Künstler im Nationalsozialismus: Die »deutsche« Kunst, die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule 9783412218430, 9783412224295

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Künstler im Nationalsozialismus: Die »deutsche« Kunst, die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule
 9783412218430, 9783412224295

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Wolfgang Ruppert (Hg.)

KÜNSTLER IM NATIONALSOZIALISMUS

Die »Deutsche Kunst«, die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Die Tagung wurde veranstaltet von der Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien der Universität der Künste Berlin. Diese Publikation wurde gefördert von

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Karl Hofer, Der Rufer, 1935; Arno Breker, Zehnkämpfer, 1936; beide © VG Bild-Kunst; Bonn 2015; Charlotte Salomon, Die Machtübernahme am 30.1.1933, 1940 –1942.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Claudia Holtermann, Bonn Satz: Punkt für Punkt · Mediendesign, Düsseldorf Umschlaggestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck: Finidr, Czesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU 978-3-412-22429-5

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Inhalt 7

Martin Rennert

Vorwort 9

Wolfgang Ruppert

Einleitung 21 Wolfgang Ruppert

Künstler im Nationalsozialismus. Künstlerindividuum, Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule

I.  „Deutsche Kunst“, „Entartete Kunst“ und Kunstpolitik 75 Nina Kubowitsch

Die Reichskammer der bildenden Künste. Grenzsetzungen in der künstlerischen Freiheit 97 Christian Fuhrmeister

Die Große Deutsche Kunstausstellung 1937–1944 107 Otto Karl Werckmeister

Politische Führung und politische Überwachung der deutschen Kunst im Zweiten Weltkrieg

II.  Institutionen – unterschiedliche Vorstellungen von Kunst 127 Stefanie Johnen

Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ Berlin und die „nationale Revolution“ 149 James A. van Dyke

Zur Geschichte der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf zwischen den Weltkriegen

III. Künstlerindividuum zwischen Eigenständigkeit, An- und Einpassung in den „deutschen“ Kunstbetrieb 167 Andreas Hüneke

Karl Hofer und der Nationalsozialismus



177 Magdalena Droste

Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34 203 Eckhart Gillen

Zackig ... schmerzhaft ... ehrlich ... Die Debatte um den Expressionismus als „deutscher“ Stil 1933/34 231 Josephine Gabler

„Das Monumentale [hat] nicht erst von bestimmten Größenmaßen an Geltung“ – Großplastik im Nationalsozialismus

IV.  „Künstlersein“ gegen die Mehrheiten in der NS-Kultur 245 Maria Derenda

Käthe Kollwitz und die Zäsur von 1933. Eine Darstellung anhand ihrer Selbstzeugnisse 261 Bernhard Fulda

„Hinter jedem Busch lauert Verkennung und Neid.“ Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten 287 Anne Sibylle Schwetter

Felix Nussbaum (1904–1944) 305 Gerd Brüne

Zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft. Der Bildhauer Fritz Cremer in der Zeit des Nationalsozialismus 325 Angela Lammert

Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Neulektüre eines Ausstellungsprojektes 351 Christine Fischer-Defoy

Charlotte Salomon und ihr Werk „Leben? Oder Theater?“

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Martin Rennert Präsident der Universität der Künste Berlin

Vorwort

Um schwere Schuld auf sich zu laden, muss man kein Verbrecher sein, zuweilen genügt Faulheit. Denn Verrat beginnt nicht mit der Denunziation und Ausgrenzung, sondern dort, wo man das, was man zu sein glaubt, ermattet und leichtfertig feilbietet – sich selbst und die Grundlagen dessen, was man mit Inbrunst als des eigenen Wesens Kern zu verstehen vorgibt. In den Künsten ist nicht mehr oder weniger Moral, Bildung oder Intelligenz zu Hause als an anderer Stelle. Aber dort, wo man sich dem Erkennen des Wesentlichen verpflichtet fühlt, der Fokussierung auf die entscheidenden Elemente einer wie auch immer gearteten Äußerung, ist Intelligenz nicht das einzig entscheidende Maß. Vielmehr ist dies das Bestehen auf Autonomie, das instinktiv Verdachtsvolle gegenüber peremptorischem Postulat, das Erkennen der Ebenbürtigkeit scheinbar unvergleichbarer Sachverhalte oder Gestalten. Jemand, der gleiches Recht in Frage stellt, ist per se einer, der selbst in Frage zu stellen ist. Antworten nicht zu finden ist nicht ungewöhnlich, doch sie nicht zu suchen und Fragen nicht zu stellen ist der schlimmste Sündenfall. Aus Goethes Gedicht „Der Fischer“ stammt der bekannte Halbsatz „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“. Dass im Nationalsozialismus das, was den Menschen immer zieht – der Wunsch, problemlos weiterzuexistieren, die Freude an der Denkvermeidung, die Lust an der Anerkennung, der Umstand, dass allein schon Ambivalenz Anstrengung bedeuten könnte – wie ein süßes Gift bei jenen stark am Werke war, die nicht bedroht waren, auf der Sonnenseite des Totalitarismus, in der Gunst der Monster standen, ist ein Gemeinplatz. Ein schleichendes, verführerisches Gift – wozu auch (als Langzeitfolge) die später mit Unschuldsmiene vorgetragene Einlassung gehört, es habe selbst unter den Millionen Ermordeten viele gegeben, die auch nach 1933 gezögert hätten, die bittere, aber vielleicht rettende Konsequenz einer Flucht auf sich und ihre Familien zu nehmen. Gleichsam zur Erklärung: wir alle, gemeinsam, verführt, irregeleitet, betrogen (nur manche leider nicht ganz so gemeinsam, nämlich geschändet, gefoltert, vergast)? Für alle jene, die sich auf der Sonnenseite wähnen, ist es nie einfach, den genauen Zeitpunkt zu benennen, zu welchem aus Denkfaulheit, Trägheit und Zögern Komplizenschaft wird. Doch in der Kunst selbst lässt sich der Moment sehr genau

Martin Rennert

bestimmen: sofort. Denn so, wie in der Mathematik kein noch so akribisch erreichtes Ergebnis Bestand haben kann, das auf einer korrumpierten Formel beruht, ist es auch in den Künsten: Wo beflissen komponiert, anbiedernd getanzt oder gefällig der Pinsel geschwungen wird, können bestenfalls Artefakte, niemals Kunstwerke entstehen, weil am ersten und eigentlich einzigen Gesetz der Kunst – nicht der notwendigerweise erfolgreichen, aber unermüdlichen Suche nach dem Substrat und der Erkenntnis – Verrat begangen wird. Und die Zusammenschlüsse der Künstler, Musiker, Schauspieler, Tänzer, die Hochschulen, Akademien, Theater und Orchester? Das sind die wahren Bankrotteure jener Zeiten, die Kunst-Töter, die dauerhaft Beschämten. Studentinnen davonzujagen, Kollegen zu „verabschieden“, sich sodann in kumpanenhafter Geschlossenheit die Hände zu waschen, um anschließend mit diesen fünfkralligen Extremitäten Inhalte und Programme in menschenverachtungsgerechte Häppchen zu schneiden und abends vom Wahren und Schönen zu faseln – welch ein apokalyptischer Offenbarungseid. Möge der tiefe Fall der Hochschulen, aus denen die Universität der Künste Berlin entstand, eine Warnung und ein Lehrstück bleiben. So lange diese Institution existiert, wird sie versuchen müssen, die damals von vielen Personen angehäufte, langsam und erst viele Jahre später auch angenommene Schuld abzutragen und Verantwortung zu übernehmen: indem die Menschen in ihr versuchen, sie zu verstehen und zu benennen.

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Wolfgang Ruppert

Einleitung

1. In den Jahrzehnten nach 1945 wurde lange die Vorstellung eines totalen Zwangs vermittelt, dem die Menschen im nationalsozialistisch beherrschten Deutschland ausgesetzt gewesen seien. Diese Erzählung steht mit der Tatsache im Widerspruch, dass ein erheblicher Teil „der Deutschen“ aus eigener Überzeugung für die autoritäre Diktatur des Nationalsozialismus unter dem Führer Adolf Hitler arbeitete, diese begrüßte oder unterstützte. Welche Rolle nahmen dabei die Künstlerinnen und Künstler ein? Dieses Buch thematisiert deren Handlungsspielräume auf zwei Ebenen. Wir fragen einerseits danach, wer über welche Entfaltungschancen verfügte, und andererseits, wie sich die Kunstpolitik der nationalsozialistischen Akteure auf die Arbeit der Künstler, die Institutionen des Kunstbetriebes und die Künstlerausbildung auswirkte. Wie veränderten sich die künstlerischen Leitbilder nach dem Machtwechsel 1933? In welchem Maße wurden sie innerhalb der vorhandenen Spielräume fortgeführt? Wie reagierten die einzelnen Künstler auf den Sieg der nationalen Rechten und die Begeisterung eines erheblichen Teils der Bevölkerung für die „nationale Revolution“? Wir beschäftigen uns mit der allgemeinen Kunstentwicklung in Deutschland und untersuchen diese in ihrer Auswirkung auf eine zentrale Institution in der Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reiches zur Förderung junger Künstler, die Berliner Kunsthochschule, mit Sitz in der Hardenbergstraße 33 in Berlin-Charlottenburg.1 Deren Auftrag – „Erudiendae Artibus Iuventuti“ („Der Erziehung der Jugend in den Künsten gewidmet“), wie in großen Lettern bis in die Gegenwart über dem Hauptportal zu lesen ist – garantierte Kontinuität, wenn auch im Zeitverlauf mit wechselnden Auffassungen von Kunst und unter verschiedenen Namen. Die Berliner Kunsthochschule trug zwischen 1924 und 1939 den Namen „Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“. Die Künstler dieser Zeitgenossenschaft verfolgten in der Regel eigene Vorstellungen von ihrer schöpferischen Arbeit und Ziele, die in unterschiedlichem Maße mit den Leitbildern des Nationalsozialismus verbunden waren, damit vereinbart werden konnten oder dazu in Opposition standen. Mit den Fallstudien zu einzelnen

Wolfgang Ruppert

Künstlern erhalten wir eine facettenreiche empirische Basis, die die Besonderheiten der individuellen Reaktionen auf die politischen und kulturellen Veränderungen erkennbar macht. Über die biografische Herangehensweise lassen sich präzise Fakten zu den Künstlern, aber auch zu den Bedingungen der künstlerischen Arbeit in den sozialen Räumen des Nationalsozialismus erschließen. In der Frage nach den Handlungsspielräumen der Künstler verschränken sich somit erhellende empirische Details mit der Erforschung der strukturierenden Grenzen und institutionellen Zusammenhänge. Wie wurden die Spielräume von den Einzelnen jeweils genutzt? Welche Karrieren wurden begonnen, welche zeitweise und welche ganz beendet? Die individuellen Entscheidungen, bewusste wie unbewusste, aber auch die Verstrickungen der Künstler, können nur im Vergleich eingeordnet werden. Dabei wird offenbar, dass das gegenwärtig gängige Begriffspaar der Polarität von „Täter“ und „Opfer“ häufig nicht zur Erkenntnis der komplexen Vorgänge hinreicht. Vielmehr haben wir es nach 1933 bei zahlreichen Künstlern mit Ambivalenzen zu den unterschiedlichen Aspekten der „deutschen Kunst“ und der „nationalen“ Kultur zu tun. Die Mehrschichtigkeiten in den Einstellungen changierten häufig in Grautönen, zwischen dem Beharren auf künstlerischer Eigenständigkeit und der Anpassung an den „deutschen“ Kunstbetrieb, nicht nur aus Gründen der Existenzsicherung. Damit ist auch die Frage aufgeworfen, wie die Künstlerindividuen die jeweilige Erfahrung dieser Zeitgenossenschaft in ihrer Psyche verarbeiteten. Die Quellenüberlieferung ist jedoch nur im Einzelfall so dicht, dass dies mit der gebotenen Sorgfalt nachvollzogen werden kann, wie am Beispiel von Käthe Kollwitz zu sehen ist.

2. Die „Vereinigten Staatsschulen“ spiegelten die pluralistische Kunstszene der Weimarer Republik bis zum „Preußenschlag“ der rechtsnationalen Reichsregierung von Papen im Juli 1932 wider. Die Breite der Kunstauffassungen ist keineswegs selbstverständlich, sondern Ausdruck der demokratischen kulturpolitischen Konfiguration in Preußen. In ihr wurden in der Kunst- und Berufungspolitik Öffnungen zur zeitgenössischen Moderne möglich. Da die institutionellen Entwicklungslinien der Berliner Kunsthochschule wenig bekannt sind, skizziere ich diese ich einem kleinen Exkurs: Aus der 1696 am Berliner Hof zur Pflege des künstlerischen Niveaus geschaffenen „Akademie der Künste“ wurde 1875 eine eigene Institution zur Lehre der im 19. Jahrhundert so genannten „hohen Kunst“ ausgegründet, die aber Teil des institutionellen Verbundes „der Akademie“ blieb. Die Aufgabe dieser „Königlichen Akademischen Hochschule der bildenden Künste“ war es, in einem fünf- bis sechsjährigen Studium Künstlerindividuen mit der Fähigkeit zu selbstständiger ästhetischer

Einleitung

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1 Die Errichtung des Hochschulcampus in Charlottenburg, der wachsenden Großstadt des Westens, gab der Berliner Kunsthochschule an der Hardenbergstraße einen repräsentativen Ort, der ihrer Bedeutung in der Hauptstadt des Deutschen Reiches entsprach. Bis 1945 teilte sie sich hier Räume für die Meisterateliers und die Bibliothek mit der Akademie der Künste. Die ums Eck angesiedelte Musikhochschule, deren Konzertsaal an der Fasanenstraße bis zur Hardenbergstraße reichte, sowie die Technische Hochschule, hinten im Bild, arrondierten dieses Terrain als Ausbildungszentrum für die schöpferischen und erfinderischingenieurwissenschaftlichen Berufe.

Arbeit hervorzubringen. Für sie wurde unter dem Direktor Anton von Werner zwischen 1898 und 1902 ein Neubau als großzügiger Kunstcampus im Stil des ausgehenden Historismus errichtet, zu dem auch ein Gebäude für die Musikhochschule in der ums Eck gelegenen Fasanenstraße gehörte.2 In unmittelbarer Nachbarschaft lagen die Gebäude der Technischen Hochschule Charlottenburg. Seit den 1860er Jahren hatte sich dagegen für die Ästhetik des Alltags in den Kunstgewerbeschulen eine nur dreijährige, rein schulische Ausbildung entwickelt, die eine lediglich eingeschränkte Entfaltung der ästhetischen Qualifikationen zuließ. In Berlin war dies die „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ von 1867. In ihr wurden primär, aber keineswegs ausschließlich, zweck- und gewerbebezogene Qualifikationen für kunstgewerbliche Zeichner gelehrt. Doch bereits seit der modernen Bewegung um 1900 entstand eine Diskussion um die Notwendigkeit

Wolfgang Ruppert

einer Reform der Künstlerausbildung, die nach der Revolution vom November 1918 in Demokratisierungserwartungen mündete, um für die verschiedenen künstlerischen Berufe gleiche Entfaltungschancen anzustreben. Einer der Wortführer für die Reform im Berliner „Arbeitsrat für Kunst“ war Walter Gropius. Er konnte seine im „Bauhausmanifest“ formulierten Vorstellungen schließlich nicht in Berlin, sondern seit April 1919 in Weimar realisieren. In Berlin dauerte es bis 1924, bis auf Druck des Kultusministeriums ein Reformmodell gegründet werden konnte, das die bisherige „Hochschule der bildenden Künste“ und die „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ integrierte. Diese neuartige Institution wurde „Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ genannt. In ihr bestanden drei Abteilungen mit eigenständigen Berufsbildern nebeneinander: für freie Kunst, Architektur und angewandte Kunst. Quer zu den drei Studienrichtungen liegende Lehrangebote konnten als „Ergänzungsfächer“ von allen Studierenden besucht werden. Direktor wurde der bisherige Direktor der „Unterrichtsanstalt“, der Architekt und Gestalter Bruno Paul, der das künstlerische und organisatorische Programm der „Vereinigten Staatsschulen“ im Sinne der zeitgenössischen Moderne, aber auch zur industriellen Gegenwart öffnete. Neben den „Vereinigten Staatsschulen“ befanden sich im Gebäude Hardenbergstrasse zugleich auch die Meisterateliers der Akademie der Künste, die von einzelnen Mitgliedern geführt wurden. In diese konnten besonders begabte Absolventen des Kunststudiums in ein weiterqualifizierendes Studium aufgenommen werden. Die „Vereinigten Staatsschulen“ blieben somit die Schwesterinstitution der Akademie der Künste mit offenen Übergängen, wie es sich auf den Fluren der Hardenbergstraße in den nebeneinanderliegenden Ateliers beider Institutionen symbolisierte. Der alte Sitz der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ in der Prinz-Albrecht-Straße 8 konnte nach 1924 weiterhin für Künstlerateliers genutzt werden, bis dieses Gebäude seit 1933 zum Sitz der Geheimen Staatspolizei und 1939 des Reichssicherheitshauptamtes ausgebaut wurde.3 Als Ersatz entstand die Ateliergemeinschaft Klosterstraße, in der sich zahlreiche Absolventen der „Vereinigten Staatsschulen“ sammelten. Im Gebäude Hardenbergstraße 33 existierte in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren ein kreativer und vor allem pluralistischer Ort, an dem die unterschiedlichen künstlerischen Auffassungen und Auseinandersetzungen um Zeitgenossenschaft in Deutschland repräsentiert waren. So entstand ein kreatives Spannungsfeld, zwischen künstlerischer Moderne und dem weiter präsenten Akademismus des 19. Jahrhunderts, zwischen Figürlichkeit und Abstraktion, um die Bezugnahme der Gestaltungsarbeit auf den Bedarf der industriellen Gesellschaft, um die Orientierung an internationaler Modernität, aber schließlich auch um die Utopie einer neuen nationalistisch verstandenen „deutschen Kunst“. Die „Vereinigten Staatsschulen für

Einleitung

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2 Eine schematische Übersicht über die Reformkonzeption der Berliner Kunsthochschule unter Bruno Paul, der als Direktor zwischen 1924 und 1932 die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ für die zeitgenössische Moderne öffnete.

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freie und angewandte Kunst“ hatten als staatliche Institution der Künstlerausbildung in der Hauptstadt des Deutschen Reiches Gewicht, ebenso wie die „Akademie der bildenden Künste“ Düsseldorf, die zweite bedeutende Kunsthochschule in Preußen. Erst im Zuge der nationalsozialistischen Kunstpolitik des Rückbaus der VS als Reformkonzept der Weimarer Republik erhielt die Berliner Kunsthochschule 1939 den Namen „Staatliche Hochschule für Bildende Künste“. Die Besonderheit der Berliner Entwicklung zeigt sich im Vergleich mit der „Akademie der bildenden Künste“ in München, die 1808 gegründet worden war. Dort gelang es dem Kollegium, die „hohe“ Kunst des 19. Jahrhunderts im Stil des Akademismus sehr viel stärker über die ungeliebte Weimarer Republik hinweg fortzuschreiben und ähnliche demokratische Reformziele für ein verändertes Bild des modernen Künstlers, wie in Weimar oder Berlin, abzuwehren.4

3. Unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 überlagerten die Machtverschiebungen zugunsten der radikalnationalistischen Leitbilder in der politischen Kultur auch die Kunstentwicklung in Deutschland. Sofort wurde das preußische Kultusministerium von kulturpolitisch aktiven Nationalsozialisten übernommen, Hans Hinkel als Staatskommissar für Preußen eingesetzt und wenig später Bernhard Rust zum Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ernannt. Diese beriefen, nunmehr mit staatlicher Legitimität, wiederum ihnen bekannte nationalsozialistische Kämpfer für die Leitungspositionen der Ministerialabteilungen und der Institute des Kunstbetriebes. Im Zuge dieser Machtübernahmen auch in der Kultur wurde Max Kutschmann kommissarischer Direktor der „Vereinigten Staatsschulen“. Er war mit der Institution vertraut, an der er seit 1912 kontinuierlich gelehrt hatte. Bereits im April 1933, nur acht Wochen nach der Einsetzung der „nationalen Regierung“ unter dem Reichskanzler Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten Hindenburg, konnten die ersten Entfernungen der Professoren aus dem Lehrbetrieb beginnen, die mit dem Feindbild „Kunstbolschewismus“ in Beziehung gebracht wurden. (Abb. 3) Mit diesen Kollegen hatte Kutschmann überwiegend langjährig zusammengearbeitet. Die Frage ist damit aufgeworfen, in welche Entwicklungen in der politischen Kultur dieser aggressive „Säuberungswille“ eingebettet war und welche Auseinandersetzungen nach 1933 für die angestrebte „deutsche Kunst“ weiter geführt wurden.

Einleitung

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3 Die Liste der Lehrenden der „Vereinigten Staatsschulen“ aus den Verwaltungsakten. Sie dokumentiert sowohl die Kontinuität als auch den Personalaustausch in dieser Institution im Jahr 1933. Entfernt aus dem Lehrbetrieb wurden Gegner des Nationalsozialismus wie Karl Hofer (linke Spalte gestrichen) und Modernisten wie Oskar Schlemmer. Neuberufen wurde Otto von Kursell als bewährter Nationalsozialist und weitere „national zuverlässige“ Künstler.

Wolfgang Ruppert

4. Zwei Perspektiven ergänzen einander in meinem Denkansatz: eine des Nahblicks auf die Institution, die in ihrer Überschaubarkeit Zusammenhänge offenbart, und eine, die sich auf die allgemeinen Entwicklungen in der Kunst in Deutschland richtet.

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Beide gehen in mein methodisches Konzept für dieses Buch ein. In meinem einführenden Text thematisiere ich daher das Bezugsfeld zwischen Künstlerindividuen, Kunstpolitik und der Berliner Kunsthochschule. Darin wird ein Spektrum von unterschiedlichen Teilhaben am Kunstbetrieb, von Karrieren, von Ausgrenzungen, aber auch von politischem Widerstand sichtbar. Mit dieser Herangehensweise möchte ich heraus arbeiten, welche Handlungsspielräume für die Individuen gegeben waren, in denen sie teils eigene Entscheidungen trafen oder sich teils mental als „Mitläufer“ anpassten. Die einzelnen Akteure waren in unterschiedlichen Graden in die durchaus nicht einheitlichen geistigen, politischen und strukturellen Entwicklungen der Zeit eingebunden. So erhalten die Themen dieses Buches einen Ort in den aufeinander verweisenden Zusammenhängen. Zugleich werden Phasen der Kunstpolitik deutlich. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit zentralen Grenzsetzungen und institutionellen Orten der nationalsozialistischen Kunstpolitik, die zwischen den so genannten „arteigenen“ und „entarteten“ Formen der künstlerischen Arbeit zu unterscheiden versuchte. Die im Spätsommer 1933 eingerichtete Reichskammer der bildenden Künste sollte eine berufsständische Kontrollfunktion bei den Grenzsetzungen für die Künstler erfüllen, wie Nina Kubowitsch zeigt. Christian Fuhrmeister präzisiert das Bild der seit 1937 in neuer Folge veranstalteten Großen Deutschen Kunstausstellung (GDK) im gerade fertiggestellten Haus der Deutschen Kunst in München. Otto Karl Werckmeister legt seine These von der politischen Überwachung durch Kontrolle der Kunst während des Zweiten Weltkrieges dar. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Einschreibung der nationalen „Weltanschauung“ in die Künstlerausbildung. Auch hier ist die Entwicklung der Kunsthochschulen widersprüchlich. Sie hing zu einem nicht unerheblichen Teil von den politischen Einstellungen und Auffassungen von Kunst der jeweils leitenden Personen ab, die als Nationalsozialisten innerhalb der Entscheidungseliten anerkannt waren. Stefanie Johnen zeichnet die Vorgänge zur Überformung der Künstlerausbildung in Berlin nach. James van Dyke thematisiert die Programmpapiere der Direktion der Düsseldorfer Kunstakademie. Dies ist gerade deshalb interessant, weil diese Kunsthochschulen von den gleichen nationalsozialistischen Referenten des preußischen Kultusministeriums administriert wurden. Das dritte Kapitel fragt danach, wie sich Künstlerindividuen zwischen Eigenständigkeit, An- und Einpassung in den „deutschen Kunstbetrieb“ bewegten. Die

Einleitung

aus dem Lehrbetrieb der VS entlassenen Künstler wie der Maler Karl Hofer oder der ehemalige Bauhäusler Oskar Schlemmer standen gleichermaßen vor dem Problem, sich beruflich in der zunehmend nationalsozialistisch beherrschten Gesellschaft weiter behaupten zu müssen. Andreas Hüneke geht dem Bemühen Karl Hofers nach, im Kunstbetrieb präsent zu bleiben und seine persönlichen Lebensverhältnisse zu ordnen. Bei Modernisten wie Oskar Schlemmer bestand zunächst, auch aufgrund der eigenen kulturell-politischen Einstellung, durchaus die Hoffnung, ihre Stigmatisierung als „undeutsch“ revidieren zu können. Hier befanden sich Hofer wie Schlemmer in einem Feld von Ambivalenzen und Ambitionen, die nicht nur ihre eigene Reaktion auf die politische Entwicklung, sondern auch die einer großen Zahl der deutschen Künstler leiteten. Der Versuch von jungen Nationalsozialisten wie Otto Andreas Schreiber, die für den nationalen Expressionismus Emil Noldes oder Ernst Barlachs als politisch aufgeladene „nordische Kunst“ eintraten, die Bedeutungszuschreibungen des „Entarteten“ im öffentlichen Raum zu ändern, konnte einige Jahre auch öffentlich durchgehalten werden. Eckhart Gillen stellt die Herkunft dieser Synthese aus expressivem Ausdruckswillen und Nationalismus aus dem Ersten Weltkrieg dar. Dagegen setzte sich in der Großkunst der Staatskünstler Arno Breker und Joseph Thorak „das Monumentale“ durch, wie Josephine Gabler zeigt. Das vierte Kapitel versammelt höchst unterschiedliche Formen des „Künstlerseins“ gegen den Mainstream im Nationalsozialismus. Anne Sibylle Schwetter zeichnet die Entwicklung des an den „Vereinigten Staatsschulen“ gereiften jüdischen Studenten Felix Nussbaum nach, der nach 1933 unter den Bedingungen der „rassepolitischen“ Ausgrenzung seine künstlerische Existenz im Ausland fortführte. Die bereits betagte Graphikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz fand für ihr Atelier einen neuen Ort in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Maria Derenda geht der Frage nach, wie eine so herausragende Künstlerin der Weimarer Republik, deren Hoffnungen mit der politischen Linken verbunden waren, die eigene Situation in autobiografischen Texten verarbeitete, insbesondere seit dem Hinausdrängen aus der „Akademie der Künste“ und dem Verlust des damit verbundenen Meisterateliers. Andererseits berührte ihre künstlerische Arbeit den Mutterkult und die Darstellung des Schmerzes, gerade um die Gefallenen des Ersten Weltkrieges wie ihren Sohn Peter, die zugleich wichtige Themen der nationalsozialistischen Weltanschauung waren. Kollwitz gab dieser tiefen Empfindung der Trauer in den dreißiger Jahren eine auf ihre zeitgenössische Gegenwart bezogene bildnerische Form. Gerd Brüne beschäftigt sich mit der Selbstfindung des Bildhauers Fritz Cremer, der in der einflussreichen Schule von Wilhelm Gerstel professionalisiert wurde und nach 1945 immer wieder auf seine früheren Mitstudenten und Freunde Bezug nahm. Angela Lammert entwickelt ein Bild der Arbeitsmöglichkeiten im neu entstandenen Atelierhaus Klosterstraße. Zahlreiche Künstler, die dort arbeiteten, wie der

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Bildhauer Hermann Blumenthal, hatten an den „Vereinigten Staatsschulen“ studiert. Christine Fischer-Defoy stellt Leben und Werk der jüdischen Studentin Charlotte Salomon vor, die noch zwischen 1936 und 1938 an den „Vereinigten Staatsschulen“ studieren konnte.

5. Bei all unseren Arbeiten knüpfen wir an eine erste Phase der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den Künsten und der Berliner Künstlerausbildung an. So fand 1983 eine Vorlesungsreihe von Mitgliedern der damaligen „Hochschule der Künste“ statt.5 Hieraus ging eine Dokumentation mit unterschiedlichen Perspektiven hervor.6 Daran schloss sich das von Christine Fischer-Defoy bearbeitete Forschungsprojekt an, dessen Ergebnisse in ihrem Buch „Kunst Macht Politik“ 1988 veröffentlicht wurden.7 Es gab damals noch die Möglichkeit, mit Zeitzeugen zu sprechen und deren Erinnerung in Gesprächsprotokollen festzuhalten. Diese Chance hat Frau Fischer-Defoy wahrgenommen und das gewonnene Wissen dokumentiert. Seither hat sich der Zugang zu den Vorgängen der Zeit zwischen 1933 und 1945 mit dem biologischen Generationenwechsel zu den schriftlichen Quellen und Archivniederschlägen hin verschoben. Ich möchte mit einem Hinweis zu meinem langfristigen Forschungsprojekt und meinem Denkansatz anschließen, der auch in diesem Buch fortgeführt wird. Meine These ist auf die Figur „des modernen Künstlers“ selbst und dessen Transformationen gerichtet: Künstler können sich als schöpferisches Individuum nur in einem Wechselspiel von künstlerischer Selbstfindung und der Teilhabe am sozialen Raum der Kunsthochschulen, aber auch in den Institutionen der künstlerischen Öffentlichkeit und des Kunstbetriebes entfalten. Dies generierte eine Kontinuität, die über das 19. und 20. Jahrhundert hinweg reicht. Diese These habe ich in meinem 1998 erschienenen Buch „Der moderne Künstler“ ausgearbeitet.8 Darin thematisierte ich bereits in einem Kapitel die Entwicklung der Künstlerausbildung am Beispiel der „Akademie der bildenden Künste“ München. Dieser Denkansatz, der nach den Auffassungen des Künstlers als kulturellem Akteur fragt, zog weitere Schritte nach sich. 2006 fand eine Tagung zur Vorbereitung des 200-jährigen Jubiläums der Münchner Kunstakademie statt, die sich mit der Struktur der Kunsthochschulen im Kontext der politischen Kulturen und Systeme zwischen 1918 und 1968 beschäftigte. Das Ergebnis ist im Sammelband „Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität“ veröffentlicht.9 In den letzten 15 Jahren habe ich diesen Forschungsansatz, der die Bezüge zwischen Künstlergeschichte, den Institutionen der Kunst und der empirischen Kulturgeschichte aufnimmt, in meiner wissenschaftlichen Arbeit, nicht nur in zahlreichen Vorträgen, sondern auch in Lehrveranstaltungen an der Universität der Künste

Einleitung

vorangetrieben.10 Eine Voraussetzung hierfür ist es, sich in empirischen Arbeiten auf die inneren Zusammenhänge von Kulturgeschichte, Politikgeschichte und Kunstgeschichte einzulassen. In den Schnittmengen dieser Wissensfelder liegt das Potential zur Erklärung von Kontinuität, Veränderungen, aber auch Unterschieden in der Gleichzeitigkeit. Die strukturierenden Bedingungen der künstlerischen Arbeit „des modernen Künstlers“ wurden im 19. und 20. Jahrhundert fortgeschrieben und variiert. Dies ist meine These. Auch während des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 galten diese strukturierenden Formen und Vorstellungen vom Künstler. Für sie wurden lediglich Grenzen gesetzt, die freie Kreativität als „entartet“ tabuisiert, die „rassepolitische“ Exklusion von „nichtarischen“ Menschen in das Verständnis „der Deutschen“ eingezogen und eine neue Beziehung zwischen Volksgemeinschaft und Künstler propagiert. Auf dieser Basis entstand die Vision einer neuen „deutschen Kunst“. Es kam mir darauf an, diese besondere Situation zwischen 1933 und 1945 empirisch vertieft zu erkunden. In dieser Perspektive konzipierte ich die Tagung „Künstler im Nationalsozialismus“, die vom 1.–3. November 2013 stattfand. Sie konnte organisatorisch mit meiner Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien realisiert werden, in Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte München.11 Diese Tagung war der erste Schritt zur Erarbeitung der Aufsätze dieses Buches. Es versammelt Beiträge von Forschern, die die Ereignisse und Entwicklungen in der Zeitgenossenschaft der dreißiger und frühen vierziger Jahre aus einander ergänzenden Perspektiven darstellen. In den Texten werden Ereignisse und Personen der damaligen Zeitgenossenschaft in variierenden Fragestellungen und unterschiedlichen Sichtweisen thematisiert. Somit werden biografische, politische wie strukturelle Entwicklungen nachvollzogen, um das Zusammenspiel der Ebenen erkennbar zu machen, in denen Handlungsspielräume der Individuen gelagert sind. Die jeweiligen Erkenntnisse fügen sich zu Einsichten in Zusammenhänge. Auf Glättungen der Sichtweisen der Autoren, die aus unterschiedlichen Motivationen und Erfahrungen heraus arbeiten, hat der Herausgeber verzichtet. Umso deutlicher wird die Unabgeschlossenheit des Forschungsprozesses und unseres Erkenntnisstandes zum Nationalsozialismus repräsentiert, insbesondere zu den Gründen für dessen politische Stabilität. In welcher Weise trugen die Künstler dazu bei?

Danksagung Ich danke den Kollegen Wolf Tegethoff, dem Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, aber auch Christian Fuhrmeister für die Bereitschaft zur Fortsetzung unserer Zusammenarbeit. Und ich danke vor allem dem Präsi-

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denten der Universität der Künste, Martin Rennert, für die Ermöglichung der Tagung sowie dem Kanzler, Wolfgang Abramowski, für die kontinuierliche Unterstützung unseres Forschungsansatzes.

Anmerkungen   1 Das Gebäude blieb bis zur Gegenwart der Hauptsitz, seit 2001 als Universität der Künste Berlin.   2 Michael Bollé (Hg.): Der Campus. Ein Architekturführer, Berlin 1994, S. 11 ff   3 Hier hatten u. a. auch Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich ihre Büros.   4 In München wurden diese maßgeblich durch den Maler und Gestalter Richard Riemerschmid formuliert. Vgl. Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998, S. 500–510.   5 Die „Hochschule der Künste“ wurde 1975 im damaligen Berlin (West) gegründet, um in einer Institution alle Studiengänge zusammenzuholen, die ästhetische Arbeitsprozesse lehren, aber auch, um künstlerisches mit wissenschaftlichem Wissen in einer fruchtbaren Beziehung wieder zu vereinigen.   6 Hochschule der Künste Berlin (Hg): Kunst Hochschule Faschismus. Dokumentation der Vorlesungsreihe an der Hochschule der Künste Berlin im 50. Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, Red. Wolfgang Abramowski u. a., Berlin 1984.  7 Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin (West) 1988.   8 Methodische Begründung Ruppert 1998 (wie Anm. 3), S. 11–65.   9 Wolfgang Ruppert/Christian Fuhrmeister (Hg.): Zwischen internationaler Modernität und „deutscher Kunst“. Künstlerausbildung zwischen 1918 und 1968, Weimar 2007. 10 Daher vergab ich 2008 eine Dissertation zu den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ 1932–1937 an Stephanie Johnen. 11 Sie war zugleich in die Veranstaltungsreihe „Zerstörte Vielfalt des Berliner Senates“ einbezogen, die aus Anlass der 80. Wiederkehr der Machtübertragung an die Regierung Hitler und des 75. Jahrestags des 9. Novembers 1938, der Reichspogromnacht, stattfand.

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Wolfgang Ruppert

Künstler im Nationalsozialismus. Künstlerindividuum, Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule

Künstler bewegen sich meist in einem Spannungsfeld zwischen ihrer Kreativität und den Zwängen des Berufs. Durch welche neuen Grenzen wurden die Handlungsspielräume der schöpferischen Individuen im Verlauf der 1930er und 1940er Jahre mit den politischen Machtverschiebungen verändert? Die Tatsache, dass Künstlerinnen und Künstler, die an der Berliner Kunsthochschule lehrten oder studierten, lebensgeschichtlich wie künstlerisch höchst unterschiedliche Entwicklungen nahmen, bildet den Hintergrund für diese Fragen. Welche Bedeutung hatte die politische Kultur in dieser durch die nationalsozialistische Diktatur geprägten Zeitgenossenschaft für die Handlungsspielräume der Künstler? Die Veränderungen im öffentlichen Kunstbetrieb, in der Kunstpolitik und innerhalb der Kunsthochschulen standen in einem Wechselbezug. Sie gingen auf kulturund kunstpolitische Ziele des Nationalsozialismus zurück. Gleichzeitig gab es jedoch in Teilen der Institutionen des Kunstbetriebes und der Kunsthochschulen auch Kontinuität, die durch eine große Mehrheit der Künstler garantiert wurde. Mein Erkenntnisinteresse richtet sich auf diese Zusammenhänge und inneren Widersprüche. Die Berliner Kunsthochschule, zwischen 1924 und 1939 als „Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ organisiert, erscheint damit als ein Ort, an dem sich allgemeine künstlerische wie auch „weltanschauliche“ Entwicklungen in Deutschland vollzogen.1 Da in ihr Personen mit je eigenen Präferenzen handelten, nahm dies in den „Vereinigten Staatsschulen“ eine spezifische Form an, wie im Vergleich beispielsweise mit der Münchner „Akademie der bildenden Künste“ deutlich wird. Um die Handlungsspielräume der kreativen Individuen im Wandel der kulturpolitischen Rahmenbedingungen sichtbar zu machen, nehme ich in den beiden Teilen meines Aufsatzes einander ergänzende Perspektiven ein. Im ersten Teil gehe ich von den biografischen Verläufen aus, in denen die Beziehung zwischen dem jeweiligen Entfaltungsinteresse der Künstlerindividuen und deren Haltungen zur politischen Kultur anschaulich wird. Die Zugehörigkeiten zu künstlerischen Richtungen und politischen Lagern gewannen nach 1933 als Kriterien rasch an Gewicht, um sich in den sozialen Räumen des Kulturbetriebes bewegen zu können oder ausgegrenzt zu werden. Zwischen 1933 und 1935 wurde die Unterscheidung von „arisch“ und „nicht arisch“ aufgrund von rassebiologischen

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1 Felix Nussbaum, Der tolle Platz, 1931

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Zuschreibungen sogar als allein entscheidendes Kriterium der „Gemeinschaftszugehörigkeit“ zum „deutschen Volk“ oder der Aussonderung durchgesetzt. Im zweiten Teil werden die Verschiebungen der Leitmuster in der öffentlichen Kunst in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft nachvollzogen. Auf diesen beruhten die Bedeutungen, die den künstlerischen Ausdruckssprachen zugeschrieben wurden, aber auch die auf Abstammung bezogenen Grenzen, aus denen ein partieller Personalaustausch folgte. Ich skizziere drei Phasen, in denen sich das Spannungsfeld und damit die Handlungsspielräume für die Individuen veränderten, in deren Rahmen Künstler sich bewegen mussten. In diesen Auseinandersetzungen wurde innerhalb der nationalsozialistischen Hierarchie darum gerungen, was als „deutsche Kunst“ im nationalsozialistischen Staat Reputation erlangen konnte.

I Gegensätzliche Biografien Wie unterschiedlich sich die Erfahrung darstellen konnte, Künstler im Nationalsozialismus zu sein, ist am Beispiel einiger exemplarischer Lebensgeschichten nachzuvollziehen, die unauflöslich mit den „Vereinigten Staatsschulen“ verbunden sind. Zwei Biografien bilden die extremen Pole von Entwicklungen in dieser Zeitgenossenschaft, die bei Arno Breker zu einer beispiellosen Karriere und bei Felix Nussbaum zu Ausgrenzung und Ermordung führten. Beide Künstler waren auf ihre Weise „begabt“, als Bildhauer der eine, als Maler der andere. Sie äußerten ihr Selbstverständnis jedoch in gegensätzlichen ästhetischen Ausdrucksformen. Felix Nussbaum hatte zwischen dem Wintersemester 1924/25 und dem Sommersemester 1928 bei den Malern César Klein und Paul Plontke an den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ studiert. Danach blieb er bis zum Sommersemester 1930 als Meisterschüler bei Hans Meid.2 Er wird als ein auf sein Inneres konzentrierter, aber selbstbewusster Künstler beschrieben. 1931 profilierte er sich mit dem Gemälde „Der tolle Platz“, in dem er in einer fiktionalen Bildszene die Generationenfrage zwischen der von den Konventionen der wilhelminischen Kultur geprägten älteren Generation von Künstlern, in Gestalt des feierlichen Zuges der Mitglieder der „Akademie der Künste“, und der während der Weimarer Republik ausgebildeten jungen, unkonventionelleren Künstlergeneration aufwarf. Seine Darstellung lässt vermuten, dass er sich zu denjenigen Künstlern zählte, die nun auf Einfluss im Kunstbetrieb drängten.3 Arno Breker studierte von 1920 bis 1925 an der Kunstakademie Düsseldorf und lebte von 1928 bis 1932 in Paris. Nussbaum und Breker erhielten zur gleichen Zeit in der Endphase der Weimarer Republik im Winter 1932/33 ein Stipendium für einen Aufenthalt an der Villa Massimo in Rom. Ihre Ateliers lagen nebeneinander. Ein Ereignis, von dem wir aus Brekers Darstellung wissen, kennzeichnet die völlig unterschiedlichen Situationen beider Künstler, die nach dem Machtantritt der

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neuen Regierung am 30. Januar 1933 schnell auseinanderdrifteten. Es sei in der Villa Massimo zu antisemitischen Anfeindungen gegen die jüdischen Stipendiaten durch ihre national eingestellten Kollegen gekommen.4 Insbesondere Brekers Duzfreund Hans Hubertus von Merveldt habe zum Umschlagen der Stimmung beigetragen und einmal sogar im Verlauf einer Auseinandersetzung Nussbaum geohrfeigt. Daraufhin habe sich dieser noch mehr zurückgezogen. Während Brekers Stipendium vom preußischen Kultusministerium, das in den 2 Felix Nussbaum, Flüchtling, 1939 Leitungspositionen gerade neu mit Nationalsozialisten besetzt worden war, über den 31. März 1933 hinaus um weitere drei Monate verlängert wurde, verweigerte man dies den jüdischen Stipendiaten Felix Nussbaum und Konrad Wachsmann. Als Nussbaum und seine Lebensgefährtin Felka Platek offenkundig nicht in das nun nationalsozialistisch beherrschte Deutschland zurückkehren wollten, wurden sie im Mai aus der Villa Massimo verwiesen, reisten zunächst durch Italien und 1935 nach Belgien. Nussbaum blieb im Ausland, lebte und arbeitete schließlich in Brüssel. Er entwickelte in den 1930er Jahren einen ästhetischen Ausdruck in einer figürlichen Malerei, die die Erfahrungen seiner Existenz selbstreflexiv thematisierte.5 Nussbaum und Platek wurden 1944 deportiert und in Auschwitz ermordet. Breker ging dagegen nach dem Ende seines Stipendiums in das politische Machtzentrum des sich 1933 stabilisierenden Nationalsozialismus zurück, in die Reichshauptstadt Berlin. Er fand Anschluss in der Berliner Gesellschaft, befreundete sich auch mit Berliner Juden, hatte beispielsweise auch mit dem greisen Maler Max Liebermann Kontakt, der von Nationalsozialisten angegriffen wurde. Der bis 1936 noch unbekannte Bildhauer Arno Breker schien jedoch bald den neuen kulturpolitischen Zielsetzungen hervorragend zu entsprechen. Sein „Zehnkämpfer“ (1936) für das Berliner Olympiagelände wurde dort von Hitler entdeckt, zog dessen Aufmerksamkeit an und qualifizierte Breker als Nachwuchskünstler.6 Binnen kurzer Zeit stieg er zu einem der Hoffnungsträger unter den bildenden Künstlern auf, mit denen Hitler seine Vorstellung vom schnellen Aufblühen einer „deutschen Kunst“ im „Dritten Reich“ verknüpfte. Spätestens in dieser Phase pflegte Breker die Kontakte zu seinen jüdischen Bekannten nicht weiter. Zum „Führergeburtstag“ am 20. April 1937 verlieh Hitler ihm zunächst den Titel „Professor“. Brekers Eintritt in die NSDAP erfolgte umgehend zum 1. Mai 1937.7 Ein Jahr später wurde er zum

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1. Mai 1938 zum Hochschullehrer für Bildhauerei an den „Vereinigten Staatsschulen“ berufen, um den Künstlernachwuchs im Sinne einer künftigen nationalsozialistischen Kunst auszubilden. Breker war jedoch in den folgenden Jahren mit öffentlichen und privaten Aufträgen so überlastet, zudem an seine weiteren Großateliers für monumentale Skulptur gebunden, dass sein Schülerkreis in der Hochschule überschaubar blieb. Er war als Vertragslehrer mit einer Lehrverpflichtung von 18 Wochenstunden angestellt und hatte beispielsweise 1941 sechs eingeschriebene Studierende.8 Von diesen entwickelte sich Bernhard Heiliger nach 1945 zu seinem bekanntesten Meisterschüler.9 Breker verdankte seinen steilen Aufstieg zum Starbildhauer und Hofkünstler Hitlers der Fähigkeit, dem Bedarf der nationalsozialistischen Eliten an symbolischen Formen für deren Menschenbild entsprechen zu können. Seinem Arno Breker, Zehnkämpfer, 1936 Aufstieg als Künstler im Nationalsozialismus steht das tragische Schicksal Nussbaums gegenüber, der nach 1933 außerhalb Deutschlands leben musste und später als „Nichtarier“ ermordet wurde. Neben diesen extremen Polen sind die Lebenswege weiterer Künstler zu skizzieren. Max Kutschmann, ein noch vom auslaufenden Historismus geprägter angewandter Künstler, stieg infolge der politischen Entwicklungen zum handlungsmächtigen Akteur in den „Vereinigten Staatsschulen“ auf.10 Zeitlebens gehörte er zu den künstlerisch wenig bedeutenden Professoren der Hochschule. Punktuell unterstützte Kutschmann den Direktor der VS Bruno Paul in Angelegenheiten der Verwaltung, ohne für diesen erkennbar werden zu lassen, dass er seit 1929 insgeheim Mitglied der NSDAP war. Da er die Hochschule sehr gut kannte und sich zugleich als Mitglied des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ weltanschaulich „bewährt“ hatte, schien nun seine Stunde gekommen, um als „nationaler Mann“ höhere Aufgaben zu übernehmen, wie er im Februar 1933 in einem Schreiben mit Vorschlägen zur „Säuberung“ an den gerade ernannten preußischen Staatskommissar Hans

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Hinkel andeutete und sich selbst empfahl, diese in den VS zu realisieren.11 Im Verlauf des Aprils gewann er an Einfluss und wurde am 1. Mai 1933 zum kommissarischen Direktor ernannt. Damit hatte er den Handlungsspielraum, sein überwiegend aus einem deutschnationalen, akademischen Traditionalismus hergeleitetes Kunstverständnis mittelfristig in strukturellen Veränderungen in der Hochschule durchzusetzen. Vor dem Hintergrund seiner konzeptionellen Überlegungen begann eine erste Welle von Säuberungen, die sich gegen seine langjährigen Kollegen richteten und sich in die zeitgleichen Entwicklungen an den unterschiedlichsten Orten in Deutschland einfügten. Als Erster wurde der renommierte Maler und Kunstprofessor Karl Hofer im April 1933 beurlaubt, da er als Nazigegner bekannt war. Hofer hatte sich bereits 1931 mit einem Text an einem Manifest beteiligt, in dem er die Zusammenarbeit der politischen Linken gegen den anwachsenden Faschismus forderte und den Nationalsozialismus als „Gemisch aus irregeleitetem Idealismus, entgleister Bourgeoisie und dunkelster Reaktion“ charakterisiert hatte.12 Zudem erfüllte seine expressive Malerei mit ihrer magischen Figürlichkeit und ihren rätselhaften Themen schwerlich die völkischen Ziele der leichten Verständlichkeit von „deutscher Kunst“. Immer wieder wurden seine Werke von nationalsozialistischen „Säuberern“ unter das Verdikt der „Entartung“ gestellt.13 Ebenso musste der modernistische Maler Oskar Schlemmer aus dem Lehrbetrieb ausscheiden. Er hatte im Weimarer und Dessauer Bauhaus die Bühnenwerkstatt geleitet und eine Verbindung von Körperbewegung, skulpturaler Form und Farbe zu einer ausdrucksstarken abstrahierenden Kunst entwickelt. Als er nach einigen Jahren Lehrtätigkeit an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe im Verlauf des Sommersemesters 1932 an die „Vereinigten Staatsschulen“ übernommen wurde, konnte er unter der Direktion von Bruno Paul darauf hoffen, seine Bühnenarbeit in der Perspektivenklasse fortführen zu können. Nachdem Paul Ende 1932 als Direktor resigniert hatte, erläuterte Schlemmer dem seit 1. Januar amtierenden kommissarischen Direktor Hans Poelzig seine Vorstellung von interdisziplinärer Kooperation bei der Bühnenarbeit, an der gleichermaßen die Werkstätten der VS mit Bühnenbild, Farbgestaltung und Kostüm, die staatliche Schauspielschule sowie die Musiker der benachbarten Musikhochschule beteiligt sein sollten.14 Allerdings war bereits 1931 ein Fresko von ihm im Treppenhaus des Weimarer Bauhausgebäudes übertüncht worden, als die erste Landesregierung von Thüringen, an der nationalsozialistische Minister beteiligt waren, eine „Säuberung“ von Werken der Moderne durchführte, die im Schlossmuseum zu sehen waren, und die Werke Kandinskys, Klees und anderer abhängen ließ. Schlemmer galt in der völkischen Kunstszene und bei den Mitgliedern des „Kampfbundes“ als „Kunstbolschewist“. Er selbst betrachtete sich dennoch als anschlussfähig an die Kultur des nationalsozialistischen Staates.15 Seine Kontaktversuche stießen jedoch nicht auf Gegenliebe, sodass er mit dem

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4 Karl Hofer, Der Rufer, um 1935

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Stigma des „entarteten“ Bauhäuslers ins Abseits des Kunstbetriebes geriet. Auch der Bildhauer Edwin Scharff wurde nach dem Machtwechsel mit Vorwürfen konfrontiert, die sich auf sein Verhalten während der demokratischen Aufbruchsphase nach der Novemberrevolution von 1918 bezogen. Ihm wurde vorgehalten, er habe 1918/19 im Münchner Künstlerrat mitgearbeitet und sei „in der Rätezeit“ mit einer roten Armbinde gesehen worden. Die damaligen Akteure galten in der Wahrnehmung der Nationalsozialisten als so genannte „Novemberverbrecher“. Sie wurden in der ersten Phase der „nationalen Revolution“ des Frühjahrs 1933 vorrangig verfolgt. Scharff hatte seit 1904 an der Münchner Kunstakademie studiert, sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg in München künstlerisch profiliert und sich mit der Formensprache der Moderne mitentwickelt.16 1923 wurde er als Professor im angewandten Bereich an die Berliner Kunsthochschule berufen. Im Verlauf der zwanziger Jahre galt er mit seiner gemäßigten Abstraktion als einer der füh- 5 Edwin Scharff, Stehende, 1926 renden Bildhauer der Moderne der Weimarer Republik. Die Vorhaltungen im Frühjahr 1933 reichten jedoch aus, ihn umgehend zu beurlauben. Scharff trat im Zuge dieser Entwicklung wiederum in die NSDAP ein. Unklar ist, ob und inwieweit dies zum Schutz seiner ungarisch-jüdischen Frau diente, auf Druck seines sozialen oder beruflichen Umfeldes zurückzuführen oder dem sich im März und April 1933 in der breiteren Bevölkerung schnell wandelnden Zeitgeist geschuldet war, der sich zu einer nationalen Begeisterung wendete. Eine ministerielle Entscheidung bewirkte schließlich, dass er seine Lehre bereits zum Wintersemester 1933 als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf fortsetzen konnte. Erst in der Auswirkung der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München, in der einige seiner modernistischen Werke zu sehen waren, wurde er 1938 aus der NSDAP ausgeschlossen, 1939 aus dem Düsseldorfer Lehramt entlassen, konnte aber bis 1940 freiberuflich weiterarbeiten. Sein Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste zählt zu den wenigen Fällen, in den der berufliche Ausschluss gegen renommierte Künstler ausgesprochen wurde.

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Gegenläufig zu diesen Entfernungen aus dem Lehrkörper der VS wurde bereits am 8. April 1933 der „alte Kämpfer“ Otto von Kursell zum Professor für Zeichnen und Malerei neu berufen. Von Kursell hatte noch als russischer Adeliger zwischen 1907 und 1911 an der Münchner Kunstakademie studiert, zuletzt als Meisterschüler bei Franz von Stuck. Er war nach der Russischen Revolution mit dem Sieg des Bolschewismus und der Gründung der Sowjetunion nach München geflüchtet. Dort unterstützte er bald Adolf Hitler in der sich konsolidierenden nationalsozialistischen Bewegung, auch als dessen Porträtist. Als Baltendeutscher arbeitete er früh mit dem langfristig einflussreichen „Chefideologen“ der NS-Bewegung Alfred Rosenberg zusammen, später im „Kampfbund für deutsche Kultur“ als dessen Geschäftsführer für Groß-Berlin sowie als Schriftleiter des zentralen Mittei6 Otto von Kursell, Adolf Hitler, lungsblattes „Deutsche Kulturwacht“.17 Von Kursell verlieh 1923 der Angstfigur des „jüdischen Bolschewisten“ als Zeichner einen visuellen Ausdruck. Seine Berufung an die Berliner Kunsthochschule konnte er jedoch nur eingeschränkt füllen. Denn mit dem Machtwechsel hatte er auch auf der den „Vereinigten Staatsschulen“ vorgesetzten Ebene, als Kunstreferent im preußischen Kultusministerium, Fuß gefasst. Im Wintersemester 1933/34 begann von Kursell mit dem Lehrbetrieb in einer eigenen Klasse der freien Kunst.18 1934 stieg er zum Leiter der Kulturabteilung im Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung auf. Daneben wurde er als Mitglied der NS-Elite nach 1933 in eine ganze Reihe weiterer Funktionen berufen. Von Kursell trat wie Kutschmann in seinem ästhetischen Geschmack für den akademischen Traditionalismus ein. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung blieb das kulturelle Spektrum zunächst mehrschichtig. Ein weiterer Angehöriger des „Kampfbundes“, der Architekt Winfried Wendland, der sich im Evangelischen Kunstdienst sowie im Werkbund einflussreiche Positionen geschaffen hatte, erhielt von Hans Hinkel ebenfalls Gestaltungschancen eingeräumt. Er arbeitete seit dem 1. Mai 1933 in der Verwaltung der „Vereinigten Staatsschulen“ als Kustos dem Direktor zu.19 In dieser Funktion konnte er sich jedoch einen eigenständigen Handlungsspielraum schaffen, da er mit einer weiteren halben Stelle als Referent Hinkels im Ministerium zugleich eine Position bekleidete, die ihm direkten Einfluss auf die Personalpolitik für die Kunsthochschulen in Preußen eröffnete. Seit Juli 1933 setzte er bei Neuberufungen an die „Vereinigten Staatsschulen“ für die künstlerische Lehre des angewandten Bereichs auch Professoren der gemäßigten Moderne durch, wie den in der ersten Entlassungswelle des Frühjahrs 1933 zunächst beurlaubten, abstrahierenden Maler

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César Klein, den Maler Franz Lenk, den Maltechniker Kurt Wehlte und den Bildhauer Alfred Vocke.20 Als Architekt trat Wendland für eine sachlich-moderne Gestaltung von sakralen Objekten als „zeitgemäß“ für christliche Kirchen ein.21 Der Personalaustausch des Jahres 1933 betraf somit einerseits die Entlassung von politischen Gegnern und künstlerisch angeblich „Entarteten“ sowie andererseits die Neuberufung von ausgewiesenen Nationalsozialisten und von einigen im nationalen Sinn „unbedenklichen“, gemäßigt modernen Professoren des angewandten Bereichs. Dagegen gab es bei der großen Mehrzahl der Lehrenden wie auch der Studierenden Kontinuität. Beispielsweise bestand die angesehene Bildhauerschule von Wilhelm Gerstel völlig unbeeinträchtigt fort.22 Ein Student aus den 1920er Jahren, Herrmann Blumenthal, entwickelte sich zu einem bedeutenden Künstler der „Ateliergemeinschaft Klosterstraße“.23 Gustav Seitz, seit 1925 zunächst Student bei Ludwig Gies, dann bei Gerstel, wechselte 1933 in das in unmittelbarer Nähe auf dem Flur gelegene Meisteratelier der Akademie von Hugo Lederer. Ein Student Gerstels der 1930er Jahre, Fritz Cremer, erweckte berechtigte Erwartungen an seine künstlerische Begabung. Cremer hatte der linken Studentengruppe an der Hochschule bis zu deren Verbot im Juli 1933 angehört. Mit politischen Äußerungen hielt er sich zurück.24 Seine Werke konnten in der Wahrnehmung der nationalsozialistischen Künstler in thematischer und ästhetischer Hinsicht auch als Teil des künstlerischen Spektrums der „deutschen Kunst“ im Nationalsozialismus gelten. Cremer erarbeitete sich mit dieser Haltung im Verlauf der 1930er und frühen 1940er Jahre durchaus einen Platz im nationalsozialistisch beherrschten Kunstbetrieb. Die Aufwertung von „nationalen“ Kunstformen führte 1934 zur Berufung von Paul Wynand als Lehrer für Monumentalplastik. Der 1979 geborene Bildhauer repräsentierte mit seinen konventionell-geschlossenen Formen, die Kontinuität der wilhelminischen Kunstauffassungen, an denen ja – über die angebliche „Verfallszeit“ der „Entartung“ durch die „artfremde“ Moderne hinweg – wieder angeknüpft werden sollte. Er gab dem patriotisch-soldatischen Bild des „deutschen Menschen“ im deutschnationalen Mainstream mit seinen Skulpturen für den öffentlichen Raum Ausdruck. 1936 war er mit einem „Falkner“ im Olympiagelände präsent. 1937 trat er in die NSDAP ein. Den expliziten Gegenpol zur Ein- oder Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse durch die Mehrheit der Künstler stellt die Haltung von Kurt Schumacher und Elisabeth Hohenemser dar.25 Schumacher absolvierte seit dem Sommersemester 1928 bei Ludwig Gies ein Studium der Bildhauerei. Für seine Studienarbeiten erhielt Schumacher 1931 die Prämie des Großen Staatspreises der Akademie der Künste zuerkannt. Hohenemser studierte seit dem Wintersemester 1928/1929 bis 1932/33 bei dem Graphiker Ernst Böhm. Sie erhielt im Juni 1932 die Medaille der

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VS verliehen.26 Aus dieser Zeit sind Schülerarbeiten erhalten. Schumacher bezog 1932 zur Fortsetzung seiner Qualifizierung das Meisteratelier seines Professors. Sein Mentor musste jedoch, da er von Nationalsozialisten angegriffen wurde, im Frühjahr 1933 aus der Akademie der Künste ausscheiden und verlor damit sein Meisteratelier, blieb aber Professor an den VS. Fritz Cremer arbeitete in einem Nachbaratelier, sodass sie sich befreundeten. Als Gies fortgesetzt aus dem „nationalen Lager“ attackiert wurde, beendete Schumacher 1935 sein Studium an den VS und arbeitete freiberuflich. Schumacher und Hohenemser heirateten 1934. Sie schlossen sich früh einem Freundes- und Gesprächskreis an, der eine widerständige Haltung zur nationalsozialistischen Diktatur einnahm. Die allgemeine Entwicklung in der politischen Kultur, im Kunstbetrieb wie in den „Vereinigten Staatsschulen“ verstärkte die Bereitschaft Schuma7 Kurt Schuhmacher, Studienarbeit, 1928 chers, unter Bekannten aktiv gegen die Verhältnisse einzutreten, zumal er aus einer linken Familie stammte.27 Sein Atelier in einer Laubenkolonie in der Nähe des Bahnhofs Papestraße diente auch als Ort für politische Gespräche.28 Gelegentlich nahm er Arbeiten für Parteistellen und staatliche Auftraggeber an. Nach dem Sichtbarwerden der Expansionsziele des nationalsozialistischen Deutschlands gegen die Sowjetunion beteiligten sich die Schumachers an der Übermittlung von warnenden Nachrichten nach Moskau zu Angriffsplänen der Wehrmacht durch die Schultze-Boysen-Gruppe. Diese zur NS-Herrschaft gegnerisch eingestellte Freundesgruppe wurde schließlich von der Gestapo mit dem Fahndungsbegriff „Rote Kapelle“ bezeichnet und verfolgt. Die junge Künstlerin Oda Schottmüller war 1935 eine Beziehung mit Kurt Schumacher eingegangen. Auch sie war im Wintersemester 1927/28 und Sommersemester 1928 an den „Vereinigten Staatsschulen“ eingeschrieben. Sie entwickelte sich jedoch außerhalb der Hochschule künstlerisch zur Bildhauerin und insbesondere zur Tänzerin.29 Schottmüller pflegte auch mit Cremer und dessen Frau, der erfolgreichen Tänzerin Hannah Berger, freundschaftlichen Umgang. Da die Schumachers in der Kooperation des Widerstandskreises mit dessen Funkaktivitäten verflochten waren, wurden sie 1942 in Plötzensee hingerichtet. Oda Schottmüller erlitt dieses Schicksal 1943. Mit der sozialen und kulturellen Grenzziehung zwischen „arischer“ und „nichtarischer“ Herkunft in der deutschen Gesellschaft nach 1933 ging der Personalumbau

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an den VS weiter. Bereits 1934 musste der Architekt Franz Seeck trotz seiner deutschnational-akademischen Einstellung, auf deren Basis er mit Kutschmann viele Jahre zusammengearbeitet hatte, wegen seiner jüdischen Abstammung ausscheiden. In der Folge der Nürnberger Rassegesetze von 1935 wurde auch der jüdische Maler Erich Wolfsfeld entlassen, der seit 1916 als Professor gelehrt hatte. Bei ihm hatte sich Lotte Laserstein im Verlauf ihres Studiums in den 1920er Jahren zur Malerin qualifiziert.30 Ihr Gemälde „Abend über Potsdam“ weist sie um 1930 als eine Künstlerin aus, die die figürlich-realistische Malerei mit 8 Elisabeth Hohenemser, Studienarbeit, 1930 Meisterschaft beherrschte. Seit ihrem Studienabschluss 1927 unterrichtete sie in einer eigenen privaten Malschule und bereitete insbesondere angehende Studienbewerber, die ihr Wolfsfeld vermittelte, für das Aufnahmeverfahren in die VS vor.31 Da sie vom Verkauf ihrer künstlerischen Arbeiten nicht leben konnte, stellte dies die wesentliche Einkommensquelle dar, mit der sie sich finanzierte. Sie warb für die Malschule mit Aushängen am Schwarzen Brett der VS. Obgleich sie assimiliert und getauft war, wurde sie mit dem Wechsel in der politischen Mentalität zum Radikalnationalismus wegen ihrer jüdischen Abstammung mit dem antisemitischen Hass konfrontiert. Malschüler berichteten, dass sich der Vermieter ihrer Räume in der Nachodstraße in Berlin-Schöneberg bereits 1933 in wüste Schimpftiraden gegen sie hineinsteigerte. Am 11. September 1933 wandte sich die „Fachgruppe Vereinigte Staatsschulen“ des NSDSTB an „die Direktion“ mit der Aufforderung, alle Aushänge jüdischer Künstler zu entfernen: „Wie der Direktion bekannt sein wird, sind an dem schwarzen Brett im Windfang Reklame- und Zeichenschulen jüdischer Unternehmer angeschlagen. Wir ersuchen die Direktion höflichst, diese entfernen zu lassen, da es heute nicht mehr angebracht erscheint, dass in einer deutschen Akademie für derartige Unternehmen Reklame gemacht wird.“32 Am 5. Oktober 1933 stellte Kutschmann an die „Fachgruppe“ die Frage, welche „Privatschulen“ als „jüdische Unternehmen“ anzusehen seien. Hierauf wurden ihm folgende Namen genannt: „Malschule Müller-Méla, Kunstschule Hans Licht, Kunstschule Lotte Laserstein, Kunstschule Eugen Herrsch, Schneiderschule Marga Stein.“33 Kutschmann antwortete an die „Fachgruppe“, die Aushänge seien von Beamten durchaus durchgesehen worden, diesen sei aber nichts aufgefallen. „Die Absicht, jüdische Anschläge

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9 Lotte Laserstein, Abend über Potsdam, 1930

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im Hause weiter zu dulden, lag jedenfalls nicht vor.“ Von nun an zeigte sich, dass die aktiven Mitglieder des NSDSTB, insbesondere die „Studentenschaftsführer“ im Hause, die Ausgrenzung der jüdischen Mitstudierenden, ehemaligen Studierenden und bereits praktizierenden Künstler betrieben. Laserstein fand nur noch begrenzt Anschluss an den Kunstbetrieb. Sie konnte 1934 noch einmal mit dem „Verein Berliner Künstlerinnen“ in der Galerie Nierendorf ausstellen, danach nur in privaten Häusern und in der zunehmend abgespaltenen innerjüdischen Öffentlichkeit.34 Bis etwa 1935 hatte sie Malschüler. Aufgrund der eingeschränkten Berufschancen und des politisch gewollten Auswanderungsdrucks ging Laserstein schließlich 1938 nach Schweden, Wolfsfeld 1939 nach England. Ebenfalls von den Nürnberger Gesetzen betroffen wurde Ernst Böhm ( Jg. 1890). Er hatte seit 1920 als 10 Lotte Laserstein, Erich Wolfsfeld, 1947 Professor für angewandte Kunst an den VS gelehrt. Wegen seiner jüdischen Ehefrau wurde er 1937 mit dem Vorwurf der „jüdischen Versippung“ entlassen. Mit derselben Begründung traf die Ausgrenzung gleichfalls den Silberschmied Waldemar Raemisch und den Bildhauer Alfred Focke. An Stelle von Wolfsfeld übernahm 1935 der „Bauernmaler“ und überzeugte Nationalsozialist Franz Eichhorst die Leitung der Zeichenklasse, seit 1936 in der Stellung eines außerordentlichen Professors.35 Seine Bilder von ländlichen Menschen, häufig aus den Osttiroler Bergen, entsprachen dem gängigen kulturkonservativen Kanon der akademischen „deutschen Kunst“. Die Fronterlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg verarbeitete er in seinen Werken mit heroischen Männlichkeitsvorstellungen, beispielsweise in der Darstellung von „MG-Schützen“. Er erhielt vom nationalsozialistischen Bürgermeister von Schöneberg, Oswald Schulz, den Auftrag zu einem Freskenzyklus mit dem Thema „Vom Anfang des Weltkrieges bis zur nationalen Erhebung“, um die sich selbst idealisierende Generation von rechten Frontund Freikorpskämpfern im Schöneberger Rathaus ästhetisch zu repräsentieren. An diesen Wandbildern arbeitete er zwischen 1935 und 1938. Mit seinen Sujets und der akademischen Darstellung traf 11 Franz Eichhorst, Mädchen er den Kunstgeschmack der NS-Elite, wie sich bald auf den „Gromit Krug. Große Deutsche Kunstausstellung 1939 ßen Deutschen Kunstausstellungen“ erwies.

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12 Franz Eichhorst, „Tankabwehr“ – Ausschnitt aus der Wandmalerei im Rathaus Berlin-Schöneberg, 1938

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13 Richard Holst, Jesus Christus und Adolf Hitler, 1939

Dies gilt gleichfalls für den Professor für Wandmalerei Richard Holst, der den kulturkonservativen Kunstgeschmack bediente. Holst begann 1909 als Lehrer an der Unterrichtsanstalt und trat 1933 in die NSDAP ein. 1939 gestaltete er beispielsweise in einem Zyklus von 40 Wandbildern Szenen zum Leben Christi für die neu erbaute Christuskirche in Hof. In einem der Bilder stellte er Adolf Hitler auf Augenhöhe mit dem Erlöser Jesus Christus dar. Das Ansehen Hitlers als „erfolgreicher Führer“ war in diesen Jahren in der deutschen Gesellschaft und bei den „Deutschen Christen“ außerordentlich hoch, da er Deutschland „aus der Schmach“ des Versailler Vertrags und der Weimar Republik „erlöst“ habe, wie die populäre antidemokratische Meinung lautete, die den Führermythos mit begründete. Während des Krieges geriet er trotz seiner politischen Konformität in Konflikt mit den Grenzen des erlaubten Denkens. Holst äußerte sich einmal kritisch über die Folgen des Krieges, insbesondere zu den Luftangriffen.36 Dieses Bedenken wurde auch von anderen Malern geteilt, da die Gefahr zunahm, dass mit einem der Brände in den Städten auch ihre Ateliers mit allen Werken vernichtet werden könnten. Holst wurde deswegen 1943 aus der NSDAP ausgeschlossen, vom Dienst an der Hochschule beurlaubt, ein Strafverfahren eingeleitet und er am 6. Dezember 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

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14 „Nichtarier“ 1935

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Mit der allgemeinen Einführung des „Arierparagraphen“ und des Gesetzes zur „Überfüllung der deutschen Hochschulen“ in den Verwaltungen des Deutschen Reiches wurde auch an den VS der Anteil „nicht arischer“ Studierender systematisch statistisch erfasst.37 Zum 3. Dezember 1935 wurden zwölf „Nichtarier“ gezählt, dies waren drei „Volljuden“, sonst „½ und ¼ Juden“, was einem Anteil von 0,63 % von 320 Studierenden entsprach. Von der Verwaltung wurden die unterschiedlichen Grade der „nicht arischen“ Anteile aller durch ihre Herkunft betroffenen Studierenden nach den Standards der Rassenlehre in einem Schema visualisiert. Die gesetzlich vorgeschriebene Obergrenze von 1,5 % jüdischer Abstammung war in den VS nicht erreicht. Aufgrund ihrer besonderen Begabung wurde die „Volljüdin“ Charlotte Salomon über das Zulassungsverfahren an der Hochschule zum Studium der Malerei vorgesehen. Die endgültige Aufnahme musste eine nunmehr in den Rassegesetzen vorgeschriebene Dreierkommission aussprechen. Diese trat im Februar 1936 zusammen, bestehend aus dem kommissarischen Direktor Max Kutschmann, Professor Bartning und dem Studentenschaftsführer Hellmuth Scheunemann.38 Im Protokoll wurde festgehalten: „Die künstlerischen Leistungen der Volljüdin Fräulein Salomon gaben zu Bedenken keine Veranlassung. Auch ihr Benehmen wird als bescheiden und zurückhaltend anerkannt. An ihrer deutschen Einstellung zu zweifeln, liegt kein Grund vor. Trotzdem erhob Herr Scheunemann grundsätzlich Einspruch gegen die Zulassung von „nicht arischen“ Studentinnen, weil sie für die arischen Studierenden eine Gefahr bildeten. Professor Bartning wies demgegenüber darauf hin, dass diese Gefahr gerade bei Fräulein Salomon wegen ihres zurückhaltenden Wesens nicht vorliege.“ Das Protokoll hielt etwaig vorgebrachte „Argumente“ des nationalsozialistischen Studentenschaftsführers Scheunemann für die von ihm gesehene „Gefahr“ nicht fest. Gegen dessen Votum entschied der Direktor Kutschmann auf Aufnahme, „weil nicht das Geringste vorliege“. Salomon studierte zwischen Sommersemester 1936 und 1938 bei mehreren Professoren. Nach der „Reichspogromnacht“ am 9. November 1938 und dem Erlebnis der brutalen Gewalt, der ihr Vater ausgesetzt war, floh sie zu ihren Großeltern nach Südfrankreich. Dort entstand zwischen 1940 und 1942 ihr Werk „Leben? Oder Theater?“ als eine Folge von Blättern mit Gouachen, die teils autobiografische, teils fiktionale Szenen darstellten.39 Charlotte Salomon starb im Juni 1943 in Auschwitz. Zahlreiche Künstler in dieser Zeitgenossenschaft der dreißiger Jahre hatten ihre Professionalisierung bereits im Kaiserreich durchlaufen, wie beispielsweise Karl Hofer ( Jg. 1878), Edwin Scharff ( Jg. 1887) und Otto von Kursell ( Jg. 1884), alle drei gleichermaßen mit einem Studium an der angesehenen Münchner Kunstakademie. Zu dieser bereits älteren Generation zählen im Umfeld der VS sowohl Künstler, die wie Hofer für die politische Linke und die pluralistische Kultur von Weimar

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eintraten, als auch solche, die sich für den Nationalsozialismus und die „deutsche Kunst“ engagierten wie Max Kutschmann ( Jg. 1871), Otto von Kursell oder Franz Eichhorst ( Jg. 1885). Andere konzentrierten sich auf ihren künstlerischen Erfolg im Kunstbetrieb, sofern sie ein Segment des Zeitgeschmacks trafen. Dieses rein berufliche Selbstverständnis als Künstler repräsentierte der Bildhauer Fritz Klimsch ( Jg. 1870), der von 1921 bis zu seiner Pensionierung 1935 als Professor an den VS lehrte. Er arbeitete während des Nationalsozialismus sehr erfolgreich für den Kunstmarkt weiter. Auch bei der jüngeren Generation differenzierten sich die Wege aus. Breker ( Jg. 1900) gehörte bereits der „Kriegsjugendgeneration“ an, die ihre prägende Zeit als Jugendliche während des Ersten Weltkrieges erlebt hatte. Für ihn eröffnete sich eine Karriere als Gestalter der Ästhetik und der symbolischen Visionen des Nationalsozialismus. Dem standen Lotte Laserstein ( Jg. 1898), Felix Nussbaum ( Jg. 1904), Elisabeth Schumacher geb. Hohenemser ( Jg. 1904), Kurt Schumacher ( Jg. 1905) sowie Fritz Cremer ( Jg. 1906) gegenüber. Sie waren mental und politisch von der Weimarer Republik geprägt und hatten in einem pluralistischen Kunstverständnis an den VS studiert. Für sie stellte der künstlerische Modernismus eine selbstverständliche Möglichkeit des ästhetischen Ausdrucks im Kunstbetrieb dar. Ihre Profilierungsphase als eigenständige Künstler fiel jedoch in die 1930er Jahre, in denen für die ästhetische wie politische Selbstartikulation neue Grenzen gesetzt und mit Rassezugehörigkeit begründet Ausschlüsse durchgesetzt wurden. Dagegen hatte Otto Andreas Schreiber ( Jg. 1907), Student an der Staatlichen Kunstschule und gleichzeitig Gaststudent an den VS, aber auch radikaler Aktivist im NSDSTB, sein Selbstverständnis zwar künstlerisch in der schöpferischen Expression, weltanschaulich jedoch im Nationalsozialismus gefunden.40 Er trat entschieden für die „Säuberung“ der Hochschule vom „Kunstbolschewismus“ ein, allerdings mit einem anderen Verständnis davon, was darunter zu verstehen sei, als die Mehrheit der Nationalsozialisten, da er sich künstlerisch an Expressionisten wie Emil Nolde oder Ernst Barlach orientierte. Aus seiner Generation bildete sich nach 1933 die junge Funktionselite von Nationalsozialisten, die sehr schnell im nationalsozialistisch beherrschten staatlichen Apparat Karriere machte.41 Die Merkmale der kollektiven Erfahrungen jeder Generation haben überwiegend Prägewirkung. Sie besitzen jedoch nicht zwingende Bindungskraft für den Einzelnen. Auch hier ist das Individuum frei, seine Erlebnisse in unterschiedlicher Weise zu verarbeiten. Nicht selten sind wir mit mehrschichtigen und ambivalenten Haltungen von Künstlern zu den unterschiedlichen Aspekten des Nationalsozialismus konfrontiert. Die Beispiele von Schlemmers Versuch, sich in das nationalsozialistisch geprägte

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Verständnis von „deutscher Kunst“ einzufügen, oder Cremers vorrangige Orientierung an der eigenen künstlerischen Entwicklung zeigen dies auf unterschiedliche Weise. Die Einordnung ihrer Biografien ist jedoch nur unter Einbezug der sich verschiebenden kulturpolitischen Rahmenbedingungen möglich.

II Zäsuren im Zeitverlauf Während der zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur veränderten sich mit der allgemeinen Kunstentwicklung die Handlungs- und Bezugsräume für einen Teil der Künstler erheblich. Drei Phasen sind zu unterscheiden: erstens die der Verdeutlichung und Implementierung kultureller Ziele der „nationalen Erhebung“ im öffentlichen Kunstbetrieb, zweitens der Repräsentation der „deutschen Kunst“, die von angeblicher „Entartung“ bereits weitgehend „gesäubert“ war, als Ausdruck des Erstarkens des nationalsozialistischen Deutschen Reiches, und drittens die der begrenzten und auf den militärischen Sieg gerichteten Handlungsspielräume während des Zweiten Weltkrieges.

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Die erste Phase nimmt in diesem Text wegen der noch mehrschichtigen Auseinandersetzungen um die Frage „Was ist ‚deutsche‘ Kunst“ einen weit überproportionalen Anteil ein.

Erste Phase: die Verdeutlichung und Implementierung „nationaler“ kultureller Ziele und deren Kontrolle Mit der schnellen Konsolidierung der Regierung Hitler, bestehend aus Deutschnationalen und Nationalsozialisten, trat für die Vertreter der intellektuellen und politischen Linken seit Februar 1933 ein existentieller Bruch ein, der bis zum Sommer mehrere Fluchtwellen zur Folge hatte. Die physische Gewalt in den Folterkellern der SA, die seit Februar als Hilfspolizei fungierte, aber auch in den Gefängnissen der Staatspolizei und in den neu eingerichteten Konzentrationslagern wurde für die politischen Gegner als tödliche Gefahr omnipräsent. Während die Verhaftungen der bekannten Vertreter der Arbeiterparteien unmittelbar nach dem Reichstagsbrand Ende Februar begannen und im März unter dem Vorwurf der behaupteten Vorbereitung eines „marxistischen Umsturzes“ auf vollen Touren liefen, feierten die Anhänger der „nationalen“ Regierung am 21. März im „Tag von Potsdam“ ihren Sieg.42 Obgleich einerseits die Erfahrung einer nicht für möglich gehaltenen Brutalität bei der Verfolgung von Gegnern vorwiegend der Linken und andererseits die begeisterte Zustimmung der Anhänger der „nationalen Revolution“ einander in krasser Weise gegenüberstanden, setzte sich im politischen Bewusstsein der

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Mehrheit der Deutschen zunehmend die kulturelle Hegemonie des „nationalen Lagers“ durch. Diese Machtverlagerung in der politischen Kultur verschob das Wertesystem in Kultur und Kunst in Deutschland zugunsten der radikalnationalistischen Leitbilder grundlegend, wenn auch nicht völlig. Die erste Phase von Verhaftung, Folter und Ausgrenzung traf diejenigen, die im politischen Sinne der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft oder der Arbeiterbewegung gewirkt hatten und sich nun, wie das republikanische Reichsbanner, als machtpolitisch wehrlos erwiesen.43 Käthe Kollwitz beispielsweise war zwar als bereits ältere Künstlerin vor unmittelbarer Gewalt geschützt, stand aber – sie hatte noch bis zum Januar zusammen mit Heinrich Mann für die Einigung der linken Parteien geworben – unter dem Druck, aus ihrer angesehenen Stellung als Mitglied der „Akademie der Künste“ und ihrem damit verbundenen Meisteratelier ausscheiden zu müssen. In diesen Wochen gingen zahlreiche Menschen, die dem „anderen Deutschland“ zugehörten, ins Exil und kehrten aus Enttäuschung über das Verhalten der Mehrheit der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder zurück.44 Schriftsteller wie Bertolt Brecht und Oskar Maria Graf oder bildende Künstler wie Felix Nussbaum verließen das Land. Der Kulturwissenschaftler Walter Benjamin etwa flüchtete im Frühjahr 1933 nach Ibiza, wie viele Linke noch in der Hoffnung, auch das Nazi-Regime würde „sich nicht lange halten können“. Als das Gegenteil eintrat, reiste er wie andere Nazi-Gegner im Herbst dieses Jahres nach Frankreich. Käthe Kollwitz entschied sich mit ihrem Mann Karl, einem Berliner Armenarzt, gegen eine Emigration und fand bald für ihre künstlerische Arbeit in der entstehenden Ateliergemeinschaft Klosterstraße einen neuen Ort.45 Die rasche Stabilisierung der „nationalen Regierung“ Hitler beruhte nicht zuletzt auf den kulturellen Gemeinsamkeiten, die es zwischen den Nationalsozialisten, den „alten Eliten“ und den Kulturkonservativen im deutschnationalen Bürgertum gab.46 Deren Nähe manifestierte sich beispielsweise in München in der Auseinandersetzung um Richard Wagner, der im nationalen Lager als Inbegriff des „deutschen Künstlers“ galt. Auch Adolf Hitler teilte die Idealisierung „des Meisters“ durch die Wagnerianer als Ikone „deutscher Kunst“. Nahezu alle Professoren der Münchner Kunstakademie stimmten im März 1933 mit dem Mainstream der deutschen Gesellschaft in die sich in diesen Wochen steigernde nationale Begeisterung ein, indem sie mit führenden Nationalsozialisten des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ einen Protest der „Richard Wagner Stadt München“ mit ihren Namen unterzeichneten und diesem im Bildungsbürgertum Reputation verliehen. Dieser Protest richtete sich gegen die Rede des „Vernunftrepublikaners“ Thomas Mann und dessen Interpretation Wagners zum 50. Todestag des Komponisten.47 So standen die Namen von führenden Nationalsozialisten, des „Chefideologen“ Alfred Rosenberg, des neu

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ernannten bayerischen Kultusministers Hans Schemm und des Gauleiters Adolf Wagner neben denen des Architekten und Direktors der Münchner Kunstakademie, German Bestelmeier, des Bildhauers Bernhard Bleeker, des Zeichners Olaf Gulbranson sowie des Dirigenten Hans Knappertsbusch auf der Unterschriftenliste. Das Kollegium der Münchner Kunstprofessoren begrüßte die „tatkräftige“ Regierungspolitik Hitlers mit dem Ende der demokratischen Freiheiten im Verlauf des Jahres noch wiederholt öffentlich in der Rhetorik der „nationalen Erhebung“, was in ähnlicher Form in den meisten Städten des Deutschen Reiches geschah. 48 Eine Ausnahme im Münchner Kollegium stellte lediglich der expressive Maler Karl Caspar durch seine Zurückhaltung dar.49 Diese kulturpolitische Stoßrichtung „des nationalen Lagers“ hatte sich seit den frühen 1920er Jahren längerfristig herausgebildet. Bereits in der völkischen Kunstpolemik des Dresdner „Deutschen Kunstdienstes“ von Bettina Feistel-Rohmeder verdichtete sich das Interpretationsmuster der angeblichen „Verfallszeit“ in der Kunst seit etwa 1910 und verband sich mit der Polemik gegen das demokratische System von Weimar. Die Verbreitung der seit den zwanziger Jahren in der politischen Rechten entwickelten kulturell-politischen und künstlerischen FreundFeind-Muster stellten nun, als Kern einer autoritären Ordnungsideologie, im kollektiven Bewusstsein eine wesentliche Voraussetzung für den Kampf gegen den Modernismus dar. Dieser wandte sich gegen den toleranten Pluralismus des Weimarer „Systems“ und gegen die freie Kreativität. Im Tenor einer „Generalabrechnung“ erschien am 25. Februar 1933 im „Völkischen Beobachter“ ein Artikel gegen das „deutsche Kunstreich jüdischer Nation“, der insbesondere die ästhetischen Visionen der Bauhauskünstler und der Konstruktivisten angriff. Führende Nationalsozialisten propagierten die radikale Nationalisierung der Kultur und der Künste als einen auf die Zukunft verweisenden Teil ihrer politischen Utopie von einer blühenden deutschen Nation, ähnlich wie die biologische Aufzucht eines neuen „nordischen Menschentyps“ im „Dritten Reich“.50 Bei der angestrebten Organisation des kulturellen Willens der Nation wurde der Kunst und verbildlichten Vorstellungen eine bedeutsame Rolle zugeschrieben. Die Künstler sollten auf kritische Hinterfragung verzichten, sich am „gesunden“ Volksempfinden „der Deutschen“ orientieren und geschlossene Erscheinungs- und Wahrnehmungsbilder entwerfen. Diese „deutsche Kunst“ sollte sowohl aus den Überlieferungen der „ursprünglichen“ regionalen und „nordischen“ Kultur „des Volkes“, die durch die Volkskunde und die Indogermanischen Wissenschaften erforscht wurde, als auch aus den „arischen“ Seelen „der Deutschen“ erwachsen. Zunächst wollten die nationalsozialistischen Traditionalisten die behaupteten „Fehlentwicklungen“ der Moderne zurückdrängen, ihre Protagonisten ausschalten und die Artefakte im öffentlichen Raum verbieten. Auf Basis dieser längerfristig entwickelten Vorstellungen ging es daher seit dem 30. Januar 1933 einerseits um die

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„Säuberung“ des Kunstbetriebes von den Künstlern des angeblichen „Verfalls“ der Weimarer Demokratie sowie andererseits um den Aufbau einer „deutschen“ Kultur und Kunst, als Ausdruck der „geistig-seelischen Wiedergeburt“ Deutschlands im nationalsozialistischen Staat. Den als „entartet“ stigmatisierten Künstlern wurden dagegen in ihrer künstlerischen Selbstentfaltung sukzessive Grenzen gesetzt. Der „Kampfbund für deutsche Kultur“ war seit 1929 als nationalsozialistische Vorfeldorganisation unter der Führung von Alfred Rosenberg in öffentlichen Veranstaltungen aktiv dafür eingetreten, dass sich im nationalen Sinne „deutsche Geistesfreiheit und Schöpfungsmöglichkeit“ entfalten sollten. Dessen Mitglieder galten bei dem mit der Machtübernahme in Gang gekommenen Personalwechsel im Februar 1933 als die in kulturellen Fragen bereits ausgewiesenen Nationalsozialisten. Sie besetzten sofort die Leitungspositionen in den Kulturabteilungen des Staatsapparats, der Ministerien sowie zahlreicher Institutionen der Kultur und Künste. Der bereits mit der Machtübertragung zum Staatskommissar ernannte Führer des Kampfbundes in Berlin, Hans Hinkel, erwies sich als einflussreicher Funktionär im neu entstehenden Machtapparat. Die nationalsozialistischen Akteure beeilten sich, ihm Vorschläge zu unterbreiten, um Zeichen zu setzen und die Institutionen und Verbände mit ersten Maßnahmen von denjenigen Personen zu „säubern“, die einer im nationalen Sinn homogenisierten „deutschen Kultur“ als „störend“ und als Gegner im Wege standen. Das galt auch für die staatlichen Kunsthochschulen. An der „Kunstschule“ für die Kunsterzieherausbildung in der Grunewaldstraße kam es bereits am 17. Februar 1933 zu einer gewalttätigen Aktion. Der damals 26-jährige Nationalsozialist Otto Andreas Schreiber, zu diesem Zeitpunkt an seiner Ausbildungsstätte „unbezahlter Assistent“ bei Professor Paatz und gleichzeitig Studienreferendar, vertrat als Kreisführer X die „Vereinigten Kunst-Staatsschulen“ im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund in Berlin. Er hatte bereits am 11. Februar 1933 einen Brief an Bernhard Rust, zunächst „Reichskommissar im preußischen Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung“ und wenig später Minister, geschrieben.51 Wegen des diffamierenden Charakters dieses Briefes diskutierte die Professorenkonferenz Schreibers Hinauswurf aus der Kunstschule. Als die Prüfungskommission tagte, fand unter seiner Anleitung ein Angriff auf vermeintlich „kulturbolschewistische“ Hochschullehrer und Studenten im Hochschulgebäude statt.52 Die Professoren Georg Tappert, Curt Lahs, Philipp Franck, Heinrich Kamps wurden tätlich bedrängt und vorübergehend in einer Drehtür festgehalten, das Hakenkreuzbanner auf dem Dach gehisst, aber von gegnerischen, meist linken Studenten wieder heruntergeholt. Das Ereignis erregte in der noch überwiegend freien Presse Aufsehen.53 In einem weiteren Schreiben bekräftigte Schreiber seine Position. Darin versuchte er „die nationalen Kollegen“, zu denen auch Paatz gehörte, zu

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stärken und die liberalen und eher linken Professoren in einem derart schlechten Licht darzustellen, dass dies zu deren Entlassung führen sollte. Im Tenor des radikalnationalistischen Zeitgeistes der SA schloss er: „Hebt den kulturbolschewistischen Sumpf Staatliche Kunstschule aus.“54 Die eher linken Studenten, die sich den nationalsozialistischen Studenten entgegengestellt hatten, wurden im Verlauf des Jahres vom Studium ausgeschlossen.55 Der offizielle Vorwurf lautete in diesen Monaten häufig: „wegen kommunistischer Gesinnung“. Mit der Einsetzung von Joseph Goebbels als Minister des neuen Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda am 13. März 1933 erwuchs Rosenberg ein Gegenspieler um Einfluss auf die Kulturpolitik, der die Presse und alle Bereiche der Kommunikation bald weitgehend kontrollierte.56 Für jedes Medium wurde ein eigenes Referat eingerichtet, so auch für die bildende Kunst. Goebbels Politik zielte auf Unterwerfung der deutschen Öffentlichkeit unter die nationalsozialistische „Weltanschauung“, auch durch Entlassungen und Verbote. Er band einflussreiche junge Nationalsozialisten wie Hans Hinkel oder den Kunstmaler Hans Weidemann in seinen Amtsbereich ein, nicht zuletzt zur Stärkung seiner Hausmacht. Dem Ziel der Neuaufstellung mit „national“ zuverlässigem Personal stand die Ablehnung einer zu starken Verflachung in der Kultur gegenüber. Wenige Wochen später, am 1. April 1933, dem Tag des Judenboykotts in Deutschland, befestigte eine Gruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in der Eingangshalle des Gebäudes der „Vereinigten Staatsschulen“ in der Hardenbergstraße ein Transparent, das die zu diesem Zeitpunkt bereits üblichen plakativen Begriffe der völkischen Kunstpropaganda zur Feindkennzeichnung innerhalb der Hochschule benutzte: „Karl Hofer, E. R. Weiss, O. Schlemmer, C. Klein, L. Gies, Reger, Wolfskehl = destruktive, jüdisch-marxistische Elemente.“57 Damit war die Stoßrichtung des Kampfes der jungen Nationalsozialisten auch in der Hochschule auf den Begriff gebracht. Sie hielten der modernistischen Kunst mit ihren abstrahierenden Tendenzen in stereotypen Zuschreibungen vor, ein „zersetzender“ Ausdruck des Marxismus, des Judentums und der Weimarer Republik zu sein. Gemeint war damit, dass die künstlerische Arbeit der Angegriffenen, mit der modernistischen Irritation des Gewohnten und dem Bruch mit den geschlossenen Formen der akademischen Konvention, die Vorstellung von „heiler“, romantischer Bildlichkeit auflösen würde, wie sie jedoch für die „deutsche Kunst“ künftig gelten sollte. An den „Vereinigten Staatsschulen“ traf der Beginn der „Säuberung“ des Lehrkörpers zuerst die Maler Karl Hofer, César Klein, Oskar Schlemmer und Walter Reger sowie den Bildhauer Edwin Scharff, die allesamt abstrahierende Tendenzen verfolgten. Der Maler Emil Rudolf Weiss wurde zum 1. April pensioniert.58 Schließlich bekam der Architekt Heinrich Tessenow keine Verlängerung für seinen

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Lehrauftrag an den VS. Tessenow, der gleichzeitig als Professor an der Technischen Hochschule Charlottenburg tätig und dort der Lehrer von Albert Speer gewesen war, hatte ein eigenes Atelier in der Hardenbergstraße 33.59 Er wurde beschuldigt, die Bildung einer linken Gruppe unter seinen Studierenden geduldet zu haben. Alle diese Entfernungen im Verlauf des April und Mai aus dem Lehrbetrieb konnten bereits nach dem Gesetz „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 6. April 1933 verwaltungsrechtlich abgesichert werden. Der neue kommissarische Direktor wurde am 8. Mai zu einer „Besprechung“ bei Minister Rust eingeladen, bei der dieser die anstehenden grundlegenden Veränderungen umriss. Kutschmann hielt in einer Niederschrift zwei programmatische Aspekte fest.60 Erstens sollte die „Kunstschule“ als Vorschule für die VS umgebaut werden. Künstlerische Befähigungen sollten mit einem neuen Gewicht des Handwerks schrittweise bis zu den Meisterklassen hinauf entfaltet werden. Ferner sollte es künftig nur noch Architektur und freie Kunst geben. Zweitens: Ziele seien die „Erziehung zur Volksgemeinschaft“ und zur „nordisch blutsgebundenen Kunst“. Dazu sei „weltanschaulicher Unterricht“ notwendig, der auch Volkskunde umfasste. So könnte „Heimatkunst in Verbindung mit Geschichte und Kunstgeschichte“ entstehen. Am 10. Mai verlangte die Fachgruppe der „Vereinigten Staatsschulen“ des NSDSTB die Herausgabe von Büchern aus der gemeinsamen Bibliothek der VS und der „Akademie der Künste“ in der Hardenbergstraße, die auf einer umfangreichen „schwarzen Liste“ vermeintlich „jüdischer Verfasser“ von den Organisatoren dieser Aktion als „undeutsch“ benannt worden waren und von den Studierenden auf dem Opernplatz in Berlin verbrannt werden sollten. Der Bibliothekar Dr. Lenz scheint hierbei zunächst zurückhaltend gewesen zu sein, sodass Kutschmann als Vorgesetzter in einer Anweisung schriftlich notierte, er habe nichts gegen die Forderung der Studenten.61 So wurden die Bücher von Bertolt Brecht („Hauspostille“), Lion Feuchtwanger („Erfolg“), Ernst Glaeser („Jahrgang 1902“), Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“), Erich Kästner („Fabian“), Heinrich Mann („Professor Unrat“), Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) und anderen aus der Bibliothek „den Flammen übergeben“. Bis dahin entsprach die Mehrheit der Studierenden an den „Vereinigten Staatsschulen“ wie auch an der Kunstschule dem liberalen Meinungsspektrum Preußens. Nationalsozialistische Studierende wie Schreiber behaupteten sogar, die Mehrheit sei „marxistisch“ und nur eine Minderheit in ihrem Umfeld sei „national“ im Sinne „der Bewegung“. Die Relegation linker Studenten im Sommer 1933 schloss eine erste Welle von Entfernungen aus dem Lehrbetrieb ab.62 Hiervon war beispielsweise der Maler Fritz Duda betroffen.63 Bis in diese Monate bestand eine Organisation linker „Revolutionärer Studenten“. Sie hatten nach 1932 in ihrem Agitationsblatt mit einer

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15 Liste der „verbrannten Bücher“ aus der gemeinsamen Bibliothek der Vereinigten Staatsschulen und der Akademie der Künste in der Hardenbergstraße. Sie wurden von der Fachgruppe des NSDSTB für die „Säuberungsaktion“ von angeblich „undeutscher“ Literatur auf dem Berliner Opernplatz am 10. Mai 1933 geholt.

