Hitlers Staatsfinanzen: Der Reichsrechnungshof 1933 bis 1945 9783534402915, 9783534402939, 9783534402922

Die zeitgeschichtliche Studie über Hitlers Staatsfinanzen befasst sich mit der bisher kaum beachteten Frage, welche Roll

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Hitlers Staatsfinanzen: Der Reichsrechnungshof 1933 bis 1945
 9783534402915, 9783534402939, 9783534402922

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
1. Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik
1.1 Der RRH besitzt das Kontrollmonopol
1.2 Präsident Saemisch will allein „regieren“
1.3 Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH
1.4 Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr
1.5 Der Verlust der Reichsbahnprüfung
2. Der RRH nach der Machtergreifung Hitlers in der Amtszeit seines Präsidenten Saemisch (1933–1938)
2.1 Das Jahr 1933 wird für den RRH zum Schlüsseljahr
2.2 Der RRH verliert seinen wichtigsten Ansprechpartner
2.3 Hitler: „Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs bleibt unangetastet“
2.4 Bormann: „Der Führer würde diese Prüfungen nicht zulassen“
2.5 Kabinettsbeschluss: „Die Rechnungsprüfung bei der Wehrmacht soll getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen“
2.6 Präsident Saemisch soll als Aufsichtsratsvorsitzender der Revisionsgesellschaft Treuarbeit abgelöst werden
2.7 Saemisch: „Das Gesetz muss autoritär eingeführt werden“
2.8 Reichsschatzmeister Schwarz: „Künftig werden sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt“
2.9 „Bisher ist noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten“
2.10 Der RRH wird zum „Veilchen im Verborgenen“ und „Asyl für politisch untragbare Beamte“
2.11 Bormann: „Künftig sollen nach Möglichkeit auch verdiente Nationalsozialisten in die maßgeblichen Stellen des Rechnungshofs gelangen“
2.12 Die SS-Führung bedankt sich bei Präsident Saemisch für sein „tiefes Verständnis“ und die „väterliche Betreuung“
2.13 Präsident Saemisch pflegt besondere Beziehungen zur Wehrmacht und eine Männerfreundschaft mit Johannes Popitz
2.14 Der RRH gerät ins Visier seiner Gegner
2.15 Hitler zum Reichsschatzmeister der NSDAP: „Für die Partei sind Sie der oberste Rechnungshof“
2.16 Der Postminister Ohnesorge will den RRH abschaffen
2.17 Das Büro des Reichssparkommissars wird zur Gutachterabteilung des RRH umfunktioniert
2.18 RRH: „In den Gefangenenlagern der SA muss auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft der Gefangenen Bedacht genommen werden“
2.19 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums trifft auch einen höheren Beamten des RRH
2.20 Präsident Saemisch kämpft um das Ernennungsrecht
2.21 Die Landesrechnungshöfe werden Außenabteilungen des RRH
2.22 „Freudig erregt begrüßt der Österreichische Rechnungshof den Deutschen Rechnungshof“
2.23 Für Präsident Saemisch wird die Amtszeit verlängert
2.24 Der Nachfolger des Präsidenten soll den RRH „völlig umkrempeln“
2.25 Hitler entscheidet sich für Heinrich Müller
2.26 Präsident Saemisch geht im Groll
2.27 Kurt Heinig: Im Rechnungshof hat sich „dauerhaft ein beachtlicher Widerstand gegen das Regime gehalten“
3. Der RRH in der Amtszeit seines Präsidenten Dr. Heinrich Müller (1938–1945)
3.1 Präsident Müller betritt Neuland
3.2 Präsident Müller holt seinen persönlichen Referenten Dr. Hillebrecht vom Rhein an die Havel
3.3 Der Zulauf zur NSDAP verläuft im RRH in Etappen
3.4 Der Geheime Regierungsrat Emil Stengel wird zur grauen Eminenz im RRH
3.5 Präsident Müller übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat der Revisionsgesellschaft Treuarbeit
3.6 Präsident Müller führt die Beratungs- und Betreuungsrevision ein
3.7 Albert Speer plant einen Neubau für den RRH
3.8 Das Finanzministerium fordert vom RRH Gutachten an
3.9 Der neue Präsident hält eine Grundsatzrede
3.10 Präsident Müller will einen starken Reichskontrollhof
3.11 In Wien entsteht eine neue Außenabteilung des RRH
3.12 Präsident Müller verzichtet auf Einnahmeprüfungen
3.13 Bormann ist mit dem RRH unzufrieden
3.14 Die Wehrmachtsprüfung wird drastisch vereinfacht
3.15 Der RRH verliert bei Kriegsausbruch ein Drittel seines Personals
3.16 Der RRH mutiert zum Kriegskontrollhof
3.17 Der RRH prüft die Haupttreuhandstelle Ost
3.18 Der RRH prüft die Gauleiter-Erich-Koch-Stiftung
3.19 Der RRH gerät ins Fadenkreuz alter und neuer Gegner
3.20 Der Postminister Ohnesorge attackiert weiterhin den RRH
3.21 Der RRH passt seine klassischen Prüfungsgrundsätze „den Bedürfnissen des NS-Regimes“ an
3.22 Der RRH vereinfacht die Rechnungslegung und die Vorprüfung
3.23 Der RRH prüft die „Wirtschaftlichkeit“ des Ghettos von Litzmannstadt
3.24 Der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, errichtet seinen eigenen Rechnungshof
3.25 Der RRH dehnt seine Prüfungskompetenz auf die annektierten und besetzten Gebiete aus
3.26 Der RRH überlässt der Revisionsgesellschaft Treuarbeit und der Reichsprüfungsgesellschaft Prüfungsaufgaben in den besetzten Gebieten
3.27 Der RRH prüft in den besetzten Gebieten des Westens, Nordens und Südostens Europas
3.28 Der RRH kämpft um seine Anerkennung als kriegswichtige Einrichtung
3.29 Der RRH unterstützt die Rechnungshöfe befreundeter Mächte
3.30 Der RRH schließt einen Burgfrieden mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP durch ein Abgrenzungsabkommen
3.31 Der RRH prüft die SS auch in einigen KZ-Lagern
3.32 In Metz und Posen entstehen weitere Außenabteilungen des RRH
3.33 Präsident Müller schließt seine Gutachterabteilung in Berlin
3.34 Präsident Müller platziert seinen persönlichen Referenten in der Parteikanzlei
3.35 Der RRH kooperiert mit dem Sonderstab des Generals von Unruh
3.36 Der RRH will auch in den besetzten Ostgebieten prüfen
3.37 Präsident Müller strebt eine „gefestigte Legitimation“ des RRH an
3.38 Dem RRH droht die Auflösung
3.39 Der RRH paktiert mit Goebbels als Reichsbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz
3.40 Der Zusammenbruch
4. Die Wiederbelebung der staatlichen Finanzkontrolle in der Nachkriegszeit
4.1 Die Potsdamer Zentrale zieht Bilanz und versucht einen Neustart
4.2 Große oder kleine Lösung?
4.3 Die Potsdamer Zentrale des RRH schließt resigniert ihre Pforten
4.4 In Westdeutschland entstehen Landesrechnungshöfe
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
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Hermann Dommach

Hitlers Staatsfinanzen

Hermann Dommach

Hitlers Staatsfinanzen Der Rechnungshof des Deutschen Reiches im Nationalsozialismus 1933–1945

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Inhalt 1.   Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik ................ 11  1.1  

Der RRH besitzt das Kontrollmonopol ....................................... 11 

1.2  

Präsident Saemisch will allein „regieren“ .................................... 12 

1.3  

Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH ........... 13 

1.4  

Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr ..................... 14 

1.5  

Der Verlust der Reichsbahnprüfung ............................................ 15 

2.   Der RRH nach der Machtergreifung Hitlers in der Amtszeit seines Präsidenten Saemisch (1933–1938) .............................................. 17  2.1  

Das Jahr 1933 wird für den RRH zum Schlüsseljahr ................. 17 

2.2  

Der RRH verliert seinen wichtigsten Ansprechpartner ............ 20 

2.3  

Hitler: „Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs bleibt unangetastet“ ................................................................................... 21 

2.4  

Bormann: „Der Führer würde diese Prüfungen nicht zulassen“ ........................................................................................... 22 

2.5  

Kabinettsbeschluss: „Die Rechnungsprüfung bei der Wehrmacht soll getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen“ ......... 24 

2.6  

Präsident Saemisch soll als Aufsichtsratsvorsitzender der Revisionsgesellschaft Treuarbeit abgelöst werden .............. 25 

2.7  

Saemisch: „Das Gesetz muss autoritär eingeführt werden“ ..... 27 

2.8  

Reichsschatzmeister Schwarz: „Künftig werden sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt“ ........................................................ 28 

2.9  

„Bisher ist noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten“ ....................................... 29 

2.10   Der RRH wird zum „Veilchen im Verborgenen“ und „Asyl für politisch untragbare Beamte“ ....................................... 31  5

2.11   Bormann: „Künftig sollen nach Möglichkeit auch verdiente Nationalsozialisten in die maßgeblichen Stellen des Rechnungshofs gelangen“ ............................................................. 34  2.12   Die SS-Führung bedankt sich bei Präsident Saemisch für sein „tiefes Verständnis“ und die „väterliche Betreuung“ ........ 36  2.13   Präsident Saemisch pflegt besondere Beziehungen zur Wehrmacht und eine Männerfreundschaft mit Johannes Popitz .............................................................................. 36  2.14   Der RRH gerät ins Visier seiner Gegner ..................................... 38  2.15   Hitler zum Reichsschatzmeister der NSDAP: „Für die Partei sind Sie der oberste Rechnungshof“ ................................. 39  2.16   Der Postminister Ohnesorge will den RRH abschaffen............ 40  2.17   Das Büro des Reichssparkommissars wird zur Gutachterabteilung des RRH umfunktioniert ........................... 42  2.18   RRH: „In den Gefangenenlagern der SA muss auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft der Gefangenen Bedacht genommen werden“....................................................................... 43  2.19   Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums trifft auch einen höheren Beamten des RRH.................... 44  2.20   Präsident Saemisch kämpft um das Ernennungsrecht ............. 45  2.21   Die Landesrechnungshöfe werden Außenabteilungen des RRH ........................................................................................... 46  2.22   „Freudig erregt begrüßt der Österreichische Rechnungshof den Deutschen Rechnungshof“ ......................... 47  2.23   Für Präsident Saemisch wird die Amtszeit verlängert .............. 49  2.24   Der Nachfolger des Präsidenten soll den RRH „völlig umkrempeln“ .................................................................................. 49  2.25   Hitler entscheidet sich für Heinrich Müller ............................... 50  2.26   Präsident Saemisch geht im Groll ................................................ 51  2.27   Kurt Heinig: Im Rechnungshof hat sich „dauerhaft ein beachtlicher Widerstand gegen das Regime gehalten“ ............. 52 

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3.   Der RRH in der Amtszeit seines Präsidenten Dr. Heinrich Müller (1938–1945) ................................................................................................. 54  3.1  

Präsident Müller betritt Neuland ................................................. 54 

3.2  

Präsident Müller holt seinen persönlichen Referenten Dr. Hillebrecht vom Rhein an die Havel ..................................... 56 

3.3  

Der Zulauf zur NSDAP verläuft im RRH in Etappen................ 57 

3.4  

Der Geheime Regierungsrat Emil Stengel wird zur grauen Eminenz im RRH .............................................................. 59 

3.5  

Präsident Müller übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat der Revisionsgesellschaft Treuarbeit ...................................... 60 

3.6  

Präsident Müller führt die Beratungs- und Betreuungsrevision ein .................................................................. 63 

3.7  

Albert Speer plant einen Neubau für den RRH ......................... 64 

3.8  

Das Finanzministerium fordert vom RRH Gutachten an ........ 65 

3.9  

Der neue Präsident hält eine Grundsatzrede .............................. 66 

3.10   Präsident Müller will einen starken Reichskontrollhof............. 69  3.11   In Wien entsteht eine neue Außenabteilung des RRH.............. 70  3.12   Präsident Müller verzichtet auf Einnahmeprüfungen ............... 73  3.13   Bormann ist mit dem RRH unzufrieden ..................................... 74  3.14   Die Wehrmachtsprüfung wird drastisch vereinfacht ................ 76  3.15   Der RRH verliert bei Kriegsausbruch ein Drittel seines Personals .......................................................................................... 77  3.16   Der RRH mutiert zum Kriegskontrollhof ................................... 78  3.17   Der RRH prüft die Haupttreuhandstelle Ost .............................. 79  3.18   Der RRH prüft die Gauleiter-Erich-Koch-Stiftung ................... 80  3.19   Der RRH gerät ins Fadenkreuz alter und neuer Gegner ........... 81  3.20   Der Postminister Ohnesorge attackiert weiterhin den RRH .... 83  3.21   Der RRH passt seine klassischen Prüfungsgrundsätze „den Bedürfnissen des NS-Regimes“ an ...................................... 83  3.22   Der RRH vereinfacht die Rechnungslegung und die Vorprüfung ...................................................................................... 85 

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3.23   Der RRH prüft die „Wirtschaftlichkeit“ des Ghettos von Litzmannstadt ......................................................................... 86  3.24   Der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, errichtet seinen eigenen Rechnungshof ................................................................................. 90  3.25   Der RRH dehnt seine Prüfungskompetenz auf die annektierten und besetzten Gebiete aus ..................................... 93  3.26   Der RRH überlässt der Revisionsgesellschaft Treuarbeit und der Reichsprüfungsgesellschaft Prüfungsaufgaben in den besetzten Gebieten ............................................................. 98  3.27   Der RRH prüft in den besetzten Gebieten des Westens, Nordens und Südostens Europas ................................................. 99  3.28   Der RRH kämpft um seine Anerkennung als kriegswichtige Einrichtung ......................................................... 111  Der „Schrei“ der Verwaltung nach dem Rechnungshof ......... 113  3.29   Der RRH unterstützt die Rechnungshöfe befreundeter Mächte. .......................................................................................... 114  3.30   Der RRH schließt einen Burgfrieden mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP durch ein Abgrenzungsabkommen .................................................................................... 117  3.31   Der RRH prüft die SS auch in einigen KZ-Lagern .................. 119  3.32   In Metz und Posen entstehen weitere Außenabteilungen des RRH ......................................................................................... 123  3.33   Präsident Müller schließt seine Gutachterabteilung in Berlin ......................................................................................... 124  3.34   Präsident Müller platziert seinen persönlichen Referenten in der Parteikanzlei .................................................. 125  3.35   Der RRH kooperiert mit dem Sonderstab des Generals von Unruh .................................................................... 128  3.36   Der RRH will auch in den besetzten Ostgebieten prüfen ....... 132  3.37   Präsident Müller strebt eine „gefestigte Legitimation“ des RRH an.................................................................................... 141

8

3.38   Dem RRH droht die Auflösung .................................................. 144  3.39   Der RRH paktiert mit Goebbels als Reichsbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz....................................................... 146  3.40   Der Zusammenbruch ................................................................... 151  4.   Die Wiederbelebung der staatlichen Finanzkontrolle in der Nachkriegszeit ........................................................................................... 160  4.1  

Die Potsdamer Zentrale zieht Bilanz und versucht einen Neustart ............................................................................... 161 

4.2  

Große oder kleine Lösung? ......................................................... 167 

4.3  

Die Potsdamer Zentrale des RRH schließt resigniert ihre Pforten .................................................................................... 168 

4.4  

In Westdeutschland entstehen Landesrechnungshöfe ............ 170 

Abkürzungen ................................................................................................... 180  Literaturverzeichnis ........................................................................................ 183  Personenregister .............................................................................................. 189 

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1. Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik Der Blick auf den RRH im Nationalsozialismus erfordert einen Rückblick auf die Zeit der Weimarer Republik, in der es bereits unter dem Rechnungshofpräsidenten Moritz Saemisch zu erheblichen Verwerfungen der staatlichen Finanzkontrolle kam, sodass der RRH im Jahr 1933 bereits geschwächt die Bühne des neuen Regimes betrat.

1.1

Der RRH besitzt das Kontrollmonopol

Nach der Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922 war der RRH eine der Reichsregierung gegenüber selbständige oberste Reichsbehörde, die nur dem Gesetz unterworfen war. Er hatte den gesamten Reichshaushalt zu prüfen1. Im Mittelpunkt der Kontrollen stand die Frage, ob die Verwaltungsbehörden mit den Haushaltsmitteln ordnungsgemäß, sparsam und wirtschaftlich umgehen. Die mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Mitglieder des Rechnungshofs entschieden nach dem Kollegialprinzip über Zeitpunkt, Art und Umfang der Prüfungen, die von Prüfungsbeamten am Sitz des RRH oder vor Ort bei den Verwaltungen vorgenommen wurden2. Das zuständige Kollegium, dem jeweils ein Abteilungsleiter (Direktor) und ein Ministerialrat als Prüfungsgebietsleiter angehörten, entschied nach dem Prinzip der Einstimmigkeit, ob die Beanstandungen der Verwaltung als sogenannte Erinnerungen vorgeworfen werden sollten, damit diese in einem 1

2

Abschnitt IV §§ 87ff. Reichshaushaltsordnung (RHO) vom 31.12.1922, RGBl 1923 II S. 17ff. Ebenda, Abschnitt V § 121 RHO.

11

kontradiktorischen Verfahren zu den Vorwürfen Stellung nehmen konnte. Schwerwiegende Verstöße gegen das Haushaltsrecht, die im Entlastungsverfahren von Bedeutung sein konnten, wurden jährlich vom Gesamtkollegium in sogenannten Bemerkungen (Jahresbericht) zusammengefasst und dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt 3. Eigene Sanktionsmöglichkeiten besaß der RRH nicht. Er war nur Prüfungsorgan und im parlamentarischen Entlastungsverfahren Berichterstatter.

1.2

Präsident Saemisch will allein „regieren“

Das Kollegialprinzip geriet bereits 1922 ins Wanken, als der neue Rechnungshofpräsident Saemisch nach seinem Amtsantritt verlangte, die Geschäftsanweisung zu ändern und ihm präsidiale Befugnisse einzuräumen, die die RHO nicht berücksichtigt habe. Er wollte das lästige Korsett der Kollegialität abstreifen und den Rechnungshof autoritär führen. Im Rechnungshof sollte der Präsident alleinbestimmen können, wer, was, wann und wie intensiv geprüft wird. Sein Ansinnen rief das Gesamtkollegium auf die Barrikaden, das selbstbewusst nach innen das Kollegialprinzip und nach außen seine Unabhängigkeit verteidigte. Es verweigerte über zehn Jahre lang seine Zustimmung zu einer neuen, präsidial ausgerichteten Geschäftsanweisung, bis es dem Präsidenten 1933 mit dem Rückenwind des neuen Regimes durch die Zweite Novelle zur RHO gelang, das Gesamtkollegium auszuschalten und im RRH das Führerprinzip einzuführen4. Der Konflikt zwischen Präsident Saemisch und dem Kollegium, dem er selbst angehörte, löste im RRH erhebliche Spannungen aus, die bis zum Ende seiner 16jährigen Amtszeit nicht ausgeräumt werden konnten. Die von Anfang an bestehende Kluft zwischen dem Präsidenten und dem Kollegium ließ den umtriebigen Saemisch allerdings nicht in Resignation fallen. Er entdeckte schon bald in seiner neuen Funktion als Reichssparkommissar (RSK) seine Parallelwelt, in der er seine

3 4

Ebenda, § 108 RHO. Zweite Änderung der RHO (kurz: Zweite Novelle zur RHO) vom 13.12.1933 RGBl II, S. 1007ff., Borzikowsky, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfungswesen, S. 215.

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autoritäre Gesinnung ausleben und den Rechnungshof übertrumpfen und aus wichtigen Prüfungsfeldern verdrängen konnte5. Es waren vor allem drei Ereignisse, die dem Rechnungshofpräsidenten einen Machtzuwachs, dem Rechnungshof als Ganzem aber einen erheblichen Kontrollverlust einbrachten: die Konkurrenz des Reichssparkommissars, die Einschränkung der Wehrmachtsprüfung und der Verlust der Reichsbahnprüfung.

1.3

Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH

Als dem Präsidenten des RRH kurz nach seinem Amtsantritt die Mammutaufgabe eines Reichssparkommissars angetragen wurde, sträubte er sich zunächst gegen die Übernahme eines solchen Regierungsauftrags, wonach er im Alleingang und ohne personellen Unterbau die Reichsfinanzen umfassend überprüfen sollte6. Schon bald erkannte Saemisch aber, dass er durch den Aufbau eines hochkarätigen Gutachterteams, dem späteren Sparbüro, nicht nur seinen autoritären Führungsstil ausleben, sondern in Konkurrenz zu seinem eigenen Rechnungshof treten konnte, ein klassischer Fall eines Interessenkonflikts. Saemisch übte die Funktion des Reichssparkommissars ohne gesetzliche Grundlage 14 Jahre lang aus, bis sein Sparbüro im Jahr 1936 mit dem Rechnungshof verschmolzen wurde7. Saemisch überstand 20 Regierungswechsel, ließ sein Mandat aber von jeder Regierung erneuern8. Präsident Saemisch verschaffte sich als Reichssparkommissar Zugang zu den Sitzungen des Reichskabinetts und hatte nicht nur dadurch, sondern auch durch die Kenntnis der Haushaltsplanung einen Wissensvorsprung vor dem Rechnungs5

6

7 8

Dommach, Der Reichssparkommissar Moritz Saemisch in der Weimarer Republik, S. 37ff. Von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Oberrechnungskammer zum Bundesrechnungshof, S. 74ff. Vierte Novelle zur RHO vom 17.6.1936 RGBl II, S. 209. Bracher, Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, S. 17.

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hof 9. Er versammelte in seinem Sparbüro Spitzenkräfte, deren Vergütung er selbst festlegen konnte, und zog Personal sowie Prüfungsthemen aus dem Rechnungshof an sich, eine Methode, die nach dem Krieg auch noch zwischen dem Bundesrechnungshof und dessen Präsident als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) praktiziert wurde. Saemisch konnte seine Prüfungs- und Gutachtertätigkeit auf die Länder und größere Kommunen ausweiten, sodass er schon bald als der beste Kenner der Staatsfinanzen in der Weimarer Republik und in der Öffentlichkeit als bekannteste Persönlichkeit galt10. Den RRH hebelte Saemisch auch dadurch aus, dass er vorrangig Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen betrieb, während dem Rechnungshof die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Staatsfinanzen verblieb, die er mit den Vorprüfungsstellen der Verwaltung erledigte. Die in den Verwaltungen installierten Vorprüfungsstellen hatten alle Rechnungen rechnerisch und förmlich vorzuprüfen. Die sachliche Kontrolle blieb dem RRH vorbehalten. Diese unterschiedliche Entwicklung spielte nach Ausbruch des Kriegs eine erhebliche Rolle, als der RRH die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit als Kernaufgabe betrieb, um Konflikte mit dem NS-Regime zu vermeiden und sich als kriegswichtige Instanz zu etablieren.

1.4

Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr

Als der Phönix-Lohmann-Skandal die geheime Aufrüstung der Reichswehr und damit den Verstoß gegen den Versailler Vertrag aufdeckte, nutzte Saemisch die Gelegenheit, den RRH aus der Prüfung der Reichswehr zu verdrängen. Auf seine Initiative wurde ein sogenannter Mitprüfungsausschuss11 gebildet, der unter seiner Mitwirkung die Prüfung der Reichswehr in ein Vorprüfungsfeld verlagerte und damit verhinderte, dass der RRH Beanstandungen bei der Reichswehr in 9 10 11

Richtlinien vom 18.2.1927, Reichsfinanzblatt, S. 141. Dommach, Von Potsdam nach Frankfurt, S. 24. Ebenda.

14

seine Bemerkungen aufnahm und diese dadurch an die Öffentlichkeit gelangten. Im Kern ging es also um eine Beschneidung der Berichterstattung des RRH an das Parlament12.

1.5

Der Verlust der Reichsbahnprüfung

Durch die Privatisierung der Reichsbahn im Jahr 1924 verlor der RRH seine Prüfungskompetenz13. Die Prüfung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung stand der Reichsregierung zu, die allerdings die Prüfung von Jahr zu Jahr dem Rechnungshof übertrug. Gleichzeitig richtete die Reichsbahn ein Hauptprüfungsamt als selbständiges Vorprüfungsorgan ein. Als im Jahr 1930 eine Novellierung des Reichsbahngesetzes anstand, kam es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Präsidenten des RRH und dem Gesamtkollegium. Saemisch, der mit den bisherigen Prüfungen des RRH unzufrieden war und ihn in kaufmännischen Fragen für überfordert hielt, vereinbarte hinter dem Rücken des Kollegiums mit der Reichsregierung, die Bilanzprüfung bei der Reichsbahn künftig nur noch ihm und einem Direktor der Revisions- und Treuhandgesellschaft (Treuarbeit) zu überlassen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er war. Die Geheimabsprache, die dem Kollegium auf Umwegen bekannt wurde, löste im RRH einen Sturm der Entrüstung aus und soll sogar im Jahr 1932 zum vorzeitigen Ausscheiden des Vizepräsidenten Markmann geführt haben14. Das Kollegium verzieh seinem Prä-

12 13

14

Oshima in FinanzArchiv NF 38 Bd. 2, S. 197. Das Reichsbahngesetz vom 12.2.1924 ließ zu, das Unternehmen nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen. BA (Bundesarchiv), bestand N 171 (NL Saemisch) Bd. 126 Deutsche Reichsbahn, S. 1–81. Als das Kollegium des RRH am 5.2.1931 verlangte, der Reichsregierung seine Auffassung zur Reichsbahnfrage darzulegen und darauf hinzuweisen, dass das Verhalten der Reichsregierung geeignet sei, der Stellung des Rechnungshofs Abbruch zu tun, vereitelte Präsident Saemisch die Absendung des Schreibens und sorgte dafür, dass die Reichsregierung der Intervention des Kollegiums durch einen von ihm formulierten Brief zuvorkam.

15

sidenten den Winkelzug nie, dessen Widerstand bestärkte aber Saemisch in seinen Bemühungen, die Abschaffung des Kollegialprinzips zu betreiben und durch das Führerprinzip zu ersetzen. Auch nach der Verstaatlichung der Reichsbahngesellschaft im Jahr 1937 wurde die Prüfung der Eisenbahnrechnungen dem eigens dafür gegründeten Hauptprüfungsamt und der alleinigen Begutachtung des Jahresabschlusses durch Präsident Saemisch übertragen15.

15

Reichsgesetz vom 10.2.1937.

16

2. Der RRH nach der Machtergreifung Hitlers in der Amtszeit seines Präsidenten Saemisch (1933–1938) 2.1

Das Jahr 1933 wird für den RRH zum Schlüsseljahr

Schon im ersten Jahr der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 wurde der RRH mit so vielen Veränderungen konfrontiert, dass es für ihn ein Schlüsseljahr wurde. Es kam zu erheblichen Kontrollverlusten, aber auch zu marginalen Zugewinnen, wobei die Veränderungen nicht nur vom neuen Regime ausgingen, sondern teilweise auch hausgemacht waren. Bis dahin wurde der RRH in der Öffentlichkeit und von der Beamtenschaft als unabhängiges und unbestechliches Kontrollorgan wahrgenommen, das den Umgang mit den Staatsfinanzen peinlich genau und ohne Ansehen der Person prüft und dem Parlament darüber berichtet. Mit diesem Ruf stand der RRH in der Tradition der altehrwürdigen Preußischen Oberrechnungskammer, die ihre Finanzkontrolle bereits seit dem Jahr 1719 in völliger Unabhängigkeit ausübte, ihren Sitz ebenfalls in Potsdam hatte und vom Präsidenten des RRH in Personalunion geführt wurde16. Weniger bekannt waren die Rechnungshöfe der Länder, die die Landeshaushalte zu prüfen hatten. Im

16

S.Fn.6 von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Generalrechenkammer zum Bundesrechnungshof, S. 7ff.

17

nationalsozialistischen Regime sah sich der RRH einem bedrohlichen Klima ausgesetzt. Es soll bereits im Jahr 1933 konkrete Pläne gegeben haben, den RRH als überflüssiges Relikt aus der Weimarer Zeit sofort abzuschaffen. Hitler soll dem heftig widersprochen haben. Er wollte das hohe Ansehen des RRH und seines Präsidenten nutzen, um seine eigene Stellung in der Beamtenschaft zu festigen und der Öffentlichkeit die oft beschworene Ordnung, Sauberkeit und Sparsamkeit der Verwaltung vorzuführen, insbesondere sollten Korruption und Verschwendungssucht bekämpft werden, zwei Anliegen, die dem RRH nach Ausbruch des Krieges das Überleben sicherte und ihn zur kriegswichtigen Einrichtung werden ließ. Einzelne Machthaber hielten den RRH für einen unpolitischen und zahnlosen Tiger, der nicht im Rampenlicht steht und von dem sie glaubten, dass er ihnen weder lästig noch gefährlich werden könnte und dessen Prüfungen ihnen sogar ein Gütesiegel verschaffen könnte.

Präsident Saemisch ist verunsichert Präsident Saemisch konnte nicht einschätzen, was das neue Regime mit ihm und dem RRH vorhatte. In einem Brief an seine Ehefrau vom 8. April 193417 bekannte er, dass er „noch nie die voraussichtliche Entwicklung so wenig habe überblicken können wie jetzt“. Saemisch hatte nach seinen Tagebuchaufzeichnungen die NSDAP nicht gewählt. Er soll der DVP nahegestanden haben. Der NSDAP trat Saemisch ebenso wenig bei wie sein Vizepräsident Mussehl. Seine kritische Einstellung zum Nationalsozialismus wurde bereits im Jahr 1933 erkennbar, als der Bevollmächtigte Preußens im Reichsrat, Arnold Brecht, ins Visier von Goebbels geriet, weil er in Preußen den staatlichen Fonds zur Bekämpfung des Nationalsozialismus verwaltet hatte. Goebbels bezichtigte Brecht in der Öffentlichkeit der Unterschlagung öffentlicher Gelder, worauf Saemisch dem Beschuldigten Rückendeckung gab18. Ansonsten hielt sich Saemisch während seiner gesamten Dienstzeit politisch bedeckt, bewegte sich aber auch privat in einem Milieu (u.a. in der sogenannten

17 18

Kopie im Privatarchiv des Autors. Vgl. Brecht, Mit der Kraft des Geistes, S. 320.

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Mittwochsgesellschaft), aus dem allmählich Widerstand gegen das Regime erwuchs.19 Im Frühjahr 1933 setzte gegen Saemisch im sogenannten Flaggenstreit eine Pressefehde ein, die ihn zur Aufgabe seines Amtes zwingen wollte. Als er nämlich am 10. März 1933 von einer Dienstreise nach Potsdam zurückkehrte und das Gebäude des RRH mit Hakenkreuzfahnen beflaggt vorfand, ordnete er die sofortige Entfernung an20. Auch unter der Mehrheit der Mitglieder des Kollegiums kam es weder zu einer auffälligen Politisierung noch zu einer Nazifizierung. Nur vier von insgesamt 26 Ministerialräten waren bereits im Jahr 1930 der NSDAP beigetreten. Sie gehörten zur Riege der „Alten Kämpfer“. Bis März 1933 gab es acht weitere Parteimitglieder innerhalb des Kollegiums, dem ebenso viele parteilose Mitglieder angehörten.21 Am 4. März 1933 nahm Präsident Saemisch auf Einladung Hitlers am Staatsakt anlässlich der Eröffnung des Reichstags, dem sogenannten „Tag von Potsdam“ teil. Am 6. März 1933 fand die Machtübernahme in Hessen statt. Der Finanzamtsvorsteher von Alsfeld, Dr. Heinrich Müller, wurde mit Telegramm des Reichsinnenministers Frick zum Reichskommissar von Hessen bestellt. Am nächsten Tag ernannte Müller den 29-jährigen Werner Best zum Polizeichef in Hessen. Müller übernahm das Innen-, Justiz- und Finanzressort22. Als am 5. Mai 1933 der Gauleiter Sprenger zum Reichsstatthalter von Hessen ernannt wurde, entließ er sofort

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Saemisch hatte Brecht schon einmal im Jahr 1927 Unterschlupf in seinem Sparbüro angeboten, als Brecht aus politischen Gründen sein Amt als Leiter der Verfassungsabteilung im Reichsinnenministerium verloren und dies in der Öffentlichkeit einen „politischen Sturm“ ausgelöst hatte. Brecht, Aus nächster Nähe, S. 468. Märkisches Tageblatt vom 11.3.1933, zitiert bei Reinhard Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz 1933–1945, S. 155. BA R 43 II/1155 b Bl. 44f. Schreiben Vizepräsident Mussehl vom 16.5.1938 an Staatssekretär der Reichskanzlei, Lammers. Im Jahr 1936 musste der RRH den MR Dr. Schwaedt übernehmen, weil er als Logenhochgradler im Finanzministerium nicht mehr haltbar war. Etliche Mitglieder des RRH sollen den Freimaurern angehört haben. BA-P 1501/25736 Telegramm RMI vom 6.3.1933 an den hessischen Staatspräsidenten und an Müller über die Bestellung Müllers zum Reichskommissars von Hessen, Ebenda, Bl. 17–19 Bericht Müller vom 8.3.1933 an RMI Frick über die Übernahme der Polizeigewalt in Hessen.

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seinen Rivalen Müller, der daraufhin Oberfinanzpräsident in Köln wurde. Fünf Jahre später wurde Heinrich Müller Präsident des RRH in Potsdam.

2.2

Der RRH verliert seinen wichtigsten Ansprechpartner

Als der Reichstag durch das Erste Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 aufgelöst wurde, verlor der RRH das Entlastungsorgan, dem er seine Jahresberichte, die sogenannten Bemerkungen, zur Entlastung der Reichsregierung von ihrer Haushaltsverantwortung vorzulegen hatte. Die Bemerkungen zu den Haushaltsrechnungen der Jahre 1927–1929 hatte der Haushaltsausschuss des Reichstags bereits beraten und am 13. Januar 1933 den Entlastungsantrag gestellt23. Zur Entlastung durch den Reichstag konnte es nun nicht mehr kommen. Die Zweite Novelle zur RHO 24 vom 13. Dezember 1933 stellte lapidar fest, die Entlastung gelte für die Haushaltsjahre 1927–1929 als erteilt. Die Vierte Novelle zur RHO 25 dehnte die Entlastung sogar noch auf die Rechnungsjahre 1930–1932 aus. „Vorübergehend“ sollte die Entlastungsbefugnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf die Reichsregierung selbst übergehen26. Die Bemerkungen des RRH sollten nur noch dem Reichsrat vorgelegt und dort – vor der förmlichen Entlastungsentscheidung der Reichsregierung – unter der Beteiligung des Rechnungshofpräsidenten beraten werden27.

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RT-Drucksache Nr. 288 (VII. Wahlperiode 1932). S.Fn.2. Gesetz vom 17.6.1936, RGBl II, S. 209. Vgl. amtliche Begründung der Gesetzesvorlage in Reichsanzeiger Nr. 293 vom 15.12.1933. Da das Reichskabinett ab März 1938 nicht mehr tagte, konnte sich die Hitlerregierung auch nicht mehr selbst die Entlastung aussprechen. vgl. Bemerkungen des RRH für 1938 vom 9.1.1942 S. 1. Artikel II § 2 Zweite Novelle zur RHO, s.Fn.2. Da der Reichsrat im Frühjahr 1934 aufgehoben wurde, entfiel auch diese Prozedur.

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Der RRH produzierte dennoch Jahr für Jahr vertraulich eingestufte Bemerkungen mit Denkschriften des Präsidenten, die mangels eines (parlamentarischen) Entlastungsverfahrens in den Schreibtischen des Reichsfinanzministeriums verschwanden. Seine letzte vertrauliche Denkschrift gab der Nachfolger Saemischs, Präsident Müller, am 4. Mai 1944 zur Haushaltsrechnung 1940 heraus.

2.3 Hitler: „Die Unabhängigkeit des Rechnungshofs bleibt unangetastet“ Die Gelegenheit, die Einstellung Hitlers zum RRH in Erfahrung zu bringen, ergab sich für Präsident Saemisch am 30. März 1933, als Hitler ihn zu einem Antrittsbesuch empfing. Der Ablauf und Inhalt des Gesprächs sind nur in Umrissen bekannt geworden. In seinem Tagebuch hielt Saemisch lediglich nüchtern fest, Hitler habe sich eingehend für die Notwendigkeit einer Rechnungskontrolle ausgesprochen28. Nach den Erinnerungen seiner Ehefrau hat Saemisch seinen Rücktritt angeboten. Hitler habe ihn aber gebeten, auf seinem Posten zu bleiben, Sachverstand sei wichtig29. Anfang April 1933 unterrichtete Präsident Saemisch in einer eilig einberufenen Sitzung das Kollegium „in groben Zügen“ von seiner Unterredung mit Hitler. Nach mehr als sechsstündiger Beratung und der Einsetzung eines Redaktionskommitees beschloss das Kollegium, das immerhin zur Hälfte aus Parteimitgliedern bestand, einstimmig, Hitler selbstbewusst, moderat und diplomatisch zu antworten und dabei vor allem die Unabhängigkeit des Rechnungshofs gegenüber den Reichsbehörden zu betonen 30 . Hitler kam auf die „Unabhängigkeitserklärung“ des Rechnungshofs erst am 8. Dezember 1933 im Zusammenhang mit der Übersendung der Zweiten Novelle zur RHO zurück, wobei er erneut betonte, dass 28 29

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BA NL 171 (Saemisch) Bd. 28, vgl. BA R 43 II 1155a. Akten der Reichskanzlei. Erinnerungen des Neffen von Saemisch, Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke, in seiner Ausarbeitung vom 22.8.2000 „Ferner Onkel, mächtig und fremd“, Kopie im Privatarchiv des Autors. BA R 43 II/1155 a Schreiben des Präsidenten RRH an Reichskanzlei vom 4.4.1933.

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er die Rechnungsprüfung für notwendig halte. Gleichzeitig beteuerte er, dass die Unabhängigkeit des RRH unangetastet bleibe31. Als Saemisch am 13. Dezember 1933 die Reichskanzlei um Veröffentlichung der Garantieerklärung“ Hitlers bat, lehnte die Reichskanzlei dies mit dem Hinweis ab, ein derartiger „Ordensersatz“ komme nicht in Frage32. Der RRH berief sich allerdings später immer wieder auf diese Bestandsgarantie, wenn er sich Angriffen ausgesetzt sah, die seine Einschränkung oder Auflösung forderten. Der Nachfolger, Präsident Müller, deutete das Schreiben Hitlers sogar als Führerbefehl. Die richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des RRH wurde verbal nochmals durch die Novellierung des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 193733 bestätigt.

2.4

Bormann: „Der Führer würde diese Prüfungen nicht zulassen“

Im krassen Widerspruch zu den Unabhängigkeitsbeteuerungen Hitlers standen Führererlasse und oft nicht nachprüfbare Führerbefehle, die sich einzelne Machthaber verschafften, um den RRH von sich fern zu halten. So intervenierte der Reichskommissar in den besetzten Niederlanden, Seyss-Inquart, bei dem Chef der Reichskanzlei, Lammers, als der RRH in seinem Herrschaftsbereich prüfen wollte. Daraufhin erklärte der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, den Seyss-Inquart ebenfalls eingeschaltet hatte, dem Staatssekretär der Reichskanzlei: „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass der Führer diese Prüfungen nicht zulassen würde“34.

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BA NL 171(Saemisch) Nr. 134 Bl. 291f. und BA R 43 II / 13775 Begleitschreiben Staatssekretär der Reichskanzlei, Lammers, vom 8.12.1933 an Präsident Saemisch. BA NL 171 (Saemisch) Nr. 34 Bl. 312, Aktenvermerk der Reichskanzlei vom 14.12.1933, abgedruckt bei von Pfuhlstein in 250 Jahre Rechnungsprüfung, S. 85. RG Bl. 1937 I S. 39, § 171 Abs. 2 DBG. BA R 2/677 Bl. 24 und BA R 43-II/677. Später ließ sich Seyss-Inquart auf die Prüfung des RRH doch noch in Teilbereichen ein. Vgl. auch Werner Friedrich in BA Kleiner Erwerb Nr. 390, S. 12 und Abschnitt 3.27.

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Es gab auch den Fall, dass Hitler selbst unter Missachtung der zugesicherten Unabhängigkeit Prüfungen des RRH anordnete. Als Korruptionsvorwürfe bei Beschaffungen der Reichswehr erhoben wurden, wies Hitler zwei Tage nach der „Unabhängigkeitserklärung“ den RRH am 6. April 1933 an, den Vorwürfen nachzugehen und das Beschaffungswesen bei der Reichswehr umfassend zu prüfen35. Vermutlich gehörten dazu auch die Bestrebungen des NS-Regimes, die traditionsreiche Waffenfabrik Simson & Co im thüringischen Suhl zu arisieren, was im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten Zwangsenteignung bedeutete. Das Unternehmen gehörte zu den maßgebenden Waffenherstellern des Deutschen Reichs. Es belieferte seit dem Jahr 1925 die Reichswehr exklusiv mit leichten Maschinengewehren. Der Prüfungsauftrag an den RRH sollte den Beweis erbringen, dass die Firma übermäßige Gewinne erzielt habe. Nachdem der RRH den Verdacht nicht bestätigte, wurde der Firmeninhaber Arthur Simson wegen Betrugs und Übervorteilung des Reichs angeklagt, aber nicht verurteilt. Erst nach einer Prüfung durch die Deutsche Revisions- und Treuhand AG (kurz: Treuarbeit), kam es im Jahr 1935 zur Enteignung der Brüder Julius und Arthur Simson, wofür der Gauleiter Frick der Treuarbeit öffentlich seinen Dank aussprach36. Hitler hatte einen gewissen Respekt vor dem RRH. Als Bormann im November 1939 die Erstattung der Kosten für das Führerhauptquartier aus der Reichskasse verlangte, die er während des Polenfeldzugs übernommen hatte, drohte der Chef der Reichskanzlei, Lammers, mit einer Überprüfung durch den RRH, um Bormann beim üppigen Umgang mit den Finanzen in die Schranken zu weisen. Da Bormann nur eine globale Zusammenstellung ohne Belege vorlegte, bestand Lammers für eine korrekte Verrechnung mit dem Finanzministerium auf der Einreichung und Bereithaltung entsprechender prüffähiger Rechnungsunterlagen für den Fall, dass der RRH die Ausgaben prüfe. Anfang 1940 legte Bormann bei der zweiten Teilabrechnung Belege vor, die u.a. Privatausgaben, darunter Friseurleistungen für Sekretärinnen in der Reichskanzlei, betrafen. Als Lammers um Vervollständigung nach dem geltenden Haushaltsrecht bat, verwies Bormann auf die Unmöglichkeit, während des Kriegs gegen Polen die Ausgaben ordnungsgemäß zu verbuchen und die Rechnungslegungsvorschriften zu beachten sowie darauf, 35 36

BA NL 171 (Saemisch) Nr. 135 Bl. 13ff. Dazu ausführlich Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus. Die Deutsche Revisions- und Treuhand AG (Treuarbeit) 1933 bis 1945, S. 129ff.

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dass „der Führer selbst es keinesfalls billigen würde, wenn der Rechnungshof diese Dinge im Einzelnen prüfen würde“37. Anschließend wies Hitler in seinen Tischgesprächen Lammers an, die Kosten des Führerhauptquartiers aus seiner Privatschatulle zu übernehmen, „um bürokratischen Auseinandersetzungen mit dem Rechnungshof zu begegnen“. Seitdem verzichtete Lammers auf die Vorlage und Prüfung von Einzelbelegen38. Bis März 1945 wurden Bormann Aufwendungen in Höhe von 6,5 Mio. RM erstattet, ohne dass der RRH die Verfügungsmittel prüfen konnte.

2.5

Kabinettsbeschluss: „Die Rechnungsprüfung bei der Wehrmacht soll getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen“

Am 3. April 1933 hatte Präsident Saemisch, ohne die bevorstehenden Veränderungen zu erahnen, beschlossen, künftig die zuständigen Direktoren des RRH in die Kontrolle der geheimen Rüstungsausgaben einzubinden, die bisher der Mitprüfungsausschuss unter Vorsitz von Präsident Saemisch und unter Ausschluss des Kollegiums wahrgenommen hatte. Saemisch rechnete damit, dass sich der Rechnungshof in stärkerem Maß mit der Prüfung der Wehrmacht werde befassen müssen39. Einen Tiefschlag musste Präsident Saemisch hinnehmen, als er – auf Umwegen – von dem geheimen Kabinettsbeschluss vom 4. April 1933 erfuhr, den von ihm geleiteten Mitprüfungsausschuss abzuschaffen und die Rechnungsprüfung bei der Reichswehr dadurch drastisch einzuschränken, dass der Reichswehrminister Blomberg von allen haushaltsrechtlichen Bindungen dispensiert wurde 40 . Nach

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BA R 43 II 615c Schreiben Bormann an Lammers vom 22.2.1940. Vgl. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, S. 409f., vgl. BA R 43 II 615 c. Vermerk Präs. RRH vom 21.4.1933, vgl. Oshima, Die Bedeutung des Kabinettsbeschlusses vom 4. April 1933 für die autonome Haushaltsgebarung der Wehrmacht, in: FinanzArchiv NF Bd. 38, Nr. 2, S. 201. BA R 43 II 393.

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dem Kabinettsbeschluss sollten nun die Haushaltsmittel „bis auf Weiteres“ der Wehrmacht abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen global zu Verfügung gestellt werden und die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung sollten getarnt vor der Öffentlichkeit erfolgen. Als Saemisch über den Finanzminister von dem Kabinettsbeschluss erfuhr, fühlte er sich vom Reichswehrminister hintergangen. Im sofort einberufenen Kollegium erklärte er, der Kabinettsbeschluss gebe dem Reichswehrminister Vollmachten wie im Krieg, nämlich das zu tun, was dieser für notwendig und zweckmäßig halte. Saemisch verlangte eine sofortige Unterredung mit dem Reichswehrminister, die nicht zustande kam. In einer Besprechung mit dem Reichswehrministerium am 12. April 1933 über die künftige Gestaltung der Rechnungsprüfung bei der Reichswehr41 kam es zu dem faulen Kompromiss, wonach der Rechnungshof zwar Beanstandungen in seine Bemerkungen aufnehmen könne, diese aber der Reichsregierung unmittelbar zuleiten müsse. Am nächsten Tag erklärte Saemisch resigniert im Kollegium, man müsse sich mit dem Kabinettsbeschluss, ebenso wie es der Finanzminister tue, abfinden42.

2.6 Präsident Saemisch soll als Aufsichtsratsvorsitzender der Revisionsgesellschaft Treuarbeit abgelöst werden Um die größte deutsche Revisions- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (kurz: Treuarbeit oder DRT), die die meisten Reichsbetriebe prüfte, unter ihre Kontrolle zu bringen, legten die Nationalsozialisten dem parteilosen Präsidenten Saemisch 41

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BA NL 171(Saemisch) Bd. 135, Bl. 13ff. sowie Akten der Reichskanzlei, Boppard 1983, S. 337. Besprechungsvermerk vom 12.4.1933. In dieser Unterredung am 12.4.1933 rechtfertigte der Chef des Wehramtes, Oberst Fromm, die Abschaffung des Mitprüfungsausschusses mit der abfälligen Bemerkung, dass „wochenlang törichte Quatschereien mit den Vertretern des Reichsfinanzministeriums und des Rechnungshofs hätten gepflogen werden müssen wegen eines einzigen Verwaltungsoberinspektors.“ BA R 43 II 393.

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nahe, seinen Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats aufzugeben, den er seit 1925 innehatte. Traditionsgemäß stand die Position dem jeweiligen Präsidenten des RRH zu. Als Saemisch den Vertretern der NSDAP erklärte, sein Rücktritt komme erst in Frage, wenn ein geeigneter Nachfolger gefunden sei, wurde ihm der regimetreue Konsul Dr. Rolf Reiner als Aufpasser zur Seite gestellt. Er sollte die Revision der Privatunternehmen überwachen, während Saemisch die Betreuung der direkten Reichs- und Staatsunternehmen behielt43. Nachdem Reiner im Zusammenhang mit dem sogenannten Röhmputsch Ende Juni /Anfang Juli 1934 mehrere Monate lang inhaftiert war, legte er sein Aufsichtsratsmandat im Jahr 1935 ohne Begründung nieder44. Ihm folgte „auf Anweisung des Führers“ Wilhelm Keppler, der lange Zeit Hitlers Berater in Wirtschaftsfragen und Kontaktmann zwischen NSDAP und Wirtschaft war45. Auch die Zusammensetzung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder änderte sich radikal zugunsten überzeugter Parteimitglieder, während in der Weimarer Republik Vertreter der Rechnungshöfe und des RMF sowie des RMWI den Aufsichtsrat dominierten46. Der Aufsichtsrat verstand sich als Teil der Leitungsebene der Treuarbeit und entschied vor allem über den Ausbau des weitverzweigten Niederlassungsnetzes und verschaffte ihr allmählich ein Prüfungsmonopol für öffentliche Unternehmen. Sie prüfte nach Richtlinien, die ihnen Präsident Saemisch und das RMF im Jahr 1925 auferlegt

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BA NL 171 (Saemisch) Bd. 69, Bl. 37 Schreiben Präs. Saemisch an RMF vom Dezember 1933. Reiner war SS-Gruppenführer, Legationsrat und Chef des Ministeramtes bei der obersten SA-Führung. Vgl. Geschäftsbericht der DRT für 1933. Brief Reiner an Präs. Saemisch vom 23.1.1935, vgl. Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 71. BA B R 3101/17 697 Geschäftsbericht der DRT für 1934. Keppler war Mitbegründer des Freundeskreises Himmler, der den Kontakt und den Meinungsaustausch zwischen Politik und Wirtschaft pflegen sollte. Die Doppelspitze im Aufsichtsrat der Treuarbeit wurde im Jahr 1943 wieder aufgegeben. Neben Herbert Albrecht und Arthur Görlitzer waren alle übrigen Parteimitglieder im Aufsichtsrat gleichzeitig Mitglieder der SS. Die wichtigsten Reichsministerien als Auftraggeber der Treuarbeit und die mit ihnen eng verbundene Rüstungsindustrie schickten ihre Vertreter in den Aufsichtsrat der Treuarbeit. MR Dr. Hugo Berger vertrat das RMF, Milch die Vierjahresplanbehörde, Backe das RME und Erich Neumann das RMV.

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hatten47. Der RRH hatte ein eigenes Prüfungsrecht bei der Treuarbeit und den Reichsbetrieben. Präsident Saemisch trat für eine Zusammenarbeit mit der Treuarbeit ein. Bei der Prüfung von öffentlichen Unternehmen, die nach kaufmännischen Grundsätzen wirtschafteten (z.B. Reichspost, Reichsbranntweinmonopol und Reichsdruckerei) sollte der RRH den Sachverstand der Treuarbeit nutzen. Im Jahr 1935 forderte er letztmals – mit mäßigem Erfolg – den RRH auf, private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, insbesondere die Treuarbeit, stärker in die eigenen Prüfungen einzubeziehen48. Präsident Saemisch blieb nach seiner Pensionierung noch bis 2. November 1938 Aufsichtsratsvorsitzender der Treuarbeit. Sein Nachfolger wurde Präsident Heinrich Müller, der das Amt ab 1943 wieder allein ausüben konnte.

2.7

Saemisch: „Das Gesetz muss autoritär eingeführt werden“

Das Schlüsseljahr 1933 endete für den RRH mit einem Paukenschlag. Als im Jahr 1933 eine Novellierung der RHO anstand, witterte Präsident Saemisch die Gelegenheit, das Kollegialprinzip abzuschaffen und das Führerprinzip einzuführen. In Arbeitsteilung mit dem befreundeten Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, Johannes Popitz, erstellte er den als Fassung Saemisch-Popitz bekanntgewordenen Gesetzentwurf49. Beide träumten von einer umfassenden Reichsreform, zu der als Vorstufe auch eine Vereinheitlichung des Haushaltsrechts und der Haushaltskontrolle gehöre. Der Entwurf sah vor, im RRH die Präsidialverfassung einzuführen.

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BA B R 2301/6547 und 5969 Bl. 495® Anlage IV „Richtlinien für die Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, an denen das Reich mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist“ vom 8.7.1925. BA NL 171(Saemisch) Bd. 69, Bl. 31 Vermerk Präs. Saemisch vom 30.12.1935. Als Gutachter für kaufmännisch wirtschaftliche Fragen gewann Saemisch die Vorstandsmitglieder der Treuarbeit Dr. Voss und Hesse. Reichsanzeiger Nr. 293 vom 15.12.1933 Gesetzesbegründung. Vgl. auch Saemisch in Deutsche Juristenzeitung 1934 S. 171–179.

