Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege: Ein Bekenntnis [Reprint 2020 ed.] 9783112341841, 9783112341834

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Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege: Ein Bekenntnis [Reprint 2020 ed.]
 9783112341841, 9783112341834

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DIE DEUTSCHE KUNST UND DIE DENKMALPFLEGE Ein Bekenntnis von PAULCLEMEN

19 3 3 DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN

MEINER LIEBEN FRAU

der tapferen Helferin der treuen Beraterin

INHALT Vorwort............................................... .......

. VII

Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege

.

Don der Symbolik des Denkmalbegriffs S. 3.

I

Von gewollten und ungewollten, von

lebenden und toten Denkmälern S. 8. Vom Ruinenbegriff S. io. jGefahrzone der toten

Denkmäler S. 14. Vom rechtlichen Denkmalbegriff S. 16. Soll und Haben der Denkmal­ pflege S. 18. Die Denkmalpflege und die kunsthistorische Wissenschaft S. 21. Die prak­ tische Denkmalpflege S. 24. Immanente Idee der Denkmalpflege S. 26. Don der Technik

des Konservierens S. 29.

Restaurieren? S. 35.

Erhallen und Instandsetzen S. 32,

Vom Sterben der Bauwerke S. 40.

Konservieren — nicht

Vom Sterben der Mo-

numentalskulpturen S. 44. Rangordnung der Denkmäler S. 48. Epilog S. 51,

Die Denkmalpflege und die Forderungen deS TageS

. 53

Bon den letzten Zielen der Denkmalpflege

. 63

....

Die Gefährdung des deutschen Kunstbesitzes Kriegsdenkmalpflege..............................................

• 73 .

. 89

Erhaltung der Grabdenkmäler und Friedhöfe

. 109

Mitternachtsgespräch im Naumburger Dom

. 127

Druck von 3.3 Augustin Glückstadt. Papier Scheufelen Oberlenningen

VORWORT

VII

Dieser schmale Band möchte ein Bekenntnis des Verfassers zu der überzeitlichen Be­

deutung und dem Symbolgehalt der Denkmäler der deutschen Kunst sein, ein aus heißer Liebe zu dieser Welt geborener Aufruf zur Fürsorge in Forschung und Pflege, die aus

dem Bedürfnis dieser Tage eine dreifach heilige Pflicht ist, aber auch eine Darstellung

deS Problematischen, deS Zwiespältigen, deS Zweifelerfüllten, daS dies Thema not­ wendig einschließt, der Kämpfe eines Menschenlebens um die immanente Idee der

Denkmalpflege, um ihre Reinigung und ihre Ausweitung. Dies Büchlein will das Bekenntnis sein, baß die Arbeit der Denkmalpflege, wie wir sie aufgefaßt, wie wir sie zu üben, zu lehren, zu verteidigen gesucht haben, von je nichts anderes war und sein wollte als Dienst an der Nation. Es will die nie verstummende Aus­ einandersetzung zwischen den Forderungen deS Lebens und der historischen Werte zeich­

nen, die ewig sich erneuernden Gegensätze zwischen der beglückenden reinen Theorie

und der durch unzählige Rücksichten gebundenen ausübenden Praxis. Die hier ver­ einigten unter sehr verschiedenen Vorzeichen stehenden Aufsätze sollen gemeinsam zeigen,

baß all daS, was wir unter dem Begriff Denkmalpflege verstehen, nur ein Kapitel, ein

Ausschnitt aus der Entwicklung der lebendigen Kunst ist, ihr Spiegelbild, ihr Echo, daß

eS auch keine alte und keine neue Schule der Denkmalpflege gibt, sondern nur die natür­ liche Abfolge der Generationen und daS heraklitische: Alles fließt. Ein Appell und eine Warnung an die sich Versagenden und an die HerzenSträgen unter den Fachgenoffen will dies Buch zum Schluß sein. Es sind gerade vierzig Jahre her, baß ich als erster

Provinzialkonservator in der Rheinprovinz berufen ward, der ich heute noch biene, breiunbdreißig Jahre, daß ich erst als stellvertretender Vorsitzender deS alten Tageö für

Denkmalpflege, bann als einer der beiden Vorsitzenden deS vereinigten TageS für

Denkmalpflege und Heimatschutz einen guten Teil meiner Kraft der Sache der Denkmal­

fürsorge in Deutschland gewidmet habe —so darf ich vielleicht in aller Bescheidenheit für mich in Anspruch nehmen, baß ich eine lange Wegstrecke dieser Entwicklung zu über­

sehen imstande bin. Der ersten Stimme, die, ach so gern, nur bejahen möchte, antwortet in der eigenen Brust die zweite Stimme, nicht die eines Skeptikers, nur die des nüchtern Überlegen­

den, der alle Hemmungen und Einwände aufzählt. Am liebsten würde der Autor dies Thema, daS etwas von den Schicksalsfragen der deutschen Kunst und der deutschen

Kunstwissenschaft umfaßt, mit verteilten Rollen durch Sprecher aus ganz verschiedenen Lagern behandelt haben, wie er daS im Vorjahr für die Sorgen der lebendigen Kunst

in einem Büchlein „Kunst und Künstler in Not" getan hat. Hier müßten als dramatis

personae auftreten: ein Kunstgelehrter —ein schaffender Künstler — und endlich ein unbelasteter, nicht gebundener weiser Führer und Erzieher deS Volkes, der die Forderung

VIII

VORWORT

des Tages, das Heute wie bas Morgen hört, dem diese ganze geformte Welt Symbol für das Schicksal und die Sendung seiner Nation ist.

An den ersten Abschnitt, der, im Sommer 1932 entstanden, jetzt nur seine abschließende Form erhalten hat, sind zwei Ausschnitte aus den Begrüßungsansprachen angefügt, mit denen ich 1928 und 1930 als Vorsitzender des Tages für Denkmalpflege und Heimat­

schutz die Tagungen in Würzburg und in Köln eröffnet habe — sie ergänzen baö Bild

von dem Programm der Denkmalpflege aus den Forderungen des Augenblicks heraus. Absichtlich ist dann aus dem Vortrag über die Entwicklung und die Ziele der Denkmal­ pflege in Deutschland, mit dem ich 1911 die gemeinsame Tagung für Denkmalpflege

und Heimatschutz in Salzburg eröffnete, die grundsätzliche Darlegung über die Ziele

der Denkmalpflege in der um mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Fassung ge­ geben. Ich darf mich auch heute noch zu dieser bekennen. DaS nächste Kapitel behandelt

die Gefährdung des deutschen Kunstbesitzes —was ich auf der Tagung in Eisenach 1920 ausführen konnte, hat heute — mit Schmerz und Beschämung müssen wir eS fest­

stellen — noch und wieder die gleiche Geltung, und der Ruf nach Abhilfe klingt heute so laut wie damals, geht ins Leere so gut wie damals, auf den damals verheißenen

Schutz warten wir heute noch — wie lange noch? Ein größerer Aufsatz bringt bann zusammenfaffend das Thema der KriegSbenkmalpflrge — deS für uns nun schon

historisch gewordenen Begriffs Kriegödenkmalpflege, wie ich sie auf der Grundlage meiner KriegSarbeit im Dienste der obersten Heeresleitung und meiner Kriegs- und

NachkriegSpublikationen darstellen konnte, und einen Ausblick in die Zukunft, den man voll Grauen nur als im Bereich des Irrationalen liegend erhoffen möchte. Wie ein

Paradigma für die Nutzanwendung unserer Lehre ist ein Kapitel über den Schutz der

Grabdenkmäler und Friedhöfe hier eingefügt; an dem Einzelfall ist der Widerstreit der idealen Forderung und der nüchtemen Wirklichkeit abzulesen. Am Schluß ist der Versuch gemacht, die Symbolik eines der heroischen Wunderwerke der großen deutschen Plastik

des Mittelalters, der Naumburger Stisterfiguren, zu deuten—ganz von selbst nahm die Sprache hier eine Form an, in der sie, jenen selbst das Wort gebend, etwas von dem

Mythos dieser Steinbilder festhallen zu können glaubte. Und nun mag an dem Ausgang dieser Vorbemerkung das aus tiefstem Mitempfinden mit der geheimnisvollen Magie dieser Denkmälerwelt gewachsene, hoffnungöstark in

die Ferne weisende Wort deS Führers aus diesem Frühling stehen: „Wir wollen wahren die ewigen Fundamente unseres Lebens, unser Volkstum und die ihm gegebenen Kräfte und Werte, wir wollen die große Tradition unseres Volkes, seiner Geschichte und seiner

Kultur in demütiger Ehrfurcht pflegen als unversiegbare Quellen einer wirklichen inne­

ren Stärke und einer möglichen Erneuerung in trüben Zeiten." Bonn, im Juli 1933

Paul Clemen

DIE DEUTSCHE KUNST UND DIE DENKMALPFLEGE

Der nachfolgende Aufsatz möchte die Grenzen deS ganzen geistigen Gebietes abstecken, das wir

unter dem Namen Denkmalpflege verstehen, er enthält dabei eine Reihe von Gedanken, die ich schon früher und wiederholt an den verschiedensten Stellen geäußert habe. Der erste Unterabschnitt deckt

sich in einzelnen Teilen mit der Rede, die ich am i8. Januar 1933 über den Denkmalbegriff und seine Symbolik zu der Feier der Wiedererrichtung deö Kaiserreiches in der Aula der Universität

Bonn gehalten habe (gedruckt in den Bonner akademischen Reben, Heft 15,1933, Verlag Gebr.

Scheur). DaS in dem Vorwort angezogene Schriftchen: Kunst und Künstler in Not, ein Dreigespräch, ist 1932 im Verlag von E. A. Seemann in Leipzig erschienen.

3

Nun s«i gegrüßt in Deinem Adel, mein Vaterland ... SchLpferischer, o wann, Genin« unsre« Volk«,

Wann erscheinest Du ganz, Seel« de« Vaterland«,... .... wenn unsre Städte nun Hell und offen und wach, reineren Feuer« voll. Und die Berge de« deutschen Lande«

Berg« der Musen sind. Hölderlin

ES sind zwei ganz verschiedene Wort- und Begriffsbildungen, die hier einander gegen­ übergestellt erscheinen — auf der einen Seite der ganze Reichtum der bildenden Kunst

auf deutschem Kulturboden durch fast zwei Jahrtausende, ihre Äußerungen in allen formalen Sprachen — auf der andern Seite ein Transitivum, das bas Verhältnis der

Nachlebenden jener unübersehbaren Fülle gegenüber als Objekt auSdrücken will, ihr Verpflichtungsgefühl in Schutz, Erforschung, Deutung, Erhaltungsmaßnahmen jeder

Art. Die eigentlichen Gegensätze würden sein: künstlerisches Schöpfertum und denkmal­ erhaltende Arbeit. Diese beiden Begriffe sind an sich unvergleichbar — der erste ist

wohl die Voraussetzung des zweiten, von der der zweite lebt, dem sein heißes Bemühen gilt, aber der immanente Genius, der in dem ersten Wort wirkt, scheint dem Geist der zweiten Wortbildung sich abweisend entgegenzustellen. Ist eS ein Nebeneinander, ist es eine Antithese? Sofort stehen wir vor der ganzen schmerzhaften Problematik um den

Begriff der Denkmalpflege. VON DER SYMBOLIK DES DENKMALBEGRIFFS

Denkmal — „ein von Menschenhänden zur dauernden Erinnerung an Gott, an be­

rühmte Menschen oder an große Vorgänge geschaffenes Werk" (auch schon nach der Definition in DiderotS und d'AlembertS Encyclopädie) — dies gibt doch nur zur Hälfte

das, was wir unter dem Begriff Denkmal verstehen: was uns an Werken von Menschen­

hand Träger einer hohen Symbolik, einer übernatürlichen Magie, einer geheimnisvollen

Vorstellungswelt, Verkörperung geheiligter religiöser Empfindungen, ehrwürdiger ge­

schichtlicher Erinnerungen, Wecker von unö teuren Stimmungsmomenten ist, was endlich durch die künstlerische Gestaltung schon, im Großen wie im ganz Bescheidenen, Bezauberung, Erhebung, Beglückung irgend welcher Art auszulösen vermag.

Unter all den Sprachen des gehobenen Seelenlebens ist es allein der bildenden Kunst verliehen, in der knappsten Formel und im Gewände des Symbols die bestimmenden Schicksale der Vergangenheit wie die Erlebnisse der großen Erregungen festzuhalten.

Hier ist alles gedrängt und erschöpfend gegeben; mit einem einzigen Blick des Auges,

das zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt ist, wird umspannt und ausgenommen, waS Geschichte, Dichtung, auch Musik erst langsam erstehen, Wiedererstehen lassen

i*

4

SYMBOLIK DES DENKMALBEGRIFFES

müssen. Und es ist die geheime Kraft der Werke dieser Kunst, baß sie ihre lebendigen

Wirkungen in ganzer Unmittelbarkeit ausstrahlen lassen dürfen, wenn der Name ihrer

Schöpfer längst vergessen ist. Durch zwölf Jahrhunderte im Westen, durch acht Jahrhunderte im Osten ist die

deutsche Geschichte in Kirchen und Klosteranlagen, in Durgen und städtischen Reprä-

sentationöbauten, in einer unerhörten Zahl von Schloßanlagen und Bürgerhäusern ge­ schrieben, ist dazu baS Werben des deutschen Menschen und der deutschen Seele in einer unübersehbaren Reihe von Bildwerken gezeichnet, die nur gelesen werben müssen, die

ihre Deutung von selbst darbieten. An die Spitze seiner Geschichte der deutschen Kunst hat Georg Dehio prophetisch. Vieles, was heute erst lebendig und erkennbar wird, voraus ahnend, das Wort gesetzt: „Mein wahrer Held ist baS deutsche Volk. Ich gebe deutsche

Geschichte im Spiegel der Kunst, in diesem Selbstbekenntnis des deutschen Innenlebens,

das über bestimmte Seiten desselben mehr und deutlicher auszusagen hat, als irgend eine andere Quelle." Ist nicht die Kaisergeschichte deü alten Reichs für uns eindrucksvoller als in den

Schriftdenkmälern in den Kaiserpfalzen von Aachen, Nymwegen, Ingelheim, von Goslar, Kaiserswerth, Gelnhausen, Eger, Wimpfen geschrieben, die Dischofsgeschichte

in den Domen vom niederen und mittleren Rhein, von Westfalen und Obersachsen, von Franken, Schwaben und Bayern, die Entwicklung der deutschen Städte ablesbar

an den Stadtbildem von Köln und Sttaßburg, von Frankfurt, Nürnberg, Augsburg,

der Aufstieg der deutschen Hansa im Wettstreit mit anderen Gewalten an den Bauten von Bremen und Hamburg, Lübeck und Danzig, die ganze Geschichte beS Geistes deS

Barock wie deö Klassizismus uns überliefert in den Schloßbauten deS südlichen und mittleren Deutschlandö,vonWien nachWürzburg, von Dresden bis Berlin und Weimar?

Wenn heute ein sichtbares Symbol für ein Land oder eine Stadt gesucht wird, das etwa in den großen zum Teil mit hoher Kunst der Komposition und der Fernbild­ wirkung hergestellten Werbebilbern auf Bahnhöfen und an allen Verkehrszentren zu

uns spricht, bis auf die bescheidenen Wohlfahrtsmarken, so sind eS überwiegend monu­ mentale Bauten, daneben auch plastische historische Einzelbenkmäler wie etwa für Ber­

lin, Bamberg, Bremen, Düsseldorf, die alSJedem verständliches Wahrzeichen gewählt werben, in viel geringerem Umfang landschaftliche Bilder, Ausschnitte und das, was wirNaturdenkmäler nennen. Warum gerade diese als sprechende Träger der alten und

ewig sich emeuemden Symbolik gewählt sind?—weil in ihnen die auch auf die breiteste

DolkSmaffe am stärksten wirkende sichtbare Verkörperung der Seele eines ganzen Stammes, eines Stadtbildes gegeben ist.

Bei der Rückbesinnung auf die Quellen unserer Volkökraft, auf die Verpflichtung, die in der historischen Überlieferung unS auferlegt ist, stellen auch über die großen

DER GESCHICHTLICHE DENKMALBEGRIFF

5

nationalen und der Weltkunstgeschichte angehörenben Denkmäler hinaus die Wahr­ zeichen der städtischen Macht und Größe, der opferwilligen Frommheit ganzer Jahr­ hunderte, der Wehrhaftigkeit und beS Reichtums alter Geschlechter die sichtbaren Sinn-

bilder dar, die für di« ganze Bevölkerung verständlich daS lebendige auö der großen

Vergangenheit und ihren Reservoirs geheimer Mächte gespeiste Gewissen verkörpem — Träger des Gefühls berPietät, der Ehrfurcht, der Bobenverbunbenheit auch im kleinsten

Kreis und im kleinsten Maßstab. Ein einsames Befestigungstor, ein Stück Stadtmauer, eine alte Kirche oder nur ein Rest davon, Tunn ober Chor in einen Erweiterungsbau aus­

genommen, oder auch nur ein vereinzeltes Bildwerk sind wie die Adelspartikel einer

alten Familie, lösen eine Fülle von rückwärtsgewandten Gedanken und Empfindungen aus und mit dieser Welle das Bewußtsein der Verpflichtung, Mahnung und

Warnung zugleich. Sind in unserer bewegten Zeit, eben in diesem Augenblick, solche Symbole nicht vielleicht wichtiger als je, haben sie nicht mehr Anspruch auf Schutz und Pflege als je, weil sie mehr zum Reden berufen sind als je? Und sind nicht diese steinernen Urkunden vielfach lebendiger als die in Worten ge­

schriebenen, zumal für ein Jahrhundert, in dem die Neigung zur Lektüre historischer Darstellungen —ungleich dem vorangegangenen —mit der Kunst des langsamen und

besinnlichen Lesens sichtlich auszusterben scheint? Hier scheidet sich der geschichtliche

Denkmalbegriff von dem Begriff der kunsthistorischen Urkunde. Nicht die hohe oder

niedere kmrsthistorische Zensur, die wir irgend einem Kunstwerk aus genetischen und formalen Gründen in der Entwicklung seiner Gattung geben zu sollen glauben, ist hier

daS Entscheidende, sondern die Fülle der assoziativen Vorstellungen, der Erinnerungen

und Gedanken, die im Bereich des Bewußten wie deS Unbewußten unlösbar mit einem Werk verknüpft sind, die seine geheime Musik in unserer Seele bestimmen, die Welt deS Symbolischen, der Mythoö. Bei einer lediglich künstlerisch-kunstgeschichtlichen Würdigung würde die Außen­ architektur deö Kölner Domes in einer Darstellung der Geschichte der deutschen Gotik

vielleicht eine nur bescheidene Rolle spielen, da doch zwei Drittel seiner Außenerscheinung durch die gedankenarme doktn'när-korrekte Neugotik bestimmt sind — wenn der Dom eben nicht das eigentliche Wahrzeichen der Stabt mit den drei Kronen und des ganzen Niederrheins wäre, das steinerne Gehäuse für die kostbarste ihrer Reliquien, die Leiber

der drei Könige, daS Symbol deS Traumes von der ganzen wiedererstandenen mittel­ alterlichen Herrlichkeit, Denkmal der nie zu vergessenden frühesten Einigkeit und beS

BrubersinnS aller deutschen Stämme in einer Tat (nach den Worten Friedrich Wil­

helms IV.) geworben wäre. Und daS Straßburger Münster — das immer von unserer Sehnsucht umworbene,

unö heute, seit eS unS genommen, doppelt und mit menschlichen Worten nicht aus-

SYMBOLIK VON MONUMENTALBAUTEN

6

zudrücken schmerzhaft teuere — ist der Bau mit seinen Bildwerken und die Stadt zu seinen Füßen für uns nicht ganz in die Welt des Mythos eingegangen:

Gramvolles Wunder unseres Horizonts, Geliebteste, wo deine ewige Nadel Sich bohrt in unseren Himmel, unser Herz,

Stadt unserer Buße... So klingt eS,

unser Innerstes aufwühlend, in feierlichen Rhythmen aus den

Straßburg Liebem von Ernst Bertram.

Wer von den heldenhaften Hochmeistern des deutschen Ordens lebt denn wirklich noch in dem Gedächtnis nicht nur Deutschlands, fondem auch des deutschen Ostens — aber

die Marienburg steht vor unser aller Augen als das nie zu vergessende Gesamtdenkmal der Geschichte deS Ordens, in das alle unsere Vorstellungen von Herrlichkeit, Heldentum

und Hoffnungen des Ostens eingegangen sind. Hinge nicht über Heidelberg

.... schwer in das Tal die gigantische schicksalSkundigc Burg wie Hölderlin singt, erzählten nicht in Speyer der Dom und die geschändete Kaiser­

gruft ihre PassionSgeschichte, vielleicht wäre die Mär von dem LiebeSwerben Lud­

wigs XIV. um die Pfalz mit der Brandfackel schon sehr viel früher, viel zu früh vergessen worden.

Ist eS überhaupt nötig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen als auf ein allzu Be­ kanntes, daß doch alle Völker des Altertums von den Ägyptern an, wie auch die alten

Völker Ostasiens oder aus den Ländem der Mayakultur bewußt durch die Riesen­ haftigkeit und die Ungeheuerlichkeit ihrer Bauten ihr Gedächtnis mit EwigkeitSglanz

zu umgeben gesucht haben? War der Wunsch, solche steinerne Zeugen deS eigenen Ge­ schlechts zu hinterlassen, nicht neben dem Ziel und der Aufgabe, zu Ehren der Götter und

später der Kirche und ihrer Heiligen zu schaffen, Anlaß und Antrieb all der großen Bau­ unternehmungen, Quelle deS BaurauscheS, der Daubesessenheit noch im 18. Jahrhundert?

Auf einem der Obelisken der Hatschepsut in Karnak bekennt die Königin, daß sie das Obeliskenpaar errichtet habe, „damit ihr Name bauernd bleibe in diesem Tempel immer

und ewiglich" — und auf den Tempel in Luksor hinweisend sagt Amenophis Hl.: „Wenn das Volk ihn sieht, soll eS seine Majestät preisen." AuS deS alten Cosimo Medici

Worten klingt eS: „In fünfzig Jahren wird von dem Besitz und der Herrlichkeit des Hauses Medici nur übrig sein, waS ich gebaut habe." Als eS sich um den Bau der

Kartause bei Florenz handelt, schreibt in der Mitte des 14. Jahrhunderts Niecolo Accia-

juoli: „Waü mir Gott gegeben, geht an meine Nachkommen über und ich weiß nicht

SYMBOLIK VON MONUMENTALSKULPTUREN

7

an wen, nur dieses Kloster mit seinem Schmuck gehört mein auf alle Zeiten und wird meinen Namen in der Heimat grünen und bauern machen, und wenn die Seele un­

sterblich ist, wie Monsignore der Kanzler sagt, so wird meine Seele, wohin ihr auch be­

fohlen werde zu gehen, sich dieses Baues freuen." Und im Weißkunig steht bas Wort

Maximilians: „Wenn ein Mensch stirbt, so folgt ihm nichts nach als seine Werke; wer sich in seinem Leben kein GebächMiS gesetzt, der hat auch nach dem Tode kein Gedächtnis,

und man wird ihn vergessen wie einen Glockenton." Wie Bildwerke aus einer ganz andern Welt und einer ganz andern geistigen Sphäre

auf dem Umwege über die nur-kunsthistorische Betrachtung, die Kunstphilologie in die Hermeneutik einer großartigen Kunstmythologie, in eine ganz andere Vorstellung hineinwachsen (rote Heinrich Lützeler diese beiden Pole genannt hat) — zeigt kein Bild­

werk deS deutschen Mittelalters so lebendig in beispielhafter Form wohl wie der

Bamberger Reiter, keines ist in den letzten Jahrzehnten so für uns zum Mythos ge­

worden wie dieses. Alles von der geheimen Sendung und den entfesselten Kräften des Nordvolkes liegt in ihm beschlossen: das heroisch und kriegerisch Gespannte, daS adlig

Sichere und Selbstbewußte, das in endlose Fernen ttäumend, prophetisch Blickende, daS Rätselvolle, dem HanS Naumann jüngst im äußeren Rahmen aus Gottfrieds Tristan, in tiefer Schau aus Wolframs Parzival ein Spiegelbild gezeichnet hat; daS geheimnis­

volle Thema dieses Reiters hat Lothar Schreyer, der Neudeuter der deutschen Landschaft, in einem eigenen Büchlein auSgesponnen. — Und hat der Bamberger Künstler diesem aus äußerlicher Reimser Anregung geborenen Werk nicht auch daS Tiefste von dem ver­ liehen, waS Nietzsche den germanischen LebenSernst genannt hat, verbindet sich mit ihm

nicht auch die Vorstellung von Dürers Ritter, Tod und Teufel? So sehen wir ihn ... herab vom Roß

Stteitbar und stolz als königlicher Franke — wie es aus einer der Tafeln in Georges Siebentem Ring klingt. Edelste Form der

Vermählung eines Bildwerks von höchstem Rang mit der tiefsten und vielseitigsten

Symbolik — und dazu ein ungewolltes Denkmal im Rieglschen Sinne; erst unser Jahrhundert hat eS mit seiner Vorstellungöwelt erfüllt und als Wunschbild für sich gebeutet.

Als Paradigmen für die ganze Gattung der gewollten Denkmäler darf man, wenn

wir weiter unseren Blick nur auf die plastische Welt n'chten wollen, eine große Gruppe gleichartt'ger historischer Bildsäulen nennen, die über ganz Norddeutschland verbreiteten

Rolandsäulen, Sinnbilder der Marktfreiheit, deS Marktbannes, wie der städtischen Sonderrechte — von Roland dem Riesen am Rathaus zu Bremen, dem mit seinem

Aufsatz fast zehn Meter hohen Bildwerk deS gotischen Ritters, dem Vorgänger und

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GEWOLLTE UND UNGEWOLLTE DENKMÄLER

Ahnherrn beö Ledererschen Bismarcks, bis zu den wiederholt ersetzten Steinbilbem in

Brandenburg, Stendal, Halle, Belgem oder endlich den einfachen Holzschemen in Potzlow und Questenberg, alle aber Träger der gleichen Symbolik und an ihrem Platze

deswegen ehrfürchtig zu umsorgen und zu hüten, auch im erneuerten Gewand, weil hier die zündende Idee, nicht die zeitliche Hülle das Wesentliche ist.

Nicht der absolute und nicht der relative Kunstwert ist hier daS Bestimmende, sondern der symbolische Gehalt. Trifft das nicht auch den hl. Theodoros auf dem Krokodil, der auf der Piazzetta von Venedig zur Seite beS Löwen von San Marco aufgestellt ist, als statuarisches Werk wohl etwas Gleichgültiges, aber der alte Schutzpatron der Lagunen­ stadt und ein unverrückbares weithin leuchtendes Wahrzeichen? Gilt daS nicht auchvon

Ernst Bändels Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, das in der Geschichte der

deutschen Denkmalplastik sicher nur einen bescheidenen Platz beansprucht, daS aber nicht wie der große Herkules von WilhelmShvhe unS nur als ein bergbekrönendeö deko­

ratives Kunstwerk erscheint, sondern als Träger einer hohen nie zu vergessenden Sym­

bolik für uns etwas unendlich Ehrwürdiges geworden ist? Die Denkmäler der französischen Könige sind von der großen Revolution zertrüm­

mert, die Dendümesäule von der Kommune umgestürzt, die Hohenzollernstandbilder in den Reichölanben von der Novemberrevolution, in den östlichen Provinzen von dem

polnischen Haß zerstört, die Denkmäler der Romanows von der russischen Revolution auSgerottet wie schon vierhundert Jahre früher Leonardos Sforzadenkmal in Mailand,

Michelangelos Juliusstatue in Bologna vernichtet sind, weil die Zeit ganz ausschließlich ein historisches Symbol, in diesem Fall daS Symbol einer gefürchteten oder einer ver­

achteten feindlichen Macht dann sah, ganz den über den Jahrhundertwert erhabenen Begriff des großen Kunstwerkes vergaß.

VON GEWOLLTEN UND UNGEWOLLTEN VON LEBENDEN UND TOTEN DENKMÄLERN WaS wir heute unter dem Begriff des Kunst- und histon'schen Denkmals verstehen, waS in der französischen Terminologie monument lüstori^uo, in der italienischen mit einer bezeichnenden Wendung monumento nazionale heißt, faßt zwei im Grunde ge­

nommen verschiedene Gattungen zusammen, die AloyS Riegl, der zu früh verstorbene Wiener Kunstgelehrte, der Neuorganisator der österreichischen Denkmalpflege, vor ge­

rade einem Menschenalter in einem merkwürdigen Büchlein über „den modernen Denk­

malkultus" charakterisiert als die gewollten, von Anfang an als solche geplanten und ausgeführten Denkmäler und die ungewollten, die erst durch die Zeit, die Ent­ wicklung und die Umstände dazu geworden sind. Altertum und Mittelalter kannten

und schätzten nur die Gattung der gewollten Denkmäler und für sie waren diese auch

LEBENDIGE UND TOTE DENKMÄLER

9

nur vorhanden, soweit die Vorstellungen, Gedanken und Erinnerungen, die sie ver­

körperten, den Lebenden gegenwärtig waren. DaS heidnische Denkmal war für die Christen nicht Gegenstand der Verehrung und der Achtung. Der Begriff der ErinnerungSwerte in unserem Sinne, der AlterSdenkmäler, tritt uns erst mit der Zeit beS jungen

Humanismus in der Frührenaiffance entgegen. Aber kann man sich nicht vorstellen, daß eine ganz anders geartete, sich wieder auf die Quellen aller Wette besinnende Geistig­ keit den Begriff der höheren Schatzung des größeren Alters an sich a priori als etwas

Lebloses, als eine nur gelehtte Konstruktion, als eine Museumsleichenordnung ansehen

wird? In dem letzten Roman von AldouS Huxley „The brave new world“, der eine groteske barocke Utopie der Mechanisierung einer ganzen Kultur barstellt, wird in einem

Gespräch zweier Hauptfiguren das Alte an sich als das Fottschrittfeindliche, das Irre­ führende und deshalb als das zu Verbietende und Auözurottende bezeichnet: dazu ge­ hören die gotischen Kathedralen Englands — aber auch Shakespeare. Eine Utopie —

aber erleben wir eine solche Umwandlung der Wette nicht heute sehend — oder blind

und nicht sehenwollend — im Osten, wo in der Sowjetunion bewußt die historische Tradition abgeschnitten, verfälscht, verboten wird, wo die geschichtlichen Denkmäler der letzten zwei Iahrhundette ausgerottet, die christlichen wie die jüdischen und mohamme­ danischen Kultstätten und die Häuser der Herrschenden von einst zu einem guten Teilzer-

stött, gesprengt, entweiht ober geschlossen, zu Kasernen, Bürogebäuden und Magazinen, zu Volköheimen,Krankenhäusern, Irrenanstalten, zu Arbeitermuseen, Lichtspielhäusern,

Theatern, Turn- und VergnügunShallen umgestaltet werden? Die administrativen Maß­ nahmen, die in einer Reihe sich steigernder Dekrete von 1919 bis 1931 festgelegt sind,

weisen so viele Wege zur Schließung der Kirchen: wenn sich für die Benutzung nicht die vorgcschttebene Mindestzahl von registttetten Gläubigen findet, wenn diese die Unterhaltung nicht tragen können, wenn dem Ott Baulichkeiten für Wohnungen, für

sanitäre, für kulturell-aufklärenbe Zwecke fehlen—endlich: et quaelibet alia causa, auf Ansuchen der werktättgen Massen — also eigentlich unbeschränkte Möglichkeiten.

Im Herbst 1932 ist ein neues Dekret erlassen, baö ein Schema aufstellt, in welcher Reihenfolge die bestehenden Kirchen bis 1937 geschlossen ober in kommunistische Klubs und Häuser zu Gunsten beö arbeitenden Volkes verwandelt sein müssen. Daö würde dann baS Ende sein. Neben die Kategon'en der gewollten und der ungewollten Denkmäler tritt eine andere

Scheidung in lebendige und tote Denkmäler, in solche, die noch ihrer ursprünglichen

ober einer gewandelten entsprechenden Bestimmung bienen — und solche, in denen diese Funktion gestorben und ausgelöscht ist, wo nur baS leere Gewand, der Mantel

des Propheten noch erhalten ist, aus dem der Geist ausgefahren ist. Der Belgier Cloquet hatte diese schon lange bekannte Terminologie fcct monuments vivants und der monu-

IO

VOM RUINENBEGRIFF

ments morts zuerst grundsätzlich angewandt; von dem berühmten Brüsseler Bürger­

meister Charles BulS, einem der Führer des internationalen modernen Städtebaus und

einst auch Gast auf unseren deutschen Tagen für Denkmalpflege, ist sie in demselben Jahr, in dem jenes Buch von Riegl erschien, in einer Schrift „Sur la reatauration des

monuments anciens“ zugrundegelegt worden. Ganz anders erscheint nun die Aufgabe der Denkmalpflege diesen beiden Begriffen gegenüber. Bei einem „lebendigen Denkmal" handelt eS sich um baS allseitig Lebendigerhalten eines Bauwerks (an das wir zunächst denken), daö noch Träger seiner fließenden Zweckbestimmung ist — und hier geht es

eben um den bleibenden geistigen Gehalt vor der Form, die sich wandeln kann. Bei

einem „toten Denkmal" ist jene Funktion erloschen, sie lebt nur noch als Erinnerung, als ferne Tradition, als ein Symbol — die Form ist hier alles, ist unveränderlich, geheiligt. Über diese Gegensätze wird noch zu sprechen sein.