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Kritik am Kapitalismus, der Not in der Bevölkerung und dem Hinweis auf die Sowjetunion als Vorbild in die Studentenschaft politisch zu wirken versucht.64 Am 17. Oktober 1933 werden die nationalsozialistischen Studenten Schöner, Vogel, Lindner aufgefordert, eine Liste mit „marxistischen und antinationalsozialistischen“ Studierenden einzureichen, damit geprüft werden könne, ob deren weiteres Studium noch hingenommen werden könne.65 Da der Student Kratzenstein, der offenbar unter die genannten Kriterien gerechnet wurde, „inzwischen abgegangen“ sei, galt die Hochschule als „gesäubert“. Im Vergleich der VS mit anderen führenden Kunsthochschulen zeigen sich Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Freund-Feind-Konstellationen. Mit dem Vorwurf des „Kulturbolschewismus“ und der „Entartung“ wurden Lehrende reichsweit ihrer Stellungen an den Hochschulen enthoben, ein Vorgang, der sich jedoch regional und personell verschieden darstellte und unterschiedlich lange hinzog. Bis 1937/38 wurden schließlich nahezu alle demokratisch eingestellten, politisch linken sowie ästhetisch modernistischen und „nicht arischen“ Künstler als „nicht länger tragbar“ aus dem öffentlichen Kunstbetrieb und der akademischen Lehre ausgegrenzt. Die freieren ästhetischen Sprachen sollten nicht mehr zum Spektrum des künstlerischen Ausdrucks gehören, der als „deutsche Kunst“ gelehrt werden könne. Zeitgleich mit dem Personalaustausch an den VS in Berlin waren entsprechende Vorgänge an der Kunstakademie Düsseldorf vollzogen worden, wovon 16 Künstler betroffen waren.66 Unter diesen befand sich der beim völkischen Kunstpublikum in besonderer Weise mit dem Stigma der „Entartung“ verbundene Maler und „Bauhäusler“ Paul Klee. Seit März 1933 wurde das Bauhaus, zu diesem Zeitpunkt von Ludwig Mies van der Rohe als privates Lehrinstitut in Berlin weitergeführt, erneut angegriffen, nachdem es in Dessau bereits im Sommer 1932 von einer rechten Koalition im Stadtrat durch Kürzung der Finanzmittel geschlossen worden war. Mies versuchte noch in einem Gespräch mit dem einflussreichen Führer des traditionalistischen Flügels der NSDAP, dem ausgebildeten Architekten Alfred Rosenberg, eine Möglichkeit zur Weiterarbeit zu erwirken. Als die Mitglieder des Bauhauses jedoch mit Auflagen konfrontiert wurden, die den Verzicht auf langjährige Lehrer wie den Maler Wassily Kandinsky und den jüdischen Architekten Ludwig Hilberseimer zur Bedingung machten, löste es sich im Juli 1933 selbst auf. Kandinsky galt im völkischen Lager als einer der markantesten Vertreter des „Kunstbolschewismus“, eine politische Aufladung seiner ästhetischen Sprache, die er selbst mit Verwunderung zur Kenntnis nahm. Im Gegensatz hierzu wurde während der „nationalen Revolution“ 1933 an der Münchner Akademie der bildenden Künste kein einziger Künstler entlassen. Dies erklärt sich daraus, dass dort im Verlauf der 1920er Jahre kein modernistischer oder zur politischen Linken tendierender Künstler berufen worden war.67 In München

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hatte bereits nach der Niederschlagung der Räterepublik durch rechte Freikorps im Mai 1919 ein kulturpolitischer Klimawechsel zugunsten des kulturkonservativen Lagers an Kraft gewonnen. Aus München-Schwabing, dem kreativen Ort der „modernen Bewegung“ um 1900 mit der Entwicklung der künstlerischen Formensprache der Avantgarde hin zur Abstraktion, die sich 1911 im „Blauen Reiter“ Wassily Kandinskys und Franz Marcs verdichtet hatte, wanderte in den 1920er Jahren ein großer Teil der an kreativer Freiheit interessierten Künstler nach Berlin ab, nicht nur die Schriftsteller Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger, sondern eben auch Edwin Scharff. Die Studentin und spätere Textilkünstlerin Gunda Stölzl wechselte 1919 an das Bauhaus nach Weimar, weil sie sich dort von der offenen kreativen Atmosphäre angezogen fühlte.68 An der Münchner Kunstakademie beherrschte bereits in den zwanziger Jahren der kulturkonservative Akademismus die Auffassungen von Kunst, der nach 1933 schließlich die Basis der angestrebten „deutschen Kunst“ bildete. Lediglich der religiös-expressive Maler Karl Caspar war 1922 durch den reformkatholischen Kultusminister gegen den Willen des Kollegiums berufen worden.69 Klee und Kandinsky, 1921 und 1922 von Walter Gropius als Kunstprofessoren an das Bauhaus berufen, hätten in ihrer zeitweiligen Wahlheimat München nie eine Chance auf ein Lehramt gehabt. Man kann daraus ersehen, wie stark bereits vor 1933 die unterschiedlichen Berufungspolitiken in Berlin, Weimar und München jeweils mit der unterschiedlichen kulturellen Hegemonie in der regionalen Politik der deutschen Länder Preußen, Thüringen und Bayern verbunden waren, woraus sich eine partielle Wanderungsbewegung der Künstler ergab. Das „rote Berlin“ mit seiner pluralistischen Großstadtkultur, die im demokratischen, linksliberalen und linken Lager der Weimarer Republik eine politische Basis hatte, erweckte seit 1918/19 im völkisch-nationalen Lager der „Ordnungszelle“ Bayern sogar Angstbilder der Auflösung des vermeintlich kulturell „Gesunden“ im deutschen Volk sowie Aggression gegen „das Fremde“.70 Die schnellen politischen Aktionen der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933, die den Sieg der „nationalen“ Wende durchsetzten, stützten sich auf diese längerfristigen Entwicklungen in der politischen Kultur und auf die vorhandenen mentalen Einstellungen bei einem Teil der Bevölkerung. Die Pluralität der Kunstauffassungen, die in Berlin, aber auch innerhalb der „Vereinigten Staatsschulen“, Realität geworden war, sollte im Nationalsozialismus programmatisch wieder „ausgemerzt“ werden. In den ersten Jahren nach der Machtübertragung blieb jedoch selbst innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung die Frage offen, was die Forderung nach „deutscher Kunst“ ein- oder ausschließe. Das bald dominante Lager um Alfred Rosenberg erkannte allein den akademischen Traditionalismus als „arteigene“ nationale Kunst an. Rosenberg fand im inneren Kampf der nationalsozialistischen Elite um

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Definitionsmacht und administrativen Einfluss in Joseph Goebbels einen Rivalen. Dieser ließ bei seinen eigenen kulturellen Einstellungen eine größere Offenheit als Rosenberg für die künstlerische Moderne erkennen, so auch für Expressionisten wie Emil Nolde. Noch im Frühsommer und Sommer 1933 konnte in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ eine Debatte darüber geführt werden, was „deutsche Kunst“ sein solle.71 Karl Hofer, Oskar Schlemmer und Otto Andreas Schreiber beteiligten sich hieran mit eigenen Texten. Hofer sah die Gefahr, dass mit dem akademischen Traditionalismus „das Mittelmaß, das Epigonentum, eine falsche Biedermeierei, das Schmückedeinheimbild, der Öldruck sich breitmache“.72 In dieser Zeitphase propagierte der modernistische Flügel in der NS-Bewegung die expressive, „nordische“ Moderne als angemessenen künstlerischen Ausdruck für die Gegenwart der dreißiger Jahre. Die überzeugten jungen Nationalsozialisten Otto Andreas Schreiber, Hans Weidemann und andere kämpften für die Anerkennung des nationalen Expressionismus, nicht zuletzt als eigenen ästhetischen Stil. Dieser Konflikt um die originäre nationalsozialistische Kunst manifestierte sich in der Berliner „Studentenopposition“. Am 29. Juni 1933 fand unter dem Motto „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ im Auditorium Maximum der Berliner Universität eine Kundgebung gegen die „Kunstreaktion“ statt.73 Hier traten der Führer des Berliner NSDSTB Dr. Fritz Hippler sowie der Schulungsleiter Dr. Johannes von Leer auf. Sie wandten sich vor allem gegen die Restauration des künstlerischen Akademismus, den sie der Wilhelminischen Zeit zuordneten und als überholt klassifizierten. Schreiber bezeichnete die Diffamierung der Expressionisten Barlach, Nolde, Heckel, Kirchner, Mueller, Schmidt-Rottluff ausdrücklich als ein „Vergehen an deutscher Kultur“. Diese Kundgebung für eine nationale Moderne traf offenkundig auf eine in Teilen der Öffentlichkeit vorhandene Stimmung und fand dort Beifall. Diesem modernen Flügel in der nationalsozialistischen Bewegung ist der Expressionist Emil Nolde zuzurechnen, der im offiziellen, nationalsozialistischen Kunstbetrieb im Verlauf des Jahres 1933 zunehmend die Verfemung als „entarteter“ Künstler zu ertragen hatte, obgleich er sich seit 1922 politisch im national-völkischen Lager verortet hatte. In dieser Zeitphase muss ein Gespräch zwischen ihm und einem Vertreter des Propagandaministeriums stattgefunden haben. Emil Nolde berichtete in einem Brief davon, dass „besonders die Jungen und Jüngsten meiner Kunst ihre Geltung verschaffen wollen“, äußert jedoch zugleich Enttäuschung darüber, dass er nicht zum neuen Direktor der VS berufen worden war.74 Vermutlich handelte es sich bei dem jungen Nationalsozialisten um Hans Weidemann, der für die Besetzung der Direktorenstelle der „Vereinigten Staatsschulen“ einen künstlerisch herausragenden Repräsentanten der Moderne suchte, der dem nationalen Expressionismus zugehörte. In diesem Gesprächszusammenhang scheint auch eine vorgeschlagene Berufung Noldes als Mitglied der Akademie der Künste eine Rolle

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gespielt zu haben.75 Aus retrospektiver Sicht waren diese Sondierungen unrealistisch, jedoch Ausdruck der noch offenen Klärung der Frage „Was ist deutsche Kunst?“. Als die Position der nationalen Moderne aber mit einer Ausstellung „Dreißig deutsche Künstler“ in der Galerie Ferdinand Moeller gefestigt werden sollte, griffen administrativ übergeordnete Stellen, wie Reichsinnenminister Wilhelm Frick, autoritär ein. Der offizielle Charakter durch eine Trägerschaft des NSDSTB wurde daraufhin zurückgenommen, Schreiber und Hippler aus dem NSDSTB ausgeschlossen. Dennoch bestand eine Phase der kulturellen Mehrschichtigkeit fort. Seit dem Spätsommer 1933 erfolgte unter dem Präsidium von Joseph Goebbels der Aufbau der Reichskulturkammer, mit einer Reichskammer der bildenden Künste, zur Erfassung und Kontrolle, aber auch Förderung der „deutschen“ Künstler und deren Ausstattung mit autoritärer Setzungsbefugnis.76 Bei deren Entscheidungen ging es um Zulassung zur künstlerischen Arbeit in den Formen des Berufes und des Kunstbetriebes. Diese Institution sollte fortan die Grenzen der „deutschen Kunst“ garantieren und „entartete“ Formen des künstlerischen Ausdrucks unterbinden. Zugleich entstand im Oktober 1933 aus der Initiative des Direktors der Weltkunst Hartmann und Otto Andreas Schreibers, mit Unterstützung des Kunsthändlers Ferdinand Moeller, in der Zeitschrift „Kunst der Nation“ ein Forum, um die Beziehung zwischen nationaler Kunst und Moderne zu thematisieren.77 Schreiber und Hans Weidemann hatten die „Schriftleitung“ inne. Bis 1935 konnten sich hier zahlreiche Kenner der Moderne äußern, u. a. Werner Haftmann oder Will Grohmann.78 Für die jungen nationalen Expressionisten öffnete sich mit der Bildung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unter dem Führer Dr. Robert Ley ein weiteres Aktionsfeld. Ley richtete für die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) ein Kulturamt ein. Um dies personell mit geeigneten Nationalsozialisten zu besetzen, wandte er sich an Goebbels.79 So kamen Hans Weidemann als Leiter und Otto Andreas Schreiber als Referent der Abteilung bildende Kunst in Funktionen, in denen sie in bescheidenem Maße ihre Auffassungen von einer nationalen Moderne in die „Fabrikausstellungen“ einbeziehen konnten.80 Unter den darin gezeigten Künstlern waren Renée Sintenis, Franz Lenk, Edwin Scharff oder Herrmann Blumenthal, die mit den VS in Beziehung standen. Hans Weidemann war zudem als Vertrauter von Goebbels am Aufbau der Reichskammer für die bildenden Künste beteiligt. Als er Emil Nolde für die Funktion des Präsidenten vorschlug, wurde er auf Geheiß von Hitler aus den beiden Funktionen wieder entfernt.81 Die Umbesetzungen im Museumsbereich mit der Ernennung von Dr. Alois Schardt zum neuen Direktor des Kronprinzenpalais schienen zunächst die

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Bemühungen zur Integration des expressiven Modernismus in den nationalsozialistischen Museumsbetrieb zu stützen. Dies erwies sich jedoch bald als Übergangsphänomen, denn dessen Befürworter unter den Nationalsozialisten wurden zurückgedrängt. Im März 1934 bot sich mit einer Ausstellung der „aeropittura“ von zur italienischen Staatskunst zählenden Futuristen eine weitere Möglichkeit, öffentlich für die Beziehung zwischen künstlerischem Modernismus und kulturellem Faschismus als Teil des nationalsozialistisch beherrschten Kunstbetriebes in Deutschland zu werben. Doch auch diese Initiative der nationalsozialistischen Kämpfer für eine nordisch-expressive Ausdruckssprache wurde gestoppt. Die Parteinahme Hitlers für die Traditionalisten um Alfred Rosenberg entschied definitiv den Streit um die politische Bedeutung der künstlerischen Sprachen auf der Ebene des offiziellen Kunstbetriebes. Bereits 16 Otto Andreas Schreiber, Paar, 1936 in seiner Kulturrede auf dem Reichsparteitag im September 1933 geißelte Hitler die ungebundene Kreativität, das Abweichen vom Akademismus als Haltung von künstlerischen „Nichtskönnern“. Hitlers Urteil galt mit dem Aufblühen des „Führermythos“ auch in der Kunst als unanfechtbar, weshalb dem Wortlaut seiner Ausführungen größte Bedeutung zukam. In seiner Parteitagsrede von 1934 wandte er sich wiederum gegen die Modernisten. Gleichzeitig sprach er sich nun aber ebenso gegen die nationalen „Rückwärtse“ aus, die lediglich Formen einer romantisierten „völkischen Kultur“ für die Gegenwart und Zukunft im Nationalsozialismus fortschreiben wollten. Hitler erwartete dagegen eine neue, eigenständige Kunst, die dem Dritten Reich ein kraftvolles ästhetisches Erscheinungsbild geben würde. Die Frage, was unter dieser angestrebten, aufbauenden „deutschen Kunst“ zu verstehen sei, leitete er aus der nationalsozialistischen „Weltanschauung“ mit ihren „völkischen“, rassebiologischen und heroisierenden Vorstellungen her.82 Die ältere soziale Utopie der Volksgemeinschaft wurde in der Alltagskultur zunehmend „arisiert“ und militarisiert. Eine „straffe“ Ausrichtung der Menschen auf die „Disziplin“ von Kampfverbänden diente als ein in der alltäglichen Interaktion mental verankertes Leitbild der Ordnung, dem in der Perspektive „nationaler“ Sinnstiftung absolute Notwendigkeit zuerkannt wurde: Im Kampf der Völker gegeneinander, eine im Nationalsozialismus zentrale Vorstellung des Sozialdarwinismus, galt die innere Geschlossenheit der organisierten „Körper“, so auch der „Volkskörper“, als Voraussetzung für die eigene Überlegenheit. Die Entindividualisierung

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zugunsten eines kollektiven Leistungsvermögens „des Deutschen“ wurde zum Ideal der Volksgemeinschaft erhoben, zu einem Typus stilisiert. Abweichende Kreativität wurde verdrängt und tabuisiert. In diesem Kontext würde auch der Künstler seine „gesunde“ Schaffenskraft in einer engen Beziehung zum „Empfinden“ des Volkes stärken. Seine Werke sollten in ihrer Bildlichkeit vor allem dem einfachen und „ursprünglichen“ Menschen verständlich sein und zum Genuss „des Schönen“ verhelfen. Gegenüber der Vielfalt von unterschiedlichen Lebensformen in der demokratischen Kultur von Weimar sollten nun eindimensionale, geschlossene Rollenbilder für Mann und Frau gelten.83 Auf die Veranschaulichung dieser Vorstellung von Volksgemeinschaft richtete sich die geförderte künstlerische Arbeit in Malerei, Graphik und Plastik zunehmend aus. Selbst Oskar Schlemmer versuchte sich in seinem Wettbewerbsentwurf für den Kongresssaal des Deutschen Museums in München 1934 an der Darstellung der Volksgemeinschaft.84 Franz Eichhorst inszenierte in seiner Malerei beispielsweise das männliche Leitbild des heroischen Kriegers, Hans Schmitz-Wiedenbrück das des Arbeiters, Bauern und Soldaten. Georg Kolbe gab der Frau in seiner Bildhauerei eine Gestalt als „Die Hüterin“ der „Art“.85 Ein Bild wie „Wassersport“ von Albert Janesch von 1936 verdeutlicht zudem eindrucksvoll, dass hier Formen der modernen Kultur im gemeinschaftlichen Takt der Ruderer lediglich in neuer Weise interpretiert und am kollektiven Leistungsbegriff ausgerichtet wurden.86 Der Konflikt von weltanschaulichen Zielen und künstlerischer Eigenständigkeit schlug sich in der Entwicklung der „Vereinigten Staatsschulen“ nieder. Die politische Nationalisierung der Kunst wurde gleichermaßen vom Direktor Max Kutschmann wie vom Kustos Winfried Wendland in ihren Amtsfunktionen vorangetrieben und bald in „nationalpolitischen Schulungskursen“ unterrichtet. In einem Kalender von Feiern und Festen wurden über das Jahr hin die Bezüge zu nationalen politischen Inhalten und Mythen hergestellt. Dem diente der „Führergeburtstag“ am 20. April ebenso wie die Langemarckfeier, in der das „willige“ Opfer der Kriegsfreiwilligen des Ersten Weltkrieges, für Deutschland in den „Heldentod“ zu gehen, als Orientierung für den Aufbau der „Wehrmacht“ beschworen wurde.87 Was diese nationalpolitischen Bezüge für die künstlerische Arbeit in der freien Kunst bedeuten könnten, blieb in der Malerei vage. Versuche dazu erschöpften sich schnell im Abbild von Stereotypen. Im Unterschied zur angestrebten „Nationalisierung“ der Malerei und Skulptur weist die angewandte Kunst, insbesondere die Graphik, mit ihrer zielgerichteten Visualisierungsarbeit für politische Kommunikation, Werbung und Propaganda in Wirtschaft und Gesellschaft, eine Kontinuität der gemäßigten Moderne bei der Vermittlung kultureller Stereotypen auf. Mit der erneuten Berufung César Kleins und den Neuberufungen wurden zwischen Herbst 1933 und 1937 in den VS weiterhin Formen der modernen Gestaltung gelehrt.88

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Bei der Ausstattung des Olympiageländes mit Skulpturen zeigte sich 1936 eine weiterbestehende Pluralität von künstlerischen Arbeitsweisen, jedoch bereits jenseits des ästhetischen Modernismus etwa eines Edwin Scharff der zwanziger Jahre. Brekers „Zehnkämpfer“ kam Hitlers Vorstellung von einer neuen „deutschen Kunst“ entgegen, die von den „Deformationen“ der Moderne gesäubert war und ein geschlossenes Bild der Körperlichkeit des „deutschen Menschen“ repräsentierte. Allein „das Gesunde“ sollte kunstwürdig sein, „das Starke“ als Ideal gelten und einprägsam ins Bild gesetzt werden. Im „Völkischen Beobachter“ wurde das Leitbild der angestrebten Beziehung von menschlicher Gestalt und einer für „das Volk“ verständlichen Bildlichkeit in der mythischen Weltanschauung des Nationalsozialismus 1936 auf den Begriff gebracht: „Wir haben einen starken, einfachen, monumentalen Willen zu einer überpersönlichen 17 Arno Breker, Prometheus, 1935/37 Öffentlichkeit. Nicht mehr das Portrait des Einzelnen, sondern die symbolkräftige menschliche Gestalt als Gleichnis höherer Ordnung, nicht das Individuum, sondern der Mythos – das ist das innere Ziel, dem auch die Plastik unserer Zeit zustrebt.“89 Arno Breker wandte sich nun der Arbeit am monumentalen Stil zu. Er erfand bei der Realisierung von staatlichen Aufträgen mit seiner intuitiven Phantasie zunehmend eine Formensprache für diese „höhere Ordnung“. 1937 versprach der „Prometheus“ für den Garten des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda das erhoffte Aufblühen einer neuen „deutschen Kunst“ und Kultur, die dem Erstarken des nationalsozialistisch beherrschten „Deutschen Reiches“ entsprechen sollte. Prometheus war in der griechischen Mythologie der Gott, der den Menschen dazu verhalf, zum Träger der Kultur zu werden, indem er das Feuer vom Olymp stahl.90 Zunehmend erhielt der „Herrenmensch“ von Breker eine Figur jenseits des menschlichen Maßes. Er brachte damit die rassebiologische Vorstellung „des Ariers“ aus der geistigen Fiktion in die materielle Form eines mythischen Idealismus. Im Monumentalen der Kunst konnte von den Zeitgenossen eine Gestalt für den Mythos der Herrenrasse gelesen werden. Im Zeitraum zwischen 1933 und 1937 vollzog sich somit die Nationalisierung der „deutschen Kunst“. In den Jahren nach 1933 erfolgte zunächst die Einziehung von

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Grenzen für die Selbstentfaltung der Künstler. Die Handlungsspielräume verliefen in der „freien Kunst“ entlang des ästhetischen Akademismus. Das naturalistische Abbild der sichtbaren Erscheinung wurde zur Norm. Die Berufung des Malers Franz Eichhorst an die „Vereinigten Staatsschulen“ 1935/36 bestätigte den Sieg der ästhetischen Konvention beim Aufbau der „deutschen Kunst“ in der Ausbildung der zukünftigen Künstler. Die gemäßigte Moderne war jedoch noch nicht völlig zurückgedrängt, wie sich an der Präsenz der modernen Künstler, denen „nationale“ Zuverlässigkeit bescheinigt wurde, im Lehrbetrieb, aber auch in der Gestaltungsarbeit für die Zwecke der Dingwelt und in der Architektur zeigte. Zudem blieben führende expressive Künstler wie Emil Nolde auch nach 1933 im privaten Galeriebetrieb und Kunsthandel präsent. Nolde behielt seinen Stellenwert, erzielte sehr hohe Einnahmen aus Verkäufen und machte sich sogar bis in die 1940er Jahre Hoffnungen auf eine Neubewertung und Anerkennung seiner Kunst im nationalsozialistischen Kunstbetrieb.91 Er blieb für Otto Andreas Schreiber ein Bezugskünstler. Radikalmodernistische oder „nicht arische“ Künstler konnten sich dagegen in den öffentlichen Institutionen des Kunstbetriebes im „Dritten Reich“ nicht mehr bewegen. Eine breitere künstlerische Entwicklung im Sinne des erwünschten „Aufblühens“ einer neuen nationalsozialistischen Kunst war jedoch bis 1936/37 kaum zu erkennen.92

Zweite Phase: die repräsentative Form des nationalsozialistischen Kunstbetriebes 1937 gilt als das Schlüsseljahr bei der weiteren Radikalisierung der Kunstpolitik hin zu einem „unerbittlichen Säuberungskrieg“.93 Im März 1937 erschien ein Kampfpamphlet des Malers und nationalsozialistischen Aktivisten Wolf Willrich mit der Forderung, die Grenzen der „arteigenen“ Kunst entschieden durchzusetzen, um den „Kunsttempel“ im Geiste der arischen „Reinheit“ zu säubern.94 Vor dem Hintergrund der geforderten radikalen Säuberungskampagne wurden die Münchner Großereignisse im Juli 1937 mit dem Anspruch organisiert, einen programmatischen Akzent für die künftige „deutsche Kunst“ zu setzen. Der Zeitpunkt ergab sich aus der Fertigstellung des 1933 von Paul Ludwig Troost entworfenen „Hauses der deutschen Kunst“ in München, das, von Spendern aus der deutschen Wirtschaft in einer public-private partnership finanziert, zu einem Symbol des „Aufbauwerks“ des „Führers“ geworden war.95 Darin sollte die Tradition der jährlichen Großen Kunstausstellung im Glaspalast, der 1931 abgebrannt war, auch als eine für die Künstler wichtige Verkaufsausstellung fortgesetzt werden. In der klassizistischen Architektur dieses funktionalen Ausstellungsgebäudes verschmolzen Tradition und Neubeginn, die den Bezug auf die kulturellen Formen antiker Hochkultur für das angestrebte „Großdeutschland“ repräsentieren sollte.

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Im Einladungstext an die „lebenden deutschen Künstler“ vom November 1936 war als Ziel formuliert, ein „möglichst umfassendes und hochwertiges Bild der zeitgenössischen deutschen Kunst (Malerei, Plastik und Graphik)“ zu zeigen, ohne „bestimmte Kunstrichtungen zu bevorzugen, noch andere auszuschließen“.96 Als Auswahlkriterium sollte allein der „künstlerische Wert“ gelten. Wie schwierig dies jedoch de facto in Hinblick auf die Grenzziehungen für die angestrebte „deutsche Kunst“ blieb, zeigte sich in den Wochen vor der Eröffnung in einem Eklat um die erste Auswahl, die die Künstlerjury aus den 25.000 angemeldeten Werken getroffen hatte. Goebbels sah den Arbeitsstand am 5. Juni und hielt in seinem Tagebuch hierzu fest: „Trostlose Beispiele von Kunstbolschewismus werden mir vorgelegt. Jetzt schreite ich aber ein. Die Professoren bei Rust müssen abgesetzt werden. Und ich will in Berlin eine Ausstellung der Kunst der Verfallszeit veranstalten.“97 Hitler reagierte bei einer Besichtigung der Auswahl mit einem Wutausbruch, weil er offenbar seine Vorstellung von einer „neuen und wahren deutschen Kunst“ nicht ausreichend vorzufinden glaubte.98 Er setzte für die erneute Durchsicht und eine Zusammenstellung der Werke in seinem Sinne seinen Vertrauten ein, den Fotografen Heinrich Hoffmann. Neben den schon länger geplanten Eröffnungstermin am 18. Juli 1937 für das Haus der Deutschen Kunst wurde kurzfristig die Inszenierung eines Gegenbildes für den 19. Juli gestellt. 300 Meter entfernt in der unmittelbaren Nachbarschaft, im Gebäude der leer geräumten Gipsabdrucksammlung des Archäologischen Instituts, sollte eine große „Kunstkammer des Schreckens“ entstehen.99 Diese übliche Methode der strategischen Kommunikation beruhte auf dem Kontrast von Positiv und Negativ, von „Aufbauendem“ und „Destruktivem“. Die kulturelle „Erweckung“ Deutschlands seit 1933 sollte demonstrativ dem angeblichen „Kulturverfall“ und „Kunstbolschewismus“ gegenüberstehen.100 Unter der Leitung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, trug eine Kommission aus nationalsozialistischen Kunstexperten in einer nur dreiwöchigen Beschlagnahmungstour durch die Depots der staatlichen und städtischen Museen eilig die Werke zusammen, die von den Kommissionsmitgliedern als „entartet“ betrachtet wurden. Hierdurch sollten die abstrakteren, freieren und individualisierten Formensprachen und damit die Auflösung der abbildenden Form des Akademismus sowie der modernistische Kunstgeschmack diskreditiert werden. Die Große Deutsche Kunstausstellung versammelte schließlich den Status quo des Kunstschaffens in der Perspektive einer gesäuberten „deutschen Kunst“.101 Doch diese blieb dem kulturkonservativen Kunstgeschmack, der von der Kunstproduktion in der Münchner Tradition dominiert wurde, sowie im künstlerischen Akademismus verhaftet.102 Nur ein schmales Segment der ausgestellten Werke ist als politische Kunst im nationalsozialistischen Sinn einzuordnen.103

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In seiner Eröffnungsrede in München formulierte Hitler wiederum grundlegende Ziele, als er die akademisch gebundene Kunst als „Können“ qualifizierte, aber die nationalen Expressionisten abkanzelte: „Sie reden von einer Primitivität der Kunst, und sie vergessen dabei ganz, dass es nicht die Aufgabe der Kunst ist, sich von der Entwicklung des Volkes nach rückwärts zu entfernen, sondern dass es nur ihre Aufgabe sein kann, diese lebendige Entwicklung zu symbolisieren.“104 Die Kunst sollte sich der Symbolisierung der mythischen Kraft des Volkes mit der Inszenierung der idealen Bilder vom Leben in der projektierten Volksgemeinschaft und der „Aufbauleistung“ des Führers widmen. Das positive Bild der Werke, die zur „deutschen Kunst“ gehören sollten, wurde mit den Beispielen der angeblich „entarteten“ künstlerischen Formen kontrastiert, die seit 1933 bereits zunehmend aus dem öffentlichen Kunstleben verbannt worden waren – jedoch noch nicht gänzlich.

18 Ludwig Gies, Christus, 1921; 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ präsentierte auch Kunstprofessoren und ehemalige Studierende, die mit den „Vereinigten Staatsschulen“ verbunden waren. Der Professor für „Kleinplastik“ Ludwig Gies erhielt im Eingangsbereich einen exponierten Platz. Sein expressionistisches Kruzifix von 1921 wurde mit folgender Unterschrift versehen: „‚Christus‘ von Prof. Gies, Berlin. Dieses Schauerwerk hing als Heldenmal im Dom zu Lübeck.“105 Die Holzskulptur zog bereits 1922, während der nur wenigen Wochen ihres Hängens, heftige Kontroversen um den modernen Kunstgeschmack nach sich. Gies hatte dieses Werk in seiner expressionistischen Phase geschaffen. Da er seit 1917 an der „Unterrichtsanstalt“ tätig war, geschah dies während seiner Lehrtätigkeit an dieser Vorgängerinstitution der VS. Von dem bis 1933 lehrenden Maler Karl Hofer wurden zahlreiche Bilder aus den 1920er Jahren, der so genannten Weimarer „Systemzeit“, gezeigt: „Sitzender Akt“, „Schlafende Mädchen“, „Der erwachende Gefangene“, „Tischgesellschaft“, „Insulanerin“, „Zwei Freunde“

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und Weiteres mehr.106 Edwin Scharff, 1933 an den VS beurlaubt und danach in Düsseldorf lehrend, wurde mit den Skulpturen „Pferde an der Tränke“ und „Badende Männer“ einbezogen.107 Von Oskar Schlemmer waren unter anderen die Werke zu sehen: „Wandbild mit fünf Knaben“, „Sinnender“, „Drei Frauen“ und „Abstrakte Komposition in Weiß“.108 Ferner hingen eine Lithografie „Phönix“ und ein Holzschnitt von César Klein in der Femeschau. Auch Ernst Wilhelm Nay, der von 1924 bis 1928 bei Karl Hofer an den 19 Ernst Wilhelm Nay, Fischerboote auf der Ostsee, 1935 VS studiert hatte und danach dessen Meisterschüler war, geriet mit „Fischerbote an der Hafenmole“ (1931) und „Fischerdorf Tejn auf Bornholm“ in diese Auswahl.109 Selbst ein Holzschnitt des Nationalsozialisten Otto Andreas Schreiber wurde einbezogen, obwohl er als Kunstreferent für „Kraft durch Freude“ arbeitete. In der Nähe zum Kruzifix von Gies waren zahlreiche expressionistische Werke von Emil Nolde platziert worden, u. a. die Bildfolge „Leben Christi“ (1911/12).110 Die beachtliche Zahl der mit den „Vereinigten Staatsschulen“ verbundenen, gebrandmarkten Künstler veranschaulicht das liberale Milieu Berlins während der Weimarer Republik. Dagegen wurde lediglich ein Künstler der Münchner „Akademie der bildenden Künste“ als „entartet“ vorgeführt. Karl Caspars religiös-expressive Werke „Auferstehung, Ostern“ (1926), „Drei Frauen am Grab (Ostersonne)“ (1919) sowie „Jakob ringt mit dem Engel“ (1917) bestätigten, wie sehr er im Kollegium der Münchner Kunstakademie eine Sonderstellung eingenommen hatte. Nachdem mit der Münchner Doppelausstellung klare Grenzlinien für die Ausrichtung auf die offizielle „deutsche Kunst“ gezogen waren, schloss sich an diese Veranschaulichung des Leitbildes eine weitere Welle von „Säuberungsaktionen“ an. Wer in der Ausstellung „Entartete Kunst“ öffentlich präsentiert und damit stigmatisiert worden war, für den setzte sich die Exklusion fort. Die noch verbliebenen modernen und „jüdisch versippten“ Künstler wurden aus ihren Lehrämtern an den Kunsthochschulen und aus dem repräsentativen Kunstbetrieb entfernt. Allerdings muss die Ausstellung „Entartete Kunst“ als Teil einer längerfristig betriebenen Radikalisierung der Ausgrenzungen gesehen werden. Dies ergibt sich

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daraus, dass das Ministerium Rust bereits vor den Ausstellungseröffnungen, mit Datum vom 14. Juni 1937, den Direktor der VS Kutschmann aufforderte, Kündigungen der Professoren Gies, Böhm, Raemisch und Vocke zum 31. Dezember des Jahres auszusprechen und die Genannten sofort zu beurlauben.111 Dieser Zeitpunkt liegt unmittelbar nach der Besichtigung der Auswahl für die GDK durch Goebbels in München und seinem Tagebucheintrag, er wolle wegen „Rusts Professoren“ im Ministerium tätig werden. Nun waren von den VS die Maler César Klein und Heinrich Kamps von der „Säuberung“ betroffen. In Düsseldorf galt Edwin Scharff als „nicht mehr tragbar“. Sie alle setzten ihre künstlerische Tätigkeit freiberuflich fort. 1940 wurde Scharff von der Reichskammer der bildenden Künste die weitere berufliche Tätigkeit untersagt, auch mit Hinweis auf die schon 1933 benannten Anschuldigungen. Auf den jährlichen Großen Deutschen Kunstausstellungen zwischen 1937 und 1944 waren die „Vereinigten Staatsschulen“ mit nicht wenigen der neu berufenen wie altgedienten Professoren präsent.112 Für den Maler Franz Eichhorst ist mit 57 Bildern die größte Zahl aller von deutschen Künstlern ausgestellten Werke nachzuweisen. Darunter fallen auch zahlreiche Zeichnungen, die während seiner Tätigkeit als Kriegsmaler im Rahmen der Propagandastaffel entstanden waren. Arno Breker blieb dahinter mit insgesamt 42 Werken nur wenig zurück, die überwiegend an prominenten Standorten in den Ausstellungen gezeigt wurden. 1937 war wiederum sein „Zehnkämpfer“ als programmatisches Werk zu sehen, 1941 und 1944 Porträtbüsten Richard Wagners. Ferner wurden Porträtstudien von Mitgliedern der NS-Elite präsentiert: „Reichsminister Rust“, „Reichsminister Goebbels“, „Frau Bormann“ und „Wilhelm Kreis“.113 Ebenfalls zahlenmäßig eindrucksvoll war der Maler Richard Holst mit immerhin noch 27 Werken vertreten; Hitler erwarb von ihm 1941 das Gemälde „Deutsche Eichen“ und 1942 „Alte Eiche“. Ferner zählten Bormann, Speer und Goebbels zu seinen Käufern. Auch der langjährige Professor an den VS, Fritz Klimsch, passte sich an und erfreute sich mit 18 Werken eines hervorragenden Renommees in der nationalsozialistischen Kunstelite. Ausgestellt von ihm waren 1937 ein „Saemann“ und 1940 „Der Kämpfer“. Hitler kaufte vier Werke, u. a. „Graf Schlieffen“ sowie „Tänzer. Erinnerung an Nisinski“. Daneben erwarben Heß, Bormann und Ribbentrop Werke von ihm. Max Zaeper, kurze Zeit Professor an den VS, konnte 15 Werke ausstellen, von denen Hitler ein Landschaftsbild ankaufte. Paul Wynand bewegte sich mit immerhin sieben Werken im konventionellen Mainstream des nationalsozialistischen Verständnisses von „deutscher Kunst“. Während er in die GDK 1937 mit einem Porträt des Schweizer Bildhauers H. aufgenommen wurde, stellte er dort 1938 eine Statuette von Parzifal, 1943 dann eine Statue dieser zentralen Figur der Mythen Richard Wagners und der „germanischen“ Vorstellungswelt der Germanistik aus. 1943 war er mit „Bewunderung“, „Fechter“ und

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„Stabspringer“ vertreten, 1944 mit „Spaten und Schwert“, allesamt Kernthemen der deutschen „Wehrkraft“. Sein Kollege Otto von Kursell präsentierte das „Bildnis Professor Wynand“ auf der GDK 1942 mit zeittypischen Würdeformen in Öl. Nach dem Tod von Max Kutschmann wurde eine Plakette von Hans Eduard Hanisch-Concée, selbst Professor an der Berliner Kunsthochschule, auf der GDK 1943 ausgestellt, offenbar um des deutschnationalen Künstlers und nationalsozialistischen Direktors der Berliner Kunsthochschule zu gedenken. Diese Zahlen weisen einen hohen Stellenwert der Lehrenden der Berliner Kunsthochschule in der nationalsozialistischen „deutschen Kunst“ aus. Dagegen fiel der zwar kunstpolitisch einflussreiche, aber als Künstler ambivalent kommentierte Maler und Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, mit nur elf gezeigten Werken deutlich ab. Er hatte zwar bei der ersten GDK 1937 mit „Die vier Elemente“ (1936) versucht, eine Art Programmbild für die symbolische Dimension der „deutschen Kunst“ zu platzieren, sein Ansehen blieb aber zwiespältig. Die Spottbezeichnung als „Reichsschamhaarmaler“, die seine präzise Malweise bei Frauenakten karikierte, traf seine pedantische Seite im konventionell-naturalistisch akademischen Stil. Hitler kaufte nur drei seiner Werke. Auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen zeigen sich somit die fließenden Grenzen zwischen der konventionell-akademischen und einer trivialen Malerei von kulturkonservativen Stereotypen. Die Anerkennung der Künstler durch Hitler und die oberste NS-Führung war gerade deshalb von so großer Tragweite, weil dies bei anstehenden Berufungen an die deutschen Kunsthochschulen als maßgebliches Kriterium galt, wer sich im Sinne des Nationalsozialismus für eine Lehrtätigkeit qualifiziert hatte, wie der für die Akademie der Bildenden Künste München zuständige Gauleiter und bayerische Kultusminister Adolph Wagner betonte.114 Dem Willen zur kulturellen Neuausrichtung entsprachen die in die Zukunft weisenden Großprojekte von Hitlers Stararchitekten Albert Speer. Sie erforderten längerfristige Arbeitsphasen von Entwurf, Planung und Realisierung, wozu die Generalbauinspektion eingerichtet wurde. Sie sollten dem angestrebten „tausendjährigen Reich“ eine adäquate ästhetische Gestalt von „ewiger“ Dauer in gehauenem Stein geben. Albert Speer war zeitweise Assistent bei seinem Lehrer, dem Architekten Heinrich Tessenow, an der TH Charlottenburg gewesen, während dieser im Lehrauftrag auch an den VS lehrte und in der Hardenbergstraße ein Atelier hatte. Speer brachte kreative und organisatorische Qualifikationen für diese Aufgaben mit. Bald avancierte er aufgrund eines sich festigenden Vertrauensverhältnisses „zum Führer“ Adolf Hitler zum maßgeblichen Entwerfer und Manager für den „gebauten Nationalsozialismus“. Der Ausbau des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg diente der sichtbaren Verstetigung des demonstrativen Willens der NSDAP zum langfristigen

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Machterhalt.115 In Berlin entwickelte sich mit dem Neubau der Reichskanzlei und dem Umbau zur Welthauptstadt „Germania“ ein gigantisches Kunstprogramm in Größendimensionen, die auf den Fernblick der großen versammelten Volksmassen ausgerichtet waren. Es wurde mit Hitler in den Ideen und ästhetischen Formen beraten, organisatorisch aber von der Generalbauinspektion am Pariser Platz gelenkt.116 Die Ost-West-Achse musste bereits zum 50. Geburtstag des Führers am 20. April 1939 fertiggestellt werden, da sie für „die Formationen“ der aufgerüsteten Wehrmacht als Aufmarschbühne zur Parade vor ihrem „Führer“ und Oberbefehlshaber Adolf Hitler dienen sollte.117 Die Größendimensionen dieser Architektur Albert Speers sollten für die Versammlung der geordneten Massen des deutschen Volkes bei Großereignissen geeignet sein. Die mit dem persönlichen Geschmack Hitlers verbundenen und auf seine Ideen bezogenen Projekte boten ein repräsentatives Experimentierfeld für bereits profilierte Architekten. Als Entsprechung zu dieser Architektursprache „des Größenwahns“ entwickelten sich auch in der Bildhauerei, Malerei und Mosaikenkunst neue Formen des Monumentalismus.118 In dieser Verbindung entstand ein Bedarf an Varianten einer offiziellen „deutschen Kunst“, auf den zahlreiche „arische“ Künstler, in besonders prominenter Weise die Bildhauer Arno Breker und Joseph Thorak, ihre Fähigkeiten ausrichteten. Maler wie Werner Peiner, Herrmann Kaspar und Franz Eichhorst gewannen im Kontext einer architekturbezogenen Kunst den Nimbus von Künstlern des monumental Grenzenlosen, der dem mythischen Bild des erwarteten „Großreiches“ in einem von „arischen“ Deutschen beherrschten Europa entsprach. Die Position Brekers in der Elite des NS-Regimes wurde durch seine Freundschaft mit Albert Speer befestigt. Seit 1938 erhielt er aus der Generalbauinspektion zahlreiche Aufträge. Es wurde zudem unverzüglich mit dem Bau eines Staatsateliers für ihn begonnen, „da die Aufgaben, die Herr Professor Breker für die Neugestaltung Berlins vom Führer bekommen hat, außerordentlich große und dringende sind und eine schnellstmögliche Benutzung des zu erbauenden Ateliers erforderlich machen“.119 Daher sind seine repräsentativen Skulpturen „Die Partei“ (Fackelträger) und „Die Wehrmacht“ (Schwertträger) im Innenhof der Neuen Reichskanzlei als maßgeblicher Ausdruck der offiziellen politischen Ikonographie der NS-Kunst zu verstehen.120 Sie symbolisieren die Säulen der Macht „des Führers“, die militärische Gewalt sowie die Kultur der nationalen „Erweckung“ und „des Geistes“ der NS-Bewegung. Damit nahm Breker die Stellung eines Hofkünstlers Hitlers ein, die durch häufige Besuche auf dem Berghof sowie in der Entourage des siegreichen „größten Feldherrn aller Zeiten“ 1940 in Paris gefestigt wurde.

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Dritte Phase: Kunst im Krieg 1939 war die Berliner Kunsthochschule in „Staatliche Hochschule für bildende Kunst“ umbenannt worden, nachdem Kutschmann das Konzept von Bruno Paul für die „Vereinigten Staatsschulen“ zugunsten des traditionellen Akademiemodells, dem Willen des Ministers entsprechend, ausgelöscht hatte, das schließlich nur noch „freie Künste“ und eine Architekturabteilung umfasste. Damit sollte das Ziel der Berliner Kunsthochschule erfüllt werden, das er darin sah, „die Erzie- 20 Franz Eichhorst, Die gefangenen Bolschewiken von Mogilew, 1942, GDK 1942 hung zur Lösung der Aufgaben [...], die die deutsche Volksgemeinschaft einem deutschen Künstler stellen darf und muss“, sicherzustellen.121 Mit Datum vom 5. Juli 1941 bezeichnete die NSDAP in einer gutachtlichen Stellungnahme den Maler Ludwig Bartning als „politisch unzuverlässig“, da er in Verbindung mit Pastor Martin Niemöller und seinem Kreis in der Bekennenden Kirche stand.122 Der Kriegsbeginn stellte in seinen verschiedenen Stufen, mit dem Angriff der Wehrmacht auf Polen 1939 und dann dem Überfall auf die Sowjetunion 1941, auch für die Künstler eine Zäsur dar. Nun wurden auch sie als Soldaten zum Kriegseinsatz eingezogen, wie beispielsweise Kurt Schumacher. Nur wer auf der so genannten „Gottbegnadetenliste“ stand, galt mit seinen künstlerischen Fähigkeiten als nicht ersetzbar für die kulturelle Zukunft des deutschen Volkes und wurde während des Krieges vom Fronteinsatz freigestellt. Diesen Status erhielten von der Berliner Kunsthochschule Arno Breker und Fritz Klimsch, ferner der ehemalige Direktor einer der Vorgängereinrichtungen der VS, der Hochschule für Bildende Kunst, der Maler Arthur Kampf.123 Einen ähnlich hohen Anteil von Künstlern mit diesem Ausnahmestatus konnte keine andere Institution aufweisen. Daneben gab es die Möglichkeit, in die Propagandastaffeln einzutreten. Als deren Mitglied sollten die Schriftsteller und bildende Künstler den Kriegsverlauf dokumentieren, künstlerisch abbilden und Siegeszuversicht verbreiten.124 Am 8. Februar 1943 stellte die Hochschule eine Liste auf, die die Lehrenden in „entbehrlich“ und „unentbehrlich“ einteilte. Als „entbehrlich“ galten 16 Lehrende, darunter Paul Wynand, als „unentbehrlich“ 26, darunter Gerstel, Holst, Plontke, von Kursell, Breker.125 Die Darstellung des Kriegsverlaufs wurde nun zu einem bedeutsamen „weltanschaulichen“ Segment der „deutschen Kunst“. Hier fand auch ein in ambivalenter Distanz zu Trägern des Regimes stehender Maler wie beispielsweise Heinrich Ehmsen einen Einsatzraum.126 Lothar Günter Buchheim, der nach 1945 als Kunsthändler und Promotor der expressionistischen Kunst hervortrat, war mit seinen

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naturalistischen Darstellungen des U-Bootkriegs, beispielsweise mit „Eichenlaubträger Kapitänleutnant Dr. Endraß“, auch auf den GDKs zu sehen.127 In dieser Funktion setzte der „bewährte“ Kriegsmaler des Ersten Weltkrieges Franz Eichhorst seine zeichnerische und malerische Kompetenz für die Darstellung des Zweiten Weltkrieges und des nationalsozialistischen Weltbildes ein. Bei ihm sind die Muster der Unterscheidung des Nationalsozialismus von Freund und Feind die Grundlage seiner visuellen Darstellung. Der überzeugte Nationalsozialist dokumentierte beispielsweise die in Warschau einmarschierenden deutschen Truppen als eine geordnete Kolonne von berittenen Soldaten. Die „gefangenen Bolschewiken von Mogilev“ erschienen dagegen als eine „Horde“ zusammengetriebener 21 Franz Eichhorst: Studie zum Gemälde „Erinnerung an „Untermenschen“. Ganz anders nähStalingrad“, 1943, Pastellzeichnung erte er sich der Realität „des deutschen Soldaten“ mit einer idealisierenden „Erinnerung an Stalingrad“ von 1943 an. Hier malte er ein Bild des deutschen „Helden“, der „für Führer und Vaterland“ alles gibt, Verwundung erleidet und notfalls aufopferungswillig in den „Heldentod“ geht. Eichhorst veranschaulichte in dieser von Empathie getragenen Darstellung die Perspektive des „Überlebenskampfes“ des deutschen Volkes in der Schlacht um Stalingrad, als zentralen Teil der nationalsozialistischen Weltanschauung. Die grausame Wirklichkeit des Krieges trat bereits 1939, zuerst eher indirekt, in den Erfahrungshorizont der Angehörigen der Berliner Kunsthochschule. Bald legte die Direktion ein „Verzeichnis der gefallenen Studierenden“ an, in dem sich der Kriegsverlauf spiegelte.128 Diese Liste beginnt mit dem Bildhauer Raimund Hübner, der am 16. September 1939 „in Polen“ fiel. Nr. 2 ist der Maler Joachim Hänsel, der im Juni 1940 an der „Aisne“ in Frankreich starb. Als Nr. 15 ließ der Maler Kurt Mücke „vor Moskau“ sein Leben. Die Zählung geht bis Nr. 40, dem Graphiker

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Hans Loening, der am 23. Oktober 1943 „im Osten“ getötet wurde. Es liegen noch weitere drei Zettel mit Gefallenen im Heft, doch die Liste wurde nicht mehr weitergeführt, sei es, weil sich die Bedeutung solcher Aufzeichnungen im Sinn wandelte und, mit der steigenden Zahl, eine nicht gewollte, subversive Seite bekam, oder sei es, weil Kutschmann nicht mehr dafür sorgte. Dieser hatte einen nicht unerheblichen Teil seiner eigenen gestalterischen Arbeit auf die Ausführung von Kriegerdenkmälern und des „Heldengedenkens“ konzentriert. Er starb als – immer noch – kommissarischer Direktor am 1. April 1943. Es dürften nur wenige Mitglieder der Berliner Kunsthochschule gegen den Vernichtungskrieg im Osten sowie der brutalen Besatzungsherrschaft über große Teile Europas kritisch aufgetreten sein, wie Kurt Schumacher und seine Frau Elisabeth oder Oda Schottmüller. Dokumentiert ist nur die Studierende 22 Franz Eichhorst, Erinnerung an Stalingrad, 1943, Öl, GdK 1943 Annemarie Eckardt, geb. Haage, die aufgrund „ihrer beleidigenden Äußerungen gegen Wehrmachtsurlauber“, wie Kutschmann formulierte, vom weiteren Besuch der Berliner Kunsthochschule ausgeschlossen wurde.129 In welchem Grad der Wortlaut dieser „Äußerungen“ politischer Natur war, ist unbekannt. Solche Entscheidungen wurden allen „deutschen Kunsthochschulen“ bekannt gemacht, damit sich der oder die Gemaßregelte nicht an einem anderen Ort immatrikulieren konnte. 1942 wurde das Staatsatelier Arno Brekers in Berlin-Grunewald fertiggestellt.130 Es war das erste einer geplanten Siedlung, die für wichtige Künstler errichtet werden sollte, von denen sich die NS-Führung einen Beitrag für die ästhetische Ausgestaltung der Reichshauptstadt erwartete. Im Unterschied zum kleineren Atelier im Hochschulgebäude Hardenbergstraße konnte Arno Breker hier an seinen monumentalen Großfiguren arbeiten, die der Welthauptstadt des im Eroberungskrieg entstehenden „Großgermanischen Reiches“ eine heroische Ikonographie geben sollten. Dieses Großatelier wurde ihm unentgeltlich „zur Ausführung von künstlerischen Aufträgen anlässlich der Neugestaltung der Reichshauptstadt“ zur Verfügung gestellt, ebenso wie eine „arisierte“ Villa in Berlin-Dahlem. 131 Im November 1942 empfing er dort eine Delegation französischer Künstler, die diese „Visionen deutscher Kunst“ mit nicht eindeutig positiven Gefühlen besichtigten.132 Die eigenen Ateliers und Bildhauerwerkstätten in Wriezen im Oderbruch boten Breker

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einen geschützten Raum. Die meisten baulichen Großprojekte wurden jedoch „bis zum Endsieg“ ausgesetzt. Die Große Deutsche Kunstausstellung fand bis 1944 jährlich als Bühne für das künstlerische Schaffen in Kontinuität statt. Selbst die Vorbereitung der GDK für das Jahr 1945 sollte aus symbolischen Gründen noch Ende 1944 nicht aufgegeben werden, da dies ein Eingeständnis von mangelnder Zuversicht „der Führung“ in die militärische Behauptungskraft des nationalsozialistischen Deutschlands und den Glauben an die neuartige Technik der „Wunderwaffe“ gewesen wäre, die den Kriegsverlauf wenden würde. Nach dem Tod Max Kutschmanns 1943 trat Otto von Kursell im Januar 1944 das Amt des Direktors an. Als das Hochschulgebäude in der Hardenbergstraße im Verlauf des Bombenkriegs auf Berlin 1944 zerstört wurde, verlagerte die Hochschule ihren Betrieb nach Primkenau in Niederschlesien, nicht zuletzt mit dem Ziel der Mobilisierung der letzten Kräfte in der „Propagandaschlacht“. Dort ging der archivalische Bestand von damals aktuellen Verwaltungsakten der Hochschule verloren.

Anmerkungen 1 In der Folge verwende ich für die Berliner Kunsthochschule, die zwischen 1924 und 1939 als „Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ organisiert war, auch die Abkürzung „VS“. 2 Die Angaben zu Studienverläufen beziehen sich in diesem Text ganz überwiegend auf die Datenbank im Archiv der Universität der Künste Berlin. Für das Archiv im Folgenden die Abkürzung UdK-Archiv. 3 Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne, hg. von Rosamunde Neugebauer im Auftrag des Felix-Nussbaum-Hauses Osnabrück, Bramsche 2004, S. 42/43. 4 Ich folge in der Darstellung des Verlaufs Jürgen Trimborn: Arno Breker. Der Künstler und die Macht, Berlin 2011, S. 104; ferner Dietmar Schenk: Felix Nussbaum und Arno Breker in der Villa Massimo 1932/33, in „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen“. Dreihundert Jahre Akademie der Künste/Hochschule der Künste 1696–1996, Berlin 1996, S. 433. 5 Vgl. den Text von Anne Sibylle Schwetter in diesem Band. 6 Zum Vergleich weitere bildhauerische Arbeiten von Joseph Thorak oder Karl Albiker bei Wolfgang Schäche/Norbert Szymanski: Das Reichssportfeld. Architektur im Spannungsfeld von Sport und Macht, Berlin/Brandenburg 2001, S. 99 ff. 7 Bundesarchiv, PK, B65, Parteikanzlei an Generalschatzmeister Berlin 19.8.1940, zit. nach Bernd Kasten: Arno Breker im Dritten Reich, in Rudolf Conrades im Auftrag der Landeshauptstadt Schwerin (Hg.): Der Bildhauer Arno Breker. Zur Diskussion gestellt, 3. Auflage, Schwerin 2006, S. 100, Anm. 8.

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  8 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 659. Sein Gehalt betrug am 15. Januar 1941 jährlich 7502,52 RM, was der Regelvergütung entsprach. Für das Rechnungsjahr 1942 ist ein Jahresgehalt von 7639,32 RM ausgewiesen, UdK-Archiv Best. 8, Nr. 220.   9 Dies, nachdem er sich wenige Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches zum abstrakten Künstler gewendet hatte und damit in der Bundesrepublik reüssierte. Heiliger wohnte und arbeitete bis zu seinem Tode in dem 1942 gebauten Staatsatelier Brekers am Käuzchensteig. Ruthild Hahne wiederum, vom Wintersemester 1936/37 bis Wintersemester 1937/38 Studentin bei Wilhelm Gerstel, setzte ihre Ausbildung in Monumentalbildhauerei bei Breker fort, ging nach 1949 von West- nach Ostberlin, bekam dort ein Staatsatelier und gestaltete monumentale Idole „der Partei“ wie Stalinskulpturen. 10 Er war bereits 1912 als hauptamtlich Lehrender für angewandte Malerei in der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums eingestellt und 1924 in die VS integriert worden. Daten und Dokumente bei Christine Fischer-Defoy, Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin (West) 1988, S. 293. 11 Schreiben von Max Kutschmann an Hans Hinkel mit „Informationen für den kommenden kommissarischen Minister“, Februar 1933. Darin denunziert er nicht nur den amtierenden kommissarischen Direktor der VS Poelzig, sondern auch die Inhaber von Meisterateliers der „Akademie der Künste“ Käthe Kollwitz und Bruno Paul als „extrem links“, abgedruckt in Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 309. 12 Karl Hofer: Faschismus, die dunkle Reaktion!, in 78 Arbeiter, Angestellte, Schriftsteller, Politiker beantworten die Frage: „Wie kämpfen wir gegen ein Drittes Reich?“, Abdruck in Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 306. 13 Vgl. hierzu den Text von Andreas Hüneke in diesem Band. 14 Skizze zum Schreiben an Hans Poelzig, 25.1.1933, in Akademie der Künste/Hochschule der Künste 1996 (wie Anm. 4), S. 462. 15 Vgl. hierzu den Aufsatz von Magdalena Droste in diesem Band. 16 Vgl. Helga Gutbrod (Hg.): Edwin Scharff. „Form muss alles werden“ 1887–1955, Edwin Scharff Museum Neu-Ulm, Köln (o. J.). 17 Zu dieser Seilschaft der Baltendeutschen Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005, S. 60 ff. 18 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 70, Blatt 1300/33. 19 Nachweisung über Veränderungen an den VS, 7.10.1933, UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 62. 20 Ein wichtiges Ergebnis von Stefanie Johnen: Die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in ihrer ersten Phase der nationalsozialistischen Überformung zwischen 1932 und 1937, Diss. phil. Universität der Künste Berlin 2014 (unveröffentlichtes Manuskript). Dort differenzierte Datenbasis. 21 Nach 1933 bis zum Kriegsbeginn wurden zahlreiche Kirchen gebaut. Zu den unterschiedlichen Synthesen zwischen nationalsozialistischer Programmatik und Kirchenkunst, Stefanie Endlich/Monica Geyler-von Bernus/Beate Rossié (Hg.): Christenkreuz und Hakenkreuz. Kirchbau und sakrale Kunst im Nationalsozialismus, Berlin 2008.

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22 Christine Fischer-Defoy: Vom klassischen Akademismus zur Adelung des rassereinen Körpers. Zur figurativen Plastik an den Vereinigten Staatsschulen, in Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 109 ff.; Gerd Brüne: Pathos und Sozialismus. Studien zum plastischen Werk Fritz Cremers (1906–1993), Weimar 2005; Arie Hartog: Struktur und Querschnitt. Wilhelm Gerstel und seine Lehre, in ders.: Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz 2009, S. 146–155. 23 Vgl. hierzu den Aufsatz von Angela Lammert in diesem Buch. 24 Vgl. hierzu den Aufsatz von Gerd Brüne in diesem Band. 25 Daten zu Schumacher auch Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 180–184. 26 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 70, Blatt 646/32. 27 Schilderung in Geertje Andresen: Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin Oda Schottmüller 1905–1943, Berlin 2005, S. 148/149. 28 Schilderung von Paul Fechter in Andresen 2005 (wie Anm. 27), S. 245. 29 Die künstlerische Entwicklung nachzulesen in Andresen 2005 (wie Anm. 27), S. 60–110. 30 Anna-Carola Krausse: Lotte Laserstein (1898–1993). Leben und Werk, Berlin 2006. 31 Vgl. Krausse 2006 (wie Anm. 30), S. 181–201. 32 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 70. 33 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 70. 34 Krausse 2006 (wie Anm. 30), S. 201. 35 Eichhorst wurde 1940 verbeamtet, UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 63. 36 UdK-Archiv, Bestand 16, Nr. 5809. 37 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 194. 38 Niederschrift vom 7.2.1936, UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 154. 39 Vgl. hierzu den Aufsatz von Christine Fischer-Defoy. Ein Überblick über das Werk bei Edward van Voolen (Hg.): Charlotte Salomon. Leben? Oder Theater?, München 2004. 40 Diese „Staatliche Kunstschule“ war eine Vorgängereinrichtung der heutigen „Universität der Künste“, damals jedoch eigenständig. Sie hatte den Auftrag, Kunsterzieher für den Unterricht an Gymnasien auszubilden. 41 Vgl. Michael Wildt: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. 42 Bekanntlich hatte die Wahl zum Reichstag am 5. März 1933, die bereits unter dem Verfolgungsdruck gegen die politische Linke aus KPD und SPD stattfand, die nationale Koalitionsregierung aus NSDAP (43,9 %) und DNVP (8 %) bestätigt. 43 Hier rächte sich die legalistische Reaktion durch den preußischen Innenminister Carl Severing auf den „Preußenschlag“ der rechtsnationalen Regierung Papen im Juli 1932, der die Polizei nicht als Gegenmacht eingesetzt hatte. Vgl. Thomas Mergel: Führer, Volksgemeinschaft und Maschine. Politische Erwartungsstrukturen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus 1018–1936, in Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939, hg. von Wolfgang Hardtwig, Göttingen 2005, S. 115.

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44 Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, hg. vom Zentralinstitut für Zeitgeschichte München, Gesamtleitung Werner Röder, Bd. 2, The Arts, Science and Literature A–K, München 1983. 45 Vgl. den Aufsatz von Maria Derenda in diesem Band. 46 Der amerikanische Politologe Robert Paxton hat dieses Bündnis als Voraussetzung für die Übernahme der Macht durch eine faschistische Bewegung benannt. Robert Paxton: Anatomie des Faschismus, München 2006. 47 Wolfgang Ruppert: Zwischen Führerwille und der Vision der „deutschen Kunst“ in ders./ Christian Fuhrmeister (Hg.): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität. Formen der Künstlerausbildung, Weimar 2007, S. 42. 48 Ruppert, in Ruppert/Fuhrmeister 2007 (wie Anm. 47), S. 41. 49 Zur Berufung Karl Caspars Steffen Krämer: Die Münchner Kunstakademie in den 1920er Jahren, in Ruppert/Fuhrmeister 2007 (wie Anm. 47), S. 31. 50 Diese am Rassekonzept festgemachte Vorstellung galt auch in großen Teilen der Ärzteschaft und im akademischen Bürgertum als „modern“. Hitler folgte diesem Konzept auch in seiner kunstpolitischen Rhetorik. Beispielsweise Hitlerrede Haus der Deutschen Kunst 1937, in Peter-Klaus Schuster (Hg.): Die „Kunststadt“ München 1937. Nationalsozialismus und „Entartete Kunst“, München 1987, S. 246. 51 Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 59. Professor Martin Paatz war seit 1923 Vertragslehrer an der Kunstschule und lehrte „Raumstudien“. 52 Eine Gruppe von nationalsozialistischen Studenten trat in SA-Uniformen auf. Es ist nicht belegt, ob Schreiber persönlich als deren Führer agierte oder die Aktion mitgeplant hat. 53 Abgedruckt bei Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 61. 54 Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 310–313, hier 313. 55 UdK-Archiv, Bestand 9, Nr. 1064. 56 Ralf Georg Reuth: Goebbels. Eine Biographie, München 1995; Stefan Krings: Das Propagandaministerium. Joseph Goebbels und seine Spezialisten, in Lutz Hachtmeister/ Michael Kloft (Hg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München 2005, S. 29–51. 57 Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 69. 58 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 70, Blatt 588/33. 59 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 70. 60 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 70, Blatt 539/33. 61 UdK-Archiv Bestand 8, Nr. 669. 62 Vgl. hierzu auch die Darstellung von Stefanie Johnen in diesem Buch. 63 Duda studierte zwischen SS 1928 und SS 1932 bei dem Maler Paul Plontke. Somit dürfte sich dies mit dessen Studienende überlagert haben. 64 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 48. 65 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 62. 66 Vgl. hierzu den Beitrag von James van Dyke in diesem Band.

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67 Vgl. hierzu Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998, S. 500–513, und ders.: Mit Akademismus und NS-Kunst gegen die ästhetische Moderne. Die späte Öffnung der Akademie der Bildenden Künste zwischen 1918 und 1968, in 200 Jahre Akademie der Bildenden Künste München, hg. von Nikolaus Gerhard/Walter Grasskamp/Florian Matzner, München 2008, S. 76–87. 68 Vgl. Wolfgang Ruppert: „Künstlergestalter“. Widersprüche im Künstlerhabitus am Bauhaus, in Sabine Fastert/Alexis Joachimides/Verena Krieger (Hg.): Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/-innenforschung, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 181–197, hier 196. 69 Krämer in Ruppert/Fuhrmeister 207 (wie Anm. 47), S. 31. 70 Ein wesentliches Motiv für den versuchten Marsch nach Berlin am 9. November 1923 war es, die „rote“ Großstadtkultur in Berlin „auszumerzen“ und nach dem Vorbild der italienischen Faschisten die Macht zu übernehmen. 71 Zu den unterschiedlichen Beteiligten Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im Dritten Reich, hg. von Uwe M. Schneede, Berlin (o. J.), S. 56 ff. 72 Karl Hofer, in Deutsche Allgemeine Zeitung, 13.7.1933, zit. nach Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im Dritten Reich, hg. von Uwe M. Schneede, Berlin (o. J.), S. 57. 73 Vgl. hierzu Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963, S.  66 ff. 74 Brief an seinen Vertrauten Hans Fehr vom 22.7.1933, in ANS, zit. bei Aya Soika/Bernhard Fulda: „Deutscher bis ins tiefste Geheimnis seines Geblüts“. Emil Nolde und die nationalsozialistische Diktatur, in Emil Nolde. Eine Retrospektive, München/London/ New York 2014, S. 48. Nolde scheint hier jedoch auch Max Pechstein als möglichen Kandidaten für den Direktorenposten verhindert zu haben, indem er ihn als Juden bezeichnete. 75 Vgl. den Brief Noldes an den Präsidenten der Akademie Max von Schilling, abgedruckt bei Joseph Wulf: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, hier TB 1966, S. 40. 76 Vgl. weiterführend den Text von Nina Kubowitsch; allgemein Alan E. Steinweis: Art, Ideology and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater and the Visual Arts, Chapel Hill/London 1993. 77 Stefan Germer: Kunst der Nation. Zu einem Versuch, die Avantgarde zu nationalisieren, in Bazon Brock/Achim Preiß (Hg.): Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 21–40, hier 22. 78 Vgl. den Beitrag von Eckhart Gillen in diesem Band. 79 Nach Brenner 1963 (wie Anm. 73), S. 73. 80 Otto Andreas Schreiber: Die „Fabrikausstellungen“ der dreißiger Jahre, in Die Dreißiger Jahre. Schauplatz Deutschland, München 1977, S. 96/97. Schreiber konnte hier seine Sicht retrospektiv darstellen, seine eigene Rolle als Nationalsozialist beschweigen und auf die

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Einbeziehung von Künstlern der nationalen Moderne hinweisen. Auch Dieter Scholz: Otto Andreas Schreiber, die „Kunst der Nation“ und die Fabrikausstellungen, in Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925–1937, hg. von Eugen Blume und Dieter Scholz, Köln 1999, S. 92–108. 81 Stattdessen wurde der Architekt Eugen Hönig der erste Präsident, 1936 der Maler Adolf Ziegler. 82 Als erster Theoretiker eines vermeintlichen Zusammenhangs zwischen den biologischen Anlagen der Rassen und dem „arteigenen“ künstlerischen Ausdruck trat auf: Paul Schultze-Naumburg: Kunst und Rasse, München 1928, der jedoch nach 1933 von Hitler zunehmend ins Abseits gedrängt wurde. 83 Vgl. Stefanie Poley (Hg.): Rollenbilder im Nationalsozialismus – Umgang mit dem Erbe, Bad Honnef 1991. 84 Vgl. den Aufsatz von Magdalena Droste in diesem Buch. 85 Kristina Geipel: Die Volksgemeinschaft, in Poley 1991 (wie Anm. 83), S. 211. 86 Zur Politik und Ästhetik der Körper, vgl. Paula Diehl (Hg.): Körper im Nationalsozialismus. Bilder und Praxen, Paderborn 2005. 87 Vgl. Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 197–204. 88 Es ist bekannt, dass die Integration der modernen Formgebung in die Repräsentation des Nationalsozialismus in den gebrauchsbezogenen Künsten und der Architektur in breiterem Maße erfolgte, vgl. Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung, hg. von Winfried Nerdinger in Zusammenarbeit mit dem BauhausArchiv Berlin, München 1993. 89 Völkischer Beobachter, 14.7.36, zit. nach Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 113. 90 Stephanie Poley: Der Mann als Kulturbringer, in Poley 1991 (wie Anm. 83), S. 71. 91 Vgl. hierzu Bernhard Fulda in diesem Buch. 92 Daher kam der filmästhetischen Arbeit Leni Riefenstahls eine große Bedeutung für das öffentliche Erscheinungsbild des Nationalsozialismus zu. „Triumph des Willens“ (1935) verband kulturelle Leitmuster, Verständlichkeit und künstlerischen Willen. 93 Dieser Begriff in Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung 1937, in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 252. 94 Wolfgang Willrich: Die Säuberung des Kunsttempels. Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art, München 1937. 95 Hans-Joachim Hecker: Mißbrauchtes Mäzenatentum? in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 57. 96 Einladungsschreiben des Hauses der Deutschen Kunst, Abdruck in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 258. 97 Karlheinz Meißner: „München ist ein heißer Boden, aber wir gewinnen ihn allmählich doch.“ Münchner Akademien, Galerien und Museen im Ausstellungsjahr 1937, in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 43. 98 Hitlers Erwartung richtete sich auf eine sichtbare „Wende“ in der „Entwicklung des gesamten deutschen kulturellen Schaffens“, Hitlers Rede in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 242.

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  99 Zur Geschichte dieser Kunstkammern als Agitationsinstrument gegen die Moderne, Christoph Zuschlag: „Entartete Kunst“. Ausstellungsstrategien in Nazi-Deutschland, Worms 1995; ders.: Von „Schreckenskammern“, „Horrorkabinetten“ und „Schandausstellungen“. Die NS-Kampagne gegen „Entartete Kunst“, in Moderne am Pranger. Die NS-Aktion „Entartete Kunst“ vor 75 Jahren. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider: Ausstellungskatalog Aschaffenburg, Bönen 2012, S. 21–31. 100 Im Katalog zur Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden diese Begriffe „des Führers“ aus der Parteitagsrede von 1935 auf S. 28 in ihrer Programmatik betont. Vollständiger Abdruck in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 183–216. 101 Die erste Jury bestand aus neun Künstlern, Ines Schlenker: Die „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ und ihre Auswirkungen auf den nationalsozialistischen Kunstbetrieb, in Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945, im Auftrag des Deutschen Historischen Museums, hg. von Hans-Jörg Czech und Nikola Doll, Dresden 2007, S. 258–297, hier 260; dies.: Hitlers Salon. The Große Deutsche Kunstausstellungen at the Haus der Deutschen Kunst in Munich 1937–1944, 2007. 102 Ruppert 1998 (wie Anm. 67), S. 106 ff. 103 Vgl. die Analyse für GDK 1938, Stephan Klingen/Christian Fuhrmeister: Die „Große Deutsche Kunstausstellung“ 1938. Relektüre und Neubewertung, in 1938. Kunst – Künstler – Politik, hg. von Eva Atlan u. a., Göttingen 2013, S. 189–208. 104 Hitlers Rede in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 250. 105 Die Rekonstruktion der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurde für die Münchner Ausstellung von Mario-Andreas Lüttichau bearbeitet, in Schuster 1987 (wie Anm. 50), S. 120–181. Ich folge hier der leicht ergänzten Fassung in Stefanie Barron: „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, München 1992, S. 51. 106 Barron 1992 (wie Anm. 105), S. 57/58. 107 Barron 1992 (wie Anm. 105), S. 65. 108 Barron 1992 (wie Anm. 105), S. 61, 68, 78. 109 Barron 1992 (wie Anm. 105), S. 69. 110 Barron 1992 (wie Anm. 105), S. 49 ff. 111 UdK-Archiv Bestand 11, Nr. 5798. Um den Übergang abzumildern, erhielten die Genannten zwischen 1938 und 1940 eine Unterstützung in Höhe unterschiedlicher Anteile ihrer bisherigen Bezüge. 112 Ich folge bei diesen Zählungen den Daten, die die Datei gdk-research (Zentralinstitut für Kunstgeschichte/Haus der Kunst München) jeweils zu den Stichworten auswirft. 113 Arno Breker führte diese Kunst bekanntlich nach 1945 in der Bundesrepublik mit zahlreichen Porträts der gesellschaftlichen Elite fort. 114 Wolfgang Ruppert: Zwischen Führerwille und der Vision der „deutschen Kunst“, in Ruppert/Fuhrmeister 2007 (wie Anm. 47), S. 53/54. 115 Siegfried Zelnhefer: Die Reichsparteitage der NSDAP, Nürnberg 2002, S. 77 ff.; zu den Formen der Stilisierung der Orte der nationalsozialistischen Bewegung Sabine

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Behrenbeck: Festarchitektur im Dritten Reich, in Brock/Preiß 1990 (wie Anm. 77), S. 201–252. 116 Wolfgang Schäche: Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945. Planen und Bauen unter der Ägide der Stadtverwaltung; Hans J. Reichardt/Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, überarb. Neuauflage, Berlin 1998; Mythos Germania. Schatten und Spuren der Reichshauptstadt. Ausstellungskatalog. Edition Berliner Unterwelten, Berlin 2012. 117 Vgl. zur Spannung zwischen Ordnung und Emotionalisierung Dieter Bartetzko: Zwischen Zucht und Ekstase. Zur Theatralik von NS-Architektur, Berlin 1985. 118 Vgl. den Aufsatz von Josephine Gabler in diesem Band. 119 Bundesarchiv R 4606/2816, Zörner an Oberbürgermeister, Berlin (3.10.1938), Vermerk Dr. Fränk v. 15.7.1938, zit. bei Kasten, in Conrades 2006 (wie Anm. 6), S. 87/88. 120 Eine empirische Bestandsaufnahme Angela Schönberger: Die neue Reichskanzlei von Albert Speer. Zum Zusammenhang von nationalsozialistischer Ideologie und Architektur, Berlin 1981. 121 Max Kutschmann: Die Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst, in Berliner Hochschulführer, WS 1934/35, S. 61. 122 Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 10), S. 272. 123 Liste der „unersetzlichen Künstler“, abgedruckt in Reinhard Merker: Die bildenden Künste im Nationalsozialismus. Kulturideologie – Kulturpolitik – Kulturproduktion, Köln 1983, S. 167. Von der Münchner Kunstakademie war nur Josef Thorak aufgeführt; Oliver Rathkolb: Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich, Wien 1991. 124 Wolfgang Schmidt: Die Mobilisierung der Künste für den Krieg: Maler in Uniform, in Kunst und Propaganda (wie Anm. 101), S. 284–297. 125 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 311. 126 Cara Schweitzer: Henrich Ehmsen, in Atlan 2013 (wie Anm. 103), S. 227–240. Ehmsen war 1945 führend an der antifaschistischen Neugründung der Berliner Kunsthochschule und der Gewinnung Karl Hofers als Direktor beteiligt. 127 Grosse Deutsche Kunstausstellung 1942 im Haus der Deutschen Kunst zu München, Juli bis auf Weiteres, offizieller Ausstellungskatalog, S. 50. 128 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 267. 129 An alle deutschen Kunsthochschulen, 12.3.1942, UdK-Archiv, Bestand 9, Nr.1066. 130 Nikola Doll: Das Staatsatelier Arno Breker. Bau- und Nutzungsgeschichte 1938–45, Berlin 2014. 131 Bundesarchiv, R 4606/4574, Generalinspektor für die Bebauung der Reichshauptstadt (GBI), Baugeschichte Staatsatelier Käuzchensteig 12 (7.3.1942), R 4606/4434, Vertrag vom 24.6.1942, zit. nach Kasten in Conrades 2006 (wie Anm. 6), S. 88. 132 Despiau zit. nach Trimborn 2007 (wie Anm. 3), S. 296.

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Nina Kubowitsch

Die Reichskammer der bildenden Künste. Grenzsetzungen in der künstlerischen Freiheit

„Durch das Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 erhielt das gesamte kulturelle Leben in Deutschland seine organisatorische Grundlage. Der Staat erteilte damit den kulturell schaffenden Volksgenossen Rechte und Pflichten. Auch der bildende Künstler wurde durch diesen Gesetzesakt als vollwertiges Glied der Nation einbezogen in die große Aufbauarbeit. Auf Grund dieses Gesetzes wurde die Reichskammer der bildenden Künste errichtet.“1 So heißt es 1935 in einem Vorwort der Zeitschrift „Die Kunstkammer“. Man kann davon ausgehen, dass ein jeder Künstler, der im nationalsozialistischen Deutschland tätig war, mit der Reichskammer der bildenden Künste (RdbK) in Berührung kam. Diese war eine von sieben Einzelkammern der Reichskulturkammer (RKK),2 welche wiederum dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda untergeordnet war.3 Joseph Goebbels war als Propagandaminister in Personalunion auch Präsident der Reichskulturkammer und formulierte deren Ziele im November 1933 wie folgt: „Nicht einengen wollen wir die künstlerisch-kulturelle Entwicklung, sondern fördern. Der Staat will seine schützende Hand darüber halten; die deutschen Künstler sollen sich unter seinem Patronat geborgen fühlen und das beglückende Gefühl zurückgewinnen, dass sie im Staate ebenso unentbehrlich sind wie die, die die Werte seines materiellen Daseins schaffen.“4 Und so steht es auch in der „Anordnung betr. Aufbau und Organisation“ der Kammer, dass es zu den Aufgaben gehöre, „die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der ihnen [den Landesleitungen der RdbK] unterstellten Tätigkeitsgruppen [...] zu regeln“5. Im historischen Kontext muten diese Zitate zutiefst zynisch an. Und auch in der Literatur liest man in Verbindung mit der Kammer meist von Mal- und Berufsverboten. Doch konnte es einer kurzfristig errichteten und nur wenige Jahre agierenden Behörde überhaupt gelingen, flächendeckend ihre Interessen zu verfolgen und Ziele zu verwirklichen? Quellen belegen, dass die Kammer weit hinter den eigenen Erwartungen zurücklag und durch ständige Änderungen der Gesetze und Erlasse versuchte, dem politischen Druck gerecht zu werden. Es bleibt zu fragen, wie lange die Einordnung der Kammer als totalitäre Institution überhaupt noch aufrechterhalten werden kann. Bezug

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nehmend auf unser Thema „Grenzsetzungen in der künstlerischen Freiheit“ ist dies eine spannende Frage.6 Im Folgenden möchte ich anhand ausgewählter Quellen einen Einblick in das „alltägliche“ Leben zwischen Anträgen und Behördengängen von Künstlern im Nationalsozialismus gewähren. Der vorliegende Text stützt sich vornehmlich auf Quellen des erhaltenen Aktenbestandes der Berliner Landesleitung der Reichskammer der bildenden Künste aus dem Berliner Landesarchiv.7 Hier sind neben internen Dokumenten der Behörde über 10.000 Personalakten der Mitglieder erhalten, die in ihrer Gesamtheit und Vielschichtigkeit den Blick für eine differenzierte Wahrnehmung der Kammer schärfen. Als zentrales Organ der Kunst- und Künstlerverwaltung fanden die Reichskulturkammer und die Reichskammer der bildenden Künste seit jeher Beachtung in den Untersuchungen zur Kunst- und Kulturpolitik der Nationalsozialisten. Hiervon möchte ich an dieser Stelle vier Autoren mit ihren grundlegenden Betrachtungen hervorheben. Volker Dahm stellte 1986 die „Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer“8 in den „Vierteljahresheften für Zeitgeschichte“ vor, 2004 widmete er sich in „Künstler als Funktionäre. Das Propagandaministerium und die Reichskulturkammer“ dem Personal der Kammern.9 1990 promovierte der Jurist Uwe Julius Faustmann zu Aufbau, Funktion und rechtlichen Grundlagen der Reichskulturkammer.10 Wenig später erschien die Dissertation „Art, Ideology, and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts“11 des amerikanischen Historikers Alan E. Steinweis. Eine umfassende Untersuchung zur Gründungsgeschichte der Reichskulturkammer wurde 2009 von Bärbel Schrader vorgelegt.12, 13

Aufnahme und Ausschluss Karl Friedrich Schrieber, ein führender Jurist aus der Reichskulturkammer, schrieb in seinem Buch über „Organisation und Ziele der deutschen Kulturpolitik“ 1934: „Die Mitgliedschaft zur Reichskulturkammer beruht, wie schon gesagt, nicht auf freiwilligem Entschluß, sondern auf gesetzlichem Zwang. Sie ist deshalb ‚künftig die Voraussetzung der Berufsausübung‘ (Zweite Durchführungsverordnung vom 9. November 1933 – Reichsgesetzblatt Teil I, S. 965).“14 Das hieß beispielsweise für einen Maler, dass er, um Aufträge anzunehmen, an Wettbewerben teilzunehmen, um Ausstellungen zu beschicken, gar um überhaupt Arbeitsmaterialien bis hin zu Pinsel und Leinwand zu beziehen, eine Mitgliedschaft in der Kammer nachweisen musste. Doch in der Kammer wurden nicht nur die prominenten Gattungen der Malerei, Bildhauerei und Architektur vereint, sondern auch „alle mit der Wiedergabe, der geistigen und technischen Verarbeitung, der Verbreitung, der Erhaltung, dem Absatz oder der Vermittlung des Absatzes von Kulturgut mitwirkenden Kräfte

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zusammengefaßt“.15 Und so zählten zu ihren Mitgliedern Architekten, Gartengestalter, Maler und Graphiker, Bildhauer, Gebrauchsgraphiker, Gebrauchswerber, Kunsthandwerker, Entwerfer und Raumausstatter, Kopisten und Restauratoren, Kunst- und Antiquitätenhändler, Kunstverleger und Kunstblatthändler, Gebrauchsund Werbekunstmittler, Künstler- und Kunstvereine, Vereine für Kunsthandwerk, die Evangelische Reichsgemeinschaft christlicher Kunst, Katholische Reichsgemeinschaft christlicher Kunst sowie Anstalten der bildenden Künste.16 Dem Anspruch, das Spektrum all jener Berufsgruppen zu fassen, ging Goebbels Konkurrenz zu gleich mehreren Protagonisten des Nationalsozialismus voraus. Unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 meldeten sowohl die beiden Minister Wilhelm Frick und Hermann Göring als auch der Gründer des Kampfbundes für deutsche Kultur Alfred Rosenberg und Robert Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Interesse an, am kulturellen Aufbau eines nationalsozialistischen Deutschlands mitzuwirken.17 Aus diesem Grund wollte Goebbels die Zuschreibung dieses Ressorts manifestieren, indem er die Errichtung seiner Reichskulturkammer schnell vorantrieb. Hierzu ließ er bestehende und bereits gleichgeschaltete Fachverbände der einzelnen Berufssparten mitsamt ihrer Mitglieder in der neu gegründeten Reichskulturkammer aufgehen. So wurden mit dem 15. Dezember 1933 alle bis dato in 16 Verbänden organisierten Künstler offizielle Mitglieder der Reichskammer der bildenden Künstler. Dahm fasst zusammen, dass der Aufbau der Kammer „ohne große bürokratische Anstrengung, ohne die Ausgabe und Prüfung von Personalfragebögen, ohne das Anlegen von Karteien u. ä. einfach durch Antrag und Dekret“ geschah.18 Auf einen „Arierparagraphen“ wurde zunächst verzichtet, wodurch auch Juden zunächst in die Kammer aufgenommen wurden. Doch dies sei, betont Dahm, kein Anzeichen dafür, dass „weiterhin Maßstäbe einer zivilisierten Gesellschaft gelten sollten“. Vielmehr seien es Goebbels „massive volkswirtschaftliche Notwendigkeiten und das machtpolitische Bedürfnis Goebbels’, durch einen schlagartigen organisatorischen Auftritt der Reichskulturkammer irreversible Tatsachen zu schaffen“.19 Auch nach Schrader stand es für Goebbels im Vordergrund, „den gesamten Kulturbereich erst einmal unter seinem Ministerium zu monopolisieren“ und zunächst „zu einer umfassenden Bestandsaufnahme des gesamten Personals zu kommen, ehe man gezielt auf die Erfordernisse des Kunstbetriebs abwägend gegen jüdische und politisch belastete Kulturschaffende vorgehen konnte“.20 Dieser korporative Aufnahmeprozess galt erst knapp zwei Jahre später als vollendet. Im September 1935 würdigte der Geschäftsführer der Reichskulturkammer, Franz Moraller, die bis dahin geleistete Arbeit in einer Presseansprache: „Aber noch ist das Werk nicht zu Ende. Bei jeder Einschmelzung bildet sich an der Oberfläche der flüssigen Masse eine raue Schicht. Die Schlacke. Die muß man abheben, wenn man einen einwandfreien Guß erzielen will. Wenn man uns heute

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fragt: Was ist in der Reichskulturkammer los?, dann darf man ruhig wissen: Wir heben die Schlacke ab! Das ist in jeder Gießerei so, ein alltäglicher Vorgang; und es bedeutet weder einen ‚Grund zu Beunruhigung‘ noch eine ‚Krise‘, noch stellt es einen ‚neuen Kurs‘ dar. Das zur Information der ‚Gutinformierten‘.“21 Das hier als „Abheben der Schlacke“ bezeichnete Aussortieren der Mitglieder sollte durch ein komplexes Aufnahmeverfahren gewährleistet werden. Seit dem Frühjahr 1934 wurde durch das Erheben eines ständig erweiterten Fragebogens und zunächst eingeforderte Arbeitsproben die politische Zuverlässigkeit und fachliche Eignung geprüft. Die Mitglieder mussten diese ausgefüllt und mit beigelegten Arbeitsproben an ihre jeweilige Landesleitung zurücksenden. Dort nahm ein komplexes Aufnahme-/Ausschlussverfahren seinen Lauf: Zunächst prüfte der Landesleiter „unter Hinzuziehung seiner Fachberatung Person und Leistung des Antragstellers auf Zuverlässigkeit und Eignung“.22 Wurde dabei festgestellt, dass „der Antragsteller die für die Ausübung seiner kammerpflichtigen Tätigkeit erforderliche Eignung nicht besitzt, insbesondere die Unterlagen keine eigenschöpferische Gestaltungskraft erkennen lassen“, so wurde dies dem Antragsteller in einem so genannten „Vorentscheid“ mitgeteilt, jedoch mit der Chance verbunden, „innerhalb einer Frist weitere Unterlagen zum Nachweis gestalterischer Fähigkeit nachzureichen.“23 Diese Vorprüfung wurde dem Kammerpräsidenten in einem schriftlichen Gutachten zugesandt, wonach dieser dann über Annahme oder Ablehnung entschied. In letzterem Fall wurde zusätzlich noch ein vom Präsidenten berufener Ausschuss angehört, der endgültig für oder gegen den Künstler entschied.24

„Politische und moralische Zuverlässigkeit“ Da sich, wie Schrader erläutert, weder die Juristen des RMVP noch die Rassentheoretiker der Partei 1934 zu einer einheitlichen Vorgehensweise bezüglich der „Judenfrage“ durchgerungen hatten, waren die Kammern, was die Gestaltung eines Fragebogens anging, zunächst auf sich allein gestellt.25 Die innerhalb der Reichskulturkammer gestalteten Fragebögen unterschieden sich je nach Fachbereich. Die Reichskammer der bildenden Künste führte den Fragebogen des Reichskartells der bildenden Künste fort, welches einer der Verbände war, die im Dezember in der Kammer aufgingen. Wie am Beispiel des Fragebogens des Bildhauers Joachim Karsch zu sehen ist, wurden Informationen zu Berufsausbildung, fachliche Auszeichnungen, Angehörigkeit zur Künstlervereinigungen, ob bereits Kunstwerke öffentlich ausgestellt seien oder nach öffentlichen Aufträgen geschaffen wurde, verlangt.26 Ferner wurde nach der Religion und in Klammern auch nach früheren Religionszugehörigkeiten gefragt. Darunter kam die Frage, ob man arischer Abstammung sei, was man mit „ja“ oder „nein“ beantworten konnte, und ob man

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1 Fragebogen der Reichskammer der bildenden Künste von Joachim Karsch, ausgefüllt am 24. November 1937, in RdbK Personalakte Joachim Karsch

ein Mitglied der NSDAP sei, wenn ja, seit wann und unter welcher Nummer. Wie bereits oben erwähnt, wurden Juden zunächst nicht per Gesetz aus der Kammer ausgeschlossen, doch baute Schrieber 1934 in seiner Abhandlung über „Organisation und Ziele deutscher Kulturpolitik“ bereits vor, denn „[b]ei Fremdstämmigen [„Nichtariern“ und Ausländern] liegt es aber im Sinne des Gesetzes, wenn an Zuverlässigkeit und Eignung besonders strenge Anforderungen gestellt werden, denn sie sind allgemein nicht als geeignete Träger und Verwalter deutschen Kulturguts zu betrachten“.27 So wurden die Fragebögen auch bald um Abstammungsnachweise erweitert, die bis hin zu Taufnachweisen der Großeltern eines Mitgliedes reichten.28 Schrader betont, dass im Zuge der Auswertung „sofort Berufsverbote verfügt [wurden], wenn die jüdische Herkunft des Antragstellers eindeutig erwiesen war oder trotz noch fehlender urkundlicher Beweise als sicher angenommen werden konnte“. Sie beschreibt, wie Goebbels ab 1935 nach immer lauter werdender Kritik, vor allem aus Kreisen seines Konkurrenten Alfred Rosenberg, die Judenpolitik in der Reichskulturkammer „als ein taktisches Manöver zum Zweck des eigenen Machterhalts“

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2 Abstammungsnachweis der RdbK von Joachim Karsch, in RdbK Personalakte Joachim Karsch

wesentlich verschärfte: „Als Goebbels klar wurde, dass der ungestörte Fortbestand der Kulturkammer am seidenen Faden seiner ‚Judenpolitik‘ hing, war er sofort bereit, allein zu diesem Zweck Tausenden von Menschen ihre Existenz zu nehmen.“ 29 Doch in der Berliner Landesleitung läuft die Auswertung der Fragebögen schleppend voran, die Mitglieder beschweren sich über die Ausweitung der Nachweispflicht, wie es in einem Bericht aus der Abteilung „Abstammungsnachweise“ heißt: „Den sich ständig mehrenden Besuchern bei dem Sachbearbeiter für Abstammungsnachweise [...] ist es nicht verständlich, dass kammerseitig auf Beibringung der Taufscheine bei den Grosseltern bestanden wird, wogegen sich alle anderen Stellen und auch die Partei mit der Angabe der Konfession an Hand der Trau- oder Sterberegister begnügen.“30 Erst zum 1. Juli 1937 begann die Landesleitung, fehlende „Ariernachweise“ einzufordern. Und so haben im August 1937, zu einem Zeitpunkt, als bereits 7646 Mitglieder in Berlin erfasst waren und parallel noch hunderte Aufnahmeverfahren liefen, erst ca. 100 Mitglieder den Nachweis „einwandfrei erbracht“. Über

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800 Vorgänge befanden sich zwar in Bearbeitung, diese seien aber wegen der „meist unvollständigen“ Urkunden und dem daraus folgenden Schriftwechsel sehr müßig.31 Parallel zu den erbrachten Nachweisen wurden zudem Auskünfte von „der Partei, Amtsstellen und zuverlässigen Kammermitgliedern“ eingeholt.32 Vorsicht ließ die Berliner Landesleitung vor allem bei den Kunsthändlern, -verlegern und -versteigerern walten, deren Anträge müssten mit „besonderer Sorgfalt“ geprüft werden, „da es sich nicht selten um die Tarnung eines jüdischen Geschäfts handelt“.33 Zwei Jahre später, 1939, begann die Kammer dann Mitglieder, die ihre Unterlagen nicht vollständig einreichten, auszuschließen.34 Für das Jahr 1937 sind Zahlen überliefert, wonach in der Reichskammer der bildenden Künste 156 jüdische Mitglieder erfasst waren, darunter 135 „Volljuden“, die meisten unter ihnen Kunsthändler, Kunstverleger und Antiquitätenhändler.35 Um die Reichskulturkammer nach außen hin dennoch als „judenrein“ zu präsentieren, nutzte die Kammer einen „formalen Trick“36. Künftig wurden alle „Nichtarier“ der Kammer über das Büro Hans Hinkels geführt und verschwanden somit aus den offiziellen Mitgliederlisten der Kammern.37 Der Geschäftsführer der Reichskulturkammer Hans Hinkel wurde 1935 als Ministerialbeamter des Propagandaministeriums mit der so genannten „Judenfrage“ betraut. 1938 konkretisierte sich dann der Ausschluss bzw. die Aufnahme von Juden in der Reichskulturkammer. Hiernach seien künftig „Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze“ grundsätzlich aus der Kammer auszuschließen. „Halbjuden“ durften nur in „besonderen Einzelfällen und nur mit meiner persönlichen ausdrücklichen Genehmigung“ in der Kammer bleiben. „Vierteljuden“ dürften weiterhin als Mitglieder geführt werden, es sei denn, „dass sie sich gegen den Staat oder den Nationalsozialismus vergangen oder sonst beweisen, dass sie dem Judentum zuneigen“. Mitglieder, die mit einer Jüdin verheiratet waren, sollten als „Halbjuden“, und diejenigen, die mit einer „Halbjüdin“ verheiratet waren, als „Vierteljuden“ behandelt werden.“38 Die „Judenpolitik“ der Kammer kann hier nur in kurzer Form angerissen werden. Ob es dort, wie in anderen Kammern ebenfalls, „Sondergenehmigungen“ für jüdische Künstler gab, wer diese waren und welches Schicksal die von der Kammer Ausgeschlossenen erfuhren, muss noch weiter erforscht werden. Ebenso die Verfolgungsgeschichten von Homosexuellen, Sinti und Roma, die ebenfalls Opfer des § 10 wurden.39

„Fachliche Eignung“ Über die politische und rassische Zuverlässigkeit hinaus war es das Ansinnen des ersten Kammerpräsidenten, des Architekten Eugen Hönig, in der Kammer nur die „begnadetsten“ Künstler zu vereinen. So forderte er, den Fragebögen Arbeitsproben beizulegen, nach welchen entschieden wurde, ob der Antragsteller über die er-

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forderliche Gestaltungskraft verfüge oder nicht. Für den Berliner Architekten Fritz Richter beispielsweise wurde nach deren Sichtung ablehnend entschieden. In einem Einschreiben des Kammerpräsidenten heißt es für ihn: „Die von Ihnen eingereichte und auf Grund meines Vorentscheides ergänzten Unterlagen zeigen eine rein technische oder mechanische Bearbeitung der Aufgaben und entbehren jenes Mindestmaßes von gestalterischer Begabung, die zur Aufnahme unerlässlich ist.“40 Er wurde folglich aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und konnte somit nicht mehr als Architekt tätig sein. Doch unterband Goebbels im Herbst 1935 die Prüfung der fachlichen Eignung. In einer öffentlichen Rede zur Jahrestagung der Reichskulturkammer erläutert er die vornehmlich mäzenatischen Gründe: „Es ist nicht möglich, den Eintritt in die Reichskulturkammer im Einzelnen 3 Einschreiben des Präsidenten der RdbK, gez. Hönig an von einem Befähigungsnachweis abFritz Richter, 1. August 1935, in RdbK Personalakte Fritz hängig zu machen; denn auch die BefäRichter higung müsste wieder von Menschen überprüft werden. Menschen aber sind dem Irrtum unterworfen, und Kurzsichtigkeit, Neid oder Eifersucht könnten allzu leicht doch einmal ein kommendes Genie zwar aus der Kammer ausschliessen, nicht aber daran hindern, seinen Namen unsterblich zu machen.“41 So nimmt auch Hönig nach einer Aussprache mit Goebbels von seiner bisherigen Methode Abstand: Künftig sei die „künstlerische Gestaltungskraft [...] unbeachtlich“, heißt es in einem Rundschreiben an die Landesleiter seiner Kammer.42 Nicht ganz so wohlwollend klingen die von Hönig hierin zitierten Gründe von Goebbels: So sei beim Aufbau der Kammern von der „Totalität des Berufsstandes auszugehen und daher grundsätzlich jeder zu erfassen, der den Beruf ausübt“. Das eigentliche Ziel dessen sei, nicht wie zuvor gelesen, die mögliche Missachtung eines Genies, sondern: „Jeder Berufsangehörige wird dadurch den Anordnungen der Kammer unterworfen, untersteht der Aufsicht und Disziplinargewalt und wird an

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die für die Berufsangehörigen geltenden Berufsgrundsätze und Pflichten gebunden.“43 Womöglich ging dem Richtungswechsel eine Klage voraus, auf welche in einem amerikanischen Verhörprotokoll mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Kammer verwiesen wird. Hiernach sollen von 17.000 Architekten 6.000 wegen mangelnder Gestaltungskraft abgewiesen worden sein, unter ihnen auch alte Parteimitglieder, die einen Gang, angeblich bis zu Hitler, nicht scheuten.44 Ganz verabschieden konnte sich Hönig jedoch noch nicht von der Qualitätskontrolle der Kammermitglieder. Und so führte er eine interne Bewertung der Künstler nach A, B und C ein, um dem gesetzlich formulierten Ziel der Kammer, der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk und Reich, nachzukommen: „Unter A sind die künstlerischen Gestalter zu verstehen, unter B solche, bei denen zwar Gestaltungskraft vorhanden, aber nicht sicher ist und unter C solche, die keine Gestalter sind.“ Um die Prädikate aber flexibel zu gestalten, seien die Leistungen der Mitglieder „dauernd zu überwachen“. Schließlich sollten aus der Gruppe A die „Meister der bildenden Künste“ berufen werden, deren Aufgabe es sein werde, „bei der Ausbildung des Nachwuchses besonders mitzuwirken“.45 Doch wie weit die Kontrolle durch die Reichskammer der bildenden Künste überhaupt reichte, ist bislang ungewiss. Als Tatsache kann jedoch betrachtet werden, dass die Mitarbeiter der Landesstellen, die mit der Überprüfung der Unzuverlässigen und der Durchführung der Berufsüberwachung betraut waren, schwer überlastet waren. In einem Arbeitsbericht des Monats Juli 1937 ist nachzulesen, dass sich in den einzelnen Fachgruppen der Berliner Landesleitungen ein erheblicher Rückstau von hunderten Aufnahmeanträgen angesammelt hatte.46 Als Grund wurde stets die besonders sorgfältige Prüfung der Anträge angeführt. Vor allem das Sachgebiet III, Architekten, Innenraumgestalter und Gartengestalter, hinkte ihrer eigentlichen Arbeit nach. Der Sachbearbeiter gibt an, dass die „Ermittlungen für die ordnungsgemässe Aufnahme“ bei 800 Anträgen noch nicht abgeschlossen sei. Für die meisten Antragsteller müsse er Rückfragen bei verschiedenen Verbänden, wie der Baugewerksinnung, der Zimmererinnung, den Gruppen für Bauindustrie, Holz- und Baustoffhandel oder der Fachgruppe der Grundstücks- und Hypothekenmakler stellen. Ferner gingen monatlich etwa 300 Meldungen der Baupolizei über nichtgekennzeichnete Pläne ein, welche mit „umfangreichen Ermittlungen“ einhergingen. Es müsse nämlich geprüft werden, ob diese von Mitgliedern, Abgelehnten oder Unzuverlässigen stammten. Der Sachbearbeiter hoffe hier auf einen künftigen Einsatz von Kreisvertrauensleuten und Kreisarchitekten, die seine Abteilung bei der Durchführung der Berufsüberwachung und der Kontrolle der Unzuverlässigen unterstütze. Eine solche „Fühlungnahme“ Externer mit den Mitgliedern der Kammer wurde bereits 1935 vom Landesleiter angedacht. Er beschreibt deren Einsatz in einem Brief an den Präsidenten der Kammer wie folgt:

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„Diese [Verbindungsleute] habe ich für die einzelne [sic!] Fachgruppen bereits bestellt und werde sie für die anderen noch bestellen. In den verschiedenen Stadtbezirken Gross-Berlins werden zuverlässige Mitglieder aus den einzelnen Fachgruppen als Verbindungsleute eingesetzt. Sie erhalten eine Liste der in ihrem Bezirk wohnhaften Mitglieder ausgehändigt, Sie werden von mir bezw. von dem betr. Fachreferenten über den Aufbau und die Aufgabe der Kammer unterrichtet, so daß sie in der Lage sind, den Fachgenossen eine einfache Auskunft (z. B. über die Verpflichtung zur Mitgliedschaft, zur Beitragszahlung usw.) zu erteilen. An Hand der Liste sollen sie diesen oder jenen Fachgenossen ihres Bezirkes aufsuchen und dann dem Fachreferenten Wünsche, Anregungen, Beschwerden usw. der Mitglieder vortragen. Sie sollen aber auch den Fachreferenten unterstützen, indem sie einfache Ermittlungen, wenn sie an Ort und Stelle erforderlich werden, vornehmen. An bestimmten Tagen werden Verbindungsleute in der Landesleitung zusammenkommen und über ihre Arbeit berichten.“47 Wie weit der Einsatz dieser Verbindungsleute reichte und wie fruchtbar er letztlich für die Kammer war, ist noch unklar. Jedoch möchte ich auf ein Künstlerschicksal verweisen, bei dem es einem Architekten gelang, der Aufmerksamkeit der Kammer, zumindest für einige Jahre, zu entgehen. Der 1881 in Dresden geborene Architekt Willibald Rämisch, ausgebildet an der Staatsbauschule und der Technischen Hochschule, der nach einem langen Russlandaufenthalt seit 1919 als selbstständiger Architekt in Berlin tätig war, wurde im August 1937 aus bislang unbekannten Gründen aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. Rämisch legte Beschwerde gegen diesen Bescheid ein, über den der Präsident der Reichskulturkammer ablehnend entschied. Daher, so heißt es in einem Einschreiben, sei Rämisch „[...] nicht mehr berechtigt, den Beruf als Architekten auszuüben. Ich ersuche das Mitgliedsbuch umgehend an mich zurückzusenden“.48 Im Vorfeld wurde bereits die Baupolizei der Stadt Berlin und am gleichen Tag die Staatspolizeistelle Berlin informiert und gebeten, dieses Berufsverbot künftig zu überwachen.49 Auch der Arbeitgeber Rämischs, der Architekt Karl Mackensen, wurde angeschrieben und zur Beschäftigung befragt, darin heißt es: „Er [Willibald Rämisch] ist daher nicht berechtigt, den Beruf als Architekt auszuüben. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Architektentätigkeit freiberuflich oder als Angestellter ausgeübt wird. Ich ersuche, mir innerhalb von 10 Tagen mitzuteilen, warum Sie Herrn Rämisch als Architekten beschäftigen, obwohl Ihnen die Tatsache seines Ausschlusses aus meiner Kammer bekannt ist.“50 Mackensen antwortete, dass Rämisch zwar in dessen Büro beschäftigt sei, dort aber keine kammerpflichtigen Aufgaben ausführe.51 Glaubt man dem Aktenbestand, scheint Rämisch die kommenden Jahre unbeobachtet von der Kammer seiner Beschäftigung nachgegangen zu sein. Denn erst im Januar 1944 – also sechs Jahre später – schien die Landesleitung diesbezüglich wieder aktiv zu werden, nachdem

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sie vom Amt für Technik des Wehrkreisbeauftragten des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion auf den Ausgeschlossenen aufmerksam gemacht wurden: „Gelegentlich meiner Überprüfung verschiedener Architekten wurde festgestellt, dass der Architekt Ernst Willibald Rämisch [...] nicht Mitglied der Reichskammer ist. Er übt seinen Beruf als freischaffender Architekt aus ohne die Zugehörigkeit zu einer berufsständigen Organisation zu besitzen. Ich bitte um weitere Veranlassung.“52 Offenbar trat die Reichskammer der bildenden 4 Einschreiben des Präsidenten der Künste darauf hin mit dem Architekten Rämisch in RdbK, i.A. gez. Hoffmann an Willibald Rämisch, 7. März 1938, in RdbK Verbindung, denn dieser reichte am 1. August 1944 einen Personalakte Willibald Rämisch Aufnahmeantrag bei der Kammer ein. Hierin gibt er an, selbstständig tätig und seit Beginn des Jahres bei der Fliegerschädenbeseitigung beschäftigt zu sein. Und tatsächlich wird Rämisch noch im gleichen Monat rückwirkend zum 1. April 1940 – zwar unter Vorbehalt einer späteren Nachprüfung – in die Kammer eingegliedert.53 Nachdem über die Gründe des Ausschlusses nur gemutmaßt werden kann und der Aktenbestand auch Lücken aufweist, ist dieser Fall beispielhaft für das Scheitern sämtlicher eingesetzter Kontrollinstanzen.

