., Rn. 63 – Union Européenne de l’artisanat et des petites et moyennes entreprises (UEAPME) / Rat der Europäi­schen Union. 955  So Cremer, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV a.  F.  /  EGV, 3. Aufl. (2007), Art. 230 EG Rn. 29 ff.; Braun / Kettner, DÖV 2003, 58 (59); D. König, JuS 2003, 257 (259); Cremer, EuZW 2001, 453; Röhl, ZaörV 2000, 331 (349) mit Bezug auf Urt. v. 18.05.1994 – Rs. C-309 / 89, Slg. 1994, I-1853 ff., Rn. 18 f. – Codorníu SA / Rat der Europäi­schen Union; a. A. Baumeister, EuR 2005, 1 (11 ff.). 956  EuGH, Urt. v. 18.05.1994 – Rs. C-309  / 89, Slg. 1994, I-1853 ff., Rn. 20 – Codorníu SA / Rat der Europäi­ schen Union. Die Abgrenzung beruht auf der sog. Plaumann-Formel, EuGH, Urt. v. 15.07.1963 – Rs. 25 / 62, Slg. 1963, 213 ff. (238) – Plaumann & Co. / Kommission. 957  EuGH, Urt. v. 15.07.1963 – Rs. 25 / 62, Slg. 1963, 213 ff. (238) – Plaumann & Co. / Kommission; ausführlich zum Merkmal der individuellen Betroffenheit und der Plaumann-Formel Kottmann, ZaöRV 2010, 547 (549 ff.). 958  Herrmann, NVwZ 2011, 1352 (1353); Baumeister, EuR 2005, 1 (10 f.); Mayer, DVBl. 2004, 606 (607). Dies gilt nicht für eine „echte“ Richtlinie, da sie in Art. 230 Abs. 4 EG nicht als geeigneter Klagegegenstand aufgeführt ist, Lindner, JuS 2008, 1 (2); anders Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 56 ff. 959  Schulte, Individualrechtsschutz gegen Normen im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 25. 960  Siehe zu den Fallgruppen, in denen die individuelle Betroffenheit in der Regel angenommen wurde Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (164); Munding, Das



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und die unmittelbare Betroffenheit961 scheiterte in aller Regel schon wegen des ergangenen nationalen Vollzugsakts.962 Eine direkte Klagemöglichkeit des Einzelnen gegen abstrakt-generelle Regelungen sah das Gemeinschaftsrecht demnach nicht vor. Im Rechtsschutzsystem der Europäi­schen Gemeinschaft fehlte es somit – beispielsweise bei der Verletzung von Grundrechten durch Verordnungen – an einem Rechtsbehelf, wie ihn das deutsche Grundgesetz mit der Verfassungsbeschwerde kennt.963 Dem Einzelnen blieb daher im Regelfall nur der dezentrale Rechtsschutz vor einem mitgliedstaatlichen Gericht964 gegen den nationalen Vollzugsakt, mit der Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH (Art. 234 EG; nunmehr Art. 267 AEUV) durch das mitgliedstaatliche Gericht.965 Für den Fall, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt unmittelbar, also ohne einen weiteren nationalen Durchführungsrechtsakt in die Rechtssphäre der Betroffenen eingriff, schied sogar diese inzidente Rechtsschutzmöglichkeit gegen den belastenden Gemeinschaftsrechtsakt aus. Die Provokation einer nationalen Sanktion durch einen bewusst herbeigeführten Rechtsverstoß gegen die fragliche Gemeinschaftsvorschrift, um nationalen Rechtsschutz zu Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtsschutzsystem der Europäi­ schen Union, 2010, S. 396 ff.; Mayer, DVBl. 2004, 606 (608); Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäi­schen Union, 2. Aufl. (2003), § 7 Rn. 60 ff.; D. König, JuS 2003, 257 (258); Schwarze, DVBl. 2002, 1297 (1301 f.). 961  EuGH, Urt. v. 05.05.1998 – Rs. C-386 / 96 P, Slg. 1998, I-2309 ff., Rn. 43 – Société Louis Dreyfus & Cie / Kommission: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist ein einzelner nur dann unmittelbar betroffen, wenn die beanstandete Maßnahme der Gemeinschaft sich auf seine Rechtsstellung unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihr Erlaß vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne daß weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden.“ 962  Riedel, EuR 2006, 512 (540). 963  Kokott / Dervisopoulos / Henze, EuGRZ 2008, 10 (13). 964  Die gemeinschaftsrechtlichen (bzw. nunmehr unionsrechtlichen) Rechtsakte können nicht direkt vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden, da EGRecht (bzw. Unionsrecht) kein geeigneter Prüfungsgegenstand im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde ist. Andernfalls wäre die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts (bzw. Unionsrechts) in allen Mitgliedstaaten und der Grundsatz vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts (bzw. Unionsrechts) gefährdet. Eine Ausnahme lässt das Bundesverfassungsgericht nur nach der Maßgabe der Solan­ ge-II-Rechtsprechung zu, siehe dazu BVerfGE 73, 339 (378). 965  Dörr, DVBl. 2008, 1401 (1402); Baumeister, EuR 2005, 1 (3, 13 ff.); Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 186; G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 280 f.

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erlangen, wurde demgegenüber als unzumutbar angesehen.966 Der Betroffene hatte somit weder auf nationaler, noch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene die Möglichkeit, sich gegen den belastenden Gemeinschaftsrechtsakt zu wehren. Diese Lücke im Rechtsschutzsystem des Gemeinschaftsrechts wurde vielfach kritisiert.967 Der EuGH erteilte – anders als zuvor das EuG – einer Neuinterpretation des Merkmals der „individuellen Betroffenheit“ jedoch eine klare Absage968 und verwies auf die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur grundlegenden Neugestaltung des Rechtsschutzsystems der Gemeinschaft.969 Abschließend bleibt festzuhalten, dass im Bereich des Rechtsschutzes gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte nicht die Komitologie, sondern die Ausgestaltung der primärrechtlichen prozessualen Klagemöglichkeiten ein Hindernis zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes darstellte.970 Insoweit werden im dritten Kapitel die Neuerungen des Vertrags von Lissabon im Bereich des Individualrechtsschutzes daraufhin untersucht, inwieweit das restriktive Rechtsschutzkonzept des Art. 230 Abs. 4 EG eine Ausweitung der Klagebefugnis für Betroffene eines unmittelbar geltenden abstrakt-generellen Rechtsakts erfahren hat.971 966  EuGH, Urt. v. 13.03.2007 – Rs. C-432  / 05, Slg. 2007, I-2271 ff., Rn. 64 – Unibet (London) Ltd und Unibet (International) Ltd  /  Justitiekanslern; siehe auch Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 (249); Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (163). 967  Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (163 Fn. 25); Lindner, JuS 2008, 1 (3 ff.); Baumeister, EuR 2005, 1 (15 ff.) m. w. N. 968  Lindner, JuS 2008, 1 (3 ff.); Baumeister, EuR 2005, 1 (15 ff.); siehe dazu auch EuG, Urt. v. 03.05.2002 – Rs. T-177 / 01, Slg. 2002, II-2365 ff., Rn. 51 – Jégo-Quéré & Cie SA / Kommission. Hier betonte das EuG, dass die fehlende individuelle Betroffenheit für die Frage der Zulässigkeit einer Klage nach Art. 230 Abs. 4 EG schlicht unerheblich sei, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen umsetzungsfreie Rechtsakte vor dem nationalen Gericht erzielt werden kann. Gegen die Entscheidung wurden Rechtsmittel eingelegt und der EuGH musste zu der Frage des Individualrechtsschutzes gegen Verordnungen im Wege der Nichtigkeitsklage Stellung nehmen und hat dabei die Position des EuG zurückgewiesen. Er erteilte der Ausweitung der Klagebefugnis gegen den Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG ausschließlich unter Berufung auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eine Absage, EuGH, Urt. v. 01.04.2004 – Rs. C-263 / 02 P, Slg. 2004, I-3425 ff., Rn. 43 ff. – Kommission / Jégo-Quéré & Cie SA. Siehe zu dieser streitigen Thematik auch Generalanwalt Jacobs Schlussanträge v. 21.03.2002 – Rs. C-50 / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff., Rn. 62 – Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­schen Union und EuGH, Urt. v. 25.07.2002 – Rs. 50 / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff. – Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­schen Union. 969  EuGH, Urt. v. 25.07.2002 – Rs. 50 / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff., Rn. 45 – ­Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­schen Union. 970  Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtsschutzsystem der Europäi­schen Union, 2010, S. 518 f., 522, 524 f. 971  Siehe dazu Teil 3 E.



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b) Direkte Klagemöglichkeit gegen einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte Beim Erlass von Einzelakten im direkten Vollzug ergab sich gegenüber den abstrakt-generellen Rechtsakten ein ganz anderes Bild. Soweit nämlich die Gemeinschaft – wie etwa im Fall zentralisierter Zulassungsentscheidungen – im direkten Vollzug Verwaltungsentscheidungen erließ und somit als letzte Entscheidungsinstanz dem Antragsteller im Produktzulassungsverfahren gegenübertrat, nutzte sie das Instrument der Entscheidung im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG. Der Betroffene konnte also beispielsweise die negative Zulassungsentscheidung nach der Novel-Food-Verordnung Nr.  258 / 97 / EG, der Verordnung über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel Nr.  1829 / 2003 / EG und der Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG972 unmittelbar vor den Gemeinschafts- (bzw. nunmehr Unions-)gerichten mithilfe der Nichtigkeitsklage anfechten.973 Das Urteil war allerdings nur ein Gestaltungsurteil mit der Folge der Bestätigung oder Nichtigerklärung der negativen Zulassungsentscheidung.974 Es wurde weder eine nicht erteilte Genehmigung vom EuGH ersetzt, noch der Kommission der Erlass einer Maßnahme vorgeschrieben. Dem Kläger, der eine positive Zulassungsentscheidung begehrte, war damit nicht geholfen.975 Der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten stand ihm aufgrund der vorrangigen gemeinschaftsrechtlichen (bzw. nunmehr unionsrechtlichen) Klagemöglichkeit ebenfalls nicht offen. Insofern gab es prozessuale Schwierigkeiten bei der Anfechtung einer negativen Zulassungsentscheidung, auch wenn Rechtsschutz mithilfe der Nichtigkeitsklage bei konkret-individuellen Verwaltungsentscheidungen 972  Siehe ausführlich zu den Rechtsschutzmöglichkeiten unter der REACH-Verordnung Nr.  1907 / 2006 / EG Martel, ZEuS 2008, 601 (637 ff.). Siehe auch Martel, ZEuS 2008, 601 (644 ff., 654 f.) zum Rechtsschutz gegen die Nichtaufnahme von Stoffen in den Anhang der REACH-Verordnung Nr. 1907 / 2006 / EG (Gemeinschaftsliste). Die Kommission erlässt die Gemeinschaftsliste nach dem Durchlaufen des Komitologieverfahrens als Verordnung. Insofern muss der Kläger darlegen, dass er unmittelbar und individuell betroffen ist, um Rechtsschutz nach Art. 230 Abs. 4 EG zu erlangen; so auch Delewski, LMuR 2009, 80 (83 ff.) bezüglich der Aufnahme von Health Claims in die Gemeinschaftsliste nach Art. 13 Abs. 3 Health Claims-Verordnung Nr.  1924 / 2006 / EG. 973  Seit 1989 ist insbesondere das Gericht erster Instanz für Klagen juristischer und natürlicher Personen zuständig, siehe Art. 3 Beschluss 88 / 591 / EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24.10.1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäi­schen Gemeinschaften, ABlEG L 319 v. 25.11.1988, S. 1. 974  Aus Art. 233 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 266 Abs. 1 AEUV) ergab sich für den Fall der erfolgreichen Nichtigkeitsklage die Bindungswirkung der verurteilten Gemeinschaftsorgane. 975  Martel, ZEuS 2008, 601 (658 ff.) fordert daher die Einführung einer europäischen Verpflichtungsklage. 972

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im Gegensatz zu den abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten grundsätzlich gegeben wäre. Der zentrale Rechtsschutz wird jedoch vom dezentralen Rechtsschutz verdrängt, sofern das Gemeinschaftsrecht (bzw. nunmehr Unionsrecht) durch die mitgliedstaatlichen Behörden vollzogen wird.976 Dieses duale Kontrollsystem erscheint auf den ersten Blick angemessen, allerdings entstehen Abgrenzungsschwierigkeiten und Wechselwirkungen, wenn eine eindeutige Zuordnung zum direkten oder indirekten Vollzug nicht mehr gelingt.977 Diese Problematik ist vor allem bei mehrphasigen Kooperationsverfahren – wie den Zulassungsverfahren im europäischen Produktzulassungsrecht – anzutreffen.978 Die europäischen Produktzulassungsentscheidungen wirken jedoch in erheblichem Maße auf die Rechte Einzelner ein, so dass die Frage nach einem effektiven europäischen Individualrechtsschutz wieder vermehrt an Aktualität gewinnt. Problematisch ist die Abgrenzung der Rechtsprechungskompetenzen zwischen Mitgliedstaaten und Europäi­ scher Union in Fällen, in denen die Verfahrensherrschaft von der mitgliedstaatlichen Behörde auf die Kommission übergeht, also insbesondere in dezentralen Produktzulassungsverfahren979. Diese Verfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass der Abschluss des mitgliedstaatlichen Zulassungsverfahrens auf einer staatengerichteten Kommissionsentscheidung beruht. Hier stellte sich die Frage, ob die formell an den Mitgliedstaat ergangene Kommissionsentscheidung von dem Betroffenen im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten werden konnte.980 Nach dem oben erläuterten dualen Rechtsschutzkonzept wäre aufgrund des verfahrensabschließenden nationalen Vollzugsakts Rechtsschutz nur vor dem nationalen Gericht zu suchen. Eine Nichtigkeitsklage scheiterte schon daran, dass der Antragsteller nicht unmittelbar und individuell betroffener Adressat der Kommissionsentscheidung war. Allerdings hatte der Mitgliedstaat die Entscheidung gegenüber dem Adressaten umzusetzen, das mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren wurde somit durch die bindende Kommissionsentscheidung präjudiziert. In den Fällen, in denen dem umset976  Prozessuales Trennungsprinzip, vgl. Lindner, JuS 2008, 1; J. Hofmann, in: Schmidt-Aßmann  /  Schöndorf-Haubold (Hrsg.), Der Europäi­ sche Verwaltungsverbund, 2005, S. 353 (359); Gärditz, ZUR 1998, 169 (175 f.). Zu den konzeptionellen Unterschieden des Rechtsschutzes in der gerichtlichen Kontrolldichte auf mitgliedstaatlicher Ebene und Gemeinschatsebene Delewski, LMuR 2009, 80 (86 ff.); Dörr, DVBl. 2008, 1401 (1403 f.). 977  So auch Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 189. 978  G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­schen Union, 2004, S. 284. 979  Siehe Teil 2 F. I. 1. 980  Befürwortend Riedel, EuR 2006, 512 (541).



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zenden Mitgliedstaat keine Entscheidungsfreiheit mehr verblieb, betonte der EuGH daher schon früh, dass nicht nur der nationale Ausführungsakt, sondern auch die Kommissionsentscheidung selbst direkt angreifbar sei.981 Dies gilt namentlich im Falle der Freisetzungs-Richtlinie 2001 / 18 / EG und der Humanarzneimittel-Richtlinie 2001 / 83 / EG, da bei den dezentralen Zulassungsverfahren die Kommission im Wege der Komitologie die letzte Entscheidung über die Zulassung dieser Produkte trifft und diese Entscheidung für die Mitgliedstaaten bindend ist. Folglich besteht auch kein na­ tionales Umsetzungsermessen.982 Es kann also sogleich Nichtigkeitsklage gegen die mitgliedstaatliche Zulassungsentscheidung vor den Gemeinschafts- bzw. nunmehr Unionsgerichten erhoben werden.983 Sollte der Betroffene jedoch Rechtsschutz vor einem nationalen Gericht gegen den formal von einer mitgliedstaatlichen Behörde erlassenen Vollzugsakt suchen, so ist zu berücksichtigen, dass sich das nationale Gericht nicht ohne weiteres über die verbindliche staatengerichtete Entscheidung der Kommission hinwegsetzen kann.984 Mitgliedstaatliche Gerichte haben grundsätzlich keine Verwerfungskompetenz gegenüber Kommissionsentscheidungen.985 Hält das nationale Gericht die Entscheidung der Kommission für rechtswidrig, muss es daher den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anrufen.986 981  EuGH, Urt. v. 13.03.1971 – verb. Rs. 41–44 / 70, Slg. 1971, 411 ff., Rn. 23 / 29 – NV International Fruit Company u. a. / Kommission; EuGH, Urt. v. 06.03.1979 – Rs. 2 / 78, Slg. 1979, 777 ff., Rn. 23 ff. – SpA Simmenthal / Kommission. Röhl, ZaöRV 2000, 331 (358) zweifelt, ob diese rechtsschutzfreundliche Konzeption des EuGH – die Möglichkeit nationalen Rechtsschutzes schließt die Nichtigkeitsklage nicht aus – langfristig die Rechtsschutzprobleme in der Verwaltungskooperation bewältigen kann. Schließlich führt die Rechtsprechung des EuGH zu einer Verdopplung des Rechtsschutzes, weil eine Anfechtung auf nationaler und europäischer Ebene schon wegen der sonst drohenden Bestandskraft notwendig ist. Siehe dazu EuGH, Urt. v. 23.01.1997 – Rs. C‑246 / 95, Slg. 1997, I-403 ff., Rn. 21 ff. – Myrianne Coen / Belgischer Staat. 982  Siehe dazu Teil 2 F. I. 1. 983  Siehe weitere Beispiele bei G. Sydow, Verwaltungskooperation in der Europäi­ schen Union, 2004, S. 285. 984  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 190. 985  EuGH, Urt. v. 22.10.1987 – Rs. 314  / 85, Slg. 1987, 4199 ff., Rn. 11, 15, 20 – Foto-Frost / Hauptzollamt Lübeck-Ost; EuGH, Urt. v. 21.03.2010 – Rs. C-6 / 99, Slg. 2000, I‑1651 ff., Rn. 54 – Association Greenpeace France u. a. / Ministère de l’Agriculture et de la Pêche u. a. Ausnahmen von diesem Grundsatz existieren nur für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, siehe EuGH, Rs.  C-334 / 95, Slg. 1997, I-4517 ff., Rn. 45 ff. – Krüger GmbH & Co. KG / Hauptzollamt HamburgJonas. 986  Reinacher, Die Vergemeinschaftung von Verwaltungsverfahren am Beispiel der Freisetzungsrichtlinie, 2005, S. 190.

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In mehrphasigen Kooperationsverfahren mit einer Vielzahl von Akteuren stellt sich ferner die Frage, ob auch Zwischenakte eines Akteurs Gegen­ stand einer Nichtigkeitsklage sein können, oder ob nur die verfahrensbeendende Zulassungsentscheidung angegriffen werden kann. So hat der Antragsteller im europäischen Produktzulassungsverfahren möglicherweise den Wunsch, in einem früheren Stadium des Zulassungsverfahrens beispielsweise gegen die negative gutachterliche Stellungnahme der zuständigen Agentur987 oder gegen die negative Stellungnahme des Komitologieausschusses vorzugehen, anstatt die verfahrensabschließende Entscheidung der Kommission abzuwarten. Die Judikatur des EuGH und des EuG spricht jedoch gegen derartige Anfechtungsmöglichkeiten: „Ferner liegt im Falle von Handlungen oder Entscheidungen, die in einem mehrphasigen Verfahren, insbesondere zum Abschluß eines internen Verfahrens, ergehen, eine anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei Maßnahmen vor, die den Standpunkt des Organs zum Abschluß dieses Verfahrens endgültig festlegen, nicht aber bei Zwischenmaßnahmen, die die abschließende Entscheidung vorbereiten sollen.“988

Zwischenakte im Zulassungsverfahren, insbesondere negative Gutachten der zuständigen Regulierungsagentur oder Stellungnahmen der Komitologieausschüsse, konnten somit nicht isoliert angefochten werden.989 Als Klagegegenstand der Nichtigkeitsklage kamen für den Kläger mithin nur Maßnahmen mit verbindlicher Außenwirkung in Betracht. Handlungen, die diese Eigenschaft nicht aufwiesen, insbesondere Empfehlungen und Stel987  Nach dem Wortlaut des Art. 230 EG kamen die europäischen Regulierungsagenturen als Klagegegner nicht in Betracht. Dies wurde aber nach der Rechtsprechung des EuG als statthaft angesehen (Vgl. EuG, Urt. v. 08.10.2008 – Rs. T-411 / 06, Slg. 2008, II-2771 ff., Rn. 33–57 – Sogelma – Societá generale lavori manutenzioni appalti Srl / Europäi­ sche Agentur für den Wiederaufbau). Ausführlich dazu Saurer, EuR 2010, 51 (60 f.); Gundel, EuR 2009, 383 (387 ff.); Riedel, EuZW 2009, 565 ff.; Saurer, DVBl. 2009, 1021 (1024 f.). Nunmehr sieht Art. 263 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 2 AEUV ausdrücklich vor, dass neben Handlungen der Unionsorgane auch solche der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten durch den Gerichtshof überprüft werden können. Allerdings kann der Rechtsschutzsuchende bei einem Vorgehen gegen ein Agenturgutachten auch zukünftig nur auf die Möglichkeit der Klage gegen die verfahrensbeendende Entscheidung der Kommission verwiesen werden, solange das Vorliegen einer Rechtswirkung gegenüber Dritten bei derartigen Gutachten verneint wird. Zu den sektoral-agenturspezifischen Rechtsschutzformen, die in den jeweiligen Gründungsverordnungen der Agenturen geregelt sind Saurer, EuR 2010, 51 (57 ff.); Gundel, EuR 2009, 383 (387 f.) m. w. N. 988  EuGH, Urt. v. 11.11.1981 – Rs. 60 / 81, Slg. 1981, 2639 ff., Rn. 10 – International Business Machines Corporation  /  Kommission; EuG, Urt. v. 22.05.1996 – Rs. T-277 / 94, Slg. 1996, II-351 ff., Rn. 51 – Associazione Italiana Tecnico Economica del Cemento (AITEC) / Kommission. 989  Saurer, EuR 2010, 51 (61 f.) m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuG.



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lungnahmen gemäß Art. 249 Abs. 5 EG (nunmehr Art. 288 Abs. 5 AEUV) stellten daher keine Entscheidungen990 im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG dar.991 Überdies geht von den Gutachten der Agenturen schon keinerlei Bindungswirkung für die Kommission aus;992 sie sind vielmehr – ebenso wie die Stellungnahmen der Komitologieausschüsse – interner Natur.993 Insofern war der Antragsteller bei Rechts- und Verfahrensmängeln der vorbereitenden Akte darauf verwiesen, diese Mängel im Rahmen einer Klage gegen die verfahrensabschließende Entscheidung der Kommission geltend zu machen:994 „Auch wenn [das Fachgutachten] die Kommission nicht bindet, ist es von entscheidender Bedeutung, so dass seine etwaige Rechtswidrigkeit als Verletzung wesentlicher Formvorschriften anzusehen ist, die die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Kommission beeinträchtigt.“995

III. Ausblick: Notwendige Reformen des Individualrechtsschutzes Abschließend ist festzuhalten, dass sich die abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakte von den Einzelfallentscheidungen der Kommission nicht nur im Hinblick auf die untersuchten Anhörungsrechte, sondern auch hinsichtlich der Anforderungen an den Individualrechtsschutz in wesentlichen Punkten unterschieden. Dennoch vereinigte der Begriff der Durchführung im Sinne der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG zwei ihrem Wesen nach verschiedene Rechtsakte unter einem gemeinsamen „Rubrum“996. Die be990  Die Rechtsform der „Entscheidung“ ist mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon aus dem Katalog der Handlungsformen des Art. 288 AEUV vollständig verschwunden. An ihre Stelle tritt nunmehr der „Beschluss“ (Art. 288 Abs. 4 AEUV). Art. 263 Abs. 4 AEUV lässt ferner Rechtsschutz gegen alle verbindlichen Handlungen der Union zu (Handlungsformenneutralität). Siehe dazu Teil 3 E. II. 991  Bieber / Epiney / Haag, Die Europäi­ sche Union, 10. Aufl. (2013), § 9 Rn. 38; Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäi­schen Union, 2. Aufl. (2003), § 7 Rn. 37. 992  Aus Art. 17 Abs. 1 S. 2 Health Claims-Verordnung Nr. 1924  / 2006 / EG ergibt sich z. B. ausdrücklich, dass der Maßnahmeentwurf der Kommission von der Stellungnahme der EFSA abweichen kann; siehe auch Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 192 f. 993  Siehe v. Danwitz, GRUR 2005, 896 (903); Blattner, Europäi­sches Produktzulassungsverfahren, 2003, S. 192 f. 994  Delewski, LMuR 2009, 80 (82); Saurer, DVBl. 2009, 1021 (1026); Burgi, in: Rengeling  /  Middeke  /  Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäi­schen Union, 2. Aufl. (2003), § 7 Rn. 40. 995  EuG, Urt. v. 26.11.2002 – verb. Rs.  T-74 / 00, T-76 / 00, T-83 / 00, T-84 / 00, T-85 / 00, T‑132 / 00, T-137 / 00 und T-141 / 00, Slg.  2002, II-4945 ff., Rn.  197 – Ategodan GmbH u. a. / Kommission. 996  Riedel, EuR 2006, 512 (542).

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Teil 2: Die Komitologie vor der Lissabonner Vertragsreform

kanntere Kategorie, die der abstrakt-generellen Rechtsakte, ähnelte in einigen Punkten – wie z. B. bei der Abgrenzung der Durchführungsrechtsetzung von der vertragsunmittelbaren Rechtsetzung anhand des Wesentlichkeitskriteriums997 – der nationalstaatlichen exekutiven Rechtsetzung. Die einzelfallbezogenen Durchführungsrechtsakte warfen demgegenüber aufgrund ihrer spezifischen Wirkungsweise gegenüber dem Einzelnen hauptsächlich Fragen nach der Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes und der Gewährleistung von rechtsstaatlichen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens auf. Hierauf wurden bisher jedoch nur defizitäre Antworten gefunden.998 Schwierigkeiten bereitete insbesondere der Umstand, dass sich die konkret-individuellen Verwaltungsentscheidungen der Kommission nicht eindeutig als Vollzugs- oder Durchführungsmaßnahmen qualifizieren ließen. Mit dem Begriff der „Durchführung“ im Sinne von Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG wurde in erster Linie die abstrakt-generelle Rechtsetzung der Kommission zur Steuerung der nationalen Vollzugsbehörden im Einklang mit den Gemeinschaftspolitiken beschrieben.999 Beim Erlass konkret-individueller Entscheidungen im Sinne von Art.  202, 3.  Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG wurde die Kommission selbst als Vollzugsorgan tätig.1000 Die Komitologie behandelte jedoch beide Arten von Durchführungsmaßnahmen unterschiedslos. Dies schlug sich auch auf die Effektivität der Verfahrensrechte und des Individualrechtsschutzes nieder. Anhörungs- oder Klagerechte für Betroffene einer konkret-individuellen Verwaltungsentscheidung der Kommission existierten im Komitologiesystem nicht. Die Betroffenen hatten lediglich die Möglichkeit, die belastende Kommissionsentscheidung mithilfe der Nichtigkeitsklage anzufechten, welche bei einem erfolgreichen gerichtlichen Vorgehen vom EuGH für nichtig erklärt wurde. Er konnte aber nicht die vom Kläger begehrte positive Zulassungsentscheidung ersetzen oder die Kommission zum Erlass einer solchen Maßnahme verpflichten. Dem Adressaten einer negativen Zulassungsentscheidung war somit nur partiell geholfen. Eine systematische Trennung von abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten und einzelfallbezogenen Verwaltungsentscheidungen wäre daher ein erster Schritt zur Verbesserung des Individualrechtsschutzes und zur effektiven Gewährleistung von Verfahrensgrundrechten. So sollten konkretindividuelle Durchführungsrechtsakte zukünftig nur noch in der Handlungsform der Entscheidung bzw. nunmehr des Beschlusses ergehen, da sich 997  Siehe

Teil 1 C. I. 1. auch Riedel, EuR 2006, 512 (542 f.). 999  So auch Gärditz, DÖV 2010, 453 (454). 1000  Martel, ZEuS 2008, 601 (636); D. Groß, Produktzulassung von Novel Food, 2001, S. 175. 998  So



F. Regelung brisanter Politikbereiche im Rahmen der Komitologie195

dadurch einzelfallbezogene Handlungsformen der Gemeinschaft auch als solche präziser identifizieren ließen. In der Konsequenz würden einzelfallbezogene Durchführungsrechtsakte überwiegend als administrative Rechtsformen wahrgenommen werden – in Abgrenzung zu den abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten, die der legislativen Tätigkeit der Kommission zuzuordnen sind.1001 Aus dieser Trennung könnten in der Folge spezifische Rechtsschutzmöglichkeiten entwickelt werden. Im dritten Kapitel werden die erörterten Rechtsschutzlücken und die dargelegten Reformvorschläge wieder aufgegriffen und mit dem Rechtsschutzregime nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verglichen.1002

1001  Für eine stärkere funktionale Differenzierung der Handungsformen Gärditz, DÖV 2010, 453 (454). 1002  Teil 3 E.

Teil 3

Die „Durchführung“ des Unionsrechts durch die Kommission als Teil der europäischen Rechtsetzungstätigkeit nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon1003 am 1. Dezember 2009 stellen die beiden Kategorien der „delegierten Rechtsakte“ (Art. 290 AEUV) und der „Durchführungsrechtsakte“ (Art. 291 AEUV) die neuen primärrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Durchführungsrechtsetzung (i. w. S.)1004 der Kommission dar. Innerhalb dieser vertraglichen Rechtsgrundlagen wurde die Komitologie neu angesiedelt. Zwar geht der Vertrag von Lissabon auf die Komitologie expressis verbis nicht näher ein, aus dem Wortlaut des Art. 291 Abs. 3 AEUV ergibt sich jedoch, dass die Komitologie nunmehr lediglich bei dem Erlass von Durchführungsrechtsakten der Kommission gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV zur Anwendung kommt.1005 Art. 291 Abs. 3 AEUV und die auf dieser Grundlage ergangene Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU1006 lösen somit die bisherige Rechts1003  Volltitel: Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäi­ sche Union und des Vertrags zur Gründung der Europäi­schen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, in Kraft getreten am 1. Dezember 2009, ABlEU C 306 v. 17.12.2007, S. 1. 1004  Siehe zu den Durchführungsrechtsakten i. w. S. Teil 1 D. IV. 1. 1005  Art. 291 Abs. 3 AEUV besagt, dass „das Europäi­sche Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen im Voraus allgemeine Regeln und Grundsätze fest[legen], nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren“. Dieser Wortlaut ähnelt dem der Vorgängernorm, Art. 202, 3. Sp., S. 4 EG, welche vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Rechtsgrundlage für den Erlass der Komitologiebeschlüsse darstellte. Nach dieser Vorschrift mussten „die Modalitäten [für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse] […] den Grundsätzen und Regeln entsprechen, die der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäi­schen Parlaments vorher einstimmig festgelegt hat“. 1006  VO Nr.  182  /  2011  /  EU des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 16.02.2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 13 (im Folgenden: Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU).



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon197

grundlage für die Übertragung der Rechtsetzungsbefugnisse, die Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG sowie die bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehenden Komitologiebeschlüsse, ab. Ob diese Reformen zu einer Vereinfachung des Komitologiesystems führen, welches u. a. als „Da-Vinci-Code“1007 bezeichnet wurde, und die gewaltenteilige Rechtsetzung sowie die Prinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken oder doch eher ein „Sakrileg“ darstellen – um im Duktus des Krimibestsellerautors Dan Brown zu bleiben – sollen die Untersuchungen dieses letzten Kapitels zu Tage fördern. Dabei werden die Änderungen, die das Komitologiesystem durch den Vertrag von Lissabon erfahren hat, aufgezeigt und es wird dargestellt, wie sich diese Änderungen auf die Machtverteilung zwischen Kommission, Rat und Parlament auswirken. Zunächst beschäftigen sich die Untersuchungen jedoch mit den neuen Kategorien der Gesetzgebungsakte, der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte. Die drei Rechtsakttypen werden auf ihren Gehalt und ihr Verhältnis zueinander analysiert. Anschließend erfolgt eine Darstellung der Konsequenzen dieser neuen Typologie der Rechtsakte für den Begriff der „Durchführung“ und das Delegationsverständnis. Dieser Abschnitt schließt somit an die Ergebnisse des ersten Kapitels1008 an und veranschaulicht die beachtlichen institutionellen Veränderungen durch die Aufspaltung der Durchführungsrechtsetzung i. w. S. in zwei eigenständige Kategorien von Rechtsakten. Abschließend werden die für das Gemeinschaftsrecht bereits im ersten und zweiten Kapitel beantworteten Fragen nach der normenhierarchischen Stellung der Durchführungsrechtsakte (i. w. S.)1009 und nach den Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die abgeleitete Rechtsetzung1010 der Kommission für das Unionsrecht geklärt.