VOM RUINENBEGRIFF

Mit dem Begriff deS toten Denkmals hängt für unsere Empfindung eng der der Ruine zusammen. ES ist ein sentimentalischer Begriff: Unwirkliches mitten in einer

Welt der Wirklichkeit, ein Unlustgefühl, das auf dem Wege über Stimmungöwerte zu einem Lustgefühl umgewanbelt wird. Es ist zuletzt doch ein Selbstbetrug auf dem

Wege des LebenöverzichteS, wenn PuviS de ChavanneS daö schönklingende Wort schreibt: II y a quelque chose de plus beau encore qu’une belle choae,ce eont les

ruines d’une belle chose. Von der romantischen Vorstellung römischer Ruinen ist auf

der Welle deSRomaniSmuö seit dem Beginn deS ib.Jh.dieRuinenstaffage in Gemälden, Graphik, in Kulissen und Hintergründen in die künstlerische Vorstellung des Abend­

landes eingerückt. Sie begegnete sich hier mit der ersten deutschen Romantik der letzten Gotik und der jungen Renaissance und hat noch im selben Jahrhundert auch die Me­

lancholie nordischer verfallener Bauten erfaßt, um bann im Fluß der sich immer mehr

weitenden Gartenkunst erst in Italien, bann in England, endlich in Deutschland die Zwittergeburten der künstlichen Ruinen erstehen zu sehen.

Die Ehrfurcht vor dem Ruinenbegriff im weitesten Sinne ist eine Empfindung erst

der Renaissance, damals fast ausschließlich an die Werke der Antike gebunden, die von der Gloriole einer Ausnahmestellung umgeben waren — und dabei bienten diese ge­ feierten Ruinen von Rom wie von Trier bis ins 18. Jh. doch ruhig zugleich auch noch als Steinbrüche, die bedenkenlos im Raubbau ausgenutzt wurden. Ruinen irgend

welcher Art in einer modernen Großstadt müssen notwendig dem unverbildeten natür­ lichen Empfinden als eine Unnatur erscheinen. In Italien haben sich die großen Monu­

mentalschöpfungen der römischen Baukunst dort, wo die Großstädte vorwärtsdrängen, bis zur Schwelle des 19. Jh. zumeist nur erhalten umgewandelt ober eingebaut in einen

ANTIKE RUINEN

II

späteren architektonischen Rahmen. In Rom war das HadrianSmausoleum zur Engels­

burg, baS Pantheon zur Kirche geworden, in die DiocletianSthermen hat sich die Kirche Santa Maria begli Angeli eingenistet, hinter die Front des NeptunStempelS auf Piazza

di Monte Citorio hat sich die Börse geschoben, der Faustinatempel ist als San Lorenzo in Miranda erhalten, der RomuluStempel als San CoSma e Damiano, der Minewa­

tempel von Syrakus war in den Dom verwandelt, die Vorhalle des MinewatempelS in Assisi in eine Kirche eingebaut. Nördlich der Alpen war die maison carree in

NimeS zu einer Kirche geworben, die Amphitheater in ArleS und NimeS hatten immer weiter ihrem Zweck als Arena gedient, in und über der Porta nigra in Trier war eine

mittelalterliche Doppelkirche errichtet. Und sind nicht auch die großen Denkmäler Athens nur dadurch erhalten, daß sie von der nachanttken Zeit in Besitz genommen sind: Par­

thenon und Theseion als christliche Kirchen, der Parthenon seit dem 6. Jh. schon als christliche Kirche, seit 1205 als MettopoliS und seit 1459 als Moschee, das Erechtheion

erst als Burg der fränkischen Herzöge, bann als Harem der türkischen Paschas?

Die alte archäologische Zone (wenn man sie so nennen darf) noch deSRom der sieb­

ziger und achtziger Jahre ging ohne Hiatus und ohne Bruch in der Gesamtstimmung in das kleinbürgerliche und DorstadtSrom über. Wer Forum und Palatin noch im alten

Zustand gekannt, gedenkt der Selbstverständlichkeit, mit der hier das mittelalterliche

und daS Renaissance-Rom sich in bemcampo vaccino fortgesetzt hatte. Heute stehen in dem neuen Rom die herausgeschälten römischen Reste in der neuen Zone zwischen Kaiserforen und Tiber hart und unvermittelt, vom Standpunkt eines Städtebauers eigentlich unerttäglich. ES ist nicht die Übersteigerung der archäologischen Forderungen gegenüber dem Leben, sondern die Unterstreichung des Symbolwertes dieser Welt, als

deren Erbe sich daö Rom Mussolinis sieht, der Ausdruck einer großgedachten Wiederwachrufung deS Geistes deS RömertumS, eine grandiose Demonstration der Rück­ besinnung, was diesen Radikalismus heworgerufen hat. Der Grundsatz der Durch­ brüche und Ausblicke um jeden Preis ist sonst ja ein im neuzeitlichen Städtebau

längst aufgegebenes Prinzip. Man begreift, wie heute etwa ein weiser Ostasiate, der die höchste Kultur seines Vaterlandes und auch dessen VerpstichtungSgefühl mitbringt,

kopfschüttelnd ein solches Nebeneinander ansieht und als eine ihm unverständlich« Barbarei empfindet. Überall, wo diese uns teuren Assoziationen —mit Recht ober Unrecht—nicht sprechen, erscheint aber notwendig eine Ruine mitten in einer Großstadt für baS nüchterne Gefühl

der Masse, aber auch für die Empfindung der Gebildeten und die Verpflichtung der Stabttegenten als etwas ganz Unmögliches. Man hat eS nicht gewagt, die ausgebrannte

Ruine der Tuilerien in Paris, so wunbewoll sie auf den Abbildungen nach dem Brande

von 1871 sich auch zeigte, zu erhalten, und niemand hat den Gedanken erwogen, das

12

RUINENIDIOSYNKRASIE

durch den Brand geschwärzte Stuttgarter Schloß ebm als bachlose Ruine mitten in der Stadt stehen zu lassen wie das Heidelberger Schloß, das diese Att der Erhaltung

doch in erster Linie dem Umstand verdankt, daß eS von dem Stabtganzen losgelöst über diesem hängt. Es sind Einzelfälle, wenn in Deutschland und Frankreich, in Holland

ober Schweden nicht nur die alten Befestigungen, Stadtburgen und Tore, sonbem auch andere Baulichkeiten der nachantiken Zeit als halbe Ruinen gleichsam wie eben

auSgegraben in einem Stadtganzen erhalten sind, zumeist in stillen verttäumten Otten wie etwa in Andernach und Wisby, fast immer isoliert, wie in eine Idylle eingebettet,

abgerückt von dem Verkehr und in Grün eingeschlossen.

War jenes immer von Gelehtten und gelehtten Baumeistern, nicht von Künstlem

geleitete HerauSpräpan'eren der antiken Reste aus einer großen von Jahrhunbetten ge­

schaffenen Gesamtanlage, die zuletzt eineFormel für das ganze geschichtliche Werden ge­ geben hatte—nicht etwas, was auch unendliche Wette zerstört hat? Man muß fastttwaS mühsam den Weg rückwättS suchen, um sich die Auffassung einer anders gearteten Zeit, die nicht nur durch die archäologische Brille die Welt sah, klarzumachen. In dem

Voyage de Sparte von Maurice BarreS findet sich eine bewegliche Anklage in einer

pathetischen Philippika gegen die Archäologen, die die Burg von Athen ihres Burg-

charakterS, an dem Byzantiner,Franzosen (er spricht hier sehr stark pro domo),Türken mitgewirkt, ohne nachzudenken beraubt haben. Der mächtige daS Bild beherrschende

fränkische Turm über dem Südflügel der Propyläen ist ja erst 1876 auf Betreiben und

Kosten Schliemanns abgettagen worden. Bei der Einzigartigkeit gerade dieses der ganzen Kulturwelt angehörenben Gesamtdenkmals wird man dem stolzen Franzosen

höchstens in der Theorie folgen können. Aber mit größerem Recht möchte man sich der Porta nigra in Tner gegenüber

das Bild vorstellen, das die einzig wunderbare Baugruppe mit dem frühromani­ schen dreiteiligen Triumphtor, dem SimeonSchor, der gotischen Nikolauskapelle zur Seite, der Überhöhung des ganzen Baus mit einem romanischen Turm, der großen Freitteppe bargeboten haben muß. Wir erinnern uns, baß eS Napoleon war, der 1804

die Herauöschälung des römischen Torbaueö, der für ihn ein Denkmal der Gallier auf rheinischem Boden war, befohlen hat. ES ist fast ein Zufall, daß der romanische

SimeonSchor damals stehen geblieben ist. Unsere heutige Zeit, vor die gleiche Aufgabe

gestellt, würde wohl auch zu einem Kompromiß, zur Wegnahme von Manchem aus dieser Gruppe kommen, vor allem zum Offnen der Durchfahrt (die Freilegung bis zur römischen Sohle ist erst 1876 auSgefühtt), aber dabei wichtige schmückende Teile, die als selbständige Kunstleistungen und Glieder dieses architektonischen Kanon bedeutsam

waren, bewahren und dem Grundsatz beS radikalen FreilegungS- und AuSschälungS-

gedankenS gegenüber sich doch sehr ablehnend verhalten. Die römische Basilika in Trier

DER RUINENBEGRIFF UND DAS LEBEN

13

ist erst in den vierziger Jahren ausgebaut ober eigentlich im Anschluß an zwei als

Außenmauer und Turm der Bischofsburg erhaltene Mauern neu aufgeführt — und daß, um die mißverstandene und in einem asketisch altchristlich-klassizistischen Stil abgeschlossene Westfront — nicht einmal ganz — freizulegen, der linke Flügel der

Barockfront beS kurfürstlichen Palastes, des Meisterwerkes von Johannes Seiz, be­

seitigt ward, war eine schwere und nicht wieder gut zu machende städtebauliche Ver­ sündigung.

Daö Herauskratzen der architektonischen Ruinen als anatomischer Präparate, —nicht nur von antiken Bauten — ihr Freilegen von späten Zutaten, Aufschüttungen, Be­

freiung ihrer Stätte von jeglichem Pflanzenwuchö ist zur Feststellung des ursprüng­ lichen Zustandes, zur Untersuchung der Baugeschichte zumeist eine Notwendigkeit ge­

wesen, und diese Untersuchungen sind oft mit einer bewundernswerten und raffinierten,

alle Merkmale beachtenden und vergleichenden Subtilität durchgeführt worden. Daö

dauernde Offenstehenlassen, vielfach mit technischen Unzuträglichkeiten verbunden, ist an manchen Otten vielleicht nur eine eingebildete Notwendigkeit. Man darf die Frage

stellen, ob eine spätere, nicht mehr überbildete und einem natürlichen künstlerischen

Instinkt folgende Zeit dies dauernde Aufstehenlassen von hohlen, bröckeligen Zahn­ reihen, dies Offenlegen bescheidener aus der Erde herausgeschälter Fundamente un­

mittelbar neben den Zeugnissen des Lebens noch als ein Verdienst auffaffen wird. Die ganz gesonderte und in keinem Maßstab zu dem Verhalten den übrigen historischen Zeugnissen gegenüber stehende Schätzung aller antiken Reste wird vielleicht von einer nächsten Generation als baS Dokument einer zurückgebliebenen und eingerosteten Welt­

anschauung, geistesgeschichtlich wie kunstgeschichtlich als eine Unmöglichkeit für die Mit­

lebenden, als Ausdruck einer seit hundert Jahren überholten einseitigen Grundan­ schauung angesehen werden, mag sich jene auch auf das Wort Goethes in Trier

vom Jahr 1792, daS die nachantiken Denkmäler der Stadt den Antiken gegenüber­ stellt, berufen können: „Zur Bettachtung der Baukunst früherer Mittelzeit bietet Trier

merkwürdige Monumente: Ich habe von solchen Dingen wenige Kenntnis und sie

sprechen nicht zum gebildeten Sinn. Mich wollte der Anblick bei einiger Teilnahme verwirren." Gegen dies Bekenntnis des aus Italien heimgekehrten, in seinem Klassi­ zismus eingefrorenen Dichters möchte man den Genius des jugendlichen Goethe von 1770 und beS romantisch verjüngten Goethe von 1827 heraufbeschwören. Es ist ein

Teil der alten überlebten Lateinbildung, jeden römischen Stein auf deutschem Boden über die sonstigen frühgeschichtlichen und vor allem über die mittelalterlichen und

späteren Zeugnisse der eigenen Geschichte setzen zu wollen — zu lange haben die

provinzialrömischen Denkmäler der Fremdbesatzung in der westdeutschen Kunst­ geschichte einseitig daö Bild der Anfänge unserer Kultur bestimmt. Nicht in einem

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GEFAHRZONE DER TOTEN DENKMÄLER

falschen Chauvinismus (der Begriff fand bislang im Deutschen keine Übersetzung),

sondem um der ausgleichenden Gerechtigkeit willen möchten wir dies Bild richtig stellen und die Akzente entsprechend verteilen. Heute liegt vielleicht eine Gefahr auch

wieder in der Übersteigerung dieser Forderung. Wir wollen dabei nie vergessen, waS

jene römisch-germanische Kultur (eS war doch eine Mischkultur) in ihrer bis in den Beginn beS 2. Jahrtausends reichenden Auswirkung für die Anfänge unserer Ge­

schichte, auch unserer nationalen Geschichte bedeutet. Kein Krieg hat eine solche Fülle neuer Ruinen geschaffen wie der Weltkrieg an allen

Fronten. Aber weder in Frankreich, noch in Belgien, auf den italienischen Kampf­

gebieten ober in Polen und Galizien ist ernstlich daran gedacht worben, in einer weiter­ lebenden Stabt etwaö von diesem schmerzlichen und bitteren Erbe zu konservieren. Auch

wo, wie in ReimS, eine Haßpropaganda im Anfang das unangetastete Stehenlassen

der Westfront der Kathedrale als Anklage gegen die Deutschen (und doch wohl auch als Selbstanklage wegen Vernachlässigung von Vorsichtsmaßregeln) gefordert hatte, ist man darüber verständiger Weise hinweggegangen. Alle belgischen und nordfranzösischen Monumentalbauten sind wiebererstanden und selbst, wo für ein riesiges Bauwerk eine

neue Zeit schlechterdings keine Verwendung mehr hat, wie für die Hallen in Ppern, werben die geringen Rest«, die den Krieg überdauert haben, ausgebaut um des Symbols,

aber mehr noch um der Wiederherstellung der Geschlossenheit im städtebaulichen Sinne willen.

GEFAHRZONE DER TOTEN DENKMÄLER Spürt unsere Zeit nicht vielfach die Gefahrmomente, die in dem Begriff des toten

Denkmals liegen? Suchen wir nicht krampfhaft nach Möglichkeiten, aufgegebene Kirchenräume zu Gemeindehäusern irgend welcher Art umzugestalten ober, wenn sie schon profaniert werden müssen, zu Saalbauten, Konzerttäumen, Turnhallen,

Burgen zu Jugendheimen, Wanderherbergen, verlassene Schlösser zum Sitz von Be­ hörden und Organisationen aller Art, Schulen, Hospitälern, Waisenhäusern, Irren­

anstalten, Zuchthäusern, zu Erholungsstätten, Pensionen oder Gastwirtschaften zu

machen — oder, wo solcher nüchtern praktischer Zweck sich versagt, sie zu dem scheinbar

höheren Rang der Museen zu erheben? Museen?—Schloßmuseen, historische Museen, Heimatmuseen—ist baö nicht auch vielfach ein Lebendigerhalten wollen auf dem Wege einer halben Mumifizierung, eine

Selbsttäuschung, eine JnterimSmaßnahme, politisch klug und notwendig, um dem Iugreifen von gieriger Hand zu entgehen, ein bewußt geschaffener Iwischenzustanb, der

die doch einmal unabwendbar kommende Entscheidung über die spätere Zweckbestim­ mung nur hinauSschiebt? Wir haben heute rund 120 „Schloßmuseen" in Deutschland

ENTWEIHUNG

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— Fürstensitze, die wir in ihrer Einrichtung oder nur als Rahmen und nun mit anderem Museumögut gefüllt zu konservieren uns vorgenommen haben. Darf man sich emstlich baS als einen Dauerzustand auch nur der europäischen Kultur denken?

Man male sich aus: die Reformation habe in den ihr zugefallenen Ländern die sämt­ lichen großen Dome, Pfarr- und Klosterkirchen mit ihrer Ausstattung zu Kirchen­

museen gemacht (die nur museal denkende Kunstgeschichte würde ihr dafür heute

sicherlich dankbar sein). Die Borstellung scheint doch ausgeschlossen, baß der heutige

InterimSzustand noch hundett ober auch nur noch fünfzig Jahre überall anstehen wird. Vielleicht sind diese Schloßmuseen nur eine Att Platzhalter. In jedem Einzelfall wird Fragestellung und Antwort wieder besonders lauten. Wir werben hoffentlich die Kraft

haben, einzelne Heiligtümer als unantastbare Weihestätten zu bewahren, aber nur der fottwirkenbe Geist und die lebendige Tradition bieten die Bürgschaft dafür (wie in

einem erschreckenden Gegenbeispiel baS heutige Rußland zeigt). Es gibt kein Genera­ lisieren —aber Leben, nicht Erstarrung heißt das Gesetz berZukunst auch für diese ganze

Klaffe von Denkmälern.

Hat die unheilige Museifizierung im Bunde mit der Denkmalpflege nicht in der ganzen Welt «in schwerbelastetes Schuldkonto voll von Verstößen gegen baS letzte

Gesetz der Ehrfurcht? Die schmählichste Versündigung vielleicht — gerade im Sinne jener Toten und ihres Totenkultus — war wohl die vom Khediw Tewfik befohlene Entweihung, Entkleidung, Auswicklung der Mumien der ägyptischen Pharaonen, die

1881 in ihrem Versteck in Dör-el-bahri aufgcfunben worben waren, die nunmehr der

unkeuschen Neugier beS internationalen Publikums preisgegeben, nur eben als eine Saalnummer für sich im Gizemuseum in GlaSvitn'nen standen, bis endlich den echten

und erbberechtigten Nachfolgern der Pharaonen das Gewissen schlug. Sie sind aber noch in den letzten Jahren zwischen dem Museum und einer ihnen bereiteten Sonder­

unterkunft, die sich wiederum als nicht durchweg geeignet erwies, ruhelos hin und her gewandett. Man denke sich, baß der Leichnam des großen Friedrich aus der Gruft der Garnisonkirche in Potsdam entkleidet in einen Glaskasten in dem Museum für Völker­

kunde Platz fände, oder baß die Habsburger aus der Wiener Kapuzinergruft in das

Museum für Kunst und Industrie kämen! Die letzten übriggebliebenen Reliquien des glorreichen ftanzösischen Königtums stehen in der Apollogalerie beS Louvre nur eben

in Reih und Glied mit Golbfchmiedearbeiten und Emails vieler Jahrhunderte —wenn

auch in einer eigenen Vitrine, und bieMehrzahl berBesucher bleibt vor den big stones

stehen, nicht vor den Penaten btt royale douce France. Wieviel würdiger sind die Re­

liquien des heiligen römischen Reichs deutscher Nation und beö alten zerttümmetten Österreichs in der Schatzkammer derWienerHofburg ober die Kroninsignien des preußi­ schen Königtums in dem Berliner Hohenzollernmuseum zur Aufstellung gekommen!

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VOM RECHTLICHEN DENKMALBEGRIFF

Soll man an ein paar Strophen aus George's Siebenten Ring erinnern? Sie tragen die Jahreszahl 1914, des Dichters Prophetenblick sah schon das Grauen aufsteigen

und dahinter den Zusammenbruch. Der eine Vierzeiler heißt: Aachen: Graböffner. Wenn dies euch treibt, so mildert- euren Frevel, Die wieder ihr in heiligen Grüften scharrt:

Die dunkle Furcht vor nahem Pech und Schwefel, Die Ahnung, daß am Tor daS End schon harrt.

Und „Die Gräber in Speier" beginnen mit einer Anklage wegen Ehrfurchtsverletzung,

nicht der alten brutalen Zerstörung durch die Banden Ludwig XIV., sondern durch die neue „wissenschaftliche" Grabung: UnS zuckt die Hand im aufgescharrten Chore

Der Leichenschändung frische Trümmer streifend---------

VOM RECHTLICHEN DENKMALBEGRIFF Wenn hier der rechtliche Charakter des Denkmalbegrisss berührt —nur berührt —

werden soll, so muß man fteilich bekennen, daß die Gesetzgeber im Gebiet beS deutschen Reichs es unS schwer genug gemacht haben, eine eindeutige und durchaus klare Fassung

zu geben. ES gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen, daß der Staat die Fürsorge für

die monumentalen Urkunden seiner Geschichte von je als ein staatliches Hoheitsrecht angesehen hat, besser als eine dem Staat als solchem gestellte Aufgabe und Ehrenpflicht. In dem größten der deutschen Lander, in Preußen, waren wir bis zu dem fetzigen Zeit­

punkt für die Definition dessen, was unter dem Wort Denkmal zu verstehen war, nur

auf die dürftigen Bestimmungen der Gesetze über die Zuständigkeit der Verwaltungs­

behörden für die Stadt- und Landgemeinden, über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchen und über die evangelische Kirchenverfaffung angewiesen, die ledig­

lich von Sachen ober Gegenständen reden, „welche einen geschichtlichen, wissenschaft­

lichen oder Kunstwert haben" — in dieser Reihenfolge. Die preußische Städteordnung

für die sechs östlichen Provinzen vom Jahr 1853 redet von „Sachen, welche einen be­ sonderen wissenschaftlichen, historischen ober Kunstwert haben, namentlich von Ar­ chiven". Durch die Voranstellung deö Wissenschaftlichen, die Hervorhebung der Archive

ist der Schwerpunkt in der Wertskala bedenklich verschoben. Nur daS oben an erster

Stelle genannte Gesetz spricht von einem „besonderen" Wert. Erst der neue, seit sieben

Jahren schon dem preußischen Staatsrat vorgelegte sorgfältig beratene Entwurf zu einem preußischen Denkmalschutzgesetz bringt die Rechtsunterlage, „baß nämlich diese Erhaltung im öffentlichen Interesse" liegt, wie dies vorher schon die einzigen legea perfectae, daö hessische Denkmalschutzgesetz von 1902 und daS olbenburgische von 1911

STAATLICHE DENKMALFÜRSORGE

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(neben kleineren späteren: Lübeck,Hamburg, Lippe-Detmold) ausdrücklich auSgesprochm

haben. In dem hessischen Gesetz (und übereinstimmend in dem olbenburgischen) ist die Definition gegeben: „ein Denkmal, dessen Erhaltung wegen seiner Bedeutung für die

Geschichte, insbesondere für die Kunstgeschichte im öffentlichen Interesse liegt". Zuletzt fand sich dieser Grundsatz, baß die Erhaltung einer Sache auf die Erhaltung und Be­

förderung beS gemeinen Wohls erheblichen Einfluß haben muß, ja schon in dem alten

ehrlichen allgemeinen preußischen Landrecht von 1794. Durch die Erfindung deS Begriffs der Naturdenkmäler und durch ihre Einfügung

in den Sorgenbereich deS Staates seit 1905 — im Rieglschen Sinne handelt eS sich

hier um ungewollte Denkmäler — ist nur eine weitere Unsicherheit geschossen: der neue Begriff wird nicht nur auf ganze Naturschutzparks, auf gewaltige Felsengruppen,

sondern auch wort- und sinnwidrig auf naturhistorische Raritäten, dem AuSsterben aus­

gesetzte kleine Vogelarten und Sumpfpflanzen ausgedehnt. Der Begriff Naturdenkmal setzt doch logisch voraus, daß dies Denkmal eben von Jemand geschaffen sei, nur dann

kann eS als Leistung, als Kunst, als etwas Gekonntes angesehen werden — oder man muß sich entschließen, wie Richard Hamann einmal sagt, baS Denkmal als Leistung Gotteö, als Werk einer schöpferischen Macht anzusehen. Unendlich wichtig und bedeut­

sam ist die Tatsache, baß hier eine ganze neue ausgedehnte Begriffswelt vom Heroischen bis zum Idyllischen unter den Schutz deS öffentlichen Gewissens gestellt wird, und vielfach und fruchtbar sind die Verbindungen dieser gewachsenen Welt mit der der

geformten Denkmäler — aber nur von den letzteren ist hier die Rebe. ES ist auch lediglich ein Mißbrauch eines nun einmal ringeführten Begriffes, wenn er bildmäßig

auf ganz andere Fundamente übertragen wird: wie seltsam irreführend lautet dieser Buchtitel: „Theodor Lessing, Rudolf Hanö Bartsch, ein letztes deutsches Natur­

denkmal." In der Weimarer Verfassung hat der zu der Gruppe der adhortativen pädagogischen

programmatischen Anweisungen gehörige § 150 in einer nun nicht mehr irgendwie noch mißzuverstehenden Form ausgesprochen: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege deö Staates." Es ist damit wohl jener wichtige Grundsatz der Verpflichtung in feierlicher Gestalt festgelegt worden, aber der Begriff selbst ist nur weiter verunklart — die Denkmäler

der Natur stehen hier neben, also außerhalb der Landschaft, wie in den preußischen

Gesetzen die Geschichte neben d. h. außerhalb der Wissenschaft. Trotzdem möchte man für die Begriffsumschreibung in dem neuen preußischen Denkmalschutzgesetz, das dann

wie das preußische Verunstaltungögesetz daS Vorbild für die gesetzlichen Regelungen in den übrigen deutschen Ländern, soweit sie nicht schon diese Aufgabe selbständig gelöst haben, darstellen dürste, die nun einmal in der bisherigen Gesetzgebung zu findende

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SOLL UND HABEN DER DENKMALPFLEGE

Fassung Wahlen von „Sachen —res — welche einen geschichtlichen, wissenschaftlichen

(besser: sonstigen wissenschaftlichen) ober Kunstwert haben, deren Erhaltung im öffent­ lichen Interesse liegt".

Den äußerlichen Begriff einer Fürsorge für die Denkmäler der heimischen Ge­ schichte und Kunst gibt es im Bereich der deutschen Kultur in jeder reflektierenden, eklek­ tischen, retrospektiven Zeit, bewußt schon seit den Kapitularen Karls deö Großen, auf

dessen Kunst alle diese Bezeichnungen reflektierend, eklektisch, retrospektiv zutreffen, zurückgedrängt in jeder ganz selbstbewußten und wahrhaft schöpferischen Periode,

darum am wenigsten sichtbar im hohen Mittelalter und im Zeitalter des Barock. Das neue knappe und in dieser Form leicht mißzuverstehende und oft mißverstandene Wort Denkmalpflege ist noch keine hundert Jahre alt. Die Vorstellung von geformten

Zeugnissen der deutschen Kunst neben den geschriebenen, von greifbaren neben den les­ baren ist in der Periode der Wiedererweckung der deutschen Geschichtöstubien in der

geistigen Umwelt des Frecherm vom Stein gewachsen. In dem ältesten Programm der Monumenta Germaniae historica des Georg Pertz stand neben den Schriftstellem, den Gesetzen, Kaiserurkunben, Briefen schon eine Abteilung Antiquitates. Nach dem

Vorgang Frankreichs im Zeitalter GuizotS, MontalembertS und deö jungen Victor Hugo erstand in Deutschland in der Epoche Wilhelm von Humboldt« und Schinkels,

aus der Vermählung von Romantik und geschichtlichem Geist, von künstlerischem Nach­

schaffen und StaatSethoS das Wort Denkmalpflege.

SOLL UND HABEN DER DENKMALPFLEGE Die Gegenüberstellung dieser beiden Begrifföwelten, des gesamten Denkmälerreich­ tums der deutschen Kultur und der immanenten Idee der Denkmälerfürsorge will

die Fragen aufwerfen, welche Aufgaben und Probleme die deutsche Kultur der Denkmal­ pflege stellt, waS die Denkmalpflege dem deutschen Kunstgebiet geschenkt, als Unter­

stützung dargebracht, was sie ihm genommen hat. Und zu dieser Gegenüberstellung gehört auch, wie die kunsthistorische Wissenschaft und wie die Phalanx ihrer Vertreter

sich zu den Forderungen der Denkmalpflege gestellt haben. Wenn man mit dem Sündenregister dessen beginnen soll, waS unter dem Schild

der Denkmalpflege seit ihrem Jnölebentreten geschehen ist, nur reden will von den Unter­ nehmungen, die in guten Glauben, eine Kulturarbeit zu leisten, in Angriff genommen

sind, so ist die Liste fteilich eine erschütternd große. Von der Zerstörung der alten Bau-

gruppe der Porta nigra in Trier über den neuen Bildersturm in unseren Kirchen unter der Fahne deö intoleranten Purismus, über die Ausplünderung deö Domes zu Bam­ berg, über die Leerung der Frauenkirche zu München, deö Braunschweiger Domes, der

Marktkirche zu Hannover, der Liebftauenkirche zu Heiligenstadt im EichSfelb und hun-

SÜNDENREGISTER UND HABENKONTO

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bettet andeter Kitchen, fühtt bet Weg zu den auf ihte angebliche Wissenschaftlich­

keit sich betufenden Burgenausbauten, dem böhmischen Karlstein, det Watlbutg, bet Burg Hohenzollern, dem btaunschweigischen Dankwatdetobe, dessen Fteilegung det „alte Palast", einet bet schönsten Spätrenaissancebauten von 1640 und det 1763 an­ gefügte Fetdinandsbau zum Opfer fielen — eine lange Reihe von schwatzen Kreuzen.

Man möchte blutige Tränen weinen, wenn man die Minoritenkirche in Wien und die Stiftskirche in Heiligkreuz, die Thomaskirche in Leipzig und die Marienkirche in Frank­

furt a. b. Ober in den Jnnenbilbern von Einst und Jetzt mit einander vergleicht. Noch 1873 sind bei der Restauration der Uln'chskitche in Augsburg zweiundbteißig lebens­ große Terrakotta-Statuen des RenaissaneemeisterS HanS Reichte zertrümmert worden,

und wieviele kostbarste Altare, Kanzeln, Chorstühle, Beichtstühle, Orgelprospekte des Barock sind noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts in ganz Deutschland ver­

schwunden —immer unter dem Panier der Denkmalfürsorge. Schlimmer noch ist, waS unter der gleichen Flagge, wieder im guten Glauben, gesündigt ist in Neuschöpfungen

in der Nachbarschaft historischer Bauten unter dem irrigen Wahn, sie durch schlechtes Angleichen heben zu wollen statt durch die Isolierung in einer neutralen Umgebung. Ein großer Teil der mittelalterlichen Wandmalereien ist nur in Palimpsesten, nicht

wenige in grausamem Nichtverstehen der linearen Sprache in einem gefühllosen von hochmütigem Befferwissen geleiteten Nachziehen überliefert, ein nicht kleiner Prozentsatz

der mittelalterlichen Glasmalereien hat mit der alten künstlerischen Wirkung die Be­ deutung als kunstgeschichtliches Dokument eingebüßt. DaS ganze Kapitel Ablaugen und Neufassen von Skulpturen darf man dabei nur zum Teil auf das Konto der

Denkmalpflege, im übrigen auf das der falsch verstandenen Kultusrücksichten setzen. Auf der Seite der positiven Leistungen, auf dem Habenkonto steht dafür, waS in einem Jahrhundert in pfleglicher Fürsorge, in ErhaltungS- und Wiederherstellungs­

arbeiten an fast allen großen und an einer gewaltigen Zahl von mittleren und kleinen kirchlichen und profanen Denkmälern geschehen ist, im Anfang dieser Epoche naiver und

auS dem romantischen Zeitempfinden heraus, später bewußter und deshalb befangener, nachahmend, nicht nachschöpferisch, endlich wieder mit wachsendem Einsatz der leben­

digen künstlerischen Kräfte. Bei einer ganzen Reihe von Baudenkmälern, bei einer größeren Zahl von Werken der Plastik und Malerei handelt eS sich um wirkliche Rettung vor völligem Untergang, bei anderen um Sicherung beS Bestandes für einen langen

Zeitraum; vieles Unbekannte ist entdeckt, an das Tageslicht gezogen, unsere kunstge­ schichtliche Kenntnis, wenn wir die Reihe der etwa der Generation von Schnaase,

Kugler, Lotz oder Hotho bekannten Denkmäler mit der uns heute bewußten vergleichen,

um das Vielfache vermehrt und bereichert. Dies Haben- und Verbienstkonto darf ernstlich denen vorgehalten werben, die leichthin über den Begriff Denkmalpflege als

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KONSERVATIVE LEBENSMÄCHTE UND EHRFURCHT

etwas Gestriges, überlebtes hinwegzugehen geneigt sind. Aber was wichtiger ist: diese

gemeinsame Arbeit von Kunstwissenschaft und Denkmalpflege hat geholfen, jene ganze sichtbare Welt unseres künstlerischen ErbeS zum lebendigen, krastespendenben

Besitz der Nation zu machen. Eine neue Generation von Architekten ist geneigt, auS den Zweifeln, den inneren Schwierigkeiten, den Gewissenskonflikten der Denkmalpflege

die Folgerung zu ziehen, daß eben diese Arbeit selbst etwas Zweifelhaftes sei, und die Liebhaber großer und starker (aber billiger) Schlagworte möchten gem die Forderung

aufstellen, die Mittel, die für die alten Denkmäler aufgewendct werden, lieber der lebendigen Kunst zuzuführen. Aber es handelt sich wahrlich nicht um Luxuö und um

nichts von nur Äußerlichem: nichts Nebensächliches oder Überflüssiges ist dies Behüten

und Umsorgen, dies zum Reden bringen unseres Denkmälerbestandes —auch für ein Volk in Not bleibt die Aufgabe gleich wichtig und die Verpflichtung doppelt bedeutsam, weil hier ein mit geheimnisvollen Heilkräften gesegneter Gesundbrunnen für die vater­ ländische und die seelische Not unserer Zeit sprudelt, auS dem der Glaube an die Zukunft

und an den Aufstieg des Volkes in Rückbesinnung und Vorschau neue Kräfte zu schöpfen vermag.