Aktion „Entartete Kunst“ Jenseits dieser „kleinen“ Künstlerschicksale erfuhr eine ganz andere Zäsur der fachlichen Wertschätzung größte Aufmerksamkeit: die Aktion „Entartete Kunst“, in deren Zuge rund 20.000 Kunstwerke aus öffentlichen Einrichtungen beschlagnahmt wurden. Davon waren rund 1.400 Künstler betroffen, deren beschlagnahmte Werke zum Teil in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt, ins Ausland verkauft oder zerstört wurden. Darüber hinaus durften Werke jener Künstler nicht mehr in Museen gezeigt oder verkauft werden. Einzelne Künstler wurden aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. Überliefert haben sich beispielsweise zwei Verfügungen des damaligen Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste an Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff aus dem Jahr 1941, die im Wortlaut nahezu identisch sind.54 In dem Schreiben vom 3. April 1941 an Schmidt-Rottluff verweist der Präsident Adolf Ziegler auf die Beschlagnahme von 608 Werken aus deutschen Museen und die Ausstellung einiger dieser auf den folgenden Femeschauen. Bezug nehmend auf die Aufgaben der Reichskulturkammer, zur Förderung der deutschen Kultur und auf die Rede Hitlers anlässlich der Eröffnung der

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Großen Deutschen Kunstausstellung schließt er, dass der Künstler auch zu diesem Zeitpunkt dem „Gedankengut des nationalsozialistischen Staates“ fernstehe. Hieraus folgt: „Ich vermag Ihnen auf Grund dieser Tatsachen nicht die für die Mitgliedschaft bei meiner Kammer erforderliche Zuverlässigkeit zuzuerkennen. Auf Grund des § 10 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammergesetz vom 1.11.33 schliesse ich Sie aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersage Ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche – auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste.“55 Doch was bedeutete dieses „Berufsverbot“ für Schmidt-Rottluff ? Aus der Überlieferung wissen wir, dass der Künstler sich auf den Landsitz des Grafen Moltke zurückzog, wo er weiterhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit tätig sein konnte.56 Auch von Nolde lesen wir bei Bernhard Fulda, dass das behauptete „Malverbot“ aus heutiger Perspektive neu bewertet werden müsse (vgl. S. 262 ff. im vorliegenden Band). Doch waren dies zu jenem Zeitpunkt prominente Künstler, die auf 5 Brief des Präsidenten der RdbK an den Maler Ausstellungen im In- und Ausland bereits hohe Karl Schmidt-Rottluff vom 3. April 1941 Preise für ihre Werke erzielen konnten. Ein Berufs- und/oder Ausstellungsverbot bedeutete jedoch für das gemeine Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste sowohl radikale Eingriffe in die künstlerische Freiheit als auch katastrophale wirtschaftliche Folgen aufgrund der oben beschriebenen Nachweispflicht einer Mitgliedschaft. Kein Wunder also, dass diese Aktion für große Aufregung unter den Mitgliedern sorgte. Wie in einem Arbeitsbericht der Landesleitung zu lesen ist, führte die „durch die Münchner Ereignisse erfolgte Bereinigung zu einer gewissen Beunruhigung und Unsicherheit in Kreisen solcher Maler und Bildhauer [...], die sich auf Grund ihres Schaffens und ihrer Einstellung gar nicht betroffen zu fühlen brauchten“. Die Zahl der Gesprächsgesuche in den Sprechstunden der Landesleitungen sei in der Folge im Juli 1937 erheblich angestiegen, welche „durch sehr vielfältige Wünsche nach Aussprache und Aufklärungen“ begründet waren.57 Doch wie weitreichend die Reglementierungen der „entarteten Künstler“ durch die Kammer tatsächlich waren, lässt sich schwer rekonstruieren. Hier stehen sich oftmals

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Primärquellen, die eine Inkonsequenz im Umgang mit „entarteten Künstlern“ vermuten lassen, und Schlagwörter wie „Mal“- oder „Berufsverbot“ aus der Sekundärliteratur gegenüber.

Soziale, kulturelle und wirtschaftliche Angelegenheiten Doch in der „Anordnung betr. Aufbau und Organisation der Reichskammer der bildenden Künste vom 10. April 1935“ werden auch andere Aufgaben der Landesleitungen umrissen. Für sie gilt es, „die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der ihnen unterstehenden Tätigkeitsgruppen innerhalb des Bezirks zu regeln“.58 Und tatsächlich bot die Kammer ihren Mitgliedern eine Reihe von Bildungs- und Erholungsmöglichkeiten als auch Bemühungen um wirtschaftliche Belange der Mitglieder an. Denn offenbar beklagten die Kammermitglieder in den ersten Jahren eine „Erschwerung oder Behinderung der berufsständischen Verständigung“, wie aus einem Schreiben der Landesleitung an den Kammerpräsidenten vom Dezember 1935 hervorgeht.59 Die Einrichtung einer regelmäßig stattfindenden Sprechstunde, die den Mitgliedern die Möglichkeit gab, sich „in allen sie bewegenden künstlerischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Fragen vertrauensvoll“ an die Referenten der Landesleitungen zu wenden, schuf Besserung. Da die Mitarbeiter offenbar selbst aus dem „speziellen Berufsstand“ hervorgegangen seien, hätten sie „ein offenes Ohr für ihre [die der Künstler] Sorgen und Nöte und werden von diesen [...] auch verstanden“.60 Mehrmals pro Woche bot die Berliner Landesleitung Sprechstunden an, 1935 beispielsweise dienstags, donnerstags und samstags von 10 bis 13 Uhr.61 Wie aus einem Arbeitsbericht von 1937 hervorgeht, nutzen die Künstler diese Gelegenheit auch rege, pro Sprechtag besuchten allein aus der Gruppe der Maler, Graphiker und Bildhauer 30 bis 40 Mitglieder die Berliner Landesleitung.62 Meist wurde im Gespräch ein Mangel an Aufträgen, Ausstellungsund Verkaufsgelegenheiten beklagt und in diesem Zuge um die Gewährung von Unterstützungsmöglichkeiten gebeten. In einem Bericht wird aber differenziert, dass es sich bei den klagenden Mitgliedern um jene handele, „deren künstlerische Befähigung unzulänglich ist und die infolgedessen durch dauernde Abweisung von Kunstveranstaltungen in wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind“. Demgegenüber stünden die Künstler, „deren Schaffen künstlerisch wertvoll“ sei. Diese erführen die entsprechende Anerkennung und erhielten meist Aufträge, die sie wirtschaftlich sicherstellten.63 Die Landesleitung bemühte sich, diesem Notstand entgegenzuwirken, indem sie u. a. Ausstellungen organisierte und im Austausch mit angesiedelten Firmen Wettbewerbe ausschrieb. Denn diese trügen „erheblich zur Förderung der Künstler und zur Belebung der Lage bei. Es wird deshalb ständig versucht, Wettbewerbs-

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veranstaltungen durch die Wirtschaft und durch öffentliche Stellen zustande zu bringen“.64 Aus dem vorliegenden Arbeitsbericht der Landesleitung65 erfahren wir, dass auch Ausstellungen in den Räumen der Behörde veranstaltet wurden. Im Juli 1937 wurden beispielsweise zwei aufeinander folgende Ausstellungen durchgeführt. Die erste zeigte Arbeiten eines Architektenwettbewerbs zu der „Großsiedlung Brandenburg-Nord“. Die Schau soll „weit über die fachlichen Interessen hinausgehende Beachtung in der Öffentlichkeit“ erfahren haben und zählte über 800 Besucher. Direkt im Anschluss wurden unter dem Titel „Preisträger stellen sich vor“ Bilder von sieben Berliner Malern ausgestellt, deren Arbeiten in einem Weihnachtswettbewerb ausgezeichnet und angekauft wurden. Auch diese Ausstellung wurde von 500 Interessierten besucht und es wurde im Radio darüber berichtet. Darüber hinaus wurden Verkaufsanfragen direkt an die Künstler weitergeleitet, die aus der Ausstellung gemeinsam über 2000 Reichsmark einnahmen. Gleichzeitig wurde auch der Wettbewerb „Der Maler und sein Werk“ gemeinsam mit der „Tobis“66 veranstaltet. Daneben war die Kammer auch unmittelbar als Arbeitsvermittler tätig. Auftraggeber konnten sich direkt an die Landesleitungen wenden, beispielsweise mit einer Suche nach „Künstlern die über eine geeignete handwerkliche Vorbildung für Wandmalerei und Bauplastik verfügen“, und die Referenten stellten Kontakte zu den jeweiligen Mitgliedern her.67 Sollten akute finanzielle Probleme behoben werden, wurden die Künstler meist an das Landeswohlfahrtsamt, das Jugendamt oder das Hilfswerk für bildende Kunst in der NSV verwiesen. Mitunter bemühte man sich auch, eine Zuteilung aus der „Spende Künstlerdank“ zu erwirken.68 Jene Einrichtung beschreibt Schrader als ein „weiteres Rädchen im immer perfekter und umfangreicher werdenden Kontrollsystem der Kammern“, indem man hiermit einen Überblick über all jene Mitglieder gewann, die aus Altersgründen nicht mehr berufstätig waren. Ferner soll bei unstimmigen Angaben im Antrag zu den Familienmitgliedern auch die Gestapo mitunter hinzugezogen worden sein.69 Der Künstlerdank ging auf die „Dr. Goebbels-Stiftung der Schauspieler“ zurück, welche 1936 mit einem Anfangskapital gegründet worden war und Not leidende ältere Bühnenangehörige unterstützen sollte. Als „Spende Künstlerdank“ ging diese dann auch in den anderen Kammern auf.70 In der Regel belief sich die Spende auf einmalig 200 bis 300 Reichsmark oder monatliche Überweisungen von 80 Reichsmark für alte Mitglieder oder deren Ehefrauen. 71 Doch stellte diese Zuwendung keine langfristige Lösung dar und so hoffte man in der Landesleitung 1937 auf eine Altersversorgung durch die Kammer, um dieser „besonderen Sorge“ Herr zu werden. 72 Diese war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Form einer Rentenversicherung angedacht, die in Kooperation mit Versicherungsunternehmen, u. a. der Viktoria und der Allianz, am 1. April 1938 in Kraft treten sollte. Doch scheiterten die Bemühungen kurzfristig aufgrund interner Differenzen, so dass eine Altersversorgung nicht mehr realisiert werden konnte.73

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Wie weit die tägliche Arbeit der Künstler unterstützt werden konnte, soll das Beispiel eines Kriegskunstmalers verdeutlichen. Michael Lütoff – geboren 1887 in Bulgarien, seit 1922 privater Kunstmaler in Berlin – war bereits seit zwei Jahren für ein Atelier vorgemerkt, als die Kammer ihm 1942 eine Bescheinigung zur Vorlage beim Wohnungsamt aushändigte, worin darum gebeten wurde, dem Maler „das freiwerdende Atelier im Hause Kurfürstenstr. 98 zuzuweisen“.74 Nur ein Jahr später verlor er vermutlich genau diese Räumlichkeiten bei einem Bombenangriff auf Berlin, mitsamt seiner dort gelagerten Werke und des Materials.75 Nachdem Lütoff in Marienbad ein neues Atelier anmieten konnte, wandte er sich im Mai 1944 mit der Bitte um Terpentin, Leinöl, Leinwand und Keilrahmen an die Reichskammer.76 Die Landesleitung verlangte zunächst eine genaue Angabe der Rahmengröße und bat den Maler zu berücksichtigen, dass das Material knapp sei. Lütoff antwortete recht selbstbewusst: „Ich benötige wenigstens 8 m2 und zwar 2,20 m breit und 2,50 m lang. Für das andere Stück habe ich noch keine richtigen Masse. Betreffs der Keilrahmen bitte mir darüber Bezugscheine beizulegen. Ich lasse mir dieselben hier in Marienbad anfertigen. Was ist mit meinen bestellten Terpentin und Leinöl, die ich für weisse Farbe benötige. Und hauptsächlich würde ich sehr dringend welche Pinsel benötigen. [...] Ich möchte noch bemerken, dass ich nur feingewebte Leinwand zu diesem Zwecken verwenden kann.“77 In seiner Antwort wies der Sachbearbeiter darauf hin, dass er dem Maler unmittelbar nach dem Verlust des Ateliers bereits eine volle Stempelkarte zugesandt habe und es aufgrund der Materialknappheit nicht möglich sei, den Schaden gänzlich zu ersetzen: „Ich kann unmöglich alle Ihre Wünsche erfüllen und andere Künstler mit ihren berechtigten Ansprüchen abweisen. Ich bitte daher, dieser Lage Rechnung zu tragen.“ Nach der Zurechtweisung liest man aber weiter, dass Terpentin und Leinöl bereits bestellt und dem Brief Bescheinigungen für jeweils drei Keilrahmen und Leinwände beigelegt wurden.78 Mittels jener Stempelkarten und Bescheinigungen zum Erwerb von Künstlermaterialien, die jedes Mitglied jährlich erhielt, war der Bezug zwar reglementiert, zu Notzeiten bestand aber die Möglichkeit für die Kammermitglieder, trotz finanzieller Schwierigkeiten das Arbeitswerkzeug zu beziehen. Auch das oben kurz erwähnte Engagement zur Anmietung eines Ateliers klingt immer wieder an, muss aber noch eingehender erforscht werden. Eine weitere Möglichkeit, die Mitglieder zu unterstützen, ergab sich aus dem beachtlichen Etat der Kammer zum Ankauf von Kunstwerken. So erwarben die Landesleitungen zahlreiche Arbeiten vor allem auf Herbst- und Weihnachtsausstellungen für Geschenkzwecke oder zum Ausstatten der Diensträume. Not leidenden Künstlern wurde mitunter angeboten, Büsten und Portraits Adolf Hitlers zu schaffen, welche dann von der Kammer angekauft und schließlich verschenkt wurden.79 Darüber hinaus gab es ein Angebot an Erholungs- und Studienaufenthalten, welche durch bereitgestellte Mittel des Propagandaministeriums finanziert wurden.

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6 RdbK Bezugsausweis von Michael Lütoff für das Jahr 1942, in RdbK Personalakte Michael Lütoff

In einem in der Kunstkammer veröffentlichten Dankesschreiben eines Künstlers heißt es: „Herausgehoben aus einem harten Daseinskampf schöpfte erst einmal alles tief Atem. Fast alle kamen aus schwierigsten Verhältnissen und gingen nach vierzehn Tagen an ihre nicht leichte Aufgabe dahin zurück. Aber während dieser Zeit wurde alles vergessen. Berlin, Breslau und Halle waren aus der Welt verschwunden, man genoß jede Stunde, und die allgemeine Heiterkeit erzeugte eine lichte, leichte Atmosphäre. Jeder Tage hatte ein unendliches Programm.“80

„Kulturelle Angelegenheiten“ Um den Mitgliedern einen Zugang zur kulturellen Fortbildung zu ermöglichen, richtete die Kammer ein „Lesezimmer für bildende Künstler in Berlin“ ein. Hier wurde den Besuchern ein Zugang zu einem Handapparat zu Standardwerken der Kunstgeschichte und auch der internationalen Kunstpresse gewährt, worunter rund 160 deutsch- und fremdsprachige Kunst- und Kulturzeitschriften aus Europa, Skandinavien, Nord- und Südamerika und Asien zu verstehen waren. Das Lesezimmer war täglich außer sonntags geöffnet, in den Wintermonaten sogar bis 21 Uhr.81 Vermutlich lag dort auch das Periodikum der Behörde, „Die Kunstkammer“, 82 aus. Das Blatt erschien 1935 bis 1936 monatlich in 18 Ausgaben. Es wurde allen Mitgliedern kostenlos zugesandt und war auch im Handel für 20 Pfennig erhältlich. Das Layout zeichnete sich durch hervorragendes Bildmaterial aus, wozu auch namhafte

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Fotografen wie Jutta Selle oder Albert Renger-Patzsch hinzugezogen wurden. Inhaltlich beschäftigte sich das Blatt mit kunsttheoretischen Betrachtungen, Werkstattberichten, Kunstnachrichten aus dem Reich, Literaturempfehlungen, ausgeschriebenen Wettbewerben und ernannten Preisträgern. Ein bis zwei Seiten waren stets den Amtlichen Mitteilungen der Reichskammer der bildenden Künste vorbehalten, worin Rechtsfragen erläutert, Neuerungen vorgestellt oder weitere soziale Angebote der Kammer angekündigt worden. Die Beiträge stammten meist von Künstlern selbst und griffen sämtliche Sparten der in der Kammer vertretenen Mitglieder ab. Sei es vom Bildhauer zum Kunsthandwerker, vom Spielkartendruck bis zu Einlegearbeiten in Holz. Im Editorial der ersten Ausgabe schrieb der damalige Kammerpräsident Eugen Hönig, dass die Zeitschrift „den Mitgliedern der Kammer die Möglichkeit geben [solle], sich mit Bild und Wort zu äußern, und den Berufenen, zu allen schwebenden Kunstfragen Stellung zu nehmen“. Ferner ginge es nicht darum, „eine Kunstrichtung zu propagieren, sondern aufzuzeigen, was die Gegenwart an guten Leistungen hervorbringt“. Er schließt mit den Worten: „Die Zeitschrift erscheint unter der Verantwortung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste und ihre Devise muß lauten: Es gibt nur Kunst oder Nichtkunst. Andere Unterscheidungen nach oberflächlichen Merkmalen scheiden aus. Es muß gelingen, mit sparsamen Worten und wertvoller Fülle des Bildmaterials diesen Zweck zu erreichen.“ Vielleicht eine Ironie des Schicksals, das gerade an diese Worte über Kunst und Nichtkunst ein Artikel des Bildhauers Philipp Harth über „Auftragserteilung und künstlerische Freiheit“ anschließt. Welchen er u. a. mit einer Holzplastik von dem bereits oben erwähnten Joachim Karsch illustriert. Diese wird hier als „Sitzendes Paar“ beschrieben, es handelt sich jedoch um das „Lesende Paar“, damals im Folkwang Museum Essen ausgestellt. Diese Plastik wurde zwei Jahre später aus dem Museum als „entartete Kunst“ beschlagnahmt, gelangte dann über Tausch in den Besitz des Kunsthändlers Böhmer und befindet sich heute nach weiteren Zwischenstationen im Besitz der Neuen Nationalgalerie Berlin.83 Das Erscheinen der Zeitschrift wurde 1936 eingestellt. Dem ging vermutlich ein Konflikt mit der Reichspressekammer voraus, die selbst die „Kunst im Dritten Reich“ herausgab und einen Verkauf von „Die Kunstkammer“ für 20 Pfennig am Kiosk als unlauteren Wettbewerb kritisierte.

Schlussbetrachtung Wie die zitierten Quellen deutlich gemacht haben, hatte die Reichskulturkammer sehr wohl den Anspruch, das Kulturleben durch Selektion, Klassifizierung, Mitgliedszwang und Meldepflicht zu kontrollieren. Doch blieb die hier vorgestellte Reichskammer der bildenden Künste hinter den eigenen Ansprüchen, als Macht-

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instrument zu fungieren, zurück. Hohe Mitgliederzahlen, großer Verwaltungsaufwand und rechtliche Unsicherheiten erschwerten den hierfür eingesetzten Referenten die Arbeit erheblich, dieses zum Vorteil vieler Künstler, deren Ausschluss oder Kontrolle sich dadurch verzögerte. Doch dass das Schaffen von Kunst und Kultur überhaupt kontrolliert werden musste, verdeutlicht deren propagandistischen Stellenwert. Und zu diesem Zweck wurde Kunst auch gefördert und unterstützte man Künstler. Davon profitierten aber nicht nur namhafte „Nazi-Künstler“, sondern ein großer Teil der Mitglieder konnte auf Unterstützungen der Kammer zurückgreifen, sei es in Form von Beratung, Bildung oder Vermittlung. Wie ist die Reichskammer der bildenden Künste also einzuordnen, als nationalsozialistisches Kontrollorgan oder als gemeinnützige Standesorganisation? Kann man den Ausschluss zahlreicher Mitglieder und der damit verbundenen Einzelschicksale mit der Förderung und Betreuung anderer Künstler aufrechnen? Die Masse der zehntausenden Kunstschaffenden in Deutschland war sehr heterogen, es gab nicht nur die verfolgten und entarteten Künstler auf der einen und die „Nazi-Künstler“ auf der anderen Seite. Die eigentliche Masse der Kunst- und Kulturschaffenden in Deutschland lag zwischen diesen beiden Polen. Auch deren Schicksale müssen bei der Untersuchung der Reichskammer der bildenden Künste in Betracht gezogen werden, denn sie bildeten den eigentlichen Mitgliederstamm. Daher ist es unmöglich, die Kammer auf eine Seite festzulegen, vielmehr müssen hier gängige Muster aufgebrochen und die Reichskammer in ihrer Komplexität weiterhin erforscht und betrachtet werden.

Anmerkungen 1 N. N.: „Vom berufsständischen Aufbau der bildenden Künste“, in Die Kunstkammer 3 (1935), S. 2. 2 Die übrigen Kammern teilten sich in folgende Ressorts auf: Film, Musik, Presse, Rundfunk, Schrifttum, Theater. 3 Zum Aufbau der Reichskulturkammer vgl. Bärbel Schrader: „Jederzeit widerruflich“. Die Reichskulturkammer und die Sondergenehmigungen in Theater und Film des NS-Staates, Berlin 2009, S. 21 ff. 4 Joseph Goebbels: Eröffnungsrede zur Reichskulturkammer am 15. November 1933 in der Berliner Philharmonie vgl. Helmut Heiber (Hg.): Goebbels-Reden, Bd. 1, Düsseldorf 1971, S. 139. 5 Anordnung betr. Aufbau und Organisation der Reichskammer der bildenden Künste vom 10.4.1938, § 4, zit. nach Die Kunstkammer 6 (1935), S. 23. 6 Es ist eine zentrale Fragestellung meines Promotionsvorhabens zur Reichskammer der bildenden Künste, das Spannungsfeld zwischen faschistischem Kontrollvorgang und engagierter Ständevertretung zu untersuchen.

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  7 LArch, A Rep, 243-04.   8 Volker Dahm: Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer, in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 34 (1986), H. 1, S. 53–84.   9 Volker Dahm: Künstler als Funktionäre. Das Propagandaministerium und die Reichskulturkammer, in Hans Sarkowicz (Hg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienste des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/Leipzig 2004, S. 75–109. 10 Uwe Julius Faustmann: Die Reichskulturkammer. Aufbau, Funktion und rechtliche Grundlagen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Nationalsozialismus, Univ. Diss., Bonn 1990. 11 Alan E. Steinweis: Art, Ideology, and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, Chapel Hill/London 1993. 12 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 21–168. 13 Jüngste Erwähnung fand die RdbK in den Dissertationen von Anke Blümm und Meike Hopp, vgl. Anke Blümm: „Entartete Baukunst“? Zum Umgang mit den Neuen Bauen 1933–1945, München 2013, hier S. 83 ff.; Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien, Köln/Weimar/Wien 2012, hier S. 30 ff. 14 Karl-Friedrich Schrieber: Die Reichskulturkammer. Organisation und Ziele der deutschen Kulturpolitik, Berlin 1934, S. 29. 15 N. N.: Vom berufsständischen Aufbau der bildenden Künste, in Die Kunstkammer 3 (1935), S. 2. 16 Vgl. Anordnung betr. Aufbau und Organisation der Reichskammer der bildenden Künste vom 10.4.1935, § 1, zit. nach Die Kunstkammer 6 (1935), S. 23. 17 Zu Gründung und Aufbau der Reichskulturkammer vgl. Schrader 2009 (wie Anm. 3), hier S. 21–168 und Dahm 1986 (wie Anm. 8), S. 53–84. 18 Dahm 1986 (wie Anm. 8), S. 72/73. 19 Dahm 1986 (wie Anm. 8), S. 83. 20 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 169. 21 Frank Moraller in einer Rede vor Pressevertretern am 4.9.1935, vgl. Die Kunstkammer 10 (1935), S. 23. 22 Zweite Anordnung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste betr. Aufbau und Organisation der Reichskammer der bildenden Künste vom 16.6.1935, § 4, zit. nach Die Kunstkammer 8 (1935), S. 2. 23 Die Kunstkammer 8 (1935), S. 2. 24 Die Mitglieder dieses Ausschusses wurden durch den Kammerpräsidenten mit der Genehmigung des Präsidenten der Reichskulturkammer ernannt. Vgl. Die Kunstkammer 8 (1935), S. 2. 25 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 187. 26 RdbK Personalakte Joachim Karsch, LArch, A Rep 243-04, Nr. 4095. 27 Schrieber 1934 (wie Anm. 14), S. 29. 28 RdbK Personalakte Joachim Karsch (wie Anm. 26).

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29 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 205. 30 Tätigkeits- und Stimmungsbericht für den Monat September 1937 des Landesleiters, gez. Lederer an den Landeskulturwalter Wächter, 11.10.1937, in LArch, A Rep, 243-04, Nr. 75. 31 Arbeitsbericht für den Monat Juli 1937 des Landesleiters Berlin an den Landeskulturwalter Wächter, 23.8.1937, in LArch, A Rep, 243-04, Nr. 75. 32 Rundschreiben Hönig an die Landesleiter RdbK, 31.10.1935, in LArch, A Rep, 243-04, Nr. 5. 33 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 34 „Ausschlüsse von Mitgliedern“, in Mitteilungsblatt der Reichskammer der bildenden Künste, vom 1.5. und 1.7.1939, zit. nach Steinweis 1993 (wie Anm. 11), S. 116. 35 „In der Kammer tätige Voll-, Dreiviertel- u. Halbjuden“, 1937, Ordner: „Entjüdung der Einzelkammern“, Berlin Document Center, zit. nach Steinweis 1993 (wie Anm. 11), S. 112. 36 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 207. 37 Vgl. hierzu: Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 206 ff., und Steinweis 1993 (wie Anm. 11), S.  120 ff. 38 Präsident RKK an die Präsidenten der Einzelkammern, den Reichskulturwalter Moraller und die Landeskulturwalter, betr. Arbeitsrichtlinien für die Reichskulturkammer, Berlin, 3.1.1939, in BArch R 55/1008, Bl. 8. 39 Vgl. hierzu Steinweis 1993 (wie Anm. 11), S. 126 ff. 40 Präsident RdbK, gez. Hönig an Fritz Richter, 1.8.1935, in RdbK Personalakte Fritz Richter, LArch, A Rep 243-04, Nr. 7172. 41 Aus der Rede zur Jahrestagung der Reichskulturkammer, 15.11.1935, zit. aus einem Schreiben von Goebbels an Hönig, 29.11.1935, LArch, A Rep 243-04, Bd. 4–8. 42 Rundschreiben Hönig an die Landesleiter RdbK, 31.10.1935, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 5. 43 Rundschreiben Hönig an die Landesleiter RdbK, 31.10.1935, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 5. 44 Die Abschaffung der Eignungspflicht wird hierin außerdem als der Grund aufgeführt, warum Hönig seinen Platz für den Maler Adolf Ziegler räumte, vgl. Records Concerning the Central Collecting Points („Ardelia Hall Collection“): Munich Central Collecting Point 1945–1951 Restitution Research Records – compiled 1945–1950; Category: Interrogations – Reichskammer Der Bildenden Kunste, Record Group 260, Roll 0134 National Archives Catalog ID 3725274, S. 9. 45 Rundschreiben Hönig an die Landesleiter RdbK, 31.10.1935, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 5. 46 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 47 Landesleitung Berlin, i. A. gez. Anders an Präsident RdbK, am 23.12.1935, in LArch, A Rep 243-04, Bd. 70. 48 Präsident RdbK, i. A. gez. Hoffmann an Willibald Rämisch, 7.3.1938, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937.

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49 Landesleitung RdbK an die Baupolizei Berlin, 19.1.1938, und Präsident RdbK, i. A. gez. Hoffmann an Landesleiter Berlin RdbK, 7.3.1938, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937. 50 Präsident RdbK, i. A. gez. Manzel an Karl Mackensen, 11.1.1938, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937. 51 Präsident RdbK, i. A. gez. Manzel an Landesleitung, 7.7.1938, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937. 52 Der Wehrkreisbeauftragte III des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion, Amt für Technik, Dienststelle Gau Berlin, i. A. Hüper an Landesleiter RdbK, 29.2.1944, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937. 53 RdbK, i. A. gez. Menzel an Willibald Rämisch, 30.8.1944, in RdbK Personalakte Willibald Rämisch, in LArch, A Rep 243-04, Nr. 6937. 54 Präsident RdbK an Karl Schmidt-Rottluff, 3.4.1941, entnommen aus Diether Schmidt: Schriften deutscher Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Bd. 2, In letzter Stunde: 1933–1945, Dresden 1964 (o. S.) (vielen Dank für den freundlichen Hinweis an Maike Hoffmann); Präsident RdbK an Emil Nolde, 23.8.1941, entnommen aus Hans Fehr: Emil Nolde. Ein Buch der Freundschaft, Köln 1960, S. 126/127. 55 Präsident RdbK an Karl Schmidt-Rottluff, 3.4.1941, zit. nach Diether Schmidt 1964 (wie Anm.  54) (o. S.). 56 Vgl. Dagmar Grimm: Karl Schmidt-Rottluff, in Stephanie Barron: Entartete Kunst. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, München 1992, S. 341. 57 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 58 Anordnung betr. Aufbau und Organisation der Reichskammer der bildenden Künste vom 10.4.1935, § 4. 59 Berliner Landesleitung, i. A. gez. Anders an Präsident RdbK, 23.12.1935, in LArch, A Rep 243-04, Bd. 70. 60 LArch, A Rep 243-04, Bd. 70. 61 LArch, A Rep 243-04, Bd. 70. 62 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 63 Tätigkeits- und Stimmungsbericht September 1937 (wie Anm. 30). 64 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 65 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 66 Das Dokument konkretisiert leider nicht, um welche Firma es sich dabei genau handelt. Vielleicht um die Filmproduktionsfirma Tobis, die enge Kontakte zu den Nationalsozialisten pflegte. 67 Tätigkeits- und Stimmungsbericht September 1937 (wie Anm. 30). 68 Arbeitsbericht Juli 1937 (wie Anm. 31). 69 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 146. 70 Schrader 2009 (wie Anm. 3), S. 139. 71 Interrogations – Reichskammer Der Bildenden Kunste (wie Anm. 44), S. 12.

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Tätigkeits- und Stimmungsbericht September 1937 (wie Anm. 30). Vgl. Interrogations – Reichskammer Der Bildenden Kunste (wie Anm. 44), S. 11/12. Bescheinigung, i. A. gez. Besnick, Landesleitung RdbK Berlin, 23.7.1942. Michael Lütoff, Villa Langhans, Marienbad, an Präsident RdbK, 3.5.1944, in RdbK Personalakte Michael Lütoff, LArch, A Rep, 243-04, Nr. 5478. 76 Michael Lütoff an Präsident RdbK, 3.5.1933, in RdbK Personalakte Michael Lütoff, LArch, A Rep, 243-04, Nr. 5478. 77 Michael Lütoff an Präsident RdbK, o. D., in RdbK Personalakte Michael Lütoff, LArch, A Rep, 243-04, Nr. 5478. 78 Landesleiter RdbK, i. A. gez. Artur Schmidt an Michael Lütoff, 6.6.1944, in RdbK Personalakte Michael Lütoff, LArch, A Rep, 243-04, Nr. 5478. 79 BArch, R 55/21013. 80 Entnommen aus: Erholung durch Studienreisen, in Die Kunstkammer 9 (1935), S. 23. 81 Die Kunstkammer 5 (1935), S. 23. 82 Die Kunstkammer 1 (1935) – 4 (1936), Propyläen-Verlag Berlin. 83 Eintrag in der Datenbank: Entartete Kunst der FU Berlin, vgl. http://emuseum.campus. fu-berlin.de/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&module=collection&objectId=116 881&viewType=detailView.

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Die Große Deutsche Kunstausstellung 1937–1944

Über die Große Deutsche Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München, der Hauptstadt der Deutschen Kunst und der Hauptstadt der Bewegung, ist lange nicht nachgedacht worden. Doch spätestens seitdem die visuelle Dokumentation der GDK über die Bild- und Forschungsplattform www.gdk-research.de zugänglich und durchsuchbar ist, also seit Oktober 2011, ist es nicht mehr so einfach, die Relevanz dieser Ausstellung abzutun. Ausblendung und Negation dieser kompetitiven Verkaufsausstellung hatten zugleich eine essentielle Bedeutung für die Neuformierung der Kunstszene in der Nachkriegszeit. Denn sie war die Folie für die frühen Ausstellungen der Nachkriegszeit, und ihre Wirkmacht zeigt sich auch in den zunächst ablehnenden Reaktionen des Publikums auf Präsentationen von zuvor als „entartet“ diffamierter Kunst. Doch bald – spätestens in den 1950er Jahren – wurde die nationalsozialistische Kunst sukzessive zum Inbegriff des Anderen, ja des Abjekten im Sinne von Julia Kristeva: Unrein, unbewältigt, mit starken Aversionen verbunden und das Selbstbild herausfordernd.1 Die Kunst der GDK wurde in diesem Sinne „verworfen“, ausgegrenzt, tabuisiert – kulturpolitisch wie individuell. Werner Haftmann sprach den Exponaten der GDK sogar ab, überhaupt Kunst zu sein – der zentrale Passus in seiner „Malerei im 20. Jahrhundert“ von 1954 lautet: „Daher kommt es, daß Totalitarismus zur Kunst überhaupt nicht fähig ist. Das hat sich schlagend erwiesen. [...] Der Angriff des Totalitarismus hinterläßt nur die negative Spur. Er berührt die Kunst nicht, da seine bildnerischen Äußerungen schon tot sind, bevor sie überhaupt begonnen haben. Die Kunst selbst blieb auch in der Katakombe lebendig.“2 Im Rahmen einer dichotomischen und bipolaren Konzeptualisierung von unaufhaltsamer, siegreicher Moderne und überwundenem reaktionärem Traditionalismus wurden die Exponate der GDK ausschließlich als schlecht, böse, propagandistisch oder ideologisch kontaminiert betrachtet. „Nazi-Kunst“ war fortan jene in der GDK verkörperte Mischung aus politischer Propaganda und Kitsch, und diese Melange fungierte als mächtiges „Schutzschild“ (Wolfgang Ruppert) gegenüber einer ergebnisoffenen Autopsie der Werke und ihrer Inszenierung. In der Folge wurde die Kunst des Nationalsozialismus aus dem sich bildenden Kanon der Kunst im 20. Jahrhundert nachhaltig ausgeschlossen. Bis heute, bis 2015, zeigt kein deutsches

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Kunstmuseum in seiner ständigen Sammlung bzw. in seiner Dauerausstellung Beispiele der nationalsozialistischen Kunst.3 Bis heute wird diese Kunst ausgegrenzt und tabuisiert, bis heute spielt sie weder in der Lehre noch in der Forschungsliteratur eine größere Rolle. Die Widerstände gegen eine – selbstverständlich kritische – Auseinandersetzung sind gewaltig. Warum? Die Auseinandersetzung hätte Konsequenzen und würde die etablierten Kategorien und Klassifikationen im Fach Kunstgeschichte wie in der Öffentlichkeit in Frage stellen. Dies betrifft auch und gerade das, was man gemeinhin den „bürgerlichen Kunstgeschmack“ nennt. Denn die Landschaften (mit knapp 3.000 Arbeiten bildeten sie knapp ein Viertel der über 12.000 angebotenen Exponate), die fast 1.300 Tier- und die rund 1.000 Genredarstellungen, die 800 Stillleben und die über 400 Pflanzendarstellungen, die rund 1.000 weiblichen Akte und nicht zu vergessen die über 2.000 Porträts bedienen ein Klientel bzw. eine Sammlerschicht, die nicht anders als bürgerlich bezeichnet werden kann. Dieser Befund wird durch den Blick auf die politischen, nationalsozialistischen, ideologischen und propagandistischen Motive erhärtet, deren Zahl meist unter 2,0 Prozent der Exponate liegt und nur 1941 auf 3,4 Prozent steigt.4 Es ist schlichte Empirie, festzustellen, dass die Beschwörungen der nationalsozialistischen Kunstpolitik und die Lobeshymnen der nationalsozialistischen Kunstpublizistik interessengeleitete Projektionen darstellten, die die Exponate in ihrer Gesamtheit nicht einlösten. Und es ist ebenfalls schlichte Empirie, die Käufer dieser zahlreichen traditionellen Werke als kunstinteressierte deutsche Bürger zu bezeichnen. Denn der Erfolg des Wirtschaftsunternehmens Haus der Deutschen Kunst basierte zwar in erheblichem Maße auf den Käufen der Funktionseliten, die damit auch in Sachen Kunst eine führende Stellung beanspruchten.5 Doch entscheidend ist, dass die große Mehrheit des Gesamtumsatzes mit Werken erzielt wurde, die gerade keine vordergründige politische Aussage intendierten (Abb. 1, 3 und 4). Dies gilt sowohl für die Eliten wie für die breite Masse der privaten Sammler. Es ist eben diese Partizipation und Anteilnahme, diese Verankerung in breiten gesellschaftlichen Kreisen und Milieus, die in den Jahren und Jahrzehnten nach 1945 ungeschehen gemacht werden sollte und wurde: Durch Dämonisierung und Tabuisierung, durch Verschweigen und Verdrängen. Es ist allgemein bekannt, dass Adolf Hitler selbst die meisten Objekte der GDK erwarb, nämlich 1313.6 Mehr als jedes 10. Exponat der GDK ging somit an den „Führer“ und Reichskanzler, der damit seinen eigenen Ankündigungen bei der Grundsteinlegung im Oktober 1933 zur Realisierung zu verhelfen trachtete, eine klassische self-fulfilling prophecy des nationalsozialistischen Großmäzens. Mit sehr großem Abstand folgten seinem Vorbild Joseph Goebbels mit 217 Ankäufen, dann Martin Bormann mit 144, Freiherr Joachim von Ribbentrop mit 91 und Albert Speer mit 85 Werken. Doch was ist mit den exakt 2800 weiteren Käufern?7 Ist deren Sammelpraxis erforscht, sind Ihre Motive bekannt? Will dies jemand wissen?

Die Große Deutsche Kuntausstellung 1937–1944

1 Fritz Klimsch, Galatea, Bronze, ausgestellt auf der GDK 1939 in Saal 8, für 30.000,– RM von Adolf Hitler erworben, http://www.gdk-research.de/de/obj19402873.html

Die Konstellation ist bei den Künstlern ähnlich und doch anders. Während die „top five“ der Käufer in der zeitgeschichtlichen Forschung relativ gut bearbeitet sind, gilt dies für die „top five“ der Künstler eben nicht: Franz Eichhorst mit 57 ausgestellten Werken mag zwar einigen wenigen Kunsthistorikern bekannt sein, doch Hans Müller-Schnuttenbach (56), Raffael Schuster-Woldan (55), Anton Müller-Wischin (50) und Peter Philippi mit 48 Exponaten offenkundig nicht, geht man von der geringen Zahl der ihnen gewidmeten Publikationen aus (die zudem die Zeit des Nationalsozialismus entweder schamhaft aussparen oder die Relevanz der GDK zu relativieren suchen). Ein so interessanter Künstler wie Ferdinand Staeger (1880–1976), der mit immerhin 31 Werken auf der GDK vertreten war, muss bis

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heute als grosso modo unbearbeitet gelten, obwohl gerade sein Oeuvre hervorragend für eine Untersuchung der Parallelen und Interferenzen von (Propaganda-)Fotografie und (Propaganda-)Malerei geeignet wäre.8 Dies gilt ebenso für den Berliner Bildhauer Fritz Klimsch, dessen Allegorien kontinuierlich für Höchstpreise erworben wurden, von „Olympia“ (GDK 1937, 12.000,– RM, Hitler) über „Galatea“ (GDK 1939, 30.000,– RM, Hitler) bis zu „Maja“ (GDK 1940, 15.000,– RM, Bormann gemeinsam mit Ribbentrop), und dem 1960 das Bundesverdienstkreuz verliehen werden sollte.9 Eine Ausnahme bildet der Staatskünstler Arno Breker, dessen Karriere schon mehrfach untersucht wurde und dessen Ausstellungen regelmäßig Kontroversen hervorrufen;10 sein Sonderstatus unter den GDK-Künstlern beruht auch darauf, dass seine Werke oftmals nicht verkäuflich waren, wie etwa 1942 das prominent in Saal 2 präsentierte Relief „Der Wächter“. Grundsätzlich indes ist die Forschungslage zu den Künstlern der GDK ähnlich wie die zu 2 Arno Breker, Der Wächter (Relief), den Käufern, nämlich nicht vorhanden. ausgestellt auf der GDK 1942 in Anders gesagt: Blickt man auf den 2015 verfügbaren Saal 2, nicht verkäuflich, hier reproduziert nach der Abb. im Wissensstand zur Kunst im Nationalsozialismus aus komAusstellungskatalog, S. 53 des paratistischer Perspektive, also etwa im Vergleich zu der Bildanhangs relativ überschaubaren Produktion der Künstlergruppen „Brücke“ und „Blauer Reiter“, ganz zu schweigen vom Imund Expressionismus, dann kann fast der Eindruck entstehen, als hätte es diese so markante – und folgenreiche – Ausprägung des ‚Betriebssystem Kunst‘ überhaupt gar nicht gegeben. Sehr eindrücklich hat diese dramatische Schieflage James van Dyke in einer Analyse von Paul Klee und Julius Paul Junghanns – beide Professoren der Düsseldorfer Kunstakademie, der eine von 1931 bis 1933, der andere von 1906 bis 1945 – gezeigt.11 Während www.kubikat.org im einen Fall fast 1.500 Treffer verzeichnet, sind es im anderen 6; während der WikipediaEintrag im einen Fall in 66 Sprachen vorliegt, wird der Tiermaler Junghanns nur in der deutschen Version erwähnt. Also, noch einmal: 2979 Landschaften wurden bei der GDK 1937–1944 zum Verkauf angeboten, darunter 38 von Hermann Gradl (1883–1964), der insgesamt 43 Arbeiten präsentierte, von denen 15 von Hitler erworben wurden; darunter 22 Landschaften von Anton Müller-Wischin; darunter 21 Landschaften von Richard Holst, der 27 Werke zum Verkauf anbot – seine Burg „Hohenstein“ von 1939 erwarb Joseph Goebbels 1941 für 2.000,– RM –; darunter 11 Landschaften von Karl Walther, der insgesamt 28 Werke zeigte; darunter 24 Landschaften von

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Müller-Schnuttenbach; darunter 22 Landschaften von Edmund Steppes (1873–1968), von denen 15 von Hitler erworben wurden, usw. Offiziell fielen all diese Arbeiten ab dem Sommer 1945 unter das Verdikt ‚NS-Kunst‘, und in direkter Umkehrung der diffamierenden NS-Kunstpolitik wurde ihnen jeglicher Kunstwert abgesprochen: Was vorher Unkunst war, wurde Kunst, was zuvor Kunst war, wurde Unkunst.12 Bis zum Ende des Regimes hatten freilich auch und gerade diese Landschaften des Münchner Malers Müller-Wischin und des Berliner 3 Anton Müller-Wischin, Herbst, Öl auf Leinwand, Malers Richard Holst (Abb. 3 und 4) als ausgestellt auf der GDK 1941 in Saal 6, für 5.500,– RM von Adolf Hitler erworben, http://www.gdk-research. Inbegriff von „deutscher Kunst“ gegolten, de/de/obj19364335.html und ungeachtet der in diesem Falle prominenten Käufer wurden vor und nach 1945 zahllose vergleichbare Werke von Privatsammlern erworben und geschätzt. An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie groß zum einen der Forschungsbedarf zur GDK ist, und was dies zugleich mit der kanonisierten Sichtweise der Kunstgeschichte auf die Entwicklung der Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert zu tun hat. Denn diese operiert(e) mit pauschalen unterschwelligen Ideologisierungen, mit Bedeutungsaufladungen, die nicht ausreichend reflektiert werden. Das traditionelle Narrativ arbeitet mit starren Grenzziehungen, denen zufolge Moderne und Avantgarde bis 1933 tonangebend gewesen seien (was nachweislich nicht zutrifft), sieht die Zeit des Nationalsozialismus als öde Wüste, über die man wegen der massiven Instrumentalisierung und Indienstnahme durch Partei und Staat nicht zu reden brauche (was die erbitterten, bis mindestens 1936 andauernden Kämpfe um die Integration der Moderne – und besonders des Expressionismus – in die zu profilierende nationalsozialistische Kunst ebenso komplett unterschlägt wie die große stilistische Freiheit der Kriegskünstler in den Propagandakompanien), und postuliert schließlich für das Kriegs- und Regime-Ende einen kategorischen Wandel aller Wertsysteme, der durch Wiederanknüpfung an die 1933 gekappten Stränge der Moderne und, gegen Ende der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre, auch durch Rehabilitation der verfemten Künstler gekennzeichnet sei, was in der ersten documenta 1955 und ihrer erfolgreichen ‚Wiedergutmachung‘ kulminiere. Gegen dieses Modell ist Einspruch zu erheben. Denn bisher wurde beispielsweise nicht gezielt oder gar systematisch untersucht, welche modernen und (ehemals) avantgardistischen KünstlerInnen sich für die GDK beworben hatten, aber

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4 Richard Holst, Hohenstein, Öl auf Leinwand, 1939, ausgestellt auf der GDK 1941 in Saal 4, für 2.000,– RM von Joseph Goebbels erworben, http://www.gdk-research.de/de/obj19364035.html

ausjuriert wurden, wie 1937 etwa Gabriele Münter. Auch die gleichzeitige „Teilnahme“ an der GDK und der Ausstellung „Entartete Kunst“, wie etwa im Fall von Rudolf Belling,13 läuft schematischer Periodisierung zuwider. Vor allem aber sind die starken Kontinuitäten – im Vergleich zu den Jahren vor 1933 und nach 1945 – nicht analysiert worden, und damit das Auseinanderdriften von Anspruch der GDK und Realität, von politisch-moralischem Auftrag und seiner Umsetzung oder Praxis. Keith Holz hat die Grundannahmen der etablierten, bis heute nicht widersprochenen Erzählung so zusammengefasst: „the assumption that Nazi art was not worth anyone’s attention, because it was either bad art, propaganda, or not art at all” und “concern or fear that audiences, especially the ‘ordinary public’ in the democracies, would be attracted to and appreciate the German art exhibited in the Great German Art Exhibitions”.14 Offiziell also war, auch und gerade für die amerikanische Militärverwaltung in Bayern, die Linie für die Behandlung der NS-Kunst im Allgemeinen und der

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GDK-Exponate im Besonderen klar: Entweder zerstören (analog der Kontrollratsdirektive Nr. 30 vom 13. Mai 1946 über die Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters)15 oder, zwischen Mai und Dezember 1946, konfiszieren und wegschließen im „German Wartime Art Program“. Eine kleine Auswahl aus der mehr als 9.000 Werke umfassenden „German War Art Collection“ wurde im Dezember 1946 durch die amerikanische Militärverwaltung im Frankfurter Städel Museum präsentiert, wobei das deutsche Publikum keinen Zutritt hatte.16 Im Rahmen der angestrebten Reeducation wurde der Kontakt mit der vermeintlich hochproblematischen Kunst der GDK offenkundig als kontraproduktiv angesehen, und auf deutscher Seite, so die übliche Lesart, war man froh und begeistert, sich endlich der freien, modernen oder gar abstrakten Kunst zuwenden zu können, die so lange ausgegrenzt gewesen war. Neben der unzutreffenden Annahme, dass es bei der Aktion „Entartete Kunst“ um Stilfragen gegangen sei – denn fraglos waren die rassekundlichen Parameter entscheidend, nicht Komposition, Farbwahl oder Pinselführung – ist hier erneut auf die Faktenlage zu verweisen, auf valide empirische Daten. Sie fordern, ein anderes Bild zu zeichnen. Denn auf der einen Seite werden die GDK-Künstler – ob mit oder ohne Mitgliedschaft in der NSDAP – fast durchgehend in den Spruchkammerverfahren entlastet, wie Brigitte Zuber beobachtete: „Hier stellte sich – mithilfe einer beachtlichen Anzahl von Persilscheinen – heraus, dass der Künstler von Haus aus völlig unpolitisch, innerlich dem Nazismus fremd oder gegnerisch eingestellt, als christlicher Künstler sowieso im Widerstand, als armer Künstler auf Staatsaufträge angewiesen, als verbeamteter Künstler im Befehlsnotstand war. Übrig blieb: Nur nominelles Mitglied. Schlimmstenfalls: Mitläufer.“17 Auf der anderen Seite schätzten die Mitglieder der amerikanischen Militärregierung, und zwar insbesondere die höheren Dienstgrade, die GDK-Exponate offenbar so sehr, dass sie die Werke für die Ausschmückung und Dekoration der Amts- und Diensträume ausliehen. Dies gilt interessanterweise nicht nur, aber in besonderem Maße für die zahlreichen Landschaftsdarstellungen und Blumenstilleben, also jene Motive der GDK, die ungeachtet aller ideologischen Aufladungen und Infusionen den bürgerlichen Kunstgeschmack erfolgreich bedient hatten. Schaut man sich die Listen der „Art objects on loan“18 an, ist man erstaunt: In der Offiziersmesse im „Haus der Kunst“ hängen nicht nur drei Werke von Müller-Wischin, ein Stilleben sowie „Der Wildbach“ und „Herbst“ (Abb. 3), die 1941 von Hitler für 6.000,– und für 5.500,– RM auf der GDK 1941 erworben worden waren, sondern auch Bilder von Hermann Gradl, Julius Engelhard („Spitzentanz“, ebenfalls von Hitler auf der GDK 1941 erworben, für 3.000,– RM) und Hans Best, dessen „Drei Frauen“ Hitler 1939 sogar 10.000,– RM wert gewesen waren. Selbst das monumentale, 150 x 245 cm messende Ölbild „Pflügen“ von Junghanns, das Hitler 1940 für fantastische 18.000,– RM gekauft hatte, gehörte dazu!

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Auch für ihre Büros konnten sich die Angehörigen der Militärregierung aus den Beständen zeitgenössischer Kunst bedienen, die vor 1945 gemeinsam mit den ausgelagerten Sammlungen der Museen und der erworbenen, abgepressten, beschlagnahmten und geraubten Kunst Europas in die Depots und Salzminen des Alpenraums verbracht und dann zunächst vom CCP und später von der Treuhandverwaltung für Kulturgut betreut worden waren. So lieh sich ein Lieutenant Colonel (Oberstleutnant) James J. Fogarty unter anderem das Ölbild „Naumburger Dom“ von Karl Walther aus, das 1939 Hitler für 3.500,- RM erworben hatte. Als Fogarty München verließ, nahm er sogar einige Bilder mit, die allerdings später wieder zur Treuhandverwaltung – die in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts angesiedelt war – zurückkehrten. Drei der 148 Künstler der documenta 1 im Jahr 1955 waren jüdischer Herkunft, neun der 339 der documenta 2 von 1959. Das Interesse von Museen, Galerien und Kunsthallen an vormals „entarteten“ Künstlern und an Künstlern, die die traumatischen Erfahrungen von Holocaust, Shoa und Exil thematisierten, war lange Zeit denkbar gering.19 Die Ansicht des Naumburger Doms ging 1955 von der Münchner Dienstelle nach Bonn ins Auswärtige Amt. 1962 wurde das Werk dort offenbar inventarisiert und stand den Diplomaten für die Ausschmückung der Botschaften im Ausland zur Verfügung. 2001 wurde das Bild als „entbehrlich“ eingestuft und im Kunsthandel veräußert (2013 erneut in einer Auktion angeboten und verkauft).20 In jeder Hinsicht steht dieses Fallbeispiel von Karl Walthers „Naumburger Dom“ konträr zum geltenden Narrativ. Es zeigt auch, dass die Kunst der GDK keine archäologische Angelegenheit ist: Wissen wie Nichtwissen sind inniglich mit den Interpretamenten der Kunst im 20. Jahrhundert verbunden, mit der Art und Weise der Zuweisung außerkünstlerischer Werte und Normen an moderne und traditionelle Kunst. Diesen Wegen, Spuren und Ein- und Ausgrenzungsversuchen nachzugehen bleibt auf absehbare Zeit Desiderat der Kunstgeschichte, und deshalb lohnt sich das Nachdenken über die GDK.

Anmerkungen 1 Julia Kristeva : Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection, Paris 1980 (Powers of Horror: An Essay on Abjection, New York 1982). 2 Werner Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert, München 1954, S. 426. 3 Auch die Überlegungen der beiden wegweisenden Themenhefte der Zeitschrift „kritische berichte“ – NS-Kunst: 50 Jahre danach. Neue Beiträge (Bd. 17, Nr. 2 [1989]) und Faschismusrezeption in Kunst und Kunstgeschichte nach 1945 (Bd. 18, Nr. 4 [1990]) – blieben weitestgehend unberücksichtigt. 4 Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen: Die Große Deutsche Kunstausstellung 1938 – Relektüre und Neubewertung, in: Eva Atlan, Raphael Gross, Julia Voss (Hrsg.):

Die Große Deutsche Kuntausstellung 1937–1944

[Ausstellungskatalog] 1938: Kunst, Künstler, Politik, Jüdisches Museum Frankfurt/Main, Göttingen 2013, S. 189–208, hier S. 204.   5 Vgl. Maximilian Aracena: Die „Große Deutsche Kunstausstellung“ von 1937 bis 1944. Eine Verkaufsausstellung, unveröffentlichte Magisterarbeit LMU München, 2013.  6 Nicht zufällig widmet sich eine der ersten quellenbasierten Studien genau diesem Umstand: Ines Schlenker: Hitler’s Salon. The ‚Große Deutsche Kunstausstellung‘ at the Haus der Deutschen Kunst in Munich, 1937–1944. Oxford 2007 (German linguistic and cultural studies, vol. 20).   7 Für die Ermittlung der Gesamtzahl von 2805 einzelnen Käufern – Privatpersonen, Verbände, Organisationen, Kommunen, Dienststellen, Firmen (Betriebe, Unternehmen), Banken, Kunsthandlungen und Galerien, etc. – danke ich Ralf Peters, Photothek des ZI.   8 Vgl. André Gunthert, L’ordre des images. Culture visuelle et propagande en Allemagne nazie, in: Vingtième Siècle, n° 72, octobre-décembre 2001, p. 53–62 (online: http://issuu. com/gunthert/docs/l-ordre-des-images?e=1023961/3028449).   9 Eine substanzielle kritische Auseinandersetzung, etwa im Anschluss an Silke Wenk: Aufgerichtete weibliche Körper. Zur allegorischen Skulptur im deutschen Faschismus, in: Behnken, Klaus (Hrsg.): Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK): Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus, Berlin 1987, S. 103–118, hat meines Wissens nicht stattgefunden. 10 In alphabetischer Reihenfolge seinen nur drei jüngere Publikationen und ein älterer Aufsatz genannt: Peter Chametzky: Objects as history in twentieth-century German art. Beckmann to Beuys, Berkeley 2010, Kapitel Sculpture and Crime. Arno Breker, S. 136–158; Nikola Doll: Das Staatsatelier Arno Breker. Bau- und Nutzungsgeschichte 1938–1945, hrsg. von Dorothea Schöne und Almut Koch (= The Arno Breker State Atelier: history of its construction and use 1938–1945), Berlin 2014 (Edition Kunsthaus Dahlem, Bd. 2); Jürgen Trimborn: Arno Breker. Der Künstler und die Macht, Berlin 2011. Vgl. Jonathan Petropoulos: From seduction to denial. Arno Breker’s engagement with National Socialism, in: Richard A. Etlin (Hrsg.): Art, culture, and media under the Third Reich, Chicago 2002, S. 205–229. 11 Vortrag bei der Konferenz „Art in Battle“, 14.–16. August 2014, Kode Art, Bergen, NK; erscheint 2015 im Ausstellungskatalog „Art in Battle“. 12 Ausführlicher zu diesem Umwertungsprozess: Christian Fuhrmeister: 75 Jahre Gegensätze? Zur „Gegenwart der Vergangenheit“, in: Eva Atlan, Raphael Gross, Julia Voss (Hrsg.): [Ausstellungskatalog] 1938: Kunst, Künstler, Politik, Jüdisches Museum Frankfurt/Main, Göttingen 2013, S. 301–315, hier S. 311–313. 13 Vgl.  http://www.hausderkunst.de/agenda/detail/burcu-dogramaci-und-guersoy-dogtas-rudolf-belling-aesthetische-und-ideologische-kaempfe/. 14 Keith Holz, ‘Brushwork thick and easy’ or a ‘beauty-parlor mask for murder’? Reckoning with the Great German Art Exhibitions in the Western democracies, in: RIHA Journal 0055 (28 September 2012), URN: urn:nbn:de:101:1-201211267222, URL: www.riha-journal.org/articles/2012/2012-jul-sep/holz-reckoning (March 11, 2015).

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15 http://www.verfassungen.de/de/de45-49/kr-direktive30.htm (11.3.2015). 16 Fuhrmeister & Klingen 2013 (wie Anm. 4), hier S. 193. 17 Brigitte Zuber: Zur Entnazifizierung der Künstler der GDK. Vortrag auf der Internationalen Tagung zur Freischaltung der Forschungsplattform GDK Research, 20.–21. Oktober 2011 (http://www.zikg.eu/archiv/main/2011/gdk/zuber-vortrag.pdf ). 18 National Archives and Records Administration (NARA), Washington DC, M 1946, Records Concerning the Central Collecting Points (“Ardelia Hall Collection”): Munich Central Collecting Point, 1945–1951, Record Group: 260 (Administrative records, correspondence, denazification orders, custody receipts, property cards, Jewish restitution claim records, property declarations, and other records from the Munich CCP), Roll 0001, National Archives Catalog ID: 3725253, Series: Administrative Records, Category: Art Objects On Loan, passim. – Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Stephan Klingen, Photothek des ZI. 19 Dazu jetzt ausführlich Kathrin Hoffmann-Curtius: Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess, Marburg 2014. 20 Ausführlicher dazu Ira Mazzoni: Von der Reichskanzlei ins Auktionshaus, in: Süddeutsche Zeitung, 28. Februar 2013 (http://www.sueddeutsche.de/kultur/nazibild-naumburger-dom-von-der-reichskanzlei-ins-auktionshaus-1.1611729).

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POLITISCHE FÜHRUNG UND POLITISCHE ÜBERWACHUNG DER DEUTSCHEN KUNST IM ZWEITEN WELTKRIEG

Kunst für das Volk Am 16. Juni 1939 eröffnete Hitler die dritte Große Deutsche Kunstausstellung in München mit einer Programmrede, in der er behauptete, die von der nationalsozialistischen Regierung zugelassene und geförderte Kunst entspreche den Wünschen einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. 1 Wie weit aber war die nationalsozialistische Kunstpolitik tatsächlich von der Bevölkerung akzeptiert oder sogar gewünscht, oder wie weit musste sie bei ihr durchgesetzt oder ihr sogar 1 Hitler eröffnet die Große Deutsche Kunstausstellung, 1939 aufgezwungen werden? Diese Frage stellt sich nicht erst heute als historische, sondern stellte sich bereits damals als politische. Denn im Jahre 1939 sah die deutsche Regierung die Akzeptanz durchaus nicht als gesichert an. Sie hatte zwar seit September 1933 fast die gesamte deutsche Künstlerschaft, mit Ausnahme einer geringen Minderheit, die ihr nicht genehm war, in der Reichskammer der bildenden Künste unter ihre politische Aufsicht gestellt und sie mit einem Strom von Anordnungen gefügig zu machen versucht.2 Trotzdem unterhielt sie seit 1938 eine regelmäßige, umfassende, geheime Meinungsforschung im deutschen Kunstleben, ebenso wie in anderen Bereichen von Gesellschaft und Kultur, die vom Sicherheitsdienst der SS erstellt wurde. Die „Meldungen aus dem Reich“, die diese Organisation durch zahlreiche Agenten und Informanten überall in Deutschland sammeln und im Berliner Reichssicherheitshauptamt in regelmäßige Berichte an die Reichsregierung verarbeiten ließ, summieren sich zu einem Abriss der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der deutschen Kunst zwischen 1938 und 1944, der erkennen lässt,

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dass Widersprüche zwischen Kunstpolitik und „Volksgemeinschaft“ bis zum Ende fortbestanden.3 Die „Meldungen aus dem Reich“ über Kultur wurden seit Mai 1940 zweimal wöchentlich vorgelegt. Sie umfassten alle Bereiche unter der Kompetenz des Reichspropagandaministeriums, die bildenden Künste einbegriffen. Der Minister, Joseph Goebbels, vermerkt in seinem Tage2 Hitler mit Gefolge bei der Eröffnung der Großen Deutschen buch, wie angelegentlich er sie stuKunstausstellung 1939 dierte.4 Wie sich einer seiner Mitarbeiter erinnert, waren sie ihm „so wertvoll, dass er immer wieder aus ihnen vorlas“.5 Gaben sie ihm doch die Möglichkeit, Erfolge und Misserfolge seiner Bemühungen um eine politische Lenkung der deutschen Kultur nachzuprüfen. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete er mit dem Reichssicherheitshauptamt und dessen Leiter Reinhard Heydrich eng zusammen.6 Im Reichspropagandaministerium waren nicht nur mehrere SD-Verbindungsleute tätig,7 sondern mehrere leitende Beamte, allen voran Hans Hinkel, seit 30. April 1940 „Generalsekretär der Reichskulturkammer“8, waren selber Mitglieder der SS.9 Erst seit Frühjahr 1943, als die „Meldungen aus dem Reich“ eine zunehmende Ablehnung der Regierungspolitik seitens der Bevölkerung zu verzeichnen begannen, schloss Goebbels sich der Auffassung anderer Regierungsmitglieder an, sie seien übermäßig kritisch, ja defätistisch. Im Sommer 1944 brachten sie schließlich die Regierung so sehr in Verlegenheit, dass sie in ihrer regelmäßigen Form eingestellt wurden.10

Politische Überwachung und politische Kritik Die „Meldungen aus dem Reich“ registrieren nicht nur, wie die Künstlerschaft und die kunstinteressierte Bevölkerung die Kunstpolitik der Regierung aufnahmen, sondern legen auch politische Beurteilungen von deren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Erfolgen oder Misserfolgen vor. Dass die Regierung sie für die Bestimmung ihres kunstpolitischen Kurses heranzog, liegt in ihrer Funktion begründet. Allerdings ist über den Verwaltungsweg ihrer Benutzung durch die mit Kunst befassten Staatsstellen bisher noch wenig bekannt.11 Damit stellt sich der Forschung das Problem der Wechselbeziehung zwischen politischer Führung und politischer Überwachung der deutschen Kunst im Dritten Reich.

Politische Führung und politische Überwachung der deutschen Kunst im zweiten Weltkrieg

3 Fritz Erler, Porträt des Führers, Große Deutsche Kunstausstellung 1939

Wie weit die Wechselbeziehung ging und wie sie ablief, ist bisher nicht zureichend erörtert worden. Die umfassendste Darstellung der nationalsozialistischen Kunstpolitik, die bisher vorliegt, Otto Thomaes „Die Propaganda-Maschinerie“ von 1978, behandelt die Direktiven des Propagandaministeriums und die Berichte des Reichssicherheitshauptamts, ohne sie politisch zueinander in Beziehung zu setzen. Versucht man dies zu tun, stellen sich vor allem zwei Fragen. Die Frage der politischen Führung der deutschen Kunst erfordert eine institutionsgeschichtliche Untersuchung der Verwaltungstätigkeit, die die politische Gleichschaltung, Kontrolle und Funktionsbestimmung der Kunstproduktion und des Kunstmarkts durch Partei und Regierung durchsetzen sollte. Die Frage der politischen Überwachung erfordert eine wirtschaftsgeschichtliche, sozialgeschichtliche und kunstgeschichtliche Untersuchung der Erfolge, Rückschläge und Kurskorrekturen dieser Verwaltungstätigkeit.

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Der Neubeginn von 1937 Bekanntlich mussten im Frühjahr 1937 Hitler und die kunstpolitisch verantwortlichen Regierungsmitglieder und Parteiführer feststellen, dass ihre vier Jahre andauernden Bemühungen fehlgeschlagen waren, die Masse der in der Reichskammer der bildenden Künste zusammengeschlossenen Künstler zur Produktion einer unverwechselbar nationalsozialistischen Kunst von hoher Qualität anzuhalten.12 Unter dem Leitwort „Sie hatten vier Jahre Zeit“ wechselten sie innerhalb weniger Wochen ihren Kurs und setzten zu einer neuen Politik verschärfter Reglementierung an.13 Diese neue Politik wurde am 18. und 19. Juli 1937 in zwei kurzfristig anberaumten Ausstellungen in München sozusagen dialektisch vorgeführt: der Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung und ihrem Gegenstück, der Ausstellung „Entartete Kunst“. Beide Ausstellungen waren nicht als Vorführung eines Neuanfangs konzipiert, sondern als Sammlung und Sichtung, das heißt als politische Selektionierung der bisher vorliegenden Produktion. Ihre öffentliche Inszenierung und Besprechung in der Presse wurden im Propagandaministerium festgelegt, die Auswahl der ausgestellten Werke wurde von Hitler persönlich kontrolliert, aber eines versuchte die nationalsozialistische Kunstverwaltung nicht: eine ihren politischen Vorstellungen gemäße Kunst für den freien Markt von Grund auf neu zu entwickeln.14 Diese Kursänderung von der erfolglosen Führung der deutschen Kunst15 zu ihrer politischen Kontrolle zog ihre geheimdienstliche Überwachung nach sich. So wurde zwei Wochen vor der Eröffnung beider Ausstellungen, am 1. Juli 1937, das Ressort Kunst dem SS-Sicherheitsdienst zur Bearbeitung zugeteilt. Dieser begann allerdings erst im folgenden Jahr mit seinen regelmäßigen Berichten. Der Rückschlag von 1938 Gleich 1938, als die deutsche Kriegsplanung auf einen Termin hin aktiviert wurde, erlitt das populistische Kunstprogramm, das Hitlers anfangs zitierter Behauptung zu Grunde lag, den ersten Rückschlag. Nach dem zweiten amerikanischen Börsenkrach Mitte 1937 waren die Volkswirtschaften von den USA bis zur Sowjetunion, weltwirtschaftlich verflochten wie sie waren, in eine Rezession zurückgefallen. Die deutsche Wirtschaft hatte es besonders schwer, war sie doch durch Hitlers Doppeldirektive vom Sommer 1936, Heer und Produktion bis Mitte 1940 kriegsbereit zu machen, schon bis aufs äußerste angespannt. Da die weltweite Aufrüstung die Rohstoffpreise weltweit steigen ließ, fiel die deutsche Handelsbilanz, die 1937 noch positiv gewesen war, ins Defizit. Mitte 1938 wurde der Vierjahresplan drastisch gekürzt und sein Erfüllungsdatum von 1940 bis 1942 aufgeschoben. Im November 1938 schließlich berichtete Göring dem Reichsverteidigungsrat, der Arbeitsmarkt und die Produktionskapazität seien ausgeschöpft, die Währungsreserven aufgezehrt und die finanzielle und wirtschaftliche Gesamtlage sei katastrophal16.

Politische Führung und politische Überwachung der deutschen Kunst im zweiten Weltkrieg

Die kritische Lage einer Wirtschaft, die auf den unmittelbar bevorstehenden Angriffskrieg hinarbeiten musste, machte sich unverzüglich in einem Abschwung auf dem deutschen Kunstmarkt bemerkbar.17 1938 sank die Besucherzahl der Großen Deutschen Kunstausstellung gegenüber 1937 von 554.759 auf 455.32518 und der Gesamterlös aus dem offenen Verkauf von 750.000 auf 420.000 Mark19. Dass das offizielle Schlussergebnis gleichwohl auf eine Million Mark,20 nach anderen Quellen sogar auf 1.503.800 Mark21 beziffert werden konnte, war einem großen Stützungskauf Hitlers zu verdanken,22 der die Ausstellung nicht weniger als fünf Mal besuchte, um eine persönliche Auswahl von mehreren hundert Werken zu treffen.23 Auch in den folgenden Jahren verzerrten solche Stützungskäufe Hitlers, Goebbels’24 und anderer Regierungsmitglieder und Parteiführer25 die Verkaufsbilanz.26 Und auch die übrigen Privatverkäufe schlossen Regierungs- und Parteiorganisationen, Banken und Großfirmen ein.27 Diese sicherten sich die großformatigen Werke, die für individuelle Kunstliebhaber oder Sammler nicht nur unerschwinglich, sondern auch ungeeignet waren.28 Schon am 24. Juni 1937 hatte die Pressekonferenz des Reichspropagandaministeriums „der Presse verboten, die Käufer von Werken aus der GDK oder deren Verwendungszweck zu nennen“.29 Und so zielten die Sprachregelungen, die das Propagandaministerium der Presse für die dritte Große Deutsche Kunstausstellung, die am 16. Juli 1939 eröffnet wurde – und bei der Hitler die anfangs zitierte Eröffnungsrede hielt –, erteilte, eindeutig darauf, ihren Verkaufszweck herunterzuspielen. Das Haus der deutschen Kunst sei „nicht Absatzstätte, Kunstbörse, Kunstmarkt, sondern Tempel der deutschen Kunst, ‚ästhetische Kirche‘ (Hölderlin)“;30 die Ausstellung sei grundsätzlich verschieden vom „liberalisierenden“ Kunstbetrieb des 19. Jahrhunderts.31 Offensichtlich wollte man von vornherein keine allzu hohen Erwartungen an das Verkaufsergebnis aufkommen lassen. Die kunstpolitischen Folgeerscheinungen dieser Lage ließen nicht lange auf sich warten. Der 1. Vierteljahreslagebericht für 1939 der „Meldungen aus dem Reich“ konnte zwar überall „eine rege Ausstellungstätigkeit“ feststellen,32 mahnte jedoch an, dass vielerorts, sogar in Berlin, die ausgestellten Werke hinter die Standards nationalsozialistischer Kunstauffassung zurückgefallen seien.33 In „anderen großen Ausstellungen“ stellten die Agenten sogar „konfessionelle, kommunistische und kunstbolschewistische Einflüsse“ fest.34 Die „Meldungen“ ließen keinen Zweifel daran, dass ein solches Wiederaufleben moderner Kunsttendenzen – denn das besagte das Wort „kunstbolschewistisch“ – mit der schlechten Marktlage zu tun hatte.35 Die Unzufriedenheit der Künstler mit der nationalsozialistischen Kunstpolitik, die die SD-Agenten schon in ihrem zusammenfassenden Bericht für 1938 hatten feststellen müssen,36 betraf einen grundsätzlichen Widerspruch in der Entwicklung einer nationalsozialistischen Staatskunst an den Großbauten von Nürnberg und Berlin, die seit 1936 im Gange war. Im Widerspruch zu dem Anspruch des

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4 Besucher der Großen Deutschen Kunstausstellung 1943

nationalsozialistischen Kunstprogramms – soweit man von einem solchen Programm, das niemals im Einzelnen und verbindlich formuliert wurde,37 sprechen kann –, einer Kunst aus dem Volke Platz zu schaffen, wurden wichtige Staatsaufträge – wie an der Neuen Reichskanzlei, mit deren Bau in diesem Jahr begonnen wurde – nur an wenige prominente Künstler vergeben. Diese Staatskunst beruhte auf einem anderen, ebenfalls nationalsozialistischen Prinzip: dem Führerprinzip. Sie wurde geprägt von Albert Speer, Arno Breker, Josef Thorak, Werner Peiner und wenigen anderen, einer Elite führender Künstler mit engen persönlichen Beziehungen zu den Führungsträgern von Staat und Partei, ja zu Hitler selbst. Alle diese Künstler wurden auf Reichskosten mit großen Werkstätten voller Zuarbeiter ausgestattet,38 so dass man von einer Staatskunst im Wortsinne sprechen kann. Mit dem Ideal einer Kunst als kultureller Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung der Volksgemeinschaft, das die Großen Deutschen Kunstausstellungen vorführen sollten, hatte diese Staatskunst nichts gemein.

Der Aufschwung durch die Kriegskonjunktur Doch schon im Verlauf der Großen Deutschen Kunstausstellung von 1939 erwiesen sich die Befürchtungen über die prekäre wirtschaftliche Lage der Künstlerschaft als unbegründet. Zwar ging die Besucherzahl wiederum zurück, und zwar von 460.000 im Vorjahr auf 420.000, verglichen mit der Rekordzahl von über 500.000 im Jahre 1937. Finanziell dagegen kündigte sich eine Wendung zum Besseren an. Im Gegensatz zur sinkenden Besucherzahl war die Summe aller Verkäufe erheblich gestiegen, nach einer späteren Bilanz auf nicht weniger als 2,1 Millionen Mark.39 Auch diese Bilanz verbarg allerdings Hitlers umfangreiche Stützungskäufe. Die Voraussetzungen des Umschwungs waren von der beginnenden Kriegswirtschaft geschaffen worden.40 1939 war das deutsche Sozialprodukt von ca. 82 auf ca. 89,7 Milliarden Mark gestiegen, die Zahl der Arbeitslosen von 456.000 auf 128.000 gesunken, und die Exportbilanz war seit der Mitte des Jahres wieder positiv. Zugleich schnellte die Staatsverschuldung von 19 Milliarden im Steuerjahr 1937/38 auf 32,8 Milliarden im Steuerjahr 1938/39 und auf 56,3 Milliarden im Steuerjahr 1939/40 in die Höhe, und die ständige Geldvermehrung stimulierte die Nachfrage auf dem Binnenmarkt.41 Da dieser jedoch seit 1936 einem Preisstopp für alle lebenswichtigen Güter unterlag, und da jetzt noch dazu das Angebot anderer Verbrauchsgüter versiegte, kam es zwar

Politische Führung und politische Überwachung der deutschen Kunst im zweiten Weltkrieg

5 Hans Liska, Gebirgsjäger bringen ein Geschütz in Stellung, 1943

zu einem massiven Geldüberhang, aber zu keiner Inflation.42 Am 3. März 1943 vermerkte der Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, dass nach Hitlers Urteil die Politik der Geldvermehrung durch fiktive Staatsschuldverschreibungen und rückläufige Besteuerung voll aufgegangen war.43 Angesichts der beginnenden Kriegskonjunktur überrascht es also nicht, dass seit Anfang 1940 die SD-Agenten sowohl einen Aufschwung des Marktes als auch ein steigendes Interesse des Publikums an den von Regierung und Partei veranstalteten Kunstausstellungen verzeichnen konnten.44 In ihrem Bericht vom 22. April 1940 stellten die „Meldungen aus dem Reich“ den Aufschwung des Kunstbetriebs und der Kunstausstellungen in längerer Form dar.45 Offenbar in unmittelbarer Reaktion darauf beauftragte Goebbels in der Ministerkonferenz vom 24. April 1940 einen seiner Beamten, die „von vielen Bevölkerungskreisen freudig aufgenommene Vielzahl

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der Kunstausstellungen noch weiter“ zu steigern und „andererseits [...] darüber [zu] wachen, dass sich nicht wieder entartete Kunst einschleicht“.46 War jedoch das steigende Interesse für die offiziell geförderte Kunst der Erziehung der Bevölkerung in nationalsozialistischer Kunstanschauung zu verdanken, oder sogar einer wachsenden Zustimmung zum Propagandagehalt dieser Kunst? Oder war es nichts weiter als ideologisch bedeutungslose Kunstbegeisterung im Rahmen eines konventionellen Geschmacks, den es schon vor 1933 gegeben hatte? In den folgenden Kriegsjahren bekamen es die verschiedenen kunstpolitischen Behörden mit einer immer stärker florierenden Kunstszene zu tun, in der sich diese Frage immer dringlicher stellte.

Qualitätsverfall und ideologische Indifferenz Die steigende Popularität der staatlich approbierten Kunst führte zu zwei Grundsatzproblemen. Das erste Problem war wirtschaftlich und bezog sich auf die hohen Preise und das sinkende Niveau der Produktion, die auf den immer weiter wachsenden Markt geworfen wurde.47 Das zweite Problem war politisch und bezog sich auf den Mangel an zeitgeschichtlichen Themen in den ausgestellten Werken kunstpolitisch regimekonformer Künstler.48 Nachdem die „Meldungen aus dem Reich“ in ihren Berichten vom 30. Mai49 und vom 19. August 194050 ausführlich auf den Verkauf von „Kitsch“ im Kunsthandel eingegangen waren, ergriff Propagandaminister Goebbels am 22. August die ersten Maßnahmen in einem „Kampf gegen den Kitsch“, wie diese Initiative offiziell hieß.51 Am 1. Oktober 1940 erließ die Reichskammer der bildenden Künste eine „Anordnung über den Vertrieb minderwertiger Kunsterzeugnisse“.52 Kurz darauf wurde ein „Ausschuss zur Begutachtung minderwertiger Kunsterzeugnisse“ gegründet, dessen Kompetenzen „Freigabe, bedingte Freigabe bzw. bei völliger Ablehnung der Kunstwerke Sicherstellung durch die Polizeibehörden“ in sich schlossen.53 Das Schlagwort „Heerschau deutscher Kunst“, unter dem die Große Deutsche Kunstausstellung 1940, die erste, die im Krieg abgehalten wurde, nach den Presseanweisungen des Propagandaministeriums propagiert wurde,54 sollte keineswegs eine allgemeine Ausrichtung der Kunst auf Kriegsthematik oder Kriegsgesinnung anzeigen, sondern den ungebrochenen Kulturwillen des deutschen Volkes mitten im Kriege demonstrieren. Dementsprechend wurde die Presse immer wieder angewiesen, die steigenden Besucherzahlen der Ausstellung groß herauszustellen. Von Kriegspropaganda dagegen ließen diese Anweisungen nichts verlauten. Unter politischen Gesichtspunkten stellte sich der Erfolg der Ausstellung gleichwohl nicht unproblematisch dar. Zwar war die Besucherzahl schlagartig von 420.000 auf 604.000, also auf mehr als selbst in der ersten Ausstellung von 1937, angestiegen, und die Verkäufe hatten sich von 2,1 auf 2,5 Millionen Mark erhöht.55 Doch die politischen Probleme, die die „Meldungen aus dem Reich“ schon früher an-

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gesprochen hatten,56 hatten sich verschärft. Nach wie vor relativierten die künstlerische Kritik an der mittelmäßigen Qualität und die politische Kritik an der geringen Anzahl aktueller Themen den populistischen Erfolg. Die Besucher bewunderten die herausragenden Staatsaufträge, die Peiner, Breker und Thorak ausgestellt hatten. Doch bemängelten sie weiterhin, dass die Mehrzahl der privat arbeitenden Künstler unbekümmert mit ihrer „kleinbürgerlichen“, das heißt thematisch indifferenten Malerei57 zu überhöhten Preisen58 fortfuhr. Hier geriet also das populistische Kunstideal, das die Regierung propagierte, in einen Konflikt mit der Wirtschaftspolitik des freien Marktes, auf dem es funktionieren sollte. Sobald Künstler auf diesem ständig wachsenden Markt leichter verkaufen konnten, verstummten die Klagen über mangelnde Parteikontrolle und mangelnde Regierungsaufträge, die sie zwei Jahre zuvor erhoben hatten. Sie konnten nun wieder auf die Vorliebe des Publikums für sauber gearbeitete, realistische Gemälde zählen. Dafür benötigten sie keine politischen Direktiven. Und da dieses Publikum dem gut verdienenden Bürgertum entstammte, konnten sie die anwachsende politische Indoktrinierung der unteren Bevölkerungsschichten, die von ihnen eine ideologisch erhebende Kunst erwartete, ignorieren. In ihrem zusammenfassenden Bericht „Zur Aufnahme der Kunstausstellungen in den letzten Monaten“ vom 11. November 1940 machten die SD-Agenten klar, dass das Massenpublikum mit dieser Sachlage immer unzufriedener geworden war.59 Und bald wurde die gesellschaftliche Kluft, die sich hier auftat, so offensichtlich, dass ein Eingriff geboten schien.

Der Eingriff von 1941 Im Frühjahr 1941 verzeichneten die SD-Agenten aus den angeführten Gründen eine Stagnation oder sogar einen leichten Rückgang des Publikumsinteresses an Kunstausstellungen. Zugleich vermehrten sich die nun schon gewohnten Klagen aus dem Publikum über die hohen Preise der Bilder60 und die ideologische Indifferenz der Themen.61 Die Meldungen klangen umso kritischer für die nationalsozialistische Idealvorstellung einer Kunst aus dem Volk und für das Volk, als sie zugleich in immer breiteren Volkskreisen eine Zustimmung zum Propagandagehalt der Staatskunst von Elitekünstlern feststellen konnten, die in Massenreproduktionen verbreitet wurde. Gerade weil die Besucher die ideologischen Prämissen der Ausstellungen bejahten, bemängelten sie, dass die übergroße Mehrzahl der ausgestellten Werke jener Idealvorstellung bestenfalls formal Genüge tat. Die Verantwortlichen beherzigten offenbar diese Berichte, die darauf hindeuteten, dass der Massenerfolg ihrer Kunstpolitik von der scheinbar konformen Kunstszene durch überhöhte Preise und mangelnde Propaganda aufs Spiel gesetzt wurde. Denn in der Großen Deutschen Kunstausstellung von 1941, die am 26. Juli eröffnet wurde, lassen sich Bemühungen erkennen, die beklagten Missstände in beiden Punkten

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zumindest zu mildern, wenn schon nicht zu beheben. Die besondere Aufmerksamkeit, die das Propagandaministerium gerade dieser Ausstellung widmete, erhellt aus den zahlreichen Anweisungen, Themenvorgaben und Sprachregelungen, die es während der mehr als drei Monate dauernden Ausstellung immer wieder erließ.62 Wie weit sich diese Anweisungen auf Ideen bezogen, die schon der Vorbereitung der Ausstellung zu Grunde lagen, das heißt, wie weit 6 Josef Schuster, Bauernstilleben, Große Deutsche Planung und Öffentlichkeitsarbeit Kunstausstellung 1939 zusammenhingen, ist vorerst unklar, denn das Reichspropagandaministerium war nicht mit der Planung befasst. Grandiose Kriegsthemen rückten in den Vordergrund63 – herrschten allerdings zahlenmäßig keineswegs vor – und fanden den angestrebten Anklang.64 Und die Ausstellungsleitung setzte viele Preise ohne Rücksicht auf die Künstler vergleichsweise niedrig an,65 wofür die SD-Agenten ebenfalls prompt die Zustimmung der Besucher verzeichneten.66 Der Bericht des SD vom 2. März 1942 zeigt aber auch, dass mit derart halbherzigen Maßnahmen die gesellschaftlichen Widersprüche der regimekonformen Kunst nicht aus der Welt geschafft worden waren. Das Publikum äußerte sich zufrieden über die ideologische Thematik, die Künstler äußerten sich unzufrieden über die Preispolitik. Damit wurde ein potentieller Antagonismus fortgeschrieben, der sich in den noch folgenden drei Ausstellungen und in der allgemeinen Kunstproduktion bis zum Ende des Krieges nie mehr lösen ließ. Da jenseits der Geschäftsführung des Hauses der Deutschen Kunst die Preise unaufhaltsam stiegen, stellte sich das Problem des Qualitätsverfalls, das mit dem Wort „Kitsch“ umrissen war, immer dringlicher. Am 16. März 1942 hatte der Sicherheitsdienst scharfe Beschwerden darüber zu vermelden.67

Weiter wie bisher War jedoch der Verzicht der Partei- oder Regierungsstellen auf die immer wieder angemahnte Durchsetzung von Qualitätsstandards nur auf fehlende politische Entschiedenheit zurückzuführen? Oder ging es ihnen nicht vielmehr darum, nach der

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Krise von 1938 der stetigen Verbesserung der Marktbedingungen für Kunst innerhalb der Kriegswirtschaft nichts in den Weg zu stellen? Damals hatte die Rezession des Kunstmarkts die Künstler zugleich Staatsaufträge einklagen und in „kunstbolschewistische“ Opposition zurückfallen lassen. Jetzt verzeichneten die SD-Agenten keinerlei oppositionelle Regungen in deutschen Künstlerkreisen mehr. Damit waren aus der Sicht der Verantwortlichen die gesellschaftlichen und politischen Probleme der deutschen Kunst weitgehend gelöst. Schon im Mai 1940 hatte der Abteilungsleiter im Propagandaministerium, Hans Hinkel, der von Goebbels mit „Hilfs- und Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen für bedürftige und notleidende Kulturschaffende“68 beauftragt worden war, in aller Deutlichkeit festgestellt, dass dafür keine Notwendigkeit mehr bestehe, denn 99 % der Kulturschaffenden seien trotz dem Krieg „qualitativ und quantitativ voll in Arbeit oder in jeder Weise versorgt“.69 Das „Hilfswerk für deutsche bildende Kunst“,70 das Goebbels im Sommer 1936 gegründet hatte, wurde im Sommer 1942 eingestellt.71 Die Regierung brauchte keine Subventionen für Künstler mehr bereitzustellen, denn sie hatte deren funktionale Einbeziehung in die Marktprozesse der Gesamtwirtschaft mehr als erreicht. Sie hätte die politisch konforme wirtschaftliche Befriedung des deutschen Kunstbetriebs aufs Spiel gesetzt, wenn sie versucht hätte, diese Entwicklung abzubremsen. Die Besucherzahl der Großen Deutschen Kunstausstellung 1942 stieg noch einmal auf 840.000 an, das heißt auf 100.000 mehr als im Jahr zuvor. Bereits am 9. November 1942, mehrere Monate bevor die Ausstellung schloss, notierten die „Meldungen aus dem Reich“ sowohl die Zunahme als auch die politische Problematik des sich anbahnenden Erfolgs.72 Gesellschaftlich am aufschlussreichsten war die Beobachtung, dass die arbeitende Bevölkerung das Interesse an der Ausstellung zu verlieren begann.73 Die Gründe für diese andauernde oder sogar ansteigende Klassenbegrenzung74 der regierungsamtlich approbierten Kunst sind unschwer auszumachen. Sowohl Künstler als auch Organisatoren hatten sich an keine der kritischen Bemerkungen aus dem Publikum gehalten, die die SD-Agenten im Vorjahr aufgegriffen hatten. Was immer an gesellschaftlichen Spannungen oder politischen Einwänden laut geworden sein mochte, der Erfolg der Großen Deutschen Kunstausstellung von 1942, der nach der Schließung am 21. Februar 1943 wie üblich statistisch festgestellt und in der Presse hochgespielt wurde, stellte alle bisherigen Rekorde in den Schatten. Mit insgesamt 847.000 Besuchern übertraf sie die des Vorjahres um 140.000, und der Erlös der 1214 verkauften Werke war auf nicht weniger als 3,8 Millionen Mark gestiegen.75 Schon am 29. Juli 1942 äußerte sich Hitler in einem seiner Tischgespräche hoch befriedigt darüber.76 Wenn er dabei sagte, der hohe Andrang beweise ihm, dass das Volk für seine Kunstpolitik empfänglich sei, sprach er allein von künstlerischer Qualität, erwähnte dagegen Kriegspropaganda mit keinem Wort.

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1943 ist das letzte Jahr, in dem die „Meldungen aus dem Reich“ von der deutschen Kunstszene berichten. Bis dahin lassen sie erkennen, dass in Deutschland mitten im totalen Krieg die Künste florierten, dass das Publikum massenhaft in die Ausstellungen strömte, dass die Preise, angeheizt durch Hitlers enorme Stützungskäufe,77 weiter stiegen, und dass die gesellschaftlichen und politischen Probleme, die all das verursachte, zwar fortbestanden, aber nicht weiter ins Gewicht fielen. Die Presseanweisungen des Propagandaministeriums gaben weiterhin vor, der Propagandawert der Kunstausstellungen liege darin, dass sie trotz schwerster Kriegsnotlage weiterhin stattfanden.78 Doch die gesellschaftliche Divergenz zwischen dem wachsenden Interesse breiter Massen für reine Kriegskunstausstellungen79 einerseits und der anhaltenden Konjunktur des konventionellen Kunstmarkts für wohlhabende Gesellschaftsschichten andererseits traten in den „Meldungen aus dem Reich“ immer deutlicher hervor. Während der ästhetische Rang der populären Werke von Künstlern an der Front zwar zweifelhaft erschien, doch ihrem Erfolg beim Publikum keinen Abbruch tat, wurde die auf dem Markt angebotene professionelle Kunst sowohl dafür kritisiert, dass sie zeitgeschichtlicher Bedeutsamkeit entbehrte,80 als auch dafür, dass sie gewöhnlichen Kunstliebhabern unerschwinglich geworden war. In der Tat hatte die nationalsozialistische Regierung von Anfang an die deutsche Kunst für den Markt nicht auf politische Propagandafunktionen hin ausgerichtet, sondern auf die vordergründig unpolitische Vermittlung ästhetischer Befriedigung innerhalb einer Kultur politischer Zustimmung. Insofern täuschte sich das Massenpublikum, wenn es in einer wesenhaft kommerziellen Kunst eine inspirierende Kriegskultur zu finden hoffte. Vielmehr erfüllte die staatlich sanktionierte deutsche Kunst ihre kulturpolitische Aufgabe bis zum Schluss.81 Jenseits der systematischen Verklärung des Kriegsgeschehens an der Front und der Kriegsbereitschaft in der Heimat durch die Massenmedien von Rundfunk, Film und illustrierter Presse bot sie der Bevölkerung ein ästhetisches Refugium, in dem der Krieg, der nun verloren ging, kaum mehr in Erscheinung trat.