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Bevor das Gesetz erlassen wurde, bat Saemisch den Reichsfinanzminister inständig, von einer Beteiligung des Kollegiums abzusehen. Das Gesetz müsse autoritär eingeführt werden. In der nachträglich erstellten Gesetzesbegründung wurde die Neufassung des Kontrollwesens sogar als Kern der Novellierung bezeichnet50. Die Zweite Novelle zur RHO vom 13. Dezember 1933 bestätigte zwar formal die Unabhängigkeit der Mitglieder des RRH, führte aber gleichzeitig die Präsidialverfassung und damit das von Saemisch angestrebte Führerprinzip ein51. Damit war Präsident Saemisch zum Totengräber des Kollegialsystems geworden, das in der Preußischen Oberrechnungskammer seit 1719 und seit seiner Gründung auch im RRH gegolten hatte.

2.8 Reichsschatzmeister Schwarz: „Künftig werden sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt“ Als Trostpflaster übertrug die Zweite Novelle zur RHO dem Rechnungshof neue Prüfungsrechte. Nach § 64 a RHO konnte der Rechnungshof erstmals staatliche Zuwendungen an private Empfänger prüfen. Damit bekam er auch Zugang zu parteinahen Einrichtungen, die in erheblichen Umfang aus der Staatskasse subventioniert wurden52. Die SA hatte bereits im Jahr 1933 Zuschüsse aus der Reichskasse in Höhe von 45 Mio. Reichsmark erhalten und sich geweigert, entsprechende Nachweise über die Verwendung der Mittel vorzulegen. Der Reichsschatzmeister der NSDAP, Schwarz, verhinderte allerdings Prüfungen des RRH 50

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BA Koblenz NL171 (Saemisch) Bd. 69, Bl. 36,37 vertrauliches Schreiben Präs. Saemisch an Schwerin von Krosigk vom Dezember 1933 mit der inständigen Bitte, ihn keinesfalls auf dem Dienstweg einzuschalten. 2. Novelle zur RHO vom 13.12.1933, RGBl 1933, S. 1007f. Vgl. Saemisch in „Reich und Länder 8 (1934), S. 29,30,32. Vgl. Fn.6 und von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Generalrechenkammer zum Bundesrechnungshof, S. 85. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1933 vom 1.7.1935.

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unter Berufung auf einen angeblichen Führerbefehl, wonach „künftig sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt werden“. Im Jahr 1935 sprang der damalige Leiter der Parteikanzlei, Rudolf Hess, dem RRH durch das Zugeständnis bei, der RRH habe ein Prüfungsrecht, wenn Einrichtungen der Partei erheblich vom Reich finanziert werden. Der Rechnungshof prüfte unter Berufung auf § 64 a RHO die Hermann-Göring-Stiftung und später auch die Gauleiter-Erich-Koch-Stiftung, in der der Oberpräsident von Ostpreußen, Erich Koch53 eine millionenschwere Latifundienbildung betrieb. Die Neuregelung des § 88 a RHO ermächtigte den Finanzminister, dem Rechnungshof die Prüfung der zahlreichen öffentlichen Sammlungen zu übertragen; der RRH rügte allerdings, dass davon kein Gebrauch gemacht werde54.

2.9 „Bisher ist noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten“ In die Personalpolitik ließ sich Präsident Saemisch anfangs von der Partei nicht hineinreden. Er blieb seinem Grundsatz treu, dass nur Befähigung und Leistung und nicht das Parteibuch zählt. Obwohl bereits, wie bereits erwähnt, im Jahr 1930 vier Mitglieder und im März 1933 acht weitere Ministerialräte der NSDAP beigetreten waren, wandte sich am 19. Dezember 1933 der Bund Deutscher Reichssteuerbeamten an Saemisch mit der Behauptung, bisher sei noch kein einziger Beamter des Rechnungshofs der Partei beigetreten, Saemisch solle künftig vorzugsweise Parteimitglieder mit gültigem Parteiausweis einstellen55. Eine Antwort

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Nicht zu verwechseln mit dem berüchtigten Lagerkommandanten des KZ Buchenwald Karl Koch. Vgl. dazu Abschnitt 3.18. Denkschrift Präsident RRH für das Rechnungsjahr 1933, S. 5. BA R2 21753 und BA NS 10,386. Der Vorstoß der Reichssteuerbeamten dürfte von dem abgehalfterten Gauleiter in Brandenburg, Dr. Schlange, ausgegangen sein, der in Potsdam wohnte, aus der Steuerverwaltung stammte, zum Lotteriepräsidenten abgestiegen war und in den Jahren 1933 und 1934 wiederholt –vorzugsweise auf Umwegen und unter Fürsprache der Partei – versuchte, im RRH als Direktor Fuß zu fassen. Er fand

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des Präsidenten ist nicht bekannt. Im Frühjahr 1937 berichtete der Leiter der Außenabteilung Hamburg, Haaser, der Gauleiter Kaufmann verlange von ihm, sämtliche Beamte der Außenabteilung als Mitglieder der NSDAP anzumelden56.

Vizepräsident Mussehl darf den Präsidenten mit „Lieber Herr Saemisch“ ansprechen Als im Jahr 1933 im RRH die Stelle eines Vizepräsidenten eingerichtet wurde, besetzte Saemisch den Posten mit dem parteilosen Staatssekretär Mussehl, der im Februar 1933 aus seinem Amt im Reichslandwirtschaftsministerium verdrängt worden war57. Zwischen beiden entwickelte sich bald eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wobei Mussehl wiederholt die Statthalterrolle im Rechnungshof übernahm, weil Saemisch wegen seines Gesundheitszustandes öfters pausieren musste. Präsident Saemisch behielt sich alle Personalentscheidungen vor und ließ sich wöchentlich von Mussehl auf den neuesten Stand im Rechnungshof bringen58. Nach seiner Pensionierung ließ sich Saemisch von ihm mit „Lieber Herr Saemisch“ anreden, ein Privileg, das er keinem anderen Mitglied des RRH zugestand.

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bei Präsident Saemisch kein Gehör. Im Jahr 1933 strebte Dr. Schlange sogar den Präsidentenstuhl im RRH an, wobei er sich in der Reichskanzlei durch den Antrag in Erinnerung brachte, ihm die Uniform eines Gauleiters ehrenhalber zu verleihen. BA NL 171(Saemisch) Bd. 65, Bl. 262 Schreiben Vizepräsident Mussehl an Präsident Saemisch vom 18.5.1937. BA R 2 21 753. BA NL 171(Saemisch) Bd. 59, Bl. 74 Schreiben Mussehl an Saemisch vom 8.8.1938. VPräs. Mussehl titulierte seinen Präsidenten bis dahin mit „Hochverehrter Herr Minister“. BA NL 171(Saemisch) Bd. 66, Schreiben Präs. Saemisch vom 21.5.1938 an Reichsinnenminister Frick. Im Jahr 1938 schlug Saemisch seinen Vizepräsidenten Mussehl – vergeblich – als seinen Nachfolger vor. S.Fn.128.

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Im RRH entsteht die „Fachschaftsgruppe Rechnungshof“ Im Rechnungshof etablierte sich bereits ab 1. Juni 1932 eine kleine Zelle strammer SA-Männer und Alter Kämpfer der Partei. Der nationalsozialistischen Beamtenarbeitsgemeinschaft gehörten 12 Mitglieder an. Amtsrat Renner, der später zum Oberregierungsrat aufstieg, war Träger des Blutordens, weitere Mitglieder in niedrigen Rängen waren wie der spätere Präsident Heinrich Müller Träger des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP59. Die Mitgliederzahl wuchs im März 1933 auf 29 an, sie waren die Vorhut der späteren Fachschaftsgruppe Rechnungshof. Sie inszenierte am 20.4.1935 im Lichthof des RRH in Anwesenheit beider Präsidenten, die im Frack erschienen, die Enthüllung einer Hitlerbüste und feierte im Sommer 1942 ihr zehnjähriges Bestehen.

2.10 Der RRH wird zum „Veilchen im Verborgenen“ und „Asyl für politisch untragbare Beamte“ Ab 1933 nutzte der Finanzminister die Haushaltsverhandlungen mit dem Rechnungshof, um regimekritische, politisch missliebige oder unzuverlässige Beamte aus den Ministerien in den Rechnungshof abzuschieben60. Auf die gleiche Weise verfuhr der Finanzminister beim Reichsfinanzhof, der ebenfalls als unpolitische Einrichtung galt. In seinen Lebenserinnerungen nennt der ehemalige Finanzminister Schwerin von Krosigk den Rechnungshof daher als „Veilchen im Verborgenen“, in dem ebenso wie beim Reichsfinanzhof solche Beamte „untergebracht“

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BAB R 2301/ 8133 Potsdamer Tageszeitung vom 30.9.1942, Voelkischer Beobachter vom 4.6.1942. Renners Nachfolger waren die Beamten Brömme und Luce. BA R 43 II 1155 b Bl. 44 Schreiben Vizepräsident Mussehl an den Chef der Reichskanzlei, Lammers, vom 16.5.1938.

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bzw. versteckt werden konnten61. Zu ihnen gehörte der Präsident des Landesfinanzamts von Mecklenburg-Lübeck, Heinrich Bierstedt, der sich mit dem Gauleiter überworfen hatte und unmittelbar nach seiner Versetzung in den Rechnungshof von Saemisch zum Direktor ernannt wurde 62 . Als leitender Beamter aus dem Reichsluftfahrtministerium, der dem Reichsmarschall Göring nicht genehm war, wurde u.a. ab 1934 Dr. Panzeram in den Rechnungshof versetzt. Zum 1. Februar 1936 schleuste der Reichsfinanzminister Dr. Schwaedt in den RRH ein, der als Logenhochgradler im Finanzministerium nicht haltbar war. Dabei wurde dem RRH versichert, es werde keine politischen Komplikationen geben63. Das Gegenteil war der Fall. Saemisch scheute sich nicht, politisch vorbelastete oder in Ungnade gefallene Beamte in den Rechnungshof aufzunehmen, zumal sie ihm vielfach vom RMF aufgedrängt wurden. So übernahm Präsident Saemisch den unerwünschten Landrat und Polizeipräsidenten von Magdeburg, Freiherr von Nordenflycht in den Rechnungshof auf und ernannte ihn zum Direktor64. Auch Kurt Baron von Stempel konnte 1933 in den Rechnungshof wechseln, nachdem er aus seinem Amt als Hauptgeschäftsführer des Deutschen und Preußischen Landkreistags vertrieben worden war 65 . Auch Dr. Wilhelm Duhmer wurde im Jahr 1934 von Präsident Saemisch als Ministerialrat übernommen. Er hatte seinen Posten als Bürgermeister von Görlitz verloren66.

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Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott, S. 259. Das Attribut war nicht neu. Der Sächsischen Oberrechnungskammer (1707–1734) hatte man bereits nachgesagt, als Veilchen im Verborgenen zu blühen. Im Jahr 1915 wurde die Badische Rechnungskammer ebenfalls als Veilchen im Verborgenen bezeichnet. Vgl. auch von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Generalrechenkammer zum Bundesrechnungshof, S. 70. BA R 2 / 21753 Schreiben Präs. Saemisch an Reichfinanzminister vom 16.1.1934. S.Fn.21. Nach dem Krieg wurde Nordenflycht im Jahr 1951 Direktor beim Bundesrechnungshof. Auf Vorschlag Mussehls wurde er in der „Gesetzlosen Gesellschaft“ in Berlin sein Nachfolger als Zwingherr (Vorsitzender). Von Stempel wurde Direktor der Präsidialabteilung des Rechnungshofs in Berlin, nachdem das Sparbüro des Reichssparkommissars in den Potsdamer Rechnungshof eingegliedert worden war. Nach dem Krieg bemühte sich Duhmer vergeblich, Direktor im Bundesrechnungshof zu werden.

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Am 19. November 1935 übernahm Präsident Saemisch den Ministerialdirektor Karl Freiherr von Imhoff aus dem Bayerischen Innenministerium, der beim Gauleiter und Innenminister Adolf Wagner in Ungnade gefallen war. Von Imhoff wurde zum 1. April 1937 unter Beibehaltung seines Titels „Ministerialdirektor“ zum Ministerialrat ernannt und sogar noch im April 1941 vom Präsident Müller zum Rechnungshofdirektor befördert67. Zum 1. April 1938 wurde der frühere Regierungspräsident von Königsberg, Werner Friedrich, in den RRH übernommen und zum Ministerialrat ernannt. Er hatte sein Amt in Königsberg im Jahr 1936 nach Streitigkeiten mit dem Gauleiter Erich Koch aufgeben müssen68. Diese Manöver brachten dem Rechnungshof bei den Nationalsozialisten den Ruf ein, ein Sammelbecken und Asyl für politisch untragbare Beamte zu sein, was dringend unterbunden werden müsse. Am 31. Mai 1939 erklärte Bormann, er habe in den letzten Jahren wiederholt beobachtet, dass Beamte, die aus politischen Gründen anderweitig nicht verwendbar waren, an den Rechnungshof oder die Preußische Oberrechnungskammer versetzt worden seien. Beide Behörden müssten aber über politisch zuverlässige Beamte verfügen69. Deshalb könne er auch nicht die Unterbringung des jüdischen Ministerialbeamten Kurt Grünbaum im Rechnungshof befürworten70. Bormann versicherte dem Staatssekretär im Finanzministerium, Reinhardt, für die Zukunft sei sichergestellt, dass bei der Auswahl von Beamten für die beiden Rechnungshöfe auch in politischer Hinsicht ein sorgfältiger Maßstab angelegt werde71. Im Berliner Sparbüro, wo seine Personalhoheit lange Zeit unangetastet blieb, kam es Saemisch darauf an, ungeachtet der politischen Einstellung ein hochkarätiges

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BAB R2/21756,21757. Personalakte, Von Imhoff war seit 1.5.1935 Mitglied der NSDAP. Wikipedia, Werner Friedrich. Friedrich trat zum 1. April 1938 der NSDAP bei. Er leitete nach dem Kriegsausbruch das Prüfungsgebiet Besetzte Gebiete. Seine Erinnerungen überließ er dem BA (Kleiner Erwerb). Nach der Entstehung des Gesamtdeutschen Ministeriums unter Jakob Kaiser wurde Friedrich Leiter der Berliner Vertretung des Ministeriums. Im Jahr 1951 wurde ihm das Große Verdienstkreuz verliehen. BA R 43 II 599 Blatt 35 Schreiben Bormann an Minister Rosenberg vom 31.1.1939. Ebenda. Grünbaum war bei der Säuberung des öffentlichen Dienstes übersehen worden und konnte nicht mehr nach dem inzwischen aufgehobenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Ebenda.

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Gutachterteam um sich zu versammeln, die er auf Honorarbasis beschäftigen konnte72. Im Sparbüro arbeitete u.a. Wolfgang Spielhagen, der an der Hauszeitung des Reichssparkommissars „Reich und Länder“ mitarbeitete, später als 2. Bürgermeister nach Breslau wechselte und dort gegen Kriegsende auf Veranlassung des fanatischen Oberbürgermeisters Hanke öffentlich erhängt wurde.

2.11 Bormann: „Künftig sollen nach Möglichkeit auch verdiente Nationalsozialisten in die maßgeblichen Stellen des Rechnungshofs gelangen“ Die NSDAP griff in die Personalpolitik des Rechnungshofs ab 1936 massiv ein, nachdem die Parteikanzlei, das sogenannte Braune Haus in München, das unter der Leitung von Bormann als Stellvertreter des Führers stand, an Einstellungen oder Beförderungen höherer Beamter beteiligt werden musste. Der Rechnungshof hatte schon auf Drängen des Innenministers im Jahr 1935 seinen Personalreferenten in der Hoffnung ausgewechselt, einen stärkeren Gegenpol gegen den Druck der Parteikanzlei zu haben73. Bormann favorisierte regimetreue Kandidaten. Sobald passives oder regimekritisches Verhalten erkennbar war, wurde eine Beförderung verweigert. Am 16. Januar 1937 machte Bormann seine Zustimmung zur Ernennung Dr. Richard Strahls zum Ministerialrat beim Rechnungshof davon abhängig, dass es keinen geeigneten Parteigenossen gäbe und dass „künftig nach Möglichkeit auch verdiente

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Ungeklärt ist, ob die jüdische Expertin für das Staatsschuldenwesen, Hedwig Reinhard, für das Sparbüro als Gutachterin gearbeitet hat. Sie emigrierte in die USA und wurde dort Professorin. BA NL 171(Saemisch) Bd. 65, Bl. 197,198 Schreiben VPräs. Mussehl an Präs. Saemisch vom 30.9.1935. An die Stelle des Freiherrn von Massenbach trat MR Dr. Vogt, der zwar schon seit 1930 der NSDAP angehörte, aber ein „Glühender Gegner der Partei und des Führers“ war (Erklärung RR Albrecht vom 28.1.1953 im Archiv des BRH).

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Nationalsozialisten in die maßgeblichen Stellen des Rechnungshofs des Deutschen Reichs gelangen“74. Der Staatssekretär im RMF, Reinhardt, stimmte der Ernennung von Bruno Roeder zum Leiter der Außenabteilung des RRH in Karlsruhe zu, obwohl dieser früher u.a. ein „ausgesprochener Demokrat linksgestellter Richtung“ war und dessen Amtsführung als Haushaltsreferent nicht immer die Zustimmung der Parteidienststellen gefunden hatte75. Auch die Ernennung des Direktors Hörig zum Leiter der Außenabteilung in Leipzig fand die Billigung Reinhardts. Präsident Saemisch brachte den Machthabern des neuen Regimes weder Wohlwollen entgegen noch behandelte er sie schonungslos. Er scheute sich aber nicht, auch in sensible Bereiche des Regimes vorzudringen und in den Denkschriften und Bemerkungen Kritik zu üben. Nachdem Göring großspurig verkündet hatte, „Geld spielt keine Rolle“, widmete sich der Rechnungshof verstärkt der Verschwendungssucht und prüfte sowohl das Reichsluftfahrtministerium als auch Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan76. Auch die Reichskulturkammer, die Goebbels unterstand, nahm der RRH kritisch unter die Lupe77. Ebenso wurden der Reichsinnenminister Frick und später der Außenminister Ribbentrop Zielscheiben von Prüfungen des Rechnungshofs. Schließlich legte sich der RRH sogar mit dem nationalistischen Staatssekretär Fritz Reinhardt an, indem er in seinen Bemerkungen dem Finanzministerium vorwarf, im Jahr 1936 unzulässig für Lieblingsprojekte des Staatssekretärs Reinhardt, der die Finanzverwaltung als seine Domäne ansah, 13 Mio. Reichsmark ausgegeben zu haben. Dabei ging es um Zuschüsse an die Steuerschule in Herrsching und um die Erstellung von Karteien und Statistiken. Obwohl die beanstandeten Beträge teilweise zurückgebucht wurden, nahm der RRH die Angelegenheit in seine Bemerkungen auf 78.

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BA R 2 / 21755 und 21753 Schreiben Parteikanzlei an RMF vom 16.1.1937 und BA NL 171(Saemisch) Bd. 65 Bl. 189f. Schreiben StS. Reinhardt an RRH. BA R 2 / 21 755 und 21 753. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1937 S. 43ff. und für 1938, S. 73ff. Denkschriften Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1936 S. 21f., für 1937, S. 217 und für 1938, S. 23. Denkschrift Präs. RRH für das Haushaltsjahr 1936, S. 4ff.

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2.12 Die SS-Führung bedankt sich bei Präsident Saemisch für sein „tiefes Verständnis“ und die „väterliche Betreuung“ Zuweilen musste Präsident Saemisch Zugeständnisse machen oder konnte sich nicht entziehen, den Machthabern des Regimes entgegenzukommen. So beriet er die SS diskret beim Aufbau ihres riesigen Apparats. Beim Ausscheiden aus dem Präsidentenamt bedankte sich der Chef des Verwaltungshauptamtes der SS, SSGruppenführer Oswald Pohl, bei Saemisch für das oft bewiesene „tiefe Verständnis für die jungen Reichseinheiten der Schutzstaffel und für Ihre väterliche Betreuung“79. Die Aufbauhilfe ging wohl auf einen Wunsch Pohls zurück und bezog sich vermutlich auf die Einrichtung eines geordneten Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens bei der SS.

2.13 Präsident Saemisch pflegt besondere Beziehungen zur Wehrmacht und eine Männerfreundschaft mit Johannes Popitz Besondere Beziehungen pflegte Saemisch zur Wehrmacht. Ihm wurde nachgesagt, sich Zeit seines Lebens als Soldat gefühlt zu haben. Als Gegner des Versailler Vertrags unterstützte Saemisch tatkräftig die Wiederaufrüstung der Reichswehr. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich bei seinem Abschied aus dem Amt alle

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BA NL Nr. 171 (Saemisch) Bd. 59, Bl. 60 Schreiben Pohl an Präsident Saemisch vom 12.4.1938. Dabei konnte Saemisch wohl nicht ahnen, dass er mit seiner Beratung Pohl indirekt dazu verhalf, zum größten Organisator der Judenvernichtung in Europa zu werden.

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Waffengattungen für seine Kooperation bedankten. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General Keitel, brachte es auf den Punkt, als er sich ausdrücklich für die „verständnisvolle Mitarbeit, besonders in den schweren Zeiten der getarnten Aufrüstung“ bedankte80.

Hatte Saemisch Verbindungen zu Regimegegnern? Mit dem preußischen Finanzminister und zeitweiligen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium, Johannes Popitz, verband Saemisch eine langjährige und tiefe Männerfreundschaft. Im Jahr 1934 verfügte Popitz durch Erlass vom 24. Februar, dass Saemisch die Rückzahlung überzahlter Versorgungsbezüge in Höhe von 5 562,54 RM erlassen wurde. Beide trafen sich auch noch nach der Pensionierung von Saemisch auf dessen Landsitz in Freiburg-Günterstal, zuletzt im Jahr 1942 in Badenweiler. Es gibt keine belastbaren Hinweise, dass Saemisch von den Attentatsplänen gegen Hitler wusste, in die Popitz eingeweiht war, von Freisler zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ein Neffe von Präsident Saemisch, Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke, hielt „Onkel Moritz“ für einen allzu loyalen Staatsdiener, „um Maßnahmen gegen das Reichsoberhaupt zu erwägen“81. Noch nicht erforscht sind seine Beziehungen zum Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, mit dem Saemisch als Reichssparkommissar zu tun hatte und der ebenfalls als Verschwörer nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde.

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BA NL Nr. 171 (Saemisch) Bd. 59, Bl. 30. Schreiben Keitel an Präsident Saemisch vom 2.4.1938. Ebenda, Bd. 59, Bl. 58. Sogar die zentrale Figur in der Phönix-Lohmann-Affäre, Kapitän zur See Lohmann, der inzwischen zum Chef der Marine-Haushaltsabteilung aufgestiegen war, verabschiedete sich von Saemisch mit Dankesworten. Ebenda, Bl. 61 Schreiben Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Raeder, an Saemisch vom 3.4.1938. Er versprach, Saemisch zu einer Übungsfahrt eines Panzerschiffs oder eines Kreuzers oder zu einer U-Bootfahrt einzuladen. Ebenda, Bl. 18 Schreiben Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Todt, vom 1.4.1938 an Saemisch. Todt hatte mit Saemisch bereits neue Autobahnprojekte und den Westwall besichtigt. Er dankte Saemisch für die verständnisvolle Zusammenarbeit. S.Fn.29 Erinnerungen vom 22.8.2000 in der Ausarbeitung „Ferner Onkel, mächtig und fremd“.

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Unklar ist die Rolle von Wilhelm zur Nieden, der aus dem Dunstkreis des Leipziger Oberbürgermeisters kam und im Sparbüro des Reichssparkommissars und nach dessen Eingliederung in den Rechnungshof sogar noch unter dem nationalsozialistischen Präsidenten Heinrich Müller arbeitete. Er wurde von Freisler zum Tode verurteilt und von der SS erschossen82.

2.14 Der RRH gerät ins Visier seiner Gegner Während Hitler den Rechnungshof für notwendig hielt, um Korruption und Verschwendungssucht einzudämmen, versuchten einzelne Machthaber den lästigen Rechnungshof abzuschütteln, sei es ihn ganz abzuschaffen oder wenigstens seine Aktivitäten während des Krieges im „Altreich“ und später auch in den besetzten Gebieten einzuschränken. In den meisten Fällen ging es um Verweigerungen von Prüfungen, weil persönliche Bereicherungen, Pfründe oder schwarze Kassen einzelner Machthaber im Spiel waren. Zur Formierung einer Einheitsfront kam es aber, wie bereits erwähnt, wegen der von Hitler im Jahr 1933 abgegebenen Bestandsgarantie83 für den RRH nicht. Als Hauptgegner des Rechnungshofs traten zunächst der Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz84, und der Reichspostminister Ohnesorge85 in Erscheinung. Später kam noch eine ganze Armada wie der Reichsinnenminister Frick 86 und der Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Seyss-Inquart87, sowie eine Mehrzahl von Befehlshabern in den besetzten Gebieten hinzu, sodass sich der Rechnungshof beinahe pausenlos einem Trommelfeuer

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Nach dem GVPl. des RRH 1939 war Wilhelm zur Nieden als freier Mitarbeiter bei der Prüfung der Stadt Gelsenkirchen eingesetzt. Vgl. auch Wikipedia Wilhelm zur Nieden. Vgl. dazu Abschnitt 2.27. S.Fn.31, BA R 43 II 1155 a. Vgl. Abschnitt 2.15. Vgl. Abschnitte 2.16 und 3.20. Vgl. Abschnitt 3.38. S.Fn.34, vgl. Abschnitt 3.27 (Niederlande).

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ausgesetzt sah und der Eindruck entstand, dass sich der RRH mehr um seine Daseinsberechtigung als um das Prüfungsgeschäft kümmern musste.

2.15 Hitler zum Reichsschatzmeister der NSDAP: „Für die Partei sind Sie der oberste Rechnungshof“ Im Jahr 1934 bahnte sich zwischen dem RRH und dem Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Schwarz, ein Kompetenzkonflikt an, der erst im Jahr 1941 unter Präsident Müller durch ein sogenanntes Abgrenzungsabkommen beigelegt wurde88. Schwarz leitete das Revisionsamt der NSDAP in München, das als Unterbau über ein weitverzweigtes Netz von Gaurevisionsämtern mit Außendienstrevisoren verfügte. Das Revisionsamt sollte die riesigen Geldströme, die aus dem Reichshaushalt an die Partei und die Vielzahl ihrer Untergliederungen flossen, vor jeglicher staatlichen Kontrolle abschirmen und ausschließlich einer eigenen Parteikontrolle unterziehen. Hitler hatte dem Reichsschatzmeister versichert: „Für die Partei sind Sie der oberste Rechnungshof“89. Als dem RRH, wie bereits erwähnt, bekannt wurde, dass die SA, die bereits im Jahr 1933 Zuschüsse aus der Reichskasse in Höhe von 45 Mio. Reichsmark erhalten hatte, sich weigerte, Verwendungsnachweise vorzulegen, wollte er die Regelverstöße bei der SA prüfen. Als sich der Reichsschatzmeister auf einen angeblichen Führerbefehl berief, wonach „künftig sämtliche für die SA zu zahlenden Reichsmittel meiner Kontrolle unterstellt werden“ 90 , begnügte sich Präsident Saemisch damit, in seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1933 lediglich auf das gewaltige Volumen hinzuweisen, das der SA aus der Reichskasse zugeflossen war91.

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BA R 43 II 1155 c Bl. 38–40. S.Fn.6, zitiert bei von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Generalrechenkammer zum Bundesrechnungshof, S. 90. BA R 2/21 913 a. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1933 vom 1.7.1935, S. 11/12.

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Im Jahr 1935 sprach der Leiter der Parteikanzlei, Rudolf Hess, wie bereits erwähnt, dem RRH das Prüfungsrecht zu, wenn Einrichtungen der Partei erheblich vom Reich finanziert werden92. Am 7. April 1937 legte Schwarz eine Denkschrift vor, in der er behauptete, die Gliederungen der Partei hätten einen Rechtsanspruch auf die Rückerstattung ihrer Aufwendungen, die sie im Interesse des Staates aufgebracht hätten93. Ein Jahr später verbat sich der Reichsschatzmeister jede Einmischung des Rechnungshofs. Erst im Jahr 1941 gelang es dem nationalsozialistischen Nachfolger Saemischs, Heinrich Müller, den weiterschwelenden Brand zu löschen und mit Schwarz ein sogenanntes Abgrenzungsabkommen mit der Zauberformel zu schließen, dass Einrichtungen der Partei künftig vom Reichsschatzmeister und Einrichtungen des Staates von den beiden Potsdamer Rechnungshöfen geprüft werden94. Auf die bedeutsame Aufgabenverteilung in diesem Abkommen für die Prüfung der SS wird noch einzugehen sein.

2.16 Der Postminister Ohnesorge will den RRH abschaffen Im Jahr 1936 begann der Reichspostminister Ohnesorge einen Dauerstreit mit dem RRH, der sich bis in die Kriegsjahre hinzog und nicht beigelegt wurde. Während Präsident Saemisch als Reichssparkommissar mit der Reichspost ein beinahe harmonisches Verhältnis pflegte und die Post für sein Experimentierfeld hielt, für das er in seinem Sparbüro vorübergehend sogar eine eigene Postabteilung einrichtete, wehrte sich der Reichspostminister vehement, als er sich vom RRH persönlich angegriffen fühlte. Der RRH warf ihm verschwenderische Ausgaben für ein Schulungslager für Postbedienstete in der Nähe von Berlin sowie für den Bau eines Posterholungsheims in Sachsen vor, außerdem habe er Ölgemälde mit dem Portrait Hitlers für Sondermarken der Reichspost vom Leibfotografen 92 93 94

BA R 2/12 885. Auszüge bei Lükemann, Der Reichsschatzmeister der NSDAP, S. 229–233. BA R 43 II 1155 c Bl. 38–40.

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Hitlers, Heinrich Hoffmann, überteuert angekauft und eine Motorjacht angeschafft95. Seine Replik eskalierte, als er seine Pamphlete den anderen Ministerien zusandte, um sie als Bundesgenossen zu gewinnen. Dabei verlangte Ohnesorge, den Rechnungshof abzuschaffen und durch eine Innenkontrolle zu ersetzen. Nach der Annektierung Österreichs legte der RRH unter dem nationalsozialistischen Rechnungshofpräsidenten Heinrich Müller nach, indem er Ohnesorge vorwarf, sich in Graz eine aufwendige Sommerresidenz eingerichtet zu haben. Ohnesorge konterte mit dem Hinweis, auch Hitler nutze das Berghaus auf dem Obersalzberg als Sommerresidenz. Schließlich versuchte der Chef der Reichskanzlei, Lammers, vergeblich den Streit mit dem Hinweis zu schlichten, der Führer dulde keinen Streit unter Parteigenossen, der in der Öffentlichkeit ausgetragen werde96. Immerhin unterließ es der RRH nach 1936, Bemerkungen zur Haushaltsrechnung der Reichspost aufzustellen. Im Jahr 1939 kam der RRH auf den Ankauf von Hitlerbildern zurück, die Ohnesorge wiederum von Heinrich Hoffmann zum Preis von 630 000 Mark bezogen hatte, um sämtliche Diensträume der Post mit Hitlerbildern auszustatten. Der RRH beanstandete den exklusiven Bezug über Heinrich Hoffmann zu offensichtlich überhöhten Preisen. Auf den Einwand des Postministers, es handle sich um eine politisch wichtige Sache, erwiderte der Postsenat des RRH, er habe nichts gegen die Beschaffung von Hitlerbildern, halte aber die exklusive Beauftragung Hoffmanns für einen Verstoß gegen den in § 26 RHO festgelegten Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung97. In einer weiteren Entscheidung des Postsenats des RRH ging es nochmals um den Ankauf von Hitlerbildern Hoffmanns durch die Reichsdruckerei auf Grund einer mündlichen Absprache mit Ohnesorge zum Preis von 12 000 Mark98. Als im Jahr 1940 das Kriegskontrollgesetz erging, beantragte der Reichspostminister – wiederum ohne Erfolg –, den Rechnungshof während des Krieges zu schließen99. 95 96 97 98 99

BA R 43 II 1155 c. Ebenda. Ein Treffen beider Kontrahenten in einem Berliner Lokal blieb ohne Erfolg. BA R 2/22 233, Bemerkung des 16. Senats des RRH vom 26.5.1939. Bayr HStA Stk. 7587 Senatsentscheidung des RRH vom 18.7.1939. Als die Heldengreifkommission nach kriegsverwendungsfähigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes Ausschau hielt, schlug Vizepräsident Mussehl dem RRH vor, auch den persönlichen Stab des Postministers ins Visier zu nehmen.

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2.17 Das Büro des Reichssparkommissars wird zur Gutachterabteilung des RRH umfunktioniert Ab 1. April 1934 wurde das Sparbüro des Reichssparkommissars in Berlin durch die Zweite Novelle zur RHO100 organisatorisch in den Rechnungshof integriert und unter der neuen Bezeichnung „Präsidialabteilung des Rechnungshofs des Deutschen Reichs“ mit Sitz in Berlin weitergeführt. Auslöser für diese Entwicklung war die Ankündigung Präsident Saemischs, der gesundheitlich angeschlagen war, sein Amt als Reichssparkommmissar wegen Arbeitsüberlastung aufgeben zu wollen101. Sein Entschluss mag auch von dem Frust beeinflusst gewesen sein, dass seine Gutachten und Empfehlungen die bisherige Bedeutung verloren hatten und von den neuen Machthabern kaum noch wahrgenommen, geschweige denn in den Ministerien umgesetzt oder neue Gutachten angefordert wurden. Die Reichsministerien waren seit Auflösung des Sparbüros nicht mehr verpflichtet, vor Organisationsänderungen eine Stellungnahme des RRH einzuholen. Saemischs Ankündigung löste im Finanzministerium die Befürchtung aus, die Mammutaufgabe selbst übernehmen zu müssen, falls kein geeigneter Nachfolger gefunden werde. Als die Suche nach einem Nachfolger im Sande verlief, blieb dem RMF nur noch der Ausweg, das Sparbüro unter die Flagge des Potsdamer Rechnungshofpräsidenten zu stellen102. Dem Präsidenten unterstanden nun neben der Präsidialabteilung in Potsdam eine Gutachterabteilung, die ihren Sitz im Berliner Regierungsviertel am Potsdamer Platz zwar beibehielt, aber nur noch mit verminderter Kapazität weiterarbeitete und nach Kriegsausbruch allmählich zum Erliegen kam. Es wurden aber schon Pläne geschmiedet, welche Themen nach dem Krieg fortgeführt oder wieder aufgenommen werden sollten103. 100 101 102 103

Gesetz vom 13.12.1933, RGBl II, S. 1007ff. BA NL 171(Saemisch) Bd. 53, Bl. 70 Vermerk vom 4.11.1931. Seitdem wurde im Rechnungshof zwischen „Höflingen“ und „Gutachtern“ unterschieden. BA R 2/21 738 Schlußbilanz Brunst/Mahlow und weitere Mitarbeiter der Gutachterabteilung.

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2.18 RRH: „In den Gefangenenlagern der SA muss auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft der Gefangenen Bedacht genommen werden“ Im Jahr 1936 fand der RRH eine Gelegenheit, sich einen Einblick in das Finanzgebaren der SA zu verschaffen, ohne dass der Reichsschatzmeister gegen die Prüfungen intervenieren konnte. Anlass dazu bot die „Verreichlichung“ der Länderjustizverwaltungen, die im Zuge der Gleichschaltung in das Reich übergeleitet wurden104. Damit erlangte auch der RRH eine Prüfungskompetenz für diesen Bereich, zu dem neben den Justizvollzugsanstalten der Justiz auch die Gefangenenlager der SA gehörten. Als dem RRH in den Jahren 1935 und 1936 Unregelmäßigkeiten in den Gefangenenlagern der SA bekannt wurden und seine Prüfungsberichte unbeantwortet blieben, führte er unter der Verantwortung des Rechnungshofdirektors Kurt Bierstedt105 örtliche Erhebungen in 16 bisher überwiegend dem preußischen Staat unterstellten Vollzugsanstalten durch. Zu den ausgewählten Vollzugsanstalten gehörten auch die berüchtigten Moorlager der SA im Emsland. In seinem nüchtern verfassten Prüfungsbericht106 beschrieb der RRH ausführlich die äußerlichen Verhältnisse der Straflager. Er betonte, dass er bei der Prüfung der Verpflegungswirtschaft nicht nur die Belange der Reichsfinanzen und der Ernährungswirtschaft beachtet, sondern auch auf die Erhaltung der Arbeitskraft der Gefangenen Bedacht genommen habe. Gleichzeitig erwähnten die Prüfer, dass die Gefangenen „wegen der schweren Arbeiten in den Mooren höhere Verpflegungsrationen“ als in geschlossenen Anstalten erhielten. Die Verpflegungssätze für die Gefangenen seien gegenüber 1932 erheblich gesunken und die Ausgaben für Reinigung und ärztliche Betreuung der Gefangenen seien beachtlich zurückgegangen.

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Überleitungsgesetz vom 5.12.1934, RGBl, S. 1214.

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Bierstedt war bekanntlich von Präsident Saemisch als politisch untragbarer Beamter vom RMF übernommen und am 1. Februar 1934 zum Direktor befördert worden. BA B R2301/4141 vgl. auch Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1936, S. 52ff.

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Bei der örtlichen Prüfung der Zentralverwaltung des Strafgefangenenlagers in Papenburg beanstandete der RRH u.a. die Anschaffung von acht Reitpferden für 10 557 RM mit Zubehör, die angeblich für den Patrouillendienst an der holländischen Grenze benötigt wurden. Der RRH verwies darauf, dass der Patrouillendienst nicht Aufgabe der Justizverwaltung, sondern der Grenzpolizei sei107.

2.19 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums trifft auch einen höheren Beamten des RRH Vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war ORR Dr. Kurt Kaufmann wegen seiner jüdischen Abstammung betroffen. Er wurde von Präsident Saemisch sehr geschätzt. Die Beförderung Kaufmanns zum Ministerialrat verhinderten die Nationalsozialisten. Auf die Anfrage des RRH, ob Mischlinge im öffentlichen Dienst verbleiben könnten, verwies das Innenministerium auf seine Rundschreiben vom 16.8. und 22.9.1937, wonach diese im Falle einer Weiterbeschäftigung nicht mehr befördert werden durften. Daraufhin wurde Dr. Kaufmann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt108. Kaufmann gehörte als Protestant zum Umkreis der bekennenden Kirche des Pfarrers Helmut Gollwitzer. Im August 1943 geriet Kaufmann in die Fänge der Gestapo, weil er Juden gefälschte

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BA R2/24 006 Schreiben RRH an RMF vom 12.7.1937. BA R2 21756 und BAK N 1171/64 Präsident Saemisch versuchte, Kaufmann eine anderweitige Beschäftigung zu verschaffen. Kaufmann war ab August 1928 im Sparbüro des Reichssparkommissars Saemisch und nach dessen Auflösung ab 1934 in der Gutachterabteilung des RRH tätig. Er prüfte im Jahr 1930 als Generalreferent die gesamte württembergische Landesverwaltung und die Städte Halle (1932/33) und Stuttgart (1931) sowie Mannheim (1932). Die städtischen Gutachten mit den Reformvorschlägen würdigte der Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler in der Hauszeitschrift des Reichssparkommissars „Reich und Länder“. BAB R 2301/11 300 RRH-Vermerk vom 9.11.1943. Als Kaufmann im August 1943 von der Gestapo verhaftet wurde und seine Ehefrau sich verzweifelt an den RRH wandte, untersagte Präsident Müller jeden Kontakt zu ihr.

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Ausweispapiere und Lebensmittelkarten verschafft hatte. Er wurde ohne Gerichtsverfahren zur „Sonderbehandlung“ ins KZ Sachsenhausen verbracht und dort am 17. Februar 1944 ermordet. Als seine mutige Witwe eine Sterbeurkunde erwirkte und dem RRH das genaue Todesdatum mitteilte, erstellte dieser eine Neuberechnung der Pensionszahlungen, weil er von einem späteren Todesdatum ausgegangen war und es dadurch zu einer „Überzahlung“ der Rentenbezüge in Höhe von 500 RM gekommen sei. Im Jahr 1944 musste der Rechnungshof der Reichskanzlei melden, dass Ministerialrat Dr. Dr. Conrad jüdisch versippt sei109. Conrad blieb aber im Amt.

2.20 Präsident Saemisch kämpft um das Ernennungsrecht Der Führererlass vom 10. Juli 1937 löste im RRH Verunsicherung aus, ob dem Präsidenten weiterhin das Ernennungsrecht für die Beamten des höheren Dienstes zusteht. Da das Vorschlagsrecht nur noch von einem Minister ausgeübt werden konnte, beanspruchte der RMF das alleinige Recht, Beamte des höheren Dienstes im RRH zur Ernennung vorzuschlagen. Präsident Saemisch sah darin eine Beeinträchtigung seiner Unabhängigkeit und warf dem RMF vor, das Vorschlagsrecht zu missbrauchen und anstehende Ernennungen zu blockieren. Nebenbei beantragte Saemisch als Abschiedsgeschenk für die Direktoren die besoldungsmäßige Anhebung ihrer Stellen. Eine Antwort des RMF blieb aus. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt, am 29. März 1938, wandte sich Saemisch ohne Beteiligung des RMF und des RMI an den Chef der Reichskanzlei, Lammers, mit dem Lösungsvorschlag, seinen Nachfolger durch Führererlass einem Reichsminister gleichzustellen 110 , eine Steilvorlage für seinen Nachfolger Müller,

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BAB R 230/2112 Schreiben Präs. Müller an Chef der Reichskanzlei vom 16.11.1944. MR Conrad wurde im Jahr 1944 an die Außenabteilung Metz abgeordnet. BA NL Nr. 177 (Saemisch) Bd. 119, Bl. 80ff. und BAB R 43 II 1155 b. Am 17.5. 1938 beklagte sich der RMF bei Lammers, dass Saemisch den Vorschlag ohne sein Wissen und ohne Beteiligung des RMI unterbreitet habe.

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der den Vorschlag nach seiner Ernennung sofort aufgriff und bis zum Ende seiner Amtszeit beharrlich weiterverfolgte. Nach dem Ausscheiden Saemischs teilt Lammers dem Vizepräsidenten Mussehl am 30. April 1938 mit, der Führer sei damit einverstanden, dass der RRH vorläufig das Ernennungsrecht selbst ausübe, um die gegenwärtige Blockade von 60 Ernennungen zu beseitigen. Am 23. November 1938 zog es Hitler aber vor, das Ernennungsrecht für die Beamten des höheren Dienstes im RRH künftig selbst auszuüben und nicht einem Minister zu überlassen, „um der besonderen Stellung des RRH gerecht zu werden“111, was einem Pyrrhussieg gleichkam.

2.21 Die Landesrechnungshöfe werden Außenabteilungen des RRH Die Vierte Novelle zur RHO112 brachte einen erheblichen Kompetenzzuwachs für den RRH im Altreich. Ab 1. April 1937 wurden – mit Ausnahme der Preußischen Oberrechnungskammer, die bereits der Präsident des RRH in Personalunion leitete – sämtliche Landesrechnungshöfe aufgelöst und in Außenabteilungen des RRH umgewandelt. Diese „Verreichlichung“ entsprach den Intensionen des Präsidenten Saemisch, der mit seinem Freund Popitz bereits vor den Nationalsozialisten die Vereinheitlichung der Haushaltskontrolle als Vorstufe einer Reichsreform befürwortete113. Es wurden zunächst vier Außenabteilungen in Hamburg, Karlsruhe, München und Leipzig gebildet und mit je 40 Bediensteten besetzt114. Die

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RGBl I vom 28.11.1938 S. 1669, Fuchs, Wesen und Wirken der Kontrolle, S. 160. Gesetz vom 17.6.1936, RGBl II 1936, S. 209. Das Gesetz wurde im RRH als „Höfchengesetz“ tituliert und bestärkte die Mitglieder in dem Gedanken, dass jede Prüfungseinheit trotz Führerprinzip als „Höfchen“ autonom tätig sei. Vgl. Saemisch, Die Kontrolle der staatlichen Finanzwirtschaft, S. 107. Erste DVO vom 16.10. 1936, RGBl II 1936, S. 325, Bayr HStA ORH Nr. 449 Zuständigkeitsregelung durch Präs. Saemisch. Die in Koblenz vorgesehene Außenabteilung wurde nicht gebildet und im Jahr 1940 nach Metz verlegt. Die Außenabteilung Leipzig wurde im Jahr 1940 nach Dresden verlegt. Gegen den Standort Hamburg wehrte sich

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Außenabteilungen hatten im Wesentlichen, wie bisher die Landesrechnungshöfe, die Haushalte der Länder zu prüfen. Optisch wirkte sich die Übernahme des Personals aber als erheblicher Stellenaufwuchs aus. Die Abteilungsleiter und die Büroleiter kamen ausschließlich aus der Potsdamer Zentrale, „um eine gedeihliche Zusammenarbeit sicherzustellen“. Es kam aber wiederholt zu Spannungen mit der Zentrale, weil die oft selbstbewussten Leiter nach dem Motto auftraten: „Von Potsdam lassen wir uns nicht befehligen“.

2.22 „Freudig erregt begrüßt der Österreichische Rechnungshof den Deutschen Rechnungshof“ Am 12. März 1938 marschierte Hitler mit Armee, SS und Polizei in Österreich ein. Als er am nächsten Tag das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich unterzeichnete, war das Schicksal des österreichischen Rechnungshofs besiegelt. Bereits am 17. März 1938 wurden die Beamten des Rechnungshofs vom amtierenden Präsidenten, Otto Ender, unter ausdrücklichem Hinweis auf die Nürnberger Rassegesetze auf Hitler vereidigt. Zehn Tage vorher, am 7. März 1938, war ihnen noch das Tragen von Hakenkreuzen jeder Art ebenso wie der Wortgruß „Heil Hitler“ im Dienst verboten worden. Nach der Vereidigung telegraphierte Ender dem Rechnungshof in Potsdam: Freudig bewegt begrüßt der Österreichische Rechnungshof den Deutschen Rechder Reichsstatthalter Kaufmann mit der Sorge, „Berlin werde sich zu stark in Hamburger Angelegenheiten einmischen“. Im Mai 1937 verlangte er vom Leiter der Außenabteilung, Haaser, alle Beamten seiner Dienststelle zur NSDAP anzumelden (Schreiben VPräs. Mussehl an Saemisch vom 18.5.1937, BA NL 171(Saemisch) Bd. 65, Bl. 262). Als Leiter der Außenabteilungen wurden eingesetzt: in Hamburg MR Haaser, in Leipzig MR Dr. Hörig, in Karlsruhe MR Bruno Roeder, in München kommissarisch MR Emil Stengel, später Dr. Hofmann, sein Vertreter war MR Cammerer. Die im Jahr 1937 übernommenen Staatsfinanzräte traten nicht der NSDAP bei. Zur Außenabteilung München im Nationalsozialismus ausführlich Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz 1933–1945, Der Bayerische Oberste Rechnungshof und die Außenstelle München des Rechnungshofs des Deutschen Reichs, München 2012.

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nungshof und gibt seinen Willen kund, der organischen Zu- und Eingliederung seine ganze Kraft im Dienste des Deutschen Reiches und des Deutschen Volkes zu widmen. Heil Hitler! Der Präsident Ender“115 Präsident Saemisch dankte am selben Tag telegraphisch „ebenso freudig bewegt für seine begrüßung und die bekundung seines willens zur zusammenarbeit wir senden kameradschaftliche grüße unter der parole ein führer ein volk ein reich heil hitler saemisch präsident“116 Da Präsident Saemisch bereits am 31. März 1938 aus seinem Amt schied und sein Nachfolger noch nicht feststand, teilte er Ender am 29. März 1938 mit, dass der Potsdamer Rechnungshof mit ihm Kontakt aufnehmen werde. In seinem Abschiedsbrief an den Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk bot Saemisch an, bei der Eingliederung des österreichischen Rechnungshofs beratend mitzuwirken117. Sein Schreiben blieb unbeantwortet. Inzwischen war Präsident Ender, der früher Bundeskanzler war, in Wien verhaftet, offiziell aber bis 31. August 1938 seines Amtes nicht enthoben worden118. Am 2. April 1938 übertrug Arthur Seyss-Inquart, den Hitler zum Reichsstatthalter von Österreich bestellt hatte, dem Ministerialrat und NS-Parteigänger Dr. Viktor Gross die kommissarische Leitung des Rechnungshofs. Am 11. Mai 1938 nahm Vizepräsident Mussehl mit dem österreichischen Rechnungshof Kontakt auf und besuchte den Rechnungshof in Wien am 30. / 31. Mai 1938 in Begleitung des Geheimrats Emil Stengel zu ersten Sondierungen. Beide überließen das weitere Vorgehen dem künftigen Präsidenten, der erst am 13. Juli 1938 ernannt wurde. Es dauerte noch ein Jahr, bis der österreichische Rechnungshof aufgelöst und in eine Außenabteilung des RRH umgewandelt wurde.

115 116 117

118

Österreichischer Rechnungshof, Archiv ÖRH/Pr 139/38 und /BKA 148.628. Ebenda. BA NL 171(Saemisch) Bd. 59, Bl. 16 Schreiben Präs. Saemisch an Schwerin von Krosigk vom 31.3.1938. Nach seiner Entlassung aus der Haft wurde Ender mit einem „Gauverweis“ belegt. Ein Drittel seiner Amtsbezüge wurde zum Ausgleich seiner Haftkosten einbehalten. Gleichzeitig wurde der bisherige saarländische Gauleiter, Joseph Bürckel, Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Er forderte im Jahr 1944 die Schließung des RRH während des Krieges.

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2.23 Für Präsident Saemisch wird die Amtszeit verlängert Im März 1937 erreichte Präsident Saemisch das gesetzliche Pensionsalter, das durch das Deutsche Beamtengesetz auf das 65. Lebensjahr herabgesetzt worden war. Am 19. März 1937 verlängerte überraschend ein Ausnahmegesetz, das nur auf Saemisch zugeschnitten war, dessen Amtszeit um ein Jahr 119 . Die Hintergründe für diese Sonderregelung sind unklar. In der amtlichen Gesetzesbegründung heißt es lapidar, eine Neubesetzung sei gegenwärtig unangebracht 120 . Vermutlich wollte das Regime bei der Suche nach einem genehmen Nachfolger Zeit gewinnen, zumal Hitler sich seine Zustimmung vorbehalten hatte. Als im Frühjahr 1938 immer noch kein Nachfolger feststand, überlegte der RMF, die Frist für Saemisch nochmals zu verlängern. Der regimetreue Staatssekretär im Finanzministerium, Fritz Reinhardt, der die Kandidatenauswahl übernommen hatte, kommentierte dies mit der Bemerkung, „M.E.unmöglich!“121.

2.24 Der Nachfolger des Präsidenten soll den RRH „völlig umkrempeln“ StS. Reinhardt suchte nach einem überzeugten Parteigenossen aus seiner Finanzverwaltung, der den RRH völlig „umkrempeln“ sollte. Dieser sollte dem „Relikt aus der Weimarer Zeit“ endlich ein nationalsozialistisches Profil verschaffen

119 120 121

RGBl I 1937, S. 371. BA R 43 II 1155a Bl. 37f. BA R 2/21756 Randvermerk StS. Reinhardt. Die Anfrage wurde mit dem Hinweis erledigt, der RRH habe signalisiert, dass Saemisch bereits im Begriff sei, seine Diensträume zum Ende März aufzugeben.

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und das „Sammelbecken für politisch missliebige Beamte“ endgültig austrocknen122. Dagegen favorisierte Präsident Saemisch seinen Vizepräsidenten Mussehl, der parteilos war und nicht in der Gunst Görings stand, der ihm seinerzeit vorgeworfen hatte, ihm den Abschuss eines Hirsches in der Schorfheide verweigert und ihn in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht zu haben123. Der preußische Finanzminister Johannes Popitz plädierte für eine Persönlichkeit, die nicht nur Erfahrungen aus der allgemeinen und inneren Staatsverwaltung, sondern auch aus den Sonderverwaltungen wie Post und Bahn mitbringe. Als weitere Kandidaten, die allerdings von Hitler abgelehnt wurden, waren Oberst Kriebel und Staatssekretär Posser im Gespräch. Selbsternannter Kandidat war der bereits erwähnte Dr. Schlange124.