Wenn Treitschke einst im Jahr der Begründung deS neuen Kaiserreichs von den konservativen LebenSmächten gesprochen hat, auf denen auch der neue Einheitö-

bau aufgeführt werden müsse: gehört die Welt, von der hier die Rede ist, nicht auch zu

den konservativen LebenSmächten, —nicht konservativ in irgend einem politischen Be­

griff, aber in dem Sinn der ewigen nie zu verschüttenden Quellen der Volksgesundheit, der Kraft und Wiederbelebung beö vaterländischen Geistes? In den Reden Fichtes an die deutsche Nation steht der Satz: „Nur in den unsichtbaren

Eigentümlichkeiten der Nation als demjenigen, wodurch sie mit der Quelle ursprüng­ lichen Lebens zusammenhängt, liegt die Bürgschaft ihrer gegenwärtigen und zukünf­

tigen Würde, Tugend und Verdienste." Daö letzte Geheimnis der Wirkung dieser Denk­

mälerwelt ruht doch in solchen Imponderabilien. Schließen sich diese nicht alle zusam­ men in dem Begriff, der wie ein geheimnisvoll in die Lüfte geschriebenes Wort über

dem ungeschriebenen Gesetzbuch der Denkmalpflege schwebt — das dreimalige „Ehr­ furcht", das in dem Allerheiligsten der pädagogischen Provinz in Wilhelm Meisters Wanderjahren ertönt, umschreibt das tiefste Wesen dessen, was für uns in dem schlecht­ gebildeten Wort Denkmalpflege zusammenfließt. „Eines ist uns nicht gegeben und

bringt niemand mit auf die Welt", sagt Goethe, „daö worauf alles ankommt, damit der Mensch nach allen Seiten ein Mensch sei: Ehrfurcht". Und umschließt dies Wort

Ehrfurcht nicht das, waö uns heute auf so vielen Gebieten unseres nationalen Leben­ verloren gegangen zu sein schien, was unserer Kultur immer mehr zu entgleiten drohte,

— waö uns aber heute am allerbittersten nottut?

DIE DENKMALPFLEGE UND DIE KUNSTGESCHICHTE

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DIE DENKEALPFLEGE UND DIE KUNSTHISTORISCHE WISSENSCHAFT

Wie hat sich die kunsthistorische Wissenschaft der Denkmalpflege gegenüber verhalten? Darf man nicht daran erinnern, daß daS erste umfaffenbe System einer

staatlichen Kunstfürsorge, das auch das, was wir heute Denkmalpflege nennen, mit­ einschloß, in dem Gehirn Franz KuglerS geboren ward —eines Kunstgelehrten, in dem freilich auch ein Künstler lebte, —baß die Väter der wissenschaftlichen deutschen Kunst­

forschung auf den UniversitätSkathcdern, an ihrer Spitze Anton Springer und Johann Rudolf Rahn, aber auch die Spätromantiker der Kunstgeschichtsschreibung, wie August

Reichenöpergcr, die Verpflichtung der dauernden lebendigen Mitarbeit an den großen Aufgaben der Denkmälererhaltung deutlich fühlten. Aber die ständige Betätigung der

Fürsorge, der Beaufsichtigung, der Leitung aller Erhaltungsarbeiten ist immer mehr in die Hände einer neuen Klaffe von Fachleuten übergegangcn, die baukünstlerische und eigene konservatorische Schulung mit weitgehendem kunsthistorischen Wissen ver­

einten, die aber überwiegend aus der Architektenzunft hervorgegangen waren. Von den alten Gegensätzen zwischen den beiden Heerlagern —die nur den Kleinen, den Wagner­

naturen unüberwindbar erscheinen — von den Anforderungen an Vorbildung und Sonderkenntnisscn soll hier nicht geredet werden — darüber ist auf den Tagen für

Denkmalpflege ein Menschenalter hindurch mit immer neuer Fragestellung debattiert

worben, und die stenographischen Berichte über diese Verhandlungen geben von der Entwicklung der Anschauungen ein lebendiges Zeugnis. Kunsthistoriker auf deutschen

Universitätslehrstühlen waren nur in Bonn, in Freiburg und Wien im Nebenamt als

Konservatoren tätig, Kunsthistoriker als Museumsdirektoren in Frankfurt, Hannover, Stettin, Kiel; eine Reihe von Fachgenossen, wie vor allem Georg Dehio, Rudolf Kautzsch, Max DvorLk haben ohne amtliche Bindung in der Denkmalpflege ihrer Heimat ein

entscheidendes und gewichtiges Wort mitgesprochen, aber man darf sagen, daß die große Menge der an Universitäten, technischen Hochschulen und Museen tätigen Kunsthistoriker

der Fülle der Fragen, die die Denkmalpflege zu stellen hat, ohne Empfindung für ihre Bedeutung, mit geringem Verantwortungsgefühl gegenübersteht, ohne das Bewußt­

sein, um was es sich hier handelt. Es geht doch zuletzt um das Allerwichtigste: um die Erhaltung der monumentalen Quellen unserer Wissenschaft, um den geistigen Zugang zu dem EntstchungSprozeß einer ganzen Reihe großer Kunstwerke, der sich nur dem an ihnen Mitarbeitenden erschließt.

Wenn so oft und mit Recht in dem letzten halben Jahrhundert Klage geführt worden ist, baß bei vielen der wichtigsten Erhaltungö- und WieberherstellungSarbeiten die kunst­ historischen Gesichtspunkte zu wenig beachtet worden sind, so liegt die Schuld zum guten

22 FORDERUNGEN DER HEIMATLICHEN KUNSTGESCHICHTE Teil bei den Verirrtem der Kunstwissenschaft, die sich nicht rechtzeitig zu Worte gemeldet haben, die nicht die Kraft und die Energie hatten, ihre Anschauungen in der Öffentlichkeit

zur Geltung zu bringen. ES muß als ein unwürdiger Zustand bezeichnet werden, wenn unter den Augen der geistigen Führer in dem künstlerischen Bereich, unter denm die Universitätslehrer und Museumsbeamten doch in der vordersten Front stehen sollten,

die entscheidendsten Arbeiten der Denkmalpflege sich abspielen, ohne daß jene gefragt, hinzugezogen werden, ohne baß die Gesichtspunkte, deren gegebene Advokaten sie natur­

gemäß sind, wesentlich mitsprechen — und es ist eine falsche und unzulängliche Auf­ fassung von der Verpflichtung, die ein jeder Kunsthistoriker übemimmt, die Interessen

der Kunstwissenschaft im ganzen Umfang in seinem Kreis zu vertreten, wenn er nicht auch für die weitere Auswirkung der kunstgeschichtlichen Erkenntnis im öffentlichen

Leben, in Kunstpflege,Denkmalpflege,Museumswesen seines engeren Wirkungsbereiches mit allen Kräften sich einsetzt. Wenn «ine solche Möglichkeit der öffentlichen Aussprache

und Vertretung nicht gegeben ist, sollten die Vertreter der Kunstwissenschaft sie eben beanspruchen und erkämpfen —und auf den Tagen für Denkmalpflege als den gegebe­ nen Foren für alle grundsätzlichen Auseinandersetzungen sollten eben die Kunsthistoriker ihre ständige starke Vertretung haben. Wenn ihre Stimme hier zu schwach erklingt, so

ist das ihre eigene Schuld. Nostra res agitur. ES genügt freilich nicht, wenn nur eben ein wenig vorbereiteter kecker Husarenritt in

ein unbekanntes Land unternommen wird, um billige Lorbeeren zu ernten — und mit

starkklingenden Schlagworten und demagogischen Kampfformeln, mit dem Aufstellen einer dialektisch noch so schön und verführerisch begründeten theoretischen These, der

idealen Forderung aus Ibsens „Volksfeind" ist eS nicht getan—überzeugen wird eine solche Stimme nur können, wenn sie zugleich aus dem vollsten Verstehen der künst-

lerischen und der technischen Bedingtheiten der gefährdeten Denkmäler, der wirklichen Kenntnis des Arbeitsprozesses und seiner Schwierigkeiten heraus spricht.

Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft hat schon vor einem Vierteljahrhunbert in einer ausführlichen Denkschrift die Forderung erhoben, baß an jeder Universität und Hoch­

schule, sei eS durch den Ordinarius, sei eS durch einen anderen Vertreter seines Faches, regelmäßig Vorlesungen über die gesamte deutsche und daneben speziell heimische

Kunst gehalten werden. Für die Übungen ergibt sich der Anschluß an die heimischen Denkmäler ja ganz von selbst. Die Voraussetzung ist hier fteilich, daß vor allem die verantwortlichen Inhaber der kunsthistorischen Lehrstühle durch eigene Forschung auch

die Verbundenheit mit der heimischen Kunst tragen, die sie dazu befähigt und ihnen daS Recht zu einer autoritativen Äußerung gibt. Eö ist damit ganz gewiß nicht gesagt, baß sie etwa zu reinen Lokalhistorikern werden sollen. Der Schwerpunft ihrer Interessen

und ihrer wissenschaftlichen Arbeit kann nach Neigung und Kairos ruhig auf ganz

DEUTSCHE FRÜHGESCHICHTE

2Z

anderen Gebieten liegen. Viele von den akademischen Wandervögeln, die von einer

Universität zur andern stottern, die eine nur als Sprungbrett zur nächsten betrachten, nehmen sich kaum die Zeit, sich in einer Gegend zuhauS zu fühlen, wenige sagen sich, daß man an einer Stelle ganz im vaterländischen Boden verwurzelt sein und hier in die

Tiefe gegraben haben muß, um baS Wachsen des Genius in der gesamten deutschen

Kunst zu begreifen. Man möchte an daö Wort im Jnanayoga des großen Inders Vivekananda erinnern: „Kenne ich ein Stückchen einer Erdscholle, so werbe ich die

Natur der ganzen Scholle erkennen, ihr Werden, ihr Wachstum, ihr Abnehmen und ihr Ende." Und was wir heute mit neuer Sehnsucht umwerben und suchen, was zu den letzten

Zielen des bn'tten Reiches gehört, das Bewußtsein der inneren Verbundenheit mit der heimischen Geschichte, die Erweckung all der in ihr lebenden geheimen Kräfte: kann daS

der Jugend lebendiger, sinnfälliger vor Augen gestellt werden als durch den fortgesetzten

Hinweis auf diese sichtbaren Zeugen der eigenen Vergangenheit und die Dynamik ihres Symbolgehaltes? Aber diese Predigt gehört keineswegs nur in die Hochschulen —in

jeder Schule, beginnend mit dem heimatkundlichen Unterricht in den Volksschulen, ist

der Hinweis auf diese steinernen dem Boden verwachsenen und die geformten Zeugnisse der Geschichte, auf die sinnlich zu fassende künstlerische Welt nötig, der Weg zu ihnen zu weisen. Dafür aber muß die ganze Lehrerschaft selbst von dieser Erkenntnis durch­ drungen, dieser Einfühlung fähig sein. Nicht alle sind als Führer berufen, und die

Unberufenen sollen sich bescheiden, eben nur Mitteiler und Verwalter zu sein. Der

Unterricht, zumal in den drei Fächern Geschichte, Religion, Deutsch, aber auch in sehr vielen andern Fächern, wirb durch den fortgesetzten Hinweis auf diese sichtbare Welt

überall Stütze und Beflügelung finden. DaS wird zugleich die jungen Menschen stärker

zur Augensinnlichkeit zu erziehen helfen. Ist eS nicht, wie Richard Benz jüngst in „Geist und Reich" gesagt hat, eine phantastische Ironie, daß alle sogenannte „Bildung" am

wenigsten mit dem Bilde zu tun hat, daß die bildende Kunst, im Mittelalter die Volks­

kunst, sehr schnell zur unvolksmäßigsten aller Künste geworden ist? Wir hören heute oft den betonten und unterstrichenen einseitigen Hinweis auf die vielfach vernachlässigte Periode der ältesten Geschichte unseres Volkes, aus der in noch

unbestimmten verschleierten Umrissen der Genius unserer Nation aufzusteigen scheint, in der wir, von der Magie eines geheimnisvollen Zauberreichtums umgeben, die leben­

spendenden Kräfte unseres Stammes uns schlummernd vorstellen möchten. „Die deutsche Vorgeschichte eine hervorragend nationale Wissenschaft" hat schon vor zwanzig

Jahren Gustav Kossinna auf den Titel eines seiner wegbereitenden Kampfbücher ge­ setzt. „Weil ich lernte, baß seine Sprache, sein Recht und sein Altertum viel zu niedrig gestellt werden, wollte ich mein Vaterland erheben" hatte vor 90 Jahren Jacob Grimm

24

DIE PRAKTISCHE DENKMALPFLEGE

geschrieben. Soll sein Wort erst in unseren Jahren ganz in Erfüllung gehen? Aber über diese germanische Frühwelt (die sehr zu Unrecht und durch ein Mißverständnis mit dem

Gesamtbegriff der wissenschaftlichen Prähistorie gleich gestellt worden ist) mit ihren kargen Symbolen und ihrer lückenhaften Überlieferung, die überall unsere Phantasie ausfüllen muß, auch mit Beispielen und Parallelen, die nicht immer ganz berechtigt

sind, führt der Weg geradlinig weiter in deutlicher erhellte Zeiten mit einem immer

wachsenden und immer lebendiger und überzeugender sprechenden Denkmalerreichtum —nur im Zusammenhang mit der fortlaufenden Tradition haben jene frühen Zeugnisse die Kraft ihrer Predigt nach dem Vibelwort: „Dein Alter sei wie deine Jugend." Man muß sich frugen, wie Lehrer, denen Augen zu sehen geschenkt sind (nicht nur

wie RuSkin sagte: „um nicht gegen die Wand zu laufen") eS fertig bringen konnten

und eö noch künftig fertig bringen wollen, in Tn'er und Köln, in Bamberg und Nürnberg, in Dresden und Potsdam Geschichte zu lehren, ohne fortwährend auf die sicht­ baren Urkunden der großen Vergangenheit hinzuweisen. Den Hochschulen wächst die

neue und verstärkte Aufgabe zu, diese Kämpfer auszubilden und immer aufs Neue anzu­

regen, ihre Arbeit zu organisieren, ihnen immer neue Anschauung zuzuführen, die Fackeln zuzubereiten und anzuzünden, die jene dann in das ganze Land hinaustragen sollen.

DIE PRAKTISCHE DENKMALPFLEGE Die praktische Denkmalpflege als Metier ist in den Ländern der deutschen Kultur

überwiegend immer mehr eine Angelegenheit von Architekten geworden. Dieses wichtige

und verantwortungsvolle, auf so vielen Voraussetzungen aufgebaute Amt aus Bequem­

lichkeit, Sparsamkeit und Ressortgründen mit dem Posten des zuständigen nächsten oberen Baubeamten zu verbinden, wie es vielfach geschehen ist, hat sich als nicht un­

bedenklich erwiesen —selbst hervorragende Qualitäten eineö umsichtigen Verwaltungs­ beamten und auf der andeme Seite starke Führereigenschaften einer vorwärtsdrängen­

den selbstschöpferischen Architektenbegabung bedeuten keineswegs schon an sich eine Doeatio zum Amt des Denkmalpflegerö, noch weniger eine nur bescheidene Mitgift von

diesen zwei Gaben. Es gehört zu einer bedeutsamen Dosis dieser beiden Fähigkeiten noch eine Fülle von Spezialistenkenntnisscn wie ein ausgedehntes kunstgcschichtlicheS

Wissen nicht nur auf dem Gebiet der Baugeschichte, wohin den Architekten sein Beruf

weist, sondem in dem ganzen Umkreis deS Sorgenbereichs der praktischen Denkmal­ pflege, über Plastik und Malerei bis zur Edelmetallkunst und Paramentik. Ein deutscher

Denkmalpsteger wird dazu ohne rechten Maßstab dastehen, wenn er nicht auch in Frank­

reich und den Niederlanden, in England und Italien die Entwicklung der Anschauungen in der Verwaltung, den künstlerischen Arbeiten und den technischen Mitteln zu verfolgen

Gelegenheit gehabt hat.

ARCHITEKTEN UND KUNSTHISTORIKER

25

Dieser letzte Punkt führt zu der zweiten materiellen Voraussetzung: den besonderen

technischenKenntnissenund Erfahrungen, die keineswegs ohne weiteres mit dem Handwerk eines Architekten verbunden sind —von denen unten bei der Kunst des Arztes noch zu reden sein wirb. Haben nicht, um nur ein paar Namen aus den beiden letzten

Generationen innerhalb der Bindung des Historismus zu nennen, bei den Franzosen

Viollet-le-Duc, LassuS, Corroyer, bei den Italienern Corrado Ricci und Luca Beltrami, in Deutschland August Effenwein, Friedrich Adler, Freiherr Friedrich von Schmidt in solcher Form künstlerisches Schaffen, wenn es auch zumeist nur ein Nachschaffen war,

mit einer erstaunlichen Tätigkeit auf kunstgeschichtlichem Gebiet —lehrend, forschend, schriftstellernd —vereint; und hat solche Verbindung in der Anwendung auf die Auf­

gaben der Denkmalpflege sich nicht als unendlich fruchtbar erwiesen, ungleich mehr als das einseitige Verharren auf dem einen ober dem anderen Pole? Die Pflege und die Restauration von Gemälden wird doch heute in allen Kultur­

ländern nicht den großen lebenden Malern überlasten — eS war eine unheilvolle

Periode in der Geschichte der deutschen wie der ausländischen Museen, da die Künstler­ direktoren sich zugleich als Restauratoren glaubten betätigen zu müssen. Die Kunst

deS Restaurierens setzt heute durchaus überall ein Spezialistentum voraus —eS gehören

dazu die vielfältigsten in langsamer Arbeit erworbenen historischen und technischen Kenntnisse, Beobachtungen und Erfahrungen ganz besonderer und subtilster Art. Heute

kommen noch die farbenchemischen, optischen, mikroskopischen neuen Untersuchungs­ methoden hinzu. Die peinlichste Gewissenhaftigkeit und Rücksicht in Verbindung mit

künstlerischem Takt und einem hohen Einfühlungsvermögen zeitigen eine besondere Ge­

sinnung, in der aber möglichst wenig der Wunsch zum Selbstschaffen vorhanden sein

muß. Dafür Hingabe, Aufopferung, Selbstentäußerung, —vielleicht sehr viele Tugen­ den mit negativen Vorzeichen.

Auö den Kreisen der Baubeflissenen, auch der nie oder wenig zum eigenen ganz freien Schaffen gekommenen, wie sie in der sorgsam aufgebauten Stufenfolge deS Training

an unseren technischen Hochschulen wachsen, ist jedenfalls weitaus die größere Zahl

der berufsmäßigen Denkmalpfleger in Deutschland hervorgegangen, von einer um so stärkeren Berufung für dies Amt getragen, je mehr sie sich mit kunstwissenschaftlichen Anschauungen und kunstgeschichtlichem Wissen erfüllt haben. Die ideale Vorbereitung

würde immer die sein, daß Technische Hochschule und Universität in der Ausbildung sich ergänzen, und daß praktische Arbeit an einem großen Bau, an dem sich eine mög­

lichste Mannigfaltigkeit der Aufgaben ergibt, eine Vertrautheit mit dem Handwerk­ lichen anbahnt. Für die Erziehung der jungen Kunsthistoriker auf der anderen Seite,

die irgendwie zunächst mit baugeschichtlichen Fragen zu tun haben, möchte ich eS als eine ganz selbstverständliche Forderung ansehen, daß sie nicht nur die Grammatik der

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IMMANENTE IDEE DER DENKMALPFLEGE

architektonischen Formenlehre durchaus beherrschen, sondem auch in dem architektoni­

schen und dekorativen Zeichnen die nötigsten Fertigkeiten sich erwerben. Die Voraus­ setzung ist, daß im Rahmen beS Universitätsstudiums hierzu die Möglichkeit geboten

wird, und daß die Lehrenden hier Mitlernende werden. Vielleicht mag das praktische Arbeitsjahr oder Arbeitssemester, das für die Akademiker nach dem noch etwas un­

bestimmten AuSbildungSplan der neuen Reichsregierung vorgesehen ist, hier auch etwas von der Ausbildung am Dau vermitteln — wie für die Zöglinge der technischen Hoch­

schulen eine solche praktisch-technische Volontärzeit schon längst gefordert wird. DaS wirkliche Geheimnis, auf dem die Berufung ruht, liegt zuletzt auch hier in Imponderabilien. Sie sind bezeichnet durch die beiden Worte Ehrfurcht und Takt, die

man wie Begriffe vom Rang und der Art orphischer Urworte in dem Verhältnis der vergangenen wie der lebendigen Kunst gegenüber ansehen möchte — und ist nicht der

Begriff Takt auch nur eine Deutung deö Wortes Ehrfurcht, dem Sinn und Geist des ewigen Lebens, nicht nur dem alten gegenüber?

IMMANENTE IDEE DER DENKMALPFLEGE Rein philologisch bezeichnet die Wortbildung Denkmalpflege ja zunächst nichts anderes als ein gewissenhaftes und liebevolles pflegliches Behandeln eines Denkmals,

wie es ein Hausvater oder ein HauSverwahrer zu üben verpflichtet ist —immer wieder

ist in der praktischen Denkmalpflege, zuletzt von dem preußischen Staatskonservator Robert Hiecke mit aller Klarheit bei großen und kleinen Baukomplexen die Einsetzung eines einfachen Baupflegers — am besten aus den Kreisen der Handwerker — für die

dauemde regelmäßige Kontrolle gefordert worden. Und daS Wort Konservator will auch nichts anderes bedeuten als dieses: ein Objekt äußerlich im Schwebe- und Be-

harrungSzustand erhalten. WaS der Begriff Denkmalpflege für unö umschreibt, bedeutet aber über dieSKonservieren der Substanz hinaus sehr viel mehr, es will besagen: die Denkmäler lebendig zu erhalten und sie wieder zum Leben zu erwecken, sie als greifbare und sichtbare

sprechende Zeugen und Mahner in den Fluß der Gegenwart zu stellen und sie zum

Reden zu zwingen — niemals ist die Aufgabe nur die der Mumifizierung oder der

Museifizienmg, nicht Erstarrung und TodeSschlaf, sondem ein Weiterleben, sei eS auch mit einer neuen Funktion. In diesem Sinne ist die I d e e, der geistige Gehalt, die Bedeutung deS Denkmals daS

Wesentliche — und danach erst die überlieferte materielle Form, daS Gewand. DaS

Gewand kann sich wandeln und kann neuen Schmuck aufgesetzt erhalten — die Idee bleibt. DaS gilt für das Denkmal, daS noch seiner ursprünglichen Bedeutung dient,

für alle sakrale Kunst und für die profanen Werke, die im Flusse ihrer Bestimmung,

FORTSETZEN DES LEBENS DER DENKMÄLER

27

wenn auch nicht ganz im Sinn der ersten Schöpfung, im lebendigen Gebrauch sind. Die Kirche als Herrin bleibt dieselbe, die weltlichen Bewohner wechseln allzuoft ihr

HauS —und gerade unsere Zeit erlebt überall radikalen Umsturz, Austreibung der alten,

Einzug neuer Bewohner. Bei jedem noch lebendigen Kunstwerk ist die Einstellung eine ganz andere als bei einem Werk, in dem die ursprüngliche Funktion, die bei beweglichen

Kunstwerken am Platze haftet, nicht mehr spricht. Eine Kirche, ein Rathaus können nicht versteinern und ersterben, wenn der Geist der Gemeinde und des StabtwesenS nicht

eingeftoren und erstarrt ist. Ein HauS des lebendigen Christentums und das HauS eines lebendigen kommunalen Geistes werben immer eine fortlaufende Chronik des

Gemeinbewirkens sein, zu der jede Zeit ein paar Seiten hinzufügt, nicht nur ein ab­ geschlossenes Geschichtsbuch. Auf den seelischen Gehalt und das Umfassen und Durch­ bringen eines Lebensschicksals kommt eS an. A. E. Brinckmann hat in seinem Vortrag über Kathedralen und Städte davon gesprochen: „die geistige Kraft eines Bauwerks

mit der wachsenden Stabt zu mehren—das scheint mir der tiefere Sinn architektonischer Tradition zu sein". Darin unterscheidet sich eben grundsätzlich die denkmalpflegerische Betreuung eines noch dem Gebrauch dienenden Kunstwerkes jeder Art von der musealen Fürsorge.

Bei einem Objekt, daS in ein Museum eingegangen ist, ist daö alte Leben, daS an seinen Sitz gebunden war und seine kultische und seine damit zusammenhängende symbolische

Funktion getötet —ein neues, ganz anderes Leben wird ihm eingehaucht, der Lehre,

des Vorbildes, der ästhetischen Beglückung —und weil das alte Leben abgeschlossen ist, ist jedes Rühren an dem Werk, daS über daS reine Konservieren hinauSgcht, verpönt.

Es ist hier eigentlich gleichgültig, ob eS sich um eine Plastik in einem Museum oder um eine Ruine handelt, die gewissermaßen in einem unsichtbaren Freiluftmuseum steht. Für die anderen, die lebenden Denkmäler gilt bas Wort von Auguste Rodin, daö in dem Rodin-Museum in Pan'S an die Wand geschrieben steht:, ,Un art qui a la vie, ne

restaure pas les ceuvres du passe1, ü les continue.

Fortsetzen! —und nun müßte hier die ganze Geschichte der Denkmalpflege wieder­

holt werden — von ihrer ersten glücklichen einheitlichen Periode im Zeitalter der Ro­ mantik an, da mit naivem Mut eine ideale Welt beS Mittelalters —eigentlich nur dieseS—

wieder aufgebaut, wieder auferweckt, und alles, was sich nicht in sie einfügen wollte,

verbannt ward. ES folgte die Zeit beö Historismus, die nacheinander alle vergangenen Stile in geschichtlicher Abfolge zu erobern und zu erkennen glaubte und aus dem Gefühl

deö äußeren Besitzens heraus sich zum treuen Kopieren und Rekonstruieren, zum Nachund Beffermachen für berufen hielt, die in dieser Tätigkeit wissenschaftlich, reflektierend, unschöpferisch war, wo die erste noch von keiner durch kritische Bedenken angekränkelten schöpferischen Begeisterung getragen warb, die als Ausbruch eines materialistischen

28

DER HISTORISMUS IN DER DENKMALPFLEGE

Zeitgeistes mit Theorien die in Kunstsinn und Handwerksgebrauch des Volkes noch

lebendige Naivität langsam erdrosseln mußte. In der dritten Periode haben die lang­ verdrängte, nun endlich wieder in ihre Rechte eingesetzte Kunst deS Bauens und in

ihrem Gefolge die von ihr gebundenen Schwesterkünste aus neuen Aufgaben und neuem Material wieder eine eigene zeitbestimmte Form und einen ihr gemäßen Rhyth­ mus gefunden, von dieser Plattform aus durften die wirklich großen Künstler­

persönlichkeiten ihren Anspruch auf die Mitarbeit an den lebendigen Bauwerken an­

melden, den sie in wachsendem Umfang gern und freudig eingeräumt erhielten. Jene zweite Periode war die große Lehrmeisterin auf allen Gebieten der historischen

Kunst, die Pflegemutter, Hebamme und Ziehmutter der mittelalterlichen und der

neueren Kunstgeschichte; überlastet mit Wissen, oft in einem gefährlichen Hochmut war

sie deS Glaubens, die Aufgaben der Alten nicht nur nachmachen, sondern bessermachen zu können, immer der Gefahr ausgesetzt, daß trockene Pedanterie und ängstliches kaltes Kopistentum jede Regung eines kraftvollen individuellen Nachschaffens ersticken müßte.

Aber wenn heute diese Zeit als eine abgeschlossene hinter unS liegt: sollten wir ihr

nicht wieder mit der Gerechtigkeit deS Historikers, nicht mehr mit der in dem Geist jeder

der nachfolgenden Generationen liegenden Befehdung gegenübertreten und uns vor

Augen halten, was sie uns gegeben hat an selbstloser, geduldiger und sich unter­

ordnender Arbeit, und welche hohe Kennerschaft sie bei ihren besten Vertreten! entwickelt hat. In einem Menschenalter schon werden wir vielleicht vergebens nach Kräften rufen, die die gewissenhafte Ausbildung der alten Schule hatten —werden wir noch Architekten

finden, die ein reich organisiertes spätgotisches Gewölbe auSzulegen imstande sind, Steinmetzen, die mit dem alten Hüttengeist das Fingerspitzengefühl in Form und

Schlag besitzen, das jetzt noch in den besten unserer großen Bauhütten gepflegt wird? — beginnt eS doch schon an einfachen Technikern und Zeichnern in den historischen

Stilen zu mangeln. Wir werben immer für bestimmte Aufgaben der Denkmalpflege — vielleicht Aufgaben, die baS künstlerische Gewissen deS nächsten Menschenalters

geringachtet —Spezialisten mit besonderen Fähigkeiten brauchen —und vielleicht wird die Konservierung und Weitervererbung dieser hohen Sonderfertigkeiten einmal eines der großen dauemben belastenden Probleme der Denkmalpflege sein, wie eS heute schon

zu den geheimen Sorgen der in die Feme Blickenden gehört. Es ist oft in der jüngsten Zeit in der Öffentlichkeit etwas herablassmd und despektier­ lich von der Arbeit in den Bauhütten gesprochen worden als von einer verkalkten

oder eingefrorenen Tradition, von einem engen reaktionären Geist, von etwas Un­

beweglichem, außerhalb der Zeit Stehenden. Vielleicht wird man schon in zwei Jahr­ zehnten dankbar auf die Dombauhütten von Köln, Freiburg, Regensburg blickm, die

in einer Zeit der Verwässerung des formalen Könnens und der Amerikanisiemng des

BAUHÜTTEN

29

Arbeitsbetriebs die alte Werkschulung, die Ehrlichkeit der Einzelarbeit, das tiefe Ver­ antwortungsgefühl des Hüttengeistes, das was man die Frömmigkeit in der Ausübung

des Handwerks nennen möchte, lebendig erhalten haben. Nicht umsonst ist „der Meister" von Victor Hugo'S Notre Dame de Paris bis zu der Novelle Joseph PontenS, die diesen

Namen führt, der Verwalter einer ganz besonderen Kraft und der Träger eines ganz besonderen Bekenntnisses geworden. Dann werden diese Werkhütten ganz von selbst auch wieder Schulungsplätze und Bildungsstätten für eine kommende Generatt'on fein,

zum mindesten für die treuen Diener am Werk, die wir immer in der laufenden Arbeit

der Denkmalpflege brauchen werden. „Noch ist ein Volk lebendig, hat eö Münsterhütten." AuS den Straßburg-Liedern von Emst Bertram, die in dem Band „Von deutschem

Schicksal" wieder gesammelt sind, klingt es wie in einem Sprechchor der unsichtbaren Münsterbauhütte:

Wir wahren in zerfallener Zeit

Geheim gesucht, geheim erwählt,

Des strengen Bauens Run' und Riß,

AuS Hatter Zahl und guter Brunst

Wie sind zum jähen Licht bereit

Ium stummen Werke still gestählt.

In fensterloser Finstemis.

Sind Hüter wir der Königskunst.

Templer des Werks und hohen Wahns

Am alten Münster dienen wir.

Sind wir des Meißels Bruderschaft,

Sein Meister blieb uns Kraft und Kem,

Die Rätselzeichen frühen AhnS

Doch heilig rechnend mauern wir

Behüten wir in goldner Haft.

Die Krypte für den neuen Stern.

VON DER TECHNIK DES KONSERVIERENS In den großen Debatten über Ethos und Aufgaben der Denkmalpflege ist das eine

Selbstverständliche zumeist zu sehr in den Hintergrund getreten, vielleicht eben weil es sich von selbst versteht: die technische Seite beS reinen Konservierens. Ich möchte

sie mit der Tätigkeit des ArzteS vergleichen, der seine Aufgabe darin erblickt, kon­ stitutionelle und äußere Schäden zu heilen und unter allen Umständen das Leben des Kranken zu verlängem. In demselben Sinne, aber auch nur in dem Sinne, in dem man

hier von einer Kunst des Arztes spricht, darf man von einer Kunst des Konser­

vierens reden, und wie man die eine unterstreicht, mag man die andere besonders be­ tonen. Zu Operationen und Ansetzen von Prothesen soll nur im alleräußersten Fall gegriffen werden. Wie dem behandelnden Arzt der Apotheker, so steht dem Denkmalpfleger

der Chemiker zur Seite, und die vielfältigsten Materialerfahrungen aller Att müssen in

seine Arbeit einmünden. Wir geben, mag daS auch Manchem vermessen und vage er-

30

VON DER TECHNIK DES KONSERVIERENS

scheinen, die Hoffnung nicht auf, daß auf dem Wege der chemisch-technischen Behandlung deS äußeren SteinmantelS das Gewand unserer Monumentalbauten auf anderen uns

noch zur Zeit verborgenen Wegen eine relativ größere Festigkeit erhalten kann, rotnn auch die bisherigen Versuche mit Anstrichen, Tränken mit Silikaten und Wasserglas, mit Bestrahlung und Verbleiung so wenig dauemden Erfolg gezeitigt haben, ober gar

das einfache Abarbeiten und Abscharrieren. Die neuen Materialien und neuen KonstruktionSmethoben haben auch der Denkmälererhaltung ganz neue Möglichkeiten er­

schlossen: baS hydraulische Einpressen von flüssigem Zement durch baS Torkretierungs­ verfahren in kranke, zerrissene und auSgehöhlte Pfeiler und Mauern, die Verwendung von Beton in jeder Form, zumal für die Unterfangung von Fundamenten, die Ein­

beziehung von komplizierten Armierungen in Eisenbeton, von Ringankern in Stampf­

beton hat bislang unbekannte Festigungsmittel gebracht. In Beton und in hochwertigem

Portlanbzement darf vielleicht die Denkmalpflege für die Zukunft ganz neue immer

weiter zu steigernde Hilfsmittel erblicken. Kunststein und Steinguß auch für dekorative Teile stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung. Ein nüchternes Denken wird auch die begreiflichen gefühlsmäßigen Widerstände gegen die Verwendung dieser Materialien überwinden — ist diese Überempfindlichkeit nicht eine falsche unmoderne Romantik?