A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon Ein wesentliches Reformziel des Verfassungsvertrags bestand in der Hierarchisierung der Rechtsakte. Die Art. I-33 ff. EVV unterschieden insofern zwischen Akten mit und ohne Gesetzescharakter.1011 Während die Handlungsformen des Europäi­schen Gesetzes und des Europäi­schen Rahmenge1007  So der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei der Abschlusspressekonferenz zum Europäi­schen Rat im Juni 2006, zitiert nach Schusterschitz, Europa Blätter 2006, 176. 1008  Siehe Teil 1 A. I. und B. I. 1009  Siehe Teil 2 F. II. 2. a) und F. II. 2. b). 1010  Siehe Teil 2 F. II. 2. 1011  Siehe dazu ausführlich Teil 1 D. IV. 1.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

setzes der „Verfassungsfeindlichkeit“ des Vertrags von Lissabon zum Opfer fielen, hat die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter1012 den Prozess der Entkonstitutionalisierung überlebt, siehe z. B. Art. 289 Abs. 3 und Art. 290 Abs. 1 sowie Abs. 2 ­AEUV.1013 Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Rechtsakttypen vollzieht sich anhand des Verfahrens, welches für die Entstehung des Rechtsakts maßgeblich ist.1014 I. Gesetzgebungsakte Unter das Label der Gesetzgebungsakte fallen somit nur solche Rechtsakte, die nach den im Vertrag vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind. Aus der Verweisung des Art. 289 Abs. 3 AEUV auf die Gesetzgebungsverfahren nach Abs. 1 und Abs. 2 geht hervor, dass insoweit nur das ordentliche Gesetzgebungsverfahren1015 (Art. 289 Abs. 2, Art. 294 AEUV) oder die besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 2 AEUV)1016 für den Erlass eines Rechtsakts mit Gesetzescharakter in Betracht kommen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Gesetzgebungsverfahren ist so ausgeformt, dass die jeweilige Zuständigkeitsnorm des Vertrags die Wahl des Verfahrens festlegt.1017 Grundsätzlich erlassen Rat und Parlament die Gesetzgebungsakte gemäß Art. 289 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 14 und Art. 16 EUV gemeinsam.1018 Als Handlungsformen ste1012  Festzuhalten ist jedoch, dass diesen Rechtsakten trotz des Zusatzes „ohne Gesetzescharakter“ nicht der materiell-rechtliche Gesetzescharakter fehlt, da es sich ausweislich des Wortlauts des Art. 290 Abs. 1 AEUV um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung handelt. Sydow, JZ 2012, 157 (158) hält dementsprechend die Begriffswahl für misslungen, da sie Zweifel an dem zugrunde liegenden Gesetzesbegriff wecke. Der Terminus „Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter“ wäre danach präziser und würde verdeutlichen, dass die entsprechenden Rechtsakte nicht in einem Verfahren der sekundären Gesetzgebung gemäß Art. 294 AEUV, sondern durch die Kommis­ sion erlassen wurden. 1013  Vgl. Rat der Europäi­schen Union, Dok. Nr. 11218 / 07 v. 26.06.2007, Mandat für die Regierungskonferenz, S. 9. Nach Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (211) konnte sich insgesamt, trotz der Verschiebungen gegenüber dem Verfassungsvertrag u. a. in der Wortwahl, das System des Verfassungsvertrags inhaltlich durchsetzen. 1014  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 289 AEUV Rn. 16; Dougan, CML Rev. 2008, 617 (646): „purely formal criterion“. 1015  Ausführlich zum Erlassverfahren Best, MJ 2008, 85 (89 ff.). 1016  Ebd., 85 (92 ff.). 1017  Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 12 S. 112. 1018  Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 15.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon199

hen ihnen dabei alle rechtlich verbindlichen Rechtsakte des Art. 288 ­AEUV1019 zur Verfügung.1020 Allerdings befinden sich Rat und Parlament lediglich beim ordentlichen Gesetzgebungsverfahren auf gleicher Augen­ höhe.1021 Beim besonderen Gesetzgebungsverfahren hingegen erlässt grundsätzlich der Rat den Rechtsakt, wohingegen das Europäi­ sche Parlament daran prinzipiell nicht gleichberechtigt mitwirken darf (z. B. bei Art. 23 Abs. 2 AEUV).1022 Daher bietet nur das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ein Höchstmaß an demokratischer Legitimation bei der Gesetzgebung, indem es die direkte Legitimation durch das Europäi­sche Parlament und die indirekte Legitimation durch die Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten im Rat wirkungsvoll ausgleicht.1023 Neben der formellen Unterscheidung von Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter anhand des zugrunde liegenden Erlassverfahrens können beide Rechtsakttypen auch inhaltlich voneinander abgegrenzt werden.1024 Ausweislich des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV sind die „wesentlichen Aspekte eines Bereichs“ durch den Unionsgesetzgeber selbst zu regeln. Das Gebot der Regelung wesentlicher Aspekte im Basis1019  Die „Entscheidung“ trägt seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon (und auch schon im gescheiterten Verfassungsvertrag, Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 5 EVV) den Namen „Beschluss“ und erhält eine leicht modifizierte Definition, Art. 288 Abs. 3, S. 2 AEUV: „Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich“. Art. 249 EG: „Die Entscheidung ist in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet.“ Zu den Konsequenzen dieser Umbenennung Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 50 f. 1020  Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 15; Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (547). 1021  Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 94. 1022  Ausführlich zum besonderen Gesetzgebungsverfahren Haratsch / Koenig /  Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. (2012), Rn. 338 ff. Zu den wenigen Fällen, in denen das Parlament im besonderen Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Rat eine Vorrangstellung einnimmt (z. B. Art. 226 Abs. 3 und Art. 228 Abs. 4 AEUV), vgl. Best, MJ 2008, 85 (92). 1023  Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 12 S. 112. 1024  Die Erlassverfahren dieser beiden Rechtsakttypen unterscheiden sich zudem durch die ungleichartig ausgeprägten Transparenzanforderungen: Eine Pflicht, öffentlich zu tagen, besteht gemäß Art. 16 Abs. 8 EUV und Art. 15 Abs. 2 AEUV nur für den Rat und das Parlament, wenn sie über Entwürfe für Gesetzgebungsakte beraten und abstimmen; vgl. Kröll, ZÖR 2011, 253 (261); Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 95; Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­ sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (551); vgl. auch schon Fn. 464.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

rechtsakt hat seinen Ursprung in der Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH1025 und folgt unmittelbar aus dem Demokratieprinzip1026, wonach die wesentlichen Regelungen vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen und nicht einem exekutiven Normgeber übertragen werden dürfen.1027 Damit normiert Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV erstmals ausdrücklich einen primärrechtlichen Vorbehalt für Gesetzgebungsakte.1028 Auf diese Weise wird den Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gemäß Art. 2 EUV Rechnung getragen1029 und die in Art. 289 bis Art. 291 AEUV vorgesehene gewaltenteilige Rechtsetzung gefördert.1030 II. Rechtsakte ohne Gesetzescharakter Rechtsakte ohne Gesetzescharakter sind mit Blick auf Art. 289 Abs. 3 AEUV nur solche Rechtsakte, die nicht im Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV angenommen wurden. Zuständig für den Erlass von Rechtsakten ohne Gesetzescharakter sind der Rat (vgl. u. a. Art. 291 Abs. 2 AEUV), die Kommission (vgl. u. a. Art. 290 und Art. 291 AEUV) und in bestimmten Fällen auch die Europäi­sche Zentralbank (vgl. u. a. Art. 127 Abs. 2, 1. Sp. und Art. 128 Abs. 1 AEUV).1031 Das Europäi­ sche Parlament muss nicht beteiligt werden, dennoch ist eine Mitwirkung in vielen Fällen, in denen der Rat einen Rechtsakt ohne Gesetzescharakter erlässt, vorgesehen.1032 Bei dem Erlass von Rechtsakten ohne Gesetzescharakter können sich die Unionsorgane zudem derselben Handlungsformen bedienen, die auch bei dem Erlass von Gesetzgebungsakten zur Verfügung 1025  Jacqué,

RTDE 2008, 457 (479). Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 3. Siehe zur Stärkung des Demokratieprinzips durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 83 ff. 1027  Siehe Teil 1 C. I. 2. 1028  So Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art.  290 und 291 AEUV, 2012, S. 82 ff.; Kröll, ZÖR 2011, 253 (265). 1029  Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2. 1030  Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1077). 1031  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 37. In bestimmten Fällen kann auch der Rat der Europäi­schen Union Rechtsakte ohne Gesetzescharakter erlassen, vgl. Art. 22 Abs. 1 EUV. 1032  Z. B. Art. 74, Art. 78 Abs. 3, Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2, Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3, Art. 86 Abs. 4, Art. 125 Abs. 2, Art. 129 Abs. 4, Art. 140 Abs. 2 und Art. 352 Abs. 1 S. 1 AEUV. 1026  So



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon201

stehen,1033 da die vom gescheiterten Verfassungsvertrag vorgenommene Aufspaltung der Handlungsformen für Gesetze bzw. Rahmengesetze einerseits und für Rechtsakte ohne Gesetzescharakter andererseits vom Vertrag von Lissabon nicht beibehalten wurde.1034 Rechtsakte ohne Gesetzescharakter können auf der Grundlage des primären Unionsrechts ergehen, wenn die Bestimmungen des EU-Vertrags und des AEUV eine originäre Befugnis zur Rechtsetzung ausdrücklich vorsehen. Die vertragliche Grundlage enthält in diesem Fall bereits die wesentlichen politischen Grundentscheidungen.1035 Dies führt zu folgender Feststellung: „Damit wird es im Gegensatz zum Verfassungsvertrag nicht möglich sein, auf einen Blick Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse als Gesetzgebungsakte von Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüssen, die als Rechtsakte ohne Gesetzescharakter erlassen werden, aber direkt auf einer vertraglichen Rechtsgrundlage beruhen (dh nicht als delegierte oder Durchführungsrechtsakte nach Art 290 oder Art. 291 AEUV erlassen werden) zu unterscheiden.“1036

Ferner können Rechtsakte ohne Gesetzescharakter auch auf der Grund­lage von abgeleitetem Unionsrecht, als delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV) – beruhend auf Gesetzgebungsakten1037 – und als Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV) – beruhend auf Gesetzgebungsakten, delegierten Rechtsakten oder Rechtsakten, die im Vertrag selbst vorgesehen sind1038 – ergehen. Im Anwendungsbereich der delegierten Rechtsakte kann der Kommission die Befugnis zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsakts übertragen werden (Art. 290 Abs. 1 AEUV), während die Durchführungsrechtsakte die einheitliche Durchfüh1033  Anders als bei den Gesetzgebungsakten sind bei den delegierten Rechtsakten und den Durchführungsrechtsakten auch noch atypische Handlungsformen möglich. Dies folgt aus einem Umkehrschluss aus Art. 296 Abs. 3 AEUV; siehe dazu Calliess, Die neue Europäi­ sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 299 f.; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (491); a. A. Kröll, ZÖR 2011, 253 (262). 1034  Streinz / Ohler / Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005, § 9 S. 63 f. 1035  Vgl. insbesondere das Wettbewerbsrecht Art. 103 Abs. 1, Art. 105 Abs. 3, Art. 106 Abs. 3 und Art. 108 Abs. 4 AEUV. In dem Vertrag von Lissabon lassen sich 19 verschiedene Verfahren zum Erlass dieser Kategorie von Rechtsakten ausmachen, vgl. Best, MJ 2008, 85 (93). 1036  Schusterschitz, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (215). 1037  Dabei spielt es keine Rolle, ob der Gesetzgebungsakt im ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde, vgl. Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 253; Kröll, ZÖR 2011, 253 (260) m. w. N. 1038  Ruffert, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 2; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (493); Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­ scher Verfassungsvertrag, 2007, Art. I-37 EVV Rn. 2; CONV 424 / 02, Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29.11.2002, S. 11.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

rung der verbindlichen Rechtsakte der Union durch die Mitgliedstaaten gewährleisten sollen (Art. 291 Abs. 1 AEUV). Soweit es unionsweit einheitlicher Regelungen für die Durchführung bedarf, ist eine Koordinierung durch Unionsrechtsakte zulässig, welche im Regelfall die Kommission und in Ausnahmefällen der Rat erlässt (Art. 291 Abs. 2 AEUV). Eine derartige Zweiteilung der Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission war im Gemeinschaftsrecht, im Anwendungsbereich der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG, nicht ausdrücklich vorgesehen, obgleich beide Arten durchaus vorkamen,1039 allerdings unter dem einheitlichen Begriff der „Durchführungsrechtsetzung“ (uniformes Durchführungsmodell1040). Im Folgenden wird daher das neue zweigliedrige Durchführungsmodell1041 (Unterteilung der Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission in delegierte Rechtsakte und in Durchführungsrechtsakte) näher beleuchtet, indem die materiellen Voraussetzungen der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte sowie deren Verhältnis1042 zueinander untersucht werden. 1. Delegierte Rechtsakte Mithilfe der delegierten Rechtsakte können Parlament und Rat der Kommission in Gesetzgebungsakten die Befugnis übertragen, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zu erlassen. Da die Kommission anstelle der beiden Gesetzgeber tätig wird, übt sie (quasi‑)legislative Befugnisse aus.1043 Diese Art der Rechtsetzung wird daher häufig auch als exekutive Gesetzgebung1044 (Art. 17 Abs. 1 S. 5, 2. Var. EUV) bezeichnet. Delegierte Rechtsakte sind somit keine Gesetzgebungsakte im formellen Sinn, sie begründen jedoch verbindliches Recht und erfüllen somit den materiellrechtlichen Gesetzesbegriff.1045 1039  Siehe beispielsweise VO Nr. 994  / 98 / EG des Rates v. 07.05.1998 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäi­ schen Gemeinschaft auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABlEG L 142 v. 14.05.1998, S. 1. Siehe dazu auch schon Teil 1 A. I. 1040  Siehe dazu schon Teil 1 D. IV. 1. 1041  Ebd. 1042  Siehe dazu Teil 3 C. 1043  Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. (2012), Rn. 346; Edenharter, DÖV 2011, 645 (646). 1044  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 2; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 97. 1045  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 2; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2; siehe auch schon Fn. 336.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon203

Die Ermächtigung zum Erlass formeller Gesetze hingegen darf nicht delegiert werden. Aus der Regelung des Art. 290 Abs. 1 AEUV folgt weiter, dass die Kommission als alleinige Adressatin der Delegation die legislativen Befugnisse nicht an andere Einrichtungen der Union weiterleiten darf. Die Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung kann nur in Gesetzgebungsakten enthalten sein. Eine Subdelegation der Befugnisse an beispielsweise spezialisierte Agenturen ist damit ausgeschlossen.1046 Zudem wurde die im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Möglichkeit der Selbstermächtigung1047 des Rats in Art. 202, 3. Sp. EG bei dem Erlass von delegierten Rechtsakten abgeschafft. Die Möglichkeit der Selbstermächtigung besteht in abgeschwächter Form nur noch beim Erlass von Durchführungsrechtsakten, denn gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV entscheiden Parlament und Rat nunmehr als Unionsgesetzgeber gemeinsam darüber, ob dem Rat ausnahmsweise Durchführungsbefugnisse übertragen werden.1048 Hervorzuheben ist ferner, dass die Kommission nur im Falle der Ergänzung oder Änderung nicht wesentlicher Elemente des ermächtigenden Gesetzgebungsakts anstelle des Unionsgesetzgebers tätig werden darf (Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV). Mit der Wendung der „nicht wesent­ lichen Vorschriften“ in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV haben die Vertragsparteien die vom EuGH geschaffene Differenzierung von wesentlichen und nicht wesentlichen Bestimmungen eines Rechtsakts primärrechtlich verankert.1049 Es wurde jedoch nicht definiert, welche Aspekte eines Rechtsakts zu den wesentlichen und welche zu den nicht wesentlichen gehören. Die gemeinschaftsrechtliche Wesentlichkeits­ rechtsprechung des EuGH liefert dazu jedoch einige Anhaltspunkte. Danach sind jene Bestimmungen als wesentlich anzusehen, durch welche die grundsätzliche Ausrichtung der

1046  Schlacke, JÖR 2013, 293 (307); Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 1; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 27; Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (207); Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1083); Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäi­ schen Union, Kommentar I, 2006, Art. I-36 EVV Rn. 7; siehe dazu auch Teil 2 E. I. 1047  Siehe dazu Teil 1 C. I. 1. d). 1048  Ruffert, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 291 AEUV Rn. 9; siehe dazu auch noch Teil 3 A. II. 2. 1049  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 6; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 10. Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon war die Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH lediglich in Art. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG verankert.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Gemeinschaftspolitiken umgesetzt wird.1050 Im Gegensatz dazu dürften bloße Detailregelungen, insbesondere technischer Art, als nicht wesentlich betrachtet werden.1051 Die Entscheidung über die Abschaffung der tradi­ tionellen Glühbirne, welche im Wege der Komitologie getroffen wurde,1052 zeigt in Anbetracht der großen wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entscheidung für Unternehmen, Unionsbürger und Mitgliedstaaten, dass es in der Praxis nicht immer einfach ist, wesentliche Aspekte eines Politikbereichs von den nicht wesentlichen Aspekten zu unterscheiden.1053 Zusätzlich zu den genannten Kriterien sollte die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme zukünftig bei der Beurteilung der wesentlichen Aspekte einer Regelungsmaterie mit einfließen.1054 Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus Art.  290 AEUV, lässt sich aber aus den Bestimmungen der Grundrechtecharta, insbesondere aus Art. 51 Abs. 1 GRCh, ableiten.1055 In seiner gemeinschaftsrechtlichen Wesentlichkeitsrechtsprechung zu Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG hat der EuGH auch unterschiedlich strenge Anforderungen an die Bestimmtheit der Befugnisübertragungen gestellt.1056 Eine primärrechtliche Festlegung konkreter Anforderungen an Ermächtigungen in Basisrechtsakten existierte jedoch nicht. Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Einführung des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 AEUV wurden diese inhaltlichen Anforderungen an den Umfang der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vom EuGH jeweils im Einzelfall anhand des Gehalts des Basisrechtsakts ermittelt.1057 Im Gegensatz dazu normiert Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 AEUV nun erstmals pri1050  EuGH, Urt. v. 27.10.1992 – Rs. C-240  / 90, Slg. 1992, I-5383 ff., Rn. 37 – Bundesrepublik Deutschland / Kommission; siehe zur Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH Teil 1 C. I. 1. 1051  Hetmeier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV / AEUV / GRCh, 6.  Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 7; Dehousse, Journal of European Public Policy 2003, 798 (800). 1052  Art. 15 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art 19 Abs. 3 RL 2005 / 32 / EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates vom 06.07.2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte und zur Änderung der Richtlinie 92 / 42 / EWG des Rates sowie der Richtlinien 96  /  57  /  EG und 2000  /  55  /  EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates, ABlEG L 191 v. 22.07.2005, S. 29. 1053  Kröll, in: Debus  / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (199). 1054  So auch Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 64 zu Art. I‑36 EVV; siehe dazu ausführlich Teil 1 C. I. 3. b). 1055  So Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 42; siehe dazu ausführlich Teil 1 C. I. 3. b). 1056  Siehe dazu schon Teil 1 C. I. 1. b). 1057  H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 (4); siehe Teil 1 C. I. 1. b).



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon205

märrechtlich explizite Anforderungen an die Ermächtigungen in den (Basis‑) Gesetzgebungsakten. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet – ähnlich wie bei der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG – kumulativ sowohl die Ziele, den Inhalt und den Geltungsbereich der Befugnisübertragung ausdrücklich in dem betreffenden Gesetzgebungsakt festzulegen. Mithilfe dieser unionsrechtlichen Bestimmtheitstrias soll die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission durch den Gesetzgeber hinreichend begrenzt und eine willkürliche Veränderung des Charakters des Gesetzgebungsakts verhindert werden.1058 Während also die Frage der Wesentlichkeit darüber entscheidet, „ob“ eine Delegation zulässig ist, regelt die Bestimmtheitstrias das „Wie“ der Übertragung.1059 Demgegenüber steht die Befristung des delegierten Rechtsakts im Ermessen des Unionsgesetzgebers, da sie für eine Eingrenzung der Befugnisse der Kommission nicht zwingend erforderlich ist.1060 Die Dauer der Befugnisübertragung stellt nämlich – anders als Ziel, Inhalt und Geltungsbereich – keine inhaltliche Begrenzung dar, sondern ähnelt vielmehr den Bedingungen in Art. 290 Abs. 2 AEUV, die eine optionale Beendigung der Delegation vorsehen.1061 Überschreitet die Kommission die vorgesehenen Grenzen des Basisrechtsakts, handelt sie ultra vires, der delegierte Rechtsakt ist dann unwirksam.1062 1058  Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 14; ebenso Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 83 ff. allerdings zu Art. I‑36 EVV; ausführlich zu den Anforderungen an das Ermächtigungsgesetz Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Art. 290 AEUV Rn. 48 ff. 1059  So Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 88 zu Art. I‑36 EVV. 1060  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 51; D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechts­praxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 103. A. A. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 112, wonach der Gesetzgebungsakt stets eine Aussage zur Dauer der Befugnisübertragung enthalten muss. Die Ansicht Haselmanns führt letztendlich aber zu demselben Ergebnis, da auch nach Haselmann eine Befristung nicht zwingend sei: „ ‚Dauer‘ meint eben auch unbegrenzte Dauer.“ 1061  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 51. 1062  Ständige Rechtsprechung siehe z.  B. EuGH, Urt. v. 14.04.2008 – verb. Rs. C-14 / 06 und C-295 / 06, Slg. 2008, I-1649 ff., Rn. 52 ff. – Parlament und Königreich Dänemark / Kommission; vgl. auch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 49; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 11.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Diese Rechtsfolge tritt ex tunc und automatisch ein.1063 Allerdings obliegt die Feststellung dieser Ex-tunc-Rechtsfolge ausschließlich dem Gerichtshof (Verwerfungsmonopol).1064 Im Gegensatz dazu tritt der befristete delegierte Rechtsakt in dem Moment des Fristablaufs ex nunc außer Kraft.1065 Ebenso unwirksam ist jedoch auch der ermächtigende Gesetzgebungsakt, dem die in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 AEUV obligatorischen Inhalte fehlen oder dessen Vorgaben zu unbestimmt sind, um die ihnen zugedachte Lenkungsfunktion,1066 nämlich die in Art. 289 bis Art. 291 AEUV vorgesehene gewaltenteilige Rechtsetzung, zu erfüllen. Neben den bereits genannten inhaltlichen Grenzen der Delegation können Rat und Parlament in Gesetzgebungsakten ferner Bedingungen für die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen vorsehen.1067 Zu den Instrumenten der nachträglichen (Ex-post-)Kontrolle gehören gemäß Art. 290 Abs. 2 lit. a AEUV das Widerrufsrecht (Evokationsrecht) und gemäß Art. 290 Abs. 2 lit. b AEUV das Einspruchsrecht (Delegation unter Einspruchsvorbehalt). Zwar können Rat und Parlament die Delegation von legislativen Befugnissen an die Kommission jederzeit durch den Erlass eines neuen Gesetzgebungsakts beenden,1068 gleichwohl eröffnet das Widerrufsrecht die Möglichkeit, ohne Vorschlag der Kommission (Art. 289 Abs. 1 AEUV), die Übertragung der Rechtsetzungsbefugnisse unabhängig voneinander zu widerrufen 1063  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 57. 1064  Ebd. 1065  Ebd. 1066  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 7; Kröll, ZÖR 2011, 253 (266); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 11. 1067  Aus dem Wortlaut des Art. 290 Abs. 2 AEUV geht – auch in Bezug auf die anderen Vertragssprachen – nicht eindeutig hervor, ob es sich bei dem Widerruf und dem Einspruch um eine abschließende Aufzählung handelt, vgl. Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 268. Mit guten Gründen dafür Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 130 ff.; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 66; Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (203 f.) m. w. N.; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (493); unschlüssig Dougan, CML Rev. 2008, 617 (649 f.). Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 58 f. und S. 264 f. sieht in der nicht abschließenden Aufzählung des Art. 290 Abs. 2 AEUV eine Möglichkeit, die Komitologie auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Rahmen von Art. 290 AEUV wieder aufleben zu lassen. 1068  Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 19 f.; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (492); Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (218).



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon207

und somit die Rechtsetzungskompetenz wieder an sich zu ziehen.1069 Mit dem Widerruf werden der Kommission die übertragenen Befugnisse generell und vollständig entzogen.1070 Der Widerruf führt zu einer rechtlichen Sperre für den Erlass eines delegierten Rechtsakts.1071 Sollte die Kommission dennoch einen delegierten Rechtsakt erlassen, ist dieser von Anfang an zwar fehlerhaft, jedoch solange gültig und rechtmäßig bis die Unionsgerichte ein Nichtigkeitsurteil aussprechen, welches ex tunc wirkt.1072 Die Wirksamkeit bereits in Kraft getretener delegierter Rechtsakte wird von dem Widerruf der Befugnisübertragung aus Gründen der Rechtssicherheit vorübergehend nicht berührt.1073 Der delegierte Rechtsakt tritt erst außer Kraft, wenn das Erlassorgan – also die Kommission – ihn aufhebt. Erfüllt die Kommission ihre Aufhebungsverpflichtung nicht, kann der Unionsgesetzgeber den delegierten Rechtsakt nur durch einen Gesetzgebungsakt aufheben – allerdings muss dazu das aufwendige Gesetzgebungsverfahren initiiert werden1074 – oder in einem Nichtigkeitsverfahren gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV anfechten und von dem Gerichtshof für nichtig erklären lassen.1075 Fraglich ist, ob der Widerruf bereits erlassener delegierter Rechtsakte Ex1069  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 9; Hetmeier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV / AEUV / GRCh, 6.  Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 19. 1070  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 8. 1071  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 64. 1072  Siehe Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 29; Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 120 zu Art. I‑36  EVV. 1073  Fabricius, ZEuS 2011, 567 (588 ff.); Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 21; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­scher Verfassungsvertrag, 2007, Art. I-36 EVV Rn. 5. Diese Sichtweise scheint sich auch in der Praxis durchzusetzen, siehe Art. 77 Abs. 3 RL 2010 / 75 / EU des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABlEU L 334 v. 17.12.2010, S. 17. 1074  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 10; Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 119; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (589 ff.); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV  /  AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 18; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 128 zu Art. I-36 EVV. 1075  Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S.  29 f.; Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 118 f.; Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 124, 128, 131 zu Art. I‑36 EVV.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

tunc- oder Ex-nunc-Wirkung entfaltet. Art. 290 Abs. 2 AEUV lässt dies offen. Insofern sollte es dem Unionsgesetzgeber überlassen bleiben, im Widerrufsbeschluss frei darüber zu entscheiden, welche Wirkungsweise er seinem Kontrollrecht beimessen möchte.1076 Mit dem Einspruchsrecht können Rat und Parlament – im Gegensatz zum Widerruf – einen ganz bestimmten delegierten Rechtsakt der Kommission aufheben.1077 Insofern dient das Einspruchsrecht der „allgemeine[n] Kontrolle, die der Gesetzgeber über sämtliche delegierte Rechtsakte ausübt; der Widerruf hingegen erscheint eher als außergewöhnliche Maßnahme, die sich dadurch rechtfertigen lässt, dass neue Fakten zu Tage getreten sind, die die eigentliche Grundlage der Befugnisübertragung infrage stellen“1078. Die Einwände müssen innerhalb einer im Gesetzgebungsakt festgelegten Frist erhoben werden.1079 Während dieser Frist ist das Inkrafttreten des betroffenen Rechtsakts suspendiert.1080 Äußert sich der Gesetzgeber nicht, so tritt der delegierte Kommissionsrechtsakt nach Ablauf der Frist in Kraft. Rat und Parlament können jederzeit im Gesetzgebungsakt die Bedingungen niederlegen, unter denen die Übertragung der Rechtsetzungsbefugnisse erfolgen soll, eine Pflicht hierzu besteht nicht.1081 Dennoch erscheint die 1076  Siehe dazu Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 64; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 123 zu Art. I-36 EVV. A. A. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 118 f., die eine Regelung der Wirkung des Widerrufs im Gesetzgebungsakt fordert, da dem Widerruf als bloßem Beschluss eine derartige Legitimationskraft nicht zukomme. 1077  Schlacke, JÖR 2013, 293 (310); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 104. 1078  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 8. 1079  Ebd. Zur möglichen Dauer dieser Frist siehe ausführlich Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 27 f.; Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 115 ff.; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (586 f.). 1080  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 11. 1081  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 59; Craig, The Lisbon Treaty, 2.  Aufl. (2013), S.  62; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (585  f.); Sohn /  J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 19; a. A. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 134 ff.; Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 9.



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Verankerung wenigstens eines der beiden Kontrollinstrumente im Basisrechtsakt angezeigt. Nur so können Parlament und Rat einen vollständigen Kontrollverlust bei der Übertragung der delegierten Rechtsetzungsbefugnis auf die Kommission verhindern.1082 Sofern der Gesetzgeber von den Widerrufs- und Einspruchsrechten allerdings Gebrauch machen will, müssen sie im zugrunde liegenden Gesetzgebungsakt ausdrücklich festgelegt werden.1083 Die Entscheidung darüber ergeht nach den Regeln für das einschlägige Gesetzgebungsverfahren, insbesondere nach Maßgabe des Initiativrechts der Kommission und der anwendbaren Kompetenznorm unter Beachtung der darin vorgesehenen Mehrheitserfordernisse.1084 Abgesehen von der Möglichkeit, den Erlass eines delegierten Rechtsakts der Kommission zu verhindern, können Rat und Parlament diesen Rechtsakt jedoch nicht abändern.1085 Dieser „take it, or leave it approach“ erhöht die Unabhängigkeit der Kommission beim Erlass (nicht wesentlicher) Sekundärrechtsakte.1086 Für den Fall, dass der Gesetzgeber seine Kontrollmechanismen einsetzen will, sind besondere Beschlussmehrheiten erforderlich. Der Sinn und Zweck dieser Mehrheitserfordernisse besteht darin, die Kontrollinstrumente, welche das Inkrafttreten von delegierten Rechtsakten verhindern, nicht unnötig einzusetzen.1087 So muss das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder (wie bei Art. 294 Abs. 7 lit. b und lit. c AEUV) über den Widerruf oder den Einspruch entscheiden.1088 Im Rat ist hingegen lediglich eine qualifizierte Mehrheit (Art. 16 Abs. 4 und Abs. 5 EUV) notwendig. Durch das Erfordernis der absoluten Beschlussmehrheit ist dem Parlament im Vergleich zum Rat die Ausübung seiner Kontrollrechte erschwert.1089 Schütze spricht daher 1082  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 59. 1083  Edenharter, DÖV 2011, 645 (647); D. König, in:  Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 104. 1084  Hetmeier, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EUV / AEUV / GRCh, 6.  Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 18. 1085  Sydow, JZ 2012, 157 (163); Fabricius, ZEuS 2011, 567 (584 f.); a. A. Ziffer 2 Entschließung des Europäi­schen Parlaments v. 05.05.2010 zur legislativen Befugnisübertragung [2010 / 2021(INI)], ABlEU C 81 E / 02 v. 15.03.2011, S. 6. 1086  Schütze, The Modern Law Review 2011, 661 (687). 1087  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 104; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 16. 1088  Siehe demgegenüber Art. 231 AEUV: „Soweit die Verträge nicht etwas anderes bestimmen, beschließt das Europäi­sche Parlament mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“ 1089  So auch Schoo, in: Schwarze / Becker / Hatje u.  a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 17, mit Verweis auf Garzón Clariana, ERA-

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

zu Recht von einer „slight preference“ zugunsten des Rats auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon.1090 Unklar ist, in welcher Weise Rat und Parlament von den Kontrollbe­ fugnissen Gebrauch machen können, wenn der Basisrechtsakt – wie im besonderen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen – primär nur von einem der beiden Gesetzgebungsorgane erlassen wurde. Der Wortlaut des Art. 290 Abs. 2 AEUV setzt für die Ausübung der Kontrollrechte lediglich die Einhaltung der erforderlichen Beschlussmehrheiten voraus. Weitere Voraussetzungen nennt er nicht,1091 insbesondere räumt Art. 290 Abs. 2 A ­ EUV sowohl dem Rat als auch dem Parlament ein eigenständiges Kontrollrecht ein, ohne dabei auf die dominierende Rolle eines der beiden Organe bei dem Erlass des zugrunde liegenden Basisrechtsakts abzustellen.1092 Allerdings widerspricht es dem Telos des besonderen Gesetzgebungsverfahrens, wenn gerade das im Gesetzgebungsprozess untergeordnete Organ – z. B. im Fall des Art. 22 Abs. 1 AEUV das Parlament, welches nur angehört wird, während der Rat einstimmig beschließt – die Delegationsbefugnisse widerrufen könnte.1093 Zudem enthalten die Beschlussmodalitäten zur Ausübung der Kontrollrechte – wie bereits erörtert – eine Asymmetrie zwischen Rat und Parlament. Es wäre somit verfehlt, dem Parlament, dessen Beteiligungsrechte im besonderen Gesetzgebungsverfahren vorrangig beschränkt werden, weitergehende Befugnisse auf der Kontrollebene einzuräumen, als ihm auf der Ebene des Gesetzgebungsverfahrens zustehen. Diese Überlegungen sprechen dafür, den Art. 290 Abs. 2 AEUV teleologisch zu reduzieren: So sollte in den Fällen, in denen der Gesetzgebungsakt hauptsächlich nur durch einen der beiden Unionsgesetzgeber zu verantworten ist, auch nur dasjenige Organ von den Kontrollrechten Gebrauch machen dürfen, welches den Gesetzgebungsakt primär beschlossen hat.1094 Trotz des hier gefundenen Ergebnisses sollte diese Problematik zukünftig dadurch geklärt werden, dass der Basisrechtsakt neben den Kontrollrechten Forum 2011, 105 (127), der hierin zu Recht eine Asymmetrie zwischen Rat und Europäi­schem Parlament sieht. 1090  Schütze, The Modern Law Review 2011, 661 (685). 1091  Siehe zur Ausgestaltung der Kontrollrechte auch noch Teil 3 B. IV. 1092  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 62. 1093  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 105; Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 111 zu Art. I-36 EVV. 1094  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 105; Driessen, ELR 2010, 837 (843); Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (755); weniger kritisch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 129.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon211

ferner auch festlegt, welchem Organ Widerruf oder Einspruch obliegt, wenn der Basisrechtsakt im besonderen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist.1095 Dem Wortlaut des Art. 290 Abs. 2 AEUV ist weiterhin nicht zu entnehmen, welche Gründe den Gesetzgeber dazu bewegen können, sich einem delegierten Rechtsakt entgegenzustellen. Inhaltliche Voraussetzungen sind an die Geltendmachung des Widerrufs- und des Einspruchsrechts jedenfalls nicht geknüpft, sie liegen vielmehr im Ermessen des Parlaments und des Rats.1096 Die Kommission weist jedoch zu Recht darauf hin, dass eine Begründung sie davon abhalten wird, beim Erlass eines neuen Rechtsakts einen Ansatz weiter zu verfolgen, der dazu geführt hat, dass Rat und Parlament Einwände erhoben haben.1097 Dem Primärrecht lässt sich eine derartige Begründungspflicht jedoch nicht entnehmen.1098 Sie mag zwar aus Gründen der Selbstkorrektur der Kommission praktisch erscheinen, allerdings muss dabei im Blick behalten werden, dass die Übertragung der (quasi-)legislativen Befugnisse auf die Kommission eine Ausnahme von der Gesetzgebungszuständigkeit des Parlaments und des Rats darstellt. Insofern dürfen die in Art. 290 Abs. 2 AEUV festgelegten Kontrollmöglichkeiten des Unionsgesetzgebers nicht durch zusätzliche, im Primärrecht nicht bestehende Anforderungen erschwert werden.1099 Andernfalls würde in die primärrechtlich niedergelegte funktionale Rollenverteilung eingegriffen werden.1100 Folglich scheint es auch unwahrscheinlich, dass sich Parlament, Rat und Kommission auf die von der Kommission favorisierte Begründungspflicht1101 in einer interinstitutionellen Vereinbarung verständigen werden. In diesem Zusammenhang ist jedoch abschließend auf den Grundsatz der Organ1095  So auch D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 105. 1096  Driessen, ELR 2010, 837 (847). 1097  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 10; ebenso Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2010, S. 21. Gegen eine solche Begründungspflicht hat sich der Bundesrat ausgesprochen, Plenarprotokoll der 866. Sitzung v. 12.02.2010, S. 23 ff. Kritisch ebenfalls Beer, EuZW 2010, 201. 1098  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 61. 1099  Ebd. 1100  Ebd. 1101  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 10.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

treue1102, also die gegenseitige Pflicht zu redlicher Zusammenarbeit,1103 zu verweisen. In Anbetracht dieses Grundsatzes sollten Rat und Parlament jedenfalls in politisch sensiblen Bereichen, die einer schnellen Entscheidung bedürfen, der Kommission zumindest überblicksartig die Gründe für ihre Entscheidung mitteilen. Dies schont die Ressourcen der Kommission, die ansonsten Gefahr läuft, erneut einen (modifizierten) delegierten Rechtsakt zu erlassen, der sogleich wieder aufgehoben wird. Im Gegenzug sollte sich die Kommission auch an den Einspruch halten und nicht denselben Rechtsakt erneut erlassen, nur um Parlament und Rat auf diese Weise zur Abgabe einer Begründung zu „zwingen“. Zur Veranschaulichung, wie die Delegation in Zukunft rechtstechnisch ausgestaltet sein wird, soll hier folgendes Beispiel aus der Praxis dienen: Am 19. Mai 2010 wurde die Verordnung Nr. 998 / 2003 / EG über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken durch die Verordnung Nr. 438 / 2010 / EU geändert. Die delegierte Rechtsetzungstätigkeit der Kommission ist in den folgenden Artikeln geregelt:1104 „Artikel 19a (1) Damit dem technischen Fortschritt Rechnung getragen wird, kann die Kommission durch delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 19b und unter den Bedingungen der Artikel 19c und 19d Änderungen der in Anhang Ia festgelegten technischen Anforderungen bezüglich der Identifizierung beschließen. Artikel 19b (1) Die Befugnis zum Erlass der in […] Artikel 19a genannten delegierten Rechtsakte wird der Kommission für einen Zeitraum von fünf Jahren ab dem 18. Juni 2010 übertragen. Die Kommission legt spätestens sechs Monate vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren einen Bericht über die übertragenen Befug­ nisse vor. Die Befugnisübertragung verlängert sich automatisch1105 um Zeiträume gleicher Länge, es sei denn, das Europäi­sche Parlament oder der Rat widerrufen sie nach Artikel 19c. (2)  Sobald die Kommission einen delegierten Rechtsakt erlässt, übermittelt sie ihn gleichzeitig dem Europäi­schen Parlament und dem Rat. 1102  Siehe zum Grundsatz der Organtreue Hummer, in: Hummer (Hrsg.), Paradigmenwechsel im Europarecht zur Jahrtausendwende, 2004, S. 111 (151). 1103  EuGH, Urt. v. 30.03.1995 – Rs. C-65 / 93, Slg. 1995, I-643 ff., Rn. 23 – Parlament / Rat der Europäi­schen Union; siehe nunmehr auch die Regelung in Art. 13 Abs. 2 EUV. 1104  Die Hervorhebungen der Verfasserin sollen dazu dienen, die in der Theorie bereits besprochenen Voraussetzungen der Delegation hervorzuheben und deren Umsetzung in der Praxis nachzuvollziehen. 1105  Kritisch zur Möglichkeit der automatischen Auslaufklauseln Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 16.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon213 (3)  Die der Kommission übertragene Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte unterliegt den in den Artikeln 19c und 19d genannten Bedingungen. Artikel 19c (1) Die in […] Artikel 19a genannte Befugnisübertragung kann vom Europäi­ schen Parlament oder vom Rat jederzeit widerrufen werden. (2)  Das Organ, das ein internes Verfahren eingeleitet hat, um zu beschließen, ob die Befugnisübertragung widerrufen werden soll, bemüht sich, das andere Organ und die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist vor der endgültigen Beschlussfassung zu unterrichten, unter Nennung der übertragenen Befugnisse, die widerrufen werden könnten, sowie der etwaigen Gründe für einen Widerruf. (3) Der Beschluss über den Widerruf beendet die Übertragung der in diesem Beschluss angegebenen Befugnisse. Er wird sofort oder zu einem darin angegebenen späteren Zeitpunkt wirksam. Die Gültigkeit von Rechtsakten, die bereits in Kraft sind, wird davon nicht berührt. Der Beschluss wird im Amtsblatt der Europäi­schen Union veröffentlicht. Artikel 19d (1) Das Europäi­ sche Parlament oder der Rat können gegen einen delegierten Rechtsakt innerhalb einer Frist von zwei Monaten1106 ab dem Datum der Übermittlung Einwände erheben. Auf Initiative des Europäi­schen Parlaments oder des Rates wird diese Frist um zwei Monate verlängert. (2)  Haben bei Ablauf dieser Frist weder das Europäi­sche Parlament noch der Rat Einwände gegen den delegierten Rechtsakt erhoben, so wird der delegierte Rechtsakt im Amtsblatt der Europäi­schen Union veröffentlicht und tritt zu dem darin genannten Zeitpunkt in Kraft. […] (3) Erheben das Europäi­sche Parlament oder der Rat Einwände gegen einen delegierten Rechtsakt, so tritt dieser nicht in Kraft. Das Organ, das Einwände erhebt, gibt die Gründe für seine Einwände gegen den delegierten Rechtsakt an.“1107

1106  Eine Frist von zwei Monaten zur Überprüfung eines delegierten Rechtsakts wird von der Kommission in ihrer Mitteilung an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 9 befürwortet. Ihrer Ansicht nach hat sich beim Regelungsverfahren mit Kontrolle gezeigt, dass die übliche Frist von drei Monaten für die Ausübung des Einspruchsrechts länger als notwendig war. Mit guten Argumenten dagegen Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2010, S.  22 f. 1107  VO Nr.  438  /  2010  /  EU des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 19.05.2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 998 / 2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken, ABlEU L 132 v. 29.05.2010, S. 3. Die getroffenen Regelungen entsprechen größtenteils den von der Kommission vorgeschlagenen Standardformulierungen. Siehe dazu Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umset-