2.25 Hitler entscheidet sich für Heinrich Müller Als Präsident Saemisch am 31. März 1938 nach einer Amtszeit von 16 Jahren endgültig in den Ruhestand treten musste und der Auswahlprozess für den Nachfolger immer noch nicht abgeschlossen war, brachte StS. Reinhardt schließlich den Oberfinanzpräsidenten von Köln, Dr. Heinrich Müller, ins Spiel. Da dem jeweiligen Präsidenten des RRH traditionsgemäß das Amt des Chefpräsidenten der altehrwürdigen Preußischen Oberrechnungskammer in Potsdam in Personalunion übertragen wurde, musste die Reichskanzlei förmlich noch den preußischen Ministerpräsidenten Göring und den preußischen Finanzminister Popitz an der Personalauswahl beteiligen. Göring schlug den ehemaligen Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Dr. Grauert, vor, während sich Popitz für Vizepräsident Mussehl einsetzte und darauf hinwies, dass Saemisch den favorisierten Kandidaten Heinrich Müller für ungeeignet halte125. 122 123

124 125

BA R 43 II 1155a Bl. 42ff. BA NL 171(Saemisch) Bd. 65, Bl. 309 Brief VPräs. Mussehl an Präs. Saemisch vom 27.5.1938. S.Fn.55. BA R 43 II 1155a Bl. 42ff.

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Schließlich erlangte StS. Reinhardt bei seinem Besuch auf dem Obersalzberg am 11. Juli 1938 den Segen Hitlers für Heinrich Müller mit dem Versprechen, Müller werde den erforderlichen Schwung und die Tatkraft mitbringen, „um die vom Standpunkt des Nationalsozialismus gebotenen Reformen und Vereinfachungen durchzuführen“126. Diesen Erwartungen wurde Müller, wie noch zu zeigen sein wird, nicht gerecht. Am 21. Mai 1938 wandte sich Saemisch, der sich bereits im Ruhestand befand, an den Reichsinnenminister Dr. Frick mit der inständigen Bitte, sich für Mussehl als seinen Nachfolger einzusetzen127. Dieser Brief dürfte Saemisch Überwindung gekostet haben, gehörte doch Frick in seiner Amtszeit zu seinen erbittertsten Gegnern.

2.26 Präsident Saemisch geht im Groll Saemisch hätte nach der Bildung der vier Außenabteilungen zufrieden auf seine 16-jährige Amtszeit zurückblicken können. Er schied jedoch mit Groll und resigniert aus dem Amt. Seine Vorschläge zur Reform des Ernennungsrechts, zur Anhebung der Direktorenstellen im Rechnungshof sowie sein Angebot, bei der Integration des Österreichischen Rechnungshofs beratend mitzuwirken, beantwortete der Finanzminister nicht mehr. Saemischs letzte Amtshandlung bestand in der Unterzeichnung der neuen Geschäftsordnung, um die er jahrelang gerungen hatte und die er seinem Nachfolger als Vermächtnis hinterlassen wollte128. Saemisch verweigerte dem Finanzminister wegen des Streits um das Ernennungsrecht die Aushändigung seiner Entlassungsurkunde und verbat sich eine Abschiedsfeier im Rechnungshof. Zur Amtseinführung seines Nachfolgers erschien Saemisch nicht. Ob sich beide jemals begegnet sind, ist nicht bekannt. Eine 16-jährige Ära war beendet. Saemisch zog sich auf 126

127 128

BA R 43 II 1155a Bl. 42–44 Schreiben StS. Reinhardt an Chef der Reichskanzlei vom 11.7.1938. BA NL 171(Saemisch) Bd. 66 Bl. 38 Schreiben Saemisch an RMI Frick vom 21.5.1938. Die Rechnungsprüfungsordnung (RPO) vom 30.3.1938 setzte Präs. Saemisch noch am Tag seines Ausscheidens aus dem Amt in Kraft.

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seinen Landsitz in Freiburg-Günterstal zurück, wo er noch viele namhafte Persönlichkeiten empfing. Mit Johannes Popitz traf er sich letztmals, wie bereits erwähnt, im Jahr 1942 in Badenweiler.

2.27 Kurt Heinig: Im Rechnungshof hat sich „dauerhaft ein beachtlicher Widerstand gegen das Regime gehalten“ In seinen Erinnerungen lobt der frühere Reichstagsabgeordnete und langjährige Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Reichstags, Kurt Heinig, Saemisch als tüchtigen Präsidenten des RRH. Zum RRH bemerkt er, dass sich „dort dauerhaft ein beachtlicher Widerstand gegen das Regime gehalten“ habe129. Seitdem wird gerätselt, was sich hinter diesem „Ritterschlag“ verbergen könnte, zumal Heinig weder Ross noch Reiter nennt. Wesentlich zurückhaltender äußert sich das ehemalige Mitglied des RRH, Dr. Dr. Arthur Fuchs, mit seiner sybillinischen Bemerkung, im RRH habe es „einen Zusammenhalt der Gutgesinnten“ gegeben, womit wohl Bemühungen im RRH angesprochen werden, die Grundsätze einer unparteiischen Kontrolle wenigstens in ihrem Kernbestand aufrecht zu erhalten130. Auch die Charakterisierung des damaligen Finanzministers Schwerin von Krosigk, der RRH sei ein „Veilchen im Verborgenen“ gewesen131, trägt ebenso wenig zur Aufhellung bei, inwieweit es im RRH Widerstand oder Opposition gegeben hat, wie der von den Machthabern wiederholt erhobene Vorwurf, der RRH sei ein Sammelbecken politisch unzuverlässiger Beamter und ein Zufluchtsort für aus ihren Ämtern verdrängter Bediensteter. Daraus lässt sich allenfalls schließen, dass es eine Reihe von Regimekritikern gab, die sich unter dem Mantel der Parteizugehörigkeit verbargen und offene Konflikte mit dem Regime geflissentlich vermieden.

129 130 131

Heinig, Das Budget I, Die Budgetkontrolle, S. 127. Fuchs, Wesen und Wirken der Kontrolle, S. 179. Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott, S. 259.

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Die Spurensuche nach aktiven Widerständlern führt zu dem Stadtbaurat Wilhelm zur Nieden, den Präsident Saemisch im Jahr 1937 in seiner Gutachterabteilung als freien Mitarbeiter beschäftigte. Er musste im Herbst 1933 sein Amt als Generaldirektor der Leipziger Stadtwerke aus politischen Gründen aufgeben. Zur Nieden gehörte zur Widerstandsgruppe um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler und sollte nach einem gelungenen Putsch gegen Hitler eine leitende Funktion im Reichswirtschaftsministerium übernehmen. Ob zur Nieden dem Präsident Saemisch von Goerdeler empfohlen wurde, ist nicht bekannt. Im RRH wurde zur Nieden mit der Prüfung der Städtischen Versorgungsbetriebe Gelsenkirchen beauftragt132. Sein Gutachten über die Wirtschaftlichkeit und Organisation der Stadtverwaltung Gelsenkirchen wurde im Jahr 1937 fertiggestellt. Um 1939 veröffentlichte er mit dem Leiter der Gutachterabteilung des RRH, Baron von Stempel, eine Denkschrift über „Die Besonderheiten und die Bedeutung gemeindlicher Wirtschaftsführung auf dem Gebiet der Versorgungsund Verkehrswirtschaft“. Wie lange zur Nieden in den Diensten des RRH stand, ist nicht bekannt. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er im August 1944 von der Gestapo verhaftet und am 19. Januar 1945 von Roland Freisler zum Tod verurteilt133.

132 133

Geschäftsverteilungsplan des RRH vom 10.11.1937. In der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 wurde zur Nieden zusammen mit Klaus Bonhoeffer und Rüdiger Schleicher sowie weiteren Gefangenen von einem Sonderkommando der SS in Berlin-Moabit erschossen. Ein Ehrengrab befindet sich auf dem Evangelischen Dorotheenfriedhof in Berlin-Mitte. In der Chausseestraße 126 wurde eine Gedenktafel angebracht. Als die britischen Streitkräfte Deutschland besetzten, hatten sie nur geringe Kenntnisse vom deutschen Haushaltswesen. Den einzigen deutschen Haushaltsplan, den sie im Gepäck mitbrachten, war der Haushaltsplan der Stadt Gelsenkirchen!

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3. Der RRH in der Amtszeit seines Präsidenten Dr. Heinrich Müller (1938–1945) 3.1

Präsident Müller betritt Neuland

Nachdem StS. Reinhardt am 11. Juli 1938 bei Hitler seinen Favoriten für das Präsidentenamt durchgeboxt hatte, musste es nun schnell gehen. Bereits zwei Tage nach der Entscheidung Hitlers, am 13. Juli 1938, wurde Heinrich Müller im Alter von 42 Jahren zum Präsidenten des RRH und in Personalunion zum Chefpräsidenten der altehrwürdigen Preußischen Oberrechnungskammer in Potsdam ernannt134. Müller war bereits im Jahr 1921 der Partei beigetreten und gehörte mit der Mitgliedsnummer 8531 zur Riege der „Alten Kämpfer“. Innerhalb der NSDAP galt er als Experte für Beamtenfragen, eine Eigenschaft, die Hitler schon bei Präsident Saemisch geschätzt hatte und die Müller bald nutzte, um gute Kontakte zu dem Reichskabinettsrat Dr. Killy herzustellen, der in der Reichskanzlei für Angelegenheiten des RRH zuständig war. Beide traten „für die Aufrechterhaltung der Grundsätze des Beamtentums“ ein. Müller hatte eine bewegte berufliche Karriere hinter sich. Vor seiner Berufung zum Oberfinanzpräsidenten von Köln war er Reichskommissar in Hessen und nationalsozialistischer Innen-, Justiz- und Finanzminister gewesen. Wenige Monate vor seiner Ernennung, am 20. April 1938, war Müller der Allgemeinen SS

134

Zur Biographie Müllers: Dommach/Franz, „Müller, Heinrich“ in Neue Deutsche Biographie 18, 1997, S. 406–407.

54

beigetreten. Er wurde als ehrenamtliches Mitglied im Rang eines Standartenführers (Oberst) und als SS-Führer im Sicherheitsdienst-Hauptamt geführt. Insoweit war er unmittelbar dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Kaltenbrunner, unterstellt. Am 9. November 1941 ernannte ihn Himmler zum SS-Brigadeführer (Generalmajor) und zwei Jahre später zum SS-Gruppenführer (Generalleutnant). Seine Parteizugehörigkeit und seine SS-Mitgliedschaft dürfen nicht überschätzt werden. Müller war nicht die erste Wahl des Regimes und hatte weder in der Partei noch in der SS einen nennenswerten Rückhalt. Er wurde nicht einmal von Hitler – trotz Anmeldung – zum Antrittsbesuch empfangen135. Müller erlebte Hitler bei Großveranstaltungen. Es gibt keine Hinweise, dass es zwischen ihnen jemals zu einer persönlichen Begegnung oder Unterredung gekommen ist. Müller muss seine Berufung zum Präsidenten des RRH als Sprung ins kalte Wasser empfunden haben. Er war Quereinsteiger ohne Prüfungserfahrungen. Einstiegshilfen oder Ratschläge konnte Müller von Saemisch, der ihn für ungeeignet hielt, nicht erwarten. Zur Amtseinführung erschien Saemisch nicht. Sein schriftlicher Glückwunsch fiel kühl aus. Nur sein Weggefährte, Vizepräsident Mussehl, würdigte bei der Amtseinführung Müllers die Verdienste Saemischs. Präsident Saemisch hatte seinem Nachfolger als Erbe die Rechnungsprüfungsordnung hinterlassen und ihm etliche Steine in den Rucksack gepackt. Dazu gehörte der Streit mit dem RMF über das Ernennungsrecht, der noch nicht beigelegt war136, und der Dauerstreit mit dem Postminister, der den RRH abschaffen wollte137, sowie der permanente Kompetenzkonflikt mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP, der stets intervenierte, wenn es um die Prüfung von Geldflüssen aus dem Reichshaushalt an Parteiinstanzen ging138. Bei so vielen Fußfesseln musste Müller es als Herkulesarbeit ansehen, wenn er den unterschiedlich großen Erwartungen des Führers und der Partei gerecht werden und den RRH „völlig umkrempeln“ wollte. Hitler verlangte vom RRH, für die „Sauberkeit“ der öffentlichen Verwaltung zu sorgen, wozu vor allem der Kampf gegen Korruption, Unterschlagung und Verschwendungssucht gezählt wurde. StS. Reinhardt erwartete von Müller

135 136 137 138

BA R 43 II 1155 a Bl. 42ff. Vgl. Abschnitt 2.20. Vgl. Abschnitte 2.16 und 3.20. Vgl. Abschnitt 2.15.

55

die Umsetzung der angestrebten nationalsozialistischen Reformen und Verwaltungsvereinfachungen. Über Müllers Persönlichkeit ist wenig bekannt. Sein privates Erscheinungsbild ist nicht zu entschlüsseln. Als Präsident trat er als Beamter auf, dem Distanz vor Geselligkeit ging. Bei den „kleinen Leuten“ im Rechnungshof war er beliebt, weil er für sie stets ein „offenes Ohr“ gehabt haben und sozial eingestellt gewesen sein soll. Im Verhältnis zu den Mitgliedern gibt es keine Anzeichen von Spannungen. Befähigung und Leistung zählten für ihn mehr als Parteimitgliedschaft. Mit den Prüfungsbeamten kommunizierte Müller nach dem hierarchischen Prinzip von oben nach unten und vorzugsweise durch schriftliche Erlasse. In einem Erlass vom 23. Dezember 1941 verlangte er, neue Prüfer einzuarbeiten, auszubilden und sie mit den notwendigen Gesetzesmaterialen auszustatten.

3.2 Präsident Müller holt seinen persönlichen Referenten Dr. Hillebrecht vom Rhein an die Havel Nach dreimonatiger Amtszeit holte Präsident Müller am 3. Oktober 1938 den Steueramtmann Dr. Arno Hillebrecht, den er als Oberfinanzpräsident in Köln schätzen gelernt und gefördert hatte, als seinen persönlichen Referenten nach Potsdam. Auch Hillebrecht brachte keine Prüfungserfahrungen mit. Bis zum Jahr 1933 hatte er sich politisch nicht engagiert. Er gehörte lediglich dem Hochschulbund und dem Rechtswahrerbund an. Der NSDAP trat Hillebrecht am 1. Mai 1933 bei (Mitgliedsnummer 2099204). Vom 28. Oktober 1933 bis 31. März 1935 war er Mitglied der SA. Präsident Müller sorgte für seine steile Karriere. Er beförderte ihn im Zweijahresrhythmus, am 1. Februar 1939 zum Regierungsrat, im Jahr 1940 zum Oberregierungsrat, im Jahr 1942 zum Ministerialrat und im April 1944 sogar noch zum Direktor im RRH. Das Finanzministerium protestierte – allerdings vergeblich – gegen die Ernennung zum Direktor, weil Hillebrecht, der noch an die Parteikanzlei ausgeliehen war, innerhalb von fünf Jahren unter Verstoß gegen die „Reichsgrundsätze über die Einstellung, Anstellung und Beförderung 56

von Reichs- und Landesbeamten“ vom 14. Oktober 1936139 bereits zum vierten Mal befördert werde und der Posten für einen anderen Kandidaten vorgesehen sei. Nach den Reichsgrundsätzen war eine Beförderung erst nach dreijähriger Dienstzeit zulässig. Präsident Müller berief sich auf Bormann und Himmler, die sich lobend über Hillebrecht geäußert hätten140. Als Hillebrecht bei Ausbruch des Krieges als Flaksoldat eingezogen wurde, erwirkte Präsident Müller seine uk-Stellung für den RRH. Beide waren auch schriftstellerisch tätig. Im Jahr 1941 verhandelte Hillebrecht das schwierige Abgrenzungsabkommen mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP, Schwarz 141 . Nach seinem Wechsel in die Parteikanzlei wurde er zur Schlüsselfigur im Kampf um das Fortbestehen des Rechnungshofs und dessen Anerkennung als kriegswichtige Einrichtung142.

3.3

Der Zulauf zur NSDAP verläuft im RRH in Etappen

Das nationalsozialistische Duo Müller/ Hillebrecht traf auf einen stockkonservativen Rechnungshof und selbstbewusste Direktoren mit einem gewissen Corpsgeist, die 16 Jahre lang in einem Spannungsverhältnis mit dem schwierigen Vorgänger gelebt hatten. Manche von ihnen verdankten Saemisch die Zuflucht in den RRH, nachdem sie das neue Regime aus ihren Ämtern vertrieben und dem RRH den Ruf eingebracht hatte, ein Sammelbecken politisch unzuverlässiger Beamter zu sein143. Auf den parteilosen Vizepräsidenten Mussehl konnte Müller nicht zählen, da Präsident Saemisch ihn als seinen Nachfolger favorisiert hatte. Müller beschränkte sich darauf, nach außen den Rechnungshof lautstark als „Führerbehörde“ zu 139 140 141 142 143

RGBl I (1936), S. 893. BA R43 II 21 758 und 21 759 Bl. 49. Vgl. Abschnitt 3.30. Vgl. Abschnitte 3.34 und 3.39. Vgl. Abschnitt 2.10.

57

beschwören und für die Umwandlung des RRH in einen „Reichskontrollhof“ zu plädieren144. Das Bekenntnis der Leitungs- und Prüferebene zum neuen Regime hielt sich in Grenzen. Vor 1933 waren nur wenige Mitglieder der NSDAP beigetreten. Nach dem 30. Januar 1933 und der Reichstagswahl vom 5. März 1933 traten neben vielen Prüfern elf Mitglieder des RRH der NSDAP bei. Für die sogenannten „Märzgefallenen“ wurde das Eintrittsdatum in der Regel auf den 1. Mai 1933 festgelegt. Nach Aufhebung der Eintrittssperre kamen in den Jahren 1937 bis 1940 noch ca. 13 Mitglieder und weitere Prüfer hinzu. Sie erhielten in der Regel das Eintrittsdatum 1. Mai 1937. Die förmliche Parteimitgliedschaft der sogenannten „Konjunkturritter“ darf nicht überbewertet werden. Die Beamten traten nur zögerlich und eher aus Gründen der Karriere der NSDAP bei, ohne sich in der Partei zu engagieren. In der Außenabteilung München traten die im Jahr 1937 übernommenen Staatsfinanzräte niemals der NSDAP bei. Bis zum Ausbruch des Krieges nahm Müller im Personalbereich keine nennenswerten Änderungen vor. Bei Beförderungen spielte die Parteizugehörigkeit keine entscheidende Rolle. Die Behauptung, Müller habe Prüfer bedrängt, in die Partei einzutreten, ist nicht belegt. Die Parteikanzlei ließ auch Beförderungen von parteilosen Beamten zu, allerdings immer mit der Einschränkung, dass keine geeigneten Parteigenossen zur Verfügung stehen und mit der Mahnung, die Karriere von Parteimitgliedern zu fördern. Sobald aber passives oder regimekritische Verhalten erkennbar war, wurde die Beförderung versagt. So vereitelte Bormann die Beförderung des parteilosen persönlichen Referenten von Präsident Saemisch, Ministerialrat von dem Bach-Zelewski, zum Direktor145 mit der Begründung, dieser habe sich bisher weder für das Regime engagiert noch das erforderliche Interesse am Nationalsozialismus gezeigt.

144 145

Vgl. Abschnitte 3.9 und 3.10. Nicht zu verwechseln mit seinem Bruder, dem berüchtigten SS-General gleichen Namens.

58

3.4

Der Geheime Regierungsrat Emil Stengel wird zur grauen Eminenz im RRH

Zu dem parteilosen Vizepräsident Mussehl konnte Präsident Müller kein vergleichbares Vertrauensverhältnis aufbauen, wie es zwischen Mussehl und Präsident Saemisch bestanden hatte. Dafür übernahm nun der Rechnungshofdirektor Emil Stengel eine Schlüsselrolle. Er galt im Rechnungshof als Graue Eminenz. Stengel war im RRH der einzige Geheimrat alter Schule, er war seit 1937 Mitglied der NSDAP und „gab sich sehr nationalsozialistisch“146. Er saß mit Präsident Müller im Aufsichtsrat der Treuarbeit und war im RRH Leiter der wichtigen Grundsatzabteilung I, wo alle Fäden zusammenliefen. Stengel pflegte gute Kontakte zum Finanzministerium, wo der regimekritische Ministerialdirektor Josef Mayer die wichtige Haushaltsabteilung leitete. Neben dem persönlichen Referenten Dr. Hillebrecht bildete Stengel die bescheidene Hausmacht des Präsidenten Müller, der ihn an allen wichtigen Besprechungen beteiligte, ihm später zeitweise die kommissarische Leitung der Außenabteilungen München und Wien147 übertrug und ihn zum zweiten Vizepräsident des RRH ernannte, als Mussehl in den Sonderstab des Generals von Unruh berufen wurde. Nach dem Krieg improvisierte Stengel bis zu seiner Verhaftung durch die Sowjets im August 1945 einen Scheinbetrieb des RRH. Zu den Reichsministern pflegte Präsident Müller ein distanziertes Verhältnis. Er verkehrte mit ihnen grundsätzlich nur schriftlich. Auch im Aufsichtsrat der Treuarbeit, wo Müller den Vorsitz ausübte, hielt er Distanz zu den anderen, meist hochkarätigen Mandatsträgern aus dem Rüstungssektor und den Reichsministerien. Zu dem Reichskabinettsrat Dr. Killy, der in der Reichskanzlei für den RRH zuständig war, pflegte Präsident Müller engen Kontakt, vor allem wenn Gegner nach Ausbruch des Krieges die Schließung des Rechnungshofs verlangten und Killy die Anträge auf die lange Bank schieben sollte. Beide kannten sich, wie bereits erwähnt, als Experten für Beamtenrecht. 146 147

So MR Werner Friedrich in seinen Erinnerungen BA Kleiner Erwerb Nr. 400, s.Fn.250. Vgl. Fn. 114 und Abschnitt 3.11.

59

Als einziger Minister empfing Außenminister Ribbentrop den Rechnungshofpräsidenten, um bei einem Kamingespräch Beanstandungen auszuräumen, die der RRH zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben des Auswärtigen Amtes erhoben hatte. Müller erlag dem Charme Ribbentrops und fertigte einen Vermerk über die gute Atmosphäre des Gesprächs am Kamin an, womit die Kritik des RRH ihre Erledigung fand.

3.5 Präsident Müller übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat der Revisionsgesellschaft Treuarbeit Nachdem Präsident Saemisch 15 Jahre lang das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Revisionsgesellschaft Treuarbeit ausgeübt hatte, löste ihn Präsident Müller am 2. November 1938 ab. Müller tauschte sofort im Aufsichtsrat den Vizepräsidenten Mussehl gegen den Direktor Stengel aus, ein deutliches Signal, dass nun Stengel sein Vertrauen genoss und Mussehl kaltgestellt werden sollte. Der inzwischen gleichgeschaltete Aufsichtsrat bestand aus 15 regimetreuen Mitgliedern und wurde von der SS dominiert. Alle Parteimitglieder gehörten bis auf zwei Ausnahmen gleichzeitig der SS an148. Das stellvertretende Vorstandsmitglied der Treuarbeit, Dr. Richard Karoli, beriet den Leiter des Wirtschaftsverwaltungsamtes in Berlin (WVHA), SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Oswald Pohl, beim Aufbau des Amtes und in betriebswirtschaftlichen Fragen des SS-Konzerns, um die Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge noch „profitabler ausbeuten“ zu können149. Unter der Dachgesellschaft „Deutsche Wirtschaftsbetriebe“ (DWB) waren alle Wirtschaftsunternehmen der SS zusammengefasst 150 . Dr. Richard Karoli übernahm „namens der Treuarbeit“ die Leitung der Revisionsabteilung. Für die Prüfung der KZ-Betriebe war die Amtsgruppe D zuständig, mit der der Leiter des Prüfungsgebiets „SS“ im RRH, Richard Knebel, bei seinen Prüfungen 148

Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 92.

149

Ebenda, S. 76. BA B R 8135/6376 Konzernbericht 1942, Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 85.

150

60

eng zusammenarbeitete. Er erteilte der Revisionsabteilung des WVHA regelmäßig Prüfungsaufträge. Ab Sommer 1944 löste der SS-Untersturmführer Hermann Karoli, der nicht der NSDAP angehörte, seinen Bruder Richard in der Leitung des Revisionsamtes ab, blieb aber gleichzeitig Vorstandsmitglied der Treuarbeit. Nach dem Ausbruch des Kriegs sorgten im Aufsichtsrat der Treuarbeit die mit Sitz und Stimme vertretenen Reichsministerien und die Vertreter der Rüstungswirtschaft gegen den Willen seines Vorsitzenden für den Ausbau eines weitverzweigten Netzes von Niederlassungen in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten und verschafften der Treuarbeit ein Prüfungsmonopol, das auch die Erfassung, Verwaltung und Verwertung des immensen erbeuteten Feind- und Judenvermögens umfasste151. Der RRH war faktisch von der Prüfung der Vielzahl der neu entstandenen Unternehmen in den besetzten Gebieten ausgeschlossen. Er beanspruchte aber die Möglichkeit, bei teilweise heftigen Widerstand der Militärbefehlshaber und Chefs der Zivilverwaltungen vom „Atlantik bis zum Schwarzen Meer“ nach dem Verbleib des erbeuteten Juden- und Feindvermögens sowie nach schwarzen Kassen oder Fonds zu fahnden. Während das Prüfungsgeschäft für die Treuarbeit boomte, hatte der RRH aus zwei Gründen erhebliche Schwierigkeiten, sein Prüfungsrecht auszuüben. Zum einem musste sich der RRH eingestehen, dass er mit flächendeckenden Prüfungen schon personell überfordert war. Außerdem wurde sein vermeintliches Prüfungsrecht in den besetzten Gebieten mit der Begründung bestritten, die RHO gelte nicht automatisch dort, wo deutsche Truppen fremde Gebiete besetzt haben. Immerhin fiel die Prüfungsaufgabe im RRH in die Zuständigkeit des MR Werner Friedrich, der von 1940 bis 1945 in allen besetzten Gebieten Prüfungen durchführte. Eine Arbeitsteilung wurde förmlich nicht vereinbart, von Fall zu Fall nahm der RRH aber Erkenntnisse der Treuarbeit zum Anlass, eigene Prüfungen vor Ort durchzuführen. So griff Präsident Müller in seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1939 Prüfungserkenntnisse der Treuarbeit auf, die sich beim Befehlshaber des Sicherheitsdienstes in Oslo ergeben hatten. Er hatte für das riesige beschlagnahmte „reichsfeindliche Vermögen“ eine eigene Dienststelle eingerichtet.

151

Fn.149 Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 280.

61

MR Werner Friedrich stützte sich bei seinen Prüfungen in Luxemburg auch auf Prüfungsberichte der Treuarbeit. Die Treuarbeit prüfte nicht nur staatseigene Betriebe, sondern wurde auch selbst vom RRH geprüft. Im Jahr 1939 prüfte der RRH die Entwicklung der Treuarbeit für die Geschäftsjahre 1933–1938152. Im Jahr 1941 kritisierte er die Rücklagenpolitik in den Bilanzen der Treuarbeit153. Als der RMF im Jahr 1941 die Prüfungsrichtlinien für Reichsbeteiligungen, die noch aus dem Jahr 1925 stammten, aktualisierte, beteiligte sich der RRH an der Neufassung. Die Nationalsozialisten erwarteten, dass die Treuarbeit bei ihren Prüfungen von der Ideologie ausgeht: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“. Die neuen Prüfungsrichtlinien nahmen diese Parole nicht auf, sondern verlangten die nüchterne Abfassung der Prüfungsberichte mit der Darstellung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des geprüften Unternehmens und einer Analyse des Jahresabschlusses. Die Prüfungsrichtlinien verpflichteten die Reichsministerien, die Prüfberichte der Treuarbeit dem RRH vorzulegen. Einzelne Niederlassungen berichteten dem RRH unmittelbar154. Als sich im Jahr 1942 Vertreter der Wirtschaft, insbesondere der Rüstungsindustrie, über das aufwendige Prüfungsverfahren der Treuarbeit beklagten und Vereinfachungen während des Krieges verlangten, berief Albert Speer als Reichsminister für Bewaffnung und Munition (RMfBuM) eine Ressortbesprechung ein, an der auch der RRH teilnahm. Dabei wurden Vereinfachungen des wirtschaftlichen Prüfungswesens in der Rüstungsindustrie vereinbart155.

152 153 154

155

BA B R 2301/6129 Bl. 30,31,40. BA B R 2301/6129 Bl. 127 Schreiben des RMF an RRH vom 17.9.1941. BA B R 2301/6536 Berichte der Zweigniederlassung Kattowitz vom 31.12.1940 und vom 30.6.1941 an RRH über Kredite, Reichsbürgschaften, Darlehen und Kapitalzuschüsse aus Haushaltsmitteln sowie BA B R 2301/6539 Bericht der Zweigniederlassung Saarbrücken vom 18.6.1942 an RRH. BA B R 3101/17 650 Niederschrift über die Ressortbesprechung vom 4.7.1942 S. 1–6 Prüfung von Unternehmen sowie Vermerk des RMWI vom 6.7.1942. Das RM für Bewaffnung und Munition wurde durch Führererlass vom 17.3.1940 gegründet (RGBl I, S. 513) und am 2.9.1943 in RM für Rüstung und Kriegsproduktion umbenannt und mit umfassenden Vollmachten ausgestattet (RGBl I, S. 259). Ab 20.6.1944 war es auch für die Luftrüstung zuständig.

62

Am 26. Oktober 1943 nahm der RRH an einer weiteren interministeriellen Ressortbesprechung mit Vertretern der Wirtschaft über kriegsbedingte Einschränkungen der Prüfungs- und Treuhandaufgaben teil156.

3.6

Präsident Müller führt die Beratungsund Betreuungsrevision ein

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt wollte Präsident Müller dem RRH ein neues Erscheinungsbild verschaffen, indem er die Beratungs- und Betreuungsrevision als neues Prüfungsverfahren einführte: – – – –



Die Prüfer sollten nicht bloße Kritiker der Verwaltung, sondern ihre echten Helfer und Berater sein. Sie sollten jede Art von Brüskierung der Verwaltung vermeiden. Die Prüfer sollten sich in der Verwaltung um Vertrauen in die Prüfung und ihre Kontrolleure bemühen. Die Sachverhalte sollten durch einfache Rückfragen aufgeklärt werden. Förmliche Prüfungsmitteilungen (sog. Erinnerungen) sollten nur noch bei schweren Verstößen verfasst werden, um sog. kontradiktorische Verfahren zu vermeiden. Es sollten möglichst Vor-Ort-Prüfungen am Sitz der Verwaltung stattfinden157

Das neue Prüfungsverfahren wurde in zwei Feldversuchen erprobt. Im September 1938 ersuchte der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen, Todt, um Unterstützung bei den Abrechnungsarbeiten und der Abwicklung der Regieverträge zum Bau des Westwalls. Daraufhin entsandte Präsident Müller ein Prüfungsteam von sieben Prüfern in die Zentralstelle für den Westwallbau nach

156 157

BA B R 3101/20 486 Niederschrift Bl. 99–104. Vizepräsident Mussehl in FinanzArchiv NF N 77(1940), S. 303.

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Wiesbaden und zu den Oberbauleitungen. Für die Prüfung größerer Baumaßnahmen empfahlen die Prüfer die Einrichtung einer Vorprüfung158. Nach dem Anschluss Österreichs und der Besetzung des Sudetenlandes entsandte Präsident Müller drei Beamte ins Sudetenland, um den Aufbau von 12 Straßenbauämtern und die Straßenbau-Hauptverwaltung zu unterstützen159.

3.7

Albert Speer plant einen Neubau für den RRH

Als der Generalbauinspektor Speer im Frühjahr 1939 den RRH in seine Pläne für die Hauptstadt Germania einbeziehen und seine Verlegung nach Berlin vorsehen wollte, zog Müller es vor, im beschaulichen Potsdam zu bleiben und dort ein neues Dienstgebäude zu planen160. Dem Chefplaner Ludwig beschrieb Müller die Alltagsarbeit im Rechnungshof so: „Die Arbeit der Beamten des Rechnungshofs erfordert Ruhe, Licht und Luft. Die eigenartige Prüfungstätigkeit der Beamten, die nicht frei von einer gewissen Eintönigkeit ist, die keinen Publikumsverkehr kennt, den Beamten meist an Einzelzimmer fesselt und stärkste Sammlung während der ganzen Dienststunden erfordert, macht es notwendig, den Beamten vom Lärm der Großstadt fernzuhalten und ihm die Möglichkeit zu geben, die angestrengten Augen an grünen Flächen zu erholen und in frischer Luft zu arbeiten“. Es blieb also bei Schreibtischprüfungen und Schriftverkehr mit den Ministerien und nachgeordneten Dienststellen. Dienstreisen mit Vor-Ort-Prüfungen waren weiterhin die Ausnahme. Mit Ausbruch des Krieges wurden die Neubaupläne auf

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159

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Denkschrift Präsident des RRH für das Rechnungsjahr 1938, S. 17ff., BA Koblenz R 43 II (RK) 705b Bl. 171 Dankschreiben Todt an Präsident Müller vom 12.1.1939, Gilles, Hauptsache sparsam und wirtschaftlich, S. 56f. Es wurden die Ministerialräte Dr. Panzeram und Dr. Kösters sowie der Amtsrat Elgt entsandt. BA Koblenz R 43 II (RK) 705b Bl. 172,173 Dankschreiben Todt an Präsident Müller vom 8.3.1939. Zumal er gerade seine neue Dienstvilla in Potsdam, Kapellenbergstraße 4, heute Puschkinallee, bezog.

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Eis gelegt. Gegen Kriegsende lagerten Berliner Ministerien Ordenskissen und Ähnliches in die Potsdamer Zentrale aus. Ein im Jahr 1944 erstellter Notfallplan sah vor, dass die Reichskanzlei im Falle ihrer Zerstörung in das Gebäude des RRH nach Potsdam ausquartiert wird.

3.8

Das Finanzministerium fordert vom RRH Gutachten an

In den Jahren 1938 und 1939 kam es zu einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen dem Finanzministerium und dem RRH, die der parteilose Generalreferent der Haushaltsabteilung im Finanzministerium, Josef Mayer, einfädelte161. Als auf das Finanzministerium eine Flut von Stellenanforderungen des NS-Apparates zukam, nutzte Mayer die Gelegenheit, die Gutachterabteilung des RRH einzuschalten, um der maßlosen Expansion des NS-Regimes entgegenzuwirken. Er forderte vor der Bewilligung neuer Planstellen häufig Stellungnahmen des Rechnungshofs an, der auf den Hilferuf einging und sich u.a. kritisch zum Personalbedarf der SS-Verfügungstruppe, des Volksgerichthofs und der Generalstaatsanwaltschaft äußerte. Dem RRH dankte Mayer für die Unterstützung durch sein Wohlwollen bei der Bewilligung von Stellen in den Haushaltsverhandlungen. Als der RRH in den Jahren 1940/41 wegen der Anforderung neuer Stellen in die Kritik Bormanns geriet, wies Mayer darauf hin, dass der RRH für die Haushaltsabteilung des Finanzministeriums unentbehrlich sei, weil sie vom RRH wichtige Informationen erhalte, die sie für die Haushaltsplanung benötige. In der Endphase des Krieges rettete Mayer, wie noch zu zeigen ist, auch die Preußische Oberrechnungskammer durch einen genialen Einfall vor der Auflösung. 161

Mayer kritisierte heftig die Politik der Stellenvermehrung nationalsozialistischer Machthaber und legte seinem Minister, Graf Schwerin von Krosigk, vergebens nahe, einen stärkeren Konfliktkurs einzuschlagen. Mayer stieg im August 1941 zum Ministerialdirigenten auf und leitete die wichtige Haushaltsabteilung des Finanzministeriums bis zum Kriegsende. Nach dem Krieg trat Mayer in den Nürnberger Prozessen als Entlastungszeuge seines früheren Dienstherrn, Graf Schwerin von Krosigk, auf und wurde nach Gründung des Bundesrechnungshofs dessen erster Präsident.

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3.9

Der neue Präsident hält eine Grundsatzrede

Zwei Monate vor Kriegsausbruch, vom 30. Juni bis 1. Juli 1939, veranstaltete die Reichsgruppe Hochschullehrer im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB) im Potsdamer Rechnungshof ihre erste Arbeitstagung über „Organisation, Aufgaben und Grundfragen des staatlichen Rechnungs- und Kontrollwesens“162. In seiner Grundsatzrede über „Die staatsrechtliche und staatspolitische Stellung des Rechnungshofs im Dritten Reich“ legte Präsident Müller seine Vorstellungen von einem künftigen Rechnungshof mit einem nationalsozialistischen Anstrich dar. Er verstand den Auftrag, den RRH „völlig umzukrempeln“, dahingehend, einen starken Rechnungshof mit umfassenden Kompetenzen zu installieren, was wohl ein Missverständnis war, denn die neuen Machthaber hatten dem Rechnungshof keine tragende Rolle zugestanden. Vielmehr erwarteten sie, die Prüfungen auf die Bedürfnisse des Regimes auszurichten und sich um die „Sauberkeit der Verwaltung“ zu kümmern. Müller suchte die unmittelbare Rückendeckung Hitlers, indem er betonte, der Rechnungshof leite seine Aufgabe vom Führer her. Er sei ein Werkzeug des Führers und mehr Führerbehörde als Reichsbehörde163. Gleichzeitig konkretisierte Müller sein Modell einer Beratungs- und Betreuungsrevision. Der Rechnungshof dürfe sich nicht nur mit abgeschlossenen Vorgängen der Vergangenheit befassen und bereits begangene Fehler kritisieren, er müsse sich verstärkt der Zukunft zuwenden und mehr raten, vorsorgen, planen und vor allem Verwaltungen, die noch im Aufbau sind, zeitnah beraten, kurz ein wahrer Helfer sein, wie dies bereits § 3 der Instruktion König Friedrich Wilhelms III vom 18. Dezember 1824 verlangt habe164. Damit wies Präsident Müller auf die Notwendigkeit hin, die vielen im Aufbau befindlichen neuen Verwaltungen bei der Schaffung geordneter Verwaltungsstrukturen zu unterstützen und für eine

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163 164

Tagungsleiter war Prof. Dr. Felix Boesler aus Königsberg. Tagungsbericht Felix Boesler und Hans Engel in FinanzArchiv NF Bd. 7 (1940), S. 294–317. BA P NL Nr. 12 (Mussehl) Bl. 64–71, FinanzArchiv NF 7 (1940), S. 193–205. FinanzArchiv NF 7 (1940), S. 202/203.

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Haushalts- und Kassenführung zu sorgen, damit Prüfungen stattfinden konnten. Außerdem sollte die Rechnungsprüfung durch vermehrte Vor-Ort-Kontrollen „näher an die Gegenwart herangeführt“ werden, womit im Klartext nicht nur die Beschleunigung des Prüfungsverfahrens verlangt wurde, sondern auch die Prüfer aufgefordert wurden, künftig anstelle der bisherigen Schreibtischprüfungen mit langatmigen Schriftwechsel Fehler und Mängel unmittelbar vor Ort zu besprechen und Anregungen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Die Forderungen waren nicht neu. Auch sein Vorgänger Saemisch hatte wiederholt eine orts-, sach- und gegenwartsnahe Prüfungspraxis angemahnt. Unklar ist, ob die Betreuungs- und Beratungsrevision unter dem Motto „Mehr Beratung als Kritik“ und „mehr Vor-Ort-Prüfungen“ im Prüfungsalltag eine nennenswerte Bedeutung bekamen und das Erscheinungsbild des RRH wesentlich veränderten. In seiner Grundsatzrede räumte Präsident Müller ein, dass das Kontrollrecht des RRH gesetzlich in der RHO verankert sei, womit auch das Regelwerk der Reichskassenordnung, der Reichswirtschaftsbestimmungen sowie der Rechnungsprüfungsordnung und der Geschäftsanweisung, die Präsident Saemisch seinem Nachfolger hinterlassen hatte, ebenso wenig in Frage gestellt wurde wie die Aufgabe, sowohl die Ordnungsmäßigkeit als auch die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu prüfen. Schließlich betonte Präsident Müller die „Notwendigkeit“, dem RRH „die Stellung einer unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Behörde zu geben“, um mit der pathetischen Feststellung zu enden, dass alle Beamten des RRH sich bewusst seien, „dass sie als Soldaten in Zivil, erfüllt vom Geiste des Führers, arbeiten im Dienste des deutschen Volkes“165. Ob alle Prüfer den Appellen ihres neuen Präsidenten folgten, muss bezweifelt werden. Die Prüfungsberichte standen insoweit in der Kontinuität zur Berichterstattung in der Weimarer Zeit, als sie in Tonlage und Inhalt ideologiefrei verfasst wurden. Ein ausdrückliches Bekenntnis zu den Zielen des NS-Regimes ist in den Berichten und Vermerken – mit wenigen Ausnahmen – nicht feststellbar. Ideologische Aspekte wurden meist, wenn überhaupt, als Auffassungen der geprüften Verwaltungen wiedergegeben. Die Beanstandungen wurden regelmäßig personenbezogen und nicht systembezogen abgefasst, um nicht als regimekritische

165

Ebenda, S. 205.

67

Bemerkungen aufgefasst zu werden. Insofern darf aus kritischen Äußerungen gegenüber Amtsträgern mit hohen Parteiämtern nicht Kritik am Regime herausgelesen werden. Allerdings vermied der RRH zunehmend Beanstandungen mit provozierendem Unterton, um nicht den Unmut der Betroffenen zu wecken. Insgesamt klafften Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Allerdings sollen Prüfer bei Prüfungen gelegentlich auch in Uniformen erschienen sein, um sich größeren Respekt zu verschaffen. Die meisten Prüfungsbeamten verstanden sich als loyale Staatsdiener, die sich auch nach dem Beitritt zur NSDAP den Grundsätzen der RHO verpflichtet fühlten und es als ihre Aufgabe ansahen, leidenschaftslos und unpolitisch die öffentliche Verwaltung nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu kontrollieren und die Beachtung des Haushaltsrechts einzufordern. Bei den Prüfungen im „Altreich“ stand regelmäßig die Frage im Mittelpunkt, ob die haushaltsrechtlichen Bestimmungen der RHO beachtet oder verletzt wurden. In der Direktorenbesprechung, die vom 22. bis 24. Oktober 1938 in Potsdam stattfand, empfahl Präsident Müller seinen Direktoren, gegenüber den Ministerien eine „gewisse Vorsicht“ zu üben. Außerdem riet er wiederholt, bei Prüfungen nicht zu kleinlich zu verfahren. Das Ansehen des RRH leide, wenn er auch kleinliche Erinnerungen hartnäckig verfolge. Es müsse auf die allgemeine Auswirkung der Mitteilungen auf die geprüften Stellen, insbesondere auf deren Leiter, Bedacht genommen werden. Eine allgemeine Empfehlung für eine „weiche Linie“ in der Rechnungsprüfung wurde allerdings nicht gegeben. Gelegentlich wagten Prüfer, auch Parteigrößen ins Visier zu nehmen. So deckte die Außenabteilung München im Jahr 1938 durch den Amtsrat Hans Zott Steuerhinterziehungen des Gauleiters und Herausgebers des antijüdischen Hetzblattes „Der Stürmer“, Julius Streicher, auf. Dabei wurden erhebliche Steuernachzahlungen durchgesetzt. Im Jahr 1939 stieß die Außenabteilung München bei der Prüfung der Personalausgaben auf Überzahlungen an den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert und an den Innenminister und Gauleiter Rudolf Wagner. Die Beanstandung wurde bis in die Nachkriegszeit weiterverfolgt. Am 15. Mai 1939 wurde die Rückzahlung verlangt. Als die Stellungnahme Sieberts ausblieb, schaltete sich am 30. November 1940 Präsident Müller persönlich ein. Am 17. März 1941 kam es zu einer Aussprache, in der Siebert um Aufschub bat, bis er eine Klärung durch 68

das Finanzministerium herbeigeführt habe. Nachdem Siebert bereits verstorben war, nahm die Außenabteilung München die unerledigte Beanstandung dennoch in ihre Bemerkungen für die Rechnungsjahre 1941 und 1942 auf, die allerdings erst im Februar 1946 dem bayerischen Finanzministerium zur „Entlastung“ vorgelegt wurden.

3.10 Präsident Müller will einen starken Reichskontrollhof Nachdem der RRH seine Kontrollbefugnis durch die Schaffung von Außenabteilungen auf die Länder ausweiten konnte, wollte Präsident Müller sämtliche im Reich bestehenden Kontrolleinrichtungen unter einem Dach vereinigen und sich an die Spitze eines Reichskontrollhofs im Rang eines „Staatsministers und Chefs der Reichskontrolle“ bringen166. In seiner Grundsatzrede hatte er bereits darauf hingewiesen, das Kontrollrecht des Rechnungshofs sei ein totales und umfasse daher alle Verwaltungszweige des Reiches, der Länder, Gemeinden, Reichsbeteiligungen usw. Die Übernahme der überörtlichen Gemeindeprüfung sei möglich, womit er erneut den Innenminister herausforderte. Präsident Müller wollte zunächst die Kontrolle des RRH auf die Kommunen ausdehnen und in einem zweiten Schritt alle weiteren Kontrollorgane in einem Superrechnungshof bündeln. Im August 1939 legte er zunächst eine Denkschrift über „Die staatsrechtliche Stellung und der organisatorische Aufbau einer über das ganze Reichgebiet einheitlich zu schaffenden überörtlichen Gemeindeprüfung“ vor. Darin brachte Präsident Müller zunächst die Bildung eines „Reichsprüfungshofs für gemeindliche Verwaltungen“ ins Gespräch. Mit seinem Vorschlag stieß er erwartungsgemäß auf den energischen Widerstand des Reichsinnenministers Frick, der auf seinem in § 106 RHO verbrieften Prüfungsrecht 166

BA R2/21 738, BA R 43 II 1155b Bl. 92 ff; zum Führerprinzip Fuchs, Wesen und Wirken der Kontrolle, S. 145, 159, zur Titelfrage auch Abschnitt 2.20 sowie Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 29f.

69

bestand und nach Ausbruch des Krieges eine erbitterte Fehde mit dem RRH führte. Der RMI und GBV verlangten wiederholt die Einschränkung der Rechnungsprüfung während des Krieges sowohl im Altreich als auch später in den besetzten Gebieten. Der Streit gipfelte in der Forderung, den RRH während des Krieges ganz stillzulegen, weil er keine kriegswichtige Einrichtung sei. Im Frühjahr 1940 riet der Reichskabinettsrat in der Reichskanzlei, Dr. Killy, dem Präsidenten Müller, die Frage der Gemeindeprüfung bei seinen weiteren Bemühungen um einen Reichskontrollhof auszuklammern und sein Anliegen bei passender Gelegenheit auf höchster Ebene vorzutragen167. Im Kriegsjahr 1943 unternahm Präsident Müller, wie noch zu zeigen sein wird, einen erneuten Versuch, ein Gesetz über einen Reichskontrollhof zustande zu bringen. In einem Vortrag am 1. Februar 1943 über „Aufsicht und Kontrolle“ argumentierte er, durch den Wegfall des Parlaments komme dem RRH eine gesteigerte Kontrollaufgabe gegenüber der erstarkten Exekutive zu. Andere Kontrollinstanzen müssten dem RRH unterstellt werden.

3.11 In Wien entsteht eine neue Außenabteilung des RRH Nachdem der Vizepräsident der Potsdamer Zentrale, Mussehl, in Begleitung des Rechnungshofdirektors Stengel Ende Mai 1938 mit dem österreichischen Rechnungshof in Wien erste Sondierungsgespräche geführt hatte, verhandelte Präsident Müller unmittelbar nach seinem Amtsantritt mit dem kommissarischen Leiter des Wiener Rechnungshofs, Viktor Gross, über die Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung zwischen beiden Kontrollinstanzen. Gleichzeitig setzten im österreichischen Rechnungshof politisch und rassisch motivierte Säuberungen ein. Fünf höhere Beamte wurden wegen ihrer politischen Einstellung oder jüdischen Abstammung genötigt, ihre Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zu beantragen. Drei alte Parteigenossen wurden wegen ihrer Verdienste um die 167

BA-P 2301/1844 Schreiben Vizepräsident Mussehl an Präsident Müller vom 30.4.1940 und RRH-Vermerk vom 3.5.1940.

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NSDAP befördert. Der Leiter der Präsidialabteilung, Dr. Guido Wagner, schützte etliche Bedienstete vor der Zwangspensionierung und verhinderte am 13. Juli 1938 die Bildung eines Säuberungsausschusses im Rechnungshof. Im Oktober 1938 bat Wagner um seine Ablösung. An seine Stelle trat ab 22. Oktober 1938 der Parteigenosse Dr. Johann Hawranek, der sofort dafür sorgte, dass sechs Bedienstete bis zur Klärung ihrer politischen Zuverlässigkeit zwangsbeurlaubt wurden. Im Frühjahr 1939 wurden 35 zur Übernahme in die künftige Wiener Außenabteilung vorgesehene Prüfungsbeamte schubweise und in kleinen Gruppen nach Potsdam und zu Außenabteilungen des RRH geschickt, um die deutsche Rechnungsprüfung kennenzulernen und auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet zu werden. Die Aktion, die spöttisch Kinderlandverschickung genannt wurde, fand großen Anklang, weil Wiener Charme auf nüchternes Preußen traf. Als der Reichsinnenminister am 22. Juli 1939 dem Rechnungshof in Wien den Entwurf einer Verordnung über die Bildung einer Außenabteilung des RRH in Wien übermittelte, hatte Gross „keine Bemerkungen“ und „begrüßte“ die „darin vorgesehene Regelung wärmstens und mit großem Dank“. Ab 1. August 1939 wurde die Außenabteilung des RRH in Wien errichtet168. Sie nahm ihre Arbeit am 24. August 1939 mit ca. 43 Mitarbeitern auf. Unter ihnen befand sich der junge Regierungsoberinspektor Dr. Josef Marschall, der am 6. August 1944 zum Regierungsamtmann ernannt wurde und nach dem Krieg bis 1986 Vizepräsident des Österreichischen Rechnungshofs war169. Als kommissarischen Leiter entsandte Präsident Müller bis November 1939 den Rechnungshofdirektor Stengel nach Wien. Ab 1. Dezember 1939 löste ihn Dr. Max Klusemann als Leiter der neuen Außenabteilung ab. Auch der Büroleiter kam – wie üblich – aus Potsdam. Der bisherige Leiter der Präsidialabteilung, Hawranek, wurde bei der Errichtung der Außenabteilung ab 1. August 1939 in die Außenabteilung in München umgesetzt und im April 1940 zum Ministerialrat ernannt. Nach einem zweijährigen Zwischenspiel in der Außenabteilung Hamburg kehrte Hawranek im Jahr 1942 in die Außenabteilung Wien zurück. Ab 10. September 1942 wurde er kommissarischer Leiter des tschechischen Obersten Kontrollamtes in Prag.

168 169

VO vom 19.8.1939, RGBl I, S. 1441. Der Regierungsrat Gnoyke wurde 1950 bei Gründung des Bundesrechnungshofs in Frankfurt/Main als Prüfungsbeamter übernommen.

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Die Außenabteilung in Wien war – wie der bisherige österreichische Rechnungshof – zuständig für die Prüfung der sieben Bundesländer bzw. Gauverwaltungen, für die Prüfung der Stadt Wien sowie der Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern, für zwei staatliche Fonds (Bergbaufürsorgefonds und Garantiefonds) und sieben Unternehmen, an denen die öffentliche Hand finanziell beteiligt war. Die Prüfung der auf dem Gebiet Österreichs tätigen Reichsbehörden der Justiz, der Finanzen, des Zolls und der Post sowie des Reichsarbeitsdienstes, des Reichsautobahnbaus und der SS behielt sich die Potsdamer Zentrale vor170. In Einzelfällen delegierte sie die Prüfung auf die Wiener Außenabteilung, die sich vor allem auf Städteprüfungen konzentrierte. Die Ergebnisse teilte sie auch den Aufsichtsbehörden und dem Reichsinnenministerium mit, dass das Prüfungsrecht über Gemeinden nach § 103 DGO beanspruchte171. Bei der Prüfung der Gauselbstverwaltungen ergaben sich erhebliche Mängel und gravierende Verstöße gegen elementare Grundsätze des neuen Haushaltsrechts der RHO, die ab 1940 anzuwenden war. Bis dahin wurde nach dem österreichischen Haushaltsrecht verfahren. Es wurden schwarze Kassen und Veruntreuungen aufgedeckt. Die Außenabteilung prüfte auch die Chefs der Zivilverwaltung in Oberkrain und der Untersteiermark sowie die Umsiedlung der Slowenen und der Aussiedlungen der Gottscheer- und Kamaltaler Deutschen in Kärnten und der Untersteiermark172.

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Archiv des Österreichischen Rechnungshofs Wien, Grundzahl 139 BKA. Denkschriften Präsident des RRH vom 4.5.1944, S. 17 und vom 9.1.1942, S. 10–12. Die Prüfungstätigkeit der Außenabteilung des RRH in Wien ist Gegenstand eines Forschungsprojekts des heutigen Österreichischen Rechnungshofs. Außerdem ist eine Dissertation von Peter Laussegger über den Österreichischen Rechnungshof angekündigt. Kurz vor der Einnahme Wiens durch die Rote Armee am 13. April 1945 nahm sich am 10. April 1945 der Leiter der Außenabteilung des RRH, Max Krusemann, mit seiner Ehefrau das Leben.