Hätte die Gotik den Beton gekannt: sie hätte ihn sicher auch benutzt und ausgenutzt.

Die mit diesen Mitteln gesichette westliche VierungSgruppe des Mainzer DomeS hätte

bei der unmittelbaren Gefährdung ihrer Stabilität noch vor einem Menschenalter ab­ getragen werden müssen — und die damals abgettagene und im alten Material

wieder aufgebaute Westapsis des Wormser Domes würde heute in situ mit diesen Techniken erhalten werden können. WaS an dem Aachener Münster, an dem Straßburger, dem Freiburger Münster, an St. Sebald in Nürnberg, dem Dom zu Nord­

hausen im letzten Menschenalter an solchen komplizictten Sicherungsarbeiten auf deutschem Boden geleistet ist, wäre früheren Jeitaltem völlig unmöglich gewesen. Bei dem Wiederaufbau der zerstörten großen Denkmäler auf dem westlichen Kriegsschau­ platz sind diese technischen Neuerungen auch vielfach als etwas ganz Selbstverständliches

zur Anwendung gekommen. Die Erhaltung des Mittelschiffes von St. Remy in Reims ohne äußere Verstrebung war nur möglich durch die Einfügung hoher, eine Quer­ verankerung darstellender Eisenbetonbrücken über jedem Gurt.

Wenn heute, begleitet von der Bewunderung der archäologischen Welt, in Athen an den Propyläen der Akropolis und an dem Parthenon BalanoS die umgeworfenen Säulenttommeln und die herabgestürzten Gebälkstücke wieder zusammengefügt, wenn

die Italiener in Selinunt und LeptiS magna das gleiche getan haben, so folgen sie damit doch nur dem Vorbild der deutschen Architekten Roß, Schaubett und Hansen, die 1835

den kleinen Niketempel auf der Akropolis aus den in eine Türkenbatterie verbauten

KRITIK DER ERHALTUNGSARBEITEN

ZI

antiken Werkstücken wieder zusammensetzten. In den hundert Jahren seit der Wieder­

erstehung deS Niketempels hat die Technik der Denkmalererhaltung sehr viel hinzu-

gelemt — anstelle deö scharfen AbschneidenS der Bruchflachen, das jede spätere Unter­ suchung oder andersartige Ergänzung ausschloß, hat man für kleinere Ergänzungen

bewußt zu Kunststein, für konstruktive Teile zu armiertem Beton gegriffen, wobei die Bruchflächen der alten Werkstücke unberührt bleiben konnten — und wenn heute der gefährliche Versuch (hoffentlich nur ein Versuch) gemacht wird, in dem Ostgiebel deS

Parthenon die Skulpturen durch Kunststeinabgüffe zu ersetzen, so ist auch das nicht

neu —an dem Erechtheion ist die eine von Lord Elgin nach London entführte Karyatide schon früh durch eine Terrakottakopie ersetzt wie die verschleppten Platten deS Frieses im Niketempel. Die Kritik der Öffentlichkeit auS dem Munde der Laien aber auch der Nurkunst­ historiker hat oft genug das allzu weitgehende Ersetzen und Auswechseln einzelner

Quadern oder ganzer Flächen und Architekturteile den leitenden Architekten zum Vor­

wurf gemacht. Aber die Lebensdauer vieler Steinmaterialien ist nun einmal eine be­ schränkte, bei genauer Untersuchung finden wir, baß an historischen Bauten eine Menge Quadern und Werkstücke, auch solche mit reicher Profilierung und Bearbeitung, in früheren WieberherstellungSperioden schon ausgewechselt sind, einzelne sogar wieder­

holt — ohne daß eS der Nachwelt und uns überhaupt bewußt geworben ist. An der Außenarchitektur der Samte Chapelle in Paris ist mit Ausnahme der Westfront wenig

mehr alt. An der Fassade von Notre Dame de Paris läßt sich das, was von den origi­ nalen alten Portalen noch übrig ist, aus dem Werk Viollet-le-DucS kaum loSlösen; völlig erneut in Architektur und Plastik ist die KönigSgalcrie darüber. An Saint Front

in Perigueux sieht man äußerlich kaum einen alten Stein mehr. An der Kathedrale zu Reims war die während der Belagerung in wesentlichen Teilen zerstörte vielbeklagte obere Galerie zum großen Teil ein Werk des 19. Jahrhunderts. Es gibt einen Zustand der Außenhaut eines Bauwerks, in dem durch Verwit­ terung —verschieden nach Art deS Steinmaterials, aber auch nach der Zusammensetzung

der Atmosphäre —nicht nur die Standhaftigkeit aller vorspringenden und freistehenden

Architekturteile, Gesimse, Galerien, Fialen, aber auch ganzer Strebewerke oder Türm­

chen gefährdet ist, sondern wo auch die Profilierung und die plastische Form völlig ver­ loren zu gehen droht. In dem ersten Fall ist unter allen Umständen die Stabilität des

Bauwerks und die Erhaltung der Substanz das Wichtigere —und bei jeder Erneuerung und Ersetzung ist es eine Frage der künstlerischen Ökonomie, deS Taktes und deS Re­

spektes vor den baugeschichtlichen Urkunden, wie weit hier im Einzelfall zu gehen ist. Wenn nicht die Gefahr eines völligen Verlorengehens der plastischen Form vorliegt, wird baS kunsthistorische Gewissen, aber auch die Empfindsamkeit deS Künstlers für

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ERHALTEN UND WEITERGESTALTEN

die Erhaltung plädieren, solange eS irgend möglich ist. Der Maßstab, in dem eine Er­ neuerung notwendig wird, wird durch viele Faktoren mitbestimmt: durch den Rang

und die Würde des Bauwerks, durch seine Lage und Umgebung, die Frage, ob dieses nach Rhythmus und Gesamtstimmung den Eindruck des Leichtverwitterten erträgt. Keine

Aufgabe verlangt zuletzt so viel künstlerischen Takt, ein solches Einfühlen in die Rück­ sichten auf Kultus und Bedürfnis, ein solches Verständnis für die historischen Bedingt­ heiten, wie für die städtebaulichen Anforderungen; auf keinem Gebiet liegen auch so

viele wohlgemeinte Fehlgriffe und Übertreibungen, so viel Mißverständnis, trockneö und schwächliches Nachahmen und Kopieren, so viele Vergehen gegen die Gebote der

formalen Gestaltung und der Flächenbehandlung und mit der Zerstörung der Patina

ein solcher Verlust an Stimmungswert, Magie und innerer Würde vor.

ERHALTEN UND WEITERGESTALTEN Der Satz, daß jede ältere Zeit das, waö sie an einem historischen Denkmal im Großen

und im Kleinen hinzuzufügen hatte, in ihrer Sprache als der einzigen bekannten und

ihr gemäßen und geläufigen tat, ist schon fast zu einem Dogma geworden — und die Verkünder und Auöüber des Rechtes der eigenen zeitgebundenen Kunstsprache haben sich auf diese Vierfünftel-Wahrheit wie auf einen Konzilöbeschluß berufen. Aber sollte

man nicht an die Bemerkung von Schopenhauer erinnern dürfen: „Bei guten Taten,

deren Ausüben sich auf Dogmen beruft, muß man immer unterscheiden, ob diese

Dogmen auch wirklich immer daö Motiv dazu sind — oder ob sie nichts weiter sind als die scheinbare Rechenschaft, durch die jener seine eigene Vernunft zu befticdigen

sucht über eine aus ganz anderen Quellen fließende Tat". Es bedarf keines Wortes, daß der ganze Begriff des lebendigen, des immer weiter­ lebenden Denkmals dieö Aneinanderfügen von Äußerungen der verschiedenen Jahr­ hunderte voraussetzt, aber auch ein Zusammenwachsen, Jneinanderfließen —und baß nur diesem Zusammengehen die scheinbar prästabilierte Harmonie der Gesamtbilder etwa deS Aachener Münsters oder deö Wiener StefanödomeS oder des Lübecker Rat­

hauses zu danken ist, die jeweils ein ganzes Stück Kunstgeschichte und Weltgeschichte darstellen. Aber eS gibt auch genug Beispiele eineö bewußten Sichunterordnenö unter

einen alten Plan, so beim Weiterbau deS Louvre wie des Mainzer Schlosses und deö

Aufgreifens von Entwürfen Berninis und Fischer von Erlachs noch nach einem Jahr­

hundert durch Salvi in Rom und Unger in Berlin. Zuletzt ist daS ganze 18. Jahrhundert in Italien, Frankreich, Deutschland, England voll von künstlerischen Taten eines solchen archaisierenden oder direkt kopierenden Zurückgreifens. Am Dom zu Xanten, an St.

Matthias zu Trier, am Münster zu Straßburg, an der Gumbertuskirche zu Anöbach han­ delte eö sich um die ganz bewußte Wiederaufnahme deS mittelalterlichen Formalismus

FORDERUNGEN DER LEBENDIGEN KUNST

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in späten Jahrhunderten. Etwas anderes ist das übemehmen des rhythmischen Gefühls eines älteren BaukerneS etwa bei der Aufführung deS TurmeS der KilianSkirche zu

Heilsbronn durch HanS Schweiner von Weinsberg im Jahr 1520 und gleichzeitig dem

Bau deö Chores von St. Pierre in Caön durch Heetor Sohier im Jahr 1521 oder endlich des westlichen Vierungsturms deS Mainzer Domes durch den jüngeren Neumann, gar nicht zu reden von dem Nachleben der Gotik in der alten Gruppe der nordischen Jesuiten­ kirchen und weiter in Deutschland, Österreich wie in England in unzähligen Variationen

bis inS 19. Jahrhundert hinein.

ES lag nahe, aus diesen historischen Beispielen die Forderung abzuleiten, nun in

demselben Sinne heutigen TageS bei der Aufgabe einer Neugestaltung oder eines Ersatzes an einem älteren Bauwerk vorzugehen, die gleiche Freiheit einer spielenden

Weiterbildung etwa für romanische ober gotische Formen für unS in Anspruch zu nehmen. Dies wäre alles möglich, wenn—ja wenn dies Stilgefühl eben noch lebendig

gewesen wäre. Die Künstler von Caön und Heilsbronn wie die von Mainz und Tn'er waren naiv und schufen naiv — und wir sind dies nicht. Eine verlorengegangene

Naivität ist wie ein verlorengegangener Zustand der Unschuld —nie wieder zu gewinnen. Eine nicht gefühlsmäßig gewachsene, eine nur verstandesgemäß gewollte und gequälte

Neugotik mit einem völlig freien Formenkanon wäre aber ein Unding. Wohl kann ein Künstler auS einer inneren Schau heraus dies ganz neu versuchen wie Gaudi in Barce­

lona in der visionären Konzentration seines KirchenbaucS „La sagradafamiglia“ oder

Lederer bei seinem gotischen Entwurf für daS Nationalehrenmal in Berka — aber die Umwelt, die Menge der Empfänglichen, für die diese ganze künstlerische Arbeit geschieht,

kann nicht diese Kraft mitbringen, für sie bleibt das so Geschaffene im Endresultat und in der Auswirkung immer etwas Erzwungenes, Gewolltes, manchmal etwas Ver­ krampftes, ÜberkünstelteS, mag eö auch von einem wirklich Berufenen als eine isolierte Bekenntnisformel kommen.

An den ersten Versuchen von bewußter und gewollter Weiterbildung der alten Formen aus den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts, etwa in den Kirchen von Schilling und

Graebner, aber auch bei den Anfängen von Curjel und Moser, hatten die Zeitgenossen

die peinliche Empfindung, daß jene Schöpfungen nicht aus einem neuen Raumgefühl heraus gestaltet waren, sondern daß sie —vielleicht nur im Unterbewußtsein, aber sicher

in diesem — im Rhythmus und in der Massengliederung zuerst historisch empfunden

und komponiert waren, worauf in einem zweiten Akt der Formung alles, was an die verfluchte histon'sche Erbsünde erinnerte, gewaltsam ausgestrichen und auSgestoßeu ward. Die Vorhalle, die dieselben Dresdener Architekten Schilling und Graebner als

ein Schutzgehäuse für die goldene Pforte am Freiberger Dom erfunden haben, in dee Geschichte deS Weiterarbeitens an historischen Monumenten wichtig als erster Versuch

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KÄMPFE ZWISCHEN ALTEM UND NEUEM

einer freien Neugestaltung einer solchen Aufgabe, trägt doch die deutlichen Spuren de»

innerlich Unfreien einer nicht organisch entwickelten Übergangskunst. Sind die be­

scheidenen Kirchenbauten zu Lenkeningken, Kaffuben, GoßlerShausen, Gollub und andere, wie sie in denselben Jahren unter der Leitung der preußischen Bauverwaltung

entstanden, oder die auö einer reifen Künstlerschaft gewachsenen Kirchenneubauten von Josef Schmitz und Otto Schulz oder auch die fein empfundenen ländlichen Kirchen­

neuschöpfungen von German Bestelmeyer und seiner Schule, die wir heute eklektisch nennen möchten, und die sicherlich mehr alü ein beglückender und vielfältiger Auöklang

an daö Ende der alten Linie als an den Anfang der neuen gehören, nicht reicher an solchen gesunden und fruchtbaren Möglichkeiten der Anpassung an daS Alte gewesen?

Und doch liegt hier für die wiedererstarkte selbstbewußte, von wirklich großen und schöpferischen Kräften getragenen Kunst der Lebenden die Aussicht auf ein organisches

Weiterbilden aller überlieferter Formen, die Möglichkeit, dies ganze Arsenal von künst­ lerischen Waffen zu nutzen mit der Freiheit, die alle ihrer selbst sicheren Zeiten für sich

in Anspruch genommen haben, im Harmonisieren alter Motive, in Neuvertonung oder auch in atonaler Musik. Dann ist daS nicht mehr etwas krampfhaft Gekünsteltes und

nicht mehr etwas in der dünnen und kühlen Luft des Eklektizismus Gewachsenes und aus zweiter Hand Geschaffenes, sondern wieder ein heißes Gestalten aus dem Überfluß heraus, das alle Gebilde gleichmäßig mit seinem Daimonion durchdringt. In den Aussprachen in der Öffentlichkeit, in den Debatten der Tage für Denkmal­ pflege, den programmatischen Äußerungen von Kunstgelehrten, Architekten läßt sich

durch daS letzte Menschenalter seit dem denkwürdigen ersten Tag für Denkmalpflege

in Dresden vom Jahr 1900 verfolgen, wie erst zögernd und anbeutend, dann mit wachsender Überzeugung diese Forderung aufgestellt worden ist, wie die starken Wider­

stände verschwunden sind, die sich bei den mitarbeitenben, konservativen Künstlern der älteren Richtung und in der TageSmeinung einstellten, und wie im letzten halben Jahr­ zehnt im Sturmschritt die letzte Position genommen ist. Als verheißungsvolles Signal

durfte angesehen werden, daß große ernste Künstler unter den Führern zum Neuen auf dem Gebiete der Denkmalpflege sich anboten, nicht nur weil sie den Mangel an großen freien Aufgaben verspürten, und daß sie gesucht wurden. Man durfte freilich manchmal die Befürchtung haben, daß diese selben Künstler von dieser fremden Do­ mäne, mit der sie sonst gar nichts zu tun hatten, nur allzu gern wieder zu Bahnhöfen

und Hochhäusern überspringen würden. Die katholische Kirche, ihrer ganzen Natur nach zur Hüterin der Tradition vor allem bestellt, früher lange Zeit zurückhaltend, in schroffem

ausschließlichem Bekenntnis zu den mittelalterlichen Kunstformen, hat sich bewußt be­ jahend und vielfach in Einzeläußerungen mit einem fast leidenschaftlichen inoende yuoä

adorasti für die neue Strenge der Sachlichkeit und für die neue Form eingesetzt, so daß

ZUKUNFT DER KIRCHLICHEN KUNST

35

seit dem Sommer 1932 auf die sehr deutlichen Ordnungsrufe von Rom her ein energisches

Abblasen dieser modernistischen Bewegung und eine vorsichtige Zurückhaltung der kirchlichen Behörden zu beobachten ist. Ob in diesem ersten Ansturm auch der sakrale

Gedanke schon eine klassische Gestalt gewonnen hat, wird erst eine künftige Zeit ent­ scheiden können. Vor drei Jahren hat Clemens Holzmeister in einem Aufsatz über den modernen Kirchenbau, Wege und Abwege festgestellt, daß das Prinzip des modernen

SakralbauS in Deutschland auf der ganzen Linie gesiegt habe. „Aber dürfen wir des

Sieges ganz froh werden?" Diese Frage müsse er leider verneinen.

DaS Programm der wiedererstarkten und selbstbewußten kirchlichen Kunst hat in einer edlen und beschwingten Sprache seinen Deuter und Apostel zuletzt etwa in Hans

Karlinger gefunden — und die Einstellung der Führer in das Land der neuen Baukunst hat aus der Weisheit und Reife eines vorbildlichen Lebens heraus Theodor Fischer gekennzeichnet, wenn er an den Schluß seines Würzburger Vortrags 1929 den Satz

stellte: „Die neue Baukunst in ihrem gesunden Kern scheint mir ihrem Wesen nach

der guten alten näher zu stehen als die ganze Gcschichtökunst." Es ging nun freilich wie immer in einer Zeit des rapiden Wandels, daß die Neophyten, die Neubekehrten, sich nicht genug tun konnten im Radschlagen und in dem Abschwören, und eö war

eine Notwendigkeit, nun eben wieder zur tieferen Besinnung auf das Sittliche der

Fragestellung gegen die „krampfigen Neumodischen" zu rufen, die das Kind mit dem

Bade ausschütten wollten. Die tiefempfundenen Worte beö Respektes für die ernsten,

ihrer hohen Verantwortung bewußten Meister der kirchlichen Kunst in den letztver­

gangenen Jahrzehnten des Historismus, die Georg Hager in seinem Vortrag über die Jnnenrestauration mittelalterlicher Kirchen in Nürnberg aussprach, stellten schon wieder einen Akt ausgleichender und verstehender historischer Gerechtigkeit dar. Was wäre zuletzt daS, was wir Denkmalpflege nennen ohne die Erziehung durch diese Epoche?

Die Denkmalpflege wie auch ihr jüngeres Geschwisterkind, der Heimatschutz, sind Kinder dieser Zeit. Wie dürften sie ihre Eltern je verleugnen? Sie haben nur baö Recht, wie

daS Kinder immer tun, über ihre Eltern hinauszuwachsen — und sie müssen über sie

hinauswachsen.

KONSERVIEREN - NICHT RESTAURIEREN? Konservieren, nicht Restaurieren — die Forderung dieser scheinbar so ein­

leuchtenden Antithese ist vor 25 Jahren immer wieder aufgestellt worden —mit sehr geringem Verstehen für die Probleme der tatsächlichen Arbeit an den Denkmälern von

Konrad Lange in seiner Tübinger Festrede vom Jahre 1906 (Die Grundsätze der moder­ nen Denkmalpflege). Sehr viel feiner und weiter auöholend von Georg Dehio in seiner

Straßburger Kaisergeburtstagsrede vom Jahre 1905 (Denkmalschutz und Denkmal3*

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KONSERVIEREN — NICHT RESTAURIEREN ?

pflege im 19. Jahrhundert), nur referierend Adolf von Oechelhaeuser in seiner Karls­ ruher Rektoratsfestrede von 1909 (Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege). Aber hat Dehio Recht, wenn er sagt, daß der Historismus des 19. Jahrhunderts „außer

seiner echten Tochter der Denkmalpflege auch ein illegitimes Kind gezeugt habe, das

RestaurationSwescn; beide würden oft miteinander verwechselt und seien doch Anti­ poden, die Denkmalpflege, die Bestehendes erhalten, die Restauration, die Richtbe-

stehendeö wiederherstellen wolle". Ist das nicht zuletzt nur eine schönklingende innerlich schiefe und unwahre Phrase? Ist «S überhaupt möglich, diese beiden Gegenbegriffe als

Gegensätze einander gegenüberzustellen? ES ist immer wieder der hilflose Versuch, den

Pelz zu waschen, ohne ihn naß zu machen. Die öde Schulmeisterei in den blutlosen Stilübungen der Zutaten oder Verbesserungen in der vermeintlichen Ursprache eines Bauwerkes, die, was schlimmer ist als der Untergang einzelner Stücke, den Verlust an Lebenswärme, an historischer und künstlerischer Gesamtstimmung, an der Vornehm­

heit des Alters bedingt, hat Dehio — sicher mit vollem Recht — zu beklagen; aber ist

diese scheinbare Polarität nicht ein allzu billiges dialektisches Kunststück: wo ist die sichere Grenze zwischen Erhalten und Wiederherstellen? Geht der Weg zur Erhaltung

zumal in den konstruktiven Teilen nicht oft nur über daS, waS man Wiederherstellung nennt? Und gerade wenn wir bei einem lebendigen Organismus uns klar machen, baß

das Wesentliche eben die Seele des Kunstwerks ist, die Form nur das Gewand — ist eS dann nicht wichtiger, die Seele zu erhalten, wenn das zerrissene Gewand geflickt

oder erneuert werden muß? DaS kritisch-archäologische Gewissen, daS in der Form

die kunstgeschichtliche Urkunde, daS Ehrwürdige an sich sieht, wird den Zeitpunkt des Flickens und noch mehr des teilweisen oder völligen Erneuerns immer wieder hinauSschieben, inzwischen für eine solche künftige schmerzliche Notwendigkeit alle Vorberei­

tungen treffen wollen mit Untersuchungen, Aufnahmen, Abformen, in dem Bereitstellen

von sorgfältigen Kopien und Ersatzstücken, die aber erst einzufügen sind, wenn daS alte Original ganz untergegangen ist. In Ostasien ist eS in verschiedenen sich wiederholenden Perioden Sitte gewesen, die alten Tempel und Kultbilder nach einer gemessenen Zeit

auf daS allergenaueste mit allen EinfühlungS- und Fälscherkünsten des Ostens, auch mit den Inschriften zu kopieren und die Wiederholung neben baö alte Werk zu setzen

und jenes erst abzubrechen oder zu zerstören, wenn die Treue und Überzeugungskraft der Kopie bestätigt ward. Der Zeitpunkt einer solchen Operation und der Beginn beS

heilenden Eingriffs aber wird zuletzt in einem Ausgleich zwischen Wünschen und Forde­

rungen der kunsthistorisch und rein gefühlsmäßig eingestellten Welt und dem strengen verantwortungSbeladenen Gewissen beS Architekten vereinbart werben müssen,beide müssen

sich sagen, baß sie nur Verteidiger und Anwälte zweier Parteien sind. Die Geschworenen aber sind das V olk, vor dessen Tribunal sie stehen, für daö der Akt der Erhaltung stattfinbet.

APPELL AN DIE KÜNSTLER

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Wenn heute für jede Arbeit, die eine Veränderung oder eine Zutat selbst im Kleinen bedingt, vielleicht mit einer schönklingenden Übertreibung des Prinzips, die Beteiligung

des Künstlers angerufen wird, so hat Dehio noch in einem ganz anderen Sinne gesagt: Gott bewahre die Denkmäler vor genialen Restauratoren — und gefragt: Muß man Dichter sein, um die Schätze alter Literatur zu hüten? Erinnem aber darf man daran,

daß von dem Zeitpunkt an, da laufende Erhaltungsarbeiten (die eben oft genug zwangs­ läufig Wiederherstellungsarbeiten werben) an irgend welchen historischen Bauwerken

notwendig wurden — und diese Notwendigkeit beginnt schon ein Menschenalter nach

der Vollendung sich geltend zu machen — eS überwiegend handwerksmäßig geschulte tüchtige Kräfte, keine Künstler in unserem Sinne, aber in ihrer Art selbstverständliche

Künstler als Träger ihrer Tradition und ihrer Gesinnung waren, in deren Hände un­ bedenklich diese Arbeiten gelegt werden durften. Den einzelnen Maßnahmen gingen sicherlich nicht so viele Überlegungen, Zweifel, Berichte, Gutachten, Kommissions­

sitzungen wie heutevoraus —mit sicherem Gefühl führten sie „das Selbstverständliche" aus, das zu finden heute unsere Hypertrophie mit Bedenklichkeiten, mit zuviel Wissen, daS Unsicherheit erzeugt hat, verhindert. ES ist eine blendende und immer des Erfolges und des Beifalls sichere Geste, wenn

heute in jedem Einzelfall „der große Künstler" angerufen wird; dieser Appell verspricht

scheinbar den AuSweg aus dem Widerstreit der miteinander im Kampf liegenden Grund­ sätze und der disparaten Interessen. Er ist nebenbei oft ein bequemer VerlegenheitS-

auSweg (und ein schöner Bühnenabgang dazu). Sicher wird der große Künstler die Führung beanspruchen dürfen und willig zugestanden erhalten überall da, wo eS auf

schöpferisches Neugestalten ankommt, und große Kunst wird immer auch in der Zukunft das sein, was die großen Künstler machen, wie der alte Liebermann einmal gesagt hat,

—nicht was die Historiker prophezeien. Dies Prinzip gleichmäßig auf die hohe und auf die geringere Qualität der Aufgaben anzuwenden, wird sich aber einfach auS dem

Grunde verbieten, weil so viele große Künstler gar nicht zur Verfügung stehen. Bei der Weisheit und dem reifen Können des wirklich Großen wird eine jede solche ver­

antwortungsbeladene Aufgabe sicher geborgen sein. Er wirb die beiden unerläßlichen Grundeigenschaften gerade für diese Tätigkeit mitbringen, die Ehrfurcht und Takt heißen, und auS dem Reichtum seiner Bildung und seiner inneren Gestaltenwelt wird

bei ihm auch für eine scheinbar unlösbare künstlerische Aufgabe eine Lösung auf­

blühen — die aufgeplusterten Gernegroßen und die snobistischen Scheingroßen, wenn

sie ohne Zügel und Hemmungen auf daö Thema loSgelassen werden, stellen aber vielleicht gerade heute keine kleine Gefahr dar. In Frankreich gibt eS auch jetzt noch nur eine begrenzte Zahl von erprobten Künstlem von z. T. sehr hohem Niveau, die

Architekten der Commission des monuments historiques, denen ganz allein die

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ÜBERSPITZUNG DER FORDERUNGEN

Arbeit an den alten Denkmälern zufallt —eine Reihe, die sich immer wieder von selbst

ergänzt und verjüngt und zugleich sich kontrolliert (früher die Zahl von 40 wie bei

den Unsterblichen der Akademie). Aber eine ganze große Reihe von Aufgaben der Denkmalerhaltung in unserm Sinne gehörte von je und gehört auch heute wieder dem königlichen Handwerk.

Als eine spezifisch deutsche Krankheit — die Kehrseite einer unserer Tugenden — darf eS wohl bezeichnet werden, bei jeder Einzelfrage den ganzen Komplex der grundsätz­

lichen Erörterungen aufzurollen und in dem Stolz auf die höchste Gewissenhaftigkeit des Überprüfens, in dem Triumph der Theorie das Einfache, daö Natürliche, eben das

„Selbstverständliche" zu vergessen. Wir sind so stolz auf die Sublimierung der Idee, daß wir in eingewurzelter Tartufferie ganz bas eigentliche Ziel zu vergessen geneigt sind. Am Ende steht der lebcntötende Satz: Fiat iustitia, pereat monumentum. In keinem

Lande ist die neuere Literatur der Denkmalpflege, sind Verhandlungen über paradigma­

tische Fälle so überreich an auöspintisierten Theoremen, deren Träger sich in dem über­ hitzten Rausch ihrer ausgeklügelten Lehrgebäude übersteigerten —

Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, Waö ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.

Und wenn bann die einfache nüchterne Grundfrage der Nutzanwendung gestellt ward, mußte die Antwort oft ganz anders lauten. Der Kampf um den Kölner Dom als bas letzte lehrreiche und zugleich schreckende Exempel zeigte die Hilflosigkeit all dieser Forderungen vor dem unverrückbaren Gesetz

deö Sacrosancten. Eü war nicht etwa eine Falliterklärung der Theorie, sondern die weise Einsicht, daß dieser Fall sich doch nicht anders lösen ließ, die die ermatteten Kämpfer nach den großen Rebe- und JeitungSschlachten zu dem Bekenntnis brachten:

„Wir wissen auch nichts Besseres." Die Theorie der Herrschaft der neuzeitlichen An­

schauungen, der Übemahme zeitgebundener Formen, Techniken hatte gesiegt — im

luftleeren Raum — aber der Schatten des ersten Dombaumeisters Gerhard lächelte

mild zu diesem unfruchtbaren Pygmäentum. Es klingt nach bitterer Resignation, wenn wir am Ende solcher langen öffentlichen Prozesse, bei denen eö um daS Leben eines in

den Anklagezustand versetzten Denkmals geht, bekennen müssen: Nicht der Scharfsinn

des Staatsanwalts, nicht die Spitzfindigkeiten der Advokaten behalten recht, das Recht findet — der einfache gesunde Menschenverstand der Geschworenen. Schon vor zwölf

Jahren hat Fritz Schumacher in seiner „Kulturpolitik" den nachfolgenden Satz ge­ schrieben: „Bei der Gestaltung der Erscheinungen unseres Lebens handelt es sich nicht

in erster Linie um Dinge, die ästhetischer Selbstzweck sind, es sind in Wahrheit alles

Fragen der Erziehung, der Erziehung zum innerenGleichgewicht unsereSKulturgefühlS."

BURGENERNEUERUNGEN

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Mit einer hohen Weisheit hat auf der Kölner Tagung von 1930 Robert Hiecke über „Die Probleme der Denkmalpflege am Kölner Dom" gesprochen, sie auö der Bindung in die Starrheit von Bekenntnisformeln gelöst, dafür das Einmalige, daS Wechselnde, auch

daS grundsätzlich Verschiedene der einzelnen Aufgaben aufgezeigt. Dies Überwiegen der transzendentalen Werte, der über dem Beckmeffertum der kunsthistorischen Zensoren stehenden symbolischen Welt, wird man auch einer ganzen Reihe der Burgenerneuerungen und Burgenausbauten als Wertmesser zubilligen

dürfen. ES ist nicht der Begriff der „Echtheit", der hier als letztes Kriterium anzurufen ist, sonbem der Maßstab der Gesanitstimmung, die eben Trägerin des Mythos eines

unS teuren historischen Bauwerkes ist. Jeder Einzelfall hat hier wieder sein eigenes

Gesetz. DaS gilt im höchsten Maße von der Wiederherstellung und dem Ausbau der Marienburg durch Konrad Steinbrecht, die Dehio einmal „die bestgelungene Unter­

nehmung dieser gefährlichen Art" nennt, aber auch von bescheideneren Leistungen auf

diesem Gebiete, wie dem Wiedererstehen der Burg an der Wupper, des Stammschlosses

der bergischen Grafen. Die von Bodo Ebhardt im letzten Jahrzehnt deS alten Jahr­ hunderts angefachte neue Begeisterung für den Burgenbau hat im Ausgleich dieser

wichtigen Denkmälergattung gegenüber der vielfach allzu einseitig beachteten kirchlichen

Architektur sich um die Würdigung der Profandenkmäler im weitesten Sinne und der

Werke der Befestigungskunst tin besondern entscheidende und bleibende Verdienste er­ worben, Forschung und Interesse hier neu belebt, Vorbilder technischer Erhaltungs­

arbeiten ausgestellt. Man wird auch der viel befehdeten HohkönigSburg im Elsaß die

besondere Bedeutung als eine Art staufischeS Wahrzeichen in der Grenzmark und in diesem Sinne die innere Berechtigung zu einer völligen Wiederherstellung nicht ver­

sagen, aber dieser auf Befehl deS Kaisers Wilhelm n. auf Grund sorgfältiger Studien mit größtem Aufwand burchgeführte BurgenauSbau „auf alt" erschien dem beginnen­

den 20. Jh. schon als ein respektvoll aufgenommenes verspätetes höfisches historisches Schauspiel, und die ganze Bewegung der Freunde der Vereinigung zur Erhaltung

deutscher Burgen, der Kreis um den Burgwart, steht in der Geschichte der Denkmal­ pflege und der lebendigen Kunst wie in der geistesgeschichtlichen Entwicklung Deutsch­

lands im letzten Menschenalter als ein romantischer Spätling, eine Nachgeburt des

Historismus, eine außerhalb der Zeit stehende, sich darum auch bewußt isolierende Sektenbildung. Unsere innere Einstellung zu einem Denkmal irgend welcher Att ist eben —und bei

dem „Gebildeten" in viel höherem Maße als bei dem naiven Bettachter — bestimmt

durch die Vorstellungen und Erinnerungen, mit denen wir es umkleiden. Ein einfacher isolierter Rundturm erscheint uns ehrwürdig und bedeutsam, solange wir einen römi­ schen oder einen mittelalterlichen Wachturm darin erblicken — wenn sich ergibt, daß

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VOM STERBEN DER BAUWERKE

unsere Verehrung nur dem Stumpf einer Windmühle galt, schwinden alle diese histori­ schen Assoziationen, und eS bleibt nur die Nüchternheit eines kunstlosen Mauerzylinderö

übrig. Im Rahmen und Rhythmus einer reich organisierten Bauanlage wird auch eine

ganz neue Zutat als ein Takt in der Melodie deS Gesamtkunstwerks und als Träger

der Gesamtstimmung wie etwas Notwendiges erscheinen, aber je mehr die neue Zutat

auf Täuschung berechnet ist, je mehr sie als höchstes Ziel sich setzt, als alt eingeschätzt zu werden, umso peinlicher ist unsere Empfindung der Beschämung bei der Entdeckung

—wie wenn wir unS eine lang unserm Auge entgangene Fälschung zugestehen müssen. In Friedrich HebbelS Reisejournal von 1843 findet sich ein Satz, den wir auch heute nachdenklich lesen sollten: „DaS Albrecht DürerhauS in Nürnberg wurde ebenfalls

besehen und erregte Empfindungen in mir, die mich später verdrossen, als ich erfuhr, baß eS eine modeme Antike, eine restaurierte Altertümlichkeit sei." Viel weniger befangen stehen wir einem solchen Weiterbauen und Weiterspinnen an einem alten Plan gegenüber, wenn wir, unabhängig von der Zwangshypnose, durchaus

Täuschung erzielen zu müssen, den Willen zum freien künstlerischen Weiterbilben, sei

eS auch in Anlehnung an überlieferte Formen, spüren und so baS Recht des Neu­ schöpferischen, wenn auch in bewußter Einengung, empfinden. Auch hier ist zuletzt der

Begriff der künstlerischen Tat das Entscheidende.