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Abschließend ist festzuhalten, dass Rat und Parlament nunmehr grundsätzlich über dieselben Kontrollbefugnisse verfügen (wenn man einmal von den unterschiedlichen Beschlussmehrheiten zur Ausübung der Kontrollrechte absieht).1108 Zwar brachte schon das Regelungsverfahren mit Kontrolle eine Annäherung der Rechte, privilegierte aber noch in einigen Bereichen den Rat, da mit der Rechtsgrundlage des Art. 202, 3. Sp. EG gearbeitet werden musste.1109 Erst durch die Neuregelung der Rechtsetzungsbefugnisse hat das Parlament – wie im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren – bei den Kontrollmöglichkeiten der delegierten Rechtsakte, eine gleichberechtigte Stellung neben dem Rat eingenommen.1110 Eine Einschränkung gilt hingegen – wie bereits erörtert – für die Fälle, in denen der zugrunde liegende Basisrechtsakt im besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde. Bei diesem Verfahren werden primär die Beteiligungsrechte des Parlaments beschränkt.1111 Die dominierende Rolle des Rats im Gesetzgebungsverfahren hat somit spiegelbildlich zur Folge, dass das Parlament bei diesen Rechtsakten über keine Kontrollbefugnisse verfügt.1112 2. Durchführungsrechtsakte Art. 291 AEUV regelt den Erlass von Durchführungsrechtsakten und normiert zunächst in Abs. 1 den Grundsatz des mitgliedstaatlichen Vollzugs der auf Unionsebene erlassenen verbindlichen Rechtsakte (Art. 5 EUV).1113 Dem gegenübergestellt ist in Art. 291 Abs. 2 AEUV der Vollzug durch die europäi­ sche Exekutive. Aus der Zusammenschau der beiden Absätze ergibt sich, dass grundsätzlich die Mitgliedstaaten für die Durchführung der Unionszung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 12 ff. 1108  Siehe Art. 87a der Geschäftsordnung des Europäi­schen Parlaments i. d. F. von Juli 2013, der sich auf delegierte Rechtsakte bezieht und das Verfahren zur Kontrolle dieser Rechtsakte im Europäi­schen Parlament festlegt. 1109  Schusterschitz, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (218). 1110  Edenharter, DÖV 2011, 645 (647); Hummer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 19 (65). 1111  Siehe dazu Teil 3 A. I. 1112  A. A. Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 62. 1113  Siehe zu der hier nicht näher untersuchten mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts nach Art. 291 Abs. 1 AEUV Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn.  5 f., 15 ff.; Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 291 AEUV Rn. 4 ff.; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­ sches Unionsrecht, 2012, Art. 291 AEUV Rn. 3 ff.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon215

rechtsakte zuständig sind. Dies war bereits unter Geltung des Gemeinschaftsrechts herrschende Auffassung.1114 Allerdings standen vielfach die tatsächlichen Entwicklungen im Gegensatz zu diesem Grundsatz. Wie bereits erörtert, wurden durch das von der Gemeinschaft gesetzte Recht mehr und mehr Vollzugskompetenzen auf die Kommission oder aber zusätzlich auf neu geschaffene Gemeinschaftseinrichtungen übertragen.1115 Diese Vorgehensweise stieß bei den Mitgliedstaaten zunehmend auf Kritik.1116 Art. 291 AEUV enthält daher eine Wertentscheidung zugunsten der mitgliedstaatlichen Durchführung von Unionsrecht.1117 Die Zuordnung der Durchführungszuständigkeiten ist nunmehr von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis geprägt:1118 Danach werden nur ausnahmsweise der Kommission die Durchführungsbefugnisse übertragen, sofern es europaweit einheitlicher Regelungen für die Durchführung dieser Rechtsakte bedarf. Dabei ist zu beachten, dass Art. 291 AEUV – ebenso wie auch Art. 202, 3. Sp. EG1119 – keine selbständige Rechtsgrundlage darstellt, aufgrund derer ein Durchführungsrechtsakt erlassen werden kann.1120 Der durchzuführende Basisrechtsakt muss vielmehr eine ausdrückliche Ermächtigung zur Durchführungsrechtsetzung enthalten.1121 Dem Rat durften – als weitere Ausnahme von der Ausnahme – nur in entsprechend begründeten Sonderfällen sowie in den in Art. 24 und Art. 26 EUV vorgesehenen Fällen Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Art. 291 Abs. 2 AEUV kodifiziert mit den „entsprechend begründeten Sonderfällen“ die durch den EuGH1122 auf der Grundlage von Art. 202, 3. Sp. 1114  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 137; Klepper, Vollzugskompetenzen der Europäi­schen Gemeinschaft aus abgeleitetem Recht, 2001, S. 22; Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), § 8 Rn. 740. 1115  Siehe dazu Teil 2 F. 1116  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 137; vgl. 43. Erklärung zum Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit anlässlich der Vertragsrevision von Amsterdam, ABlEU Nr. C 340 v. 10.11.1997, S. 140. Darin heißt es, dass „die administrative Durchführung des Unionsrechts grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bleibt“. 1117  Stelkens, EuR 2012, 511 (529 ff.); kritisch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn.  5 ff. 1118  So Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 5. 1119  Siehe dazu schon Teil 1 A. II. 1120  Stelkens, EuR 2012, 511 (514). 1121  Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 140 zu Art. I-37 EVV. 1122  Zur Klärung der Frage, wann ein solcher Sonderfall vorliegt, kann auf die bisherige Rechtsprechung zu Art. 202, 3. Sp. EG verwiesen werden, siehe dazu Teil 1 C. I. 1. d).

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EG entwickelte formale Voraussetzung für die Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf den Rat.1123 Dem Art. 291 Abs. 2 AEUV lassen sich jedoch keine materiellen Kriterien für das Vorliegen entsprechend begründeter Sonderfälle entnehmen. Insofern steht die Übertragung von Durchführungsbefugnissen im Ermessen des Unionsgesetzgebers, dem allerdings bei der Feststellung eines Sonderfalls eine Begründungspflicht obliegt.1124 Allerdings steht es nicht im freien Ermessen der Kommission, den Zeitpunkt für ein eigenes Tätigwerden nach den Voraussetzungen des Art. 291 Abs. 2 AEUV nach Belieben selbst festzulegen.1125 Dreh- und Angelpunkt für ein Tätigwerden der Kommission im Rahmen des Art. 291 Abs. 2 AEUV ist ein Bedürfnis nach europaweit einheitlichen Regelungen. Wann ein solches gegeben ist, geht aus Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht hervor. Teilweise divergierende Durchführungsbedingungen in den Mitgliedstaaten, welche die wirksame Durchsetzung des Basisrechtsakts nicht gefährden, stellen jedoch keinen ausreichenden Nachweis für das Vorliegen eines Bedürfnisses nach europaweit einheitlichen Regelungen dar.1126 Ein solches liegt aber beispielsweise dann vor, „wenn die Durchführung auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht ausreichend verwirklicht wird oder sich die Durchführungsmaßnahmen wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser verwirklichen lassen“1127. Dies gilt in aller Regel bei unbestimmten Rechtsbegriffen, da diese unionsweit klarzustellen sind, um sie handhabbarer für die mitgliedstaatlichen Behörden zu gestalten und so allen Unionsbürgern Rechtssicherheit zu gewährleisten.1128 Müsste dagegen eine unionsrechtliche Vorschrift erst ergänzt oder geändert werden, um sie anwenden zu können, wäre dagegen Art. 290 AEUV, und nicht Art. 291 Abs. 2 AEUV, einschlägig.1129 Ein weiterer wichtiger Anhaltspunkt für ein unionsweites Bedürfnis 1123  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 36; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 143 zu Art. I-37 EVV. 1124  Siehe zu den vom EuGH für Art. 202, 3. Sp. EG entwickelten Begründungspflichten bei einer Selbstermächtigung des Rats Teil 1 C. I. 1. d). 1125  Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 11. 1126  Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (44); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 107; Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 22; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­scher Verfassungsvertrag, 2007, Art. I-37 EVV Rn. 9. 1127  Ruffert, in: Calliess  / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 291 AEUV Rn. 6. 1128  So Fabricius, ZEuS 2011, 567 (595). 1129  Ebd.; siehe zur Abgrenzung von Art. 290 und Art. 291 AEUV Teil 3 C.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon217

nach einheitlichen Regelungen dürfte der effet utile der einschlägigen Vertragsnorm und der Grundsatz der Gleichheit der Unionsbürger sein.1130 Dabei legt das Erlassorgan des jeweiligen Basisrechtsakts fest, ob ausnahmsweise die Kommission oder der Rat gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV – und nicht die Mitgliedstaaten – den Basisrechtsakt durchführen sollen.1131 Sollte die Kommission in einem delegierten Rechtsakt eine Übertragung der Durchführungsbefugnisse an sich selbst bestimmen, muss sie als Erlassorgan des durchzuführenden delegierten Rechtsakts belegen, dass es einheit­ licher Bedingungen für die Durchführung der verbindlichen Unionsrechtsakte bedarf. Es entspricht jedoch den Anschauungen der Unionsorgane, dass ihnen bei der Beantwortung der Frage, ob ein Bedürfnis nach europaweit einheitlichen Durchführungsbedingungen vorliegt, ein weitgehender Beurteilungsspielraum zukommt.1132 Die Vorgängernorm des Art. 291 AEUV, Art. 202, 3. Sp. EG, sah eine solche Prüfung noch nicht vor. Es wird sich zeigen, ob es aufgrund des weit verstandenen Beurteilungsspielraums zu einer Entwertung der durch Art. 291 Abs. 2 AEUV eingeführten Rechtsänderung kommen wird.1133 Damit wird auch deutlich, dass die Erfahrungen Deutschlands mit der Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG i. d. F. bis 1994 bei den Vertragsverhandlungen im Europäi­schen Konvent und zum Reformvertrag von Lissabon nicht beachtet wurden.1134 Bis zum Jahr 1994 hatte der Bund in Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebung das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung bestand.1135 Der Begründungsauf1130  So Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art.  290 und 291 AEUV, 2012, S. 205 ff.; Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 138 zu Art. I‑37 EVV; ähnlich Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 23. 1131  Siehe Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 24; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 136 zu Art. I‑37 EVV. 1132  2. Erwägungsgrund Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1133  So Schlacke, JÖR 2013, 293 (319); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 24. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 208 geht davon aus, dass die explizite Verknüpfung des Subsidiaritätsgedankens mit dem Tatbestand der Verbandskompetenz des Art. 291 Abs. 2 AEUV eher auf eine Verschärfung des Subsidiaritätsprinzips hindeutet. 1134  Gerken / Holtz / Schick, Wirtschaftsdienst 2003, 668. 1135  Art. 72 Abs. 2 GG i. d. F. von Mai 1949 bis November 1994: „Der Bund hat in diesem Bereiche das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer

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wand für das Vorliegen eines solchen Bedürfnisses hielt sich jedoch in Grenzen, so dass sich im Laufe der Zeit die Gesetzgebungskompetenz zu Lasten der Länder verschob.1136 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts war die Entscheidung darüber, ob ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestand, zudem eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers,1137 welche der gerichtlichen Kontrolle entzogen war. Um dieser extensiven Auslegung der Bedürfnisklausel entgegenzuwirken, wurde mit der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG die Bedürfnisklausel durch die Erforderlichkeitsklausel ersetzt.1138 Damit haben sich die Anforderungen des Bundesgesetzgebers an die Begründungspflicht und die Darlegungslast dafür, dass die Regelung durch ihn tatsächlich erforderlich ist, erhöht.1139 Die „Erforderlichkeit“ als unbestimmter Rechtsbegriff ist auch der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich.1140 Zwar ist die Einhaltung der Bedürfnisklausel auf europäischer Ebene im Falle der Übertragung von Durchführungsbefugnissen gerichtlich ebenfalls überprüfbar.1141 Wie bereits erörtert kommt den Unionsorganen bei der Einschätzung, ob die Voraussetzungen des Art. 291 Abs. 2 AEUV vorliegen, ein weitgehender Beurteilungsspielraum zu.1142 Insofern unterliegt die Übertragung von Durchführungsbefugnissen gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV nur dann der gerichtlichen Kontrolle, wenn die Bedarfsbeurteilung offensichtlich fehlerhaft ist oder sich die entsprechende Annahme als rechtsmissbräuchlich erweist.1143 Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert.“ 1136  Calliess, EuGRZ 2003, 181 (183 ff.); Sannwald, NJW 1994, 3313 (3316). 1137  Vgl. BVerfGE 2, 213 (224 f.); 4, 115 (127 f.); 10, 234 (245); 13, 230 (233 f.); Schmehl, DÖV 1996, 724. 1138  Siehe dazu Degenhart, in: Sachs (Hrsg.) Grundgesetz, 6. Aufl. (2011), Art. 72 GG Rn. 2; Sannwald, DÖV 1994, 629 (632 ff.). 1139  So BVerfGE 106, 62 (135  ff.); siehe dazu Degenhart, in: Sachs (Hrsg.) Grundgesetz, 6. Aufl. (2011), Art. 72 GG Rn. 2; Schmehl, DÖV 1996, 724 (727 ff.). 1140  So BVerfGE 106, 62 (136 ff.). 1141  Kröll, ZÖR 2011, 253 (283); Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 290 AEUV Rn. 6. 1142  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 24; Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Cen­ trum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 11. 1143  So Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV  / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 291 AEUV Rn. 11; strenger Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (205).



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon219

Geht man jedoch davon aus, dass die Voraussetzungen der unionalen Bedürfnisklausel unproblematisch vorliegen und die Kommission somit tätig werden darf, stellt sich anschließend die Frage, wie die Durchführungsrechtsakte ausgestaltet sein müssen. Art. 291 AEUV gibt dazu keine Auskunft. Anders als die delegierten Rechtsakte werden die Durchführungsrechtsakte in Art. 291 AEUV weder definiert noch umschrieben. Es ist aber – mit Blick auf die Ähnlichkeit von Art. 202, 3. Sp., Art. 211, 4. Sp. EG und Art. 291 Abs. 2 AEUV – davon auszugehen, dass die neue Kategorie diejenigen Durchführungsrechtsakte umfasst, deren Erlass auch schon unter der Geltung des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG vorgesehen war.1144 Die Durchführungsrechtsakte können somit wie bisher sowohl in der Gestalt von konkret-individuellen Entscheidungen1145 – wie z. B. bei der Umsetzung von Förderprogrammen der Union1146 – als auch in der Gestalt von abstraktgenerellen Regelungen – wie z. B. bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen des Basisrechtsakts1147 – ergehen, solange diese nicht als (quasi‑)legislative Maßnahmen eingestuft werden.1148 Die (quasi‑)legislativen Maßnahmen unterfallen mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Einführung des Art. 290 AEUV nunmehr allein der Kategorie der delegierten Rechtsakte. Art. 291 AEUV regelt damit – anders als Art. 290 AEUV – die Übertragung von exekutiven Befugnissen auf die Kommission.1149 Daher werden primärrechtlich auch keine besonderen Anforderungen an die Ausgestaltung der Ermächtigung gestellt. Nichtsdestotrotz ist auch nach der neuen Rechtslage davon auszugehen, dass der Umfang der Übertragung – ebenso wie bei 1144  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (384 f.); Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (218 f.). 1145  A. A. Schlacke, JÖR 2013, 293 (319); Stelkens, EuR 2012, 511 (513  ff.); Sydow, JZ 2012, 157 (159 Fn. 27); siehe zu der Kategorie der konkret-individuellen Durchführungsmaßnahmen Teil 2 F. II. 1146  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 107; weitere Beispiele der Durchführungssteuerung durch Einzelfallweisung bei Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn.  28 f. 1147  Beispiel von Rohleder / Martin, Die abgeleiteten Rechtsetzungsbefugnisse der Europäi­schen Kommission nach dem Vertrag von Lissabon, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, aktueller Begriff Europa Nr. 06 / 11 v. 09.05.2011, S. 2. 1148  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (384 f.); Kröll, in: Debus / Kruse /  Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (205 f.). 1149  Edenharter, DÖV 2011, 645 (648); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 107; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 4.

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den delegierten Rechtsakten – insoweit begrenzt ist, als dass die „wesent­ lichen Grundzüge der zu regelnden Materie“1150 im Basisrechtsakt selbst normiert werden müssen1151 und dass die Befugnis zur Übertragung der Durchführungskompetenzen hinreichend genau bestimmt sein muss.1152 Auch wenn diese Anforderungen an die Übertragung von Durchführungsbefugnissen in Art. 291 Abs. 2 AEUV – anders als bei Art. 290 Abs. 1 AEUV – nicht geregelt sind, lassen sie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Umfang und den Grenzen der Delegation von Durchführungsbefugnissen im Rahmen von Art. 202, 3. Sp. EG herleiten.1153 Der Gerichtshof hat zur Bestimmung der Reichweite der Übertragung dieser Befugnisse den Begriff der „Durchführung“ in Art. 202, 3. Sp. EG ausgelegt und festgehalten, dass der Rat einen weiten Ermessenspielraum bei der Übertragung von Durchführungsbefugnissen besitzt, der lediglich durch das Wesentlichkeitskriterium eingeschränkt wird, d. h. die wesentliche Aspekte einer zu regelnden Materie musste der Gemeinschafsgesetzgeber in der Basisverordnung selbst festlegen.1154 Zudem hat der Gerichtshof dargelegt, dass der Rat der Kommission – abhängig von den betroffenen Politikbereichen – eine ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage vorgeben musste.1155 Der Rückgriff auf die Bestimmtheitsgrundsätze und die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen von Art. 291 Abs. 2 AEUV lässt sich dogmatisch erklären: Für den Erlass von Durchführungsrechtsakten gelten nicht die für den Erlass von Gesetzgebungsakten im Primärrecht niedergelegten Verfahrensregelungen, es greift vielmehr ein vereinfachtes Verfahren.1156 Damit aber auch beim Erlass von Durchführungsrechtsakten wichtige Mitwirkungsrechte nicht übergangen werden (z. B. die Parlamentsbeteiligung 1150  EuGH, Urt. v. 17.12.1970 – Rs. 25 / 70, Slg. 1970, 1161 ff., Rn. 6 – Einfuhrund Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel  /  Köster und Berodt & Co. Diese Rechtsprechung wurde im Folgenden mehrfach bestätigt, siehe z. B. EuGH, Urt. v. 16.06.1987 – Rs. 46 / 86, Slg. 1988, 2671 ff., Rn. 16 – Romkes / Officier van Justitie; EuGH, Urt. v. 13.10.1992 – verb. Rs. C-63 / 90 und C-67 / 90, Slg. 1992, I-5073 ff., Rn. 14 – Portugal und Spanien / Rat der Europäi­schen Gemeinschaften. 1151  Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (78). 1152  So Bueren, EuZW 2012, 167 (170); Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 231 f.; Türk, in: Biondi / Eeckhout /  Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (78). 1153  Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (78 f.); Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 141 zu Art. I-37 EVV. 1154  Siehe zur gemeinschaftsrechtlichen Wesentlichkeitsrechtsprechung des EuGH Teil 1 C. I. 1. 1155  Siehe zur Rechtslage im Gemeinschaftsrecht Teil 1 C. I. 1. b). 1156  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, §  11 Rn.  141  f. zu Art. I-37 EVV.



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon221

bei der Klärung wesentlicher Fragen), ist diese Rechtsprechung auf Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV – auch mit Blick auf den ähnlichen Wortlaut der Art. 202, 3. Sp. EG und 291 Abs. 2 AEUV – übertragbar.1157 Nimmt die Kommission gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV – als Ausnahme vom Gebot der Regelzuständigkeit der Mitgliedstaaten nach Art. 291 Abs. 1 AEUV – die übertragenen Durchführungsbefugnisse wahr, so stellt sich wie bei den delegierten Rechtsakten abschließend die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten. Zudem muss geklärt werden, welchem Organ die Wahrnehmung der Kontrolle der Durchführungsrechtsetzung der Kommission obliegt. Auf beide Fragen gibt Art. 291 Abs. 3 AEUV eine Antwort: Als Ausgleich für die in Art. 291 Abs. 2 AEUV statuierte Beschränkung der mitgliedstaatlichen Autonomie nehmen die Mitgliedstaaten die Kontrolle über die Durchführungsrechtsetzung der Kommission wahr.1158 Ferner geht aus Art. 291 Abs. 3 AEUV explizit hervor, dass das gemeinschaftsrechtliche Komitologieregime auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – allerdings in modifizierter Form – beibehalten wird. Denn auf der Grundlage des Art. 291 Abs. 3 AEUV haben Rat und Parlament gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die neue Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU am 16. Februar 2011 erlassen, die am 1. März 2011 in Kraft getreten ist.1159 Sie ist anzuwenden, „wenn ein verbindlicher Rechtsakt der Union […] die Notwendigkeit einheitlicher Durchführungsbedingungen feststellt und vorschreibt, dass Durchführungsrechtsakte von der Kommission vorbehaltlich einer Kontrolle durch die Mitgliedstaaten erlassen werden“1160. Für die ausnahmsweise Übertragung von Durchführungsbefugnissen an den Rat gilt die Komitologieverordnung folglich nicht.1161 Sowohl Art. 291 Abs. 2 AEUV als auch Art. 1 Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU beziehen sich auf die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Europäi­schen Union. In den Anwendungsbereich der Komitologieverordnung fallen somit alle Rechtsakte mit und ohne Gesetzescharakter wie Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse. Die Beschränkung auf die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union ist darauf zurückzuführen, dass die befürchteten Effektivitätsgefährdungen in den Fäl1157  Ebd.

1158  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 108. 1159  Art.  16 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1160  Art.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1161  So auch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 45. Dies galt ebenso für eine Selbstermächtigung des Rats unter Geltung des Gemeinschaftsrechts und der Komitologiebeschlüsse, siehe dazu Teil 1 C. I. 1. d).

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len, in denen die Union selbst ohne Rechtsverbindlichkeit handelt, nicht zu erwarten sind.1162 Auch delegierte Rechtsakte sind als verbindliche Rechtsakte im Sinne des Art. 291 Abs. 2 AEUV und der Komitologieverordnung anzusehen.1163 Insofern kann sich die Kommission die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Durchführungsrechtsakts, ohne im (Basis-)Gesetzgebungsakt dazu ausdrücklich ermächtigt zu sein, mit einem delegierten Rechtsakt selbst verschaffen.1164 Eine Grenze dieses Selbstermächtigungsrechts der Kommission ergibt sich jedoch aus den Bestimmungen des delegierten Rechtsakts. So kann die Kommission die delegierte Befugnis nicht derart ausüben, dass sie anstelle des delegierten Rechtsakts eine Durchführungsregelung erlässt und damit die Grenzen des delegierten Rechtsakts ebenso wie die des Basisrechtsakts missachtet.1165 Aber selbst dann, wenn sich die Kommission (aufgrund des Bedürfnisses nach europaweit einheitlichen Durchführungsbedingungen) in einem delegierten Rechtsakt die Befugnis überträgt, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, kommt das Komitologieverfahren zum Einsatz.1166 Eine Subdelegation bzw. „a cascade of delegation of powers“1167, ohne an die Voraussetzungen der Komitologieverordnung gebunden zu sein, ist demnach ausgeschlossen.1168 Nichtsdestotrotz käme es für das Europäi­ sche Parlament in diesem Fall zu einem Kontrollverlust, da es – anders als der Rat über die Vertreter der Mitgliedstaaten in den Ausschüssen – seine Kontrollbefugnisse gegenüber der Kommission nicht mehr ausüben könnte.1169 Dem Parlament ist es jedoch nicht verwehrt, durch die Ausübung seines Einspruchrechts das Inkrafttreten des delegierten Rechtsakts zu verhindern, welcher die Übertragung von Durchführungsbefugnissen auf die Kommission vorsieht, oder gänzlich die in einem Gesetzgebungsakt eingeräumte Ermächtigung zu widerrufen.1170 Da die Mechanismen des Einspruchs und des Widerrufs jedoch an bestimmte Mehrheitserfordernisse 1162  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 21. 1163  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 274; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (599 ff.). 1164  Fabricius, ZEuS 2011, 567 (600). 1165  Ebd., 567 (600 f.). 1166  H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (502 ff.). 1167  Ebd., 482 (502). 1168  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 34; Kröll, in: Debus  /  Kruse  /  Peters u.  a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (206). 1169  Fabricius, ZEuS 2011, 567 (601). 1170  Kröll, ZÖR 2011, 253 (285); vgl. auch H. Hofmann, EIoP 2003, Vol. 7, No. 9, 1 (14).



A. Die neue Typologie der Rechtsakte nach dem Vertrag von Lissabon223

gekoppelt sind, sollte das Europäi­sche Parlament „im Interesse ausgewogener institutioneller Machtbalance“1171 in Gesetzgebungsakten stets auf den Ausschluss des Selbstermächtigungsrechts der Kommission hinwirken.1172 Die Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU sieht – anders als dies noch nach den früheren Komitologiebeschlüssen der Fall war – zudem keine direkten Einflussmöglichkeiten des Rats und des Parlaments mehr vor.1173 Lediglich Art.  11 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU enthält ein „Kontrollrecht“, wonach Parlament oder Rat bei einem im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommenen Basisrechtsakt jederzeit die Kommission darauf hinweisen können, dass der Entwurf eines Durchführungsrechtsakts ihres Erachtens die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet.1174 Die Kommission ist an diese Einschätzung nicht gebunden,1175 sie hat sich jedoch in ihrer Erklärung im Anhang zur Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU verpflichtet,1176 den Entwurf eines Durchführungsrechtsakts unverzüglich zu überarbeiten und dabei den Standpunkten des Europäi­ schen Parlaments oder des Rats Rechnung zu tragen.1177 Zusammenfassend fällt im Hinblick auf die Rolle des Parlaments im Anwendungsbereich des Art. 291 AEUV Folgendes auf: Zum einen wird die Stellung des Parlaments dadurch gestärkt, dass die Verordnung zur Festlegung der Kontrollmechanismen und mögliche spätere Änderungen nunmehr im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden. Die bisherigen 1171  BR-Drs. 140 / 1 / 10, Empfehlungen des Ausschusses für Fragen der Europäi­ schen Union (EU) und des Ausschusses für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäi­schen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren KOM (2010) 83 endg., v. 26.04.2010, S. 2. 1172  So auch Fabricius, ZEuS 2011, 567 (601). 1173  Kröll, in: Debus  / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (207); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 107; Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 20; Hummer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 19 (66); Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (219). 1174  Siehe auch Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (392 Fn. 81) zu der Frage, ob Art. 11 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU überhaupt mit Art. 291 Abs. 3 AEUV vereinbar sei, da dieser für die Kontrolle der Durchführungsbefugnisse allein die Mitgliedstaaten berufe. 1175  Kröll, in: Debus  / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (208 f.). 1176  Erklärungen der Kommission, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 19. 1177  Siehe zu den Kontrollrechten des Rats und des Parlaments nach der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU auch noch Teil 3 B. V. 2. c).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Komitologiebeschlüsse wurden nur vom Rat auf der Grundlage des Art. 202, 3. Sp. EG verabschiedet. Das Europäi­sche Parlament wurde dabei lediglich angehört. Zum anderen sind jedoch die in Art. 5a und Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG1178 gewährten Kontrollrechte nicht mehr mit Art. 291 Abs. 3 AEUV und der ­Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU vereinbar, schließlich regeln die Letztgenannten ausdrücklich nur die mitgliedstaatliche Kontrolle der Kommission.1179 Damit hat das Parlament zwar die hart erkämpften Mitwirkungsrechte, insbesondere die des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG (Regelungsverfahren mit Kontrolle), mit dem Inkrafttreten der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU verloren, allerdings handelt es sich bei den Durchführungsmaßnahmen – wie bereits erörtert – um Maßnahmen exekutiver Natur, also der Durchsetzung von bereits Entschiedenem, so dass bei der Kontrolle dieser Befugnisausübung die Einbindung des Parlaments unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation nicht erforderlich erscheint.1180 Hinzu kommt noch, dass die Befugnisse der Kommission nach Art. 291 Abs. 2 AEUV nur dort zum Tragen kommen, wo grundsätzlich die Mitgliedstaaten mit der Durchführungsrechtsetzung betraut sind. Insofern ist es konsequent, dass allein die Mitgliedstaaten dort, wo ihre Befugnisse durch die Kommis­ sion ausgeführt werden, als Kompensation die Möglichkeit erhalten, die Kommission bei ihrer Durchführungsrechtsetzung zu kontrollieren.1181

B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon I. Die Wandlung des Begriffs der „Durchführung“ durch die Einführung der Kategorie der „delegierten Rechtsakte“ und der „Durchführungsrechtsakte“ in Art. 290 und Art. 291 AEUV Die Einführung der Begriffe „delegierte Rechtsakte“ und „Durchführungsrechtsakte“ in das europäische Primärrecht durch das Inkrafttreten des 1178  Ausführlich zum Regelungsgegenstand des Art.  5a Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG Teil  2  C.  V.  2. und zum Regelungsgegenstand des Art. 8 Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG siehe Teil 2 C. III. 1179  Schütze, The Modern Law Review 2011, 661 (688). 1180  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 44; ausführlich Haselmann, ­Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 234. 1181  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 44.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte225

Vertrags von Lissabon wird oft als missglückt kritisiert.1182 Denn ganz offensichtlich stehen die Begriffe nicht in einem logischen Gegensatzverhältnis zueinander, was die Abgrenzung erschwert und Überschneidungen hervorruft.1183 Zwar verweist der Terminus „delegierter Rechtsakt“ auf die Verankerung im befugnisübertragenden Gesetzgebungsakt, während sich der Terminus „Durchführungsrechtsakt“ aus der Funktion des Rechtsakts ergibt, dennoch dienen letztlich auch delegierte Rechtsakte der Durchführung des Unionsrechts.1184 Aus diesem Grund wird auch im Verlaufe dieser Unter­ suchung teilweise von „Durchführung i.  e.  S. und i.  w.  S.“1185 oder vom 1186 „zweigliedrigen Durchführungsmodell“ gesprochen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es unter der Ägide des Gemeinschaftsrechts ausschließlich den Begriff der „Durchführung“ zur Qualifizierung der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission im Rahmen der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG gab. Der gemeinschaftsrechtliche Durchführungsbegriff umfasste aber sowohl legislative als auch exekutive bzw. administrative Befugnisse der Kommission, ohne sie jedoch als zwei eigenständige Rechtsakt­ typen zu kennzeichen.1187 So formulierte Craig beispielsweise: „The word [implementation] could refer to the ‚making‘ of secondary rules, or alternatively to the ‚execution‘ of the primary regulation or directive, connoting the need for measures to ensure that the primary regulation or directive was ­properly applied.“1188

Daher wird hier im Rahmen von Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG von einer Durchführung im weiteren Sinne gesprochen. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags existieren nunmehr diese beiden eigenständigen Kategorien von Rechtsakten, nämlich die delegierten Rechtsakte und die Durchführungsrechtsakte. Damit wird der Begriff der „Durchführung“ modifiziert,1189 so dass im Fortgang der Untersuchung bei letzterer Katego1182  Ausführlich Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 18 ff.; siehe auch Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (534 Fn. 280); Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 17; Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (160 f.); Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (117). 1183  Siehe dazu ausführlich Teil 3 C. 1184  Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2009, S. 17. 1185  Siehe Teil 1 D. IV. 1. 1186  Ebd. 1187  Sydow, JZ 2012, 157 (159). 1188  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 50. 1189  So auch Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (206).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

rie, da sie nun nicht mehr beide Befugnisse enthält, von Durchführungsrechtsakten im engeren Sinne gesprochen wird.1190 II. Die Übertragung der Befugnis zum Erlass von delegierten Rechtsakten gemäß Art. 290 AEUV: Der neue unionsrechtliche Delegationsbegriff Mit der Einführung der delegierten Rechtsakte in Art. 290 AEUV wird zum einen der Begriff „delegiert“ und zum anderen eine begriffliche Trennung zwischen „Durchführung“ und „Delegation“ erstmals verbindlich ins Primärrecht aufgenommen. Die Anlehnung der neuen Normkategorie an das aus den nationalen Rechtsordnungen bekannte Institut der „delegierten Gesetzgebung“ ist augenscheinlich.1191 Dies überrascht nicht, war doch die Debatte im Europäi­schen Konvent (Verfassungskonvent), auf dessen Vorarbeiten Art. 290 AEUV über Art. I-36 EVV ersichtlich zurückgeht, stark von Begriffen aus der allgemeinen Staatslehre geprägt.1192 So schlug die Arbeitsgruppe IX „Vereinfachung“ vor, die Hierarchie der Rechtsnormen der Gemeinschaft – ähnlich wie nach dem Muster der mitgliedstaatlichen Systeme – dadurch klarer zu gestalten, dass bestimmt werde, was zum legislativen und was zum exekutiven Tätigkeitsfeld gehöre.1193 Diese Zielsetzung greifen die Art. 290 und 291 AEUV wieder auf, indem sie das Anliegen des gescheiterten Verfassungsvertrags nach einer Systematisierung der Rechtsetzungsverfahren nunmehr primärrechtlich verbindlich regeln.1194 Insofern fällt eine Differenzierung zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV in der Theorie noch relativ leicht: Art. 290 AEUV beinhaltet die Kompetenz 1190  Ähnlich Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1081); siehe auch Lenaerts, CONV 363  /  02, Kurzniederschrift über die Sitzung der Gruppe X „Vereinfachung“ v. 17.10.2002, S. 4 in seiner Anhörung vor der Konventsarbeitsgruppe X „Vereinfachung“: „Bei der Annahme von Durchführungsvorschriften auf Gemeinschaftsebene […] zur Umsetzung eines Gesetzgebungsaktes ließen sich im Übrigen zwei Arten von Durchführungsvorschriften unterscheiden: Zum einen handele es sich um Rechtsakte der vom Gesetzgeber ‚delegierten Gesetzgebung‘, wenn die Exekutive beispielsweise Änderungen an dem Gesetzgebungsakt vornehmen müsse oder ihr ganz allgemein Befugnisse erteilt würden; zum anderen gehe es um die eigentlichen Durchführungsvorschriften mit allgemeiner Geltung oder individueller Tragweite.“ 1191  So auch Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 68 ff. zu Art. I‑36 EVV. 1192  Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäi­ sche Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeit“ – aktuelle Rechtslage und Modell der Europäi­schen Verfassung, EI Working Paper Nr. 72, 2006, S. 55. 1193  CONV 424 / 02, Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29.11.2002, S. 8. 1194  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 11.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte227

zur Delegation legislativer Befugnisse, während es sich bei den Durchführungsrechtsakten um eine ergänzende administrative bzw. exekutive Kompetenz handelt, die der Kommission mit dem Ziel eingeräumt wird, einen einheitlichen effektiven Vollzug des Unionsrechts sicherzustellen.1195 Folglich darf Art. 291 AEUV nicht mehr mit dem Delegationsbegriff, wie er noch im Gemeinschaftsrecht gebraucht wurde, in Verbindung gebracht werden. Der neu eingeführte Begriff der „delegierten Rechtsakte“ entspricht also im Ergebnis nicht mehr dem weiten Delegationsverständnis, welches dieser Arbeit im Bereich des Gemeinschaftsrechts zugrunde gelegt wurde.1196 Aufgrund der Systematisierung der Rechtsetzungsverfahren durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon kann der neue unionsrechtliche Delega­ tionsbegriff nur noch die Übertragung von (quasi‑)legislativen Kompetenzen umfassen. Die Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 AEUV müssen zwangsläufig aus diesem Delegationsverständnis ausgeklammert werden. Allerdings wird bereits mit Blick auf die Begrifflichkeiten „Ergänzung“ in Art. 290 AEUV und „Durchführung“ in Art. 291 AEUV deutlich, dass eine Abgrenzung in der Praxis Probleme bereiten wird.1197 Die Abgrenzungsschwierigkeiten werden an späterer Stelle – bei der Klärung des Verhältnisses zwischen delegierter Rechtsetzung und Durchführungsrechtsetzung – erörtert.1198 III. Der Wegfall der Beteiligung der Komitologieausschüsse im Anwendungsbereich des Art. 290 AEUV Art. 290 Abs. 1 AEUV normiert die Modalitäten der Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Kommission. Die Norm spart allerdings ein Verfahren, wie es Art. 291 Abs. 3 AEUV i. V. m. der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU für die Durchführungsrechtsetzung enthält, bei dem Erlass von delegierten Rechtsakten aus. Die Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU kann im Anwendungsbereich der delegierten Rechtsakte auch nicht analog herangezogen werden, da ansonsten die von Art. 290 AEUV intendierte gleichberechtigte Stellung von Rat und Parlament beseitigt werden würde.1199 In diesem Fall hätten dann nämlich die Mitgliedstaa1195  Ebd.,

19. dazu Teil 1 B. I. 3. 1197  So auch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 20. 1198  Siehe zur Abgrenzung Teil 3 C. 1199  Landgraf, Das neue Komitologieverfahren der EU: Auswirkungen im EUAntidumpingrecht, 2012, S. 9. 1196  Siehe

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ten über die mitgliedstaatlichen Vertreter in den Komitologieausschüssen Mitentscheidungsmöglichkeiten, die dem Europäi­schen Parlament nicht zustehen würden.1200 Daraus folgt, dass die in Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV enthaltenen Übertragungsmodalitäten von abschließender Natur sind.1201 Die Kommission ist somit bei dem Erlass von delegierten Rechtsakten nicht an andere Institutionen wie z.  B. die Komitologieausschüsse gebunden.1202 Nichtsdestotrotz kann sich die Kommission auf freiwilliger Basis auch weiterhin des Sachverstands der Mitgliedstaaten bedienen.1203 In einer Mitteilung an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Art. 290 AEUV hat die Kommission bereits deutlich gemacht, dass sie eine systematische Konsultation von Sachverständigen der nationalen Behörden aller Mitgliedstaaten beabsichtigt und dafür Expertengruppen1204 bilden oder bereits bestehende Expertengruppen heranziehen wird.1205 Eine solche Kon1200  Ebd.