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3.12 Präsident Müller verzichtet auf Einnahmeprüfungen Für die Übernahme der Beamten aus dem aufgelösten Österreichischen Rechnungshof in die neue Außenabteilung in Wien beantragte Präsident Müller beim Finanzministerium die Bewilligung von 62 neuen Planstellen. Für Umorganisationen innerhalb der Potsdamer Zentrale und neue Prüfungsaufgaben (Eingliederung der neuen Gebiete, Haupttreuhandstelle Ost und Ausdehnung der Wehrmachtsprüfung) verlangte Müller zwei zusätzliche Direktorenstellen. Der Staatssekretär im RMF, Reinhardt, nutzte die hohe Stellenanforderung zu einem Deal mit Präsident Müller, indem er ihm unmissverständlich zu verstehen gab, er werde es nicht mehr dulden, dass der RRH „seine“ Steuerbeamten und Betriebsprüfer prüft, weil er, Reinhardt, „seine“ Finanzbeamten so geschult und erzogen habe, dass neben der ohnehin installierten Eigenkontrolle eine zusätzliche Kontrolle durch den RRH überflüssig sei. Im Gegenzug wolle er diesen Aspekt bei der Anerkennung des gegenwärtigen Personalbestandes des Rechnungshofs berücksichtigen. Müller stimmte zu. Damit hatte er die Personalaufstockung mit dem Verzicht auf die Einnahmekontrolle erkauft. In seinem Schreiben an Bormann als Reichsleiter der Parteikanzlei gestand Reinhardt am 31. Juli 1941 beiläufig und kleinlaut seinen Deal mit den Worten ein, er habe sich „vor einiger Zeit“ mit Präsident Müller über den Verzicht auf die Einnahmekontrolle verständigt und dies bei der Stellenanforderung berücksichtigt173. Prüfungsverzichte waren nichts Neues. Präsident Saemisch hatte bereits am 19. April 1937 mit dem Reichsschatzmeister vereinbart, „bis auf weiteres“ auf die Prüfung der bestimmungsgemäßen Verwendung von 100 Millionen RM zu verzichten, die aus der Reichkasse an die Hitlerjugend, die SA, SS, NSKK und zwei österreichische Hilfswerke geflossen waren. Am 23. März 1940 erneuerte Präsident Müller den Verzicht seines Vorgängers für die der Obersten SA-Führung überwiesenen Reichmittel. Am 25. Februar 1942 teilte Präsident Müller dem 173

BA Koblenz R2 (RMF) 21 740.

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Propagandaminister Goebbels mit, dass der RRH auf die Prüfung des Hauses der Deutschen Kunst in München verzichtet, nachdem der Bankier von Finck bei Müller interveniert hatte.

3.13 Bormann ist mit dem RRH unzufrieden Präsident Müller wurde offensichtlich den Erwartungen nicht gerecht, den Rechnungshof „völlig umzukrempeln und die vom Standpunkt des Nationalsozialismus gebotenen Reformen und Vereinfachungen durchzuführen“. Die Mehrzahl der Prüfer verstand sich, wie bereits erwähnt, als unpolitische Staatsdiener, die sich dem Auftrag des Gesetzes (RHO) verpflichtet fühlten, die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung zu prüfen. Eine Ausnahme bildeten diejenigen Prüfungsgebiete, die – abgeschottet von den anderen Prüfungsbereichen – mit sogenannten sensiblen Prüfungen in den besetzten Gebieten und von Ghettos und KZ-Lagern befasst waren. Als sensibel wurden im RRH diejenigen Prüfungen bezeichnet, die sich mit dem Verbleib des erbeuteten Feind- und Judenvermögen befassten. In einer ersten Zwischenbilanz kritisierte Martin Bormann am 31. Mai 1939 die unveränderte personelle Ausrichtung des RRH: „In den letzten Jahren habe ich mehrfach beobachtet, dass Beamte, die aus politischen Gründen anderweitig nicht verwendbar waren, an die Preußische Oberrechnungskammer oder an den Rechnungshof des Deutschen Reiches versetzt wurden“. Daher sei die Unterbringung des jüdischen Ministerialrats Kurt Grünbaum im Rechnungshof nicht vertretbar, da „gerade auch diese Behörden über politisch zuverlässige Beamte verfügen müssen“174. Am 29. Februar 1940 beklagte sich Bormann bei StS. Reinhardt über die unerwünschte Entwicklung des RRH. Reinhardt ließ sich mit einer Antwort Zeit. Im Oktober 1940 kamen er und der Vertreter der Parteikanzlei, Ministerialdirektor 174

BA Koblenz R 43 II Nr. 599 Bl. 35 Schreiben der Parteikanzlei vom 31.5.1939 an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Alfred Rosenberg. Grünbaum war versehentlich nicht aus dem öffentlichen Dienst entfernt worden und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war bereits aufgehoben.

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Sommer, zu einer übereinstimmenden Beurteilung mit der Verabredung, alle Personalforderungen des Präsidenten Müller künftig abzulehnen175. Als Bormann zu seiner Verwunderung im Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1940 die Bewilligung von 62 neuen Stellen, darunter vier Direktorenstellen, entdeckte, stellte er am 6. März 1941 StS. Reinhardt zur Rede. Bormann beklagte erneut die „unerwünschte Entwicklung, die der Rechnungshof in den letzten Jahren genommen hat“. Dies dürfe nicht mehr geduldet werden; die personelle Aufblähung des Rechnungshofs müsse gestoppt werden176. Ob Bormann damit den RRH auf die Korruptionsbekämpfung beschränken wollte, ist unklar. Vielleicht spielten auch eigene Erfahrungen eine Rolle. Bormann hielt die Prüfungen des RRH für zu kleinlich und verfehlt. Die für den Frieden gestrickten Vorschriften der RHO seien im Krieg nicht anwendbar. Bormann missfiel sicher auch, dass Präsident Müller nach mehr Macht und Ansehen strebte. In seiner Antwort vom 31. Juli 1941 trat StS. Reinhardt aber für die Beibehaltung des RRH ein. Er sei als wichtiges Instrument nationalsozialistischer Finanzführung unentbehrlich. Dem Rechnungshof obliege eine erzieherische Aufgabe von hoher Bedeutung für Ordnung und Sauberkeit in der staatlichen Finanzwirtschaft. Der Leiter der Haushaltsabteilung, Josef Mayer, hatte Reinhardt darauf hingewiesen, dass die Prüfungstätigkeit des RRH für den RMF unentbehrlich sei. Er schöpfe vor allem wichtige Erkenntnisse für die Haushaltsplanung. Allerdings müsse der RRH zeitnäher prüfen177. Eine gegenwartsnahe Prüfung hatte bereits Präsident Saemisch wiederholt angemahnt.

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BA Koblenz R2 (RMF) 21 740. BA Koblenz R2 (RMF) 21 740 Schreiben Bormann vom 6.3.1941 an StS. Reinhardt. BA Koblenz R2 (RMF) 21 740.

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3.14 Die Wehrmachtsprüfung wird drastisch vereinfacht Mit dem Ausbruch des Krieges wurden nicht nur alle Pläne Müllers auf Eis gelegt, der RRH veränderte auch zunehmend sein äußerliches Erscheinungsbild. Als erstes baute Präsident Müller sein Modell einer Beratungs- und Betreuungsrevision aus. Bereits im September 1939 entsandte er Prüfer in die Stäbe der drei Waffengattungen OKW, OKM und RLM sowie in die der Wehrkreiskommandos III in Berlin und Hamburg, um vor Ort die sogenannten Friedensrechnungen aufzuarbeiten und die Abrechnung der Kriegsrechnungen vorzubereiten178. Gleichzeitig wurden die Prüfer in den Abrechnungsintendanturen in eigenen Prüfungsrichtlinien angewiesen, ihre Beanstandungen in einem vereinfachten Verfahren unter Vermeidung von Schriftwechsel unmittelbar vor Ort zur Sprache zu bringen und im Übrigen mehr zu beraten als zu kritisieren179. Dabei trafen sie vielfach auf frühere Kollegen, die zum Kriegsdienst eingezogen und in den Intendanturverwaltungen der Wehrmacht gelandet waren, um dort Aufgaben der Vorprüfung wahrzunehmen. Diese meist politisch unbelasteten Prüfer bildeten nach dem Krieg in Westdeutschland eine bemerkenswerte Säule für den Wiederaufbau einer unabhängigen Finanzkontrolle auf Zonen- und Länderebene. Auch in den Bundesrechnungshof wurden etliche Ministerialräte und Prüfungsbeamte aufgenommen, die den Krieg in den Intendanturverwaltungen der Wehrmacht überlebt hatten.

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BA-P 23.01/559 Schreiben Präsident Müller vom 3.9.1939 an OKH und vom 18.9.1939 an OKM. BA-P RH 1863 Bl. 68–71 Prüfungsrichtlinien, BA Koblenz R2 Nr. 21 740 Schreiben Präsident Müller an RMF vom 26.9.1939.

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3.15 Der RRH verliert bei Kriegsausbruch ein Drittel seines Personals Der Ausbruch des Krieges versetzte den RRH in eine Lage, in der einerseits drastische Einschränkungen der Finanzkontrolle im Altreich unausweichlich wurden, andererseits an flächendeckende Prüfungen in den annektierten und besetzten Gebieten nicht zu denken war. Durch die Mobilisierung der Jahrgänge ab 1901 verlor der RRH ein Drittel seines Personals. Zurück blieb ein Seniorenclub von nur noch 762 Prüfern. Um die Lücken auszufüllen, die durch die Einberufung von Prüfern zum Kriegsdienst entstanden, reaktivierte Präsident Müller 16 Ruhestandsbeamte, hob die Altersgrenze für Pensionierungen auf, verlängerte die Dienstzeiten und verkleinerte am 15. September 1939 drastisch seine Berliner Gutachterabteilung. Von den 10 Gutachtern verblieben nur noch zwei ständig in Berlin. Im Jahr 1939 verfügte der RRH mit den fünf Außenabteilungen über 762 Planstellen für Beamte und 206 Stellen für Angestellte und Arbeiter (insgesamt 968 Stellen). Davon entfielen allein 57 Stellen auf die neue Außenabteilung in Wien. Am 8. März 1940 verbot Präsident Müller seinen Prüfern ausdrücklich, der Waffen-SS beizutreten oder Not-, Sicherheits- oder Hilfsdienste zu übernehmen, weil der geschrumpfte Personalkörper für die eigenen kriegswichtigen Aufgaben des RRH unentbehrlich sei. Nur Einberufungen zur Wehrmacht sei Folge zu leisten. Die Übernahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten außerhalb der Dienstzeiten sei unbedenklich 180 . Etliche Parteigenossen übernahmen lediglich Funktionen im Winterhilfswerk (WHW). 180

BA P RH Nr. 6554 Bl. 76–77, zur Personalentwicklung vgl. BA Koblenz R2/21740 Nach der RRH-Aufstellung vom 4.5.1937 verfügte der RRH über 607 Planstellen für Beamte, davon entfielen 380 Stellen auf die Potsdamer Zentrale, 37 Stellen auf die Berliner Gutachterabteilung und 198 Stellen auf die vier Außenabteilungen. Hinzu kamen 168 Stellen für Angestellte und Arbeiter. BA R2/222 33 RRH-Vermerk vom 2.8.1944 über die Personalentwicklung und BA-P 2301/2073/1 Schreiben Präs. RRH an Abteilungsleiter vom 2.3.1945.

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Im Jahr 1941 verfügte der RRH mit den beiden neuen Außenabteilungen in Metz und Posen über 833 Planstellen, mit Angestellten und Arbeitern insgesamt 1 078 Stellen. Ab 1942 gab es eine Aufstockung auf 885 Planstellen, insgesamt 1 130 Stellen. Im Jahr 1944 verfügte der RRH über 886 Planstellen, von denen nur noch 750 besetzt waren.

3.16 Der RRH mutiert zum Kriegskontrollhof Das Kriegskontrollgesetz (KKG) vom 5. Juli 1940 gab dem RRH das Profil eines Kriegskontrollhofs181. Gleichzeitig wurde seine Verstrickung in die Finanzierung des Krieges dadurch eingeleitet, dass dem RRH aufgegeben wurde, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Ausgaben des Reichs zu verringern und die Einnahmen zu erhöhen. In seinem Runderlass (A Nr. 81) vom 27. Oktober 1940 wies Präsident Müller die Prüfer unter Bezugnahme auf das KKG ausdrücklich an, ihren Beitrag zur Finanzierung des Krieges durch die Verringerung der Staatsausgaben und die Steigerung der Staatseinnahmen zu leisten. Deutlicher drückte sich der Direktor Hinz aus. Er sah es als eine Hauptaufgabe des Rechnungshofs an, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates zu erhalten, „die eine wesentliche Voraussetzung für die Kriegsführung, ihre Verlängerung und die Erringung des Sieges“ sei182. § 2 KKG legte den RRH auf gegenwartsnahe Prüfungen fest, was im Klartext bedeutete, anstelle der üblichen Schreibtischprüfungen zeitnah Vor-Ort-Prüfungen durchzuführen. § 3 KKG stellte klar, dass der Präsident des RRH nach dem Führerprinzip das alleinige Recht hat, Anordnungen für die Durchführung von Prüfungen zu treffen. § 4 KKG übertrug dem RRH eine zusätzliche Aufgabe. Er hatte die juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu prüfen, die bisher nicht von ihm geprüft wurden. Dazu gehörten u.a. große Wasser- und Bodenverbände, Handwerkskammern, Gewerbeförderungsanstalten und die Reichsstelle für Holz sowie die Saatgutstelle des Reichsnährstandes. 181

182

VO über die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung während des Krieges, RGBl II vom 9.7.1940, S. 139ff. Zitiert bei Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 161.

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Der RRH erstellt Kriegsgeschäftspläne Der Charakter des RRH als Kriegskontrollhof manifestierte sich auch durch die Aufstellung von Kriegsgeschäftsplänen. Ab 1. Juli 1941 wurden die Prüfungsabteilungen des RRH neu gegliedert183. Es gab zwei Präsidialabteilungen, eine Verwaltungsabteilung in Potsdam und eine Gutachterabteilung in Berlin, die ab 1939 abgebaut und im Jahr 1942 aufgelöst wurde. Die 11 Fachabteilungen gliederten sich in jeweils drei bis acht Prüfungsgebiete. Insgesamt hatte der RRH 59 Prüfungsgebiete, von denen neben den Außenabteilungen Metz und Posen nur einige Prüfungsgebiete außerhalb des sogenannten Altreichs in Erscheinung traten und eine besondere Entwicklung nahmen, auf die noch einzugehen sein wird. Ab 9. Februar 1942 wurde ein Prüfungsgebiet eingerichtet, dessen Zuständigkeit sich geografisch auf die besetzten Gebiete erstreckte. Die Leitung wurde MR Dr. Werner Friedrich übertragen184. Er führte bis 1945 Vor-Ort-Prüfungen in allen besetzten Gebieten des Westens durch, während sich die Prüfungsgebiete „SS“ und „Polizei“ hauptsächlich auf die besetzten Gebiete des Ostens konzentrierten. Diese drei Bereiche führten innerhalb der Potsdamer Zentrale ein von den übrigen Prüfungsgebieten getrenntes Eigenleben, weil ihre Tätigkeit unter dem Siegel der Geheimhaltung stattfand. Insofern bedarf es einer differenzierten Betrachtung der ca. 57 Bereiche, die überwiegend im „Altreich“ prüften und der übrigen Prüfungsgebiete, die sogenannte „sensible“ Prüfungen in den besetzten Gebieten durchführten.

3.17 Der RRH prüft die Haupttreuhandstelle Ost Ab 1940 prüfte der RRH die Haupttreuhandstelle Ost (HTO), die Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan kurz nach dem Überfall auf Polen im Oktober 1939 gegründet hatte, um das gesamte Vermögen des polnischen Staates und das beschlagnahmte jüdische Vermögen zu erfassen und zu verwalten. Die Dienststelle

183 184

BA B R 2301/391c 2. Kriegsgeschäftsplan des RRH vom 1.7.1941. BA P RH 356 Bl. 211.

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der Vierjahresplanbehörde hatte ihren Hauptsitz in Berlin und Zweigstellen in Danzig, Posen, Zichenau und Kattowitz. Die von der HTO verwalteten Wirtschaftsbetriebe sollten auf die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft umgestellt werden. Dabei wurden polnische und jüdische Betriebsleiter durch deutsche Wirtschaftstreuhänder ersetzt185. Der RRH beschränkte sich – wie üblich – auf Fragen der Ordnungsmäßigkeit. Er beanstandete Korruptionsfälle und bemängelte die unzureichende Buchhaltung sowie die mangelnde Qualifikation und Schulung des Personals, das aus der Privatwirtschaft rekrutiert wurde und mit dem staatlichen Haushaltsrecht (RHO, RWB, RKO und RRLO) nicht vertraut war. Zur Behebung der Mängel schlug der RRH die Einrichtung von Vorprüfungsstellen vor. Der RMF stellte dafür sogar betriebswirtschaftlich ausgebildete Prüfer zur Verfügung. Außerdem rügte der RRH die eigenmächtige Gründung zahlreicher Gesellschaften, die das erbeutete Vermögen verwerten sollten. Schließlich erstellte der RRH Prüfungsrichtlinien, nach denen die HTO verfahren sollte, um einen einheitlichen Prüfungsstandard sicherzustellen. In seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1939 forderte Präsident Müller die uneingeschränkte „Beachtung der gesetzlichen Vorschriften“, die im Hinblick auf den steigenden Finanzbedarf des Reiches während des Krieges unabdingbar sei186.

3.18 Der RRH prüft die Gauleiter-Erich-KochStiftung Ende 1933 gründete der Gauleiter für Ostpreußen, Erich Koch187, die nach ihm benannte Stiftung in Ostpreußen, um möglichst viel Geld zur freien Verfügung zu haben. Nach Ausbruch des Krieges ordnete Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan an, Grundvermögen, das zum Stichtag 1. September 1939 nicht im Eigentum von deutschen Staatsbürgern stand, der öffentlichen Bewirtschaftung 185

Dressler, „Treuhänder“, 1942, S. 144.

186

Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939, S. 42. Nicht zu verwechseln mit dem berüchtigten Lagerkommandanten des KZ Buchenwald, Karl Koch.

187

80

zuzuführen188. Stattdessen führte Erich Koch diese Vermögen seiner Stiftung zu. Als das Reichslandwirtschaftsministerium davon erfuhr, bat es den RRH um eine Prüfung. Es stellte sich heraus, dass sich die Stiftung eine Mehrzahl von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben zu Spottpreisen angeeignet oder ihre Bewirtschaftung einzelnen Beamten oder Parteifunktionären überlassen hatte. So gingen fünf Zuckerfabriken im Wert von 19 Mio. RM für weniger als 4,5 Mio. RM an eine „Zuckerfabriken Betriebs-GmbH“, die sich im Eigentum der Stiftung befand. Eine beschlagnahmte Werft, ein Sägewerk sowie mehrere Gutsbetriebe und Immobilien wurden an ein „Weichselwerk“, an eine „Ostdeutsche Holzindustrie GmbH“ und an eine „Gesellschaft für Versuchsanstellung in der Landwirtschaft GmbH“ verkauft. Neben der unzulässigen Latifundienbildung rügte der RRH, dass das Vermögen deportierter Juden nicht zugunsten der Reichskasse verwertet wurde189. Die Beanstandungen des RRH verliefen jedoch im Sande, weil sich weder Himmler noch das Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums mit dem mächtigen Gauleiter Koch anlegen wollten. Er konnte seine Latifundienbildung ungehindert fortsetzen.

3.19 Der RRH gerät ins Fadenkreuz alter und neuer Gegner Von seinem Vorgänger hatte Präsident Müller den Dauerstreit mit dem Reichspostminister190 und den Kompetenzkonflikt mit dem Reichsschatzmeister geerbt, der immer wieder intervenierte, wenn es um die Prüfung parteinaher Institutionen ging. Mit dem Ausbruch des Krieges geriet der RRH zunehmend in das Fadenkreuz alter und neuer Gegner, die sich von kontrollierenden Instanzen befreien wollten. Sie verlangten die Aufhebung des RRH oder mindestens die Drosselung der Rechnungs188

VO vom 12. Februar 1940, RGBl I, S. 355.

189

BA P 2301/2073/2 Bl. 2ff., vgl. auch BA Koblenz R 49 Bl. 49–54 Bericht des RRH vom 15.4.1942. Vgl. Abschnitte 1.7, 2.16 und 2.8.

190

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prüfung während des Krieges unter dem Vorwand, der RRH sei keine kriegswichtige Einrichtung, sodass Präsident Müller permanent damit befasst war, die Prüfungsrechte des RRH zu verteidigen und dessen Daseinsberechtigung dadurch zu sichern, dass er ihn als kriegswichtige Einrichtung präsentierte. Hinzu kam, dass viele Funktionsträger in den besetzten Gebieten die Prüfungskompetenz des RRH mit dem Argument anzweifelten, die RHO gelte nicht automatisch über die Grenzen des „Altreichs“ hinaus. Die Machthaber wollten vor allem Einblicke des RRH in die Bereicherung aus ihren Beutezügen und die Aufdeckung schwarzer Kassen verhindern. Präsident Müller stellte dazu in seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1938 kategorisch fest: „Für die Dienststellen des Reiches, die in den neu eingegliederten und in den besetzten Gebieten wirtschaften, gilt … das deutsche Haushaltsrecht. Ihre Einnahmen und Ausgaben sind solche des Deutschen Reiches. Die Regelungen über sie müssen daher vom Rechnungshof geprüft werden“191. Im Spätherbst 1942 ließ Präsident Müller von MR Johannes Friesecke ein internes Gutachten zur Prüfungskompetenz des RRH in den besetzten Gebieten erstellen192. Es kam zu dem Ergebnis, dass der RRH in den besetzten Gebieten nicht nur die aus dem „Altreich“ stammenden Haushaltsmittel, sondern auch die der Besatzungsmacht aus „anderen nichtdeutschen Quellen“ zufließenden Mittel prüfen könne, womit wohl die aus den Beutezügen erlangten Werte gemeint waren: „deutsches Staats- und damit Kontrollrecht gilt überall da, wo die deutsche Reichsgewalt (Führergewalt) herrscht“193. Diese Auffassung der Grundsatzabteilung gab Präsident Müller am 6. Februar 1943 den Direktoren und Prüfungsgebietsleitern mit auf den Weg194. Gleichzeitig brachte Müller dieselben Argumente auch in einer Besprechung mit dem RMF vor, der Zweifel an der umfassenden Prüfungskompetenz des RRH geäußert hatte. In seiner letzten Denkschrift, die Präsident Müller im Jahr 1944 herausgab, verkündete er stolz, dass „nunmehr die Rechnungsprüfung in allen Machtbereichen

191 192

193 194

Denkschrift Präsident RRH für das Rechnungsjahr 1938 vom 9.1.1942, S. 4. BAB R2/30 521 Bl. 43f. „Gutachten über die Erstreckung der Reichsgewalt über die Grenzen hinaus“ vom 2./16.12.1942. Ebenda. BA P/ 2301/561, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 18,28.

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des Reiches, mit Ausnahme des Generalgouvernements, vom Rechnungshof ausgeübt wird“195.

3.20 Der Postminister Ohnesorge attackiert weiterhin den RRH Der Reichspostminister Ohnesorge nahm am 10. Februar 1940 den Entwurf des Kriegskontrollgesetzes zum Anlass, kategorisch die Aufhebung des RRH während des Krieges als überflüssige Einrichtung zu verlangen. Der RRH vergaß diese Attacke nicht. Im Dezember 1942 erinnerte Vizepräsident Mussehl die Direktoren daran, dass der RRH mit dem Postminister noch eine Rechnung offen habe. Daraufhin meldete der RRH am 17. Dezember 1942 dem Sonderstab des Generals von Unruh, dass u.a. im persönlichen Führungsstab des Postministers Personaleinsparungen möglich seien.

3.21 Der RRH passt seine klassischen Prüfungsgrundsätze „den Bedürfnissen des NS-Regimes“ an Das KKG ließ offen, wie der RRH bei der empfindlichen Schrumpfung seines Prüferpotentials die Mammutaufgabe bewältigen sollte, zur Verringerung der Staatsausgaben und der Steigerung der Staatseinnahmen beizutragen. Während im Altreich die traditionellen Prüfungsgrundsätze der Gesetzmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit weitestgehend unberührt blieben, bahnte sich in den besetzten Gebieten eine Anpassung der Prüfungsmaßstäbe an die „Bedürfnisse des NS-Regimes“ an. In den Vordergrund traten nun die von Hitler beschworene „Sauberkeit, Lauterkeit und Pflichterfüllung“. Es bildete sich 195

Denkschrift Präsident RRH zur Haushaltsrechnung 1940 vom 4.5.1944, S. 3.

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ein Prüfungsschema heraus, das vor allem in den besetzten Gebieten zum Muster wurde. Es wird noch in den aufgegriffenen Einzelfällen näher beleuchtet werden können. Unter der Frage der Sauberkeit verstand der RRH vor allem die Bekämpfung von Korruption und schwarzen Kassen oder Sonderfonds. Unter den Begriff der Korruption fielen alle Handlungen und Unterlassungen, durch die das Reich geschädigt wurde. Dazu zählten vor allem Unterschlagungen und sonstige unrechtmäßige persönliche Bereicherungen. Die ordnungsgemäße Verbuchung und Belegung der Einnahmen und Ausgaben sowie unkorrekte Abrechnungen blieben Dauerthemen bei Ordnungsmäßigkeitsprüfungen. Bei der Prüfung von KZ-Lagern verlangten die Prüfer vorzugsweise die Vorlage der Häftlingsküchentagebücher, weil bei mangelhafter Buchführung der Verdacht aufkam, dass die für die Lagerküchen bestimmten Gelder in schwarze Kassen umgeleitet wurden oder persönliche Bereicherungen vorlagen. Hinzu kam die Frage, ob das erbeutete riesige Feind- und Judenvermögen dem Reichsvermögen oder Sonderfonds zugeführt wurde. Auch die Verwertungserlöse mussten haushaltsrechtlich „vereinnahmt“ worden sein und durften nicht in schwarze Kassen fließen. Die im KKG geforderte Verringerung der Ausgaben prüfte der RRH allgemein unter dem Motto der Sparsamkeit und der Bekämpfung der Verschwendungssucht. Dabei wurde vor allem der Frage nachgegangen, ob kriegsunwichtige Güter angeschafft wurden. Ein bevorzugtes Prüfungsthema in den KZ-Lagern war die Anschaffung von Bildern zur Ausstattung der SS-Unterkünfte. Hinzu kam die allgemeine Frage, ob die Kosten für das Reich möglichst niedrig gehalten werden. Bei den Prüfungen von KZ-Lagern wurde regelmäßig nicht der Frage nachgegangen, ob die Unterhaltungskosten für die Lager zu hoch sind, sondern ob die vorgefundenen oder vorgelegten Daten über die Lagerverwaltung realistisch, gefälscht oder geschönt waren, weil hieraus der Verdacht auf Unterschlagung und schwarze Kassen aufkam. Die Realisierung von Einnahmen konzentrierte sich in den besetzten Gebieten auf die Frage, ob die Erlöse aus der Verwertung des beschlagnahmte Feind- und Judenvermögens korrekt erfasst, ordnungsgemäß verbucht und mit der Reichskasse abgerechnet wurden, was vor allem den RMF lebhaft interessierte. Er hatte ein vitales Interesse daran, erbeutetes Juden-und Feindvermögen aufzuspüren und dem Reichsvermögen zuzuführen. Ihm fehlte aber ein vergleichbarer Kontroll84

apparat, während der RRH imstande war, bis in die hintersten Winkel vorzudringen, um die ordnungsgemäße Erfassung und Verwertung des Juden- und Feindvermögens festzustellen und zu verhindern, dass schwarze Kassen oder geheime Fonds entstanden, auf die der RMF keinen Zugriff hatte. Es verwundert daher nicht, dass die Prüfer des RRH in den besetzten Gebieten vielfach als Vorhut des RMF angesehen wurden. Diese Prüfungen wurden als „sensibel“ bezeichnet, wenn es um die Verteilung der Beute, um persönliche Bereicherung, Unterschlagung und um schwarze Kassen oder Fonds ging. Der RRH verständigte regelmäßig den RMF, wenn er fündig wurde, weil er die Frage der Ordnungsmäßigkeit für ein gemeinsames Anliegen hielt. Die abschließende Frage, ob Vorschläge für Einnahmesteigerungen gemacht werden können (§2 KKG), blendeten die Prüfer regelmäßig aus. Sie hätte in den besetzten Gebieten bei fanatisierten Prüfern die Frage ausgelöst, wie noch mehr Beute gemacht und verteilt werden könnte. In den Prüfungsberichten finden sich weder einschlägige Hinweise noch Attitüden zur Ideologie des NS-Regimes oder ausdrückliche Bekenntnisse zur Ausbeutungsund Vernichtungspolitik.

3.22 Der RRH vereinfacht die Rechnungslegung und die Vorprüfung Das KKG ermächtigte den RRH, während des Krieges die Rechnungslegung drastisch zu vereinfachen oder ganz darauf zu verzichten sowie die Prüfung der Rechnungen auf Verwaltungsbehörden zu delegieren. Der RRH hatte bereits im Herbst 1939 die Vorlage von Rechnungen und die sachliche Vorprüfung eingeschränkt. Auf die Vorprüfung von Rechnungen konnte sogar ganz verzichtet werden196. Im April 1940 verzichtete der RRH auch auf die förmliche und rechnerische Vorprüfung, wenn eine ordnungsmäßige Kassenprüfung stattgefunden hatte. Gleichzeitig wurde die Rechnungslegung durch

196

BA Koblenz R 43 II(RK) 705 b Bl. 184/185 Runderlass Präs. RRH A Nr. 60 vom 26.10.1939.

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Reduzierung der Buchungsabschnitte vereinfacht 197 . Im Oktober 1940 vereinfachte der RRH die Rechnungslegung abermals und ließ sogar den gänzlichen Verzicht zu198. Die einzelnen Runderlasse des RRH markieren den schrittweisen Rückzug aus der Finanzkontrolle im „Altreich“ und den krampfhaften Versuch, den erwarteten Angriffen der Gegner zuvorzukommen, die den kriegswichtigen Charakter des RRH leugneten und seine Schließung verlangten. Allerdings kann die Behauptung, die Rechnungsprüfung sei im „Altreich“ praktisch zum Erliegen gekommen und in die besetzten Gebiete ausgewichen, in dieser Allgemeinheit nicht nachvollzogen werden. Die Mehrzahl der Prüfungsgebiete war bis 1945 im „Altreich“ tätig.

3.23 Der RRH prüft die „Wirtschaftlichkeit“ des Ghettos von Litzmannstadt Die vom RMF erbetene Prüfung des RRH zur Wirtschaftlichkeit des Ghettos von Litzmannstadt hat eine Vorgeschichte: Am 1. April 1940 berieten im RMI Vertreter der Vierjahresplanbehörde, des Finanz- und Ernährungsministeriums sowie der Leiter der Haupttreuhandstelle Ost (HTO) über die Ghettogründung in Lodz199. Das Ghetto sollte ursprünglich nur wenige Monate bis zur Deportation der Juden nach Madagaskar bestehen. In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1940 wurde das Ghetto errichtet. Im August 1940 waren dort mehr als 160 000 Juden eingesperrt. Das Ghetto wurde von der „Ernährungs- und Wirtschaftsstelle Ghetto“ verwaltet, die sich ab Oktober 1940 in „Ghettoverwaltung“ umbenannte und unter der Leitung von Hans Biebow, einem Kaffeegroßhändler aus Bremen, stand. Am 9. November 1940 äußerte der Finanzminister, Graf Schwerin von Krosigk, die Befürchtung, dass „der Unterhalt der Juden der öffentlichen Hand zur Last fällt „und die Ghettobewohner nicht „zu den öffentlichen Lasten beitragen“, 197

Ebenda, Bl. 186–188 Runderlass Präs. RRH A Nr. 72 vom 10.4.1940.

198

Ebenda, Bl. 189–191 Runderlass Präs. RRH A Nr. 81 vom 27.10.1940. BA P II 43(RMF) B 6159 Protokoll über die Besprechung am 1.4.1940, Anlage 5 zur Niederschrift des RRH Bl. 102.

199

86

nachdem die Ghettoverwaltung seit Mai 1940 bereits Güter im Wert von ca. 10 Mio. RM an das Ghetto geliefert hatte200. Der RMF empfahl, verstärkt Arbeitsaufträge an das Ghetto zu vergeben, damit die „Juden sich ihren Unterhalt selbst verdienen und zugleich zu den öffentlichen Lasten beitragen“ könnten, womit die Erhebung von Steuern gemeint war201. Allerdings würde „der Wert der Arbeitsleistungen schätzungsweise nur 20% des Wertes der in das ‚Viertel‘ zu liefernden Waren ausmachen“. Dabei seien Unterhaltskosten der öffentlichen Hand von ca. 2,5 Mio. RM gegenzurechnen. Deshalb sollte die HTO, die das erbeutete Vermögen der Ghettoinsassen verwaltete, der Stadt Litzmannstadt „einen Betrag von vorläufig 25 Mio. RM für die Erhaltung des Judenviertels bis zur Auflösung zur Verfügung stellen“202. Um einen verlässlichen Überblick über die realen Kosten zu bekommen, die durch die Unterhaltung des Ghettos auf das Reich zukamen, bat das RMF am 31. Dezember 1940 den RRH, die Wirtschaftlichkeit des Ghettos Litzmannstadt (Lodz) zu prüfen. Der RRH kam der Bitte des RMF unverzüglich nach. Die Prüfer des RRH hielten sich vom 23. Januar bis 5. Februar 1941 in Lodz auf und fassten das Ergebnis über die Wirtschaftlichkeit des Ghettos in einer „Niederschrift“ zusammen203. Die Prüfer nahmen zunächst die Klage des Leiters der Ghettoverwaltung über die miserablen Zustände im Ghetto lediglich zur Kenntnis, wonach er einen „ständigen Kampf um die Freigabe des notwendigen Lebensmittelbedarfs führen müsse und Materialanforderungen für die Ausdehnung des Arbeitseinsatzes der Juden regelmäßig mit der Begründung abgelehnt“ würden, „dass für die Juden nichts da sei“204. 200 201

202

203

204

BA P II 43(RMF) B 6158 Bl. 87f. Schreiben RMF an RMI vom 9.11.1940. Ebenda. Am 13.8.1941 nahmen Vertreter des RRH an einer Besprechung über Steuerfragen teil, die mit dem „Judenviertel“ in Litzmannstadt zusammenhingen, BA-P 21.01/B 6159 Niederschrift vom 15.8.1941. BA P II 43 (BMF) B 6030 Bl. 14 Schreiben RMF an RMI vom 29.8 1940, BA P 2101 B 6159 Bl. 102 RRH-Niederschrift. BA P 2101 B 6159 Bl. 84–103 und BAB R2/56 519 Niederschrift der Beauftragten des RRH über die örtliche Prüfung der „Ernährungs- und Wirtschaftsstelle Ghetto“ des Oberbürgermeisters der Stadt Litzmannstadt, Hermann-Göring-Str. Nr. 21 vom Februar 1942. Ebenda, Bl. 98.

87

Gleichzeitig bescheinigten die Prüfer der Ghettoverwaltung, dass sie bestrebt sei, „den Unterhalt der im Ghetto untergebrachten Juden aus Vermögenswerten zu bestreiten, die die einzelnen Insassen des Ghettos noch in Besitz haben, und die brachliegenden Arbeitskräfte, soweit dies irgend möglich ist, in den Arbeitsprozess einzuschalten“205. Die Prüfer mussten allerdings eingestehen, dass nennenswerte Vermögenswerte inzwischen aufgebraucht waren „sodass der ausschlaggebende Faktor für die weitere Selbstfinanzierung des Ghettos die zweckmäßige Verwendung der jüdischen Arbeitskraft bleibt“. Zur Erhöhung der „Rentabilität“ des Ghettos schlugen die Prüfer vor, die Zahl der Arbeitsplätze nach Möglichkeit für die „wirklich produktiv tätigen Menschen“ zu erhöhen. Zur Steigerung der Arbeitskraft sollte der Lebensstandard angehoben werden. Die Prüfer empfahlen, den Tagessatz für Verpflegung im Ghetto von derzeit 0,23 RM auf das für Gefängnishäftlinge festgesetzte Niveau von 0,40–0,50 RM anzuheben „und zwar in der Gestalt, dass der arbeitende Jude die erste Form, der untätige Jude die einfachste Form erhält“206. Zur Frage, ob die Ghettoinsassen ihren Unterhalt auf Dauer wesentlich selbst bestreiten können, meinten die Prüfer: „Als Grundbedingung für die Selbsterhaltung der Judengemeinschaft wird der Arbeitseinsatz der im Ghetto vorhandenen gelernten Handwerker und ungelernten Arbeiter angesehen“. Nach dem Eingeständnis, dass die Beschaffung von „Rohstoffen, Arbeitsräumen, Maschinen usw.“ für 38 221 einsatzfähige, aber arbeitslose Ghettoinsassen schwierig sei, sprachen die Prüfer die Möglichkeit an, jüdische Arbeitskräfte auch außerhalb des Ghettos bei „Straßenbauarbeiten im Rahmen der zukünftigen Stadtplanung“ von Litzmannstadt, der „Errichtung neuer Wohnviertel“ und beim „Abriss alter Bausubstanz“ einzusetzen207. Die Prüfer kamen zu dem vagen Schluss: „Sollte es gelingen, mindestens 20 000 gelernte Handwerker in den Werkstätten und eine größere Anzahl ungelernter Arbeiter mit Erdarbeiten außerhalb des Ghettos dauernd zu beschäftigen, dann dürfte es möglich sein, einen wesentlichen Teil des Unterhalts der Judengemeinschaft aus den Arbeitslöhnen zu bestreiten“208. Schließlich übernahmen die Prüfer

205 206 207 208

Ebenda, Bl. 86. Ebenda, Bl. 97. Ebenda, Bl. 89f. Ebenda, Bl. 98.

88

die Ankündigung des Regierungsvizepräsidenten Dr. Moser, „dass ein größerer Teil arbeitsunfähiger Ghettobewohner im Frühjahr 1941 in das Generalgouvernement evakuiert und ggf. durch arbeitsfähige Juden aus dem Gaugebiet ersetzt wird“. Die Bedeutung der als „Niederschrift“ titulierten Stellungnahme des RRH zur Wirtschaftlichkeit des Ghettos von Litzmannstadt ist umstritten. Für eine sachliche Bewertung sind die Ausgangssituation, die Hintergründe und die Einzelumstände von Bedeutung. Dazu gehört auch der damalige Kenntnisstand der Prüfer und nicht die Vorwegnahme des heutigen Wissensstandes über die Vernichtungsabsichten des NS-Regimes. Die Bitte um Prüfung war weder für das RMF noch den RRH ungewöhnlich. Schließlich waren doch die Reichsministerien bis zur Auflösung des Sparbüros sogar verpflichtet, vor Organisationsänderungen eine Stellungnahme des Reichssparkommissars einzuholen. Möglicherweise suchte das RMF wieder einmal nach handfesten Argumenten und Bundesgenossen, um gigantischen Plänen des NS-Regimes wenigstens aus Kostengründen entgegenzuwirken. Ob der Leiter der Haushaltsabteilung des RMF, Josef Mayer, der Initiator der Prüfungsbitte war, ist nicht bekannt. Er hatte bereits in den Vorjahren wiederholt den RRH um Stellungnahmen gebeten, um die Ausweitung des Machtapparates der Nationalsozialisten einzudämmen oder in Grenzen zu halten209. Für die Prüfer des RRH war das Ghetto eine vorübergehende Einrichtung, denn immerhin war der Madagaskarplan noch nicht aufgegeben, wonach die Juden nach Madagaskar deportiert werden sollten. Nach § 2 KKG hatten sie auf die Verringerung der Staatsausgaben hinzuwirken, im konkreten Fall nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Kosten der laufenden Unterhaltung des Ghettos für das Reich geringgehalten werden können. Fraglich ist, ob den Prüfern zum damaligen Zeitpunkt bewusst war, was sich hinter dem Tarnbegriff der Evakuierung der arbeitsunfähigen Juden verbarg. Insgesamt lassen die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen nicht zwingend den Schluss zu, der RRH habe das Ghetto für das Reich als zu teuer eingeschätzt und damit letztlich die physische Vernichtung der Ghettoinsassen billigend in Kauf genommen. Eher wird der Eindruck erweckt, als sollten dem RMF Argumente geliefert werden, auf eine Eigenfinanzierung der Ghettoinsassen hinzuwirken.

209

Vgl. Abschnitt 3.8.

89

Ungewöhnlich ist, dass die Niederschrift an den Oberbürgermeister der Stadt Litzmannstadt adressiert war und nicht dem RMF als Gutachten oder Prüfungsmitteilung übersandt wurde. Möglicherweise sollte die Rolle des RRH vernebelt werden, da in Fällen einer Kommunalprüfung der RMI stets als Nebenbuhler auftrat und seine Prüfungskompetenz geltend machte.

3.24 Der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, errichtet seinen eigenen Rechnungshof Der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, beanspruchte in dem ihm von Hitler übertragenem Gebiet eine eigene Finanzhoheit und Kontrollautonomie. Da das Generalgouvernement unmittelbar dem Führer unterstehe, könne zwischen ihm und Hitler keine andere Kontrollbehörde wie der RRH zwischengeschaltet werden210. In seiner Auffassung sah sich Frank durch den Führererlass vom 31. Juli 1940 bestärkt, wonach das Generalgouvernement die Kosten seiner Verwaltung selbst tragen sollte 211 . Dementsprechend strebte Frank die Gründung eines eigenen, ihm unterstellten Rechnungshofs an. Weil ihm das erforderliche Prüfungspersonal fehlte, schickte Frank den Leiter seiner Finanzverwaltung, Finanzpräsident Spindler, im Februar 1940 zu Sondierungen nach Potsdam, um den RRH um personelle Unterstützung zu bitten. Präsident Müller reagierte heftig ablehnend und reklamierte das Prüfungsmonopol des RRH. Er verweigerte die Überlassung von Prüfern, solange der Status nicht geklärt sei. Nach dieser Abfuhr lud Frank am 29. Mai 1940 seinen „lieben Parteigenossen“ zu einem Gipfeltreffen nach Krakau ein. Man müsse einmal persönlich miteinander reden212. Das Treffen, das vom 19. bis 24. Juni 1940 auf der Krakauer Burg mit Gefolge stattfand, brachte keinen Durchbruch. Frank beharrte auf einem

210 211 212

BA P/2301/1966 Bl. 8. BA B R2/30 521 §7 des Führererlasses. BA-P/2301/1966 Einladung Frank an Präsident Müller vom 29.5.1940.

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eigenen Rechnungshof und bat um Abordnung geschulten Personals213. Auch die von einer Arbeitsgruppe gefundenen Kompromissvorschläge brachten keine Lösung214. Am 22. Juli 1940 versuchte das RMF zwischen dem Finanzpräsidenten Spindler und RRH-Direktor Stengel zu vermitteln. Die erneute Bitte um Entsendung von Prüfungsbeamten lehnte der RRH weiterhin kategorisch ab215. Als Finanzpräsident Spindler den RMF erneut um Vermittlung bat, den RRH zur Aufbauhilfe zu bewegen und befürchtet wurde, der RRH werde die Reichskanzlei einschalten216, bewirkte Spindler, dass ihm bzw. der Rechnungsvorprüfungsstelle am 2. Dezember 1940 rückwirkend zum 1. April 1940 bis auf weiteres die Prüfungsbefugnis für den Haushalt im Generalgouvernement übertragen wurde217. Das Vorgehen löste im RRH Empörung aus218. Am 13. Juni 1941 gründete der Generalgouverneur ein „Oberstes Rechnungsprüfungsamt“ mit Sitz in Krakau219, das im Jahr 1942 in „Rechnungshof im Generalgouvernement“ (RHiGG) umbenannt wurde220. Die Leitung übertrug Frank dem ehemaligen Leiter des Rechnungsprüfungsamtes Danzig, Wilhelm Blauert221. Der Rechnungshof war von Anfang an personell unterbesetzt. Angesichts des Personalnotstands und als Zeichen guten Willens gaben Blauert und der Leiter der Hauptabteilung Finanzen, Spindler, grünes Licht, dass der RRH wenigstens die aus dem Reichshaushalt verwendeten Ausgaben prüfen durfte222.

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Ebenda, Bl. 8. Ebenda, RRH-Vermerk vom 1.7.1940. Ebenda, RRH-Vermerk vom 26.7.1940. Ebenda, RRH-Vermerke vom 9.8. und 6.11.1940. BA-P/2301/1966 VO-Blatt des Generalgouvernements Teil I Nr. 33 vom 30.4.1940 S. 155 i.V.m. VO-Blatt des Generalgouvernements Teil II Nr. 73, S. 555. BA-P/2301/1966 RRH-Vermerk vom 7.1.1941. VO-Blatt des Generalgouverneurs 1941 Nr. 52, S. 325ff. BAB R 2301/1945 Organisationsplan 1941–1943. BA R2/2174 VO vom 7.11.1942, VO-Blatt des Generalgouverneurs 1942, S. 687 und BA-P/2301/1945 Schreiben Blauert an RRH vom 18.12.1942. Blauert hatte sich zuvor vergeblich um die Errichtung einer Außenabteilung des RRH in Danzig bemüht, um deren Leiter zu werden. BA-P/2301/1945 RRH-Vermerk vom 30.7.1941.

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Der Krakauer Rechnungshof startete am 1. Oktober 1941 mit nur drei Mitarbeitern. Noch im selben Monat bat Blauert bei seinem Antrittsbesuch in Potsdam den RRH um personelle Aufbauhilfe 223 . Präsident Müller zeigte ihm die kalte Schulter224. Am 20. März 1942 gestand Blauert dem Generalgouverneur die mangelnde Funktionsfähigkeit seines Amtes ein und versprach, „eine zufriedenstellende Zusammenarbeit mit dem RRH und seinem Präsidenten Staatsminister Dr. Müller herbeizuführen“. Bei seinem erneuten Besuch in Potsdam im Mai 1942 vollzog Blauert eine Kehrtwende. Er schlug vor, die Planstellen seines Amtes im Haushaltsplan des RRH zu integrieren, ließ einen Stellenplan erstellen und sich beraten, wie er seine Position aufwerten und seine Prüfbehörde in ein besseres Licht rücken könnte. Er ließ alle Personalentscheidungen vom RRH einsegnen. Nach seiner Rückkehr nach Krakau rekrutierte Blauert Personal und schickte es zur Schulung nach Potsdam. Am 30. Juni 1942 beauftragte der Staatssekretär der Regierung des Generalgouvernements den Krakauer Rechnungshof mit der „Überprüfung der Gesamttätigkeit des Sonderbeauftragten für die Erfassung der Kunst- und Kulturschätze im Generalgouvernement“. Mit der „Übernahme, Verwaltung und Veräußerung von Kunstgegenständen aus Feind- und Judenbesitz“ hatte Göring den Staatssekretär Dr. Kai Mühlmann beauftragt225. Bis Herbst 1942 hatte der Krakauer Rechnungshof nur fünf Prüfer. Seit dem Jahr 1943 standen 19 Planstellen zur Verfügung, von denen im Jahr 1944 nur 16 Stellen besetzt waren. Ob es bei der chronischen Unterbesetzung des Rechnungshofs zu nennenswerten Prüfungen kam, muss bezweifelt werden. Im September 1944 kam die „Tätigkeit“ des Rechnungshofs zum Erliegen. Blauerts Stellvertreter, Schmalbruch, wurde ins RMF zurückbeordert. Am 26. September 1944 verabschiedete sich Blauert von Frank mit der Bemerkung, der Rechnungshof sei inzwischen dem RRH angegliedert worden und setze seine Prüfungstätigkeit von Potsdam aus fort. Frank bestand darauf, dass der Krakauer Rechnungshof bestehen bleiben müsse. Blauert und Schmalbruch zogen sich in

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Ebenda, RRH-Vermerk vom 7.11.1941.

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Ebenda, Schriftwechsel zwischen Blauert vom 27.8.1941 und Präsident Müller vom 20.12.1941 und vom 4.3.1942. BA R 177/1904.

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die Potsdamer Zentrale des RRH zurück, wo sie sich mit Auffangplänen und der Verschmelzung des Krakauer Rechnungshofs mit dem RRH befassten und noch eine Denkschrift zu den Haushaltsrechnungen des Generalgouvernements für die Jahre 1940 bis 1942 herausbrachten. Blauert gab an, in seine Denkschrift noch Vorgänge bis zum Jahr 1944 aufgenommen zu haben226. Präsident Müller stellte in seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1938, die er im Jahr 1944 herausbrachte, lakonisch fest, dass der RRH im Generalgouvernement zur Zeit keine Rechnungsprüfung ausübe, diese Lösung aber „aus staats- und haushaltsrechtlichen Gründen, dazu aus Gründen sachlicher Zweckmäßigkeit nicht als befriedigend und endgültig angesehen“ werden könne227. Blauert gab seinen Bericht am 5. Januar 1945 großspurig als „Denkschrift des Präsidenten des Rechnungshofs im Generalgouvernement“ heraus228. Sie enthielt keine Einzelbemerkungen und verlor sich in allgemeinen Ausführungen.

3.25 Der RRH dehnt seine Prüfungskompetenz auf die annektierten und besetzten Gebiete aus Die Besetzung der Gebiete im Westen und Osten durch deutsche Truppen stellte den RRH vor die Herausforderung, seine vermeintliche Prüfungskompetenz über die Grenzen des „Altreiches“ auszudehnen. Geografisch erstreckte sich sein Prüfungsanspruch vom Atlantik bis Norwegen und ab 1941 von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.

Der RRH prüft im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren Anfang August 1940 vereinbarten Präsident Müller und Heydrich als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren in Prag ein gemeinsames Prüfungsverfahren mit 226 227 228

BA-P/2301/1966 Blatt 8. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1938 vom 9.1.1942, S. 6. BA-P/2301/1966 Blatt 8.

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außergewöhnlichen Erleichterungen. Nach den „Richtlinien für die gemeinsame Prüfung beim Reichsprotektor“ sollte den Anfangsschwierigkeiten beim Aufbau der neuen Verwaltung Rechnung getragen werden229. Auf eine Vorprüfung wurde verzichtet. Eine rechnerische und belegmäßige Prüfung konnte entfallen, wenn sie schon „von einer anderen Stelle“ durchgeführt worden war. Einzelverstöße sollten nur noch weiterverfolgt werden, „wenn sie von einer gewissen Bedeutung sind und die Einziehung der Beträge mit nicht zu großen Weiterungen verknüpft ist“. Ein Schriftwechsel sollte vermieden werden. Festgestellte Mängel sollten vor Ort besprochen werden und die verantwortlichen Bediensteten, die noch nicht über die notwendige Qualifikation verfügten, sollten über die hauptsächlichsten Vorschriften belehrt werden. Im Übrigen sollten Einzelverstöße nicht weiterverfolgt, sondern ausgewertet und gebündelt zum Gegenstand gemeinsamer Erlasse gemacht werden. Die großzügigen Grundsätze bildeten im Jahr 1944 die Blaupause für die drastischen Erleichterungen, die Präsident Müller für Prüfungen im Altreich einführte230.

Prüfungen in Böhmen und Mähren Bei der Prüfung des NSV-Sonderbeauftragten für Böhmen und Mähren monierte der RRH, dass durch überhöhte Kostenabrechnungen erhebliche Küchengewinne erzielt wurden231. Am Jahresanfang 1941 prüfte der RRH das Vermögens- und das Bodenamt in Prag, die dem Reichsprotektor unterstanden. Der RRH schätzte den Gesamtwert des beschlagnahmten und zwangsverwalteten Judenvermögens auf etwa eine Milliarde RM232. 229

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BA P 2301/7213 und 2788 RRH-Vermerke zur Prüfungshoheit im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren vom 20.3.1940 sowie vom 20.2., 12.10. und 9.11.1942, vgl. Denkschrift Präs. RRH zur Haushaltsrechnung 1940 vom 4.5.1944, S. 4. Runderlass Präs. RRH A Nr. 104 vom 19.10.1944 in Sammlung Bornmann Teil III Heft 5, Bl. 44ff., im Privatarchiv des Autors. BA P 2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 16.10.1944. BA P 2301/ 7213 RRH-Schreiben an Reichsprotektor von Böhmen und Mähren vom 17.3.1941, Denkschrift Präs. RRH zur Haushaltsrechnung 1940 vom 4.5.1944, S. 36ff.