Anmerkungen   1 Adolf Hitler: Reden zur Kunst und Kulturpolitik 1933–1939, hg. von Robert Eikmeyer, Frankfurt 2004, S. 222 f.: „[...] entscheidend war, dass der neue Staat nicht nur die Bedeutung seiner volks- und machtpolitischen, sondern auch kulturellen Aufgaben erkannte [...]. Damit aber hörte die Kunst auf, das mehr oder weniger interne Gesprächsthema schwindsüchtiger Ästheten zu sein, sondern sie begann ein kraftvolles Element unseres kulturellen Lebens zu werden. Ganz gleich, was nun der eine oder andere Verrückte darüber vielleicht auch noch heute zu denken beliebt, auf den neu entstandenen Plätzen entscheidet nunmehr aber schon längst das Volk. Das Gewicht der Zustimmung von Millionen lässt jetzt die Meinung einzelner völlig belanglos sein.“

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  2 Vgl. Reinhardt Merker: Die bildenden Künste im Nationalsozialismus. Kulturideologie, Kulturpolitik, Kulturproduktion, Köln 1983, S. 127.   3 Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S. 72 ff.   4 Nach Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 72, ist „nur in einem Fall eine spezielle Anweisung von Goebbels in der MK auf Grund einer MADR nachzuweisen“. Thomae gibt hierfür allerdings keinen Nachweis, nimmt jedoch an, dass Goebbels „diese teilweise sehr kritischen Berichte aufmerksam verfolgte“.   5 Stefan Krings: „Das Propagandaministerium. Joseph Goebbels und seine Spezialisten“, in Lutz Hachmeister: Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München 2005, S. 29–48, hier 46.   6 Willi A. Boelcke (Hg.): „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Die geheimen Goebbels-Konferenzen, 1939–1943, Stuttgart 1967, S. 124/125.   7 Krings 2005 (wie Anm. 5), S. 46.   8 Boelcke 1967 (wie Anm. 6), S. 183.  9 Alan E. Steinweis: Art, Ideology, and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, Chapel Hill 1993, S. 63; Krings 2005 (wie Anm. 5), S. 45/46. 10 Heinz Boberach: Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, I–XIX, Herrsching 1984, I, S. 36/37. 11 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 18, schildert den Verwaltungsweg lediglich als Politik der Presselenkung: „[...] ein Problem wird in den Meldungen aus dem Reich aufgegriffen oder etwa von Hitler aufgegriffen, daraufhin in der ‚Ministerkonferenz‘ besprochen, in den Pressekonferenzen und anschließend in den Pressediensten formuliert, in der Presse ausgewertet und abschließend in der Pressekonferenz beurteilt [...].“ 12 Vgl. Peter Adam: Art of the Third Reich, New York 1992, S. 68, 104, 109; Klaus Backes: Hitler und die bildenden Künste. Kulturverständnis und Kunstpolitik im Dritten Reich, Köln 1988, Backes 1988 (wie Anm. 12), S. 61/62; Ines Schlenker: Hitlers Salon. The Große Deutsche Kunstausstellungen at the Haus der Deutschen Kunst in Munich 1937–1944, Frankfurt 2007, Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 123/124; Birgit Schwarz: Geniewahn. Hitler und die Kunst, Köln u. a. 2009, S. 213. 13 Vgl. Jonathan Petropoulos: Art as Politics in the Third Reich, Chapel Hill/London 1996, S. 58. 14 Vgl. Jonathan Petropoulos: „A Guide Through the Visual Arts Administration of the Third Reich“, in Glenn R. Cuomo (Hg.): National Socialist Cultural Policy, New York 1995, S. 121–153, hier 129. 15 „Jahresbericht 1938“, Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 80: „Trotz des weitgehenden Ausbaues der Kulturorganisation fehlt die einheitliche Planung: Reichserziehungsministerium, Innenministerium, Propagandaministerium, Dienststelle Rosenberg, die Kulturverwaltungen der Länder und Provinzen, die Kulturämter der Partei, die Reichskulturkammer mit ihren Einzelkammern, die Organisation ‚Kraft durch Freude‘, der Dozentenbund, der Studentenbund, die entsprechenden Berufsverbände, die Wissen-

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schafts- und Forschungseinrichtungen des Heeres, die entsprechenden Einrichtungen der Wirtschaft und Industrie usw. sind im einzelnen bemüht, nationalsozialistische Kulturpolitik zu betreiben, ohne dass es bisher gelungen wäre, diese vielfältig wirksamen Kräfte zu einer geschlossenen, in den grundsätzlichen Teilen aufeinander abgestimmten, planend vorausschauenden Kulturpolitik zusammenzufassen.“ 16 Dieser Abschnitt stützt sich auf einen unveröffentlichten Vortrag von Peter Hayes. 17 Vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 183/184, mit Verweis auf Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 115/116. 18 Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 80, nach Bayerisches Hauptstaatsarchiv 156, Haus der Deutschen Kunst, S. 2, korrigiert teilweise abweichende Zahlen, die in der früheren Literatur genannt sind. 19 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 43/44, nach Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer, Oktober 1938, S. 12. 20 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 43/44, nach Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer, Oktober 1938, S. 12. 21 Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 83, auf Grund verschiedener Quellen, die in Anm. 40 aufgelistet sind. 22 Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 125, beziffert die Gesamtsumme von Hitlers Ankäufen auf 899.780 RM, abweichend von den Zahlen, die sie selbst, S. 83 nennt. Teilweise andere Zahlen, die auf den Debitorenbüchern, Historisches Archiv Haus der Kunst, HdDK 24/1-6, beruhen, bei Sabine Brantl: Haus der Kunst München. Ein Ort und seine Geschichte im Nationalsozialismus, München 2007, S. 100. Wiederum abweichende Zahlen, ebenfalls aufgrund von Archivmaterial, bei Reinhard Müller-Mehlis: Die Kunst im Dritten Reich, 2. Auflage, München 1977, S. 28, und Backes 1988 (wie Anm. 12), S. 82. 23 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 43, Anm. 50; Petropoulos 1996 (wie Anm. 13), S. 183. 24 Petropoulos 1996 (wie Anm. 13), S. 196/197. 25 Petropoulos 1996 (wie Anm. 13), S. 60, 183, 196. 26 Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 275: „Da und dort wurden größere finanzielle Erfolge erzielt, die auf die Unterstützung von Partei-, Staats- und Stadtstellen zurückzuführen sind; private Käufer fehlen im ganzen Reich fast durchweg.“ Vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 194. 27 Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 77; Petropoulos 1995 (wie Anm. 14), S. 132/133. 28 Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 194. 29 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 26, 40. 30 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 352. 31 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 352: „Korruption des Kunsthandels, gemeinsame Sache mit der bestechlichen Kritik, die schließlich erreicht, dass eine volksfremde ‚Kunst‘ hoch im Ansehen und Preis steht ... Der liberalistische Ausstellungsbetrieb beseitigt zugunsten klarer kulturpolitischer Führung.“ 32 Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 275.

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33 Boberach 1984 (wie Anm. 10), II; S. 275/276: „[S]o zeigte z. B. die Ausstellung ‚Der deutsche Westen‘ in Düsseldorf Werke zahlreicher Künstler, die früher als Kunstbolschewisten bekannt waren; die Ausstellung des Schlesischen Künstlerbundes zeigte eine Reihe von Werken, in expressionistischem und impressionistischem Stile und aus Anlass einer Ausstellung in Wesermünde, in der Werke von Künstlern aus dem ehemals kommunistischen Worpswede und aus Fischerhude gezeigt wurden, wurde mehrmals öffentlich der nach Moskau emigrierte kommunistische Künstler Heinrich Vogeler anerkennend zitiert. [...] Eine besondere Stellung auf dem Ausstellungsgebiet nimmt Berlin ein, wo neben positiven Kunstausstellungen eine Reihe von äußerst bedenklichen Ausstellungen besonders in Privatgalerien, wie der Galerie von der Heydt, stattfanden. Die verantwortlichen Ausstellungsleiter der Privatgalerien zeigten nicht immer Verständnis für eine nationalsozialistische Kunstauffassung. [...] Die Ausstellung der jungen Künstlerschaft bot zu einem großen Teil ein Bild der Entartung und der Unfähigkeit, so dass der Eindruck entstand, dass dieser Teil des Künstlernachwuchses sich einer nationalsozialistischen Kunstauffassung entgegenstellt.“ 34 Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 275. 35 Boberach 1984 (wie Anm. 10), II, S. 275: „Da und dort wurden größere finanzielle Erfolge erzielt, die auf die Unterstützung von Partei-, Staats- und Stadtstellen zurückzuführen sind; private Käufer fehlen im ganzen Reich fast durchweg.“ 36 Boberach 1984 (wie Anm. 10), I, S. 116: „In weiteren Kreisen der deutschen Künstlerschaft selbst, soweit sie nicht als ausgesprochen nat.soz. eingestellt anzusprechen ist, insbesondere aber in der ostmärkischen Künstlerschaft, war eine Opposition gegen die nat.soz. Kunstanschauung vorhanden. [...] Fast die gesamte deutsche Künstlerschaft steht ferner der Reichskammer der bildenden Künste ablehnend gegenüber.“ 37 Vgl. Konrad Dussel: „Kunst und Kultur im NS-Staat. Zur Geschichte ihrer Geschichtsschreibung und deren Ergebnisse“, in Neue politische Literatur 35 (1990), S. 390–406, S. 402; Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 132; Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 66. 38 Petropoulos 1995 (wie Anm. 14), S. 133, 235. 39 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 46, mit Verweis auf Berthold Hinz: Die Malerei im deutschen Faschismus, München 1974, S. 40, der aus dem „Ergänzungsteil zum Offiziellen Ausstellungskatalog der Großen Deutschen Kunstausstellung 1938“ zitiert. 40 Vgl. Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 74; Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 196/197. 41 Nach Hayes (wie Anm. 16). 42 Götz Aly: Hitlers Volksstaat: Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt 2005, S. 93. 43 Aly 2005 (wie Anm. 42), S. 74: „Der Führer betonte mehrfach, die Großeinnahmen belasteten die Kaufkraft nur wenig. Da zögen lediglich die Preise der Kunstgegenstände u. dergl. an, und das sei völlig ungefährlich. Die Kaufkraft der breiten Massen sei das Wesentliche!“ 44 „Zur wirtschaftlichen Lage der Bildenden Kunst“, Boberach 1984 (wie Anm. 10), III, S. 681, 24. Januar 1940: „Aus den verschiedensten Reichsteilen wurde im Laufe der letzten

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Wochen gemeldet, dass die Kunstausstellungen unerwartet hohe Besucherzahlen zu verzeichnen hatten, dass in Kunsthandlungen sich ein starkes Interesse für bildende Kunst zeigt und besonders Werke höherer und höchster Preislagen gekauft werden.“ „Zur Lage im deutschen Kunsthandel“, Boberach 1984 (wie Anm. 10), IV, S. 1193, 30. Mai 1940: „Wie bereits in den Meldungen aus dem Reich vom 24.1.1940 mitgeteilt wurde, zeigt sich, nach nunmehr aus dem ganzen Reichsgebiet vorliegenden zahlreichen Meldungen, ein stetig wachsendes Interesse der Bevölkerung an bildender Kunst, womit eine starke Zunahme der Kauflust und der tatsächlichen Ankäufe in den Kunsthandel verbunden ist.“ 45 Boberach 1984 (wie Anm. 10), IV, S. 1037/1038; vgl. Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 150. 46 Boelcke 1967 (wie Anm. 6), S. 329; Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 74. 47 Vgl. Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 151, 167. 48 Vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 146. 49 30. Mai 1940, Boberach 1984 (wie Anm. 10), IV, S. 1194: „Im gesamten Kunsthandel spielen allerdings Erzeugnisse mit geringem künstlerischen Wert und ausgesprochener Kitsch mengenmäßig immer noch die Hauptrolle. [...] Selbst gute Kunsthandlungen seien wegen der immer noch überwiegenden Nachfrage nach Kitsch und mittelmäßigen Massenerzeugnissen gezwungen, sich solche gängige Kunstware zuzulegen.“ 50 „Kitscherzeugnisse im deutschen Kunsthandel“, 19. August 1940, Boberach 1984 (wie Anm. 10), V, S. 1483: „Der Bericht in den Meldungen aus dem Reich v. 30.5.1940 über die Lage im deutschen Kunsthandel wurde in der Zwischenzeit insbesondere im Hinblick auf die mengenmäßige Verbreitung des Kitsches durch weitere eingehende Meldungen bestätigt. Daraus geht hervor, dass in der Öffentlichkeit und vor allem in Künstlerkreisen das Überhandnehmen des Kitsches viel erörtert wird.“ 51 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 171 ff., vgl. Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 167; Thomas Mathieu: Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Studien zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach, Heinrich Himmler, Albert Speer, Wilhelm Frick, Saarbrücken 1997, S. 141/142. 52 Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer, Nr. 10, 1940, S. 2. 53 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 172/173. 54 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 48/49. 55 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 52. 56 „Zu den Kunstausstellungen der letzten Monate“, 20. Februar 1941, Boberach 1984 (wie Anm. 10), VI, S. 2023: „[...] es werde allgemein das Fehlen zeitgemäßer Themen bedauert. Der Wunsch nach künstlerischer Gestaltung von Themen unserer Zeit sei so stark, dass jedes Werk, das sich thematisch mit der Gegenwart befasse, besonders eingehend betrachtet und besprochen werde [...] Die Klagen über das Fehlen zeitgemäßer Themen in der bildenden Kunst haben sich in der letzten Zeit ständig gesteigert ...“ 57 11. November 1940, Boberach 1984 (wie Anm. 10), V, S. 1755: „Allerdings werde aus allen Besucherkreisen ziemlich einhellig immer wieder die Frage erhoben, warum die bildenden Künstler in ihren Bildthemen so wenig auf die Größe der heutigen Zeit eingehen.

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‚Man wolle heute lebensbejahende Bilder mit anregendem, mitreißendem Stimmungsgehalt sehen‘ (Stuttgart). ‚Es fehle ein positives Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung‘ (Leipzig).“ 58 Boberach 1984 (wie Anm. 10), V, S. 1755/1756: „Sehr häufig wird nach den vorliegenden Berichten Klage erhoben über zu hohe Preise der Kunstwerke, so dass teilweise im Vergleich mit den ersten (p.) Kunstausstellungen im Kriege bereits geringere Verkaufserfolge zu verzeichnen sind ... [...] Übereinstimmend wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Preise für Gemälde so angestiegen seien, dass breite Besucherkreise vom Ankauf ausgeschlossen seien. Gerade im Hinblick auf das gesteigerte Interesse breiter Bevölkerungskreise für bildende Kunst werden immer zahlreichere Stimmen laut, die eine gesunde Preisgestaltung im Ausstellungsbetrieb wünschen.“ 59 Boberach 1984 (wie Anm. 10), V, S. 1754 ff. 60 20. Februar 1941, Boberach 1984 (wie Anm. 10), VI, S. 2022/2023: „Allgemein wird in den letzten Monaten weiter über das auffällige Ansteigen der Preise für Werke der bildenden Kunst geklagt. Schon jetzt gingen die Preise zum großen Teil weit über das hinaus, was für breitere Käuferschichten erschwinglich sei.“ 61 Boberach 1984 (wie Anm. 10), VI, S. 2023: „Umso stärker wurde dagegen bemängelt, dass die Mehrzahl der Kunstausstellungen immer noch kaum anderes als Landschaften oder Stilleben bringe. In Besucherkreisen höre man mehrfach Stimmen, ob sich eigentlich ein Großteil der bildenden Künstler bewusst vom Zeitgeschehen abschließe.“ 62 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 53/54. 63 In der Zeitschrift Die Kunst dem Volke, Folge 9 (September 1941), „Die große Deutsche Kunstausstellung 1941, II“, S. 1–40, vgl. S. 9, die Heinrich Hoffmann, der Verantwortliche für die Auswahl, als Verleger für das Gebiet des früheren Österreichs herausgab, heißt es dazu: „War schon in der ‚Großen Deutschen Kunstausstellung 1940‘ dem Kriegsbild ein beträchtlicher Teil des Schaffens gewidmet, so sehen wir in der diesjährigen Ausstellung dieses Thema in noch größerem Umfange aufgegriffen. Die Anteilnahme des ganzen deutschen Volkes an dem siegreichen Vormarsch unserer Wehrmacht, sowie der heldenmütige Einsatz einzelner Männer und Gruppen bei Verwendung modernster technischer Kampfmittel, schaffen den gewaltigen Hintergrund, der unsere Künstler immer mehr zur Darstellung des Kriegserlebnisses drängt.“ 64 2. März 1942, Boberach 1984 (wie Anm. 10), IX, S. 3398: „Die ausgestellten Werke haben in breiten Besucherkreisen zumeist weitgehende Zustimmung gefunden. Besonders beachtet wurden alle Arbeiten, die das Kriegsgeschehen zu gestalten versuchen. Es wurde hervorgehoben, dass Themen des Krieges und einer heldischen Lebensauffassung häufiger vertreten gewesen seien, als es teilweise in örtlichen Ausstellungen heute der Fall sei. Besonders hervorgehoben wird in den Äußerungen der Bevölkerung das Kriegsbild von Padua ‚Der 10. Mai 1940‘.“ 65 Vgl. Brantl 2007 (wie Anm. 22), S. 102; Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 198, vermerkt solche Eingriffe bereits für die GDK von 1939. 66 2. März 1942, Boberach 1984 (wie Anm. 10), IX, S. 3398: „Es sind in der Öffentlichkeit zahlreiche Gerüchte im Umlauf, dass die Ausstellungsleitung angeblich die Preise

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ziemlich willkürlich herauf- und herabsetze. Falls in einzelnen Fällen Künstler sich mit dieser Preisfestsetzung nicht einverstanden erklärten, hätten sie unter ihren ausgestellten Bildern den Vermerk ‚unverkäuflich‘ zu erwarten.“ 67 16. März 1942, Boberach 1984 (wie Anm. 10), IX, S. 3476: „In letzter Zeit wird immer wieder aus allen Teilen des Reichs berichtet, dass während des Krieges das Angebot minderwertiger Kunsterzeugnisse außerordentlich gestiegen sei. [...] Bei den angebotenen Gemälden handle es sich zumeist um schlecht abgemalte Reproduktionen oder vergrößerte Postkarten. [...] Die dabei geforderten Preise betrügen oft das fünf- oder zehnfache der Preise für gleiche Erzeugnisse vor dem Kriege. [...] Durch diese Flut von minderwertigen Erzeugnissen würden vor allem auch alle Bemühungen um eine positive Kunsterziehung breiter Volkskreise immer wieder in Frage gestellt.“ 68 Vgl. Frank G. Steele: „Die Verwaltung der bildenden Künste im ‚New Deal‘ und im ‚Dritten Reich‘“, in Berthold Hinz u. a. (Hg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus, Gießen 1979, S. 198–204, S. 201; Steinweis 1993 (wie Anm. 9), S. 99. 69 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 133, nach Informationen des Zeitschriftendienstes des Propagandaministeriums vom 17. Mai 1940. 70 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 128/129. 71 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 129, 305; vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 191, doch nicht, wie die Autorin meint, wegen seiner Erfolglosigkeit, sondern weil es als überflüssig erachtet wurde. 72 9. November 1942, Boberach 1984 (wie Anm. 10), XII, S. 4442: „In zahlreichen Berichten aus allen Reichsteilen heißt es, dass die Große Deutsche Kunstausstellung in München von Jahr zu Jahr auch in breiteren Kreisen der Bevölkerung größere Aufmerksamkeit finde und dass sie für beträchtliche Teile des Volkes bereits zu einem ‚Begriff‘ zu werden beginne.“ 73 Boberach 1984 (wie Anm. 10), XII, S. 4442: „Die vorliegenden Berichte stimmen allerdings darin überein, dass die Ausstellung in Kreisen der werktätigen Bevölkerung und auf dem Lande bisher einen verhältnismäßig geringen Widerhall gefunden habe. Aus diesen Kreisen seien in diesem Jahr wiederholt Fragen zu hören gewesen, ob eine solche Ausstellung tatsächlich kriegswichtig sei.“ Vgl. Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 61/62; Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 81, mit weiteren Nachweisen; Brantl 2007 (wie Anm. 22), S. 107. 74 22. Februar 1943, „Zu den Kunstausstellungen im vierten Kriegsjahr“, Boberach 1984 (wie Anm. 10), XII, S. 4837: „Private Käufer würden, so wird fast durchweg berichtet, nur den finanzkräftigen Schichten angehören und in der Bevölkerung werde immer häufiger die Meinung vertreten, Ölgemälde u. a. Kunstgegenstände seien heute mehr als früher eine Angelegenheit der ‚oberen Zehntausend‘, ‚trotz aller schönen Worte, dass die Kunst dem Volke dienen solle.‘“ Vgl. Merker 1983 (wie Anm. 2), S. 168. 75 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 64, mit Anm. 156, nach „Die Kunst im Dritten Reich“, 1943, Nr. 4–5, S. 112, und „Völkischer Beobachter“, 27. Juni 1943, S. 4. 76 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 62.

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77 Vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 199/200, 204; Brantl 2007 (wie Anm. 22), S. 101. 78 Thomae 1978 (wie Anm. 3), S. 67. 79 „Zur Aufnahme von Kriegskunstausstellungen“, 15. Februar 1943, Boberach 1984 (wie Anm. 10), XII, S. 4803: „Nach zahlreichen Berichten haben die laufend durchgeführten Kriegskunstausstellungen in den verschiedenen Reichsgebieten zumeist eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Es wurde beobachtet, dass zahlreiche Besucher sehr häufig auch aus Kreisen der Bevölkerung kamen, die sonst kaum von Kunstausstellungen erfasst wurden. Mehrfach hat man einen starken Zustrom der werktätigen Bevölkerung beobachtet. In einzelnen Fällen wird von ‚Rekordbesuchen‘ berichtet.“ 80 22. Februar 1943, „Zu den Kunstausstellungen im vierten Kriegsjahr“, Boberach 1984 (wie Anm. 10), XII, S. 4836: „Nach den hiesigen Berichten nimmt das deutsche Kunstschaffen, soweit es in den Ausstellungen sichtbar wird, fast überhaupt keine Stellung zum Zeitgeschehen. Es sei nach Form und Inhalt meist völlig problemlos. Es werden überwiegend Landschaften, Stilleben und Blumenstücke gemalt.“ 81 Vgl. Schlenker 2007 (wie Anm. 12), S. 111/112.

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Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ Berlin und die „nationale Revolution“

„Als Nationalsozialisten haben wir für die Zukunft zu bauen, unser Blick war stets in die Zukunft gerichtet, wir wollen aber als heutige Kunst nicht eine ,spätbürgerliche Kunst‘, wie sie W[ilhelm] Stapel treffend nennt, die letzter Ausklang war, sondern eine kraftvolle, innerlich revolutionäre, d. h. ideen- und spannungsreiche Kunst aus dem Geiste der Opfer der Bewegung. Als Menschen der Gegenwart, einer Zeit der Volkserneuerung durch die Not, haben wir das Recht und die Pflicht, auch neue Wege der Kunst zu gehen. Es muß also, um mit Moeller van den Bruck zu reden, auch hier die Revolution gewonnen werden.“1

1934 charakterisierte Winfried Wendland, Architekt und Kustos der Berliner Kunsthochschule, die Bildung einer Regierung der „nationalen Konzentration“ am 30. Januar 1933, die politischen Gewaltakte und Gleichschaltungen in der ersten Jahreshälfte 1933 ganz im Duktus vieler Anhänger der „nationalen Bewegung“ als „Revolution“ – und als einen epochalen Neubeginn. In den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ hatten er und der Malereiprofessor Max Kutschmann an diesen Vorgängen einen wesentlichen Anteil. Max Kutschmann war 1927 in die NSDAP eingetreten, Winfried Wendland vermutlich 1931 oder 1932.2 Der 1933 gerade 30-jährige Wendland und der 62-jährige Kutschmann waren zudem Mitglieder der Berliner Ortsgruppe des von Alfred Rosenberg begründeten „Kampfbunds für deutsche Kultur“. Im Verlauf des Jahres 1932 hatten sie sich dort zu engagierten Agitatoren gegen die sozialdemokratisch beeinflusste, preußische Kulturpolitik entwickelt. In den Monaten nach Hitlers Machtantritt wurden sie zur Führung der „Vereinigten Staatsschulen“ bestimmt. Inwiefern nahm mit ihnen die Parole von der „nationalen Revolution“ an der Hochschule Gestalt an? Können wir von einer Zäsur in der Künstlerausbildung an den „Vereinigten Staatsschulen“ sprechen, die im Zusammenhang zur Errichtung des „Dritten Reiches“ stand? Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich den Blick auf jene hochschulinternen Prozesse und Entscheidungen richten, die sich über mehrere Jahre – vom politischen Umbruch 1932/33 bis zur Etablierung des NS-Regimes und dessen innerer Verfestigung etwa in den Jahren 1937/38 – vollzogen. Eingangs bedarf es hierzu eines Rückblicks auf die relevanten, vor 1933 entstandenen Strukturen und Positionen innerhalb der Institution.3

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Pluralistische Programmatik 1924 bis 1932 Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ entstanden als Reformprojekt von Anhängern der zeitgenössischen Moderne. Der Direktor der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ Berlin, Bruno Paul, hatte innerhalb eines fachöffentlichen Diskurses um angemessene Formen der Künstlerausbildung 1917 ein erstes Konzept für die so genannte „Einheitskunstschule“ entworfen.4 Im Gefolge der Revolution von 1918/19 wurde das Vorhaben unter der sozialliberalen preußischen Regierungskoalition von Wilhelm Waetzoldt, Ministerialrat für bildende Kunst, entscheidend vorangebracht und schließlich in der Wirtschaftskrise 1923/24 realisiert.5 Zum 1. Oktober 1924 verfügte der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Otto Boelitz (DVP), die Zusammenlegung der „Hochschule für die bildenden Künste“ mit der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ in der Reichshauptstadt.6 Die daraus hervorgegangene Kunsthochschule bestand aus drei Abteilungen, nämlich für freie Kunst, angewandte Kunst und Architektur. Die ersten beiden gliederten sich in die Ausbildungszweige für Maler, Graphiker und Bildhauer. Der baukünstlerischen Abteilung hatte man die Architekturklassen und zusätzliche Klassen für Bauplastik, Glas- und Wandmalerei zugeordnet.7 Damit wurden die zweckfreien und zweckgebundenen Ausbildungsformen sowie die bestehenden Künstlerkollegien in einer Institution zusammengeführt, doch keine programmatische Klammer definiert. Vielmehr ermöglichte das Fortlassen allzu normativer Maßgaben eine neue, kreative Vielfalt und außerdem die Kanalisierung divergierender künstlerischer Interessen: Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ stellten damit das breite Spektrum des künstlerischen Schaffens dar, wie es in Berlin Mitte der 1920er Jahre Bedeutsamkeit besaß und waren gleichzeitig Teil dieser Szenerie. Hier begegneten einander über 50 Lehrer und Professoren unterschiedlichster Persönlichkeit, Kunstauffassungen und Arbeitsweisen. Dies reichte von „freien“ und „angewandten“ modernen Künstlern bis zu traditionellen Kunstgewerblern, von akademischen bis hin zu avantgardistischen Profilen.8 Darüber entstanden innere Konflikte und massive Ungleichgewichte, die den Hochschulbetrieb nach 1924 doch maßgeblich prägten. Deren Hintergrund bildete der Konfrontationskurs derjenigen Professoren, welche die Gleichwertigkeit aller künstlerischen Berufe oder die Einwirkungen der kulturellen Modernisierung auf die Künste, insbesondere der forcierten Industrialisierung und Rationalisierung, negierten. Sie proklamierten für sich Sondergeltung und beanspruchten die althergebrachten Privilegien, etwa indem sie die Aktsäle und Meisterschülerateliers mit Beschlag belegten. Durch ihre Blockade jedweder Verständigung innerhalb der Hochschule wurden die hierarchisierenden Trennlinien der Künstlerausbildung über acht Jahre hinweg fortgeschrieben. Dennoch entwickelte sich gleichzeitig ein vielgestaltiges, kreatives Feld. In der Ausbildungspraxis und institutionellen Selbstorganisation eröffneten sich Möglichkeiten der Entgrenzung,

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1, 2 S  chülerarbeiten der Klasse César Klein: Erika Peters, Stoffentwurf (1930) und Gemälde (1931). Peters wählte Abstraktionen geometrischer Formen und aus der Natur (Blätter, Wellen) als Webmuster. Figuratives Bildmotiv ist das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Matthäus 25, 1–13).

künstlerischer wie politischer Art. Hier arbeitete z. B. der abstrakte Künstler Walter Reger als zweckorientierter Lehrer für Bauplastik.9 César Klein regte seine Studierenden der angewandten Malerei dazu an, sich in den verschiedenen Arbeits- und Maltechniken von Fresko und Glasmosaik, dem Tafelbild und der Kulisse für das Kasperltheater bis hin zur alltagsweltlichen Textil- und Möbelgestaltung frei zu entwickeln. Karl Hofer und Max Kutschmann formulierten ihre politischen Standpunkte. Der eine tat dies in der linksliberalen Stellungnahme gegen den Faschismus, Letzterer deutschnational in der Kriegsehrenmal-Pflege. Gerade diese kulturell offenen Konstellationen ermöglichten unter Bezugnahme auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf den Staatsbankrott, die grassierende Armut und den politischen Rechtsruck, zwischen 1930 und 1932 verschiedene Formen aktiver studentischer Partizipation. Die Studierendenvertretung griff Impulse einer linksgerichteten Gruppe „der revolutionären Studierenden der V[ereinigten] S[taatsschulen]“10 auf und organisierte einen Vortragszyklus zu Gegenwartsfragen der Kunst, dessen

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Eintrittserlöse der studentischen Fürsorge zuflossen. Als Referenten sollten beispielsweise László Moholy-Nagy über „Fotomontage“, der ehemaligen Bauhausdirektor und engagierte Sozialist Hannes Meyer über „[d]ie Aufgaben der Architektur“ sowie der völkische Paul Schultze-Naumburg über „Kunst und Nation“ sprechen.11 Gleichermaßen ergaben sich seit 1930 Gelegenheiten zu integrativen Reformen in der Grund- und Fachausbildung. Repräsentativ hierfür ist Oskar Schlemmers Übernahme der fakultativen Grundlagenfächer Perspektive und Anatomie, die nun – seit seiner Anstellung zu Pfingsten 1932 – gemeinsam als „Raum- und Menschenlehre“ angedacht wurden.12 Getragen wurden die Neukonzeption von 1924 sowie die folgenden Belastungen und Kompromisse vom Gründungsdirektor der „Vereinigten Staatsschulen“, Bruno Paul. In den 3 Hermann Hosaeus (Plastik) und Max Kutschmann neuerlichen Reformvorhaben von 1932 (Malereien), Denkmal für die Gefallenen der Technischen – die von der Finanzverwaltung als Hochschule Berlin (1926). Deutschnationale Sinnstiftung erfuhr das Ensemble in seinen Motiven sowie den fiskalisches Erfordernis ausgegeben Textbeigaben. Der Sockel mit dem Handgranatenwerfer waren – intendierte Paul, die weitertrug die Inschrift: Wir wollen schwören und singen / In Nacht und Sturm hinein; / Deutsch bis zum Todesringen / hin notwendigen Einsparungen mit Und nichts als deutsch zu sein (Walter Flex). Den an der einer innovativen Unterrichtspolitik Rückwand namentlich genannten Gefallenen war ein Vers zu verbinden. Mithin sollte im abteiHölderlins geweiht: Lebe droben, oh Vaterland, und zähle nicht die Toten; dir ist, liebes, nicht einer zu viel gefallen. lungsübergreifenden Zeichenunterricht, bei Wegfall einer entsprechenden Stelle in der freien Kunst, die Egalisierung der fortbestehenden künstlerischen Rangordnung zwischen der freien Abteilung und den zweckbezogenen Sparten vorangetrieben werden. Eine Mehrheit der Lehrenden hatte diese Maßnahme aufgrund der erlebten Ungleichgewichte vorweggenommen; von Anderen wurde sie angesichts der Kontingentierung des Personaletats toleriert. Bruno Paul allein geriet jedoch deswegen ins Fadenkreuz der politischen Propaganda des

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„Kampfbunds für deutsche Kultur“, befeuert von Professor Kutschmann. Max Kutschmann war ein maßgeblich im Historismus geprägter Dekorationsmaler. Seine Kunstauffassung entsprang einem wilhelminischen Obrigkeitsdenken und orientierte sich an den Geschmacksmustern gründerzeitlicher Bürgerlichkeit. Seit 1908 lehrte er an der „Unterrichtsanstalt“, später an den „Vereinigten Staatsschulen“. Während des Kaiserreichs schuf er Wandmalereien in preußischen Rathäusern und Kirchen (etwa in Posen, Wittenberg und Halberstadt), aber auch im Berliner Landwehr-Kasino. Weiterhin restaurierte er Gemälde und Interieurs im Zuschauerraum der Königlichen Oper Unter den Linden sowie in der Aula der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.13 Angesichts der veränderten politischen Verhältnisse seit 1918/19, einhergehend mit der allgemeinen Etablierung von Künstlern der „modernen Bewegung“ im staatlichen Kunstbetrieb, beschränkte sich sein künstlerisches Wirkungsfeld auf die nationale Gedenkkultur.14 Kutschmann ging es offensichtlich im Reformprozess an den „Vereinigten Staatsschulen“ um den Werterhalt oder Geltungsrückgewinn der „schönen“ und „schmückenden“ Künste. In diesem kulturkonservativen Sinne forderte er eine grundlegende „Neu- oder Umgestaltung“ der Künstlerausbildung in Preußen. Denn, so formulierte er in einer Denkschrift im Sommer 1932, es sei durch das „Bestreben, den Kunstunterricht von dem sogenannten akademischen Zopf zu befreien und den Einzelpersönlichkeiten der Lehrer und Schüler grösseren Spielraum zu gewähren“ sowie angesichts einer „von dem vergehenden materialistischen Zeitalter hervorgerufene[n] Sturmflut der Verstandeswissenschaften und der auf ihnen gründenden Maschinenindustrie“ in den letzten Jahrzehnten „allmählich ein mehr oder weniger anarchischer Zustand eingerissen, der den Bestand derartiger Anstalten ernsthaft bedroht“.15 Kutschmann verfocht ein traditionalistisches Akademiemodell und entsprechende Vorstellungen eines Staatskünstlertums. Demzufolge legte er Bruno Paul Verfehlungen im Amt zur Last.16 Unterdessen führte im Juli 1932 der so genannte „Preußenschlag“ zum Sturz der geschäftsführenden Regierung Braun. Anschließend wurde eine Kommissariatsregierung unter der Aufsicht des rechtskonservativen Reichskanzlers von Papen installiert. Hieraufhin probten innerhalb des Lehrerkonvents der „Vereinigten Staatsschulen“ die Gegner egalitärer Konzeption und allseitiger Einsparungen die Selbstermächtigung: Indem die gewählten Vertreter der freien Abteilung und des traditionellen Kunstgewerbes anstelle der Umverteilung der Unterrichtskontingente die Neubesetzung zweier vakanter Stellen berieten, vereitelten sie die jüngsten Reformmaßnahmen ihres Direktors.17 Als Bruno Paul schließlich noch seinen Rückhalt im Ministerium verlor, sah er sich zum Jahreswechsel 1932/33 zum Rücktritt genötigt.18

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Eingriffe im Zusammenhang einer „nationalen Erhebung“ 1933 Ein Zwischenschritt in den damit noch vor der NS-Machtübernahme eingeleiteten programmatischen Veränderungen an den „Vereinigten Staatsschulen“ wurde von dem Architekten Hans Poelzig gestaltet. In seiner Funktion als Vizepräsident der „Preußischen Akademie der Künste“ übernahm er am 10. Januar 1933 die kommissarische Leitung der Kunsthochschule und trieb fortan die ausstehenden Ausbildungsreformen voran.19 Er zog die Vorsteher der drei Abteilungen beratend hinzu. Ihre Leitmotive bildeten die Autonomie der Kunst und personale Autorität. Innerhalb der Hochschule wäre bei einer nach rein künstlerischen Gesichtspunkten rigoros modernen Fachpolitik die strikte Trennung zwischen der Unterweisung in das künstlerische Handwerk und dem Studium der Kunst hergestellt worden. 20 Dies hätte den Wiederausbau hierarchischer Strukturen der Künstlerausbildung impliziert. Eine weitere Stärkung der im Berliner Kunstbetrieb namhaften modernen Künstlerelite wäre einhergegangen. Unterdessen erneuerten die Mitglieder der örtlichen Kampfbundgruppe ihre Agitationen gegen die Amtsträger, weil sie ihrerseits nach Einfluss in der staatlichen Kulturverwaltung oder in Leitungspositionen in den Kunstinstitutionen strebten. Winfried Wendland prangerte bereits Anfang Januar die Entscheidung für Hans Poelzig als eine Bestallung des liberalistisch-internationalistischen, republikanischen Establishments und als Manifestation seiner Cliquenwirtschaft an.21 Max Kutschmann drängte dann im Februar 1933 – infolge des Machtwechsels – mehrfach bei Hans Hinkel, dem Leiter des Berliner „Kampfbunds“ und nunmehr seit dem 31. Januar Kommissar für Kultur in Preußen, auf umfangreiche politische Säuberungen.22 Hatten sie den Druck im Januar und Februar unablässig erhöht, so sollte dieser nach den Märzwahlen kanalisiert werden. Nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes und dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG) wurde Winfried Wendland am 7. April 1933 mit der Programmarbeit moderner Kunstpolitik im Preußischen Kultusministerium betraut.23 Hans Poelzig wurde von der Hochschulleitung abberufen, sein Reformversuch damit abgebrochen. Anfang Mai wurde Max Kutschmann zum kommissarischen Direktor der „Vereinigten Staatsschulen“ bestimmt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er faktisch bereits seit drei Wochen das Zepter in die Hand genommen, schon die Suspendierungen der Professoren Emil Rudolf Weiss, Karl Hofer, Edwin Scharff und César Klein erreicht sowie die Kündigungen von Oskar Schlemmer, Walter Reger und Heinrich Tessenow eingeleitet.24 Nur die Ausschlüsse von Hofer und Weiss richteten sich konkret gegen Widersacher nationalsozialistischen Machtstrebens an der Hochschule. Bereits 1931 hatte Karl Hofer in einer Beitragssammlung mit dem Titel „78 Arbeiter, Angestellte, Schriftsteller, Politiker beantworten die Frage: Wie kämpfen wir gegen ein Drittes Reich?“ zur Solidarität innerhalb der Arbeiterbewegung gemahnt; „Sozialist und

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Kommunist“ zur Bildung einer Einheitsfront gegen die „NS.-Partei“ aufgerufen.25 Emil Rudolf Weiss soll am 30. Januar auf die Verlautbarung eines Saaldieners der „Vereinigten Staatsschulen“ hin, dass Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden sei, beiläufig bemerkt haben: „Der kann mich mal am Arsch lecken.“26 Alsbald, so ist es an anderer Stelle überliefert, soll er das Kabinett Hitler eine „Päderastenregierung“ geschimpft haben.27 Analog zu den Lehrenden ließ Max Kutschmann die Studentenschaft von linkspolitisch engagierten Studierenden säubern. Bis Ende Juli wurden diejenigen Studierenden relegiert, die sich anders als einige Kommilitonen aus dem Umfeld der „revolutionären Studierenden“ entgegen einer Aufforderung der Hochschulleitung nicht auf den „Boden des neuen Deutschland[s]“ stellen mochten.28 Zwischenzeitlich hatte der geschäftsführende Direktor die Studierendenvertretung durch den sich just an den „Vereinigten Staatsschulen“ selbstermächtigten „Führer der Studentenschaft“, Fritz Schröner, mit politisch indifferenten Studenten und Mitgliedern des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds neubesetzen lassen. Von ihnen wurde das bis dahin demokratisch verfasste Gremium bis zum Jahreswechsel 1933/34 nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet. Darüber war alle selbstbestimmte studentische Initiative zerfallen. Die konkret gegen „antinationale“ Hochschulangehörige gerichteten Aktionen betrafen elf oder zwölf von 739 Kunsthochschülern und -schülerinnen sowie zwei von 52 Professoren und künstlerischen Lehrern.29 Ihre geringe Zahl lässt auf ein in der Mehrheit apolitisches, in der Lehrerschaft autoritär eingestelltes und antikommunistisch geprägtes Umfeld schließen, innerhalb dessen sich gegen die Vorgänge bis zum Frühsommer 1933 nur wenig, gleichwohl heftiger Widerspruch artikulierte. Mit den von April bis Juli 1933 von Max Kutschmann verantworteten Säuberungen wurde jegliche ernstzunehmende politische Gegenkultur liquidiert. Die erwähnten übrigen fünf Professorenausschlüsse richteten sich gegen ein vermeintliches „Programm Paul“, also gegen die von Bruno Paul seit 1919 beförderten programmatischen Neueinstellungen.30 Walter Reger hatte nach dem Durchbruch der künstlerischen Moderne seit 1907 an der „Unterrichtsanstalt“ bei Bruno Paul und Emil Rudolf Weiss studiert.31 Mit der Bestallung Weiss’ im selben Jahr hatte der damals neuernannte Direktor Paul erstmals seinen angewandten Standpunkt geltend gemacht: Für das Fach Allgemeine Dekoration ließ er einen modernen Maler und Schriftzeichner berufen, der sich als freier Künstler begriff.32 Die Spaltung zwischen der akademischen und gewerbebezogenen Künstlerausbildung wurde in dieser Personalentscheidung hinfällig. Walter Reger hatte fortan bei seinen beiden Lehrern geradezu mustergültig eine radikal innengeleitete Formensprache entwickelt, zudem bewegte er sich wie selbstverständlich zwischen den Gattungen der Malerei und Plastik. Ähnliches gilt für Edwin Scharff, der diese Entwicklung in Abgrenzung von den akademischen Traditionen in München vollzog.33 Die Einbeziehung solcher Künstler in die Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in der

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Frühphase der Weimarer Republik 1919 bis 1921 manifestierte eine zwischen der zweckfreien und zweckbezogenen Kunst enthierarchisierte, zwischen der Malerei, Bildhauerei und Architektur verbindende Kunstidee. Mit der gleichen programmatischen Prämisse übernahm der reformengagierte Maler César Klein eine Professur für Wand- und Glasmalerei. Er gehörte 1918 zu den Mitbegründern der Novembergruppe; 1919 wurde er Vorstandsmitglied im Berliner Arbeitsrat für Kunst sowie im Werkbund, Letzteres gemeinsam mit Hans Poelzig und Walter Gropius.34 Heinrich Tessenows Architektur-Professur an der Technischen Hochschule Charlottenburg war seit seiner Berufung 1926 mit einem Lehrauftrag an den benachbarten „Vereinigten Staatsschulen“ verbunden. Das bedeutete eine „Arbeitsgemeinschaft mit der Technischen Hochschule“, wie Bruno Paul sie in Übereinstimmung mit dem Ministerialreferenten Wilhelm Waetzoldt für die neue Kunsthochschule konzipiert hatte: „Hier“, so Paul, „muß ganz Neues entstehen, für das es nur wenige Erfahrungen und noch keine Vorbilder gibt.“35 Entgegen der Ausdifferenzierungen zwischen den technischen und mechanischen Wissenschaften einerseits und Kunst und Kunstgewerbe andererseits, wie sie sich für die Berliner Institutionen bis in die frühen 1920er Jahre konstitutiv herausgebildet hatten, wurde an den „Vereinigten Staatsschulen“ die Ausbildung der Bauingenieure und Baukünstler zusammengeführt.36 Überdies wurde die neuentstandene Abteilung für Architektur in ihrer Struktur und mit diesem Personal bereits 1924 als Gesamtkunstschule angelegt: zur „Vereinigung der künstlerischen Ausbildung von Architekten, Bildhauern und Malern aller Fächer“ innerhalb einer gemeinsamen „Lehranstalt“ sowie der Öffnung der Ausbildungsgänge untereinander.37 Verkörpert und praktiziert wurde eine „Einheit der Künste“ für die gesamte Kunsthochschule indes erst 1932/33 durch Oskar Schlemmer. Als Lehrer am Bauhaus hatte er mit der Bühnen-Werkstatt zwischen 1922 und 1929 in unkonventioneller Art und Weise die Entgrenzung von Zeichenkunst, Malerei, Skulptur und Dekoration in der Bühnen- und Kostümgestaltung vorangetrieben und in Synthese mit dem Theater, Tanz und Ballett bis in die Inszenierung hinein praktiziert.38 Darin stand er Max Kutschmann geradezu paradigmatisch gegenüber. Jener blieb tief verhaftet in den aus dem 19. Jahrhundert überlieferten Kunstqualitäten der Gattungstradition und handwerklichen Ausführung, konstitutiv den entsprechenden Disziplinengrenzen sowie Arbeitsteiligkeiten in der Lehre.39 In diesen grundlegenden künstlerisch-programmatischen Differenzen lagen die weiteren Ausschlüsse an den „Vereinigten Staatsschulen“ begründet: Im Mai 1933 wurde Heinrich Tessenows Lehrauftrag gekündigt, weil Max Kutschmann in der Architektur eine „Konkurrenzsituation“ mit der Technischen Hochschule sah. Oskar Schlemmer und Walter Reger wurden als Vertreter der radikalen Avantgarden, so gemeint als „Kulturbolschewisten“, entlassen. Anders verhielt es sich mit Edwin Scharff. Nachdem das analog politisch konnotierte Bild vom „roten“ Scharff40 widerlegt, wohl aber festgestellt galt, dass seine freien Lehrweisen den Anfor-

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derungen an die mit ihm besetzte Professur für Bauplastik nicht gerecht würden, wurde er im November 1933 auf die zuvor gesäuberte Stelle von Ewald Mataré an die Kunstakademie Düsseldorf versetzt.41 Unterdessen hatte sich auf Regierungsebene ebenso wie innerhalb des „Kampfbunds“ ein kulturpolitischer Machtkampf entwickelt. Hans Hinkel betrieb im Sommer 1933 gemeinsam mit Joseph Goebbels den Aufbau des Propagandaministeriums, wozu eine weitgehende Zusammenfassung der Kunstverwaltung in dessen Zuständigkeitsbereich zählte. Letztlich mündete dies im November 1933 in der Gründung der Reichskulturkammer.42 Darüber kam es zwischen Hinkel und Kutschmann zur offenen Konfrontation, wohingegen Winfried Wendland im Preußischen Kultusministerium als getreuer Gefolgsmann Hinkels im Sinne der Überführung der kunstpolitischen Kompetenzen in das Reichspropagandaministerium vermittelte.43 Hans Hinkel sicherte währenddessen seinen neuentstehenden Herrschaftsraum ab und kanalisierte einstweilen die Interessengegensätze in seinem kulturpolitischen Herkunftsverband, dem „Kampfbund“. In dieser Situation wurde Wendland als Kustode im Direktorium der „Vereinigten Staatsschulen“ Kutschmann an die Seite gestellt. Parallel gewann er als Referent der Ministerialverwaltung an Einfluss hinzu. Für den Umbau der Berliner Kunsthochschule wurde damit das Nebeneinander traditionalistischer und modernistischer Konzeptionen einer „deutschen Kunst“ entschieden. Winfried Wendland gehörte zu den Verfechtern einer „deutschen“ Moderne in der NSDAP. Er beschrieb den Künstler 1933 als „schaffende[n] Mensch, [...] formend und bildend, voll von Gedanken und Bildern“ und die Kunst als sein Schöpfungswerk: Ein besonderer „Geist“ sei es, der „ihm den Pinsel lenken oder das Schnitzeisen halten“ lasse, „bis er selbst im frohen Schaffensgefühl, wie ein Schöpfer seine Welt, sein Werk ansieht“.44 Er schätzte den Künstler als einen aus seinem Innersten Getriebenen, als mitunter leidenschaftlichen wie leidvoll-angespannten Berserker. Darin partizipierte er umfassend am modernen Künstlermythos.45 Seine Kunstauffassung war geprägt von Leitbildern des Neuen und der Originalität. In gleicher Weise fortschrittlich (er nannte dies „modern“) apostrophierte er den „nationalen“ Staat. Gleichsam sei in jenem „neue[n] Staat“ als einer dem Wesen nach „strengen Ordnung“ eine „große konservative Zeitepoche“ angebrochen.46 Mit Wilhelm Stapel, auf den Wendland ja in seiner „revolutionären“ Kunstarbeit rekurrierte, bedeutete dies die Anerkennung einer naturgegebenen Ordnung der Welt bzw. Rangfolge der Menschen nach Abstammung, Religion (oder des stammesmäßigen Kultes), Generation und Geschlecht. Politisches und wirtschaftliches Handeln ebenso wie die Künste galten demgegenüber als „sekundär“, weil sie „willkürlich“ und solchermaßen veränderbar seien.47 Demnach wären das Streben nach Herrschaft und der Kampf unter den Völkern aller menschlichen Existenz konstitutiv, freilich geistig, technisch und ästhetisch verfeinerbar. Winfried Wendland und Max Kutschmann unterschieden einander kaum hinsichtlich dieser fundamentalen

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Werthorizonte, wohl aber in ihrem Kunstgeschmack. Im Spätsommer und Herbst 1933 sollte Wendland gegen ein „Überwiegen von älteren Herren“ die personalpolitische Neuformierung der „Vereinigten Staatsschulen“ mitgestalten. Indem einseitig „reaktionären“ Eingriffen in das Künstlerkollegium Einhalt geboten wurde, konnte er den Anteil von Vertretern der ästhetischen Moderne bewahren.48 Anfang Oktober 1933 wurde die Suspendierung César Kleins aufgehoben49 und der Bildhauer Ludwig Gies konnte seine 1917 erhaltene Professur trotz einiger Anfeindungen aus der antimodernen Szene behalten.50 Außerdem wurde Heinrich Kamps, der reformpädagogisch orientierte Direktor der Staatlichen Kunstschule Berlin, auf die Professur für Allgemeine Dekoration von E. R. Weiss versetzt.51 Winfried Wendland versammelte jene Maler und Bildhauer abstrahierend-expressiver Ausdrucksformen gerade im nationalrevolutionären Gestus, im „Sinne der Kunstpolitik des neuen Staates“, an den „Vereinigten Staatsschulen“. Mit ihnen beabsichtigte er den Aufbau einer „neuen deutschen Kirchenkunst“ (Abb. 2).52 In derselben Weise erreichte er die Berufungen der seinerseits als dezidiert „junge deutsche Maler“ wertgeschätzten Künstler Franz Lenk, Vertreter der Neuen Sachlichkeit, für die Landschaftsmalerei und Kurt Wehlte für die Maltechnik.53 Diese Entscheidungen waren hochumstritten, da sie gegen die Politik des kommissarischen Direktors sowie die Mehrheitsmeinung einer „völkischen Kunstreaktion“ liefen.54 Max Kutschmann leitete die ausstehenden Ausbildungs- und Strukturreformen an den „Vereinigten Staatsschulen“ zum Jahresende 1933 ein. Die bisherigen drei Abteilungen wurden auf eine für „freie Kunst“ und eine für „Baukunst“ reduziert. Auf diese Weise fand der Rückbau der Architekturabteilung in ihrer bisherigen „Form und Zielsetzung“ seinen Abschluss.55 Die Architektur wurde wieder zu einer Disziplin der Künstlerausbildung neben der Malerei, Bildhauerei und Graphik umgewertet. Deren „freie“ und „dekorative“ Sparten sollten einander gleichgestellt auf hohem Niveau etabliert bleiben. Als grundsätzlich antimodern erwiesen sich Kutschmanns Maßnahmen freilich nicht. Mit den freien und angewandten Künstlern, den langjährigen Vorstehern der jeweiligen Abteilungen Wilhelm Gerstel und Ernst Böhm sowie mit den neuberufenen Malern Kurt Wehlte und Franz Lenk, arbeitete er im Reformprozess 1934 konstruktiv zusammen. Mit Wehlte und Lenk, die von der Dresdener Akademie kamen, wurde die Maltechnik nach dem Vorbild der alten Meister für das Studium der Malerei an den „Vereinigten Staatsschulen“ als Grundlagenfach eingeführt.56 Des Weiteren wurde – basierend auf den längst ausgearbeiteten Lehrplanentwürfen Gerstels – eine obligatorische Grundlehre für Maler, Bildhauer und Graphiker vereinbart. Mit ihr kehrte man bis zum Wintersemester 1934/35 auf einheitlich schulische Unterrichtsformen zurück: auf die „strenge“ und „gründliche“ Unterweisung in die handwerklich-technischen Grundlagen künstlerischer Arbeit. Die ergänzende Kunsttheorie (Perspektive, Anatomie und Kunstgeschichte) entsprach dem fachspezifischen Kanon.57

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Ein Zurückdrehen der Moderne? Mit der Installierung nationalsozialistischer Gefolgsmänner in der Hochschulleitung unter dem Credo des zentralisierenden Führerprinzips, mit den politischen Säuberungen, Gleichschaltungen und programmatischen Akzentverschiebungen fanden an den „Vereinigten Staatsschulen“ 1933 Eingriffe statt, die in „radikaler“ Abkehr von der bisherigen Kunsthochschulpolitik sozialliberaler Prägung gedeutet wurden. Diese Veränderungen betrafen jedoch nur eine Minderheit ihrer Mitglieder negativ. Mit ihnen ging weder eine umfassende künstlerische Neuausrichtung noch ein Rückbau moderner Ausbildungskonzeptionen einher. Erst anschließend gewannen an den „Vereinigten Staatsschulen“ Prozesse rassistisch motivierter Ausgrenzung an Gewicht. Sie mündeten 1937 in der Verdrängung aller „nichtarischen“ Künstler bei gleichzeitiger Durchsetzung einer antimodernen Kunstdoktrin nach völkischem Paradigma. Im Juni 1934 musste Max Kutschmann zunächst den Verlust des Architekten Franz Seeck hinnehmen, obwohl er mit ihm gemeinsam im Professorenkollegium jahrelang den Widerspruch gegen die modernen Majoritäten geleistet hatte. In den allgemeinen Überprüfungsverfahren zur Durchführung des Berufsbeamtengesetzes wurde Seeck zum 1. Juni 1934 als „Halbjude“ in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Nachdem mit Erlass der Nürnberger Rassengesetze die Sonderklausel für diejenigen Beamte „nicht arischer Abstammung“, die „im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind“, ihre Gültigkeit verlor, wurde im November 1935 der Zeichenprofessor Erich Wolfsfeld suspendiert.58 An den „Vereinigten Staatsschulen“ hatte man diese Ausschlüsse nicht befördert, wohl aber wurde die Anwendung der Gesetze und Gesetzesnovellen wie in anderen staatlichen und staatsnahen Institutionen üblich mitvollzogen. Beide Professoren konnten reibungslos ersetzt werden. Max Kutschmann erreichte im kulturpolitischen Machtkampf im Frühsommer 1934 die Berufung Carl Lörchers, Siedlungsreferent beim Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, auf die Stelle Seeck. Einhergehend wurde die Professur für Gartenarchitektur als der für ländliches Bauwesen und Dorfgestaltung neu definiert.59 Anstelle von Erich Wolfsfeld wurde bereits am 4. November 1935 Franz Eichhorst mit der Leitung der Zeichenklasse betraut.60 Problematischer gestaltete sich eine Ausschlusswelle eineinhalb Jahre später. Im Juni 1937 wurden die neuerdings nach einem Generalentscheid des Reichsinnenministeriums als „jüdisch versippt“ eingestuften außerordentlichen Professoren Ernst Böhm, Waldemar Raemisch und Alfred Vocke sowie die von der völkischen Kunstreaktion mit dem Verdikt der „Entartung“ belegten Exponenten der ästhetischen Moderne Gies, Klein und Kamps per Ministerialerlass entlassen bzw. pensioniert.61 Ambitionierte Streiter für die Rassendoktrin hatten seit dem Spätsommer 1936 erneut gegen ein „dekadentes“ Kunst-„Establishment“ angeschrieben. Sie prangerten fortwährende „Zersetzungen“ und die

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mangelnde Einheitlichkeit der staatlichen Kulturpolitik an. Gleich selbstbezogener Intention wie Kutschmann und Wendland unter revolutionären Vorzeichen 1933, nannte es beispielsweise der Maler Walter Hansen „unhaltbar“, dass neben allen „jüdisch verheirateten“ Künstlern in Preußen solche wie Ludwig Gies als ein Hervorbringer von „artfremden Gestalten“ oder César Klein, „bekannt durch seine expressionistischen SPD.-Plakatentwürfe und Bühnenbilder“, nach wie vor Professuren bekleideten.62 Im April 1937 wurde diese Propaganda vom Stab um Hans Hinkel und Joseph Goebbels in der Reichskulturkammer aufgegriffen und gegen die nach wie vor kunstinstitutionelle Kompetenz beim Reichs- und Preußischen Kultusministerium ins Feld geführt. Daraufhin geriet Minister Rust unter Zugzwang und das preußische Kunstamt angesichts der bisherigen Politik in eine Legitimitätskrise. In den Untersuchungsverfahren, welche die Zentralverwaltung daraufhin einleitete, konnte der kommissarische Direktor der „Vereinigten Staatsschulen“ seine politische Argumentation von 1933 bekräftigen. Insoweit wurde ihm mit den anschließenden Ausschlüssen dreier „Modegrößen“ der „vergangenen Zeit“ endlich vollendet, was er selbst in den umsturzbedingten Säuberungen begonnen hatte.63 Gegen die Entlassung der „hoch [ge]schätzte[n]“ Kollegen Böhm und Raemisch intervenierte er jedoch vergebens.64 Beide galten ihm als hervorragende „deutsche Künstler“, zuletzt vor ihrer Entlassung mit ihren Beiträgen für die Olympischen Spiele in Berlin erwiesen: Von Waldemar Raemisch stammten die Adlerstelen am Haupteingang des Deutschen Sportforums, Ernst Böhm hatte die Ehrenurkunde für die Olympiasieger und -siegerinnen entworfen. Außerdem ging mit der Enthebung des „jüdisch versippten“ Personals aus öffentlichen Ämtern nach § 6 BBG ein Personalabbau einher.65 Auf den Verlust folglich dreier Professuren – die Stellen der gemäß § 4 BBG aus politischen Gründen aus dem Amt gedrängten Professoren Gies, Kamps und Klein blieben erhalten66 – reagierte der kommissarische Direktor mit einem Stellenumbau im Sinne der Bestandserhaltung der Institution. Wiederbesetzen ließ er die Stellen Gies, Böhm und Raemisch, auf denen bis zuletzt entsprechend der fachlichen Überlieferung von Gebrauchsgraphik, Metallbearbeitung und Kleinplastik an der Berliner Kunsthochschule (bzw. vordem an der „Unterrichtsanstalt“) ausgebildet wurde. In dieser Kontinuität wurden anstelle von Ernst Böhm und Waldemar Raemisch ihre Meisterschüler Karl Kämpf und Fritz Struppler sowie für die Kleinplastik Franz Blazek, ein Schüler von Gies’ Vorgänger auf der Professur, Joseph Wackerle, berufen.67 Dagegen sollten jene Professuren für Bauplastik und Allgemeine Dekoration auslaufen, die sowohl im Zuge der Reformpolitik unter Bruno Paul als auch in den Neubesetzungen von 1933 („Kirchenkunst“) neu definiert wurden. Auf diese Weise sicherte Max Kutschmann diejenigen Klassen, die sich über die Jahre und Jahrzehnte etabliert hatten. Mithin bewahrte er ein eigenständiges künstlerisches Profil der „Vereinigten Staatsschulen“ gegenüber den übrigen Kunsthochschulen im Reich.

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4 Ernst Böhm, Ehrenurkunde für die Sieger der XI. Olympiade in Berlin 1936. Nach Ansicht des olympischen Organisationskomitees bestand die Qualität des Entwurfs in der „völlig neue[n] Auffassung für Ehrenurkunden überhaupt“. Die Urkunde wurde gemeinsam mit der Goldmedaille bei der offiziellen Siegerehrung verliehen.

In dieser Politik manifestierten sich zugleich eine machtgeleitete Denkweise und ein entsprechender Geltungsanspruch: Der kommissarische Direktor grenzte seinen Einflussbereich in der Institution ab. Er tat dies zuletzt im Ausgleich zu den rassenpolitischen Verordnungen aus dem Reichsinnenministerium.68 Ferner gelang ihm die Aussetzung einer modernen „deutschen“ Kunstpolitik, wie sie unter dem Einfluss Winfried Wendlands eingeleitet und in gemäßigter Form in der preußischen Kunstverwaltung bis 1937 fortgeschrieben wurde.69 Parallel wurden die seit 1933 anhaltenden Richtungs- und Machtkämpfe auf Regierungsebene zugunsten des kunstpolitischen Führungsanspruchs des völkisch-reaktionären Flügels in der NSDAP entschieden.

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In Diskrepanz hierzu blieben die „Vereinigten Staatsschulen“ auch über das Jahr 1937 hinaus in der partiellen Tradierung der Fach- und Personalpolitik der Jahre 1906 bis 1932 fachlich breit aufgestellt, in der Anpassung an die sukzessive restriktiveren Kulturund Geschmacksgrenzen im nationalsozialistischen Deutschland zeitgeistig inspiriert und habituell modernisiert. Für sich genommen, kann auch in den Arisierungen und einer antimodernen Kunstpolitik 1937 für die Berliner Kunsthochschule keine Zäsur konstatiert werden. Alles in allem zeigt sich aber parallel zur Etablierung des NS-Regimes ein Wandel, der durchaus den Zielvorstellungen der „nationalen Revolution“ entsprach. In allen Eingriffen und Entwicklungen zwischen 1932 und 1937 – in eigenmächtigen Initiativen, gemeinsamen Reformen und im Umgang mit dem Gesetz – formte sich aus, worum man teils auch im 5 Waldemar Raemisch, Adlerstelen am Haupteingang des Widerstreit strebte: Die Rückkehr zum Turn- und Schwimmkomplexes auf dem Reichssportfeld Status und Format einer Kunstakade(1936). Während der Olympischen Spiele repräsentierte Raemisch damit publikumswirksam die Bildhauer der mie, deren hochkulturelle Geltung „Vereinigten Staatsschulen“. immer auch qua Autorität, Hierarchie und Hegemonie definiert wird. Die einflussreichen Professoren Gerstel und Böhm setzten ihre in sich geschlossenen Ausbildungskonzepte im Reformprozess 1933/34 allgemeinverbindlich durch. Alle seit 1933 berufenen Künstler bewegten sich innerhalb des bestehenden Gattungs- und Genrekanons. So bedienten die Malereiprofessoren in ihren Klassen entweder die Historiendarstellung, die Landschaftsmalerei oder das Bildnis. Und auch die Bildhauerklassen lassen sich eindeutig dem klassischen Akt, den kirchlichen Sujets oder der herrschaftsrepräsentativen Großplastik zuordnen. Die distinktiven Grenzen der modernen Künstlerausbildung wurden zwar im Zuge der Gleichstellung der zweckfreien und zweckgebundenen Sparten in den Abteilungen für freie Kunst und Baukunst nivelliert. Seither verlagerten sie sich aber auf rassische Attribuierungen der Künstlerperson und konnten

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folglich in der Umbildung sowie Verschlankung des Lehrkörpers an den „Vereinigten Staatsschulen“ neu eingezogen werden. Dagegen wurden die Sinnbezüge eines pluralistischen Kunst- und Kulturbegriffs, offene soziokulturelle Räume und emanzipative politische Ansätze einer bis zum Jahr 1932 entstandenen „anderen“ Künstlerausbildung im Geiste nicht nur der künstlerischen Moderne verdrängt.70 Auf diese Weise wurde das 1924 formulierte programmatische Ziel der „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ als der Berliner Kunsthochschule getilgt.

Anmerkungen   1 Winfried Wendland: Gleichschaltung, in ders.: Kunst und Nation. Ziel und Weg der Kunst im Neuen Deutschland, Berlin 1934, S. 45–50, hier 48/49.   2 Das Deutsche Führerlexikon, Berlin 1934, S. 266; Aufnahmeantrag Wendland für den Bund Deutscher Architekten, Landesarchiv Berlin, A Rep. 243-04, Nr. 9685.   3 Der Beitrag basiert auf der an der Universität der Künste Berlin eingereichten Dissertation der Verfasserin über die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ in der ersten Phase ihrer nationalsozialistischen Überformung zwischen 1932–37, Berlin 2013.   4 Vgl. Bruno Paul: Erziehung von Künstlern an staatlichen Schulen, Berlin 1919 (hierbei handelte es sich um eine erweiterte Neuauflage des Textes „Künstlerlehrzeit“, in Wieland. Zeitschrift für Kunst und Dichtung 3 [1917/18], S. 15–17).   5 Vgl. Wilhelm Waetzoldt: Gedanken zur Kunstschulreform, Leipzig 1921.   6 Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Boelitz für den Direktor der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Paul, 8.9.1924, Universität der Künste Berlin, Universitätsarchiv, Bestand 8, 23.   7 Lehrpläne 1924 bis WS 1932/33, UdK-Archiv, Bestand 8, 268.   8 Hierzu grundlegend der dritte Teil in Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1998.   9 Einsicht in Walter Regers Arbeit erlaubt sein Nachlasssplitter, UdK-Archiv, Bestand 101, Nr. 8. 10 Vgl. VST Organ der revolutionären Stud[ierenden] der Vereinigten Staatsschulen, [1932], UdK-Archiv, Bestand 8, 48. 11 Im Januar 1933 wurde das geplante Vortragsprogramm seitens der Hochschulleitung mit der Begründung abgesagt, das „alles irgendwie politische aus den Veranstaltungen der Schule fernzuhalten“ sei. Schließlich referierten neben Moholy-Nagy noch Werner March über „Kunst und Technik im Stadionbau“ und Werner Hegemann über den „Schinkelschen Geist in Südamerika“. Ergänzend fanden Filmvorführungen und ein Kammermusikabend statt. Der Studierendenausschuss der Vereinigten Staatsschulen,

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Programm Winterveranstaltungen 1932/33, Teil I u. II; Vorschläge für das Vortragsprogramm Jan.–März 1933 vom 29.11.1932, UdK-Archiv, Bestand 8, 70. 12 So Schlemmer in einem Brief an Hans Poelzig im Jahre 1933, zit. nach Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988, S. 23. 13 Thieme/Becker XXII, Leipzig 1928, S. 144; Dresslers Kunsthandbuch II, 9. Auflage, Berlin 1930, S. 579. 14 Gemäß Eintrag im Deutschen Führerlexikon (wie Anm. 2), S. 266, war er „vorwiegend“ „für das Kriegsministerium mit Kriegsgräber- und Kriegsehrenmal-Angelegenheiten und in der Kriegsgräberfürsorge tätig“. 15 Max Kutschmann: Zur Frage des Kunstunterrichts, [Berlin 1932], S. 1/2. 16 Vgl. Sammlung von Artikeln aus der Berliner Tagespresse aus 1932, Akademie der Künste, Berlin, Historisches Archiv, Nr. 1365; Protokoll einer Besprechung zwischen Otto von Kursell und Fürst Massalsky am 15.12.1932, dokumentiert bei Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 12), S. 307. 17 Vgl. Protokolle der 58. bis 62. Sitzung des Konvents am 12. und 19.10., 2. und 15.11.1932 mit Listenentwürfen, UdK-Archiv, Bestand 8, 198 u. 287. 18 Protokoll der Sitzung des Gesamtsenats der Akademie am 17.11.1932; Bruno Paul an Amersdorffer, Erster Sekretär der Preußischen Akademie der Künste, 28.12.1932, AdK, Berlin, Historisches Archiv, Nr. 1226 u. 1365. 19 Seitens der Akademie erhob man ausgehend von der gemeinsamen institutionellen Herkunft einen Anspruch auf das Direktorenamt. 1696 als „Zentralakademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ gegründet, wurde die „Hochschule für die bildenden Künste“ 1875 als selbstverwaltete Lehranstalt eingerichtet. Bis zur Statutenreform der Akademie im Jahre 1931 blieb die Kunsthochschule – inzwischen die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ – allerdings dem Akademieverbund zugerechnet. Dessen Auflösung war bei der Akademie nicht gewollt. Dies überlagerte sich wiederum mit den Anliegen der Mitglieder der freien Abteilung an der Kunsthochschule, die sie sich dem „angewandten“ Direktorat Paul nicht unterordnen mochten. Nach dem Regierungswechsel hatten die Professoren Karl Hofer und Fritz Klimsch im Senat für die bildenden Künste der Akademie die Politik Pauls für fehlgeleitet erklärt. Vermutlich waren sie auch an Vorabsprachen zwischen dem Ministerialdirektor in der Kunstabteilung, Paul Hübner, und einem „progressiven“ Flügel an der Akademie beteiligt, wonach Hans Poelzig zum Interimsdirektor der „Vereinigten Staatsschulen“ bestellt wurde. 20 Niederschriften über vier Besprechungen zwischen dem 19.1. und 22.2.1933, UdK-Archiv, Bestand 8, 287 u. 318. 21 Wendland für den Kampfbund für deutsche Kultur, Abt. Architektur und Technik, und Vogt für die Zunft der freischaffenden Architekten in der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation: Protestschreiben, 6.1.1933, veröffentlicht in Der Angriff 6 (7.1.1933).

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22 Max Kutschmann an Hans Hinkel für Rust bzw. an Otto von Kursell zur Weiterleitung an Hinkel, vier Schreiben, Februar 1933, Bundesarchiv, Berlin, RK G45. 23 Er engagierte sich im Ausstellungswesen und in der Künstlerfürsorge, verfasste Vorschläge für die Sammlungspolitik und den Umbau der Kunstinstitutionen in Preußen. Leistungsbericht Wendland, 24.5.1933, Landesarchiv Berlin, A Rep. 243-04, Nr. 9685. 24 Ergänzend zu den Schreiben Kutschmanns im Februar 1933 (wie Anm. 22) zeugen hiervon die Aktennotizen der Kustoden zu den Suspendierungen von Scharff und Hofer, 22.4.1933, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abtlg. Rheinland, BR 4 Nr. 55848. 25 Karl Hofer: Faschismus, die dunkle Reaktion!, in 78 Arbeiter, Angestellte, Schriftsteller, Politiker beantworten die Frage: Wie kämpfen wir gegen das Dritte Reich?, Berlin 1931, S. 22, Reprint in Staatliche Kunsthalle Berlin (Hg.): Karl Hofer 1878–1955, Berlin (West) 1978, nach S. 194. 26 Carl Seelig: Wanderungen mit Robert Walser, Leipzig 1989, S. 50. 27 Gespräch mit Christine Gerstel-Naubereit, in Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 12), S. 120. 28 Revers, unterzeichnet vom Studenten Hans Mucke, 27.5.1933; der kommiss. Direktor i. V. Sörrensen auf den Erlass vom 11.7.1933 betr. Entfernung der Studierenden kommunistischer Gesinnung, 27.7.1933, UdK-Archiv, Bestand 9, 1064. 29 Zahlen nach Übersicht über die Lehrer sowie Schüler und Schülerinnen im SS 1932 und WS 1932/33, UdK-Archiv, Bestand 8, 95. 30 Formal festgestellt wurden die folgend für 1933/34 erwähnten Ausschlüsse sowie Neuberufungen in den Nachweisungen über Veränderungen zu den Personalblättern der VS für die Schuljahre 1932/33 und 1933/34, UdK-Archiv, Bestand 8, 62. 31 Datierung nach Wiedergutmachungsbescheid des Senators des Innern in Berlin für Walter Reger, 28.5.1956, LAB, B Rep. 080, Nr. 196. 32 Vgl. Barbara Starck: „Ich bin zuerst einmal Maler ...“ Emil Rudolf Weiß in Meersburg, Marbach am Neckar 2003, S. 4/5. 33 Vgl. seine Selbstdarstellung in Kurt Pfister: Edwin Scharff, Leipzig 1920, S. 11. 34 Joan Campbell: Der Deutsche Werkbund. 1907–1934, Stuttgart 1981, S. 183–185. 35 Bruno Paul an Wilhelm Waetzoldt, 16.6.1924, UdK-Archiv, Bestand 7, 21. 36 Vgl. Waetzoldt 1921 (wie Anm. 5), S. 57–68. 37 Vgl. Paul 1919 (wie Anm. 4), S. 3–14. 38 Vgl. Oskar Schlemmer: Das Staatliche Bauhaus in Weimar. Manifest aus dem Werbeblatt „Die erste Bauhaus-Ausstellung in Weimar Juli bis September 1923“; ders.: Bühne und Bauhaus, in Offset, Buch- und Werbekunst 7 (1926); ders.: Tänzerische Mathematik, in Vivos vovo 8/9 (1926), alle abgedruckt bei Wingler, Hans M.: Das Bauhaus. 1919–1933 Weimar Dessau Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, 3. Auflage, Bramsche 1975, S. 79/80 u. 126–130. 39 Kutschmann 1932 (wie Anm. 15), S. 2 u. 6–11. 40 Vgl. Christine Fischer-Defoy: Die Rolle der Berliner Kunsthochschulen in den Jahren 1933–1945. Am Beispiel der Bildhauerei-Ausbildung, in Präsident der Hochschule der

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Künste Berlin (Hg.): Kunst, Hochschule, Faschismus. Dokumentation der Vorlesungsreihe an der Hochschule der Künste Berlin im 50. Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, Berlin 1984, S. 217. 41 Der PrMinWKV an Professor Scharff, 9.11.1933, LAV NRW R, BR 4 Nr. 55848. U. a. hatte der Münchner Kampfbündler Eugen Hönig, seit März Präsident des BDA und künftighin erster Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, sich bei der preußischen Kunstverwaltung für Scharff als einen der „tüchtigsten und aussichtsreichsten Plastiker“ Deutschlands verbürgt, dessen Beurlaubung „ungemein peinlich“ sei. „Auf alle Fälle“, so Hönig, könne aus Scharffs Mitgliedschaft im Münchner Künstlerrat 1919 „unmöglich unter den heutigen Verhältnissen ein Strick gedreht werden“. Und Karl Caspar, Professor an der Münchner Kunstakademie, erklärte Scharffs grundsätzlich „nationale deutsche Einstellung“, nach der es „ganz unmöglich“ sei, „dass er sich je in kommunistischem Sinne betätigt“ habe. Davon Eingaben für die Hochschulleitung und den Kultusminister, verfasst zwischen dem 27. u. 30. April 1933, AdK, Berlin, Historisches Archiv, Nr. 1102. Überdies war Scharff – an sich politisch indifferent – just nach seiner Beurlaubung zum 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten. 42 Hans Hinkel sollte zu einem der Geschäftsführer, 1941 schließlich zum Generalsekretär der RKK avancieren. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, war seit November 1933 zugleich Präsident der RKK. 43 Die ministerielle Aufsicht über die staatlichen Kunst- und Kulturinstitutionen sollte jedoch beim Kultusressort verbleiben. Zu den allgemeinen Zusammenhängen vgl. Alan E. Steinweis: Art, Ideology, and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, Chapel Hill/London 1993. 44 Winfried Wendland: Vom schöpferischen Menschen, in Wendland 1934 (wie Anm. 1), S. 40–44, hier 40. 45 Vgl. Ruppert 1998 (wie Anm. 8), S. 253–289. 46 Winfried Wendland: Die Lage, in Wendland 1934 (wie Anm. 1), S. 5–13, hier 5 u. 12. 47 Wilhelm Stapel: Was ist „konservativ“?, in Deutsches Volkstum 1 (1933), S. 40/41. 48 Von analogen Vorgängen an der Kunstakademie Düsseldorf, worüber Wendland einen Bericht verfasste, James Alan van Dyke: Franz Radziwill and the Contradictions of German Art History, 1919–1945, Ann Arbor 2011, S. 103/104. 49 Wiedergutmachungsbescheid des Bundesministers des Innern für César Klein, 3.8.1951, LAB, B Rep. 080, Nr. 313/1. 50 Gies war mit seinem Kruzifix für den Lübecker Dom 1921 zur Projektionsfläche antimoderner Ressentiments geworden. Von Hermann Hosaeus und Albert Gessner etwa, Mitgliedern der kulturkonservativen Fraktion in der Akademie der Künste sowie der Baufakultät der TH Charlottenburg, wurde er seit Jahren angegangen. Am 1. Mai 1933 stellte die NSDAP-Ortsgruppe Hardenberg Gies sowie einige andere Professoren der „Vereinigten Staatsschulen“ als „typische Vertreter des zersetzenden liberalistisch-marxistisch-jüdischen Ungeistes“ an den Pranger und rief zum Boykott ihrer

Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ Berlin und die „nationale Revolution“

Lehrveranstaltungen auf. Vierzehn Tage später trat der Akademiepräsident Max von Schillings mit der Aufforderung an ihn heran, seine Mitgliedschaft in der Akademie niederzulegen. Ludwig Gies entgegnete, dass er sich „nicht ungeeignet“ fühle, „in der heutigen Akademie an der deutschen Kunst mitzuarbeiten“. Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 12), S. 81–84; Joseph Wulf: Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, S. 39–42. 51 Zuvor war Heinrich Kamps im so genannten „Sturm auf die Kunstschule“ vom dort just examinierten Zeichenlehrer Otto Andreas Schreiber denunziert worden. Schreiber hatte ihn in einem Schreiben an den Kultusminister vom 11.2.1933, dokumentiert bei Fischer-Defoy 1988 (wie Anm. 12), S. 310–312, als „Wachs vor dem Willen“ der alten Regierung und „Marionettenfigur“ der „Kulturbolschewisten“ im Lehrerkollegium und damit vollkommen ungeeignet zur Führung der Institution dargestellt. Unter Kamps hätten „wüstes“ Gebaren und „moralisch freisinnige Ideen“ in die Zeichenlehrerausbildung Einzug gehalten. Es liege in seiner Verantwortung, dass sich eine Studentin während eines ausschweifenden Kostümfestes von ihren Kommilitonen, „von zwei Judenlümmeln[,] über der Badewanne abhalten ließ!“. Oder, dass Ganzkörperakte zukünftiger Kunstlehrerinnen „ihren Schulkindern zugänglich“ in einer Ausstellung gezeigt wurden. Daraufhin wurde Kamps Ende Mai 1933 vom Direktorenposten abgezogen. Gleichwohl war seine „Wiederverwendung“ im „künstlerischen“ Lehramt vorgesehen. Der PrMinWKV an Professor Kamps, 29.5.1933, dokumentiert bei Beatrice Thön: Heinrich Kamps. 1896–1954. Monographie mit Werkverzeichnis, Pfinztal 1992, S. 206. 52 Gleichzeitig war Wendland an der Gleichschaltung bzw. Aufwertung des Evangelischen Kunstdiensts e. V. zu einer Amtsstelle der RBK beteiligt. 53 Begriffe nach Leistungsbericht Wendland, 24.5.1933 (wie Anm. 23). 54 Zum Kontext vgl. Hildegard Brenner: Die Kunst im politischen Machtkampf der Jahre 1933/34, in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1 (1962), S. 17–42. 55 Der kommissar. Direktor Kutschmann an den PrMinWKV, Bericht über die VS, 16.2.1933, UdK-Archiv, Bestand 8, 71. 56 Zur Vorgeschichte und den Ausbildungsinhalten vgl. Maria Körber: Studien zur Maltechnik der Neuen Sachlichkeit in Dresden, in Birgit Dalbajewa (Hg.): Neue Sachlichkeit in Dresden, Dresden 2011, S. 144–169. 57 Wilhelm Gerstel: Entwurf zu allgemeinen Bestimmungen für die Gesamtschule und die Abteilung für freie Kunst/Lehrplanentwurf sowie Planungen für die Unterstufe, undatiert; Der kommissarische Direktor Max Kutschmann, Begründung und Erläuterung der Neugestaltung des Lehrplans, 1.10.1934, UdK-Archiv, Bestand 8, 70, 71 u. 318. 58 Zitation nach § 3 (2) BBG vom 7.4.1933, RGBl I, S. 175. Zum Tragen kam in dem Zusammenhang das Reichsbürgergesetz vom 15.9.1933, RGBl I, S. 1146, mit dem letztlich allen „Juden sowie sonstigen Artfremden“ die Bürgerrechte aberkannt wurden. Die dieser Gruppe zugerechneten Personen verloren nach § 4 der Ersten Verordnung zum RbürgG vom 14.11.1935, RGBl I, S. 1333, das politische Stimmrecht und durften fortan keine

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öffentlichen Ämter mehr bekleiden. Gruppendefinition gemäß der Sprachregelung des Auswärtigen Amts vom 30.4.1936, UdK-Archiv, Bestand 8, 63. 59 Lehrplan WS 1934/35, UdK-Archiv, Bestand 8, 268. 60 Personalien Wolfsfeld, Eichhorst nach der Nachweisung über Veränderungen zu den Personalblättern der VS für das Schuljahr 1935/36, UdK-Archiv, Bestand 8, 63. 61 Rekonstruiert wurden die Vorgänge in einer Feststellung zum Einkommen Gies 1956, UdK-Archiv, Bestand 16, II/5798. 62 Walter Hansen: Neue Zielsetzungen und Wertungen in der Deutschen Kunst des Dritten Reiches, in Der SA-Mann. Kampfblatt der Obersten SA.-Führung der NSDAP 33 (15.8.1936), S. 14. 63 Zitationen nach Kutschmann 1932 (wie Anm. 15). 64 Ludwig Bartning, Erklärung zum Entnazifizierungsverfahren Karl Kämpf vom 28.1.1946, Nachlass Kämpf beim Sohn Christian Kämpf, Nürnberg; Direktor Karl Hofer in einer Bescheinigung der HfBK für das Entschädigungsamt vom 22.10.1952, UdK-Archiv, Bestand 16, II/14. 65 „Zur Vereinfachung der Verwaltung können Beamte in den Ruhestand versetzt werden, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind. Wenn Beamte aus diesem Grund in den Ruhestand versetzt werden, so dürfen ihre Stellen nicht mehr besetzt werden.“ § 6 BBG vom 7.4.1933, (wie Anm. 58), S. 176. 66 „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden. Auf die Dauer von drei Monaten nach der Entlassung werden ihnen ihre bisherigen Bezüge belassen. Von dieser Zeit an erhalten sie drei Viertel des Ruhegeldes (§ 8) und entsprechende Hinterbliebenenversorgung.“ § 4 BBG vom 7.4.1933 (wie Anm. 58), S. 175. 67 Lehrplan Februar 1940, UdK-Archiv, Bestand 8, 268. 68 Ähnlich hatte sich Kutschmann im Mai 1933 gegen einen Erlass Hinkels gewehrt, wonach dem Maler Max Zaeper auf „ausdrücklichen Wunsch“ des „Herrn Reichskanzlers“ ein Meisteratelier für Landschaftsmalerei „zu übergeben“ war. Damit wurde erstmals das verfassungsmäßige Berufungsvorschlagsrecht der Hochschulleitung unterlaufen, vgl. § 3 der Bestimmungen für die Vereinigten Staatsschulen, UdK-Archiv, Bestand 8, 23. Kutschmann erreichte 1934 schließlich die Verschiebung Zaepers auf ein Meisteratelier bei der Preußischen Akademie der Künste – allerdings wohl deswegen, weil die Bestallung Zaepers auf der Unkenntnis der Zweiteilung zwischen Kunsthochschule und Akademie in Berlin beruhte. Noch dazu hatte der „reaktionäre“ Maler an den „Vereinigten Staatsschulen“ keinerlei Zulauf erfahren. Zum Vorgang vgl. AdK, Berlin, Historisches Archiv, Nr. 1118 u. I/069. 69 Noch zum Wintersemester 1936/37 erhielt der ursprünglich von den Brücke-Künstlern beeinflusste Max Kaus vertretungsweise einen Lehrauftrag für Graphik. Gleichzeitig wurde Fritz Burmann, ein neuromantischer Landschafts- und Genremaler, von den Meisterateliers in Königsberg an die „Vereinigten Staatsschulen“ überwiesen.

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70 Somit fanden Geisteshaltungen Institutionalisierung, die seit 1918/19 in der Bewegung der Konservativen Revolution kultiviert, von ihren Impulsgebern Arthur Moeller van den Bruck und Wilhelm Stapel verbreitet wurden. Vgl. Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, 2. Auflage, Darmstadt 1995.

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Mit der Geschichte der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf im 20. Jahrhundert haben sich Kunstwissenschaftler bislang nur unvollständig und in Teilbereichen befasst. So ist z. B. deren Modernisierung im Rahmen der preußischen Kunsthochschulpolitik während der Weimarer Republik gelegentlich Gegenstand der bejahenden Erinnerung, der empirischen Studie und kritischen Analyse gewesen.1 Als institutionelle Grundlage der Kunstproduktion Paul Klees zwischen den Jahren 1931 und 1933 – von ungewöhnlich großen Gemälden mit programmatischem Anspruch wie „Ad Parnassum“ zu zahlreichen, eher privaten Zeichnungen mit zeitgeschichtlichen Bezügen – hat man die Akademie zumindest als Hintergrundfolie einbezogen.2 Auch ist die Bedeutung der Düsseldorfer Kunstakademie in der westdeutschen Kunstszene nach 1945 ein bekanntes Thema in der Forschung.3 Abgesehen von den Entlassungen im Zusammenhang mit der Machtübernahme der NSDAP im Frühjahr 1933 hat man sich jedoch kaum mit der Entwicklung der Düsseldorfer Kunstakademie in der nationalsozialistischen Diktatur auseinandergesetzt.4 Dabei ist für eine umfassende Betrachtung der politischen und sozialen Geschichte der deutschen Kunst im 20. Jahrhundert gerade diese Episode aus drei Gründen von erheblichem Interesse. Erstens: Die Akademie förderte in unterschiedlicher Weise die Karrieren von prominenten Künstlern im nationalsozialistischen Deutschland. Dort studierten schon vor 1933 z. B. Arno Breker und Hans Weidemann.5 Zum Lehrkörper gehörten u. a. Julius Paul Junghanns, Werner Peiner und Hans Schmitz-Wiedenbrück, um nur einige namhafte Maler zu nennen. Zweitens: Die Reformen der Düsseldorfer Kunstakademie zwischen den Kriegen – vor und nach 1933 – entstanden aus den seit dem späten 19. Jahrhundert pausenlos geführten Debatten um die Legitimität von Kunstakademien und um die Notwendigkeit ihrer fundamentalen Neuorientierung angesichts der „Krise der Kunst“ und der Entstehung eines „Kunstproletariats“. Diese gehören einer breiteren wirtschaftlichen Geschichte des künstlerischen Berufes im 20. Jahrhundert. Drittens: Die Modernisierung der Kunstakademie vor 1933, die elitäre Züge aufwies und autokratisch durchgeführt wurde, macht auf die Rolle des Staates in der modernen künstlerischen Kultur der Weimarer Republik aufmerksam. Nicht nur die Gegner der modernen Kunst haben Macht ausgeübt. Darüber hinaus trägt die Entwicklung der

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Kunstakademie nach 1933 zur präzisen Erkenntnis der oft angespannten und widersprüchlichen Kunstpolitik der nationalsozialistischen Diktatur bei und lässt darüber nachdenken, ob die repräsentative Kunst des Staates Hitlers überhaupt als „akademisch“ zu begreifen ist.