1201  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 12; Edenharter, DÖV 2011, 645 (647); Driessen, ELR 2010, 837 (846). 1202  Schlacke, JÖR 2013, 293 (311 ff.); Sydow, JZ 2012, 157 (164); Fabricius, ZEuS 2011, 567 (573 ff.); Kröll, Rechtsetzungsverfahren und Rechtsakte, in: Eilmansberger  /  Griller  /  Obwexer (Hrsg.), Rechtsfragen der Implementierung des Vertrags von Lissabon, 2011, S. 313 (337); Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (231). Ferner hat dem Erlass eines delegierten Rechtsakts der Kommission auch kein Vorschlag an andere Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union vorwegzugehen, vgl. Art. 17 Abs. 2 S. 2 EUV, siehe dazu ausführlich Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 31 f. 1203  Ob die Einbindung mitgliedstaatlicher Experten ausschließlich im Ermessen der Kommission liegt, wird nicht einheitlich beantwortet: Dafür Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 48  ff., der auch eine Pficht zur Konsultation aus dem gemeinsamen Verständnis zu delegierten Rechtsakten („Common Understanding on delegated acts“) zwischen Kommission, Rat und Parlament vom Frühjahr 2011 mangels Bindungswillens der beteiligten Organe verneint; ebenso Fabricius, ZEuS 2011, 567 (573 ff.); Kröll, in: Debus  /  Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (204); Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1083); zweifelnd Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2010, S.  17 f. m. w. N. 1204  Einschlägige Angaben zu den so gebildeten Expertengruppen werden der Öffentlichkeit wie üblich über das Register der Expertengruppen bereitgestellt. Das Register ist abrufbar unter: http: /  / ec.europa.eu / transparency / regexpert / . Siehe auch die neue Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und öffentliches Register v. 10.11.2010, KOM 2010 (1360) endg. 1205  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 7. Siehe auch die Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäi­schen Parlament und der Europäi­schen Kommis-



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sultation soll laut Kommission frühzeitig im Rechtsetzungsprozess erfolgen, damit die Sachverständigen einen nützlichen und wirksamen Beitrag leisten können.1206 In einer Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäi­schen Parlament und der Kommission hat Letztere sich ferner interinstitutionell verpflichtet, auf Antrag des Europäi­schen Parlaments auch Sachverständige des Parlaments zu den Sitzungen mit den nationalen Experten einzuladen.1207 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass solche Konsultationsgremien nicht mit den bereits bekannten Komitologieausschüssen gleichzusetzen sind.1208 Die Konsultationsgremien haben zukünftig nur beratende Funktion ohne dabei Rechtswirkungen für die Kommission zu entfalten.1209 Dies wirft jedoch Fragen nach der Transparenz dieser unverbindlichen, informellen Kooperationsform auf. Während für die Durchführungsrechtsakte die neue Komitologieverordnung mit den verbesserten Transparenz- und Publizitätsregelungen gilt,1210 ist mangels einer interinstitutionellen Vereinbarung zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Einbeziehung von Experten im Rahmen der delegierten Rechtsetzung noch nicht absehbar, ob sion, ABlEU L 304 v. 20.11.2010, Ziffer 15: „Die Kommission wird eine umfassende Unterrichtung und Dokumentation bei ihren Sitzungen mit nationalen Sachverständigen im Rahmen ihrer Arbeiten zur Vorbereitung und Umsetzung der Rechtsvorschriften der Union, einschließlich nicht zwingender Rechtsvorschriften (‚soft law‘) und delegierter Rechtsakte, zur Verfügung stellen. Auf Antrag des Parlaments kann die Kommission auch Sachverständige des Parlaments zu diesen Sitzungen einladen“. 1206  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 7. 1207  Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäi­schen Parlament und der Europäi­schen Kommission, ABlEU L 304 v. 20.11.2010, Ziffer 15, Anhang I. Laut Fabricius, ZEuS 2011, 567 (581 ff.) sind die in der Rahmenvereinbarung geregelten Informationspflichten unvollständig. Er empfiehlt daher dem Gesetzgeber in jedem Gesetzgebungsakt Informations- und Dokumentationspflichten gesondert zu verankern. 1208  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 7; Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 12; Schoo, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 20. 1209  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 7; so auch Driessen, ELR 2010, 837 (848); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 106; Schusterschitz, in: Hummer /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (231). 1210  Siehe zu den Transparenzregelungen der neuen Komitologieverordnung noch Teil 3 B. V. 2. d).

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die Konsultation von Expertengruppen in diesem Bereich ebenfalls durch ein entsprechendes Transparenzregime begleitet wird.1211 In welchem Rahmen die Konsultationen stattfinden werden, nachdem die zwingende Beteiligung der Komitologieausschüsse weggefallen ist, bleibt folglich abzuwarten.1212 Die Reaktionen des Europäi­schen Parlaments und des Rats auf die Mitteilung der Kommission zur systematischen Einbeziehung von Experten zeigen jedoch, dass beide Institutionen diesem Vorhaben der Kommission große Bedeutung beimessen und daher eine schnelle Umsetzung fordern.1213 Angesichts der (fast) gleichberechtigten Stellung von Rat und Parlament bei der Übertragung von delegierten Befugnissen auf die Kommission müssten jedoch die von der Kommission einzurichtenden Expertenausschüsse sowohl mit Vertretern der Mitgliedstaaten als auch mit Vertretern des Parlaments besetzt werden.1214

1211  Pilniok / Westermann,

VerwArch 2012, 379 (391). in dem Bereich der Finanzdienstleistungen kann auf das bisherige Kontrollsystem zurückgegriffen werden. Das kommt in der deklaratorischen Erklärung Nr. 39 zu Art. 290 AEUV zum Ausdruck (ABlEU C 115 v. 09.05.2008, S. 350). Danach bezweckt die Kommission „bei der Ausarbeitung ihrer Entwürfe für delegierte Rechtsakte im Bereich der Finanzdienstleistungen nach ihrer üblichen Vorgehensweise weiterhin [mitgliedstaatliche Experten] zu konsultieren“, vgl. dazu Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S.  52 ff.; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (575 ff.). In diesem Bereich kommt das sog. Lamfalussy-Verfahren zum Einsatz. Dieses Verfahren, welches ursprünglich im März 2002 nur für den Wertpapiersektor geschaffen und im Dezember 2002 auf den Banken- und Versicherungsbereich ausgeweitet wurde, ist ein spezielles Komitologieverfahren. Es wurde eingeführt, um den komplexen Prozess der Unionsgesetzgebung im Finanzsektor transparenter zu gestalten und zu beschleunigen. Siehe zu diesem Verfahren ausführlich Rötting / Lang, EuZW 2012, 8 ff.; Blom-Hansen, ELJ 2011, 344 (349 ff.); Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäi­sche Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (141 ff.); Pedler / Bradley, in: Spence / Edwards (Hrsg.), The European Commission, 3. Aufl. (2006), S. 235 (247); Schmolke, EuR 2006, 432 ff. 1213  Entschließung des Europäi­ schen Parlaments v. 05.05.2010 zur legislativen Befugnisübertragung [2010  /  2021(INI)], ABlEU C 81 E  /  02 v. 15.03.2011, S. 9 Rn. 11; Rat der Europäi­schen Union, Dok. 17477 / 09 v. 11.12.2009, Anlage I. Siehe dazu auch Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 46, 48, 50 ff. Laut Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 41 ff. offenbart der Brüsseler Politikbetrieb bereits, dass die Diskussion um die Konsultationspflicht nicht länger nur akademischer, sondern hochpolitischer Natur ist, da bereits zahlreiche Versuche unternommen wurden, die Kommission zu Konsultationen im Rahmen der delegierten Rechtsetzung zu zwingen. Fabricius erläutert dies anschaulich anhand von zwei Beispielen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen. 1214  Schusterschitz, in: Hummer  /  Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (232). 1212  Lediglich



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte231

IV. Die verfahrenstechnische Ausgestaltung der Kontrollrechte des Europäi­schen Parlaments und des Rats bei der Übertragung delegierter Befugnisse Noch ist nicht vorherzusagen, wie sich der Wegfall der Komitologie auf den Bereich der delegierten Rechtsakte auswirken wird. Der Wegfall bedeutet jedoch nicht, dass die delegierten Rechtsakte nunmehr keiner verbind­ lichen Kontrolle unterliegen. Wie bereits erörtert, sind in den delegierenden Gesetzgebungsakten Bedingungen aufzunehmen, unter denen die Befugnis zur Ergänzung und Änderung nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts erfolgt. Danach ist die Kontrolle der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission auf zwei Optionen – das Widerrufsrecht und das Einspruchsrecht – beschränkt. Wie diese Kontrollmechanismen auszuüben sind, wurde primärrechtlich nicht geregelt.1215 Daher bedarf die Position des Rats und des Parlaments einer verfahrenstechnischen Ausgestaltung, vor allem hinsichtlich der Fristen für den Einwand gemäß Art. 290 Abs. 2 lit. b AEUV sowie in Hinblick auf die wechselseitige Information und Koordina­ tion der am Delegationsvorgang mitwirkenden Organe.1216 Der Vorschlag des Europäi­schen Parlaments zum sog. „Common Understanding on delegated acts“1217 sieht genau dies vor, allerdings handelt es sich dabei mangels Rechtsbindungswillens der beteiligten Organe um keine verbindliche interinstitutionelle Vereinbarung gemäß Art. 295 AEUV.1218 Daher müssen bislang in jedem Basisrechtsakt alle Fragen des Verfahrens zur Ausübung der Kontrollrechte des Gesetzgebers individuell festgelegt werden. Für den Gesetzge1215  Siehe dazu schon Teil 3 A. II. 1. Siehe zum Verfahren für delegierte Rechtsakte auch das Schaubild bei Solle, StoffR 2011, 256 (257). 1216  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S.  144 f.; Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S.  131 f.; Schlacke, JÖR 2013, 293 (310); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 69; Sydow, JZ 2012, 157 (162 f.); Beer, EuZW 2010, 201; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (231); siehe zu den weiteren Elementen, bei denen eine Standardformulierung zu begrüßen wäre Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 8. 1217  Protokoll der Sitzung der Konferenz der Präsidenten vom 03.03.2011, Dok. PE 457.917 / CPG; siehe auch Rat der Europäi­schen Union, Common Understanding on delegated acts, Dok. 8753 / 11 v. 10.04.2011. 1218  A. A. Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 69, wonach nur noch eine formelle Annahme des Common Understandings ausstehe. Ausführlich zum Common Understanding Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 48 ff.

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ber erhöht sich damit der Verhandlungsaufwand und Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess sind vorprogrammiert.1219 Allerdings sind bei der Ausgestaltung einer interinstitutionellen Vereinbarung die Kapazitäten des Unionsgesetzgebers im Blick zu behalten:1220 Parlament und Rat werden nur dann in der Lage sein, ihre Kontrollbefugnis wirksam auszuüben, wenn sie frühzeitig von der Kommission zu geplanten delegierten Rechtsakten unterrichtet werden und ihnen eine angemessene Entscheidungsfrist für die Erhebung von Einwänden zugesprochen wird.1221 Insofern gilt es, die Transparenzmaßnahmen der Komitologiereform 2006, welche u. a. die Pflicht der Kommission statuierte, das Europäi­sche Parlament regelmäßig über die Arbeiten der Ausschüsse zu unterrichten und ihm Unterlagen über die Tätigkeit der Ausschüsse zu übermitteln,1222 auch im Rahmen der delegierten Rechtsetzung fruchtbar zu machen.1223 Diese Informationspflichten garantieren nämlich, dass der Unionsgesetzgeber seine Position als Kontrollorgan effektiv wahrnehmen kann. Allerdings wird es angesichts der Fülle an Gesetzgebungsakten für das Europäi­sche Parlament und den Rat nicht möglich sein, zeitnahe fundierte Entscheidungen etwa über die Frage der wesentlichen Aspekte eines Politikbereichs und die Inanspruchnahme der Kontrollmechanismen in Art. 290 Abs. 2 AEUV zu treffen, ohne sich von Experten beraten zu lassen.1224 Insofern wird der Ausgleich des Informationsdefizits mithilfe von mitgliedstaat­ 1219  Siehe Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 117; Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (58); Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 7 f.; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (232). 1220  Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (57); Türk, in: Kadelbach (Hrsg.), Europäi­sche Integration und parlamentarische Demokratie, 2009, S. 131 (155); Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 18. 1221  Vgl. Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 75; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (492). 1222  Vereinbarung zwischen dem Europäi­ schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006 / 512 / EG, ABlEG C 143 v. 10.06.2008, S. 1. 1223  So auch Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (57 f.). 1224  Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2009, S.  18 f.; Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S.  149 f., Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 75 und Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (118) sind der Meinung, dass zukünftig der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER) im Bereich der delegierten Rechtsakte an die Stelle der Komitologieausschüsse treten und somit dem Rat die notwendigen Informationen zu Rechtsetzungsvorhaben der Kommission bereitstellen werde.



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lichen Experten lediglich auf eine andere Ebene verlagert – weg von der Kommission, hin zum Europäi­schen Parlament und dem Rat. An dieser Stelle wird offensichtlich, dass mit der Verdrängung der Vertreter der nationalen Verwaltungen aus dem Bereich der delegierten Rechtsetzung wenig gewonnen ist.1225 Denn auch die delegierten Rechtsakte könnten von der Einbindung der nationalen Experten im Vorfeld der Rechtsetzungstätigkeit der Kommission profitieren, da sie – ebenso wie die Durchführungsrechtsakte – letzten Endes von den Mitgliedstaaten anzuwenden sind.1226 Der Wegfall der Komitologie im Rahmen von Art. 290 AEUV ist daher nur vor dem Hintergrund der vom Europäi­ schen Parlament durchgesetzten jahrzehntelangen Forderung nach gleichberechtigter Kontrolle bei der delegierten Rechtsetzungstätigkeit der Kommission zu verstehen. V. Die Einbindung des Komitologieverfahrens in die neue Rechtslage: Die Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU Die Durchführungsrechtsakte der Kommission unterliegen demgegenüber nicht mehr der Kontrolle des Unionsgesetzgebers. Art. 291 Abs. 3 AEUV sieht vielmehr eine mitgliedstaatliche Kontrolle gemäß der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU unter Einschaltung von Komitologieausschüssen vor. Die Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU ähnelt der Verfahrensstruktur des Komitologiebeschlusses 1999  /  468  /  EG, allerdings enthält sie – im Gegensatz zu Art. 5a Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG – keine Regelungen mehr über das Verfahren zum Erlass (quasi-)legislativer Befugnisse.1227 Der Anwendungsbereich der Komitologieverordnung ist eindeutig nur auf Durchführungsrechtsakte beschränkt. Laut Hummer mutiert damit „die ‚Komitologie‘, die bisher als Akt der Sekundärrechtsetzung durch die Kommission rechtsdogmatisch als ‚legislative‘ Tätigkeit angesehen werden musste, […] nunmehr zur bloßen ‚Durchführungsmaßnahme‘ exekutiven Charakters“1228. Nichtsdestotrotz wurde das System der Unterstützung und Kontrolle der Kommission auch in der neuen Komitologieverordnung mit einigen Modifizierungen 1225  So auch Landgraf, Das neue Komitologieverfahren der EU: Auswirkungen im EU-Antidumpingrecht, 2012, S. 10; Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäische Politik, 2009, S. 18. Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 58 erklärt die Verdrängung der Komitologie aus dem Bereich der delegierten Verordnung (Art. I-36 EVV) damit, dass bei der Komitologie das Fachwissen der Ausschussmitglieder im Vordergrund stehe, da es insbesondere um technische Fragestellungen geht, während die Kontrolle der delegierten Rechtsetzung Wertungsfragen betreffe. 1226  Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 18. 1227  Driessen, ELR 2010, 837 (842). 1228  Hummer, in: FS Peter Fischer, 2004, S. 121 (160).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

grundsätzlich beibehalten. Zu den Reformen gehört u. a. die Reduzierung der bisher bestehenden vier Verfahrensarten (das Beratungs‑, Verwaltungsund Regelungsverfahren mit und ohne Kontrolle)1229 auf das Beratungs- und das Prüfverfahren1230. Welches der beiden Verfahren zukünftig zur Anwendung gelangt, ist im Basisrechtsakt festzulegen. Eine neue Erscheinung im Komitologiesystem stellt ferner der Berufungsausschuss dar,1231 welcher an die Stelle des Rats tritt, der als solcher nicht mehr am Komitologieverfahren beteiligt ist.1232 Der Berufungsausschuss setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten auf „hinreichend hohe[r] und horizontale[r] Ebene (einschließlich Ministerebene) zusammen“, wobei „die Vertretung nicht unterhalb der Ebene der Mitglieder des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten angesiedelt sein [sollte]“1233. Den Vorsitz führt ein nichtstimmberechtigtes Mitglied der Kommission.1234 Nachdem nun die Einbindung der Komitologie in die neue Rechtslage dargelegt wurde, sollen im Folgenden die Besonderheiten bzw. Reformen der neuen Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU vorgestellt werden.1235 1. Die Verfahrensarten Das Beratungsverfahren nach Art.  2 Abs.  3 Komitologieverordnung Nr.  182  /  2011  /  EU entspricht dem bisherigen Beratungsverfahren nach Art.  3  Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG,1236 es wird aber nunmehr zum Regelverfahren proklamiert. In diesem Verfahren gibt der Ausschuss mit der einfachen Mehrheit seiner Mitglieder eine Stellungnahme ab.1237 Die Kommission hat diese bei der Wahrnehmung ihrer Durchführungsbefugnisse soweit wie möglich zu berücksichtigen.1238 1229  Siehe zu den einzelnen Verfahrensarten vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU Teil 2 C. Das Verfahren für Schutzmaßnahmen wurde in die Untersuchung nicht mit einbezogen, siehe Fn. 547. 1230  Art.  4 und Art.  5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1231  Art.  6 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1232  Siehe dazu ausführlich Teil 3 B. V. 2. c). 1233  Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182 / 2011) – Vom Berufungsausschuss angenommen am 29. März 2011, ABlEU C 183 v. 24.06.2011, S. 13. 1234  Art.  3 Abs.  7 UAbs.  4 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1235  Siehe zu den neuen Verfahrensstrukturen auch das Schaubild bei Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (398). 1236  Art.  13 Abs.  1 lit.  a Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1237  Siehe zum schriftlichen Verfahren Art.  3 Abs. 5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1238  Art.  4 Abs.  1 und Abs.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte235

Das Prüfverfahren tritt an die Stelle des bisherigen Verwaltungs- und Regelungsverfahrens.1239 Es wird insbesondere bei Durchführungsmaßnahmen von allgemeiner Tragweite, Programmen mit wesentlichen Auswirkungen, sowie bei der Agrar-, Fischerei-, Handelspolitik, steuerlichen Angelegenheiten und bei Fragen der Umwelt, der Sicherheit oder des Schutzes der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen angewandt.1240 In diesem Verfahren gibt der Ausschuss zu dem Kommissionsentwurf eine Stellungnahme mit qualifizierter Mehrheit1241 ab.1242 Jedes Ausschussmitglied kann bis zur Abgabe dieser Stellungnahme Änderungen vorschlagen, so wie auch der Vorsitz eine geänderte Fassung des Entwurfs des Durchführungsrechtsakts vorlegen kann.1243 Fällt die Stellungnahme positiv aus, so erlässt die Kommission den im Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakt.1244 Wird keine Stellungnahme abgegeben, so kann die Kommission – mit Ausnahme der in Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 Komitologieverorordnung Nr. 182 /  2011 / EU vorgesehenen Fälle1245 – nach freiem Ermessen darüber entscheiden, ob sie den Durchführungsrechtsakt erlassen will.1246 Tut sie dies nicht 1239  Art. 13 Abs. 1 lit. b und c Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU. Sie zum Ablauf des Prüfverfahrens das Schaubild bei Solle, StoffR 2011, 256 (262). 1240  Art. 2 Abs. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU. Da in Art. 5 Abs. 4 S. 3 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU der Bereich der Finanzdienstleistungen zusammen mit den übrigen Regelungsgebieten des Art. 2 Abs. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU genannt wird, scheint der Bereich der Finanzdienstleistungen ebenfalls in den Anwendungsbereich des Prüfverfahrens zu fallen, so Fabricius, ZEuS 2011, 567 (597). 1241  Seit dem 1. November 2012 mit doppelter Mehrheit, siehe Art. 5 Abs. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU i. V. m. Art. 16 Abs. 4 und Abs. 5 EUV. Um die doppelte Mehrheit nach Art. 16 Abs. 4 EUV zu erreichen, bedarf es 55 Prozent der Mitlgieder des Rats, die gemeinsam 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. 1242  Art.  5 Abs.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1243  Art. 3 Abs. 4 UAbs. 1 bzw. Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 für den Berufungsausschuss. 1244  Art.  5 Abs.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. Danach muss die Kommission den Entwurf eines Durchführungsrechtsakts annehmen, wenn der Ausschuss eine befürwortende Stellungnahme abgibt. Aus der Erklärung des Europäi­ schen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 19 ergibt sich jedoch, „dass die Kommission, wie derzeit üblich, in ganz außergewöhnlichen Fällen neue Umstände, die sich nach der Abstimmung ergeben haben, berücksichtigen und beschließen kann, den Entwurf des Durchführungsrechtsakts nicht anzunehmen, nachdem sie den Ausschuss und den Gesetzgeber ordnungsgemäß davon in Kenntnis gesetzt hat“. 1245  In diesen Fällen erlässt die Kommission den Rechtsakt nicht. Etwas anderes gilt nur beim Erlass eilbedürftiger Rechtsakte, Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 i. V. m. Art. 7 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1246  Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 S. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU.

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bzw. kann sie den Durchführungsrechtsakt nicht erlassen1247, so besteht die Möglichkeit, dass der Vorsitz dem Ausschuss eine geänderte Fassung des Entwurfs des Durchführungsrechtsakts unterbreitet.1248 Zudem können das Parlament und der Rat im Basisrechtsakt festlegen, dass der Kommissionsentwurf beim Vorliegen einer fehlenden Stellungnahme im Ausschuss nicht erlassen werden darf.1249 Eine Sperrminorität ist somit ausreichend, um den Kommissionsentwurf zu blockieren. Diese Bestimmung ermöglicht es dem Rat und dem Parlament, das Komitologieverfahren flexibler zu gestalten, als es bisher der Fall war. Lehnt der Ausschuss den Entwurf der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ab, darf die Kommission den Durchführungsrechtsakt grundsätzlich nicht erlassen.1250 Prinzipiell reicht für die Ablehnung entgegen dem Wortlaut des Art.  5 Abs.  3 i. V. m. Abs.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU aber auch schon eine einfache Mehrheit aus, da Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 lit. c Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU die Hürde der qualifizierten Mehrheit deutlich senkt. Liegt eine ablehnende Stellungnahme des Ausschusses vor, kann der Vorsitz entweder demselben Ausschuss innerhalb von zwei Monaten nach Abgabe der ablehnenden Stellungnahme eine geänderte Fassung des Entwurfs des Durchführungsrechtsakts unterbreiten oder den Entwurf des Durchführungsrechtsakts innerhalb eines Monats nach Abgabe der ablehnenden Stellungnahme dem Berufungsausschuss zur weiteren Beratung vorlegen, sofern die Kommission den Durchführungsrechtsakt für erforderlich erachtet.1251 Der Berufungsausschuss berät dann anschließend mit dem Vorsitz über den Entwurf und gibt mit qualifizierter Mehrheit eine Stellungnahme ab, aufgrund derer die Kommission den vorgesehenen Durchführungsrechtsakt entweder erlassen kann oder nicht.1252 Insofern bedarf es im Rahmen des Prüfverfahrens trotz der niedrigen Hürde der einfachen Mehrheit im jeweiligen Ausschuss schließlich doch 1247  Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 Komitologieverordnung Nr. 182  / 2011 / EU. In diesen Fällen kann der Vorsitz alternativ den Entwurf dem Berufungsausschuss zur Beratung vorlegen. 1248  Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 S. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU. 1249  Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 lit. b Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; siehe auch Art.  13 Abs.  1 lit.  c Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1250  Art. 5 Abs. 3 S. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU, vgl. aber Art. 7 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU; ausführlich dazu Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 28 f.; siehe zu den Möglichkeiten bei einer fehlenden Stellungnahme des Ausschusses Art. 5 Abs. 4 und Abs. 5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1251  Art.  5 Abs.  3 S.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1252  Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; siehe zu den einzelnen Facetten des Verfahrens im Berufungsausschuss Daiber, EuR 2012, 240 (246).



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte237

einer qualifizierten Mehrheit, um den Kommissionsentwurf zu blockieren. Folglich greift die neue Komitologieverordnung die Effizienz des bisherigen Verwaltungsverfahrens – allerdings erst in der „zweiten Instanz“1253 (Berufungsausschuss) – wieder auf, indem die Kommission letztlich doch nicht auf eine positive Mehrheit der Mitgliedstaaten für die geplante Kommis­ sionsmaßnahme angewiesen ist.1254 Es genügt, wenn die Kommission eine qualifizierte Mehrheit gegen die von ihr geplante Maßnahme vermeidet.1255 Eine einfache ablehnende Mehrheit oder gegebenenfalls eine Sperrminorität haben somit nur eine aufschiebende Wirkung, bis der Entwurf des Durchführungsrechtsakts dem Berufungsausschuss vorgelegt wird.1256 Mit der Stärkung der Rolle der Kommission in „zweiter Instanz“ geht jedoch auch eine Schwächung in „erster Instanz“ – jedenfalls im Vergleich zum bisherigen Verwaltungsverfahren1257 – einher,1258 da die Kommission nur noch in den Sonderfällen des Art.  7 f. Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU unabhängig von der Stellungnahme eines Ausschusses ihren Durchführungsrechtsakt erlassen kann. Im Vergleich zum Regelungsverfahren1259 hat die Kommission dagegen an Einfluss gewonnen, da sie den geplanten Durchführungsrechtsakt im Regelfall des Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU nunmehr auch erlassen kann, wenn der Ausschuss keine Stellungnahme abgegeben hat. Dies gilt ebenso für das bisherige Regelungsverfahren mit Kontrolle, da die Kommission nach diesem Verfahren nicht einmal dann die Durchführungsmaßnahme erlassen konnte, wenn eine positive Stellungnahme des Ausschusses dafür vorlag.1260 Umgekehrt haben die Mitgliedstaaten an Einfluss verloren: Zum einen, weil der Berufungsausschuss – im Unterschied zu allen bisherigen Verfahrensarten, in denen der Rat in zweiter Instanz für die Überprüfung der Kommissionsmaß1253  Daiber,

EuR 2012, 240 (246); Fabricius, ZEuS 2011, 567 (597). EuR 2012, 240 (246 f.); Norer / Bloch, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts I, Losebl. (Stand: September 2011), G. Rn. 260; Solle, StoffR 2011, 256 (263). 1255  Norer / Bloch, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts I, Losebl. (Stand: September 2011), G. Rn. 260. 1256  Anders ist es dagegen bei der Annahme endgültiger multilateraler Schutzmaßnahmen, Art. 6 Abs. 4 Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU und bei der Annahme von endgültigen Antidumping- oder Ausgleichsmaßnahmen, Art. 6 Abs. 5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1257  Siehe zur alten Rechtslage Art. 4 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG (Verwaltungsverfahren) und Art.  6 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG (Verfahren bei Schutzmaßnahmen). 1258  So auch Daiber, EuR 2012, 240 (246 f.). 1259  Art.  5 Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 1260  Art. 5a Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG. 1254  Daiber,

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

nahme zuständig war1261 – nun lediglich auf ein Recht zur Stellungnahme beschränkt ist. Er kann den Rechtsakt somit nicht mehr selbst erlassen.1262 Zum anderen, weil die Kommission im mitgliedstaatlich besetzten Berufungsausschuss den Vorsitz inne hat,1263 während dies unter der Geltung des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG, als der Rat noch zur letztinstanz­ lichen Überprüfung der Durchführungsmaßnahmen der Kommission berufen war, nicht der Fall war. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die Rolle der Kommission in der Komitologie gestärkt wurde und sie in einigen Bereichen nunmehr im Vergleich zur alten Rechtslage über einen größeren Ermessensspielraum verfügt.1264 Ferner kann die Kommission den Komitologieprozess nunmehr beschleunigen, indem sie bereits dem jeweils zuständigen Ausschuss „erster Instanz“ – und nicht erst dem Berufungsausschuss – eine geänderte Fassung des Durchführungsrechtsakts vorlegt.1265 Darüber hinaus steht es ihr auch frei, von dem Erlass eines Durchführungsrechtsakts ganz abzusehen, selbst wenn der Ausschuss keine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat.1266

1261  Art. 4 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4, Art. 5 Abs. 4 und Abs. 6, Art. 5a Abs. 4 lit. g, Art. 6 lit. c Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG; siehe dazu schon Teil 2 C. III. 1262  So auch Daiber, EuR 2012, 240 (246). 1263  Art.  3 Abs.  7 UAbs.  4 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1264  So beispielsweise Daiber, EuR 2012, 240 (247 f.); Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 29; Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 24; siehe auch Art. 5 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 UAbs. 1, UAbs. 3, Art. 7 UAbs. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; vgl. zur alten Rechtslage Art. 5 Abs. 4, Art. 5a Abs. 4 lit. a und lit. g Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG. 1265  Art. 5 Abs. 3 S. 2, 1.  Alt., Abs. 4 UAbs. 1 S. 2, UAbs. 3, 1.  Alt. Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; vgl. zur alten Rechtslage Art. 5 Abs. 6 UAbs. 2 S. 2, Art. 5a Abs. 3 lit. c S. 2, Abs. 4 lit. c S. 2 und lit. f S. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG. 1266  Art. 5 Abs. 4 UAbs. 1 S. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; vgl. zur alten Rechtslage Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 4, Art. 5a Abs. 3 lit. d, Abs. 4 lit. a und lit. g Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte239

2. Kritische Würdigung der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU a) Die untergeordnete Rolle des Beratungsverfahrens und die Unverbindlichkeit der Kritierien zur Wahl einer Verfahrensart Nach der neuen Komitologieverordnung wird grundsätzlich das Beratungsverfahren zum Erlass von Durchführungsrechtsakten angewendet, die nicht in den Anwendungsbereich des Prüfverfahrens fallen.1267 Damit wird das Beratungsverfahren zwar zum Regelverfahren erklärt, ein Blick auf den Katalog der Regelungsbereiche, in denen das Prüfverfahren zur Anwendung kommt,1268 macht jedoch deutlich, dass für das Beratungsverfahren nur die weniger bedeutsamen Regelungsbereiche vorgesehen sind. Zudem hat das Prüfverfahren im Vergleich zur alten Rechtslage1269 noch an Kompetenzen gewonnen, da die Handelspolitik1270 und die Besteuerung im Gegensatz zu allen anderen Politikbereichen, die sich mit dem Katalog der neuen Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU decken, im Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG noch nicht genannt waren. Obwohl das Beratungsverfahren in hinreichend begründeten Ausnahmefällen auch zum Erlass von Durchführungsrechtsakten, die eigentlich dem Prüfverfahren unterfallen, angewendet werden kann,1271 wird es wohl weiterhin nur eine untergeordnete Rolle spielen.1272 1267  Art.  2

Abs.  3 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. den Katalog in Art. 2 Abs. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU. 1269  Art. 2 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG: „Bei der Wahl der Verfahrensmodalitäten für die Annahme der Durchführungsmaßnahmen werden folgende Kriterien zugrunde gelegt: a) Verwaltungsmaßnahmen wie etwa Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinsamen Agrarpolitik oder der gemeinsamen Fischereipolitik oder zur Durchführung von Programmen mit erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt sollten nach dem Verwaltungsverfahren erlassen werden. b) Maßnahmen von allgemeiner Tragweite, mit denen wesentliche Bestimmungen von Basisrechtsakten angewandt werden sollen, wie Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen sollten nach dem Regelungsverfahren erlassen werden. Ist in einem Basisrechtsakt vorgesehen, daß bestimmte nicht wesentliche Bestimmungen des Rechtsakts im Wege von Durchführungsverfahren angepaßt oder aktualisiert werden können, so sollten diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren erlassen werden. c) Unbeschadet der Buchstaben a) und b) wird das Beratungsverfahren in allen Fällen angewandt, in denen es als zweckmäßigstes Verfahren angesehen wird“. 1270  Vgl. 12. Erwägungsgrund Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG; siehe zur gemeinsamen Handelspolitik in der neuen Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU Daiber, EuR 2012, 240 (248 f.); Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 32 ff. 1271  Art.  2 Abs.  2 S.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1272  So auch Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (388). Dieses Ergebnis wird auch gestützt durch den Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Aus1268  Siehe

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Zudem ist nach wie vor unklar, wann ein solch hinreichend begründeter Fall vorliegt.1273 Die Vorgaben zur Wahl der neuen Verfahren sind alles andere als hinreichend bestimmt.1274 Darüber hinaus handelt es sich bei den Kriterien für die Auswahl eines Ausschussverfahrens um unverbindliche Hinweise.1275 Dafür spricht zum einen, dass der Katalog an Durchführungsmaßnahmen, bei denen das Prüfverfahren zur Anwendung kommt, nicht abschließend („insbesondere“, Art. 2 Abs. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 /  2011 / EU) ist, und zum anderen, dass ein Hinweis auf die Verbindlichkeit der Kriterien vom Gesetzgeber in der endgültigen Fassung der Komitologieverordnung wieder gestrichen worden ist.1276 Die im zweiten Kapitel1277 vorgefundenen Defizite des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG wurden somit auch nicht mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU beseitigt.

schüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685) endg., S. 10. Lediglich 23 von 268 Ausschüssen wandten das Beratungsverfahren an, während 99 von 268 Ausschüssen im Rahmen des Prüfverfahrens tätig wurden. Die meisten Ausschüsse wandten allerdings mehrere Verfahren an. 1273  So Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 31. 1274  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 230; Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (388). 1275  So auch Kröll, ZÖR 2011, 253 (293) mit weiteren Gründen. 1276  Siehe 8. Erwägungsgrund, Vorschlag für eine Verordnung des Europäi­ schen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren vom 09.03.2010, KOM 2010 (83) endg.: „Es sollten Kriterien festgelegt werden, um das Verfahren für den Erlass von Durchführungsrechtsakten zu bestimmen. Im Hinblick auf eine stärkere Kohärenz und um sicherzustellen, dass die verfahrensrechtlichen Anforderungen im Verhältnis zur Art der zu erlassenden Durchführungsrechtsakte stehen, sollten diese Kriterien verbindlich sein“. Siehe ferner Europäi­sches Parlament, Bericht des Rechtsausschusses vom 06.12.2010, A7-0355  /  2010, 3. Änderungsantrag: „Es sollten Kriterien festgelegt werden, um das Verfahren für den Erlass von Durchführungsrechtsakten zu bestimmen. Im Hinblick auf eine stärkere Kohärenz sollten die verfahrensrechtlichen Anforderungen im Verhältnis zur Art und zu den Auswirkungen der zu erlassenden Durchführungsrechtsakte stehen“. Siehe nunmehr 10. Erwägungsgrund der Komitologieverordnung Nr. 182  /  2010  /  EU: „Es sollten Kriterien festgelegt werden, nach denen das Verfahren für den Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission bestimmt wird. Im Hinblick auf eine stärkere Kohärenz sollten die verfahrensrechtlichen Anforderungen in einem angemessenen Verhältnis zur Art und zu den Auswirkungen der zu erlassenden Durchführungsrechtsakte stehen.“ (Hervorhebungen jeweils durch die Verfasserin) 1277  Siehe Teil 2 E. III.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte241

b) Die unvollkommene Reduzierung der Verfahrensarten durch die Einführung des Berufungsausschusses Mit Blick auf die Einführung des Berufungsausschusses stellt sich die Frage, ob sich die Anzahl der Verfahrensarten im Vergleich zur alten Rechtslage tatsächlich erheblich verringert hat. Zwar werden in der Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU nur noch zwei Verfahrensarten ge­ nannt,1278 allerdings schließt sich an das Prüfverfahren bei negativer1279 und bei fehlender Stellungnahme1280 eines Komitologieausschusses ein weiteres Verfahrensinstrument, der Berufungsausschuss, an. Genauer betrachtet ergeben sich kaum Unterschiede zu den übrigen Komitologieausschüssen. Auch der Berufungsausschuss besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten, er gibt sich ebenfalls eine Geschäftsordnung1281 und steht unter dem Vorsitz eines Kommissionsvertreters1282. Ferner erlässt auch der Berufungsausschuss seine Stellungnahmen mit qualifizierter Mehrheit.1283 Der Schein einer Reduzierung der Verfahrensvielfalt und der Vereinfachung des Komitologiesystems trügt demnach. Der Berufungsausschuss kommt zwar erst im Verlaufe des Prüfverfahrens zum Einsatz – er ist insofern kein permanenter Ausschuss –, aber aufgrund seiner Ähnlichkeit im Aufbau und in der Arbeitsweise mit den übrigen Komitologieausschüssen kann er bei einer Aufzählung der reformierten Verfahrensinstrumente nach der neuen Komitologieverordnung nicht ausgeklammert werden. Die Forderung nach einer Verringerung der intransparenten Verfahrensvielfalt wurde folglich nur auf den ersten Blick erfüllt.1284 Das Prüfverfahren mit seiner fakultativen und obligatorischen Anordnung des Berufungsausschusses und den vielen Ausnahmetatbeständen (z. B. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 und Abs. 5, Art. 7 und Art. 8 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU) ist zudem alles andere als leicht verständlich.1285 1278  Art.  2

Abs.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. Abs.  3 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1280  Fakultativ bei Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3, obligatorisch bei Abs. 5 UAbs. 2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1281  Art. 3 Abs. 7 UAbs. 2 und Art. 9 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU. 1282  Art.  3 Abs.  7 UAbs.  4 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1283  Art. 6 Abs. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; siehe aber die Sonderregelung in Art.  6 Abs.  5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1284  Siehe dazu Teil 2 E. III. 1285  So auch Sydow, JZ 2012, 157 (161), der den Berufungsausschuss letztendlich für sachlich überflüssig hält; ähnlich Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 56. 1279  Art.  5

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Abschließend ist festzuhalten, dass der im zweiten Kapitel1286 angesprochene Streit der Unionsorgane um die im Basisrechtsakt festzulegende Verfahrensart mit der vorgenommenen Reduzierung einerseits zwar an Bedeutung verloren hat, während er andererseits aufgrund der Einführung der Kategorie der delegierten Rechtsakte neben der Kategorie der Durchführungsrechtsakte neu angefeuert wurde. Denn zukünftig müssen Rat und Parlament im Gesetzgebungsverfahren darin übereinkommen, für welche Fälle die delegierten Rechtsakte (Art. 290 AEUV) oder die Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV) angewendet werden sollen. Der Streit hat sich damit nicht gänzlich aufgelöst, sondern lediglich auf eine höhere Ebene verlagert. Erst wenn sich der Unionsgesetzgeber dafür entscheidet, den (Basis‑)Gesetzgebungsakt mittels einer Durchführungsmaßnahme der Kommission vollziehen zu lassen, stellt sich abschließend die Frage, ob dafür das Beratungs- oder das Prüfverfahren einschlägig sein soll. So wurde mit der Verringerung der Verfahrensvielfalt auf nunmehr lediglich zwei Hauptverfahren zwar ein Konflikt, nämlich das Gerangel um das einschlägige Komitologieverfahren, behoben, ein anderer Konflikt, die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der delegierten Rechtsetzung und der Durchführungsrechtsetzung, jedoch heraufbeschworen. Die Abgrenzungsproblematik wird im Abschnitt C. dieses Kapitels ausführlich erörtert.1287 c) Die Verlagerung der Kontrollbefugnisse des Parlaments und des Rats auf die Mitgliedstaaten Im Einklang mit dem Konzept des Art. 291 Abs. 3 AEUV, wonach die Kontrolle der Durchführungsmaßnahmen der Kommission primär den Mitgliedstaaten obliegt, haben sich Parlament und Rat in der Komitologieverordnung selbst nur sehr eingeschränkte Kontrollkompetenzen zugesprochen. So können beide Organe lediglich nach Art. 11 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU, sofern der Basisrechtsakt nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde, die Kommission darauf hinweisen, „dass der Entwurf eines Durchführungsrechtsakts ihres Erachtens die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet. In diesem Fall überprüft die Kommission den Entwurf des Durchführungsrechtsakts unter Berücksichtigung der vorgetragenen Standpunkte und unterrichtet das Europäi­ sche Parlament und den Rat darüber, ob sie beabsichtigt, den Entwurf des Durchführungsrechtsakts beizubehalten, abzuändern oder ­ zurückzuziehen“1288. Sollte die Kommission trotz der Hinweise des Rats 1286  Siehe

dazu Teil 2 E. III.