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Keine Beanstandungen des RRH ergaben sich bei der Prüfung der Ausgleichsabgaben, die „zur Entjudung wirtschaftlicher Unternehmen“ erhoben wurden und an die Reichskasse abzuführen waren 233 . Bei seiner Prüfung bei der Ordnungspolizei in Prag griff der RRH die Ausplünderung der Villa Bondy durch Polizeibeamte auf, wo beschlagnahmte Flügel, Juwelen, mehrere tausend tschechische Kronen, Aktienpakete, Briefmarkenalben, Kunstgegenstände, Porzellan sowie ein schweres Armband verschwunden waren, ohne dass die verantwortlichen Polizeibeamten zur Rechenschaft gezogen wurden234. Der RRH rügte vor allem das Verhalten des Polizeiinspektors Rübensack, der bei der Beschlagnahme u.a. Kleidung, Schuhe, Sportgeräte „an Beamte verteilt“ hatte, die nachträglich vom Generalleutnant der Ordnungspolizei in Prag, von Kamptz, durch eine amtliche Besitzbescheinigung legalisiert werden sollten235.

Der RRH kooperiert mit der Obersten Rechnungskontrollbehörde im Reichsprotektorat In der zweiten Jahreshälfte 1941 reaktivierte der Reichsprotektor in Böhmen und Mähren die im Jahr 1919 gegründete Oberste Rechnungskontrollbehörde (ORKB) und übertrug ihr die Prüfungskompetenz für die „autonome“ Protektoratsverwaltung. Der Präsident der ORKB, Dr. Vladimir Horak, wurde nach dem Attentat auf den Reichsprotektor Heydrich am 2. Juni 1942 verhaftet und im Zusammenhang mit den Vergeltungsaktionen am 23. Juni 1942 standrechtlich erschossen. Kommissarischer Leiter wurde der Oberfinanzpräsident in Prag, Dr. Gross236. Am 10. September 1942 entsandte Präsident Müller den MR Dr. Hanns Hawranek von der Außenabteilung München als kommissarischen Leiter der ORKB nach

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Ebenda, S. 35, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 64,65. BA R P 2301/5758 Bl. 41ff. RRH-Schreiben Freiherr von Massenbach an Reichsprotektor von Böhmen und Mähren vom 21.6.1941. Ebenda, Bl. 48. BA P/ 2301/7222 Der Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Aufgaben und Organisation der ORKB vom 8.9.1941.

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Prag237. Er hatte ab 22. Oktober 1938 die Präsidialabteilung des Österreichischen Rechnungshofs in Wien geleitet und war am 1. August 1939 vom RRH in die Außenabteilung München übernommen worden, wo er im April 1940 zum MR ernannt wurde. Zur gleichen Zeit richtete Präsident Müller in der Potsdamer Zentrale des RRH ein eigenes Prüfungsgebiet für Prüfungen im Reichsprotektorat ein238. Im Frühjahr 1943 überließ der Reichsprotektor Vorprüfungsbeamte zur Verstärkung der ORKB239. Sie hatte 120 Bedienstete und war für „mehr als 11 000 Behördendienststellen, Fonds und sonstige Einrichtungen“ im Reichsprotektorat zuständig 240 . Am 31. März 1944 legte die ORKB ihren ersten Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 12. Juni 1942 bis 31. Dezember 1943 vor241.

Der RRH prüft die Reichswirtschaftshilfe in Prag und Reichenberg In der Zeit vom 3. bis 7. Juni 1940 prüfte der RRH vor Ort Dienststellen in Prag und Reichenberg, die mit der Förderung der gewerblichen Wirtschaft in den annektierten und besetzten Grenzgebieten des Reiches betraut waren. Die sogenannte Reichswirtschaftshilfe hatte ein Volumen von 24 Mio. RM242. Da es um Haushaltsmittel des RMWI ging, beanspruchte der RRH das Prüfungsrecht. Er legte seinen Prüfungsbericht erst Ende September 1943 vor243. Dabei lobte er die

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Rundschreiben Präsident Müller an die Direktoren und die Außenabteilungen des RRH vom 5.11.1943. Ebenda. BA P/2301/7213 RRH-Vermerk vom 2.4.1943. BA P 2301/7213 ORKB-Bericht, S. 3f. Ebenda. BA B R 2301/6533 Bl. 67–72. BAB R 2301/6534, RRH-Bericht über die örtliche Prüfung der Dienststellen in Prag und Reichenberg vom 3.– 7.6.1940, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 44, BA B R 2301/6545 Beitrag des RRH zur Denkschrift Reichswirtschaftshilfe für gewerbliche Betriebe vom 30.9.1943.

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Niederlassung der Treuarbeit in Reichenberg, die mit der Prüfung der Reichswirtschaftshilfe beauftragt war, und bescheinigte ihr „gute Arbeit“ zu leisten.

Der RRH will die Reichszentrale für die jüdische Auswanderung prüfen Am 24. Januar 1939 beauftragte Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan den Reichsprotektor Heydrich in Prag, eine Reichszentrale für jüdische Auswanderung aufzubauen, die die Auswanderung der Juden „durchführen“ und im Einzelfall, z.B. bei ärmeren Juden „beschleunigen“ sollte. Als der RRH bei der Zentralstelle in Prag nicht nur eine förmliche Buch- und Belegprüfung durchführen, sondern auch die „ordnungsgemäße“ Verwertung jüdischen Vermögens prüfen wollte, verweigerte ihm der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (BdS) die Prüfung, weil die Zentralstelle schon vom Revisionschef des Sicherheitshauptamtes geprüft worden sei. Seinen Widerstand gab er erst nach einer Intervention des RMF auf244, der wissen wollte, ob zugunsten des Reiches oder zugunsten von Parteistellen abgerechnet wurde oder schwarze Kassen entstanden waren. Die Ausbeutung der deportierten Juden selbst stand nicht auf der Agenda des RRH. Als der RMI im Sommer 1941 ein eigenes Prüfungsrecht beim Auswanderungsfonds beanspruchte, verteidigte der Reichsprotektor das Prüfungsrecht des RRH, weil ihm der RRH schon zugesagt hatte, nicht die Einziehung der Fondsmittel zugunsten des Reiches zu verlangen245. Am 10. Dezember1941 prüfte der RRH die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Berlin. Er beanstandete, dass bei den Evakuierungstransporten von Juden nach „Abrechnung der 10 ersten Judentransporte“ ca. 100 000 RM nicht in den Büchern der Staatspolizeistelle Berlin als Einnahmen verbucht wurden. Außerdem seien Bargeld, Wertsachen und Sparbücher nicht ordnungsmäßig belegt246. 244

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BA R2 12222 RRH-Schreiben an Reichsprotektor von Böhmen und Mähren vom 17.6.1941 und 7.1.1942. BA P/90 Mu 2/16 Vermerk Zentralverwaltung Haushalt des Reichsprotektors vom 18.7.1941. BA 2301/2073/3 Bl. 99.

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Die Feststellungen des RRH führten zur Aufdeckung von Korruptionsfällen und zur Bestrafung zahlreicher Bediensteter. Außerdem beanstandete der RRH, dass ihm bei früheren Prüfungen bei der Zentralstelle in Wien und Prag Belege über Einnahmen und Ausgaben vorenthalten wurden247.

Der RRH prüft in Serbien Bei der Prüfung der Verwaltung des Judenvermögens in Serbien stellte der RRH fest, dass der Militärbefehlshaber den Ausbau des „KZ-Lagers auf dem Messegelände im Semlin (Judenlager)“ durch die Organisation Todt mit Mitteln i.H. von 6 598 934 Dinar finanziert hatte, die aus dem eingezogenem Judenvermögen stammten, ohne dass die entsprechenden Belege vorgelegt werden konnten 248 . Beim Militärverwaltungschef stieß der RRH auf einen schwarzen Fonds, dessen Bestände in einer Schreibtischschublade verwahrt wurden, ohne dass sie im Reichshaushalt vereinnahmt worden waren. Der RRH prüfte in Serbien auch die von Göring als Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft (GBW) kontrollierten Bergbaugesellschaften, u.a. die „Mines de Bor“.

3.26 Der RRH überlässt der Revisionsgesellschaft Treuarbeit und der Reichsprüfungsgesellschaft Prüfungsaufgaben in den besetzten Gebieten Das Prüfungsmonopol für die Betriebe und Unternehmen besaßen in den besetzten Gebieten des Westens die Revisionsgesellschaft Treuarbeit und im Osten die Reichsprüfungsgesellschaft (RPG). Beide Revisionsgesellschaften verfügten über ein weit verzweigtes Netz von Außenstellen. An der Ausbreitung des Zweigstellen-

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Ebenda. BA P 2301/5775 RRH-Vermerk vom 20.1.1943.

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netzes war der RRH durch Präsident Müller als Aufsichtsratsvorsitzender der Treuarbeit und Direktor Stengel als Mitglied des Aufsichtsrates beteiligt. Das riesige Prüfungsfeld musste Präsident Müller schließlich mangels eigener Kapazität – wohl zähneknirschend – der Treuarbeit überlassen, soweit es um Staatsbetriebe und Unternehmen ging.

3.27 Der RRH prüft in den besetzten Gebieten des Westens, Nordens und Südostens Europas Im Jahr 1940 richtete Präsident Müller im RRH das Prüfungsgebiet XI „Besetzte Gebiete“ ein und übertrug die Leitung dem Ministerialrat Werner Friedrich, der am 1. April 1938 der Partei beigetreten war. Sein Zuständigkeitsbereich war geografisch bestimmt und erstreckte sich auf alle von deutschen Truppen besetzten Gebiete des Westens, Nordens und Südostens Europas. Die gelegentlich erhobene Behauptung, die Prüfungsaktivitäten des RRH seien im „Altreich“ de facto zum Erliegen gekommen und zum Ausgleich in die besetzten Gebiete verlagert worden, kann in dieser Allgemeinheit nicht nachvollzogen werden. Die Ausdehnung der Prüfungen ergab sich zwangsläufig durch die kriegerische Expansion des NSRegimes und die Gelegenheit für den RRH, sich als kriegswichtige Prüfungseinrichtung darzustellen. Hinzu kam allerdings, dass die Selbstbeschränkungen des RRH im „Altreich“ nicht im selben Ausmaß in den besetzten Gebieten galten. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass neben den Außenabteilungen Metz und Posen nur einige der 57 Prüfungsgebiete in der Potsdamer Zentrale mit Prüfungen in den besetzten Gebieten befasst waren. Es waren hauptsächlich die Prüfungsgebiete „SS“, „Polizei“, „Reichsprotektorat“ und „Besetzte Gebiete“. Das Gros der Prüfer saß nach wie vor in Potsdam und in den Außenabteilungen des „Altreichs“. Insofern dürfen die Prüfungen in den besetzten Gebieten nicht überschätzt werden. Sie spiegeln nur einen begrenzten Teil der Rechnungsprüfung während des Krieges wieder. MR Friedrich prüfte in der Zeit von 1940 bis 1945 vor Ort in Belgien, Frankreich, Serbien, Niederlanden, Norwegen, Dänemark, Luxemburg und Norditalien. Seine Erinnerungen an die Prüfungsreisen fasste er nach dem Krieg in einer 99

Niederschrift zusammen, die er dem Bundesarchiv überließ249. Sie lassen kein Unrechtsbewusstsein erkennen. Die Erwartung des RRH, in den besetzten Gebieten leichter prüfen zu können, weil die für das „Altreich“ erlassenen Beschränkungen nicht galten, erwies sich bald als Trugschluss. Einzelne Militärbefehlshaber und Chefs der Zivilverwaltung (CdZ) bestritten nämlich die Prüfungskompetenz des RRH mit der Begründung, die RHO gelte nicht automatisch in den besetzten Gebieten. Einzelne Militärbefehlshaber zeigten sich aber kooperativ und wünschten sogar Prüfungen des RRH250. Auf Widerstand stieß der RRH vor allem in Norwegen, wo der Reichskommissar Terboven eine „Politik der harten Hand“ betrieb, in Dänemark, wo Werner Best als Reichsbevollmächtigter regierte 251 , in den Niederlanden, wo Seyss-Inquart als Reichskommissar das Sagen hatte252 und in Luxemburg, wo dem Gauleiter Simon ein selbstherrliches und eigenmächtiges Verhalten nachgesagt wurde253. Die Prüfungsreisen des MR Friedrich hatten nach dem Krieg noch ein Nachspiel. Als Werner Friedrich von der Revisionsgruppe der Deutschen Zentralfinanzverwaltung in Ostberlin mit der Abwicklung der inzwischen geschlossenen Potsdamer Zentrale des RRH beauftragt wurde, verlangten einige Prüfer an den Aufräumarbeiten beteiligt zu werden. Anderenfalls würden sie vergrabene Prüfungsunterlagen bergen. Auffällig ist, dass viele von MR Friedrich gewonnenen Prüfungserkenntnisse nach Kriegsende in den Bericht vom 26. Juli 1945 wieder einflossen, der unerledigte Fälle aufgriff und als Materialsammlung dem Alliierten Kontrollrat vorgelegt werden sollte, um die Notwendigkeit der Rechnungsprüfung in Deutschland herauszustellen254.

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BA Kl. Erwerb Nr. 390, vgl. Fn.147 und Rainer Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 44 sowie Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 19,33. Die Prüfung des RRH bei der Intendantur beim Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich fand vom 19.–26.1.1944 in Brüssel auf ausdrücklichen Wunsch des Militärbefehlshabers statt. Vgl. Abschnitt 3.27. Ebenda. Ebenda. Vgl. Abschnitt 4.1.

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Der RRH prüft in den Niederlanden Nach der Kapitulation der niederländischen Armee am 15. Mai 1940 ernannte Hitler den österreichischen Verwaltungsjuristen Arthur Seyss-Inquart zum Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete. Der Militärbefehlshaber übertrug ihm die Regierungsgewalt am 25. Mai 1940. Seyss-Inquart holte den ehemaligen Direktor der Wiener Landesbank, Preiskommissar und österreichischen Minister für Wirtschaft und Arbeit, Hans Fischböck, nach Den Haag. Er hatte sich bereits in Österreich bei der Liquidierung jüdischer Unternehmen hervorgetan. Noch am Tag seiner Ernennung zum Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft (GKFW) beauftragte Fischböck am 22. Juni 1940 die deutsche Revisionsgesellschaft Treuarbeit mit der Kontrolle (Sicherung, Erfassung und Verwaltung) des sogenannten feindlichen Vermögens. Diese richtete für die „vordringliche“ Aufgabe sofort in Den Haag eine Geschäftsstelle ein, die im Jahr 1941 zu einer Niederlassung mit einer Nebenstelle in Arnheim aufgewertet und von Hans Braun geleitet wurde. Der Mitarbeiterstab bestand seit Sommer 1940 und zum Jahreswechsel 1941/1942 aus 64 Personen255 und wuchs bis Mai 1944 auf 81 Revisoren an256. Ab 1. Oktober 1942 übernahm Dr. Reinhold Merckens die Leitung der Niederlassung257. Die Behandlung des erbeuteten feindlichen Vermögens und die Verwaltung des Judenvermögens regelte der Reichskommissar in zwei Verordnungen258. SeyssInquart wehrte sich lange und vehement gegen die Bestrebungen des RMF, seinen Etat in den Reichshaushalt aufzunehmen. Präsident Müller kritisierte die Haltung des Reichskommissars in seiner Denkschrift für das Rechnungsjahr 1939259. Der RMF war der Auffassung, dass das Judenvermögen dem Reichsvermögen zuzuführen sei. Am 10. September 1940 legte die Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag ihren 1. Zwischenbericht über die Erfassung des Feindvermögens vor260. Als

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BA B R 177/1892 Bericht Niederlassung Den Haag. BAB R 8135/8630 Mitteilung Niederlassung Den Haag vom 6.8.1942. BA B R 177/1901 Schreiben Vorstand der Treuarbeit vom 30.9.1942 an Dr. Merckens. BA B R 87/158 VO 26/40 vom 24.6. 1940 über die Behandlung feindlichen Vermögens und VO 189/40 vom 22.10.1940 über die Verwaltung des Judenvermögens. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939 vom 19.4.1943. BA-P/2301/7112.

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sich der RRH im Herbst 1940 zu einer Prüfung anmeldete, intervenierte SeyssInquart am 29. Oktober 1940 beim Chef der Reichskanzlei, Lammers, und bestritt die Prüfungskompetenz des RRH. Am 11. November 1940 schaltete sich der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, ein und ließ Lammers wissen, der Führer untersage dem RRH eine Prüfung beim Reichskommissar261. Als der RRH den Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) in den besetzten Niederlanden prüfen wollte, verweigerte dieser die Prüfung mit dem Argument, dass er aus der Wehrmachtskasse finanziert werde. Er gab seinen Widerstand erst auf, als die Haushaltsmittel ab 1. April 1941 aus der Reichskasse gezahlt wurden262. Ab 1941 übernahm die Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag die Aufsichtstätigkeit im „Judensektor“. Am 8. Januar 1941 legte sie ihren 2. Zwischenbericht vor263. Am 22. März 1941 bat Präsident Müller den Reichskabinettsrat in der Reichskanzlei, Dr. Killy, dem RRH endlich die geplante Prüfung in Den Haag zu ermöglichen. Die Prüfung dulde keinen Aufschub mehr. Es sei unvertretbar, gegenwartsnahe Prüfungen bei neu errichteten Verwaltungen aufzuschieben. Gleichzeitig warb Müller dafür, Prüfungen des Rechnungshofs als Gütesiegel zu nutzen. Beste Methode, sich gegen den Vorwurf zu wappnen, man sei mit den als Kredit gewährten Besatzungskosten unwirtschaftlich umgegangen, sei es, den Umgang mit den Mitteln von einer unabhängigen Stelle prüfen zu lassen264. Als am 30. Juli 1941 die Niederlassung Den Haag ihren Schlussbericht vorlegte, wurde das ganze Ausmaß des erbeuteten Vermögens sichtbar265. Der Bericht lieferte eine vollständige Übersicht über sämtliche erfassten, verwalteten und beaufsichtigten Vermögenswerte. Das Feindvermögen war untergliedert in 23 Vermögensgruppen, darunter Unternehmen, Liegenschaften, Möbel und Hausrat sowie Kunstgegenstände, Bankguthaben, Diamanten, Schutzrechte und Wertpapiere sowie Warenlager, Nachlässe, Hypotheken, Forderungen,

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BA B R 43 II/677. BA/R2/12 158. BA-P/2301/7112 Bl. 9. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 127. BA-P/2301/1901 Schreiben Präs. Müller an Dr. Killy vom 22.3.1941. BA B R 2/30 129 Schreiben RRH an RMF.

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Bankschließfächer, Gold und Devisenbestände266. MR Friedrich übersandte den Schlussbericht, der mehrere hundert Seiten umfasste, dem RMF, damit dieser sich darum kümmern konnte, die riesige Beute dem Reichsvermögen zuzuführen267. Gleichzeitig nahm MR Friedrich den Bericht zum Anlass, den ordnungsgemäßen Nachweis des „besonders umfangreichen Feind- und Judenvermögens“ vor Ort selbst zu prüfen, sobald der Widerstand des Reichskommissars gebrochen sei. Um weiteren externen Kontrollen zu entgehen, gründete Seyss-Inquart am 22. November 1941 nach dem Vorbild des Rechnungshofs im Generalgouvernement einen eigenen Rechnungshof unter der Bezeichnung „Rechnungskontrollstelle beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete“. Sie wurde seiner Präsidialabteilung angegliedert. Die Leitung übertrug er Aldoff Iglseder, der seine Tätigkeit am 13. Januar 1942 aufnahm und bei den einzelnen Verwaltungen des Kommissariats Vorprüfungsstellen einrichtete268. Ab Sommer 1942 übernahm die Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag die Revisionstätigkeit bei den zwangsverwalteten jüdischen Firmen. Am 7. Dezember 1943 meldete sie dem RRH, dass sie auch für die Sammelverwaltung für liquidierte „jüdische“ Unternehmen zuständig sei269. Im Herbst 1943 erklärte sich Seyss-Inquart endlich zu einer Prüfung durch den RRH bereit, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sein persönlicher Dispositionsfonds und die geheimen politischen Ausgaben ungeprüft bleiben. Als MR Friedrich am 18. November 1943 zu seinem Antrittsbesuch erschien, zeigten sich der Reichskommissar und der für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen zuständige Regierungspräsident Piesbergen kooperativ. MR Friedrich begnügte sich mit der Prüfung der allgemeinen Verwaltungsausgaben des Reichskommissariats, der Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag, die das Feind- und Judenvermögen zu verwalten hatte sowie von zwei Stiftungen, die mit dem Vermögen holländischer Juden befasst waren. Die Prüfungen fanden zur Jahreswende 1943/44 statt. 266

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BA B R 8135/5727 und BA B R 177/1908 sowie BA B R 8135/10 429, s. auch Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 215ff. S.Fn.266. BA/R 177/1649 Rundschreiben des RK-NL vom 13.1.1942 und Schreiben RK-NL an Iglseder vom 22.1.1942. BA B R 177/1890.

103

Bei der Prüfung des Reichskommissariats stellte der RRH fest, dass Seyss-Inquart für acht Mio. RM eine Kunstsammlung angeschafft hatte, die für das Führermuseum in Linz bestimmt war. Den Ankauf hatte er mit einem „Vorschuss“ aus dem treuhänderisch verwalteten Feindvermögen finanziert. Die Rückzahlung des Vorschusses hatte er wiederum aus dem von ihm verwalteten beschlagnahmten Judenvermögen beglichen270. Vom 18. bis 25. November 1943 prüfte MR Friedrich bei der Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag den ordnungsgemäßen Nachweis des gigantischen Feind- und Judenvermögens. Der Leiter der Niederlassung, Dr. Merckens, bemerkte freimütig, dass Göring eigenmächtig in die Vermögensverwaltung eingegriffen und Prüfungsbeanstandungen vereitelt habe. MR Friedrich legte seinen Prüfbericht am 22. Dezember 1943 vor271, nahm aber die Prüfung im Januar 1944 nochmals auf. Die Schlussbesprechung mit der Niederlassung Den Haag fand am 28. Januar 1944 statt272. Im selben Jahr prüfte die Niederlassung Den Haag noch die „Dienststelle Dr. Mühlmann“, die von Göring mit der „Übernahme, Verwaltung und Veräußerung von Kunstgegenständen aus Feind-und Judenbesitz“ beauftragt war273. Im Anschluss an die Prüfung in Den Haag fand vom 19. bis 26. Januar 1944 in Baarn bei Hilversum eine Prüfung des RRH beim Chefintendanten des Wehrmachtsbefehlshabers in den Niederlanden statt.

270

271 272 273

BA-P 2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 9.10 1944. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 103. BA B R 2/30 129 Schreiben RRH an RMF. BA B R 177/1890. BA R 177/1694 und /1904 Schreiben RRH an den Generalkommissar für Finanz und Wirtschaft beim Reichskommissar für die besetzten Niederlande vom 5.1.1944.

104

Der RRH prüft nationalsozialistische Stiftungen in den Niederlanden Vom 18. bis 25. November 1943 prüfte der Rechnungshof in Den Haag die Reichsstiftung Niederlande, die Seyss-Inquart nach niederländischem Recht gegründet hatte und die seiner Rechnungskontrollstelle unterstand, sowie die Stiftung Vermögens- und Rentenanstalt (VVRA), die als „Raubsammelstelle“ galt, weil auf ihren Konten sämtliche Verkaufs- und Verwertungserlöse landeten, die aus dem Vermögen von 107 000 deportierten niederländischen Juden stammten274. Die Stiftung überwies der Stiftung Niederlande die aus der Verwertung des Judenvermögens erzielten Überschüsse zur Verwaltung. Ihr flossen Anfang Januar 1943 Erlöse in Höhe von 6 134 631,03 hfl zu, die als Zuwendungen an die Stiftung deklariert waren. MR Friedrich stieß bei seinen Prüfungen in Den Haag und Apeldoorn auf die Lager der SS in Westerbork und Vught/Herzogenbusch275. Das Sammellager Westerbork hatte der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (BdS) ausgebaut, „um es als Durchgangslager für die nach dem Osten abzutransportierenden Juden zu verwenden“. Dagegen wurde das neu errichtete Lager Vught als KZ genutzt. Der Reichskommissar und der BdS stritten sich, ob die Kosten für die Lagerbauten aus den Erlösen des Judenvermögens oder aus der Reichskasse finanziert werden sollten. MR Friedrich griff die haushaltsmäßige Behandlung des Sammellagers und die Abrechnung der Baukosten für sieben Baracken des KZ-Lagers auf und trug die Streitfrage dem RMF vor. Dem zuständigen MR, Kallenbach, war die Existenz beider Lager bisher unbekannt. Schließlich kam es zu dem Kompromiss, das Seyss-Inquart dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, eine einmalige Summe in Höhe von 15 Mio. hfl aus dem liquidierten Judenvermögen erstatten musste276.

274

275 276

BA-P 2301/8420, vgl. Vermerk des früheren Prüfungsgebiets X3 vom 8.8.1945, s. auch Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 223. BA R 2/ 12 158. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 91. BA/R 2/12 187 RMF-Vermerke vom 10., 17. und 29.3.1944. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 90,91.

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Der RRH prüft in Norwegen und Dänemark Vom 4. Oktober bis 4. November 1942 prüfte MR Friedrich die A/S Nordag in Nord-Norwegen. Das Unternehmen war nach der Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen von der Bank Deutsche Luftfahrt und der Junkers AG gegründet und mit der Ausbeutung des norwegischen Aluminiums beauftragt worden, um die deutsche Luftwaffenproduktion zu steigern. Die Durchführung des Luftfahrtprogramms oblag dem StS. im RLM, Generalfeldmarschall Erich Milch, der mit Präsident Müller und dem Direktor Stengel im Aufsichtsrat der Treuarbeit saß. Die Treuarbeit war bereits im Jahr 1941 beauftragt worden, den kriegswichtigen Aluminiumsektor und die Erdölindustrie in Norwegen zu durchleuchten. Bei der A/S Nordag sollte das Finanzgebaren untersucht werden, nachdem auf ihren Baustellen in Nord-Norwegen Unregelmäßigkeiten bekannt geworden waren. MR Friedrich drang auf seiner mehrtägigen Besichtigungsreise mit einem Wasserflugzeug und mit Kraftwagen bis in die Gebirgstäler Norwegens vor. Er besichtigte auch die Baustellen der Einsatzgruppe Wiking, die die „Festung Norwegen“ mit der entsprechenden Infrastruktur wie Straßenbau, Eisenbahnstrecken sowie Hafen-und Industrieanlagen errichten sollte277. Der RRH kritisierte heftig die Besoldungspraxis, die auf den Baustellen zu chaotischen Verhältnissen geführt habe und die rechtzeitige Fertigstellung der militärisch notwendigen Bauten gefährde. Der RRH empfahl die Ausschaltung ungeeigneter Subunternehmen und den Einsatz qualifizierter Baufirmen, die notfalls dienstverpflichtet werden müssten278. Der RRH prüfte auch das sogenannte Aluminium-Kontor, eine Abkürzung für den von der Vierjahresplanbehörde eingesetzten „Generalbeauftragten für die norwegische Aluminiumindustrie“. Dabei stellte er fest, dass das Kontor zwei lei-

277

278

BA-P 2301/5773 Bericht RRH über die Prüfung in Dänemark und Norwegen und bei der Einsatzgruppe Wiking vom 2.3.1943. Beim Bau der Festungsanlagen setzte die Organisation Todt im Frühjahr 1944 ca. 58 000 Arbeitskräfte ein, darunter waren mehr als die Hälfte Zwangsarbeiter sowie Kriegs- und Strafgefangene. Vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 58ff. BA-P 2301/644 und 5950 Bericht über die Dienstreise nach Nord-Norwegen vom 4.10.–4.11.1942, S. 42ff., vgl. auch BA-P 2301/5949 und 8420 Bl. 455.

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tenden Angestellten unzulässigerweise Darlehen gewährt hatte, die aus den Verwaltungskostenbeiträgen der treuhänderisch verwalteten Firmen stammten. Der Fall wurde nach Kriegsende in den Bericht (des „RRH“) vom 26. Juli 1945 unter Ziffer 11 als unerledigte Angelegenheit aufgenommen279. Der Reichsbevollmächtigte für Dänemark, Werner Best, verbat sich jede Einmischung des RRH in die Verwaltung des von ihm persönlich eingerichteten Fonds und die Kritik am Aufwand von 160 000 RM für den Bau einer nur für ihn errichteten hölzernen Reithalle. Präsident Müller und Werner Best kannten sich aus der gemeinsamen Zeit in Hessen, als Müller Reichskommissar und Best junger Landtagsabgeordneter, SS-Angehöriger und Rechtsberater der Partei war. Nach der Machtübernahme in Hessen hatte Müller als hessischer Innenminister Best am 7. März 1933 zum Sonderkommissar der hessischen Polizei ernannt. Ob sich Präsident Müller in die Prüfung in Dänemark einmischte, ist nicht bekannt. Als der RRH beim Reichskommissar Josef Terboven die Verwaltung des Feindvermögens prüfen wollte, wehrte sich dieser gegen die Prüfung. Sein Widerstand blieb aber erfolglos, weil die Haushaltsmittel für Terboven aus der Reichskasse kamen280. Der RRH beanstandete, dass der Reichskommissar für die Verwaltung des Feindvermögens kein Buchführungs- und Kassenwesen eingerichtet hatte281. Außerdem beanstandete der RRH die fehlenden Bestandsverzeichnisse über eingezogene Rundfunkgeräte. Bei der Prüfung der Stiftung „Deutsches Hilfswerk“ in Oslo stellte der RRH fest, dass ihr Gründer, Josef Terboven, die Stiftung weitestgehend aus beschlagnahmten Vermögen finanzierte und sie als seinen persönlichen Verfügungsfonds betrachtete. Er finanzierte u.a. die weitüberzogenen Repräsentationskosten für Schloß Skaugun sowie Aufwendungen und Gratifikationen für hohe Parteigenossen. In der Schlossküche wurden beschlagnahmte Sachwerte zum persönlichen Gebrauch genutzt. Ein aus beschlagnahmten Pelzen und Schmuckwaren angehäufter „Geschenkvorrat“ diente u.a. dazu, Göring 102 Kilogramm Lachs zukommen zu 279 280

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BA B R 2 2301/8420 Bl. 455. BA-P/2301/1901 Schreiben Präs. Müller an Dr. Killy vom 22.3.1941, Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939, S. 56. Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939 vom 19.4.1943, S. 61 Vgl. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 134,155 und Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 21.

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lassen und den Ehefrauen Goebbels und Göring wertvolle Pelzen zu schenken. Dem Wehrmachtsbefehlshaber in Norwegen überließ Terboven „337 goldene und andere Uhren“282. Bei der Prüfung der Verwaltung des reichsfeindlichen Vermögens durch den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (BdO) in Oslo deckte der RRH ebenfalls Unregelmäßigkeiten auf283. In Dänemark prüfte der RRH (MR Scholz) vom 30. Oktober bis 3. November 1944 bei der Intendantur des Befehlshabers der deutschen Truppen den Bausektor. Die Vor-Ort-Prüfungen fanden bei den Baustäben und Bauleitungen von Wehrmachtsbauten statt 284. Der RRH hatte sich zuvor intensiv mit Baupreisen und der Preistreiberei im Bausektor befasst 285.

Der RRH prüft im Elsass und in Lothringen Im Juli 1942 prüfte die Außenabteilung Karlsruhe des RRH den Generalbevollmächtigten für das volks- und reichsfeindliche Vermögen (GBV) beim Chef der Zivilverwaltung (CdZ) im Elsass. Sie beanstandete, dass bei der Verwaltung, Übernahme und Verwertung des beschlagnahmten Vermögens der „Führerbeauftragte für Kunst“ („Dienststelle Dr. Mühlmann“) nicht eingeschaltet wurde286. Der Chef der Zivilverwaltung im Elsass bestritt die Geltung des deutschen Haushalts- und Kontrollrechts. Er ließ sich erst im Jahr 1943 darauf ein, die RHO, die Reichswirtschaftsbestimmungen (RWB) und die Reichskassenordnung (RKO) analog anzuwenden287. 282

283 284 285

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BA-P 2301/2073/2 und 3 Bl. 412ff. Vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 102f. S.Fn.282. BA-P/2301/643 Bl. 5, vgl. auch Fn.278. BA-P/2301/7169 RRH-Vermerk vom 11./12.7.1944, vgl. auch BA-P 2301/643 Bl. 5 und Fn.431. BA R 47 II/17 RRH-Bericht vom 11.4.,1.7. und 30.7.1942 sowie Schreiben GBV an RRH vom 29.10.1941, zur Dienststelle Dr. Mühlmann vgl. Fn.274. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 127. BA-P/2301/2790 RRH-Vermerke vom 5.12.1942 und 6.2.1943.

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Im Jahr 1944 prüfte der RRH das Durchgangslager für Zwangsarbeiter im elsässischen Mühlhausen. Dabei monierte er, dass die mit der Verpflegung des Lagers betraute Deutsche Arbeitsfront (DAF) durch überhöhte Kostenrechnungen „erhebliche Küchengewinne“ erzielt habe288.

In Metz werden „zwei Leute von Format“ gebraucht In Lothringen übertrug der Chef der Zivilverwaltung (CdZ) die Verwaltung und Verwertung des „volks- und reichsfeindlichen Vermögens“, zu dem vor allem das erbeutete oder beschlagnahmte Feind- und Judenvermögen gehörte, einer Überleitungsstelle289. Eine Bewertungsabteilung hatte die Verwertungsvorgänge zu begutachten. Die Stellungnahmen waren der Außenabteilung des RRH in Metz zur Überprüfung vorzulegen. Da die „Gutachten“ von ihr ausnahmslos gebilligt wurden, zweifelte der Chef der Zivilverwaltung die fachliche Kompetenz der Prüfer an und bat den RRH, zur Behebung dieses Mangels, von Potsdam „zwei Leute von Format“ nach Metz zu entsenden, die die Erstellung der Verwertungsgutachten selbst übernehmen könnten. Der RRH lehnte die Übernahme der Verantwortung zwar ab, ordnete aber MR Dr. Dr. Conrad zur Außenabteilung nach Metz ab290.

In Luxemburg kommt es zu einem Eklat Als der RRH beim Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg das Fremdvermögen prüfen wollte, bestritt dieser die Prüfungskompetenz des RRH. Erst als der Chef der Reichskanzlei, Lammers, im Frühjahr 1941 entschied, dass die Haushalte der Chefs der Zivilverwaltungen in Luxemburg, Lothringen und Elsass sachlich als Teile des Reichshaushalts zu behandeln seien291, stellte der Chef der Zivilverwaltung in

288 289 290 291

BA-P/2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 16.10.1944. VO vom 28. Juli 1943. BA-P/2301/651 RRH-Vermerk vom 17.5.1944. Schreiben Lammers an RMF vom 26.3.1941 in Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939, S. 55/62.

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Luxemburg, Gauleiter Simon, in einer Verordnung vom November 1941 klar, dass das Reichshaushaltsrecht auch in seinem Verwaltungsbereich zur Anwendung komme. Als der RRH im Jahr 1944 die Verwaltung des Judenvermögens prüfen wollte, wehrte sich Gauleiter Simon heftig gegen die angekündigte Prüfung. MR Friedrich wurde nicht zum üblichen Antrittsbesuch empfangen. In der Schlussbesprechung am 19. Juli 1944, also einen Tag vor dem Attentat auf Hitler, wagten die Prüfer u.a. ein Architektenhonorar von ca. 30 000 RM für den Entwurf eines in Luxemburg geplanten Deutschen Nationaltheaters zu beanstanden. Sie hielten die Ausgabe für unzeitgemäß und unwirtschaftlich, weil die Zivilverwaltung damit die Angliederung Luxemburgs an das Deutsche Reich, die erst nach dem „Endsieg“ vorgesehen sei, vorwegnehme. Angesichts der gegenwärtigen Kriegslage hätte der Ausgang des Krieges abgewartet werden müssen. Die Prüfer hatten allerdings gute Karten, da Hitler in seinem Erlass vom 25. Januar 1942 befohlen hatte, „Vorbereitungen und Planungen für künftige Friedensaufgaben zurückzustellen und sie erst wiederaufzunehmen, wenn die Lage des Krieges es gestattet und sie im Hinblick auf das Ende des Krieges nötig werden“. Die Betroffenen beriefen sich auf die Rückendeckung ihres Gauleiters Simon, der noch vor der Rückkehr der Prüfer nach Potsdam bei Präsident Müller intervenierte. Dieser nahm die Beanstandung seiner Prüfer im Kern nicht zurück, milderte aber die Schärfe „mit Rücksicht auf die betroffenen Parteigenossen“ ab292.

Der RRH prüft in Belgien In Belgien prüfte MR Friedrich die Verwaltung und Verwertung des eingezogenen Judenvermögens bei der Zweigniederlassung der Treuhandgesellschaft in Brüssel, die von dem Kriegsverwaltungsrats Dr. Draht geleitet wurde. Prüfungsanlass waren u.a. erhebliche Beanstandungen bei der Treuhandgesellschaft, die bei der Verwaltungsstelle der Belgischen Staatsbank eingerichtet war, sowie Unregelmäßigkeiten bei der Diamantenindustrie in Antwerpen. Vom 19. bis 26. Januar 1944 prüfte der RRH auf ausdrücklichen Wunsch des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich die Intendantur in Brüssel.

292

BA Koblenz R 43 II RK 707 Bl. 3–5 Nr. 8.

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Der RRH stellte fest, dass der Referent der Feldkommandantur große Partien wertvoller Rohdiamanten als Feindvermögen beschlagnahmt, aus den Veräußerungserlösen aber eigenmächtig einen Sonderfonds gebildet hatte. Außerdem waren zwei eingeschalteten Sachverständigen ungerechtfertigte Provisionen und Gewinnbeteiligungen gewährt worden. Aus den Erlösen waren zwei Mio. RM nicht an die Reichskasse abgeführt worden. Der Verbleib weiterer 800 000 RM blieb ungeklärt293.

3.28 Der RRH kämpft um seine Anerkennung als kriegswichtige Einrichtung Mit der zunehmenden Eskalierung des Krieges hing der Fortbestand des RRH von der Schicksalsfrage ab, ob er als kriegswichtige Einrichtung anzuerkennen sei. Um sich als kriegswichtige Einrichtung zu erweisen, stellte der Rechnungshof die von Hitler beschworene Sauberkeit der Verwaltung in den Fokus seiner Prüfungen, was im Klartext bedeutete, insbesondere in den besetzten Gebieten Beute aufzuspüren, die noch nicht dem Reichsvermögen zugeführt wurde. Am 25. Januar 1942 ordnete Hitler an, die öffentliche Verwaltung zur Freisetzung weiterer Kräfte für den Kriegseinsatz drastisch zu vereinfachen. Als der Chef der Reichskanzlei, Lammers, den Führererlass am 4. Februar 1942 mit der Anordnung präzisierte, alle nicht kriegswichtigen Einrichtungen vorläufig stillzulegen, kam auch der RRH ins Visier des Innenministers Dr. Frick als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung (GBV), dem Lammers die Auswahl der kriegswichtigen Verwaltungen überließ und der die Gelegenheit nutzte, die Ausschaltung des RRH zu betreiben, nachdem Präsident Müller die Prüfungskompetenz für die überörtliche Gemeindeprüfung beansprucht hatte. Um die drohende Schließung des RRH zu verhindern, traf sich Präsident Müller Anfang Februar 1942 mit dem Reichskabinettsrat Dr. Killy, der in der Reichskanzlei 293

BA-P 2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 9.10.1944, Denkschrift Präs. RRH zur Haushaltsrechnung 1940 vom 4.5.1944 S. 66, vgl. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 154 und Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 106,107.

111

für Fragen der Rechnungsprüfung zuständig war. Durch Vizepräsident Mussehl legte er ihm dürftiges Material mit einem Memorandum vor, das die Kriegsnotwendigkeit des RRH in acht Punkten belegen sollte294. Das Memorandum enthielt mehr Allgemeinplätze als Argumente. Präsident Müller bezog sich darin auf drei Runderlasse, die aufgrund des KKG Erleichterungen für die Rechnungslegung und die Vorprüfung brachten. Außerdem verwies er auf einen Aufsatz in der Nationalsozialistischen Beamtenzeitung295. Der Wandel, den die Rechnungsprüfung vollzogen habe, sei von Ortsnähe, Sachnähe und Gegenwartsnähe geprägt. Seit 1938 habe der RRH ein neues Kontrollverfahren entwickelt, das Vor-Ort-Prüfungen und Beratungsrevisionen favorisiere und folgende Grundsätze postuliere: –

– – – –

– – –

Als selbständige und unabhängige Einrichtung hilft der RRH vor allem den neuen Verwaltungen, die noch im Aufbau begriffen sind und mit wenig qualifiziertem Personal arbeiten müssen. Er prüft ortsnah, sachnah und gegenwartsnah. Der RRH stört nicht den laufenden Dienstbetrieb. Er achtet auf die Einhaltung der Vorschriften. Er kritisiert nicht, sondern gibt Hinweise und Anregungen, berücksichtigt die individuelle Lage der Verwaltung und arbeitet vertrauensvoll mit den Ministerien und Reichsstatthaltern zusammen. Das gilt vor allem für die Beziehungen zur Parteikanzlei und zum Reichsschatzmeister. Mit seiner Beratungs- und Betreuungsrevision betreibt der RRH keine Vergangenheitsbewältigung, sondern weist Wege in die Zukunft. Seine Augenblicksaufnahmen umfassen Ordnungsmäßigkeitsprüfungen, Verbesserungsvorschläge und Querschnittsbetrachtungen. Der RRH nutzt seine internationalen Kontakte zu den Präsidenten der Rechnungshöfe befreundeter Mächte, um ihre Organisation und Zielrichtung am Vorbild des RRH auszurichten.

Am 17. Februar 1942 stufte Staatssekretär Stuckart als GBV den RRH erwartungsgemäß als kriegsunwichtiges Kontrollorgan ein und forderte den RRH ultimativ

294 295

BA Koblenz R 43 II (Rk)705 b Bl. 168–170. Nr. 18/19 vom 12.10.1941.

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auf, die „überzogenen“ Prüfungen im „Altreich“ drastisch einzuschränken und nur noch im Einverständnis mit der geprüften Verwaltung durchzuführen, außerdem die Vorprüfung abzuschaffen und in den besetzten Gebieten nur noch Stichprobenprüfungen vorzunehmen296.

Der „Schrei“ der Verwaltung nach dem Rechnungshof Dr. Killy wies in seiner Vorlage an seinen Chef Lammers darauf hin, dass der RMI dem RRH keine Weisungen erteilen könne, weil er nach § 118 RHO unabhängig sei. Außerdem sei der Vorstoß des RMI ein durchschaubarer Versuch, durch die Ausschaltung des RRH seinen eigenen überörtlichen kommunalen Prüfungsapparat zu erhalten und zu stärken. In seiner Vorlage vom 19. Februar 1942 urteilte Dr. Killy, der RRH habe seine Arbeit bereits den Kriegsverhältnissen angepasst und dessen Prüfungen seien im Krieg unentbehrlich. In den Verwaltungen könne man sogar von einem „Schrei nach dem Rechnungshof“ sprechen297. Vereinzelt beantragten Befehlshaber tatsächlich Prüfungen des Rechnungshofs, um sich dadurch ein Gütesiegel zu verschaffen298. Präsident Müller reagierte auf die Attacke des RMI am 5. März 1942 gelassen durch einen Runderlass (A Nr.91), in dem er die Forderungen des RMI als „Anregungen“ bezeichnete und die Prüfungen zwar im „Altreich“ erheblich einschränkte, aber nicht von der Zustimmung der geprüften Behörde abhängig machte. Bereits angeordnete Prüfungsreisen ins „Altreich“ wurden abgesagt. Im „Altreich“ seien Rechnungen der Verwaltungen ungeprüft zu lassen, wenn angenommen werden könne, dass diese ordnungsgemäß wirtschafteten und wesentliche Prüfungsergebnisse nicht zu erwarten seien. Diese Regelung galt aber nicht für Prüfungen in den besetzten und angegliederten Gebieten. Am 23. März 1942 erklärte die Reichskanzlei den Antrag des RMI auf Stilllegung des RRH formal für

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BA R 43 II 1155 b Schreiben StS. Stuckart an RRH vom 17.2.1942.

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BA R 43 II/1155 c Bl. 91ff. So wünschte der Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich im Jahr 1944 ausdrücklich eine Prüfung seiner Intendantur, s.Fn.294.

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erledigt, weil die Selbstbeschränkung des RRH sehr weit gehe und in vollem Umfang der Kriegslage gerecht werde299.

3.29 Der RRH unterstützt die Rechnungshöfe befreundeter Mächte. In seinem Memorandum, das Präsident Müller im Februar 1942 der Reichskanzlei vorlegte, hatte er betont, dass der RRH Kontakte zu Rechnungshöfen befreundeter Mächte unterhalte, um diese nach deutschem Vorbild auszurichten300. Dabei ging es um den Obersten Kontrollhof der Slowakei, den Kroatischen Rechnungshof, das Zentralamt der Verwaltungskontrolle in Litauen und die Litauische Revisionskammer. In allen Fällen beeinflusste Präsident Müller die Ausrichtung dieser Kontrolleinrichtungen nach seinen eigenen Vorstellungen von einem Reichskontrollhof, der über Weisungsbefugnisse und Sanktionsmöglichkeiten verfügen sollte.

Oberster Kontrollhof (OKH) der Slowakei In Preßburg war bereits im Herbst 1939 ein Oberstes Rechnungskontrollamt entstanden. Im Dezember 1939 besuchten Vertreter der neuen Kontrollbehörde die Potsdamer Zentrale des RRH und baten um Aufbauhilfe, die ihnen auch zugesichert wurde301. Am 16. Juni 1942 wurde das Kontrollamt in deutlicher Anlehnung an die Vorstellung Präsident Müllers von einem Reichskontrollhof in „Oberster Kontrollhof“ umbenannt und nach deutschem Kontrollrecht ausgerichtet302. Das Prüfungsmonopol des slowakischen Rechnungshofs ging allerdings weiter als

299 300 301 302

BA Koblenz R 43 II(Rk) 705 b Bl. 207. BA Koblenz R 43 II(Rk) 705 b Bl. 168–170. BA P/2301/1949 RRH-Vermerk vom 23.12.1939. Slowakisches Gesetzblatt Nr. 110/1942 vom 24.5.1942.

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dasjenige des RRH und räumte ihm vor allem die auch von Präsident Müller angestrebten Sanktionsmöglichkeiten ein. Der Preßburger Kontrollhof konnte von den geprüften Behörden die Verhängung von Strafen oder die Einleitung von Strafverfahren verlangen303.

Kroatischer Rechnungshof Als am 30. Juli 1941 in Zagreb ein selbständiger Rechnungshof errichtet wurde304, wies Präsident Müller die Wiener Außenabteilung an, ihn über die weitere Entwicklung der öffentlichen Finanzkontrolle, die er „mit Interesse“ verfolge, auf dem laufendem zu halten305. Im Mai 1942 informierte sich der Präsident des Kroatischen Rechnungshofs, Stjepko Vrtar, bei seinem Besuch in Potsdam und Wien über die deutsche Rechnungsaufsichtsbehörde. Auch die Struktur des Kroatischen Rechnungshofs passte sich weitgehend dem Modell an, das sich Präsident Müller für den deutschen Rechnungshof wünschte. Der Rechnungshof in Zagreb orientierte sich an der RHO, hatte ein umfassendes Prüfungsmonopol, das bis zur Kommunalebene reichte und besaß Mitwirkungsund Sanktionsmöglichkeiten. Er konnte die Rechtmäßigkeit von Personalentscheidungen überprüfen; seine Bemerkungen hatten für die geprüfte Verwaltung Bindungswirkung. Außerdem konnten Regressforderungen festgelegt und das Verwaltungsgericht angerufen werden, insbesondere wenn den Beanstandungen nicht nachgekommen wurde306. Eine Kuriosität enthielt die Bestimmung, dass im Kroatischen Rechnungshof weiblichen Bediensteten keine Führungspositionen übertragen werden durften. Der Kroatische Rechnungshof pflegte seine Kontakte

303 304 305

306

BA P 2301/1949 RRH-Vermerk vom 5.1.1943. BA P/ 2301/1948 Gesetzesdekret über den Rechnungshof vom 30.7.1941. BA P/2301/1948 RRH-Vermerk vom 23.10.1941, Verbalnote der kroatischen Gesandtschaft an Auswärtiges Amt vom 14.5.1942 wegen Besuch des kroatischen Rechnungshofpräsidenten. BA P 2301/1948 Schreiben Außenabteilung Wien an Präsident Müller vom 29.7.1942. Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 50,51.

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zur Außenabteilung des RRH in Wien noch bis zum Herbst 1943, um sich in praktischen Fragen beraten zu lassen307.

Lettländische Revisionskammer (LRK) Die im Jahr 1923 gegründete Lettländische Staatskontrolle wurde nach der Besetzung Lettlands durch deutsche Truppen unter der Bezeichnung „Lettländische Revisionskammer“ in Riga reaktiviert308. Sie war dem Generalkommissar für Lettland unterstellt, orientierte sich sinngemäß an der deutschen RHO und besaß im Unterschied zum RRH Sanktionsmöglichkeiten. Die Revisionskammer konnte Geldstrafen verhängen und Regressforderungen festsetzen. Im Jahr 1942 legte sie einen Tätigkeitsbericht für die Zeit vom Juli bis September 1942 vor309.

Zentralamt der Verwaltungskontrolle in Litauen Nach der Besetzung Litauens durch deutsche Truppen wurde die Staatskontrolle, die um 1920 entstanden war, wiederbelebt und als Zentralamt der Verwaltungskontrolle benannt310. Sie hatte Weisungsbefugnis gegenüber den geprüften Verwaltungen, konnte Regressforderungen festlegen und kriminelle Vergehen selbst ahnden.

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308 309 310

BA P 2301/1948 Schriftwechsel zwischen Außenabteilung des RRH Wien und Präsident Müller vom 2.7.1942, 29.7.1942 und 8.11.1943 sowie Schreiben Präsident Müller an Außenabteilung Wien vom 11.7.1942. BA R 92/479 VO vom 9.12.1941. BA R 92/1181 Vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 38ff. BA P/ 2301/1970 Statuten, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 40.

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3.30 Der RRH schließt einen Burgfrieden mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP durch ein Abgrenzungsabkommen Am 18. März 1941 konnte Präsident Müller überraschend den seit dem Jahr 1934 schwelenden Kompetenzkonflikt mit dem Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz, durch ein sogenanntes Abgrenzungsabkommen beilegen, dem mehrere Einzelvereinbarungen vorangegangen waren. Der Verständigung über eine allgemeine Flurbereinigung zwischen beiden Aufgabenbereichen ging am 21. Oktober 1940 eine Besprechung voraus, an der Präsident Müller mit seinem persönlichen Referenten, RR Dr. Hillebrecht, und Reichsschatzmeister Schwarz mit dem Oberrevisor Haenssgen teilnahmen. Dabei stellte Schwarz ausdrücklich klar, dass er keine Prüfungszuständigkeit für die Waffen-SS anstrebe. Im Jahr 1937 hatte sich Präsident Saemisch bereits die Prüfung der Reichsmittel vorbehalten, die an „unmittelbare Dienststellen der NSDAP“ fließen. Dazu zählte er ausdrücklich die SS-Verfügungstruppe, Totenkopfverbände etc. Gleichzeitig hatte er dem Reichsschatzmeister die Prüfung der Pauschalbeträge in Höhe von 100 Mio. RM überlassen, die der Partei aus der Reichskasse für die Hitlerjugend, die SA, SS, NSKK und zwei österreichische Hilfswerke überwiesen wurden311. Im Jahr 1940 verzichtete Präsident Müller auf die Prüfung der Reichsmittel, die der Obersten SA-Führung für die SA-Wehrmannschaften und vormilitärische Ausbildung überwiesen wurden. Die Einzelheiten der neuen Vereinbarung sollten auf der Grundlage eines Vorschlags des RRH auf Arbeitsebene ausgehandelt werden. Bereits am 22. Oktober

311

BA P Bestand RH Nr. 545 Bl. 44–46 Schreiben Präs. Saemisch vom 19.4.1937 an Reichsschatzmeister Schwarz und Schreiben Präs. Müller vom 23.3.1940 an Schwarz.