1924 bis 1932: Modernisierung und Krise Im Januar 1932 veranstaltete die staatliche Kunstakademie in Düsseldorf eine Ausstellung von Arbeiten der Studierenden sowie einen neuartigen Tag der offenen Tür, was einer breiten Öffentlichkeit die Existenzberechtigung der Akademie vor Augen stellen sollte.6 (Paul Klee, der 1924 der prekären gesellschaftlichen Lage der modernen Kunst mit Präzision Ausdruck gegeben hatte – „Uns trägt kein Volk“ – wollte dem befürchteten Andrang ausweichen.7) Im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung gab der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, der Kunsthistoriker Walter Kaesbach, eine stattliche Broschüre, „Die Kunsthochschule von Heute“, heraus. Diese Schrift enthielt einen Aufsatz, eine Liste der Direktoren der ruhmreichen Akademie seit 1769 mit ihren jeweiligen Errungenschaften und ein Verzeichnis des Lehrkörpers.8 Der Aufsatz, betitelt „Die Staatliche Kunsthochschule in Preussen“, war als Antwort auf die Forderung der Abschaffung von Kunstakademien konzipiert, die während der Novemberrevolution häufig zu hören gewesen war und seit 1930 wieder häufiger formuliert wurde.9 Gegen die Vorstellungen radikaler „Literaten“, die Akademien kategorisch ablehnten, wies der Autor des Aufsatzes, der Kunsthistoriker und Akademiesekretär Richard Klapheck, auf Reformen hin, die seit 1919 die unproduktive Trennung von bildenden und angewandten Künsten aufgehoben hatten.10 Diese waren ganz im Sinne des inzwischen etablierten fortschrittlichen Denkens über Künstlerausbildung durchgeführt worden, das sich mit der herausfordernden Lage des Künstlers im Zeitalter der photographischen Medien, der Werbung und der Industriekultur beschäftigte. Die Verwandtschaft mit dem Bauhaus ist unübersehbar. Gleichzeitig betonte Klapheck jedoch auch den geistigen Wert und die nationale Bedeutung der Kunst in einer chaotischen Zeit: „Der feste Glaube an unseren Wiederaufstieg und unsere Zukunft, der seine stärksten Kräfte in der schicksalsreichen Geschichte deutscher Vergangenheit verankert hat, sollte uns vor allem aber vor dem unheilvollen Verhängnis bewahren, Einrichtungen, die der Pflege unserer Kultur dienen und die später schwer wieder ins Leben zurückzurufen wären, radikal zu vernichten!“11 Diese Worte machen deutlich, dass es nicht darum ging, die Kunst und die Kunstakademie aufzuheben. Diese Verknüpfung einer progressiven Kunsthochschulreform mit bürgerlicher Kulturideologie versinnbildlichte die elegante Druckgestaltung der Broschüre von Ernst Aufseeser, Professor für angewandte Graphik an der Düsseldorfer Kunst-

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akademie, die von der Radikalität avantgardistischer Typographie von Designern wie Laszlo MoholyNagy, Herbert Bayer und Jan Tschichold weit entfernt war. Die Antiqua-Schrift, die Aufseeser auswählte, deutete mit klassischer Gediegenheit auf eine Institution hin, die das Gebot der Rationalisierung und Funktionalität zwar erkannt hatte, dennoch den traditionellen Vorrang der freien Künste in der akademischen Theorie und Praxis behielt, zumindest für die „besonders Begabte[n]“.12 Das „alte Reich der Kunst“, wie Paul Klee die Kunstakademie bezeichnete, als er Hannes Meyer im August 1930 seinen Wechsel vom Bauhaus nach Düsseldorf mitteilte, war noch vorhanden, wenn doch in etwas modernisierter Form.13 Öffentlichkeitsarbeit hatte die Düsseldorfer Kunstakademie im Januar 1932 auf jeden Fall dringend nötig. Ihre Daseinsberechtigung, wie auch die der anderen preußischen Kunsthochschulen, wurde nicht nur immer wieder von verzweifelten Künstlern in 1 Walter Kaesbach, Hg., Die Kunsthochschule von heute, Titelblatt Frage gestellt, die eine Umverteilung staatlicher Res(Düsseldorf 1932) sourcen angesichts des vollständigen Zusammenbruchs des Kunstmarktes forderten.14 Das Fortbestehen der preußischen Kunsthochschulen war auch durch die Notlage des Staates selbst während der Weltwirtschaftskrise bedroht, wie die Schließung von drei der staatlichen Kunsthochschulen – in Breslau, Kassel und Königsberg – mit Abschluss des Wintersemesters 1931/32 aufgrund der Zweiten Preussischen Sparverordnung vom 23. Dezember 1931 belegte.15 Hinzu kam noch der Aufstieg der NSDAP seit September 1930. In Düsseldorf hatte diese politische Entwicklung eine deutliche Intensivierung und Ausbreitung von Angriffen in der nationalsozialistischen Presse gegen die moderne künstlerische Kultur zur Folge gehabt. Kaesbach, der eine zentrale Rolle bei der Errichtung einer Abteilung für zeitgenössische Kunst in der Berliner Nationalgalerie nach dem Krieg gespielt hatte und seit 1924 als Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie tätig war, galt dort als Protagonist des so genannten „Weimarer Systems“.16 Diese kritische Meinung war im Grunde genommen nichts Neues, obwohl nationalsozialistische Militante sie mit besonders scharfer Vehemenz vortrugen. Von vornherein war die Amtszeit Kaesbachs äußerst turbulent. Die beispiellose Berufung eines Nichtkünstlers zum Akademiedirektor nahm man in breiten künstlerischen Kreisen – nicht nur in Düsseldorf – als herabwürdigenden Affront und Zeichen des wachsenden Einflusses von Kunsthistorikern bzw. „Nichtkünstlern“ über

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die wichtigsten Institutionen der deutschen Kunst wahr. 17 Kaesbachs starkes Engagement für den Expressionismus wurde von Skeptikern argwöhnisch betrachtet. In den Jahren 1927 und 1932 hatte er einige alteingesessene Professoren vorzeitig, in manchen Fällen für diese unfreiwillig in den Ruhestand versetzt. Im Sommer 1932 veranlasste er den Abriss des Ateliers für Tiermalerei während der Abwesenheit des dafür zuständigen Professors Junghanns, dessen Beschwerde vom Staat unberücksichtigt blieb. Solche aggressiven Maßnahmen trieben das konservative Lager im Lehrkörper in die Enge, wie zahlreiche Proteste belegen.18 Entfremdet hat Kaesbach aber auch die Avantgarde Düsseldorfs durch die Bevorzugung der etablierten expressionistischen Elite sowie auch durch angebliche Beleidigungen der ansässigen Künstlerschaft.19 Mit seinen Gegnern musste Kaesbach jedoch keine Kompromisse schließen, denn er hatte die Rückendeckung des sozialdemokratisch regierten preußischen Staates. Kaesbach verkörperte die Figur des starken Akademiedirektors, so wie es dem Kunsthistoriker Wilhelm Waetzoldt, Kunstreferent im preußischen Kultusministerium in den zwanziger Jahren, schon 1921 vorgeschwebt hatte. In seinen Schriften zur Kunsthochschulreform lehnte Waetzoldt radikale Experimente mit „exekutiven Akademieräten“ in Russland sowie auch demokratisch gewählte Direktoren, die von den „Mehrheitsbeschlüssen“ ihrer Kollegen abhängig seien, ab.20 Im Laufe des Jahres 1932 musste sich Kaesbach jedoch zunehmend Sorgen über seine kunstpolitische Legitimität machen. Im Januar suchte er öffentliche Anerkennung für seine Führungslinie mit der erwähnten Ausstellung, der programmatischen Schrift und dem neuartigen Tag der offenen Tür. Von Juli 1932 bis März 1933 – also vom Preußenstreich Papens bis zur Reichstagswahl – stellte er mindestens zweimal eine deutschnationale Gesinnung unter Beweis.21 Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler konnte ihm jedoch nichts und niemand mehr helfen. Am 29. März 1933 wurde Kaesbach, der elegante Vollstrecker der autokratischmodernen Kunstpolitik des demokratischen preußischen Staates, zur Begeisterung der bürgerlichen und nationalsozialistischen Künstlerschaft seines Amtes enthoben. Bis zum Ende des Jahres 1933 verloren auch 16 Professoren und außerordentliche Lehrkräfte aufgrund von ideologischen Bedenken oder Sparzwängen ihre Stellen.22 Unter ihnen waren die vier bekanntesten modernen Künstler, die Kaesbach berufen oder der Staat nach der Schließung der anderen preußischen Kunsthochschulen im Frühjahr 1932 dorthin versetzt hatte: Heinrich Campendonk, Paul Klee, Oskar Moll und Ewald Mataré.23 Aber nicht alle vom umstrittenen Kunsthistoriker Kaesbach protegierten Männer mussten ihre Posten räumen. Der Maler Heinrich Nauen und der Bildhauer Alexander Zschokke durften zunächst – bis 1937 – im Amt bleiben.24

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2 Paul Klee: Von der Liste gestrichen, 1933

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1933 bis 1935: Revolution und Reaktion Zu einem unbestimmten Zeitpunkt zwischen Herbst 1933 und Frühjahr 1935 druckte die neue Akademieleitung eine kleine Broschüre, die sich in ihrer Gestaltung und vermutlich auch in ihrer Funktion vom soeben erörterten Heft stark unterschied.25 Während die Broschüre des Jahres 1932 einen repräsentativen Charakter besessen hatte, scheint diese nun schlichte Ausgabe der alltäglichen Information von Bewerbern und Studierenden gedient zu haben. Man findet nichts über die illustren Taten von Akademiedirektoren seit der Gründung der Kunstakademie im 18. Jahrhundert, sondern nur prosaische Erläuterungen über Studiengeld und Vergünstigungen, Vorschriften und Aufnahmebedingungen. Klaphecks ausführliches Plädoyer für den Erhalt der staatlichen Kunsthochschule in Preußen im Zeitalter der wirtschaftlichen Not ersetzte man durch einen knappen, sehr allgemeinen, alles andere als programmatischen Absatz über die Aufgaben der Düsseldorfer Kunstakademie. Diese Inhalte zeugten von einem mehr oder weniger normalen Hochschulbetrieb, der auf keine besondere Rechtfertigung angewiesen war. Und dennoch findet man hier unverkennbare Hinweise auf den politischen Ausnahmezustand des Jahres 1933 und den Versuch, die staatliche Kunstakademie Düsseldorf im nationalsozialistischen Sinne umzubauen. Bei der Ansicht der Titelseite fällt zunächst der Einsatz von Fraktur anstelle der eleganten Antiqua aus dem Jahr 1932 auf. Aufseesers Druckgestaltung war alles andere als radikal gewesen. Die hoch ideologisierte „deutsche Schrift“ versinnbildlichte jedoch die neue politische und künstlerische Orientierung der Kunstakademie, die in der schlichten Beschreibung ihres Lehrkörpers, Lehrplans und ihrer Regelungen auffällt. Die Betonung der angewandten Künste, wie noch unter Kaesbachs Leitung, wich nun einem gewissen Traditionalismus im Unterrichtsplan. In der Malerei wurden die Gattungen als bestimmende Elemente der künstlerischen Praxis etwas stärker hervorgehoben.26 In der Beschreibung des 3 Informationsbroschüre der Studiums legte man besonderen Wert auf die handwerkStaatlichen Kunstakademie liche Ausbildung, „geschärftes Sehen“ (vermutlich im Sinne Düsseldorf, Deckblatt (Düsseldorf, um 1933/34) der „neuen deutschen Romantik“, die Radziwill und Peiner vertraten) sowie Kenntnisse der deutschen Kunstgeschichte.27 Neben dieser Wendung zur Tradition in der künstlerischen Ausbildung selbst führte man zudem drei neue „wissenschaftliche Hilfsfächer“ ein, die auf die militant-revolutionäre Haltung der neuen Akademieleitung sowie auch der Funktionäre im preußischen Kultusministerium unmissverständlich hinwiesen: Rassenkunde, Wehrsport und nationalsozialistische Schulung. Damit verkündete

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die neue Führung der Kunstakademie ihre revolutionäre Absicht, die Studierenden nicht nur technisch auszubilden, sondern auch ideologisch zu prägen.28 Offensichtlich blieben jedoch noch Probleme für den neuen Direktor der Kunstakademie, den Dortmunder Architekten Peter Grund, der den Maler Junghanns im Oktober 1933 ersetzte, zu lösen. Einige Professuren – für Städtebau und Gartenkunst, Eisenbetonbau und Kunstgeschichte – blieben unbesetzt, und der letzte Abschnitt der Broschüre stellte klar, aus welchen Gründen ein Student von der Akademie ausgeschlossen werden konnte. 1932 hatte Klapheck über die strenge Auslese an der Kunstakademie geschrieben; mindere Begabungen hätten in den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen der Gegenwart keine Chance, sich im beruflichen Leben durchzusetzen. Ein paar Jahre später veränderte sich der Blickwinkel; nun war keine Rede mehr vom künstlerischen Talent, sondern vom politischen Verhalten: „Mangel an nationaler Gesinnung und Achtung vor dem neuen Staat, seinen Führern und Hoheitszeichen und dem deutschen Gruß, unbotmäßiges Auftreten gegenüber Lehrern und Beamten der Akademie, unwürdiges und unsittliches Betragen haben die Ausschließung des Studierenden von der Akademie zur Folge.“29 Diese Broschüre umriss also die Konturen der neuen, politisierten Kunsthochschule, die aus der nationalsozialistischen Revolution hervorgehen sollte. Nicht zu verkennen waren jedoch auch Spuren der Unabgeschlossenheit des Prozesses und der Möglichkeit des Widerstandes innerhalb einer noch nicht ganz angepassten Studentenschaft.30 Die ersten zwei Jahre nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler waren in der Tat eine turbulente Zeit in der Kunstakademie. Allerdings waren die Urheber der Turbulenzen keine dissidenten Studenten, sondern die sich gegenseitig bekämpfenden Kreise innerhalb der NSDAP, die die Eigenschaften einer „echt deutschen“ bzw. nationalrevolutionären Kunst in ihrem jeweiligen Sinne festlegen wollten. Im Frühjahr 1933 schienen die Traditionalisten im Lehrkörper im Aufwind zu sein. Julius Paul Junghanns, Schüler des Münchner Tiermalers Heinrich von Zügel, dienstältester Professor in Düsseldorf und unnachgiebiger Gegner Kaesbachs in den zwanziger Jahren, wurde nach der Beurlaubung des Kunsthistorikers unter allgemeinem Beifall zum kommissarischen Direktor der Akademie ernannt. Dieser Zustand dauerte jedoch nur bis Oktober 1933, denn der neue Kunstreferent im preußischen Kultusministerium, der wenig bekannte Architekt und nationalsozialistische Aktivist Winfried Wendland, wollte keinesfalls die „künstlerische Reaktion“, wie er Künstler wie Junghanns nannte, fördern.31 Stattdessen setzte er den relativ jungen, ideologisch genehmen Architekten Grund als neuen Direktor ein, offensichtlich um den Vorrang der Architektur über die bildenden und angewandten Künste zu betonen. Maler und Graphiker wie Franz Radziwill, Werner Peiner, Leo Sebastian Humer (Monumentalmalerei) und Richard Schwarzkopf (angewandte Graphik), die in den 1890er Jahren geboren waren, kritischen Zuspruch gefunden hatten und der NSDAP zugeneigt waren, ersetzten die Professoren, die man kurz zuvor beurlaubt und entlassen hatte.32 Besonders enger Kontakt bestand zwischen

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Wendland und Radziwill, der sich offen als Gegner der modernistischen Elite der Weimarer Republik und als aktiver Anhänger der NSDAP profilierte, obwohl er vor 1933 in bestimmten Kreisen der modernen künstlerischen Kultur Anerkennung gefunden hatte. Mit dieser Rückendeckung versuchte Radziwill als Vorhut des neuen Staates in Düsseldorf nicht nur, den Studenten seiner Landschaftsklasse die Grundlagen seiner Malerei beizubringen, sondern auch eine ehrgeizige neue Kunstpolitik im Geist einer nationalen, im Krieg geborenen „Gemeinschaft“ voranzutreiben.33 Der Maler konnte sich jedoch letztendlich nicht durchsetzen, obwohl es scheint, dass er und sein Vorgesetzter Peter Grund zunächst die Leitung der Reichskammer der bildenden Künste in Düsseldorf übernommen hatten. In der Öffentlichkeit erregten Radziwills Bilder mit ihrer eigentümlichen Mischung aus altmeisterlichen Techniken, formalen Spannungen und technologischen Motiven gelegentlich Unbehagen. Das Dickicht aus bestehenden beruflichen und kulturpolitischen Interessen in der Stadt und der Region bremste jede weitreichende kunstpolitische Reform aus. Begründeter Streit sowie Intrigen von Seiten der Anführer des NS-Studentenbunds in der Kunstakademie setzten den Maler unter Druck. Und im Juni 1935 fiel Radziwill schließlich einer verbissenen, über ganz Deutschland geführten Kampagne zum Opfer, nachdem der von vielen in der Partei und im Staat unbeliebte Fanatiker Walter Hansen, der später für die Ausstellung „Entartete Kunst“ mitverantwortlich war, einige frühe Arbeiten des Malers in Hamburg entdeckt hatte.34 Zwei Jahre vor dem spektakulären Höhepunkt der kunstpolitischen Radikalisierung im Sommer 1937 war damit der Versuch gescheitert, eine revolutionär-soldatische, nationalsozialistische Kunstakademie in Düsseldorf aufzubauen. Künstler des juste milieu wie Junghanns, der erst zwei Jahre nach der Aufhebung der Mitgliedersperre im April 1937 in die NSDAP eintrat, konnten sich trotz Wendlands despektierlicher Meinung im Herbst 1933 in der bürgerlichen Kunstwelt der Diktatur problemlos etablieren. Sie konnten bis Ende des Krieges gegebenenfalls als Kunsthochschullehrer weiterarbeiten. Junghanns stellte seine Bilder regelmäßig in den Großen Deutschen Kunstausstellungen in München aus, er erhielt im Jahr 1941 die Goethe-Medaille und wurde um 1944 Vizepräsident der Reichskammer der bildenden Künste.35 Im Gegensatz dazu erwies sich der Vorstoß von Wendland, der als niedriger Funktionär im relativ schwachen preußischen Kultusministerium (bzw. Reichskultusministerium) agierte, und Radziwill, dem modernen Künstler und populistischen Nationalsozialisten, als Fehlschlag.

1938 bis 1944: Staatskunst und Zerstörung 1938 veröffentlichte die Akademie, die nach dem Rücktritt Peter Grunds im Juli 1937 unter der Leitung des heute noch bekannten Architekten Emil Fahrenkamp stand, eine weitere Auflage der Informationsbroschüre, jetzt in einer leichteren Fraktur

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gesetzt. Wie ihre Vorgänger teilte die Übersicht wichtige praktische Informationen für Studenten mit, wobei sie jetzt einen längeren Absatz zur Geschichte und Aufgabe der Kunstakademie anbot.36 Dazu kam noch eine zweite Drucksache, nämlich der erste einer Serie von ausgiebigen Jahresberichten, die 1939, 1940 und 1944 erscheinen sollten.37 Darin legte die Kunstakademie ausführlich Rechenschaft über die vorangegangenen zwei Jahre mit zahlreichen photographischen Reproduktionen von Studentenarbeiten und Werken von Professoren ab. Der Jahresbericht enthielt einen programmatischen Aufsatz Fahrenkamps über „Akademie und Leben“ sowie zusammenfassende Informationen über Berufungen, Veranstaltungen, Stiftungen und Errungenschaften der Professoren und Studenten. Es war ein beeindruckendes Dokument der produktiven Tätigkeit und der institutionellen Konsolidierung. Nun musste nie- 4 Jahresbericht der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf mandem mehr mit dem Ausschluss vom Studium wegen 1937/38, (Düsseldorf 1938) politischen Fehlverhaltens gedroht werden. „Konsolidierung“ hieß mit Sicherheit jedoch nicht, dass sich seit 1934 bis 1935 nichts verändert hätte. Im Gegenteil: Sowohl die Übersicht wie auch Fahrenkamps Aufsatz im Jahresbericht verrieten eine bedeutende Verlagerung des Schwerpunktes im akademischen Betrieb – ein weitreichendes Umdenken –, obwohl die Aufteilung des Personals und die Struktur des Unterrichtsplans im Wesentlichen gleich blieben.38 Es war deutlich eine Herabstufung der freien, bürgerlichen Malerei – der traditionelle Schwerpunkt der Düsseldorfer Kunstakademie – zu erkennen, trotz der Einweihung eines neuen Tierateliers für Junghanns im Wintersemester 1939, das gebaut worden war, um den früheren, von Kaesbach abgerissenen Atelierbau zu ersetzen, und trotz der Berufung von Hans Schmitz-Wiedenbrück im Jahre 1940.39 Nachdem Alexander Zschokke, den Kaesbach berufen hatte, und Edwin Scharff, der nach seiner Beurlaubung von den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ in Berlin nach Düsseldorf im November 1933 versetzt wurde, durch die Bildhauer Josef Enseling und Sepp Mages ersetzt wurden, führte man im Verzeichnis des Lehrkörpers zum ersten Mal die Skulptur vor der Malerei auf, direkt unter der Architektur. Zusätzlich fiel im kurzen Text zur Geschichte und Aufgabe der Akademie, die in der Übersicht abgedruckt war, eine Bemerkung über die „einseitige Begünstigung“ und „Überzüchtung“ der Malerei in und nach der Biedermeierzeit auf, die man inzwischen überwunden habe.40 In ähnlicher Weise schrieb Fahrenkamp im Jahresbericht desselben Jahres von früheren Zeiten, „da [war] die Malerei alles und die Architektur so etwas wie eine geduldete Spezialwissenschaft“ gewesen, was als Missstand die

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Absonderung der Kunstakademie von den realen Bedürfnissen zur Folge gehabt habe.41 Platz für ein „abseitiges ästhetisches Programm“ und für ein „interessantes Kunstproletariat“ gebe es jedoch nicht mehr, behauptete der Architekt, weil die Akademie „Dienst am Staate“ zu leisten habe. Das hieß: Um mitten im „politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gemeinschaftsleben der Nation“ tätig zu sein, müssten sich die bildenden Künste den Bedürfnissen der Architektur unterwerfen, die künftig unangefochten im Mittelpunkt der Kunsthochschule stehen werde. 42 Monumentale Bauplastik und Wandbilder waren nun das Gebot der Zeit für Studenten, die sich im nationalsozialistischen Deutschland und im Staat Hitlers als nützlich erweisen und Karriere machen wollten und sollten. Tatsächlich spielten der Entwurf und die Ausstattung von Bauvorhaben des Staates und der Partei vor dem Kriegsbeginn eine zunehmende Rolle in der Kunstakademie. Statt Gebäude wie das gemäßigt moderne Shell-Haus in Berlin aus dem Jahr 1931 zählten nun Hallen für die Ausstellung „Schaffendes Volk“ in Düsseldorf, der deutsche Pavillon für die Wasserbauausstellung in Lüttich, die Dorfanlage für die Ordensburg Vogelsang und das Gauehrenmal in Essen zu den Projekten, die verschiedene Mitglieder des Lehrkörpers bis 1940 ausführten. Die Jahresberichte sollten offensichtlich zeigen, dass die Düsseldorfer Kunstakademie sich ganz auf die Repräsentationsbedürfnisse der vollkommen entfalteten Diktatur eingestellt hatte. Sie funktionierte vor allem als Werkstatt für die Produktion von monumentalen Bauvorhaben und als Ausbildungsstätte für diejenigen, die diese künftig gestalten sollten. Ob die Jahresberichte der Düsseldorfer Kunstakademie zwischen den Jahren 1937 und 1944 aber ausschließlich als Zeichen der Stärke im Rahmen des nationalsozialistischen Staates anzusehen sind, ist jedoch zu bezweifeln. Nach wie vor musste die Kunstakademie Rechenschaft ablegen, um sich zu legitimieren. Zweimal – 1938 und 1944 – wies Fahrenkamp ausdrücklich auf das weitere Bestehen einer grundsätzlichen Kritik an den Akademien, auch nach der Verdrängung der modernen Kunst und ihrem antiakademischen Diskurs, hin. 1938 versuchte er z. B., der Charakterisierung der Akademie als „lebensfremd“ durch seine Betonung der neuen Rolle der Architektur und der Ausbildung zur Mitarbeit an Aufgaben von wirtschaftlicher und politischer Bedeutung für die Nation zu entgegnen.43 Allerdings gab er 1944 noch zu, dass „[d]er Streit um die Akademie [...] im 19. Jahrhundert nicht zur Ruhe gekommen und auch in der Gegenwart noch nicht abgeschlossen [ist]“.44 Angesichts der Struktur und Dynamiken der nationalsozialistischen Herrschaft, mit ihren Rivalitäten und radikalisierenden Tendenzen, bei aller Einstimmigkeit über ideologische Grundsätze, sind solche Zeichen einer unversiegten Akademiekritik vielleicht etwas unerwartet, aber dennoch nachvollziehbar. Wo witterte Fahrenkamp diese Feinde der Akademie? In der freien Künstlerschaft? In der kunstinteressierten Bevölkerung? In der Partei? Auf höchster

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staatlicher Ebene? Das ist unbekannt. Es ist jedenfalls bezeichnend und diesbezüglich wohl auch von Interesse, dass Hitler selbst, der ja zweimal vor der Aufnahmekommission der Kunstakademie in Wien gescheitert war, Kunstakademien nicht sonderlich geschätzt zu haben scheint. In seinen Reden zur Kunst sucht man umsonst nach Lob für Kunstakademien im Zusammenhang mit seiner Polemik gegen die Avantgarde. Stattdessen sprach er nur vom „gottbegnadeten“, manchmal missachteten Genie, das das wirklich Neue schöpfe. Der Diktator hegte eine romantische Vorstellung des großen Künstlers, der im Volk zutiefst verwurzelt, vom Blut bestimmt und mit den alten Meistern verbunden, aber scheinbar nirgendwo ausgebildet oder lehrtätig war. Solche titanischen, auserwählten Einzelfiguren ragten aus der „Masse“ der „anständigen Kunstschaffenden“ mit ihren „rein schulmäßigen“ Fähigkeiten empor.45 Diese Einschätzung der Haltung Hitlers bestätigt ein Bericht des Reichskultusministers Bernhard Rust, wonach der Diktator sich im Jahre 1937 eher eine Verringerung als eine Vermehrung der Zahl von Kunsthochschulen gewünscht habe.46 Natürlich heißt das nicht, dass Hitler sich für die Düsseldorfer Kunstakademie sonderlich interessierte oder dass sich Fahrenkamp Hitler widersetzen wollte. Aber Hitlers Vorstellungen vom genialen Schöpfer als außerordentliche Verkörperung des Volkes entsprach einem Merkmal seiner Diktatur, nämlich der Untergrabung bestehender staatlicher Behörden und Institutionen durch neue, quasistaatliche Instanzen, die den charismatischen Führern des Staates und der Partei direkt unterstanden.47 Im Kunstbetrieb des nationalsozialistischen Deutschlands waren die Ernennung von Professoren ohne Rücksicht auf Lehrtätigkeit, der Aufbau neuer Staatsateliers und die Gründung neuer „Meisterschulen“ außerhalb des bestehenden staatlichen Kunsthochschulsystems eindeutige Manifestationen dieses typischen Aspektes des Staates Hitlers. Mit Sicherheit ist die Karriere von Arno Breker das herausragende Beispiel der künstlerischen Auswirkungen solcher kunstpolitischen Handlungen.48 Im ersten Jahresbericht versuchte die Kunstakademie Düsseldorf jedenfalls aus der Tatsache Kapital zu schlagen, dass der seit 1937 von Hitler kräftig geförderte und daraufhin berühmt und einflussreich gewordene Bildhauer in Düsseldorf künstlerisch ausgebildet worden war. Eine Büste Hitlers, die der Künstler der Akademie gestiftet hatte, wurde als Frontispiz der Broschüre abgebildet. Breker war aber nicht der einzige Künstler, dessen Karriere sich durch die Handlungen der Diktatur weitgehend außerhalb der traditionellen Rahmen und festgelegten Bahnen der staatlichen Kunstpolitik entwickelte. Ein zweiter war Werner Peiner, der, wie schon erwähnt, im Herbst 1933 an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Professur für Malerei erhalten hatte. Wie Radziwill war Peiner vor 1933 mit der Neuen Sachlichkeit bzw. Neuen Deutschen Romantik zu identifizieren gewesen, wobei er sich auch als Theoretiker einer neuen, der Architektur verbundenen Malkultur präsentiert hatte.49 Was Peiner jedoch von Radziwill unterschied, war

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einerseits das Fehlen jedes erkennbaren politischen Engagements sowie andererseits seine guten Verbindungen zu Industrie und Gewerbe, vor allem zur Führungsetage des Shell-Konzerns in Deutschland.50 Für diesen Auftraggeber schuf er u. a. Mosaiken für ein neues Bürogebäude an der Hamburger Außenalster, ein großes Glasfenster für das neue Berliner Shell-Haus und zahlreiche Straßenkarten mit Texten zur deutschen Kulturlandschaft von Kasimir Edschmid. 1938 tauchte Peiners Name jedoch nicht mehr in den von Fahrenkamp herausgegebenen Schriften der Düsseldorfer Kunstakademie auf, da er seit 1937 als Leiter der neuen Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei in Kronenburg in der Eifel fungierte.51 Schon kurz nach seiner Ankunft in Düsseldorf versuchte Peiner, seine Lehrtätigkeit so häufig wie möglich nach Kronenburg, wo er schon lange vor 1933 gemalt hatte, zu verlegen. Mit seinem Vorschlag, eine Landakademie dort einzurichten, bezog sich Peiner einerseits auf die übliche akademische Praxis, Studenten mit auf ländliche Exkursionen zu nehmen. Andererseits kann er damit auch auf die schockierende Entlassung Radziwills und das gefährliche Treiben der militanten nationalsozialistischen Studenten in der Kunstakademie reagiert haben. Jedenfalls vermittelten Peiners Mäzene in der Industrie den Kontakt zu Hermann Göring, der den Maler bald zu seinem Favoriten erkor. Göring war es, der die Einrichtung der neuen, exklusiven Schule veranlasste und ihrer feierlichen Eröffnung beiwohnte. Dort konnten sich der Meister und die Auserwählten seiner Gesellen-Elite den zahlreichen Wandbildaufträgen widmen, die er für die neuen Staatsbauten des Reichs erhielt. Die Karriere Peiners als Staatskünstler und Hochschulleiter wurde durch das Wechselspiel der deutschen Industrie mit dem nationalsozialistischen Staat aufgebaut. Daraufhin entstand die von ihm geführte Meisterschule unmittelbar auf der Grundlage eines außerordentlichen Eingriffs in das staatliche Kunsthochschulsystem Preußens. Diese neue Institution kann als eine Konkretisierung der sprengenden kunstpolitischen Kraft des Nationalsozialismus definiert werden, lange bevor die von Hitlers Diktatur heraufbeschworene alliierte Bombardierung Düsseldorfs die dortige Kunstakademie in Ruinen hinterließ.

Anmerkungen 1 Anna Klapheck: Die „goldnen“ zwanziger Jahre. Die Akademie zwischen den Kriegen, in Eduard Trier (Hg.): Zweihundert Jahre Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf 1973, S. 147–160, wiederabgedruckt in Ulrich Krempel (Hg.): Am Anfang. Das Junge Rheinland. Zur Kunst- und Zeitgeschichte einer Region 1918–1945, Düsseldorf 1985, S. 64–72; James van Dyke: Walter Kaesbach und der Pyrrhussieg des Expressionismus, in Veit Loers (Hg.): Wounded Time: Avantgarde zwischen Euphorie und Depression, Mönchengladbach 2000, S. 38–52; ders.: Paul Klee und das Kunstproletariat, in Uta

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Gerlach-Laxner/Frank Günter Zehnder (Hg.): Paul Klee im Rheinland, Köln 2003, S. 180–188; O. K. Werckmeister: Professor Beckmann! Professor Dix! Professor Klee! Professor Matisse? Professor Masson? Professor Léger?: Warum gab es nur in der Weimarer Republik, nicht dagegen in der Dritten Republik Professoren für moderne Kunst?, in Wolfgang Ruppert/Christian Fuhrmeister (Hg.): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität: Formen der Künstlerausbildung 1918 bis 1968, Weimar 2007, S. 207–217; Kristina Kratz-Kessemeier: Kunst für die Republik. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932, Berlin 2008, S. 311–313, 329/330.   2 Tadayasu Sakai (Hg.): Paul Klee in Exile 1933–1940, Himeji 1985; Gerlach-Laxner/Zehnder 2003 (wie Anm. 1); Pamela Kort (Hg.): Paul Klee 1933, Köln 2003.   3 Siehe z. B.: Stephan von Wiese (Hg.): Brennpunkt Düsseldorf: Joseph Beuys, die Akademie, der allgemeine Aufbruch 1962–1987, Düsseldorf 1987; Petra Richter: Mit, neben, gegen: Die Schüler von Joseph Beuys, Düsseldorf 2000; Christine Mehring: Blinky Palermo: Abstraction of an Era, New Haven 2008; Siegfried Gohr: Ewald Mataré in Düsseldorf und Umgebung, Düsseldorf 2009.   4 Trier 1973 (wie Anm. 1), S. 160, 208, 215–218. Siehe auch Werner Alberg: Düsseldorfer Kunstszene 1933–1945, Düsseldorf 1985; Anja Hesse: Malerei des Nationalsozialismus: Der Maler Werner Peiner (1897–1984), Hildesheim 1995; Christoph Heuter: Emil Fahrenkamp: 1885–1966. Architekt im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, Petersberg 2002; Nikola Doll: Mäzenatentum und Kunstförderung im Nationalsozialismus: Werner Peiner und Hermann Göring, Weimar 2009; James A. van Dyke: Franz Radziwill and the Contradictions of German Art History 1919–45, Ann Arbor 2010.   5 Jürgen Trimborn: Arno Breker: Der Künstler und die Macht, Berlin 2011, S. 50–61.   6 Kaesbach an den Regierungspräsidenten Düsseldorf, 21.11.1932, Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, BR 1021–38, S. 273–275. Für weitere Berichte in der lokalen und regionalen Presse siehe die Zeitungsausschnitte im Stadtarchiv Düsseldorf XXIV 492.   7 Klee an Lily Klee, 15.11.1932, wiederabgedruckt in Felix Klee (Hg.): Paul Klee. Briefe an die Familie, Bd. 2, Köln 1979, S. 1173.   8 Walter Kaesbach (Hg.): Die Kunsthochschule von heute, Düsseldorf 1932.   9 Spuren dieser grundsätzlichen Kritik sind überall in der Tagespresse und Kunstzeitschriften der 1910er und 1920er Jahre zu finden. Die beste kunstwissenschaftliche Behandlung des Themas ist Kratz-Kessemeier 2008 (wie Anm. 1), S. 78–125, 333–340. 10 Richard Klapheck: Die Staatliche Kunsthochschule in Preussen, in Kaesbach 1932 (wie Anm. 8), S. 3–11, hier 3/4. 11 Klapheck 1932 (wie Anm. 10), S. 11. 12 Klapheck 1932 (wie Anm. 10), S. 8/9. 13 Paul Klee an Hannes Meyer, 8.8.1930, wiederabgedruckt in Peter Hahn (Hg.): Paul Klee als Zeichner, Berlin 1985, S. 170. 14 Siehe z. B. die Zeitungsausschnitte zum Thema im Stadtarchiv Düsseldorf XXIV 492; James A. van Dyke: Felixmüller’s Failure – Painting and Poverty, in Jochen Hung/Godela

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Weiss-Sussex/Geoff Wilkes (Hg.): Beyond Glitter and Doom: The Contingency of the Weimar Republic, München 2012, S. 176–191, hier 188. 15 Kratz-Kessemeier 2008 (wie Anm. 1), S. 333/334. 16 Vgl. W. Jungbluth: Der Kunstkuchen, in Die Volksparole, 4.2.1931. Für weitere Polemiken aus den Jahren 1931 bis 1933 in „Die Volksparole“, siehe Stadtarchiv Düsseldorf XXIV 492–493. Für eine bemerkenswert positive Besprechung der Akademie-Ausstellung siehe Wfr.: Die Akademie-Ausstellung ist eröffnet!, in Die Volksparole, 7.4.1932. 17 van Dyke 2000 (wie Anm. 1), S. 46; Kratz-Kessemeier 2008 (wie Anm. 1), S. 311/312. 18 Siehe z. B.: Schon wieder Veränderungen in der Düsseldorfer Kunstakademie, Düsseldorfer Tageblatt, 7.4.1932; Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, BR 1021-39, S. 8–28, 116, 134, 141/142, 148/149, 225, 228–232, 367–369. 19 van Dyke 2000 (wie Anm. 1), S. 46/47. 20 Wilhelm Waetzoldt: Gedanken zur Kunsthochschulreform, Leipzig 1921, S. 37. 21 Van Dyke 2000 (wie Anm. 1), S. 49. Siehe auch: Die Kunstakademie ehrt ihre Gefallenen. Enthüllung einer Gedenktafel, in Düsseldorfer Nachrichten, 2.11.1932. 22 Die Rolle des kommissarischen Direktors, Julius Paul Junghanns, wurde bislang immer betont. Junghanns verfasste seine Urteile über die Lehrer der Akademie, die er in einer Denkschrift vom 6. April 1933 festhielt, in Zusammenarbeit mit einem Untersuchungsausschuss der Gauleitung der NSDAP. Seine Empfehlungen darüber, welche Kollegen zu entlassen seien, kennzeichnete er in manchen Fällen als „Sparmassnahmen“. Siehe Junghanns an den Regierungspräsidenten Düsseldorf, 6.4.1933, Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen BR 1021-39, S. 240–243. Abgebildet in Alberg 1985 (wie Anm. 4), S. 40/41. 23 Der Vergleich zwischen dem Verzeichnis des Lehrkörpers in der Broschüre des Jahres 1932 mit dem ersten Verzeichnis nach der Bildung der Regierung Hitlers sowie die Lektüre archivalischer Dokumente (wie ein Brief von Bernhard Rust an Julius Paul Junghanns vom 28. Juni 1933, dessen Abschrift in der Personalakte von Ewald Mataré im Archiv der Kunstakademie Düsseldorf zu finden ist), zeigt das volle Ausmaß des Personalwechsels. Nicht mehr verzeichnet sind außer Campendonk, Klee, Mataré und Moll sowie einigen Professoren und Lehrern, die schon 1932 ihre Stellen verloren: Holzmeister (Architektur), Rappaport (Städtebau), Engelhardt (Gartenkunst), Klapheck (Kunst- und Architekturgeschichte), Pahde (Weberei), Simons (Schriftkunst), Huber (Anatomie), Huppertz (Kunstgeschichte), Hoff (Kunstgeschichte), Budde (Kunstgeschichte), Aufseeser (angewandte Graphik), Albrecht (Werbewissenschaft) und Fett (Setzerei und Druckerei), Hans Soeder (Architektur) und Grosche (katholische Kirchenbaukunst). 24 Zum komplizierten Fall von Scharff siehe Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, Reg. Düss. 55848 und RW-58-42540 (Akten der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Düsseldorf ). Der Fall Nauen ist zweideutig; in den Verzeichnissen des Lehrkörpers nach 1933 erscheint seinen Namen nicht, aber er trat „auf eigenen Antrag“ erst am 30. September 1939 in den Ruhestand. Siehe: Jahresbericht der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1939, Düsseldorf (o. J.) (um 1939), S. 26.

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25 Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf (o. J.) (um 1934). Ein Exemplar befindet sich im Archiv der Düsseldorfer Kunstakademie. 26 Im Verzeichnis des Lehrkörpers waren Max Clarenbach und Franz Radziwill als Landschaftsmaler und Julius Paul Junghanns als Tiermaler gekennzeichnet. 27 Unter Kaesbach scheint der Unterricht in der Malerei in vier Stufen gegliedert gewesen zu sein: die allgemeine Probeklasse, die Unterstufe Zeichenunterricht (mit den Pflichtfächern Anatomie und Perspektive sowie den Wahlfächern Anatomie der Tiere und Kunstgeschichte), die Oberstufe Mal- und Modellierunterricht und die Meisterklasse. Der Unterrichtsplan um 1934 war ähnlich aufgebaut: Man verbrachte zwei Semester in der Vorstufe (wo die handwerkliche Ausbildung betont werden sollte), dann vier Semester in der Zeichenklasse („Geschärftes Sehenlernen“, Aktzeichnen, Anatomie usw.), und schließlich vier Semester in der Malklasse (Inhalte waren dann Kompositionsübungen, deutsche Kunstgeschichte, Übungen in Mosaik und Glasmalerei und die besondere Fachausbildung – Figurenmalerei, Landschaft, Porträt, angewandte Kunst). 28 Wann die Studierenden diese Fächer belegen sollten, ist nicht immer klar. Rassenkunde scheint jedoch am wichtigsten gewesen zu sein, denn sie erscheint im Unterrichtsplan für jedes Lehrgebiet (Architektur, Malerei, Graphik, Bildhauerei und Bühnengestaltung). 29 Staatliche Kunstakademie Düsseldorf (o. J.) (um 1934), o. S. 30 Der einzige Hinweis in städtischen und staatlichen Archiven in Düsseldorf auf einen Studenten, der vielleicht wirklich als Dissident oder Angehöriger des Widerstandes innerhalb der Kunstakademie aktiv war, ist die Gestapo-Akte von Rolf Metzner. Metzner (geb. 1914) wurde beschuldigt, Beziehungen zu kommunistischen Kreisen zu pflegen, obwohl er 1937 Studentenschaftsführer in der Akademie war. Siehe: Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, RW 58-51425, 58-15166. 31 Van Dyke 2010 (wie Anm. 4), S. 102–104. Junghanns hat die Wiedereinstellung des Malers Adolf Münzer, der von Kaesbach in den Ruhestand gezwungen wurde, empfohlen, aber während seiner Amtszeit als kommissarischer Direktor nicht alle Anstellungsgesuche älterer Künstler unterstützt. Siehe: Junghanns an den Regierungspräsidenten Düsseldorf, 25.4.1933, 26.5.1933, 10.6.1933, Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalen, BR 1021-39, S. 249v, 268, 299. 32 Weitere Professuren und außerordentliche Lehrstellen erhielten: Heinrich Reifferscheid (künstlerisches Lehramt), Martin Paatz (Malerei), Walter Kersting (angewandte Graphik) und Edwin Scharff (Bildhauerei). 33 van Dyke 2010 (wie Anm. 4), S. 76–89, 104–114. 34 van Dyke 2010 (wie Anm. 4), S. 106/107, 120–127. 35 Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie. Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S. 278/279, 406. 36 Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf (o. J.) (um 1938). 37 Jahresbericht der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1937/38, Düsseldorf (o. J.) (um 1938).

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38 Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, Düsseldorf (o. J.) (um 1938), o. S.; Jahresbericht 1937/38 (o. J.) (um 1938), S. 54–57. 39 Jahresbericht der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1939, Düsseldorf (o. J.) (um 1939), S. 12, 26. Für mehr Informationen zur Berufung von Schmitz-Wiedenbrück auf Betreiben von Fahrenkamp siehe die Personalakte im Archiv der Kunstakademie Düsseldorf (Personalamt SG 3, 530). 40 Staatliche Kunstakademie Düsseldorf (o. J.) (um 1938), o. S. 41 Emil Fahrenkamp: Akademie und Leben, in Jahresbericht 1937/38, (o. J.) (um 1938), S. 15–18, hier 16. 42 Fahrenkamp (o. J.) (um 1938), S. 16. 43 Fahrenkamp (o. J.) (um 1938), S. 15–18. 44 Emil Fahrenkamp: Über die Bedeutung der Akademie, in Jahresbericht der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1941–1944, Düsseldorf (o. J.) (um 1944), S. 6–13, hier 6. 45 Robert Eikmeyer (Hg.): Adolf Hitler. Reden zur Kunst- und Kulturpolitik 1933–1939, Frankfurt 2004, S. 48, 51/52, 72/73, 77, 127, 142, 149, 182/183. 46 Dies teilte Rust der Reichskanzlei im März 1940 mit, um seine Ablehnung der Bitte von Albert Speer zu begründen, die Staatsschule für angewandte Kunst in Nürnberg zu einer Hochschule für angewandte und freie Kunst zu erheben. Nachdem Hitler sich mit dieser Änderung doch einverstanden erklärte, zumindest teilweise, um den Wünschen des Malers Hermann Gradl entgegenzukommen, genehmigte Rust das Gesuch im Nachhinein noch schnell. Im Jahr 1937 schien Rust zunächst auch die Erhebung der Akademie für angewandte Kunst in München zur Kunstakademie bremsen zu wollen. Er bat zumindest um eine offizielle Bestätigung, dass diese Erhebung durch Staatsminister Adolf Wagner tatsächlich auf Anordnung von Hitler erfolgt sei, wie Wagner behauptet hatte. Am 28. Mai 1940 hielt der Reichsminister der Finanzen, Graf Schwerin von Krosigk, trotz der Einlenkung Rusts in beiden Fällen die Anerkennung von Lehranstalten für angewandte Kunst als Kunstakademien für bedenklich, „weil nicht übersehen werden kann, wo dann noch in Zukunft ein Trennungsstrich zwischen Hochschule und Fachschule gezogen werden soll. [...] Diese Aufgabenverlagerung halte ich überdies für gefährlich und schädlich, weil sie zu einer künstlichen Übersteigerung der Ausbildung mit allen damit verbundenen unerwünschten Nebenerscheinungen führt, im übrigen vor allem eine bedenkliche Entwertung der Hochschulen bedeutet“. Siehe Bundesarchiv R43 II, 939b, S. 62–80. 47 Martin Broszat: The Hitler State. The Foundations and Development of the Internal Structure of the Third Reich, übersetzt von John W. Hiden, London 1981, S. x–xii, 265/266, 348. 48 Thomae 1978 (wie Anm. 35), S. 196–198; Klaus Backes: Hitler und die bildenden Künste. Kulturverständnis und Kunstpolitik im Dritten Reich, Köln 1988, S. 83–88; Trimborn 2011 (wie Anm. 5), S. 153/154, 216–226, 250–284. 49 Werner Peiner: Das Bild im modernen Raum, in Die Weltkunst 6, 24.1.1932, S. 5. Vgl. dazu Doll 2009 (wie Anm. 4), S. 69/70.

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50 Hesse 1995 (wie Anm. 4), S. 30–34; Doll 2009 (wie Anm. 4), S. 65–70; van Dyke 2010 (wie Anm. 4), S. 148/149. 51 Hesse 1995 (wie Anm. 4), S. 279–326; Doll 2009 (wie Anm. 4), S. 33–80.

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Karl Hofer und der Nationalsozialismus

Kaum ein anderer Künstler, zumal von vergleichbarer Prominenz, hat sich so früh und deutlich öffentlich gegen den Nationalsozialismus positioniert wie Karl Hofer. Anfang 1931 wandte er sich gegen einen Angriff im „Angriff“, der von Goebbels herausgegebenen Zeitung, und wies den „lieben Nazis“ in einem Text voller Ironie die Haltlosigkeit ihrer Vorwürfe nach, der Staatspreis der Akademie der Künste, die nach der Pfeife des Juden Hofer tanze, werde nur an Juden vergeben.1 Im gleichen Jahr beteiligte er sich an einer Umfrage der Berliner Zeitung „Die Welt am Abend“. Die Zuschriften, darunter auch die Hofers, wurden in einer Sonderveröffentlichung unter dem Titel „78 Arbeiter, Angestellte, Schriftsteller, Politiker beantworten die Frage: Wie kämpfen wir gegen ein Drittes Reich?“ zusammengestellt. Unter der Überschrift „Faschismus, die dunkle Reaktion!“ ist Hofers Stellung gegen diesen bzw. diese deutlicher zu erkennen 1 Titel der auf einer Umfrage der „Welt am Abend“ als die Alternative, für die er warb. Am beruhenden Broschüre von 1931 Anfang des Textes scheint es die Einheitsfront von KPD und SPD zu sein, dann eine parteiunabhängige Initiative: „Man sollte meinen, daß es in einem Kulturvolk möglich sein sollte, Vertreter der verschiedenen Parteien zusammenzurufen mit gänzlich unabhängigen Menschen zu einer Aussprache. Die Not und die Verzweiflung unseres Volkes dürften diesen Versuch wohl rechtfertigen.“ Und dann folgt ein Satz, der für unsere heutigen

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Überlegungen besonders wichtig sein könnte: „Die Wahrheit und die Lösung der so schwierigen Probleme liegt bei keiner Partei, jede aber birgt Wahrheiten, die NS-Partei sogar sehr viele, und gerade deshalb ist sie so gefährlich, denn in den Händen der Reaktion wird mit der Wahrheit Mißbrauch getrieben.“ Uns fällt es heute schwer, in den Äußerungen der Nationalsozialisten irgendeine Wahrheit zu finden, weil sie, sollten sie vorhanden gewesen sein, anscheinend durch ihren Missbrauch unwiederbringlich diskreditiert sind. Damals aber war der Blickwinkel ein anderer. Nach dieser Wendung ins Allgemeine mündet Hofers Beitrag dann in eine überraschende pragmatische Aufforderung: „Alle arbeitenden Menschen sollen sich in irgendeiner Form der Kommunistischen Partei anschließen.“2 Hofer hat sich anscheinend nicht als arbeitenden Menschen verstanden, denn man hörte nichts davon, dass er sich „in irgendeiner Form“ der Kommunistischen Partei angeschlossen hätte. Die Nationalsozialisten vergaßen ihm seine Äußerungen aber nicht. Am 1. April 1933 wurden Hofer, Oskar Schlemmer und andere Lehrer der Berliner Kunsthochschule auf einem Plakat als „Vertreter des zersetzenden liberalistisch-marxistisch-jüdischen Ungeistes“ bezeichnet und die Studenten aufgefordert, diese Lehrer zu meiden.3 Hofer wurde beurlaubt und im Sommer 1934 entlassen. In der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München war er mit acht Gemälden vertreten, insgesamt wurden mehr als 300 seiner Werke in deutschen Museen beschlagnahmt. Da er auf die wiederholten Aufforderungen, aus der Preußischen Akademie der Künste auszutreten, nicht reagierte, wurde er im Sommer 1938 durch den Erziehungsminister Bernhard Rust ausgeschlossen.4 Nach dem Krieg hat sich Hofer selbstverständlich zu den „nachgewiesenermaßen Unschuldigen“5 gerechnet und behauptet: „Es wurde mir verboten, künstlerisch tätig zu sein, meine Werke auszustellen und zu verkaufen.“6 Er protestierte nicht nur mit dem Deutschen Künstlerbund gegen die öffentliche Förderung einer Ausstellung der „Gruppe Gerhardinger“, weil er darin eine Rehabilitierung der „Nazikunst“ sah,7 sondern wo er konnte, beschimpfte er diejenigen Künstler, die sich nach seiner Meinung schuldig gemacht hatten, auf das Heftigste. Und diese Meinung ist, da sie auf unmittelbaren Erfahrungen oder zeitnahen Berichten beruht, gewiss ernst zu nehmen, wenn auch kritisch zu würdigen. Manche Urteile fallen bei Beteiligten aus persönlicher Sym- oder Antipathie überzogen aus. Dass aber Hofer nicht nur Schwarz-Weiß-Bilder im Kopf hatte, belegt ein Satz zu Arno Brekers Versuchen, positive Stimmen für sein Entnazifizierungsverfahren zu erlangen: „[D]iese Entnazifizierung scheint mir wirklich nicht möglich, obwohl er zum Unterschied von den Schweinehunden Nolde und Naziwill sich anständig und hilfsbereit verhalten hat.“8 Aber war sein eigener Weg durch die dunklen Jahre wirklich so gerade und allzeit aufrecht, wie es sich danach vermuten lässt? Es soll hier keine weitere bedeutende Persönlichkeit demontiert werden. Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass es kaum Möglichkeiten gab, die Jahre der Naziherrschaft zu

Karl Hofer und der Nationalsozialismus

überleben, ohne an irgendeiner Stelle Irrtümern zu erliegen, Kompromisse einzugehen oder Fehlentscheidungen zu treffen. Ein verbreiteter Irrtum war 1933, dass die Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber der Kunst nur die radikalen Entgleisungen einer „revolutionären“ Umwälzung und die selbstherrlichen Entscheidungen subalterner Beamter, „wildgewordener Oberlehrer“,9 seien, dass die Führungsspitze nichts davon wisse oder es eigentlich nicht billige. Dem schien es zu entsprechen, dass die Ausstellungen, in denen in einer Reihe von Städten die jeweiligen Museumsankäufe moderner Kunst angeprangert wurden, meist von Künstlern organisiert wurden, die während der Weimarer Republik nur wenig, nach ihrer Meinung: zu wenig, Beachtung gefunden hatten. In Hofers Heimatstadt Karlsruhe diffamierte Hans Adolf Bühler – nach Hofers Worten „ein menschlicher und künstlerischer Schweinehund, das vollkommenste Nichts“10 – in der Ausstellung „Regierungskunst 1918–1933“ nicht nur Gemälde Hofers und anderer Zeitgenossen, sondern auch eines von Hans von Marées. Noch Anfang 1934 schrieb Hofer: „Was nützt es, daß Wille und Absicht des Führers, der einzigen großen Persönlichkeit, rein und bedeutend sind, wenn alles vermantscht und durch die Satelliten ins Gegenteil gekehrt wird.“11 Wie viele andere auch, konnte Hofer zunächst nicht begreifen, weshalb seine Kunst nicht als deutsch angesehen wurde, und hielt seine Beurlaubung für einen Kollateralschaden. „Inzwischen ist ja nun ein Gewitter über uns herniedergegangen, das die Luft gereinigt, dabei aber aus Mißverständnis meine Wenigkeit erschlagen hat. Aus der Welt deutscher Kunst soll ich fortan ausgeschaltet werden. Ausgerechnet ich soll kein deutscher Künstler sein“,12 schrieb er im September 1933. Da war der leidenschaftlich geführte öffentliche Streit um die „deutsche“ Kunst bereits abgeebbt und wurde nur noch in reduzierter Form fortgeführt – das allerdings bis 1937. Im Sommer 1933 gehörte Hofer zu den von der Secession ausgestellten Künstlern, in deren Werken sich laut Katalogvorwort „das Deutschtum elementar“ offenbare. In der Ausstellung „30 deutsche Künstler“ in der Galerie Ferdinand Möller war er allerdings nicht vertreten. Diese Ausstellung kam auf Initiative des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes Berlin zustande, der dann allerdings, um sie geöffnet halten zu können, von seiner Trägerschaft zurücktreten musste. Auf der vom Studentenbund organisierten Kundgebung „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ am 29. Juni, auf der vehement für den Expressionismus Stellung bezogen wurde, war die Ausstellung bei Möller angekündigt worden. In diesen Sommerwochen erschienen, vor allem in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“, zahlreiche Wortmeldungen zum Thema der „deutschen“ Kunst, am 13. Juli auch diejenige Hofers unter dem Titel „Der Kampf um die Kunst“. Das wichtigste Anliegen war ihm die Feststellung, dass die Kunst nicht für die Masse da sei und, sofern sie hohe Ziele erstrebe, auch nicht da sein dürfe, sondern für den Kreis der Kunstverständigen, die aber keine Oberschicht bildeten, sondern in allen Schichten zu finden seien. Als weiteres Argument führte er an, „daß nächst dem Militär

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kein menschlicher Tätigkeitsbezirk so judenfrei“ sei, „wie die bildende Kunst, so frei auch von jeglichem jüdischen Einfluß im Gegensatz zu Literatur, Musik und Theater“. Die wiederholte Aussage, dass vieles, was geschehen sei, „den Intentionen der Führer“ nicht entspreche, war damals in vielen ähnlichen Beiträgen zu lesen. Aber ein Gedanke, den Hofer hier formulierte, wurde selten angesprochen, nämlich die Gefahr, dass, „um dem Vorwurf des Reaktionären zu begegnen, willkürlich einzelne Künstler unserer Front herausgegriffen und als national proklamiert werden, womit die Vernichtung der anderen, die um nichts weniger deutsch sind, nur um so vollkommener würde“.13 Tatsächlich setzte man sich fast durchgängig vorwiegend oder sogar ausschließlich für den Expressionismus der Brücke-Künstler und Emil Noldes ein. Nur Alois Schardt – vorübergehend Direktor der Nationalgalerie – bezog auch Franz Marc und Lyonel Feininger ein. Aber auch er beschränkte sich auf eine antioder zumindest unklassische künstlerische Haltung, so dass Künstler wie Oskar Schlemmer und auch Hofer herausfielen. Tatsächlich wurde Hofer in der gesamten Auseinandersetzung nur selten erwähnt – natürlich außer der Entgegnung Waldemar Wünsches auf Hofers Artikel. In ihr wird einerseits auf die Rolle des jüdischen Kunsthandels für die moderne bildende Kunst verwiesen, andererseits auf die Bedeutung des „Gesamtvolks“, das eben auch als solches an der Kunst teilhaben müsse. Der Artikel schließt mit dem Satz: „Über Herrn Hofer mag die Zukunft richten; sie wird auch über die entscheiden, die ihn heute noch für einen berufenen Richter über deutsche Kunst halten.“14 Sie hat auch über Herrn Wünsche entschieden. Aber heute muss man weiter fragen. War nicht auch Hofers indirekte Anerkennung des „Judentums“ als eines überhaupt zu diskutierenden Arguments – das er 1931 in seinen Ausführungen zum Preußischen Staatspreis noch ad absurdum geführt hatte – ein ähnliches Vorgehen wie die Konzentration auf den Expressionismus? Hätte er mit seinem Artikel überhaupt eine größere Wirkung erzielt, so hätte er damit erreichen können, dass die „Vernichtung der anderen“ – nämlich von Literatur, Musik und Theater – „nur um so vollkommener würde“. Es ist aufschlussreich, noch einmal vom Jahreswechsel 1942/43 aus auf den Hofer’schen Artikel zurückzublicken. Zu diesem Zeitpunkt stieß Hofer auf eine veröffentlichte Rede seines Freundes Leopold Ziegler aus dem Jahr 1934 und unterzog sie einer harschen Kritik. Als die juristische Fakultät die Berufung Zieglers zum Rektor der Frankfurter Universität erreichen wollte, hielt dieser einen Vortrag über den deutschen Staat, in dem er aus begreiflichen Gründen scheinbare Gemeinsamkeiten zwischen seinen Anschauungen und denen der Nationalsozialisten betonte oder überhaupt erst herstellte.15 Ziegler teilte eigentlich die Vorstellungen seines Freundes Edgar Julius Jung von einem föderalistischen Staat als Vorform zu einem föderalistischen Europa. Hofer warf ihm knapp zehn Jahre später zunächst einen Kotau, dann zumindest sträfliche Illusionen vor und erläuterte schließlich: „Wenn ich mir z. B. eingebildet hätte, vor einem solchen Populus durch einen Vortrag über

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die irgendwie gleichlaufenden Probleme der Kunst etwas zu erreichen, so wäre das eben als Illusion zu werten auf Grund einer auf Wohlmeinen beruhenden Ahnungslosigkeit vom Wesen dieses Populus. Viele lebten in dieser Ahnungslosigkeit.“16 Dass auch er selbst, wie sein Aufsatz über den „Kampf um die Kunst“ von 1933 zeigt, zu diesen vielen gehörte, blendete Hofer vollständig aus. Genauso wurden später Tatsachen ausgeblendet, wenn Hofer von einem Arbeitsund Ausstellungsverbot sprach. Es gab Verbote einzelner Ausstellungen, aber insgesamt wurde Hofer sogar relativ häufig mit Ausstellungen bedacht. 1935 waren es gleich drei – in den Kunstvereinen von Köln und Freiburg sowie in der Stuttgarter Galerie Valentien, 1936 folgten der Hamburger Kunstverein und die Galerie Karl Buchholz in Berlin. Am häufigsten wurden seine Werke von der Berliner Galerie Nierendorf präsentiert: 1933, 1934, 1937 und sogar noch 1938. Bei der Internationalen Gemäldeausstellung des Carnegie Institute in Pittsburgh erhielt Hofer 1934 den zweiten und 1938 den ersten Preis. Das veranlasste seine erste Frau Thilde, sich Anfang 1939 an dieses Institut zu wenden und um Unterstützung bei der Auswanderung nach Amerika zu bitten, was allerdings abschlägig beschieden wurde. Hofer hatte sich bereits 1927 von Thilde getrennt. In der Ausstellung des Aktiven Museums Wiesbaden über „Das Schicksal der Mathilde Hofer“, die dort 2009 zu sehen war und kürzlich auch in Berlin gezeigt wurde, konnte man erfahren, dass die Scheidung, die offenbar 1934 eingeleitet wurde, aber erst 1938 erfolgte, von Thilde eingereicht worden war, und dass Hofer ihr regelmäßig einen Prozentsatz seiner Pension als Unterhalt zahlte. Demnach schien sein Verhalten ohne Tadel gewesen zu sein. Aber der Brief Thildes nach Amerika sagt etwas anderes. Dort heißt es: „Mein Mann [...] hat mich gebeten, den Umständen der heutigen Zeit Rechnung zu tragen, und da ich nach meinem ungarischen Vater nicht arisch bin, mich von ihm scheiden zu lassen, damit er, und seine Carriere nicht zu leiden haben.“17 Da sie mit der Aussage, die Scheidung von sich aus betrieben zu haben, um ihren berühmten Mann zu schützen, in Pittsburgh noch mehr hätte punkten können, ist die Angabe wahrscheinlich richtig, dass Hofer den Anstoß gab. 1942 wurde Mathilde Hofer in Wiesbaden als Jüdin denunziert und am 21. November in Auschwitz ermordet. Man kann davon ausgehen, dass Hofer dieses tödliche Risiko des Verlustes eines gewissen Schutzes durch die „Mischehe“ bei seinem Scheidungsersuchen nicht bewusst war. Aber er stellte sein eigenes Sicherheitsinteresse hemmungslos über das seiner Frau – ganz abgesehen davon, dass dadurch der Weg für ihn frei wurde, endlich sein „Schneckchen“ zu heiraten.18 An diesem Vorgang wird besonders deutlich, wie menschliche Fehler oder auch nur Schwächen im Nazistaat Folgen in Dimensionen zeitigen konnten, an die unter „normalen“ Umständen nicht zu denken war. Bei all seiner wachsenden Verbitterung, die seine Briefe in den Kriegsjahren bestimmt, sind in ihnen keine Reflexionen über das Schicksal seiner ersten Frau enthalten. Hoffnungslosigkeit ist das vorherrschende Gefühl, das er in seinen

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2 Karl Hofers „Halbakt“ von 1924 aus dem Museum Wiesbaden im Depot der „Entarteten Kunst“ im Schloss Schönhausen

Briefen immer wieder formulierte. Aber seine Kunst aus jenen Jahren spricht eine andere Sprache. Den Schreckensbildern stehen nach wie vor Visionen von Schönheit und Harmonie gegenüber, und gleichzeitig festigten sich die zentralen Vorstellungen seiner Kunsttheorie um die Begriffe „Gestaltung“ und „Selektion“. Landschaftsbilder und Stillleben aus dieser Zeit sind oft kaum von denen aus den zwanziger Jahren zu unterscheiden. Von etlichen der 1937 beschlagnahmten Werke gibt es Aufnahmen aus dem Depot im Schloss Schönhausen, die von Günther Ranft angefertigt wurden. Ranft war Mitarbeiter des Kunstdienstes, dem die Räume im Schloss Schönhausen unterstellt waren, und wurde als Expedient für die „Verwertung“ der „Entarteten Kunst“ abgestellt. Ranft war selbst Maler und hatte

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u. a. am Bauhaus, aber auch bei Hofer in Berlin studiert. Unter seinen Aufnahmen „Entarteter Kunst“ finden sich auch solche von eigenen Werken, die nicht in Schönhausen, sondern offenbar in seinen Privaträumen aufgenommen wurden. Von Hofer sind eine Anzahl von Gemälden auf den Fotos zu sehen, die sich nicht als ehemaliger Museumsbesitz nachweisen ließen. Karl Bernhard Wohlert konnte sie im Zuge der Vorbereitungen für sein Werkverzeichnis identifizieren und stellte dabei fest, dass sie zum Teil erst in den dreißiger Jahren oder sogar erst 1942 entstanden waren. Bei genauerem Hinsehen war auch festzustellen, dass sie auf einer komfortablen Staffelei stehen, die auf den sonstigen Aufnahmen nicht zu entdecken ist. Wenn diese spezielle

4 Karl Hofers „Pfirsiche im Körbchen“, entstanden um 1935 in seinem Atelier

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3 Ein Blumenstilleben von Günther Ranft in dessen Atelier

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Staffelei auch auf den mir bisher bekannten Aufnahmen aus Hofers Atelier nicht auszumachen ist, so kann doch als sicher gelten, dass Ranft bei Hofer fotografierte. Und man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass er dann den Künstler nicht zumindest ungefähr über die Vorgänge beim Verkauf der „entarteten“ Werke unterrichtet haben sollte. Leider sind uns keine Reaktionen Hofers darauf bekannt. 5 Aus einem Prospekt des Nervensanatoriums Dr. Sinn in Im August 1943 zog er sich mit Potsdam-Babelsberg seiner Frau in das Sanatorium Neubabelsberg zurück, das von Dr. Sinn geleitet wurde. Hier malte Hofer weiter neue Bilder und neue Fassungen der Bilder, die kurz zuvor in seinem Berliner Atelier den Bomben zum Opfer gefallen waren. In diesem Sanatorium wurde im Sommer 1944 anscheinend auch der von den Deutschen internierte ehemalige französische Ministerpräsident Édouard Herriot untergebracht und von Gestapoleuten bewacht. Zu dieser Situation heißt es in Hofers Lebenserinnerungen: „Es wurde bedrohlich, denn Dr. Sinn hielt eine alte jüdische Dame versteckt. Im Garten schrieb ich unter den Augen der hin- und herpromenierenden Bullen an einem Traktat schärfster Art gegen das Dritte Reich.“19 Dieses Traktat, das meines Wissens bis heute nicht aufgefunden wurde, wollte Hofer später im Aufbau Verlag veröffentlichen, was aber nicht zustande kam. Auf meine Anfrage wurde mir seinerzeit vom Verlag mitgeteilt, dass über diese frühen Vorgänge keine Unterlagen vorhanden seien. Dieser Text böte zweifellos eine weitere interessante Facette zu Hofers Verhältnis zum Nationalsozialismus und seiner Auseinandersetzung mit diesem.

Anmerkungen 1 Karl Hofer: Die Blutsprobe, in Das Tagebuch, 17.1.1931, S.110/111. 2 Karl Hofer: Faschismus, die dunkle Reaktion!, zit. nach Andreas Hüneke (Hg.): Karl Hofer. Malerei hat eine Zukunft. Briefe, Aufsätze, Reden, Leipzig und Weimar 1991, S. 189/190. 3 Vgl. Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988, S. 69. 4 Vgl. Hildegard Brenner: Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution. Die politische Formierung der Preußischen Akademie der Künste ab 1933, Stuttgart 1972, S. 148–150.

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  5 Karl Hofer an Hans Purrmann, Dezember 1949, in Hüneke 1991 (wie Anm. 2), S. 314.   6 Karl Hofer, Notizen zur Situation, 2.8.1950, in Hüneke 1991 (wie Anm. 2), S. 322.   7 Karl Hofer an Theodor Heuß, 27.11.1951, in Hüneke, wie Anm. 2, S. 334/335.   8 Karl Hofer an Gerhard Marcks, 8.3.1947, in Hüneke 1991 (wie Anm. 2), S. 276; zu Nolde ausführlicher: Karl Hofer an Alfred Hentzen, 17.6.1948, in Hüneke 1991 (wie Anm. 2), S. 298.   9 Karl Hofer an Leopold Ziegler, 11.1.1934, in Andreas Hüneke (Hg.): Leopold Ziegler, Karl Hofer. Briefwechsel 1897–1954 (= Paulus Wall [Hg.]: Leopold Ziegler. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd. 3), Würzburg 2004, S. 121. 10 Karl Hofer an Leopold Ziegler, 24.8.1933, in Hüneke 2004 (wie Anm. 7), S. 118. 11 Karl Hofer an Leopold Ziegler, 11.1.1934, in Hüneke 2004 (wie Anm. 7), S. 122. 12 Karl Hofer an Bruno Leiner, 9.9.1933, in Hüneke 1991 (wie Anm. 2), S. 197. 13 Karl Hofer: Der Kampf um die Kunst, in Deutsche Allgemeine Zeitung, 13.7.1933. 14 Waldemar Wünsche: Karl Hofer und die neue Kunst, in Deutsche Kulturwacht (1933), H. 17, S. 13. 15 Leopold Ziegler: Der deutsche Staat, in Deutsche Rundschau, Bd. 238, Jan.–März 1934, S. 133–143. 16 Karl Hofer an Leopold Ziegler, 14.2.1943, in Hüneke 2004 (wie Anm. 7), S. 140/141. 17 Mathilde Hofer an die Direktion der Carnegiegesellschaft, 18.1.1939, Kopie im Archiv Andreas Hüneke, Potsdam. 18 Spätestens seit 1931 begleitete Lisbeth Schmidt, von Hofer „Schneckchen“ genannt, ihn auch zu seinen Sommeraufenthalten ins Tessin, am 7.11.1938 erfolgte die Heirat. 19 Karl Hofer: Erinnerungen eines Malers, Berlin 1953, S. 228.

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Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34

Für W. Der Maler und Bühnenkünstler Oskar Schlemmer gilt als von den Nationalsozialisten verfemt, diffamiert und aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen. Verändert man diese retrospektive Sicht und richtet den Blick auf Schlemmer in den Jahren 1933/34, dann tritt uns ein Künstler vor Augen, dessen Affinität zum neuen NS-Regime erstaunlich groß ist und der den neuen Machthabern sogar Ideen zu einer „Staatskunst“ und zu einer „deutschen Ikonographie“ offeriert. Alle seine Ambitionen werden jedoch – fast von Anfang an – zurückgewiesen oder ignoriert.1 Zur Vorgeschichte: Schlemmer hatte im Herbst 1929 das Bauhaus Dessau verlassen und einen Ruf an die Akademie für Kunst und Kunstgewerbe zu Breslau (poln. Wrocław) angenommen. Im Zuge der 2. Brüning’schen Notverordnung war die Akademie in der schlesischen Metropole (zeitgleich mit den Akademien Königsberg und Kassel) zum 1. April 1932 abgewickelt worden. Schlemmer hatte einen Drei-Jahres-Vertrag erhalten; dieser wäre demnach erst im Oktober ausgelaufen.2 Als Übergangslösung verfügte das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung seine Übernahme nach Berlin an die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ und zwar auf Grundlage des bestehenden Vertrags, in den aber neue Richtlinien eingearbeitet werden sollten, so Schlemmer in einem Brief an seine Frau Tut.3 Zweieinhalb Wochen später ergänzt er: „[...] ich muß nach Berlin, um mir meinen Vertrag zu holen“,4 der auf zwei Jahre, also bis Oktober 1934, befristet ist.5 Bruno Paul, Direktor der Hochschule, der sich für diese Lösung schon seit Längerem eingesetzt hat, kündigt den neuen Kollegen in seiner Semesterabschlussrede vom 30. Juni 1932 an: „Herr Professor Oskar Schlemmer ist aus dem Professorenkollegium der Breslauer Akademie zu den Vereinigten Staatsschulen übergetreten. Er wird mit dem Beginn des neuen Semesters das wichtige Gebiet von Projektion und Perspektive und im besonderen die Probleme der menschlichen Figur im Raum methodisch bearbeiten. Zu Beginn des Semesters wird er uns durch einen Vortrag mit seinen Anschauungen zum Thema näher bekanntmachen.“6 Am 8. November 1932 hält Schlemmer diese Antrittsvorlesung, deren Thema „Perspektiven“ mit Bruno Paul vorbesprochen wurde und der Denomination der angetretenen Stelle entspricht.7

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Schlemmers erstes Berliner Semester verläuft reibungslos, aber zu Beginn des zweiten, wenige Monate nach der Machtübertragung an die NSDAP auf Reichsebene, werden er und weitere Kollegen von nationalsozialistischen Studenten angepöbelt und diffamiert. Die Aktion erfolgt am 1. April 1933, an dem das NS-Regime die gleich im Februar einsetzenden und nicht nur von NS-Organisationen getragenen Boykottaktionen gegenüber jüdischen Mitbürgern kulminieren lässt.8 Entsprechend der Ausrichtung dieses Tages, einem Samstag, wird auch Schlemmer hart angegriffen und als „typische[r] Vertreter des zersetzenden liberalistisch-marxistisch-jüdischen Ungeistes“ bezeichnet, wie er tags darauf seinem obersten Dienstherrn Bernhard Rust mitteilt, der seit 2. Februar 1933 kommissarisch das preußische Kultusministerium leitet.9 Bereits zehn Tage zuvor, am 20. März 1933, hatte sich Schlemmer an Max Kutschmann gewandt, Obmann für bildende Kunst im nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur. Nie habe er einer politischen Partei angehört, schreibt Schlemmer, vielmehr habe er sich dem „linken“ Bauhaus unter Hannes Meyer entgegengestellt.10 Diese Hinweise wiederholt er nach den Tätlichkeiten vom 1. April, z. B. in einem Beschwerdebrief an den NSDAP-Ortsgruppenleiter.11 Schlemmers Schreiben zeigen, dass er den „Dienstweg“ beschreitet, aber auch die jetzt allgegenwärtigen Parteiorganisationen berücksichtigt. Dennoch erfolgt seine Beurlaubung und im Mai die Entlassung, so dass Schlemmer zum Anfang Oktober stellenlos ist und sich im November 1933 als arbeitssuchend melden muss.12 Schlemmer ahnt oder kennt die genannten Vorwürfe, wie sein Brief an Kutschmann vom 20. März belegt. Allerdings sind die Anschuldigungen zum Teil neu, etwa dass er Jude bzw. jüdischer Abstammung sei. Doch Schlemmer verteidigt und rechtfertigt sich nicht nur, sondern er glaubt, seine Kunst und sein Kunstverständnis könnten im neuen Staat eine nicht unbedeutende Rolle spielen, und agiert entsprechend. Dieser Tenorwechsel zeigt sich besonders in Briefen an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, an den Schriftsteller Gottfried Benn und den Museumsdirektor Klaus Graf Baudissin in Essen. Zudem veröffentlicht Schlemmer im August 1933 einen Artikel mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Entscheidungsstunde! Appell in Sachen Kunst“. Dies geschieht in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (DAZ), die in den vorangegangenen Monaten zu einem Forum unterschiedlicher kulturpolitischer Positionen geworden war. Der Maler Karl Hofer und der Kunstkritiker Bruno E. Werner äußern sich hier, aber auch der junge, politisch aktive Maler O. A. Schreiber und Politiker wie Rust und Goebbels. Außerdem beteiligt sich Schlemmer an zwei hochrangigen Wettbewerben des NS-Regimes. In all diesen Aktivitäten Schlemmers schälen sich zwei Argumentationslinien heraus, die im Folgenden untersucht werden: Erstens die Parallele zwischen „Staatskomposition“ und „Kunstkomposition“, die hier als verdeckte Selbstbewerbung

Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34

interpretiert wird; zweitens seine eigene Positionierung als deutscher Künstler, denn Schlemmer ringt damit, Teil der neuen politisierten Diskurse um „deutsche Kunst“ zu werden, in denen die Künstlerschaft allerdings zu keinem Zeitpunkt die Deutungshoheit über die Politik erringt. Beiden Argumentationslinien liegt das Interesse zugrunde, die gefährdete Position im sich neu strukturierenden, aber unübersichtlichen und vielfach noch offenen Gefüge der politisierten Kunst nach dem „Sieg der Bewegung“ zu sichern. Dies betrifft seine Anstellung als Professor, dies betrifft öffentliche Aufträge, dies betrifft aber auch museale Präsenz – seine „Sichtbarkeit“, würde man das heute nennen. Zwei Fragen sollen diese beiden Argumentationsstränge begleiten: Sind Schlemmers Positionen in seiner künstlerischen Entwicklung bzw. in seinen Berufsjahren in der Weimarer Republik fundiert? Und warum scheitert er von Anfang an?

Staatskomposition und Kunstkomposition Die Parallele zwischen Staatskomposition und Kunstkomposition zieht Schlemmer zweimal vor und mehrfach während der NS-Zeit. Diese Idee muss ihn nachhaltig beschäftigt haben. Schon während er im Sommer 1932 an seiner Antrittsvorlesung für Berlin arbeitet, hat er, noch in Breslau, in seinem Artikel „Zur Lage heutiger Kunst“ darüber geschrieben.13 Um zu erläutern, was er unter „Staatskomposition“ versteht, baut Schlemmer eine in Goethe fundierte Argumentationskette auf und unterscheidet die Kunst nach drei Hierarchieebenen: Naturnachahmung – Manier – Stil.14 Der Stil gilt ihm dabei als die höchste, weil geistige Darstellungsart, Naturnachahmung verbleibe dagegen auf einer rein mimetischen Ebene, und der Manier fehle Verbindlichkeit, sie sei subjektive Darstellung. Mit dieser „Goethe-Argumentation“ greift Schlemmer bis in die deutsche Klassik zurück und versucht, den Begriff „Stil“ zu nobilitieren, der im Kunstdiskurs mannigfaltig positiv oder negativ besetzt werden kann und daher geringe Chancen hat, sich als charakteristische Prägung durchzusetzen. Dennoch fordert er, „der höchsten Kunstform, dem Werk des Stils, von vornherein die Achtung entgegenzubringen, die dieses gesteigerte Bemühen verdient, verdiente zu einer Zeit, wo Chaos und der Widerstreit der Meinungen auf dem politischen Schauplatz in eine Staatskomposition gerettet zu werden versucht wird, die Parallele also bildet in freilich ganz anderem Maßstab und Bereich zu dem Bemühen der Künstler“.15 In der Berliner Antrittsvorlesung taucht der etwas ungelenke Satz fast unverändert wieder auf.16 War mit der Etablierung der NS-Regierung seine Vorstellung einer Staatskomposition Realität geworden? Schlemmer scheint dies so gesehen zu haben. Am 22. August 1933, also deutlich nach seiner Beurlaubung vom 30. April und der Kündigung vom 17. Mai, deutet er in seinem DAZ-Artikel die Machtübernahme der

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Nationalsozialisten noch immer positiv. Angesichts der außerordentlichen staatspolitischen Ereignisse könne es nur eine Lösung geben: die einem starken Staat gemäße starke Kunst zu erhoffen und zu fordern und das Ideal der Kunst so rein und groß als möglich aufzurichten. Schlemmer empfiehlt die Anwendung seines dreiteiligen goetheschen Kanons Naturnachahmung – Manier – Stil, um „die gröbsten Mißverständnisse zu klären, die das Bild der Kunst heute verwirren!“.17 Schlemmer begrüßt den starken Staat und vertritt die Meinung, es müsse auch in der Kunst eine Richtungsentscheidung getroffen werden. Schon in einer auf Mai 1933 datierten Notiz hatte es geheißen: „[...] die politische Revolution zeigt bis jetzt ungleich mehr Schwung als die künstlerische und das ist tief bedauerlich.“18 In seinem DAZ-Appell bezeichnet sich Schlemmer als einen „Ueberlebenden“ der Weltkriegsgeneration und als „Frontkämpfer“; er leitet daraus eine besondere Legitimation ab. Den Expressionismus sieht er als einen nach dem Krieg zunächst notwendigen Zustand an, der dann aber habe überwunden werden müssen hin zu „Ordnung und Gesetz. Maß, Form und Strenge“. Beide Argumente, die Forderung nach Ordnung und der Frontkämpferhinweis, waren damals weitverbreitete Topoi, auch im Briefwechsel Schlemmer-Baudissin tauchen sie auf. Dann zieht Schlemmer die entscheidende Parallele: „Was ist der Sinn dessen, was wir gegenwärtig politisch erleben, anderes als der Versuch einer Staatskomposition größten Stils mit allen Kennzeichen der Thematik und des Aufbaus, die wir Künstler aus unserem beschränkteren Wirkungsbereich nur allzugut kennen! Was muß bei Schaffung des Kunstwerks überwunden werden an Chaotischem, Ungestaltem zugunsten der ausdrucksstarken, eindeutigen Form?“, und fährt wenig später fort: „Ordnung und Gesetz, Komposition und Stil: so nur kann das Vokabular der Kunst einer großen Zeit lauten, deren Ausdrucksform sinngemäß das Monumentale ist und das Erhaben-Pathetische. Es ist auch in der Tat,das StählernRomantische, das Typenschaffende, Unsentimentale, Harte, Scharfe, Klare.‘“ Schlemmer greift damit ein rasch populär gewordenes Goebbels-Zitat aus dessen Ansprache vor Theaterintendanten vom 9. Mai auf19 und variiert es zugleich. Er wird es privat und mehrfach in seinen offiziösen Schreiben benutzen, z. B. in einem zweiten Schreiben an Reichskommissar Rust20 oder in einem Privatbrief an seine frühere Bauhauskollegin Gunta Stölzl wenige Wochen später, am 1. Juni 1933: „[...] zur zeit wird zwar alles nachgeprüft, die abstammung, partei, jud, marx, bhs, [...] ich fühle mich rein und meine kunst streng nach natsoz. grundsätzen entsprechend, nämlich,heroisch, stählern-romantisch, unsentimental, hart, scharf, klar, typenschaffend‘ usw. aber wer sieht es? wer versteht, was der verstand der verständigen nicht sieht?“21 Offenbar bezieht Schlemmer das Goebbels-Zitat sowohl auf die kommende Kunst des NS-Staates als auch auf seine eigene. Es hilft ihm, diese gegen den in etlichen Kreisen als „deutsch“ diskutierten Expressionismus mit höchster Autorität zu rechtfertigen: „Denn meine Kunst und besonders auch diese Wandbilder [in Essen]

Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34

1 Folkwangmuseum Essen, Brunnenraum mit Ausmalung von Oskar Schlemmer, Aufnahme von Albert Renger-Patzsch 1931

entsprechen sozusagen wörtlich den Forderungen, [...] die von Minister Göbbels [!] so eindeutig formuliert zu hören, mich wahrhaft beglückte.“22 Schlemmer wird in einem Brief an den Schriftsteller Gottfried Benn dieselbe Argumentationsstrategie verfolgen, dort aber die Falschen gefördert bzw. die Falschen diffamiert sehen: Kunst als Propaganda verstanden sei eine Gefahr, vielmehr gehe es um die „Reinheit der echten Kunst“.23 Dass insbesondere er diese „Reinheit“ vertritt, sagt er jedoch nicht explizit. Die detailliertesten Ausführungen zur Parallele zwischen Staatskomposition und Kunstkomposition liefert Schlemmer in seinem Briefwechsel mit dem Direktor des Essener Folkwangmuseums, Klaus Graf Baudissin, der am 1. Mai 1934 anlässlich der Ausschreibung eines neuen Wettbewerbs für Schlemmers entfernte Wandbilder im Brunnenraum beginnt.24 Schlemmer hatte drei Jahre lang, von 1928 bis 1930, an den Wandbildern gearbeitet und drei Zyklen zu je neun Tafeln fertiggestellt, dessen letzter im Raum um George Minnes „La fontaine aux agenouillés“ (1905/06) mit seinen fünf knienden Knaben aufgehängt worden war. Er habe die Wandbilder

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schon magaziniert vorgefunden, schreibt Baudissin an Schlemmer, dies sei bereits vor seinem Amtsantritt erfolgt.25 Baudissin ist einer jener typischen Wendehälse des Jahres 1933: Hatte er noch ab 1930 als kommissarischer Museumsdirektor der Staatsgalerie Stuttgart Werke von Heckel, Nolde, Felixmüller, Marc, Hölzel und auch von Schlemmer erworben, so zeichnet er nun verantwortlich für die so genannte Schandausstellung „Novembergeist – Kunst im Dienste der Zersetzung“ vom 10. bis 24. Juni 1933 im ehemaligen Stuttgarter Kronprinzenpalais, nur wenig später, im September, organisiert er ebenda die kriegsverherrlichende Ausstellung „Von Krieg zu Krieg“. Bereits seit 1932 Mitglied der NSDAP, ist er prädestiniert für die Nachfolge des vorzeitig entnervt in den Ruhestand getretenen Direktors des Folkwangmuseums, Ernst Gosebruch, dessen Stelle er am 24. Januar 1934 antritt.26 Niemanden versucht Schlemmer so intensiv von seinem Kunstverständnis und seinen Kunstwerken zu überzeugen wie den Grafen Baudissin, der seinerseits behauptet, er halte Schlemmers Kunst für entwicklungsfähig (im Sinne der neuen NS-Kunstdoktrin), und sie wechselten im Laufe weniger Wochen des Jahres 1934 jeweils drei lange Briefe.27 Schlemmer rekurriert dabei auf seinen Kunstvergleich: „Der Staatsmann sucht die Staatskomposition wie der Künstler in seinem bescheidenen Rahmen die Kunstkomposition sucht.“28 Er fragt: „Ist denn der Nat.sozialismus nicht auch eine Form-Idee?“, denn so wie der Künstler (und besonders er, Schlemmer) „Form“ suche, so suche auch der derzeitige nationalsozialistische Staat seine Form.29 Schlemmer glaubt zudem, den Inhalt einer „Staatskomposition“ zu kennen: Der Typus des Jünglings stelle die Idealgestalt des Glaubens und Hoffens dar, so wie die Hitlerjugend späterhin „die Bewegung“ (sprich den neu errichteten NS-Staat) tragen und dann auch erfüllen werde. Schlemmer nennt konkrete Beispiele: „Sicher ist es kein Zufall, wenn sich Maler der Darstellung eines bestimmten Menschentypus widmen. Im Falle meines toten Freundes [Otto Meyer-Amden; Anm. M. D.] war der Jünglingstypus eine sehr weitreichende Idee, die für ihn eng mit der Idee Deutschland verbunden war, eines erträumten, erhofften Deutschland, auf dessen Weg er Adolf Hitler kommen sah.“30 Auch er, Schlemmer, beschäftige sich gern mit der Jünglingsfigur; diese sei ihm Teil einer möglichen deutschen Staatsikonographie. „Typen und Jünglingsfiguren sind so eindeutig deutsch in Haltung und Ausdruck“, hatte er schon ein Jahr zuvor ans Essener Kulturdezernat geschrieben, um seine Folkwangbilder zu verteidigen.31 Baudissin gegenüber will Schlemmer das Thema „Hitlerjugend“ schon in seinem Essener Zyklus präfiguriert sehen: „Wenn Sie aus dem Hitler-Deutschland diese streichen würden, so fiele ein Großteil seines Wertes in sich zusammen.“32 Der Direktor des Museums Folkwang widerspricht vehement und akzeptiert keines der Argumente: „Sie leben um ein Lichtjahr entfernt vom Nationalsozialismus“, weder Schlemmers Gleichsetzung von Staats- und Kunstkomposition noch das Deu-

Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34

tungsangebot des Jünglings Schlemmer’scher Ausprägung als nationalsozialistischem Hoffnungsträger sei akzeptabel; es sei unmöglich, „eine politisch und national geschlechtlose jungmännliche Bewegung unserer Zeit irgendwie mit der deutschen Erneuerungsbewegung zu verknüpfen“.33 Schlemmer bricht den Briefwechsel mit Baudissin ab, vielleicht, weil seine „Jünglingsgedanken“ durch die Entmachtung der SA und die Ermordung ihres Leiters Ernst Röhm und anderer Personen Ende Juni, Anfang Juli 1934 eine neue, gefährliche Konnotation erhalten haben. Immerhin heißt es in einer Erklärung der NSDAP-Reichspressestelle über Röhm: „Seine bekannte unglückliche Veranlagung“ sei Ursache der „unerträglichen Belastungen“ gewesen, denen sich Hitler verstärkt ausgesetzt gesehen und die ihn in „schwerste Gewissenskonflikte getrieben“ habe.34 Vor 1933 hatte Schlemmer seine Themen, seinen Stil, seine Bildordnung als kosmischen Seins- und Sinnraum gedeutet sehen wollen. Dafür standen auch seine Essener Wandbilder: In deren letzter Version sind bekleidete und unbekleidete junge Männer dargestellt, die sich gewissermaßen selbst in die höhere Ordnung des Raumes einfügen. Ihre Körpergesten und ihr unpersönlicher Gesichtsausdruck erzählen nicht von der Freude an Bewegung oder von einem Gemeinschaftserlebnis, auch Berührung ist verboten, sondern sie thematisieren wechselweise Bedingtheiten zwischen Menschen und Raum, der durch die Bildachsen und durch die Konturen der Spritztechnik angedeutet ist. Es gibt ferne und nahe Figuren, aber keine Führerfiguren, die Autorität ist verinnerlicht. Der unpersönliche Gesichtsausdruck der schwebenden, harmonisch proportionierten Figuren, die idealisierte, abstrahierende Körperdarstellung, eine eigene antinaturalistische Farbpalette – all dies steigert die Aussagen der Bilder, die er immer wieder auch mit Gesetzestafeln vergleicht.35 Als der Bildzyklus im Museum Folkwang 1933 entfernt wird, vollzieht Schlemmer zwar eine semantische Verschiebung in Richtung Nationalsozialismus und bietet eine politische Lesart an. Doch sein Hang zur großen Form, zum hohen Stil, sein Wille zu nationaler Repräsentanz sind – wenn auch in leiseren Tönen – schon vor 1933 integraler Teil seiner Selbstdeutung, weshalb ihn auch die ersten Wettbewerbe interessieren, die der neue deutsche Staat ausschreibt.

Wettbewerbe, Staatskompositionen, Volksgemeinschaft Als Schlemmer im Frühjahr 1934 mit Baudissin korrespondiert, steht er gewissermaßen zwischen zwei Wettbewerben für Staatskompositionen, beide sind hochpolitisch. Auslober des einen Wettbewerbs ist die Deutsche Arbeitsfront (DAF) bzw. deren Kulturamt, den anderen wird das Reichsministerium für Aufklärung und Propaganda initiieren.

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2 Kongresssaal des Deutschen Museums München mit der Ausmalung von Hermann Kaspar

Nach dem Wettbewerb für ein neues Reichsbankgebäude in Berlin ist der Gesamtwettbewerb für ein „Haus der Arbeit“ ein weiterer wichtiger Wettbewerb des jungen NS-Regimes. Schlemmer beteiligt sich am Teilwettbewerb „für einen monumentalen figürlichen Mosaikschmuck in einer Vorhalle“, der im Januar 1934 ausgelobt wird.36 Gefordert wird ein Entwurf für ein Wandbild oder Mosaik von 2 x 2,50 Meter. Schlemmer lässt sich über seinen Freund Willi Baumeister einen Karton in entsprechender Größe zuschicken und schreibt ihm am 17. März 1934: „Es wird sicher eine Riesenbeteiligung und vielleicht gerade dadurch auch interessant.“37 Baumeister beteiligt sich ebenfalls.38 Schlemmer hat die ausgestellten Ergebnisse offenbar nicht gesehen, nur eine schlechte Abbildung des ersten Preises, ein Sgraffito des Bildhauers Ludwig Gies,39 über dessen Qualitäten er mit Baudissin diskutiert.40 Schlemmers Entwurf für den Teilwettbewerb ist nicht erhalten. Schon ein paar Wochen vor seinem Disput mit Baudissin über NS-Kunst reagiert er hinsichtlich des für ihn erfolglosen Ausgangs recht nüchtern und schreibt im April 1934 an Willi Baumeister: „Die Ehrung ist ein Wandbildentwurf für eine ländliche Schule geworden.“41 Der zweite Wettbewerb, an dem sich Schlemmer beteiligte, wurde im Oktober 1934 vom Propagandaministerium ausgelobt und sollte bis Ende November laufen.42 Die Ansprüche waren deutlich monumentaler. Es ging um die Ausschmückung des noch im Bau befindlichen Kongresssaals für das Münchner Deutsche

Ambitionen und Ambivalenzen – Oskar Schlemmer 1933/34

3 Oskar Schlemmer, Reihe von Figuren mit erhobenen Armen, 1934, Wandbildentwurf für das Deutsche Museum München, 1934

Museum.43 130 laufende Meter waren für die Seitenwände und die der Bühne gegenüberliegenden Wand zu entwerfen, ohne dass es eine thematische Bindung gab.44 Die Höhe betrug 3,30 Meter, elf Türen waren einzuplanen. „Die Aufgabe an sich ist gewaltig“, heißt es in einem Brief Schlemmers an Baumeister vom 14. Oktober, und weiter: „Übrigens staune ich ob der Kerko! Woher nimmt sie den Mut mitzukonkurrieren?“45 Teile der Entwürfe sind erhalten, darunter offenbar nur angedeutet der von Karin v. Maur genannte „Sonnenjüngling an der Stirnwand“ des Saales, auf den sich die Massen, die in drei Reihen geordnet sind, mit erhobenen Armen zubewegen.46 Also noch immer ein Jüngling entgegen Baudissins Zurückweisung, allerdings sind die Gestalten (soweit sie erhalten geblieben sind) jetzt bekleidet.47 Diesmal besichtigt Schlemmer die Ausstellung der Münchner Einreichungen.48 Seine erste dokumentierte Äußerung steht im Brief an den vertrauten Malerfreund Jules Bissier vom 17. Januar 1935: „OS“ – Schlemmer spricht von sich in der 3. Per-

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son – „hat zwar nicht sein Bestes getan, aber es wäre ihm angesichts dieser Taten ein Leichtes gewesen, hätte er nicht wieder bisher nicht Getanes versucht und sich statt dessen in alten wohlbewährten, dennoch persönlichen Bahnen bewegt.“49 Der Topos vom „Staatskunstwerk“ taucht nicht auf, auch das Goebbels-Zitat fehlt. Das von ihm gewählte Thema erwähnt er tags darauf in einem Brief an den befreundeten Kunstkritiker Karl Konrad Düssel: „Ich selbst habe (als Einziger) die Idee der Volksgemeinschaft darzustellen gesucht durch drei Reihen parallel übereinander gestaffelter Bewegungszüge – vielleicht zu monoton, doch architektonisch gut“, und zu seiner Ablehnung spekuliert er sarkastisch: „Ob man den Kulturbolschewisten witterte?“50 Schlemmer hatte dem Kritiker Düssel einen Bericht über die Ausstellung und andere Unterlagen versprochen, damit dieser einen Text darüber verfassen konnte. Schlemmer scheint wirklich stolz auf seine „Volksgemeinschaft“ gewesen zu sein, denn nach der Rücksendung seiner Wettbewerbseinreichung schreibt er enttäuscht am 7. Februar 1935 in sein Tagebuch und wiederholt sich dabei an einer Stelle fast wortwörtlich: „Meine Entwürfe sind nicht schlecht und verdienten ein besseres Schicksal als unter diejenigen eingereiht zu werden, ,die nicht den Anforderungen entsprechen, die für eine so bedeutsame Aufgabe gestellt werden müssen‘. Ich habe als einziger die Volksgemeinschaft darzustellen versucht, die sonst in keinem Entwurf, wiewohl so naheliegend, als Thema vertreten war. Daraus folgend die gleichfalls einzigartige Darstellungsweise neben viel geistlosen ausgefahrenen Geleisen.“51 Schlemmer versteht seine Ablehnung offenbar nicht. Die Ausschreibung hatte eine „bedeutsame Lösung“ gefordert; es sei eine „der größten künstlerischen Aufgaben der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit“ gewesen, nur ornamentale Lösungen waren ausgeschlossen gewesen.52 Außerdem hatten die Vorschläge das Mosaik zu höchster Wirkung bringen sollen.53 Mit dem Thema „Volksgemeinschaft“ war Schlemmer im Juli 1933 durch einen Vortrag des zum kommissarischen Direktors der Nationalgalerie Berlin ernannten Alois Schardt bekannt geworden und hatte seinerzeit anschließend in seinem Tagebuch notiert: „Es wäre eine Möglichkeit, das Zeitgeschehen fruchtbar für sich selbst und für die Volksgemeinschaft zu erleben, eine Wiedergeburt wahrzunehmen – zumindest an sich selbst.“54 Schlemmers „Volksgemeinschaft“ ist sein zweites erfolgloses ikonographisches Angebot an den neuen Staat und zugleich Höhepunkt seiner Näherungsversuche an das Regime. Gleichzeitig werden Bruchlinien sichtbar: Auch den Münchner Wettbewerb zerschneidet Schlemmer schon am Tag seiner Rücksendung, offenbar aus einer Mischung aus Enttäuschung, symbolischem Protest und der praktischen Überlegung, dass Details besser wirkten: „Das große Detail zerschnitten in etliche Köpfe und Kopfgruppen, die isoliert viel besser wirken als im Ganzen. Das Ganze zu süß in der Farbe.“55

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Staatskomposition: Herkunft Das Streben nach bedeutender Kunstkomposition hatte lange Wurzeln in Schlemmers künstlerischem und ideologischem Selbstverständnis. Schon als er 1923 einen Text über das Bauhaus verfasste, fehlte es nicht an großen Worten: „[...] nie war der Wille zum Stil mächtiger als eben heute“, die „Idee der Mitte“ werde zur „Idee der deutschen Kunst“, man werde gar „zum Gewissen der Welt“.56 „Volksbewußtsein, Ethik, Religion“ seien geschwunden, schrieb Schlemmer an anderer Stelle, aber im selben Jahr, als er seine eigene Weimarer Ausmalung der Kunstöffentlichkeit vorstellte;57 es bleibe nur das Thema des Menschen, das Schlemmer dann ja auch zu einem zentralen Thema seiner Kunst machte. Schon für die Zeit der Weimarer Republik darf man sich Schlemmer also nicht als einen „linken“ Künstler vorstellen. Erwin Piscator, Otto Dix, George Grosz respektierte er zwar, lehnte deren Arbeiten aber als gesellschaftlich engagierte und politische Kunst ab. Schlemmer hatte ein Verständnis von Staat, Nation und Kunst, das als weltfern überpolitisch-idealistisch charakterisiert werden kann. Nicht von ungefähr hatte Paul Klee im März 1923 einen Text Schlemmers durchaus mehr als nur auf semantischer Ebene korrigiert: Es gehe nicht um „deutsche Kunst“, sondern um „Kunst in Deutschland“.58 Schlemmers „hoher“ Kunstanspruch auf Allgemeingültigkeit und deren symbolisch-bildliche Ordnung wurde von seinen Zeitgenossen in der Weimarer Republik gesehen und auch akzeptiert: 1928 hatte er ja den Auftrag zur Ausgestaltung des Brunnenraums im Museum Folkwang erhalten, dann hatte ihn Mies van der Rohe 1931 eingeladen, eine Koje auf der Berliner Bauausstellung zu gestalten. Lange vor 1933 bemüht sich Schlemmer also um das, was er „hohen Stil“ oder „großen Stil“ nennt. Der englische Kunsthistoriker John-Paul Stonard zählt bereits Schlemmers „Bauhaustreppe“ zu diesen Bildern hohen Stils, die besonders beim jungen Philip Johnson, dem späteren Mitbegründer des Museum of Modern Art, Gefallen finden sollten.59 Die Idee der Staatskunst ist tief in der deutschen Gründerzeit und damit im 19. Jahrhundert verankert. Künstler wie Anton v. Werner und Ferdinand v. Keller fanden mit entsprechenden Bildern Platz in der Berliner Nationalgalerie. Dieser, als „schwäbischer Makart“ bekannte Maler hatte z. B. das 5 x 7 Meter große Bild „Der Triumphzug Kaiser Wilhelms“ (1888) an den Monarchen verkaufen können (es wird 1906 im Zuge einer Neuhängung aus der Nationalgalerie wieder entfernt).60 Schlemmer denkt vielleicht an derartige Bilder, als er in einem Brief an Gottfried Benn „das alte wilhelminische Übel“ erwähnt, dass die „repräsentative Kunst des Staates in Museen und Akademien“ sich „vor der Geschichte“ „schämen“ müsse. Diese „Staatskunst“ wollte Schlemmer schon in der Weimarer Republik modernisieren, jetzt sieht er erneut eine Chance. Diesem Brief an Benn, den er am 22. Oktober 1933, ungefähr zum Zeitpunkt, zu dem er auch noch das ihm verbliebene Atelier in den Staatlichen Kunstschulen zu räumen hatte, geschrieben hat, ist

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indirekt zu entnehmen, dass er sich noch immer zu den „wahren Vertreter[n] der Nation“ zählt.61 Zu den Künstlern, die Schlemmer als Vorbilder nennt, gehört Hans v. Marées (1837–1887), dessen Bilder er 1935 nach einem Besuch in der Münchner Pinakothek mit den Worten würdigen wird: „Das große neue Beispiel des großen Stils.“62 Baudissin gegenüber erwähnt er Ferdinand Hodler (1853–1918), den er in Zürich gesehen habe, und rühmt dessen „nationale und zugleich monumentale Kunst“.63 Die mehrreihige Anordnung in einigen der Wettbewerbsentwürfe für München geht sicher auf Hodler zurück. Eine andere Wurzel für Schlemmers Staatskomposition mag im Buch „Rembrandt als Erzieher“ zu suchen sein, das er mehrfach konsultierte. Schlemmer zitiert das Buch 1921 und 1923 und meinte, man müsse es erneut lesen. Der kulturkonservative Außenseiter und als Antisemit zu bezeichnende Julius Langbehn, der sein Pamphlet 1890 anonym publiziert hatte – auf der Titelseite hieß es schlicht „Von einem Deutschen“ –, verbindet Stil, Größe, Deutschtum, Kunst, Nation und beklagt den Mangel an „großem Stil“ in der deutschen Kunst: „[...] ein großes Volk wünscht seines Daseins auch durch räumlich große Denkmäler gewiss zu werden.“64 Solche älteren Ideen erlebten eine Wiederauferstehung im Topos vom „Aufbau“ des neuen Staates, eine Idee, die schon vor 1933 zum Wahlkampfvokabular der NSDAP gehörte; bekannt ist der Topos von Hitler als „Baumeister des neuen Staates“.65 Dass der Staat jetzt, nach 1933, mit einer Partei verschmolz (bzw. umgekehrt) und eine dementsprechende parteiische Kunst gefordert war, wollte Schlemmer anscheinend lange nicht wahrhaben.