1287  Teil 3 C. 1288  Art.  11

Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte243

und / oder des Parlaments den Entwurf der geplanten Durchführungsmaßnahme beibehalten, steht für beide Organe nunmehr nur noch der Klageweg nach Art. 263 AEUV offen.1289 Dieses eingeschränkte Kontrollrecht des Art. 11 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut des Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG.1290 Danach hatte ein Vorgehen des Parlaments lediglich zur Folge, dass sich die Kommission erneut mit ihrem Entwurf befassen musste. Diese Regelung wurde offensichtlich übernommen und auf den Rat ausgeweitet, der nach dem neuen Komitologiesystem nicht mehr selbst über den Kommissionsentwurf als letzte Instanz entscheiden kann.1291 Bei der Anpassung der Terminologie des Art. 8 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG („Mitentscheidungsverfahren“) an Art.  11 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU („ordentliches Gesetzgebungsverfahren“) wurde allerdings nicht berücksichtigt, „dass der Rat – anders als das Parlament – […] auch in anderen Rechtsetzungsverfahren als dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Befugnisse hat, die durch den Erlass von Durchführungsrechtsakten tangiert werden können“1292. Ein Kontrollrecht wurde dem Rat für diese speziellen Fälle dennoch nicht eingeräumt. Im Hinblick auf die verlustig gegangenen Kontrollkompetenzen des Rats ist jedoch zu beachten, dass die Mitgliedstaaten zwar nicht mehr über den Rat (als Repräsentationsorgan der Mitgliedstaaten), dafür nunmehr aber über die mitgliedstaatlich besetzten Ausschüsse ihre Kontrolle über die Komitologie ausüben können. Die Verdrängung des Parlaments aus der Komitologie mag dagegen auf den ersten Blick erstaunen, vor allem wenn man bedenkt, wie erbittert es um mehr Mitwirkungsbefugnisse in diesem Bereich gekämpft hat.1293 Allerdings darf man nicht vergessen, dass es sich bei den Durchführungsmaßnahmen gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV nunmehr nur noch um Maßnahmen exekutiver Natur und nicht mehr um Maßnahmen der legislativen Gestaltung handelt. Eine Beteiligung des Parlaments am Komitologieprozess erscheint damit unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation nicht mehr erforderlich.1294 Darüber hinaus statuiert Art. 291 Abs. 1 AEUV primär1289  Schoo, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3.  Aufl. (2012), Art. 291 AEUV Rn. 10. 1290  Siehe dazu Teil 2 C. III. 1291  Siehe dazu bereits Teil 3 B. V. 1. 1292  Daiber, EuR 2012, 240 (251); siehe auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 235. 1293  Siehe dazu Teil 2 C. 1294  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 44.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

rechtlich eine Wertentscheidung zugunsten des indirekten Vollzugs des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten, d. h. wenn die Kommission ausnahmsweise Unionsrecht anstelle der Mitgliedstaaten direkt vollzieht, muss die Kontrolle über diese Durchführungsmaßnahmen der Kommission folglich den Mitgliedstaaten und nicht dem Parlament obliegen.1295 d) Weniger Komitees – mehr Transparenz? Unter der Geltung des alten Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG wurde vielfach die Forderung nach mehr Transparenz im unübersichtlichen Komitologiesystem geäußert.1296 Insofern stellt sich nunmehr die Frage, wie transparent die Kontrollinstrumente der Mitgliedstaaten in der neuen Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU ausgestaltet sind. Als Ausgangspunkt ist zunächst festzuhalten, dass die Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU die Transparenzregelungen des Komitologiebeschlusses 1999  /  468  /  EG übernimmt und sogar erweitert. So legt Art. 10 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU einen Katalog von Informationspflichten der Kommission fest, der deutlich über die Anforderungen des Art.  7  Abs.  4 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG hinausgeht.1297 Neu hinzugefügt wurde die Pflicht zur Veröffentlichung einer Liste der Ausschüsse, der endgültigen Entwürfe nach Abgabe der Stellungnahmen, der Angaben zum Erlass der im endgültigen Entwurf vorgesehenen Durchführungs1295  Ebd.

1296  Siehe

dazu bereits Teil 2. E. II. Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU: „(1) Die Kommission führt ein Register der Ausschussverfahren, das Folgendes enthält: a) eine Liste der Ausschüsse, b) die Tagesordnungen der Ausschusssitzungen, c) die Kurzniederschriften sowie Listen der Behörden und Stellen, denen die Personen angehören, die die Mitgliedstaaten in deren Auftrag vertreten, d) die Entwürfe der Durchführungsrechtsakte, zu denen die Ausschüsse um eine Stellungnahme ersucht werden, e) die Abstimmungsergebnisse, f) die endgültigen Entwürfe der Durchführungsrechtsakte nach Abgabe der Stellungnahme der Ausschüsse, g) Angaben zum Erlass der im endgültigen Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakte durch die Kommission sowie h) statistische Angaben zur Arbeit der Ausschüsse. (2) Die Kommission veröffentlicht darüber hinaus einen jährlichen Bericht über die Arbeit der Ausschüsse. (3) Das Europäi­sche Parlament und der Rat haben im Einklang mit den geltenden Vorschriften Zugriff auf die in Absatz 1 genannten Angaben. (4) Die Kommission stellt die in Absatz 1 Buchstaben b, d und f genannten Dokumente dem Europäi­ schen Parlament und dem Rat zur gleichen Zeit, zu der sie den Ausschussmitgliedern übermittelt werden, zur Verfügung und unterrichtet sie über die Verfügbarkeit dieser Dokumente. (5) Die Fundstellen der in Absatz 1 Buchstaben a bis g genannten Dokumente sowie die in Absatz 1 Buchstabe h genannten Angaben werden in dem Register öffentlich zugänglich gemacht“. 1297  Art.  10



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte245

rechtsakte durch die Kommission sowie der statistischen Angaben zur Arbeitsweise der Ausschüsse. Allerdings ist zu beachten, dass diese Neu­ erungen des Art.  10 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU größtenteils auf einer Vereinbarung zwischen dem Europäi­ schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG beruhen.1298 Art.  10 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 /  EU stellt dennoch einen Transparenzgewinn dar, da die bisher in unterschiedlichen Bestimmungen und Vereinbarungen geregelten Transparenzpflichten nunmehr in einer Vorschrift vereinfacht und übersichtlich zusammengeführt werden. Positiv hervorzuheben sind neben den intensivierten Transparenzpflichten ferner die erweiterten Notifizierungspflichten:1299 Parlament und Rat erhalten fortan zur gleichen Zeit wie die Mitglieder der Ausschüsse die Tagesordnungen der Ausschusssitzungen, die Entwürfe der Durchführungsrechtsakte (nicht mehr nur die Entwürfe für Maßnahmen zur Durchführung der gemäß Art. 251 EG erlassenen Rechtsakte), zu denen die Ausschüsse um eine Stellungnahme ersucht werden, und die endgültigen Entwürfe der Durchführungsrechtsakte nach Abgabe der Stellungnahme der Ausschüsse.1300 Dies erlaubt eine eindeutige Identifizierung der übermittelten Information, fördert die Transparenz der einzelnen Verfahrensstadien und effektuiert damit letztendlich das Kontrollrecht des Parlaments und des Rats nach Art.  11 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU.1301 Der Zugang zu diesen Komitologiedokumenten wird wie bisher über das von der Kommission eingerichtete Komitologieregister gewährleistet. Allerdings enthält dieses Register keine Informationen zu den „delegierten Rechtsakten“ (Art. 290 AEUV), da dieser neue Rechtsakttyp im Gegensatz zu den Durchführungsrechtsakten gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV nicht mehr 1298  Vereinbarungen zwischen dem Europäi­schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006 / 512 / EG, ABlEG C 143 v. 10.06.2008, S. 1; siehe dazu bereits Teil 2 E. II. 1299  Siehe zur alten Rechtslage Art. 7 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 1300  Art.  10 Abs.  4 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. Diese Dokumente können beispielsweise im Öffentlichen Register der Dokumente des Europäi­schen Parlaments abgerufen bzw. angefordert werden, http: /  / www.europarl.europa.eu / Re gistreWeb / search / typedoc.htm?language=DE. 1301  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (395); so auch schon Ziffer 1 der Vereinbarung zwischen dem Europäi­schen Parlament und der Kommission über die Modalitäten der Anwendung des Beschlusses 1999 / 468 / EG des Rates zur Fest­legung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, in der Fassung des Beschlusses 2006  /  512  /  EG, ABlEG C 143 v. 10.06.2008, S. 1.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

der Komitologie unterfällt.1302 Ein Recht auf Zugriff auf die Dokumente des Registers haben nach Art.  10 Abs.  3 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU das Parlament und der Rat. Öffentlich zugänglich gemacht werden nach wie vor aber lediglich die Fundstellen der im Register gesammelten Dokumente sowie die statistischen Angaben zur Arbeit der Ausschüsse.1303 Vor diesem Hintergrund ist die Vorgehensweise der Generaldirektion „Gesundheit und Verbraucher“ zu begrüßen, die einen „Komitologieplaner“ auf ihrer Website veröffentlicht hat.1304 Damit sollen Interessengruppen auf Konsultationen über politische Initiativen aufmerksam gemacht werden, die unter die Komitologieverfahren fallen. Ferner wird die reduzierte Anzahl der Ausschussverfahren für einen Transparenzschub sorgen, denn nunmehr sind nur noch zwei (bzw. drei) Ausschussarten und die Kommission Akteure im Komitologiesystem. Deren Handlungsbeiträge und deren Abstimmungsverhalten können durch die Transparenzpflichten der neuen Komitologieverordnung leichter zugerechnet werden.1305 Als problematisch erweist sich jedoch der Verantwortungszusammenhang zwischen den Ausschussvertretern auf der einen und den Mitgliedstaaten auf der anderen Seite. Pilniok und Westermann sind aufgrund des Funktionszuwaches der Mitgliedstaaten bei der Koordinierung und Kontrolle der Durchführungsbefugnisse daher zu Recht der Ansicht, dass der gestiegene Einfluss der mitgliedstaatlichen Vertreter im Ausschusswesen einer Kontrolle der mitgliedstaatlichen Parlamente gegenüber den Ausschussvertretern bedarf, um so den demokratischen Verantwortungszusammenhang des Komitologiesystems zu stärken.1306 Insofern wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Namen der mitgliedstaatlichen Ausschussvertreter, deren Abstimmungsverhalten und die genaue Zusammensetzung der Ausschüsse zukünftig veröffentlicht werden müssten. Diesen Forderungen wurde jedoch nicht entsprochen.1307 Es werden lediglich – wie auch schon in Art. 7 Abs. 3 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG normiert – die Listen der Behörden und Stellen, denen die Personen ange1302  Bei dem Erlass von delegierten Rechtsakten wird die Kommission aber weiterhin auf freiwillgier Basis von Expertengruppen unterstütz, siehe dazu Teil 3 B. III. Die Namen der Mitglieder dieser Expertengruppen werden vollständig veröffentlicht, siehe Rahmenregelung für Expertengruppen der Kommission: Horizontale Bestimmungen und öffentiches Register v. 10.11.2010, KOM 2010 (1360) endg., S. 4 f. und Annex II Art. 4 Nr. 8. 1303  Art.  10 Abs.  5 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1304  Abrufbar  unter:  http: /  / ec.europa.eu / dgs / health_consumer / dgs_consultations /  comitology_planner_de.htm. 1305  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (395). 1306  Ebd., 379 (396 f.); siehe dazu auch schon Teil 2 E. II. 1307  Siehe dazu Teil 2 E. III. 1302



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte247

hören, die die Mitgliedstaaten in deren Auftrag vertreten, im Register veröffentlicht.1308 Eine Identifizierung der einzelnen Ausschussmitglieder ist daher weiterhin nicht möglich.1309 Unerfüllt blieb auch die Forderung nach der vollständigen Veröffentlichung der Protokolle der Sitzungen, sowie nach der primärrechtlichen Institutionalisierung des Ausschusswesens. Abschließend ist festzuhalten, dass die bereits für das Gemeinschaftsrecht aufgestellten Anforderungen an eine Reform der Komitologie auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon teilweise fortbestehen. Dies gilt erstens für die unter Verschluss gehaltenen Namen der von den mitgliedstaatlichen Regierungen in die jeweilige Sitzung entsandten Ausschussmitglieder, zweitens die genaue Zusammensetzung der Ausschüsse, drittens das Abstimmungsverhalten sowie viertens die Protokolle der Ausschusssitzungen. Dennoch erreicht die Transparenz der Komitologie ein beachtliches Niveau. Laut Pilniok und Westermann könne man dies den Koordinierungsgremien im föderalen Bundestaat nicht immer nachsagen.1310 e) Keine verpflichtende Einbeziehung von spezialisierten Agenturen in den Komitologieprozess trotz expliziter Anerkennung des Agenturwesens im Vertrag von Lissabon Durch den Vertrag von Lissabon hat zwar das Agenturwesen mittlerweile insoweit implizit Anerkennung gefunden,1311 als Einrichtungen und sonstige Stellen der Union vielfach im EU-Vertrag und im AEUV genannt werden, dennoch zeigt gerade auch der Erlass der neuen Komitologieverordnung, dass die Mitgliedstaaten ihren Einfluss auf die Kommission weiterhin geltend machen möchten. Eine Verlagerung dieser Mitwirkungsrechte auf Agenturen würde ihren Einfluss schmälern.1312 Zudem wurde im Rahmen 1308  Art. 10 Abs. 1 lit. c Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; vgl. zur alten Rechtslage Art.  7 Abs.  5 Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG. 1309  Anders sieht es bei den von der Kommission zur Beratung eingesetzten Ausschüssen aus, vgl. Glatthaar, RIW 1992, 179 (180). Die Ausschussmitglieder werden namentlich im Amtsblatt der Gemeinschaft veröffentlicht, siehe beispielweise Art. 4 Abs. 3 des Beschlusses 73 / 417 / EWG der Kommission v. 31.10.1973 über den Beratenden Ausschuß für Rindfleisch, ABlEWG L 355 v. 24.12.1973, S. 30; vgl. auch Fn. 1302. 1310  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (395). 1311  Vgl. Art. 9 S. 1 EUV, Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 16 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1, Art. 71 S. 3, Art. 123 Abs. 1, Art. 124, Art. 127 Abs. 4 UAbs. 2, Art. 130, Art. 228 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2, Art. 263 UAbs. 1 und  5, Art. 265 UAbs. 1 S. 2 und UAbs. 2 S. 1, Art. 267 UAbs. 1 lit. b, Art. 282 Abs. 3 S. 4, Art. 298 Abs. 1, Art. 325 Abs. 1 und 4 AEUV. Leider wurde es versäumt, für die Agenturgründungen eine explizite Rechtsgrundlage zu schaffen. Kritisch ebenso Gärditz, DÖV 2010, 453 (459). 1312  Wittinger, EuR 2008, 609 (620).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

der neuen Kategorie der delegierten Rechtsakte klargestellt, dass die Ermächtigung zur delegierten Rechtsetzung nur in Gesetzgebungsakten enthalten sein kann.1313 Eine Subdelegation dieser Befugnisse durch die Kommission auf Agenturen ist somit ausgeschlossen.1314 Abschließend ist daher festzuhalten, dass eine endgültige Verlagerung der Ausschussarbeit auf Agenturen trotz des Vorteils der unabhängigen, effektiven und zeitnahen Risikobewertung1315 auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in näherer Zukunft nicht vorstellbar erscheint.1316 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Kommission auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon verpflichtet werden könnte, neben den Ausschüssen auch Agenturen – soweit vorhanden – in den Kommissionsrechtsetzungsprozess einzubeziehen.1317 Zwar werden die europäischen Regulierungsagenturen – wie bereits erörtert1318 – hauptsächlich beratend tätig, so dass eine Verlagerung der der Kommission zustehenden Kompetenzen auf die Agenturen nicht zu befürchten ist und eine derartige Beteiligung somit nicht schon aus Legitimationsgesichtspunkten scheitert,1319 allerdings ist eine verpflichtende Einbeziehung von Agenturen in den Rechtsetzungsprozess der Kommission weder in Art. 290 noch in Art. 291 AEUV angelegt. Art. 290 Abs. 1 AEUV normiert abschließend die Voraussetzungen unter denen der Kommission (quasi‑)legislative Befugnisse übertragen werden können.1320 Eine zwingende Beteiligung von Komitologieausschüssen ist im Rahmen von Art. 290 AEUV – anders als bei Art. 291 AEUV – nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass die Kommission bei dem Erlass von delegierten Rechtsakten nicht mehr an andere Institutionen wie Agenturen oder Ausschüsse gebunden ist, wenngleich eine freiwillige Einbeziehung von externem Sachverstand – wie der 1313  Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäi­ schen Union, Kommentar I, 2006, Art. I-36 EVV Rn. 7. 1314  So auch Türk, in: Biondi  / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (82). 1315  Siehe dazu Teil 2 E. I. 1316  So auch Demmke, Eipascope 1998, 14 (21). Einen Überblick über die derzeit bestehenden Regulierungsagenturen liefert die Website der Europäi­ schen Union, abrufbar unter: http: /  / europa.eu / agencies / index_de.htm. 1317  Befürwortend Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 (397  f.); Majone, ELJ 2002, 319 (331 ff.). 1318  Siehe Teil 2 E. I. 1319  Kritisch Gaitanides, JÖR 2013, 213 (218), die darauf hinweist, dass die Gutachten oftmals die Kommissionsentscheidung präjudizieren und nicht immer nur technische, sondern auch Wertungsfragen betreffen. Da die unabhängigen Agenturen auch keiner externen Kontrolle unterliegen, spricht sich Gaitanides ferner auf S. 226 f. für die Etablierung selbstverpflichtender Verhaltenskodizes aus. 1320  Siehe dazu Teil 3 B. III.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte249

von Agenturen – in den Rechtsetzungsprozess nach dieser Norm nicht ausgeschlossen ist.1321 Insofern könnte das Hinzuziehen von Agenturgutachten beispielsweise mithilfe einer institutionellen Vereinbarung zwischen Parlament, Rat und Kommission in den Rechtsetzungsprozess eingeführt werden. Ferner stellt Art. 291 Abs. 3 AEUV i. V. m. Art. 1 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU klar, dass die Durchführungsrechtsakte von der Kommission vorbehaltlich einer Kontrolle durch die mitgliedstaatlich besetzten Ausschüsse erlassen werden. Ein weiteres Verfahren zur Einbeziehung von Agenturgutachten in den Prozess der Durchführungsrechtsetzung ist primärrechtlich nicht vorgesehen1322 und müsste daher ebenfalls zwischen den beteiligten Organen und den Mitgliedstaaten vereinbart werden. Nicht ausgeschlossen ist hingegen, dass der europäische Gesetzgeber in den Basisrechtsakten festschreibt, dass die Kommission vor Erlass des delegierten Rechtsakts bzw. des Durchführungsrechtsakts ein Agenturgutachten einholen muss und dieses bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat.1323 Diese Vorgehensweise stellt sich aber im Vergleich zur Festlegung der Einbeziehungsmodalitäten von Agenturgutachten im Rahmen einer interinstitutionellen Vereinbarung als nachteilig dar, da für jeden Basisrechtsakt individuelle Regelungen getroffen werden müssen, was zu einem erheblichen 1321  Siehe zur freiwilligen Einbeziehung von Sachverständigen in den Prozess der delegierten Rechtsetzung Teil 3 B. III. Siehe als Beispiel für die Einbeziehung von Agenturen bei der delegierten Rechtsetzung Art. 82 Abs. 3 VO Nr. 648 / 2012 / EU des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 04.07.2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, ABlEU L 201 v. 27.07.2012, S. 1: „Vor dem Erlass eines delegierten Rechtsakts konsultiert die Kommission nach Möglichkeit die ESMA.“ Siehe dazu auch Fabricius, Der Technische Regulierungsstandard für Finanzdienstleistungen, 2013, S. 45, 72 ff. 1322  So auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 200 f.; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 34. 1323  Siehe beispielsweise für delegierte Rechtsakte Art. 28 Abs. 1 VO Nr. 528  /  2012 / EU des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 22.05.2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, ABlEU L 167 v. 27.06.2012, S. 1: „Der Kommission wird die Befugnis übertragen, nach Erhalt der Stellungnahme der Agentur [gemeint ist die Europäi­ sche Agentur für chemische Stoffe] gemäß Artikel 83 delegierte Rechtsakte zur Änderung des Anhangs I zu erlassen, um darin Wirkstoffe aufzunehmen, vorausgesetzt, es ist nachgewiesen, dass sie keinen Anlass zur Besorgnis gemäß Absatz 2 dieses Artikels geben.“ Siehe für Durchführungsrechtsakte Art.  44 Abs.  5 VO Nr.  528 / 2012 / EU: „Die Kommission erlässt nach Eingang der Stellungnahme der Agentur entweder eine Durchführungsverordnung zur Erteilung der Unionszulassung des Biozidprodukts oder einen Durchführungsbeschluss, dass die Unionszulassung des Biozidprodukts nicht erteilt wird. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 82 Absatz 3 genannten Prüfverfahren erlassen.“ (Hervorhebungen jeweils durch die Verfasserin) Siehe zur Verpflichtung der EU-Organe zur Durchführung einer Risikoanalyse auch Schroeder / Kostenzer, EuR 2013, 389 (405 ff.).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Mehraufwand im Gesetzgebungsprozess und somit zu Verzögerungen beim Erlass von Gesetzgebungsakten führt. 3. Umstellung von „Altrechtsakten“ auf das neue System der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon haben sich zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit die Regeln für die Übertragung abgeleiteter, (quasi-)legislativer Rechtsakte grundlegend geändert. Erst im Jahr 2006 wurde das Regelungsverfahren mit Kontrolle geschaffen, das nunmehr durch die delegierten Rechtsakte des Art. 290 AEUV ersetzt wird1324. Es herrschte zwar insoweit Klarheit, als dass die Komitologiereform 2006 nicht als das Ende der Entwicklungen im Hinblick auf die Übertragung von (quasi-)legislativen Befugnissen auf die Kommission angesehen werden konnte,1325 da sie den Rat aufgrund der Rechtsgrundlage des Art. 202, 3. Sp. EG noch gegenüber dem Parlament privilegierte.1326 Dennoch ist die Verschmelzung von Art. I-36 EVV und dem Regelungsverfahren mit Kontrolle zum neuen Art. 290 AEUV nicht gänzlich gelungen.1327 Dies ist zum Großteil der schwierigen Abgrenzung zur gleichzeitig eingeführten Kategorie der Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV geschuldet.1328 Zudem fehlt es an einer expliziten primär- oder sekundärrechtlichen Übergangsregelung, die klarstellt, welcher der beiden Kategorien von Rechtsakten die Altrechtsakte unterfallen, die noch auf der Grundlage der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG erlassen wurden. Aus der Komitologieverordnung 1324  So Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 22; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3; Handbuch der Komitologie. Die Arbeiten des Europäi­schen Parlaments im Bereich Komitologie, März 2009, herausgegeben von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, PE405.166 / rev., S.  25. 1325  Siehe Abs. 2 der Erklärung des Europäi­schen Parlaments, des Rates und der Kommission zum Beschluss des Rates vom 17. Juli 2006 zur Änderung des Beschlusses 1999 / 468 / EG zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (2006 / 512 / CE), ABlEG C 255 v. 21.10.2006, S. 1: „Das Europäi­sche Parlament, der Rat und die Kommission heben hervor, dass dieser Beschluss im Rahmen des derzeitigen Vertrags eine zufrieden stellende horizontale Lösung für den Wunsch des Europäi­ schen Parlaments darstellt, der darin besteht, die Durchführung der im Mitentscheidungsverfahren angenommenen Rechtsakte zu kontrollieren“. (Hervorhebung durch die Verfasserin). 1326  Siehe dazu Teil 2 C. V. 1327  So auch Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (228). 1328  Siehe dazu ausführlich Teil 3 C.



B. Konsequenzen der neuen Typologie der Rechtsakte251

Nr.  182  /  2011  /  EU ergibt sich lediglich, dass der Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG aufgehoben wurde.1329 Allerdings legt Art. 13 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU fest, welches Verfahren nach der neuen Komitologieverordnung zur Anwendung kommen soll, wenn die Basisrechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassen wurden, auf ein Verfahren des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG verweisen.1330 Auf diese Weise wird eine Anpassung bestehender Rechtsakte an den Vertrag von Lissabon über ein Omnibus-Verfahren, wie es zur Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle nach dem Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG eingeleitet wurde,1331 unnötig.1332 Anders als die übrigen Verfahren des Komitologiebeschlusses 1999 / 468 / EG bleibt das Regelungsverfahren mit Kontrolle jedoch auch nach dem Inkrafttreten der neuen Komitologieverordnung anwendbar, soweit es in vor dem 1. Dezember 2009 angenommenen Rechtsakten vorgesehen ist1333 und eine Anpassung der Basisrechtsakte an das neue System der Art. 290 und 291 AEUV noch nicht stattgefunden hat.1334 Es scheint zudem mehrheitlich Einigkeit darüber zu bestehen, dass Art. 290 AEUV zukünftig auf alle Basisrechtsakte Anwendung finden soll, die nach dem Komitologiebeschluss 2006 / 512 / EG das Regelungsverfahren mit Kontrolle vorsahen1335. In einer Erklärung zur Komitologieverordnung verpflichtet sich auch die Kommission 1329  Art.  12

UAbs.  1 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. Verfahren, in denen ein Ausschuss bereits eine Stellungnahme gemäß dem Beschluss 1999 / 468 / EG abgegeben hat, bleiben von dieser Verordnung unberührt, Art.  14 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1331  Siehe Teil 2 C. V. 3. 1332  Siehe Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (389), die darauf hinweisen, dass Art. 13 der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU eine materielle Änderung aller alten Basisrechtsakte bewirke. So auch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 56. 1333  Art.  12 UAbs.  2 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. Rechtsgrundlage für die Fortgeltung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle ist jedoch nicht Art. 291 Abs. 3 AEUV, da dieser sich nur auf die Kontrollrechte der Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse der Kommission bezieht. Art. 291 Abs. 3 AEUV erfasst gerade nicht die Kontrollrechte, die den Gesetzgebungsorganen gegenüber der Kommission bei der delegierten Rechtsetzung zukommen. Laut Kröll, ZÖR 2011, 253 (296) ist die Rechtsgrundlage daher weiterhin Art. 202, 3. Sp. EG. 1334  Kröll, ZÖR 2011, 253 (295); Möllers / v. Achenbach, EuR 2011, 39 (45). Im Jahr 2011 wurden auf der Grundlage des Regelungsverfahrens mit Kontrolle 163 Durchführungsrechtsakte i. w. S. erlassen und 25 der 268 Ausschüsse im Jahr 2011 wendeten das Regelungsverfahren mit Kontrolle an, siehe dazu Bericht der Kommission über die Tätigkeit der Ausschüsse im Jahr 2011, KOM 2012 (685) endg., S. 8 f., 14 ff. 1335  Schlacke, JÖR 2013, 293 (326); Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  / Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 1330  Laufende

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

„alle geltenden Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht an das Regelungsverfahren mit Kontrolle angepasst waren, [zu] überprüfen, um zu bewerten, ob diese Rechtsakte an die neuen Bestimmungen über delegierte Rechtsakte, die mit Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union eingeführt wurden, angepasst werden müssen. Die Kommission wird die betreffenden Vorschläge baldmöglichst […] vorlegen. […] Die Kommission wird die Ergebnisse dieser Vorgehensweise Ende 2012 auswerten, um die Zahl der weiterhin geltenden Rechtsakte, die Bezüge auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle enthalten, einschätzen zu können. Die Kommission wird sodann die Rechtsetzungsmaßnahmen vorbereiten, mit denen der Anpassungsprozess abgeschlossen wird. Die Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, dafür zu sorgen, dass bis zum Ende der 7. Amtszeit des Parlaments sämtliche Bestimmungen, die sich auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle beziehen, aus allen Rechtsinstrumenten entfernt worden sind.“1336

Bis zur Änderung und Anpassung dieser Rechtsakte an die Vorgaben des Art. 290 AEUV sollte das Regelungsverfahren mit Kontrolle jedoch primärrechtskonform ausgelegt und angewendet werden, da der Art. 290 AEUV eine Kontrolle durch die Mitgliedstaaten sowie ein komitologieähnliches Verfahren ausschließt.1337 Andernfalls würde sich gerade bei jenen Rechtsakten, bei denen eine Anpassung am notwendigsten wäre, im Vergleich zur alten Rechts­ lage nichts ändern.1338 Dies bedeutet mit Blick auf die nicht zwingend mit Gründen zu versehenen Kontrollinstrumente des Art. 290 Abs. 2 AEUV, dass die in Art. 5a Abs. 3 lit. b, Abs. 4 lit. e und lit. b Komitologiebeschluss 1999 / 468 / EG i. d. F. des Komitologiebeschlusses 2006 / 512 / EG vorgesehenen Vetogründe (Überschreitung der im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse, Unvereinbarkeit des Durchführungsrechtsakts mit dem Ziel oder Inhalt des Basisrechtsakts, Verstöße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit oder der Subsidiarität)1339 nur deklaratorischer Natur sind.1340 AEUV Rn. 22; Solle, StoffR 2011, 256; Handbuch der Komitologie. Die Arbeiten des Europäi­schen Parlaments im Bereich Komitologie, März 2009, herausgegeben von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden, PE405.166  /  rev., S. 25; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (229); Gundel, JA 2008, 910 (912). 1336  Erklärungen der Kommission, ABlEU L 55 v. 28.02.2011, S. 19; vgl. auch Schoo, in: Schwarze / Becker / Hatje u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 22 f. 1337  Laut Schlacke, JÖR 2013, 293 (326) verstößt Art. 12 UAbs. 2 Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU gegen Art. 290 AEUV, da die Durchführungsbefugnisse, die im Regelungsverfahren mit Kontrolle zu erlassen waren, definitorisch nunmehr den delegierten Rechtsakten entsprechen. Insofern hätte eine Überleitung dieser Basisrechtsakte auf Art. 290 AEUV stattfinden müssen. 1338  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 56. 1339  Siehe Teil 2 C. V. 2. 1340  Vgl. Kröll, ZÖR 2011, 253 (295).



C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV253

C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte gehört wohl zu den umstrittensten Punkten der Lissabonner Vertragsreform. Obwohl bei den delegierten Rechtsakten Tragweite und Wirkung normiert sind – Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung nicht wesentlicher Vorschriften –, während sich der Begriff des Durchführungsrechtakts aus seiner sachlichen Rechtfertigung ergibt – Notwendigkeit einheitlicher Bedingungen für die Durchführung1341 –, ist dennoch nicht klar, wann welche Art von Rechtsakt greift, und ob die beiden Rechtsakttypen in einem Verhältnis der Spezialität oder in einem Aliud-Verhältnis zueinander stehen. Die Wortwahl des Art. 291 Abs. 2 AEUV, der im Gegensatz zu Art. 290 AEUV den Oberbegriff der „Durchführung“ aus Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG übernimmt, ließe darauf schließen, dass Art. 290 AEUV nur einen Unterfall des Art. 291 Abs. 2 AEUV darstellt.1342 Denn der Durchführung (i. w. S.)1343 von Basisrechtsakten dienen nicht nur die so bezeichneten Durchführungsrechtsakte (i. e. S.), sondern auch die delegierten Rechtsakte.1344 Dieser Gesichtspunkt spricht dafür, beide Kategorien von Rechtsakten in ein Spezialitätsverhältnis zu setzen, wonach Art. 291 Abs. 2 AEUV die generelle Norm wäre und Art. 290 Abs. 2 AEUV lediglich Sonderregelungen zur Aufhebung der Befugnisübertragung enthielte.1345 Gegen ein derartiges Verständnis spricht jedoch der Wille der Verfasser des Reformvertrags, die beide Artikel so konzipiert haben, dass sie sich gegenseitig ausschließen.1346 Das wird bereits aus den rechtlichen Bezeich1341  Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 21; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3. 1342  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 21 ist der Ansicht, dass ein derartiges Verständnis von Durchführung und Delegation zwar die Abgrenzungsproblematik zu lösen vermag, es letztendlich jedoch dogmatisch nicht haltbar sei. 1343  Siehe zur Bedeutung des Begriffs „Durchführung i. w. S.“ Teil 1 D. IV. 1. und Teil 3 B. I. 1344  So auch Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 20; Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (115) zu den Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags. 1345  Vgl. Schusterschitz, in: Hummer  / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (232). 1346  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

nungen deutlich. So verlangt das Primärrecht, dass in den Titel von delegierten Rechtsakten das Wort „delegiert“ und in den Titel von Durchführungsrechtsakten der Wortteil „Durchführungs-“ eingefügt wird.1347 Folglich ist ein Rechtsakt im Sinne des Art. 290 AEUV vom Geltungsbereich des Art. 291 AEUV ausgeschlossen und umgekehrt.1348 Denn ganz offensichtlich kann ein und derselbe Rechtsakt nicht zwei unterschiedlichen Begriffsbestimmungen entsprechen.1349 Zudem unterscheiden sich die delegierten Rechtsakte von den Durchführungsrechtsakten dadurch, dass erstere der Ausübung legislativer Befugnisse dienen. Demgegenüber haben die Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV die Ausübung exekutiver Befugnisse zum Inhalt. Aus diesem Grund ist die Übertragung der delegierten Befugnisse nur in Gesetzgebungsakten möglich, während Durchführungsbefugnisse sowohl in Gesetzgebungsakten als auch in verbindlichen Rechtsakten ohne Gesetzescharakter auf die Kommission übertragen werden können. Ferner geht aus dem Wortlaut des Art. 290 AEUV klar hervor, dass die Kommission niemals einen delegierten Rechtsakt erlassen kann, bei dem es sich in der Sache um eine Einzelmaßnahme handelt, wohingegen Durchführungsrechtsakte auch in der Form von Einzelmaßnahmen ergehen können.1350 Darüber hinaus betreffen Art. 290 und Art. 291 AEUV zwei völlig unterschiedliche Gesichtspunkte der Gewaltenteilung: Während Art. 290 AEUV die Bedingungen, unter denen die Übertragung der (quasi‑)legislativen Befugnisse auf die Kommission möglich ist, festlegt und damit ein Problem der horizontalen Gewaltenteilung thematisiert, behandelt Art. 291 AEUV die Problematik der vertikalen Gewaltenteilung.1351 Art. 291 AEUV legt nämlich die Voraussetzungen fest, nach denen entweder die Mitgliedstaaten oder die Union für die Durchführung des Unionsrechts zuständig sind.1352 1347  Art. 290 Abs. 3 und Art. 291 Abs. 4 AEUV. Die in Art. 291 Abs. 4 AEUV vorgesehene Terminologie ist jedoch nicht exklusiv, da auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 291 AEUV, z. B. in Art. 164 und Art. 178 AEUV, Durchführungsverordnungen ergehen können, siehe dazu Vedder, in: Vedder  /  Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 291 AEUV Rn. 11. 1348  So auch Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 275; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3. 1349  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3. 1350  Siehe zu diesen Unterschieden bereits Teil 3 A. II. 1. 1351  Schlacke, JÖR 2013, 293 (318); Kröll, in: Debus / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (204). 1352  Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1081).