117

1940 verständigten sich die Unterhändler Hillebrecht und Haenssgen auf die Zauberformel, dass der Reichsschatzmeister grundsätzlich die Partei und ihre Mittel und der RRH den Staat und die staatlichen Mittel prüfen sollten312. Dementsprechend sah die Vereinbarung vom 18. März 1941 vor, dass der Reichsschatzmeister für die Einrichtungen des Parteirechts und der RRH sowie die Preußische Oberrechnungskammer (für den preußischen Bereich) für die Prüfung der Einrichtungen staatlichen Rechts zuständig ist313. Während der Abgrenzungskatalog die Prüfung der SA und der allgemeinen SS dem Reichsschatzmeister beließ, war der RRH u.a. für die Waffen-SS und die Konzentrationslager sowie den Reichsführer SS als Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums (RKF) zuständig. Die Hintergründe für diese Aufteilung liegen im Dunkeln. Dem Reichsschatzmeister wurde nachgesagt, dass er sich bei Himmler nicht durchsetzen konnte. Präsident Müller mag als Angehörigen derselben Zunft daran gelegen gewesen sein, der SS eine wohlwollende Sonderbehandlung zukommen zu lassen. Die SSFührung fühlte sich bereits von Präsident Saemisch gut behandelt314. Kurt Heinig bezeichnete das Abkommen als „vollendete Kapitulation der höchsten deutschen Budgetprüfungsbehörde vor der alleinherrschenden Parteimacht“315. Nach Einschätzung des RRH-Direktors Emil Stengel enthielt das Abkommen nichts Neues, sondern nur die Festschreibung der bisherigen Praxis. Tatsächlich hatte der RRH bereits vor dem Abkommen Wirtschaftsbetriebe der SS im KZ Dachau geprüft.

312 313 314 315

Ebenda, Bl. 103/1048 (RS). BA R 43 II 1155 c Bl. 38–40. Vgl. Abschnitt 2.12. Heinig, Das Budget, Bd. 1 Die Budgetkontrolle 1949, S. 134; Lükemann, Der Reichsschatzmeister der NSDAP, S. 171ff.

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3.31 Der RRH prüft die SS auch in einigen KZ-Lagern Bevor Präsident Müller für die Prüfung des gesamten SS-Komplexes im RRH ein besonderes Prüfungsgebiet einrichtete und die Leitung MR Richard Knebel übertrug, der – wie er – Angehöriger der SS war, prüfte im Jahr 1933 die bayerische Rechnungskammer das KZ Dachau. In ihrer Denkschrift für die Rechnungsjahre 1934/1935 berichtete sie, die Reichsführung der SS habe am 12. August 1935 die Beantwortung der einzelnen Prüfungserinnerungen abgelehnt, „weil dadurch die laufenden Arbeiten gefährdet wären“. Die staatlichen Mittel seien so verwendet worden, „wie es nach besten Wissen und Gewissen möglich gewesen ist“. Mit Schreiben vom 19. August 1935 habe der Verwaltungschef der Reichsführung der SS ergänzend mitgeteilt, es gehe der SS nicht um eine „Erklärung auf Ehre und Gewissen für die ordnungsgemäße Verwendung staatlicher Mittel“. Künftig werde die Beantwortung einzelner Beanstandungen aber leichter fallen, nachdem das Direktorium der Rechnungskammer den Prüfungsbeamten empfohlen habe, „kleinliche und überflüssige Beanstandungen zu unterlassen“. MR Knebel war seit dem Jahr 1929 Parteimitglied, gehörte also zur Riege der „Alten Kämpfer“ in der NSDAP. Als er am 7. Februar 1933 im Alter von 50 Jahren zum RRH kam, übernahm er im Rang eines Oberregierungsrats und als Ministerialbürodirektor und Geheimsachenbeauftragter eine hervorgehobene Position im RRH316. Die Prüfung der SS unterlag der Geheimhaltung, sodass Knebel innerhalb des RRH ein abgeschottetes Leben führte. Der Prüfungsstoff, den er zu bewältigen hatte, war immens. Der SS gehörten mehr als 40 000 Mitglieder an. Dazu gehörten eine halbe Millionen KZ-Häftlinge in rund 650 Haupt- und Nebenlagern sowie fast 60 Einzelbetriebe mit ca. 55 000 freien und unfreien Beschäftigten sowie die Ostindustrie GmbH, deren Geschäftsführer der berüchtigte Odili Globocik war,

316

Schreiben Präs. RRH an RMF vom 20.4.1938, Kopie im Privatarchiv des Autors.

119

der etwa 16 000 überwiegend jüdische Zwangsarbeiter ausbeutete. Der Gesamtumsatz des riesigen SS-Konzerns betrug im Jahr 1944 ca. 160 Mio. RM317. Schon aus Kapazitätsgründen lag es für Knebel nahe, eng mit dem Revisionsamt des SS-Wirtschaftsverwaltungsamtes (WVHA) zusammenzuarbeiten, das sich als Vorprüfungsamt des RRH verstand und örtliche Prüfungen in den KZ-Lagern auch auf Anordnung des RRH durchführte318. Der Leiter der Truppenverwaltung im WVHA, August Frank, verteidigte sich in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen (Teil 4) mit der Behauptung, „direkte Prüfungen in den KZ-Lagern“ habe er auf Weisung des Präsidenten des RRH durchgeführt319. Den Wirtschaftsbetrieb der SS im KZ Dachau prüften Knebel und Amtsrat Mattick im Jahr 1940 noch vor Abschluss des Abgrenzungsabkommens mit dem Reichsschatzmeister. Die Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung mbH hatte die SS am 21. Juni 1940 gegründet. Sie hatte ihren Sitz in den KZ-Lagern Dachau und Ravensbrück, wo Tausende von Gefangenen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt wurden. Die GmbH betrieb in Dachau eine Häftlingswerkstatt und in Ravensbrück in sieben Baracken eine Schneiderei mit Zuschneiderei und Lager sowie eine Rohrmattenflechterei mit Strohschuhfertigungsbetrieb320. Am 10. Juni 1940 hatte SS-Oberführer Lörner dem RMF mitgeteilt, die GmbH werde nach der kaufmännischer doppelten Buchführung verfahren. Die Prüfer des RRH sahen darin keinen Hinderungsgrund für eine Prüfung. Nach ihrer Besichtigung des Lagers erstellten sie einen vertraulichen Prüfungsvermerk, in dem sie zufrieden festhielten, das „günstige Ergebnis“ der Unternehmensbilanz sei im Wesentlichen auf die besonders günstigen Produktionsmöglichkeiten und die Steigerung der Arbeitsleistung durch Zwangsarbeiter zurückzuführen. Die Feststellungen über die GmbH müssten aber unter Verschluss bleiben und dürften in keinem Fall der SS als geprüfter Stelle bekannt gegeben werden321.

317 318 319

320 321

Angaben bei Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 87. Zum Revisionsamt vgl. Abschnitt 3.5. GSt. APK Rep 335/Fall 4, s. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 111, 114, 117, 118, 158 und Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 93. BA R 2/12 172 b Schreiben VPräs. RRH Stengel an RMF vom 24.8.1940. BA-P/2301/5636 RRH-Vermerk über Prüfung in Dachau.

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Noch im selben Monat, in dem das Abgrenzungsabkommen mit dem Reichsschatzmeister dem RRH die Zuständigkeit für den Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums (RKF) zugesprochen hatte, begann der RRH mit einer umfassenden Organisationsprüfung des gesamten Komplexes der Umsiedlung, die Hitler durch Erlass vom 7. Oktober 1939 dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, übertragen hatte. Er sollte sogenannte Reichs- und Volksdeutsche aus dem Ausland ins „Großdeutsche Reich“ zurückführen und für sie neue Siedlungsgebiete erschließen sowie „schädlichen Einfluss gefährlicher volksfremder Bevölkerungsschichten ausschalten“. Zur Durchführung dieser größten Vertreibungsaktion des NS-Regimes errichtete Himmler zahlreiche Dienststellen mit einer Vielzahl von Außenstellen und Bodenämtern, denen die Erfassung, Verwaltung und Verwertung der Judenvermögen oblag. Bis Mitte 1943 wurden 700 000 Reichs- und Volksdeutsche umgesiedelt. Davon wurden ca. 400 000 Menschen in den eingegliederten Gebieten angesiedelt. Den Umsiedlern wurden ca. 55 000 Höfe mit einer Gesamtfläche von 1,1 Mio. Hektar Land zugewiesen. Im Zeitraum von fünf Jahren (1939–1944) finanzierte das Reich den RKF mit ca. 1,3 Mrd. RM. Der RRH beanstandete die mangelnde Qualifikation des eingesetzten Personals, das „z.T. nicht einmal die deutsche Sprache beherrschte“ und weder das Haushaltsrecht des Reiches noch die Tarifbestimmungen für den öffentlichen Dienst beachte. Außerdem seien die Kassenführung und die Rechnungslegung völlig unbefriedigend. Vermögenswerte seien nicht erfasst und Überschüsse nicht an die Reichskasse abgeführt worden. Der RRH kritisierte die Doppelarbeit der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) und plädierte für ihre Eingliederung in den RKF. Schließlich beanstandete der RRH den Leerstand vieler angemieteter Lager und Unterkünfte322. Die Einwandererzentralstelle (EWZ), die mit dem EWZ-Sonderzug, der täglich 300 RM Miete koste, mit der mobilen Einbürgerungskommission unterwegs sei, sei überflüssig geworden und müsse aufgelöst werden. Zu den weiteren SS-Prüfungen des RRH ist die Quellenlage dürftig. Es fehlen insbesondere Dokumentationen über Vor-Ort-Prüfungen in KZ-Lagern. Unklar ist, ob sie nicht erstellt oder bei Kriegsende vernichtet wurden. Während des Krieges

322

Denkschrift Präs. RRH zur Haushaltsrechnung 1940 vom 4.5.1944, S. 54, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 85.

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sollten Beanstandungen mit den Betroffenen grundsätzlich nur mündlich erörtert werden. Typische Fälle sollten in anonymisierten Gesamtübersichten (Sündenregistern) zusammengefasst werden323. Dies erschwert die Spurensuche. Von den ca. 100 KZ-Lagern prüfte der RRH mindestens 10 Lager vor Ort, wobei die Frage offen bleiben muss, inwieweit nur bei den Lagerverwaltungen geprüft wurde oder auch Lagervisitationen stattfanden. Vor-Ort-Prüfungen fanden u.a. in Dachau, Stanislau/Galizien, Stutthof bei Danzig, Lublin und in Lagern im Elsass statt. Die „anlässlich örtlicher Prüfungen“ erhobenen Beanstandungen erwecken den Eindruck, dass die Prüfer die eigene Zunft nur oberflächlich und nachsichtig prüften. Im Vordergrund standen Fragen der ordnungsgemäßen Buchführung und der Belegführung sowie die üppige Ausstattung von SS-Unterkünften. Ein Dauerthema waren die Verpflegungskosten für die Gefangenen, wobei die Prüfer nur interessierte, ob Küchentagebücher geführt und die Ansätze richtig kalkuliert wurden, weil die SS die Vergütung für den Arbeitseinsatz der Häftlinge in ihren Wirtschaftsbetrieben mit der Reichskasse abzurechnen hatte. Während das Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) der SS von 30 Pfennig je Tagesleistung ausging, lehnte sich der RRH an die von Privatfirmen gezahlten Vergütungssätze an, die er mit 6 RM für Facharbeiter und 4 RM für Hilfsarbeiter ansetzte324. Der RRH beanstandete die unzureichende Führung der Häftlingsküchentagebücher und verlangte, dass Überwachungslisten über die Abführung von Lohnanteilen durch Rüstungsfirmen an die Reichskasse geführt werden. Außerdem forderte er, dass auf allen Endabrechnungen der Abzug von Abschlagszahlungen bescheinigt wird, um Doppelzahlungen zu vermeiden. Bei seinen örtlichen Prüfungen im SS-Sonderlager Stutthof und dem Kriegsgefangenenlager Lublin beanstandete der RRH im Jahr 1942 die Anschaffung von 247 Bildern im Gesamtwert von 9 361 RM zur Ausstattung von SS-Unterkünften, die nicht für kriegswichtig gehalten wurden. In Stutthof waren 100 Bilder zum Preis von 3 800 RM angeschafft worden, in Lublin waren es 147 Bilder im Wert von 5 561 RM. Der RRH bat lediglich um „künftige Beachtung“ des OKH-Erlasses vom 13. März 1942, 323

324

Nach dem Runderlass des Präsidenten Müller A Nr. 104 vom 19.10.1944 S 3/4 sollte auf schriftliche Aufzeichnungen verzichtet werden. BA-P 2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 6.10.1944, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 93.

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„wonach Haushaltsmittel nur in Anspruch genommen werden dürfen, wenn sie durch den Einsatz des Heeres und durch Erhaltung des Heeres im Kriegszustand bedingt sind“325. Das Revisionsamt des WVHA fasste die einzelnen Beanstandungen in einer Mängelliste zusammen, die es am 18. Januar 1943 allen 14 Kommandanten der KZ-Lager mit der Aufforderung übersandte, die Mängel zu beheben und über das Veranlasste zeitnah zu berichten326. Bei mangelhafter Führung der Häftlingsküchentagebücher und anderen Verfehlungen hätte sich der Verdacht auf Unterschlagungen aufdrängen müssen. Dieser Frage wichen die Prüfer meistens aus, weil die Aufdeckung für sie gefährlich werden konnte. Nach Berichten von Zeitzeugen gab es unterschiedliche Reaktionen. In einem Fall soll der Vorgesetzte, dem ein Verdachtsfall vorgetragen wurde, den Beschuldigten mit den Vorwürfen konfrontiert und nach seinem Geständnis gezwungen haben, sich in Gegenwart der Prüfer zu erschießen, weil er „die Ehre der SS besudelt“ habe. Auch in den besetzten Gebieten des Westens konnten Prüfer in Gefahr geraten. Als der RRH Missstände bei der Luftwaffe in Frankreich aufdeckte und kritisierte, befahl Generalfeldmarschall Sperrle, alle noch in seinem Befehlsbereich habhaften Prüfer sofort festzunehmen. Diese hatten seinen Herrschaftsbereich aber bereits verlassen.

3.32 In Metz und Posen entstehen weitere Außenabteilungen des RRH Im Februar 1942 ließ Präsident Müller Außenabteilungen in Metz und Posen errichten, um seine Prüfungskompetenz auch in den besetzten Gebieten zu manifestieren und eine orts- und gegenwartsnahe Finanzkontrolle zu gewährleisten327.

325

326

327

BA R2/12 163 Schreiben RRH an SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt vom 4.5.1943 bezüglich Lager Stutthof. BA P 2301/5760 Bl. 1 Rundschreiben des SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamts vom 18.1.1943 an alle Lagerkommandanten der 13 KZ-Lager und das Kriegsgefangenenlager Lublin, Abdruck bei Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 114,115. VO vom 30.1.1942, RGBl II 1942 vom 13.2.1942, S. 131.

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Die in Koblenz vorgesehene Außenabteilung wurde nach Metz verlegt und ihre Leitung MR Strahl übertragen. Zum Leiter der Außenabteilung in Posen wurde MR Alfred Rausch ernannt. Er war am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Beide Außenabteilungen nahmen ihre Tätigkeit zum 1. J nuar 1942 auf. Über ihre Aktivitäten gibt es keine konkreten Erkenntnisse.

3.33 Präsident Müller schließt seine Gutachterabteilung in Berlin In der bereits seit Kriegsausbruch verkleinerten Gutachterabteilung wurden im Jahr 1940 nur noch sieben Gutachten erstellt, im ersten Quartal 1941 kamen noch drei Gutachten hinzu. Hauptthemen waren fast nur noch Fragen der obersten Kommunalaufsicht. Die Veröffentlichung eines bereits fertiggestellten Gutachtens über die Reform des überörtlichen Prüfungswesens der Kommunen wurde mit der bemerkenswerten Begründung zurückgestellt, dass sich gegenwärtig kein geeigneter Leserkreis finden ließe und die Bürgermeister nach dem Krieg mehr interessiert werden könnten, den RRH bei der gemeindlichen Gesamtverwaltungsprüfung einzuschalten328. Im Jahr 1942 erstellten die in Berlin verbliebenen Gutachter eine Schlussbilanz über die in der Zeit von 1934 bis 1940 für Reichs- und Landesbehörden erstellten 343 Gutachten und 21 Gutachten über Kommunalverwaltungen329. Für die Abschlussarbeiten wurde unter dem Vorbehalt ausreichenden Personals ein Zeitraum von 18 Monaten kalkuliert. Gleichzeitig wurden Vorschläge für nach dem Ende des Krieges zu bearbeitende Themen gemacht330.

328

BA P RH 37 593.

329

Brunst, Mahlow u.A. „Der Reichssparkommissar und sein Nachfolger. Rückschau und Ausblick“, unveröffentlichtes MS, Potsdam 1942. BA R 2/ 21 738.

330

124

3.34 Präsident Müller platziert seinen persönlichen Referenten in der Parteikanzlei Anfang 1942 bat die Parteikanzlei Präsident Müller, seinen persönlichen Referenten, Dr. Dr. Arno Hillebrecht, zum 1. Februar 1942 nach München abzuordnen331. Hillebrecht war im RRH mit Grundsatzfragen der Organisation befasst. Er war dem Leiter der Staatsrechtlichen Abteilung (III) in der Parteikanzlei, Ministerialdirektor Dr. Klopfer, bei Besprechungen mit Präsident Müller aufgefallen. Klopfer suchte einen Fachmann für die kriegsbedingte Einstellung oder Vereinfachung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Hillebrecht erarbeitete in der Parteikanzlei Vorschläge zur Verwaltungsvereinfachung während des Krieges. Dr. Klopfer hatte am 20. Januar 1942 als Vertreter der Parteikanzlei an der Wannseekonferenz teilgenommen. Er nahm Hillebrecht bereits am 6. März 1942 zu einer Besprechung ins Reichssicherheitshauptamt mit, wo die „Judenfrage“ besprochen wurde. Dabei dürfte es um die bevorstehende Deportation aller europäischen Juden in den Osten gegangen sein. Als Hillebrecht am 28. Mai 1947 vom stellvertretenden amerikanischen Chefankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, Dr. Robert Kempner, und am 2. Juni 1947 von Dr. Beauvais als Zeuge vernommen wurde, gestand er ein, von Abtransporten der jüdischen Bevölkerung gewusst zu haben, nicht aber, was mit den Menschen im Osten geschah. Gleichzeitig behauptete Hillebrecht, seinerzeit vorgeschlagen zu haben, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung die „Judenfrage“ während des Krieges ruhen zu lassen. Außerdem versicherte er, den Wechsel in die Parteikanzlei nur seinem Präsidenten Müller zuliebe auf sich genommen zu haben, mit dem er in tiefer Freundschaft verbunden gewesen sei. Als Ministerialrat habe er im RRH seine Unabhängigkeit aufgeben und in der Parteikanzlei als Sachbearbeiter anfangen müssen332. Seine steile Karriere verschwieg Hillebrecht. 331 332

BA R 43 II 705 b Bl. 130. Archiv für Zeitgeschichte (ifz) ZS 929/1 1948/56 Protokoll über die Vernehmung Hillebrechts am 2.6.1947.

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Für Präsident Müller bildete sein persönlicher Referent den „Verbindungsstab“ zur mächtigen Parteikanzlei in der Erwartung, ihm den notwendigen Rückhalt zu verschaffen, um politische Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen mit gewichtigen Ressorts zu überwinden und seine schwache Stellung zu festigen, wenn Machthaber sich der Kontrolle durch den RRH entziehen wollten oder die Einstellung der Rechnungsprüfung während des Krieges verlangten. Mit Hillebrecht wollte Müller sein Projekt eines starken Reichskontrollhofs voranbringen und die drohende Schließung des RRH verhindern. Im Gegenzug verhalf Präsident Müller seinem persönlichen Referenten dazu, sich in der Parteikanzlei zu profilieren. Es entwickelte sich ein Zusammenspiel, das sich an folgenden Beispielen festmachen lässt: Als die Parteikanzlei im Januar 1943 den RRH bat, ihr Material und konkrete Informationen zu liefern, wo und inwieweit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung abgebaut werden könnten, legte Präsident Müller am 11. Januar 1943 bereitwillig entsprechende Vorschläge vor333. Als dem RRH die Schließung während des Krieges drohte, beschwichtigte Präsident Müller Goebbels als Reichsbeauftragten für den totalen Kriegseinsatz mit der Zusage, künftig noch enger mit der Parteikanzlei zusammenzuarbeiten, um durch Vereinfachung in der öffentlichen Verwaltung weiteres Personal für den Wehrdienst freizusetzen334. Als Hillebrecht um personelle Verstärkung bat, ordnete Präsident Müller ab Februar 1943 drei Amtsräte aus seiner Außenabteilung in München für sechs Monate, de facto bis zum Kriegsende, in die Parteikanzlei ab335. Ihnen stellte Hillebrecht nach dem Krieg „Persilscheine“ aus, um in den Münchener Rechnungshof zurückkehren zu können. Als es Hillebrecht gelang, den Reichsschatzmeister Schwarz für eine Initiative zur Schaffung eines Reichskontrollhofs zu gewinnen, schwärmte Präsident Müller von einer „Arbeitsgemeinschaft“. Vom 1. September 1943 bis Ende Februar 1944 stellte die Parteikanzlei Hillebrecht, der nicht der SS angehörte, dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, zur

333 334 335

BA RH 6554 Bl. 253–255 RS RRH-Vermerk Direktor IX vom 17.1.1943. BA R 2/2233 und 21 860. BA R 2301/10 287–10 291 Es handelte sich um die Amtsräte Blankenburg (1.2.1943– 23.4.1945), BA R 2301/11 716–11 717, Amtsrat Lutz (März 1944–April 1945) sowie BA R 2301/10 468–10 472 Amtsrat Dietsch. Er war –wie Präsident Müller – Träger des Goldenen Parteiabzeichens.

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Verfügung. Welcher Art die Geheimmission war, ist nicht bekannt. Es ist anzunehmen, dass sich die SS-Führung aus der Parteikanzlei einen Fachmann für Organisationsfragen holte. Ob es sich um die Vorbereitung von Rückzugsplänen handelte, ist nicht bekannt. Himmler dankte Hillebrecht für seine „wertvollen“ Dienste, bestand aber auf seiner sofortigen Rückkehr in die Parteikanzlei336, vermutlich um in München einen Ansprechpartner oder Koordinator für die Umsetzung seiner Pläne zu haben. Bemerkenswert ist, dass Hillebrecht noch vor seiner Rückkehr nach München am 30. Januar 1944 mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde und Himmler noch im Frühjahr 1945 persönlich „dem Ministerialdirigenten in der Parteikanzlei und Frau zur Geburt eines Sohnes“ gratulierte, nachdem am 3. März 1945 der Sohn Arne geboren worden war337. Am 1. April 1944 wurde Hillebrecht zum Gruppenleiter III A in der von Dr. Klopfer geführten Abteilung der Parteikanzlei ernannt. Gleichzeitig setzte Präsident Müller gegen den Widerstand des RMF die Beförderung Hillebrechts zum Direktor im RRH durch, wobei er sich auf die Fürsprache Himmlers und Bormanns berief. Anschließend spielte Hillebrecht eine Schlüsselrolle in dem von Goebbels einberufenen Planungsausschuss, der am 14. September 1944 über das Schicksal des RRH zu entscheiden hatte. Die Rückkehr Hillebrechts von seiner Geheimmission in die Parteikanzlei fällt zeitlich mit einem Besuch Müllers in seiner Münchener Außenabteilung zusammen, die bereits Ausweichquartiere in Ebersberg, Freising und Wallmühle bei Straubing bezogen hatte. Müller deponierte in Wallmühle einen Koffer mit kompletter ziviler Herrenkleidung, Reiseutensilien und Damenwäsche. Auch Russenstiefel gehörten dazu. Heydenreuter schließt daraus, dass Müller bei Kriegsende untertauchen wollte oder mit der Verlegung der Potsdamer Zentrale in Richtung Süden rechnete338. 336 337 338

BA R 43 II 21 759 Bl. 50. BA NS 19 B 1.6 Persönlicher Stab Reichsführer SS, Glückwünsche, Geschenke. S.Fn.399, Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz, 1933–1945, S. 76. Hillebrecht wurde nach dem Krieg in Tübingen Mitgesellschafter der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Professor Dr. Binder, Dr. Dr. Hillebrecht & Partner GmbH, wo er als „anerkannter und hochgeachteter Steuerfachmann“ in Erscheinung trat.

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3.35 Der RRH kooperiert mit dem Sonderstab des Generals von Unruh Der General der Infanterie, Walter von Unruh, hatte Hitler versprochen, innerhalb kürzester Zeit, bis zum 1. Mai 1943, 500 000 Kräfte für die Wehrmacht zu mobilisieren, wenn er unumschränkte Vollmachten erhalte. Hitler ging auf dieses Versprechen ein und berief den General am 22. November 1942 zum Sonderbeauftragten für die Nachprüfung des Kriegseinsatzes. In seiner Anordnung stattete Hitler den General mit allen Exekutivbefugnissen aus, wobei er ihn ausdrücklich von der Beachtung aller gesetzlichen oder sonstigen Vorschriften entband339. Seinen Mitarbeiterstab konnte sich der General selbst auswählen. Der Sonderstab, der im Volksmund den Spitznamen Heldengreif- oder Heldenklaukommission erhielt, bestand aus acht Mitgliedern. In der Kommission waren die drei Waffengattungen (OKW, OKM, RLM), die SS und die Partei vertreten. Außerdem gehörten dem Sonderstab je ein Vertreter der Technik, ein Experte für Rationalisierung und Koordinierung sowie ein Fachmann der öffentlichen Verwaltung an. Für den Bereich der öffentlichen Verwaltung entschied sich General von Unruh spontan und gegen erheblichen Widerstand des GBV für den Vizepräsidenten des RRH, Mussehl, den er in Budapest kennengelernt und in guter Erinnerung behalten hatte, weil er ihm „manch guten Tipp“ geben konnte. Von Unruh hielt ihn für einen erfahrenen Experten für Verwaltungsvereinfachung und Personaleinsparung. Der GBV, der für die Verwaltungsvereinfachung zuständig war, wurde übergangen, weil er nicht die erwünschten Erfolge vorweisen konnte. Als Experte für Rationalisierung und Koordinierung gehörte der Kommission auf Vorschlag des StS. Stuckart Fritz Dietlof Graf von der Schulenburg an. Er war maßgeblicher Organisator der militärischen Verschwörung gegen Hitler 340 . Als Mitglied des

339 340

BA-P RH 6554 Bl. 256 RS Anordnung des Führers vom 22.11.1942. Zu seiner Rolle im Sonderstab des Generals von Unruh vgl. Krebs, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Zwischen Staatsraison und Hochverrat, S. 249–253.

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Sonderstabs konnte er sich mühelos alle Geschäftsverteilungspläne der Reichsministerien und Reichsbehörden beschaffen, die für die Planungen der Verschwörer wichtig waren. Die achtköpfige mobile Kommission bildete eine Wohngemeinschaft in einem Sonderzug, der auf dem Berliner Bahnhof Reichssportfeld Gleis 15 an der Heerstraße stationiert war und durch das Reich bis in die besetzten Gebiete touren sollte, um „Menschen für die Wehrmacht frei zu machen“. Mussehl, der im Zug „Pappi“ genannt wurde, übte die Stellung eines Verwaltungsdirektors aus. Der Briefverkehr wurde über eine Deckadresse abgewickelt. Es war der Briefkasten der stillgelegten Präsidialabteilung des RRH in Berlin Mitte, Potsdamerstraße 24, in der bisher die Gutachter aus dem früheren Sparbüro des Reichssparkommissars residiert hatten. Der parteilose Vizepräsident Mussehl schied förmlich aus dem RRH aus und trat in Uniform unter seiner früheren Amtsbezeichnung als Staatssekretär a.D. auf. Im RRH trat an seine Stelle Direktor Stengel, der zum zweiten Vizepräsident ernannt wurde und bis zum Ende des Krieges neben Dr. Hillebrecht eine Schlüsselrolle spielte. Mussehl, der bereits im 57. Lebensjahr stand, dürfte von seiner überraschenden Berufung nicht begeistert, aber daran interessiert gewesen sein, der ungeheuren Überorganisation der öffentlichen Verwaltung entgegenzuwirken341. Gleichzeitig konnte er sich von seinem Präsidenten lösen, der ihm nicht dasselbe Vertrauen wie dessen Vorgänger Saemisch schenkte. Mussehl sollte im Alleingang sämtliche Bereiche der öffentlichen Verwaltung im Reich und in den besetzten Gebieten durchkämmen, um nach stillen Reserven der Wehrmacht zu suchen. Da er über keinen Unterbau verfügte, suchte Mussehl den RRH für eine Mitarbeit zu gewinnen. Am 28. November 1942 und in mehreren Besprechungen, die am 5., 8. und 11. Dezember 1942 in Potsdam stattfanden, weihte er unter strenger Geheimhaltung die Direktoren ein, wobei er die Aufgabe des Sonderbeauftragten erläuterte und die Mitarbeit des RRH mit dem Hinweis schmackhaft machte, dass sich jetzt für den Rechnungshof noch einmal eine große Chance biete, bisher vergeblich unterbreitete Vorschläge für Personaleinsparungen und Verwaltungsvereinfachungen mit Hilfe des Generals von Unruh doch noch durchzusetzen. 341

Zur Über- und Desorganisation hatte sich Mussehl mit Graf von der Schulenburg und Oberst Krull in der Denkschrift „Bericht betr. Überprüfung des Heereswaffenamtes unter dem Gesichtspunkt der Personaleinsparung“ kritisch geäußert.

129

Mussehl forderte die Direktoren auf, ihm kurzfristig einschlägige Prüfungserkenntnisse zuzuleiten. Er sicherte ihnen Informantenschutz zu. Gleichzeitig gab er Hinweise, wo man fündig werden könne. Dabei erwähnte er ausdrücklich die Reduzierung des Ministerbüros des Reichspostministers, mit dem der RRH nach den langjährigen Querelen und Angriffen noch eine Rechnung offen hatte. Die Direktoren meldeten bereits am 17. Dezember 1942 bereitwillig Einsparungsvorschläge aus den Bereichen Justiz und Reichspost, wovon auch der persönliche Führungsstab des Postministers betroffen war. Am 7. Dezember 1942 forderte Präsident Müller auch die Leiter der sieben Außenabteilungen auf, das Anliegen Mussehls zu unterstützen342. Im Januar 1943 begann Mussehl in den Berliner Reichsministerien nach kriegstauglichen Kräften zu suchen. Er ließ sich die Geschäftsverteilungspläne und Namenslisten der noch nicht zum Kriegsdienst eingezogenen Jahrgänge ab 1906 und jünger in den Ministerien und nachgeordneten Dienststellen nach dem Stand vom Jahresbeginn 1943 vorlegen. Anschließend bewegte sich der Sonderzug ins Altreich, wo Mussehl in den Ortsbehörden der Länder und Gemeinden Ausschau nach Personal hielt, das für den Kriegsdienst freigesetzt werden könnte. Als Graf von der Schulenburg den Sonderzug eigenmächtig verließ, suchte ihn „Pappi“ Mussehl verzweifelt, um ihn zur Rückkehr zu bewegen und sich dem Ausführungskommando wieder anzuschließen, das nach Paris fahren sollte. General von Unruh betrachte ihn weiterhin als Mitglied der Kommission und wolle ihn nach Paris beordern, er möge im Sonderzug wieder „Wohnung“ nehmen. In Paris wurde vom 9. Juni bis 30. Juli 1943 mit mäßigem Erfolg der Personalbestand von Firmen, Feldkommandanturen und Dienststellen der Organisation Todt (OT) geprüft, die an der Küste den „Atlantikwall“ bauten. Schulenburg nutzte seinen Aufenthalt in Paris zu Kontakten mit seinem Freund Caesar von Hofacker, der von ihm bereits in die Verschwörungspläne eingeweiht war und in Paris bereits eine Widerstandszelle aufgebaut hatte. Beide ritten oder radelten fast täglich in Paris durch den „Bois de Boulogne“343. Ob Mussehl von der Verschwörung erfuhr, ist nicht bekannt. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Schulenburg verhaftet und am

342

343

BA-P RH 2111 Bl. 19–21 (RS) Schreiben Präs. RRH an die Leiter der Außenabteilungen vom 7.12.1942. Ebenda, S. 255.

130

10. August 1944 von Freisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag in BerlinPlötzensee erhängt. Nachdem Goebbels am 25. Juli 1944 zum Beauftragten für den totalen Kriegseinsatz berufen wurde, kam es zu einem Kompetenzgerangel mit General von Unruh, da beide für Nachschub in der Wehrmacht sorgen sollten. Als von Unruh Hitler um klare Kompetenzabgrenzung bat, entschied dieser sybillinisch, die Arbeit der Heldengreifkommission solle durch Goebbels nicht behindert werden. Für die Freisetzung von Personal des öffentlichen Dienstes und die Auflösung kriegsunwichtiger Einrichtungen behielt sich die Reichskanzlei das letzte Wort vor. Sobald von Unruh die Stilllegung von Behörden vorschlug, traf ein sog. Dreierausschuss, der aus Vertretern der Reichskanzlei, des RMF und des RMWI bestand, die endgültige Entscheidung. Nicht immer war Mussehl erfolgreich. Als er die Niederlassung der Treuarbeit in Den Haag ins Visier nahm, konnte diese sich darauf berufen, dass sie nach dem Auftragsschreiben sogar ermächtigt war, qualifizierte Sachbearbeiter vom Militärdienst freistellen zu lassen344. Auch bei seinem Verlangen, die Reichsprüfungsgesellschaft (RPG) aus Gründen der Personaleinsparung wieder aufzulösen, musste er zurückstecken. Bei einer Erkundungsreise nach Oberitalien im Frühjahr 1943 wurde Mussehl verwundet, sodass er längere Zeit ausfiel und im Sommer 1944 den Sonderstab verließ und in den RRH zurückkehrte. Am 1. September 1944 verlieh ihm Hitler das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern345. Anschließend überprüfte Mussehl – wohl im Auftrag von Goebbels – das Auswärtige Amt, um im Umfeld des Außenministers nach kriegstauglichen Mitarbeitern zu suchen.

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BA B R 177/1890 Schreiben Treuarbeit an RRH vom 7.12.1943, s. Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 191. Hausnachrichten Nr. 5/1944 vom 20.9.1944, im Privatarchiv des Autors.

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3.36 Der RRH will auch in den besetzten Ostgebieten prüfen Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion wurde das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMO oder kurz Ostministerium) gegründet und mit Alfred Rosenberg besetzt. Als zivile Verwaltungseinheiten unterstanden ihm die beiden Reichskommissariate Ostland (RKO) und Ukraine (RKU). Leiter des RKO, das die ehemaligen baltischen Staaten und den größten Teil Weißrutheniens bzw. Weißrusslands umfasste, war Reichskommissar Heinrich Lohse; die ukrainischen Gebiete unterstanden dem Reichskommissar und Gauleiter Erich Koch. Im gesamten Herrschaftsgebiet, das von der Ostseeküste bis zum Schwarzen Meer reichte, betätigte sich auch die Vierjahresbehörde, die Hermann Göring unterstand. Als der RRH im Spätjahr 1941 sondierte, ob er in der Ukraine prüfen könne, stieß er auf heftigen Widerstand des Reichskommissars Koch346. Er und der RKO, Heinrich Lohse, verweigerten dem RRH, ihre Gebietshaushalte zu prüfen und verlangten, „von der Finanzkontrolle des Reichs freizubleiben“. Nach dem Vorbild des Generalgouverneurs in Krakau, Hans Frank, kündigten sie an, „man wolle sich eigene Kontrollorgane schaffen“347. Nach zähen Verhandlungen mit dem Ostministerium gab Ministerialdirigent Stolz im Herbst 1942 schließlich nach348. Am 14. Januar 1943 erklärte Minister

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BA-P/2301/7217 RRH-Vermerke vom 30.10. und 18.12.1941 sowie BA-P /2301/1971 RRH-Vermerk vom 6.7.1942, s. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 53. BA- P/2301/7217 RRH-Vermerk vom 26.10.1942 und RRH-Vermerk vom 29.10.1942 über Besprechung am 27.10.1942, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 25. BA-P 2301/1971 Vermerk vom 3.11.1942 über Besprechungen am 23./24.10.1942. BA-P/2301/1971. RMO-Vermerk vom 2.11.1942 über eine Besprechung am 27.10.1942 sowie Schreiben Präs. Müller an RMO vom 25.11.1942; BA-P/2301/1917 RRH-Vermerk vom 19.12.1942 über eine Besprechung am 4.12.1942.

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Rosenberg sein Einverständnis „dass der Rechnungshof die Rechnungsprüfung meiner Verwaltung in den besetzten Ostgebieten und für die Haushalte des Reichskommissars in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der RHO durchführt“ 349 . RRH und RMO wollten gemeinsame Prüfungen durchführen. Über die praktische Durchführung fanden im 1. Quartal 1943 wiederholt Besprechungen statt350. Der RRH prüfte im Bereich des Reichskommissars Ostland Straßenbauprojekte sowie bei der SS und bei Polizeieinheiten. Dem Reichskommissar Lohse warf der RRH Verschwendungssucht vor. Er hatte 15 000 RM für ein Gutachten über die „gärtnerische Gestaltung seiner Sommerwohnung“ ausgegeben. Die Gesamtkosten für Verschönerungsmaßnahmen wurden auf 466 422 RM geschätzt. Für die Ausstattung seiner Dienstwohnung im Schloß Riga hatte Lohse 75 000 RM aufgewandt, darunter mehrere Tausend RM für Tafelsilber, das aus Kopenhagen beschafft worden war. Im Übrigen blieb es bei sporadischen örtlichen Prüfungen. Flächendeckende Kontrollen scheiterten an der mangelnden Kapazität des RRH. Er begnügte sich mit Kassenprüfungen, die oft über Sondierungen, Planungen und Vorbereitungen nicht hinauskamen. Im Frühjahr 1943 wurden erste Vorgespräche über geplante Kassenprüfungen in Minsk und Riga geführt. Am 6. August 1943 ordnete Präsident Müller Prüfungen an, die vom 16. bis 28. August 1943 stattfanden351. Kassenprüfungen im Generalkommissariat für Weißruthenien wurden für Februar 1944 in Minsk und für Mitte Juni 1944 in Riga geplant352. Die Prüfung der Oberkasse in Minsk wurde abgesagt, „um deren Auflösung bzw. Abwicklung nicht zu verzögern“353. 349

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BA-P/2301/1971 RMO-Schreiben an Präs. Müller vom 14.1.1943 und BA- P/2301/2980 RRH-Vermerk vom 7.4.1943. BA-P/2301/7217 Schreiben RRH an RMF vom 6.2.1943 und BA-P/2301/1917 Antwort vom 8.3.1943 sowie BA-P/2301/2800 RRH-Vermerk vom 9.4.1943 und BA-P/2301/7217 RRH-Vermerk vom 15.4.1943. BA-P/2301/6004 Prüfungsanordnung Präs. RRH vom 6.8.1943 und Bericht RRH über Erhebungen im RK Ostland vom 16.–28.8.1943. BA-P/2301/665 Bl. 9 RRH-Vermerk vom Februar 1944. BA-P/2301/6012 RRH-Vermerk vom 29.12.1944, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 83.

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Ein „Weckruf“ kommt aus dem RMF Im Jahr 1942 erreichten den RMF zunehmend Berichte über die riesigen Beutezüge und Missstände in den besetzten Ostgebieten. Hauptinformant war Prinz zu Hohenlohe, der als Offizier an der Ostfront und bei einer Aufklärungseinheit eingesetzt war und der den Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk persönlich über die chaotischen Verhältnisse in den Ostgebieten unterrichtete354. Ob es noch weitere Informanten gab, etwa über den Leiter der Außenabteilung des RRH in Posen, Alfred Rausch, ist nicht bekannt355. Um das riesige Beutevermögen, das als Sondervermögen des Reiches galt und getrennt von den beiden Gebietshaushalten der Reichskommissare verwaltet werden sollte, unter Kontrolle zu bringen, wandte sich Schwerin von Krosigk am 4. September 1942 in seinem berühmt gewordenen Hyänenbrief an seine Ministerkollegen und Parteigrößen mit der Forderung, eine wirksame „staatliche Kontrolle politischer und finanzieller Art“ einzurichten als „wesentliche Vorbedingung dafür, dass die gebotene Sauberkeit wiederkehrt und dem Kreis beutehungriger Interessenten auf die Finger gesehen wird“. Es gebe zu viele „eigennützige…Hyänen des Schlachtfeldes“356. Als geeignete Kontrollinstanz brachte Schwerin von Krosigk nicht den RRH, sondern die Treuarbeit ins Spiel357. Er traute dem Präsidenten Müller offenbar nicht zu, sich gegen Widerstände in den besetzten Ostgebieten durchzusetzen und die Missstände erfolgreich zu bekämpfen. In seiner Stellungnahme vom 26. Oktober 1942 widersprach Müller ausdrücklich dem Vorschlag, das Kontrollmonopol für die besetzten Ostgebiete der Treuarbeit oder einer noch zu gründenden Tochtergesellschaft zu übertragen358. Als es

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Schwerin von Krosigk, Staatsbankrott, S. 324f. Alfred Rausch wurde nach dem Krieg Vizepräsident des Bundesrechnungshofs. Er wurde mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet und mit dem Großen goldenen Ehrenzeichen mit Stern der Republik Österreich geehrt. BA B R 2/2301/1971 Bl. 10–15, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 22–26. Ebenda, Bl. 18–19. BA-P/2301/7217.

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am 29. Oktober 1942 zu einer interministeriellen Chefbesprechung kam und der RMF seinen Vorschlag erneut einbrachte, widersprach Präsident Müller energisch. Die Tätigkeit der Treuarbeit in den besetzten Ostgebieten könne nur als Vorprüfung angesehen werden. „Die Superrevision muss beim Rechnungshof bleiben“359. Schließlich kam es zu dem Kompromiss, wonach der RRH die Besatzungsverwaltung prüfen sollte, während die Kontrolle des Treuhandvermögens bzw. der sogenannten Ostgesellschaften der noch zu gründenden Reichsprüfungsgesellschaft (RPG) vorbehalten blieb 360 . In den Ostgesellschaften waren Wirtschaftsbetriebe zusammengefasst, denen die Verwaltung kriegswichtiger Rohstoffe (Kohle, Erzbergbau, Erdöl) aus der sowjetischen Staatswirtschaft übertragen war. Präsident Müller musste einsehen, dass er schon personell nicht imstande war, die Mammutaufgabe allein und flächendeckend zu bewältigen, die sich auf ein Gebiet von der Ostseeküste bis zum Schwarzen Meer erstreckte. Deshalb stellte er schließlich seine Bedenken „wegen der ungeheuren Arbeitsbelastung und zur Vermeidung von Doppelarbeit“ zurück, verlangte aber von der Treuarbeit bzw. RPG, ihre Prüfungsberichte und Feststellungen dem RRH mitzuteilen, der sich eine uneingeschränkte Prüfung vorbehalte361. Am 9. November 1942 kündigte Präsident Müller als Aufsichtsratsvorsitzender dem Vorstand der Treuarbeit an, der RMO werde ihn mit der Prüfung in den gesamten besetzten Ostgebieten beauftragen362. Am 13. November 1942 kündigte Alfred Rosenberg der Treuarbeit seine Absicht an, ihr das Prüfungsmonopol für alle zum Treuhandvermögen einschließlich der Ostgesellschaften gehörenden Betriebe zu übertragen363. Daraufhin leitete die Treuarbeit die Gründung einer Tochtergesellschaft ein, die unter der Bezeichnung Reichsprüfungsgesellschaft (kurz RPG oder Ostrevision) die Prüfung in den besetzten Ostgebieten übernehmen

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BA B R2/352 Bl. 35–41 und 44–45, s. auch Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 248. Besprechungsvermerke RRH vom 3.11.1942 und BA-P/2301/1971 RMF vom 9.11.1942. BA B R 2301/1971 Bl. 60/61 RRH-Vermerk vom 23.11.1942, vgl. Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 253f. Ebenda, Bl. 59 Schreiben Treuarbeit an Präs. Müller vom 11.11.1942. Ebenda, Bl. 51 Einladungsschreiben Rosenberg vom 10.11.1942.

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sollte364. Nachdem Alfred Rosenberg am 11. Dezember 1942 der Treuarbeit förmlich das ausschließliche „Recht zur Prüfung aller zum Wirtschaftssondervermögen gehörenden Betriebe einschließlich der Ostgesellschaften“ übertragen hatte, gründete die Treuarbeit am 15. Januar 1943 die RPG mit Sitz in Berlin mit dem Auftrag, in den besetzten Ostgebieten ein umfangreiches Zweigstellennetz zu errichten365. Nun schaltete sich plötzlich der Sonderbeauftragte Hitlers, General von Unruh, ein, der wohl bei der Entscheidung übergangen oder nachträglich vom RRH alarmiert wurde, und verlangte zur Einsparung von Personal definitiv die sofortige Auflösung der eben gegründeten RPG und ihre Verschmelzung mit der Treuarbeit. In seiner Stellungnahme an den Sonderstab des Generals vom 9. März 1943 vollzog Präsident Müller eine Kehrtwendung mit der fadenscheinigen Begründung, die gesamte Personallage habe sich innerhalb der vergangenen (zwei!) Monate so verschärft, dass er sein Einverständnis zur Gründung der RPG zurücknehme und es für besser halte, wenn die Treuarbeit die Prüfungsaufgabe für die besetzten Ostgebiete selbst übernehme366. Er und Vizepräsident Stengel plädierten dafür, die Kontrollen der Muttergesellschaft zu überlassen, da diese „den zu prüfenden Stellen gegenüber unabhängiger dastehe“367. Unklar ist, ob beide ihre Bedenken im Aufsichtsrat und im Arbeitsausschuss des Aufsichtsrats, der am 24. November und 16. Dezember 1942 tagte, nicht durchsetzen konnten368. Die Treuarbeit und die übrigen Beteiligten wiesen darauf hin, dass die Auflösung der RPG keine Personaleinsparung bringe369. General von Unruh blieb am 364

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Ebenda, Bl. 52–56; Vermerk Treuarbeit; den Beschluss über die Beauftragung der RPG mit der Prüfung in den besetzten Ostgebieten hatten mitgetragen: Reichskanzlei, Parteikanzlei, RMF, RMI, RM für Ernährung und Landwirtschaft, RMW, RM für Rüstung und Kriegsproduktion, Göring und „zähneknirschend“ auch der Präs. RRH, vgl. Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 267 und Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 45. BA B R 92/1181 Schreiben RMO an Treuarbeit vom 11.12.1942. BA B R 43 II 662 a Bl. 45 Schreiben Präs. Müller an General von Unruh vom 9.3.1943. BA-P/2301/2800 RRH-Vermerk vom 9.4.1943. BA B R2/17 658 Die Sitzungsprotokolle geben dazu keinen Aufschluss. BA B R 43 II Bl. 36 Stellungnahme BMO an General von Unruh vom 20.2.1943; BA B R 43 II 662 a Bl. 37–38 Stellungnahme Treuarbeit an General von Unruh vom

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11. März 1943 bei seiner Forderung, die RPG zum 1. April 1943 aufzulösen, es müsse Personal eingespart werden 370 . Der Chef der Reichskanzlei, Lammers, schlug dem General am 16. April 1943 im Hinblick auf die Haltung der übrigen Beteiligten vor, seine Forderung nach Auflösung der RPG nicht weiter zu verfolgen 371 . Nach dem Führererlass vom 13. Januar 1943 mussten Einsparungsvorschläge noch formal dem sogenannten Dreierausschuss vorgelegt werden, dem je ein Vertreter der Reichskanzlei, des RMF und des RMWI angehörten 372. Erst als auch der Dreierausschuss gegen die Auflösung der RPG votierte, erklärte von Unruh am 21. April 1943 die Angelegenheit für erledigt373. Unmittelbar nach ihrer Gründung am 15. Januar 1943 begann die RPG mit dem Aufbau eines umfangreichen Netzes von Zweigniederlassungen mit Außenstellen und Stützpunkten in den baltischen Ländern, in Rumänien und in der Ukraine374. Der logistische Aufbau gestaltete sich schwierig und verzögerte die Aufnahme eines geordneten Revisionsbetriebes, für den nicht genügend qualifizierte Prüfer gefunden werden konnten. In Riga hatte die Treuarbeit bereits am 20. Dezember 1941 eine „Verbindungsstelle“ eröffnet, die aber unter erheblicher Personalnot litt375. Bis Juli 1943 gab es noch keinen funktionierenden Revisionsbetrieb. Die Niederlassung in Kiew konnte erst Anfang April 1944 eröffnet werden, musste ihre Pforten aber bereits Ende September 1944 wieder schließen. Im Frühjahr 1944 kamen Stützpunkte in Rowno sowie im Baltikum, Kauen (Kaunes), Reval (Tallin) hinzu, die aber nur bis zum Sommer 1944 existierten, weil die eroberten Gebiete wieder geräumt werden mussten.

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4.3.1943; BA B R 3101/20 486 Bl. 160 Stellungnahme RMWI an General von Unruh vom 6.3.1943; BA B R 43 II 662 a Bl. 50 Schreiben RMF an Reichskanzlei vom 5.4.1943. BA B R 43 II 662 a Bl. 35(RS) Schreiben General von Unruh an StS. Kritzinger in der Reichskanzlei vom 11.3.1943. BA B R 43 II 662 a Bl. 52 Schreiben Reichskanzlei an General von Unruh. BA B R 43 II 662 a Bl. 43. BA B R43 II 662 a Bl. 56 und 54 Schreiben RMO an Reichskanzlei vom 19.4.1943. BA B R 92/1184 Schreiben RMO an Treuarbeit vom 11.12.1943. Zum Aufbau des Zweigstellennetzes ausführlich Pothmann, Wirtschaftsprüfung im Nationalsozialismus, S. 149ff.,242ff.,255ff.

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Korruptionsbekämpfung in den besetzten Ostgebieten Nachdem Himmler am 26. August 1943 das Amt des Reichsinnenministers übertragen worden war und bekannt wurde, dass in den besetzten Ostgebieten Polizeieinheiten eingesetzt wurden, begann der für die Prüfung der Polizei zuständige Prüfungsgebietsleiter im RRH, Dr. Herbert Peucker, mit Vor-Ort-Prüfungen376. Er konzentrierte sich bei seinen Prüfungen auf Korruption, Unterschlagung und das Luxusleben der höheren Polizeikader und ging dabei wesentlich energischer vor als sein Kollege Knebel, der den SS-Komplex, wie bereits erwähnt, relativ oberflächlich und nachsichtig behandelte377. Im Jahr 1944 fasste das Prüfungsgebiet des RRH die von ihm aufgedeckten Korruptionsfälle in einem 20-seitigen Bericht zusammen und übersandte ihn dem Reichsinnenminister Himmler378. Er gab am 1. Dezember 1944 lediglich ein Rundschreiben zur Bekämpfung der Korruption heraus, in dem die Beschäftigung von Verwandten in derselben Dienststelle verboten wurde. In Charkow stellten die Prüfer fest, dass der höhere SS- und Polizeigebietsführer (HSSPF) und der Kommandeur der Ordnungspolizei (KDO) Diensträume und Unterkünfte mit Teppichen im Wert von mehreren Tausend RM hatten ausstatten lassen379. Die Ordnungspolizei in Kiew hatte für Ausstattungen 245 000 RM ausgegeben. Der RRH beanstandete die „unnötige Prachtentfaltung“ in den Polizeikasinos in Lublin, Warschau, Krakau, Prag, Iglau und Brünn sowie anderen Orten. Der Befehlshaber der Ordnungspolizei (BDO) in Riga hatte für die Herrichtung seines Stabsgebäudes ca. 100 000 RM ausgegeben. Ein „Alarmquartier“ entpuppte sich als „Schlafzimmer für zwei Personen im Stil Ludwigs XIV“. Der Kommandeur der Ordnungspolizei (KDO) in Rostow hatte im Oktober 1942 in Dresden 23 Eisenbahnwaggons mit „wertvollsten Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen“

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Dr. Peucker wurde nach dem Krieg Präsident der Landesrechnungshofs NordrheinWestfalen, wo vorübergehend auch Hans Globke als Vizepräsident tätig war, bevor er ins Bundeskanzleramt wechselte. Vgl. Abschnitt 3.31. BA –P 2301/2073 Bl. 82ff. Näheres über diesen und die weiteren Fälle bei Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 89.

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geordert, die Rostow niemals erreichten, weil sie in die Hände der Russen fielen. Der SS-Wirtschafter für Russland-Süd in Kiew ließ im Jahr 1943 eine Hotelausstattung aus Cannes im Wert von einer Mio. RM nach Kiew kommen380.