Romantik und deutsche Kunst Als Schlemmer am 10. Juli 1933 den erwähnten Vortrag „Was ist Deutsche Kunst“ von Alois Schardt hörte,66 war bereits eines seiner Bilder in Mannheim in einer so genannten Schandausstellung diffamiert, in Stuttgart sein Bild „Frauenschule“ abgehängt67 und eine Einzelausstellung im Stuttgarter Kunstverein wenige Tage nach der Eröffnung wieder geschlossen worden.68 Die beabsichtigte Weitergabe der Stuttgarter Ausstellung unterblieb. In Essen formierte sich der „Kampfbund“, und es gab Drohungen gegen ausgestellte Werke im Museum Folkwang, darunter wohl auch solche von Schlemmer.69 Parallel zu dessen Ausschaltung als lehrender Künstler lief also seine Ausschaltung als ausstellender Künstler und als „Museumskünstler“. Hier lässt sich denn auch Schlemmers Brief an Goebbels vom 25. April 1933 verorten: Der Brief wurde noch vor dessen programmatischer „Theaterrede“ vom 8. Mai verfasst. Zudem galt Goebbels als Opponent des vom NSDAP-Chefideologen Alfred Rosenberg mitgeprägten „Kampfbundes“. Schlemmers Brief geht dabei weit über seine eigene Person hinaus: „Tief erschüttert durch Meldungen aus verschiedenen Städten des Reichs wie Dessau, Mannheim, Dresden, wo der Museumsbesitz an

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modernen Bildern in ,Schreckenskammern der Kunst‘ zusammengebracht, mit den Summen, die seinerzeit dafür bezahlt wurden, versehen, dem Gespött und der Empörung des Publikums preisgegeben werden [...].“70 In diesen reichsweit stattfindenden, oft von lokalen Vertretern des „Kampfbundes“ organisierten Ausstellungen – eigentlich eine Zurschaustellung vermeintlich „entarteter“ Künstler – wurden speziell die moderne Kunst und ihre staatlichen Förderer angeprangert; Schlemmers Werke wurden gleich mehrfach in Mitleidenschaft gezogen.71 Doch dies war nicht alles. Im Kronprinzen-Palais der Berliner Nationalgalerie, in der Schlemmers Gemälde „Konzentrische Gruppe“ (1924) einen prominenten Platz hatte, stand eine Neuhängung durch Schardt an. Dessen gut besuchter und viel besprochener Vortrag war eine Art Bekenntnis zu seiner Auffassung von „Deutscher Kunst“ im neuen Staat.72 Schardt erwähnt Schlemmer nicht, auch hatte er als Direktor von Halle keine Arbeit Schlemmers erworben. Schardt unterscheidet eine 4 Oskar Schlemmer, Konzentrische Gruppe, romantische, klassische und naturalistische 1925, Staatsgalerie Stuttgart Strömung: „Zur romantischen Richtung“ rechnet er die neue „Ausdruckskunst“, ihre „Ahnen“ sieht er „in der Spiral- und Flechtbandornamentik der Germanen“, und von hier leitet er den Expressionismus ab. 73 Dem entspricht das vorgesehene Konzept für die Neuhängung: Die „Romantik ist im Kronprinzen-Palais, die Kunstwerke der klassischen und naturalistischen Welt sind in der Nationalgalerie“, schreibt Schardt am 9. November 1933 an seinen Vorgesetzen Rust.74 Im Erdgeschoss des Kronprinzen-Palais sollen die „Romantiker“ Runge, Friedrich, Fohr, Blechen hängen, im Obergeschoss Marées, Feuerbach und Thoma, dann würde die „Ausdruckskunst“ mit Munch, Macke, Marc, Barlach, Feininger, Lehmbruck, Nolde, Rohlfs folgen – aber eben kein Schlemmer.75 Gewissermaßen in Sorge um seine museale Präsenz in der Nationalgalerie hatte Schlemmer kurz nach Schardts Vortrag diesem am 26. Juli schriftlich angeboten, seine „Konzentrische Gruppe“ gegen die „Gruppe mit dem blauen Ekstatiker“ zu tauschen,76 ein Bild, über das er selbst schreibt: „Gefahr ist das Expressive“, von dem

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er aber wohl genau deshalb glaubt, es könne Schardt gefallen.77 Privatim bewertet er das Bild nach seinem Goethe’schen Kanon als „Gefahr der Manier“.78 Schlemmer referiert Schardts Antwort in einem Brief an Baumeister, glaubt aber noch immer: „Schardt steht zu uns, muss nur jetzt die nordisch-expressionistische Linie halten.“79 Da die Neuhängung der Nationalgalerie unter Schardt infolgedessen kurzfristiger Entlassung nicht fortgesetzt wird, muss offen bleiben, ob Schlemmer hier zunächst als Vertreter der Klassiker einen Platz gefunden hätte. Schlemmers Selbstverortung in der Kunstgeschichte hatte drei wichtige stilistische wie geistige Referenzen: das Romantische, das Deutsche und das Klassische, die jedoch in seiner Definition keine Trennschärfe aufweisen, sondern ineinander übergehen. Er sieht sich als Erbe der Romantiker und zieht eine Linie von Runge und Caspar David Friedrich bis zu seinem eigenen Werk. Die Traditionslinie deutscher Kunst beginnt für ihn mit Dürer, allerdings seien auch Runge und Friedrich deutsch. Gleichzeitig beansprucht Schlemmer für 5 Oskar Schlemmer, Gruppe sich die Zugehörigkeit zu einer klassischen Tradition, die er bis mit blauem Ekstatiker, 1931, zu den griechischen Kuroi zurückführt. Die Kuroi in der Hamburger Kunsthalle Münchner Glyptothek zählen demzufolge zu seinen Vorbildern, seine Darstellung der Frau – fast immer bekleidet – hat ein wichtiges Vorbild in der „Berliner Göttin“, Schlemmer erwähnt sie 1925 in seinem Tagebuch.80 Gottfried Böhm formuliert, Schlemmer habe die Idee der Antike, „die geheime Harmonie der Welt am Körper des Menschen aufscheinen zu lassen“, in die Gegenwart übersetzt; weiter heißt es bei ihm: Das „war einer der zentralen Gedanken der klassischen Kunst. Schlemmer gab ihm ein heutiges, den Widersprüchen der Moderne angemessenes Gesicht.“81 In der oben skizzierten Traditionsbildung Schardts kann Schlemmer sich nicht verorten. Das beschäftigt ihn, und er schreibt über sich selbst: „[...] er ist eben kein nordländer, nichtsdestoweniger aber deutscher.“82 Für ihn sind das Nordische und das Expressive nicht mit seiner Romantikkonzeption vereinbar. Das Goebbels-Zitat muss Schlemmer die Hoffnung gegeben haben, dieser könne seiner formstrengen Kunst Anerkennung zollen – nicht nur dem Expressionismus solle die Zukunft gehören, wie etliche nationalsozialistische Kunstexperten meinten. Jenseits dieser Stilzuordnung gilt für Schlemmer aber schon im Jahr 1932: „Das Nationale versteht sich von selbst“,83 was Peter Ulrich Hein darauf hinweisen lässt, dass die „nationale Sendung der Kunst [...] den meisten später als ,entartet‘ Eingestuften so selbstverständlich“ gewesen ist, „daß sie gar nicht auf die Idee kamen, sie könnten vom Aufbau des Dritten Reiches ausgeschlossen werden“.84

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Schlemmer will offensichtlich zur sich herausbildenden Elite der neuen deutschen Kunst gehören und Standards setzen. Sein Bekenntnis zum Deutschtum nutzt ihm allerdings nichts, niemand akzeptiert seine Lesart der Romantik, niemand rezipiert sie. Seine Positionsbeschreibungen in diesem von der Politik vorgegebenen Diskurs um Stil und Deutschtum verhallen ungehört, und hier eine klare Grenze zwischen Selbsttäuschung und Naivität, zwischen Taktik und Tragik zu ziehen, ist kaum möglich. Immerhin gewinnt Schlemmer im Zuge dieses Prozesses mehr und mehr Klarheit darüber, dass seine hohe idealistische Vision von Kunst, die sowohl Staatskunst als auch national sein kann, eine andere ist als die der NS-Machthaber, dass deren Konzept in Richtung einer Propagandakunst geht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Schlemmer aber bereits seine Wohnung in Berlin aufgelöst. Getrennt von der Familie hatte er mehrere Monate in der Schweiz verbracht, um den Nachlass seines verstorbenen Freundes Meyer-Amden zu ordnen. Im April 1934 war die Familie mit drei halbwüchsigen Kindern dann ins abgelegene, südbadische Eichberg gezogen, um durch die hier mögliche landwirtschaftliche Lebensweise ihren Unterhalt zu sichern.

Der „Kampfbund“ Der Kunsthistoriker O. K. Werckmeister umschreibt Schlemmers damalige Haltung mit den Worten: „Er war [...] davon überzeugt, seine Kunst lasse sich einer ideologisch kongenialen politischen Führung unterordnen, solange sie sich nach ihrer eigenen Logik entfalten durfte“, er habe die „subjektive ideologische Entsprechung“ für „zureichend“ gehalten, ignorierte „die politischen Organisationsformen“.85 Es war offenbar besonders der „Kampfbund für deutsche Kultur“, den Schlemmer unterschätzte, obwohl hauptsächlich dessen Vertreter ihn explizit bekämpften. Dennoch hatte Schlemmer schon früh immer wieder den Dialog mit dem „Kampfbund“ gesucht. So richtete er 1930 einen Brief an Schultze-Naumburg, nachdem dieser Schlemmers Ausmalungen in Weimar hatte entfernen und zerstören lassen, 86 er verteidigte sich gegen die „kulturbolschewistische[n] Vorwürfe“ an den „Vereinigten Staatsschulen“ gegenüber dem Kampfbundmitglied Kutschmann. Diese beiden ließen sich jedoch nicht auf einen Dialog ein. Nur mit Baudissin, der kein Kampfbundmitglied war, kommt ein Briefwechsel zustande, den aber Schlemmer nicht weiterführt.87 Der Architekt Paul Schultze-Naumburg hat Schlemmer vielleicht am heftigsten mit seinem Hass verfolgt, er gehörte zu den „aktivsten Kampfredner[n]“ des Bundes.88 Teile seiner Vorträge publizierte er 1932 unter dem Titel „Kampf um die Kunst“. Willibald Sauerländer stellt Schultze-Naumburg als Vertreter der Pseudowissenschaft der Physiognomik vor, einer Erkenntnislehre, die vom Äußeren auf

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das Innere schloss. Schultze-Naumburg verband dann diese Physiognomik mit dem nationalsozialistischen Rassekonzept: „Der zum Rassehygieniker mutierte Physiognomiker diagnostiziert wie ein Psychiater an den Kunstwerken die Entartung des Volkskörpers.“89 Körper und Gesichter waren daher ein bevorzugtes Angriffsziel, da hier „anschaulich“ und im direkten Vergleich „Beweise“ geführt werden konnten. Für Schultze-Naumburg war das Nordische, mit dem Schlemmer sich so schwer tat, daher auch ein wichtiges Kriterium der deutschen Kunst.

6 Hubert Lanzinger, Der Bannerträger, 1934/36

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Vielleicht waren es also gerade Schlemmers Köpfe und Körper, seine ganz spezifische Leistung eines Figurenund Menschenideals, das die Antike mit der Moderne verband, die Ablehnung provozierte. Zynisch fragte Schultze-Naumburg: „Entsprechen solche Gesichter und Leiber und ihr Ausdruck vielleicht dem, was das Wesen unseres deutschen Volkes körperlich und geistig ausmacht und sinnfällig umschreibt?“90 In der Druckfassung seiner Vorträge 1932 publizierte er allerdings nicht die jüngst zerstörten Weimarer Wandmalereien, sondern – zusammen mit Arbeiten von Klee, Picasso und einer Skulptur von Archipenko – eine frühe Federzeichnung Schlemmers aus dem Jahr 191691 und beschreibt diese als „Larvenwelt von Verderbtheit, Häßlichkeit und Rohheit“.92 Ganz ähnlich „physiognomisch“ werden Schlemmer-Figuren nach der Stuttgarter Schließung in der NS-Presse verhöhnt: „Oskar Schlemmer, der Kunstbolschewist, dessen Machwerke von manchen unverständlicherweise als ,urdeutsche Kunst‘ bezeichnet wurden, ist von den Wänden verschwunden. Im Saal 8, hinter verriegelter Tür, starren Schlemmers traurige Holzköpfe kummervoll und – um mit Alfred Kerr zu sprechen – ein bißchen reichlich blöd die Wände an.“93 Kein Wunder, dass Schlemmer-Bilder rasch aus der nationalsozialistischen Kunstwelt verschwinden bzw. nurmehr als „entartete Kunst“ ausgestellt werden. Andere betraten die Bühne: Wer will, kann in Hubert Lanzingers „Der Bannerträger“ (1932/34) die bizarre Motivwanderung eines Kostüms aus dem „Triadischen Ballett“ zum Panzer für den Führer verfolgen. Und Gerhard Keils „Turnerbilder“ (1939) zeigen jene rassisch korrekten nordischen Deutschen, die Schlemmer nicht malen wollte.

7 Oskar Schlemmer, Figur aus dem Triadischen Ballett, 1922/23

8 Gerhard Keil, Turner, 1939, Dresden, Galerie Neue Meister

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Die Frage, warum Schlemmer scheiterte, hat also mehrere Antworten: Zum einen war es der Vorwurf des „Kulturbolschewismus“, der sich seit 1930 mit Schlemmers Kunst verband und der dann mit einer „Rassetheorie“ ideologisch erweitert wurde. Zum anderen war Schlemmers idealistisches Kunstverständnis mit der neuen, politisierten Kunst der Nationalsozialisten unvereinbar. Dennoch hatte Schlemmer trotz der bereits 1930 einsetzenden Angriffe gegen ihn rund eineinhalb Jahre lang geglaubt, seine Kunst könne die des neuen, nationalsozialistischen Staates mitprägen.

Anmerkungen 1 Dank an Helker Pflug für das Lektorat und an Anke Blümm für kritische Durchsicht. Wesentliche Passagen des vorliegenden Texts basieren auf unpublizierten Aufzeichnungen im Oskar-Schlemmer-Archiv in der Staatsgalerie Stuttgart (OSA) und auf einer Abschriftensammlung von Helena, gen. Tut Schlemmer im Bauhaus-Archiv – Museum für Gestaltung, Berlin (BHA), die der Vorbereitung der von ihr herausgegebenen „Briefe und Tagebücher“ diente. Die wichtigsten Publikationen mit biografischem Schlemmer-Material finden sich in Anm. 12 (Schlemmer 1958), Anm. 13 (Herzogenrath 1973), Anm. 7 (Maur 1979) sowie in Anm. 3 (Hüneke 1990). 2 Vgl. Christine Fischer-Defoy: Kunst, Macht, Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1987, S. 21; Ryszard Różanowski: „Eine herrliche Entspannung in einer blöden Zeit“. Die Breslauer Jahre Oskar Schlemmers, in Dyskurs. Pismo Naukowo-Artystyczne Akademii Sztuk Pięknych we Wrocławiu, Bd. 17 ([2013]), S. 302–322; sowie das Kapitel über die Schließung der Akademie bei Petra Hölscher: Die Akademie für Kunst und Kunstgewerbe zu Breslau. Wege einer Kunstschule 1791–1932, Kiel 2003, S. 351–361. 3 Vgl. Brief Schlemmers vom 13.5.1932 an seine Frau Tut; zit. nach Andreas Hüneke (Hg.): Oskar Schlemmer, Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften 1912–1943, Leipzig 1990, S. 245. 4 Brief Schlemmers vom 2.6.1932 an seine Frau Tut; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 246. 5 In einem Brief Schlemmers vom 16.6.1933 an Gunta Stölzl heißt es, er bekomme noch Geld bis Herbst 1934; vgl. Ingrid Radewaldt/Monika Stadler: Gunta Stölzl, Biographie, in Ingrid Radewaldt (Red.): Gunta Stölzl, Meisterin am Bauhaus Dessau. Textilien, Textilentwürfe und freie Arbeiten 1915–1983 [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung 30. Aug. 1997 – 4. Jan. 1998, Bauhaus Dessau; 18. Jan. – 8. März, Städtische Kunstsammlungen, Chemnitz; 20. März – 17. Mai 1998, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg], Ostfildern-Ruit 1997, S. 10–86, hier 76. Dies sollte sich aber noch ändern, wie Schlemmer am 17. Juni 1934 an Klaus Graf Baudissin schreibt: „[...] ich wurde beurlaubt, gekündigt und um ein Jahresgehalt gebracht“; zit. nach dem Original im OSA (wie Anm. 1), Box 5.

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  6 Die letzte Semesterschlussrede Bruno Pauls vom 30.6.1932, in Stadt. Neue-HeimatMonatshefte für Wohnungs- und Städtebau 29 (1982), H. 10, S. 48/49, hier 49.   7 Vgl. den Brief Schlemmers vom 7.6.1932 an seine Frau Tut; abgedruckt bei Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 248. Das Redemanuskript der Vorlesung publizierte erstmals Karin v. Maur: Oskar Schlemmer. Bd. 1: Monographie; Bd. 2: Œuvrekatalog der Gemälde, Aquarelle, Pastelle und Plastiken, München 1979, hier Bd. 1, S. 339–346; erneut abgedruckt bei Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 253–266.   8 Vgl. Fischer-Defoy 1987 (wie Anm. 2), S. 68/69.   9 Brief Schlemmers vom 2.4.1933 an Rust; zit. nach Fischer-Defoy 1987 (wie Anm. 2), S. 69, und nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 271/272. Gut ein Jahr später, im erwähnten Brief vom 17. Juni 1934 an Baudissin, heißt es etwas ausführlicher und zugleich den Vorwurf des Destruktiven wieder einfügend: „[...] ich wurde am Tag des Judenboykotts auf einem Plakat im Vestibül der Staatsschulen in Berlin zusammen mit Gies, C. Klein, E. R. Weiß, Reger, Hofer, Wolfsfeld als ,jüdisch-marxistisch-liberalistisch-destruktiv‘ gebrandmarkt“; zit. nach dem Original im OSA (wie Anm. 1), Box 5. 10 Vgl. Brief Schlemmers vom 20.3.1933 an Kutschmann; abgedruckt bei Fischer-Defoy 1987 (wie Anm. 2), S. 68/69. Ob Schlemmer weiß, dass Kutschmanns frühe NSDAP-Mitgliedschaft wenig später, am 1. Mai 1933, mit dem Direktorposten der „Vereinigten Staatsschulen“ belohnt werden wird (vgl. Fischer-Defoy 1987 [wie Anm. 2], S. 70), muss einstweilen offen bleiben. 11 Erwähnt in Schlemmers Brief vom 2. April 1933 an Willi Baumeister: „Ich habe mich beim Ortsgruppenleiter der NSDAP zunächst beschwert, was er protokollierte“; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 273. 12 Vgl. Schlemmers Brief vom 6.11.1933 an seine Frau; abgedruckt bei Tut Schlemmer (Hg.): Oskar Schlemmer. Briefe und Tagebücher, München 1958, S. 317 (engl. Ausg. 1972 bzw. als Reprint 1990; span. Ausg. 1987). Die 1977 im Hatje-Verlag publizierte Auswahl ist nahezu textidentisch mit der aus dem Jahr 1958. 13 Vgl. Oskar Schlemmer: Zur Lage heutiger Kunst, in Schlesische Monatshefte 9 (1932), H. 4, S. 124–128; zit. nach Wulf Herzogenrath: Oskar Schlemmer. Die Wandgestaltung der neuen Architektur. Mit einem Katalog seiner Wandgestaltung 1911–1942 (Fotografien, Vorstudien, Zeichnungen), München 1973, S. 189/190. 14 Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 387, verweist in diesem Zusammenhang auf Goethes Aufsatz „Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“, der im Februar 1789 in „Der teutsche Merkur“ veröffentlicht worden ist. 15 Schlemmer 1932 (wie Anm. 13); zit. nach Herzogenrath 1973 (wie Anm. 13), S. 190. 16 Vgl. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 340, bzw. Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 256. 17 Oskar Schlemmer: Entscheidungsstunde! Ein Appell in Sachen Kunst, in Deutsche Allgemeine Zeitung, Ausgabe Groß-Berlin 72 (1933), Nr. 360 vom 22.8.; Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, Anm. 47 auf S. 362, weist darauf hin, dass es zum Artikel noch zwei unterschiedliche, auf den 7. und 9. August datierte Manuskripte gibt, noch dazu mit

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divergierendem Titel („Hoffnung oder Resignation?“ bzw. „Appell in Sachen Kunst“); dies führt gelegentlich zu Verwirrungen, etwa bei Laura Lauzemis: Die nationalsozialistische Ideologie und der „neue Mensch“. Oskar Schlemmers Folkwang-Zyklus und sein Briefwechsel mit Klaus Graf von Baudissin aus dem Jahr 1934, in Uwe Fleckner (Hg.): Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 5–88, hier Anm. 172 auf S. 85. Im Folgenden wird stets die Druckfassung vom 22. August zitiert. 18 Privatnotiz Schlemmers vom Mai 1933 im OSA (wie Anm. 1), Box 5; Dank für die Transkription an Ulrich Röthke. 19 Dort heißt es: „Die deutsche Kunst des nächsten Jahrzehnts wird heroisch, sie wird stählern-romantisch, sie wird sentimentalitätslos-sachlich, sie wird national mit großem Pathos und sie wird gemeinsam verpflichtend und bindend sein, oder sie wird nicht sein“; zit. nach: Rede des Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels vor den Theaterleitern am 8. [!] Mai 1933, in Das deutsche Drama in Geschichte und Gegenwart 5 (1933), S. 28–40, hier 36. Am 8. Mai war Goebbels laut seinem Tagebuch außerhalb Berlins unterwegs und direkt nach seiner Rückkehr bis spät nachts bei Hitler. Unter dem 9. Mai 1933 dagegen schreibt er u. a.: „Abends rede ich im Kaiserhof vor den deutschen Intendanten. Ich bin in bester Form und habe einen sehr großen Erfolg. Zum Schluß tolle Ovationen. Göring wendet sich sehr schroff gegen den K.f.d.K. [gemeint ist der „Kampfbund“]. Bravo!“; zit. nach Elke Fröhlich (Hg.) im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte in Verbindung mit dem Bundesarchiv: Joseph Goebbels. Die Tagebücher. Sämtliche Fragmente, München 1987, hier Teil 1: Aufzeichnungen 1924–1941, Bd. 2: 1.1.1931 – 31.12.1936, S. 418. Goebbels wiederholte mehrfach seinen Gedanken einer „stählernen Romantik“, etwa bei der Eröffnung der Reichskulturkammer am 15. November 1933, so dass Rüdiger Safranski folgendes Fazit zieht: „In der Formel von der ,stählernen Romantik‘ kommt der modernistische Grundzug des NS-Regimes zum Ausdruck“; ders.: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, S. 354. 20 Vgl. den Brief Schlemmers vom 18.5.1933 an Rust (also einen Tag nach Erhalt seiner Kündigung; zit. bei Fischer-Defoy 1987 (wie Anm. 2), S. 317. 21 Brief Schlemmers vom 1.6.1933 an Gunta Stölzl; zit. nach Radewaldt 1997 (wie Anm. 5), S. 76. Ganz ähnlich, zum Ende hin aber inhaltlich variierend heißt es in einem undatierten Brief Schlemmers an Gerhard Marcks: „Nach Dr. Goebbels soll ja die kommende Kunst sein: heroisch, stählern-romantisch, unsentimental, hart und scharf, sie soll das Gemeinsame = Verbindende darstellen und sie soll ,Typen schaffen‘“; zit. nach Ursula Frenzel (Hg.): Gerhard Marcks, 1889–1981. Briefe und Werke, München 1970, S. 70. 22 Brief Schlemmers vom 21.6.1933 an das Kulturdezernat Essen als übergeordneter Behörde nach der Abhängung der Schlemmer-Bilder; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. 23 Brief Schlemmers vom 22.10.1933 an Gottfried Benn; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 280–283, hier 282.

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24 Vgl. Mario Andreas v. Lüttichau: Der Folkwang-Wettbewerb „Junge deutsche Kunst“ 1934. Eine dokumentarische Aufbereitung, in ders. (Red.): Junge deutsche Kunst. Der Folkwang-Wettbewerb 1934 [Bd. 2 des Katalogs zur Ausstellung „Oskar Schlemmer. Der Folkwang-Zyklus. Malerei um 1930“, 11. Sept. – 14. Nov. 1993, Staatsgalerie Stuttgart; 13. Dez. 1993 – 14. Febr. 1994, Museum Folkwang, Essen], Stuttgart 1993, S. 36–76, hier 38. 25 Vgl. Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 41, unter Verweis auf Baudissins Brief vom 4. Mai 1934 an Schlemmer: „Als ich mich bereit erklärt habe, die Leitung des Folkwang-Museums zu übernehmen, waren Ihre Wandbilder bereits magaziniert“; zit. nach dem Original im OSA (wie Anm. 1); nicht zit. bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17). 26 Vgl. die biografische Skizze zu Baudissin bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 33–40. 27 Es handelt sich um die Schreiben Schlemmers vom 1. und vom 22. Mai sowie vom 17. Juni 1934 sowie um diejenigen Baudissins vom 4. Mai sowie vom 1. und vom 25. Juni 1934. Die Briefe Schlemmers wurden bislang nur teilweise veröffentlicht, zunächst in Schlemmer 1958 (wie Anm. 12), S. 326–328, und in Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 286/287. Lauzemis 2007 (wie Anm. 17) bringt weitere Auszügen der Briefe Schlemmers und erstmals Passagen aus den Briefen Baudissins; sie weist in Anm. 106 auf S. 82 darauf hin, dass der erste Brief Schlemmers bei einer Abschrift im „Getty Center for the History of the Arts and Humanities“ fälschlich auf den 17. April 1934 datiert ist (in Schlemmer 1958 [wie Anm. 12], S. 326, allerdings auf den 19. April). 28 Brief Schlemmers vom 17.6.1934 an Baudissin (wie Anm. 9); zit. auch bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 46. 29 Baudissin (wie Anm. 9); nicht bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17). 30 Brief Schlemmers vom 22.5.1934 an Baudissin. Im unpublizierten Briefwechsel zwischen Meyer-Amden und Oskar Schlemmer im OSA (wie Anm. 1) gibt es zahlreiche Hinweise vonseiten Meyers auf die Verbindung nationaler Gedanken mit dem Thema des Jünglings. 31 Brief Schlemmers vom 21.6.1933 ans Essener Kulturdezernat (wie Anm. 22). 32 Brief Schlemmers vom 22.5.1934 an Baudissin; zit. auch bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 43. 33 Brief Baudissins vom 25.6.1934 an Schlemmer; zit. nach dem Original im OSA (wie Anm. 1), Box 5; nicht bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17). Dank für den Hinweis an Ina Conzen. 34 Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen. Bd. 1: Triumph. HalbBd. 1: 1932–1934, München 1965, S. 398. 35 Vgl. das Kapitel „Oskar Schlemmers Bilderzyklus zwischen Innovation und Reaktion“ bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 7–24. 36 Die Ausschreibung findet sich u. a. in Kunst der Nation 2 (1934), Nr. 1, 1.1.1934, S. 5; Erläuterungen und Berichte in den Heften Nr. 2, 15.1.1934, S. 5; Nr. 5, 1.3.1934, S. 6 (Preisrichterkollegium); Nr. 9, 1.5.1934, S. 3 (Bericht über die Sieger der Wandbilder); sowie in Nr. 11, 1.6.1934, S. 6 (Ausstellungen). Dort mehrfach auch der Hinweis, dass es sich bei den Entwürfen um Prototypen handelt, weil in allen größeren Städten „Häuser der Arbeit“

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errichtet werden sollten, also nicht nur in Berlin; vgl. Winfried Nerdinger: Avantgarde im Spiegel der Architekturwettbewerbe 1933–1935, in Magdalena Bushart/Bernd Nicolai/ Wolfgang Schuster (Hg.): Entmachtung der Kunst. Architektur, Bildhauerei und ihre Institutionalisierung 1920 bis 1960 [erweiterte Dokumentation einer Veranstaltungsreihe anlässlich der Ausstellung „Skulptur und Macht“ 8. Mai – 3. Juli 1983 im Rahmen des Gesamtprojekts „Das war ein Vorspiel nur ...“, Akademie der Künste, Berlin], Berlin 1985, S. 86–103. Laut Schlemmers Brief vom 17. Juni 1934 an Baudissin (wie Anm. 27) wurde sein Entwurf mit der Nr. 657 versehen; nicht bei Lauzemis 2007 (wie Anm. 17). 37 Brief Schlemmers vom 17.3.1934 an Baumeister; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4; dort auch die genannten Maße. 38 Vgl. Baumeisters Brief vom 11.4.1934 an Jules Bissier; abgedruckt bei Felicitas Baumeister/ Jochen Cannobi: Biographie, in Gottfried Böhm (Red.): Willi Baumeister [Katalog zur Ausstellung „Willi Baumeister – Zeichnungen“, 17. Dez. 1995 – 20. Febr. 1996 Kupferstich-Kabinett, Dresden; 9. Mai – 7. Juli 1996 Staatliche Graphische Sammlung, München], Stuttgart 1995, S. 177–245, hier 210. 39 Vgl. Ursel Berger: Vom Reichs- zum Bundesadler. Ludwig Gies und das deutsche Wappentier, in Bernd Ernsting (Red.): Ludwig Gies 1887–1966 [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, 1. März – 29. April Museum Morsbroich, Leverkusen; 13. Mai – 12. Juli Georg-Kolbe-Museum, Berlin; 19. Juli – 9. Sept. 1990 Richard-Haizmann-Museum, Niebüll], Leverkusen 1990, S. 53–56, hier 55; sowie Bernd Ernsting: Werke im öffentlichen Raum, in Ernsting 1990, S. 74–79, hier 75. Die 20 prämierten Werke wurden vom 17. bis 30. April 1934 in der Ausstellungshalle der Technischen Hochschule Berlin präsentiert, danach waren Ausstellungen in Breslau, Dresden, Essen, Frankfurt am Main, Stuttgart und anderen deutschen Städten geplant; vgl. Kunst der Nation 2 (1934), Nr. 11, 1.6.1934, S. 6. Wahrscheinlich ist der Gies-Entwurf identisch mit dem „Adler im Bau“, der auch als „Der erste Mai“ oder „Ehrung der Arbeit“ betitelt wird; mit den vagen Worten „Ehrung der Arbeit“ wurde jedoch der gesamte Wettbewerb umschrieben: „Den Werken muß der Gedanke ,Ehrung der Arbeit‘ zugrunde liegen“ hatte es bereits in der Ausschreibung in „Kunst der Nation“ (wie Anm. 36) geheißen. 40 Vgl. den Brief Baudissins vom 1.6.1934 bzw. die Antwort Schlemmers vom 17.6.1934; Original im OSA (wie Anm. 1), Box 5. 41 Brief Schlemmers vom 14.4.1934 an Baumeister; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. 42 Vgl. Hartmut Petzold: German Bestelmeyer und der zweite Bauabschnitt des Deutschen Museums, in Elisabeth Vaupel/Stefan L. Wolff (Hg.) unter Mitarbeit von Dorothee Messerschmid-Franzen: Das Deutsche Museum in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Bestandsaufnahme, Göttingen 2010, S. 287–319, hier 313. Schlemmer sandte seine Unterlagen am 28. November 1934 nach München; vgl. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 360.

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43 Der Kongresssaal wurde im Mai 1935 eröffnet; vgl. Petzold 2010 (wie Anm. 42), S. 298. 44 Vgl. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 360. 45 Brief Schlemmers vom 14.10.1934 an Baumeister; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. Gemeint ist die Künstlerin Ida Kerkovius, die Schlemmer als Hölzel-Schülerin bekannt war – einer Frau scheint er eine derart monumentale Aufgabe nicht zuzutrauen. 46 Wörtlich heißt es bei Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 250: „So entwarf er [Schlemmer] für die beiden Längsseiten des Saales [...] Figuren, die auf einen Sonnenjüngling auf der Stirnseite zustreben“; vgl. auch dies.: Bd. 2, Werkverzeichnis-Nr. K 59 bis K 79 auf S. 360–364. 47 Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 360, schreibt, dass ein von Schlemmer erwähntes „Schriftstück über die Idee“ des Mosaikfrieses nicht erhalten ist. 48 Vgl. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 250. 49 Brief Schlemmers vom 17.1.1935 an Bissier; zit. nach Matthias Bärmann (Hg.): Julius Bissier – Oskar Schlemmer. Briefwechsel, St. Gallen 1988, S. 15. 50 Brief Schlemmers vom 18.1.1935 an Düssel; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. 51 Tagebucheintrag Schlemmers vom 7.2.1935; zit. nach Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 361 (in Bd. 1, S. 250, liefert die Autorin nur eine gekürzte Passage des Zitats). Insgesamt werden 377 Entwürfe eingereicht, Gewinner ist Hermann Kaspar, ein Protegé des in Anm. 42 erwähnten Architekten German Bestelmayer, der am 1. Juli 1935 mit der Realisierung seines Entwurfs beginnt; die Arbeit sollte u. a. aufgrund von Kriegsschäden erst 1955 übergeben werden. 52 Petzold 2010 (wie Anm. 42), S. 312 bzw. 313. 53 Der Münchner Wettbewerb steht in Zusammenhang mit der „Selbstarisierung“ der auf Mosaikschmuck spezialisierten Berliner Firma Puhl und Wagner. Es soll sogar eigens ein „Ausschuß zur Förderung der deutschen Mosaikkunst“ gegründet worden sein; vgl. Hartmut Petzold: Zur Ausschmückung des Ehrenhofs und des Kongreßsaals des Deutschen Museums, 1928 bis 1958, online unter http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2008/607/, S. 14 (Zugriff am 20. Juli 2014). 54 Notizen zum Schardt-Vortrag vom 11.7.1933; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. Vgl. auch Christian Fuhrmeister: Ikonographie der „Volksgemeinschaft“, in Hans-Ulrich Thamer/Simone Erpel (Hg.): Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, 15. Okt. 2010 – 6. Febr. 2011 Deutsches Historisches Museum, Berlin], Dresden 2010, S. 94–103. 55 Tagebucheintrag Schlemmers vom 7.2.1935; zit. nach Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 361. 56 Oskar Schlemmer: Das Staatliche Bauhaus in Weimar; zit. nach Hans Maria Wingler: Das Bauhaus. 3., verb. Auflage Bramsche 1975, S. 79/80, hier 79 bzw. 80. Der Text war für einen Prospekt über das Bauhaus vorgesehen, wurde aber von Walter Gropius zurückgezogen, weil Schlemmers Formulierung „Kathedrale des Sozialismus“ an anderer Stelle Anstoß erregt hatte.

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57 Oskar Schlemmer: Gestaltungsprinzipien bei der malerisch-plastischen Ausgestaltung des Werkstattgebäudes des Staatlichen Bauhauses, in Das Kunstblatt 7 (1923), S. 340–343; zit. ebenfalls nach Wingler (wie Anm. 56), S. 78/79, hier 78. 58 So Schlemmer in seinem Brief vom 20.3.1923 an Meyer-Amden; zit. nach Schlemmer 1958 (wie Anm. 12), S. 144. 59 Vgl. John-Paul Stonard: Oskar Schlemmer’s „Bauhaustreppe“, 1932, in The Burlington Magazine 107 (2009), Nr. 1276: Juli, S. 456–464, und 108 (2010), Nr. 1290: Sept., S. 595–602. 60 Vgl. Camilla Blechen: Kaiser Wilhelm, der Siegreiche, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.8.1991, Nr. 176, S. 25. Der Lehrer Schlemmers war der fast gleichnamige Friedrich v. Keller. Dank für den Hinweis an Wolf Eiermann. 61 Brief Schlemmers vom 22.10.1933 an Benn; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 280– 283, hier 280, 282 und 283. 62 Tagebucheintrag Schlemmers vom 15.1.1935; zit. nach Schlemmer 1958 (wie Anm. 12), S. 329/330, hier 330. 63 Brief Schlemmers vom 17.6.1934 an Baudissin (wie Anm. 9). 64 [ Julius Langbehn]: Rembrandt als Erzieher, 49. Auflage, Leipzig 1909, S. 37. 65 Winfried Nerdinger: Hitler als Architekt. Bauten als Mittel zur Stärkung der „Volksgemeinschaft“, in Thamer/Erpel 2010 (wie Anm. 54), S. 74–80, hier 74. 66 Schardt hatte seinen Posten in Berlin offiziell vom 1. Juli bis zum 21. November 1933 inne; vgl. Jörn Grabowski: Alois Schardt und die Nationalgalerie – eine Episode im Spiegel der Akten des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin, in Ruth Heftrig/Olaf Peters/ Ulrich Rehm (Hg.): Alois J. Schardt. Ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, „Drittem Reich“ und Exil in Amerika, Berlin 2013, S. 89–96, hier 90. 67 Vgl. Stonard 2009/2010 (wie Anm. 59), S. 596, unter Verweis auf Alfred H. Barr: Art in the Third Reich – Preview, in Magazine of Art 38 (1945), H. Okt., S. 212–222, hier 216; unveränd. Nachdr. unter dem Titel „Returning Sanity“ in German Art – 1933, in Alfred Hamilton Barr/Irving Sandler/Amy Newman (Hg.): Defining Modern Art. Selected Writings of Alfred H. Barr, Jr., New York 1986, S. 166–170, hier 168. Dank für den Hinweis an Ina Conzen. 68 Vgl. Stonard 2009/2010 (wie Anm. 59), S. 595/596; demnach ist die Ausstellung am 1. März eröffnet, nach einem ersten Artikel im NS-Kurier vom 11. März bzw. einer Sitzung des Verwaltungsrats der Kunsthalle am Abend desselben Tages aber bereits wieder geschlossen worden. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 234, spricht dagegen von einer Abhängung „vor der Eröffnung“. 69 Vgl. Lüttichau 1993 (wie Anm. 24), S. 38. 70 Schlemmer 1957 (wie Anm. 12), S. 308. Ganz ähnlich schreibt Schlemmer am selben Tag an seinen Freund Baumeister: „Heute steht in der Zeitung, was ich schon wußte: hier sind Hofer und Scharff beurlaubt [...]. Der Bildersturm scheint zu grassieren. Dessau, Mannheim, jetzt auch Dresden. Es werden ,Schreckenskammern der Kunst‘ in den Museen eingerichtet. Kein ,Stimm‘ erhebt sich.“ Ähnlich drastisch heißt es in einem

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Brief Julia Feiningers vom 18. März 1933 an Alois Schardt: „[...] die bilder der zeitgenössischen maler, die im laufe der jahre von der stadt [Dessau] und dem staat erworben wurden und bisher nicht öffentlich gezeigt worden sind, sind von der neuen regierung in den schaufenstern der radikalsten nationalsozialistischen zeitung ausgestellt worden und am gleichen tag erschien in derselben zeitung eine ,kritik‘. diese kritik wiederzugeben ist mir einfach unmöglich u. a. wurde leo als der edelkommunist hingestellt“; zit. nach MarioAndreas v. Lüttichau: „Wartesaal“ Berlin. Die Jahre 1933 bis 1937, in Roland März (Hg.): Lyonel Feininger – von Gelmeroda nach Manhattan. Retrospektive der Gemälde [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, 3. Juli – 11. Okt. 1998, Neue Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin; 1. Nov. 1998 – 24. Jan. 1999, Haus der Kunst, München], Berlin 1998, S. 336–345, hier 340. 71 Vgl. die detaillierten Angaben zu den „Schreckenskammern“ bzw. „Schandausstellungen“ 1933/34 als Vorläufer der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 bei Christoph Zuschlag: „Entartete Kunst“. Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland. Worms 1995. 72 Bereits im Frühjahr 1933 hatte Schardt in Erwartung und zur Förderung seiner Ernennung zum Direktor der Nationalgalerie seine „Wesensmerkmale der deutschen bildenden Kunst“ schriftlich, wenn auch nur als Typoskript niedergelegt; erstmals publiziert wurden sie dann in Heftrig/Peters/Rehm (Hg.) 2013 (wie Anm. 66), S. 102–219. 73 Zit. nach Annegret Janda: Die Gemälde und Bildwerke der Expressionisten im ehemaligen Kronprinzen-Palais, in Das Schicksal einer Sammlung, die Neue Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais [Dokumentation zur Ausstellung „Expressionisten – die Avantgarde in Deutschland 1905–1920“, Sept.–Nov. 1986, Staatliche Museen zu Berlin], Berlin 1986, S. 13–48, hier 33. Explizit zum Vortrag vgl. Grabowski 2013 (wie Anm. 66), S. 90–94; demnach hat Schardt alle Publikationsanfragen abschlägig beschieden, so dass nur Berichte über den Vortrag vorliegen wie: Was ist Deutsche Kunst? Ein Vortrag von Prof. Alois Schardt, in Kunst- und Antiquitäten-Rundschau. Halbmonatsschrift für Kunst-Freunde, -Sammler und -Händler 41 (1933), H. 15/16 vom 15.8., S. 282. 74 Brief Schardts vom 9.11.1933 an Rust; zit. nach Janda 1986 (wie Anm. 73), S. 33. 75 Vgl. Janda 1986 (wie Anm. 73), S. 33/34. 76 Vgl. Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, Werkverzeichnis-Nr. G 139 auf S. 66 bzw. G 226 auf S. 94/95. 77 Brief Schlemmers vom 26.7.1933 an Schardt; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 279. 78 Tagebucheintrag Schlemmers vom 21.3.1935; zit. nach Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 95. 79 Brief Schlemmers vom 9.10.1933 an Baumeister; zit. nach Hüneke 1990 (wie Anm. 3), S. 280. Die Antwort Schardts vom 1. August 1933 fiel recht knapp aus: „Sehr geehrter Herr Schlemmer, vielen Dank für Ihren Brief. Ihre Ausführungen haben mich sehr interessiert und ich bin gespannt, Ihre neuen Arbeiten zu sehen. Augenblicklich bin ich durch die Neuordnung des Kronprinzen-Palais noch zu sehr beschäftigt, trotzdem hoffe

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ich bald Zeit zu finden, Sie im Atelier aufzusuchen nach vorheriger telefonischer Ansage. Mit besten Grüßen Ihr [...]“; maschinenschriftliche Durchschrift, abgezeichnet von fremder Hand (nicht Schardt); zit. nach dem Bestand der Staatlichen Museen zu Berlin – Zentralarchiv (SMB-ZA), I/NG 936, Bl. 24. Dank für eine Abschrift des Schreibens an Jörn Grabowski. 80 Tagebucheintrag Schlemmers vom 22.5.1925; zit. nach Schlemmer 1958 (wie Anm. 12), S. 173. Gemeint ist die so bezeichnete weibliche Marmorstatue im Berliner Pergamonmuseum (580–560 v. Chr.). 81 Gottfried Böhm: Oskar Schlemmer, in ders. (Hg.): Canto d’amore. Klassizistische Moderne in Musik und bildender Kunst [Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, 27. April – 11. Aug. 1996, Öffentliche Kunstsammlung Basel], Basel 1996, S. 338/339, hier 339. 82 Notiz Schlemmers vom 11.7.1933; zit. nach der Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. 83 Brief Schlemmers vom 7.5.1932 an Meyer-Amden; zit. nach Schlemmer 1958 (wie Anm. 12), S. 291. 84 Peter Ulrich Hein: Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 246. 85 Otto Karl Werckmeister: Moderne Kunst, totalitäre Politik: Pawel Filonow, Oskar Schlemmer, in Eugen Blume/Dieter Scholz (Hg.): Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925–1937, Köln 1999, S. 211–222, hier 215, 217 und 219. 86 Vgl. den Brief Schlemmers vom 12.11.1930 an Schultze-Naumburg, Abschrift im BHA (wie Anm. 1), Bd. 4. Zu dessen Antwort vom 19.11. vgl. Wulf Herzogenrath: Fanal einer neuen Zeit. Die Zerstörung von Oskar Schlemmers „Bauhaus-Fresken“ im Jahr 1930, in Uwe Fleckner (Hg.): Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege moderner Kunst im „Dritten Reich“, Berlin 2009, S. 245–257, hier Anm. 18. 87 Vgl. Lauzemis 2007 (wie Anm. 17), S. 35. 88 Willibald Sauerländer: Vom Heimatschutz zur Rassenhygiene. Über Paul Schultze-Naumburg, in Claudia Schmölders/Sander L. Gilman (Hg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte, Köln 2000, S. 34. 89 Sauerländer 2000 (wie Anm. 88), S. 47. 90 Hier zitiert nach der Druckfassung Paul Schultze-Naumburg: Kampf um die Kunst, München 1932, S. 8; nicht zufällig erscheint der Vortrag in der Schriftenreihe „Nationalsozialistische Bibliothek“ des NSDAP-Hausverlags Franz Eher Nachf. 91 Vgl. Oskar Schlemmer. Zeichnungen und Graphik. Œuvrekatalog. Mit einer Einleitung von Will Grohmann, Stuttgart 1965, Werkverzeichnis-Nr. ZT 97 auf S. 162. 92 Schultze-Naumburg 1932 (wie Anm. 90), S. 34. 93 Zit. nach Maur 1979 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 234, unter Verweis auf den anonym erschienenen Artikel: Das zweite Gesicht des Kunstvereins, in NS-Kurier, 15.3.1933.

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Zackig ... schmerzhaft ... ehrlich ... Die Debatte um den Expressionismus als ‚deutscher Stil‘ 1933/34

I. Der Expressionismus als „Bollwerk“ gegen den „undeutschen“ Naturalismus der „völkischen“ Kunst Die von Kunsthistorikern, Museumskustoden, Künstlern, Kunststudenten, Dozenten und Kunstkritikern 1933/34 im sich gerade etablierenden NSStaat geführte Debatte um den Expressionismus erscheint als ein Nachhutgefecht. Noch einmal beschworen alle Beteiligten, aus Überzeugung oder um Schlimmeres zu verhüten, 1 Otto Andreas Schreiber, Landschaft, undatiert (etwa 1936) ein künstlerisches Phänomen, das vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg als ein ästhetisches Fanal für Deutschlands kulturelle Überlegenheit und Einzigartigkeit diskutiert worden war. Bereits 1920 war aber in den deutschen Feuilletons vom „Ende des Expressionismus“ die Rede. „Was vor zehn Jahren anfing, den Bürger heftig zu verwirren, hat [...] 1920 nicht einmal mehr das Rührende der Sensation“,1 erklärte Kasimir Edschmid zur Eröffnung der ersten Deutschen Expressionisten-Ausstellung in Darmstadt am 10. Juni 1920. Mit dem Bild „Tod des Dichters Walter Rheiner“, das den Todessprung des morphiumsüchtigen Dichters aus dem Fenster in den Großstadtdschungel zeigt, gab Conrad Felixmüller, der mit Rheiner befreundet gewesen war und seinen Tod als einen persönliche Schock erlebte, 1925 den Expressionismus zugunsten einer neusachlichen Malerei auf. Angesichts des drohenden Rückfalls der Kunstentwicklung in einen bieder naturalistischen, genrehaft akademischen Kunststil, der dem Geschmack des Postkartenmalers Hitler und seines völkischen Herolds Alfred Rosenberg entsprach, traten 1933 Museumsdirektoren, wie z. B. Ludwig Justi (1876–1957) und sein Nachfolger Alois Schardt (1889–1955), an, um ihr Konzept einer „Galerie der Lebenden“, die

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Justi als erstes Museum der Moderne am 4. August 1919 im Kronprinzenpalais eröffnet und im Februar 1933 neu angeordnet hatte, zu retten. Diese Neue Abteilung der Nationalgalerie war mit ihrem Schwerpunkt auf die deutschen Expressionisten in den 1920er Jahren in Deutschland zum Vorbild vieler Sammlungen der Gegenwart und zum Modell für das 1929 gegründete „Museum of Modern Art“ geworden. Nachdem Ludwig Justi am 1. Juli 1933 „beurlaubt“ und zur Kunstbibliothek versetzt worden war, positionierte sich sein einstmaliger Assistent, Alois Schardt, als neuer kommissarischer Direktor der Nationalgalerie in einem Vortrag am 10. Juli 1933 in der Kunstbibliothek, indem er formalästhetische Parallelen zwischen der ungegenständlichen Ornamentik der deutschen Bronzezeit und der Malerei des deutschen Expressionismus zog, um eine ursprüngliche wesenhaft deutsche Ausdruckskunst zu behaupten, die nach 1431 (!), als der angeblich undeutsche Naturalismus diese zurückgedrängt habe, einen Niedergang der deutschen Kunst bewirkt habe.2 In einem Bericht von Bruno Erich Werner über diesen Vortrag lesen wir: „Er [Alois Schardt, Anm. E. G.] zeigte und bewies weiter, wie bei uns im Gegensatz zur Intelligentia der Mittelmeervölker immer der Wille der Grundzug unseres Wesens gewesen sei, die Dynamik des Unendlichkeitsgefühls. [...] Alle jene scheinbaren Verzerrungen im Kunstwerk entsprangen einem bestimmten geistigen Ausdruckswillen und nicht, wie manche immer noch glauben, einem primitiven Nichtkönnen. [...] Er führte den Weg dann weiter über die gotischen Dome [...] bis zum deutschen (voritalienischen) Dürer und schließlich zum malerischen Gipfelpunkt deutscher Kunst, zu Grünewald. Er wies dabei immer wieder die Überfremdung durch die klassischen italienischen Einflüsse auf, den Kampf, den die deutschen Künstler gegen dieses Schönheitsideal des Mittelmeers im Dienst ihrer völkischen Berufung führten, und kam schließlich zur Romantik, wo Männer wie Caspar David Friedrich und Runge wieder die uralte Runensprache des Blutes vernahmen und die Besinnung auf das deutsche Wesen herbeiführen wollten. [...] Ich bete in meinem Geist, meinte der Vortragende, daß diese Überfremdung nicht wiederkomme und daß nicht Naturalismus und Klassizismus, die beiden Feinde der deutschen Kunst, das Wesen des Volkes verdrängen. [...] Er zeigte Lehmbruck und Barlach und sagte unter neuerlichem gewaltigen Beifall: ‚Das ist nicht Bolschewismus, das ist Gläubigkeit‘. Er führte Feininger vor und Marc, und meinte, daß die besten Bilder der jungen Kunst alle vor 1918 entstanden seien, als Auftakt eines neuen Volksgeistes.“3 Nicht zu überhören ist die von Werner hervorgehobene Warnung vor einem wieder auflebenden akademischen Naturalismus und Klassizismus in der künftigen NS-Malerei. Die Museumsdirektoren, Kunsthistoriker und Publizisten, die nicht unbedingt Nationalsozialisten, aber, wie z. B. Ludwig Justi, nationalkonservativ eingestellt waren, entwickelten in den kommenden Monaten und Jahren bis ca. 1934 und

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darüber hinaus eine immer wieder variierte Argumentation, die den Vorwurf widerlegen sollte, der deutsche Expressionismus sei Teil der Verfallserscheinungen des „Weimarer Systems“ und ein Phänomen des „Kulturbolschewismus“.4 Darüber hinaus wollten sie den Expressionismus offensiv zur einzigartigen nationalen deutschen Kunst erklären, die, geboren aus dem Inferno des Ersten Weltkrieges, legitimiert sei, den Geist des „neu erwachten“ „Dritten Reiches“ authentischer zum Ausdruck zu bringen als die gemalte Gartenlaube der „völkischen Kunst“. Immer wieder wurde auf das Fronterlebnis von Malern wie Franz Marc, die als nationale Helden für Deutschland gefallen seien, hingewiesen. So erinnerte Oskar Schlemmer in einem Brief an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vom 25. April 1933 explizit an den heroischen Einsatz der Künstlergeneration der Expressionisten im Ersten Weltkrieg: „Tief erschüttert durch Meldungen aus verschiedenen Städten des Reichs [...] wo der Museumsbesitz an modernen Bildern in ‚Schreckenskammern der Kunst‘ zusammengebracht [...], dem Gespött und der Empörung des Publikums preisgegeben werden, erlaube ich mir, mich an Sie zu wenden mit der dringenden Bitte, hier Einhalt zu gebieten. Gestatten Sie mir, Ihr Augenmerk kurz auf die Zeit vor dem Kriege zu lenken, auf die Jahre 1910 bis 1914, wo sich [...] eine geistige Revolution in den Künsten abspielte und Werke entstehen ließ, die mit Novembersystem und Marxismus unmöglich etwas zu tun haben konnten, weil es diese Begriffe ja noch gar nicht gab! [...] In dieser beseligenden Stimmung überraschte uns damalige junge Akademiestudierenden der Krieg. Wir zogen für die Ideale der Kunst, aus echter Begeisterung für eine große Sache, in den Krieg! Im Namen meiner gefallenen Kameraden protestiere ich gegen die Diffamierung ihres Wollens und ihrer Werke, soweit sie sich in Museen befinden und heute geschändet werden sollen. Das war nicht der Sinn ihres Sterbens! [...] Sie werden als artfremd, undeutsch, unwürdig und unnatürlich verfemt. Es werden ihnen politische Motive unterstellt, um die es sich beim größten Teil der betroffenen Werke niemals handeln konnte. Die Künstler sind im Grunde ihres Wesens unpolitisch und müssen es sein, weil ihr Reich von einer anderen Welt ist. Es ist immer die Menschheit, die sie meinen; das Totale, mit dem sie verbunden sein müssen.“5 Bruno Erich Werner6 verteidigte die deutschen Expressionisten am 12. Mai 1933 unter dem Titel „Der Aufstieg der Kunst“ in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ als eine Bewegung, die das undeutsche liberale 19. Jahrhundert, „das in der Malerei nur das französische Vorbild kennt!“, überwunden habe. Für den Kunstkritiker Paul Fechter hat der Expressionismus das Verdienst, „dem neuen Nationalismus vorgearbeitet“ zu haben, „indem er dem Leben, der Kunst wieder die Grundlage eines echten, unmittelbaren Gefühls gab und gegen den zerflatternden Relativismus der impressionistischen Zeit sich bekennend das aufrechte Ja und Nein seiner Form und seiner Farbe stellte“.7

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II. Die Politisierung und Nationalisierung des Expressionismus im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik Seine politische Brisanz wuchs dem Expressionismus vor und während des Ersten Weltkrieges zu. Der von Nietzsche erdachte Künstlerübermensch war 14 Jahre nach dem Tod seines Propheten mit dem „Zarathustra“ im Tornister in den Ersten Weltkrieg gezogen. Nietzsches Faszination für das Unberechenbare, Gefährliche, Rücksichtslose und Elitäre zog die italienischen und russischen Futuristen und die deutschen Expressionisten in Bann. In Frankreich galt Henri Bergsons „élan vital“ als Geheimwaffe, die den Sieg der französischen Waffen garantieren sollte. Die Angst, in der liberalen Massengesellschaft als Künstlerheroen marginalisiert zu werden und sich bei den „letzten Menschen“ wiederzufinden, verführte einige Künstler und Philosophen zu einer blinden Bejahung historischer Gewalt. Wenn Nietzsche schrieb: „Wir freuen uns an allen, die gleich uns die Gefahr, den Krieg und das Abenteuer lieben, die sich nicht abfinden, einfangen, versöhnen und verschneiden lassen“,8 antwortete ihm 1909 Filippo Tommaso Marinetti: „Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen [...] Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein [...] Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene auf der Welt – den Militarismus, [...] die Vernichtungstat des Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt.“9 Giovanni Papini begrüßte begeistert Marinettis Aufruf: „Der Futurismus ist ein Stück auf die Kunst angewandte Anarchie. Zerstören, um wieder aufzubauen!“ (1913).10 Im Gegensatz zu Künstlern der Moderne wie die Impressionisten oder Kubisten, die künstlerische Verfahrensweisen revolutionieren wollten, zielten die italienischen Futuristen, die deutschen Expressionisten, die russischen Suprematisten und Konstruktivisten auf die gesamte bürgerliche Ordnung. Sie forderten keinen neuen Kunststil, sondern eine andere Welt. Auf den engen Zusammenhang von Futurismus und Expressionismus wurde 1933 ständig verwiesen. Werner und Fechter waren überzeugt, dass beide künstlerischen Gruppierungen eine Brücke zur politischen Bewegung bildeten.11 „In Italien waren es die Futuristen, die unter der Führung Marinettis das neue Italien auf ihre Fahnen geschrieben hatten. [...] Diese Künstler und keine anderen sind die Repräsentanten des Faschismus in der Kunst.“12 Auch in Deutschland werde der neue „totale Staat“ der Kunst „etwas von seinem revolutionären Schwung“ mitteilen und an Stelle der früheren Dynastien, an Stelle des sammelnden Großbürgertums als Förderer und Mäzen treten. In der Verschmelzung von Ästhetizismus und Barbarei wurde der Krieg als befreiende Tat gefeiert. Die Avantgardisten, die sich den militärischen Terminus für einen Stoßtrupp in unerforschtes, feindliches Gelände zu eigen machten, bewunderten Sätze von Nietzsche wie „Einstweilen kennen wir keine anderen Mittel, wodurch mattwerdenden Völkern jene rauhe Energie des Feldlagers [...] ebenso

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stark und sicher mitgetheilt werden könnte, wie dies jeder grosse Krieg thut [...]“13 Das entsprach genau ihrem Lebensgefühl vor dem Großen Krieg, der ihnen als Katharsis erschien, die das Echte vom Faulen trennt, alles Morsche, Hohle und Verfaulte abstößt und vernichtet und die wahre Substanz freilegt wie einen guten Kern. Georg Heym notierte im Sommer 1910 in sein Tagebuch: „Es ist immer das Gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen wollte [...] sei es auch nur, daß man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein.“14 Der kommende Krieg wurde als innere Notwendigkeit erlebt als Suche nach Authentizität, Wahrheit, Selbsterfüllung. Die Kunst des Expressionismus, durch das Kriegsgeschehen beflügelt, sollte den Materialismus überwinden und ins Geistig-Kosmische transzendieren und zugleich die Botschaft nationaler Selbstfindung transportieren. Die Abwehr gegen das Fremde verband sich mit der Suche nach dem deutschen Wesen in der Kunst der Gotik und der altdeutschen Malerei eines Matthias Grünewald und der Romantik. Franz Marc formuliert: „Nur die guten Dinge bleiben, die echten, inhaltsschweren, wahren; sie gehen geläutert und gestählt durch das Fegefeuer des Krieges. [...] Wer ihn draußen miterlebt und das neue Leben ahnt, das wir uns mit ihm erobern, der denkt wohl, daß man den neuen Wein nicht in alte Schläuche faßt. Wir werden das neue Jahrhundert mit unserem formbildnerischen Willen durchsetzen.“15 Die Künstler sehnten den Krieg herbei. Krieg sollte sein, „weil man die Verlogenheit der europäischen Stile nicht mehr aushielt. Lieber Blut als ewig schwindeln; der Krieg ist ebensosehr Sühne als selbstgewolltes Opfer, dem sich Europa unterworfen hat, um ‚ins Reine‘ zu kommen mit sich“.16 Die deutschen Künstler glaubten von sich selbst, sie seien weitaus vergeistigter als ihre Nachbarn, da sie ihre Formen nicht von der äußeren Natur aus, sondern aus einer inneren Vision, die nur ihnen zu eigen sei, schafften. Aus diesem Geiste formulierte Paul Westheim, Herausgeber der später vielseitigsten und einflussreichsten Kunstzeitschrift der Weimarer Republik, „Das Kunstblatt“, im ersten Heft ( Januar 1917), das programmatisch der mittelalterlichen Mystik gewidmet war: „Ein Aufschrei war es, Aufschrei der Seele, die wieder heimfinden mußte, heim zum Quell des Lebendigen, zum schöpferisch Göttlichen.“17 Zwei Jahre später beschrieb er hymnisch in der ersten Monographie nach Lehmbrucks Selbsttötung 1919: „[...] das Begehren des Irdischen nach dem Überirdischen, das Wehen des Seelischen im Fleisch [...] und Stille breitet sich um diese Schlankheit, um dieses Aufstreben aus dem Endlichen. [...] Welch erhabene Wehmut das Fleisch da spiritualisiert.“18 Der Bruch mit dem Kunstidealismus des 19. Jahrhunderts, den die „Brücke“Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner vollzogen, wenn sie ihre „primitiven“ Skulpturen unter dem Einfluss der „Negerplastik“19 und ozeanischer Kunst direkt aus dem Rohmaterial des Holzstammes ohne Umweg über ein Gipsmodell20 herausarbeiteten, wurde von der nachfolgenden Generation, von der hier im Zusammen-

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hang mit der Zeitschrift „Kunst der Nation“ noch die Rede sein wird, mit Berufung u. a. auf Lehmbruck überbrückt zurück zur Suche nach dem Ideal und dem Geistigen hinter den äußerlichen Erscheinungen. Lehmbruck, der sich geistig den Expressionisten21 zugehörig fühlte, ging es darum, „[...] präzis aus unserm Material den geistigen Gehalt herausziehen“.22 Wie eine Kriegserklärung der deutschen Seele an die ganze Welt klingt Theodor Däublers 1916 auf dem Höhepunkt der Materialschlachten und im expressionistischen Gestus geschriebener Hymnus auf Wilhelm Lehmbrucks (1881–1919) Skulptur „Kniende“ (1911): „In der Bildhauerei sollte die ethische Lotrechte wieder durchbrechen [...] aus sich herausfliegen sollten die verängstigten Gemüter. [...] Wenn dieses Weib aufstünde, [...] sie wäre ein groteskes Gespenst: sie wird aber einmal aufstehen, uns mitreißen.“23 Däubler bewunderte die „Kniende“, weil in ihr das Spirituelle in eine strenge Form gegossen erscheine: „Viel Seele kann man aber bloß bei starkem Stil fassen, denn Seele fließt über, verströmt sich [...].“24 Seine Betonung einer sich emporreckenden „ethischen Lotrechte“ erinnert an Wilhelm Worringers Analogisierung von Expressionismus und Gotik.25 1925 entwickelte Worringer aus der Behauptung einer Verwandtschaft zwischen deutscher Spätgotik und dem Expressionismus die für die erste Nachkriegsgeneration prägende Definition deutschen „Ausdruckswillens“ als Vereinigung zweier Gegensätze: „Haften an der Wirklichkeit und abstrakter Spekulationsdrang [...]. Scharfe Beobachtung der Wirklichkeit setzt sich um in eine höchst künstliche Spintisiererei formaler Dialektik [...] eine abstrakte Grimasse der Natur, jeder Übersteigerung und Ausdrucksverstärkung zugänglich, aber eine tiefbedeutsame.“26 In Lehmbruck, der die Formzertrümmerung überwunden habe, wird die Nachkriegsgeneration um 1930 ein Vorbild für eigenes Kunstwollen, das eine Synthese von Expression und Klassizität, Seele und Form suchte, sehen. Seelische Erschütterung und Spiritualisierung sollte gerade in der Skulptur zugleich strenge Form werden, „wie ein Gebäude, wo Maß gegen Maß spricht“.27 Im Krieg schrieb Karl Scheffler 1917 in seinem Buch „Der Geist der Gotik“: „Geht man die Geschichte der deutschen Kunst in den letzten hundertfünfzig Jahren durch, so zeigt es sich, daß das griechische Vollkommenheitsideal zwar eine Kunst aus dritter und vierter Hand nachhaltig gefördert hat [...]; zugleich aber hat es die eigentlich schöpferischen Kräfte [...] bedroht [...]. Der Stil eines Volkes ist der Abdruck seines Willens, seiner ganzen Eigenart [...] und muß darum hingenommen werden wie ein Schicksal [...]. Der auf germanische Initiative zurückzuführende gotische Stil aber ist von den Gesetzgebern unserer Ästhetik geradezu verfemt worden [...]. Erst in letzter Zeit ist ein tieferes Verständnis für das Gotische erwacht. [...] Der griechische Mensch erschafft die Formen der Ruhe und des Glücks, der gotische Mensch die Formen der Unruhe und des Leidens. [...] Dieser Stil ist formal eine Reinkultur, er ist eine der wenigen absoluten Formschöpfungen

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der Geschichte [...] ist die Tat einer Zeit und einer Rasse, in denen das Genie des Leidens aufs höchste schöpferisch geworden, die Tat einer Phantasietätigkeit, die fort und fort von heiliger Unruhe gespeist worden ist. [...].“28 Diese Argumentation wurde bis in die 1930er Jahre immer wieder variiert und mit dem Expressionismus verbunden. Bereits 1922 behauptete Ernst Jünger in seinem Buch „Der Kampf als inneres Erlebnis“, der „Geist der Materialschlacht und des Grabenkampfes, der rücksichtsloser, brutaler, wilder ausgefochten wurde als je ein anderer, erzeugte Männer, wie sie die Welt bisher nicht gesehen. Es war eine ganz neue Rasse, verkörperte Energie, mit höchster Wucht geladen, Augen unter tausend Schrecken unterm Helm versteinert. Sie waren Überwinder, Stahlnaturen, eingestellt auf den Kampf in seiner grässlichsten Form“.29 Wenn Jünger sie beobachtet, „erstrahlt die Erkenntnis: das ist der neue Mensch [...]. Eine ganz neue Rasse, klug, stark und des Willens voll [...] wenn sie über den Asphalt schreiten, geschmeidige Raubtiere [...]. Baumeister werden sie sein auf den zertrümmerten Fundamenten der Welt“.30 Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges war für Jünger die Gewalt nicht an ihr Ende gekommen, sondern ein neues Zeitalter angebrochen: „Die totale Mobilmachung“31 von Mensch und Material. Der Krieg ist die „Hammerschmiede“ geworden, „der die Welt in neue Grenzen und neue Gemeinschaften zerschlägt. Es ist das glühende Abendrot einer versinkenden Zeit und zugleich Morgenrot, in dem man zu neuem, größerem Kampfe rüstet“.32 Jünger prognostizierte den baldigen vollkommenen Zusammenbruch des Individualismus, den absoluten Bankrott des humanitären Denkens.33 In dieser Tonlage der totalen Mobilisierung schrieb Gottfried Benn drei Jahre später am 5. November 1933 sein berühmt-berüchtigtes „Bekenntnis zum Expressionismus“ in der Zeitschrift „Deutsche Zukunft“, und damit sind wir wieder mitten in der Debatte um den Expressionismus 1933: „Das Maß an Interesse, das die Führung des neuen Deutschlands den Fragen der Kunst entgegenbringt, ist außerordentlich. Ihre ersten Geister sind es, die sich darüber unterhalten, ob in der Malerei Barlach und Nolde als deutsche Meister gelten dürfen [...]. Der enorme Instinkt für das rassenhafte Vervollkommnen, der über der ganzen Bewegung schwebt, läßt sie [...] nie diesen einen Gedanken aus den Augen verlieren: hier ist, fühlt dieser Instinkt, der Schwer- und Hebepunkt der ganzen geschichtlichen Bewegung: die Kunst in Deutschland, Kunst [...] als fundamentale Tatsache des metaphysischen Seins, das entscheidet die Zukunft, das ist Deutsches Reich, mehr: die weiße Rasse, ihr nordischer Teil; das ist Deutschlands Gabe, seine Stimme, sein Ruf an die abgleitende und gefährdete abendländische Kultur. [...] Diese letzte große Kunsterhebung Europas, diese letzte schöpferische Spannung, die so schicksalhaft war, daß sich aus ihr ein Stil entrang, wie merkwürdig diese Ablehnung, die man ihr heute entgegenbringt! Im Grunde war ja doch dieser Expressionismus das Unbedingte,

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die antiliberale Funktion des Geistes zu einer Zeit, als die Romanschriftsteller [...] abgetakelste Psychologie und die erbärmlichste bürgerliche Weltanschauung [...] Deutschland zum Schnappen vorwarfen. [...] Man sah nicht das Elementare, erstaunlich Rigorose dieses eklatanten Stilwillens [...].“34 Vom Widerstand gegen diese Deutung des Expressionismus bei der Mehrheit in der NSDAP hatte Benn offensichtlich bei der Niederschrift seines Bekenntnisses noch nichts mitbekommen.

III. Der Aufstand der nationalsozialistischen Kunststudenten für den Expressionismus Die politische Speerspitze und das organisatorische Zentrum der Verteidiger des Expressionismus bildeten Mitglieder des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB). Ihr Wortführer war der Maler Otto Andreas Schreiber,35 stellvertretender Kreisführer X des NSDStB in Berlin. Ihr Protest war allerdings nicht Ausdruck einer liberalen Rettung der Moderne durch ihre Nationalisierung, sondern sie verteidigten den Expressionismus als den angemessenen Stil für das „Dritte Reich“ auf der Basis eines klaren Bekenntnisses zur antisemitischen Rassenund Gewaltpolitik des NS-Regimes. Zusammen mit seinem Kreisleiter Fritz Hippler36 rief Schreiber auf roten Plakaten mit der Parole „Jugend kämpft für deutsche Kunst“ zu einer Manifestation am 29. Juni 1933 im Auditorium maximum der Friedrich-Wilhelm-Universität auf.37 In einer Resolution verurteilten sie die „engstirnige Ausschließung wertvoller deutscher Künstler“ vom Aufbauwerk des „Dritten Reichs“ und bezeichneten sie als die Hauptgefahr für das Entstehen einer neuen Kunst. Nationale Kunst werde mit wilhelminischem Akademismus verwechselt.38 Als letzter Redner wandte sich Schreiber gegen „kunsthistorische Dogmenbildung durch unschöpferische Menschen“. Diese liege wie „ein Alpdruck auf allen jungen Künstlern unserer Bewegung [...]. Die nationalsozialistischen Studenten kämpfen gegen die Kunstreaktion, weil sie an die lebendige Entwicklungskraft der Kunst glauben und weil sie die Verleugnung der deutschen Kunstgeneration, die der heutigen vorausging und deren Kräfte in die Kunst der Zukunft einmünden, abwehren will. Die nationalsozialistische Jugend [...] glaubt an nichts so fest wie an den Sieg der Qualität und der Wahrheit. [...] Das Lebenselement der Kunst ist die Freiheit“.39 „Für Gerechtigkeit gegenüber der Leistung! Für die Freiheit der deutschen Kunst!“ lauteten auch die Losungen, die Schreiber in der Einleitung zum Katalog der von ihm zusammen mit Fritz Hippler und dem Maler Hans Weidemann (1904–1975) organisierten und am 22. Juli eröffneten Ausstellung „Dreißig deutsche Künstler“ formulierte.40 Gezeigt wurde sie in der Berliner Galerie Ferdinand Möller.41

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Vermutlich aufgrund der scharfen Kritik an der Ausstellung durch den völkischen Chefideologen der NSDAP und Antisemiten Alfred Rosenberg (geb. 1893 in Reval/Tallinn, gest. 1946 in Nürnberg), wurde sie bereits drei Tage später am 25. Juli vom Reichsinnenminister Dr. Frick geschlossen. Hippler (Leiter des Berliner NSD-Studentenbundes) und Schreiber wurden aus dem NSDStB ausgeschlossen.42 Als die Ausstellung nach einer Woche wieder geöffnet wurde, waren alle Hinweise auf den NSDStB als Veranstalter entfernt worden.43 Bereits am 7. Juli 1933 hatte Alfred Rosenberg, der Gegenspieler von Goebbels in Fragen der kulturpolitischen Ausrichtung des NS-Regimes,44 in einem Grundsatzartikel „Revolution in der bildenden Kunst“ im „Völkischen Beobachter“ Stellung zur Initiative der Parteijugend genommen: „Um Männer etwa wie Nolde und Barlach entbrennt eine temperamentvolle Auseinandersetzung. Eine Gruppe nationalsozialistischer Künstler will diese beiden aus unserem Vorstellungsbild einer kommenden Kunst ausgeschieden wissen, eine andere, die sich revolutionär nennt, hebt sie aufs Schild. [...] Ein ausgeprägtes Schönheitsideal hat die Künstler nordischer Prägung beherrscht. [...] Fragt man sich von dieser Schau aus nun, wie die Stellung zu Nolde und Barlach sein müsse, so wird man [...] sagen können, daß zweifellos beide Künstler eine ausgesprochene Begabung aufweisen, eine Seelandschaft von Nolde [...] ist stark und wuchtig gemalt. Daneben hängen aber einige Bildnisversuche: negroid, pietätlos, roh und bar jeder echten inneren Formkraft. Barlach seinerseits beherrscht sein Material virtuos und seiner Schnitzkunst wird niemand Monumentalität absprechen. Aber was er an Menschen gestaltet, das ist fremd, ganz fremd: erdversklavte Massigkeit und Freude an der Wucht der Schwere und Materie. [...] Schließlich, man schaue doch Barlachs Magdeburger ‚Kriegerdenkmal‘ an, das er für die dortige Kirche anfertigte: kleine, halbidiotisch dreinschauende Mixovariationen undefinierbarer Menschensorten mit Sowjethelmen sollen deutsche Landsturmmänner versinnbildlichen! Ich glaube: jeder gesunde SA-Mann wird hier das gleiche Urteil fällen wie bewußte Künstler.“ Bereits in seinem 1930 erschienenen „Mythus des 20. Jahrhunderts“ sprach Rosenberg von der „Spottgeburt des Expressionismus. Ein ganzes Geschlecht schrie nach Ausdruck und hatte nichts mehr, was es hätte ausdrücken können“.45 Dennoch konnte sich Rosenberg zu diesem Zeitpunkt noch nicht grundsätzlich mit seinen Ansichten durchsetzen. Am 13. Juli notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Abends spät bei Hitler. Frage Rosenberg durchgesprochen. Er ist auch sehr skeptisch. Wir sind wieder mal in allem einig.“46 Hans Weidemann war in einem die Kunst von Otto Dix befürwortenden Schreiben vom 14. Juli 1933 ganz sicher, dass „die Schlacht in 4 Wochen ausgekämpft und gewonnen sein“ wird. „Das wäre doch gelacht, wenn die Jugend von den alten Rauschebärten kapitulieren sollte. Das hat es noch nie gegeben – das wird es auch nie geben.“47

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Doch ließ Hitler auf seiner ersten Rede zur Frage einer Akzeptanz der Expressionisten auf der Kulturtagung im Rahmen des Nürnberger Reichsparteitages im September 1933 keinen Zweifel daran, „daß unter keinen Umständen die Repräsentanten des Verfalls, der hinter uns liegt, plötzlich die Fahnenträger der Zukunft sein dürfen. Entweder waren die Ausgeburten ihrer damaligen Produktion ein wirklich inneres Erleben, dann gehören sie als Gefahr für den gesunden Sinn unseres Volkes in ärztliche Verwahrung, oder es war dies nur eine Spekulation, dann gehören sie wegen Betruges in eine dafür geeignete Anstalt“.48 Alois Schardt scheiterte im Oktober 1933 als kommissarischer Direktor der Nationalgalerie mit der Akzeptanz seiner Neuhängung im Kronprinzenpalais und wurde im November von Eberhard Hanfstaengel abgelöst.49 Das Ende der Expressionismus-Debatte zeichnete sich im Sommer 1934 ab. Jetzt notierte Goebbels am 20. Juli 1934 in sein Tagebuch: „Viel Ärger bereitet mir Rosenberg.“50 Goebbels Strategie, nichtjüdische Künstler der Moderne an die NS-Bewegung zu binden, geht nicht mehr auf. Nach dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg gelang es ihm noch einmal, Künstler wie Ernst Barlach, Emil Nolde und Ludwig Mies van der Rohe zu Unterschrift unter einen Wahlaufruf zur Volksabstimmung am 19. August 1934 zu bewegen. In Berlin blieb diese Volksbefragung mit nur 81,5 % Ja-Stimmen gegen 18,5 % Nein-Stimmen weit hinter den Erwartungen Hitlers zurück.51 Rosenberg distanzierte sich als Vorredner von Hitler auf der Kulturtagung des Reichsparteitages am 5. September 1934 deutlich von den „pseudo-ekstatischen“ Künstlern der letzten Jahrzehnte, die sich als „unsere Revolutionäre aufschwatzen“ wollen.52 Adolf Hitler benannte dann in seiner Rede zwei Gefahren, die der Nationalsozialismus zu überstehen habe. Das „ganze Kunst- und Kulturgestotter von Kubisten, Futuristen, Dadaisten usw. ist weder rassisch begründet, noch volklich erträglich“ und bedrohe den „unverdorbenen und gesunden Instinkt“ der Bewegung. Gegen Rosenberg gewandt, verwahrte er sich aber auch gegen das „plötzliche Auftauchen jener Rückwärtse, die meinen, eine ‚teutsche Kunst‘ aus der krausen Welt ihrer eigenen romantischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Revolution als verpflichtendes Erbteil für die Zukunft mitgeben zu können“.53 Ohne sie beim Namen zu nennen, waren damit all die völkischen Reform-Veteranen von Fides, Hubert Lanzinger bis Paul Schultze-Naumburg gemeint, die jetzt führende Stellen in den Akademien und Bauaufträge einforderten. Ernst Bloch erklärt diese Wende gegen eine nationalsozialistische Variante des Expressionismus und diese Reformer mit analytischer Schärfe: „Der Expressionismus enthielt selbst in seinen Nachgeburten noch aufsässige Elemente unter den archaischen; er vertrat gewissermaßen die ‚zweite Revolution‘ unter Kunstburschen und der Jugend. [...] Das ‚Archaische‘, das ‚Primitive‘, es ist heute noch, als Sadismus, in Konzentrationslagern erwünscht, und – als furor teutonicus – selbstverständlich im kommenden Krieg. [...] Aber so gut das Großkapital aufs Hakenkreuz zu

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sprechen war, solange es die Massen einfing, so wenig hat es sich doch je mit dem Pathos der Steinzeit oder der archaischen Verwilderung befreundet. Es braucht pünktliche und domestizierte Angestellte, keine Urgermanen.“54 Die demonstrative Grundsteinlegung für das Haus der Deutschen Kunst im Oktober 1933 als erste monumentale NS-Baumaßnahme (Architekt Paul Ludwig Troost) in der Hauptstadt der Bewegung sollte mit einem Säulenportikus von 150 Meter Länge über die gesamte Fassade ein Zeichen setzen, aus dessen hoheitlich olympischer Distanz die NS-Machthaber dem Volk entgegentreten wollten.

IV. Krise der Moderne: die Sehnsucht nach einer Synthese von Expression und Klassizität, Seele und Form. Die Zeitschrift „Kunst der Nation“ und ihre Autoren Trotz des von oben verordneten Endes der Debatte entstand Ende Oktober 1933 mit der Zeitschrift „Kunst der Nation“55, die vom bisherigen Direktor der „Weltkunst“, Hartmann, und Otto Andreas Schreiber gegründet wurde, eine Plattform für einen überschaubaren Kreis von Autoren, die an der Überwindung der vermeintlich unversöhnlichen Antithese von Expressionismus und Moderne auf der einen und nationaler Kunst im Sinne des NS-Regimes auf der anderen Seite interessiert waren. Es ging ihnen jedoch nicht um eine Nationalisierung des Expressionismus, sie suchten vielmehr eine neue Synthese von Expression und Klassizität. Hans Dieter Schäfer hat im Zusammenhang mit seinen Studien zur nichtnationalsozialistischen Literatur der jungen Generation im „Dritten Reich“ darauf aufmerksam gemacht, „dass eines der Hauptargumente Hitlers, nämlich die Identifikation der extremen Formzertrümmerung mit der Krise der Gesellschaft, damals in zahlreichen nichtnationalsozialistischen Kreisen erstaunlich populär war. Die historischen Stile wie Romantik und Biedermeier, der Realismus des 19. Jahrhunderts und vor allem der Klassizismus gewannen auch als Ordnungsfaktoren überall an Boden, denn die Tendenz, in der Kunst Altes und Bewährtes wiederherzustellen, ist kein Ergebnis der Kulturpolitik Hitlers, sondern ein Produkt ein und derselben geschichtlichen Krise, die auch den Nationalsozialismus zum Sieg geführt hatte“.56 In einem Grundsatzartikel gab Otto Andreas Schreiber als Herausgeber der „Kunst der Nation“ am 1. April 1934 unter dem Titel „Fortsetzung des Expressionismus“ die Richtung vor, in der in Zukunft nachgedacht werden sollte: „Die Ausstellungen der heutigen jungen Maler ergeben, daß die Legion von Nachbetern und Nachläufern des Expressionismus von der Bildfläche verschwunden ist. Der Nationalsozialismus beseitigte die letzten Reste derer, die den ‚neuen Stil‘ unter Applaus der Akademien in der Form der ‚Dekoration‘ lehrbar machen wollten. Gerade nämlich die ‚dekorative Behandlung‘ war die schlimmste Verkennung jenes Kunstwillens. Außerdem war der Expressionismus keine endgültige Errungenschaft,

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sondern ein Anfang [...].“ Sein Verdienst liege in der „energischen Rückbesinnung auf das Urmaterial der Malerei, Farbe und Form [...]. Diesen an der Jahrhundertwende notwendigen Anfang haben die Expressionisten gemacht [...].“ Heute setzt die junge Generation auf eine „organische Kontinuierlichkeit“ zu einer „Höherentwicklung der deutschen Malerei“.57 Die 1933 etwa 20- bis 30-jährigen Dichter, Künstler und Kunstkritiker der Nachkriegsgeneration suchten zwischen den expressionistischen Ballungen und der klassizistischen Ruhe, wie sie für die Hallen des Hauses der Deutschen Kunst gebaut wurde, zu vermitteln. Sie waren geprägt durch die Jugendbewegung, den Antagonismus von Kultur und Zivilisation, den Ersten Weltkrieg und den Expressionismus. Viele erlebten noch als jugendliche Frontsoldaten den Zusammenbruch ihrer Vorstellungen von einem heroischen, sinnerfüllten Kampf für die deutsche „Kulturnation“ gegen die westliche „Zivilisation“ in den anonymen, industrialisierten Materialschlachten und Giftgasangriffen. Die Ideale und Wertvorstellungen dieser Generation kommen in den zahlreichen Almanachen junger Dichter bereits um 1930/33 zum Ausdruck, sie gelten aber auch

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für die bildenden Künstler dieser Zeit und ihre Interpreten. Otto Heuschele formulierte im Nachwort zum „Almanach der jungen Generation auf das Jahr 1933“ die Erwartungen an diese Generation. Leider begnügten sich die meisten jungen Dichter damit, Erregung, Leidenschaft, Verzweiflung und Chaos zu äußern, „ohne es geläutert und zur Gestalt geordnet zu haben“, ihre Dichtung sei überwiegend mehr „Bekenntnis“ als Gestaltung des „Lebens“. Sie „schreien die Verzweiflung ihrer Seele in ungeformten Lauten oder in beißendem Zynismus in die Nacht der Zeit. Einige Wenige aber haben den wirren Zeitstoff in sich geläutert [...] zum ewigen Bild, das sie darreichen, reifen lassen“. Sein Plädoyer galt einer Jugend, „die aus der Not dieser Zeit herausgewachsen, Adel und Würde des Menschen in sich erneuert. [...] Dichter ist nur, [...] wer das Chaos in sich selbst bändigt und zur Gestalt erhebt [...]. Dichter sein heißt in Zeiten wie den unseren auch ein Einiger und Vereiner aller Zweiheit und aller Zwiespälte aller Parteien und aller Klassengegensätze sein. [...] In diesem Sinne mag jeder Dichter ein politischer Dichter in des Wortes tieferer Bedeutung sein, daß heißt, er schafft und erhält die Bindungen, durch die die Einzelnen zur Volksgemeinschaft und zur Nation geschlossen werden, er schafft die Grundlagen des Staates, die immer geistige sind. Er ist aber auch ganz und gar unpolitisch, insofern er dem Göttlichen und dem Zeitlos-Ewigen dient“. Hier also wieder, wie im Brief von Schlemmer an Goebbels (vgl. Anm. 5), das Bekenntnis zur Kunst als politfreie Zone. Otto Heuschele forderte von dieser Jugend, dass sie durch „Läuterungsfeuer“ gehe, „daß sie Klarheit und Reinheit, Lauterkeit und Einfachheit in das Chaos der gegenwärtigen Welt bringe [...]“.58 Die Überwindung des inneren und äußeren Chaos stellte sich dieser „verlorenen“, nach Orientierung suchenden Generation als zentrale Aufgabe. Die Formen der Klassik als „Gegenstil jeder letztjährigen Romantik, die für unsere Zeit ‚Expressionismus‘ hieß“, stünden bereit, schrieb 1930 Bernhard Diebold59, um zu einer neuen Synthese von revolutionärer Ausdruckskunst und maßvoller Gestalt zu gelangen. Das Bedürfnis nach geistiger Führung und Orientierungshilfe im „Labyrinth“ der widerstreitenden geistigen und politischen Ideologien kurz vor dem Scheitern der Weimarer Republik und nach einer Überwindung der Polarisierung zwischen Expression und Klassik brachte einer der jungen Autoren der Zeitschrift, Gustav René Hocke60, im Sommer 1930 als 22-jähriger Student der Romanistik in Bonn in seinem Schreiben an Alfred Döblin zum Ausdruck, den berühmten Autor des Romans „Berlin Alexanderplatz“: „Weil gerade für uns, die wir nach einem Prinzip der Gestaltung suchen, nichts bindender sein kann als das Wort des Führers, der mithalf, das geistige Antlitz unserer Zeit zu formen, wenden wir uns aus innerer Nötigung an Sie.“61 Die Zeitschrift „Kunst der Nation“ wurde von 1933 bis 1935 das Sprachrohr dieser zwischen 1895 und 1912 geborenen Generation, die sich zunehmend in den Kokon einer „inneren Emigration“ zurückzog, der sie aber blind machte für die sie umgebende Realität.

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In der Zeitschrift kommen, abgesehen von dem überzeugten NSDAP-Mitglied Otto Andreas Schreiber, mehr oder weniger unpolitische Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Publizisten der vom Expressionismus geprägten Nachkriegsgeneration zu Wort. Darunter Hans Eckstein (1925–34 Mitarbeiter der Staatlichen Museen zu Berlin, nach 1945 Kunstreferent der „Süddeutschen Zeitung“), Alfred Hentzen, Gustav René Hocke, Niels von Holst, Johannes Jahn, der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder, Hans Pels-Leusden, Paul Ferdinand Schmidt (er schrieb 1952 eine Geschichte der modernen Malerei), der bereits zitierte Bruno E. Werner oder der Literaturwissenschaftler Fritz Martini. U. a. wurden folgende Künstler mit monographischen Beiträgen bedacht: Max Beckmann (Hans Eckstein), Otto Dix (F. Paul), Edgar Ende, Karl Hofer (F. Paul), Joachim Karsch, Ludwig Kasper, Georg Kolbe, Manfred Lehmbruck: „Erinnerungen an meinen Vater“ (15.11.33/Nr. 2/1. Jg., S. 5/6), Franz Lenk (F. Paul), Gerhard Marcks, Emil Nolde, Otto Pankok, Josef Scharl (H. Eckstein) und Kurt Schumacher (Werner Haftmann).

V. Aus dem gesellschaftlichen und schöpferischen Chaos neue Realitäten harmonikalen Charakters herstellen: Werner Haftmann Der 22-jährige Kunsthistoriker Werner Haftmann62 debütierte 1934 in der Zeitschrift „Kunst der Nation“ mit einer Reihe von Grundsatzartikeln über die Zukunftsaufgabe der deutschen Kunst in Europa. In seinem Beitrag „Zur Vielfältigkeit deutscher Kunst“ im Dezember 1934 argumentierte er gegen die Vergewaltigung einer jeden Kulturepoche, wenn man ihr eine einzige Kulturabsicht unterstelle, und warnte davor, die deutsche Kunst der Gegenwart auf einen Nenner bringen zu wollen. Er versuchte die noch vorhandene Vielfalt zeitgenössischer Kunst in Deutschland, die vom Verdikt der „Entartung“ bedroht war, zu verteidigen. Die Forderung nach einheitlicher Erscheinung der künstlerischen Phänomene im Sinne eines Epochenstils sei ein außerkünstlerischer Gedanke. Selbst ein Dürer könne nicht allein Repräsentant seiner Zeit sein, „denn neben ihm steht Grünewald“. Für die deutsche Kunst sei vielmehr eine durch alle Zeiten verfolgbare Antithese der „klaren Form und der expressiven Form“ charakteristisch. Dieses Nebeneinanderwirken gelte auch für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart: „Die ‚Brücke‘, deren Auftreten so geschlossen und voll war, umfaßte doch gleichzeitig zwei Malabsichten, die sich uns in zwei Namen verkörpern, in Kirchner und Otto Mueller. Kirchner lieferte zumal in seinen Holzschnitten Beispiele unerhörter Formphantasie, Füllen von expressiv gestalteten Vorstellungen, die sich ganz nach den Endleistungen der deutschen Gotik verbanden. Er lebte aus ganz unmittelbaren Expressionen seines so sehr vitalen Formwillens. Ganz anders Otto Mueller [...]. Otto Mueller lebte aus dem Maß und aus der Zahl, aus der Struktur und dem inneren Gehalt. Er

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3 Karl Hofer, Der Blinde, 1941, Öl auf Leinwand, 65,5 x 54,5 cm

ließ seine Schüler nie anders dem lebenden Modell gegenübertreten als mit dem Bewußtsein des zu ergründenden Proportionsgesetzes. So war es dann natürlich, daß er seinen Schülern nicht die deutsche Spätgotik zum Vorbild gab, sondern die klassischen Meister Dürer und Holbein und ihr Verhältnis zu Maß und Zahl.“

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Haftmanns historische Analyse zielte letztendlich auf die Kunst im Jahr 1934. Hier fand er „die strukturellen Elemente der Klassizität“ nicht in einer „neuerdachten sachlichen Romantik“, sondern in „aller Reinheit“ bei Karl Hofer und seinem Kreis: „Stabilität und Sicherheit des Bildgefüges, überlegene und überlegende Knappheit der Form, Einfachheit und Größe der Empfindung. Von hier aus ist es denn auch möglich, zum großen und gestalteten Wandbild zu kommen, zu dem die Gruppe um Hofer [...] voller Zielstrebigkeit kommt. Die Bildhauerei geht diesen ‚klassischen Weg‘ in aller Bewußtheit. Marcks und der Berliner Bildhauer Kasper scheuen sich nicht, direkt auf die archaische Antike zu deuten [...].“ Die expressive Form der Mo4 Karl Hofer, Kartenspielende Mädchen, um 1939, Öl auf derne auf der anderen Seite „ist Leinwand, 116,2 x 90,2 cm uns allen gegenwärtig, fast scheint es zu gegenwärtig, so daß sie uns das Klassische unserer Epoche schwerer erkennbar macht. Der große Vertreter dieser erregten und leidenschaftlichen Form ist Nolde, in ihm faßt sich all das mystische und leidvoll erregte dieser brennenden Zeit in seiner Weise noch einmal ganz voll zusammen“. In der Gegensätzlichkeit von Hofer und Nolde liege heute die deutsche Antithese der klaren Form und der expressiven Form und gestalte „die moderne deutsche Kunst“.63 Obwohl Haftmann die Vielfalt deutscher Kunstformen theoretisch verteidigte, die antithetische Spannung einer von oben verordneten Synthese vorzog, ist nicht zu übersehen, dass, mit Ausnahme von Emil Nolde, die von ihm genannten Künstler der Gegenwart (Hofer, Marcks, Kasper) gerade die Synthese von klarer und expressiver Form anstrebten und somit das äußere und innere Chaos durch einen „klassischen“ Formenkanon zu bändigen suchten. Als strukturelle Elemente dieser neuen „Klassizität“ führte Haftmann Begriffe wie „Reinheit“, „Stabilität und Sicherheit“, „Knappheit der Form“, „Einfachheit“ und „Größe der Empfindung“ an.

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Auch Max Beckmann wurde ein Jahr später von Hans Eckstein in der Zeitschrift „Kunst der Nation“ als Beispiel vorgestellt, wie in einer Person und in einem Werk die Synthese von seelischer Expression und klarer Form („Naturalismus gegen das eigene Ich“) gelinge: „Bei Beckmann trifft das bloß Visionäre glücklich mit einer starken formenden Energie und einem zupackenden Wirklichkeitssinn zusammen. [...] Beckmann wagte das Äußerste: die inneren Gesichte in die Sphäre des Realen zu rücken.“64 In seinem Artikel „Form und Wirklichkeit. Exkurs über deren Einheit in der modernen Kunst“ definierte Werner Haftmann gegen den biederen Pseudonaturalismus der NS-Kunst die Kunst der Moderne als „Synthese von Natur und Geist, von Wirklichkeit und Form“ im Begriff der „inneren Vorstellung“ des Künstlers als „autonomer Schöpfer“ seiner „Kunstanschauung“. Zitiert werden Barlach, Dix und Hofer. Barlach: „Jede Lauterkeit entquillt einem Bewußtsein des Wahren, ist nur persönlich formuliert, soviel Persönlichkeit, soviel verschieden gestaltete Wahrheit.“ Es ist bedeutungslos, so zitierte er Hofer, „ob ich einer aus der bildnerischen Vorstellung geborenen Vision die Erscheinung der Wirklichkeit verleihe [...] oder einer inneren Vorstellung Erscheinungsformen verleihe, denen in der gegenständlichen Welt nichts entspricht, also abstrakt mich ausdrücke [...]“.65 In einem dritten Artikel, „Geographie und unsere bewußte Kunstsituation. Abhandlung zur Frage des West-Östlichen“, definierte Haftmann die Aufgabe der deutschen Kunst darin, vorbildlich für Europa die Synthese aus westlichen und östlichen Einflüssen zu leisten. Dabei ließ er zeitbedingt oder auch aus innerer Überzeugung keinen Zweifel daran, dass die östliche Inspiration die westliche rationale Formfindung dominiere und überwinde. Franz Marc und der „Blaue Reiter“ „sagte[n] innerlich Nein zum Westen und orientierte sich – Schicksalsbestimmung der Geographie – östlich. [...] Selbstverständlich verwandte auch Marc die Strukturformen westlichen Malens, aber die innere Form (innere Malabsicht) löste sich vom westlichen Denken los, indem sie über die rationale Anschauung eine metaphysisch-pantheistische setzte. Sie gab also zum Werk des westlichen Malens einen dem Fremden neuen Wert hinzu, der innerlich deutsch und absichtsvoll so war. Indem diese eine Absage zum Westen aber so war, wurde das Östliche nun in einem ganz neuen Sinne bewußt, dem Westen war man in der Auseinandersetzung entraten, nun stand groß und fremd der Osten vor dem deutschen Künstler und rief zur Auseinandersetzung“. Die von den deutschen Künstlern zu leistende westöstliche Synthese habe nichts zu tun mit einer wechselnden Übernahme westlicher oder östlicher Gestaltungsprinzipien, sondern sei eine „innerlich notwendige und eigengewachsene deutsche Form. [...] Unsere heutige Kunst geht diesen Weg unbeirrt. Ihre Distanzierung vom Westen ist fast ganz allgemein. Dafür erlebt man neu die Leidenstiefe und Empfängnisweite des östlichen Menschen. Barlach, dessen Anschauung und innere Haltung weithin im Östlichen vorstieß, ist einer der

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5 Emil Nolde, Hohe Wogen, 1940, Öl auf Leinwand, 67 x 87 cm

Zentralpunkte im Bewußtsein dieser modernen Kunstabsicht. Und so ist es mit der tieferen Kraft Noldes, so ist es mit dem späten Rohlfs und mit unseren jungen Malern, wie Werner Scholz usw. Ihre Fülle der Sendung ist so deutscher Art wie nur etwas, sie ist aber auch zukünftiger Art, weil sie das europäische Bild der Kunst neu gruppiert, es nicht mehr westlich verlagert, sondern deutsch zentralisiert und als deutsche Sendung West und Ost unter seine Einheit begreift, unter der Einheit der west-östlichen Synthese“.66 Hier ist viel von Sendung, Gesinnung, deutscher Art, aber auch von einer europäischen westöstlichen Synthese die Rede. Vor dem Hintergrund der rassistischen Einstellung des NS-Staates zu den „slawischen Untermenschen“, die im künftigen Krieg ausgerottet oder zumindest versklavt werden sollten, liest sich Haftmanns Essay wie ein humanistisches Programm für die zukünftige Kunstentwicklung. Auch nach 1945 hielt er fest an seiner neu gefundenen und erarbeiteten Balance zwischen Expression und Klassizität. In seiner repräsentativen Gesamtdarstellung der „Malerei im 20. Jahrhundert“ von 1954 blieb er bei seinen kosmisch-meta-

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physischen Harmonievorstellungen einer Einheit von Ich und Welt und überging, mit Ausnahme von Jackson Pollock, alle wichtigen Vertreter des abstrakten Expressionismus wie Arshile Gorky, Barnett Newman, Mark Rothko, Mark Tobey, die jede Form klassischer Komposition, auch die geometrische Abstraktion, zugunsten einer unhierarchischen, offenen und prozessualen Form der Malerei ablehnten, die Elemente des psychischen Automatismus gegen das kalkulierende Komponieren einbezog. 6 Emil Nolde, Friesengehöft am Kanal, 1935, Öl auf Leinwand, Natürlich fehlen auch anarchisch Nolde Stiftung, Seebüll radikale Maler wie Jean Dubuffet und Jean Fautrier. Pollock und Wols werden von Haftmann nur unter der Rubrik „Psychographie“ registriert, sie stehen am Rande der Kunst im Grenzbereich von Hoch- und Laienkunst in „psychoanalytisch interessierten Zirkeln“. Diese zentralen Gedanken der Synthese in den hier vorgestellten drei frühen Aufsätzen von 1934 führte Haftmann weiter, als er die informelle Kunst der 1950er Jahre als geglückte Einheit einer rationalen, technikbejahenden, demokratischen Gesellschaft mit Elementen der Magie, des Archaischen und Mythischen interpretierte. In seiner Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts erwartete er von der Kunst seiner Gegenwart wieder, dass sie aus dem gesellschaftlichen und schöpferischen Chaos neue Realitäten herstelle, „Realitäten harmonikalen Charakters als rein in sich bestehende Farbform-Gefüge [...] Realitäten psychischen Charakters als Ausformungen menschlicher Innenwelt [...] Realitäten gesetzter Wirklichkeit, die den Setzungen der modernen Naturerkenntnis entsprachen“.67 Die Flüchtigkeit dieser „harmonikalen“ Malerei bedurfte metaphysischer Anker, wie sie der damalige „Jargon der Eigentlichkeit“ mit dem sich an ungezählte Substantive hängenden Wortteil „-grund“ bereithielt: „Erfahrungsgrund, Erlebnisgrund, Wirklichkeitsgrund, Seinsgrund, Bildgrund als Daseinsgrund etc.“68 Es kostete Haftmann aber noch im Vorwort des Kataloges zur documenta 1 größte Überwindung, das Thema der Nazivergangenheit überhaupt anzusprechen: „Da kommt man wohl nicht umhin, die schmerzhaften Erinnerungen anzurühren an jene jüngst vergangene Zeit, in der Deutschland aus der vereinten Anstrengung des

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modernen europäischen Geistes heraustrat, sich isolierte und in einem sehr seltsam anmutenden Anfall von Bilderstürmerei die bereits erreichten Ergebnisse dieser Anstrengung [...] verwarf. [...] Der Schaden wurde der Nation angetan. [...] Sie wurde durch den massierten Einsatz der Betörungsmittel der Massenglücksdogmen gerade aus jenem Kontinuum des Denkens herausgeschreckt.“69 Demnach hätten externe Invasoren die Deutschen betäubt und so eine zwölfjährige Auszeit vom „modernen europäischen Geist“ erzwungen. Nach dieser Erfahrung sei das deutsche Volk dank der modernen Kunst jetzt aber gefeit gegen die Sirenenklänge der „Massenglücksdogmen“, die jetzt aus dem kommunistischen Machtbereich herübertönten.