C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV255

Die beiden Kategorien von Rechtsakten stehen folglich in einem AliudVerhältnis. Dennoch ergeben sich trotz der genannten bereichsspezifischen Besonderheiten in der Praxis erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten.1353 Dies betrifft – wie sich im Folgenden noch zeigen wird – insbesondere die Auslegung des Begriffs der „Ergänzung“ in Art. 290 Abs. 2 AEUV und denjenigen der „Durchführung“ in Art. 291 Abs. 2 AEUV, da eine Durchführung im Sinne von Art. 291 Abs. 2 AEUV immer auch eine Ergänzung des Basisrechtsakts darstellt. Nettesheim beschreibt die Anwendungsbereiche der Art. 290 und 291 Abs. 2 AEUV daher treffend als zwei „Kreise, die sich partiell überschneiden“1354. Dies darf aber nicht dazu führen, die beiden Rechtsakttypen entgegen dem Willen des primärrechtlichen Vertragsgebers im Wege der Auslegung wieder zusammenzuführen und als systematische Einheit zu betrachten.1355 Der Unterscheidung der beiden Rechtsakte kommt insbesondere dann eine außerordentliche Bedeutung zu, wenn man bedenkt, dass bei den Durchführungsrechtsakten – anders als bei den delegierten Rechtsakten – keine unmittelbare Kontrolle durch den Unionsgesetzgeber vorgesehen ist.1356 Dies lässt sich auf folgende Überlegungen zurückführen: Da die Kommission bei den delegierten Rechtsakten anstelle des Unionsgesetzgebers tätig wird, ist dieser berechtigt und sogar verpflichtet, die Rechtsetzungstätigkeit der Kommission zu begrenzen und zu kontrollieren. Bei den Durchführungsrechtsakten hingegen nimmt die Kommission lediglich exekutive Befugnisse wahr, die grundsätzlich den Mitgliedstaaten obliegen. Daher sind es in diesem Fall auch allein die Mitgliedstaaten, die die Kontrolle über die Durchführungsrechtsetzung der Kommission ausüben.1357 Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche kann jedoch als erster Anhaltspunkt darauf verwiesen werden, dass Art. 291 Abs. 2 AEUV in weiten Teilen die Sprache des Art. 202, 3. Sp. und Art. 211, 4. Sp. EG, insbesondere den Begriff der „Durchführung“ übernimmt, während die Definition der 1353  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 20; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 4. 1354  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 23. 1355  Ebd., Rn. 21. 1356  Ebd., Rn. 20; Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (385). 1357  So auch Rohleder / Martin, Die abgeleiteten Rechtsetzungsbefugnisse der Europäi­schen Kommission nach dem Vertrag von Lissabon, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, aktueller Begriff Europa Nr. 06 / 11 v. 09.05.2011, S. 1; H. Hofmann, ELJ 2009, 482 (497 f.).

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delegierten Rechtsakte weitgehend den Rechtsakten entspricht, die unter das Regelungsverfahren mit Kontrolle fielen.1358 Denn sowohl bei den delegierten Rechtsakten als auch bei den Rechtsakten, die aufgrund des Regelungsverfahrens mit Kontrolle zustande kamen, handelt es sich um Rechtsakte von allgemeiner Tragweite zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts.1359 Die neue Komitologieverordnung Nr. 182  /  2011  /  EU deutet ebenfalls in diese Richtung, da sie das Regelungsverfahren mit Kontrolle – anders als das bisherige Beratungs-, Verwaltungs- und Regelungsverfahren – nicht den Regeln der beiden neuen Komitologieverfahren unterwirft.1360 Doch führen ähnliche Kriterien nicht notwendigerweise zu einem vergleichbaren Anwendungsbereich.1361 Dies geht auch aus der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU hervor, die explizit darauf hinweist, dass die Übergangsbestimmungen der Art der betreffenden Rechtsakte nicht vorgreifen.1362 Zudem war Art. 202, 3. Sp. EG ebenfalls Rechtsgrundlage für den Erlass des Regelungsverfahrens mit Kontrolle.1363 Aus diesem Grund muss schließlich zur Abgrenzung der beiden Anwendungsbereiche auf die Analyse der Begriffe „Änderung“ und „Ergänzung“ in Art. 290 AEUV zurückgegriffen werden.1364 Der Begriff „Änderung“ deckt alle Fälle ab, in denen der Kommission die Befugnis übertragen wird, einen Basisrechtsakt förmlich zu modifizieren. Dies kann beispielsweise eine Änderung des Wortlauts eines Artikels oder eines Anhangs des Basis1358  So auch Daiber, EuR 2012, 240 (241); vgl. auch Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3; Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, Centrum für Europäi­sche Politik, 2010, S. 10; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (229 f., 232). 1359  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3. 1360  Art. 12 UAbs. 2 und Art. 13 Abs. 1 lit. a–d Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU; siehe dazu auch Teil 3 B. V. 3. 1361  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 3. 1362  Siehe Art.  13 Abs.  4 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU. 1363  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 20. 1364  So auch Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 275 f.; Daiber, EuR 2012, 240 (241 ff.); Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (75); Edenharter, DÖV 2011, 645 (649).



C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV257

rechtsakts betreffen.1365 Um festzustellen, ob eine Änderung durch die Kommission vorgenommen wurde, ist somit der jeweilige Wortlaut des Basisrechtsakts vor und nach der Kommissionsmaßnahme zu vergleichen.1366 Weniger eindeutig ist die Bedeutung des Begriffs „Ergänzung“,1367 was vor allem daran liegt, „dass auch Durchführungsrechtsakte, die von der Kommission auf der Grundlage des Art. 291 AEUV erlassen werden, immer irgendetwas ergänzen, sei es durch eine Definition, oder eine sonstige Konkretisierung des Basisrechtsakts“1368. Es bietet sich daher folgende Abgrenzung an: Der Anwendungsbereich des Art. 291 Abs. 2 AEUV ist eröffnet, wenn der Gesetzgeber die Materie („in der Breite“1369) grundsätzlich selbst regeln will und der Kommission für die Regelung der nicht wesentlichen Elemente des Basisrechtsakts kein Raum gelassen wird.1370 Normiert der Unionsgesetzgeber hingegen den Bereich einer Materie nicht vollumfänglich, so ist der Anwendungsbereich des Art. 290 AEUV einschlägig.1371 Die „Ergänzung“ schließt somit eine vorhandene Lücke, während bei der „Durchführung“ die bestehenden Regelungen lediglich konkretisiert werden, um sie für die mitgliedstaatlichen Behörden handhabbarer zu gestalten.1372 Grauzonen zwischen „Ergänzung“ und „Durchführung“ sind in der Praxis dennoch nicht vermeidbar.1373 Problematisch an dieser Abgrenzung ist fer1365  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.)  /  Hilf (fortgef.)  /  Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 34 weist bei seiner Begriffserklärung zusätzlich darauf hin, dass die Befugnis zur Änderung der Basisverordnung im deutschen Recht – Art. 80 GG – nicht bekannt sei. 1366  Edenharter, DÖV 2011, 645 (649). 1367  So auch Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 4; Jacqué, RTDE 2008, 457 (480). 1368  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 276 f.; Edenharter, DÖV 2011, 645 (649); so auch Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 291 AEUV Rn. 2; Fabricius, ZEuS 2011, 567 (595). 1369  Edenharter, DÖV 2011, 645 (649). 1370  Kröll, ZÖR 2011, 253 (268); Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1081); vgl. auch Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 278 der danach fragt, ob der Kommissionsrechtsakt „ ‚new‘ non-essential elements“ enthalte. Ist dies der Fall, handele es sich um eine Ergänzung im Sinne des Art. 290 AEUV und nicht um einen Durchführungsrechtsakt im Sinne des Art. 291 Abs. 2 AEUV. 1371  Kröll, ZÖR 2011, 253 (268); Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1081); Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 4; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (230). 1372  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 53 zu den Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags; a. A. Stelkens, EuR 2012, 511 (539). 1373  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 53 zu den Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags.

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ner, dass oft erst nachträglich festgestellt werden kann, ob ein Rechtsakt unter Art. 290 oder Art. 291 Abs. 2 AEUV fällt.1374 Schließlich kann am Anfang eines Gesetzgebungsprozesses selten schon abschließend beantwortet werden, ob der Gesetzgeber selbst alle Bestimmungen erlässt oder ob er nicht doch der Kommission einen Spielraum für Ergänzungen belässt.1375 Bei den delegierten Rechtsakten müssen allerdings die inhaltlichen Voraussetzungen der Delegation und die Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, ausdrücklich im Gesetzgebungsakt festgelegt werden. Folglich ist es für die inhaltliche Ausgestaltung der delegierten Rechtsakte und für das Verfahren zum Erlass eines delegierten Rechtsakts oder eines Durchführungsrechtsakts unabdingbar, dass im Voraus feststeht, welcher der beiden Rechtsakte erlassen werden soll. Insofern entblößt sich an dieser Stelle die entscheidende Schwäche der neuen Konzeption.1376 „Im Überschneidungsbereich der beiden Bestimmungen wird es von der gesetzgeberischen (Basis-)Entscheidung abhängen, ob eine bestimmte Ausführungsvorschrift nach den Regeln des Art. 290 oder Art. 291 AEUV zu erlassen sein wird“1377. Rat und Parlament verfügen bei dieser Entscheidung nach überwiegender Ansicht über einen Beurteilungsspielraum.1378 Aber gerade in Hinblick auf diesen Entscheidungsspielraum könnte in Zukunft ein Streit der Institutionen darüber entbrennen, welcher Kategorie in einem (Basis-)Gesetzgebungsakt der Vorrang einzuräumen ist.1379 Die Interessen 1374  Craig,

EU Administrative Law, 2. Aufl. (2012), S. 135. S. 62; Edenharter, DÖV 2011, 645 (649); Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (117) zu den Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags. 1376  So auch Edenharter, DÖV 2011, 645 (649). 1377  Siehe Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 23. 1378  Ebd.; D. König, in: Schulze  / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 101; Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1081); Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 22; Mitteilung der Kommission an das Europäi­sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 5; a. A. Stelkens, EuR 2012, 511 (542 f.); siehe auch BT-Drs. 15 / 4900, Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa v. 18.02.2005, S. 262: „Im Unterschied zu den delegierten Europäi­ schen Verordnungen können derartige Durchführungsrechtsakte den zu Grunde liegenden europäischen Gesetzgebungsakt nicht abändern. Es verbleibt allerdings ein gewisser Überschneidungsbereich hinsichtlich der Ergänzung des zu Grunde liegenden Gesetzgebungsakts. Hier hat der europäische Gesetzgeber einen Beurteilungsspielraum, welches Instrument er für angemessen erachtet“. 1379  So Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art.  290 und 291 AEUV, 2012, S. 237; Landgraf, Das neue Komitologieverfahren der EU: Auswir1375  Ebd.,



C. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV259

der am Rechtsetzungsprozess beteiligten Akteure sind sehr vielfältig, so werden die Mitgliedstaaten im Rat in Zweifelsfällen zur Annahme eines Rechtsakts nach Art. 291 Abs. 2 AEUV neigen, da sie mithilfe der Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU über die nationalen Fachleute aus den eigenen Verwaltungen weiterhin Einfluss auf die Kommission bei der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse nehmen können.1380 Denn während bei einem Rechtsakt nach Art. 290 AEUV die Mitgliedstaaten über den Rat – ebenso wie das Parlament – nur die Möglichkeit einer Ex-post-Kontrolle der übertragenen Befugnisse haben, welche zudem an qualifizierte Mehrheitserfordernisse gekoppelt ist, vermag Art. 291 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV den Mitgliedstaaten über ihre Vertreter in den Ausschüssen eine Ex-anteKontrolle zu eröffnen. Das Parlament wiederum wird den Erlass von delegierten Rechtsakten nach Art. 290 AEUV präferieren, da es bei Art. 291 Abs. 2 AEUV i. V. m. der Komitologieverordnung Nr.  182  /  2011  /  EU über kein nennenswertes Kontrollrecht verfügt.1381 Unklar ist, welchen Rechtsakttyp die Kommission bevorzugen wird. Einerseits könnte es für sie rechtlich vorteilhafter sein, wenn sich der Gesetzgeber im Basisrechtsakt für eine Befugnisübertragung auf der Grundlage von Art. 291 Abs. 2 AEUV entscheidet. In diesem Fall hat die Kommission mehr Gestaltungsspielraum, da sie weder an die strengen Vorgaben noch an die Kontrollmechanismen, die Parlament und Rat bei Art. 290 Abs 1 und Abs. 2 AEUV zur Verfügung stehen, gebunden ist.1382 Andererseits greifen die Kontrollmechanismen der delegierten Rechtsetzung erst nachträglich ein und es ist noch nicht gesagt, ob das Parlament und der Rat ihre Kontrollfunktionen in Hinblick auf Arbeitskapazität und spezialisiertem Sachverstand auch tatsächlich wahrnehmen können und werden.1383 Insofern ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass die Kommission in ihren Gesetzesinitiakungen im EU-Antidumpingrecht, 2012, S. 10; Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (385). 1380  Vgl. Héritier / Moury / Bischoff u.  a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 26, 55; Bergström, Comitology, 2005 (Nachdruck 2008), S. 358. 1381  So auch Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 25; Landgraf, Das neue Komitologieverfahren der EU: Auswirkungen im EUAntidumpingrecht, 2012, S. 10; Solle, StoffR 2011, 256 (264); Dougan, CML Rev. 2008, 617 (651); siehe dazu auch schon Teil 3 B. V. 2. c). 1382  So Scharf, Das Komitologieverfahren nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 22; Sohn / J. Koch, Kommentierung der Mitteilung der Kommission [KOM(2009)673] über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­ ­ schen Union, Centrum für Europäi­ sche Politik, 2010, S. 12. 1383  Bueren, EuZW 2012, 167 (163).

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

tiven für den (Basis-)Gesetzgebungsakt zur Ermächtigung von Rechtsakten nach Art. 290 AEUV tendieren wird.1384 Hat der Unionsgesetzgeber in einem Gesetzgebungsakt ausdrücklich die Kompetenzgrundlage festgelegt, nach denen eine bestimmte Ausführungsvorschrift durch die Kommission erlassen werden soll, so ist diese an die Entscheidung des Unionsgesetzgebers gebunden.1385 Ergibt sich hingegen aus dem Basisrechtsakt keine genaue Vorgabe, obliegt der Kommission – unter Beachtung der jeweiligen Rahmenbedingungen – die Wahl darüber, ob sie unter Art. 290 AEUV oder unter Art. 291 Abs. 1 AEUV handeln will.1386 Die Entscheidung der Kommission muss sich dann jedoch – wie bereits erörtert – an der systematischen Vollständigkeit des Basisrechtsakts orientieren.1387 Wird der Kommission in dem Basisrechtsakt für die Regelung der nicht wesentlichen Aspekte einer Materie kein Raum mehr gelassen, so kommt ausschließlich der Erlass von Durchführungsrechtsakten in Frage. Legt der Basisrechtsakt hingegen nicht den gesamten Bereich einer Materie vollumfänglich fest, so ist der Anwendungsbereich des Art. 290 AEUV betroffen. Diese Entscheidungskompetenz sollte der Unionsgesetzgeber jedoch nicht aus der Hand geben, andernfalls würde er seine Kontrollbefugnisse über die delegierte Rechtsetzung der Kommission verlieren. Es ist ihm daher anzuraten, sowohl die konkrete Art der Befugnisübertragung als auch anschließend die Bedingungen, unter denen die Übertragung der delegierten Rechtsetzungsbefugnisse erfolgen soll, stets im Basisrechtsakt zu verankern, um so einen vollständigen Kontrollverlust eigener abgegebener legislativer Befugnisse zu verhindern.1388 Es bleibt zu hoffen, dass die inhaltliche Ausgestaltung des entsprechenden Rechtsakts nicht von den genannten Interessenkonflikten überlagert wird und dass keine Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren auftreten.1389 Sollte sich ein Organ bei der Wahl der Rechtsgrundlage für die 1384  So Landgraf, Das neue Komitologieverfahren der EU: Auswirkungen im EUAntidumpingrecht, 2012, S. 10; Edenharter, DÖV 2011, 645 (650). Siehe auch Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 25. 1385  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 23. 1386  Ebd. 1387  Ebd. 1388  Ebd., Rn. 59. 1389  So schon geschehen beim Erlass der RL 2010 / 75 / EU des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), ABlEU L 334 v. 17.12.2010, S. 17; siehe dazu die Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament gemäß Artikel 294 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union betreffend den Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäi­schen Parlaments und des Rates über Industrie­



D. Normenhierarchien im Unionsrecht261

Übertragung der Rechtsetzungstätigkeit an die Kommission übergangen fühlen, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtshof in naher Zukunft mit der Abgrenzungsfrage betraut wird.1390

D. Normenhierarchien im Unionsrecht nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Dieser Abschnitt widmet sich der Neugestaltung der primärrechtlichen Handlungsformen und konzentriert sich dabei auf deren Hierarchisierung. Die Untersuchung schließt an die Reformbemühungen des gescheiterten Verfassungsvertrags, insbesondere die mögliche Erweiterung des Primärund des Sekundärrechts um eine weitere, tertiäre Hierarchieebene, an.1391 I. Die Neugestaltung der Rechtsakttypen: Normenhierarchische Konsequenzen? Im Vertrag von Lissabon ist von „Europäi­schen Gesetzen“ und „Europäi­ schen Rahmengesetzen“, anders als dies noch im Verfassungsvertrag vorgesehen war, nicht mehr die Rede. Der Gesetzesbegriff fiel nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags der semantischen Abrüstung zum Opfer, allerdings wurde mit der Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechts­ akten ohne Gesetzescharakter die Substanz des Verfassungsvertrags beibehalten.1392 Während der gescheiterte Verfassungsvertrag mit der Einführung des Europäi­schen (Rahmen-)Gesetzes in den Katalog der unionalen Handlungsformen (Art. I-33 EVV) die „Gesetze“ ausdrücklich von den weiteren, nicht-legislativen Handlungsformen des Verfassungsvertrags abgrenzen wollte, verzichtet der Vertrag von Lissabon jedoch notgedrungen darauf, die Unterscheidung von legislativen und nicht-legislativen Befugnissen in das System der Handlungsformen zu übersetzen. Insofern können nunmehr Gesetzgebungsakte in allen verbindlichen Handlungsformen des Art. 288 ­ ­AEUV ergehen.1393 Es stellt sich somit die Frage, welche normenhierarchischen Konsequenzen mit dem Lissabonner Konzept der Gesetzgebungsakte und der Rechtsemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung), KOM (2010) 67 endg., S. 6 f. und Anhang. Siehe weitere Beispiele bei Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 57. 1390  So auch Craig, The Lisbon Treaty, 2. Auf. (2013), S. 285; Sydow, JZ 2012, 157 (160); Edenharter, DÖV 2011, 645 (650). 1391  Siehe dazu Teil 1 D. IV. 1392  Herrmann, NVwZ 2011, 1352 (1354). 1393  Siehe dazu schon Teil 3 A. I.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

akte ohne Gesetzescharakter überhaupt noch verbunden sind. Mit Blick auf den staatlichen Verfassungskontext erwartet man von einem (formellen) Gesetz, dass es unter herausgehobener parlamentarischer Beteiligung zustande gekommen ist und daher aufgrund seiner übergeordneten Stellung anderen Rechtsakten derselben Rechtsordnung – mit Ausnahme der Verfassung – dem Rang nach vorgeht.1394 II. Das normenhierarchische Verhältnis von Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter sowie von delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten Auf Unionsebene entscheiden Rat und Parlament gemäß Art. 289 Abs. 1 AEUV grundsätzlich gemeinsam über einen „ordentlichen“ Gesetzgebungsakt. Allerdings kennt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zahlreiche Ausnahmen, die sich unter dem Begriff „besondere Gesetzgebungsverfahren“ (Art. 289 Abs. 2 AEUV) verbergen. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedlich ausgestaltete Verfahren, die in den einschlägigen Rechtsgrundlagen des Primärrechts geregelt sind. Der Rat muss nicht notwendiger Weise eine gemeinsame Position mit dem Parlament finden; teilweise wird die Beteiligung des Parlaments zu einem bloßen Anhörungserfordernis herabgestuft. Dennoch stellen auch die nach diesem Verfahren erlassenen Rechtsakte Gesetzgebungsakte dar. Ein Vergleich mit den Erlassverfahren der Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, deren Rechtsgrundlage sich unmittelbar aus dem primären Unionsrecht ergibt (sog. vertragsdurchführende Rechtsakte1395), zeigt zudem, dass bei den besonderen Gesetzgebungsverfahren das gleiche Verfahren zur Anwendung kommen kann, welches auch für den Erlass eines vertragsdurchführenden Rechtsakts vorgesehen ist.1396 1394  Siehe Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 266; Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (71). 1395  Diese „vertragsdurchführenden Rechtsakte“ finden – anders als dies noch nach dem gescheiterten Verfassungsvertrag der Fall war (vgl. Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 4, 2. HS, 2. Alt. EVV) – im Abschnitt über die „Rechtsakte der Union“ (Art. 288–293 AEUV) keine Erwähnung. Zudem lassen sich die vertragsdurchführenden Rechtsakte mangels einer Regelung wie die der Art. 290 Abs. 3 und 291 Abs. 4 AEUV terminologisch nicht von den Gesetzgebungsakten unterscheiden, vgl. dazu Calliess, Die neue Europäi­sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 298. 1396  Vgl. Art. 23 Abs. 2 AEUV (besonderes Gesetzgebungsverfahren) einerseits und Art. 109 AEUV (Sekundärrechtsetzung durch den Rat) andererseits. In beiden Fällen muss das Europäi­ sche Parlament lediglich angehört werden; kritisch dazu Türk, in: Biondi / Eeckhout / Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (68 ff.).



D. Normenhierarchien im Unionsrecht263

Folglich beanspruchen die unter Beteiligung des Europäi­schen Parlaments zustande gekommenen Gesetzgebungsakte keine höhere Rangstufe als die im besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Rechtsakte. Ferner besteht auch zu den Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, die ihre Rechtsgrundlage unmittelbar im Primärrecht haben, Gleichrangigkeit.1397 Etwas diffiziler verhält es sich bei den Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, die als delegierte Rechtsakte oder als Durchführungsrechtsakte ergehen. Während das Verhältnis der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte zum Primärrecht noch einfach zu bestimmen ist – delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte müssen wie das gesamte untervertragliche Unionsrecht mit dem Primärrecht in Einklang stehen –, lässt sich die Standortbestimmung der beiden Rechtsakttypen mit Blick auf Gesetzgebungsakte nicht derart eindeutig vornehmen.1398 Delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte finden ihre Rechtsgrundlage nicht in den primärrechtlichen Art. 290 Abs. 1 und 291 Abs. 2 AEUV, sondern in dem zu ihrem Erlass ermächtigenden Basisrechtsakt. Daher werden sie teilweise auch als tertiäre Rechtsakte bezeichnet.1399 Überschreitet die Kommission die Grenzen der im delegierenden Gesetzgebungsakt enthaltenen Ermächtigung, so ist der delegierte Rechtsakt der Kommission nichtig.1400 Gleiches gilt auch für einen Durchführungsrechtsakt, der den Vorgaben der Ermächtigungsnorm nicht entspricht.1401 Folglich sind delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte ihren Ermächti1397  Calliess, Die neue Europäi­sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 301; D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 38 m. w. N.; a. A. Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 284. 1398  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 54. 1399  So beispielsweise Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV  /  AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 3; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 2; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2; D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 1 f., 37 f.; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 97; Schusterschitz, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 209 (217); Vedder, in: Vedder  /  Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­scher Verfassungsvertrag, 2007, Art. I-36 EVV Rn. 1; siehe dazu auch schon Teil 1 D. II. 1400  Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 290 AEUV Rn. 7. 1401  Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 99.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

gungsnormen grundsätzlich untergeordnet.1402 Allerdings kann der Kommission im delegierenden Gesetzgebungsakt gemäß Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 und UAbs. 2 AEUV die Befugnis zur Änderung der nicht wesentlichen Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts eingeräumt werden.1403 Zwischen den ermächtigenden Gesetzgebungsakten und den delegierten Rechtsakten kann folglich auch Gleichrangigkeit herrschen.1404 Die Konzeption, dass Nicht-Gesetzgebungsakte Vorrang vor Gesetzgebungsakten haben können, ist beispielsweise auch dem französischen Verfassungsrecht nicht unbekannt.1405 Im Gegensatz dazu besitzen Durchführungsrechtsakte gegenüber den Gesetzgebungsakten, auf deren Grundlage sie erlassen worden sind, keine derogatorische Kraft.1406 Sie gehen mangels einer Art. 290 Abs. 1 AEUV vergleichbaren Abänderungskompetenz den Gesetzgebungsakten im Rang folglich nach.1407 Im Verhältnis zum sonstigen Sekundärrecht mit Gesetzescharakter besteht auch für die delegierten Rechtsakte ein Unterordnungsverhältnis, da sich die Befugnis zur „Änderung“ nach dem Wortlaut des Art. 290 Abs. 1 AEUV allein auf die Bestimmungen des Basisrechtsakts („des betreffenden Gesetzgebungsaktes“) bezieht.1408 Eine Abweichung von anderen Gesetzgebungsakten hätte eine materielle Änderung derselben zur Folge, die mangels entsprechender Ermächtigung unwirksam wäre.1409 Nunmehr stellt sich die Frage, in welchem hierarchischen Verhältnis die delegierten Rechtsakte und die Durchführungsrechtsakte zueinander stehen. Überzeugend erscheint dabei die von Kröll vorgenommene Abstufung der Rechtsakte nach dem Erzeugungszusammenhang: Danach besteht zwischen 1402  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 55; Haratsch / Koenig /  Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. (2012), Rn. 378; Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2. 1403  Vedder, in: Vedder / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2. 1404  Bueren, EuZW 2012, 167 (168); Vedder, in: Vedder  / Heintschel v. Heinegg (Hrsg.), Europäi­sches Unionsrecht, 2012, Art. 290 AEUV Rn. 2. 1405  Siehe Ziller, European Constitutional Law Review 2005, 452 (469). 1406  Streinz, Europarecht, 9. Aufl. (2012), § 6 Rn. 570. 1407  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 58. 1408  Ebd. 1409  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 284; Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV  /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 58; Streinz /  Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 99.



D. Normenhierarchien im Unionsrecht265

delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten keine hierarchische Rangordnung, sofern sie auf derselben Rechtsgrundlage beruhen. Sie unterscheiden sich dann nur aufgrund ihrer derogatorischen Kraft.1410 Denn wie bereits erörtert, kann der Kommission im Gesetzgebungsakt gemäß Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 und UAbs. 2 AEUV die Befugnis übertragen werden, den Gesetzgebungsakt mithilfe des delegierten Rechtsakts zu ändern bzw. zu derogieren. Die derogatorische Kraft ist allerdings nur begrenzt auf den Gesetzgebungsakt, auf dessen Grundlage der Kommission die Befugnis zur Änderung eingeräumt wurde. Im Gegensatz dazu besitzen Durchführungsrechtsakte weder gegenüber Gesetzgebungsakten noch gegenüber Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, auf deren Grundlage sie erlassen worden sind, derogatorische Kraft.1411 Beruht ein Durchführungsrechtsakt demgegenüber auf einem delegierten Rechtsakt, so geht er diesem im Range nach.1412 Ein Rangverhältnis unter einzelnen delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten, die nicht aufgrund ihres Erzeugungszusammenhangs in einer Verbindung stehen, existiert nicht; es sind vielmehr die allgemeinen Kollisionsregeln anzuwenden.1413 Abschließend ist festzuhalten, dass ein absolutes Stufenverhältnis zwischen Gesetzgebungsakten auf der einen und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter auf der anderen Seite nicht besteht. Dagegen spricht – neben der bereits angesprochenen lediglich partiellen Höherrangigkeit der Gesetzgebungsakte gegenüber den delegierten Rechtsakten und der Gleichstellung der Gesetzgebungsakte mit den vertragsdurchführenden Rechtsakten – die Definition der Durchführungsrechtsakte. Bei diesen handelt es sich der Konventsarbeitsgruppe zufolge um Rechtsakte zur Durchführung von Gesetzgebungsakten, von delegierten Rechtsakten oder von Rechtsakten, die im Vertrag selbst vorgesehen sind.1414 Daraus ergibt sich, dass die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Instrumente nicht im Sinne einer zwingen1410  Kröll, in: Debus  / Kruse / Peters u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrechtsraum Europa, 2011, S. 195 (210). 1411  Streinz, Europarecht, 9. Aufl. (2012), § 6 Rn. 570. 1412  Härtel, Handbuch Europäi­ sche Rechtsetzung, 2006, § 15 Rn. 31 spricht insofern von einem „Gesetzes-Stammbaum“, in dem sich das Hierarchieverhältnis zwischen Gesetzgebungsakten, delegierten Verordnungen und Durchführungsrechtsakten noch ziemlich einfach bestimmen lässt. Bei Kollisionen von Handlungsformen verschiedener „Gesetzes-Stammbäume“ sind die allgemeinen Kollisionsregeln der lex specialis und der lex posterior anzuwenden; siehe dazu auch schon Teil 1 D. III. 1413  Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV /  AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 290 AEUV Rn. 56; siehe dazu auch Teil 1 D. III. 1414  CONV 424 / 02, Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ v. 29.11.2002, S. 11.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

den Normenhierarchie zu verstehen sind.1415 Zudem enthalten weder der gescheiterte Verfassungsvertrag noch der Vertrag von Lissabon explizite Rangklauseln.1416 Änderungsvorschläge von Konventsmitgliedern zur Hierarchisierung hat das Präsidium des Konvents gerade nicht übernommen.1417 Mit der Begriffswahl des „Tertiärrechts“ ist nach hier vertretener Ansicht folglich nicht die Entstehung einer neuen Hierarchieebene unterhalb des Primär- und des Sekundärrechts verbunden.1418 Sollte der EuGH gleichwohl die Existenz einer impliziten Normenhierarchie aufgrund der Neuordnung der Rechtsakttypen durch den Vertrag von Lissabon konstruieren, ist noch völlig unklar, wie der Bauplan für eine Rangordnung zukünftig aussehen könnte.1419 Insgesamt existieren fünf Kategorien von Rechtsakten mit allgemeiner Geltung, deren Einordnung in einen Stufenbau ferner dadurch erschwert wird, dass jede Kategorie gleichermaßen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse umfasst. Zu den ­beiden Kategorien von Gesetzgebungsakten (Art. 289 Abs. 1 und Abs. 2 ­AEUV), die ihre Rechtsgrundlage ausschließlich im Primärrecht haben, gesellen sich zwei Kategorien von abgeleiteten Rechtsakten, die delegierten Rechtsakte der Kommission (Art. 290 AEUV) und die Durchführungsrechtsakte der Kommission oder des Rats (Art. 291 AEUV). Die fünfte Kategorie umfasst die Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die von den Organen unmittelbar auf der Grundlage der Verträge erlassen werden.1420 Die Einordnung dieser Kategorie in einen Stufenbau ist besonders schwie1415  Seifert, Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäi­ sche Kommission als Teil europäischer „Gesetzgebungstätigkeit“ – aktuelle Rechtslage und Modell der Europäi­schen Verfassung, EI Working Paper Nr. 72, 2006, S. 60. 1416  Calliess, Die neue Europäi­sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 300. 1417  Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (548) mit Verweis auf den Vorschlag der Abgeordneten des Europäi­ schen Parlaments Sylvia-Yvonne Kaufmann zu Art. I-32 EVV: „Die Europäi­ schen Organakte müssen mit der Verfassung vereinbar sein. Die Europäi­schen Gesetze und Rahmengesetze müssen mit dieser Verfassung und den Europäi­ schen Organakten vereinbar sein. Die Europäi­ schen Verordnungen und Entscheidungen müssen mit dieser Verfassung und den Gesetzgebungsakten vereinbar sein“, abrufbar unter: http: /  / european-convention.eu.int / docs / treaty / pdf / 24 / Art24KaufmannDE.pdf. 1418  So auch Sydow, JZ 2012, 157 (158); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 38; a. A. Calliess, Die neue Europäi­sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 300 f.; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 99. 1419  So Bast, in: v. Bogdandy  /  Bast (Hrsg.), Europäi­ sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (548). 1420  Siehe Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 4 EVV.



D. Normenhierarchien im Unionsrecht267

rig.1421 Sie gehören nicht zu den Gesetzgebungsakten, haben ihre Rechtsgrundlage aber ebenfalls im Primärrecht. Aus diesem Grund fallen sie auch nicht unter die Kategorie der abgeleiteten Rechtsakte. Hinzu kommt, dass die vertragsdurchführenden Rechtsakte wiederum eine Ermächtigung zum Erlass von Durchführungsrechtsakten enthalten können. III. Zusammenfassung Aus dem Vertrag von Lissabon lassen sich folglich – mangels einer stimmigen Skala prozeduraler Legitimation – weder eindeutige Hierarchieebenen noch eine generell herausgehobene Stellung von Gesetzgebungsakten entnehmen.1422 Die mit dem Verfassungsvertrag angestrebte Hierarchisierung der Rechtsakte wurde durch eine eher willkürlich anmutende und anscheinend nur unzureichend reflektierte Anordnung des besonderen Gesetzgebungsverfahrens innerhalb der einzelnen Rechtsgrundlagen der jeweiligen Politikbereiche1423 und die Einführung der Kategorie der Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit unmittelbarer primärrechtlicher Rechtsgrundlage wieder relativiert. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass die Reform des bisherigen Gleichklangs der Sekundärrechtsakte nicht geglückt ist.1424 Die gewaltenteilende Ordnung bestimmt sich im Wesentlichen durch horizontale Rechtsgrundlagen der Verträge und partielle Hierarchien zwischen Basis1421  Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (549). 1422  Bueren, EuZW 2012, 167 (168) m. w. N.; Hobe, Europarecht, 7. Aufl. (2012), § 10 Rn. 21; Frenz, Handbuch Europarecht V, 2010, Rn. 1230; Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (549); weniger kritisch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 253 f., 261, 284, die darauf hinweist, dass rechtlich-systematisch eine schlüssige Skala prozeduraler Legitimation besteht, da die Kategorie des formellen, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Gesetzgebungsakts stets einen Legitimationsvorsprung gegenüber Rechtsakten ohne Gesetzescharakter aufweist. Das grundsätzliche System, in dem der Gesetzgebungsakt die höchste Stufe der Hierachie des von den Unionsorganen erlassenen Rechts einnehme, bleibe trotz der inkonsistenten Einordnung der Regelungsmaterien in die verschiedenen legislativen bzw. nicht legislativen „Schubladen“ erkennbar. Bezogen auf das untergesetzliche Recht stellt dagegen auch Haselmann auf S. 286 fest, dass angesichts der Inkonsistenzen zweifelhaft ist, ob sich weitere Rangregeln durchsetzen werden. 1423  Ausführlich Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 10 S. 95 f.; Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­ sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (552 f.). Diese „rather arbitrary“ anmutende Anordnung des Gesetzgebungsverfahrens galt bereits für den gescheiterten Verfassungsvertrag, siehe dazu Dougan, ELR 2003, 763 (784) und Teil 1 D. IV. 2. 1424  So auch Bueren, EuZW 2012, 167 (168) m. w. N.; Calliess, Die neue Europäi­ sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 301.