VOM STERBEN DER BAUWERKE Seit wir von sterbenden Bauwerken auS ganz neuen Sorgen heraus reden müssen, seit wir uns klar gemacht haben, wie die Vergiftung der Atmosphäre unserer

modernen Großstädte durch die Rauchgase deS SteinkohlenbrandeS den ZerstörungS-

und Zersetzungsprozeß aller äußeren Bauteile in einem erschreckenden Tempo be­ schleunigt, suchen wir verzweifelt nach Mitteln, um den drohenden Tod unserer Bauriesen aufzuhalten. Bei dem Fall deS Kölner Domes handelte eS sich um zwei Fragestellungen,

die einen ganz verschiedenen Maßstab verlangten: um das Verhalten dem alten histori­ schen Bestand gegenüber, —also um die Normalaufgabe der Denkmälerunterhaltung,

— und um die sich schon anmelbende gefährliche Frage, wie weit den erst im 19. Jahr­

hundert ganz neu aufgeführten Bauteilen gegenüber eine Verpflichtung und eine Not­ wendigkeit zur getreuen Erhaltung der überlieferten Formen bestehe. An einem Bau­

werk wie dem Kölner Dom wird immer das Überwiegen des SymbolgehalteS eine

stärkere Bindung an die Tradition geben, auch an die noch junge Tradition, und zuletzt

das Alte wie daS Neue in eins zusammenfließen lassen. Vielleicht bietet für daS Ver­ halten gegenüber Kunstformen, die erst ein Alter von einem halben Jahrhundert aufzu­ weisen haben, Kunstformen zudem von einer bescheidenen persönlichen Note, der Fall

der Wiesenkirche zu Soest auö jüngerer Zeit ein von solcher Beschwerung gelöstes ein-

ERHALTUNGSPROBLEME DER AUSSENARCHITEKTUR

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fachereS Paradigma. Auch hier ist der Westbau mit den beiden Türmen eine Schöpfung der Neugotik —in denselben Jahren durch den Architekten Söller aufgeführt, in denen

der Kölner Westbau unter Doigtel seine Vollendung fand. Bei der raschen Verwitterung deS Grünsandsteins ergab sich die Frage nach einer Emeuerung der schadhaften Teile bei gleichzeitiger Vereinfachung der Einzelformen oder darüber hinaus Vereinfachung

der Architektur durch mehr ober minder weitgehende Umgestaltung der bisherigen Form

oder durch Ummantelung. Das wird — wenn man nicht in Einzelfällen zu völligem Abbruch schreiten wird —voraussichtlich der Weg sein, auf dem die so übergroße An­

griffsflächen bietende aufgelöste gotische Zierarchitektur in der mit Rauchgasen und schweflicher Säure gefüllten zerstörenden Großstadtatmosphäre der nächsten Generatio­

nen Bestand zu haben vermag, wie sie sich vielleicht auch im Rhythmus unseres neu­

zeitlichen Stadtbildes zu halten vermag. Eine solche formale Gestaltung wird sich dann auf dem Wege eines organischen architektonischen Denkens ganz von selbst zugleich als zeitgebundener AuSdrucköwille ergeben, nicht als gekünsteltes und gewolltes naives Gewand einer doch niemals mehr

naiven Zeit. Die reichen gotischen Turmaufbauten, wie sie im Anschluß an daS Kölner Vorbild und unter dem Einfluß der Kölner Bauhütte im Wetteifer in einer ganzen

Reihe von deutschen Städten in Wien, Regensburg, Ulm, Prag, Soest, Mülhausen in Thüringen, Wesel, Duisburg, Leipzig, Klosterneuburg von der Mitte beö 19. Jh. an entstanden sind, oft wunderlich mißverstehend einen hochgotischen Formenkanon auf

spätgotische Unterbauten setzend, haben den nächsten Menschenaltern eine schwere kaum tragbare Aufgabe der Erhaltung auferlegt. DaS letzte dieser Schulbeispiele, die Aus­

führung der aufgelösten Doppelturmftont an dem Dom zu Meißen nach dem Entwurf

von Karl Schäfer, setzte sich schon in einem deutlich werbenden Anachronismus in einen

bewußten Gegensatz zur Denkmalpflege. Damals schrieb ein italienischer Kritiker in L’Arte: Verschäfern significa rinnovare, rifare, imbattare Pantico. E pur-

troppo tutta la Germania sta verschäfert. Ob man nicht nach einer Zwischenperiode

des redlichen Flickens und AuöwechselnS in einer späteren Zeit entschlossen dazu über­

gehen wird, dort, wo diese Turmbauten sich nicht durch Ausmauern und Ummanteln

festigen lassen, ihre Aufsätze abzubrechen und bescheidene Abschlüsse zu finden mit ein­ facherer Silhouette, wie die gotischen Kathedraltürme Frankreichs, oder auch mit nied­ riger zierlicher aber ungotischer Übersetzung, wie die holländischen oder auch die nieder­

rheinischen (diese vor ihrer Gotisierung) und niederdeutschen Bauten dies zeigten? Hier

liegen noch viele unauögeschöpfte künstlerische Möglichkeiten vor — die Lösung der Auf­ gabe wirb man gern einer künftigen von ganz sicherem Stilgefühl und unbeirrbarem

Empfinden für Rhythmus und Musik der Baukörper getragenen Zeit überlassen: baß

der seit Jahrzehnten vorliegende preisgekrönte Entwurf zur Ausführung der Freiberger

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SCHICKSAL DER MONUMENTALBAUTEN

Domtürme von Bruno Schmitz nicht ausgeführt worden ist,erscheint UN« heuteviel­ leicht schon wieder als ein Glücksfall. ES soll hier nicht einer schulmeisterlichen Ideologie zuliebe die Frage aufgeworfen

werden, ob eS im Sinne der lebendigen Kunst von heute berechtigt war, wie die« nach

dem Weltkriege bei dem Werk des Wiederaufbaus in Belgien, Frankreich, aber auch Italien geschehen ist, nicht nur historische Einzelbauten, sondern ganze zerstörte und verschwundene Straßenfluchten und Platzfronten in den des Lebens beraubten histori­

schen Formen wiederaufzuführen. Seltsam unberührt von allen Forderungen nach neuzeitlicher Gestaltung, von den Gedanken der modernen Stadtbaukunst und des

ländlichen Heimatschutzes scheint uns diese ganze Wiederaufbautätigkeit zu sein. Aber für die Förderer einer solchen strengen Wiederherstellung waren eben nicht nur das Rathaus zu Arraö wie die Hallen zu Ppern symbolerfüllt, sondem darüber hinaus

ein ganzer Stadtkern, — und dessen Wiedererstehung erschien deshalb al« sinnvoll. Die Stimmen moderner Architekten, die sich grundsätzlich dagegen wandten, freie Bahn für die Kunst ihrer Zeit forderten, sind nicht durchgedrungen. Man mag sich erinnern, daß nach dem Einsturz des Campanile in Venedig sich auch Stimmen erhoben, die dem zusammengebrochenen Riesen sein Sterben in Schönheit gönnten, die (vielleicht nicht mit Unrecht) auf die viel glücklichere Hannonie des Platzes von San Marco hinwiesen,

die nicht mehr durch den ungeheuren Maßstab des übergroßen Goliath erschlagen ward. Auch redegewaltige NichtSalütheoretiker der modernen Forderung, die eine neuzeitliche Gestaltung bei einem Wiederaufbau des Campaniles verlangten, sind damals auf­

getreten. Mit einem leisen Schauder denkt man an die damals — vor erst zwei Jahr­ zehnten — vorgelegten Projekte für einen neuen Campanile in der gleichen Höhe,

aber in modernster italienischer futuristischer Architektur zurück. Sicher war Italien im Recht, wenn eS seinen alten liebgewonnenen Campanile wiederzusehen verlangte,

wenn eS nur in ihm daö Sinnbild der Lagunenstadt erblicken wollte und eS hat der

Sehnsucht der ganzen Welt damit entsprochen. Vielleicht hat der Nordländer Nietzsche diesem Südlandfühlen den stärksten Ausdruck gegeben: Du strenger Turm, mit welchem Löwendrange

Strebst du empor hier, siegreich, sonder Müh, Du überklingst den Platz mit tiefem Klange ,..

ES klingt für ein Ohr, das gem nur das lautere Ja — ober das scharfe Nein hören möchte, allzu verführerisch, wenn die Antwort auf die Frage, ob an ein Denkmal zu

rühren oder nicht zu rühren sei, lautet: „Nein — dann laßt eS lieber in Schönheit

sterben." —Das ward vor einem Vierteljahrhunbert in den Kämpfen um daS Heidel­ berger Schloß bis zur Ermüdung wiederholt. Ist eS nicht ein allzu leichtes Palliativ,

IN SCHÖNHEIT STERBEN

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ein sentimentaler Selbstberuhigungsversuch — und zuletzt in dieser Reinkultur etwa-

sehr Selbstsüchtiges: Uns Alles, der Nachwelt Nichts! Freilich auch: Uns wenigstens ein Ganzes, Ungetrübtes! Dann mag die Nachwelt für sich sorgen — und sich vielleicht

mit der Erinnerung an ein volles Glück trösten! Da ist jener (nun schon ein paarmal abgedruckte) Brief deS alten zornmutigen John

Ruskin über die geplante Wiederherstellung der Abteikirche zu Dunblane vom Jahre

1887, die er the most vulgär brutality nennt: „Restaurationen sind in allen Fällen entweder fette Dissen für Architekten oder sie entstammen der Eitelkeit der betreffenden

Bauherren, und ich zähle sie zur schlimmsten Klasse des Schwindels und der Prahlerei. Die Restauration der Abteikirche in Dunblane, der reizvollsten Ruine Schottlands, ja

in ihrer Art der reizvollsten in der ganzen Welt, muß ich für die gemeinste Brutalität erklären, deren Schottland sich seit der Reformationszeit schuldig gemacht hat. Diel lieber wäre es mir zu vernehmen, baß man eine Eisenbahn quer durch die Ruine gelegt und die Steintrümmer in den Bach geworfen hätte." Das hört sich herzerfrischend an,

aufrichtig, etwas polterig, einfach und gerade. Aber ist es nicht die billigste Art, sich mit einer Einzelausgabe und dem dahinter auftauchenben grundsätzlichen Problem abzu­

finden? ES gibt da allerlei sehr nüchterne Begriffe —auch in Schottland —sie heißen

zunächst: Haftpflicht, Versicherung, Baupolizei; dahinter steht ein ungeschriebenes Gesetz: Haftpflicht für die nächste Generation. Wäre eS ein erfteulicher, würdiger und

überhaupt erträglicher Zustand, den Dau in weitem Umfang abzusperren und seinen langsamen Untergang und Einsturz abzuwarten? Bei einem Denkmal in einem leben­ digen Bauorganismus, im Rahmen eines Ortes, einer Stadt, kommen dazu selbst­

verständliche normale städtebauliche und verkehrspolizeiliche Rücksichten in Frage, die

dies „in Schönheit sterben" einfach zur Unmöglichkeit machen. Aber vieles muß sterben und weichen, dem Leben Platz machen, bas zuletzt immer

Recht behalten wird. Nicht für die Ewigkeit zu erhalten, sondern Krankheiten zu heilen, KrankheitSkcime zu beseitigen, daS Leben der Denkmäler tunlichst zu verlängern, ist

unsere Aufgabe. Hinter allem steht das Recht der Zeit und der Zukunft, alles ist be­ stimmt unterzugehen. Die Denkmalpfleger sind die Offizialverteidiger ihrer gefährdeten

Klienten — sie werden eS aber auch nicht verhindern können, baß über eine ganze Reihe daS Urteil gesprochen wird. DaS Bild unserer großen Städte wird in hundert Jahren und in dreihundert Jahren eben notwendig ein ganz anderes sein als das heutige. Die

Reisehandbücher vom Jahr 2033 und vom Jahr 2233 werden eine sehr veränderte Liste von Monumenten und Sehenswürdigkeiten zu verzeichnen haben, vermutlich sehr viele neue und ganz anders geartete und die Nachfolger von Dehio's Handbuch der deut­

schen Kunstdenkmäler werden dann sehr Vieles zu streichen und Vieles neu aufzu­

nehmen haben.

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VOM STERBEN DER MONUMENTALSKULPTUREN

VOM STERBEN DER MONUMENTAL­ SKULPTUREN Bei plastischen Denkmälern, zumal bei solchen von höchster Qualität, die zugleich

Träger der tiefsten Symbolik sind, schreckt unser Empfinden zurück bei der Vorstellung, daß sie durch eine Kopie ersetzt werben sollen. Aber sind nicht schon sehr viele und nicht

wenige von den uns teuersten uns in Wiederholungen überliefert, zum Teil ohne daß wir uns dessen bewußt sind, und vor allem ohne daß das empfindsame, aber nicht durch

kunsthistorisches Wissen belastete Publikum sich daran stößt? Ganz unerträglich wäre

es unserer Vorstellung, baß ein Heiligtum wie der Bamberger Reiter etwa einer Kopie Platz machen müßte (was vielleicht notwendig würde, wenn er wie St. Georg und St. Martin am Baseler Münster im Äußeren angebracht wäre) — und doch ist ein Werk von gleich hoher Würde und magischer Bedeutung, das Paar der Ecclesia und Synagoge an dem Sübportal des Straßburger Münsters, durch eine Kopie ersetzt, und die Bewunderung der vielen Tausende, die davor Haltmachen, gilt einer modernen

Arbeit, während die Originale im Frauenhause geborgen sind, wie auch die Hälfte der Jungfrauen und der Tugenden, die am meisten verwitterten Propheten von der West­

front und fast alle Figuren des nördlichen LaurentiuSportaleö. Die von der französischen

Revolution zerstörten Reiterbilber, die in zwei Stockwerken bie Westfassabe schmückten, sind schon 1811 und 1823 durch Wiederholungen und Neuschipfungen ersetzt. Am Freiburger Münster treffen wir schon im 18. Jh. auf Ergänzungen und Kopien bei der

Außenplastik. In Magdeburg ist das Gegenstück zum Bamberger Reiter, das Reiterbild

des „Kaisers" vielfach verändert, die allegorischen Gestalten der Italia und Germania neu ober ganz überarbeitet, das Pferd so gut wie neu, die vier Ritterstatuen durch moderne Wiederholungen ersetzt, bas Ganze kaum zu einem Viertel mehr Original.

Der Roland zu Bremen, schon 1404 nach einem älteren Original kopiert, ist uns nur in einer Wiederholung und Überarbeitung des 19. Jh. erhalten, dasselbe gilt für eine

ganze Reihe der sonstigen bekannten Rolandfiguren, das gotische Hochkreuz aus dem

Xantener Domkreuzgang steht im Original im Bonner Provinzialmuscum, an Ort und Stelle eine Sandsteinrekonstruktion. In Nürnberg werden das Sebalbuschörchen,

die Stationen von Adam Krafft, der schöne Brunnen in modernen Kopien von uns bestaunt, die Originale dürfen wir im Germanischen Museum suchen zusammen mit

den weggenommenen Außenfiguren von St. Sebald. Von den Brunnensäulen in Bern, Rottweil, Basel, Zürich, Tübingen, Frankfurt, Wertheim, Mergentheim und vielen

anderen mehr gilt, daß sie ganz oder teilweise durch Kopien, zumeist durch strenge Nach­

bildungen beS 19. Jh. ersetzt sind. An der Front von Notre Dame in Paris, im Chor der St. Chapelle, an der Front der Kathedrale von Laon bewundert das Publikum im

ERSATZ VON FREIDENKMÄLERN

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wesentlichen Skulpturen des 19. Jh. und hat sich damit langst abgefunden. An den allzu neu und im Steinton hart erscheinenden Kopien der Frontfiguren von der Lieb­

frauenkirche in Trier, die erst vor 15 Jahren durch Wackerle kopiert sind, stoßen wir uns noch an dem Gegensatz der Tonwerte. Bei alteren Freidenkmälern denken wir gar nicht an die Übersetzung: daß die friberi-

zianischen Helden auf dem Wilhelmsplatz von Schadow und Taffaert im Original im Kaiser-Friedrich-Museum stehen, an ihrer alten Stelle durch leicht veränderte Bronze­

kopien ersetzt, daß in Sanssouci an der großen Fontäne die Marmorbildwerke des Merkur und der Venus von Pigalle Kopien Platz gemacht haben, während die Originale gleichfalls in das Kaiser-Friedrich-Museum gewandert sind, daß Danneckers Nymphen­ gruppe in Stuttgart durch eine freie Marmorwicderholung ersetzt ist, während das Sanbsteinon'ginal nach Tübingen abgewanbert ist, daß der Donnersche neue Markt­

brunnen in Wien im Jahr 1873 einer Bronzekopie gewichen ist und die Bleioriginale im unteren Belvedere zu suchen sind, baß in Florenz der hl. Georg von Donatello im Bargello steht und an Or San Michele eine Kopie, daß der David Michelangelos in

die Akademie gewandert ist, wo er freilich in der großen Halle, die seinen Maßstab erschlägt, seine ganze Wirkung als ll gigante verloren hat —eine mäßige glatte Marmor­ kopie ist an Ort und Stelle vor dem Palazzo Vecchio aufgestellt. Aber eö gibt auch

noch frühere Beispiele solcher Ersetzung, die Gruppe deö hl. Georg in Prag ist uns vielleicht nur in einem Nachguß der Frührenaissance erhalten, das Grafendenkmal in

Roermond (wenn eö nicht nur überarbeitet ist) in einer Kopie der Hochrenaissance. Daö sind alles Werke der mittelalterlichen und der nachmittelaltcrlichen Kunst. Sowie wir in die Antike gehen, finden wir, daß 90 Prozent der uns überlieferten Werke in

römischen Kopien vor uns stehen —den einzigen, an denen WinckelmannS und Goethes

Begeisterung sich entzünden konnte — und nicht wenige der ostasiatischen Kultbilber und Einzelfiguren sind, für unser Entscheidungsvermögen noch nicht in allen Fällen

klar zu fassen, unö nur in späteren genauen Wiederholungen überliefert.

Der dekorativen Barockplastik gegenüber sind wir heute sehr viel freigebiger in dem Verzicht auf Originalität. In dem Garten hinter dem Würzburger Schloß sind die

Mehrzahl der Puttengruppen Peter WagnerS durch Kopien ersetzt, im Schloß zu Veits­ höchheim sind ganze Gruppen, aber auch dekorative Einzelstücke, Steinbänke gegen

Kopien ausgetauscht und der „totgesagte Park" hat damit einen guten Teil seines

Stimmungözauberö eingebüßt. Die Originale sind z. T. eng und unübersichtlich zu

sammengeschoben in einer neuen Museumshalle am Luitpoldmuseum in Würzburg untergebracht, einige im Nationalmuseum in München. An dem kurfürstlichen Palais

in Trier sind die Balkonbrüstungen mit den Puttengruppen durch Wiederholungen er­

setzt, die Originale sind in daö Provinzialmuseum abgewandert. An dem BerlinerSchloß

46

SCHUTZMASSREGELN FÜR AUSSENPLASTIK

und dem Zeughaus, an den Palais in Potsdam wie denen in Dresden und Wim, an

dem Schloß zu Brühl, dem Michaelstor zu Bonn sind ganze Reihen von Skulpturen

erneut ober durch getreue ober freie Kopien ersetzt. Der mit Leidenschaft geführte Kampf um die Erneuerung des Zwingers in Dresden, um die Frage: Ergänzung durch An­

stücken und Vierungen, getreue Kopie, freie Kopie ober ganz unabhängige Neuschöpfung,

die nur in Stimmung und Rhythmus sich einfügt, um Steinkopie oder in Steinguß, (wie das etwa in Stuttgart und Ulm versucht ist), ist zu einer Generaldebatte ausge­ wachsen, auch WrbaS Künstlerschaft konnte die Polarität der hier gestellten Aufgaben nicht besiegen. Anatole France spricht im Pierre Noziore von einem Kunstwerk baS

19. Jh., daS sich spreizt, eines des 12. Jh. zu sein Cela s’appelle un faux. Tont

faux est haissable. DaS ist ein starkes volltönendes Wort,man möchte eS gern als ein

befreiendes begrüßen—aber eS ist zuletzt auch nur eine schöne Geste. Denn was können

wir mit diesem MuseumSmaßstab im Einzelfall in der Praxis anfangen? DaS Mittelalter hat an einer ganzen Reihe von Bauten —übrigens nicht um des

Schutzes der hier angebrachten Kunstwerke willen, sondern um Räume für praktische

und liturgische Bedürfnisse zu schaffen, vor große Portalaufbauten ganze Vorhallen gesetzt, so etwa in Autun und San Jago bi Compostella, im Paradies des Doms zu

Münster, am Freiburger Münster, an der Frauenkirche in Nümberg. Als neuzeitlicher Lösungsversuch in diesem Sinne steht als klassisches Schulbeispiel die Vorhalle vor der

goldenen Pforte am Freiberger Dom vor unS. In weit höherem Maße wäre ein solcher Schutz gegen Wetter und Verwitterung heute notwendig an den Portalen am Bam­

berger Dom, vor allem an dem großen Fürstenportal. Vielleicht, baß eine spätere Zeit einmal dazu übergeht, ein freies und luftiges durchsichtiges Gehäuse hier vorzusetzen

und dies mit Kühnheit und künstlerischem Takt in der Massenbewältigung und der Linienführung in die Baumasse des Domes einzufügen, wie dies etwa im 18. Jh.

Balthasar Neumann, vor eine solche Aufgabe gestellt, gelöst hätte. Der Maßstab der ästhetischen Grenze — wenn man hier davon reden darf —, bei dem der Ersatz der Originale durch Kopien gefordert richtig erscheint, ist freilich ein sehr

verschiedener. Am Ott Heinrichöbau deS Heidelberger Schlosses wie am Friedrichsbau hätten wir gern die großen Sandsteinsiguren auch in der leichten Corrosion noch Jahr­

zehnte genießen mögen. Die Aufstellung der Originale in dem Erdgeschoß des Ott

Heinrichbaus (nachdem sie lange unwürdig eingekellert waren) beweist nur, wie wenig notwendig diese allzu eilige Schutzmaßnahme hier war. Und es ist leider überall Tat­ sache, daß die Wegnahme der Originale diese keineswegs sichert. In Rottweil wie in

Nümberg sind sie erst lange herumgestoßen worden, bis sie (ob dauemd?) den heutigen Platz erhalten haben. Bei nicht wenigen Außenplastiken beklagen wir, daß nicht vor

einem halben Jahrhundert wenigstens ein Abdruck angeferttgt worden ist, der den altm

KOPIEN ODER NEUSCHÖPFUNGEN

47

Zustand festhielt, aber erschüttert stehen wir vor gefühllosen schlechten neuen Ab­ schriften in Stein, bei denen die Originale ober die originalen Reste verschwunden und

spurlos untergegangen sind. In Paris und Laon sind die ausgewechselten originalen

Plastiken bis auf ganz wenige Reste verschwunden und es ist der Forschung heute nicht

möglich, auch nicht den sorgfältigen Untersuchungen von Marcel Aubert, überall die Grenze zwischen Alt und Neu festzusteüen.

Bei dem stillschweigenden Ersetzen von kunstgeschichtlich in besonderem Sinne be­ deutsamen plastischen Bildwerken im Rahmen der Außenarchitektur ist in den letzten Jahrzehnten im Grunde genommen selten genug die theoretische Forderung aufgestellt

worben, anstelle von Kopien nun Neuschöpfungen zu setzen. In Einzelfällen, etwa

bei der notwendigen Auswechselung der ganz verwitterten hochgotischen Verkündigungs­ gruppe von der Westfront der Zisterzienser-Abteikirche zu Altenberg, hat sich diese dog­

matische Forderung durchgesetzt, und anstelle derben Besuchern vertrauten, aufdaS glück­

lichste in die Fläche einkomponierten alten Gruppe ist eine neue gutgemeinte und auch ganz fein empfundene moderne Arbeit hier eingefügt, die mit Rücksicht auf daS Bau­

werk leise den gotischen Rhythmus aufm'mmt und so nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Man stelle sich vor, daß jene der Bevölkerung und den Tausenden der fremden Kunstfteunde vertraute Gruppe der Ecclesia und der Synagoge am Straßburger Münster

im letzten Jahrzehnt selbst durch Werke der ersten ftanzösischen Meister unserer Zeit, durch Maillol oder Bernard ersetzt worden wäre! Was die öffentliche Meinung naiv verlangt, ist eben die alte Bildform. Die Antwort würbe lauten: „Wir sind voll von

Dankbarkeit für das unS zugedachte kostbare Geschenk, aber steht daS nicht viel besser auf neutralem Grund in einer Umgebung, die nicht durch andere Werte bestimmt ist,

überall Rücksichtnahme verlangt, die künstlerische Freiheit beschneidet? Laßt unS an dieser Stelle den bekannten Klang." In andern Fällen wird bei der notwendigen Beseitigung bescheidener nur dekorativer

Arbeiten die Antwott lauten: „DaS Bessere ist des Guten Feind." Bei den Ergänzungs­

arbeiten an dem Dresdener Zwinger standen die Meinungen einander gegenüber, ob es

richtig sei, eine genaue Kopie oder eine freie in den Rhythmus des Bauwerks sich ein­ gliedernde berockisierenbe Schöpfung ober endlich ein ganz neues unabhängiges Werk

einzufügen. Sicherlich ist unser Empfinden heute noch zu stark durch baö historische Gefühl belastet. Eine spätere innerlich erstarkte und selbstsichere Kunst wird einmal mit

der gleichen Gelassenheit und Selbstverständlichkeit, wie eS daS Barock getan hat, sich der ganzen Überlieferung gegenüberstellen, aber jeder Fall hat sein eigenes Gesetz, ist unter ganz besonderer Fragestellung und Begründung zu beantworten. Die Berufung auf

daS Barock schließt eben auch die ganze Empfindungslosigkeit, das hochmütige Hinweg­ gehen über Gutes und Schlechtes ohne daS Gefühl für die Qualität, sagen wir ruhig: die



RANGORDNUNG DER DENKMÄLER

Barbarei deS Barock ein. Unheilvoll ist nur die Neigung des Deutschen zumDoktrinären, das Kokettieren mit den scheinbarallermobernsten Anschauungen (die eben oft die von vor­

gestern sind) und dieAngst, sich auch einmal zu etwas scheinbarRückständigem zu bekennen.

RANGORDNUNG DER DENKMÄLER ES ist gerade in jüngster Zeit wieder erneut die Frage gestellt worden, —zuletzt von Hanö Karlingcr und Rudolf Pfister — ob nicht in der deutschen Denkmälerwelt eine

gewisse Rangordnung, eine Wertauslese, einzuführen wäre, daß die großen für die ganze Nation bestimmenden Denkmäler für sich aufzuzählen wären, danach die pro­

vinzial-wichtigen, weiter die für einen kleineren Kreis, eine Gemeinde bedeutsamen —

und baß die Liebe und daS fürsorgende Interesse sich zunächst auf die erste, die große

Klasse zu konzentrieren habe. Geschieht das aber nicht doch zwangsläufig überall ganz von selbst? Jeder Versuch der Einführung eines wirklichen Klassement für die un­ beweglichen Denkmäler bringt zwar die Hervorhebung einer beschränkten Zahl von

Bauwerken, aber damit sind zugleich die übrigen mehr ober weniger deklassiert und bei einer Beschränkung deS Schutzes der Öffentlichkeit nur auf jene zugleich vogelfrei erklärt. In Frankreich, wo der staatlichen Denkmalpflege dieses Klassement zugrunde liegt, darf zwar eine beschränkte Ziffer von Bauwerken hinter ihren Namen die ehren­

volle Bezeichnung mon.hist. einfügen, die auch in die Fremdenführer übergeht, wie bei

den Notablen im Adreßbuch die Ritterschaft der legten d'honneur erwähnt wird, aber dieses System hat eine erschreckende Kehrseite eben in der Schutzlosigkeit der nicht­ klassierten Denkmäler — Maurice Barres hat schon vor zwanzig Jahren in seinem

Buch „La grande pitie des eglises de France“ diese Klage erhoben, und Joseph Peladan in „Les dix milles Eglises de France ä. classer“.

Der Maßstab, nach dem eine Klassifizierung irgendwelcher Art in Deutschland vorzu­

nehmen wäre, müßte notwendigerweise ein ganz verschiedener sein (wie sich daS schon bei der ersten Aufstellung der Liste der „national wertvollen Kunstwerke" ergab) — sehr stark schwankend etwa zwischen dem Rheinland und Ostpreußen — und da eben

nicht oder nicht nur die kunsthistorische Zensur entscheidend sein soll, sondem ebenso stark die Summe der historischen Erinnerungen, wird die Formel für jedes Land und jede Provinz sich selbstverständlich wandeln. Daneben hat ein Denkmal ja eben auch

für eine bestimmt bemessene Zeit mehr zu sagen als für die andere (wie etwa der

Wechsel der Baedekersternchen in den verschiedenen Auflagen beweist). DaS, waS jene Forderung verlangt, eine gewisse Hierarchie der Denkmäler nach Gattungen, wird als

historische und wirtschaftliche Folgerung überall ganz von selbst eintteten, und ebenso wird sich die Welt künftig damit abfinden müssen, baß gewisse Glieder des überlieferten

Denkmälerbestandes allmählich aufgegeben werben und ausscheiden.