VI. Resümee Die Debatten um den Expressionismus vor und während des Ersten Weltkrieges, in der Weimarer Republik und nach der Machtübernahme durch das NS-Regime folgten alle einem Topos, nach dem allein die nichtklassische Gotik, die dem nordischen bzw. deutschen Formgefühle entspreche, einer ethischen Bewertung zugänglich sei, während die klassischen Kunststile der lateinischen Völker der Kategorie des Ästhetischen zugehörten. Von der deutschen Kunst erwartete man, dass sie wahrhaftig, ehrlich, ungeschönt sei. Vor allem in seinem Buch „Abstraktion und Einfühlung“ (1908) hatte Wilhelm Worringer das Germanische, das Gotische und den Expressionismus als überzeitlichen Ausdruck deutschen Wesens festgeschrieben.70 „Der griechische Mensch erschafft die Formen der Ruhe und des Glücks, der gotische Mensch die Formen der Unruhe und des Leidens“71, 7 Ernst Ludwig Kirchner, Selbstbildnis als Soldat, 1915 erklärte ein Jahrzehnt später

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auch der angesehene Kunsthistoriker Karl Scheffler. „Diese unnatürliche, d. h. nicht beim Gefälligen stehen bleibende, sondern zum Geistigen vordringende, diese häßliche, d. h. wahrheitswollende, diese rohe und gewaltsame, d. h. mutige und vor den schwersten Problemen nicht zurückschreckende Kunst wird immer die eigentliche deutsche Kunst sein“, schrieb Heinrich Viktor Simon, Herausgeber der liberalen Frankfurter Zeitung, 1919 über Max Beckmann.72 Beckmann galt damals als ‚letzter Gotiker‘. Der Primitivismus als Quelle der Expressionisten verband sich mit der rohen, vergeistigten Gotik des Mittelalters zum deutschen Stil. Die Nazis nutzen diese im Bildungsbürgertum verankerte Polarisierung des Stilgefühls für die Verbreitung ihrer rassistischen Ideologie: „Die Schönheit der Antike oder der italienischen Renaissance, an der wir unsere Kunstanschauung großgezogen haben, [...] ist uns wesensfremd, sie hat uns [...] die Augen verdorben. [...] Schönheit der deutschen Kunst ist innerlich ringende Sehnsucht, nicht äußerlich maßvolle Vollendung, und ihre Form umschließt den Gehalt oft zackig und kantig, oft schmerzhaft durchsichtig und unharmonisch im klassischen Sinne.“73 So fasste dies bereits 1923 der spätere Direktor der „Vereinigten Staatsschulen“ von 1943 bis 1945 zusammen.

Anmerkungen 1

Zit. nach Hans Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945, München 1981, S. 56, Anm. 4. 1923 initiierte Gustav Ferdinand Hartlaub unter den Künstlern eine Rundfrage „Ein neuer Naturalismus?“ (veröffentlicht im „Kunstblatt“ Paul Westheims), die in eine Ausstellung der „Neuen Sachlichkeit“ in der Kunsthalle Mannheim mündete (1925). Im gleichen Jahr erschien das Buch „Nach-Expressionismus“ von Franz Roh. 2 Schardt wiederholte den Vortrag am 10. Oktober 1933 zur Eröffnung seiner gegenüber Justi revidierten Hängung der deutschen Kunst. Er zeigte im Erdgeschoss Caspar David Friedrich und Blechen, in der Etage darüber Hans von Marées und Feuerbach und im dritten Geschoss schließlich Barlach, Lehmbruck, Feininger und Nolde, die Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“. Vgl. Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im Dritten Reich, Hamburg 1949, S. 33/34. 3 Bruno Erich Werner in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 11.7.1933. 4 „Wenn der Kapellmeister Klemperer die Tempi anders nimmt als der Kollege Furtwängler, wenn ein Maler in eine Abendröte einen Farbton bringt, den man in Hinterpommern selbst am hellen Tag nicht wahrnehmen kann, wenn man ein Haus mit flachem Dach baut, so bedeutet das ebenso Kulturbolschewismus wie die Darstellung eines Kaiserschnitts im Film. Kulturbolschewismus betreibt der Schauspieler Chaplin, und wenn der Physiker Einstein behauptet, daß das Prinzip der konstanten Lichtgeschwindigkeit nur

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dort geltend gemacht werden kann, wo keine Gravitation vorhanden ist, so ist das Kulturbolschewismus und eine Herrn Stalin persönlich erwiesene Gefälligkeit.“ (Carl von Ossietzky, in Die Weltbühne, 21.4.1931. Zit. nach Georg Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1914, Frankfurt am Main 1999, S. 280/281).   5 Zit. nach Oskar Schlemmer: „Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften“, Leipzig 1990, S. 273/274.   6 Bruno Erich Werner, geb. am 5.9.1896 in Leipzig, studierte Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie in München und Berlin. Von 1926 bis 1938 war er Redakteur für den Theater- und Kunstteil der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ in Berlin, dessen Leitung er später übernahm. Seit 1929 war er Herausgeber der Monatszeitschrift „Die neue Linie“.   7 Paul Fechter: „Der Zusammenbruch des Kunstbetriebes“, in Deutsche Rundschau 23/2, 1933, S. 9–12, hier 11. Zit. nach Magdalena Bushart: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990, S. 225.   8 Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, Fünftes Buch, Aphorismus 377, KSA 3, München 1999, S. 629.   9 Manifest des Futurismus, in Le Figaro, 20.2.1909. Zit. nach Eva Hesse: Die Achse Avantgarde-Faschismus. Reflexionen über Filippo Tommaso Marinetti und Ezra Pound, Zürich (o. J.), S. 229. 10 Hesse (o. J.) (wie Anm. 9), S. 10. 11 Vgl. die im März 1934 in den ehemaligen Räumen der Galerie Flechtheim am Lützowufer eröffnete Ausstellung „Aeropittura“. 12 Bruno Erich Werner unter dem Titel „Der Aufstieg der Kunst“ am 12.5.1933 in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. 13 Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I, KSA 2, S. 311. 14 Zit. nach Roland März: Apokalypse. In Ausst.-Kat. „das xx. Jahrhundert. ein Jahrhundert kunst in deutschland“, Nationalgalerie Berlin 1999, S. 72. 15 Franz Marc: Im Fegefeuer des Krieges, zit. nach Thomas Anz/Michael Stark (Hg.): Expressionismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909–1918, Stuttgart 1982, S. 304. 16 Franz Marc: Briefe aus dem Feld, Berlin 1940, S. 58. 17 Paul Westheim: Von den inneren Gesichten, in Das Kunstblatt, H. 1, 1. Jg., 1917, S. 1. „Das Kunstblatt“ erschien bis März 1933. Westheim musste 1933 emigrieren. Nach antifaschistischer Arbeit in Paris und Internierung ab 1939 gelang ihm 1941 die Flucht nach Mexiko. 18 Wilhelm Lehmbruck: Potsdam, Berlin 1919. 19 Carl Einstein: Negerplastik: Leipzig 1915, Nachdruck in: Carl Einstein Werke, Berlin 1980, S. 245–377.. 20 E. L. Kirchner: „In jedem Stamm steckt eine Figur, man braucht sie nur herauszuschälen.“ (Brief 1911 an den Kunstsammler Gustav Schiefler. Zit. nach „Skulptur des Expressionismus“, Ausst.-Kat. München 1984, S. 21).

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21 Vgl. zu Lehmbrucks Zugehörigkeit zum Expressionismus Dietrich Schubert: Die Kunst Lehmbrucks, Worms/Dresden 1990, S. 21/22: „Zugegeben ist die Phase um 1910 neuklassisch (klassizistisch, ja idealistisch), der expressionistische Bruch zu ‚Kniender‘ und ‚Emporsteigendem‘ 1913 aber exakt das, was seinerzeit als Expressionismus (des ‚neuen‘ Menschen) empfunden wurde (Zeugnisse von Däubler, Fr. von Unruh, Ehrenstein, Meidner).“ 22 Lehmbruck gegenüber Fritz von Unruh. Zit. nach Schubert 1990 (wie Anm. 21), S. 154. 23 Theodor Däubler: Der neue Standpunkt, Dresden-Hellerau 1916 (Neuausgabe: Fritz Löffler, Dresden 1957), zit. nach Schubert 1990 (wie Anm. 21), S. 157. 24 Theodor Däubler. Zit. nach Schubert 1990 (wie Anm. 21), S. 157. 25 Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik, München 1911. Vgl. Bushart 1990 (wie Anm. 7). 26 Wilhelm Worringer: Spätgotisches und expressionistisches Formsystem (1925), zit. nach Schubert 1990 (wie Anm. 21), S. 165. 27 W. Lehmbruck, zit. nach Eduard Trier: Lehmbruck – Die Kniende, Stuttgart 1958, S. 31. 28 Karl Scheffler: Der Geist der Gotik, Leipzig 1917, S. 15–21, 38, 89. 29 Ernst Jünger: Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin 1922, S. 32/33. Zit. nach Barbara Schaffellner: Unvernunft und Kriegsmoral am Beispiel der Kriegsneurose im Ersten Weltkrieg, Konturen politisch philosophischen Denkens 3, Wien 2005, S. 43. 30 Jünger 1922 (wie Anm. 29), S. 74. 31 Ernst Jünger: Die totale Mobilmachung, in ders. (Hg.): Krieg und Krieger (1930), zit. nach ders.: Politische Publizistik 1919 bis 1933, hg. von Sven Olaf Berggötz, Stuttgart 2001, S. 558–582, hier 559. 32 Ernst Jünger, zit. nach Manfred J. Foerster: Lasten der Vergangenheit. Betrachtungen deutscher Traditionslinien zum Nationalsozialismus, London 2006, S. 24, Anm. 13. 33 Ernst Jünger schreibt in einem Brief an Gerhard Günther vom 3.10.1930: „Die Zeit ist nämlich zu herzhaft, als daß ein alter Krieger wie ich nicht Morgenluft witterte und einige köstliche Anregungen verspürte. Ich wandele seit einigen Monaten um hundert Prozent aufgewertet mit einer apokalyptischen Schadenfreude herum, wenn ich an den europäischen Porzellanladen denke und an den Zyklon, dessen Zentrum sich mit mathematischer Präzision zu nähern beginnt.“ (zit. nach Sven Olaf Berggötz, Nachwort „Ernst Jünger und die Politik“, in Jünger 2001 (wie Anm. 31), S. 841. 34 Gottfried Benn: Gesammelte Werke I, München 1987, S. 240–256. 35 1907 in Deutsch Cekzin (Tucheler Heide in Westpreußen) geboren, wurde Schreiber infolge des Versailler Vertrages mit seiner Familie aus dem „polnischen Korridor“ vertrieben. Während seiner Schülerzeit war er Mitglied des katholischen Schülerbundes „Neu-Deutschland“. Nach dem Abitur in Deutsch Krone trat er der NSDAP und der SA bei und studierte von 1927 bis 1931 an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe (bei Oskar Moll, Otto Mueller und Alexander Kanoldt), kurz an der Akademie in Königsberg, dann an der Staatlichen Kunstschule in Berlin und als Gastschüler an den

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„Vereinigten Staatsschulen“. Sein gesamtes expressionistisches Frühwerk ist, bis auf wenige Stücke im Privatbesitz, durch Kriegseinwirkung verloren gegangen. Er starb 1978 als freischaffender Maler in Dormagen (vgl. Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 257, Anm. 1, und Dieter Scholz: Otto Andreas Schreiber, die „Kunst der Nation“ und die Fabrikausstellungen, in „Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler 1925–1937“, hg. von Eugen Blume und Dieter Scholz, Köln 1999, S. 92–108). 36 Fritz Hippler (1909–2002) wurde bereits als Oberschüler Mitglied der NSDAP, spielte schon bei der von Goebbels initiierten Bücherverbrennung eine führende Rolle und machte später unter Letzterem Karriere als Leiter der Filmabteilung im PropagandaMinisterium und 1942 als Reichsfilmintendant. U. a. produzierte er den antisemitischen Hetzfilm „Der ewige Jude“. 37 Vgl. Brenner 1963 (wie Anm. 35), S. 67. 38 Beiblatt zum Berliner Hochschulblatt Nr. 6 vom 14.7.1933. Zit. nach Andreas Hüneke: Der Versuch der Ehrenrettung des Expressionismus als „deutsche Kunst“ 1933, in Zwischen Widerstand und Anpassung. Kunst in Deutschland 1933–1945, Ausst.-Kat. Berlin 1978, S. 51. 39 Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) vom 10.7.1933. Kursive Stellen sind im Original gesperrt gedruckt. Zit. nach Brenner 1963 (wie Anm. 35), S. 67. 40 Nach einem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf war Weidemann ab März 1933 als Filmreferent im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda von Joseph Goebbels tätig. Ab 1933 leitete er das Kulturamt der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF), 1935 die Produktion der Wochenschauen, einem Hauptinstrument der NS-Propaganda. 41 Vgl. Eberhard Roters: Galerie Ferdinand Möller. Die Geschichte einer Galerie für moderne Kunst in Deutschland 1917–56, Berlin 1984. 42 Hippler, Schreiber und Weidemann wurden zwar vor ein Parteigericht gestellt, kamen aber dank Goebbels Protektion glimpflich davon. 43 Vgl. Brenner 1963 (wie Anm. 35), S. 70/71. In der Ausstellung waren laut Katalog 33 Künstler zu sehen, u. a. Ernst Barlach, Charles Crodel, Erich Heckel, Alexander Kanoldt, Georg Kolbe, Wilhelm Lehmbruck, Franz Lenk, August Macke, Franz Marc, Gerhard Marcks, Otto Mueller, Emil Nolde, Otto Pankok, Christian Rohlfs, Richard Scheibe, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Andreas Schreiber, Georg Schrimpf, Hans Weidemann. Trotz der Beteiligung so vieler prominenter Künstler urteilte Max Sauerlandt, der am 10. April 1933 als Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe „beurlaubt“ wurde, in einem Brief an seine Frau am 6. Juli 1933: „Übrigens ist die Ausstellung jämmerlich schlecht; was nützt es da, dass sie im Prinzip [...] richtig ist!“ (zit. nach Hüneke 1978 [wie Anm. 38], S. 52). 44 Rosenberg war 1927 von Hitler mit der Gründung eines NS-Kulturverbandes beauftragt worden, der 1929 erstmals als bewusst überparteilicher „Kampfbund für deutsche Kultur“

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gegen die Weimarer „Systemkultur“ in der Öffentlichkeit auftrat. 1933 wurde Rosenberg zunächst zum Leiter des „Außenpolitischen Amtes der NSDAP“ (APA), dann im Juni zum Reichsleiter (gleichrangig mit Ministern) ernannt. Ab Januar 1934 trat er in der Eigenschaft eines „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ auf und schuf eine neue Institution, die als „Amt Rosenberg“ bekannt wurde. Vgl. zum Machtkampf zwischen Rosenberg und Goebbels die Untersuchung von Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970. 45 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1930, S. 301. 46 Joseph Goebbels: Tagebuch, Bd. 2: 1930–1934, hg. von Ralf Georg Reuth, München 1992, S. 821. 47 Hans Weidemann an Dix, 14.7.1933, GNM, DKA, NL Dix, Otto, I.C 467, zit. n. Olaf Peters, Otto Dix. Der unerschrockene Blick. Eine Biographie, Stuttgart 2013, S. 205f. 48 Zit. nach Hüneke 1978 (wie Anm. 38), S. 53. 49 Zunächst kommissarisch, ab 1. Januar 1934 als offizieller Direktor. 50 Joseph Goebbels: Tagebuch, Bd. 2 (wie Anm. 46), S. 846. 51 (Wie Anm. 46), S. 846/847, Anm. 15 und 16. 52 Brenner 1963 (wie Anm. 35), S. 82. 53 Brenner 1963 (wie Anm. 35), S. 82/83. 54 Ernst Bloch: Gauklerfest unterm Galgen, in Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt am Main 1981, S. 85. 55 Die Zeitschrift erschien von 1. November 1933 (Nr.1/1. Jg.) zweimal monatlich (jeweils am 1. und 15.) bis zum 2. Februar 1935 (Nr. 4/3. Jg.) im Zeitungsformat mit sechs Seiten. 1935 hatte sie 3500 Abonnenten plus Einzelverkauf am Kiosk zu 0,30 Reichmark. Herausgeber und Schriftleiter war A. William König, Berlin. Der Verlag Kunst der Nation GmbH hatte seinen Sitz in Berlin W 62, Kurfürstenstraße 118. Vgl. Brenner 1993 (wie Anm. 35), S. 73. Vgl. dazu auch Stefan Germer: Kunst der Nation. Zu einem Versuch, die Avantgarde zu nationalisieren, in Kunst auf Befehl? 1933–45, hg. von Bazon Brock und Achim Preiss, München 1990, S. 21–40; Christian Saehrendt: „Die Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg, Stuttgart 2005. 56 Hans Dieter Schäfer: „Die nichtnationalsozialistische Literatur der jungen Generation im Dritten Reich“, in ders.: „Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–45“, München 1981, S. 58. 57 Otto Andreas Schreiber: „Fortsetzung des Expressionismus“, in Kunst der Nation, Nr. 7, 1.4.1934, S. 1. 58 Otto Heuschele: Nachwort zum „Almanach der jungen Generation auf das Jahr 1933: Jugend in Front vor dem Leben im Auftrag der Notgemeinschaft junger Autoren (NGJA)“, S. 238/239. Ein Mitglied der Anthologie, Waldemar Glaser, schreibt in seiner

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Eckhart Gillen

Kurzbiografie: „Zwischendurch nach dem Wandervogel SA-Mann und SA-Führer in Breslau.“ In der gleichen Anthologie ist auch Klaus Mann vertreten, der 1933 emigrieren muss und dafür von Gottfried Benn angegriffen wird. 59 Bernhard Diebold: Vorwort zu Frank Matzkes Buch „Jugend bekennt: so sind wir!“, Leipzig 1930, S. 3. Zit. nach Schäfer 1981 (wie Anm. 56), S. 22. 60 Geb. 1908, Schüler von Ernst Robert Curtius. In der Zeitschrift „Kunst der Nation“ publizierte er 1934 „Wird Frankreich nationalsozialistisch?“ (II. Jg., Nr. 9, 1934, S. 4), 1937 erschien in der „Kölnischen Zeitung“ in mehreren Folgen sein Essay „Das geistige Paris“ als Verteidigung der französischen modernen Kunst. Heute sei aber eine „Rückbesinnung“ zu spüren. Man mache sich wieder die „edle Einfachkeit der klassischen Überlieferung“ bewusst (vgl. Schäfer 1981 [wie Anm. 56], S. 23) In den 1950er Jahren wurde er bekannt mit den Büchern „Die Welt als Labyrinth“ (1957) und „Manierismus in der Literatur“ (1959). 61 Der offene Brief ist unter der Überschrift „Offene Antwort an einen jungen Menschen“ in der Zeitschrift „Das Tagebuch“, Jg. 11, Heft 27, Berlin, 5. Juli 1930, S. 1061–1070, erschienen. In seiner ersten Antwort (es folgten unter dem Titel „Führer für junge Wanderer durchs Labyrinth“ drei weitere Antworten) verweigerte Döblin die angetragene Führerrolle („vollkommen privater Mensch“) und setzte der „schauderhaften Lobpreisung der Aktion“ das Lob des Denkens als „einzig lebendige Wurzel jeder späteren Veränderung“ entgegen. Rückblickend erinnerte sich G. R. Hocke an seine Studienzeit: „Rechtsextremistische Studenten nahmen es mir übel, daß ich Döblin, einen Juden, als einen der ‚Führer‘ im geistigen Raum der Nation angesprochen hatte.“ (G. R. Hocke: „In Bonn 1930–32“, in Süddeutsche Zeitung, Jg. 34, Nr. 47, 25./26.2.1978, S. 106). Alle Zitate aus: Alfred Döblin 1878–1978. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar 1978, 4. veränderte Auflage 1998, S. 297–299. 62 Geb. 1912 in Posen; Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Göttingen und Berlin; ab 1936 Assistent am Kunsthistorischen Institut Florenz und Promotion über das „italienische Säulenmonument“, ab 1940 Soldat, 1950–1955 Dozent an der „Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Hamburg“, 1954 Publikation der zweibändigen „Malerei im 20. Jahrhundert“, Leiter der documenta I–III, 1967 bis 1974 Direktor der Nationalgalerie Berlin. 63 Werner Haftmann: „Zur Vielfältigkeit deutscher Kunst“, in Kunst der Nation, 2. Jg., Nr. 24, 2.12.1934, S. 1/2. 64 „Der Maler Max Beckmann“, in Kunst der Nation, 3. Jg., Nr. 4, 1935, S. 2. 65 Werner Haftmann, in Kunst der Nation, 2. Jg., Nr. 15, 1.8.1934, S. 1. 66 Werner Haftmann, in Kunst der Nation, 2. Jg., Nr. 20, 2.10.1934, S. 3/4. 67 Werner Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert, 2 Bde., München 1954/55. Zit. nach der 4. erweiterten Auflage 1965, Bd. I, S. 429. 68 Karl Markus Michel: Heiliger Lukas! Kritik der Kunstkritik, in Kunst-Betrieb, Kursbuch 99, März 1990, S. 136.

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69 documenta 1, Ausst.-Kat., Kassel 1955, S. 16/17. 70 Vgl. Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik, München 1922. Siehe besonders das Kapitel „Ästhetik und Kunsttheorie“, S. 10. 71 Karl Scheffler: Der Geist der Gotik, Leipzig 1917, S. 15–21, 38, 89. 72 Heinrich Viktor Simon, zit. n. Volker Gebhardt, Das Deutsche in der deutschen Kunst, Köln 2004, S. 439f. Simon zählte zu den engsten Frankfurter Freunden von Beckmann, bei dem er zeitweise wohnte. Er besaß Werke von Beckmann und schrieb auch unter anderem diesen Text über ihn. Als Jude musste er 1934 emigrieren. Beckmann traf ihn 1938 in London als er die Ausstellung „Twentieth Century German Art“ in den New Burlington Galleries besuchte. 73 Otto von Kursell: „Eigenes und Fremdes in unserer bildenden Kunst“, in Völkischer Beobachter, Nr. 188, 14.9.1923. Zit. nach Klaus Wolbert: Die Nackten und die Toten des „Dritten Reiches“. Folgen einer politischen Geschichte des Körpers in der Plastik des deutschen Faschismus, Gießen 1982, S. 94.

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„Das Monumentale [hat] nicht erst von bestimmten Größenmaßen an Geltung“ – Großplastik im Nationalsozialismus*

Der Begriff „monumental“ findet sich in zahllosen Publikationen zur Kunst der 1930er und 1940er Jahre. Die Frage, was im „Dritten Reich“ unter dieser Bezeichnung verstanden wurde, erklärt sich aus den Veröffentlichungen jedoch nicht. In die Ideologie des Nationalsozialismus hatte die Formulierung keinen Eingang gefunden, eine philosophisch-soziologische Diskussion darüber fand zu damaliger Zeit nicht statt. Daher ist man rückblickend auf allgemein zugängliche Begriffserklärungen angewiesen, um den bis heute inflationär gebrauchten Begriff einordnen zu können. Der Volksbrockhaus von 1934 etwa definierte „monumental“ als „groß, bedeutend“, der Duden von 1941 erklärte den Begriff mit „denkmalartig, gewaltig, großartig“ und umschreibt damit ziemlich simpel auch die von den Nationalsozialisten propagierte Kunst ihrer Epoche. Um die im „Dritten Reich“ geplanten, großdimensionierten Gebäude und Platzanlagen schmücken zu können, hatten sich die vorgesehenen künstlerischen Objekte diesen Größenverhältnissen anzupassen. Bildhauer, die derartige Dimensionen beherrschten, waren allerdings in nur geringem Maß vorhanden. Plastiker, die in der Kaiserzeit am damaligen „Denkmalsboom“ beteiligt gewesen waren, hatten in der Mitte der 1930er Jahre, als die ersten nationalsozialistischen Bauvorhaben ihrer Fertigstellung entgegensahen, ihren künstlerischen Zenit bereits überschritten. Den erfolgreichen Künstlern der Weimarer Zeit haftete dagegen zumeist das Verdikt der „Verjudung“ und „Entartung“ an. Das NS-Regime hatte daher für die Umsetzung der eigenen Vorstellungen nur die Möglichkeit, jüngere Künstler durch eine großzügige Auftragsvergabe an sich zu binden, in der Hoffnung, dass sich diese Talente in die gewünschte Richtung weiterentwickeln würden, um dann ihrerseits Vorbild für eine neue Generation Kunstschaffender zu werden. Daher war es auch noch im Jahr 1942 publizierte Meinung, „dass die Generation der nach 1900 Geborenen, wenn sie ihren geschichtlichen Auftrag erfüllen soll [...] ihren eigenen Ausdruck suchen muss.“1 Recht bald wurden einige Künstlernamen in der Presse, bei Wettbewerben und in Ausstellungen immer wieder genannt, von denen sich Josef Thorak und Arno Breker in der Bildhauerei als die beherrschenden Künstler entwickeln sollten. Sie erhielten die großen Aufträge und wurden in Berlin und München an die

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Akademien „berufen“, um Nachwuchs auszubilden. Allerdings blieben ihre Großprojekte unvollendet und ihre Schüler kennt heute in der Regel niemand mehr. Die ersten Planungen zur Umgestaltung deutscher Städte ermöglichten ab 1937 Auftragsvergaben an Bildkünstler in großem Umfang. In der Zeit davor, also zwischen 1933 und 1937, herrschte noch das übliche Prozedere in der Kunstszene mit Ausstellungen, allerdings in einem sich durch die Reichskammer der bildenden Künste verschärfenden Kontrollsystem und Wettbewerben für Einzelprojekte. Der Ausbau des „Reichsparteitagsgeländes“ in Nürnberg und der Bau der Reichskanzlei in Berlin markierten den Beginn der Vergabe großer Staatsaufträge vor allem an Arno Breker und Josef Thorak.2 Ob diese beiden bildenden Künstler aus politischer Überzeugung die ihnen zugedachte Rolle der künstlerischen Vorreiter des NS-Regimes übernahmen, lässt sich mangels publizierter Selbstäußerungen in dieser Zeit nicht eindeutig belegen. Die wandelbaren und stets 1 Arno Breker, Zehnkämpfer 1936, Bronze (Standort Haus des anpassungsfähigen Kunsterzeugnisse vor, während und nach Deutschen Sports, Reichssportfeld dem „Dritten Reich“ sowohl von Breker als auch von Thorak Berlin) lassen jedoch weniger eine ideologisch motivierte Bindung an die NS-Auftraggeber vermuten als vielmehr auf die Ausnutzung einer „einmaligen“ Karrierechance schließen.3 Als im Jahr 1938 die Figur „Prometheus“ von Arno Breker im Garten des Propagandaministeriums aufgestellt wurde und er den Auftrag zur Schaffung der Figuren „Partei“ und „Wehrmacht“ in der neuen Reichskanzlei erhielt, kennzeichnete dies erstmals ganz offiziell die herausragende Stellung Brekers innerhalb der Kunstlandschaft des „Dritten Reichs“. Bis dahin waren seine bemerkenswerten Erfolge, die so einem jungen, bis 1933 im Ausland lebenden Künstler eigentlich noch gar nicht anstanden, von seinen weniger beachteten Kollegen mit einem resignierten „wieder Breker“ bedacht worden.4 Sowohl die Berufung in die Jurys der Ausstellungen „Berliner Künstler in München“ 1935, der Weltausstellung in Paris und der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung in München 1937 wie auch die häufigen Auszeichnungen und Ankäufe seiner Wettbewerbseinreichungen5 zeigten schon früh seine bevorzugte Position in diesem Regime. Im Jahr 1937 war Breker in die Partei eingetreten6 und Hitler hatte ihm den Professorentitel verliehen. Ein Jahr später erfolgten dann die Berufung an die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ sowie der Baubeginn für sein Staatsatelier im Berliner Grunewald als überdeutliches Zeichen für die nunmehr etablierte Stellung Brekers innerhalb des „Dritten Reichs“. Die Kollegen registrierten dies sofort: „Arno Breker indessen bekommt

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[...] ein Atelier gebaut dafür, dass er die Muse verraten hat“, kommentierte Gerhard Marcks bereits im Juli 1938.7 Vorbei waren nun die Zeiten, in denen eine Jury es wagen konnte, eine Arbeit des Künstlers während der Entstehung zu kritisieren, wie es etwa bei seinem „Zehnkämpfer“ für das Olympiagelände im Jahr 1935 geschehen war. Hier hatte der noch weitgehend unabhängig agierende Kunstausschuss für die künstlerische Ausgestaltung des Reichssportfeldes immer wieder Bezug auf Brekers frühe Entwürfe zu der Figur genommen und in der Ausführung für das große Format mehrfach einen ruhigeren und statuarischen Figurenaufbau angemahnt. Zögerlich war der Bildhauer diesen Forderungen nachgekommen, mit dem für ihn betrüblichen Ergebnis, dass in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ 1936 dieses Werk „als noch nicht gänzlich von den Fesseln der Übergangszeit befreit“ bekrittelt worden war.8 Ein Jahr später hieß es dann aber doch, dass der „Zehnkämpfer“ als Sinnbild des 2 Entwurf der Soldatenhalle, innen mit Siegfried-Figur „neuen Körpergefühls“ von der NS-Propagvon Arno Breker, um 1939 anda anerkannt werde und die Figur die „Verwandlung unserer inneren Anschauung vom Bilde des Menschen“ ausdrücke.9 Nie wieder sollte Breker im „Dritten Reich“ eine solch ruhig stehende, formreduzierte männliche Figur in solch einem bescheidenen, leicht überlebensgroßen Format schaffen wie den „Zehnkämpfer“. Für die Zukunft waren Plastiken in deutlich größeren Formaten geplant, so im Rahmen des Ausbaus von Berlin zu „Germania“ u. a. Assistenzfiguren von 6 Meter Höhe für den Triumphbogen am Ende der Nord-Süd-Achse und den so genannten Führerbau am Runden Platz. Dazu kamen ein „Fackelträger“ von 30 Metern Höhe für den Runden Platz, ein „Siegfried“ von 17 Metern für die Soldatenhalle und die „Bereitschaft“ mit einem Maß von 12 Metern für das Mussolini-Denkmal am Adolf-Hitler-Platz. Allein die für den Innenraum des „Führerbaus“ konzipierten Frauenfiguren sollten das klassische, leicht überlebensgroße Maß von 2,2 Metern erhalten. Im Inneren der Gebäude war weniger imponierende Männlichkeit gefragt, sondern weibliche Geziertheit, die in der Regel durch eine Nähe zum Kitsch gekennzeichnet war.

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Josef Thorak, der gut zehn Jahre ältere Rivale Brekers um die Vorrangstellung in der Monumentalbildhauerei, hatte zu der Zeit, als Breker sich an die übergroßen Formate heranzutasten begann, bereits Routine mit Plastiken im öffentlichen Raum. Noch aus den 1920er Jahren stammten seine beiden in situ befindlichen Figuren „Arbeit“ und „Heim“, die eine Genossenschaftssiedlung in Berlin-Charlottenburg dekorieren und mit über 3 Metern Höhe bereits ein stattliches Maß aufweisen. Diesem Werk schlossen sich ab 1934 verschiedene Aufträge in der Türkei an, bei denen Thorak Entwürfe des kurz zuvor verstorbenen österreichischen Bildhauers Anton Hanak vollendete.10 Werke, wie die 3 Meter hohe „Boxer-Figur“ für das Reichssportfeld 1936 oder die ähnlich dimensionierten Figurengruppen für die Weltausstellung in Paris 1937 waren in Entwurf und Umsetzung für Thorak schon lange kein Problem mehr. Die Problematik für einen Bildhauer besteht bei Großplastiken im Handwerklichen darin, dass der Entwurf in 3 Arno Breker, Flora, um 1942, Gips einem kleinen Format erfolgt und die Vergrößerung – für Bronze (Verbleib unbekannt) abhängig von dem geplanten Endmaß – in mehreren Schritten vorgenommen wird, um die Modellierung den geänderten Verhältnissen anpassen zu können, wobei die maßstäblichen Veränderungen zumeist von Dritten ausgeführt werden. Bereits der Entwurf hat die spätere Sicht des Betrachters – nämlich bei sehr großen Formaten die Weit- oder die Untersicht – zu berücksichtigen. Dass nur recht wenige Bildhauer zu Beginn der NS-Zeit das große Format beherrschten, lag einerseits daran, dass in der Weimarer Republik mit dem Denkmalskult der Wilhelminischen Ära bewusst gebrochen worden war, anderseits aus finanziellen Gründen kaum Großprojekte für den öffentlichen Raum umgesetzt worden waren. Eines der ersten Bauprojekte nach 1933, das von der Bildhauerei wieder große Formate forderte, war, neben dem Neubau für die Reichsbank, für die Thorak etliche Reliefs entwarf, das Reichssportfeld in Berlin. Die Schwierigkeiten des dortigen Kunstausschusses, wirkungsvolle Bauplastiken für die großen Freiflächen auf dem Gelände zu erhalten, lassen sich aufgrund der kurzfristigen Beauftragung von Karl Albiker für die beiden Gruppen „Staffelläufer“ und „Diskuswerfer“ am Osteingang des Stadions erahnen. Erst im Dezember 1935 erging an den in Dresden lebenden Künstler die Aufforderung, diese Figuren zu schaffen. Er wurde zu diesem Zeitpunkt direkt angesprochen, da er an den nur eingeschränkt durchgeführten Vorwettbewerben nicht beteiligt worden war. Entsprechend schroff fielen die Kommentare des Bildhauers aus, der seit 1933 an der Dresdner Akademie unter einigen

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4a/b Josef Thorak, Arbeit und Heim, 1930, Muschelkalk (Standort: Knobelsdorffstrasse, Berlin)

Drangsalierungen zu leiden hatte. Er schrieb an den Freund und Philosophen Leopold Ziegler: „Man wird so systematisch kaltgestellt. Umso größer war mir die Genugtuung jetzt, dass ich noch vor zwei Wochen einen ganz großen Reichsauftrag für die Berliner Olympiade bekam. Ein Jahr lang haben sich alle möglichen Stopsler, die jetzt protegiert werden, an einer Aufgabe versucht, ohne Resultat, bis man schließlich auch noch so ein altes Pferd wie mich aus dem Stall ließ. Aber die schönste Zeit ist verpasst & mir bleiben für die Aufgabe noch knapp 7 Monate. In der Zeit soll ich 4 Figuren á 5 Meter hoch in Stein hinstellen! Gigantisch und in die Zeit passend. – Wie das wird weiss ich nicht.“11 Josef Thorak war übrigens von dem Kunstausschuss des Reichssportfeldes für die bildhauerische Ausgestaltung des Olympiageländes nicht in Erwägung gezogen worden. Werke von ihm wurden lediglich außerhalb des geplanten Figurenprogramms aufgestellt, nachdem den Ausschussmitgliedern deutlich gemacht worden war, dass Thoraks Kunst vom „Führer“ geschätzt werde. So ergibt sich für die Zeit in der Mitte der 1930er Jahre die Situation, dass es angesichts der Bauaufgabe Reichssportfeld einen Bedarf an Großplastikern gibt, dieser jedoch mit jungen Künstlern – wie Arno Breker, Willy Meller oder Adolf Wamper, um nur drei an den Wettbewerben zum Olympiagelände beteiligte Künstler zu nennen – nicht zur Zufriedenheit der verantwortlichen Jury zu decken war. Josef Thorak, der die Dimensionen beherrschte, wurde von diesem Gremium jedoch

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als nicht geeignet angesehen. Da im Zusammenhang mit den Olympiabauten von dem Architekten Werner March stilistisch eine sehr bald verpönte formreduzierte Statuarik bevorzugt worden war, galt der Meister der „thoraxwütigen Muskelberge“12 hier als nicht erwünscht. Daher griff der Kunstausschuss, ungeachtet der politischen Einflussnahmen, auf einen bewährten Großplastiker der 1920er Jahre zurück, nämlich Karl Albiker, der das Format bewältigen konnte und auch noch den künstlerischen Vorstellungen für das Olympiagelände entsprach. Das Beispiel Reichsportfeld verdeutlicht damit zum einen, dass um die Mitte der 1930er Jahre auch bei offiziellen Großprojekten noch immer nicht klar entschieden war, welche Stilrichtung den NS-Staat illustrieren sollte. Zum anderen wurde das Dilemma der nationalsozialistischen Kulturpolitik deutlich, nicht über ausreichend Künstler zu verfügen, die im Sinn des Regimes arbeiteten. Ideologisch wurden bestimmte Künstler, wie hier Karl Albiker, nicht gern gesehen. Mangels Alternativen griff man jedoch immer wieder auf sie zurück. So sollte es für den gesamten Verlauf des „Dritten Reichs“ auch bleiben, was diesem Regime eine vielfältigere Kunstszene bescherte als eigentlich offiziell erwünscht war. Angesichts der geschilderten Situation darf es nicht verwundern, dass die Ausstellung „Meisterwerke der Plastik“, die im Jahr 1940 einen Überblick über die aktuelle Großskulptur geben sollte, gerade einmal sieben Künstler präsentierte, von denen einzig Breker nicht mehr im 19. Jahrhundert geboren war. Trotzdem folgte die Ausstellung einem klar formulierten Anspruch: Als eine im „Auftrag des Staates“ erfolgte „Wiedergeburt der Plastik“ werde auf der Ausstellung ein „neuer plastischer Stil“ vorgestellt, der mit einem „inneren geistigen Auftrag der Zeit, einem weltanschaulichen Inhalt [...] ein Idealbild plastischer Körperlichkeit als Sinnbild neuer Lebensbejahung“ schaffe. Dabei sei an die Stelle des „knabenhaften und zarten Ideals des Klassizismus des 19. Jahrhundert die „sieghafte Männlichkeit einer in ihrer metallischen Geschliffenheit ‚stählernen Klassik‘“ getreten.13 Obwohl die Schau die „Renaissance der neuen deutschen Plastik“ demonstrieren sollte, die „in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufbruch einer neuen monumentalen Baukunst“ stehe,14 arbeiteten nur drei der ausgestellten Künstler wirklich an Bauprojekten des NS-Staates mit. Arno Breker und Josef Thorak hatten Aufträge für Nürnberg und „Germania“ und Josef Wackerle für das Teehaus Hitlers am Obersalzberg. Karl Albiker war nur mit zwei kleineren Arbeiten präsent, von Fritz Klimsch, Georg Kolbe und Richard Scheibe wurde eine ausstellungsübliche Werkauswahl, die Groß- und Mittelformate vereinte, gezeigt, wobei ein Großformat bei diesen Künstlern selten über ein Maß von 2,2 Metern hinausging. Im Zusammenhang dieser vom Amt Rosenberg ausgerichteten Schau erstaunt zu diesem Zeitpunkt die Presseberichterstattung. Obwohl bereits seit mehreren Jahren die Kunstkritik von der Kunstbetrachtung ersetzt worden war, finden sich doch einige kritische Stimmen zu dieser Ausstellung.15 Gerade die Gegenüber-

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stellung von altbewährten, auch international anerkannten Künstlern, wie etwa Georg Kolbe, mit den bevorzugten Plastikern des NS-Regimes, Breker und Thorak, musste Kunstjournalisten förmlich zu vergleichenden Kommentaren herausgefordert haben, standen doch Werke „verhaltener Lyrik“ und stiller Autonomie, ohne „entschiedene Geste“16, im Vergleich mit Arbeiten eines neuen plastischen Stils, der „das Monumentale und Heroische“ in einer „besonders klare[n] Ausprägung“ zeigte.17 Kolbes Werke etwa verdeutlichten in diesem Vergleich sein Vermögen, auch im Großformat Körperlichkeit lässig und natürlich 5 Georg Kolbe, Stehender Jüngling, wirken zu lassen. Und Scheibes 1938, Bronze Exponate führten seine Art der (Standort: Kaiserswerther Str., überfeinerten, fast zart modellierDüsseldorf, ehemals ten Männerfiguren vor. BeschreiFlakabteilung Bonn, abgeb. Modell, bend hieß es zu diesen Werken in Standort Georg6 Richard Scheibe, Denker, der Presse: „In Georg Kolbe verehKolbe-Museum, Bronze, 1937 (Standort: ren wir den großen Meister absoBerlin) Georg-Kolbe-Museum Berlin) luter Harmonie des menschlichen Körpers, dessen innere und äußere Haltung restlos übereinstimmt. Der Körper gehorcht fast unbewusst einer inneren Stimme, mit der er in so unbedingtem Kontakt steht, dass jede Übersteigerung einen Missklang ergeben, die Verbindung zerreißen müßte. [...] Sein Ziel [ist es], den Körper ganz in die Leitung einer gefestigten Seele zu geben. Das gleiche Ziel verfolgt auch Richard Scheibe, doch empfindet man bei ihm als leitende Kraft, mehr als die Seele, den Gedanken, der den Takt in seiner männlichen Beherrschung ausprägt.“18 Diesen Figuren, die einer gemäßigten Moderne angehörten, standen die einer konträren Kunstauffassung entstammenden, auf Effekt konzipierten Modelle von Thorak und Breker, etwa das Relief „Kameraden“ oder die Reiterfigur „Fahnenträger“, recht unvermittelt gegenüber.

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Natürlich sind auch Kolbes und Scheibes Aktfiguren abstrahiert und somit keine Abbilder ihrer Modelle. Jedoch ist bei aller Zurücknahme der Details, Berechnung der Pose und Kalkulation der künstlerischen Absicht hinter den Menschenbildern immer ein Individuum spürbar. Im Gegensatz dazu präsentieren sich die allein schon im Format übersteigerten Plastiken Brekers und Thoraks als Figuren, die auf eine rein schematische Darstellung reduziert wurden. Vor allem die Besprechung der 7 Josef Thorak, Fahnenträger, 1940, Gips bronziert (Verbleib Ausstellung „Meisterwerke der Plasunbekannt) tik“ von Fritz Hellwag in der Zeitschrift „Kunst“ ist unter diesem Aspekt bemerkenswert, da er die schablonenhafte Monumentalisierung vorsichtig thematisiert: „Sichtbar wird dies, [die veränderte Zielsetzung der Kunst bei Thorak und Breker, J. G.] in kraftstrotzender Steigerung der Mittel und Maße. Es ist alles Männlichkeit in der ausgeprägtesten Form, mit allen in diesem Prinzip in künstlerischer Hinsicht liegenden Gefahren. Diese werden ausgeglichen, indem zwecks Überhöhung des Körperlichen an die Stelle des Seelischen das Heroische gesetzt wird, eine Einwirkung also, die das Persönliche der Einwirkung eines Gemeinschaftsentschlusses unterwirft und nicht mehr auf die eigene Stimme, nur noch auf den Ruf des großen Willens horchen lässt.“19 Hellwag sieht also sehr genau, dass der Nationalsozialismus auf die Ent-Individualisierung der Gesellschaft hinarbeitet und die Kunst im öffentlichen Raum diese Entwicklung zur Volksgemeinschaft bebildern soll. Unter den Bedingungen einer strengen Zensur und möglichen Denunziation solch vergleichende Analyse zu veröffentlichen, verlangte auch von einem Kulturjournalisten bereits Courage.20 Aber auch von älteren Künstlerkollegen wurde die neue Entwicklung der Bildhauerei, die sich auf effektvolle Kontur und große Formate konzentrierte, kritisch verfolgt. Als Leiter eines Meisterateliers an der Akademie der Künste sparte beispielsweise Richard Scheibe nicht mit Kritik an der staatlicherseits favorisierten Kunst und ihren Machern. Von Amts wegen wurde er immer wieder aufgefordert, als Gutachter bei Stellenbesetzungen oder Auftragsvergaben zumeist jüngere Kollegen zu beurteilen. Der Alt-Meister nahm dabei kein Blatt vor den Mund, nicht selten wurden seine deutlichen Gutachten von dem Vorsitzenden der Abteilung

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Bildende Kunst, Arthur Kampf, in schöne Worte verpackt oder abgeschwächt. Mangelnde künstlerische Bildung, fehlende Ernsthaftigkeit und das Schielen auf den Effekt waren dabei die häufigsten Kritikpunkte Scheibes. Bei den Werken Adolf Wampers etwa kritisierte er noch 1940 den „äußerlichen Reiz der angestrebten dekorativen Wirkung und allegorischen Gestaltung. [...] Leider ist aus den letzten Arbeiten von Wamper, der an sich ein guter Lehrer für dekorative Plastik sein würde, zu erkennen, dass er schon an der Grenze eines gewissen Manierismus steht“.21 Solch eine Kritik an leerem Pathos war jedoch vergeblich, angesichts der starken Protektion einer vornehmlich im Format großen Plastik durch die Partei. Selbst zu den Bildhauer-Präsentationen auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen finden sich noch vereinzelt kritische Stimmen, die jedoch nach 1940 immer seltener werden und schließlich von fast identischen, beschreibenden Artikeln abgelöst werden. Der warnende Hinweis, dass auch kleiner dimensionierte Plastiken eine monumentale, also denkmalartige bzw. beeindruckend-überwältigende Wirkung haben könnten, wurde schlicht ignoriert. Die „gleichmäßig beherrschte Kühle“22 der einander immer ähnlicher werdenden, stehenden Aktplastiken setzte sich – bei einem sehr wohl konstatierten „Verlust mancher [...] künstlerischer Werte“ – immer stärker durch.23 Wobei natürlich die forcierte Presseberichterstattung über die beiden Hauptvertreter der NS-Bauplastik verantwortlich für die Omnipräsenz der Monumentalplastik in der Öffentlichkeit und damit auch in der Wahrnehmung der Menschen war.24 Aber auch in Zahlen messbar nahm die Produktion großer Plastiken bei fast allen Bildhauern zu.25 Natürlich wurde versucht, Thorak und Breker nachzueifern, um vielleicht ebenfalls von den üppigen öffentlichen Aufträgen und Ankäufen zu profitieren. Gerade junge Künstler hofften aber auch, mit einer stilistischen Anpassung an die Staatskünstler in Kriegszeiten eine Chance zur Freistellung vom Fronteinsatz zu erhalten, die in der Regel für einen „kriegswichtigen“ öffentlichen Auftrag erteilt wurde. Nicht selten waren es gerade die Schüler von Thorak und Breker, die die begehrten Bescheinigungen zur Unabkömmlichkeit erhielten, weil sie ihren Lehrern bei den „kriegswichtigen“ Arbeiten für Nürnberg und Berlin helfen mussten. Von Thorak ist bekannt, dass er unter seinen Studenten in München Klassenwettbewerbe austragen ließ, die von ihm persönlich finanziell honoriert wurden. Zudem verhalf er den „Gewinnern“ dieser internen Konkurrenzen zu kleineren Veröffentlichungen und möglicherweise zu Teilnahmen an den Großen Deutschen Kunstausstellungen.26 Als Indiz dafür mögen die Beteiligungen junger Bildhauer aus seiner Klasse gelten, wie Matthias Lautenbacher, geboren 1914, der 1939 sowie von 1941 bis 1944 in München ausstellte, Günther Rossow, geboren 1913, der 1941 auf der Ausstellung vertreten war, und Georg Brenninger, geboren 1910, mit Teilnahmen in den Jahren 1942 bis 1944.27

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Den entscheidenden Vorteil für die männlichen Studenten bot jedoch die Aufforderung, im Staatsatelier in Baldham an dem Aufbau und den Vergrößerungen der Modelle für die öffentlichen Aufträge mitzuarbeiten. Zunächst war es nur ein beliebter Nebenverdienst, später aber eben auch die Möglichkeit, durch eine UK-Stellung die Kriegsteilnahme herauszuzögern bzw. immer wieder einmal unterbrechen zu können. Dafür lohnte es sich dann auch, den Meister zu imitieren, wie es sich bei dem Breker-Schüler Bernhard Heiliger, geboren 1915, in Berlin gut beobachten lässt. Sein „Herabsteigender Mann“, dessen Verwandtschaft zu Brekers „Prometheus“ nicht zu übersehen ist, war in der Herbstausstellung der Preußischen Akademie der Künste 1941 zu sehen. Heiliger wurde nach Intervention Brekers im Herbst 1942 nach einem dreivierteljährigen Kriegseinsatz in Russland bereits wieder UK gestellt. Nach Abschluss der Meisterschülerprüfung arbeitete Heiliger ab 1943 zusammen mit seinem Kommilitonen Georg Kruk dann außerhalb Berlins in Wriezen, in den fabrikähnlichen Hallen der „Bildhauerwerkstätten Arno Breker GmbH“.28 Dort wurden die Vergrößerungen der 8 Bernhard Heiliger, Modelle für Brekers Monumentalplastiken vorgenommen, ausgeführt Großer Herabschreitenvon 46 Mitarbeitern, darunter etliche Kriegsgefangene.29 Anders als die der, 1939/40, Gips Thorak-Schüler mussten die beiden Absolventen der Breker-Klasse (Verbleib unbekannt) jedoch nicht an den Vergrößerungen und Gipsabgüssen mitarbeiten, sondern konnten eigene, freie Arbeiten ausführen. Obwohl natürlich auch Thorak über Steinmetze und Gipsformer als Hilfskräfte in seinem Atelier verfügte, hatte er einen nicht so üppig ausgestatteten Fabrikbetrieb wie sein Konkurrent und war daher phasenweise auf studentische Mitarbeit angewiesen.30 Trotz der relativen Erfolge durch die frühen Beteiligungen an überregionalen Ausstellungen hörte man in späterer Zeit kaum noch etwas von den Schülern der Klassen Thorak und Breker. Die Ära als Hochschullehrer war bei beiden Bildhauern auch denkbar kurz. 1937 bzw. 1938 berufen, übten sie ihre Lehrtätigkeit maximal sechs Jahre aus. 1943, spätestens 1944 stellten die Hochschulen kriegsbedingt ihren Unterricht ein.31 Trotz der eher geringen Bezahlung – knapp 500 Mark im Monat waren für Breker bereits Ende der 1930er Jahre kaum mehr als ein Taschengeld32 – nahmen sie ihre Aufgabe durchaus ernst. Einmal wöchentlich gaben beide Korrektur, was dem durchschnittlichen Arbeitsaufwand an der Akademie entsprochen haben dürfte. Den Klassen wurden Aufgaben gestellt, die ganz traditionell akademisch vor allem handwerkliches Basiswissen vermittelten. Beide Staatskünstler waren auch nicht weniger abwesend oder engagiert als arrivierte Lehrer in anderen Zeiten. Und doch scheinen sich in ihren Klassen hauptsächlich nachahmende

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Epigonen mit wenig eigenschöpferischer, künstlerischer Kraft versammelt zu haben. Die auf mehr Eigenständigkeit bedachten Studenten besuchten andere Klassen, etwa die von Wilhelm Gerstel, der bereits in den 1920er Jahren ein angesehener Lehrer gewesen war. Viele junge Bildhauer hatten auch einfach andere Vorbilder. Lediglich zwei Namen aus den Klassen von Thorak und Breker erarbeiteten sich später einen Ruf, der für eine selbständige Formensprache stehen sollte: Bernhard Heiliger und Georg Brenninger. Aber nur von Heiliger ist die Schülerschaft bei einem ehemaligen NS-Staatskünstler seit längerer Zeit bekannt, der sich bereits im Entnazifizierungsverfahren von Arno Breker kritisch über seinen ehemaligen Lehrer geäußert hatte.33 Heiliger wie Brenninger schlossen sich später dem allgemeinen Trend des Verschweigens und Beschönigens des eigenen Lebenslaufs an und erwähnten nach dem Krieg die Jahre in den Ateliers von Josef Thorak und Arno Breker nie. Auch wenn Heiliger und Brenninger, die beiden namhaftesten Schüler dieser Zeit, später ganz andere Richtungen mit ihrer Kunst einschlagen sollten, so gehören sie zu den wenigen Bildhauern nach 1945, die großformatige Werke für den öffentlichen Raum entwerfen und umsetzen konnten. Die Erfahrung im Umgang mit so großen Dimensionen haben beide unbestreitbar bei ihren Lehrern Thorak und Breker gelernt. Somit lebte wohl ein klein wenig Monumentalismus, zumindest im handwerklichen Sinn, im Werk der beiden fort. Im Allgemeinen kehrte die Bildhauerei nach dem NS-Regime wieder zu ihren Prinzipien der autonomen Skulptur zurück, wobei die im NS-Regime als „Vätergeneration“ bezeichneten, um 1880 geborenen Künstler die Zeit der späten 1940er und frühen 1950er Jahre deutlich mitgestalteten. Erst danach wurde die Figurenbildnerei im „Dritten Reich“ und ihre Pervertierung durch einen maßlosen Monumentalismus hinterfragt.

Anmerkungen * Ludwig Baer: Die Große Deutsche Kunstausstellung, in Fränkischer Kurier, 27. Juli 1940. 1 Kurt Lothar Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, München 1942, S. 48. 2 Zu den Großaufträgen für Breker und Thorak vgl. Josephine Gabler: Auftrag und Erfüllung. Staatsbildhauer im Dritten Reich, in Ausdrucksplastik. Bildhauerei im 20. Jahrhundert, hg. von Ursel Berger, Berlin 2002, S. 78–85. 3 In diesem Sinn auch Oliver Rathkolb: Ganz groß und monumental. Die Bildhauer des Führers: Arno Breker und Josef Thorak, in Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1956, hg. v. Jan Tabor, Wien/Baden 1994, S. 586–591. Zu den Lebensumständen der Künstler vgl. Jürgen Trimborn: Arno Breker. Der Künstler und die Macht, Berlin 2011 sowie Hermann Neumann: Der Bildhauer Josef Thorak, Untersuchungen zu Leben und Werk, Diss. München 1992. Arno Breker veröffentlichte eine Autobiografie, in der er vehement jede politische

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Bindung an die Nationalsozialisten bestritt, sogar eine Einflussnahme auf seine Kunst durch die Partei bzw. die nationalsozialistische Ideologie wies er weit von sich. Vgl. dazu Arno Breker: Im Strahlungsfeld der Ereignisse. Leben und Wirken eines Künstlers. Porträts, Begegnungen, Schicksale, Preußisch-Oldendorf 1972.   4 Die Briefe des Bildhauers Joachim Karsch 1933–1945, hg. v. Fritz Sonntag, Berlin 1948, S. 12.   5 Dazu gehören seine Wettbewerbserfolge z. B. in Bayreuth beim „Haus der deutschen Erziehung“ 1935, in Berlin für die „Dietrich-Eckart-Bühne“ (Waldbühne) 1935, in Stettin für das Provinzial-Ehrenmal von Pommern 1935, in Hannover am Maschsee 1936 und in München für den Königlichen Platz 1938.   6 Breker selbst hat in seinem Entnazifizierungsverfahren und auch später immer wieder bestritten, in die Partei eingetreten zu sein und behauptete, die Mitgliedschaft sei ihm ohne sein Wissen verliehen worden. Auch die Verleihung des „Goldenen Parteiabzeichens“ zu seinem 40. Geburtstag im Jahr 1940 sei ihm nicht bewusst gewesen. Vgl. dazu zusammenfassend Trimborn 2011 (wie Anm. 3), S. 155/156.   7 Gerhard Marcks an Erich Consemüller, 1.7.1938, in Gerhard Marcks. Briefe und Werke, ausgew., bearb. und eingel. von Ursula Frenzel, München 1988, S. 99.   8 Zit. nach Waldemar Hartmann: Berliner Bildhauer von Schlüter bis zur Gegenwart, in Nationalsozialistische Monatshefte, Dezember 1936, o. S. Vgl. zur Diskussion um Brekers „Zehnkämpfer“ auch Josephine Gabler: Skulptur in Deutschland in den Ausstellungen zwischen 1933 und 1945, Phil. Diss. FU Berlin 1996, S. 85/86   9 Werner Hager: Bildwerke der Gegenwart, in Die Tat 3 (1937), S. 909–912, hier 910. 10 Vgl. dazu Neumann 1992 (wie Anm. 3), S. 135/136, 183–206. 11 Karl Albiker an Leopold Ziegler, 29.12.1935, zit. nach Sigrid Walther: Eine Göttin für den „Tempel der Gesundheit“, Dresden 1996, S. 14. 12 So bezeichnete der Journalist Anton Dietrich die Plastiken von Josef Thorak auf der Großen Deutschen Kunstausstellung 1939. Vgl. Anton Dietrich: Strenge und gelöste Form, in Stuttgarter Neues Tageblatt, 22/23.7.1939. 13 Vgl. Robert Scholz im Vorwort des Ausstellungskatalogs „Meisterwerke der Plastik“, Künstlerhaus Berlin 1940, S. 3–6. 14 Scholz 1940 (wie Anm. 14). 15 Vgl. dazu Gabler 1996 (wie Anm. 8), S. 157/158. 16 Berliner Bericht der Frankfurter Zeitung: Spiel und Ernst, in Frankfurter Zeitung, 8.7.1940. 17 Robert Scholz: Meisterwerke der Plastik, in Völkischer Beobachter München, 6.7.1940. 18 Fritz Hellwag: Meister der Plastik, in Kunst für Alle, September 1940, S. 282–288, hier 283/284. 19 Hellwag 1940 (wie Anm. 18), S. 287. 20 Gerade Breker verfolgte sehr genau Zeitungsberichte zur Bildhauerei. Nicht selten beschwerte er sich bei Albert Speer über ihm unangemessen erscheinende Veröffent-

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lichungen, was eine peinliche Befragung des betroffenen Journalisten zur Folge haben konnte. So gab es beispielsweise Beschwerden zu Artikeln in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ im Juni 1940 sowie in der „Frankfurter Zeitung“ im August 1941. Vgl. BA Berlin 4606/552 sowie 4606/24, s. a. Trimborn 2011 (wie Anm. 3), S. 254. 21 Gutachten über Adolf Wamper vom 8.10.1940, Stiftung Archiv Akademie der Künste, PrAdK Nr. 950. Vgl. auch Josephine Gabler: Richard Scheibe – der Lyriker unter den Monumentalbildnern, in Nymphe und Narziss. Der Bildhauer Richard Scheibe, hg. v. Ursel Berger, Berlin 2004, S. 117–128, hier 124/125. 22 Ludwig Baer: Die Große Deutsche Kunstausstellung, in Fränkischer Kurier, 27.7.1940. 23 Wilhelm Rüdiger: Kündung und Bekenntnis. Gedanken zur Plastik im Haus der Deutschen Kunst, Völkischer Beobachter München, 30.7.1940. 24 Von Thorak gab es allein seit der Gründung der NS-Zeitschrift „Kunst im Dritten Reich“ im Jahr 1937 bis zum Jahr 1943 jährlich mehrere ganzseitige Abbildungen seiner Werke. Die massive Bildberichterstattung zur Arbeit von Arno Breker in dieser Zeitschrift setzte im Jahr 1938 ein und endete ebenfalls im Jahr 1943. Dazu kamen weitere umfassende Berichte in anderen Printmedien sowie Wochenschau-Filme zur Arbeit der beiden Bildhauer. 25 Vgl. dazu Gabler 1996 (wie Anm. 8), S. 130–132. 26 Neumann 1992 (wie Anm. 3), S. 291–293. 27 Vgl. www.gdk-research.de 28 Mark Wellmann: Bernhard Heiligers Leben und Werk, in Bernhard Heiliger 1915–1995. Monographie und Werkverzeichnis, hg. v. Marc Wellmann. 29 Trimborn 2011 (wie Anm.3), S. 273–284. 30 Neumann 1993 (wie Anm.3), S. 419–422. 31 Zu München vgl. Winfried Nerdinger: Fatale Kontinuität: Akademiegeschichte von den zwanziger bis zu den fünfziger Jahren, in Thomas Zacharias: Tradition und Widerspruch. 175 Jahre Kunstakademie München, München 1985, S. 179–203, hier 193. Zur Berliner Hochschule vgl. die Chronologie in Christiane Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988, S. 274/275. 32 Die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ führten Breker 1938 mit 5500 RM in der Gehaltsliste, vgl. UdK-Archiv, Bestand 8 VS, Akte Dienstbezüge. 33 Vgl. dazu Wellmann 2005 (wie Anm. 28), S. 29.

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Käthe Kollwitz und die Zäsur von 1933. Eine Darstellung anhand ihrer Selbstzeugnisse

„1933. Das Dritte Reich bricht an.“1, notierte Käthe Kollwitz in ihr Tagebuch. Dieser kurze Satz leitete die erste Eintragung seit mehreren Monaten ein. Die Unterbrechung der Tagebucheinträge, die mit dem politischen Umbruch einherging, markierte für den professionellen Handlungsspielraum von Käthe Kollwitz eine entscheidende Zäsur. In dieser Zeit verlor sie sukzessive den Zugang zur Öffentlichkeit und wurde somit aus dem deutschen Kunstbetrieb verdrängt. Käthe Kollwitz gehörte zu den wenigen bildenden Künstlerinnen, die sich im Kunstmilieu zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchsetzen konnten. Bezeichnend ist, dass nicht nur ihren Werken, sondern auch ihrer Person umfassende Beachtung geschenkt wurde und immer noch wird.2 Die öffentliche Anerkennung erreichte zur Zeit der Weimarer Republik ihren Höhepunkt. Fiel der Name Kollwitz in den zeitgenössischen Ausstellungsbesprechungen, so galt er vielfach als Zeichen für künstlerische Qualität. Man könnte sogar behaupten, dass um ihre Person ein Mythos entstand, der immer noch fortlebt. Zentrale Elemente dieses Mythos sind zum einen der maternale Verlust und die damit verbundene emotionale Aufarbeitung sowie zum anderen die Auseinandersetzung mit dem Leid und der Ohnmacht der Arbeiterschichten. Kollwitz wurde von den Zeitgenossen als eine politische, ja sozialdemokratische oder gar kommunistische Künstlerin gedeutet. Diese Rezeption wirkte sich auf die Darstellung ihrer Position zur Zeit der NS-Herrschaft aus. Doch wie positionierte sich Kollwitz zur Kulturpolitik des nationalsozialistischen Regimes? Angesichts der Ausstellungseröffnung „Berliner Bildhauer von Schlüter bis zur Gegenwart“ an der „Akademie der Künste“ im November 1936 schrieb Kollwitz ihrer Freundin Beate Bonus-Jeep: „Wie ich nun gestern in die alten Räume kam und unter den vielen Arbeiten meine sah und sie behaupteten sich, war ich doch sehr froh. Das Mitschwingen können ist so schön und lebendig, und traurig ist es, ausgeschlossen zu sein. Man ist doch eben ein Blatt am Zweig, und der Zweig gehört zum ganzen Baum, und wenn der Baum hin und her weht, ist das Blatt befriedigt, auch mitzuwehen.“3 Anhand dieses Zitats werden mehrere Aspekte deutlich. Erstens durfte Kollwitz zur Zeit des Nationalsozialismus künstlerisch arbeiten und ihre Arbeiten wurden

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1 Käthe Kollwitz Selbstbildbildnis, 1934

sogar für Ausstellungen eingeplant. Jutta Bohnke-Kollwitz, die Enkeltochter von Käthe Kollwitz, verweist in den Kommentaren zu der Tagebuchedition auf die Ausstellung der GEDOK Frankfurt 1936 und die Ausstellung der Reichs-GEDOK 1941, bei der Arbeiten von Kollwitz verkauft wurden.4 Zweitens demonstrierte Kollwitz mit der Blattmetapher ihr Bedürfnis, durch ihre künstlerische Arbeit zu einer

Käthe Kollwitz und die Zäsur von 1933

Gemeinschaft zu gehören. Und drittens scheint der Zugang zu dieser Gemeinschaft für Kollwitz nicht barrierefrei gewesen zu sein, schrieb sie doch von der Freude des „Mitschwingenkönnens“ und der Trauer über das Ausgeschlossensein. Denn Käthe Kollwitz gehörte zu den Künstlern, für die die politische Entwicklung ab 1933 eine schwerwiegende Zäsur für ihren künstlerischen Handlungsspielraum bedeutete. Bereits 1933 musste sie aus der „Preußischen Akademie der Künste“ austreten. Inwieweit der Wunsch nach dem „Mitschwingen“ auch politischen Opportunismus barg und zu welchem „Gemeinschaftsbaum“ Kollwitz dazugehören wollte, darum soll es im Folgenden gehen. Um diese Fragen zu beantworten, soll die Haltung der Künstlerin zum nationalsozialistischen Regime und ihre Stellung unter diesem Regime einer genauen historischen Analyse unterzogen werden. Welche Position nahm sie zur nationalsozialistischen Kulturpolitik ein und wie positionierte sie sich in ihrer eigenen Stellung dazu? Im Mittelpunkt des Aufsatzes steht also die Frage nach der Situation von Käthe Kollwitz innerhalb der nationalsozialistischen Kultur sowie nach den damit verbundenen Spannungen und Anpassungsprozessen. Meine These lautet, dass das Verhältnis zwischen den Zielsetzungen und Durchsetzungsstrategien nationalsozialistischer Kulturpolitik und den Intentionen von Käthe Kollwitz vom gegenseitigen Erdulden und zugleich gegenseitiger Ablehnung geprägt war. Wie die Aushandlung zwischen diesen beiden Polen verlief, werde ich in erster Linie anhand von Forschungsliteratur und den damaligen Pressestimmen einerseits und anhand der Selbstzeugnisse von Käthe Kollwitz andererseits darstellen. Zu diesen Selbstzeugnissen gehören sowohl (von Jutta Bohnke-Kollwitz publizierte und kommentierte) Tagebücher und Briefe5 der Künstlerin als auch Archivmaterial. In der historischen und kunsthistorischen Forschung der letzten Jahre wird die politische Stereotypisierung von Kollwitz zunehmend kritisch beleuchtet, wie die Publikationen von Alexandra von dem Knesebeck6 und Gudrun Fritsch zeigen.7 Mit ihrem Aufsatz über Bildhauerinnen im Nationalsozialismus demonstriert Ute Seiderer, dass das Konzept der geistigen Mutterschaft eine zentrale Rolle in der nationalsozialistischen Kunstrezeption spielte. Seiderer8 erklärt damit die ambivalente Haltung der nationalsozialistischen Kulturpolitik zur Person und zum Werk von Käthe Kollwitz. Die eingangs gestellte Frage nach Position und Positionierung von Kollwitz im nationalsozialistischen Staat wurde von der (historischen und kunsthistorischen) Forschung trotz der aktuell anwachsenden Auseinandersetzung mit den Künstlern im Nationalsozialismus im Spannungsfeld der NS-Kulturpolitik9 jedoch bisher nur gestreift. Um diese Frage zu beantworten, skizziere ich zunächst kurz die Biografie der Künstlerin. Darauf aufbauend stelle ich Position und Positionierung der Künstlerin zur Zeit ihrer höchsten Anerkennung in der Weimarer Republik der Zeit nach 1933 gegenüber. Mit diesem zeitlichen Vergleich möchte ich die Zäsur, die der Nationalsozialismus für Kollwitz bedeutete, verdeutlichen.

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2 Käthe Kollwitz: Die Klage, 1938/40 Bronzerelief Tagebucheintrag: „Barlach stirbt am 24. Oktober 1938 im Krankenhaus in Rostock. Am darauffolgenden Donnerstag 27. ist eine Trauerfeier in Güstrow. Ich fahre hin. (...) Der Sarg steht in der Mitte des Raumes. Er ist feierlich und kostbar aufgebahrt. Ringsherum an den Wänden seine schweigenden Gestalten. (...) Über dem Sarge die Maske des Güstrower Engels.“ Käthe Kollwitz: Tagebücher (Oktober 1938), S. 692f. Bei dem Kopf des Güstrower Dom-Engels handelt es sich, nach der Erinnerung von Friedrich Schult an ein Gespräch mit Barlach, um ein „unwillkürliches“ Porträt von Käthe Kollwitz.

„Berlin 1941

Liebe Trude, als ich die beigelegte Arbeit (Beilage war eine photographische Aufnahme des Reliefs „Die Klage“) machte – sie ist schon drei Jahre alt – stand ich unter dem Eindruck von Barlachs Tod und dem furchtbaren Unrecht, das er erlitten hatte. Das furchtbare Unrecht, das Menschen einander zufügen, hat in den drei Jahren sich fortgesetzt. Ununterbrochen setzt es sich fort.“ (Käthe Kollwitz‘ Brief an Trude Bernhard von 1941, Briefe S. 109).

Käthe Kollwitz und die Zäsur von 1933

1. Biografie Kollwitz wurde 1867 in eine bildungsbürgerliche Königsberger Familie geboren. Ihre Ausbildung unterschied sich kaum von der anderer Frauen, die eine künstlerische Karriere einschlagen wollten. Günstig erwies sich dabei ohne Zweifel die frühe Förderung ihres beruflichen Werdegangs innerhalb der Familie. Ab ihrem 14. Lebensjahr erhielt Käthe privaten Zeichenunterricht. Nach einem etwa einjährigen Besuch der Damenakademie des „Vereins von Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin“ kehrte sie nach Königsberg zurück und erhielt weitere Malstunden. Ihre nächste Ausbildungsstation lag in der Kulturmetropole München, wo sie an einer privaten Künstlerinnenschule zwei Jahre lang überwiegend Malerei studierte. Sie heiratete den Kassenarzt Karl Kollwitz (1891) und zog mit ihm nach Berlin. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor, Hans (geb. 1892) und Peter (geb. 1896). Breite künstlerische Anerkennung errang Käthe Kollwitz mit ihrer graphischen Folge „Ein Weberaufstand“ auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1898. Dieser öffentlichen Anerkennung folgten zahlreiche weitere Würdigungen wie z. B. der Villa-Romana-Preis, Mitgliedschaften in anerkannten Künstlervereinigungen, Ausstellungen in renommierten Kreisen und Einladungen ins Ausland. Bereits in den Gründungsjahren wurde sie Mitglied der Berliner Secession und später auch, als erste Frau, deren Vorstandsmitglied. 1909 begann Kollwitz mit plastischen Arbeiten. Nachdem ihr jüngster Sohn Peter kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 22. Oktober 1914 als Freiwilliger in Belgien gefallen war, fasste Kollwitz den Entschluss zur Gestaltung des Mahnmals „Die trauernden Eltern“, das allerdings erst 1932 vollendet wurde. Der Tod des Sohnes hatte eine gewandelte Haltung der Künstlerin zum Krieg zur Folge. In einem offenen Brief, der am 30. Oktober 1918 in der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts“ erschien, richtete sich Kollwitz gegen den „Aufruf zum letzten Kriegsaufgebot“ des Hamburger Dichters Richard Dehmel. 1919 wurde Kollwitz zum Mitglied der „Preußischen Akademie der Künste“ ernannt und erhielt im selben Jahr den Professorentitel. 1928 übernahm sie in der Akademie die Leitung des Meisterateliers für Graphik (1928–1933). 2. Position und Positionierung in der Weimarer Republik Die Aufnahme von Kollwitz in die „Akademie der Künste“ stand für die kulturpolitische Distanzierung von der Wilhelminischen Ära. Die institutionelle Einbindung Kollwitz’ wurde als eine inhaltliche Neuausrichtung der Akademie inszeniert. Erstens stand diese Neuausrichtung für die Integration der Frauen in den akademischen Betrieb, zweitens für die weltanschauliche Abkehr von den schönen Künsten der Akademie des Kaiserreichs und drittens für die bewusste Entscheidung für eine volksnahe Kunst.

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Kollwitz war zwar nicht das erste weibliche Mitglied überhaupt, jedoch die erste Frau, die seit längerer Zeit aufgenommen wurde.10 Ihre Ernennung setzte ein „wichtiges gesellschaftspolitisches Signal in Richtung einer veränderten Akademiekultur in der jungen Republik“11. Bei der Rezeption von Kollwitz’ Werk wurde gerade im Kaiserreich und besonders in der Weimarer Republik das Konzept der geistigen Mutterschaft als ein Element des weiblichen Kulturbeitrages herangezogen. Demnach seien die Leistungen von Männern und Frauen im kulturellen Bereich zwar gleichwertig, jedoch nicht gleichartig, da sie unterschiedlichen Quellen entsprängen. Aufgrund des Dualismus resultiere die Schöpfungskraft eines Künstlers aus dem Genie, das zu besitzen nur den Männern vorbehalten sei. Die Schöpfungskraft der Frau wurde der Mutterschaft zugesprochen. Geistige Mutterschaft bezog sich auf die kulturelle Aufgabe der Frau. Im Zusammenhang mit diesem Konzept wurde das Werk von Käthe Kollwitz als ein „verheißungsvolle[s] Symbol neuen Frauenschaffens“12 bezeichnet, das auf einer „tiefsterlebte[n] menschliche[n] Mütterlichkeit sozialer Art“13 basiere. In der Praxis war die Hierarchisierung nach Geschlecht innerhalb des Kunstbetriebes trotz der Bemühungen der Frauenbewegung und vieler Künstlerinnen also immer noch dominant. Gerade in der Nachkriegszeit wuchs die Popularität von Kollwitz. Die öffentliche Rezeption konzentrierte sich dabei vor allem auf ihre künstlerische und ideologische Haltung zum Krieg. Der Interpretationsrahmen ihres Werkes bezog Werte wie Frieden, Trauer, Mutterschaft, maternalen Verlust und dessen Aufarbeitung mit ein – Werte, die einen breiten Anklang in der Bevölkerung fanden. Weit entfernt von der Rolle der „Neuen Frau“, die sich der langen Kleider entledigte und selbstbewusst die Lust am Leben nach außen trug, wurde Kollwitz mit einem anderen Frauenbild assoziiert: dem der Mutter, deren Glück in den Kindern liegt. Diese Wertorientierung, angesiedelt jenseits des modernistischen Umbruchs, sorgte für den öffentlichen Zuspruch einer Gesellschaft, die von dem Kriegserlebnis tief bewegt war. Diese öffentliche Anerkennung ihrer Arbeiten galt Kollwitz als eines der zentralen Ziele ihrer künstlerischen Arbeit. Die Sorge um die öffentliche Würdigung durchzog die Selbstzeugnisse der Künstlerin. Fast panisch klingen ihre Worte anlässlich der Ausstellung zu ihrem 50. Geburtstag: „Die Ausstellung muß etwas bedeuten, denn alle diese Blätter sind Extrakt meines Lebens. Nie hab ich eine Arbeit kalt gemacht [...], sondern immer gewissermaßen mit meinem Blut. Das müssen die, die sie sehn, spüren.“14 Obwohl ihr zeitweise die Berühmtheit lästig war, genoss Kollwitz die damit zusammenhängende Anerkennung: „Ein Versiegen meines Namens würde mich wohl sehr niederdrücken. Mein Seufzen und Stöhnen über die Lasten des Bekanntseins sind ein bißchen kokettes Gerede. Ich sollte nun mal spüren wie das ist, wenn niemand nach mir fragt. Verwöhnt wie ich jetzt bin, würd ich es schwer aushalten,

Käthe Kollwitz und die Zäsur von 1933

wenn der Begriff ‚Käthe Kollwitz‘ aufhörte zu existieren, wenn der Name nicht Respekt und Anerkennung bedeutete.“15 Nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihr Name wurde mit sozialen Werten assoziiert. Diese Geltung ihres Namens nutzte sie gelegentlich, um sich politisch in der Öffentlichkeit zu positionieren. Um eine nationalsozialistische Mehrheit bei den Wahlen am 21. Juli 1932 zu verhindern, unterschrieb Kollwitz mit ihrem Ehemann und vielen anderen Künstlern und Schriftstellern zusammen den „Dringenden Appell“ zum Zusammenschluss von SPD und KPD.

3. Zäsur 1933 Der gleiche Appell wie 1932 erfolgte erneut 1933 im Vorfeld der Wahlen am 5. März 1933, den Kollwitz ebenfalls unterzeichnete. Diese Unterschrift hatte direkte Konsequenzen für ihre Position an der Akademie. Dieser drohte die Schließung, sollte sie sich nicht von Kollwitz und Heinrich Mann distanzieren und deren Austritt erwirken. Die veränderte politische Situation bereitete dem Ehepaar Kollwitz dementsprechend Sorge. Um möglichen Verhaftungen zu entgehen, verbrachten sie mit der befreundeten Familie Wertheimer Ende März 1933 zwei Wochen im tschechoslowakischen Marienbad. Es ist durchaus denkbar, dass sie in dieser Zeit die dauerhafte Emigration erwogen. Die Wertheimers emigrierten 1933 direkt von Marienbad in die USA. Die Ausreiseabsichten des befreundeten Ehepaares konfrontierten Karl und Käthe Kollwitz mit der Möglichkeit der Emigration, wie in dem folgenden Zitat angedeutet wird. Über die Ereignisse der ersten Monate der nationalsozialistischen Herrschaft notierte Kollwitz Ende Juli den eingangs zitierten Satz in ihr Tagebuch: „1933. Das Dritte Reich bricht an.“ Sie schloss weitere Ausführungen an: „[Juli 1933] Am 30. Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler. Dann alles Schlag auf Schlag. 15. Februar müssen Heinrich Mann und ich aus der Akademie austreten. Verhaftungen und Haussuchungen. Ende März auf zwei Wochen nach Marienbad, dort mit Wertheimers. Mitte April kommen wir zurück in fester Absicht zu bleiben. Vollkommenste Diktatur [...] In ganz Deutschland existiert nur noch die NSDAP. Es gibt keine Zeitung, die andere Meinung vertritt. Gleichschaltung. Unterdes lebt man und arbeitet. Ich bin an der plastischen Gruppe ‚Mutter mit zwei Kindern‘, Ende September muß ich Akademie Atelier geräumt haben. Die Arbeit geht von der Hand.“16

Dieser Ausschnitt ist in zwei Sinnabschnitte aufgeteilt. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der Auflistung von Ereignissen zwischen dem 30. Januar und dem 1. Juli 1933. Hier thematisierte Kollwitz schlagwortartig politische Ereignisse, die sich auf sie oder ihr Umfeld auswirkten. Der erste Satz „Das Dritte Reich bricht an“ fungiert bei dieser Aufzählung als eine Art Überschrift. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt durch das Wort „Gleichschaltung“. Politische Gleichschaltung scheint

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dabei als ein Bruch für die Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft zu fungieren. Dieser Auszug wirkt wie eine sachliche Schilderung ohne direkte Wertung oder Begründung. Dieser Schreibstil unterscheidet sich deutlich von dem anderer – vorheriger sowie nachfolgender – Tagebucheinträge. Es ist also möglich, dass diese sachliche Auflistung Kollwitz dazu gedient hat, die zentralen Ereignisse zwar zu erwähnen, sich jedoch gleichzeitig von ihnen emotional zu distanzieren. Auf der anderen Seite kann diese Formulierung gerade für die Tiefe der emotionalen Betroffenheit stehen, die durch die sich überschlagenden Ereignisse hervorgerufen wurde. Die Künstlerin nannte diese geradezu in einem Atemzug, vermutlich von dem Schrecken intensiv bedrängt. Die fehlende direkte Wertung scheint nur oberflächlich zu sein. Der direkte Vergleich mit den anderen Tagebucheinträgen illustriert das Entsetzen, mit dem Kollwitz die „Vollkommenste Diktatur“ beschrieb. Im zweiten Teil des Auszuges beschäftigte sich Kollwitz mit ihrem Alltag. Ihre Arbeitssituation änderte sich zwar, doch behinderte sie das nicht im Arbeitsprozess. Leben und Arbeit bestehen während und trotz der nationalsozialistischen Herrschaft fort. Ihr Ehemann und sie kamen „in fester Absicht zu bleiben“ nach Berlin zurück, um weiterhin diesen Alltag nach Möglichkeit zu leben. Im Mittelpunkt stand für Käthe Kollwitz dabei das künstlerische Arbeiten, was ihr, wenn auch mit Einschränkungen,17 zugebilligt wurde. Die Uneindeutigkeit, mit der sich die nationalsozialistischen Institutionen besonders in den ersten Jahren gegenüber Kollwitz positionierten, zeigt sich in den Reaktionen der nationalsozialistischen Presse auf Kollwitz’ Austritt aus der Akademie. Während der Ausschluss von Heinrich Mann von der politischen Rechten begrüßt wurde, reagierte der große Teil der rechten Presse mit Bedauern auf Kollwitz’ Ausschluss. So hieß es in der „Berliner Börsenzeitung“ vom 16. Februar 1933: „Käthe Kollwitz ist zwar Kommunistin, aber sie ist eine volkshafte deutsche Künstlerin. Wir bedauern es sehr, dass sie sich so leidenschaftlich für Kommunismus einsetzt. Die deutsche Künstlerin möchten wir trotz diesem Irrtum, wenn auch nicht mit all ihren Werken, für das ganze deutsche Volk erhalten wissen.“18 Die ihr zugeschriebene politische Orientierung wird in diesem Fall kritisiert. Diese sei dennoch kein Grund, Kollwitz gänzlich abzulehnen, so der Autor. Als „volkshafte deutsche Künstlerin“ stelle sie einen Bestandteil der Volksgemeinschaft dar. In einem Artikel aus dem „Reichsboten“ wird die Kritik nicht an Kollwitz als Person geübt, sondern an deren vorgeblicher politischer Orientierung: „Reichsbote“, 17. Februar 1933: „Bei Heinrich Mann ist die Situation ganz klar. Er hat stets zu den ‚Dichtern‘ gehört, die sich an nationaler Würdelosigkeit nicht genug tun konnten. [...] Anders liegt der Fall bei Käthe Kollwitz. Ohne Zweifel ist sie eine große Künstlerin, die es in meisterhafter Weise verstanden hat, ein Bild der leidenden Menschheit zu zeichnen. Es ist bedauerlich, dass diese hochbegabte Künstlerin, sich zur parteipolitischen Propaganda mißbrauchen ließ. Man wird auch in Zukunft ihre

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große Begabung von ihrem merkwürdigen politischen Verhalten unterscheiden müssen. Unsere Achtung wird der Künstlerin Käthe Kollwitz entgegengebracht werden.“19 Der „Reichsbote“ stellt die kritisierte politische Haltung Kollwitz’ nicht als deren persönlichen Fehler dar. Vielmehr sei sie ein Opfer der „parteipolitischen Propaganda“. Die künstlerischen Leistungen von Kollwitz werden dagegen sehr positiv hervorgehoben. Zwischen der politischen Person Kollwitz und der Künstlerin Kollwitz wird unterschieden. Die positive Beurteilung steht dabei im Mittelpunkt. Um dies hervorzuheben, dient die Ablehnung von Heinrich Mann als Gegenpol.

4. Position und Positionierung im Nationalsozialismus An diesen beiden Ausschnitten wird die ambivalente Haltung der zunehmend gleichgeschalteten Presse im nationalsozialistischen System deutlich. Diese Ambivalenz lässt sich auch bei den anderen Instanzen des Regimes beobachten. Isabell Kasztelan und Helen Kiesewetter schreiben in ihrem Aufsatz über die Stellung von Ernst Barlach im Nationalsozialismus, dass die Ausstellungen „Entartete Kunst“ und Große Deutsche Kunstausstellung schließlich jedem Künstler deutlich gemacht hätten, auf welcher Seite stehend er vom Staat gesehen wurde.20 Käthe Kollwitz war bei keiner der beiden Ausstellungen vertreten und somit laut dieser Kategorisierung weder zu den gänzlich anerkannten noch zu den eindeutig verfemten Künstlern über die gesamte Bestehenszeit des Regimes hinweg gehörig. Die Sanktionen erfolgten unsystematisch, nicht rigoros, es gab immer wieder Ausnahmen, wie Bohnke-Kollwitz anmerkt. Besonders in den ersten Jahren genoss Kollwitz stärkere Freiheiten und beteiligte sich sogar an den Akademieausstellungen.21 Nach ihrem Austritt aus der Akademie, durfte Käthe Kollwitz bis 1. Januar 1934 das Akademieatelier in dem Gebäude der Berliner Kunsthochschule in der Hardenbergstraße, das sie als Vorsteherin des Meisterateliers seit ihrer Anstellung 1928 bezogen hatte, auf einen Verlängerungsantrag hin nutzen, da ihre plastische Arbeit zunächst in einen transportierbaren Zustand gebracht werden musste. Danach setzte sie ihre Arbeit in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße fort. Um diesen Platz musste sich die Künstlerin jedoch zuvor bewerben. Wie sie der Bildhauerin Gertrud Weiberlen schreibt: „Die Bewerbung geht nicht etwa darum, daß man es umsonst bekommt, sondern daß man es mieten darf, es ist in einem städt. Gebäude.“22 Nach dem Umzug in das neue Atelier konnte Kollwitz weiterhin plastisch arbeiten und hatte darüber hinaus noch Möglichkeiten zum fachlichen Austausch mit Künstlern der Gemeinschaft. Das Atelier von Ludwig und Ottilie Kaspar bot den Mitgliedern der Gemeinschaft einen Treffpunkt, um auch über tagespolitische Themen zu sprechen,23 wenn auch die Mehrheit der Künstler der Gemeinschaft nach den Worten von Herbert Tucholski kein reges Interesse an der Politik zeigten. Vertreten waren dort jedoch sowohl überzeugte Nationalsozialisten als auch Gegner

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des Regimes.24 Zu solchen wurde seitens der nationalsozialistischen Behörden auch Käthe Kollwitz gezählt. Die politische Beurteilung des Gau-Personalamtes Berlin der NSDAP vom 14. September 1937, die an den Landesleiter Berlin der Reichskammer der bildenden Künste ging, behauptete, dass Kollwitz nach „der Machtübernahme [...] in keiner Weise versucht [hat,] den nationalsozialistischen Belangen mindestens nach außen hin gerecht zu werden. Sie scheint von den kommunistischen Ideen so stark beeinflußt zu sein, dass eine ehrliche Umstellung unmöglich ist“.25 Trotz dieser Bedenken über ihre politische Zuverlässigkeit, wurde sie in die Reichskammer der bildenden Künste aufgenommen und war damit berechtigt, weiterhin künstlerisch tätig zu sein. Die Kritik richtet sich ausschließlich gegen die politische Haltung von Kollwitz, nicht gegen ihr künstlerisches Vermögen. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstler/-innen erhielt sie nie ein Arbeitsverbot. Um 1935 erfolgte laut Bohnke-Kollwitz ein inoffizielles Ausstellungsverbot. Dieses äußerte sich darin, dass die Werke von Kollwitz zunehmend aus den staatlichen Galerien und Museen entfernt wurden, so beispielsweise am Vortag der Ausstellungseröffnung aus der Akademieausstellung „Berliner Bildhauer von Schlüter bis zur Gegenwart“ im November 1936. Die für 1937 geplante Ausstellung zum 70. Geburtstag der Künstlerin in der Galerie von Karl und Josef Nierendorf wurde von den Veranstaltern abgesagt.26 Die genauen Gründe sind nicht bekannt, doch befürchteten diese vermutlich politische Repressalien.27 Die Pläne von Kollwitz, mit Unterstützung des dorthin emigrierten Kurt Harald Isensteins in Kopenhagen auszustellen, zerschlugen sich.28 Schließlich wurde die Geburtstagsausstellung im Sommer 1937 in der Buchhandlung von Karl Buchholz realisiert. Wie lange die Ausstellung bei Buchholz bis zu ihrer Schließung durch die nationalsozialistischen Behörden zu sehen war, ist nicht bekannt.29 Dazu schreibt Kollwitz an Bonus-Jeep: „Von Nierendorf bis Buchholz ist freilich ein Schritt herunter. Aber so klein seine Ausstellungen sind, sie sind qualitativ immer gut, und daß es Sommer ist, schadet in seinem Fall nichts. Er hat immer das durchziehende Reisepublikum bei sich, und ich kann da wohl auf Verkäufe rechnen. Vor allem aber, er hat keine Angst, sich durch die Ausstellung zu schaden.“30 Es ist nach dem heutigen Forschungsstand unklar, wie dies im Einzelnen von den Veranstaltern oder von den Vertretern des NS-Regimes die Schließung der Ausstellungen oder das Entfernen der Arbeiten von Kollwitz aus den Gemeinschaftsausstellungen begründet wurde. Im gleichen Jahr zeigte Kollwitz in ihrem Atelier in der der Klosterstraße einige ihrer Arbeiten. Da in den vorliegenden Quellen nichts davon steht, dass diese Ausstellung im Atelier der Künstlerin von den Behörden verhindert werden sollte, wurde wohl durch das NS-Regime Kollwitz diese Form der öffentlichen Geltung zugestanden. Diese Beispiele zeigen, dass die Zweifel an der ideologiekonformen politischen Haltung von Kollwitz ihren künstlerischen Raum deutlich einschränkten. Die

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dadurch ausfallenden Verkäufe ihrer Bilder schädigten sie im finanziellen Sinne immens. Politische Verdächtigungen und nicht die Kritik am Inhalt oder der Gestaltungsweise von künstlerischen Werken führten die Künstlerin zu direkten Konfrontationen mit den Repräsentanten nationalsozialistischer Machtstrukturen. Dennoch kam es zu direkten Konfrontationen mit den Repräsentanten nationalsozialistischer Machtstrukturen. 1936 schrieb ein namenloser russischer Journalist einen Artikel über Kollwitz in der sowjetischen Zeitung „Iswestija“. In diesem Artikel wird die materielle Not der Künstlerin thematisiert, die im nationalsozialistischen Deutschland vom Zugang zur Öffentlichkeit abgeschnitten war. Als Folge dieser Veröffentlichung kam es zu Hausdurchsuchungen und Kollwitz wurde gezwungen, sich von diesem Artikel zu distanzieren. Kollwitz verfasste eine Erklärung, in der sie den Namen des russischen Journalisten wohl zu dessen Schutz wegließ. Interessant bei dieser Erklärung ist der von Kollwitz wiedergegebene Vorwurf der Beamten und die Reaktion der Künstlerin: „[...] Der Beamte sagte: Sie waren Kommunistin, Unabhängige u. Spartakusmitglied. Ich: Nein, ich war nichts davon, gehörte überhaupt keiner Partei an. Lege ihm dann meine Einstellung auseinander. Daß meine Arbeiten nie Arbeiten für eine Partei waren?, nur getragen von sozialem Gefühl. Daß neben diesen sozialen Arbeiten ich stets Arbeiten rein menschlicher Art gemacht habe u. je älter ich werde, nur solche mache. Beweis meine Plastik: Mutter mit 2 Kindern, die ich die Herren bitte sich anzusehen. [...]“31

Dieses Gedächtnisprotokoll diente wohl der Absicherung der Künstlerin gegen die drohenden Repressalien und war zudem die Grundlage für die seitens der Beamten geforderte Erklärung, die an die Presse gehen sollte. In diesem Protokoll gibt Kollwitz die Worte des verhörenden Beamten wieder. Hier ist es erneut ihre politische Haltung, die ihr vorgeworfen wird. Interessant ist dabei, dass dieser Vorwurf in der Vergangenheit formuliert ist. Lediglich die Vergangenheit könne somit der Künstlerin vorgeworfen werden, so die Worte, die Kollwitz dem Beamten in den Mund legt. Ihre Antwort entkräftet diesen Vorwurf. Weder sie selber noch ihre Arbeit seien irgendeiner Partei zugehörig. Ihre Absicht sei „rein menschlicher Art“. Als Beleg dafür diente ihre aktuelle Plastik. Mit dieser Argumentation entkräftet sie zudem die Brisanz des aktuellen Vorfalls, der die Unterredung mit dem russischen Journalisten. Dieses Gespräch stand, ihrer Darstellung nach, jenseits des politischen Kontextes und richtete sich somit nicht gegen das nationalsozialistische System. Die Absicht des Journalisten, die nationalsozialistische Kulturpolitik und damit das System zu kritisieren, hatte die Künstlerin nach ihrer Aussage nicht erkannt und sie distanzierte sich von ihr. Laut ihren Tagebuchnotizen wurde bei dem Verhör mit Konzentrationslager gedroht. Die Ernsthaftigkeit der Lage wird dadurch deutlich, dass Kollwitz Strategien ausarbeitete, falls diese Drohung tatsächlich in die Tat umgesetzt werden sollte. Es kam nicht dazu. Interessanterweise wurde dabei das Alter der Künstlerin für die

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relative Nachsichtigkeit der Behörden benannt. In dem von Kollwitz angefertigten Verhörprotokoll heißt es dazu: „D. Beamte schloß d. Verhör mit der Mitteilung, dass im Wiederholungsfalle in keiner Weise mehr Rücksicht auf m. Alter u.s.w. genommen werden würde, sondern ich mit Konzentrationslager bestraft werden würde.“32 Wenn auch in eingeschränkter Form, so bestand doch seitens der staatlichen Instanzen ein künstlerisches Interesse an dem Werk von Kollwitz, wie das folgende Beispiel zeigt. In der Zeitschrift „Frauenwarte“, die sich mit der Rolle der Frau im nationalsozialistischen Staat auseinandersetzte, erschien 1938 eine Lithographie von Kollwitz, die allerdings einem so genannten Herrn Frank zugeschrieben wurde. Unter dem richtigen Namen hätte die Lithografie kaum in der Zeitschrift, die der Verbreitung der nationalsozialistischen Propaganda diente, abgedruckt werden können. Dieser Umstand zeigt, dass sich auf der einen Seite die künstlerischen Inhalte vom NS-System adaptieren ließen, dass aber auf der anderen Seite die staatlichen Behörden den Namen Kollwitz nach dem inoffiziellen Ausstellungsverbot mieden. Die Reaktionen von Käthe Kollwitz, auf die staatlichen Repressionen geben wiederum einen aufschlussreichen Einblick in ihre Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. Das veranschaulichen mehrere Episoden. Zum oben genannten Plagiat äußerte sich Kollwitz in einem Brief an die befreundete Hamburger Bildhauerin Gertrud Weiberlen. Darin wog sie ihre Handlungsoptionen ab. Wenn sie sich für eine Richtigstellung entschied, hätte dies in der Öffentlichkeit den Eindruck ihrer Kollaboration mit den Nationalsozialisten erwecken können. Wenn sie generell gegen die Nutzung ihrer Bilder Einspruch erhob, bestand die Gefahr, dass dies „als neuer Beweis für mein Kommunistsein gedeutet werden“ könnte. Letztlich überwog Kollwitz’ Angst vor den staatlichen Repressionen, daher entschied sie sich für das Schweigen.33 Als Artur Bonus, ein Freund der Familie, sich in einem anonymen Aufsatz für ihren Verbleib in der Akademie einsetzte, antwortete Kollwitz: „Ich will und muß bei den Gemaßregelten stehen. Die wirtschaftliche Schädigung, auf die Du hinweist, ist eine selbstverständliche Folge.“34 Diese Aussage der Künstlerin illustriert die Tatsache, dass sie eine öffentliche Anerkennung durch die neuen Machthaber und damit eine gänzliche Rehabilitation ablehnte. Dass sie als „Gemaßregelte“ finanzielle Einbußen hatte, war für sie eine tragbare Konsequenz ihrer Haltung. Damit sprach sie sich klar gegen die Integration in die nationalsozialistische Kulturpolitik aus. Dennoch vermisste sie die öffentliche Anerkennung, die mit einer solchen Integration einhergegangen wäre. Das wird in aus ihrem Tagebuch und ihrer Korrespondenz deutlich. Der fehlende Zugang zur Öffentlichkeit stellte, nach der Anerkennung, die sie in den letzten Jahrzehnten erfahren hatte, eine Zäsur für sie dar.