In Stanislau stößt der RRH auf die persönliche Habe der ermordeten Juden Nachdem im Rahmen der „Aktion Reinhard“ die drei Vernichtungslager im Generalgouvernement: Belzec, Sobibor und Treblinka errichtet worden waren, befasste sich der RRH bei seiner örtlichen Prüfung mit der Beschlagnahme und Verwertung der persönlichen Habe der ermordeten Juden. Er ging der Frage nach, ob die SS die „Einnahmen“ aus der Aktion Reinhard der Reichskasse zugeführt hatte. Der berüchtigte SS- und Polizeiführer Lublin, Odilo Globocnik, der die Aktion leitete, bezifferte den finanziellen Gesamtgewinn ohne Immobilien und Schmuckgegenstände, die den Juden abgenommen wurden, auf mehr als 178 Mio. RM. In der KZ-Außenstelle Stanislau in Galizien stießen die Prüfer auf „beschlagnahmte Gelder und Juwelen in großem Umfang“, die von der SS „zurückbehalten“ worden waren. In seinem Prüfungsvermerk hielt der RRH fest, dass im Generalgouvernement eine „Massenabführung von beschlagnahmten Juwelen an SS-Einsatzstab Reinhard bzw. SS- und Polizeiführer Lublin ohne Einzelfeststellung und Aufzeichnung des Erfassungskommandos“ stattfand und die „angefallenen Geldwerte und Juwelen in zahlreichen Fällen nicht ordnungsmäßig registriert“ wurden. Hauptverantwortlicher sei der Polizeisekretär Block, der sich nach der Prüfung erschoss. Er hatte die persönliche Habe der Juden in großem Umfang ohne ordnungsmäßige Registrierung und haushaltsmäßige Vereinnahmung gehortet. Bei Block fanden sich massenhaft beschlagnahmte Gelder. Sichergestellt wurden noch Bargeld und Goldmünzen, u.a. 6000 Dollar im Gesamtwert von 584 195, 28 Zloty „sowie ganze Kisten mit wertvollsten Juwelen im Wert von mehreren 100 000 RM“381.

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BA-P 2301/2073/2/3 RRH-Vermerke vom 6.und 27.10.1944. BA-P 2301/2073/2 Bl. 86f. RRH-Vermerk vom 27.10.1944.

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Aus den beschlagnahmten Geld waren 117 016,08 Zloty der schwarzen Wirtschaftskasse in Stanislau zugeflossen. Außerdem wurden geraubte Gelder als „Kredite“ an SS-Wirtschaftsbetriebe vergeben oder zur Finanzierung der bei der Aktion entstandenen „Sachauslagen“ verwendet. Mittel, die für die Häftlingsverpflegung bestimmt waren, wurden zur Beköstigung der an der Aktion beteiligten Polizeibeamten in Stanislau verwendet382. Ob die Beanstandungen des RRH dazu beitrugen, dass der SS- und Polizeiführer Lublin, Odilo Globocnik, abgelöst wurde, ist nicht bekannt383. Im Sommer 1944 prüfte der RRH noch die Beschaffungspraxis in der Ukraine, als die deutschen Truppen die Stadt Kiew schon längst geräumt hatten. Der RRH belehrte das Polizei-Rechnungsamt in der Ukraine über den Irrtum, „man könne und müsse sich im Osten friedensmäßig einrichten, ohne zu bedenken, dass sich in der Zeit der motorisierten Kriegsführung die Fronten in kurzer Zeit um Hunderte von Kilometern verschieben können“. Der Hang zu Repräsentation und Luxus sei vor allem bei den Vollzugsdienststellen feststellbar. Der Katalog von Anschaffungen, die der RRH für überflüssig hielt, reichte von der Bleistiftanspitzmaschine für 260 RM bis zur elektrischen Kartoffelschälmaschine für 1 047 RM, wo doch in der Ukraine „billige Kartoffelschälfrauen“ zu haben seien. Außerdem beanstandete der RRH die Vorlage fingierter Rechnungsbelege384. Im Herbst 1944 prüfte der RRH in Shitomir (Hegewald, Südrussland) die Einsatztruppe C der Sicherheitspolizei, die unter der Führung des berüchtigten Brigadeführers Thomas stand. Er war an der Vernichtung der Juden und an Massenexekutionen beteiligt. Es war übliche Praxis, alle nichtarbeitsfähigen Personen, insbesondere Kinder, Kranke und Alte, sofort zu liquidieren385.

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Ebenda, vgl. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 154. Zur Persönlichkeit vgl. Wikipedia. Globocnik rühmte sich, bereits 2 Millionen Juden vernichtet zu haben. BA-P 2301/5759 RRH-Schreiben an Polizei-Rechnungsamt für die Ukraine vom 18.8.1944, BA-P 2301/8420 und /2073 Bl. 2–3 RRH-Vermerke vom 6. und 27.10.1944, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 88. Aly/Heim, Vordenker der Vernichtung, S. 462, auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 158.

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Die Prüfer des RRH beschränkten sich auf eine schlichte Beschaffungsprüfung, bei der sie lediglich die Anschaffung nichtkriegswichtiger Waren beanstandeten. Gerügt wurden u.a. Vorräte von mehreren Tausend Servietten, Handtüchern, Handtuchstoff, Bettbezügen sowie Teppichen, die in Belgien ohne Devisen beschafft wurden. Außerdem stießen die Prüfer auf eine Badezimmereinrichtung, die sich der Brigadeführer Thomas in Kitzbühl für 8 500 RM für sein Stabsquartier besorgt hatte386. Schließlich beanstandeten die Prüfer die „unangemessene“ Verschönerung der Unterkünfte für die Offiziere der Sicherheitspolizei mit Kosten von 95 000 RM. Ab dem Jahr 1943 ging Himmler dazu über, das lästige Verfahren zu unterlaufen, beim RMF Planstellen für höhere SS- und Polizeiführer sowie Befehlshaber und Kommandeure der Ordnungspolizei in den besetzten Gebieten zu beantragen. Er händigte selbstherrlich Beförderungsurkunden aus und stellte anschließend das RMF vor vollendete Tatsachen, indem er sich für die Bewilligung der notwendigen Planstellen auf angebliche Führerbefehle berief. Auf Anregung des RMF beanstandete der RRH diese Methode mit dem Hinweis, die Entwicklung sei mit der während des Krieges „gebotenen Vereinfachung der Verwaltung kaum vereinbar“387.

3.37 Präsident Müller strebt eine „gefestigte Legitimation“ des RRH an Um der drohenden Stilllegung des RRH während des Krieges entgegenzuwirken, beriet sich Präsident Müller mit Dr. Killy in der Reichskanzlei, ob die Existenz des RRH durch einen Führererlass oder durch eine gesetzliche Regelung auf eine sicherere Grundlage gestellt werden könnte. Killy riet, die Angelegenheit bei passender Gelegenheit auf eine höhere Ebene zu bringen. Müller sah sich darin bestärkt, mit dem Reichsschatzmeister Schwarz und seinem Freund Hillebrecht 386

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BA-P 2301/2073/2/3 Bl. 93, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 88,89. BA R2/12 136 b Schriftwechsel zwischen RRH und RMF vom 10. und 29.3.1944.

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ein Dreierbündnis zu schmieden, das von ihm, wie bereits erwähnt, als Arbeitsgemeinschaft bezeichnet wurde. Am 15. Dezember 1942 schlug Schwarz der Parteikanzlei überraschend vor, einen Führererlass über das „Kontrollwesen im Großdeutschen Reich“ zu erwirken. Dabei knüpfte er an das Abgrenzungsabkommen an, das die Zuständigkeiten zwischen ihm und dem RRH regelten. Schwarz schlug vor, die zersplitterte Reichskontrolle in ähnlicher Weise zu vereinheitlichen, wie er dies im Jahr 1941 für die Parteikontrolle erreicht habe. Er legte einen entsprechenden Entwurf eines Führererlasses vor, den ihm Präsident Müller oder Dr. Hillebrecht zugespielt hatten. Zwei Wochen später, am 29. Dezember 1942, übersandte Müller dieselben Unterlagen dem Chef der Reichskanzlei, Lammers388. Dass Hillebrecht zu dem Trio gehörte, erhellt ein persönlicher Brief an Hillebrecht vom 6. Januar 1943, in dem Müller versicherte, es gehe ihm nicht um Ansehen und Titel, sondern um Macht, wobei er aber gleichzeitig einräumte, dass es ihm durchaus gefalle, wenn er von ihm unterstellten Generälen umgeben sei389. Dies verrät sein Bestreben, als Superminister den Machthabern des Regimes auf Augenhöhe begegnen zu können. Dem Entwurf des Führererlasses waren eine Durchführungsverordnung, ausführliche Begründungen und ein Grundsatzpapier beigefügt390. In seinem Begleitschreiben an Lammers schlug Müller vor, die Prüfungskompetenz des Reichskontrollhofs nicht nur auf das Altreich zu beschränken, sondern auf alle neuen Gebiete auszudehnen. Außerdem sollten alle aufgelisteten Prüfungseinrichtungen unter einem Dach vereinigt werden391. An der Spitze der Superkontrollbehörde solle ein Reichskontrollminister stehen. Vizepräsident Stengel schlug als Amtsbezeichnung „Generalkontrolleur“ vor392. Die Liste der parallel bestehenden Prüfungseinrichtungen umfasste:

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BA-P 2301/1845 Begleitschreiben Präs. Müller an Lammers vom 29.12.1942. BA-P 2301/1845 dazu auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 31 Fn.80,81. BA-P 2301/1843 Entwurf und Grundsätze über das Kontrollwesen im Großdeutschen Reich. BA-P 2301/1845 Auflistung vom 21.12.1942. BA-P 2301/1843.

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den Rechnungshof im Generalgouvernement, das Hauptprüfungsamt der Deutschen Reichsbahn, das Prüfungsamt der Deutschen Reichsbank, die Prüfstelle bei der Reichswirtschaftskammer, das Reichsversicherungsamt mit der Abteilung Gemeinschaftsgruppe Vermögensverwaltung, die Reichsaufsichtsämter für Privatversicherung und Kreditwesen sowie die Kommunalprüfung.

Flankierend versorgte Präsident Müller den Reichskabinettsrat in der Reichskanzlei, Dr. Killy, mit weiteren Argumenten. Müller meinte, die Bestandsgarantie, die Hitler im Jahr 1933 abgegeben habe393, sei als Führerbefehl aufzufassen, der nun durch einen Führererlass zu stabilisieren sei, um ihn und den RRH unmittelbar unter den Schutz Hitlers zu stellen. Der Entwurf sah vor, dass der Reichskontrollhof eine unmittelbare Führerbehörde wird und er, Müller, als Reichsminister und Chef der Reichskontrolle zum „Vollstrecker des Führerwillens“ erhoben wird394. Zu einer Unterschrift Hitlers kam es nicht. Am 11. März 1943 erlitt Präsident Müller einen herben Rückschlag, als ihm Reichsminister Lammers eröffnete, sowohl er als auch Reichsleiter Bormann unterstützten seine Ambitionen, der Führer sei aber gegenwärtig nicht dafür zu gewinnen und daher müsse die „an sich gute Sache“ bis zu einer günstigeren Gelegenheit zurückgestellt werden395. Müller ließ sich jedoch nicht entmutigen. Nun verfolgte er die Alternative, dem RRH durch eine gesetzliche Regelung eine „gefestigte Legitimation“ zu verschaffen. Damit wollte er die Zweifel ausräumen, ob die RHO im Falle der Besetzung durch deutsche Truppen in den besetzten Gebieten automatisch gilt oder eines besonderen Rechtsaktes bedarf.

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Vgl. Abschnitt 2.3. BA R 2301/1845. Ebenda, Schreiben Chef der Reichskanzlei an Präs. Müller vom 11.3.1943.

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Präsident Müller ließ unter strenger Geheimhaltung von einem kleinen Mitarbeiterstab einen Gesetzentwurf über den Reichskontrollhof erarbeiten396. Ob Müller sich bei seinem Besuch der Außenabteilung in München im Frühjahr 1944 auch mit Hillebrecht traf, um das Gesetzvorhaben voranzubringen, ist nicht belegt397. Müller ordnete aber zwei Mitarbeiter (Dr. Reuter und Amtsrat Erler) zur Parteikanzlei ab, wo schließlich nach zähen Verhandlungen das Einvernehmen mit der Reichskanzlei und dem RMF hergestellt werden konnte398. Zur Verkündung des Gesetzes kam es nicht mehr.

3.38 Dem RRH droht die Auflösung Als in dem sogenannten Mobilisierungserlass399 Hitlers vom 13. Januar 1943 alle obersten Reichsbehörden aufgefordert wurden, Bedienstete der Jahrgänge 1901 und jünger für den Kriegseinsatz zu melden, erstatteten RRH und Preußische Oberrechnungskammer am 2. März 1943 Fehlanzeige 400 . Gleichzeitig betonte Präsident Müller, der RRH habe bereits durch den Verzicht auf die Vorprüfung und die Einschränkung der Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten bereits dazu beigetragen, dass eine Vielzahl von Vorprüfungsbeamten für den Dienst in der Wehrmacht und für kriegswichtige Arbeiten in der allgemeinen Verwaltung frei geworden seien. Der RRH übe im Altreich nur noch eine großzügige Kontrolle der alten Verwaltungen durch und konzentriere sich auf die

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Beteiligt waren Vizepräsident Stengel, Dr. Wagner, MR Friesicke und Dr. Reuter. Wie bereits erwähnt, hinterließ Müller bei seinem Besuch in der Außenabteilung des RRH München einen Koffer zur Aufbewahrung, der zivile Kleidungsstücke enthielt (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Bayerischer Oberster Rechnungshof Nr. 610). Schreiben MR Reuter an BRH vom 6.1.1948 zur Übernahme Erlers in den BRH, Kopie im Privatarchiv des Autors. Erlass des Führers über den umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung. BA R 43 II 1155 b Bl. 89 Schreiben Präs. Müller an Lammers vom 2.3.1943.

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neuen Einrichtungen und die besetzten Gebiete, wobei die Beratungsrevision vor Ort und ohne Schriftwechsel im Vordergrund stehe401. Am 2. Februar und 22. April 1944 wandte sich der Reichsstatthalter (RSH) in Wien, Joseph Bürckel, an den GBV mit dem Antrag, die örtlichen Prüfungen des RRH während des Krieges auch außerhalb des Altreiches einzustellen oder den RRH völlig aufzulösen, weil Prüfungen im totalen Krieg überflüssig seien402. Der GBV machte sich das Anliegen am 11. Mai 1944 zu eigen, plädierte aber im Unterschied zu seinen früheren Anträgen nicht mehr für die vollständige Einstellung der Rechnungsprüfung, sondern verlangte mit dem Reichsstatthalter in Wien, die örtlichen Prüfungen während des Krieges auch in den neuen Gebieten wie schon im Altreich drastisch einzuschränken403. Die Reichskanzlei schob die Entscheidung über den Antrag wieder einmal auf die lange Bank mit der Begründung, es müssten noch entsprechende Erfahrungen gesammelt werden404. Präsident Müller reagierte auf den Vorstoß des GBV und des RSH in Wien mit seinem Runderlass A Nr. 101 vom 7. Juli 1944405. Darin gab er den Prüfern grünes Licht, auf die Rechnungsprüfung und Rechnungslegung zu verzichten, wenn der Behördenleiter wegen personeller Überlastung um Unterlassung der örtlichen Prüfung bitte. Gleichzeitig ließ er auch die Einstellung der Rechnungsprüfung außerhalb des Altreichs zu, wenn es sich um vertrauenswürdige Verwaltungen handelt.

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Ebenda. BA Koblenz R 43 II (Rk) 705 b Bl. 210/211 Bericht Reichsstatthalter in Wien an GBV. BA Koblenz R 43 II (Rk) 705 b Bl. 209, Schreiben GBV an Reichskanzlei und RRH vom 11.5.1944; BA R 2/21 858 RMF Vermerk vom 14.9.1944. BA Koblenz R 43 II (Rk) 705 b Bl. 212–214 Rk-Vermerk vom 27.5.1944; der Antrag wurde erst am 2.10.1944 mit dem Hinweis „beerdigt“, der RRH habe die örtlichen Prüfungen im Benehmen mit Goebbels ausgebaut. Sammlung Bornmann Teil III Heft 5 Bl. 40, im Privatarchiv des Autors.

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3.39 Der RRH paktiert mit Goebbels als Reichsbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz Nach der Proklamation des totalen Krieges ernannte Hitler am 25. Juli 1944 den Reichspropagandaminister Josef Goebbels zum Reichsbeauftragten für den totalen Kriegseinsatz (RBfdtK) mit der Vollmacht, alle Kräfte zu mobilisieren, die für den Kriegseinsatz herangezogen werden können. Am 31. Juli 1944 ordnete Goebbels an, weitere Möglichkeiten zur Freisetzung von Arbeitskräften für den Kriegseinsatz zu schaffen. Er gab dafür Richtlinien heraus und setzte einen Planungsausschuss ein, der Vorschläge für eine drastische Reduzierung des Staatsapparates unterbreiten und entscheiden sollte, welche öffentlichen Verwaltungen während des Krieges geschlossen werden oder fortbestehen sollten. Als Goebbels am 1. August 1944 die obersten Reichsbehörden in einer Blitzumfrage um Meldung bat, wie viel Personal für den totalen Kriegseinsatz herangezogen werden können, bot Präsident Müller am 2. August 1944 „weitere“ 290 von insgesamt 750 Prüfern für den Fronteinsatz an. Gleichzeitig legte er einen 7Punkte-Katalog vor, wonach die Prüfungen des RRH auf ein Minimum reduziert und nur noch „zum Nutzen für die Kriegsführung“ ausgeübt werden sollten. Außerdem bot er Goebbels an, künftig die Einhaltung der Richtlinien für den totalen Kriegseinsatz zu kontrollieren und festgestellte Verstöße zu melden sowie noch enger mit der Parteikanzlei auf dem Gebiet der Verwaltungsvereinfachung zusammen zu arbeiten, damit weiteres Personal für den Kriegsdienst freigesetzt werden könne406. Damit vollzog Müller eine Kehrtwende zur bisherigen Auffassung des RRH, der sich noch am 7. Dezember 1942 geweigert hatte, neben der klassischen Finanzkontrolle auch Verstöße gegen kriegswirtschaftliche Bestimmungen zu verfolgen und für ihre Ahndung zu sorgen407. 406 407

BA R2/2233 und / 21 860. Hausmitteilung Vizepräsident Stengel vom 7.12.1942.

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Am 3. August 1944 verzichtete Präsident Müller in einem Runderlass auf die Vorprüfung, um die Vorprüfer für den Kriegsdienst freizusetzen. Am 19. August 1944 konkretisierte er seinen Vereinfachungskatalog. Der RRH werde sich nur noch mit kriegswichtigen Bestimmungen und Grundsätzen des totalen Kriegseinsatzes befassen und Korruption, Unsauberkeit und Verschwendung bekämpfen. Bis Kriegsende würden orts- und gegenswartsnahe Prüfungen alter, vertrauenswürdiger Verwaltungen grundsätzlich ausgesetzt und nur noch aus besonderem Anlass stattfinden. Schriftwechsel wie Prüfungsmitteilungen oder Berichte sollten notfalls auf spätere Zeiten verschoben werden. Durch drastische Vereinfachungen in den Verwaltungen müssten noch mehr Kräfte für den Kriegseinsatz freigesetzt werden. Die Vorprüfung und die Prüfung alteingefahrener Verwaltungen werde für die Dauer des Krieges408 eingestellt. Der RRH werde sich bei etwaigen Prüfungen nur noch darauf konzentrieren, ob ein Nutzen für die Kriegsführung zu erwarten sei sowie organisatorische Vereinfachungen oder Personaleinsparungen möglich sind und Korruption sowie Verstöße gegen Preisvorschriften verhindert werden können. Für örtliche Prüfungen werde der RRH die Zustimmung der betroffenen Verwaltung einholen. Am 14. August 1944 besuchte Präsident Müller letztmalig die Außenabteilung München, um die Prüfungsbeamten auf die Prüfungen im totalen Kriegseinsatz einzuschwören. Dem Abteilungsleiter, Dr. Hofmann, vertraute er ein „wichtiges Papier“ an, das dieser ständig bei sich trug und das bei seiner Verhaftung an seinem Wohnort Eching den Amerikanern in die Hände fiel. Nachdem Müller bereits im Frühjahr 1944 einen Koffer mit Zivilkleidung in der Außenabteilung hinterlassen hatte, ist das „wichtige Papier“ ein weiteres Indiz für Fluchtpläne des Präsidenten, der es offenbar für zu gefährlich hielt, das brisante Papier bei sich zu behalten.

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Dieser Zeitraum wurde vom Planungsausschuss auf 6 Monate bis 1.4.1945 begrenzt.

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Der Planungsausschuss entscheidet über das Schicksal des RRH Der Vorsitzende des Planungsausschusses, der über das Schicksal des RRH entscheiden sollte, war der Senatspräsident am Reichsverwaltungsgericht, Dr. Hans Eugen Fabricius. Er beraumte zum 14. September 1944 eine Referentenbesprechung an, in der über die Schließung des RRH beraten werden sollte. In der Vorbereitungsphase übernahm Dr. Hillebrecht in der Parteikanzlei eine Schlüsselrolle. Er bekannte sich im Mai 1945 gegenüber dem Leiter des bayerischen Rechnungshofs als Drahtzieher mit dem Bekenntnis, der Verbindungsstab des RRH zur Parteikanzlei, also er, habe „mühsam dafür gesorgt, dass der Rechnungshof nicht aufgelöst wurde“. Hillebrecht war das Kunststück gelungen, mit Ausnahme des GBV sowohl Bormann als auch Lammers, Himmler und Goebbels auf die Formel einzuschwören, dass eine völlige Stilllegung des RRH nicht in Betracht komme, weil auf die Bekämpfung von Korruption und Verschwendungssucht auch im Krieg nicht verzichtet werden könne. Als der Vorsitzende die Sitzung mit der Erklärung eröffnete, die Stilllegung des RRH stehe nicht zur Debatte, weil der Rechnungshof als zentrales Prüfungsorgan zur Bekämpfung von Korruption und Verschwendungssucht unentbehrlich sei, war der RMI isoliert. Die Reichskanzlei war nicht vertreten, weil Goebbels das Entscheidungsrecht über die Auflösung von Behörden an sich gezogen hatte, obwohl der Reichskanzlei noch zwei unerledigte Anträge auf Auflösung des Rechnungshofs vorlagen. Der RRH war durch Vizepräsident Stengel vertreten. Dr. Hillebrecht betonte als Vertreter der Parteikanzlei, dass Bormann keinesfalls die Stilllegung des RRH während des Krieges billige. Er verwies auf die Unabhängigkeit des Rechnungshofs. Es wurde einmütig beschlossen, den RRH als Institution nicht abzuschaffen. Anschließend billigte der Ausschuss den 7-Punkte-Katalog Müllers mit der Einschränkung, dass die vorübergehende Einstellung der Rechnungsprüfung nicht bis zum Ende des Krieges, sondern auf sechs Monate bis zum 1. April 1945 begrenzt sein soll.

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Auch über die Verschmelzung der Preußischen Oberrechnungskammer wird nicht entschieden Überraschend stellte Hillebrecht zur Diskussion, ob wenigstens die Preußische Oberrechnungskammer mit dem RRH verschmolzen werden solle, die als einzige Landesinstanz den Umwandlungsprozess der Landesrechnungshöfe zu Außenabteilungen des RRH überlebt hatte. Dem widersprach der RMF, während Hillebrecht wohl in Absprache mit Müller bereit war, die Oberrechnungskammer zu opfern, wenn dadurch der RRH gerettet werden kann. Ein förmlicher Auflösungsbeschluss kam aber nicht zustande. Der GBV drang trotz Unterstützung des RBfdtK mit seiner Forderung nicht durch, die Rechnungsprüfung auf die Bekämpfung von Korruption und Verschwendungssucht zu beschränken. Ihm wurde anheimgegeben, einen mit der Parteikanzlei abgestimmten Vorschlag über die Verschmelzung der Oberrechnungskammer mit dem RRH zu erarbeiten und von Göring und dem RMF einsegnen zu lassen. Gleichzeitig sollte er über die Stilllegung der Außenabteilungen des RRH berichten. Als der GBV am 20. Oktober 1944 einen Verordnungsentwurf über die Verschmelzung der Oberrechnungskammer mit dem RRH vorlegte, intervenierte der RMF am 22. November 1944 – nach einem Telefonat zwischen dem Haushaltsdirektor Josef Mayer und Vizepräsident Stengel – (!) mit dem genialen Schachzug, die Frage erfordere eine Änderung der RHO, wo die Personalunion zwischen dem Präsidenten des RRH und dem Chefpräsidenten der Oberrechnungskammer festgelegt sei. Für die Novellierung sei der RMF zuständig. Der RMF erstellte einen Entwurf einer Sechsten Novelle zur RHO. Er sah die Auflösung der Oberrechnungskammer zum 1. Mai 1945 vor. Mehrere hausinterne Stellungnahmen wiesen aber darauf hin, die Aufhebung der seit 1719 bestehenden Kontrollinstanz könne das falsche Signal für die Verwaltung sein, während des Krieges seien Prüfungen entbehrlich. Daraufhin stoppte Mayer im April 1945 das Gesetzgebungsverfahren mit der lapidaren Begründung, es sei inopportun, die Sechste Novelle zur RHO zu erlassen. Der unterschriftsreife Gesetzesentwurf wurde vom Finanzminister nicht mehr unterschrieben. Insofern trifft die vielfach erhobene Behauptung nicht zu, die Auflösung der Oberrechnungskammer sei bereits beschlossene Sache gewesen. Es gab sogar schon einen

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pathetischen Nachruf mit dem Motto: „Abschied von der Preußischen Oberrechnungskammer“409. Die Angelegenheit hatte nach dem Krieg noch ein kurioses Nachspiel: Als im Jahr 1946 im bisherigen RMF unerledigte Akten aufgearbeitet wurden, wurde die Akte über die Auflösung der Oberrechnungskammer mit dem Vermerk geschlossen, die Angelegenheit habe sich durch Zeitablauf erledigt. Nachdem der Planungsausschuss den RRH als kriegswichtige Einrichtung anerkannt hatte, „beerdigte“ Dr. Killy am 2. Oktober 1944 die in der Reichskanzlei noch schlummernden Anträge des GBV vom 11. Mai 1944 und des Reichsstatthalters in Wien vom 22. April 1944 auf Stilllegung des RRH410 mit dem lapidaren Hinweis, der RRH habe seine örtlichen Prüfungen inzwischen im Benehmen mit dem RBfdtK ausgebaut411. Ihm war wohl zu Ohren gekommen, dass u.a. Vizepräsident Mussehl, vermutlich auf Veranlassung Goebbels, den Auswärtigen Dienst überprüfte. Am 19. Oktober 1944 setzte Präsident Müller in seinem Runderlass A Nr. 104 den vom Planungsausschuss gebilligten 7-Punkte-Plan zur Einschränkung der Rechnungsprüfung um412. Dabei benutzte er die Prüfungsrichtlinie, die er im Jahr 1940 dem Reichsprotektor von Böhmen und Mähren zugestanden hatte, als Blaupause413: Die Prüfungen seien auf den totalen Kriegseinsatz auszurichten. Im Mittelpunkt müsse die Frage der Wirtschaftlichkeit und die Beachtung der Grundsätze des totalen Kriegseinsatzes stehen, wie sie von Goebbels festgelegt seien. Damit erweise sich der RRH selbst als kriegswichtige Einrichtung. Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit müsse zurückstehen. Der RRH müsse sich auf die Bekämpfung von Korruption, Unsauberkeit und Verschwendungssucht konzentrieren. Die Prüfungen müssten orts- und gegenwartsnah durchgeführt werden. Alte vertrauenswürdige Verwaltungen könnten ungeprüft bleiben. Die Entscheidungsbefugnis liege nur noch bei einem Ministerialrat. Festgestellte Mängel und 409 410 411

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Kopie im Privatarchiv des Autors. S.Fn.403 und Abschnitt 3.38. BA R 43 II (Rk) 705 b Bl. 211–214 und 1155 b Bl. 210. Zur Überprüfung des Auswärtigen Amtes durch Vizepräsident Mussehl vgl. Abschnitt 3.40. Vgl. Fn.231, Sammlung Bornmann Teil III Heft 5 Bl. 44ff., im Privatarchiv des Autors. Vgl. Fn.230 BA-P 2301/7213, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 34.

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Fehler sollten grundsätzlich mündlich erörtert werden. Ob das Prüfungsergebnis der Verwaltung mitgeteilt werden solle, richte sich nach dem Kriterium der Kriegswichtigkeit. Langwieriger Schriftwechsel müsse vermieden werden. Interne Prüfungsvermerke, Reiseberichte oder exemplarische Zusammenfassungen (Mängellisten) sollten nur noch in Ausnahmefällen gefertigt werden. Dieser Freibrief Müllers erklärt, warum viele Unterlagen des RRH nicht auffindbar sind und die Spurensuche nur Zufallsfunde bringt oder Rekonstruktionen zulässt. Soweit sich Müller darauf einließ, Prüfungen von der Zustimmung der Behörde abhängig zu machen, mag er sich der Illusion hingegeben haben, dass Verwaltungen mit gutem Gewissen von sich aus eine Prüfung anstrebten, um ein Gütesiegel zu erhalten. Dieses Argument hatte Müller bereits benutzt, als sich im Jahr 1940 der Reichsführer für die besetzten niederländischen Gebiete, Seyss-Inquart, gegen Prüfungen des RRH sträubte414.

3.40 Der Zusammenbruch Als dem RRH im Sommer 1944 bekannt wurde, dass die „Dienststelle Westen“ des Ostministeriums in Paris über ein riesiges Depot beschlagnahmter Hausratsgüter verfügt, meldete er den Bedarf an Hausrat für bombengeschädigte Bedienstete und deren Familien an. Die Bedarfsliste reichte vom Kronleuchter und Diplomatenschreibtisch bis zum Klavier und zu Weingläsern. Das Beutegut sollte in Paris in Eisenbahnwaggons verladen und von Beauftragten des RRH bis nach Deutschland eskortiert werden. Am 14. Juni 1944 teilte der zuständige Oberst von Behr dem RRH mit, er könne den Auftrag z.Zt. nicht ausführen, weil wegen der Invasion der Alliierten im Augenblick keine Eisenbahnwaggons zu bekommen seien und das Lager verstopft sei415. Ab Herbst 1944 bahnte sich der Zusammenbruch des RRH an. Äußere Anzeichen waren die plötzliche Schließung der Außenabteilungen Metz und Posen sowie die

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BA-P 2301/1901 Schreiben Präsident Müller an Dr. Killy vom 22.3.1941 Vgl. Fn.265. Kopie des Briefes Oberst Behr an RRH vom 14.4 1944, im Privatarchiv des Autors.

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Zerstörung der meisten Dienstgebäude im Altreich durch Bombenangriffe, sodass eine geordnete Prüfungstätigkeit nicht mehr möglich war. Anfang September 1944 musste die Stadt Metz vor den vorrückenden Invasionstruppen überstürzt geräumt werden, sodass die Außenabteilung ihre Tätigkeit einstellen musste. Die Bediensteten kamen auf ihrer Flucht mit ihren Familien bis nach Arheilgen bei Darmstadt, wo mehrere von ihnen bei einem Bombenangriff am 11./12. September 1944 ums Leben kamen416. Am 25. Januar 1945 wurde die Außenabteilung Posen geschlossen. Wichtige Akten waren bereits ausgelagert worden. Die restlichen Unterlagen wurden vor Abfahrt des Sammeltransportes, der zweieinhalb Tage unterwegs war, verbrannt. Am 23. Februar 1945 eroberte die Rote Armee die Stadt Posen417. Im August 1944 forderte der Polizeipräsident von Potsdam alle Parteimitglieder des RRH zu Schanzarbeiten an. Sie sollten nördlich von Berlin einen Befestigungswall anlegen. Die erste Gruppe von 50 Bediensteten fuhr am 8. August 1944 in einem Sonderzug zum „Einsatz Zielenzig“. Sie wurde am 16. September 1944 von einer weiteren Gruppe abgelöst, die aus 45 Bediensteten bestand. Sie arbeitete bis Oktober 1944 an dem „Ostwall“. Zur selben Zeit wurden einzelne Bedienstete der Zentrale in Potsdam vorübergehend zum Einsatz in Rüstungsbetrieben dienstverpflichtet 418 . Im November 1944 wurden mehr als fünf Parteimitglieder in Potsdam zum Volkssturm eingezogen 419 . Am 25. Februar 1945 zog der Potsdamer Polizeipräsident nochmals zahlreiche Bedienstete zu Notdiensten heran. Zum Jahresbeginn 1945 wagte MR Friedrich noch eine Dienstreise nach Norditalien, um in Begleitung eines Beamten aus dem RMF an einem Kongress teilzunehmen und eine Prüfung vorzubereiten. Die Anreise nach Fasano am Gardasee dauerte fünf Tage. Der Kongress hatte bei ihrer Ankunft bereits stattgefunden. In der Zeit vom 2. bis 14. Januar 1945 sollten gleichzeitig Sondierungsgespräche am Sitz des deutschen Botschafters in Italien, Dr. Rahn, stattfinden, der

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Bericht MR Dr. Conrad in Sammlung Bornmann, im Privatarchiv des Autors. Ebenda, Bericht in Sammlung Bornmann. Ebenda. Berliner Illustrierte Zeitung Nr. 44 vom 2.11.1944.

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seinen Sitz als „Bevollmächtigter des Großdeutschen Reiches bei der neofaschistischen Regierung in Oberitalien“ nach Fasano verlegt hatte420. Er bewirtschaftete den monatlich von der italienischen Regierung bereitgestellten „Besatzungskostenbeitrag“, über den er frei verfügen konnte und den er von seiner „Vorzimmerdame“ verwalten ließ. Dem RRH war bekannt geworden, dass „erhebliche“ Beträge (insgesamt mehrere Hundert Mio. Lire) an der Legationskasse vorbei in einen geheimen Fonds auf ein Konto bei der Bank in Brescia geflossen waren. Zu einer Prüfung der Besatzungsgelder kam es nicht mehr, weil MR Friedrich seinen Aufenthalt wegen Zuspitzung der militärischen Lage vorzeitig abbrechen musste. In den von deutschen Truppen besetzten Gebieten waren einzelne Prüfer des RRH noch bis Ende Februar 1945 unterwegs. Am 12. Dezember 1944 wurde Amtsrat Bruns, der die Kommandantur des Fliegerhorstes Vaerlöse in Dänemark prüfte, bei einem Sprengstoffanschlag in Kopenhagen verwundet. MR Karl Wisotzky wurde am 22. Februar 1945 auf einer Prüfungsreise von Eger nach Pilsen bei einem Tieffliegerangriff schwer verwundet. Er verstarb einen Tag später in Eger421. In Hamburg, Karlsruhe, Dresden und zuletzt auch in Potsdam wurden die Dienstgebäude durch Bombenangriffe zerstört oder beschädigt. Als einziges Dienstgebäude einer Außenabteilung blieb dasjenige in München unversehrt. Nach der Zerstörung des Dienstgebäudes in Hamburg wurde der Betrieb provisorisch in der Privatwohnung des Direktors Haaser und in den Räumen der Oberfinanzdirektion am Rödingsmarkt fortgesetzt. Bei den vernichtenden Bombenangriffen auf Dresden am 13./14. Februar 1945 wurde das Gebäude der Außenabteilung, das in Bahnhofsnähe in der Wienerstrasse 33 lag, total zerstört. 21 Bedienstete wurden ausgebombt. Der Dienstbetrieb wurde provisorisch in den Privatwohnungen der Ministerialräte Dr. Härtig und Dr. Krokisius fortgesetzt. Der Leiter der Außenabteilung, Dr. Hörig, wich mit einigen Prüfern in das Finanzamt Werdau/Sachsen bei Zwickau als Ausweichquartier aus 422 . Mit der

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BA-P 2301/7113/7114 Reisebericht MR Friedrich vom 18.1.1945; BA Koblenz Kl. Erwerb Nr. 390 Bl. 15; BA-P 2301/8420 Vermerk vom 2.8.1945, vgl. auch Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 101. Sammlung Bornmann, in Privatarchiv des Autors. Ebenda.

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Übergabe der Stadt an die Rote Armee am 1. Mai 1945 stellte die Außenabteilung Dresden ihre Tätigkeit ein. Das Dienstgebäude des RRH in Potsdam wurde bei dem schweren Luftangriff am 14. April 1945 durch einen Volltreffer so schwer beschädigt, dass ein Dienstbetrieb nicht mehr möglich war. Betroffen war auch die wertvolle Bibliothek mit ca. 30 000 Bänden, darunter wertvolle Bücher aus dem Mittelalter. Bis zum Einmarsch der Roten Armee am 27. April 1945 waren die Bediensteten mit der Bergung der Bibliothek und Aufräumarbeiten beschäftigt. Ein Scheinbetrieb wurde in Privatwohnungen organisiert. Die Außenabteilung in Wien stellte ihre Tätigkeit am 13. April 1945 beim Einmarsch der Roten Armee ein.

Präsident Müller leitet eine Antikorruptionskampange ein Die letzten Monate des RRH waren geprägt von Scheinaktivitäten und Verlautbarungen Präsident Müllers, denen der Hauch der Panik und Verzweiflung anhaftete. Er leitete noch eine Antikorruptionskampange ein, die sich allerdings weitestgehend auf die systematische Sammlung einschlägiger Fälle beschränkte423. Als Sonderbeauftragten und Koordinator setzte er den ORR Elfert ein424. Mit dem Justizministerium vereinbarte Müller, ihm monatlich Urteilskopien über schwerwiegende Fälle zu übersenden, in die öffentliche Bedienstete involviert seien425. Am 20. Februar 1945 beklagte Elfert im Justizministerium die zu laxe Ahndung von Devisenvergehen426. Am 9. März 1945 vertrat MR Muhs im Wirtschaftsministerium die Auffassung, in Devisenfällen nehme man kein Vergehen an, sondern lediglich eine Verletzung

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BA-2301/2073/2 RRH-Vermerke vom 6. und 9.10.1944, vgl. dazu Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 100ff. und Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 146. BA-P 2301/2073 Bl. 1. Ebenda, Bl. 2. Ebenda, Bl. 4 Vermerk Elfert vom 23.2.1945.

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der Aufsichtspflicht der Behörden, die disziplinarisch oder strafrechtlich zu ahnden sei427. Wiederholtes Thema war die Bildung schwarzer Kassen und Fonds. In einem internen Vermerk stellte Direktor Johannes Friesicke süffisant fest, die strafgerichtliche Praxis habe sich bisher „nur mit der Bildung von schwarzen Fonds durch Verwaltungssachbearbeiter und Kassenbeamte befasst“, dagegen fehle „eine Entscheidung über die Bildung schwarzer Fonds durch leitende Persönlichkeiten“428. Dem Reichskommissar für die Preisbildung bei der Vierjahresplanbehörde hatte der RRH bereits im Juni 1941 eine schwarze Liste über 409 Baufirmen übergeben, bei denen er erhebliche Übergewinne festgestellt hatte, die durch Verstöße gegen Preisvorschriften entstanden waren und abgeschöpft werden sollten. Der Liste sollte „besondere Aufmerksamkeit“ geschenkt werden429. Zum Jahreswechsel 1944/45 prangerte der RRH die neuerlich festgestellten exorbitanten Übergewinne im Bausektor als „volksschädlichen Betrug“ an und verlangte, von den Preisüberwachungsstellen künftig Kenntnis von allen Ordnungsstrafbescheiden über 50 000 RM zu erhalten430. Ende Januar 1945 forderte Präsident Müller die Prüfer auf, sich auf solche Verwaltungen zu konzentrieren, „deren Geschäftsführung aus äußeren Merkmalen zu Bedenken Anlass gibt“. Gleichzeitig verlangte er, ihm alle Vorgänge zu melden, die eine Schädigung der Reichskasse betreffen431. In seinem letzten Runderlass vom 21. Februar 1945 fuhr Müller schweres Geschütz auf. Er legte den Direktoren nahe, alle Betrugsfälle bei öffentlichen Aufträgen, insbesondere im Baugewerbe, unmittelbar den Sondergerichten zur Ab427 428

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Ebenda, Bl. 3. BA-P 2301/2073/9 RRH-Vermerk Leiter Prüfungsgebiet I vom 16.2.1944. Die Sammlung einschlägiger Fälle wurde am 23.3.1945 abgeschlossen: Ebenda, Bl. 1 Vermerk Elfert über Untreue durch Bildung schwarzer Fonds vom 23.3.1945, vgl. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 151f. BA-P 2301/1834, Denkschrift Präs. RRH für das Rechnungsjahr 1939, S. 78, Schreiben RRH zur Auswertung der Sonderberichte für die Preisüberwachung vom 16.6.1941. Die Liste war mit dem RMF und dem OKW erstellt worden. Vgl. auch Fn.286. BA-P 2301/2073/2 und 3 RRH-Vermerke vom 28.9. und 21.11.1944, BA-P 2301/7169 RRH-Vermerke vom 9.1. und 28.3.1945. BA-P 2301/2073 Bl. 3.

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urteilung nach § 4 Volksschädlingsgesetz zu melden, Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche im Öffentlichen Dienst einzuleiten und die obersten Reichs- und Landesbehörden daran zu erinnern, in einschlägigen Fällen Strafanzeige zu erstatten und die Staatsanwaltschaften zu veranlassen, die Veröffentlichung der Urteile in Fachzeitschriften zu beantragen432. Damit rückte Präsident Müller von der seit dem Jahr 1938 vertretenen Auffassung ab, dass der RRH keine Strafverfolgungsbehörde sei, sondern es bei der Aufdeckung von Straftaten den geprüften Verwaltungen überlassen müsse, selbst Strafanzeige zu erstatten. Nur in Ausnahmefällen könne der RRH die Staatsanwaltschaft unmittelbar informieren433. Dieselbe Auffassung hatte noch Vizepräsident Stengel in einem hausinternem Vermerk vom 7. Dezember 1942 vertreten, als es um die Frage ging, ob der RRH auch kriegswirtschaftliche Verstöße prüfen und selbst verfolgen solle434. Am 2. März 1945 erklärte Präsident Müller das Thema zur Chefsache und forderte die Direktoren in Potsdam auf, ihm laufend über bedeutsame Prüfungsfeststellungen und ihre Konsequenzen zu berichten435. Am 6. März 1945 wiederholte Müller gegenüber den Prüfern seine Forderung, in Betrugsfällen energischer vorzugehen und für eine Aburteilung durch die Sondergerichte zu sorgen436. Am 13. März 1945 verlangte Müller von den Leitern der Außenabteilungen in einem Schreiben, das die wenigen noch arbeitsfähigen Außenabteilungen kaum noch erreicht haben dürfte, ihm laufend nach einem beigefügten Themenkatalog Kurzberichte über bedeutsame Prüfungsfälle zu übersenden437. Für das Sündenregister war folgende aufschlussreiche Gliederung vorgegeben:

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BA-P 2301/2073 Bl. 2 und 1834, VO gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939 RGBl I, S. 1679f. Nach § 4 des Gesetzes konnten Straftaten mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tod bestraft werden. Vgl. auch Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 146 Fn.299. BA-P 2301/5953 Bl. 30 und 80 sowie BA-P RH 1108 Bl. 27–28 Direktorenbesprechung vom 22–24.11.1938; BA-P 2301/2073 Bl. 1 Runderlass Präs. RRH vom 17.7.1939. ZStA Merseburg 2.7.20 Nr. 229 Bl. 41,42. BA-P 2301/2073 Bl. 1. Ebenda, Bl. 6. Bayr HStA Bay ORH Nr. 753 Gliederungsschema für die Kurzberichte, abgedruckt auch bei Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz, S. 75.

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Vergeudung öffentlicher Mittel Geschenke Übertriebener Aufwand Übertriebener Repräsentationsaufwand Übertriebene Honorare, Gehälter, Dotationen, Löhne Abgabe von öffentlichem Vermögen an private Hand und für zweckwidrige Verwendung Missachtung haushaltsrechtlicher und anderer Bestimmungen zum Schaden des Reichs Umgehung der Staatskontrolle Mangelhafte Aufsicht zum Schaden des Reichs Bestimmungswidrige Verwendung von Reichsmitteln Korruptionsfälle (Bestechung, Unterschlagung usw.) Bewirtschaftungsvergehen Devisenvergehen Schwarze Fonds und schwarze Kassen Unwirtschaftliche Vermögensanlagen und Mittelverwendung Befremdliche Firmenbevorzugung zum Schaden des Reichs Unregelmäßigkeiten bei der Erfassung und Verwendung von Feindvermögen Unzulängliche Preisprüfungen Mangelnde Zusammenarbeit zum Schaden des Reichs Käufe auf dem schwarzen Markt Volksschädlicher Betrug bei öffentlichen Aufträgen

Vizepräsident Mussehl überprüft das Auswärtige Amt Nach seinem Ausscheiden aus dem Sonderstab des Generals von Unruh überprüfte Vizepräsident Mussehl im Alleingang das Auswärtige Amt. Die Vorgeschichte erhellt, dass es sich um ein Auftragswerk handelte und Goebbels der Urheber gewesen sein muss. Zwischen ihm und dem Außenminister bestanden tiefgreifende Verstimmungen, weil Ribbentrop mit Billigung Hitlers das Monopol für die „gesamte Auslandspropaganda“ beanspruchte, während Goebbels den alleinigen Einfluss auf die Informationslenkung bei Presse und Rundfunk ausüben wollte. Ihn ärgerte, dass in der täglichen Pressekonferenz, die er in seinem 157

Ministerium eingeführt hatte, der Sprecher des Auswärtigen Amtes als erster vor die Presse trat und dem Propagandaminister regelmäßig die „Rosinen“ stahl. Dabei soll es zwischen Beamten beider Ministerien sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Goebbels suchte daher eine Gelegenheit, den Propagandaapparat seines Rivalen unter dem Vorwand, Doppelarbeit zu vermeiden, auszudünnen. Diese Gelegenheit bot sich an, als Hitler Goebbels nach dem 20. Juli 1944 zum Reichsbeauftragten für den totalen Kriegseinsatz ernannte und ihm unumschränkte Vollmacht erteilte, weitere Kräfte für den Kriegsdienst zu mobilisieren. Hierzu spannte er Mussehl ein, der nicht nur die Aufgabenabgrenzung zwischen beiden Häusern überprüfen, sondern auch abklären sollte, wie viele Bedienstete im Auswärtigen Dienst noch für den Kriegsdienst mobilisiert werden können. Die Überprüfung löste im Auswärtigen Amt Empörung aus. Es wurde kolportiert, die Prüfer seien buchstäblich von Tür zu Tür gegangen, um festzustellen, wer noch die entsprechenden Gliedmaßen habe, um eine Waffe bedienen zu können. Mussehl kam zu dem Ergebnis, dass Ribbentrop „etwa weitere 200– 250 Gefolgschaftsmitglieder“, darunter aus dem persönlichen Stab des Ministers, für den Fronteinsatz freigeben könne438. Als der 70-seitige Bericht am 20. März 1945 Goebbels im Führerbunker erreichte, vermerkte dieser den Empfang mit Genugtuung und der Ankündigung, er werde demnächst Ribbentrop zu Rede stellen439. Dazu kam es nicht mehr.

Präsident Müller begeht Selbstmord Als sich am 26. April 1945 abzeichnete, dass die Einnahme der Stadt durch die Rote Armee unmittelbar bevorstand, nahm sich Präsident Müller in seiner Dienstvilla an der Kapellenbergstrasse 4 (heute Puschkinallee) mit seiner Frau und drei seiner vier Kinder das Leben440. Die Motive für den erweiterten Suizid liegen im Dunkeln. Nach Angaben seines Enkels hatte er seiner Familie, zu der

438 439 440

Archiv Auswärtiges Amt I 160/52 Anlage 5. Josef Goebbels, Tagebücher 1945, S. 263f. BAB R 2301/11889 Polizeilicher Todesschein.

158

vier Kinder im Alter von 7, 10, 14 und 19 Jahren gehörten, bereits im März 1945 vage angekündigt, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, wenn der Krieg verloren gehe. Den Vorschlag seines Schwagers, Potsdam zu verlassen, habe er mit der Begründung abgelehnt, er könne seine Mitarbeiter nicht im Stich lassen441. Ungewiss ist, ob der Selbstmord des Leiters der Außenabteilung in Wien, Klusemann, eine Rolle spielte, der sich am 16. April 1945 kurz vor der Eroberung der Stadt mit seiner Frau das Leben genommen hatte442. Eine gewisse Logik für den erweiterten Suizid könnte darin liegen, dass Müller den Siegern unterstellte, sie könnten dieselben Gräueltaten begehen und Frauen und Kinder ebenso liquidieren, wie das das NS-Regime getan hatte. Und das war Müller nicht verborgen geblieben. Die Frage eines Reichskontrollhofs, den Müller in seiner gesamten Amtszeit angestrebt hatte, beschäftigte ihn bis zuletzt. In seinem Abschiedsbrief wünschte er seinen Mitarbeitern in der Zukunft einen Rechnungshof, der „mit starken Vollmachten und großen Aufgaben betraut sein möge“443.

441 442 443

Golinski in „Die Märkische“ vom 2./3.2005 über seinen Großvater Heinrich Müller. Österreichischer Rechnungshof, 250 Jahre Der Rechnungshof, S. 527 Fn.21. BAB-P 2301 RH 8418 Bl. 1 Abschiedsbrief Müllers.

159

4. Die Wiederbelebung der staatlichen Finanzkontrolle in der Nachkriegszeit Nach der Besetzung Potsdams durch die Rote Armee wurden beide Vizepräsidenten von einer Militärpatrouille aufgegriffen und vom NKWD verhört. Der Stadtkommandant ließ sich über den RRH aufklären. Während Stengel nach einer Woche wieder frei kam, begann für Mussehl eine Odyssee durch mehrere Geheimlager der Sowjets, bis er der Justiz in der sowjetischen Besatzungszone überstellt und in einem Waldheimer Schauprozess zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Die Gründe für seine Verurteilung sind ungeklärt. Mussehl, der im 64. Lebensjahr stand und nie einer Partei angehört hatte, soll nach Angaben der Protokollführerin in dem Schauprozess als „Junker“ verurteilt worden sein, um sein Grundvermögen, das auf 13 Mio. Mark geschätzt wurde, als Volkseigentum einziehen zu können444. Im Zuchthaus Bautzen hatte Mussehl wegen seines umfassenden Allgemeinwissens den Spitznamen „Professor“. Nach neun Jahren Haft kam er im Jahr 1954 frei445. Vizepräsident Stengel versuchte einen Neustart des RRH. Es kam zu einem Scheinbetrieb, der sich hauptsächlich in Privatwohnungen von Mitgliedern abspielte. Am 5. Juni 1945 sorgte die Hausnachricht Nr. 1 für Irritationen. Sie meldete 444 445

Bericht in der Spandauer Zeitung von 1950. Mussehl verbrachte seinen Lebensabend mit seiner Frau in West-Berlin. Er unterhielt noch Kontakte zu seiner Studentenverbindung und war von 1960 bis 1962 „Zwingherr“ (Vorsitzender) der Gesetzlosen Gesellschaft in Berlin, einem traditionellen Klub in Berlin, der dem freien Meinungsaustausch diente. Als seinen Nachfolger bestimmte er den Freiherrn von Nordenflycht, der ebenfalls aus dem RRH stammte und Direktor im Bundesrechnungshof in Frankfurt/Main war.

160

neben dem Freitod des Präsidenten 21 weitere Todesfälle, woraus die Legende entstand, es habe zum Kriegsende im RRH 22 Selbstmorde gegeben. In 21 Fällen handelte es sich aber, wie sich später ergab, um Kriegsopfer und „normale“ Sterbefälle446.

4.1

Die Potsdamer Zentrale zieht Bilanz und versucht einen Neustart

Stengel verordnete den Direktoren und Ministerialräten am 2. Juli 1945 Hausarbeiten. Sie sollten nach einem Fragekatalog, der 10 Punkte umfasste, Vorschläge „zur Wiederaufnahme der Prüfungstätigkeit des Rechnungshofs“ unterbreiten und dem nicht namentlich benannten „Präsidenten“ vorlegen447. MR Dr. Arthur Fuchs schlug vor, die Alliierten auf die wesentliche Aufgabe des Rechnungshofs hinzuweisen, die sparsame Verwendung der Haushaltsmittel zu prüfen448. In einem weiteren Vorschlag wurde auf den Erfahrungsschatz hingewiesen, den der RRH durch „Rat und Hilfe“ erworben habe und den er nunmehr dem Kontrollrat anbieten könne. MR Dr. Fischer schlug vor, den künftigen Rechnungshof mit Sanktionsmöglichkeiten auszustatten. Beamte, die den Rechnungshof bei Prüfungen belügen, sollten bestraft werden können449.

Der „RRH“ blickt zurück Um den Alliierten Kontrollrat von der Notwendigkeit eines gesamtdeutschen Rechnungshofs zu überzeugen, sollte zur Vorbereitung einer Eingabe eine Materialsammlung angelegt werden. Aus den Beiträgen entstand der „Bericht“ vom 446 447 448

449

Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 163ff. BA-P 2301/8420. BA B 2301/8417 (Aufgaben und Organisation des Rechnungshofs Mai–November 1945) Vorschlag Dr. Fuchs vom 11.6.1945. Ebenda, Schreiben vom 4.7.1945 an „Herrn Präsidenten“.