UNAUFHALTSAMER UNTERGANG

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Wie in den beiden letzten Menschenaltem eine gewaltige Zahl von Befestigungen, Stadtmauem, Türmen, Toren verschwunden sind, so wirb die nächste Gmeration eS voraussichtlich erleben, baß eine immer wachsende Ziffer von Wohngebäuden, vor allem

von Schlössem und Herrensitzen, die für den Lebensrahmen ihrer Bewohner durchweg zu groß gewordm sind, deren dauemde Unterhaltung für sie aus vielfachm Grünbm

untragbar wird,einfach aufgelassen, dem Verfall überantwortet, derelinquiert oder ab­

gebrochen werden, wenn nicht eine andere Art der Benutzung und Übertragung möglich wird, die wiederum den Denkmalcharakter vielfach vemichten muß. Es dürfte sich bann

nur wiederholen, was in Deutschland unter dem gleichen Druck schon dreimal mit ungefahr gleichen Intervallen von je 140 Jahren eingetreten ist. Die Eigentümer und die

Verwalter dieses kostbaren Besitzes haben aus tiefem PietätSgefühl heraus und im Bewußtsein der ihnen überlieferten Verpflichtung durch Generationen hindurch Opfer über Opfer auch im Interesse der Öffentlichkeit gebracht. Aber heute stehen sie vielfach

einer Unmöglichkeit gegenüber und auch der Weg der Familienvereine, der Verteilung

beS Wohnrechts, die Hilfe von AbelSgenossenschaften, RitterschastSverbänden und allen ähnlichen Organisationen versagt angesichts der untragbaren Höhe der Lasten und der

veränderten Lebensform. Schreckend, wamend und mahnend steht vor unö das Bild

des unaufhaltsamen Untergangs und Verfalls der Herrenhäuser und Landsitze in den baltischen Ländem, die doch zu einem guten Teil noch ein Stück deutscher Kultur dar­ stellen — dahinter erscheint der gespenstische Schatten der schauerlichen Tragödie, die die sämtlichen russischen großen Profandenkmäler, zumal auf dem Lande, in den un­

abweisbaren schicksalhaften Niedergang hineinreißt. In der Geschichte der Kultur und der Kunst deS ganzen Ostens werben wir für die kommende Zeit jene gesamte Denk­

mälerwelt einfach auszustreichen haben. Vestigia terrent. Kann man sich verstellen, baß sich ein neues Geschlecht einmal ernstlich in der Throne

wie in der Praxis zur Denkmalfeindschaft, zur Denkmalzerstörung bekennt, daß eS in dem Wust der historischen Bauten den ärgsten Hemmschuh zu dem Aufbau einer neuen

Welt sieht, wie unsere von ihrem Befestigungsring befteiten deutschen Großstädte noch zuletzt in einem wahren ParoxyömuS der Zerstörungswut (Wien 1860, Köln 1880)

die Symbole der alten atembeklemmenden Einengung, Mauem und Torburgen nieder­ geworfen haben? ES gab und eS gibt Gruppen und Persönlichkeiten in der modemen

Entwicklung der mitteleuropäischen Architektur, die in einer Übersteigerung der radikalen Forderung sich gem mit einer solchen Formel (wenn eS bei manchen auch nur eine Pose

war) schmückten. Man mag sich an die Brandfackeln einzelner erinnern auS der Zeit­

schrift L’Esprit Nouveau (die doch ein Künstler von dem Rang Le Corbusier'S

herauSgab), mit der Forderung, daß „Der Kem unserer alten Städte mit ihrm Domen und Münstem zerschlagen und durch Wolkenkratzer ersetzt werden müsse .... daß

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BEDROHUNG DER DENKMÄLERWELT

die Geschichte und die künstlerische Erhabenheit zerstört werden müssen". Über Sätze wie „die Gotik, der Barock sind nur ehrwürdiges Aas" dürfen wir lächeln ober über

den Satz: „In den Kot mit den Kritikern, Pädagogen, Philologen, Spiritualisten, Professoren, mit den Historikern" (Worte aus einem von Guilleaume Apollinaire unterschriebenen Aufruf) die Achseln zucken, cs ist die unö nur zu wohlbekannte Stimme

deö alles zersetzenden Bolschewismus, die gefährlich aus diesen Zeugnissen herausklingt. An daö Ende seines Pronunciamento „Baukunst oder Revolution" hat Le Corbusier

den Satz gestellt: „Ein gewaltiger Mißklang herrscht zwischen der modernen Geistes­ verfassung, die innerer Befehl ist, und der erstickenden Anhäufung jahrhundertalten

Schuttes." Das ist bas Gegenbeispiel zu dem Phantasiestück des Zukunftsbildes der

modemen Großstadt, dessen Panorama im Pavillon des Esprit nouveau auf der Internationalen Ausstellung in Paris 1925 aufgebaut war. Heinrich Mendelssohn

(nicht der Architekt Erich Mendelsohn) erklärt im Februar 1933: „Während man mit der größten Selbstverständlichkeit überalterte Jnbustriemaschinen sowie überalterte Schiffe

abwrackt bzw. verschrottet, herrscht eine sonderbare Abneigung davor, an das Abwracken

und Verschrotten der überalterten Wohngebäude heranzugehen." Er spricht von der „heiligen Scheu, diese überalterten Klamotten herunterzureißen". Mit einem angeneh­ men Schauder hat H. G. Wells in dem Roman The world set free gerade im Jahr vor dem Weltkrieg sich auögemalt, baß atomzertrümmernde Bomben (die auch in dem

letzten Roman von Harold Nicolson die Haupttolle spielen) in allen Kulturländem die

Hauptstädte mit ihren Kathedralen, Palästen, Museen, Bibliotheken vernichten und für eine neue primitive Zivilisation Platz schaffen.

Wer Augen hat zu sehen, wird hier hinter einer Wolkenwand eine nicht nur in Utopien liegende Gefahr für die Zukunft aufsteigen sehen. Es begegnen sich die Äuße­ rungen von Verttetern ganz verschiedener geistiger Regionen. Nur negativ klingt eS,

wenn Georg Groß die Künstler von heute „abgebröckelte und liegengebliebene Krümel

einer vergangenen Zeit, isoliert vom Volk" nennt, aber positiv klingt auö einer starken Welle der aufsteigenden jungen Generation heraus die Stimme von Ernst Jünger, der „einen peloponnesischen Krieg Spartas gegen Athen, den Aufstand des altpreußischen

SolbatengeisteS gegen den Kunst-, Kultur -und BilbungStrieb fordert... je weniger Bildung im üblichen Sinne die junge und rücksichtslose Führerschicht besitzt, desto besser wird eS sein". Auch hier darf man sehr ernste, nicht nur lächelnde Bedenken solchen

Worten entgegensetzen und vielleicht mit einem alten Bilde antworten, der Warnung, daS Kind nicht mit dem Bade auSzuschütten.

Der Autor darf an den Schluß das Wort setzen, das Goethe in „Maximen und Re­

flexionen" geschrieben hat: „ES wäre nicht der Mühe wert, siebzig Jahre alt zu werden, wenn alle Weisheit der Welt Torheit wäre.

PROBLEMATIK DES DENKMALBEGRIFFS

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EPILOG

Und wie am Eingang dieser Betrachtung stehen wir am Ende wieder der unfaßlichen Problematik beS Denkmalbegriffs gegenüber. Ist es nicht gut, sich nüchtem über die

schmerzliche Wahrheit klar zu werden, daß eine völlige Ausgleichung zwischen den beiden Polen eine Unmöglichkeit ist? Daß wir zur Halbheit, zu Ausgleichen, zu Kom­

promissen verurteilt sind (wobei wir unS sagen dürfen, daß auch die Politik nichts anderes als die Kunst und eine hohe Kunst der Kompromisse ist). Unsere Sehnsucht

führt unö zu dem Bejahen beS Satzes von dem schöpferischen Künstlertum, baö auch ein jedes Gestalten im Sinne dessen, was wir Denkmalpflege nennen, bestimmen sollte,

wie dieö zuletzt Fritz Wichert mit tiefem sittlichen Ernst und weithin klingenden schönen

Worten in Köln verlangt hat — und unsere Erfahrung lehrt unS, baß unendlich viel nüchtem Handwerkliches in Tradition und Einzelbrauch, baß auch die strenge Gesinnung

deö Technikers und des Arztes für die Ausführung notwendig sind. Die Dogmatiker wachsen immer mehr unter den Theoretikem. Die schaffenden Künstler sind der Be­

sonderheit einer jeden Aufgabe gegenüber biegsamer, empfindsamer für den Klang der

künstlerischen Wertskala als für die kunsthistorischen Zensuren und für die ästhetischen Systeme. Die letzte Hoch-Zeit der Denkmalpflege konnte nur aufsteigen in einer Periode

der Unsicherheit, der Unselbständigkeit der lebendigen Kunst. Vor einem Menschenalter hatte Georg Dehio feine Straßburger Rede geschlossen mit den Worten: „Von dem Augenblick ab, wo wir wieder eine klare und einheitliche baukünstlerische Überzeugung haben werden — von diesem Augenblick ab wird der vom Hauptstrom der schaffenden

Kunst verirrte Nebenarm, der unter dem Namen der Wiederherstellung unsere alten

Denkmäler bedroht, in sein natürliches Bett zurückkehren." Das natürliche Bett —das ist aber die Entwicklung der lebendigen Kunst, von der die Idee der Denkmalpflege sich nie mehr trennen darf, wenn wir nicht von dem vorwärtöstürmenden Wagen der Zeit

abgeworfen werben und unter die Räder kommen wollen. Als im Jahr 1842 die Wiederaufnahme des Kölner Dombaus und die Vollendung

der Walhalla die Geister aufrührte, schrieb der junge Dresdener Architekt Anton Hall­

mann : „Oh, daß ich «ö auösprechen muß! Zwei Grabmonumente deö eigentlichen Lebens,

Zeichen einer beispiellosen Selbstverleugnung in der Geschichte oder vielmehr einer un­ würdigen Schwäche der Gegenwart, einer geistigen Bankerotterklärung einer sich so geistreich wähnenden Zeit!" War nicht daö Bekenntnis der Denkmalpflege ganz auf­

gebaut auf dem Boden dieser „sich so geistreich wähnenden Zeit", die grundlegende

Kabinettöordre von 1844, die den Denkmalschutz in Preußen regelte, unmittelbar nach jenem Aufschrei beS jungen Deutschland erlassen? Es war die stärkste Abirrung deö

verdrängten Nebenarmes von dem Hauptstrom der schaffenden Kunst.

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STIRB UND WERDE

Aber jene beiden künstlerischen Großtaten von 1842, aus die die Zeit so stolz war — im Gewand einer mittelalterlichen Kathedrale und eines griechischen Tempels — ein

Werk der Denkmalerhaltung und eine völlige Neuschöpfung —zeigten gerade in ihrer

Vereinigung, daß der Nebenarm und der Hauptarm ganz in das Flachland des wirklich­

keitsfremden Histon'ömuS abgeglitten waren und dort zu versanden drohten. Lebende Kunst und Denkmalpflege hielten in jener Periode miteinander Schritt. Erst am Anfang

des «tuen Jahrhunderts, als die lebende Kunst über jenes rückwärtsgewandte Be­ kenntnis hinausgewachsen war, schien die zweite zurück zu bleiben, zum Stillstand

verurteilt zu sein, drohte sie in Dogmen und Formen und Arbeitsmethoden einzufrieren. Das war ihre Schicksalsstunde. Daß unser Verhältnis zu den alten Denkmälern und zu dem künstlerischen Erbgut heute wieder nach dem Gesetz des Lebens geregelt erscheint,

daß wir unsere Arbeit an dem Gesamtbesitz der alten Kunst zwar als eine nach be­ sonderen Normen verlaufende, aber doch verantwortungsbewußt als einen Teil der lebendigen Kunstbetätkgung empfinden, daß wir wissen, daß diese auch weiterhin daS große Regulativ aller und jeder Arbeit auf unserem Gebiet darstellen wird, und baß in

dem Sinn des Goetheschen „Stirb und Werde" bas Leben das letzte Wort behalten

muß, ist der große innere Gewinn aus dieser letzten Entwicklung, unser Halt für die Zukunft.

DIE DENKMALPFLEGE UND DIE FORDERUNGEN DES TAGES

Die Ausführungen sind wörtlich dem Tagungöbericht über den Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz in Würzburg und Nürnberg 1928, S. 55, Verlag Guido Hackebeil, und dem Tagungöbericht des TageS für Denkmalpflege und Heimatschutz Köln 1930, S. 61, Deutscher Kunstverlag, entnommen.

Aus der Eröffnungsrede zum Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz

in Würzburg und Nümberg 1928. Wir brauchen nicht mehr zögernd die Antwort auf die Zweifelsfrage zu suchen, ob

eS an großen Themen und großen Fragestellungen für unsere Verhandlungen noch

genug gäbe; ob im Gegenteil unsere großen Tagungen sich nicht vielleicht schon erschöpft, sich überlebt haben, nichts mehr zu sagen haben. Wir wissen heute mehr als je, daß in

der ganzen Geschichte dieser beiden verbündeten Bewegungen — Denkmalpflege und Heimatschutz —nie so stark wie jetzt die alten Probleme wieder die neuen geworden sind,

und baß eS für unS gilt, unser Gewissen aufs neue zu erforschen und vielleicht einen

großen Teil unserer ungeschriebenen, Gott sei Dank ungeschriebenen, Statuten umzu­ redigieren.

Wir empfinden, baß heute der machtvoll sich äußernde selbstbewußte architektonische Schöpferwille mit unvergleichlich größerem Ungestüm seinen Platz an der Sonne und

sein Recht fordert. Wir wissen, und wir sehen eS allenthalben, baß auf dem Gebiete des Städtebaues, im ländlichen Siedlungswesen, mehr noch in der königlichen Jn-

genieurkunst die ganz anders gelegenen Vorbedingungen aller Art eben zu neuen Frage­

stellungen zwingen.

Sollten wir versuchen, Grundsätze aufzustellen? Man möchte gern etwas in die Hand gedrückt bekommen, so etwas wie Richtlinien, die dauernd bleiben könnten. Aber

das sind für uns selbst doch nur Tagebuchblätter, das ist nichts anderes als die Kodi­ fikation vielleicht des Ewiggestrigen.

Übersehen wir einmal die gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen, die im

Anschluß und nach dem Vorbild deS preußischen DerunstaltungS-GesetzeS vom Jahre 1907 erst geschaffen worben sind. Wie viele kühne Auslegungskunst brauchen wir heute, um mit ihnen emstlich arbeiten zu können; eine Auslegungskunst, die sich eben ernstlich

auf den ursprünglichen Willen deS Gesetzgebers zurückbesinnen muß. Das Stichwort von

der Farbe im Stadtbild, eine gefährliche Fanfare —vielleicht ist der lauteste Ton dieser

Fanfare schon vorüber —, hat scheinbar das ganze Problem von der Einordnung in den malerischen Rhythmus der schutzbedürftigen Bauwerke im Stadtbilbe in Frage gestellt.

Verunstaltend in unserem Sinne, daS ist im Sinne dieses Gesetzes nur das, was schlechthin schlecht ist. Wir Denkmalpfleger und Heimatschützer brauchen heute einen

ganz neuen Maßstab der künstlerischen Qualität und der Dynamik allen diesen Fragen gegenüber. Hier sollen die Erörterungen der nächsten Tage Klärung bringen und unS

allen hoffentlich Förderung und Fortschritt.

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DIE DENKMALPFLEGE UND DIE FORDERUNGEN DES TAGES

Wir Älteren erinnern uns, baß der im Jahre 1900 auf jener denkwürdigen Tagung zu Dresden von dem Metzer Dombaumeister Tornow gemachte Versuch, uns auf eine

Reihe von Grundsätzen der Denkmalpflege festzulegen, die eine Magna Charta mit

kanonischer Wirkung, für unS eine Art Glaubensbekenntnis darstellen sollte, schon damals von Cornelius Gurlitt leidenschaftlich bekämpft wurde, dem heute 78 jährigen. Fünf Jahre darauf haben wir jene denkwürdige Bamberger Tagung erlebt mit dem

mannhaften Bekenntnis von Georg Hager: „Denkmalpflege und moderne Kunst".

Wenn wir zurückblicken auf ein halb Jahrhundert in der Geschichte der Denkmal­ pflege, die doch nichts anderes ist und sein kann, als ein Spiegelbild zur Geschichte unserer ganzen lebendigen Kunstentwicklung, wie vieles dürfen wir da restlos bejahen

und bewundern von ausgezeichneten Sicherungsarbeiten! Aber überall da, wo die

Hand angesetzt hat, zeitgebunden, um Neues hinzuzufügen und den alten Gedanken weiterzuspinnen — wie vieles möchten wir heute missen, lieber nicht sehen! In jenem

selben Jahre 1905 hat Georg Dehio, eine der alten Stützen unserer Tagungen, in dem

damals noch deutschen Straßburg seine akademische Festrede: „Denkmalschutz und Denkmalpflege" gehalten. Er hat dann den Satz aufgestellt, daß die Ärzte oft schlimmer gewesen sind als die Krankheitssymptome. Er hat jenes Faustwort zitiert, das Faust

von sich und seinem Vater gebraucht:

„So haben wir mit höllischen Latwergen In diesen Tälern, diesen Bergen

Weit schlimmer als die Pest getobt"; der Text geht aber weiter, Faust sagt: „Ich habe selbst baö Gift" —Goethe sagt,den Gift/—„an Tausende gegeben.

Sie welkten hin, ich muß erleben.

Daß man die frechen Mörder lobt." Diese frechen Mörder, meine Herren, das sind wir. Wir Restauratoren, wir Kon­ servatoren, wir verantwortlichen Hüter der Denkmalpflege. Ich darf sagen „wir", da

ich selbst ein Vierteljahrhundert lang Konservator war und mich mitschuldig bekennen möchte. Wer von uns, wenn er auf eine reichliche Zeitspanne von Tätigkeit zurückblickt wird da nicht eine ganze Reihe von dunklen Punkten feststellen, wo er auch zeitgebunden mit bestem Willen gearbeitet hat und heute doch reuig bekennen muß: „Mea culpa,

mea culpa, mea maxima culpa!“ ES ist noch «in anderes Wort, daS ich Ihnen nennen möchte, ein Wort von dem

Erzieher der Jugend, der im Juli seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, dessen Namen

wir hier in der Mainlinie, in der mitteldeutschen Achse, doppelt dankbar und ehrfürchtig nennen dürfen: Stefan George. Es ist nicht für unS geschrieben und gilt doch für unS:

WARNUNGEN UND GEFAHREN

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„Wägt die Gefahr für kostbar Bild und Blatt, Wovor Ihr kniet wie wir — beim großen Brand."

Die Antwort: „Vielmehr vernichtet sie, wenn sie Euch bleiben, Eu'r ätzend Gift und Euer Sammelgrab

Als Trümmerstatt und mütterlicher Schlund.

Einst mag gefcheh'n, baß aus noch kargern Resten, Vom Schutt behütet — aus geborstener Wand,

Verwittertem Gestein, zerfressenem Erz,

Vergilbter Schrift ein Leben sich entzündet:

Die Art, wie Ihr bewahrt, ist ganz Verfall." Soll das uns treffen, diese furchtbar ernste Mahnung des treuen Hüters? WaS wir

zu schaffen glauben, „ganz Verfall"?

Haben wir nicht zu fragen, ob eS nicht gefährlich ist, den Boden zu erschüttem, auf dem wir stehen? Schon vor 25 Jahren hat der alte Richard Haupt, heute der 82jährige

Senior unserer Zunft, die Mahnung an uns gerichtet, wir sollten den Ast nicht absägen, auf dem wir alle sitzen. Nein, baS ist es nicht; nur eine Frage wollen wir in alter Ehrlich­ keit an uns selbst richten, eine Frage an die Zeit. Und unser Gewissen wollen wir neu

prüfen. DaS eine dürfen wir nie vergessen: Nicht wir, die Vertteter von Denkmalpflege

und Heimatschutz, sind die berufenen Vorkämpfer der lebendigen Kunst; wir sind die

Hüter der alten Kunst, so gern, so leidenschaftlich gern wir die auch hineinstellen möchten in Seele und Fühlen der Kunst von heute. Wir sind die bestallten Schützer

der von Menschenhand geformten und der naturgewachsenen Schönheiten unserer Heimat. Wir sind die Advokaten, die als Offizialverteidiger selbst einem zum Tobe verurteilten Denkmal noch beigegeben werben, und die für die Begnadigung zu plä­

dieren haben, die Anwälte, die bei einem in seinem Dasein und in seiner Freiheit be­

drohten Denkmal zum mindesten für mildemde Umstände zu sprechen haben. Ist eS nicht manchmal bedenklich, wenn die alten Tafeln zu rasch umgerissen werden?

Wenn der Übergang in daS neue Lager zu schnell gesucht wirb? Kann die Raschheit

dieses Tempos nicht zu einer Gefahr für unsere ganze stabile deutsche Kultur werben? Ganz sicher werben eS bei dem Aufstieg einer jeden Welle immer die Neubekehrten sein,

wie in der alten Zeit die Neophyten sich am rabulistischsten gebärdeten, die am weitesten über daS Ziel hinausschießen. Ist ihnen gegenber nicht auch manchmal etwas von Zurückhaltung, von Zögerung, von Sicherheitsventilen notwendig? Man hat dem

Heimatschutz den sehr unberechtigten fahrlässigen — ich möchte nicht baS Wort „bös­ willigen" gebrauchen —Vorwurf gemacht, daß er sich romantisch, unpraktisch, gegen­ wartsfeindlich gegen die lebendige Kunst stellt und gestellt habe. Sicherlich nicht gegen



UNSERE AUFGABEN

die gesunde Kunst! Der Heimatschutz braucht sich nicht zu verteidigen, und er brauchte auch nicht die Verteidigung dieser Versammlung. Er braucht nur auf seine Taten und

auf sein Wollen selbst hinzuweisen. Gibt es ein lautereres Bekenntnis zu der Schönheit der Industriebauten und zu der kraftvollen Sachkunst der Jngenieurschöpfungen von

heute, als jene von dem Heimatschutz herausgegebenen Bände, die den hohen Stil edler Sachlichkeit in dieser Kunst so begeistert malen? Das eine wollen wir beide,Denkmalpflege und Heimatschutz, unö gegenwärtig halten:

Wir sind der Zeit als Mahner gesetzt, Mahner zur Ehrfurcht, Mahner zur Vorsicht, Mahner vielleicht auch manchmal zu einem langsameren Schritt und Tempo. Die

lebendige Kunst, die unS heute so gewaltig auöholend entgegentritt, und diese starke

Generation verlangen einen solchen getreuen Eckhart,—und diese Zeit, die nur die Zeit zur Besinnlichkeit oft nicht findet, und die junge Kunst sind stark genug, ihn zu

ertragen. Nicht erschüttem wollen wir den Boden, auf dem wir stehen. Wir wollen baö

Vertrauen nicht erschüttem, das wir genießen, sonbem wir wollen es neu funbamen-

tieren auf ein stärkeres Verantwortungsgefühl bei uns und bei Ihnen. Wir wollm uns erinnern, daß Denkmalpflege und Heimatschutz ganz gewiß „nur Verfall" sind, wenn

sie nicht verstehen, mit dem mächtig ausholenden Tempo des lebendigen Kunstwollens

nicht Schritt, aber Fühlung zu halten. Nur bann, wenn sie ganz hinter ihm herhinkm, wenn die Verbindung zwischen ihm und Denkmalpflege und Heimatschutz abgeriffm werben sollte, sind wir wirklich „Verfall". Die Weite und die Biegsamkeit der Begriffe,

die in dem Namen „Heimatschutz" liegen, bürgen uns dafür, daß diese Bindung nie verlorengeht. Und nun denken wir daran, baß in dem verarmten Deutschland die Denk-

mäler der Heimat und die Schönheiten der Heimat ein unendlich kostbarer Besitz sind, der heute von einem dreifach gestählten Verantwortungsgefühl des Staates, der öffent­ lichen Meinung, deö öffmtlichen Gewissens ehrfürchtig umsorgt werden sollte.

Über alle diese Fragen wollen wir unS auf dieser Tagung Klarheit verschaffm, wir

wollen zur KarthasiS kommen in Anschauung und in Aussprache! Wir wollen lemen

an den ehrwürdigen Denkmälem, mit denen als geheimnisvollen Symbolen dieser Boden durchsetzt ist. Wir wollen aber auch eine Fackel anzünben und diese Fackel hinaus­

tragen in daö fränkische Land und in das weitere bayerische Land und in das ganze deutsche Vaterland! Wir wollen eine Mahnung bringen und eine Frage stellen, eine Frage an die Vertteter des Reiches, der Länder und der Städte — eine Frage an die

öffentliche Meinung —, eine Frage an die Zeit. —

WANDLUNG DES DENKMALBEGRIFFS

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Aus der Eröffnungsrede zum Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz in Köln 1930.

Der vereinigte Tag für Denkmalpflege und Heimatschutz hat vielleicht nie so tief wie

jetzt empfunden, daß die alten Probleme und Fragen immer wieder die neuen sind, und

daß unsere Aufgabe nur die ist, unS fortgesetzt zu wandeln und umzugestallen. DaS eine müssen wir uns vor Augen halten: die Relativität aller unserer Thronen —auch

jener Gurlittschen Theorie —und die Notwendigkeit der fortgesetzten Umformung und

erneuten Gewissenserforschung. „Nur wer sich wandelt, bleibt unS verwandt." Jene große letzte fränkische Tagung gab unS Gelegenheit zu der Antwort auf die Zweifelsfrage, ob denn unsere Zeit noch

genug bedeutende Aufgaben für Denkmalpflege und Heimatschutz enthalte, oder ob die Zeit für eine solche Tagung und solche Auseinandersetzungen vielleicht abgelaufen sei.

Unsere Antwort lautete: ES hat keine Zeit und keinen Augenblick gegeben, wo so stark wie gerade jetzt diese Notwendigkeit einer Neuanpassung und einer Neuredigierung

unseres innersten Bekenntnisses sich ergab.

Don Ibsen stammt das Wort: eine normalgebaute Wahrheit werde 12,15, höchstens 20 Jahre alt, und wenn sie über dieses Alter hinausgekommen sei, dann sei die Zeit da, wo die Wahrheit zur Unwahrheit und die Wohltat zur Plage werde. Nicht wieder wie

auf jener großen fränkischen Tagung in Würzburg handelt eS sich für uns um eine

grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Forderungen deS TageS a priori, um die Frage, inwieweit die beiden verbündeten und aufeinander angewiesenen Organisationen von Denkmalpflege und Heimatschutz nun mit der neuzeitlichen Architektur, mit der

fortschreitenden Stadtbaukunst zu gehen haben. DaS polyphone, aber zuletzt einmütig

starke Bekenntnis am Schluß der letzten Tagung lautete, daß eS für unS eine LebenS-

notwendigkeit ist, diese enge Verbindung mit der lebendigen Kunst zu behalten, von

der wir uns selbst als einen Teil fühlen dürfen. Wir sind nach dem Ursprung und der Abstammung unserer Gedanken, wohl gemerkt, nur in diesem Sinne, die letzten Enkel­ söhne der Romantik, und eS hieße, die Geschichte verfälschen und auch den Ast absägen,

auf dem wir sitzen, wenn wir baS nicht Wort haben wollten. Aber wir bekennen uns zugleich als die echten Söhne der Zeit, die in den großen künstlerischen Fragen von heute ihren Anteil auf dem unS zustehenben Gebiete an der Führerrolle beanspruchen. WaS der Tag für Denkmalpflege will, ist nicht etwa, ein höchster Gerichtshof zu sein, eine letzte und äußerste Instanz für die Beurteilung von Einzelfragen, am wenigsten eine heilige Feme und ein Ketzergericht. Aber der Tag für Denkmalpflege ist in diesem

Menschenalter zu dem höchsten Areopag der Belange von Denkmalpflege und Heimat-

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DER KÖLNER DOM

schütz geworden, zu einem Forum und einem Sprechsaal des öffentlichen Gewissens, zu einem Areopag, der getragen ist von dem Vertrauen des Reichs und der Länder,

dem auch in wichtigen gesetzgeberischen und verwaltungstechnischen Fragen ein Votum und ein Gutachten zugeschoben wird, so wie eS der Deutsche Juristentag für seine Be­ lange erhalten hat und für sich beansprucht.

Wir möchten — abgesehen von ganz wenigen besonders gearteten Einzelfällen —

kein Einzelurteil über irgendeinen Fall, kein letztes Superarbitrium abgeben, das unter allen Umständen nur nach der sorgfältigsten gewissenhaftesten Prüfung an Ort und Stelle in einem langen Iusammengewachsensein mit den örtlichen Verhältnissen und einer Auseinandersetzung mit den Nächstbeteiligten möglich ist. Aber wir sind der An­

sicht, baß schon die Aussprache, schon die Gegenüberstellung der einzelnen Meinungen einen großen inneren Wert hat, eine große Klärung bringt, wenn sie kodifiziert dann in unseren Berichten nkebergelegt wirb, und baß das eben auch eine Mahnung sein kann,

die weithin über die Kreise der Nächstbeteiligten hinaus ihre Wirkung hat.

Wenn wir in den Mittelpunkt dieser Verhandlungen das feierliche Symbol der Un­

endlichkeit gestellt haben, das sich über diesem Stadtbilbe erhebt, so wollten wir damit auch ein Paradigma aufstellen für alle ähnlich und parallel gelagerten Krankheitsfälle,

für das Schicksal aller in ähnlicher Weise in den Großstädten von den gleichen Gefahren

bedrohten großen dominierenden Denkmäler. Die Art, wie hier die Erhaltung der Sub­ stanz und der Form gesucht worden ist, ist freilich ein Einzelfall, wie eine jede Aufgabe

der Denkmalpflege durchaus ein Fall und ein Problemkomplex für sich ist. Ein Schul­

beispiel sollen unsere Verhandlungen auch sein für die Gestaltung und Weiterbildung der Umgebung im engeren und weiteren für die großen historischen Denkmäler in

unseren lebendigen modernen Großstädten, in denen ganz neue Aufgaben, ganz neue

Notwendigkeiten über Nacht entstehen; mit Hineinbeziehung der Erfahrung all der ähnlichen Fälle und Beobachtungen aus dem Jnlande und dem Auslande. Es sollte gerade dieser Fall paradigmatisch auch Gelegenheit geben, das Thema weiterzuspinnen, daS wir vor zwei Jahren in Nürnberg abbrechen mußten und nicht zu Ende führen

konnten, daS auch niemals zu Ende geführt werben kann, weil eben die Frage des Ver­ hältnisses von Altstadt und Neuzeit in jeder Stabt in jedem Einzelfall wieder ganz anders geattet ist, andere Voraussetzungen und Ziele hat und andere Mittel verlangt.

Und wenn wir, Wünschen auS dem Rheinlanbe begegnend, daS Thema der Erhaltung der Substanz beö Kölner DomeS für den ersten Tag an die Spitze gestellt haben, dieser Verantwottung wohl bewußt, so taten wir daS, weil wir uns zwingen wollten, weil

wir die -Öffentlichkeit und daS öffentliche Gewissen zwingen wollten, diesen Gedanken der Erhaltung zu Ende zu denken, uns nicht zu begnügen mit einem Bauprogramm von kurzer Frist, mit der Auffüllung eines Bauetats für ein Jahr oder für das über-

DER NACHWUCHS FÜR DIE DENKMALPFLEGE

6l

nächste Jahr, sondern unS die Frage vorlegen: Wie wird der Dom auSsehn in 20 Jahren,

in 50 Jahren — und was geschieht, wenn die Dombauverwaltung an daS Langhaus,

an die Aufsätze der Türme kommt, die eben ein Werk der Neugotik sind? Eine Fülle von Fragen nach den dann entstehenden Verpflichtungen, wie nach ihren Grenzen!

Am Ende steht daö Problem einer möglichen Vereinfachung und Übersetzung der

Formen, der neuzeitlichen Gestaltung, die Schicksalsfrage der Denkmalpflege. Wenn wir glaubten, zur Klärung dieser Fragen daS Unsere beitragen zu können, so wollen wir daS tun durch die Weite unserer Fragestellung.

Am Schluß unseres Programms für den zweiten Tag finden Sie das Thema ver­

zeichnet: Erhaltung und Ausbildung des Nachwuchses in Denkmalpflege und

Heimatschutz. DaS soll diesmal nur wie ein Fanal aufgestellt werden, daS für die nächsten Jahre sehr sichtbar und immer mahnend für uns brennen soll. Wir können nicht daran denken, dieö Thema irgendwie zu erschöpfen. So wollen wir fürdieSmal ganz von einer Besprechung absehen, nur die drückenden Fragezeichen wollen wir von hier mit fort

nehmen. Auf der nächsten Tagung soll dann diese Frage sorgfältig vorbereitet als eines

der Hauptthemen erscheinen. Ich stehe nicht an zu erklären, daß für mich persönlich

diese Frage heute schon die größte und akuteste Sorge in unserer ganzen Arbeit darsteüt. Woher sollen, frage ich mich, wenn weiter ein Menschenalter inS Land gegangen ist, noch die Baukünstler kommen, die jene selbstverständliche Kenntnis und Herrschaft über die historischen Formen, zumindest über den Formenbestand der deutschen Kunst

mitbn'ngen, und die dazu daS unendlich feine Fingerspitzengefühl und den künstlerischen

Takt haben, sich in jede künstlerische Aufgabe wieder erneut einzufühlen? Wir brauchen

und werden brauchen auch in Zeiten einer total gewandelten, selbständiger, stärker und selbstbewußter gewordenen baukünstlerischen Gesinnung doch immer eine kleine Zahl

von Spezialisten, die dieses wundervolle, der alten Zeit selbstverständliche Können be­

wahren und der nächsten Generation noch zu überliefem imstande sind. Schwindet nicht mit erschreckender Schnelligkeit an unfern technischen Hochschulen und an allen An­

stalten des Baugewerbes wie an unsern Kunstakademien, Kunstgewerbeschulen und verwandten Instituten der Sinn für die historische Bildung ganz im allgemeinen? Wenn ich einen Blick werfe auf die entzückende Ausstellung, die Sie da drüben an der Front dieses Baues sehen, die die hiesige staatliche Baugewerkschule — wohlgrmerkt

alö Schülerarbeiten — aufgebaut hat, mit höchst reizvollen und vorbildlichen Auf­ nahmen historischer Bauwerke, so möchte man vielleicht noch sagen, daß die jetzige

Generation doch in der gleichen Weise dem geneigt ist wie die letzte; aber ich fürchte, diese klassische Baugewerkschule ist ein weißer Rabe, und es werben nicht allzuviele

Anstalten sein, die diesem Beispiel heute ober vielleicht in zehn Jahren in Deutschland noch zu folgen geneigt sind.

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BEKENNTNIS ZU DEN DREI EHRFURCHTEN

Wir wissen, baß diese unaufhaltsam fortschreitende Enthistorisierung nicht- anderes

ist als ein Symptom und ein Teil jener großen inneren Umwälzung und Erschütterung der abendländischen Menschheit — vielleicht der tiefstgreifenben dieses ganzen Jahr­ tausends — in der wir jetzt stehen. Aber wir dürfen uns fragen, ob dieser Schritt ober

vielmehr Sprung, ob dieses Vorwärtseilen nicht eben doch ein Ungesundes, ein oft genug Unbedachtes ist, und ob bei der Plötzlichkeit dieses neuen Bekenntnisses, des „incende quod adorasti“ nicht unendlich Vieles von kostbarsten Kulturgütem ver­

lorengeht, wo nun die ewig bequemen und übereiligen Mitläufer nur allzusehr bereit sind, sich in der Gefolgschaft zu überschlagen und das Kind mit dem Bade auSzu-

schütten.