268

Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

rechtsakten und delegierten Rechtsakten bzw. durch eine Rangordnung im Einzelfall nach dem jeweiligen Erzeugungszusammenhang von Vertragsrecht und abgeleitetem Unionsrecht.1425

E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Im Bereich der europäischen Rechtsschutzverfahren hat der Vertrag von Lissabon eine Reihe von Reformen durchgesetzt, die einerseits eine Verbesserung des Rechtsschutzes des Einzelnen bewirken und andererseits eine effektivere Rechtsdurchsetzung durch höhere Anforderungen an die nationalen Prozessordnungen und eine Verschärfung der Sanktionsmechanismen im Vertragsverletzungsverfahren bezwecken.1426 Ziel dieses Abschnitts ist es, die noch offenen Fragen im Bereich des Individualrechtsschutzes gegen abgeleitetes Unionsrecht nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu klären. Ausgangspunkt der nachfolgenden Untersuchung bildet die im zweiten Kapitel vorgefundene Rechtsschutzlücke im gemeinschaftsrechtlichen Regime der Nichtigkeitsklage gegen abstrakt-generelle Rechtsakte, die keine weiteren nationalen Vollzugsakte nach sich ziehen.1427 Daran anschließend wird untersucht, welche Verbesserungen Eingang in das Rechtsschutzregime der Union gegen abstrakt-generelle und konkret-individuelle Rechtsakte mit 1425  So auch Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­ sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (549). 1426  Zu den hier nicht besprochenen Errungenschaften des Vertrags von Lissabon in diesem Bereich gehören u. a. die Erweiterung der Klagebefugnis des Ausschusses der Regionen (Art. 263 Abs. 3 AEUV), die Aktivlegitimation der nationalen Parlamente im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle, die Modifikationen betreffend das Vorabentscheidungsverfahren, die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten (Art. 263 Abs. 1 AEUV), die Verleihung eines primärrechtlichen Ranges für die Grundrechtecharta (Art. 6 Abs. 1 EUV), die Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EUV, zuletzt bekräftigt in EuGH, Urt. v. 03.10.2013 – Rs. C-583 / 11P, Slg. 2013, Rn. 97 ff. – Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Europäi­ sches Parlament und Rat der Europäi­ schen Union) sowie der Wegfall des bisherigen zweistufigen Vorverfahrens nach Art. 228 EG (nunmehr Art. 260 AEUV) im Vertragsverletzungsverfahren. Siehe ausführlich zu diesen Neuerungen Hable, in: Hummer (Hrsg.), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten, 2010, S.  651 (691 ff.); Obwexer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 237 (254 ff.). 1427  Siehe Teil 2 F. II. 2. a).



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht269

dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gefunden haben. Dabei gilt es insbesondere den Zusammenhang zwischen der Art der Maßnahme und dem Erfordernis des effektiven Rechtsschutzes darzustellen. Aus diesem Grund wird – wie im zweiten Kapitel1428 – die Rechtsschutzproblematik für abstrakt-generelle und konkret-individuelle Rechtsakte getrennt untersucht. Dies ist auf die unterschiedlichen Strukturgegebenheiten der Art. 290 und 291 AEUV zurückzuführen: Art. 290 AEUV betrifft die Kompetenz zur Delegation legislativer Befugnisse, d. h. die Kommission wird ermächtigt, anstelle des Unionsgesetzgebers abstraktgenerelle Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen.1429 Daher steht bei diesen Rechtsakten die Frage der demokratischen Legitimation und der Kontrolle der delegierten Rechtsetzung durch den Unionsgesetzgeber im Vordergrund,1430 während die Frage des Rechtsschutzes des Einzelnen gegen derartige Rechtsakte nur eine untergeordnete Rolle spielt, da es im Regelfall weiterer nationaler Vollzugsakte bedarf. Bei der Durchführungsrechtsetzung gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV handelt es sich demgegenüber um eine ergänzende administrative bzw. exekutive Kompetenz, die der Kommission mit dem Ziel eingeräumt wird, einen einheitlichen effektiven Vollzug des Unionsrechts sicherzustellen. Die Durchführungsrechtsakte, die sowohl in abstrakt-genereller als auch in konkret-individueller Form ergehen können, sind unter demokratischen sowie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten weniger rechtfertigungsbedürftig als die delegierten Rechts­ akte,1431 so dass die Kontrolle dieser Rechtsetzungstätigkeit der Kommission nicht zwingend durch den Unionsgesetzgeber erfolgen muss. Da die Vollzugsautonomie der Mitgliedstaaten gemäß Art. 291 Abs. 1 AEUV durch die dazwischen-geschaltete Harmonisierungskompetenz der Kommission gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV beschränkt wird, ist es folgerichtig, nur ihnen und nicht dem Unionsgesetzgeber im Wege der Komitologie Mitwirkungs- und Kontrollrechte zu gewähren.1432 Demgegenüber ist die Frage des Rechtsschutzes bei diesen administrativen bzw. exekutiven Rechtsakten insbesondere dann von enormer Bedeutung, wenn sie in konkret-individueller Form erlassen werden, da der Einzelne von den Maßnahmen der Kommission dann direkt betroffen ist.

1428  Siehe

Teil 2 F. II. 2. a) und F. II. 2. b). dazu ausführlich Teil 3 A. II. 1. 1430  Ähnlich Nettesheim, in: Grabitz (Begr.) / Hilf (fortgef.) / Nettesheim (Hrsg.), EUV / AEUV III, Losebl. (Stand: April 2012), Art. 291 AEUV Rn. 40. 1431  Ebd. 1432  Siehe dazu ausführlich Teil 3 A. II. 2. 1429  Siehe

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

I. Ausgangspunkt: Rechtsschutzlücken im gemeinschaftsrechtlichen Regime der Nichtigkeitsklage Die Untersuchungen im zweiten Kapitel zum Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte im Gemeinschaftsrecht haben gezeigt,1433 dass auf der Grundlage des Art. 230 Abs. 4 EG eine Klage gegen Verordnungen mit abstrakt-generellem Inhalt regelmäßig nicht in Betracht kam, da die Klagebefugnis grundsätzlich am Merkmal der individuellen Betroffenheit scheiterte.1434 Dies war selbst dann der Fall, wenn der entsprechende Rechtsakt unmittelbar in die Rechtssphäre der Betroffenen dadurch eingriff, dass ihnen beispielsweise Ge- oder Verbote auferlegt wurden, ohne dass es dafür eines weiterführenden „Durchführungs-, Umsetzungs- oder Ausführungsakts“1435 der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber oder Behörden bedurft hätte.1436 In diesem Fall konnten die Betroffenen die fraglichen Gemeinschaftsrechtsakte mangels nationaler Vollzugsakte auch nicht mittelbar von den mitgliedstaatlichen Gerichten – mit der Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH (Art. 234 EG; nunmehr Art. 267 AEUV) – überprüfen lassen.1437 Konsequenz dieser sog. „Selfexecuting“-Gemeinschaftsrechtsakte war eine Lücke im gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystem. Sämtliche Versuche, diese Lücke bei Individualnichtigkeitsklagen gegen abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte durch eine Neuinterpretation des Merkmals der „individuellen Betroffenheit“ zu schließen,1438 scheiterten am Widerstand des EuGH in den Berufungs­urteilen Unión de Pequeños Agricultores und Jégo-Quéré.1439 Der EuGH verwies 1433  Siehe

dazu bereits Teil 2 F. II. 2. a). Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 (249). 1435  Cremer, EuGRZ 2004, 577 (583). 1436  Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 (249). 1437  Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (761). 1438  Siehe dazu Generalanwalt Jacobs Schlussanträge v. 21.03.2002 – Rs. C-50 / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff., Rn. 59 ff. – Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­ schen Union und EuG, Urt. v. 03.05.2002 – Rs. T-177 / 01, Slg. 2002, II-2365 ff., Rn. 51 – Jégo-Quéré & Cie SA / Kommission: „Demnach ist, um einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz der Einzelnen zu gewährleisten, eine natürliche oder juristische Person als von einer allgemein geltenden Gemeinschaftsbestimmung, die sie unmittelbar betrifft, individuell betroffen anzusehen, wenn diese Bestimmung ihre Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt. Die Zahl und die Lage anderer Personen, deren Rechtsposition durch die Bestimmung ebenfalls beeinträchtigt wird oder werden kann, sind insoweit keine relevanten Gesichtspunkte“. 1439  EuGH, Urt. v. 01.04.2004 – Rs. C-263 / 02 P, Slg. 2004, I-3425 ff. – Kommission / Jégo-Quéré & Cie SA; EuGH, Urt. v. 25.07.2002 – Rs. 50 / 00 P, Slg. 2002, 1434  Siehe



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht271

zum einen auf den Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG, der einer Neuinterpretation nicht zugänglich sei, und zum anderen auf die Aufgabe der nationalen Gerichte, für einen effektiven Rechtsschutz Sorge zu tragen.1440 Insofern betonte der EuGH die Rolle des dezentralen Rechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht.1441 Zudem stellte er fest, dass eine substantielle Erweiterung der zentralen Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen einer Vertragsänderung durch die Mitgliedstaaten bedürfe.1442 II. Individualrechtsschutz gegen abstrakt-generelle delegierte Rechtsakte und abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte Als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH hat sich bereits der Verfassungskonvent kontrovers mit einer Neuregelung des Art. 230 Abs. 4 EG beschäftigt.1443 Letztlich hat man sich auf folgende, den Art. 230 Abs. 4 EG ersetzende Fassung des Art. III-365 Abs. 4 EVV, geeinigt: „Jede natürliche oder juristische Person kann […] gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.“

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde diese Vorschrift des gescheiterten Verfassungsvertrags unverändert übernommen und nunmehr in Art. 263 Abs. 4 AEUV angesiedelt. Die zweite und dritte Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV befassen sich mit dem Rechtsschutz gegen abstraktgenerelle Rechtsakte. Im Folgenden werden daher zunächst die Änderungen dieser beiden Alternativen im Vergleich zur alten Rechtslage beleuchtet. I-6677 ff. – Unión de Pequeños Agricultores  /  Rat der Europäi­ schen Union; siehe dazu auch Lenaerts / Desomer, ELJ 2005, 744 (761 f.). 1440  EuGH, Urt. v. 25.07.2002 – Rs. 50  / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff., Rn. 42 ff. – Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­schen Union. Dieser vom EuGH entwickelte Rechtsgrundsatz wurde im Vertrag von Lissabon in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV ausdrücklich verankert. In Deutschland bietet sich in diesem Zusammenhang die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO an, siehe dazu Braun / Kettner, DÖV 2003, 58 (65); Dittert, EuR 2002, 708 (718). 1441  So auch Kottmann, ZaöRV 2010, 547 (554); Braun / Kettner, DÖV 2003, 58 (65); siehe dazu schon Teil 2 F. II. 2. b). 1442  EuGH, Urt. v. 25.07.2002 – Rs. 50 / 00 P, Slg. 2002, I-6677 ff., Rn. 45 – Unión de Pequeños Agricultores / Rat der Europäi­schen Union. 1443  Siehe CONV 636 / 03, Schlussbericht des Arbeitskreises über die Arbeitsweise des Gerichtshofs v. 25.03.2003, S. 6 ff.; Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 129; Herrmann, NVwZ 2011, 1352 (1353 f.); Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 13 S. 115 f.

272

Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

Nach der zweiten Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV tritt der Begriff der „Handlungen“ an die Stelle von „Entscheidungen“ (und sog. Schein­ verord­nun­gen).1444 Danach können natürliche und juristische Personen gegen alle Handlungen der Unionsorgane, deren Adressat ein anderer ist oder die keinen Adressaten haben, Klage erheben, sofern die Handlungen sie unmittelbar und individuell betreffen.1445 Diese Änderung ist zu begrüßen, da der Klagegegenstand erweitert wurde, so dass nun nicht mehr mit dem Konzept der Scheinverordnung gearbeitet werden muss.1446 Die für den Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle Rechtsakte besonders relevante dritte Alternative enthält – unter Verzicht auf die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit – eine Klagemöglichkeit natürlicher und juristischer Personen gegen „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“, die sie „unmittelbar betreffen“ und „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der unmittelbaren Betroffenheit soll hier nicht grundlegend entfaltet werden, da es bereits in Art. 230 Abs. 4 EG angelegt war und durch die Gemeinschaftsgerichte eine hinreichend gefestigte Konturierung erfahren hat.1447 Neben dem Erfordernis des unmittelbaren Betroffenseins setzt die Klagebefugnis des Einzelnen ferner voraus, dass der Rechtsakt mit Verordnungscharakter keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.1448 Die Aufnahme dieses Merkmals erfolgte in der Absicht, dem Einzelnen ein Direktklagerecht nur gegenüber solchen Rechtsakten einzuräumen, die keine weiteren unionalen und vor allem mitgliedstaatlichen Vollzugsakte erfordern.1449 Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, 1444  Ausführlich zum Klagegegenstand der „Handlungen“ Schroeder, Grundkurs Europarecht, 3. Aufl. (2013), § 9 Rn. 35. 1445  Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 f. 1446  Zu den ansonsten geringen Konsequenzen dieser Änderung Kotzur, EuRBeiheft 1, 2012, 7 (17 f.); Cremer, EuGRZ 2004, 577 ff., allerdings in Bezug auf den Wortlaut des Art. III-365 Abs. 4 EVV; ähnlich Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (555). 1447  Ausführlich zum Merkmal des unmittelbaren Betroffenseins Obwexer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 237 (257). 1448  Allerdings ist zweifelhaft, ob die Aufnahme dieses Merkmals zusätzlich zu dem unmittelbaren Betroffensein notwendig war, um die beabsichtigte Eingrenzung der Klagebefugnis zu erreichen. Denn schon durch das Erfordernis des unmittelbaren Betroffenseins wird verhindert, dass der Einzelne Rechtsakte mit Verordnungscharakter angreifen kann, die noch eines mitgliedstaatlichen Durchführungsrechtsakts bedürfen. Zu den wenigen Fällen, in denen das Tatbestandsmerkmal „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“ eigenständige Bedeutung erlangt Gundel, EWS 2012, 65 (69 f.); Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (165); Obwexer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 237 (257); Schröder, DÖV 2009, 61 (64.); Cremer, EuGRZ 2004, 577 (583). 1449  Pötters / Werkmeister / Traut, EuR 2012, 546 (559).



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht273

dass ein Sekundärrechtsakt, der einen mitgliedstaatlichen Vollzugsakt nach sich zieht, inzident im Rahmen einer Klage gegen den nationalen Durchführungsrechtsakt überprüft und gegebenenfalls eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt werden kann.1450 Bei den sog. „Self-executing“-Rechtsakten besteht eine derartige Möglichkeit nicht. Diese Rechtsschutzlücke galt es zu schließen. Erhebliche Auslegungsschwierigkeiten weist jedoch das Merkmal der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ auf. Es steht im Mittelpunkt hitziger Diskussionen um die Architektur und Effektivität des Rechtsschutzes in der Europäi­schen Union.1451 In der deutschen Europarechtswissenschaft lassen sich in Ermangelung einer Definition im Vertrag selbst zwei etwa gleich große, konträre Auslegungsströmungen ausmachen: Während die einen angesichts der spezifischen Entstehungsgeschichte des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV den Begriff „Verordnungscharakter“ zutreffend als Gegenbegriff zu den „Gesetzgebungsakten“ des Art. 289 Abs. 3 AEUV verstehen,1452 lehnt die Gegenansicht1453 diesen entstehungsgeschichtlichen Ansatzpunkt ab. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich u. a. auf den Wortlaut und verleihen somit sämtlichen Verordnungen im Sinne von Art. 288 Abs. 2 AEUV Verordnungscharakter. Zusammengefasst bedeutet dies, dass nach der ersten, engeren Ansicht Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV keine Anwendung auf ­Unionsgesetzgebungsakte findet. Hauptanwendungsfall der Rechtsakte mit Verordnungscharakter sollen die delegierten Rechtsakte und die Durchführungsrechtsakte sein.1454 Mit dem Hinweis darauf, dass man Verordnungen 1450  Ebd.

1451  Everling,

EuZW 2012, 376 (377) m. w. N. EWS 2012, 65 (68 ff.); Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 268 ff.; Pötters / Werkmeister / Traut, EuR 2012, 546 (553); Classen, in: Oppermann / Classen / Nettesheim (Hrsg.), Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 13 Rn. 63; Herrmann, NVwZ 2011, 1352 (1354 ff.); Maria Berger, in: Eilmansberger / Griller / Obwexer (Hrsg.), Rechtsfragen der Implementierung des Vertrags von Lissabon, 2010, S. 343 (350  f.); Cremer, DÖV 2010, 58 (61  ff.); D. König, in: Schulze  /  Zuleeg  /  Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 37; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 13 S. 115 f.; Thiele, EuR 2010, 30 (43 ff.); D. König, EuR-Beiheft 2, 2009, 7 (35 f.); Schröder, DÖV 2009, 61 (63 f.); D. König / Nguyen, ZJS 2008, 140 (142 ff.). 1453  Bieber / Epiney / Haag, Die Europäi­ sche Union, 10. Aufl. (2013), § 9 Rn. 48; Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 ff.; Schwarze, in: FS Scheuing, 2011, S. 190 (200 ff.); Everling, EuZW 2010, 572 (574 f.); Frenz, Handbuch Europarecht V, 2010, Rn. 2934; Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (165); Bast, in: v. Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäi­ sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (556 f.); Everling, EuR-Beiheft 1, 2009, 71 (74); Obwexer, in: Hummer / Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, S. 237 (256 f.). 1454  Pötters / Werkmeister / Traut, EuR 2012, 546 (549 f., 553 ff.). 1452  Gundel,

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

den „Verordnungscharakter“ nicht absprechen könne,1455 schließt die zweite, weitere Ansicht Gesetzgebungsakte nicht allein wegen der Entstehungsgeschichte des Art. 263 Abs. 4 AEUV vom Anwendungsbereich der dritten Alternative der Norm aus. Die Neuregelung soll vielmehr sämtliche Rechtsakte erfassen, denen – wie der Verordnung gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV – unmittelbare und allgemeine Geltung zukommt.1456 Auf die Wiedergabe der Argumente, die für oder gegen die enge oder die weite Interpretation des Wortlauts „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ sprechen, soll hier zum einen aufgrund der bereits vielfach geäußerten Positionen im Schrifttum1457 und zum anderen angesichts der zwischenzeitlichen Klarstellung durch das Gericht verzichtet werden: In seinem Beschluss vom 6. September 2011 in der Rechtssache Inuit Tairiit Kanatami hat sich das Unionsgericht nunmehr die enge Interpretation zu eigen gemacht und entschieden,1458 „dass der Begriff ‚Rechtsakt mit Verordnungscharakter‘ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV dahin zu verstehen ist, dass er mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte jede Handlung mit allgemeiner Geltung erfasst. Eine natürliche oder juristische Person kann gegen einen Gesetzgebungsakt daher nur dann Nichtigkeitsklage erheben, wenn sie von ihm unmittelbar und individuell betroffen ist“1459. Das Gericht erläutert dabei nicht genauer, welche nicht-legislativen Akte konkret erfasst sind. Es macht aber deutlich, dass der Geltungsbereich des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV nicht auf delegierte Rechtsakte beschränkt ist.1460 Im Ergebnis hat das Gericht die Everling, EuR-Beiheft 1, 2009, 71 (74). EuZW 2011, 248 (249). 1457  Vgl. die ausführliche historische, teleologische, wortlautbezogene und systematische Auslegung bei Pötters / Werkmeister / Traut, EuR 2012, 546 (550 ff.); Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 (250 ff.); Herrmann, NVwZ 2011, 1352 (1354 ff.). 1458  Das Gericht nimmt zur Klärung des Begriffs „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ eine wörtliche, historische und teleologische Interpretation von Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV vor; siehe dazu ausführlich EuG, Beschluss v. 06.09.2011 – Rs. T‑18 / 10, Slg. 2011, II-5599 ff., Rn. 40 ff. – Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Parlament und Rat der Europäi­schen Union. Kritisch zur Interpretation des EuG Thalmann, EuR 2012, 452 (459 ff.). 1459  Ebd., Rn. 56; kritisch Everling, EuZW 2012, 376 (378 ff.). 1460  EuG, Beschluss v. 06.09.2011 – Rs. T-18  / 10, Slg. 2011, II-5599 ff., Rn. 48 – Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Parlament und Rat der Europäi­schen Union. In dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil in der Rechtssache Microban hat das Gericht einen Beschluss der Kommission, einen Wirkstoff nicht in die Liste der zulässigen Zusatzstoffe für Lebensmittel aufzunehmen, als Rechtsakt mit Verordnungscharakter qualifiziert. Als Begründung führte das Gericht an, dass der angefochtene Beschluss von der Kommission in der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse gemäß Art. 291 AEUV erlassen wurde (siehe EuG, Urt. v. 25.10.2011 – Rs. T-262 / 10, Slg. 2011, II-7697 ff., Rn. 22 – Microban International Ltd und Microban (Europe) Ltd / Kommission). 1455  So

1456  Görlitz / Kubicki,

1460



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht275

Zulässigkeit der Klage von 17 nicht privilegierten natürlichen und juristischen Personen verneint, welche die Nichtigerklärung der Verordnung Nr.  1007 / 2009 / EG1461 des Europäi­schen Parlaments und des Rates über den Handel mit Robbenerzeugnissen begehrten, da die Verordnung von Rat und Parlament im Mitentscheidungsverfahren erlassen worden war und damit nicht in den Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV fiel. Die gegen diesen Beschluss des Gerichts eingelegten Rechtsmittel1462 waren erfolglos. Der Gerichtshof bestätigte – wie nicht anders zu erwarten angesichts der befürchteten Überlastung aufgrund einer Flut von Klagen gegen Rechtsakte mit allgemeiner Geltung1463 – in seinem jüngst ergangenen Urteil in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami vollumfänglich die Rechtsauffassung des Gerichts.1464 Trotz der nunmehr erfolgten letztverbindlichen Konturierung des Begriffs „Verordnungscharakter“ wäre es aus Gründen der Verständlichkeit dennoch sinnvoll, das Tatbestandsmerkmal der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zukünftig durch „Rechtsakte ohne Gesetzescharakter“ in Art. 263 Abs. 4 AEUV zu ersetzen. III. Individualrechtsschutz gegen konkret-individuelle ­Durchführungsrechtsakte Im Vergleich zum Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG hat die neue Bestimmung des Art. 263 Abs. 4 AEUV in Bezug auf den Rechtsschutz gegen konkret-individuelle Rechtsakte – anders als der Rechtsschutz gegen abs1461  VO Nr.  1007  /  2009  /  EG des Europäi­ schen Parlaments und des Rates v. 16.09.2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen, ABlEG L 286 v. 31.10.2009, S. 36. 1462  Rs. C-583  / 11 P: Rechtsmittel, eingelegt am 23.11.2011 von Inuit Tapiriit Kanatami u. a. gegen den Beschluss des Gerichts (Siebte erweiterte Kammer) v. 06.09.2011 in der Rs. T-18  /  10, Inuit Tapiriit Kanatami u. a.  /  Parlament, Rat der Europäi­ schen Union, Königreich der Niederlande, Kommission, ABlEU C 58 v. 25.02.2012, S. 3. 1463  So auch Petzold, EuR 2012, 443 (450 f.), der dies damit begründet, dass das Gericht mit der Entscheidung Inuit keinen völlig neuen Weg einschlägt. Siehe auch Haratsch, in: FS Scheuing, 2011, S. 79 (87); Kottmann, ZaöRV 2010, 547 (555 f.). Everling, EuZW 2012, 376 (380) hält die Befürchtung, dass eine zu weite Auslegung der „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zu einer Klageflut bei den Europäi­ schen Gerichten führen könnte, für unbegründet, da die „Erstreckung der dritten Variante auch auf Verordnungen mit Gesetzgebungscharakter […] nur für einen relativ begrenzten Kreis von Verfahren Bedeutung [hat], weil der größte Teil der Verordnungen die Voraussetzung der Zulässigkeit, dass der angegriffene Rechtsakt keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen darf, nicht erfüllen dürfte“. 1464  EuGH, Urt. v. 03.10.2013 – Rs. C-583  / 11P, Slg. 2013, Rn. 55 ff. – Inuit Tapiriit Kanatami u. a. / Europäi­sches Parlament und Rat der Europäi­schen Union.

276

Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

trakt-generelle Rechtsakte – nur eine marginale Modifikation erfahren. Gemäß Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV können natürliche oder juristische Personen gegen die an sie gerichteten Handlungen Klage erheben, während Art. 230 Abs. 4, 1. Alt. EG die Klagebefugnis nur bei Adressaten einer „Entscheidung“ bejahte. Diese Änderung mag auf den ersten Blick zu begrüßen sein, da sie auf eine Ausweitung der Klagebefugnis hindeutet. Allerdings stellt eine Handlung, die eine natürliche oder juristische Person zum Adressaten hat, definitionsgemäß eine Entscheidung im Sinne von Art. 249 Abs. 4 S. 4 EG dar.1465 Die neue Terminologie hat damit keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung von Adressaten eines belastenden abgeleiteten Unionsrechtsakts. Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Handlungsform der „Entscheidung“ mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr im Unionsrecht vorgesehen ist. An die Stelle der Entscheidung sind in Art. 288 Abs. 4 AEUV der adressatenlose Beschluss und der adressatenbezogene Beschluss getreten. Letzterer entspricht der gemeinschaftsrechtlichen Entscheidung. Lediglich der adressatenbezogene Beschluss kommt somit – und so schließt sich der Kreis – als Handlung im Sinne von Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV in Betracht.1466 Folglich geht mit der Ersetzung der „Entscheidung“ in Art. 230 Abs. 4, 1. Alt. EG durch „Handlung“ in Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV sowie durch die Umetikettierung der Handlungsform der „Entscheidung“ in den „Beschluss“ in der Sache keine Erweiterung der Klagebefugnis einher.1467 Folglich hat der Rechtsschutz gegen konkret-individuelle Rechtsakte keine nennenswerten Reformen erfahren. Insbesondere wurde die im zweiten Kapitel1468 geforderte systematische Trennung von abstrakt-generellen Durchführungsrechtsakten und einzelfallbezogenen Durchführungsrechtsakten nicht in letzter Konsequenz in die neue Struktur der Rechtsakte ohne Gesetzescharakter eingeführt. Zwar ist es begrüßenswert, dass Art. 290 AEUV mit dem Instrument der „delegierten Rechtsakte“ eine eigenständige Kategorie von Rechtsakten vorsieht, die die Kommission anstelle des Gesetzgebers erlässt.1469 Folglich können einzelfallbezogene Rechtsakte nicht auf der Grundlage der „delegierten Rechtsakte“ gemäß Art. 290 AEUV erlassen werden. Dies ist nur noch in der Gestalt der Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV möglich.1470 Zur Kennzeichnung der einzelfallbezo1465  So Cremer, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 291 AEUV Rn. 31. 1466  Ebd., Rn. 32. 1467  Ebd. 1468  Teil 2 F. III. 1469  Ausführlich zu den beiden neuen Rechtsakttypen der „delegierten Rechtsakte“ und der „Durchführungsrechtsakte“ Teil 3 A. II. 1470  Vgl. Kröll, ZÖR 2011, 253 (261); Driessen, ELR 2010, 837 (844 f.).



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht277

genen Durchführungsmaßnahmen wurde jedoch nicht exklusiv die Handlungsform der Entscheidung bzw. nunmehr die des Beschlusses (Art. 288 Abs. 4 AEUV) gewählt, mit der sich einzelfallbezogene Handlungsformen der Union präziser hätten identifizieren lassen. Ferner fallen unter die Kategorie der Durchführungsrechtsakte gemäß Art. 291 AEUV nicht nur konkret-individuelle, sondern ebenso abstrakt-generelle Maßnahmen der Kommission.1471 Infolgedessen konnten sich mangels einer systematischen Trennung auch keine spezifischen Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere in den Fällen, in denen Einzelne von den Maßnahmen der Kommission direkt betroffen sind, entwickeln. Vor diesem Hintergrund ist auch festzustellen, dass sich das Rechtsschutzkonzept im Hinblick auf die im zweiten Kapitel1472 beispielhaft aufgeführten konkret-individuellen Maßnahmen der Kommission im Produktzulassungsrecht mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht verändert hat. Die zentralen und dezentralen Produktzulassungsentscheidungen der Kommission, welche im Wege des Regelungsverfahrens nach dem Komitologiebeschluss 1999  /  468  /  EG getroffen wurden, ergehen nunmehr auf der Grundlage der neuen Komitologieverordnung. Laut der Übergangsbestimmung des Art.  13 Abs.  1 lit.  c Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU findet damit zukünftig das Prüfverfahren auf die im zweiten Kapitel dargestellten Zulassungsentscheidungen Anwendung. Die Änderung der Verfahrensart führt jedoch weder zu einer verbesserten Stellung der von der Zulassungsentscheidung betroffenen Antragsteller im Komitologieprozess noch wurden damit besondere Rechtsschutzmöglichkeiten oder spezielle Verfahrensgrundrechte im Komitologieverfahren geschaffen.1473 Die Komitologieverordnung Nr. 182 / 2011 / EU hat – ebenso wie schon die alten Komitologiebeschlüsse – vielmehr nur die abstrakt-generelle Durchführungsrechtsetzung im Auge und das, obwohl der direkte Vollzug durch die Kommission zunimmt und dabei in erheblichem Maße auf die Rechte Einzelner eingewirkt wird. IV. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Änderungen in Hinblick auf den Rechtsschutz gegen konkret-individuelle Rechtsakte der Unions­ organe lediglich klarstellenden Charakter haben (Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV). Hier ergibt sich zur bisherigen Rechtslage nur insoweit eine Neu1471  D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 101. 1472  Teil 2 F. I. 1473  Siehe dazu auch schon Teil 2 F. II. 1.

278

Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

erung, als nun nicht mehr nur die Adressaten von Entscheidungen, sondern offener formuliert, die Adressaten von Handlungen klagebefugt sind.1474 Eine Erweiterung der Klagebefugnis folgt daraus – wie bereits erörtert – jedoch nicht. Substantielle Änderungen hat hingegen der Rechtsschutz gegen abstraktgenerelle Unionsrechtsakte – also insbesondere gegen delegierte Rechtsakte und abstrakt-generelle Durchführungsrechtsakte – erfahren. Nach Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV können natürliche und juristische Personen nunmehr erleichtert Rechtsschutz gegen abstrakt-generelle Rechtsakte ohne Gesetzes­ charakter erlangen. Auf den Nachweis der individuellen Betroffenheit wird vollständig verzichtet.1475 Diese punktuelle Ausweitung der Direktklagemöglichkeit betrifft hauptsächlich „untergesetzliche“ Verordnungen und Beschlüsse nach Art. 290 und Art. 291 AEUV, sowie alle anderen Rechtsakte ohne Gesetzescharakter.1476 Richtlinien scheiden hingegen grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV aus, weil sie darauf angelegt sind, mitgliedstaatliche Durchführungsmaßnahmen nach sich zu ziehen.1477 Im Umkehrschluss können Gesetzgebungsakte weiterhin nur dann angefochten werden, wenn der Einzelne individuell (im Sinne der Plaumann-Formel1478) und unmittelbar betroffen ist (Art. 263 Abs. 4, 2. Alt. 1474  Siehe Cremer, DÖV 2010, 58 (59 f.); Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162; Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtsschutzsystem der Europäischen Union, 2010, S. 579 ff. zu Art. III-365 Abs. 4 EVV. 1475  Ungeklärt ist noch, ob das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit ohne das Merkmal der individuellen Betroffenheit möglicherweise eine völlig neue Bedeutung erhält, beispielsweise indem die Verletzung subjektiver Rechte verlangt wird, um Popularklagen zu vermeiden; vgl. Görlitz / Kubicki, EuZW 2011, 248 (252); Kottmann, ZaöRV 2010, 547 (563 ff.); Kokott / Dervisopoulos / Henze, EuGRZ 2008, 10 (14); ablehnend EuG, Urt. v. 25.20.2011 – Rs. T-262 / 10, Slg. 2011, II-7697 ff., Rn. 32 – Microban International Ltd und Microban (Europe) Ltd / Kommission: „Aus der Rechtsprechung ergibt sich allerdings, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV damit, dass er einer natürlichen oder juristischen Person das Recht einräumt, gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage zu erheben, das Ziel einer Öffnung der Voraussetzungen für die Erhebung von Klagen verfolgt […]. Der Begriff des unmittelbaren Betroffenseins, wie er in dieser Vorschrift neu eingeführt wurde, kann daher jedenfalls nicht enger ausgelegt werden als der Begriff des unmittelbaren Betroffenseins, wie er in Art. 230 Abs. 4 EG enthalten ist. […].“ 1476  Balthasar, ELR 2010, 542 (543 f.); D. König, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Aufl. (2010), § 2 Rn. 37. 1477  So Reich, EuZW 2011, 379 (382); Balthasar, ELR 2010, 542 (543); Everling, EuR-Beiheft 1, 2009, 71 (74); Kokott / Dervisopoulos / Henze, EuGRZ 2008, 10 (14); offener Frenz / Distelrath, NVwZ 2010, 162 (165). 1478  Siehe dazu Teil 2 F. II. 2. a).



E. Rechtsschutz gegen abgeleitetes Unionsrecht279

AEUV). Folglich bildet die zweite Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV im Wesentlichen den bisherigen Rechtszustand ab. Insofern hat das restriktive Rechtsschutzkonzept des Art. 230 Abs. 4 EG nur im Bereich der untergesetzlichen Rechtsakte zu einer Verbesserung des Individualrechtsschutzes geführt.1479 Da jedoch die ganz überwiegende Mehrheit von Unionsrechtsakten keinen Gesetzescharakter aufweist,1480 ist der Rechtsschutz bereits durch diese enge Deutung des Wortlauts „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ erheblich ausgeweitet worden.1481 Dieses Ergebnis wird auch durch die zweite Leitentscheidung des Gerichts zu Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV in der Rechtssache Microban bestätigt. Die Klage richtete sich gegen einen Kommissionsbeschluss, mit dem die Aufnahme eines Stoffes in die Positivliste der zulässigen Zusatzstoffe für Lebensmittelbedarfsgegenstände abgelehnt worden war.1482 Das Gericht hat in dieser Entscheidung erstmals die Zulässigkeit einer Klage auf der neuen Grundlage des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV bejaht. Unter der Geltung des Gemeinschaftsrechts waren die Klagen gegen die im Sekundärrecht vielfach geregelten Listungsmaßnahmen1483 hingegen stets am Merkmal der individuellen Betroffenheit der Kläger gescheitert, sofern diese nicht geltend 1479  Siehe Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 13 S. 115 f., der einen Vergleich zur Normenkontrolle des § 47 Abs. 1 Nr. 2  VwGO zieht. 1480  Blom-Hansen, Journal of European Public Policy 2011, 607 (610 f.) und Balthasar, ELR 2010, 542 (546) mit Zahlenmaterial; kritisch Thiele, EuR 2010, 30 (45) der zutreffend darauf hinweist, dass die europäische Gerichtsbarkeit allein dann zuständig ist, wenn es um Klagen gegen unwesentliche Regelungen geht, während die Kontrolle der wesentlichen Vorschriften den nationalen Gerichten obliegt, obwohl sie weder am Normerlass beteiligt waren, noch eine Normverwerfungskompetenz für die zu kontrollierende Norm besitzen. 1481  Eine weitere Änderung im Rahmen der Direktklagemöglichkeit ergibt sich aus Art. 263 Abs. 1 AEUV, wonach der Gerichtshof zukünftig auch über die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen und sonstigen Stellen (insbesondere Agenturen) der Union wacht, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten zeitigen. Die Ausweitung der Klagebefugnis ist angesichts der rasant gewachsenen Anzahl von Agenturen und der damit verbundenen stark zugenommenen Verwaltungstätigkeit durch die Agenturen zu begrüßen. Siehe Maria Berger, in: Eilmansberger / Griller / Obwexer (Hrsg.), Rechtsfragen der Implementierung des Vertrags von Lissabon, 2010, S. 343 (349); Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. (2010), § 13 S. 116; Schröder, DÖV 2009, 61 (63). Nach der Neukonzeption des Art. 263 Abs. 1 AEUV können die Agenturen jedoch nicht selbst Klage erheben, sie sind lediglich passiv legitimiert. 1482  EuG, Urt. v. 25.20.2011 – Rs. T-262  / 10, Slg. 2011, II-7697 ff. – Microban International Ltd und Microban (Europe) Ltd  /  Kommission); siehe auch schon Fn. 1460. 1483  Siehe beispielsweise das Listungsverfahren nach Art.  17 Abs. 5 Health Claims-Verordnung Nr. 1924 / 2006 / EG, Teil 2 F. I. 2. und Fn. 972.

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Teil 3: Die „Durchführung“ des Unionsrechts

machen konnten, z. B. aufgrund ihrer Antragstellereigenschaft in besonderer Weise betroffen zu sein.1484 Die Möglichkeit, einen umsetzungsfreien untergesetzlichen Rechtsakt im Wege der Nichtigkeitsklage anzugreifen, könnte zudem das Bewusstsein der Unionsbürger stärken, von der Union im Falle der Verletzung von Grundrechten ernst genommen zu werden. An dieser Stelle darf allerdings nicht übersehen werden, dass ein unionsrechtliches Äquivalent zur Verfassungsbeschwerde oder anderweitige Sonderbestimmungen für den gerichtlichen Rechtsschutz im Falle der Verletzung von Unionsgrundrechten durch die Neuerungen des Vertrags von Lissabon nicht eingeführt wurden.1485 Gleichwohl hat der Vertrag von Lissabon den prozeduralen Grundrechtsschutz der Union durch die Fortentwicklung des bestehenden Klagerechts im Rahmen der Nichtigkeitsklage substantiell verbessert.1486 Nunmehr können natürliche und juristische Personen, sofern sie von grundrechtsrelevanten abstrakt-generellen Handlungen der Unionsorgane unmittelbar betroffen sind und diese Handlungen keine mitgliedstaatlichen Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, zentralen Rechtsschutz auf Unionsebene erlangen. Die Rechtsschutzlücke besteht somit nur noch bei Gesetzgebungsakten, welche die Kläger nicht unmittelbar und individuell betreffen sowie bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen.1487 Bei Letzteren wird der Rechtsschutz regelmäßig auf nationaler Ebene hinreichend effektiv ausgestaltet sein1488 und bei Ersteren besteht – wie bereits dargelegt1489 – keine gesamteuropäische Rechtstradition dahingehend, dass Gesetzgebungsakte mittels einer Individualklage angreifbar sind1490.