161

26. Juli 1945, zu dem noch bis Mitte August 1945 Material nachgeliefert wurde450. Der Bericht wurde eine Mischung von Bilanz und Bestandsaufnahme unerledigter Fälle sowie Rückblick und Ausblick, ohne Pathos, Selbstkritik oder Unrechtsbewusstsein. Der Bericht war in drei Teile/Kapitel/Abschnitte gegliedert. Der 1. Teil befasste sich überwiegend mit nicht abgeschlossenen Prüfungsverfahren, darunter mit noch ausstehenden Kassenabschlüssen und fehlenden Verwendungsnachweisen für verausgabte Haushaltsmittel. Dabei wurde offenbar auf Handakten der Prüfer zurückgegriffen, die bei Kriegsende nicht vernichtet wurden. Im Abschnitt über die Prüfung deutscher Verwaltungen in den besetzten Gebieten wurde unbefangen „Zur Verwaltung des Judenvermögens“ in Erinnerung gebracht, dass von der Treuhandgesellschaft Südost noch eine Schlussrechnung über die Verwaltung des ehemals jüdischen Grundbesitzes ausstehe451. Gleichzeitig wurde die Prüfung in Shitomir (Hegewald, Südrussland) erwähnt, wo der RRH bei der SS Fälle von Verschwendung aufgedeckt hatte452. Zum „Aluminium-Kontor“ wurde die weitere Aufklärung der Unregelmäßigkeiten angemahnt, die die Treuarbeit bei ihrer Prüfung der A/S Nordag im besetzten Norwegen aufgedeckt und beanstandet hatte, dass das Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied Heinrich Koppenberg zwei leitenden Angestellten des Kontors unzulässigerweise großzügige Darlehen gewährt hatte453. Zusätzlich wurde die Einziehung von Feindvermögen in Norwegen zugunsten des Reichs erwähnt. Außerdem wurde Klärung verlangt, wo der Erlös aus dem Verkauf von Edelsteinen und Brillanten im Gesamtwert von 1,5 Mio. RM verblieben sei, die an die Diamantenindustrie in Idar-Oberstein geliefert worden waren454. Das ehemalige Prüfungsgebiet X 3 steuerte u.a. die Sammlung der Korruptionsfälle bei, die bis zum 23. März 1945 geführt worden war455. Auch der Fall des deutschen Bankenkommissars in Brüssel, Major der Reserve D. von Becker, wurde aufgenommen,

450 451 452 453 454 455

BAB R 2301/8420. BA B R 2301/8420 Bl. 478/479 Ziffer 4 b des Berichts. BA-P 2301/8420, vgl. Fn.387 Vermerk vom 31.7.1945. Ebenda, Bl. 455 Ziffer 11 des Berichts, vgl. Fn.280. Vgl. Fn.294. BA-P 2301/8420, vgl. Fn.379.

162

der Mittel aus der Belgischen Nationalbank für „kostspielige Dienst- und Privatreisen mit und ohne Begleitung und für fast tägliche Gastereien in kleinem Kreis“ verprasste, sodass der RRH die Rückzahlung von mindestens 100 000 RM an die Reichskasse verlangte. Danach wurde der Vorfall beim Zentralgericht des Heeres in Berlin-Charlottenburg anhängig456. Schließlich wurde noch eine Klärung verlangt, ob der Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, SeyssInquart, die von ihm angekauften Dawes- und Young-Anleihen bei der Reichsschuldenverwaltung zur Vernichtung abgeliefert habe457. Nachträglich wurde in den Bericht vom 26. Juli 1945 noch eine Beschaffungsprüfung in der Ukraine aufgenommen458. Im 2. Teil des Berichts vom 26. Juli 1945 erstellte der Prüfungsbereich „Wirtschaft“ eine umfangreiche Übersicht über das Vermögen des Reichs und der Länder mit dem Hinweis, dass die Sicherung von Ansprüchen des Reichs durch einen künftigen Rechnungshof „auch den von den Siegern verfolgten Zielen“ dienen könne, wenn es um die Frage der Anrechnung auf etwaige Reparationsforderungen gehe. Die Übersicht gliederte sich in die einzelnen Reichsverwaltungen einschließlich die in den bisher besetzten und annektierten Gebieten zurückgelassenen Vermögenswerte. Dabei wurden auch Geld- und Wertpapiervermögen sowie Lagerbestände erfasst sowie zwischenzeitlich eingetretene Wertminderungen durch Zerstörungen berücksichtigt. Es wurde vorgeschlagen, nach dem Verbleib „reichseigener“ Immobilien zu forschen. Im 3. Teil des Berichts wurde vorgeschlagen, den künftigen Rechnungshof mit umfangreichen Prüfungskompetenzen auszustatten, um die bereits Präsident Müller vergeblich gekämpft hatte459.

456 457 458 459

BA-P 2301/2073 Bl. 2–3 Vermerk vom 26.7.1945. BA-P 2301/2073/2 RRH-Vermerk vom 9.10.1944. Vgl. Fn.385. BA-P 2301/8420, vgl. Gilles, Hauptsache sparsam und ordnungsgemäß, S. 137ff.

163

Die Frage der Verstrickung des RRH in das NS-Regime und in die Ausplünderung der besetzten Gebiete Die Frage, ob und inwieweit der RRH ein Instrument des NS-Staates war und in den Unrechtsstaat verstrickt wurde, bedarf einer mehrschichtigen Betrachtung. Dabei ergibt sich ein vielschichtiges Bild, das auf unterschiedlichen Ebenen und in einzelnen Phasen mit etlichen Akteuren entstand und von der Beteiligung an der Finanzierung des Krieges und der Freisetzung von kriegstauglichen Kräften des öffentlichen Dienstes bis zur Einbindung des RRH in die Ausplünderung der besetzten Gebiete reicht. Hitler hatte dem RRH die Rolle zugewiesen, für die „Sauberkeit“ der öffentlichen Verwaltung zu sorgen. Damit war die Bekämpfung von Korruption, Unterschlagung sowie Verschwendungssucht und die Verhinderung schwarzer Kassen gemeint. Die Partei sollte allerdings von einem eigenen Revisionsamt der NSDAP kontrolliert werden, das dem Reichsschatzmeister Schwarz unterstand und den Charakter einer Innenrevision hatte. Präsident Saemisch war weder ein Sympathisant noch ein aktiver Gegner des Regimes. Er vermied jede Konfrontation mit den neuen Machthabern und hielt an dem Auftrag der RHO fest, die öffentliche Verwaltung nach den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu kontrollieren. Sein Verhalten brachte dem RRH den Ruf ein, eine unpolitische Prüfungseinrichtung zu sein, eine Einschätzung, die nach dem Krieg auch von den westlichen Alliierten geteilt wurde. Das Bild einer unpolitischen Institution änderte sich mit dem nationalsozialistischen Präsidenten Heinrich Müller, der den RRH zu einer Führerbehörde umkrempeln wollte, während die Prüfungsbeamten mehrheitlich daran festhielten, als loyale Staatsdiener nach Recht und Gesetz zu verfahren und sich an den Prüfungsgrundsätzen der RHO zu orientieren. Zur Finanzierung des Krieges hatte der RRH einen wichtigen Beitrag zu leisten. Nach § 4 KKG hatte er dazu beizutragen, die Staatsausgaben zu senken und die Einnahmen zu steigern. Damit wurden die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in der öffentlichen Verwaltung auf den Vernichtungskrieg Hitlers und dessen Verlängerung fokussiert. Bei den Prüfungen in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten spielte die Frage der Einnahmesteigerung eine fundamentale Rolle, weil der RRH sich damit befasste, das riesige Feind- und Juden164

vermögen aufzuspüren und dafür zu sorgen, dieses dem Reichsvermögen zuzuführen bzw. die Erträge mit der Reichskasse abzurechnen. Solche „sensiblen“ Prüfungen in den besetzten Gebieten wurden unter dem Motto der Ordnungsmäßigkeit durchgeführt. Allerdings enthielt sich der RRH regelmäßig der heiklen Frage, ob und wo noch mehr Beute zu holen wäre. Es ist auch zu berücksichtigen, dass diese Verstrickungen hauptsächlich die vier Prüfungsgebiete betrafen, die mit Prüfungen außerhalb des Altreiches befasst waren. Zu ihnen gehörten die für die Prüfung der SS, der neuen Gebiete, des Reichsprotektorats und der Polizei zuständigen Prüfungsbereiche. Die übrigen Prüfungsbeamten in 55 von insgesamt 59 Prüfungsgebieten beschränkten ihre Aktivitäten auf das Altreich. Außerdem gab es im RRH nur eine begrenzte Zahl von Wissensträgern, da die mit Prüfungen bei der SS und in den besetzten Gebieten befassten Prüfungsgebiete wegen der Geheimhaltung gegen die übrigen Prüfungsbereiche abgeschirmt waren. Die Existenz der sieben im Altreich betriebenen KZ-Lager wurde dem RRH allerdings dadurch bekannt, dass ihm die Unterlagen über die Bau- und Unterhaltungskosten vorgelegt wurden. Bei den örtlichen Prüfungen in den KZ-Lagern und bei den Einsatzgruppen der SS konnten den Prüfern die Gräueltaten der SS nicht verborgen bleiben. Dabei interessierten sie sich weder für Statistiken über die Versorgung und Gesundheit der Gefangenen noch über die Zahl der Todesfälle oder gar die Beschaffung von Cyclon B oder von Verbrennungsöfen. Äußerungen zur Tötung von Gefangenen sind in den Prüfungsberichten nicht zu finden. Die Mehrzahl der Prüfungsbeamten, die nicht mit „sensiblen“ Prüfungen befasst waren, konnte sich in den späteren Entnazifizierungsverfahren auf Unkenntnis berufen oder – wie ihr Kollege Dr. Hillebrecht bei seiner Zeugenvernehmung im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess – eingestehen, zwar vom Abtransport der Juden aus dem Altreich nach Osten gewusst zu haben, nicht aber, was mit ihnen dort geschah460. Zum engen Kreis der Wissensträger gehörte Präsident Müller, der die Prüfungen anordnete und dem zu berichten war. Seine persönliche Teilnahme an örtlichen Prüfungen von KZ-Lagern ist nicht belegt. Es fehlen auch Hinweise darauf, dass

460

Archiv für Zeitgeschichte, ifz ZS 929/56 Vernehmungsprotokoll. Vgl. Abschnitt 3.34 und Fn.333.

165

Müller Weisungen gab, die SS oder Parteifreunde nachsichtig oder oberflächlich zu prüfen. Indizien dafür, dass er den Freitod wegen seiner Verstrickungen in den Unrechtsstaat wählte, sind nicht zu finden. Einen weiteren Beitrag zur Verlängerung des Krieges leistete der RRH durch die Kooperation mit dem Sonderstab des Generals von Unruh, dem er bereitwillig mögliche Freisetzungen von Personal des öffentlichen Dienstes für den Fronteinsatz meldete. Der wachsende Druck, sich als kriegswichtige Einrichtung zu erweisen, veranlassten den RRH u.a. zur Einstellung der Vorprüfung, wodurch weitere Kräfte des öffentlichen Dienstes für den Kriegseinsatz freigesetzt wurden461. Schließlich bot Präsident Müller an, aus den eigenen Reihen noch 290 Prüfer für die Wehrmacht zur Verfügung zu stellen. In der Endphase des Krieges pervertierte der RRH zum Werkzeug des Unrechtsstaats, als Präsident Müller dem Reichsbeauftragten für den totalen Kriegseinsatz, Goebbels, versprach, nur noch die Einhaltung der von ihm erlassenen Anordnungen und Richtlinien zu überwachen und als Strafverfolgungsbehörde tätig zu werden 462. Mit diesem Pakt erkaufte sich Präsident Müller das „Überleben“ des RRH. Insgesamt dürfen die Verstrickungen des RRH nicht verallgemeinert, sondern müssen differenziert selektiert werden. In diesem Kontext ist die Einschätzung von Rainer Weinert nicht von der Hand zu weisen, dass dem RRH der Gesamtzusammenhang der Vernichtung der Juden im Osten Europas trotz seiner örtlichen Prüfungen verborgen geblieben sei. Der RRH habe als normenstaatliche Instanz agiert und nicht so recht begriffen, was um ihn herum ging463. Es bleibt ein gewisser Zwiespalt, denn einerseits war der RRH in das Unrechtssystem eingebunden und wurde zur Geldbeschaffung und als Wachhund gebraucht, andererseits war er bei vielen Machthabern unbeliebt und lästig. Sie wehrten sich vor allem gegen Kontrollen, wenn es um ihre Pfründe, persönliche Bereicherung oder schwarze Kassen ging. Sie erwarteten, dass der RRH die eigenen Parteigenossen nachsichtig, wohlwollend und schonend behandelt und die Zügel

461 462 463

Vgl. Abschnitte 3.22 und 3.38. Vgl. Abschnitt 3.39. Weinert, Die Sauberkeit der Verwaltung im Kriege, S. 158.

166

während des Krieges lockert oder seine Tätigkeit ganz einstellt. Das Vordringen in einzelne Machtzentren machte die Prüfer nicht zwangsläufig zu Regimegegnern oder -kritikern, auch wenn sie diese Version im Entnazifizierungsverfahren vorgebracht und sich als ideologiefreie Ordnungshüter der RHO präsentiert haben sollten. Ihre Beanstandungen waren regelmäßig personenbezogen verfasst. Eine Systemkritik war nicht herauszulesen. Ihre Aktivitäten dienten vor allem zur Rechtfertigung, auch im Krieg unentbehrlich zu sein. Diese Haltung spiegelt sich auch in der „Materialsammlung“ wieder, die unmittelbar nach Kriegsende in Potsdam ohne jedes Unrechtsbewusstsein erstellt wurde und dem Kontrollrat vorgelegt werden sollte, um ihn von der Notwendigkeit einer staatlichen Finanzkontrolle zu überzeugen. So verwundert es auch nicht, dass die Mitgliedschaft in der NSDAP nach dem Krieg nicht als Ausschließungsgrund angesehen wurde, im Prüfungsdienst wiederverwendet zu werden. Kein Mitglied des RRH musste sich nach dem Krieg vor Gericht verantworten.

4.2

Große oder kleine Lösung?

Als bekannt wurde, dass der Alliierte Kontrollrat eine Zentralverwaltung für Gesamtdeutschland zulassen wolle, schlug die Potsdamer Zentrale des bisherigen RRH im Juli 1945 dem Kontrollrat in einer Eingabe vor, einen Vierzonen-Rechnungshof zu installieren, der vor allem beim Aufbau des staatlichen Kassenwesens beraten könne. Der gesamtdeutsche Rechnungshof könne seinen Sitz in Potsdam oder am Sitz der künftigen Zentralverwaltung haben. In den vier Besatzungszonen sollten Außenabteilungen eingerichtet werden464. Diese sogenannte „Große Lösung“ entsprach dem Vorschlag des Präsidenten Haaser, den er am 22. Juli 1945, einen Tag nach Eröffnung des Hamburger Rechnungshofs des Deutschen Reichs – Britische Zone –, in einer Denkschrift unterbreitet hatte465. Nach einem Sondierungsgespräch mit einem amerikanischen Offizier und mehreren Kontakten mit Vertretern des Kontrollrats, verlief die Initiative im

464 465

Wittrock in DÖV 1986, S. 330f. Ebenda, S. 332.

167

Sande, weil der Kontrollrat funktionsunfähig wurde und die Vorschläge sich für die Sowjets als Illusion erwiesen hätten. Als Alternative hatte Präsident Haaser in seiner Denkschrift eine kleine Lösung ins Spiel gebracht, wonach jede bisherige Außenabteilung des RRH ihren eigenen Weg gehen und versuchen sollte, in jeder Besatzungszone einen eigenständigen Rechnungshof zu etablieren. Die Chancen standen dafür in den westdeutschen Besatzungszonen nicht schlecht, weil Rechnungshöfe als unpolitische Institutionen galten und die Besatzungsmächte ein Interesse an der Kontrolle der Besatzungskosten hatten.

4.3

Die Potsdamer Zentrale des RRH schließt resigniert ihre Pforten

Da den Bediensteten des RRH keine Gehälter mehr ausgezahlt werden konnten, organisierte der ranghöchste Beamte des Rechnungshofs, Emil Stengel, am 20. Juli 1945 einen Hilfsfonds für mittellose Kollegen. Sein Aufruf war die letzte Initiative vor seiner Verhaftung. Am 30. Juli 1945 fand bei ihm eine Hausdurchsuchung durch Offiziere des NKWD statt. Stengel wurde zum Verhängnis, dass er seine Ernennungsurkunden mit den Unterschriften der Reichspräsidenten und den Einbanddeckel von Hitlers Buch „Mein Kampf“ aufbewahrte. Am Morgen seines 64. Geburtstages, dem 31. Juli 1945, wurde er verhaftet und in das Geheimlager Wesow verbracht. Als Stengel eine Woche später in das 60 Kilometer entfernte Lager Sachsenhausen verlegt werden sollte, brach er auf dem Fußmarsch wegen Erschöpfung zusammen. Er verstarb am 10. August 1945. Sein Tod ist am 1. September 1945 in der Totenliste des sowjetischen Speziallagers Nr. 3 in BerlinHohenschönhausen vermerkt466. Nach der faktischen Schließung der Zentrale des RRH suchten einige Prüfer eine Beschäftigung in Potsdam. Die Provinzialverwaltung der Mark Brandenburg übernahm ab 1. September 1945 einige politisch unbelastete Prüfungsbeamte. Andere fanden eine Beschäftigung in der Potsdamer Ölmühle.

466

Sammlung Bornmann, Auskunft der Witwe Stengel.

168

Die Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone Am 11. September 1945 installierten die Sowjets in Ost-Berlin die Deutsche Zentralverwaltung, die für die sowjetisch besetzte Zone (SBZ) zuständig war467. Gleichzeitig wurde eine Zentrale Finanzverwaltung (ZFV) aufgebaut, die nach sowjetischem Vorbild auch ein Revisionsorgan erhalten sollte. Leiter der Finanzverwaltung wurde der ehemalige Haushaltsdirektor des RMF, Josef Mayer. Es wurde eine „Abteilung für Rechnungsprüfung“ eingerichtet, die als „Zelle“ bezeichnet wurde und offiziell die Bezeichnung „Rechnungshof“ erhielt. Der Einmannbetrieb wurde dem ehemaligen MR des RRH, Dr. Fischer, übertragen, der seinen Sitz bis auf weiteres in Potsdam hatte. Er nahm nach der Wiederaufnahme des Postverkehrs am 21. September und 5. Oktober 1945 Kontakt zu den ehemaligen Außenabteilungen in Westdeutschland auf, um auszuloten, ob mit der Wiederaufnahme der Rechnungsprüfung zu rechnen sei468. Als am 1. März 1946 die Deutsche Zentralverwaltung offiziell ihre Tätigkeit in Ost-Berlin aufnahm, wurde die Potsdamer Zelle aufgelöst und in Berlin aus neun ehemaligen Prüfern eine Revisionsgruppe gebildet. Ihr gehörten die früheren MRe des RRH, Werner Friedrich, und Freiherr von Nordenflycht an. Friedrich wurde mit der Abwicklung des RRH in Potsdam beauftragt. Er heuerte für die Aufräumungs- und Überleitungsarbeiten sowie die Aussortierung des nationalsozialistischen Gedankenguts aus den verbliebenen Schriften der Bibliothek ehemalige Bedienstete des RRH als Hilfskräfte an. Die Reste der Bibliothek wurden auf einem LKW nach Ost-Berlin transportiert, wo sie später im Finanzministerium und in der Nationalbibliothek gelandet sein sollen. Werner Friedrich floh nach Westberlin, wo er eine Beschäftigung in der Senatsverwaltung fand. Nach der Gründung des Gesamtdeutschen Ministeriums wurde Friedrich auf Fürsprache von Jakob Kaiser in das Ministerium übernommen und mit der Leitung der Repräsentanz in Berlin betraut. Im Jahr 1946 kam es zur Gründung einer „Kontrollkammer für die Deutsche Post in der Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ).

467 468

Befehl SMAD vom 27.7.1945. Wittrock in DÖV 1986 S. 330.

169

Im Herbst 1946 begann die Revisionsgruppe, die der Zentralen Finanzverwaltung unterstand, unter der neuen Bezeichnung „Abteilung für Finanzen und Kontrolle-Rechnungshof“ mit Prüfungen in den Verwaltungen der SBZ. Gefordert wurde ein neuer Prüfertyp. Eine sachlich objektive Prüfungstätigkeit war nicht gefragt. „Nur wenn Klarheit darüber besteht, welche Rolle ein Mitarbeiter des Revisionsapparates als Beauftragter der Arbeiterklasse spielt, wird ihm klar werden, dass er Partei ergreifen muss für die Sache der Werktätigen und dass Unparteilichkeit des Revisors den Aufbau des Sozialismus hemmt“469. Die Revisionsgruppe wurde im Jahr 1949 aufgelöst und schließlich dem Finanzministerium der DDR als „Staatliche Finanzrevision“ eingegliedert470. Ihr wurden die Revisionsinspektionen unterstellt, die in den Bezirken und Kreisen, u.a. in Dresden, entstanden waren.

4.4

In Westdeutschland entstehen Landesrechnungshöfe

Die aufgelösten Außenabteilungen wurden nach Kriegsende in Westdeutschland zu Keimzellen der wiedererstandenen Landesrechnungshöfe. Alle vier Außenabteilungen konnten ihre Tätigkeit bereits im Jahr 1945 unter neuem Namen wiederaufnehmen.

In München entsteht der Bayerische Oberste Rechnungshof In Bayern gehörte die bisherige Außenabteilung des RRH in München bereits acht Tage nach der bedingungslosen Kapitulation unter dem neuen Etikett

469 470

Deutsche Finanzwirtschaft, Ost-Berlin 1956 Nr. 12, S. 529. Meier, Die Entwicklung des Haushaltswesens in der SBZ Deutschlands, S. 174; VO über die Finanzrevision in den staatlichen Verwaltungen und Einrichtungen und in den Betrieben und Verwaltungen der VEW, GBl. der DDR 1952, S. 1192ff.

170

„Rechnungshof in Bayern“, zu den ersten öffentlichen Einrichtungen, die in Bayern nach Kriegsende ihre Pforten wieder öffnen konnten471. Nach dem Einmarsch der Amerikaner in München am 28. April 1945 besetzte am 2. Mai 1945 ein Leutnant mit drei Soldaten das unzerstörte Dienstgebäude in der Konradstraße und verbot dem stellvertretendem Leiter, Cammerer, der den erkrankten Direktor Dr. Hofmann vertrat, den Zutritt zum Gebäude. Am 14. Mai 1945 räumten die Amerikaner die Diensträume und gaben das Gebäude wieder frei. Am 16. Mai 1945 bestätigte die Militärregierung den politisch unbelasteten Fritz Cammerer als Leiter des „Obersten“ Rechnungshofs, untersagte ihm aber die Weiterbeschäftigung von 31 Prüfungsbeamten, die der NSDAP angehört hatten, sodass Cammerer seine Tätigkeit mit nur 14 Prüfern aufnehmen konnte472. Am 26. Mai und 11. Juni 1945 erschien Dr. Hillebrecht im Rechnungshof, um seinen bisherigen drei Mitarbeitern in der Parteikanzlei (Amtsräte Blankenburg, Lutz und Dietsch) „Persilscheine“ auszustellen und klarzustellen, dass sie formal keine Angehörigen der Parteikanzlei und keine Entscheidungsträger waren 473 . Präsident Cammerer setzte sich für die Freilassung des inhaftierten Präsidenten Hofmann und weiterer Mitglieder des Rechnungshofs sowie für die Wiedereinstellung der entlassenen Prüfungsbeamten ein, um den Prüfungsbetrieb wieder aufnehmen zu können474. Am 20. Juni 1945 ernannte Ministerpräsident Fritz Schäffer Cammerer zum Präsidenten des „Rechnungshofs in Bayern“, um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich um eine deutsche Einrichtung handelt475. Bis zum Frühjahr 1946 konnte Präsident Cammerer das Kollegialsystem nicht praktizieren, weil die beiden Ministerialräte ihres Dienstes enthoben waren und vor Abschluss der Entnazifizierungsverfahren keine Mitglieder berufen werden durften. Die fünf Planstellen für

471 472

473 474 475

Bayr HStA ORH Nr. 610. Ebenda, Bericht Präs. Cammerer an Bayerisches Finanzministerium vom 25.9.1945, vgl. Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz, S. 125. Bayr HStA ORH Nr. 452. Ebenda, Nr. 611. Ebenda.

171

Mitglieder konnten erst allmählich besetzt werden. Erst ab Sommer 1946 konnten die 36 vakanten Planstellen für Prüfer wieder besetzt werden476. Nach der Wiederaufnahme des Postverkehrs nahm Cammerer am 29. Oktober 1945 Kontakt zu den früheren Außenabteilungen in Karlsruhe, Hamburg und Dresden auf, um die Zukunftsaussichten der Rechnungsprüfung in Deutschland auszuloten. Der Rechnungshof in Sachsen antwortete am 17. Dezember 1945 mit der Bitte, ihm Fachliteratur zu übersenden477. Am 17. Februar 1946 legte Präsident Cammerer dem Finanzministerium die noch vor Kriegsende erstellten Bemerkungen zu den Haushaltsrechnungen des Landes Bayern für die Kriegsjahre 1941 und 1942 vor478. Darin wurde, wie bereits erwähnt, noch beanstandet, dass im Jahr 1940 dem damaligen Ministerpräsident Ludwig Siebert und dem Innenminister Adolf Wagner eine Ministerialzulage gewährt wurde479. Am 5. Juli 1946 wurde der Rechnungshof in „Bayerischer Oberster Rechnungshof“ umbenannt. Erst gegen Ende des Jahres 1946 durfte Cammerer wieder acht Prüfungsbeamte einstellen, die von der Spruchkammer als „Mitläufer“ eingestuft worden waren480. Da aktueller Prüfungsstoff fehlte und ein Dienstwagen für Prüfungsreisen nicht zur Verfügung stand, befasste sich der Rechnungshof mit der Aufarbeitung der Kriegsrechnungen aus den Jahren 1943 und 1944, obwohl ein geordnetes Entlastungsverfahren nicht mehr möglich war. Erst am 11. Oktober 1948 legte der Rechnungshof seinen Bericht über die Durchführung der Rechnungsprüfung für die Rechnungsjahre 1943 und 1944 vor481. Darin erwähnte er u.a., dass die SS keine prüfungsfähigen Rechnungen vorlegen konnte, da diese durch Kriegseinwirkungen verbrannt seien. 476 477 478 479

480

481

Ebenda. Wittrock in DÖV 1986, S. 329,331. Bayr HStA ORH Nr. 207. Ebenda, BAB R 2301/2654 und Heydenreuter, Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz, S. 76/77. Bayr HStA ORH Nr. 610 Bericht Präsident Cammerer an Bayerisches Finanzministerium vom 25.9.1945. Staatsanzeiger 1948 Nr. 32 Jahresbericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs vom 11.10.1948 S. 2/11.

172

Die Entwicklungen in Hamburg, Karlsruhe und Dresden verliefen ähnlich wie in München.

In Hamburg entsteht der Rechnungshof des Deutschen Reichs-Britische Zone Nachdem eine Wiederbelebung der Rechnungsprüfung in Potsdam aussichtslos erschien, flohen viele Prüfer nach Westdeutschland, wo die meisten in Hamburg vom Rechnungshof übernommen wurden, den die britische Besatzungsmacht am 21. Juli 1945 zugelassen hatte und der ab 5. August 1945 die Bezeichnung Rechnungshof des Deutschen Reichs – Britische Zone – oder kurz Zonenrechnungshof erhielt482. Sein Leiter wurde Präsident Franz Haaser, der bereits Direktor der Außenabteilung in Hamburg gewesen war. Die Briten störte es nicht, dass Haaser Mitglied der NSDAP war. Er galt ebenso wie sein Stellvertreter Dr. Panzeram, der aus Potsdam kam, als politisch unbelastet. Die Besatzungsmacht traute ihnen zu, die Besatzungskosten zu kontrollieren. Wie bereits erwähnt, legte Präsident Haaser am 22. Juli 1945 zur Vorbereitung der Potsdamer Konferenz eine Denkschrift über die Zukunft der staatlichen Finanzkontrolle in Deutschland vor, die wenig später in Potsdam und den übrigen ehemaligen Außenabteilungen kursierte483. Haaser schlug als Große Lösung einen gesamtdeutschen Rechnungshof vor, verfolgte aber gleichzeitig eine kleine Lösung mit dem Vorschlag, in jeder Besatzungszone eine Außenabteilung zu etablieren. Unter Präsident Haaser wurde der Zonenrechnungshof nicht nur zum Sammelund Auffangbecken für das Prüferpersonal aus Potsdam, sondern auch für andere Akteure, die in der weiteren Entwicklung eine Rolle spielten. Haaser übernahm u.a. Dr. Arthur Fuchs und den früheren Leiter der Außenabteilung in Posen, Alfred Rausch. Auch der ehemalige Unterabteilungsleiter im RMI, Dr. Erich Keßler wurde übernommen. Er nutzte seine Stellung, um alte Bekannte im öffentlichen Dienst

482 483

Staatsarchiv Hamburg 131–13–1. Wittrock in DÖV 1986, S. 332.

173

wieder unterzubringen und bei der Personalauswahl der künftigen Bundesregierung mitzuwirken484. Im Frühjahr 1948 führte Keßler zunächst bei der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets in Frankfurt/Main eine Organisationsprüfung durch. Sie eröffnete ihm die Gelegenheit, im Herbst 1949 in den bizonalen Rechnungshof im Vereinigten Wirtschaftsgebiet zu wechseln, wo Josef Mayer als Vizepräsident residierte. Als Adenauer ein vierköpfiges Gremium beauftragte, Personalvorschläge für die Besetzung leitender Positionen in den künftigen Bundesministerien zu erarbeiten, entsandte Mayer Erich Keßler als Vertreter des Rechnungshofs in dieses „Auswahlgremium“. Keßler war – wie Adenauer – der Ansicht, dass der Aufbau der Bundesverwaltung ohne erfahrene Beamte aus dem NS-Regime schwierig werde und deshalb die Mitgliedschaft in der NSDAP kein Ausschlusskriterium sein dürfe. Erich Keßler war früherer Kollege von Dr. Hans Globke, der mit ihm Unterabteilungsleiter im RMI war und am 28. September 1948 versicherte, er habe über Graf Fritz-Dietlof von der Schulenburg Kontakte zum Widerstand gehabt. Dieser habe ihn und Wirmer in die Pläne für eine Neuordnung des Reichsgebiets nach dem Sturz Hitlers eingeweiht485. Keßler sorgte dafür, dass Globke Mitte August 1949 Vizepräsident des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf wurde, bevor er als Kanzleramtsminister ins Bundeskanzleramt wechselte. Präsident des Rechnungshofs in Nordrhein-Westfalen war Dr. Peucker, der im RRH für die Prüfung der Polizei und damit für das RMI zuständig gewesen war. Das Auswahlgremium, dem Keßler angehörte, schlug auch den Vizepräsidenten des niedersächsischen Rechnungshofs, Hans Egidi, für eine Verwendung als Abteilungsleiter im BMI vor. Inwieweit es zu weiteren Seilschaften kam und Keßler daran mitwirkte, dass sein Chef Josef Mayer am 7. Dezember 1950 als erster

484

485

Keßler war im Jahr 1940 Vizepräsident des Regierungsbezirks Gubinnen und Kattowitz geworden. Er stand in Verbindung mit Widerstandskreisen gegen Hitler und besaß eine Abschrift des umfassenden Stellenplans, den Graf Fritz-Dietlof von der Schulenburg erstellt hatte und der nach dem gewaltsamen Sturz Hitlers umgesetzt werden sollte. Im Jahr 1944 wurde Keßler von seinem Vorgänger in Kattowitz, Ministerialdirigent Faust, der neuer Personalchef des RMI war, nach Berlin geholt, wo er im RMI neben Hans Globke Unterabteilungsleiter wurde und wiederum mit Widerstandskreisen Berührung hatte. Vgl. Fn.343.

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Präsident des Bundesrechnungshofs dem Präsidenten Haaser vorgezogen wurde, ist nicht bekannt. Als der frühere Haushaltsdirektor des RMF, Ministerialdirigent Josef Mayer von Ost-Berlin nach Hamburg floh, fand er ebenfalls Zuflucht im Hamburger Rechnungshof. Ihm wurde in Anlehnung an den früheren Reichssparkommissar Saemisch das Amt eines Sparkommissars übertragen.

In der französischen Besatzungszone entstehen Rechnungskammern Im Sommer 1945 ließ die französische Besatzungsmacht in Karlsruhe eine Rechnungskammer beim Oberregierungspräsidium Pfalz-Hessen mit Sitz in Speyer zu, die zonenübergreifend sowohl für den amerikanischen als auch für den französisch besetzten Landesteil zuständig war. Ihr Leiter wurde der aus dem Reichsfinanzministerium stammende und politisch unbelastete Oberregierungsrat Heinz Maria Oeftering. Er wandte sich am 14. November 1945 an den Präsidenten des Rechnungshofs in Bayern, Cammerer, mit der Bitte, ihm geeignete Prüfungsbeamte zu benennen486. Oeftering wurde später Präsident des Bundesrechnungshofs in Frankfurt/Main. Im Juli 1945 wurde auch eine regional begrenzte Landesrechnungskammer mit Sitz in Koblenz zugelassen. Ab 1. Februar 1946 wurden beide Rechnungskammern zum Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz mit Sitz in Speyer vereinigt. Seine Prüfungskompetenz reichte von der Ahr bis zum Bodensee. Der frühere Leiter der Außenabteilung des RRH in Metz, Dr. Strahl, wurde Direktor im Speyerer Rechnungshof. Am 29. August 1946 nahm in Freiburg die Badische Rechnungskammer ihre Tätigkeit auf. Mit der Leitung wurde Dr. Oswald beauftragt, der der Außenabteilung des RRH in Karlsruhe angehört hatte487.

486 487

Bayr HStA ORH Nr. 610. Amtsblatt 146, S. 105. Die Rechnungskammer begann ihre Tätigkeit mit nur einem Prüfer. Zu den „Geburtswehen“ s. Dommach, Von Potsdam nach Frankfurt, S. 165.

175

In Dresden entsteht der Landesrechnungshof Sachsen In Dresden konnte die ehemalige Außenabteilung des RRH bereits im Sommer 1945 ihre Prüfungstätigkeit unter der neuen Bezeichnung „Landesrechnungshof Sachsen“ wieder aufnehmen 488 . Ein ehemaliges Mitglied erwirkte im Juli 1945 beim Oberbürgermeister der Stadt und bei der Sowjetischen Militäradministration (SMA) noch vor dem Aufbau der Landesverwaltung die Genehmigung zur Wiederaufnahme der Finanzkontrolle. Die Leitung übernahm der bereits pensionierte Staatsminister Friedrich Richter. Das Prüfungspersonal entstammte der bisherigen Außenabteilung des RRH. Es setzte seine Arbeit im gewohntem Stil und auf der Grundlage des fortgeltenden Haushaltsrechts (RHO, RWB, RKO und RRO) fort. Im Herbst 1945 sondierte Dr. Krokisius in Potsdam die Aussichten für die Entstehung einer gesamtdeutschen Finanzkontrolle. Er berichtete am 1. Oktober 1945, dass „die Dinge für die sogenannte Große Lösung gut weiterlaufen“. Präsident Richter wandte sich – wie bereits erwähnt – am 17. Dezember 1945 an den Präsidenten des Rechnungshofs in Bayern mit der Bitte, ihm Fachliteratur zu schicken489. Als Friedrich Richter bereits nach einem Jahr verstarb, folgte ihm im Jahr 1946 als Präsident Dr. Julius Dehner, der bereits im 73. Lebensjahr stand. In der Anfangszeit genoss der Rechnungshof eine gewisse Selbständigkeit. Die sowjetische Besatzungsmacht ordnete nur sporadisch Prüfungen an. Mangels neuen Prüfungsstoffs und wegen fehlender Reisemöglichkeiten widmete sich der Rechnungshof der Vergangenheitsbewältigung und befasste sich mit Haushaltsverfehlungen in den Kriegsjahren 1941 bis 1945. Dabei griff er Korruptionsfälle von Nazigrößen auf, u.a. von Göring als Reichsforstmeister. Spektakuläre Prüfungsergebnisse wurden in der lokalen Presse veröffentlicht. Die Landesverwaltung ließ sich in der Aufbauphase vom Rechnungshof beraten. Im Jahr 1946 ordnete die SMAD an, umfassend nach dem Verbleib des Nazivermögens zu fahnden. Die Prüfungsergebnisse durften nicht veröffentlicht werden, da die Sowjets damit rechneten, dass sich auch russische Stellen solche Vermögen angeeignet hatten.

488 489

Wienrich, Finanzkontrolle in Sachsen, Rechnungshof des Freistaates Sachsen, S. 34. Wittrock in DÖV 1986, S. 330.

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Es gab auch andere Überraschungen. Als der Prüfungsbeamte Hellmut Meier mit dem Fahrrad zu einer örtlichen Prüfung in Meißen bei dem Staatsunternehmen Meißner Porzellanmanufaktur erschien, kündigte ihm der sowjetische Geschäftsführer an, man werde die Schwertersymbole auf dem Porzellan demnächst durch Hammer und Sichel ersetzen. Im Sommer 1948 mussten die Prüfungen plötzlich eingestellt werden. Am 16. August 1949 wurde der Rechnungshof mit der Bekanntgabe aufgelöst, der Rechnungshof habe „aufgehört zu bestehen“, obwohl Artikel 82 der Landesverfassung die Existenz eines Rechnungshofs garantierte490. Seine Aufgaben wurden der Kontroll- und Revisionsabteilung des Sächsischen Finanzministeriums übertragen, die später in die Staatliche Finanzrevision eingegliedert wurde.

In Wien entsteht ein Staatsrechnungshof Nach der Ausrufung der Republik Österreich am 27. April 1945 gehörte der Rechnungshof in Wien unter der Bezeichnung Staatsrechnungshof zu den ersten öffentlichen Einrichtungen in Österreich, die ihre Pforten wieder öffneten. Die vorläufige Verfassung vom 1. Mai 1945 ermächtigte den Staatsrechnungshof „zur Prüfung der Gebarung des Staates, der Länder, der Gemeinden mit über 200 000 Einwohnern und ihrer Betriebe und Anstalten sowie anderer Rechtsträger“. Formell wurde die „Außenabteilung in Liquidation“, die unter Beibehaltung des bisherigen Personals von dem Ruhestandsbeamten Carl Roth abgewickelt wurde, durch das Behördenüberleitungsgesetz vom 20. Juli 1945 aufgehoben. Am 12. Oktober 1945 wurde das Staatsrechnungsgesetz beschlossen. Am 7. Februar 1946 wurden acht Prüfungsbeamte bis auf weiteres vom Dienst suspendiert. Zwei von ihnen übernahm der Staatsrechnungshof im Jahr 1947 wegen Personalknappheit. Der ehemalige MR Marschall wurde Vizepräsident des neuen Rechnungshofs.

490

Gesetz-und Verordnungsblatt Land Sachsen 1949, S. 505.

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Westdeutsche Rechnungshöfe verständigen sich auf ein einheitliches Profil und gründen eine Arbeitsgemeinschaft Am 8./9. September 1947 kam es auf Vorschlag des Präsidenten des hessischen Rechnungshofs, Dr. Boll, zu einer denkwürdigen Tagung in Miltenberg, wo sich Vertreter der meisten in Westdeutschland wiedererstandenen Rechnungshöfe trafen, um über das gesamte Spektrum der zukünftigen Gestaltung der Rechnungsprüfung zu beraten. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass die RHO als gemeinsame „Geschäftsgrundlage“ fortgelten solle, die Unabhängigkeit der Rechnungshöfe und ihrer Mitglieder gewährleistet sein müsse und das Kollegialsystem wiedereingeführt werden sollte.

Kontinuitäten Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Josef Mayer, übernahm den Leiter des Hamburger Rechnungshofs, Haaser, als einfaches Mitglied des BRH. Bei den Mitarbeitern, die er von Hamburg nach Frankfurt mitbrachte, genoss Haaser großes Ansehen. Sie titulierten ihn weiterhin mit „Herr Präsident“. Etliche Führungskräfte aus der Potsdamer Zentrale des RRH, die inzwischen ihr Entnazifizierungsverfahren hinter sich gebracht hatten, wurden ebenfalls in den BRH übernommen. Zu ihnen gehörte Alfred Rausch, der bald Vizepräsident des BRH wurde. Freiherr von Nordenflycht, der nicht der NSDAP angehört hatte, wurde im Jahr 1951 zum Direktor des BRH ernannt. Kurzzeitig gehörte in der Gründungsphase auch Hermann Friedrich Sabath dem BRH als Ministerialrat an. Er hatte vom 1. April 1950 bis ca. 1957 formal eine Planstelle in der Außenstelle des BRH in Bonn, arbeitete aber für die Bundesregierung, die provisorisch im Museum König residierte491. In den BRH wurden auch die Ministerialräte Freiherr

491

Sabath war von 1928–1934 Mitarbeiter des Reichssparkommissars Saemisch, bevor er die Vizekanzlei des Vizekanzlers Franz von Papens geleitet hatte. Bis Kriegsende leitete er im Auswärtigen Amt das Referat Wirtschaft und Finanzen. Im Jahr 1952 ernannte ihn die Bundesregierung zum Kommissar des Auswärtigen Amtes für Kolonialgesellschaften.

178

von Dungern und Dr. Fuchs492 übernommen. Als Fuchs zum Direktor ernannt werden sollte, intervenierte Dr. Duhmer, der mit ihm während des Krieges in der Berliner Gutachterabteilung zusammengearbeitet hatte. Er beschuldigte Fuchs, ihm seinerzeit in Berlin wegen angeblicher defätistischer Äußerungen mit einer Anzeige und dem KZ gedroht zu haben493.

492

493

Fuchs war Gutachter im Sparbüro des Reichssparkommissars Saemisch und in der Gutachterabteilung des RRH. Er konnte musikalische Partituren lesen. Nach Kriegsende wurde Fuchs in den Zonenrechnungshof in Hamburg und anschließend in den BRH übernommen. BAB 106/114582 BRH-Vermerk vom 12.3.1951.

179

Abkürzungen AA AR BA Bayr HStA BDO BdS BRH CdZ DAF DDR DGO DÖV DRT DWB EWZ FinArch n.F. GBW GBV Gestapo GG GKFW GStAPK hfl HSSPF HTO IFZ KDO KKG

Auswärtiges Amt Amtsrat Bundesarchiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv Befehlshaber der Ordnungspolizei Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) Bundesrechnungshof Chef der Zivilverwaltung Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gemeindeordnung Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Revisions-und Treuhand AG (Treuarbeit) Deutsche Wirtschaftsbetriebe (der SS) Einwanderungszentrale FinanzArchiv-Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen – neue Folge Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft in Serbien Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung Geheime Staatspolizei Generalgouvernement (für die besetzten polnischen Gebiete) Generalkommissar für Finanz(en) und Wirtschaft (in den NL) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin niederländische Gulden Höherer SS-und Polizeiführer Haupttreuhandstelle Ost Institut für Zeitgeschichte, München Kommandeur der Ordnungspolizei Kriegskontrollgesetz 180

Kl.Erw KZL LRK MR NL NS NSDAP NSV OKH OKM OKW ORH ORKB ORPA OT PrORK RBfdtK RGBl RFSS RH RHiGG RHO Rk RKF RKNL RKO RKSI RKU RLM RM RMBuM RMEL RMF RMI RMJ

Kleine Erwerbungen (des Bundesarchivs) Konzentrationslager Lettländische Revisionskammer Ministerialrat Niederlande Nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberkommando des Heeres Oberkommando der Marine Oberkommando der Wehrmacht (Bayerischer) Oberster Rechnungshof Oberste Rechnungskontrollbehörde (für Böhmen und Mähren) Oberstes Rechnungsprüfungsamt (im GG) Organisation Todt Preußische Oberrechnungskammer Reichsbeauftragter für den totalen Kriegseinsatz Reichsgesetzblatt Reichsführer SS Rechnungshof Rechnungshof im Generalgouvernement Reichshaushaltsordnung Reichskanzlei Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete Reichskommissar Ostland Reichskontrollstelle Iglseder des RKNL Reichskommissar Ukraine Reichsluftfahrtministerium Reichsmark Reichsministerium für Bewaffnung und Munition Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsfinanzministerium Reichsministerium des Inneren Reichsministerium der Justiz 181

RMRK RMO RMWI RPBM RPG(O) RRH RRO RSHA RSK RWB SMAD SBZ SD SiPO SS SSPF StS Treuarbeit uk VfZ VO VoBl VOMI VVRA WHW WVHA ZI ZJA

Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete(Ostministerium) Reichsministerium für Wirtschaft Reichsprotektor für Böhmen und Mähren Reichsprüfungsgesellschaft (für die besetzten Ostgebiete) Rechnungshof des Deutschen Reichs(Reichsrechnungshof) Rechnungslegungsordnung für das Reich Reichssicherheitshauptamt Reichssparkommissar Wirtschaftsbestimmungen der Reichsbehörden Sowjetische Militäradministration für Deutschland Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst des RFSS Sicherheitspolizei Schutzstaffel der NSDAP SS und Polizeiführer Staatssekretär Deutsche Revisions-und Treuhand AG unabkömmlich Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Verordnung Verordnungsblatt Volksdeutsche Mittelstelle Vermögensverwaltungs- und Rentenanstalt (niederländische Stiftung) Winterhilfswerk Wirtschaftsverwaltungshauptamt (der SS) Zloty Zentralstelle für jüdische Auswanderung (in Prag)

182

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188

Personenregister Adenauer, Konrad Bach-Zelewski, Ludwig von dem Beauvais Becker, D. von Behr, Heinrich von Best, Werner Biebow, Hans Bierstedt, Kurt Blankenburg, Waldemar Blauert, Wilhelm Block Blomberg, Werner von Boll Bormann, Martin Braun, Hans Bruns, Karl Buerckel, Joseph Cammerer, Friedrich Conrad, Herbert Dehner, Julius Dietsch, Konrad Draht, Erwin Duhmer, Wilhelm Dungern, Friedrich von Egidi, Hans Elfert, Friedrich-Wilhelm Ender, Otto Erler, Franz

174 58 125 162 151 107 86 32, 43 171 91–93 139 24 178 24, 33, 34, 57, 65, 73–75, 102, 127, 143, 148 101 153 145 171, 172, 175 45, 109 176 171 110 32, 179 179 174 154 47, 48 144 189

Fabricius, Hans-Eugen Finck, Karl Wilhelm, Graf von Fischböck, Hans Fischer, Rudolph Frank, August Frank, Hans Freisler, Roland Frick, Wilhelm Friedrich Wilhelm III Friedrich, Werner Friesecke, Johannes Fuchs, Arthur Globke, Hans Globocnik, Odilo Goebbels, Josef Goerdeler, Carl-Friedrich Gollwitzer, Helmut Göring, Hermann Grauert, Ludwig Gross, Viktor Grünbaum, Kurt Haaser, Franz Haenssgen, Herbert Hanke, Karl Härtig, Hermann Hartmann, Alfred Hawranek, Hanns Heinig, Kurt Heß, Rudolf Heydenreuter, Reinhard

148 74 101 161, 169 120 90–92, 132 37, 131 38, 51, 69, 111 66 33, 61, 62, 79, 99, 100, 102–106, 110, 152, 153, 169 82, 155 52, 161, 173, 179 174 119, 139, 140 108, 126, 127, 131, 146, 148, 150,157, 158, 166 37 44 29, 32, 35, 50, 79, 80, 92, 97, 98, 104, 107, 108, 132, 149, 176 50 35, 48, 70, 71, 95 33, 74 30, 153, 167, 168, 173, 175, 178 117, 118 34 153 71, 95 52, 118 29, 40 127, 185

190

Heydrich, Reinhard Hillebrecht, Arno Himmler, Heinrich Hinz, Bruno Hitler, Adolf

Hofacker, Cäsar von Hoffmann, Heinrich Hofmann, Hans-Otto Hohenlohe-Langenburg, Gottfried Prinz zu Horak, Vladimir Hörig, Rudolf Iglseder, Aldoff Imhoff, Karl, Freiherr von Kaiser, Jakob Kallenbach Kaltenbrunner, Ernst Kamptz, Jürgen von Karoli, Hermann Karoli, Richard Kaufmann, Kurt Keitel, Wilhelm Kempner, Robert Keppler, Wilhelm Keßler, Erich Killy, Leo Klopfer, Gerhard Klusemann, Max Knebel, Richard Koch, Erich

93, 95, 97 56, 57, 59, 117, 118, 125–127, 129, 141, 148, 149, 165, 171 55, 57, 81, 105, 118, 121, 126, 127, 138, 141, 148 78 24, 38, 39, 41, 46–51, 54, 55, 66, 83, 90, 101, 111, 121, 128, 131, 132, 136, 143, 144, 146, 157, 164 130 41 147, 171 134 95 35, 153 103 33 169 105 55 95 61 60 44 37 125 26 173, 174 54, 59, 70, 102, 111, 113, 141, 144, 150 125, 127 71, 159 60, 119, 120, 138 29, 33, 80, 81, 132

191

Koppenberg, Heinrich Kriebel, Karl Theodor Krokisius, Leo Lammers, Hans Heinrich Lohse, Heinrich Lörner, Johannes Georg Ludwig Lutz, Georg Marschall, Josef Mattick, Hubert Mayer, Josef Meier, Hellmut Merckens, Reinhold Milch, Erich Moser, Walter Mühlmann, Kai Muhs, Karl Müller, Heinrich (Heinz)

Mussehl, Fritz-Leberecht Nieden, Wilhelm zur Nordenflycht, Ferdinand, Freiherr von Oeftering, Heinz, Karl-Maria Ohnesorge, Karl Wilhelm Oswald, Otto Panzeram, Walter Peucker, Herbert Piesbergen, Hans

162 50 153, 176 24, 41, 45, 46, 102, 109, 111, 113, 137, 142, 143, 148 132, 133 120 64 171 71, 177 120 59,65,75,89,149,169,174,178 177 101, 104 106 89 92, 104, 108 154 27, 31, 33, 38–41, 45, 50, 51, 54– 57, 59–61, 63, 64, 66–71, 73–78, 80–82, 90, 92–96, 99, 101, 102, 106, 107, 110–115, 117, 119, 123– 127, 130, 133, 134–136, 141–147, 148–151, 154–156, 158, 159, 163–166 30, 46, 48, 50, 51, 55, 57, 59, 60, 70, 83, 112, 128–131, 150, 157, 158, 160 38 32, 169, 178 175 38, 40, 41, 83 175 32, 173 138, 174 103

192

Pohl, Oswald Popitz, Johannes Posser Pothmann, Ute Rahn, Rudolf Ranke-Bäcker, Gisbert von Rausch, Alfred Reiner, Rolf Reinhardt, Fritz Renner, Ludwig Reuter, Friedrich Ribbentrop, Rudolf von Richter, Friedrich Roeder, Bruno Rosenberg, Alfred Roth, Carl Rübensack Sabath, Hermann-Friedrich Saemisch, Friedrich, Ernst-Moritz Schäffer, Fritz Schlange, Ernst Schmalbruch, Julius Scholz Schulenburg, Fritz Dietlof, Graf von der Schwaedt, Friedrich Schwarz, Franz-Xaver Schwerin von Krosigk, Lutz Graf Simson, Arthur Seyss-Inquart, Arthur Siebert, Ludwig

36, 60 27, 36, 37, 46, 50, 52 50 187 152 37 124, 134, 173, 178 26 33, 35, 49, 50, 51, 54, 55, 73–75 31 144 35, 60, 157, 158 176 35 132, 133, 135 177 95 178 24–30, 32, 33, 35–37, 39, 40, 42, 44–46, 48– 52, 54, 55, 57, 58, 60, 67, 73, 117, 118, 129, 164 171 50 92 108 128, 130, 174 32 28, 38–40, 57, 117, 126, 141, 142, 164 31, 48, 52, 86, 134 23 38, 48, 101 – 105, 151, 163 68, 172

193

Sommer, Walther Speer, Albert Sperrle, Hugo Spielhagen, Wolfgang Spindler, Alfred Stempel, Kurt, Baron von Stengel, Emil Stolz Strahl, Richard Streicher, Julius Stuckart, Wilhelm Terboven, Josef Thomas, Max Todt. Fritz Unruh, Walter von Vrtar, Stjepko Wagner, Guido Wagner, Rudolf Weinert,Rainer Wirmer, Josef Wisotzky, Karl Zott, Hans

75 62, 64 123 34 90, 91 32 48, 59, 60, 70, 72, 91, 99, 106, 118, 129, 136, 142, 148, 149, 156, 160, 161, 168 132 34, 124, 175 68 112, 128 107, 108 140, 141 63, 98, 130 59, 83, 128, 131, 136, 137, 157, 166 115 71, 172 33, 68 166 174 153 68

194