So stark wir der Ansicht sind, daß das Heil von Denkmalpflege und Heimatschutz nur in der engen Verbindung mit der lebendigen Kunst unserer Zeit liegt, und so fest wir auf die Mitarbeit und die Hilfe der besten und der taktvollsten schöpferischen Künstler von heute verttauen, so ist doch unser Glaube der, daß wir — die Advokaten der be­

drohten Denkmäler und überhaupt deS in Anklagezustand versetzten Weltkomplexes beS Alten — die Verpflichtung haben, Mahner zur Vorsicht, zum Langsamschreiten, zur

Ehrfurcht zu sein. ES gibt für die Denkmalpflege vielleicht nur drei Grundgesetze: die künstlerische Ein­

fühlung in die Aufgabe, die Anpassung in dem Sinne, wie ein Mensch der guten Gesell­ schaft sich seiner Nachbarschaft gegenüber verhält, wie er seinen Nächsten in biblischem

Sinne auch gelten läßt und ihn nicht überschreit, eine Eigenschaft, die nach den Er­

fahrungen der letzten Tage nicht unbedingt zu den Karbinaltugenden der deutschen Seele gerechnet werden muß, und endlich: die Ehrfurcht. Wir denken an jenes Wort

von den drei Ehrfurchten im Wilhelm Meister. Sollten wir, wir Mahner zum Langsamschreiten wie zur Bejahung der Zukunft, uns nicht eben auch vor allem fühlen als Mahner zu diesem Goetheschen Begriff der

Ehrfurcht? —Das ist mein letztes Wort zum Thema der Denkmalpflege.

VON DEN LETZTEN ZIELEN DER DENKMALPFLEGE

Der vorliegende Aufsatz enthält Teile des Vortrags, der unter dem Titel „Entwicklung und Ziele

der Denkmalpflege in Deutschland" auf der gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und

Heimatschutz in Salzburg am 14. Sept. 1911 gehalten worden war, abgedruckt in dem Stenographi­ schen Bericht über die Tagung, Salzburg 1911, S. 51, Sonderdruck Karlsruhe 1911. Der Vortrag war ergänzt durch ein Referat von Max Dvorak über Entwicklung und Ziele der Denkmalpflege in Österreich, sowie durch Referate über Entwicklung und Ziele des Heimatschutzes in Deutschland

und Österreich von Paul Schultze-Naumburg, Karl Giannoni und Walter von Semetkowski. Über

bas gleiche Thema (Die Erhaltung der Kunstdenkmäler in Deutschland) hatte ich auf dem inter­ nationalen kunsthistorischen Kongreß zu Lübeck am 18. Sept. 1900 schon einmal gesprochen (ge­ druckt in den Verhandlungen des Kongresses und in Sonderabdruck), sowie auf dem 1. Tag für Denkmalpflege (Gesetzgebung zum Schutz der Denkmäler) in Dresden am 24. Sept. 1900, (ge­

druckt in dem Bericht über die Tagung, S. 11). Die Ausführungen über die gesetzliche Regelung und die Organisation sind hier weggelassen — hierfür ist zu verweisen auf die umfänglichen neueren Darstellungen bei F. W. Bredt, Die Denkmalpflege und ihre Gestaltung in Preußen, Berlin 1904. — LeziuS, Das Recht der Denkmalpflege in Preußen, Berlin 1908. — Heyer, Denkmal­

pflege und Heimatschutz im deutschen Recht, Berlin 1912. — Arthur B. Schmidt, Rechtsfragen

des deutschen Denkmalschutzes: Festschrift für Sohm, München 1914, S. 145. — Kneer, Die Denk­ malpflege in Deutschland mit besond. Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse, M.-Gladbach 1915.

Umfassende Zusammenstellung in dem Aufsatz des besten heutigen Kenners des Rechtes des Denk­ malschutzes, Albert Hensel, Art. 150 b. Weimarer Verfassung und seine Auswirkung im preußi­ schen Recht: Archiv b. öff. Rechts, N. F. XIV, 1928. Über die.Verbindung mit dem Heimatschutz und der Naturschutzbewegung Grundsätzliches bei Fuchs, Denkmalpflege und Heimatschutz tm Handbuch der Politik 2. Aufl. S. i6i.

VON DEN LETZTEN ZIELEN DER DENKMALPFLEGE

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Salzburg 1911

Diese neue gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz steht unter dem Eindruck der nun endgültig vollzogenen Vermählung von Denkmalpflege und

Heimatschutz, einer Vermählung nach vielen zärtlichen Liebeswerbungen und einer etwas stürmischen Verlobungözeit. Die Mitgift, die der Heimatschutz unS Denkmalpflegen» ins Haus gebracht hat, hat unS reicher gemacht, und die von innen heraus vollzogene

natürliche Entwicklung in der Erweiterung unseres Programms und unserer Be­

strebungen hat durch diesen Ehepakt die ausdrückliche Sanktionierung erfahren. Und

auch in der Handhabung der Arbeit der Denkmalpflege im engeren Sinne scheint mir ein Abschnitt vorzuliegen. Über ein Jahrzehnt ist dahin, daß auf jenem ersten denk­

würdigen Tage für Denkmalpflege in Dresden Cornelius Gurlitt als Rufer im Streite die Forderung formulierte, daß auch in der Denkmalpflege, in der Arbeit an den Denk­

mälern die lebendige Kunst das Hauptwort zu sprechen habe. Die innere Entwicklung

unserer Auffassung von den Zielen der Denkmalpflege in diesen zehn, elf Jahren kann man damit bezeichnen, daß dieser Leitsatz wie ein immanentes Gesetz durch alle unsere Verhandlungen und Bewegungen hindurchgeht und immer größere Überzeugungs­

kraft gewonnen hat. Wenn wir heute, zum erstenmal auf dem befreundeten österreichischen Boden stehend, den Versuch machen sollen, das zu zeigen, was von Einzelbewegungen innerhalb der

schwarz-weiß-roten Grenze bis heute sich abgespielt hat, so soll das keine prunkende Parade sein, mit der wir uns rühmen möchten, wie herrlich weit wir es gebracht haben,

sondern eine Gewissensprüfung und eine Gewissenserforschung für uns, die unS zu­

gleich zeigen soll, wo cS noch fehlt und was wir noch zu lernen haben —wo wir es

lernen sollen. Eö liegt in unserer politischen Konstellation und zuletzt in der Naturgeschichte des

Deutschen Reiches begründet, baß die Denkmalpflege hier keine einheitliche sein kann, baß wir nicht wie Österreich bas Bild einer straffen einheitlichen Organisation Ihnen vorführen können. Merkwürdig vielsprachig ist die Denkmalpflege in Deutschland in

den einzelnen Bundesstaaten und Provinzen, verschieden nicht so sehr nach der Tendenz, als nach der Art der Handhabung und in der Art der Handhaben, und verschieden im

Tempo und Temperament und in dem Maß der aufgewendeten Energie. Wie eS

Deutschlands Glück ist, daß hier die geistigen Energien nicht, wie in Frankreich etwa, in dem einen hauptstädtischen Wasserkopf vereinigt sind, so ist eS für alle Bewegungen,

die wie die Denkmalpflege und der Heimatschutz von der Volksstimmung getragen werden, nur ein Vorteil, baß an so vielen Punkten, mit Aufgebot aller besten Kräfte

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BESCHRÄNKTE BEDEUTUNG DER DENKMALSCHUTZGESETZE

des Landes, von so vielen Seiten, von den Bundesstaaten und Provinzen, von den Kirchengesellschaften, von den Kommunen selbständig auf eigenen Wegen eine Lösung dieser Probleme versucht werden kann. ES folgt eine Darstellung der Grundsätze de« Denkmalschutzes innerhalb de« Deutschen Reiches,

ein« Erörterung über die Möglichkeiten einer reichsrechtlichen Regelung, eine Darlegung der Ent­ wicklung der gesetzgeberischen Schritte und der Organisation der Verwaltung in Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baben, Hessen, Oldenburg, Elsaß-Lothringen mit der Verschiedenheit einer bewußten Decentralisation (Preußen, Hessen) und einer starken Centralisation (Bayern), endlich

eine Charakteristik de« preußischen Verunstaltungsgesetzes von 1907.

Gesetze und Verordnungen sind zuletzt doch nur Mittel zum Zweck, nicht ein Ziel an sich; durch die Zunahme der Gesetze, die Verschärfung der Schutzbestimmungen allein

ist das Heil der Denkmalpflege ganz gewiß nicht verbürgt. Auch die besten Gesetze können den Verfall von Denkmälern nicht aufhalten. Eö war eine wunderliche, aber

eine deutliche Lehre der Geschichte, daß just in denselben Tagen des JahreS 1902, in denen das so scharfe und paragraphenreiche italienische Denkmälerschutzgesetz in Kraft

trat, der Campanile von St. Marco unter der Last dieser Paragraphen zusammenstürzte.

DaS Ziel der ganzen Denkmalschutzgesetzgebung ist zuletzt, daß die Denkmalschutzgesetze überhaupt überflüssig werden: wie gem möchten wir unS dem Bekenntnis anschließen, baS der württembergische Minister Buhl einst in der Ersten Kammer ge­ sprochen hat, daß auf der fteudigen Mitarbeit aller Volkökreise die Denkmalpflege sich

aufbauen solle, wie gern würben wir auch den weisen Worten folgen, die gestern die

Ehrfurcht gebietende Greisengestalt deS ehrwürdigen Salzburger Kirchenfürsten zu unS gesprochen hat, daß es der Geist ist, der die Denkmäler gebaut, und auch der Geist, der

die Denkmäler erhalten würde. Aber eS ist noch vielleicht etwas zu früh dazu. Ein

Denkmalschutzgesetz soll in der Hand deS Denkmalpflegers nur ein Degen sein, den er in der Scheide trägt, den er gar nicht zu ziehen braucht; er wirkt dadurch, daß er eben

vorhanden ist. Gesetze und Bestimmungen, Organisationen und Verbände schaffen keine Bewegung, sie sind nur Ausdruck und Lebensäußerung und Niederschlag einer solchen — die Denkmalpflege ist ebensowenig vom Tag für Denkmalpflege gemacht wie der Heimatschutz vom Bund Heimatschutz —beide sind nur Träger einer Bewegung. Wir

begrüßen diese ganze Erregung auf dem Gebiete der Gesetzgebung nur als Symptom

des immer stärker und lebendiger gewordenen Interesses, vor allem als «in Symptom

der Erkenntnis bei unseren Regierungen, daß die Erfüllung dieser Aufgabe nicht nur zu den HoheitSrechten deS Staates, sondern auch zu dessen edelsten und würdigsten

nationalen Pflichten gehört, baß die monumentalen Urkunden der nationalen Geschichte der Öffentlichkeit angehören, und baß über die Eigentümer, die Gemeinden und die

Kirchengesellschaften hinaus die ganze Nation einen Anteil an ihnen hat und deshalb ein Recht zur Mitbestimmung über ihre Schicksale haben muß....

ERWEITERUNG DES DENKMÄLERBEGRIFFS

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21ber auch die Fragen der Organisation treffen doch nur ein Mittel, nicht das Ziel der Denkmalpflege. Wenn wir von einer inneren Entwicklung der Denkmalpflege in allen diesen Jahren sprechen wollen, so müssen wir vor allem noch einmal reden von der Erweiterung unserer Aufgaben, von der Hinausschiebung unserer Ziele.

Der Denkmälerbegriff hat sich für unS gewandelt. Wir können das am besten ablesen an der fortschreitenden Entwicklung, dem fortschreitenden Anschwellen unserer Denkmälerinventare. Dor 20 Jahren und mehr rechneten als Denkmäler, als schutzbedürftige

Monumente für uns zunächst nur die großen Bauorganismen von nationaler und provinzialer Bedeutung, die eben in der Kunstgeschichte ihre feste Stellung haben.

Langsam, langsam sind wir weitergegangen, wir haben unS gesagt, baß die Kunst­ geschichte eines Landes sich doch nur aufbaut auf der engeren Entwicklung eines kleineren geographischen Gebiets, eines Territoriums, einer Gemeinde, und baß die

Denkmäler dieser Gemeinde eben die monumentalen Urkunden ihrer Entwicklung sind,

eng und unlöslich verknüpft mit dem geistigen, wirtschaftlichen Aufschwung und Wandel. Und so allmählich ist der Denkmälerbegriff übergegangen auch auf alle die

kleinen, unscheinbaren Zeugnisse der Baukunst bis herab zu Heiligenhäuschen und Bildstöcken usw., in der Welt der Ausstattung bis herab zu den bescheidenen Schöpfun­

gen der Volkskunst, bas ganze Gebiet des Wohnbaues, des Bauernhauses, des bürger­ lichen Wohnhauses ist in den Bereich unserer Tätigkeit gezogen worden; und ganz von selbst sind wir auf diese Weise gekommen zur Ausdehnung des Schutzes der Denkmal­

pflege auf das ganze Stadtbild, zur Erhaltung der historischen Ortsbilder, des LandschaftSbilbeS. Wenn wir also von den Zielen unserer Denkmalpflege mit diesem er­ weiterten Programm reden wollten, so müßten wir wieder alle jene Generaldebatten und grundsätzlichen Aussprachen heraufbeschwören, wie wir sie in Dresden und Mainz und Bamberg, in Lübeck und Trier und Danzig gehabt haben: wir müßten unS die

feinen und klugen Worte vergegenwärtigen, die damals Tornow und Gurlitt, Hager, Graebner, Hoßfeld, Stiehl und Wagner gesprochen haben, mit sehr verschiedenem Temperament gesprochen haben, und wir müßten wieder hineinleuchten in die Kämpfe alter Tage, in die Auseinandersetzungen über die Restaurierung deS Heidelberger

Schlosses und des Domes in Meißen, der Michaeliskirche in Hamburg und des Wormser Domes. Wenn wir diese ganze Entwickelung betrachten, so scheint sich doch

etwas hier hindurchzuziehen wie ein erkennbarer roter Faden, und das ist jener am Ein­ gang von mir schon berührte Gedanke, daß auch in der Arbeit der praktischen Denkmäler­

erhaltung die Verbindung und Fühlung mit der lebendigen Kunst niemals verloren gehen darf.

Die Denkmalpflege von heute ist ein Kind deS Historismus, ein Enkelkind der Romantik, von Vater und Großvater her erblich belastet, und auch die Sünden ihrer

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UNSER VERHÄLTNIS ZUM HISTORISMUS

Väter werden an ihr heimgesucht biö ins zweite und dritte Glied. Der Höhepunkt der

Denkmälerbegeisterung, die ihren Ausdruck fand in der historischen Restaurierungs­ sucht, die Dehio einmal das illegitime Kind des Historismus genannt hat, entsprach jener Hypertrophie unseres geistigen Lebens, unserer lebendigen Dichtung, unserer

lebenden Kunst mit historischem Ballast, mit historischen Elementen in Stoff und Form. Die Denkmalpflege, soweit sie in der Arbeit an den Denkmälem ihren Ausdruck findet, ist nur begreiflich und verständlich als eine Parallelerscheinung unseres zeit­

genössischen künstlerischen LebenS. Sie hat sich mit ihr gewandelt und sie muß sich

mit ihr wandeln. Jenen Historismus fassen wir in der geschichtlichen Entwicklung beS 19. Jahrhunderts heute schon als eine geschlossene, als eine abgeschlossene Periode — und nicht als eine der rühmlichsten dieses ganzen SäkulumS. Der Historismus ist zu

Grabe getragen und von der Führung abgesetzt worden zusammen mit der großen Schule der Historienmalerei, der Schule deö historischen Romans, der Schule des historischen Dramas. Die längste und zäheste Lebenskraft hat von allen Schwester­

künsten erhalten und bewahrt die historische Architektur, bis auch ihr die Führung ge­ nommen ward. Am längsten konservativ im Sinne jenes abgestorbenen Historismus

blieb die Denkmalpflege, sie zögerte am längsten, sich zu wandeln. Das war vor zehn

Jahren die große Gefahr unserer Denkmalpflege, baß wir den Zusammenhang, die Fühlung mit dem lebendigen Kunstempfinden zu verlieren drohten, eine Gefahr, die uns alle verschlungen hätte. Es ist dem Auftreten der Künstler unter uns zu banken, baß wir die Erkenntnis dieser Gefahr erlebt und uns wieder vorwärts gewandt haben,

und eS erscheint mir als eine der wichtigsten Aufgaben auch beS TageS für Denkmal­ pflege, dafür zu sorgen, daß das Bewußtsein dieser Verbindung nie wieder verloren

gehe, baß wir Schritt halten mit der lebendigen Kunst. In der zweiten seiner Unzeitgemäßen Betrachtungen hat mitten auS der Hoch­ spannung, der Überspannung des Historismus heraus Friedrich Nietzsche „von Nutzen

und Nachteil der Historie für bas Leben" geschrieben, in einer furchtbaren Abrechnung mit dem lcbentötenden, die schöpferischen Energien brachlegenden rückwärtsgewandten

Fühlen. Die scheinbar, nur scheinbar reichsten Jahrzehnte der Periode deS künstlerischen

Historismus, die daS erste Wilhelminische Zeitalter umfaßten, waren gerade in dem, was sie in ihrem historischen Eklekticismus schufen, am innerlich unfruchtbarsten und kunstlosesten. Die neuen Kunstformen der Deutschen Renaissance und deS Deutschen

Barock, mit denen diese Periode unS aus einer falsch orientierten nationalen Aufwallung heraus beschenkt hat, haben vielfach nur Unheilvolles geschaffen, nicht nur daS neuzu­ formende Bild unserer wachsenden Großstädte hoffnungslos verderbt, sondern nur allzuoft auch im Übereifer und Mißverstehen die geschlossene Erscheinung unserer historischen OrtSbilder gestört, die Harmonie vieler Plätze und Straßen vemichtet.

DIE JUNGE KUNST UND WIR

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Wenn die Neugotik in ihren Anfängen einst eine Wesensäußerung der Romantik und der gegebene Rahmen für sie war, etwas Lebendiges und darum auch Lebenzeugendes,

so waren die Schöpfungen jener posthumen Neuromanik, wie wir sie in den beiden

Jahrzehnten um die Jahrhundertwende haben entstehen sehen, etwas Gewolltes, Unorganisches und deshalb Unlebendiges, letzte Äußerung des Verzichtes auf Selbst­ bejahung, auf Weiterschreiten, ein Schritt zurück an Stelle eines Schrittes nach vor­

wärts. Erscheint uns der Historismus als Ganzes gesehen, als geistesgeschichtliches Ge­

samtphänomen nicht heute schon als der verhängnisvolle Generalirrtum des ^.Jahr­

hunderts, der dem künstlerischen Schöpferwillen das Rückgrat zerbrach? Die Denkmal­ pflege ist mit der großen Architektur durch diesen Historismus hindurch gegangen, erst

durch sein Stahlbad und dann durch seine versandeten Ausmündungen. Jener Historis­ mus deS 19. Jahrhunderts als Stilform ist endgültig tot, aber etwas ganz anderes ist

das historische Fühlen, der Respekt vor dem Historischen, den wir heute fordern, den wir dauernd brauchen. ES ist eine Binsenwahrheit, die heute schon die Spatzen von den Dächern pfeifen,

daß in allen Zeiten einer wirklich schöpferischen Kunst, die groß von sich dachte, Archi­

tekten und Künstler, wo sie an und in einem alten Monument etwas Neues an Aus­ stattung und Schmuck zu bringen hatten, das eben in ihrer Sprache taten. Sie waren ja nicht polyglott wie wir, sondern sie sprachen nur diesen ihren einen Dialekt. Die

Renaissance fügte, was sie an ein älteres Denkmal anzufügen hatte, in Renaissance­

formen hinzu, das Barock in Barockformen. Das war jedenfalls die Regel, von der

eS freilich auch allerlei Ausnahmen gab. Die erste Erkenntnis dieser einfachen, scheinbar unbestreitbaren Wahrheit wollte das

Kind mit dem Bade ausschütten. Unsere Denkmalpflege hat ihre Kinderkrankheiten burchgemacht wie die moderne schöpferische Architektur dieses letzten Jahrzehnts, aber

sie hat diese Kinderkrankheiten hinter sich. Denn in dieser knappen Form enthält jener auf den ersten Blick so überzeugende Satz auch wieder eine Unwahrheit. Wollten wir

ihn ohne Einschränkung unterschreiben, so müßten wir auch all die Verständnislosigkeit, die Barbarei und Brutalität, die Nichtachtung und Rücksichtslosigkeit jener vergange­

nen Jahrhunderte den vorangegangenen Kunstperioden gegenüber billigen und ver­ teidigen. Die historische Erkenntnis von dem selbständigen und gleichmäßigen Wert aller vergangenen Kunstäußerungen soll ganz gewiß kein Hemmschuh sein gegen die

Zulassung gleich wertvoller Äußerungen unserer Zeit und unserer Kunst in unseren

Denkmälern, wohl aber wird sie eine Einschränkung bringen bei der Verwendung solchen Schmuckes und sie wird die Mahnung zur Vorsicht, zur Überlegung, zur Pietät aufstellen überall da, wo eö sich um die Beseitigung des kostbaren Alten

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ERHALTEN — VERFÄLSCHEN — WEITERBILDEN

handelt. Man möchte an jenen Kardinalsatz der Berechtigung der lebendigen Kunst

in der Arbeit der Denkmalpflege einen Nebensatz anfügen in dem Wortlaut, der jetzt in den Fragen deS Heimatschutzes den inneren Wertmesser bildet, der in unseren neuen Verunstaltungögesetzen niedergelegt ist und daS Leitmotiv all der auf diesen auf­

gebauten Ortsstatute darstellt: die Forderung, daß diese neuen Zutaten sich harmonisch dem alten Gesamtbilde einzufügen, sich ihm eventuell künstlerisch unterzuorbnen haben.

Und sich einfügen heißt den Rhythmus aufnehmen und fortsetzen. Eine neue Kunst wird nicht auS dem Boden gestampft. Die Alten waren naiv —

und wir sind eS nicht. Wir kommen auö einem historischen Jahrhundert und wir wurzeln so fest in diesem historischen Boden, baß selbst wenn wir, wie Münchhausen,

unS auS ihm an den Haaren herausziehen wollten, wir es nicht könnten. Eine Kunst­ äußerung, die immer die Notwendigkeit in sich verspürt, sich krampfhaft dagegen zu

wehren, baß die historische Erbsünde noch in ihr lebt, erscheint unS nicht als eine reife

und freie. Und wenn für die Denkmalpflege die eine Gefahr die war, die Fühlung mit

der lebendigen Kunst einzubüßen, so ist die andere Gefahr die, daß das Bewußtsein von dem historischen Werdegang und dem Ursprung der Denkmalpflege uns verloren

geht. Wir würden den Ast absägen, auf dem wir sitzen, wenn wir daS zuließen. Dor fünf Jahren hat in seiner Tübinger Rektoratsrede Konrad Lange gesprochen

von einer alten und einer jungen Schule der Denkmalpflege. Wenn daS nicht nur der alte und ewig neue Gegensatz zwischen alt und jung ist, der schon auö der quereile des

anciens et des modernes auS den Tagen Perraults und BoileauS zu unö herklingt: auf dem Gebiet der Denkmalpflege möchten wir heute nur eine Schule kennen, in der alt und jung sich versöhnt die Hände reichen — und wir werden später nur eine einzige kennen. Die Denkmalpflege steht auf dem historischen Boden, aber das ist für sie keine Fessel, sondern wie AntäuS zieht sie immer nur neue Kraft auö ihm. Die reiche

Welt der historischen Vorbilder ist ihr ein Arsenal von Waffen, aber nicht zum tempera­

mentlosen Nachahmen, daS sein höchstes Ziel in den falschen Stolz setzt, mit einem vergangenen Jahrhundert verwechselt zu werden, sondem zum künstlerischen Weiter­

gestalten dieser Vorbilder, so wie daS jede Zeit von originaler Stilkrast mit dem Erbe

der Alten getan hat. Daß der Künstler als Künstler dieses Chaos von historischen

Vorbildern meistert und begreift, das machte-auö; die Melodie schafft das Werk, nicht

die Tonart. Und wer so frei, schöpferisch mit jenen unendlichen Anregungen der alten Stilformen schaltet, der ist so gut ein neuzeitlicher Künstler wie irgend einer — und vielleicht ein reiferer Künstler als einer, der sich immer plagen muß, diese historischen

Anregungen zu vergessen. Und nun hören wir den abgegriffenen Einwand: die Denkmalpflege hat ja doch gar

nicht an den Denkmälem zu arbeiten, sie hat nur zu erhalten. Ein etwas allzu theore-

ZIELSETZUNG DER DENKMÄLERFÜRSORGE

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tischer und darum ein lebensfremder Einwand. Gerade heute, bei den neuen Aufgaben, die uns geworden sind, bei denen eS sich auch handelt um die Gestaltung der Umgebung

eines Denkmals, die Gestaltung und Weiterführung eines ganzen OrtöbildeS: wo ist

da die Grenze zwischen Erhaltung und dem Neuschaffen zu finden? Und beim Erhalten selbst: kann man den Pelz immer waschen, ohne ihn naß zu machen? Soweit eS sich

um ein Monument mort handelt nach jener von dem Belgier Cloquet aufgebrachten, von uns gern akzeptierten Definition, da ist die Aufgabe sicher nur die, dafür zu sorgen, daß diese Urkunde unverletzt bleibt, sie vor Verfälschung, manchmal auch nur vor Be­ rührung zu bewahren, und unter Umständen kann eS selbst als richtiger erscheinen,

die ehrwürdige Urkunde unleserlich werben zu lassen, als ein Palimpsest zu vererben.

Aber überall, wo wir vor einem Monument vivant stehen, an dem unsere Zeit, di«

lebendige Kunst ihren Anteil hat und ihren Anteil fordert, da gilt eS, wo eS sich um einen Zusatz zu dem architektonischen Organismus handelt und wo etwas Neues zur

Ausstattung, zum Schmuck hinzuzufügen ist, auch der lebendigen Kunst die Tür nicht zu verschließen. Kein Mensch von gutem Geschmack und von wirklicher künstlerischer

Kultur wird heute noch, wie wir eS vor 25 Jahren taten, sich umgeben mit un­ echten, direkt nachgeahmten „antiken" Möbeln; er wird alte, echte Stücke suchen, wenn

er wirklich eine solche historische Erziehung hat, ober besser gute, neuzeitliche Stücke um sich herum versammeln; und kein vornehmer Sammler setzt in seine Kollektion

neben die Originale Fälschungen, weil er weiß, daß diese Fälschungen seine Originale mattsetzen. Warum soll dieser für unsere heutige Wohnungskultur uns als so selbst­ verständlich erscheinende Satz allein keine Geltung haben auf diesem einen Gebiet der

Ausstattung unserer historischen Denkmäler, vor allem unserer Kirchen? Von allem,

was in den letzten drei Jahrzehnten bis zum Jahre 1900 in unsere Kirchen — auch unter der Ägide der Denkmalpflege — hineingekommen ist, wird vielleicht einmal ein Zehntel Bestand haben, und der Geschichtschreiber, der nach hundert Jahren rückblickend

die ganze künstlerische Bewegung dieser Zeit im Zusammenhang würdigen wird, der wirb höchstens in einer Anmerkung diese Ausstattungskunst zusammenfaffen: das

schlechte archaistische Zeug vom Ende des 19. Jahrhunderts, bas außer allem Zu­

sammenhang mit der lebendigen Kunst stand. Und „Bad art ia a great deal worse

than no art at all“ sagt Oökar Wilde einmal. Vor sechs Jahren hat Georg Dehio seine feinsinnige Sttaßburger Rektoratörede über die Ziele der Denkmalpflege geschlossen mit dem Hinweis, daß die bedrohliche Be­

wegung der Restaurationslust sich legen werde, sobald wir wieder eine klare und einheit­

liche baukünftlerische, Überzeugung haben werden. Dürfen wir nicht heute sagen: Wir haben diese klare und einheitliche baukünstlerische Überzeugung, wir haben sie, wenn wir nur den Mut haben, unö zu ihr zu bekennen? Eö erscheint mir alö ein vielleicht

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BEKENNTNIS ZUR GEGENWART

zur Zeit sehr gewagtes Unternehmen, aber als ein vorbildliches, baß heute zum Ausbau

des Freiberger DomS vier der bedeutendsten neuzeitlichen Künstler zur Einreichung von

Entwürfen aufgeforbert worden sind: Bruno Schmitz, Graebner, Kreis, Theodor

Fischer. Und noch auf ein Wort eines der ehrwürdigsten Führer der ganzen Bewegung der Erhaltung unseres historischen OrtSbilder, auf ein Wort des Retters von Alt-Brüssel,

Charles BulS, der auch früher einmal in unserer Mitte weilte, möchte ich Hinweisen: „Unsere wissenschaftliche Erkenntnis gestattet unS, den Geist der Vergangenheit zu be­ greifen, unsere Kunst erlaubt eS unö nicht, ihn auszuführen." Er faßte diesen Satz als

ein Bekenntnis des Non possumus. Wir wollen ihn uns gem zu eigen machen in dem Sinne, daß wir sagen: Unsere starke und selbstbewußte neuzeitliche Kunst erlaubt unS

nicht mehr, allein einer Richtung nachzulaufen, die ihr Höchstes darin sieht, den Geist der Zeiten zu begreifen, der bekanntlich immer nur der Herren eigener Geist ist, in dem

die Zeiten sich spiegeln. Wer heute seine Zeit erkennen und bejahen will, der hat auch

die Verpflichtung, nach den höchsten Formen zu suchen, die ein deutlicher und lebendiger

Ausdruck eben dieser Zeit, nur dieser Zeit sind. Das scheinen mir die Ziele der Denkmalpflege von heute in Deutschland zu sein —,

die Ziele der Denkmalpflege zugleich als eines Zweiges der einheitlichen und unteilbaren künstlerischen Kultur von heute. Die Denkmalpflege soll und möchte daS Gewissen eines

Archivars haben, wo eS sich um eine historische Urkunde als einen Teil unseres natio-

nalen Besitzstandes handelt, und sie möchte die Freiheit und die Originalität eines

Künstlers haben, eines Künstlers, der voll von Ehrfurcht für das Gewordene ist, der gelernt hat, sich feinfühlig und harmonisch in einen alten BauorganiSmuS einzuorbnen

und auch einmal unterzuorbnen, der aber doch, wo eS gilt, ein Neues hinzuzufügen

und vor allem eine Zutat, einen Schmuck zu bringen, einen starken und persönlichen Ausdruck geben möchte für daS künstlerische Leben und für die Bedürfnisse und An­

schauungen unsererIeit. Die Ziele der Denkmalpflege von heute—daS sind aber zu­ gleich auch die einzigen Lebenömöglichkeiten, die für die Denkmalpflege von morgen und übermorgen sich ergeben, die Lebensmöglichkeiten, zu denen unS alle Organisatio­ nen und alle Verordnungen des Staates, der Kommunen und der Kirchen nur den Weg bahnen können. Eine unabweisbare Logik der Geschichte, — und wollten wir unö ihr

versagen, wir würden von dem rasch vorwättSstürmenden Wagen der lebendigen Kunst

abgeworfen werden. Ich weiß nicht, ob wir alle, wir Denkmalpfleger, die wir auS Deutschland gekommen f nb, so denken — heute; aber bas eine weiß ich, und ich glaube

mit einem Köhlerglauben daran, daß wir alle so denken werden — morgen. Dixi et animam ealvavi.

DIE GEFÄHRDUNG DES DEUTSCHEN KUNSTBESITZES

Der hier abgedruckte Aufsatz gibt den Vortrag wieder, den ich auf der 3. Gemeinsamen Tagung

für Denkmalpflege und Heimatschutz in Eisenach im Festsaal der Wartburg am 24. Sept. 1920 gehalten habe. Er war ergänzt durch Referate von Karl Koetschau (Düsseldorf), das die Stellung­

nahme der Museumsbeamten und des Kunsthandels zu den vorgeschlagenen Schutzmaßregeln be­ leuchtete, und von Hans Tietze (Wien), der ein ergreifendes Bild von den Zuständen und Stim­ mungen in dem Bruderstaat Österreich und von den dort drohenden Gefahren zeichnete. Erstmalig

veröffentlicht in dem Stenographischen Bericht der Tagung S. 95 und in Sonderdruck. Absichtlich

ist der Text bis auf wenige Sätze hier kaum verändert. Denn das über den Notstand von 1920

Gesagte trifft wieder auf die Lage von 1933 LU. Und unsere Sorgen von heute sind wieder die alten. Die Liste der „national wertvollen" Kunstwerke auf Grund der Reichsnotverordnung vom 11. Dez.

1919 hat nach ihrer Veröffentlichung schwere Anfeindung gefunden, sie ist zweimal revidiert, aber nicht grundsätzlich bereinigt worden. Die ReichSverordnung ist von zwei zu zwei Jahren in ihrer

Wirkung verlängert worben, zuletzt fristlos „bis auf Weiteres". Die wiederholt versprochene und in der Verordnung ausdrücklich angekündigte gesetzliche Regelung ist bis heute nicht erfolgt. Das

ReichSministerium des Inneren beabsichtigt jetzt, eine endgültige Ordnung möglichst bald durch­

zuführen.

DIE GEFÄHRDUNG DES DEUTSCHEN KUNSTBESITZES

Eisenach 1920. DaS Thema der Bedrohung dcö deutschen KunstbesitzeS ist eines, baS in den beiden letzten Jahren eine der drückendsten Sorgen der Denkmal- und Kunstpflege bargestellt

hat und nicht nur dieser — eine Sorge, die die DolkSerzieher und die Hüter unserer geistigen Schätze in gleicher Weise erfassen mußte, die die -Öffentlichkeit anfiel und die öffentliche Meinung eine Zeitlang in Atem hielt, und die zuletzt mit Notwendigkeit Parlament und Regierung auf den Plan rufen mußte. ES handelt sich darum, die allgemeine Lage darzulegen. Den Zustand vor und

während des Krieges, den neuentstandenen Notstand und die unmittelbaren Gefahren, die früheren Hemmungen für die Verschleuderung und Zerstreuung dieses KunstbesitzeS, die neuen gesetzlichen Schutzmaßregeln und die heute gesuchten Garantien, die Möglich­ keiten der Durchführung, ihre Gefahren, die Notwendigkeit der Einschränkung.