1484  Gundel,

EWS 2012, 65 (69). EuR-Beiheft 1, 2012, 7 (19); Munding, Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz im Rechtsschutzsystem der Europäi­ schen Union, 2010, S. 586; Dauses, EuZW 2008, 449. 1486  So auch Dauses, EuZW 2008, 449; anders Thiele, EuR 2010, 30 (45), der von einem missglückten Versuch spricht, den Individualrechtsschutz gegen europäische Normen zu verbessern. 1487  Petzold, EuR 2012, 443 (449). 1488  Ebd. 1489  Teil 3 E. II. 1490  Petzold, EuR 2012, 443 (449). 1485  Kotzur,

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick A. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 hat sich das institutionelle Gleichgewicht von Kommission, Ministerrat und Europäi­schem Parlament im Bereich der europäischen Rechtsetzung grundlegend verändert. Das Unionsrecht unterscheidet nunmehr zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter. Damit ist zum ersten Mal im europäischen Primärrecht eine terminologische Trennung von Legislativ- und Exekutivrechtsakten gefunden worden. Mit diesen beiden Rechtsakttypen hat der Vertrag von Lissabon eine ältere Unterscheidung aufgenommen, die im Gemeinschaftsrecht terminologisch durch die Abgrenzungspaare Sekundär- und Tertiärrecht, vertragsunmittelbares und abgeleitetes Recht, Basisrechtsakte und abgeleitete Rechtsakte und vertragsunmittelbares sowie habilitiertes Recht ausgedrückt worden war.1491 Der Vertrag von Lissabon lässt jedoch die Stringenz, nach der in Zukunft zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter differenziert werden soll, sowohl terminologisch als auch strukturell weniger deutlich zu Tage treten, als dies noch im gescheiterten Verfassungsvertrag der Fall war. So wird die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter nach dem Vertrag von Lissabon nicht in das System der Handlungsformen transformiert.1492 Während mit dem Verfassungsvertrag das „Europäi­sche Gesetz“ (Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 2 EVV) als eigenständige legislative Handlungsform in das Primärrecht eingeführt worden wäre, können nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon „Verordnungen“ auch weiterhin als legislative oder exekutive Rechtsakte erlassen werden. Der Vertrag von Lissabon kennt den Gesetzesbegriff zur Bezeichnung einer unionalen Handlungsform nicht, da sämtliche Reminiszenzen an eine Staatlichkeit der Union nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags der semantischen Abrüstung zum Opfer fielen. Die Differenzierung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter ist von den Verfassern des Lissabonner Reformvertrags – unter Einschluss aller Rechtsfolgen, die mit der Kategorisierung im Verfassungs1491  Sydow,

JZ 2012, 157 (158). Die neue Europäi­sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010,

1492  Calliess,

S. 299.

282

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

vertrag verbunden waren – jedoch beibehalten worden. Bast fragt insofern treffend, wie diese „Quadratur des Kreises“1493 gelingen soll, da die Einführung der Handlungsformen „Gesetz“ (Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 2 EVV) und „Rahmengesetz“ (Art. I-33 Abs. 1 UAbs. 3 EVV) gerade das Ziel hatte, einen bestimmten Teil von Verordnungen und Richtlinien zukünftig als Gesetzgebungsakte zu qualifizieren und sie dadurch von allen anderen Handlungsformen abzugrenzen.1494 Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon kann diese Abgrenzung nunmehr lediglich formal anhand der Bestimmung des Verfahrens vorgenommen werden, welches zur Entstehung des Rechtsakts geführt hat. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch solche Rechtsakte Gesetzgebungsakte darstellen, die in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren (Art. 289 Abs. 2 AEUV) erlassen wurden, in denen ausschließlich der Rat als Gesetzgeber fungiert und das Parlament lediglich anzuhören ist. Demgegenüber ist der formelle Gesetzesbegriff im nationalen Verfassungsrecht untrennbar mit der Zuordnung zu einem parlamentarischen Erlassverfahren verbunden.1495 Aus diesem Grund hätte sich ein hierarchischer Vorrang von Gesetzgebungsakten, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden, gegenüber jenen Rechtsakten, die im besonderen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, im normenhierarchischen Aufbau des Sekundärrechts angeboten. Ein derartiges normenhierarchisches Verhältnis wurde von den Schöpfern des Vertrags von Lissabon aber weder explizit noch implizit in das Unionsrecht eingeführt.1496 Darüber hinaus ist es mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auch nicht gelungen, für die Rechtsakte ohne Gesetzescharakter eine dritte Hierarchieebene – für die teilweise die Begrifflichkeit des „Tertiärrechts“ gebraucht wird – im Unionsrecht zu etablieren, da die Rechtsakte ohne Gesetzescharakter den sekundärrechtlichen Gesetzgebungsakten nicht generell hierarchisch nachrangig sind.1497 Sie sind lediglich in ihrer Geltung von der Existenz des Sekundärrechtsakts und von der Beachtung der dort niedergelegten Erlassbedingungen abhängig.1498 Zur Beschreibung der Rechtsakte ohne Gesetzescharakter sollte daher nicht der Begriff des „Tertiärrechts“ verwendet werden, da er fälschlicherweise ein absolutes Stufenverhältnis, wie es zwischen Primär- und Sekundärrecht existiert, suggeriert.1499 Es be1493  Bast, in: v. Bogdandy  / Bast (Hrsg.), Europäi­sches Verfassungsrecht, 2. Aufl. (2009), S. 489 (547). 1494  Ebd. 1495  Ebd., S. 489 (536). 1496  Siehe Teil 3 D. II. 1497  Siehe Teil 1 D. II. und Teil 3 D. II. 1498  Sydow, JZ 2012, 157 (158). 1499  Ebd.



A. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse283

stehen vielmehr innerhalb des Sekundärrechts – wie auch schon unter der Ägide des Gemeinschaftsrechts – gewisse Abstufungen,1500 denen aber keine hierarchische Qualität zukommt.1501 Allerdings treten diese Abstufungen mit der Zweiteilung der bisherigen Durchführungsrechtsakte i. w. S. in delegierte Rechtsakte einerseits und Durchführungsrechtsakte i. e. S. andererseits nunmehr deutlicher zu Tage.1502 Mit dieser konzeptionellen Unterscheidung der vormals unter dem gemeinsamen Dach der Art. 202, 3. Sp. und 211, 4. Sp. EG existierenden Rechtsakte ohne Gesetzescharakter hat das unionsrechtliche System der exekutiven Normsetzung der Kommission eine völlig neue Struktur erhalten. Art. 290 AEUV eröffnet Rat und Parlament die Möglichkeit, der Kommission in einem Gesetzgebungsakt die Befugnis zur Ergänzung oder Änderung der nicht wesentlichen Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsakts einzuräumen. Damit ist Art. 290 AEUV im bisherigen Gemeinschaftsrecht ohne Vorbild. Zudem normiert er zum ersten Mal im primären Unionsrecht die Bedingungen und Modalitäten, welche die Kommission beim Erlass des delegierten Rechtsakts beachten muss, und benennt die Instrumente, mit deren Hilfe Rat und Parlament die delegierte Rechtsetzung kontrollieren können. Auf diese Weise nehmen die beiden Unionsorgane steuernden Einfluss auf die delegierte Rechtsetzungstätigkeit der Kommission, der dadurch eine mittelbare demokratische Legitimation zu Gute kommt. Die von vielen kritisierte Abtretung breiter Entscheidungsmacht an die Komitologieausschüsse findet – jedenfalls bei den delegierten Rechtsakten – mit dem neuen System somit ein Ende. Nunmehr bleibt die endgültige Entscheidungsmacht und Verantwortung über die delegierte Rechtsetzungstätigkeit gleichberechtigt bei Rat und Parlament.1503 Dies stellt einen erheblichen demokratischen Fortschritt dar, schließlich erfolgt allein durch das Europäi­ sche Parlament die unmittelbare Vertretung der Unionsbürger (Art. 10 Abs. 2  EUV).1504 Die neu gewonnenen Befugnisse verpflichten das Europäi­sche Parlament aber auch, die Kontrolle über die Kommission effektiv auszuüben. Ansonsten würde sich ein „Vorhaben, das ursprünglich die Stellung des Parlaments stärken sollte, […] aller Voraussicht nach zugunsten der Kommission aus[wirken], weil man annehmen muss, dass die Kontrolle ohne die enge Begleitung durch die fachkundigen Ausschüsse weniger intensiv ausfallen wird“1505. 1500  Schütz / Bruha / D.

König, Casebook Europarecht, 2004, S. 63. auch Möstl, DVBl. 2011, 1076 (1077) m. w. N. 1502  Siehe zu dieser Zweiteilung Teil 1 D. IV. 1. und Teil 3 B. I. 1503  Siehe Teil 3 A. II. 1. 1504  Sydow, JZ 2012, 157 (163). 1505  Gundel, EWS 2011, 25 (32). 1501  So

284

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

Allerdings ist noch völlig unklar, in welchem Ausmaß Parlament und Rat tatsächlich in der Lage sein werden, die bisher von den Expertenausschüssen geleistete Kontrolle der Kommission zu übernehmen.1506 So dienten die Stellungnahmen der Komitologieausschüsse häufig als Alarmglocke, die vor allem bei politisch brisanten Durchführungsmaßnahmen zu läuten begann. Derartige Warnsignale bleiben infolge der Abschaffung des Ausschusswesens im Bereich der delegierten Rechtsakte in Zukunft aus. Umso wichtiger ist es, das sich vor allem innerhalb des Europäi­schen Parlaments, d. h. in den Ausschüssen, ein funktionierendes Frühwarnsystem etabliert.1507 Das Parlament hat seine internen Organisationsregeln bereits an die neue Rechtslage angepasst und für den Umgang mit delegierten Rechtsakten eine neue Verfahrensvorschrift erlassen, den Art.  87a der Geschäftsordnung des Europäi­schen Parlaments1508, welcher das Verfahren zur Kontrolle dieser Rechtsakte im Parlament festlegt. Allerdings beschränkt sich diese Vorschrift darauf, dem jeweils zuständigen Ausschuss die Aufgabe der Überprüfung des Kommissionsentwurfs zuzuweisen und verweist im Übrigen auf die für Durchführungsmaßnahmen geltende Regelung des Art. 88 der Geschäftsordnung des Europäi­schen Parlaments.1509 Zudem sind auch die parlamentarischen Ausschüsse auf Informationen der Kommission aus dem Bereich der delegierten Rechtsakte angewiesen, ohne diese ist es schier unmöglich, das Parlament zu einem delegierten Rechtsakt inhaltlich zu beraten.1510 Darüber hinaus treffen sich die parlamentarischen Ausschüsse in der Regel lediglich ein- bis zweimal im Monat.1511 Die Ausschüsse sind daher aufgrund ihrer aktuellen Organisationsstruktur nicht in der Lage, die nötige Kontrolle ef1506  Türk, in: Biondi  /  Eeckhout  /  Ripley (Hrsg.), EU Law after Lisbon, 2012, S. 62 (75); Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 18; Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 49. Laut Solle, StoffR 2011, 256 (257) ist die fachliche Kontrolle durch das Votum des Komitologieausschusses zulasten der politischen Kontrolle durch Rat und Parlament weggefallen. 1507  So auch Sydow, JZ 2012, 157 (164). 1508  Geschäftsordnung des Europäi­schen Parlaments i. d. F. von Juli 2013. 1509  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 148. 1510  Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 262. Der Rat steht vor ähn­ lichen Herausforderungen. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass zukünftig der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER) im Bereich der delegierten Rechtsakte an die Stelle der Komitologieausschüsse treten und somit dem Rat die notwendigen Informationen zu Rechtsetzungsvorhaben der Kommission bereitstellen wird, so auch Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S. 149 f., Craig, The Lisbon Treaty, 2. Aufl. (2013), S. 75 und Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (118). 1511  Auskunft auf der Homepage des Europäi­ schen Parlaments http: /  / www.euro parl.europa.eu / committees / de / meetings-search.html.



A. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse285

fektiv auszuüben.1512 Insofern mag es auch nicht verwundern, dass sich das Europäi­sche Parlament „für eine frühzeitige und kontinuierliche Übermittlung von Informationen und einschlägigen Dokumenten, einschließlich aufeinanderfolgender Entwürfe delegierter Rechtsakte und aller diesbezüglich erhaltenen Beiträge, an die zuständigen Ausschüsse des Parlaments“1513 ausspricht. Es ist daher zu begrüßen, dass die Kommission beabsichtigt, ein „early warning system“ einzurichten, „damit das Europäi­sche Parlament und der Rat die Ausübung ihrer Vorrechte nach Erlass delegierter Rechtsakte besser planen können […]. Bei heiklen Themen wird die Kommission außerdem dafür Sorge tragen, dass das Europäi­sche Parlament und der Rat zusätzliche Informationen über die delegierten Rechtsakte erhalten, die sie zu erlassen beabsichtigt.“1514 Gleichwohl müssen schnellstmöglich verbindliche Regelungen geschaffen werden, welche den Ablauf der delegierten Rechtsetzung der Kommission und der anschließenden Kontrolle dieser Rechtsakte durch den Unionsgesetzgeber festlegen. Der Erfolg der Einführung der neuen Kategorie der delegierten Rechtsakte steht und fällt mit der wirksamen Ausgestaltung der Kontrollrechte der delegierten Rechtsakte. Eine verbindliche institutionelle Vereinbarung zwischen Parlament, Rat und Kommission steht dazu jedoch noch aus.1515 Bei der Ausarbeitung einer derartigen Vereinbarung müssen die Unionsorgane zudem im Blick behalten, dass sich die Kontrolle der delegierten Rechtsakte nur dann als sinnvoll erweist, wenn sie nicht ebenso aufwendig ist wie ein Gesetzgebungsverfahren, da der Sinn und Zweck der Übertragung der delegierten Befugnisse gerade darin besteht, die Kapazitäten des Gesetzgebers zu schonen.1516 Es bleibt somit zu hoffen, dass Rat und Parlament bei der Ausübung der Kontrollbefugnisse nicht an ihre funktionellen Grenzen stoßen und alsbald eine institutionelle Vereinbarung, die die Beteiligungsrechte des Parlaments und des Rats in verbindlicher und eindeutiger Weise regelt, ausgearbeitet wird. Anders als bei der delegierten Rechtsetzungstätigkeit fällt die Kontrolle der Durchführungsrechtsakte der Kommission weiterhin in den Aufgabenbereich der Komitologieausschüsse. Das Komitologieregime hat jedoch mit 1512  Haselmann, Delegation und Durchführung gemäß Art. 290 und 291 AEUV, 2012, S.  147 f. 1513  Entschließung des Europäi­ schen Parlaments v. 05.05.2010 zur legislativen Befugnisübertragung [2010 / 2021(INI)], ABlEU C 81 E / 02 v. 15.03.2011, S. 6, Ziffer 11. 1514  Mitteilung der Kommission an das Europäi­ sche Parlament und den Rat zur Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union, KOM 2009 (673) endg., S. 7. 1515  Siehe Teil 3 B. IV. 1516  Härtel, Handbuch Europäi­sche Rechtsetzung, 2006, § 11 Rn. 105.

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Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

der von Rat und Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren auf der Grundlage von Art. 291 Abs. 3 AEUV erlassenen Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU eine neue Struktur erfahren.1517 Nach dieser Verordnung obliegt die Kontrolle der Durchführungsrechtsakte nunmehr ausschließlich den Mitgliedstaaten. Das ist auch konsequent, schließlich stellt die Durchführungsrechtsetzung der Kommission nach Art. 291 Abs. 2 AEUV eine Ausnahme von der Regelzuständigkeit der Mitgliedstaaten nach Art. 291 Abs. 1 AEUV dar. Diese neue Struktur wird jedoch Auswirkung auf die Verhandlungen in den Komitologieausschüssen haben. Insbesondere der Ausschluss des Rats und der gestiegene Einfluss der Mitgliedstaaten in der Komitologie könnten die jahrzehntelang etablierten Verhandlungsstrukturen in den einzelnen Ausschüssen aufbrechen.1518 Denn unter der Geltung der alten Komitologiebeschlüsse fiel die Entscheidungskompetenz über eine Durchführungsmaßnahme wieder an den Rat zurück, wenn der Ausschuss eine negative Stellungnahme abgegeben hatte. Diese Drohkulisse rief sowohl bei den Ausschussvertretern der Mitgliedstaaten als auch bei der Kommission die Motivation hervor, eine Einigung herbeizuführen, da sie andernfalls ihren Einfluss auf das Verhandlungsergebnis verloren hätten.1519 Ob sich eine derartige Konsensorientierung zukünftig auch im neu eingeführten Berufungsausschuss entwickeln wird, bleibt daher abzuwarten.

B. Schlussbemerkung und Ausblick Ohne Zweifel haben die genannten Veränderungen die gewaltenteilige Rechtsetzung und die Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gestärkt sowie eine neue horizontale Kompetenzverteilung zwischen den Organen der Union hervorgerufen.1520 Die Unterscheidung zwischen Durchführungsrecht und delegiertem Recht im Primärrecht, der in Art. 290 AEUV normierte Gesetzesvorbehalt und das nunmehr bei der Übertragung delegierter Befugnisse explizit geregelte Bestimmtheitsgebot sind die bedeutendsten Beispiele für die institutionellen Veränderungen. Eine wichtige Errungenschaft des Vertrags von Lissabon stellt ferner die Lockerung der Anforderungen der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen bei einem Rechtsschutzgesuch gegen abstrakt-generelle Unionsrechtsakte dar.1521 Mit 1517  Siehe zur Ausgestaltung der Komitologie im Gemeinschaftsrecht Teil 2 C. und zu den Neuerungen durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU Teil  3  B.  V. 1518  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (392). 1519  Siehe Teil 2 D. 1520  Driessen, ELR 2010, 837 (843). 1521  Siehe Teil 3 E. II.



B. Schlussbemerkung und Ausblick287

dem Vertrag von Lissabon hat die Regelung über die Individualnichtigkeitsklage gegen abgeleitetes Gemeinschafts- bzw. nunmehr Unionsrecht zum ersten Mal seit dem Inkrafttreten des EWG-Vertrags im Jahr 1958 einen primärrechtlichen Neuanstrich erfahren. Nunmehr können natürliche und juristische Personen Rechtsschutz gegen delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte der Kommission erlangen, ohne individuell betroffen zu sein, solange diese Rechtsakte keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. Mit dieser Modifikation des Art. 263 Abs. 4, 3. Alt. AEUV wurde der lang anhaltenden und weit verbreiteten Kritik, wonach der alte Art. 230 Abs. 4 EG den Individualrechtsschutz zu eng fasse und der EuGH die Regelung zu restriktiv verstehe, Rechnung getragen. Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes auf Unionsebene letztendlich auch mit dem geplanten Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 47 GRCh (Recht auf einen wirksamen Rechts­ behelf) einen noch höheren Stellenwert erfahren hat als vor der Vertrags­ reform.1522 Dieser Befund ist angesichts der sich stetig ausweitenden Kompetenzen der Union und der damit einhergehenden, zunehmenden Betroffenheit der Unionsbürger durch die Handlungen der Union folgerichtig. Freilich wirft der Art. 263 Abs. 4 AEUV schwierige Auslegungsfragen auf; die Neuregelung verbessert jedoch das Rechtsschutzsystem der Union – wenigstens punk­ tuell1523 – und beseitigt eine lang kritisierte Rechtsschutzlücke. Positiv hervorzuheben ist überdies die kategoriale Unterscheidung zwischen Durchführungsrecht und delegiertem Recht, auch wenn die Abgrenzung der Geltungsbereiche beider Vorschriften zwischen den Unionsorganen umstritten ist, institutionelle Konflikte daher nicht ausgeschlossen werden können und möglicherweise der Gerichtshof mit dieser Abgrenzungsfrage in nicht allzu ferner Zukunft befasst sein wird.1524 Die konzeptionelle Unterscheidung hat es jedoch ermöglicht, das Regelungsverfahren mit Kontrolle aus dem Komitologieregime herauszulösen. Dieses Verfahren blieb bis zuletzt ein Fremdkörper im System der Komitologie, da es nicht – wie die anderen Verfahrensarten – primär als Bindeglied zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission fungierte, sondern hauptsächlich die seit langem geforderte Mitwirkung des Parlaments an der exekutiven Rechtsetzung durchsetzen sollte.1525 Mit der Einführung der delegierten Rechtsakte wurde ein Gegenpol zum Komitologieregime geschaffen. Der gebotenen Parla1522  Pötters / Werkmeister / Traut,

EuR 2012, 546 (548). zum nicht reformierten Rechtsschutz gegen konkret-individuelle Durchführungsmaßnahmen Teil 3 E. III. 1524  Siehe zur Abgrenzungsproblematik Teil 3 C. 1525  Sydow, JZ 2012, 157 (164 f.). 1523  Siehe

288

Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

mentsbeteiligung bei der Kontrolle der (quasi‑)legislativen Kommissionsmaßnahmen muss nun nicht mehr systemfremd innerhalb der Komitologie Rechnung getragen werden, sie kommt vielmehr im Rahmen einer eigenen Kategorie von Rechtsakten zum Einsatz. Zugleich wird sich jedoch das Fehlen der Kontroll- und Koordinierungstätigkeit der Komitologieausschüsse im Rahmen der delegierten Rechtsetzung in Hinblick auf die fehlende Beteiligung nationaler Sachverständiger beim Erlass des delegierten Rechts als nachteilig erweisen, zumal sich der Bedarf an Expertenwissen durch diesen Regimewechsel nicht verringert haben dürfte. Die Kommission mag zwar delegierte Rechtsakte ohne die Einbeziehung von Experten schneller erlassen können, die Kehrseite der Medaille liegt aber in der geringeren Sachgerechtigkeit der Regelung.1526 Daher ist die Bereitschaft der Kommission, auf freiwilliger Basis nationale Experten in den Rechtsetzungsprozess einzubeziehen, zu begrüßen.1527 Dies würde die Qualität der Kommissionsmaßnahme steigern.1528 Allerdings sollte die Einbeziehung der nationalen Experten in einer institutionellen Vereinbarung verbindlich zwischen Parlament, Rat und Kommission geregelt werden,1529 da die Experten die delegierten Rechtsetzungsbefugnisse der Kommission mitgestalten und somit in den Rechtsetzungsprozess „eingreifen“ würden. Insofern müsste die institutionelle Vereinbarung ebenfalls die Transparenzregelungen des Komitologiesystems und die demokratische Rückbindung der nationalen Experten an die mitgliedstaatlichen Parlamente beachten.1530 1526  Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (390); Wolfram, „Underground Law“?, Centrum für Europäi­sche Politik, 2009, S. 18; Vos, in: Liber Amicorum Alfred E. Kellermann, 2004, S. 111 (128 f.). 1527  Siehe Teil 3 B. III. 1528  Siehe als Beispiel für die Notwendigkeit der Beteiligung mitgliedstaatlicher Experten den 12. Erwägungsgrund VO Nr. 438 / 2010 / EU des Europäi­schen Parlaments und des Rates v. 19.05.2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 998 / 2003 über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu anderen als Handelszwecken, ABlEU L 132 v. 29.05.2010, S. 3: „Der Kommission sollte die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi­schen Union delegierte Rechtsakte in Bezug auf präventive Gesundheitsmaßnahmen hinsichtlich anderer Krankheiten als Tollwut und in Bezug auf Änderungen der technischen Anforderungen bezüglich der Identifizierung von Tieren und der Tollwutimpfung gemäß den Anhängen, die gemäß dieser Verordnung in die Verordnung (EG) Nr. 998 / 2003 eingefügt wurden, zu erlassen. Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass die Kommission bei ihren vorbereitenden Arbeiten angemessene Konsultationen – auch auf der Expertenebene – durchführt“. 1529  So auch Héritier / Moury / Bischoff u. a., Changing Rules of Delegation, 2013, S. 131 f., die der Meinung sind, dass sich ein „modified comitology or advisory group system“ im Anwendungsbereich von Art. 290 AEUV etablieren wird, „but this time including the Parliament“. 1530  So auch Pilniok / Westermann, VerwArch 2012, 379 (397).



B. Schlussbemerkung und Ausblick289

Während für den Bereich der Durchführungsrechtsakte mithilfe der Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU die Verfahrensbestimmungen im Großen und Ganzen überzeugend ausgearbeitet wurden,1531 steht eine institutionelle Vereinbarung, die die Kontrollrechte von Parlament und Rat sowie die informelle Beteiligung von nationalen Experten in verbindlicher und eindeutiger Weise regeln müsste, im Bereich der delegierten Rechtsetzung noch aus. Trotz der genannten Defizite wird das neue System – anders als in der Vergangenheit – nun wohl eine Zeit lang Bestand haben, da das Europäische Parlament bei der delegierten Rechtsetzung eine (fast) gleichberechtigte Stellung neben dem Rat eingenommen hat und es somit kein Bedürfnis mehr sehen dürfte, grundlegende Reformen anzustreben. Jetzt geht es vielmehr darum, die Feinheiten der neuen Kategorie der delegierten Rechtsakte auszugestalten und zu verbessern. Erst dann wäre der bisherige Bereich der Komitologie umfassend reformiert und der „Europäi­sche DaVinci-Code“1532 vollständig entschlüsselt.

1531  Siehe Schlacke, JÖR 2013, 293 (323 f.), die dem Ausschusswesen nunmehr eine hinreichende demokratische Legitimation zuspricht. Siehe zur Kritik Teil 3 B. V. 2. 1532  Zitat des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel bei der Abschlusspressekonferenz zum Europäi­schen Rat im Juni 2006, vgl. Fn. 1.

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1533

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Sachverzeichnis Agenturen  149 ff., 169 f., 177 f., 182, 192 f., 203, 247 ff. – Exekutivagenturen  150 – Regulierungsagenturen  149, 151 ff., 192, 248 Agenturgutachten  148, 152 f., 169 f., 178, 181 f., 192 f., 249 f. Aliud-Verhältnis  253 ff. Altrechtsakte  250 ff. Anhörungsrecht  179 ff. (siehe auch rechtliches Gehör) Anhörungsverfahren  103 Arzneimittel-Agentur  169, 182 Arzneimittelrecht  163 ff. Ausschusswesen  18, 119 ff., 123 ff., 156, 246 f., 284 (siehe auch Komitologie) Basisrechtsakt − Begriff  17 f., 20, 35 Bedürfnisklausel  217 f. Beratungsverfahren  126, 129, 157 f., 234, 239 Berufungsausschuss  234, 236 ff., 241, 286 Bestimmtheitsgebot  89, 286 Bestimmtheitstrias  49, 205 BSE  146 ff. – Krise  18, 125, 129, 148 ff., 167 f. – Untersuchungsausschuss  125 Bundesverfassungsgericht  218 – Wesentlichkeitsrechtsprechung  72 f., 77 ff. Call-back-Recht  132 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)  81 ff.

Common Understanding  231 Contre-filet-Verfahren  118, 122 Delegation − Begriff  39 ff., 226 ff. delegierte Europäische Verordnung, Art. I-36 EVV  76, 100 f., 106 delegierte Rechtsakte, Art. 290 AEUV  202 ff. – Abgrenzung zu den Durchführungsrechtsakten, Art. 291 AEUV  253 ff. Demokratieprinzip  80, 200 Durchführung − Begriff  48 ff., 224 ff. Durchführungsmodell  24, 27, 30 – uniformes ~  99 ff., 202 – zweigliedriges ~  24, 99 ff., 202, 225 Durchführungsrechtsakte, Art. I-37 EVV  100, 106, 132 f. Durchführungsrechtsakte, Art. 291 AEUV  214 ff. Durchführungsrechtsakte i. e. S.  23, 101, 225, 253, 283 Durchführungsrechtsakte i. w. S.  23, 101, 196 f., 225, 253, 283 EFSA  148 f., 152, 165, 171 f., 174, 176 Einheitliche Europäische Akte  32, 36 Einspruchsrecht  206, 208 f., 211, 231 Erforderlichkeitsklausel  218 EU-Haushalt  148 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)  84, 183 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  84 Europäischer Konvent  217, 226 (siehe auch Verfassungskonvent) Europäisches Gesetz  99, 103, 197, 261, 282

Sachverzeichnis315 Europäisches Rahmengesetz  95, 100, 208, 211, 281, 305 Ex-ante-Kontrolle  259 Exekutivagenturen  150 exekutive Rechtsetzung  26, 49, 51, 99 f., 194, 202, 287 Ex-post-Kontrolle  206, 259 Filet-Verfahren  118, 122, 127 Freisetzungs-Richtlinie  165 f., 168 f., 173, 191 gemeinsame Agrarpolitik  59 ff., 67 ff., 76, 105, 115 ff., 129, 235 Gen-Moratorium  18, 174 Gentechnikrecht  127, 177, 135, 163 Geschäftsordnung  111, 119, 241, 284 Gesetzesvorbehalt  32, 86 (siehe auch Vorbehalt des Gesetzes) Gesetzgebungsverfahren  18, 64, 99, 102 ff., 123, 132, 157 ff., 198 ff., 204, ff., 207, 214, 221, 223, 242 f., 260, 262 f., 267, 282, 285 f. – besonderes ~  102 f., 198 f., 210 f., 214, 262 f., 267, 282, 286 – ordentliches ~  99, 102 ff., 132, 159, 198 f., 214, 221 ff., 242 f., 255, 262, 282, 286 Gewaltenteilung  18, 254, 267 Handlungsformen  28, 93, 95, 98 f., 103, 194 f., 197 f., 200 f., 261, 276 f., 281 f. Haushaltsmittel  123, 145 Health Claims-Verordnung  162, 170, 174 f., 176, 189 Hierarchie  22, 27, 91 ff., 96 f., 99, 101, 103, 105 ff., 226, 261 ff., 266 f., 282 (siehe auch Normenhierarchie, Primärrecht, Sekundärrecht und Tertiärrecht Humanarzneimittel-Richtlinie  165, 168, 191

interinstitutionelle Vereinbarung  211, 229, 231 f., 249, 261 Komitologie – Bedeutung  141 ff. – Begriff  109 ff. – Entstehung  109 ff. – Funktion  107 ff. – Verfahren  115 ff., 233 ff. Komitologiebeschluss  87 / 373 / EWG  119 ff. Komitologiebeschluss  1999 / 468 / EG  125 ff. Komitologiebeschluss  2006 / 512 / EG  132 ff. Komitologieplaner  246 Komitologieregister  245 Komitologieverfahren – Beratungsverfahren  126, 129, 157 f., 234, 239 – Regelungsverfahren  64, 75, 113, 115, 126, 128 f., 131, 135 f., 156 f., 167, 169, 172, 176 f., 234 f., 237, 256, 277 – Regelungsverfahren mit Kontrolle  134, 136, 138  f., 142, 156 f., 160, 214, 224, 234, 237, 250 ff., 256, 287 – Verwaltungsverfahren  114, 129, 163, 179 ff., 190, 194, 237 Komitologieverordnung Nr.  182 / 2011 / EU  233 ff. – Beratungsverfahren  234, 239 – Berufungsausschuss  234, 236 ff., 241, 286 – Prüfverfahren  158, 234 ff., 239 f., 241 f., 277 Legitimation, demokratische  79, 87 f., 199, 224, 243, 248, 267, 269, 283 Lex-posterior-Grundsatz  96 Lex-specialis-Grundsatz  96 f. Meroni-Urteile  40, 42, 52 ff., 65, 151, 178

316 Sachverzeichnis Mitentscheidungsverfahren  45 ff., 102, 110, 123, 128, 130 f., 134 f., 141, 243, 275 Modus vivendi  123 ff., 130 Nichtigkeitsklage  75, 122, 185, 189 ff., 192, 194, 268, 270, 274, 280, 287 Normenhierarchie  22, 27, 91, 97 ff., 101, 103, 105 ff., 197, 261 f., 266, 282 Normenkollisionen  96 ff. Novel-Food-Verordnung  113, 162, 172 ff., 184 Omnibus-Verfahren  251 Organtreue  211 Parlamentsvorbehalt  49, 79, 82 f., 85 Plaumann-Formel  188, 278 Positivliste  64, 75, 115, 279 Primärrecht  91 ff. Produktzulassungsrecht  153, 163, 170, 176, 178, 184, 190, 277 Produktzulassungsverfahren  90, 163, 181 f., 189 f., 192 – dezentrale ~  165 ff. – zentrale ~  169 ff. Prüfverfahren  158, 234 ff., 239 f., 241 f., 277 rechtliches Gehör  179 ff. Rechtsakte – abstrakt-generelle ~  49 ff. – konkret-individuelle ~  89 ff., 161 ff. Rechtsakte mit Verordnungscharakter  271 ff., 279 Rechtsschutz  183 ff., 268 ff. – dezentraler ~  187, 190, 271 – zentraler ~  190, 271, 280 Rechtsschutzlücke  195, 268, 270, 273, 280, 287 Regeldelegation  35 f., 122 Regelungsverfahren  64, 75, 113, 115, 126, 128 f., 131, 135 f., 156 f., 167, 169, 172, 176 f., 234 f., 237, 256, 277

Regelungsverfahren mit Kontrolle  134, 136, 138 f., 142, 156 f., 160, 214, 224, 234, 237, 250 ff., 256, 287 Regulierungsagenturen  149, 151 ff., 192, 248 Risikobewertung  148 f., 152 f., 177, 248 f. Risikomanagement  148 f., 152 Risikoregulierung  149, 162 Sekundärrecht  91 ff., 261 ff., 282 f. Selbstermächtigung des Rats  69 ff., 203 Self-executing-Rechtsakte  270, 273 Sperrminorität  173, 236 f. Spezialitätsverhältnis  253 Subdelegation  203, 222, 248 Subsidiaritätsprinzip  27, 159 ff. Tertiärrecht  21 f., 24, 34, 92 ff., 261, 263, 266, 281 f. Transparenz  129 f., 153 ff., 229 f., 232, 244 ff., 288 Ultra-vires-Kontrolle  131, 137 Umweltrecht  94, 127 Verfassungskonvent  226, 271 Verhältnismäßigkeit  137, 160, 252 Verwaltungsverfahren  114, 129, 163, 179 ff., 190, 194, 237 Verwerfungsmonopol  206 Vetorecht  132, 137, 157 Vorabentscheidungsverfahren  191 Vorbehalt des Gesetzes  81 ff., 86 ff., 200, 286 – formeller Gesetzesbegriff  44, 82 ff., 202 f., 282 – materieller Gesetzesbegriff  44, 83, 202 Wesentlichkeitstheorie  49, 60, 63, 77 ff., 89 Widerrufsrecht  206, 231

SUMMARY The transfer of legislative power is not only a well-known phenomenon in the EU Member States; it is also often, an employed instrument on the European level, especially in certain areas of Community policy, which require numerous regulations, often passed quickly to cope with changing market circumstances. Since the 1960’s, the Council, through a ‘parent’ regulation, has authorized the Commission to enact more specific regulations within a particular policy area. This type of power transfer was governed by Article 202 EC. However, the Commission did not possess carte blanche power to legislate in this manner. The Council made the adoption of implementing acts subject to institutional constraints, in the form of committees through which the interests of member states could be represented. This system came to be known as Comitology. The Lisbon Treaty now introduces two different kinds of power transfer: Article 290 TFEU provides for the possibility to delegate legislative power to the Commission, whereas Article 291 TFEU deals with the implementation of executive and respectively administrative acts. The system of delegated acts does not foresee any Comitology committees – they have been abolished and replaced by the legislators’ extended powers of veto and revocation. The continuance of Comitology is solely envisaged in Article 291 TFEU. Therefore, the post Lisbon world now requires distinguishing between delegated and implementing acts, since very different control mechanisms apply to each type of act. This study analyses the purpose and the background of delegating and implementing acts. It further examines the possibilities of legal protection in the EU against new types of delegated and implementing acts.

RÉSUMÉ Le transfert du pouvoir législatif n’est pas seulement un phénomène bien connu au sein des pays membres de l’Union Européenne. C’est également un instrument fréquemment employé au niveau européen, particulièrement dans certains domaines de la politique communautaire, qui nécessite de nombreuses régulations devant être rapidement entérinées afin de s’adapter aux évolutions constantes du marché. Le Conseil européen, par une régulation « parente », a délégué à la Commission depuis les années 1960 la promulgation des régulations plus spécifiques à des domaines politiques particuliers par un acte de base. Ce type de transfert de pouvoir a été acté par l’Article 202 CE. Cependant, le Conseil n’a pas consenti à donner à la Commission carte blanche pour légiférer tel quel. L’adoption des actes d’exécution était sujette aux contraintes institutionnelles sous la forme de comités dans lesquels les intérêts de chaque Etat-membre étaient représentés. Ce système a pris le nom de « comitologie ». Le Traité de Lisbonne introduit aujourd’hui deux différentes sortes de délégation de pouvoir: l’Article 290 TFUE offre la possibilité de déléguer un pouvoir législatif à la Commission, tandis que l’Article 291 TFUE traite de la mise en œuvre des actes respectivement d’exécution et d’administration. Ce système de délégation d’actes ne prévoit aucun comité de comitologie: ils ont en effet été dissous au profit de pouvoirs plus étendus des législateurs sous la forme des droits de véto et de révocation. La continuation de la Comitologie est uniquement envisagée dans l’Article 291 TFUE. Ainsi, le monde post-Lisbonne propose maintenant une distinction entre les actes délégués et les actes d’exécution, puisque des mécanismes de contrôle très différents s’appliquent à chaque type d’acte. Cette thèse analyse le but et le contexte des actes délégués aussi bien que ceux des actes d’exécution. Par ailleurs, elle examine les possibilités de protection légale au sein de l’Union européenne contre les nouveaux types d’actes délégués et d’exécution.