Ich rede zuerst von dem heutigen Notstand. Wer Augen hat zu sehen, der weiß, in

welch bedrohlicher Weise der mobile Kunstbesitz jetzt im wahrsten Sinne des Wortes mobil geworben ist, und wie diese Gefahr, die am Anfang nur für die Kunstschätze

im Privatbesitz zu bestehen schien, allmählich weiterfressend auch die Kunstschätze im

öffentlichen Besitz bedroht. ES braucht in unserem Gremium nicht erneut darauf hin­ gewiesen zu werden, wie der Kunsthandel zwischen den Ländern deutscher Zunge und

dem Auslande als unmittelbare Folge unseres Nieberbruchs neu emporgeblüht ist und

im Laufe der beiden letzten Jahre eine ganz unerhörte Ausdehnung und völlig phan­ tastische Formen angenommen hat. Die großen und kleinen Händler, unterstützt durch eine erstaunlich ausgedehnte Zahl von wohl orientierten Helfern aller Art, sind an

der Arbeit, den deutschen Kunstbesitz, wie der technische Ausdruck heißt, loszumachen. Und die wachsende nervöse Unruhe der Besitzenden im Jnlande, die von der Hypnose

des Ziffernwahnsinns ergriffen sind, kommt ihnen zu Hilfe. Geblendet durch die schein­ bare Höhe von Angeboten und aus unbestimmter Furcht vor härtester Steuerbelastung

werden sie von den allzu beredten Händlern überrumpelt. Große internationale Trusts

haben sich zusammengeschlossen, um Milliarbengeschäste (wenigstens nach österreichi­

scher Währung) zu versuchen, und eS war wahrlich nicht Unlust oder Mangel an Wage­ mut bei den Kunsthändlern, baß jene erste große Gefährdung beö österreichischen Kunst­ besitzeS durch den damals noch in letzter Stunde verhinderten österreichischen Kunst-

auSverkauf noch einmal gnädig an dem Lande vorübergegangen ist. Wer schon in den letzten Jahren vor Schließung deö offenen Lochs im Westen an der westlichen Grenze den Kunsthanbel beobachten konnte, weiß, wie waggonweise kostbares Kunstgut mit

mittlerer Ausstattungsware abgeflossen ist.

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HEUTIGER NOTSTAND

Im Anfang schien eS, baß nur ober vorzugsweise ber private Kunstbesitz in dieser Weise neu bedroht sei. Die Erfahrung dieser ersten NachkriegSjahre, die wir mit bitterem Lächeln Friebenöjahre nennen, hat uns aber gezeigt, wie diese Infektion keines­

wegs auf ihren Herd beschränkt blieb. Die neuen Privatmänner Mitteleuropas, die früheren regierenden Fürsten, sind zum Teil ber Ansteckung ausgesetzt, und gerade dem

früheren fürstlichen Kunstbesitz gilt ein wesentlicher Teil unserer Sorge. Daö oft schreiende Mißverhältnis zwischen großen Lasten im Interesse beS öffentlichen Wohls

und notwendigen Ausgaben auch nach äußerster Einschränkung ber repräsentativen

Pflichten und auf ber anderen Seite den nach Abzug des ReichSnotopferS und ber sonstigen Steueransprüche verbleibenden Mitteln schien in vielen Fällen oft mit not­ wendiger Konsequenz auf die in den Kunstschätzen liegenden ungemünzten Werte hinzu­

weisen. Nicht alle Fürsten haben der Verführung widerstanden. Für die neuen demo­ kratischen Staaten konnte ber einzige moralische Rechtsanspruch auf Übereignung des

ehrwürdigen alten Kunstbesitzes doch nur darin bestehen, daß sie ihn nicht nur ebenso gut, sondern wenn möglich besser verwalten, alö in der alten monarchischen Ära. Daß diese neugeschaffenen Verwalter nun keineswegs auch ideale Hüter und Schützer zu­ gleich sind, beweist ber Fall, baß es in Österreich eben die Regierung war, die entgegen

dem Einspruch aller zuständigen Körperschaften diesen unheilvollen Beschluß gefaßt hatte, die Penaten deS alten kaiserlichen Österreichs auf den Markt zu werfen. Aber auch bei den bürgerlichen und kirchlichen Gemeinden und den sonstigen Körper­ schaften klopfen die Verführer an. Wenn es nur die Stimmen ber Versucher wären,

die hier auf eine so gefährliche Bahn lockten! Aber diese Stimmen werden im Schoße dieser Körperschaften selbst laut, und ganz von selbst wenden sich die Blicke der Ge­

meinden, die in einer verzweifelten finanziellen Lage sich befinden, auf die ungenutzt und vielfach vielleicht wenig beachtet dastehenden Schätze, deren Verkauf die Not für kurze oder längere Zeit bannen würde, genau wie im kleineren Maßstabe eine in Not befindliche Familie oder ein Einzelner eben schweren Herzens alö letzte Rettung auf

kostbaren ererbten ober erworbenen Kunstbesitz blickt und zuletzt doch zu ihm greifen muß.

Machen wir unö klar, daß wir das Maß unseres finanziellen Elends, unserer Ver­ armung noch nicht erschöpft und ausgemessen haben, daß daö Reich, die Länder, die

Gemeinden und jeder Einzelne in diesen letzten Jahren Vogel-Strauß-Politik gespielt haben, baß kaum einer mit ganz klarem Bewußtsein den künftigen Forderungen inö Gesicht zu blicken wagt, die die Entente an unö, an den Staat und an jeden einzelnen

stellen wird. Wissen wir heute,ob unS nicht die Verwaltung einer dette publique droht,

die die Bedürfnisse nach ihrm materiellen Notwendigkeiten, d. h. so wie sie der Entente

erscheinen werden, staffeln wirb und dabei Kultuö- und Kulturinteressen besonders in die letzte Reihe verweist? Wenn die Trennung zwischen Kirche und Staat durchgeführt

BEDROHUNG DES KUNSTBESITZES BEI KIRCHEN

77

werben wird, ist mit Sicherheit zu erwarten, selbst den guten Willen der Regierungen und von allen Ländern vorausgesetzt, dazu bei dem Nachlassen des kirchlichen Sinnes

und damit der kirchlichen Opferlust in so vielen Gegenden, daß den Gemeinden für die allemotwendigsten Bedürfnisse die Mittel fehlen werden. Wenn sich bann erst zögemd,

aber bann immer begehrlicher die Blicke auf ungenutzten Kunstbesitz als auf den Retter

wenden — was dann? Wenn in einem Fall, wo dringliche Baubedürfnisse zu be­

friedigen sind und die Kirchengemeinde absolut leistungsunfähig ist, sich bann dazu noch die Möglichkeit eines Verkaufs in bas Ausland ergibt in Zeiten einer Hochspan­ nung der fremden Valuta: werden die nächstbeteiligten Kirchenregierungen glauben,

es verantworten zu können, wenn sie eine solche Rettungsaktion durch Veräußerung unter geschickter Ausnutzung einer augenblicklichen Konjunktur verwehren, und wird bei einer ernstlichen Darlegung der Notlage seitens der kirchlichen Behörden und einem bringenden, von dieser Seite kommenden Anttage die staatliche Aufsichtsinstanz sich

stark genug fühlen — ich gebrauche dies Wort in vielfacher Beziehung — die Zu­

stimmung zu versagen? Nach dem neuen Kodex des gültigen Rechtes für die katholischen Kirchen dürfen ja doch res pretiosae, denen ein notabilis valor innewohnt, ver­

äußert werben, wenn eine justa causa, eine urgens necessitas vorliegt und wenn die Veräußerung eine evidens utilitas bringt. Nun eine solche urgens necessitas wird künftig nur allzu oft rintreten —und bei den hohen Preisen auf dem Kunstmarkt

wird dann die evidens utilitas nicht zu bestreiten sein.

Es war ein Glück für die Privaten wie für die Korporationen, baß die kostbaren

Dinge, die bislang unschätzbar schienen, tatsächlich niemals geschätzt oder auch nur ernstlich ziffernmäßig bewertet worden sind. Wenn jetzt bei den Privaten der Anfang

gemacht wird, in den Vermögenssteuerklärungen den Besitz von „Gegenständen aus

edlem Metall, Schmuckgegenständen sowie Luxusgegenständen" und den Ncuerwcrb von Kunstgegenständen und Sammlungen nach 1914 mit dem vollen Wert zu deklarieren, wenn bei Erbschaftöteilungen wie bei der Erbschaftssteuer der Kunstbesitz zum ersten

Mal in Rechnung eingesetzt wird, wird ein höchst verhängnisvoller Schritt getan, ein gefährlicher Gedanke wird ins Leben geworfen, der nun auch in der Öffentlichkeit weiter­ wirkt: die Begehrlichkeit deS SteuerfiSkuS wird plötzlich auf Werte gerichtet, nach denen bislang seine Hände noch nicht griffen, aber auch die Eigentümer und vor allem

die Erben werden hier plötzlich auf realisierbare Werte hingewiesen, die bislang für

sie nur zum unantastbaren eisernen Inventar gehört hatten. ES kann auf diese Weise nur der Boden für die Verkauföstimmung bereitet werden. Unser alter privater Kunst­ besitz, in dem eines der wichtigsten Dokumente der deutschen Kultur vor unS liegt,

muß auf diesem Wege in wenigen Generationen mit Notwendigkeit verschwinden, bei raschem Erbgang noch schneller. Hier liegt eine so große unmittelbare Ge-

78

GEFÄHRDUNG DES PRIVATEN KUNSTBESITZES

fahr vor, daß unsere Tagung alle Ursache hätte, zu ihr durch eine Äußerung Stellung

zu nehmen. Wir wollen ehrlich und ernstlich der Tatsache ins Gesicht sehen, baß ein großer Teil

unseres Kunstbesitzes wie unseres bisherigen Reichtums nicht zu halten ist. Angesichts der Notwendigkeit, eine Basis für das zehnfach teurere Leben zu schaffen, für die um

das Zehnfache gesteigerten Bedürfnisse von Einzelnen wie von Korporationen, wird der

Kunstbesitz überall dort, wo er bisher bloßer Luxus war oder als Kapitalanlage galt, zuerst daran glauben müssen. Sehr viele Familien und Einzelne werden einfach nicht

in der Lage sein, die Kostbarkeiten aus einer alten glücklicheren Zeit zu halten, zu hegen oder auch nur aufzubewahren. Wir werden in wenigen Jahren auch auf diesem Gebiete unendlich viel von dem bisherigen Nationalvermögen eingebüßt haben. Um so mehr Ursache haben wir, alle, aber auch alle Möglichkeiten und Handhaben zu nutzen und

auszunutzen, die uns wenigstens das Wichtigste von diesem gefährdeten Kunstbesitz zu

retten vermögen. Was früher den Schutz dieser ganzen mobilen Kunstwerke verbürgte, das war vor

allem die im Herzen der Eigner wurzelnde Gesinnung und die selbstverständliche Pietät deS Verpflichtungsgefühls gegenüber diesen ererbten Dingen, —und unsere Denkmal­

pflege hat, gefördert durch die verständnisvolle Mitarbeit der Regierungen und gefördert

und geführt durch die kirchlichen Behörden, das Ihrige getan, das öffentliche Gewissen zu schärfen. Auf unserer letzten Auöschußtagung in Berlin haben zwei Vertreter der

großen kirchlichen Gesellschaften mit weithin wirkender Beredsamkeit betont, baß eS in vorderster Linie eben diese Gesinnung sei und sein müsse, nicht so sehr die Wirksam­

keit der staatlichen und kirchlichen Aufsichtsgesetze, waS die Erhaltung und den Schutz

der einer Kirche überlieferten Schätze verbürge. In allen früheren Bundesstaaten waren weiter Kunstwerke im öffentlichen Besitz

und im Besitz von Korporationen des öffentlichen Rechts, wozu eben auch die Kirchen­ gesellschaften gehörten, ganz im allgemeinen geschützt auf Grund deS allgemeinen staat­

lichen HoheitSrcchteS und AufsichtörechteS und im besonderen insofern, als dem Staate

das Aufsichtsrecht über die Vermögensverwaltung zustand. DaS war vor allem der RechtStitel, aus dem der Staat für sich das Recht ableitete, auf die Erhaltung der im

kirchlichen Besitz befindlichen Kunstwerke einzuwirken. Den Privaten gegenüber bestand überhaupt keine Bindung, — und nur in sehr beschränktem Umfang, mit der äußersten

Vorsicht, ist eine solche in dem für seine Zeit mustergültigen ersten hessischen Schutzgesetz versucht worden. An die Besitzer der großen Fideikommisse, noch mehr an die ehemals

mediatisierten Familien wagte sich eine solche Bindung im allgemeinen auch in der öffentlichen Meinung kaum heran, und sie machte beträchtlich weit vor den Toren eines jeden Fürstenhofes Halt. Ein jeder unserer Konservatoren hat aus seiner Amtszeit von

SCHUTZMASSREGELN

79

Zusammenstößen mit anders gearteten Interessen und von der gänzlichen Ablehnung

eines jeden Einspruchs nicht bei den Regierenden selbst, aber bei Hofmarschällen, Hof­ bauräten usw. zu erzählen, die von jeher immer päpstlicher sein wollten als der Papst. Gegen die Einführung von S ch u tz m a ß r e g e l n für die beweglichen Kunstdcnkmäler,

die naturgemäß zuerst in einer gewissen Beschränkung des freien Eigentums und des DerfügungörechteS bestehen und den Ausdruck in der Form von Auöfuhrsperrung oder

beschränkten Ausfuhrverboten finden mußten, hatte sich früher die öffentliche Meinung,

wie die Mehrzahl der beruflichen Sachverständigen ausgesprochen. Am Tage nach der Versteigerung der Sammlung von R. von Kaufmann im Jahre 1918 hatte bas da­ malige Abgeordnetenhaus die Anregung zu einem Gesetz gegeben, das die Ausfuhr

von Kunstwerken beschneiden sollte. Die gewichtigsten Stimmen Deutschlands hatten

sich damals noch gegen den Plan eines solchen weitgehenden und radikalen Ausfuhr­ verbotes ausgesprochen, auch Wilhelm von Bode. Es ward darauf hingewiesen, daß

die Ausfuhrgefahr doch überschätzt ward, baß Deutschland in höherem Maße ein Kunst­ importland als ein Kunstexportland war. Charakteristisch war auch die Erklärung eines

großen und immer von weitblickenden Gesichtspunkten bei seiner Tätigkeit geleiteten

Sammlers, des Prof. Otto Lanz in Amsterdam, der alle jene Bedenken gegen jedes Gesetz zusammenfaßte und dafür an den Kunstsinn und daö Nationalempfinden bei

jedem einzelnen Eigentümer wie bei den großen Händlem appelliert wissen wollte. Seit unserem Zusammenbruch haben sich die VerhälMisse aber gänzlich geändert.

Die Exporigefahr ist wesentlich größer als die Jmpottmöglichkeit. Es war eine gesetz­ geberische Tat von weitteichender Bedeutung, baß in die neue Verfassung des Deutschen Reiches als Att. 150 der Satz über eine ausdrückliche Verpflichtung des Reiche« in den

Fragen de« Kunstschutzes ausgenommen wurde. Der Artikel 150 bestimmt: „Die Denk­ mäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz

und die Pflege deS Staates. Eö ist Sache deö Reichs, die Abwanderung deutschen KunstbesitzeS in das Ausland zu verhüten." Am 8. Juli 1919 hatte unser Ausschuß auf seiner

Tagung in Berlin in einer Resolution die Staatsregierung gebeten, ungesäumt die erforderlichen Sicherungömaßregeln zu treffen. Der deutsche Museumsbund hat einen

ähnlichen Schn'tt unternommen. Im August 1919 haben drei Abgeordnete der Deutschen

Volköpartei, die Herren Mittelmann, Becker und Kahl, an die Reichsregierung die folgende kleine Anfrage gerichtet: „Infolge des jetzigen niedrigen Standes unserer

Valuta wandem wertvolle alte deutsche Kunstschätze waggonweise inS Ausland ab. Ist die Regierung bereit, durch Erlaß eines KunstauSfuhrverbotSe oder Vorlage eines

entsprechenden Gesetzes die weitere Abwanderung deutscher Kunstschätze zu verhindern?" Unter dem 8. Oktober 1919 hat der Geschäfts führende Ausschuß unseres TageS eine erneute dringliche Vorstellung an die Reichöregierung und die Landesregierungen ge-

8o

REICHSNOTVERORDNUNGEN

richtet und bann wiederum die Notwendigkeit eines gesetzgeberischen Aktes betont, in Anbetracht, baß gerade in den letzten Monaten vor der in Aussicht stehenden großen Vermögensabgabe die Verkäufe einzelner großer Werke und ganzer Sammlungen in

das Ausland sich in erschreckender Weise gehäuft haben. In bezug auf die Wahrung der finanziellen Interessen beS Reiches glaube der Tag für Denkmalpflege bei aller

Würdigung unserer finanzpolitischen Notlage doch darauf Hinweisen zu müssen, daß ein augenblicklicher Gewinn von einigen Millionen an AuSlandSwertm in gar keinem

Verhältnis stehen würde zu der nie wieder gutzumachenden Beraubung und Ver­

armung Deutschlands an nationalem Kunstbesitz und zu der dadurch herbeigeführten dauernden Schädigung der geistigen Kraftquellen des deutschen Volkes.

Unter dem n. Dezember des JahreS 1919 ist bann auf Gmnd deS Gesetzes über eine

vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft vom 17. April 1919 die bekannte ReichSverorbnung über die Ausfuhr von Kunstwerken ergangen, die die Ausfuhr eines Kunstwerkes von einer Genehmigung abhängig macht,

sobald eS in daS Verzeichnis der Werke eingetragen ist, „deren Verbringung in daS Aus­ land einen wesentlichen Verlust für dm nationalen Kunstbesitz bedeuten würde". Durch

die Aufnahme eines Vertreters des ReichSbankbirektoriumS in den DreimännerauSschuß, der über die Genehmigung zurAuSfuhr zu entscheiden hat, ist den materiellen und

finanzpolitischen Ansprüchen deS Reiches in weitgehender Weise Sicherheit eingeräumt. Die erste und scheinbar dringendste Gefahr für den deutschen Kunftbesitz schien damit gebannt, aber nur für kurze Zeit. Die allgemeine Finanzlage hatte sich im vorigen

Winter so rapide verschlechtert, wie im besonderen auch die materielle Lage der Ge­ meinden und Kirchen, baß die Gefahr immer mehr wuchs, eS würden auch diese von

einer Veräußerung kostbarer Kunstwerke nicht mehr abzuhalten sein. Der ganze Kunst­ besitz schien locker geworben zu sein, und locker war auch daS Verpflichtungsgefühl

der Einzelnen wie der Gemeinden diesem gegenüber geworden. Wenn die schwebenden

Auseinandersetzungen zwischen den bisherigen regierenden Fürstenhäusern und den

einzelnen Landesregierungen abgeschlossen sein würben, wenn im Verfolg von Art. 137 und 155'ber Reichsverfassung die Trennung von Kirche und Staat und die Aufhebung der Fideikommisse zur Tat geworden sein würde, mußte diese Gefährdung für den öffentlichen Besitz nur noch immer mehr sich auSwachsen. Die günstige Konjunktur bei der im Winter 1919/20 bisher erreichten tiefsten Senkung unserer Währung kam dazu. Alle Bindungen schienen beseitigt zu sein. Auf der unter dem 12. April 1920 durch daS

Reichsministerium des Jnnem unter Beteiligung von Vertretern aller Länder in Stuttgart veranstalteten Reichskunstschutzkonferenz wurden die Grundlinien für eine weitergehenbe Schätzung deS deutschen öffentlichen Kunstbesitzes vereinbart, und unter

dem 8. Mai b. I. ist dann wiederum auf Grund beS Gesetzes über eine vereinfachte

SCHUTZ DES ÖFFENTLICHEN KUNSTBESITZES

8l

Form der Gesetzgebung die zweite Reichöverordnung über den Schutz von Denkmalen

und Kunstwerken ergangen, die im Grunde ja nur eine Kodifikation des bestehenden Rechtes gegenüber dem öffentlichen Kunstbesitz bedeutet, durch ihre einheitliche und

klare Form aber alle Zweifel ausschließt und möglichst weit greift. Es dürfen hiernach Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts,

Familienstiftungen sowie die Besitzer und Verwalter von Familienfideikommissen,

Lehen, Stammgütern und Hauövermögen bewegliche Gegenstände, die einen geschicht­ lichen, wissenschaftlichen ober künstlerischen Wert haben, nur mit Genehmigung der

Landeszentralbehörde oder der von ihr zu bezeichnenden Behörde veräußern, verpfänden, wesentlich verändem ober aus dem Reichsgebiet ausführen. Die Kirchen sind aus­

drücklich nicht besonders genannt, sie fallen ohne weiteres unter die Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Damit ist künftig jeder Zweifel ausgeschlossen. Weiter ist nicht wie in den bisher in Preußen und anberöwo gültigen Gesetzen und Verordnungen

der Begriff eingeführt, daß die zu schützenden Kunstwerke einen „besonderen" geschicht­ lichen usw. Wert haben sollen. Es würde damit ein Maßstab geschaffen werben, der

der Feststellung des Richters im Einzelfalle unterliegen würde. Und diese Kunstwerke sollten zunächst einmal der Feststellung deS Richters entzogen werden. ES ist ebenso zu beachten, daß ausdrücklich von einem Inventar, einer Liste, in die die schutzbedürftigen

Kunstwerke ausgenommen werden sollten, für den öffentlichen Kunstbesitz Abstand genommen worben ist. Auch hier sollte möglichst weit gegriffen werden, im Gegensatz zu der ersten Verordnung vom n. Dezember 1919, deren Durchführung an ein Klasse­ ment gebunden war.

Mit diesen beiden Reichsverordnungen ist nun ein Weg beschritten, der notwendig zu einer teilweisenSozialisierung deS KunstbcsitzeS führen muß. Für die Auffassung,

daß die für die deutsche Kunstgeschichte wesentlichen Werke in keiner Weise dem Vater­ lande entfremdet werben dürfen, darf man sich auf die viel strengere und von einem

höheren Verantwortungsgefühl zeugende Auffassung deS Auslandes berufen, etwa auf die Definition, die schon in dem Gesetz über den Schutz der Kunstdenkmäler und Altertümer in Griechenland vom Jahre 1834 gegeben ist, daö einfach bestimmt, daß alle antiken Denkmäler als von den Hellenischen Vorfahren herrührend Nationalgut

aller Hellenen seien, auf die verwandten Erklärungen in den italienischen, türkischen,

bulgarischen Schutzgesctzen. Daö öffentliche Interesse kann unter Umständen an einem

großen Kunstwerk ein so überwiegendes sein, daß es die einfachen privaten Rechts­ ansprüche einfach ausschaltet. Es kann ein Einzelner an einer Sache, an der im gewissen Umfange die ganze Nation interessiert ist, kein diese von dem Genuß und der Benutzung

auöschließenbes alleiniges Eigentumsrecht haben. Die Weimarer Verfassung hat diese

hohe Gesinnung gegenüber den Kulturgütem der Nation zuletzt zusammengefaßt in

82

BESCHRÄNKUNG DES PRIVATEIGENTUMS

dem bedeutungsvollen Satz (Art. 15z, Abs. 3): Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch

soll zugleich Dienst sein für daS Gemeine Veste. Unsere Gesetzgebung hat in den letztm Jahren den Begriff deö öffentlichen Interesses, der utilite publique, unserer fort­ geschrittenen rechtlichen Auffassung, unserem gesteigerten sozialen Empfinden folgend.

Schritt für Schritt weiter entwickelt. Wir dürfen vor allem an die Gesetzgebung auf Grund deö preußischen Verunstaltungögesetzeö vom Jahre 1907 und an die parallele

Entwicklung in vielen der übrigen früheren Bundesstaaten erinnern. Eine gewisse Be­ schränkung deö absoluten VerfügungörechteS der Eigentümer von hervorragenden Kunstwerken bei Maßnahmen, die das öffentliche Interesse direkt schäbigen könnten —

und daö würde vor allem der Verkauf ins Ausland oder die Geheimhaltung sein — würde nur eine ganz logische Konsequenz barstellen. Wir sind heute auf anderen Ge­

bieten auf der nach mancher Ansicht vielleicht allzu abschüssigen Dahn der Sozialisierung so weit abgerutscht, haben so viel zugunsten der Allgemeinheit auf unsere persönlichen

Rechte verzichten gelernt, haben sogar daS Recht am eigenen Hause verloren, baß eine solche Beschränkung wie hier vorgesehen, unserem Rechtsgefühl nicht mehr irgendwie

als zuwiderlaufend angesehen werden kann.

Nach dem § 1 der Reichsverordnung vom 8. Mai 1920 kann die Landeszentralbehörde auch Sammlungen und Büchereien im Eigentum« von Privatpersonen, die schon seit

längerer Zeit im Gemeingebrauche gewesen sind, in die Reihe jener zu schützenden Objekte aufnehmen. Die Öffentlichkeit wird sich ein historisches Anrecht auf den weiteren Genuß der Sammlungen und Bibliotheken, die ihr seit beträchtlichen Zeiten geöffnet waren, eben nicht abstreiten lassen, und die öffentliche Meinung wird hier mit einigem

Recht von Ersitzung des Eigentums oder wenigstens Ersitzung des Nießbrauchs an diesem Eigentum reden und sich auf die §§ 937 und 1033 des BGB. berufen. Eö wird schwer sein, zumal in Zeiten einer Erregung der öffentlichen Meinung, hier die Unter­

schiebe zwischen einem erworbenen Recht und einer lange ober nachlässig geübten weit­

gehenden Gastlichkeit klar zu fassen. DaS gilt vor allem auch von den bisherigen fürstlichen Kunstsammlungen.

Daß hier Ungerechtigkeiten vorkommen werden, fast vorkommen müssen, liegt ja auf der Hand. Wenn ein Fürstenhaus seine wertvollsten Kunstschätze bislang nicht im

Residenzschloß, sondem in seinen Villen und Jagdschlössern, — die ja zum Teil auch im Ausland liegen können —geborgen hat, die bei der Auseinandersetzung als Privat-

eigentum deö betreffenden Hauses verbleiben, so verbleiben ihm auch diese Kunstschätze im unangetasteten Besitz. Hat dagegen ein kunstsinniger Fürst, vielleicht nur einer Laune und GroßmannSmarotte folgend, vor einem Menschenalter die verstreuten Kunstwerke

seines Hauöbesitzeö aus allen seinen Schlössern gesammelt und in einem eigenen Bau

unter dem vornehmen Namen „Museum" vereinigt, diese Sammlung dann auch aus

SCHICKSAL DES FÜRSTLICHEN KUNSTBESITZES

8z

privaten Mitteln weiter vervollständigt, so gehen er und sein HauS jetzt unter Um­

ständen dieses Museums verlustig. Erscheint baS als gerecht, während sein Nachbar, der eben kein Museum gegründet, seinen künstlerischen HauSbesitz nicht der Öffentlich­

keit zugänglich gemacht hat, oder ein schon 1866 ober vorher 1803,1806,1815 mediati­

sierter Fürst, der dabei seinen ganzen Kunstbesitz behalten durfte, seine Sammlung aus

den damals mit viel größerer Loyalität gewährten staatlichen Revenuen weiter zu ver­ mehren in der Lage war, diese Kunstschätze nun behält? Man bestraft damit doch gewisser

maßen eine früher gewährte edle Gastlichkeit und ein soziales Empfinden, im Gegensatz zu jenen anderen, die ängstliche Hüter ihres geheimnisvoll verborgenen Kunstbesitzes waren. Jene gastfreien Besitzer sollten eher jetzt belohnt und beffergestellt werden, als

nun ausdrücklich in Sttafe genommen werben. Es könnte sogar rein akademisch der Fall eintreten, daß ein Gelehrter ober ein Privatmann seine Bücherei durch Jahrzehnte

hindurch der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hat und die gelehrte Welt in etwa an diesem Genuß gewöhnt hat: soll er nun auch dadurch gestraft werden, daß auf seine

„schon längere Zeit im Gemeingebrauche gewesene" Bibliothek jene scharfe Schutz­ bestimmung Anwendung findet und er oder seine Erben in ihrem Verfügungsrecht erheblich beschränkt werden, während jeder andere Eigentümer auch von größeren privaten Büchersammlungen frei auögehen würde?

Die größte Schwien'gkeit liegt für die Reichsverordnung vom 11. Dezember 1919 in derDefinition derzu schützenden Kunstwerke. Die Fassung des § 1, daß die Ausfuhr

derjenigen Werke verboten sei, die in der Lifte der Objekte stehen, „deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz bedeuten würbe", ist ersichtlich wohl überlegt so und gerade so gefaßt. Jene Resolution unseres

Ausschusses vom 8. Oktober 1919 hatte betont, daß eS in erster Linie die Aufgabe dieser Verfügung sein müsse, „alle Kunstwerke dem Vaterland zu erhalten, die irgendwie für

die Geschichte der deutschen Kunst und der nationalen Kultur von Bedeutung sind". In der AuSführungöbestimmung zu der Reichsverordnung ist der Ausdruck von

„national wertvollen" Kunstwerken gebraucht. Wenn über die Auslegung eines Gesetzes

oder einer Verordnung Zweifel bestehen, so darf man wohl zunächst bei den Schöpfern dieser Verordnungen anftagen und eine authentische Interpretation erbitten. Soweit

daö die Väter dieser Verfügung betrifft, ist baö ja leicht möglich — und wir können zum Teil diese Frage an den hier anwesenden Vertteter beS Reichsministeriums deS

Innern stellen. Ich glaube aber sagen zu dürfen, daß bei den gesetzgebenden Körper­ schaften ebenso wie in der Öffentlichkeit eS gerade die Vorstellung von einem wesent­ lichen Verluste beS nationalen Kunstbesitzes war, der die günstige und überraschend

glatte Aufnahme der Verordnung erwirkte, und ebenso war für die Aufnahme in der Presse dieser Begriff der führende. Wenn man mit dem Ausdruck „national" den 6*

84

NATIONAL WERTVOLLE KUNSTWERKE

Kunstbesitz nicht irgendwie besonders hätte differenzieren wollen, würde man logischer­

weise daS Wort nicht haben wählen, sondem dies Adjektivum ganz weglassen müssen.

Ich kann hier nicht ganz der Ansicht deS Referenten auf der 3. Tagung des deut­ schen Museumöbundeö in Lübeck, Gustav Pauli, sein, der nach dem Wortlaut deö

Protokolls erklärt hat, eö ergebe sich aus dem Wortlaut, daß nicht nur und nicht einmal vorzugsweise Kunst deutscher Herkunft getroffen werden solle, sondem ganz allgemein

Kunst hohen oder höchsten Ranges. Ich verkenne nicht bei dem Vorsitzenden deS

Museumöbundeö die Absicht, der Verordnung im Interesse unseres heimischen Kunst-

besitzeö eine möglichst weitgehende Auslegung zu geben —, ich bin aber überzeugt,

daß wir dauernd sehr viel mehr erreichen und viele Gefahren bannen, wenn doch eine Staffelung in der Reihenfolge der hier zu schützenden Kunstwerke eintrifft. ES war im

vorigen Jahre die Ansicht des weitaus größten Teiles der Sachverständigen, daß der

zu gewährende Schutz sich in erster Linie auf die Kunstwerke zu erstrecken habe, die als Standardwerke der deutschen Kunst auö dem Gefüge unserer nationalen Kultur nicht ohne schwere Schädigung derselben herauögeschnitten werden könnten. Bei der Fest­

setzung dessen, was an Kunstwerken „national wertvoll" in diesem Sinne sei, darf man

nicht nur den einseitigen Maßstab etwa einer hauptstädtischen musealen Schätzung und einer hauptstädtischen Museumöpolitik anlegen, sondern muß sich vor Augen halten,

baß im höchsten Sinne für die nationale Geschichte wettvoll in der Provinz oder an der

Peripherie ein Kunstwerk erscheinen kann, das gar nicht im Handelssinne als haupt­

städtisches Museumöobjekt ersten Rangeö erscheinen kann. Daö klassische Schulbeispiel,

daö im vorigen Jahre bei der Begründung der Notwendigkeit jener Dezemberverord­ nung immer wieder angezogen wurde, und daö die Öffentlichkeit erregte, betraf ein Hauptwerk der deutschen Malerei und der Malerei aller Zeiten, die Holbeinsche Ma­ donna deö Bürgermeisters Meier, die damals im freien durchaus ungebundenen Privat­

eigentum des Großherzogs von Hessen stand. Die Eigentümer von solchen hervor­

ragenden Dokumenten der deutschen Kunst werden am ehesten begreifen und begreifen

müssen, daß sie eben an diesen Werken keinen ausschließlichen Besitz haben können,

sondern daß daran die ganze Nation beteiligt ist, und angesichts dieser wichtigen Ur­ kunden der deutschen Kunstgeschichte wird auch am ehesten in der -Öffentlichkeit ein Rechtsbewußtsein entstehen, das diese Dinge als Gemeinbesitz ansieht. Eö ist ganz aus­

geschlossen, daß wir auf die Dauer mit einer Verordnung oder später mit einem Gesetz arbeiten, das als eine unbillige Härte empfunden werden sollte. Man darf bei dieser Unterstreichung deö „national wertvollen" auch auf den parallelen Wortlaut deö eben (