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In einem Brief an ihre langjährige Freundin Annie Karbe schrieb sie: „Daß es nicht nur die letzte Zeit seit 33 ist, daß schon vorher eine gewisse Abwendung von meiner Arbeit stattfand, hab ich gewusst. Es ist jetzt nur eine verschärfte u. politisch betonte Ablehnung eingetreten. Sie bezieht sich hauptsächlich auf meine Graphik. Aber nun bin ich in den letzten zehn Jahren weitergekommen u. habe in der Plastik Arbeiten zustande gebracht die in meinem Werk Neues darstellen. Dieses Neue gewertet zu sehen ist mir wirklich ein Herzensbedürfnis. Ganz gewiß es läßt sich auch leben ohne Anerkennung. Nein, doch nicht! Wenigstens nicht glücklich sein. Der arbeitende Mensch braucht wie sein tägliches Brot die Verbindung, die anerkennende Verbindung mit seinen Mitmenschen. Wenn meine Arbeit keine Resonanz fände – ich glaube ich hörte auf. Nun ja, gut! sagst du, aufzuhören ist eben Bestimmung. [...] Vergessenheit kommt über jeden. Das weiß jeder. Über jeden, der nicht in der ganz ersten Reihe steht u. ich weiß, daß ich das nicht tue. Aber wehren tut man sich solange es eben geht, betätigen tut man sich.“ 35

Kollwitz und Karbe verband eine jahrzehntelange innige Freundschaft; sie sprachen viel und direkt über Persönliches. Kollwitz äußerte in diesen Zeilen das dringende Bedürfnis nach „Resonanz“. Sie benötige „die anerkennende Verbindung mit [ihren] Mitmenschen“. Gerade für ihre plastischen Arbeiten wünschte sie sich diese Anerkennung. Kollwitz machte die Anerkennung sogar zur Grundvoraussetzung ihres künstlerischen Arbeitens. Arbeit ohne Kontakt zum Publikum existierte für sie nicht. Dass sie sich gegen das „Vergessen“ durch den fehlenden Zugang zum Publikum wehren wollte, klingt beinahe wie eine Kampfansage angesichts ihrer Weigerung, mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Da sie aber weder Berufsverbot noch ein offizielles Ausstellungsverbot bekommen hatte, durfte sie künstlerisch arbeiten und sich auch an kleineren Ausstellungen gelegentlich beteiligen, auch wenn diese in ihrem eigenen Atelier aufgebaut waren. Um diese Möglichkeit des Arbeitens und eingeschränkten Wirkens zu nutzen, musste sie sich mit den politischen Machthabern soweit arrangieren, dass sie ihren Protest nicht offen nach außen trug. Auch wenn sie in ihrem Tagebuch wiederholt die Überlegung äußerte, aus der Reichskammer der Künste auszutreten, blieb sie dennoch Mitglied – vermutlich auch auf das Zureden ihres Sohnes Hans hin, der um die Sicherheit der Mutter besorgt war.36

5. Fazit Käthe Kollwitz’ Nähe zur Sozialdemokratie war für das nationalsozialistische Regime der Anlass, sie gelegentlichen Repressalien auszusetzen. Ihre breite öffentliche Anerkennung in der Weimarer Republik, die Assoziation ihrer Kunst mit dem Konzept der geistigen Mutterschaft und ihrer Verwirklichung im Rahmen der „deutschen Kunst“ und nicht zuletzt das fortgeschrittene Alter der Künstlerin spielten eine große Rolle für ihre dennoch recht privilegierte Stellung im National-

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sozialismus. Für die Nationalsozialisten wäre es vermutlich zu riskant gewesen, öffentlich gegen die bekannte und angesehene Künstlerin vorzugehen.37 Als sinnvoller erachtete es das Regime es, die bereits stark an Altersmüdigkeit leidende Künstlerin durch das Kaufverbot ihrer Bilder, das den Museen auferlegt wurde, von der Öffentlichkeit abzuschneiden. Somit sollte ihr Wirken der dem Vergessenheit überlassen werden, ohne Widerstand zu wecken. Wie positionierte sich Käthe Kollwitz innerhalb der neuen politischen Kultur? Gewöhnt an den öffentlichen Zuspruch, den sie über mehrere Jahrzehnte bekommen hatte, ertrug Kollwitz die künstlerische Isolation recht schwer und war ihrerseits bemüht, Ausstellungsmöglichkeiten zu finden. Das zentrale Ziel und der Lebensinhalt von Kollwitz war die künstlerische Arbeit, zu der für sie eine öffentliche Resonanz unbedingt dazugehörte. Somit arrangierte sie sich ein Stück weit mit den neuen Machthabern. Sie blieb in der Reichskammer der bildenden Künste als Mitglied und vermied es, offen gegen die Verwendung ihrer Arbeiten zu propagandistischen Zwecken zu protestieren, wie ihre Reaktion auf die Publikation ihrer Zeichnung – wenn auch nicht unter ihrem Namen – zeigt. Die empfundene Ohnmacht und die Angst um ihre Angehörigen spielten ebenfalls eine Rolle bei dieser Entscheidung. Eine direkte Zusammenarbeit mit den Vertretern des nationalsozialistischen Regimes lehnte sie jedoch ab. Ob der NS-Staat jemals mit einem solchen direkten „Angebot“ auf sie zukam, ist nicht bekannt. Kollwitz bemühte sich aber nicht nur, direkte Konflikte zu vermeiden und schwieg, um nicht aufzufallen. Sie blieb auch ein Mitglied der Reichskammer, abonnierte die „Kunst im Reich“ und beriet Künstlerkollegen, die sich um staatliche Großaufträge bewarben.38 Das nationalsozialistische Regime schloss Käthe Kollwitz von einem uneingeschränkten Zugang zur Öffentlichkeit zwar aus, ihr künstlerisches Arbeiten in einem eingeschränkten Rahmen wurde jedoch geduldet. Trotz ihrer vehementen Kritik am nationalsozialistischen Regime, die im privaten Raum blieb, war Kollwitz bemüht, sich im NS-Staat einen möglichst weiten Handlungsspielraum zu bewahren.

Anmerkungen 1 Eintrag 1933, Tagebücher, in Jutta Bohnke-Kollwitz (Hg.): Die Tagebücher 1908–1943, Berlin 1999, S. 673. 2 Das hohe Maß an Anerkennung wird neben den zahlreichen Erwähnungen in der Presse nicht zuletzt durch die Nachfrage nach ihren Werken deutlich. Es tauchten sogar, wie ein Brief von Kollwitz aus dem Berliner Staatsarchiv belegt, nicht nur häufige Fälschungen ihrer Zeichnungen und Radierungen, sondern auch ihrer Signaturen auf dem Kunstmarkt auf. Über den Zeitraum, in dem diese Fälschungen auftauchen, lässt sich angesichts der Quellenlage kaum etwas sagen. Vermutlich nahm die Welle der Fälschungen

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mit der steigenden Berühmtheit von Kollwitz und somit dem steigenden Interesse an ihrer Person und ihren Werken ab der Verleihung des Professorentitels zu. StArchBerlin, F Rep. 241 Acc. 714 Nr. 1, Brief von Käthe Kollwitz an Heinrich Dietze, 31.8.1923.   3 Beate Bonus-Jeep: Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz, Boppard 1948, S. 261.   4 Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), S. 921.  5 Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1); dies. (Hg.): Käthe Kollwitz, Briefe an den Sohn von 1904 bis 1945, Berlin 1992. Im Gegensatz zu den früheren Editionen von Hans Kollwitz, verfolgt die Herausgeberin Jutta Bohnke-Kollwitz die Absicht, eine dem wissenschaftlichen Anspruch genügende Publikation zu bieten. Die Tagebuch-Originale sind derzeit aus konservatorischen Gründen dem Publikum nicht zugänglich. Die Korrespondenz kann frei eingesehen werden.   6 Alexandra von dem Knesenbeck: Käthe Kollwitz. Die prägenden Jahre, Petersberg 1998.  7 Gudrun Fritsch (Hg.): Käthe Kollwitz und Russland. Eine Wahlverwandtschaft, Leipzig 2012.   8 Ute Seiderer: Between Minor Sculpture and Promethan Creativity. Käthe Kollwitz and Berlin’s Women Sculptors in the Discourse on Intellectual Motherhood and the Myth of Masculinity, in Christiane Schönfeld (Hg.): Practicing Modernity: Female Creativity in the Weimar Republic, Würzburg 2006, S. 89–119.   9 Vgl. Volker Dahm: Die Reichskulturkammer und die Kulturpolitik im Dritten Reich, in: Stephanie Becker (Hg.): „Und sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben“: Funktion und Stellenwert der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände im „Dritten Reich“, Berlin [u. a.], 2012, S. 193–221; Uwe Fleckner: Das Verfemte verfemte Meisterwerk. Schicksalswege moderner Kunst im „Dritten Reich“, Berlin 2009; Koordinationsstelle für Kulturverluste Magdeburg (Hg.): Museen in Zwielicht. Ankaufspolitik 1933–1945, Magdeburg 2002. 10 Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hat es weibliche Mitglieder gegeben, Vgl. Norbert Kampe: Editorisches Nachwort. Die Mitglieder-Akademie im Wandel der Zeiten, in: Mitgliederverzeichnis Akademie der Künste 1996, S. 348–361, hier 352. 11 Vgl. Christina Kratz-Kessemeier: Kunst für die Republik. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932, Berlin 2007, S. 90. 12 Leonore Kühn: Die bildende Künstlerin und die Kultur, 1927, in: Carola Muysers (Hg.): Die bildende Künstlerin. Wertung und Wandel in deutschen Quellentexten 1855–1945, Amsterdam/Dresden 1999, S. 180. 13 Kühn 1999 (wie Anm. 12), S. 180. 14 AdK, Berlin, Käthe-Kollwitz-Archiv, Nr. 83, 299: Brief von Käthe Kollwitz an Hans Kollwitz, 16.4.1917. 15 Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Eintrag vom 13.9.1925, S. 602. 16 Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Eintrag von Juni und Juli 1933, S. 673. 17 Auf diese wird im Folgenden noch ausführlicher eingegangen. 18 Zit. nach: Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Kommentar zum Juli 1933, S. 910/911. 19 Zit. nach: Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Kommentar zum Juli 1933, S. 910/911. 20 Isabell Kasztelan/Helen Kiesewetter: Ernst Barlach, in DG 18 (2007), S. 103–129, hier S. 118.

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21 Vgl. Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Kommentar zum 25.11.1934, Tagebücher, S. 915. 22 Staatsbibliothek Hamburg, Brief von Käthe Kollwitz an Gertrud Weiberlen, 29.7.1931, Nr. NGW:B:25. Insgesamt beherbergte das Gebäude der ehemaligen Schule für Zeichenlehrer etwa 40 Ateliers, in denen Malers, Bildhauer, Architekten, Keramiker und Photografen Fotografen arbeiteten und sich untereinander über künstlerische und kunsthandwerkliche Zugänge sowie Verfahren austauschten. Vgl. Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Kommentar zum 25.11.1934, S. 914. Vgl. dazu Hans Jürgen Meinik: Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße innerhalb der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik, in: Akademie der Künste (Hg.): Ateliergemeinschaft Klosterstrasse Berlin 1933–1945. Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 12–38. 23 Vgl. Meinik 1994 (wie Anm. 22), S. 18. 24 Vgl. Meinik 1994 (wie Anm. 22), Ebenda, S. 19. 25 Zit. nach: Bohnke-Kollwitz 1999 (wie Anm. 1), Kommentar zum 25.11.1934, S. 915. 26 Vgl. AdK, Berlin, Käthe-Kollwitz-Archiv, 176, Brief von Käthe Kollwitz an Harald Isenstein, 1.1.1937. 27 Vgl. Josephine Gabler: „Vor allem aber, er hat keine Angst, sich durch die Ausstellung zu schaden“ – Die Buch- und Kunsthandlung Karl Buchholz in Berlin, in Akademie der Künste 1994 (wie Anm. 22), S. 84–95, hier S. 88. 28 Vgl. dazu die Briefe von Käthe Kollwitz an Kurt Harald Isenstein im Käthe-Kollwitz-Archiv, AdK, Berlin. 29 Wie Anm. 28. 30 Bonus-Jeep 1948 (wie Anm. 3), S. 265/266. 31 AdK, Berlin, Verhörprotokoll Kollwitz am 13.7.1936, 244, Tagebuchanlage. 32 Wie Anm. 31. 33 Staatsbibliothek Hamburg, Brief von Käthe Kollwitz an Gertrud Weiberlen, 6.2.1938, Nr. NGW: B: 56. 34 Bonus-Jeep 1948 (wie Anm. 3), S. 264. Die bibliographischen Angaben zu diesem Aufsatz sind nicht bekannt. Bonus-Jeep erwähnt lediglich, dass Kollwitz lediglich nur einen Fahnenabzug bekommen habe und sich gegen eine Veröffentlichung in dem zitierten Abschnitt des Briefes an Artur Bonus gewendet habe. Somit ist es fraglich, ob dieser Aufsatz tatsächlich erschienen ist. 35 AdK, Berlin, Brief von Käthe Kollwitz an Annie Karbe, [wahrscheinlich Frühjahr? 1937 oder 1938], 297. 36 Im Dezember 1943 schreibt Kollwitz, dass sie mit dem Gedanken spiele, aus der Kammer auszutreten. Vgl. AdK, Berlin, Brief von Käthe Kollwitz an Hans und Ottilie Kollwitz, 16.12.1943, Nr. 150, 587. 37 Vgl. Werner Haftmann: Verfemte Kunst, Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986, S. 23. 38 Vgl. dazu die Briefe von KäheKäthe Kollwitz an Gertrud Weiberlen, die in der Staatsbibliothek Hamburg aufbewahrt werden.

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„Hinter jedem Busch lauert Verkennung und Neid.“ Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten

Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges veröffentlichte der damalige Direktor der Berliner Nationalgalerie, Paul Ortwin Rave, eine Abrechnung mit der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Sein Buch, „Kunstdiktatur im Dritten Reich“, wurde zu einem unverzichtbaren Standardwerk für alle diejenigen, die sich mit dem Schicksal der deutschen Moderne im Nationalsozialismus beschäftigten.1 Gleich in zweierlei Hinsicht sollte das Buch für Jahrzehnte eine äußerst wirkungsmächtige Lesart vorgeben: Der „Bildersturm von 1937“ wurde zu dem Markenzeichen nationalsozialistischen Kunst-Wollens, und – damit einhergehend – wurde den Künstlern der Moderne pauschal die Rolle von Opfern zugewiesen. Es liege nicht im Rahmen seines „Schriftchens“, so merkte Rave auf den letzten Seiten an, von „ihren Demütigungen, ihrer Not, ihrer Verzweiflung“ zu berichten, aber eines sei wichtig zu wissen: Ihr Werk sei in den „Jahren der Unterdrückung“ weitergewachsen, und sie seien alle „die Träger des inneren und ungebrochenen Widerstandes, auf den wir Deutsche gewiß hinweisen dürfen“.2 Einige, so Rave, „erhielten mit zunehmender Brutalisierung des Kampfes regelrecht Malverbot“ – aber obwohl die verfemten Künstler „nie sicher vor polizeilichen Kontrollen“ gewesen seien, seien sie „in der Qual der Vereinsamung dennoch ihrer Berufung treu geblieben“.3 Als Beispiel für die „Kunstüberwachung“ führte Rave eine Beschwerde Reinhard Heydrichs, dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, bei Goebbels Propagandaministerium im April 1941 an. Heydrich zeigte sich entrüstet darüber, dass immer noch ein schwunghafter Handel mit so genannter „entarteter Kunst“ betrieben werde. So habe „der berüchtigte Kunstbolschewist und Führer der entarteten Kunst Emil Nolde in seiner Steuererklärung für 1940 eine Summe von 80.000 Mark angegeben“.4 Im Antwortschreiben bekam er die Auskunft, dass Nolde – wie auch Karl SchmidtRottluff und Edwin Scharff – mittlerweile aus der Reichskammer der Bildenden Künste ausgeschlossen sei, „was soviel wie Berufsverbot bedeute“.5 Raves Narrativ vom Sieg der Traditionalisten im Jahr 1937 und seine Stilisierung der verfolgten Künstler als „Träger des inneren Widerstandes“ wurde in der Nachkriegsgesellschaft dankbar aufgegriffen und bestimmte für viele Jahrzehnte den Blick auf das Kunstschaffen während des Nationalsozialismus. Der Fall Emil Noldes bietet sich an, diese Erzählung zu hinterfragen und den tatsächlichen

Bernhard Fulda

Handlungsspielraum von Künstlern während der Jahre der Diktatur etwas genauer auszuleuchten. Bei der Beschäftigung mit Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten soll an dieser Stelle das Berufsverbot von 1941 im Mittelpunkt stehen. Dieses Berufsverbot, vom Maler selbst nach 1945 zu einem „Malverbot“ umgedeutet, ist die Mutter aller Malverbote, die seit Jahrzehnten durch die kunsthistorische Literatur geistern. Die Geschichte des einzelgängerischen Altmeisters an der Grenze zu Dänemark, im weltabgelegenen Seebüll, der sich nach anfänglichen Sympathien für die nationalsozialistische Ideologie angeblich später vom Regime abwendet, im Geheimen hunderte von „ungemalten Bildern“ produziert und nach 1945 zur Verkörperung des verfolgten Künstlers wird, hat Millionen von Lesern des Romans „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz begeistert und das öffentliche Interesse an Noldes Kunst in der Nachkriegszeit wesentlich geprägt. Dieses Bild, das vom Künstler selbst begründet und von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde in Kooperation mit Sammlern und Bewunderern, Kunsthistorikern und Kritikern über Jahrzehnte entwickelt und gepflegt wurde: Dieses Bild von Nolde als künstlerischem Widerständler lässt sich so heute nicht mehr halten. Zu groß ist mittlerweile die Diskrepanz zwischen dem historischen Nolde, der in immer neuen Quellenfunden immer deutlicher Kontur annimmt, und seinem stilisierten Alter Ego.6 Dieser Beitrag stellt zwei Thesen auf: Es ist im Falle Noldes fast unmöglich, den „Sieg der Traditionalisten“ zeitlich zu verorten. Und zweitens ist es höchste Zeit, den Begriff des „Malverbots“ als historisch problematisch zu thematisieren.7

1937: eine Zäsur im Kunstschaffen der nationalsozialistischen Diktatur? 1937 wird zu Recht als Zäsur in der nationalsozialistischen Kunstpolitik gesehen. Aber man sollte die „Entartete-Kunst“-Ausstellung nicht mit dem Ende des Expressionismus-Streites gleichsetzen. Hinter den Kulissen gingen die kunstpolitischen Auseinandersetzungen weiter, und Zeitgenossen loteten immer wieder neu aus, was ging und was nicht: Sie fuhren sozusagen „auf Sicht“. Ein Beispiel: Am 14. Mai 1940 – im Radio wurde an diesem Tag die Gesamtkapitulation der niederländischen Streitkräfte verkündet – schrieb Nolde seinem Verleger, Konrad Lemmer, er wolle den ersten Band seiner Biografie, „Das eigene Leben“, um ein Drittel erweitern und wolle – „der Ordnung halber“ – nur bestätigt haben, dass seitens des Rembrandt-Verlages an einer zweiten Auflage kein Interesse bestehe: „[E]s wird wohl keinen Verleger ein Buch mit grossen Ausgaben und kleinen Einnahmemöglichkeiten interessieren.“8 Lemmer schrieb zurück, er würde „es sehr begrüßen, wenn auch eine neue Auflage mit Ihrer Hilfe im Rembrandt-Verlag erscheinen könnte. Nachdem ich Ihre Bücher in der schwierigsten Zeit herausgegeben und mich kämpfend gegen die Opposition gestellt habe, möchte ich heute, wo die Wogen sich zu glätten beginnen, nicht gern auf das Buch verzichten“.9 Nolde antwortete postwendend, er freue sich

Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten

zu hören, „dass nach Ihrer Meinung die Wogen sich zu glätten beginnen, ich erfahre hiervon nur wenig und würde gern Ihre Erfahrung wissen?“. Aber die Selbststilisierung des tapferen Verlegers wollte er Lemmer nicht durchgehen lassen: „Richtig ist Ihre Behauptung nicht, dass Sie meine Bücher ‚in der schwierigsten Zeit‘ herausgaben, von 1934–37 bestanden keine Schwierigkeiten.“10 Lemmer reagierte pikiert: „Es berührt mich doch etwas eigen, gerade von Ihnen zu hören, dass ich mit Ihren Büchern in den Jahren 1934–37 keine Schwierigkeiten gehabt hätte. Gerade in dieser Zeit begannen doch die Auseinandersetzungen der amtlichen Stellen mit der modernen Kunst. Das Verbot des Sauerlandt-Buches ist doch nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Bilderteil sich im wesentlichen aus Werken Emil Noldes zusammensetzte. Auch Ihre ‚Beteiligung‘ an den Ausstellungen der ‚Entarteten Kunst‘ war doch für den Vertrieb der Bücher nicht gerade vorteilhaft.“11 Aber, fügte Lemmer versöhnlich hinzu, es gehe offensichtlich wieder aufwärts: „Dass man heute amtlicherseits vieles schon wieder mit anderen Augen ansieht und wirkliche Kunst von ‚Verfallskunst‘ zu trennen weiss, konnte ich erst kürzlich in einer Besprechung erfahren. Brieflich möchte ich mich jedoch hierüber nicht auslassen.“12 Um welche Besprechung es sich hierbei handelte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.13 Aber aus den Abrechnungen der Verkaufstantiemen für Noldes Bücher geht hervor, dass der Maler – zumindest was seine Einschätzung der Jahre 1934 bis 1937 anbetrifft – durchaus recht hatte. Der Rembrandt-Verlag, der 1934 den ersten Band von Noldes Memoiren, „Das eigene Leben“, von Julius Bard übernommen hatte, hatte bis Dezember 1937 über 800 Exemplare davon verkauft; vom 1934 erschienenen zweiten Band, „Die Jahre der Kämpfe“, sogar über 2100 Exemplare. Besonders das zweite Halbjahr 1937 – also während der in München laufenden „Entartete Kunst“-Propagandaschau – sah eine rege Nachfrage nach den Nolde-Büchern. Zwar zeigen die Abrechnungen einen dramatischen Absatzrückgang in den ersten drei Quartalen des Jahres 1938 – gerade einmal 18 Exemplare von „Das eigene Leben“ wurden verkauft und kein einziges der „Jahre der Kämpfe“ –, danach hingegen zog der Absatz langsam aber stetig wieder an, und im Verlauf des Jahres 1940 schien es so, als ob man langsam zu alter Verkaufsstärke zurückfinden würde.14 Für Lemmer war klar, dass Nolde zur „wirklichen Kunst“ und nicht zur so genannten „Verfallskunst“ gehörte: Dieses Pferd wollte er also gerne in seinem Stall behalten. Interessanterweise war Nolde über das Interesse seines Verlegers an einer Neuauflage gar nicht so erfreut, wie man annehmen könnte. Ihm hatte eigentlich vorgeschwebt, „[m]einen Freunden in der Kunst“ das Werk zukommen zu lassen, „wenn hierzu eine Möglichkeit in kleiner Auflage im Selbstverlag oder irgendwie sich gibt“.15 Einen publizistischen Auftritt in der weiteren Öffentlichkeit scheute Nolde zu diesem Zeitpunkt hingegen: „Es ist ein grosser Unterschied ob mein Buch in seiner neuen Form, fern allem Geschäftlichen, nur für Freunde, erscheint – dem behördlich gewiss nichts im Wege stehen wird – oder ob es als Verlagssache

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geschieht. Ich sehe nicht recht dass es im letzteren Falle sich machen lässt, aber es freut mich, dass Sie event. gewillt wären es in Ihrem Verlag zu nehmen.“16 Die Einschätzung Konrad Lemmers vom Mai 1940, dass von Seiten der Kulturbehörden ein Umdenken in Bezug auf die so genannte „Verfallskunst“ eingesetzt habe, war nicht der einzige Anlass für Nolde, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Die Aufnahme seiner Werke in die „Entartete Kunst“-Propagandaschau hatte ihn zwar sehr getroffen; in einem Brief an ein befreundetes Ehepaar vom Oktober 1937 merkte Nolde an, er sei mit dieser Ausstellung „entehrt“ worden.17 Aber dieser Zustand war nicht unumkehrbar, und Nolde hatte eine Vielzahl von Förderern und Bewunderern, die ihm in diesen Jahren zur Seite standen. Nur einige wenige Monate vor Eröffnung der „Entartete Kunst“-Ausstellung waren er und Ada in München zu Gast bei dem Schatzmeister des Trägervereins des Hauses der Deutschen Kunst gewesen, dem Bankier Friedrich Döhlemann. Dieser hatte Anfang 1937 voller Begeisterung eine Nolde-Ausstellung in der Galerie Günther Franke in München besucht und hatte mehrere Gemälde und Aquarelle gekauft, um sich zu Hause einen „Nolderaum“ einzurichten.18 Von vielen dieser Freunde erhielten die Noldes den Rat, diejenigen seiner Werke, die Nolde lediglich als Leihgaben an Museen gegeben hatte und die trotzdem in der „Entartete Kunst“-Ausstellung gelandet waren, als sein Eigentum zurückzufordern.19 Erste Versuche in dieser Richtung, wenige Wochen nach Ausstellungseröffnung, blieben noch ergebnislos: Weder ein Brief an den Präsidenten der Reichskunstkammer, Adolf Ziegler, noch eine Bittschrift an Bernhard Rust, den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, hatten den gewünschten Erfolg.20 Aber nachdem im Mai 1938 ein Gesetz über die „Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ verabschiedet wurde, mit der die Beschlagnahmeaktion aus öffentlichen Sammlungen und Museen nachträglich legalisiert wurde, ausländisches Privateigentum aber zurückgefordert werden konnte, schrieb Nolde im Juli 1938 an Joseph Goebbels. Der Brief begann mit einem Hinweis auf seine Parteimitgliedschaft in der NSDAP-Nordschleswig, und endete mit der Behauptung, dass er „bei jeder Gelegenheit im In- und Ausland [...] kämpfend und bekennend für Partei und Staat eingetreten wäre, dabei trotz eigener Diffamierung, oder vielleicht deshalb um so mehr, von der Weltbedeutung des Nationalsozialismus zu überzeugen vermochte“.21 Diesmal hatte Nolde mehr Glück: Goebbels ordnete die Rückgabe der Werke an. Und nicht nur das: Noldes Arbeiten wurden überhaupt aus der „Entartete Kunst“-Wanderausstellung entfernt.22 Auch andere Interventionen hatten Erfolg: Ende November 1938, nach der Reichspogromnacht, verschärfte sich der antisemitische Tenor in der deutschen Presse, und das Ehepaar Nolde ärgerte sich unendlich, als Nolde in einem Artikel ihrer Hauszeitung, dem „Flensburger Generalanzeiger“, als Kulturbolschewist und Nutznießer jüdischer Patronage dargestellt wurde. Ein langer Brief an den Reichspressechef, Otto Dietrich, wiederum mit Hinweis auf Noldes Parteimitgliedschaft,

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strotzend vor Antisemitismus, hatte den gewünschten Erfolg: Anfang Dezember 1938 erging eine Presseanweisung, Nolde sei von nun an nicht mehr als Jude darzustellen; er sei PG.23 Im Februar 1939 berichtete Ada Nolde ihrer Freundin Duska Schmitt – der Ehefrau des Staatsrechtlers Carl Schmitt – von den Fortschritten wie auch von dem Gerücht, dass im Propagandaministerium ein „Umschwung zu unsern Gunsten geschehen sein“ solle.24 Kurz vor Kriegsausbruch, im Sommer 1939, schrieb sie Freunden: „Wir haben gekämpft und viel erreicht. In der ,Entarteten‘ ist nichts mehr von N. und sein Name darf nicht mehr in dieser Verbindung genannt werden.“ Außerdem wusste sie zu berichten, dass zwei Gauleiter im Westen es abgelehnt hätten, die „Entartete Kunst“-Ausstellung bei sich zu präsentieren.25 Mit Kriegsausbruch wurde die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ vorzeitig abgebrochen.26 Kein Wunder also, dass die Noldes Lemmers Einschätzung vom Mai 1940 über ein angebliches Umdenken über „wirkliche Kunst“ gerne glaubten. Im Juli 1940, nach dem Sieg über Frankreich, schrieb Ada Nolde über den bald möglichen Frieden: „Noch fehlt ein großer Schlag, dann kann dieser Traum Wirklichkeit werden, so hoffen und glauben wir. Der Maler tut schon das Seine dazu, daß die Stunden dann nicht leer sein werden und daß die Augen [sich] weiden können.“27 Zwei Tage später schrieb sie an Noldes ältesten Freund, Hans Fehr: „Lieber Freund, Von Anfang an waren es unsere Ansichten, die Du in Deinem lieben vorigen Brief schriebst: Die neue Weltordnung kommt und ist groß und schön von Adolf Hitler ausgebaut, deshalb auch wurde Emil Mitglied der Partei, und nun nach und nach erfüllen sich all die erwünschten Formen für ein wertvolles, schaffendes, reiches, großes Leben für alle!“28 Das alles klingt nicht nach Verzweiflung angesichts des „Sieges der Traditionalisten“. Tatsächlich ist Nolde zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der Reichskulturkammer sowie der „Preußischen Akademie der Künste“. Und die Bilder, die er in diesen Monaten malte, zeigen einmal mehr, dass viele seiner schon lange vor 1933 bevorzugten Bildmotive – Blumen, dramatische Landschaften, Figuren aus der nordischen Sagenwelt oder auch Kinder – durchaus mit den ästhetischen Präferenzen des so genannten „neuen Deutschlands“ konform gingen, wie z. B. das Porträt vermutlich eines der Pächterkinder auf Seebüll, „Frühling im Herbst“ (1940). Auch finanziell stellte 1937 für Nolde keine Zäsur dar.29 Im Frühjahr 1937 organisierte Ferdinand Möller eine Nolde-Ausstellung in Berlin, bei der Werke – hauptsächlich Aquarelle – im Gesamtwert von über 20.000 Mark verkauft wurden.30 „Bei Nolde selber kann man zur Zeit Hauptwerke nicht mehr loseisen, er verdient so kolossal, daß er seine besten Stücke festhalten kann“, berichtete der ehemalige Direktor des Folkwang-Museums in Essen, Ernst Gosebruch, dem Kunstsammler Carl Hagemann.31 Die Münchner Propagandaschau im Sommer 1937 änderte nichts an der hohen Nachfrage nach Noldes Kunst, ganz im Gegenteil. In mehreren Briefen erwähnte der Künstler, wie viel Zuspruch ihm die Ausstellung auch von Unbekannten eingebracht habe. Gosebruch, der die Noldes Januar 1938 in Berlin

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1 Emil Nolde, Frühling im Herbst, 1940, Öl auf Leinwand, 57 x 70,5 cm

besuchte, berichtete anschließend von „Hochbetrieb“ und Adas Noldes Klage darüber, dass der Ansturm von auswärtigen Kunstfreunden und Sammlern ihrem Mann kaum Zeit für Morgenspaziergang und das dringend benötigte Mittagsschläfchen ließe.32 Und Noldes Preise seien „nach wie vor ungeheuerlich“, so Gosebruch in einem Brief an Hagemann: „Man wird ganz bitter, wenn man an den armen Kirchner denkt, der in seiner Isolierung in Davos ganz verkümmert.“33 Trotz der hohen Preise verkaufte sich Nolde glänzend, auch nach Kriegsausbruch. Im November 1939 berichtete der umtriebige Gosebruch, dass Noldes Aquarelle beim Düsseldorfer Galeristen Alex Vömel „am laufenden Band verkauft werden“.34 Noldes Werke waren in den Jahren nach 1937 weiterhin Kommissionsware bei vielen der führenden deutschen Galeristen der klassischen Moderne. Seine wichtigsten Geschäftspartner – neben Vömel in Düsseldorf, der die ehemalige Galerie Flechtheims übernommen hatte – waren Günther Franke mit seinem Graphischen Kabinett in München; Ferdinand Möller, Josef Nierendorf, Hanns Krenz und Karl Buchholz in Berlin; Commeter und Hildebrand Gurlitt in Hamburg; in Dresden Heinrich Kühl; in Mannheim Rudolf Probst und in Stuttgart Fritz C. Valentien.35 Unter den Käufern befanden sich viele bekannte Freunde moderner Kunst, wie z. B. Lilly von Schnitzler, die große Beckmann-Förderin und Ehefrau des I. G.Farben-Vorstands Georg von Schnitzler; der Kirchner-Freund Carl Hagemann,

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pensionierter I. G.-Farben-Vorstand; der Industrielle Ernst Henke, Direktor der RWE, Mitbegründer des Folkwang-Museumvereins oder der Seidenfabrikant Adalbert Colsmann, der Schwager von Karl-Ernst Osthaus. Der wichtigste unter ihnen war der Hannoveraner Schokoladenfabrikant Bernhard Sprengel, der auf der „Entartete-Kunst“-Ausstellung 1937 sein Kunst-Erweckungserlebnis hatte und in den folgenden Jahren zu Noldes bedeutendstem Mäzen wurde.36 80000

78 227 70 965

70000

60 000 52 354

52 151

50 000 44 691

40 000

39 000

38 392 32 048

30 000 24 227

20 000 15 659

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18 927

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27 000

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15 338 8 864 8 464 8 667 7 759 6 763 5 643 4 509

10 000 0 1931

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Umsatz lt. Steuerakte

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Angaben 1946

2 Noldes Einkommen 1931–1945, in RM

In Noldes Entnazifizierungsunterlagen befindet sich eine Auflistung seines Einkommens dieser Jahre.37 Mit Ausnahme von 1938 verdiente Nolde zwischen 1937 und 1941 mehr denn je zuvor. Und wahrscheinlich sogar noch mehr als nach 1945 angegeben: In den überlieferten Steuerakten der frühen 1940er Jahre finden sich Steuererklärungen mit noch deutlich höheren Angaben. So enthält die Steuerakte für 1940 eine Umsatzsteuererklärung über 78.227 Reichsmark.38 Zum Vergleich: Das jährliche Durchschnittseinkommen im Deutschen Reich lag 1940 bei 2156 Reichsmark.39 Und bildende Künstler verdienten in der Regel deutlich weniger als der durchschnittliche Arbeiter. Unter den über 50.000 von der Reichskulturkammer der bildenden Künste erfassten so genannten „Kulturschaffenden“ verdienten 1939

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gerade einmal 0,7 % mehr als 1000 Reichsmark im Monat.40 Auch wenn Nolde nicht der bestverdienende Künstler dieser Zeit war, so gehörte er zwischen 1933 und 1941 eindeutig zu den Spitzenverdienern unter den Künstlern im „Dritten Reich“.

Berufsverbot oder „Malverbot“ – eine Frage der Perspektive Noldes finanzieller Erfolg brachte ihm viele Neider ein. Auch wenn seine genauen Einkommensverhältnisse nicht allgemein bekannt waren, so hatten zumindest die Kunstfunktionäre der Reichskulturkammer der bildenden Künste einen sehr detaillierten Einblick in seine finanziellen Verhältnisse, da die alljährlich fälligen Mitgliedsbeiträge einkommensabhängig festgesetzt wurden und Nolde dafür seine Einkommens- bzw. Umsatzsteuererklärung einreichen musste.41 Allerdings konnten die Kunstfunktionäre der Reichskulturkammer bis 1941 lediglich darauf einwirken, welche Kunstwerke auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen in München gezeigt werden konnten und welche sich in öffentlichen Sammlungen befinden durften: Auf den Kunsthandel hatten sie – noch – keinen Zugriff, sehr zum Bedauern von einigen Aktivisten. Besonders Graf Baudissin, Ernst Gosebruchs Nachfolger als Direktor des Folkwang-Museums in Essen, tat sich als Scharfmacher hervor. Schon 1936 hatte er in einem Zeitungsartikel dazu aufgerufen, nicht nur in den Museen, sondern vor allem „in den privaten Schlupfwinkeln [...] die Spitzenleistungen der Verfallskunst aufzuspüren, zu beschlagnahmen, ihre Abgabe zu verfügen und ihre vorherige Vernichtung unter Strafe zu stellen“.42 Baudissins Aufruf hatte schon damals bei Nolde und unter seinen Sammlern für einige Unruhe gesorgt.43 Aber erst nach Kriegsausbruch, als sich im Zuge des deutschen Eroberungskrieges viele Bereiche der nationalsozialistischen Politik radikalisierten – auch innerhalb der Kulturpolitik – konnten Kunstfunktionäre neue Instrumente gegen missliebige Künstler zum Einsatz bringen. Angesichts von Noldes exzellenter finanzieller Lage mutet es ironisch an, dass die Verordnung, die letztendlich zu seinem Berufsverbot führen sollte, eigentlich darauf zielte, die wirtschaftliche Situation der Künstler in Deutschland zu verbessern. Der Reichskunstkammer waren die prekären Verhältnisse vieler ihrer Mitglieder sehr bewusst, und deren Lage verschlechterte sich nach Kriegsausbruch weiter, als viele öffentliche Förderprogramme für Künstler den allgemeinen Ausgabenkürzungen zum Opfer fielen.44 In dieser Situation nahmen die Klagen der Künstlerschaft über die unwillkommene Konkurrenz auf dem Kunstmarkt durch billige, massenproduzierte Kunstreproduktionen stark zu. In einem der geheimen Stimmungsberichte, die Heydrichs Sicherheitsdienst regelmäßig produzierte, hieß es, viele Künstler befürchteten, „daß sich nach dem Krieg ein uferloser Strom billigen Kitsches in alte und vor allem neu zu erstellende Wohnungen über ganz Deutschland hinweg ergießen wird“.45 Die Reichskunstkammer regierte umgehend und erließ am 1. Oktober 1940 eine neue Anordnung, die den „Vertrieb minderwertiger Kunsterzeugnisse“ betraf.

Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten

Sie ermächtigte einen vom Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste eingesetzten Ausschuss, sich „Erzeugnisse der Malerei, Bildhauerei und Graphik oder deren Vervielfältigungen“ vorlegen zu lassen, über deren Verbreitung zu entscheiden und gegebenenfalls von der Polizei sicherstellen zu lassen.46 Die Noldes wähnten sich von der neuen Anordnung zunächst nicht betroffen: Im Lichte der letzten Entwicklungen war nicht anzunehmen, dass man Noldes Bilder tatsächlich als „minderwertige Kunsterzeugnisse“ einstufen würde. Von Duska Schmitt auf die neueste Anordnung angesprochen, schrieb Ada Nolde am 6. Dezember 1940: „Die böse Nachricht hatte mein Mann schon in dem Blatt der Reichskunstkammer gelesen, doch haben wir das Gefühl, daß man das uns gegenüber denn doch nicht wagt. Jedenfalls haben wir nichts näheres gehört. Unsere Tage sind reich und erfüllt, wir bleiben über Weihnachten hier, wenn wir das selber bestimmen dürfen.“47 Doch schon am nächsten Tag erreichte Seebüll ein Eilbrief der Reichskammer, in dem von Nolde Auskunft darüber verlangt wurde, an wen bzw. durch welche Kunsthändler er in den letzten zwei Jahren Werke verkauft habe, ob er ins Ausland veräußert und wo er in letzter Zeit ausgestellt habe. Außerdem wurde um die Einsendung verschiedener Abbildungen der in den Jahren 1938 bis 1940 geschaffenen Werke gebeten.48 Ada vermutete dahinter die Initiative des Grafen Baudissin, wie sie Duska Schmitt schrieb: „Es genügt nicht, daß jeder schwer am Kriege tragen muß, man muß auch sonst dafür sorgen, daß er keine Ruhe bekommt. D. h. wenn man er ein lieber, deutscher, nationalsozialistischer Maler ist. [...] Hinter allem spüre ich die Ideen des Grafen Baudissin.“49 Wer tatsächlich hinter der Initiative stand, lässt sich noch nicht genau rekonstruieren. Alfred Hentzen, der zur damaligen Zeit als Kurator an der Berliner Nationalgalerie tätig war, vermutete nach dem Krieg, dass dem Präsidenten der Reichskunstkammer, Adolf Ziegler, eine Steuererklärung Noldes zugespielt worden sei. Verärgert darüber, dass ein verfemter Künstler mehr verdiene als er selber, habe Ziegler daraufhin das Verfahren eingeleitet.50 Nolde beantwortete umgehend die Fragen, aber er schickte keine Abbildungen, da er diese nicht zur Hand habe und in Seebüll auch nicht anfertigen lassen könne.51 Am gleichen Tag schrieb er ebenfalls an den ehemaligen Adjutanten des Reichspressechefs Otto Dietrich, an Henrich Hansen, der mittlerweile als Reichsamtsleiter des Hauptamtes Presse und Propaganda einer der höchstrangigen Offiziellen im Propagandaministerium war, und bat ihn um Unterstützung. Die Sache sehe vielleicht zunächst harmlos aus, so Nolde, doch es könne „so viel Schlimmes daraus entstehen“: „Es würde mir allzuschmerzlich sein, wenn meine Kunst, die mit so viel Ergebenheit und Liebe entsteht, unter der Rubrik der Minderwertigkeit eingeordnet werden sollte. Das verdiene ich nicht, auch im Hinblick auf meine frühen Kämpfe, von denen die jüngeren Herren der Kammer gewiss gar nichts wissen. Ausserdem würde die Ausführung dieser Anordnung meine Existenz völlig untergraben, denn sie öffnet alle Tore. Man braucht meinen Bildern keinen Genehmigungs-Stempel zu

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geben, und dann steht die Sicherstellung durch die Polizei drohend dahinter. Ausserdem werden Käufer und Kunsthandlungen sich zurückziehen müssen, weil auch sie bedroht sind und evtl. geschlossen werden.“52 Zunächst hoffte das Künstlerehepaar, dass sich damit die Sache aus der Welt schaffen ließe. Aber die Reichskammer ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Im Februar 1941 erinnerte sie Nolde daran, dass er noch Abbildungen seiner Werke der letzten drei Jahre vorzulegen habe; im selben Monat veranlasste Zieglers Beauftragter Hans Schweitzer nach einem Besuch bei Noldes Düsseldorfer Galeristen Vömel, dass dort vorhandene Gemälde und Aquarelle Noldes beschlagnahmt und nach Berlin zur Begutachtung geschickt wurden. „Eine neue Welle Hass und Verfolgung überfällt den schaffenden Künstler“, kommentierte Ada die Ereignisse in einem Brief an Duska Schmitt. „Herr Vömel ist bei [Henrich] Hansen gewesen. Ich habe an Frau [Ilse] Göring geschrieben. Werden sie etwas ausrichten können? Die Gauleitung in Düsseldorf ist entsetzt. Hansen auch.“53 Der Handlungsspielraum für Noldes Unterstützer war jedoch zu diesem Zeitpunkt schon sehr begrenzt. Heydrichs Sicherheitsdienst hatte in einem seiner geheimen Stimmungsberichte im Februar 1941 das Wiederauftauchen „entarteter“ Kunst im öffentlichen Raum scharf kritisiert; im April beschwerte sich Heydrich – von Hans Schweitzer über die Beschlagnahmeaktion bei Vömel informiert – darüber persönlich beim Propagandaministerium und führte Noldes Jahreseinkommen von 80.000 Reichsmark als Beispiel für die unhaltbaren Zustände an.54 Anfang Mai 1941 bekam Heydrich zur Antwort, dass nicht Künstler, sondern nur gewisse Kunstwerke als entartet gälten. Nur wenn sich bei einem Künstler gar keine Besserung zeige, müsse er aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen und mit einem Berufsverbot belegt werden; das sei bisher bei Schmidt-Rottluff, Edwin Scharff und Emil Nolde geschehen. 55 Offiziell wusste Nolde zu diesem Zeitpunkt davon noch gar nichts; er wurde weiterhin um Vorlage seiner Werke – zusätzlich zu den in Düsseldorf beschlagnahmten – gedrängt. Mitte Juni 1941 lagen den Gutachtern dann ausreichend Werke von Nolde vor; am 23. August 1941 bekam er von Ziegler schließlich die offizielle Mitteilung seines Ausschlusses aus der Reichskulturkammer „wegen mangelnder Zuverlässigkeit“.56 Das nach 1945 oft reproduzierte Schreiben Zieglers untersagte ihm „mit sofortiger Wirkung jede berufliche – auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste“. Dieser Passus war wortgleich mit dem in den Briefen, die auch Karl Schmidt-Rottluff und der Bildhauer Edwin Scharff schon einige Monate früher von der Reichskulturkammer erhalten hatten. Aber was genau bedeutete dieses Verbot? Die Noldes vervielfältigen eine Abschrift dieses Briefes und schickten ihn an ihr umfangreiches Netzwerk von Freunden und Bewunderern, zusammen mit einem Kommentar, der als Aufruf zur Unterstützung gelesen werden muß: „Liebe Freunde, So weit ist es nun gekommen. – Alles Grosse und Schöne, das ich angestrebt habe, soll nichts sein. Und soll dies der Abschluss des künstlerischen Lebens bedeuten? [...] Besonders wehmütig berührt diese Massnahme uns auch in der jetzigen schweren

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Kriegszeit, wo wir mit allen Sinnen dem Ringen unserer kämpfenden, tapferen Soldaten folgen in der großen Zuversicht, dass bald ein siegreiches Ende für unser geliebtes Deutschland kommen möge.“57 Unter den Empfängern befand sich auch der Künstler Otto Andreas Schreiber, der sich 1933 als Kreisführer des Nationalsozialistischen Studentenbunds in Berlin in der Hochphase des Expressionismusstreites sehr für Nolde eingesetzt hatte.58 Schreiber, der seit einigen Jahren wie die Noldes in der Bayernallee in Berlin-Charlottenburg wohnte und deshalb regelmäßigen Kontakt mit dem Künstler pflegte, reagierte schockiert auf die Nachricht des Berufsverbots: „Ihren Schmerz begreifen wir nur zu gut, besser als ihn jeder Laie begreifen kann! Man ist fast geneigt zu kondolieren wie zu einem Todesfall! Aber Gottseidank ist ja Nolde lebendig und überhaupt nicht totzukriegen! Habe ich nicht Recht? Ich wünsche Ihnen noch sehr sehr viele schöne Bilder, denn das Malen kann man Ihnen ja wohl nicht verbieten?“59 Auch in einem späteren Brief thematisierte Schreiber die Unschärfe des Verbotes: „Ich kann es nicht glauben, dass es mit dem Ausschluss aus der Kammer sein Bewenden haben soll! Inzwischen werden Sie sich wohl Klarheit verschafft haben, was Ihnen nun eigentlich untersagt ist. Das Ausstellen? Etwa auch das Verkaufen? Doch wohl nicht, denn Ihre Bilder sind ja Ihr Eigentum u. man kann es doch keinem Menschen verwehren, von seinem Eigentum zu verkaufen. Das Malen? Keinesfalls, denn es gibt ja auch Laien, die malen und dieses Laienschaffen wird ja sogar offiziell begrüsst und gefördert. Da Nolde aus der Berufsgenossenschaft ausgeschlossen ist, kann er sich ja als Laienschaffender fühlen!“60 Ein wenig mehr Klarheit bezüglich der Ausgestaltung des Berufsverbots bekam Nolde durch seine an die Reichskunstkammer geschickte Bitte um Rückgabe der vorgelegten Werke: Er habe aus Kopenhagen eine Ankaufanfrage für die Werke des letzten Jahres erhalten und bitte nun um Ausfuhrgenehmigung.61 In der Antwort vom 20. November 1941 wurde ihm mitgeteilt, dass die Bilder weder verkauft oder ausgestellt noch publiziert werden dürften und beschlagnahmt blieben. Außerdem wurde ihm in dem Brief die Auflage erteilt, in Zukunft alle seine „Erzeugnisse“, bevor er sie der Öffentlichkeit übermittele, dem Ausschuss zur Begutachtung minderwertiger Kunsterzeugnisse vorzulegen.62 Den Kunstfunktionären ging es also nicht darum, ein pauschales Malverbot zu verhängen, was nur durch eine Kontrolle von Noldes Privatsphäre hätte durchgesetzt werden können. Stattdessen handelte es sich um eine Art Vorzensur: Solange Nolde seine Art zu malen nicht dem Kunstgeschmack der Reichskammer-Funktionäre anpasste, war an Verkauf, Ausstellung oder Reproduktion seiner Werke nicht zu denken. Privat konnte Nolde weiterhin vor sich hin malen, aber als Künstler durfte er zu diesem Zeitpunkt öffentlich nicht mehr in Erscheinung treten. Das bestätigten ihm auch die Juristen, die Nolde in dieser Angelegenheit konsultierte, und die ihn auf eine Strategie zur Umgehung des Berufsverbots hinwiesen: Ihrer Meinung nach stellten Schenkungen an private Freunde „keine Verbreitung in der Öffentlichkeit“ dar und konnten von den Behörden deshalb nicht beanstandet werden.63

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3 Dieser Brief Schreibers zeigt, wie viel Unklarheit bezüglich der Konsequenzen von Noldes ReichskammerAusschluss herrschte. Schreiber war zu diesem Zeitpunkt Hauptabteilungsleiter des Amtes für Truppenbetreuung bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und unterstützte Nolde bis Ende des Krieges mit Malmaterialien. Am Ende seines Briefes berichtet Schreiber von den anderen Mitbegründern der Künstlergruppe „Der Norden“, deren Ausstellungsinitiative 30 deutsche Künstler in der Galerie Ferdinand Möller im Sommer 1933 im Zentrum des so genannten „Expressionismusstreites“ gestanden hatte.

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Tatsächlich war es Nolde nicht verboten zu malen, aber jegliche künstlerische Betätigung erweckte nun den Verdacht, das Verkaufs- und Ausstellungsverbot unterlaufen zu wollen. Die Noldes waren deshalb besonders vorsichtig, was die Kommunikation mit Fremden betraf: Man konnte schließlich nicht wissen, ob es sich bei Verkaufsanfragen um eine Falle handelte. So findet sich auch der bisher einzige Hinweis aus der damaligen Zeit darauf, dass die Noldes den ReichskammerAusschluss als „Malverbot“ auslegten, in der Antwort Adas an einen unbekannten Bittsteller, der im Dezember 1942 ein Werk Noldes kaufen wollte.64 Es tue ihr sehr leid, den Wunsch nicht erfüllen zu können: „Seit 1 1/2 Jahren ist es meinem Mann verboten seine Bilder abzugeben, sie auszustellen oder neue zu malen. Er ist als ‚entarteter Künstler‘ aus der Reichskammer ausgeschlossen. Ihr Interesse aber freut 4 Brief der Reichskammer für bildende Kunst vom uns, und die Hoffnung dürfen wir 20.11.1941 nicht aufgeben, dass es anders kommen Administrative Unklarheit: Die Antwort der RKK auf Noldes Bitte um Rückgabe der zur Prüfung eingereichten Werke könnte.“65 Freunden gegenüber war im Herbst 1941 ist zwar negativ – aber andererseits von einem Malverbot jedoch nicht die scheint der letzte Satz darauf hinzuweisen, dass über andere Werke jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden sein Rede. Im Gegenteil, ihnen machten die wird, es sich also nicht um ein permanentes PauschalNoldes klar, dass der Maler ohne Mitverbot handelt. gliedschaft in der Reichskammer nicht mehr offiziell an Leinwand und Farbe kommen konnte, für die man einen Bezugsschein brauchte. Für Nolde, der „gern nur mit dem besten Material“ malte, wie seine Frau Ada in einem späteren Brief erwähnte, war dies eine ganz besondere Einschränkung seines künstlerischen Schaffens, über die sich das Ehepaar Freunden gegenüber bitter beklagte.66 Wie intendiert, verstanden viele diese Klagen als Aufforderung um Mithilfe bei der Materialbeschaffung.67 Otto Andreas Schreiber z. B. schickte Nolde in den folgenden Jahren regelmäßig Farben zu, da er als „Sonntagsmaler“ (wie er sich selbst bezeichnete) sein Kontingent nicht immer aufbrauchte.68 Trotz aller Unterstützung aus dem Freundeskreis führte die Materialknappheit aber

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5 Brief Thomas, 1942 Ende 1942 antwortet Ada Nolde auf eine Kaufanfrage des ihr unbekannten Peter Thomas mit Hinweis auf Noldes Ausschluß aus der Reichskammer. Es ist die einzige bisher gefundene schriftliche Mitteilung aus diesen Jahren, die erwähnt, daß Nolde das Malen verboten worden sei.

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6 Emil Nolde, Sonnenblumen im Abendlicht, 1943, Öl auf Leinwand, 73 x 88 cm

zu einer erheblichen Einschränkung in der Produktion von Ölgemälden. Hatte Nolde allein im Jahr 1940 noch 21 neue Werke geschaffen, so waren es in den vier Jahren von 1941 bis einschließlich 1944 nur noch insgesamt 15. Auch in der Motivwahl schränkte sich Nolde stark ein. Es handelte sich bei den Ölgemälden dieser Jahre fast ausschließlich um Blumenbilder, die Hälfte davon mit Sonnenblumen.69 Es waren Gemälde – wie „Sonnenblumen im Abendlicht“, 1943 – von denen Nolde annehmen musste, dass er sie im Falle einer Wiederaufnahme in die Reichskulturkammer den Kunstfunktionären würde vorlegen müssen. Erst als es nach Kriegsende opportun war, das eigene Verhältnis zum Nationalsozialismus in ein gnädigeres Licht zu tauchen, wurde das Berufsverbot von Nolde zum Malverbot überformt, um die eigene Opferrolle zu betonen. In dem Entwurf einiger Kapitel, die Nolde dem geplanten dritten Band seiner Erinnerungen hinzufügen wollte, gab er beide Reichskammer-Briefe wieder – also auch das Schreiben vom 20. No-

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vember 1941 – und kommentierte: „Als dieses Mal- und Verkaufsverbot ankam, stand ich mitten im schönsten, produktiven Malen. Die Pinsel glitten mir aus den Händen.“70 In der von Martin Urban redigierten Druckfassung, die zum 100. Geburtstag des Künstlers 1967 veröffentlicht wurde, wurde der zweite Brief nicht mehr wörtlich zitiert.71 Die Möglichkeit Noldes, dem Ausschuss Bilder zur Begutachtung vorzulegen, wurde überhaupt nicht erwähnt. Wie Urban in seinem Nachwort schreibt, sei der Text des Manuskripts unverändert wiedergegeben, nur „einige unklare Stellen wurden fortgelassen“.72 Eine Editionsgeschichte von Noldes Memoiren steht noch aus, aber eines ist jetzt schon klar: Die Geschichte von Noldes Malverbot hat viele Autoren. Die Umdeutung vom Berufs- zum Malverbot gewann auch deshalb große Plausibilität, da in den veröffentlichten Memoiren auch eine Überprüfung durch die Gestapo erwähnt wurde: „Die Gestapo kam forschend fragend. Einmal und zum zweitenmal, fast einen ganzen Tag.“73 Soweit sich das bisher überprüfen ließ, kamen die Noldes tatsächlich nur einmal wegen der neuen Richtlinie in Schwierigkeiten, jedoch nicht aufgrund von Noldes Malerei, sondern wegen der ungewöhnlichen Art der Kontaktpflege des Künstlerehepaars. Ada schrieb während des Krieges regelmäßig an knapp 50 junge Soldaten, teils Söhne aus ihrem Bekanntenkreis, teils Bewunderer, die sich aus dem Feld schriftlich in Seebüll gemeldet hatten. Die Briefe vervielfältigte Ada selbst auf ihrer Druckmaschine in Seebüll. Einer von ihnen wurde versehentlich in einem Zugabteil liegengelassen und fand im April 1942 den Weg zu den Behörden.74 Es war ausgerechnet derjenige – von Januar 1942 –, in dem Ada den jungen Bewunderern von dem Ausschluss aus der Reichskulturkammer berichtete und mitteilte, sie habe in den letzten Monaten das „Buch“ mit dem Reisebericht nach Neuguinea, das Nolde 1936 geschrieben hatte, im Eigenbetrieb vervielfältigt und gebunden.75 Die Bände waren als Geschenke an Freunde gedacht – aber die Behörden vermuteten einen Verstoß gegen das Publikationsverbot. Es kann durchaus sein, dass die Gestapo die Ermittlungen initiierte, zuständig aber war der Landrat in Niebüll, und vor Ort wurde die Angelegenheit in die Hände von Amtsvorsteher Andreas Hansen gelegt.76 Hansen war ein alter Bekannter Noldes, der dem Künstler wohlgesonnen war, und der an den Rehabilitierungsbemühungen Noldes regen Anteil nahm. Von einem unangekündigten Kontrollbesuch kann in diesem Fall keine Rede sein: Hansen meldete seinen Besuch am Vortag telefonisch an; bei seinem Besuch am 24. Juli 1942 besprach er die Angelegenheit mit Nolde, ließ sich die Neuguineaschrift geben und versprach seine Unterstützung. Ada lag zu dieser Zeit im Eppendorfer Krankenhaus; Nolde schrieb ihr noch am selben Abend: „Es ist wohl nichts Schlimmes, er wolle es noch etwas hinhalten, bevor er antwortet.“77 Ein paar Tage später, wahrscheinlich nach einem zweiten Besuch des Amtsvorstehers, berichtete Nolde, dass Hansen das Manuskript mittlerweile gelesen habe, „u. da stehe nichts darin, das beanstandet werden könne, das würde er sagen“.78 Nolde selbst hatte vollstes Verständnis dafür, dass die Reichskammer der Sache auf

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den Grund gehen wollte, sah sich aber vollständig unschuldig, wie aus einem Brief an Ada hervorgeht: „Wenn genügend Papier wieder da sein wird. u. es in Auflage gedruckt werden kann, dann wird es zur Genehmigung, wie jedes andere Buch, eingesandt werden müssen. Erstmal aber wollen sie nur eines haben. Daß es nur Manuskript ist, steht ja vorne vermerkt und an die Öffentlichkeit ist es ja nicht gegeben worden und abgedruckt darf es ohne meine Zusage nicht werden.“79 Tatsächlich hatte die Episode keinerlei weitere Konsequenzen für Nolde. Die einzige zeitgenössische Erwähnung der Gestapo, die sich bisher finden ließ, erfolgt – genau während dieser Zeit, Ende Juli 1942 – in einem Brief von Ada an den Sammler Bernhard Sprengel. Hier schrieb sie, „die Gestapo will etwas, und dahinter steht die Reichskammer. Man will uns offenbar Vorwürfe machen wegen des Buches, dass wir damit das Verbot überschritten haben“.80 Man kann es nur Ironie des Schicksals nennen, dass in Noldes späterer Darstellung der Freund und Helfer, Amtsvorsteher Hansen, zu einem Repräsentanten der Gestapo mutiert und später von Siegfried Lenz als Dorfpolizist Jepsen zum fanatischen Pflichterfüller stilisiert wurde. Dafür, dass Nolde aus Angst vor polizeilicher Überprüfung „heimlich“ hätte arbeiten müssen, haben sich bislang keine zeitgenössischen Belege finden lassen können. Dieses Narrativ tauchte erstmals in der Presseberichterstattung über Nolde kurz nach Kriegsende auf und wurde in den diversen Monographien Werner Haftmanns popularisiert, ganz offensichtlich als Teil einer bewussten Exkulpationsstrategie.81 In der Korrespondenz der frühen 1940er Jahre hingegen schrieb Nolde zuweilen offen davon, dass er weiter arbeite, so z. B. am Ende eines Briefes an Ada wegen der Manuskriptangelegenheit: „Und dann gehe ich wieder zu meinen Aquarellen hinunter, die auch so oft nicht wollen, wie ich es möchte. Die ganze Kraft einzusetzen ist gar nicht leicht, wenn Hemmungen den Menschen, den Künstler binden.“82 Es scheint so, als ob es nicht staatliche Überwachung, sondern das Alter war, was dem mittlerweile 75-Jährigen in erster Linie zu schaffen machte. Diese Gemengelage wird in einem Brief an Ada von Anfang August 1942 deutlich, in dem Nolde an Ada über den bevorstehenden Besuch des Ehepaar Sprengels berichtete: „Die paar Bilder, welche ich gemalt habe, werde ich wohl Sprengels zeigen und auch Aquarelle, möglichst wenn wir allein sind. Ein paar Bilder, an denen ich ein wenig gemalt haben, frühere Bilder, sind schön geworden, das ‚Moor‘ besonders, dies simple Bild! Ist es nicht schön, daß ich immernoch an Bilder früherer Zeit rangehen kann und sie steigern. Sonst aber ist es mir, als ob ich nicht die Stoßkraft noch habe, die ich in früheren Zeiten so unvergleichlich hatte und dabei immer Künstler, im höchsten Sinne, sein konnte. Es ist nun wirklich kein Wunder, wenn die physische Kraft geringer sein sollte, – ich bin doch auch kein Matterhornbesteiger mehr.“83 Gleichzeitig ließ Nolde das Berufsverbot natürlich auch nicht unberührt. Einige Wochen vorher klang in einem anderen Brief an ein befreundetes Ehepaar das Märtyrermotiv deutlich stärker an: „Es sind nun 18 Monate, seit dem Herbst 40, wo ich

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besonders schön malte, daß ich nichts belangvolles mehr gemalt habe, erzwungen, vegetierend, lebend.“84 Oder, im Juli 1943, in einem Brief an Otto Andreas Schreiber: „Meiner Kunst sind zweiseitig Feinde erstanden, Staatsschutz haben meine Bilder keinen und welchen Sinn hätte es noch, dass ich arbeiten würde! – Und dennoch habe ich den Trieb meiner Liebhabereien folgend kleinste schönste Sächelchen entstehen lassen dürfen, so schön wie nie zuvor. Doch bitte ich Sie hiervon keine Silbe zu sagen. Ich darf ja nichts tun u. hinter jedem Busch lauert Verkennung und Neid in der Hoffnung irgendetwas zu erfahren, das mich als Künstler nochmals töten könne.“85 Werner Haftmann hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, aus einer Selektion von Nolde-Zitaten dieser Zeit ein Bild zu entwerfen, durch die der Eindruck entsteht, Nolde habe sich nach 1941 und schon davor durchgehend und in erster Linie als verfolgt und in seinem künstlerischen Schaffen gehemmt gefühlt. Tatsächlich muss man Noldes Subjektivität historisch fassen: Die Eigenwahrnehmung, die Akteursperspektive ist durchaus wichtig. Aber um diese angemessen rekonstruieren zu können, bedarf es einer Auswertung sämtlicher Quellen dieser Jahre und einer sorgfältigen Untersuchung der diversen Selbstdarstellungsstrategien gegenüber unterschiedlichen Personen sowie des sich verändernden Künstlerverständnisses – und diese Rekonstruktion wird erst am Ende des derzeitigen Forschungsprojektes zu Nolde und dem Nationalsozialismus stehen. Klar ist schon jetzt: Nolde sah das Berufsverbot nicht als Endpunkt seiner künstlerischen Karriere, sondern nur als eine weitere Verkennung seines wahren künstlerischen Genies, und erwartete, dass letztendlich seine Bewunderer und Förderer schon einen Umschwung herbeiführen würden. Er fuhr 1942 mit Ada nach Wien, weil ihm der Schauspieler Mathias Wieman über den Generalintendanten dort, Walter Thomas, ein Treffen mit Baldur von Schirach vermittelt hatte. Ein persönliches Treffen kam zwar dann doch nicht zustande, aber von Schirach nahm Werke von Nolde zu sich nach Hause und versprach, sich für ihn einzusetzen. Auch wenn von Schirachs Bemühungen dann doch von Goebbels und Rosenberg ausgebremst wurden, so trug dessen versprochene Unterstützung trotzdem dazu bei, Noldes Vertrauen in das nationalsozialistische Regime nicht vollkommen zu verlieren.86 1943 trug sich Nolde offenbar mit dem Gedanken, einen SA-Mann zu malen.87 Und noch 1944 schrieb Ada Briefe an Leute mit Einfluss, von denen sie sich – mit Hinweis auf Noldes Patriotismus und seine Parteimitgliedschaft – Unterstützung erhoffte. In einem Brief an Otto von Kursell, einem alten Freund Rosenbergs, von dem Noldes gehört hatten, er sei der neue Direktor der „Vereinigten Staatlichen Kunstschulen“ geworden, schrieb sie z. B. im Februar 1944: „Er wird in diesem Jahr 77 und sitzt mit gebundenen Händen und entehrt in seinem geliebten Deutschland um dessentwillen er viel ausgestanden hat und viel ausgeschlagen hat, das ihm aus anderen Ländern angetragen wurde. Er ist Nordschleswiger und dort Mitglied der N.S.D.A.P. Seine Anhänger sind Jung und Alt, alle warten auf den Tag, wo unser deutscher Staat ihm die Anerkennung zu Teil

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werden lässt, die ihm gebührt u. durch irgend einen traurigen Umstand verwehrt wird.“ Emil Nolde hatte zu diesem Zeitpunkt offensichtlich schon resigniert. Er ließ seine Frau das Wort „Anerkennung“ ausstreichen und durch das Wort „Freiheit“ ersetzen.88

7 Dieser Briefentwurf von Februar 1944 an den neuen Direktor der Berliner Kunsthochschule zeigt, wie auch zweieinhalb Jahre nach dem Berufsverbot das Ehepaar Nolde noch auf eine Rehabilitierung des Künstlers hoffte, und weiterhin versuchte, ihn ins rechte Licht zu rücken.

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Abschließende Bemerkung Das Motiv der „gebundenen Hände“, das 1944 schon anklingt, wurde nach 1945 zu einem Leitmotiv der Nolde-Rezeption; die so genannten „ungemalten Bilder“ zu einem physischen Beweis für Noldes künstlerischen Widerstand. Tatsächlich aber zeigt das Beispiel Noldes, wie schwierig es ist, den „Sieg der Traditionalisten“ zeitlich zu verorten und welche Verrenkungen es erfordert, die vielfältige Unterstützung und Wertschätzung Noldes von höchsten Funktionsträgern des Regimes zu ignorieren, wenn wir ernsthaft versuchen, dem Kunstbetrieb während des Nationalsozialismus in all seinen Facetten gerecht zu werden. Bei der Frage nach den Handlungsspielräumen des Künstlers Nolde innerhalb der totalitären nationalsozialistischen Gewaltdiktatur stellt die „Entartete Kunst“-Propagandaschau noch keine entscheidende Zäsur dar. Erst als im Zuge der Radikalisierung der deutschen Politik während des Eroberungskrieges die kunstpolitischen „Säuberungs“-Bemühungen vom öffentlichen Raum – den deutschen Kunst-Museen – auf die Privatwirtschaft – nämlich Kunstproduzenten und Kunsthandel – übertragen wurden, kann man von einer unmittelbaren Beeinträchtigung des Kunstschaffens Noldes sprechen. Allerdings waren der Luftkrieg und die daraus entstehende Gefährdung der Bilder Noldes für den Künstler eine mindestens genauso belastende Erfahrung wie die Verfemung seiner Kunst durch staatliche Stellen. Letztlich bewahrte Nolde sich aber die Hoffnung, dass die auratische Kraft seiner Bilder schon noch vom „jungen“, nationalsozialistischen Deutschland Anerkennung finden werde. Dass er als großer Künstler mit Verkennung zu rechnen hatte, gehörte zu seiner Eigenwahrnehmung als künstlerisches Genie. „Wenn in Deutschland während der gegenwärtigen Entwicklung neben allem Grossen auch Fehler gemacht werden – das ist wiederholt zugegeben worden – ist das nicht ganz verständlich?“, sinnierte er in einem Brief an seinen Freund Hans Fehr im Januar 1937. „Im Kulturleben fehlt das Selbstbewusstsein. Man schaut wie hilfesuchend nach dem mittelländischen Süden und dem Wikingernorden. Auch dies wird überwunden werden. Ich liebe Deutschland in seiner Kraft, den Schwächen zürne ich nicht.“89 In dieser Haltung wurde er von einer großen Anzahl von Bewunderern – unter ihnen auch viele Parteimitglieder und -funktionäre – über die Jahre immer wieder bestärkt. Wenn aber viele Nationalsozialisten unterschiedlichen Alters die Kunst des alten Nationalsozialisten Emil Noldes wertschätzten, dann zwingt uns der Fall Nolde, das Mantra der Nachkriegszeit – dass es keine guten nationalsozialistischen Künstler gegeben habe – in Frage zu stellen. Anmerkungen Dieser Beitrag steht im Zusammenhang einer größeren Studie zu Emil Nolde und dem Nationalsozialismus, die der Verfasser in Kooperation mit der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde sowie dem Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung

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Preußischer Kulturbesitz zurzeit vorbereitet. Das Projekt wird gefördert von der Gerda Henkel Stiftung und der Alexander von Humboldt-Stiftung.  1 Vgl. Paul Ortwin Rave: Kunstdiktatur im Dritten Reich, hg. von Uwe M. Schneede, Berlin 1987.   2 Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 133.   3 Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 134, 135.   4 Reinhard Heydrich an SS-Brigadeführer Gutterer, Ministerialdirektor in Goebbels Propagandaministerium, 25.4.1941, zit. nach Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 134.   5 Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 134.   6 Vgl. Monika Hecker: Ein Leben an der Grenze. Emil Nolde und die NSDAP, in Nordfriisk Instituut (Hg.): Nordfriesland, Nr. 110, Juni 1995, S. 9–15; Peter Vergo: Emil Nolde: Myth and Reality, in Emil Nolde, hg. von Peter Vergo/Felicity Lunn, Ausst.-Kat. Whitechapel Art Gallery, London 1995, S. 38–65; Markus Heinzelmann: „Wir werden uns bereithalten und warten auf Ihren Ruf.“ Die Beziehung der Familien Sprengel und Nolde in den Jahren 1941 bis 1945, in Sprengel Museum Hannover (Hg.): Emil Nolde und die Sammlung Sprengel 1937 bis 1956, Hannover 1999, S. 12–35; Uwe Danker: „Vorkämpfer des Deutschtums“ oder „entarteter Künstler“? Nachdenken über Emil Nolde in der NS-Zeit, in Demokratische Geschichte 14 (2001), S. 149–188; James A. van Dyke: Something New on Nolde, National Socialism, and the SS, in Kunstchronik 65 (2012), S. 265–270; Isgard Kracht: Ansichten eines Unpolitischen? Emil Noldes Verhältnis zum Nationalsozialismus, in Emil Nolde. Farben heiß und heilig, hg. von Stiftung Moritzburg Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Halle 2013, S. 193–198; Kirsten Jüngling: Emil Nolde. Die Farben sind meine Noten, Berlin 2013; Bernhard Fulda/Aya Soika: „Deutscher bis ins tiefste Geheimnis seines Geblüts“. Emil Nolde und die nationalsozialistische Diktatur, in Felix Krämer (Hg.): Emil Nolde. Retrospektive. Ausst.-Kat. Staedel Museum Frankfurt a. M., München 2014, S. 45–55.   7 Eine erste kritische Auseinandersetzung mit der rhetorischen Funktion der „Malverbote“ in der Nachkriegszeit findet sich bei Christian Fuhrmeister: Kunst und Architektur im Nationalsozialismus – Ein Überblick, in Urte Krass (Hg.): Was macht die Kunst? Aus der Werkstatt der Kunstgeschichte. München 2009, S. 187–205, hier 192/193.   8 Emil an Konrad Lemmer (Rembrandt-Verlag), 14.5.1940, Abschrift in Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (ANS).   9 Konrad Lemmer an Emil Nolde, 18.5.1940, ANS. 10 Emil Nolde an Konrad Lemmer, 22.5.1940, ANS. 11 Konrad Lemmer an Emil Nolde, 24.5.1940, ANS. Im Rembrandt-Verlag war 1935 posthum die von Max Sauerlandt 1933 gehaltene Vorlesungsreihe „Die Kunst der letzten 30 Jahre“ erschienen, worin Nolde eine zentrale Rolle spielte. Kurz nach der Veröffentlichung wurde das Buch verboten. 12 Konrad Lemmer an Emil Nolde, 24.5.1940, ANS. 13 Möglicherweise handelte es sich um Vorbesprechungen für die Veröffentlichung von Bruno E. Werner, „Die Deutsche Plastik der Gegenwart“, die der Rembrandt-Verlag 1940

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veröffentlichte und in der – wenn auch nur mit je einer Abbildung – auch Lehmbruck und Barlach positiv angeführt wurden. Nachdem 1935 neben dem Sauerlandt-Buch auch das im Vorjahr vom Rembrandt-Verlag veröffentlichte Werk von Alfred Hentzen, „Deutsche Bildhauer der Gegenwart“, wegen der Herausstellung von Lehmbruck und Barlach verboten worden war, könnte Lemmer dies als Zeichen des Umdenkens gedeutet haben. Tatsächlich aber wurde auch Werners „Deutsche Plastik der Gegenwart“ kurz nach Erscheinen verboten: siehe Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 133. 14 Die Abrechnungen, die Noldes Berliner Rechtsanwalt, Dr. von Zimmermann, quartalsweise vom Rembrandt-Verlag erhielt und an den Künstler weiterleitete, finden sich im Ordner „Rembrandt-Verlag ab 1934“, ANS. 15 Emil an Konrad Lemmer (Rembrandt-Verlag), 14.5.1940, Abschrift in ANS. 16 Emil an Konrad Lemmer, 22.5.1940, Abschrift in ANS. In dieser Art produzierten die Noldes dann auch den dritten Band, der ihnen 1942 Probleme mit den Behörden verursachen sollte, siehe unten. 17 Emil Nolde an Alfred Heuer, 21.10.1937, Getty Research Institute (GRI), SC, 2001.M.35. 18 Emil Nolde an Hans Fehr, 7.2.1937, in ANS. Einen Besuch Noldes der Ausstellung in München im Sommer 1937 – wie von Hans-Joachim Hecker behauptet (Hans-Joachim Hecker: Mißbrauchtes Mäzenatentum, in Peter-Klaus Schuster [Hg.]: Die „Kunststadt“ München 1937. Nationalsozialismus und „Entartete Kunst“, München 1998, S. 56–60, hier 59) – hat es nicht gegeben. Die Annahme beruhte auf einer Fehlinformation des früheren kaufmännischen Geschäftsführers des Hauses der Deutschen Kunst, Karl Kolb, die dieser im Januar 1947 im Rahmen von Döhlemanns Entnazifizierungsprozess gegeben hatte, vgl. Staatsarchiv München, SpkA K 295: Döhlemann, Friedrich. Tatsächlich ergibt sich aus der überlieferten Korrespondenz Noldes in Seebüll, dass der Besuch bei Döhlemann am 9./10. Februar 1937 stattfand und die Noldes von Mitte Mai bis Anfang Dezember 1937 in Seebüll waren. 19 Vgl. Dr. von Zimmermann an Emil Nolde, 6.9.1938, ANS. 20 Emil Nolde an die Ausstellungsleitung „Entartete Kunst“, München, 31.7.1937, Abschrift in ANS; Emil Nolde an Bernhard Rust, 5.8.1937, Entwurf in ANS. 21 Nolde an Goebbels, 2.7.1938, Bundesarchiv Berlin (BArchB), R 55/21014. Vollständig zit. u. a. in Danker 2001 (wie Anm. 6), S. 173/174. 22 Die zurückgeforderten Werke sind auf den späteren Stationen der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ ab Anfang 1939 nicht mehr vertreten. Eine Auflistung von Werken Noldes auf den diversen Ausstellungsstationen der Wanderausstellung gibt die Datenbank der Forschungsstelle Entartete Kunst, http://emuseum.campus.fu-berlin.de/eMuseumPlus. 23 Karen Peter (Hg.): NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit: Edition und Dokumentation, vol. 6/III, München 1999, S. 1173. Von dem Brief an den Reichspressechef Otto Dietrich – einem Staatssekretär im Reichspropagandaministerium – hat sich nur ein sechsseitiges Schreibmaschinen-Manuskript ohne Angabe zum Adressaten mit Korrekturen in der Handschrift Noldes und von ihm auf den 6.12.1938 datiert erhalten, aus dem Nachlass Hans Fehr, jetzt in ANS. Dass der Brief an den Reichspressechef gerichtet war, geht aus einem Schreiben Noldes

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zu „Weihnachten 1938“ hervor: „[...] wir haben an den Reichspressechef bereits geschrieben und gebeten, meinen ehrlichen deutschen Namen nicht mit den benannten jüdischen Grössen durch die Presse schleifen zu wellen.“ Zit. nach Uri Benjamin: Judaistische Urkunden in Auktionskatalogen, in MB – Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa, 16.6.1972, Nr. 23. 24 Ada an Duska Schmitt, 9.2.1939, Landesarchiv NRW, Düsseldorf, RW 265-10422/1. 25 Ada Nolde an das Ehepaar Heuer, 12.6.1939, aus Seebüll, GRI, SC, 2001.M.35. 26 Christoph Zuschlag: „Es handelt sich um eine Schulungsausstellung“. Die Vorläufer und die Stationen der Ausstellung „Entartete Kunst“, in Stephanie Barron (Hg.): „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, München 1992, S. 83–103, hier 95. 27 Ada Nolde an das Ehepaar Heuer, 9.7.1940, GRI, SC, 2001.M.35. 28 Ada Nolde an Hans Fehr, 11.7.1940, in ANS. Teilweise zitiert in Hans Fehr: Emil Nolde – Ein Buch der Freundschaft, Köln 1957, S. 153, allerdings bezeichnenderweise nur ab „Emil wurde [...]“. 29 Vgl. Gesa Jeuthe: Kunstwerte im Wandel. Die Preisentwicklung der deutschen Moderne im nationalen und internationalen Kunstmarkt 1925 bis 1955. Berlin 2011, S. 159. 30 Vgl. Brief von Ernst Gosebruch an Carl Hagemann, 21.5.1937 und 5.6.1937, in Hans Delfs/ Mario-Andreas von Lüttichau/Roland Scotti (Hg.): Kirchner, Schmidt-Rottluff, Nolde, Nay ... Briefe an den Sammler und Mäzen Carl Hagemann 1906–1940, Ostfildern 2004, Nr. 836 u. 842. Nach Kriegsende empörte sich Carl Hofer – nicht nur deshalb – über die Stilisierung Noldes als „Opfer“ und mokierte sich in einem Brief an Alfred Hentzen über den „20.000 Mark Märtyrer“, zit. nach Andreas Hüneke (Hg.): Karl Hofer. Malerei hat eine Zukunft. Briefe, Aufsätze, Rede, Leipzig 1991, S. 298–300, hier 298. 31 Ernst Gosebruch an Carl Hagemann, 30.4.1937, zit. nach Delfs/Lüttichau/Scotti 2004 (wie Anm. 30), Nr. 828. 32 Ernst Gosebruch an Carl Hagemann vom 7.1.1938, in Delfs/Lüttichau/Scotti 2004 (wie Anm. 30), Nr. 925. 33 Wie Anm. 32. 34 Ernst Gosebruch an Carl Hagemann vom 1.12.1939, in Delfs/Lüttichau/Scotti 2004 (wie Anm. 30), Nr. 1114. 35 Vgl. Angaben in Brief Emil Noldes an Adolf Ziegler, 12.12.1940, Abschrift in ANS. 36 Vgl. Heinzelmann 1999 (wie Anm. 6), S. 12–35. 37 Kopie in ANS. Das Original befindet sich im Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 460.19, Nr. 471. Vgl. die Angaben für 1937 bis 1942 in Jüngling 2013 (wie Anm. 6), S. 253. 38 Steuerakte 1940, in ANS. 39 Anlage 1 zum 6. Buch Sozialgesetzbuch, siehe http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/ anlage_1_584.html, 20. Mai 2014. Vgl. auch Dietmar Petzina/Werner Abelshauser/ Anselm Faust (Hg.): Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Bd. III: Materialien zur Statistik des Deutschen Reichs 1914–1945, München 1978, S. 102. 40 Vgl. Tabelle 4.2 in Alan E. Steinweis: Art, Ideology and Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, Chapel Hill 1993, S. 97.

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41 Ab 1938 wurden maximal 1 % vom Einkommen bzw. 0,5 % vom Umsatz als Mitgliedsbeitrag festgesetzt, vgl. Uwe Julius Faustmann: Die Reichskulturkammer: Aufbau, Funktion und Grundlagen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im nationalsozialistischen Regime, Aachen 1995, S. 138. 42 National-Zeitung, 24.9.1936; zit. nach Rave 1987 (wie Anm. 1), S. 92. 43 Ernst Gosebruch sandte Nolde einen Zeitungsartikel mit Baudissins Aufruf zu („Es ist recht übel.“), siehe Brief Emil Nolde an Ferdinand Möller, 1.10.1936, zitiert in Eberhard Roters: Galerie Ferdinand Möller: die Geschichte einer Galerie für Moderne Kunst in Deutschland 1917–1956, Berlin 1984, S. 274. Vgl. auch Carl Hagemann an Emil Nolde, 5.6.1938, in Delfs/Lüttichau/Scotti 2004 (wie Anm. 30), Nr. 964. 44 Steinweis 1993 (wie Anm. 40), S. 148/149. 45 Meldungen aus dem Reich, Nr. 116, 19.8.1940, zit. nach Otto Thomae: Die Propaganda-Maschinerie: bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im Dritten Reich, Berlin 1978, S. 172. 46 Mitteilungsblatt der Reichskammer der bildenden Künste 1940/10, S. 2. Zum weiteren Kontext vgl. Wenke Nitz: „Fort mit dem nationalen Kitsch!“ Die Reglementierung des Umgangs mit politischen Symbolen im Nationalsozialismus, in Vittoria Borsò/Christiane Liermann/ Patrick Merziger (Hg.): Die Macht des Populären. Politik und populäre Kultur im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2010, S. 115–144, sowie Steinweis 1993 (wie Anm. 40), S. 167/168. 47 Ada Nolde an Duska Schmitt, 6.12.1940, in Landesarchiv NRW, Düsseldorf, RW 265-10423. 48 Präsident der Reichskammer (gez. Polus) an Emil Nolde, 7.12.1940, in ANS. 49 Undatiert [Mitte Dezember 1940], Ada an Duska Schmitt, in Landesarchiv NRW, Düsseldorf, RW265-10420 79. 50 Alfred Hentzen, in Thomas Victor Adolph: Emil Nolde – gesehen von seinen Freunden, in Flensburger Studienkreis (Hg.): Emil Hansen aus Nolde, der Maler aus dem schleswigschen Grenzland, eine Gestalt zwischen Deutschland und Dänemark, Flensburg 1974, S. 84. Hentzens These ist insofern plausibel, als dass tatsächlich die Reichskammer einen Tag nach Unterzeichnung der neuen Anordnung einen Brief an Emil Nolde schickte (der allerdings verschollen ist), der ihn anscheinend zur Zahlung seines Mitgliedsbeitrages aufforderte, vgl. Emil Nolde an Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste Berlin, 8.10.1940, Abschrift von Ada Nolde in ANS. Es kann also tatsächlich sein, dass im Oktober oder November 1940 Noldes Einkommensverhältnisse unter Kunstfunktionären für Aufsehen sorgten. 51 Emil Nolde an den Herrn Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste Berlin, 12.12.1940, Abschrift in ANS. 52 Emil Nolde an Henrich Hansen, 12.12.1940, Abschrift in ANS. 53 Ada Nolde an Duska Schmitt, 5.3.1941, aus Kitzbühel, in Landesarchiv NRW, Düsseldorf, RW 265-10427. Die Datierung „5.2.“ ist falsch; Noldes kamen erst am 26. Februar in Kitzbühel an, vgl. Brief Ada Nolde an Ziegler, 28.2.1941, aus Kitzbühel, Abschrift in ANS. Bei Frau Göring handelt es sich um Inge Göring (später Göring-Diels), die Nichte bzw. Schwägerin von Hermann Göring.

Emil Noldes Reaktion auf den Sieg der Traditionalisten

54 Reinhard Heydrich an SS-Brigadeführer Gutterer, Ministerialdirektor in Goebbels Propagandaministerium, 25.4.1941, BArchB R55, 21018, Bl. 19. 55 Ministerialdirektor Leopold Gutterer an Heydrich, 6.5.1941, BArchB, R55 21018, Bl. 18. 56 Präsident der Reichskammer der bildenden Künste (Adolf Ziegler) an Nolde, 23.8.1941, ANS. 57 Undatierte Hektographie mit Abschrift des Briefes von Ziegler, 23.8.1941, in ANS. 58 Vgl. Bernhard Fulda/Aya Soika: Emil Nolde and the national-socialist dictatorship, in Olaf Peters (Hg.): Degenerate Art: The Attack on Modern Art in Nazi Germany, 1937, Exhibition catalogue, Neue Galerie, New York (13.3.–30.6.2014), München/New York 2014, S. 184–193, hier 188. Zu Schreiber siehe auch Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Reinbek 1963, S. 67; Ernst Piper: Ernst Barlach und die nationalsozialistische Kunstpolitik, München 1999, S. 24; Dieter Scholz: Otto Andreas Schreiber, die „Kunst der Nation“ und die Fabrikausstellungen, in Eugen Blume/Dieter Scholz (Hg.): Überbrückt. Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus. Kunsthistoriker und Künstler, 1925–1937, Köln 1999, S. 92–108. 59 Otto Andreas Schreiber an Emil Nolde, 20.12.1941, ANS. 60 Otto Andreas Schreiber an Emil und Ada Nolde, 22.12.1942, ANS. 61 Undatierter Briefentwurf in Ada Noldes Handschrift, von Emil Nolde redigiert, vermutlich Sept. bis Nov. 1941. Der Plan war vermutlich, über Adas Bruder die Werke in Sicherheit zu bringen. Dieser hatte auch schon 1939 elf der im Rahmen der „Entartete Kunst“-Aktion beschlagnahmten Bilder von Nolde im Auftrag aufgekauft, vgl. Jüngling 2013 (wie Anm. 6), S. 250. 62 Präsident der Reichskammer der bildenden Künste (i. A. gez. Hoffmann) an Nolde, 20.11.1941, ANS. 63 Ada an Emil Nolde, 28.7.1942, ANS. „Nun haben uns ja die Rechtsanwälte gesagt, daß Schenken an private Freunde keine Verbreitung in der Öffentlichkeit ist [...]“ 64 Peter Thomas (Stadttheater Schleswig) an Emil Nolde, 17.12.1942, in ANS. 65 Ada Nolde an Peter Thomas, „z. Z. Eppendorfer Krankenhaus, Pav. 20, Hamburg 20“ [undatiert, Ende Dezember 1942]. 66 Für eine typische Klage siehe Adas Rundbrief an eine Reihe befreundeter Soldaten vom 29.1.1942, wiedergegeben in Emil Nolde: Reisen, Ächtung, Befreiung. 1919–1946, Köln 1967, S. 135/136, 141, hier 136. Zu Noldes Materialpräferenzen schrieb Ada Nolde unmittelbar nach Kriegsende in einem Brief an Familie Heuer, 3.9.1945 (in GRI, SC, 2001.M.35): „Nur mit Material ist es knapp, Farben sowohl Oel wie Aquarell fehlen. E. N. malt gern nur mit bestem Material und besonders seine beiden besondere Freunde gelb u. blau sind knapp.“ 67 Vgl. Brief Gertrud Stickforth an Ada und Emil Nolde, 14.2.1942 (ANS), in dem sie erwähnt, dass ihr Sohn Eberhard Osthaus (in Worpswede) gerne helfen wolle, Farbe und Leinwand zu beschaffen. 68 Schreiber an Ada und Emil Nolde, 11.4.1943, ANS. 69 Erst Ende 1944 malte Nolde ein kleines Figurenbild, „Mutter und Kind“ (Urban 1252). 70 Kopie der entsprechenden Passage in ANS. 71 Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 125.

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Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 180. Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 125. Undatierter Brief [26.7.1942], Emil an Ada Nolde, ANS. Der Brief vom 29.1.1942 ist vollständig wiedergegeben in Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 135–141. 76 Vgl. Emil an Ada Nolde, 24.7.1942, ANS. 77 Emil an Ada Nolde, 24.7.1942, ANS. 78 Emil an Ada Nolde, 30.7.1942, ANS. In den posthum veröffentlichten Memoiren steht hingegen: „Als aber das abgeschriebene Buch von einem höheren Beamten gelesen wurde, der wirklich nicht darin finden konnte, es interessierte ihn aber, da endlich fiel die Sache hin, das Gespenst ‚KZ‘ war verscheucht.“, vgl. Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 142. 79 Nolde 1967 (wie Anm. 66), S. 142. 80 Ada Nolde an Sprengels, 28.7.1942, in Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Dep. 105, Acc.2/80, 98. 81 Vgl. Brief Werner Haftmann an Bernhard Sprengel, in Jüngling 2013 (wie Anm. 6), S. 292. Für einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Malverbot-Narrativs vgl. Bernhard Fulda: Myth-making in Hitler’s shadow: the transfiguration of Emil Nolde after 1945, in Jan Rüger/Nikolas Wachsmann (Hg.): Rewriting German History. Festschrift for Richard J. Evans, Basingstoke 2015 (im Druck). 82 Emil an Ada Nolde, 1.8.1942, ANS. 83 Emil an Ada Nolde, 5.8.1942, ANS. 84 Nolde an Ehepaar Heuer, 1.7.1942, GRI, SC, 2001.M.35. 85 Emil Nolde an Otto-Andreas Schreiber, 27.7.1943, http://www.otto-andreas-schreiber.de/ Schreiber/Briefe.html, 30.10.2013. „Zweiseitig“ bezieht sich hier einerseits auf die Bedrohung seiner Bilder durch alliierte Luftangriffe, andererseits auf die Reichskulturkammer-Funktionäre. Die hier zum Ausdruck gebrachte Angst vor Schwierigkeiten, die ihm durch missliebige Zeitgenossen entstehen konnten, war nicht ganz unbegründet: Der Generalintendant des Preußischen Staatstheaters, Heinz Tietjen, hatte durch Zufall eine Unterhaltung mitgehört, die Noldes Wien-Reise betraf, und in Berlin anschließend aufgebracht darüber berichtet. Goebbels und Rosenberg intervenierten, was dazu führte, dass von Schirach Nolde seine Unterstützung entzog, vgl. Heinzelmann 1999 (wie Anm. 6), S. 28. Siehe dazu auch den Brief Noldes an Ehepaar Heuer, 1.7.1942, GRI, SC, 2001.M.35: „Ein Theaterdirektor aus Berlin, war vor unserer Ankunft, ganz zufällig bei einem Gespräch anwesend. Er verbreitete das Gehörte sensationell aufgebracht überallhin, es kam auch nach Wien, Verstimmung herbeiführend.“ 86 Für die Wien-Fahrt vgl. Heinzelmann 1999 (wie Anm. 6), S. 26–28. 87 Ada an Emil Nolde, 29.5.1943, ANS. 88 Briefentwurf Ada Nolde an Otto von Kursell, datiert 10.2.1944, von Emil Nolde handschriftlich redigiert, ANS. 89 Emil Nolde an Hans Fehr, 9.1.1937, Abschrift in ANS.

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Felix Nussbaum (1904–1944)

Das Werk des Malers Felix Nussbaum, der 1904 in Osnabrück geboren und 1944 in Auschwitz ermordet wurde, nimmt eine Sonderrolle in der Kunst des 20. Jahrhunderts ein. Es ist ab 1933 von der Bedrohung des jüdischen Künstlers durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geprägt und reflektiert auf sehr eindringliche Weise die persönliche Bedrohung vor dem Hintergrund der zeithistorischen Ereignisse. Dabei zeichnet sich das Werk durch einen eigenständigen Stil aus, der sich an der westeuropäischen, figurativ-gegenständlichen Moderne orientiert. Ausgehend von den frühen Einflüssen des Malers Vincent van Gogh und der metaphysischen Malerei Giorgio de Chiricos entwickelt Nussbaum eine sehr persönliche, symbolisch verschlüsselte Bildsprache, mit der der Künstler seine innersten Gefühle auszudrücken vermag. Diese frühe Prägung liegt einerseits in dem familiären Umfeld begründet, wo dem jungen Maler, protegiert durch den Vater, das Werk Vincent van Goghs begegnet. Andererseits ist es auf die Eindrücke im Berlin der 1920er Jahre zurückzuführen, wo Nussbaum an den „Vereinigten Staatsschulen“ studiert und eine beeindruckende Karriere als Künstler der jüngeren Generation gelingt. Der frühe Erfolg wird durch die Machtergreifung Adolf Hitlers und die beginnende nationalsozialistische Gewaltherrschaft jäh beendet. Nussbaum reflektiert in den Jahren der Emigration in Belgien und noch im Versteck in Brüssel ab 1942 sein persönliches Schicksal: von den Erfahrungen des Exils bis zur unmittelbaren Todesbedrohung in den letzten Jahren vor seiner Verhaftung und Ermordung in Auschwitz. Das künstlerische Arbeiten wird ihm zu einem Akt des Widerstandes gegen die politischen Zeitumstände und die persönliche Bedrohung. Im Folgenden werden ausgehend von den Berliner Studienjahren und anhand ausgewählter Werke die wichtigsten Stationen im Leben des Malers sowie die Entwicklung seines künstlerischen Schaffens dargestellt. Die Berliner Jahre, in denen das Frühwerk des Malers entsteht, umfassen den Zeitraum von 1923 bis 1932. Die frühesten bekannten Gemälde stammen aus dem Jahr 1925. Nussbaum, der frühzeitig die Schule in Osnabrück verlässt, geht 1922 zunächst nach Hamburg an die Kunstgewerbeschule, um, wie er selber sagt, „[...] zu lernen, wie man mit praktisch angewandter Schönheit Geld verdienen kann“.1 Den Entschluss, die Kunstgewerbeschule bald wieder zu verlassen, begründet Nussbaum

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mit den Worten: „Aber, wie es den meisten geht, kehrte ich mich von dieser Zierkunst ab, um mich der brotlosen Malerei zu widmen.“2 Nussbaum entscheidet für sich früh, Künstler zu werden, und er distanziert sich in dem hier zitierten Rückblick auf den eigenen künstlerischen Werdegang bewusst von dem um 1920 zeitgemäßen Ideal der Synthese der freien und angewandten Künste. Er geht 1923 nach Berlin und besucht zunächst für ein Jahr die „Privaten Studienateliers für Malerei und Plastik“, auch „Levin-Funcke-Schule“ genannt. Er nimmt Unterricht bei Willy Jaeckel, der „damals bei den jungen Künstlern einen großen Ruf hatte“, wie Nussbaum selber hervorhebt.3 Leider ist weiterhin nicht viel über den Unterricht bei Jaeckel bekannt. Auch Werke, gar Schülerarbeiten Nussbaums aus dieser Zeit sind nicht erhalten. In den Studienateliers begegnet Nussbaum Felka Platek, seiner späteren Ehefrau, und Ludwig Meidner, mit dem Nussbaum länger in freundschaftlichem Kontakt bleiben wird. Zum Wintersemester 1924/25 wechselt Nussbaum an die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ und absolviert ein Probesemester bei César Klein, der eine „Atelierklasse für dekorative Kunst und Bühnengestaltung“ führt. Was Nussbaum jedoch in der eingangs zitierten Selbstdarstellung ironisch als „Zierkunst“ abqualifizierte, das kunstgewerbliche Arbeiten, gehört bei César Klein zu den ernsthaften künstlerischen Tätigkeiten. Tatsächlich wird Nussbaum noch von seinen kunsthandwerklichen Fähigkeiten profitieren, ob er solche in Hamburg oder in Berlin bei Cesar Klein lernte: Das Bemalen von Keramik und Illustrieren von Büchern dient ihm später im Exil, als er von der Kunst nicht leben kann, als wichtige Einnahmequelle.4 Laut Studienbescheinigung ist Nussbaum von April 1925 bis Juni 1930 Studierender der „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ in Berlin und hat Unterricht bei Paul Plontke im Fach Malen und bei Hans Meid im Fach Graphik.5 Im Dezember 1927 wird er zum Meisterschüler ernannt.6 Über die Beziehung Nussbaums zu den beiden Lehrerpersönlichkeiten ist nichts bekannt. Welche Bedeutung Hans Meid für Felix Nussbaum hat, bei dem er Meisterschüler wird, ist bislang noch nicht untersucht. Eine Einschätzung ist umso schwerer, da Meid die Graphikklasse leitete und Nussbaum vor allem Maler war. Es gibt nur wenige Druckgraphiken, dazu einige Zeichnungen und Gouachen – eine Technik, die für Nussbaum jedoch erst in den 1930er Jahren an Bedeutung gewinnt. Betrachtet man das Frühwerk Felix Nussbaums, von den ersten Gemälden aus dem Jahr 1925 bis hin zu den reifen Arbeiten um 1931, so wird deutlich, wie stark der Berliner Kunstbetrieb mit seinem vielfältigen Ausstellungsangebot an aktueller Kunst und eigene ausgewählte Vorbilder der jüngeren Kunstgeschichte den jungen Maler prägen. Der wichtigste und früheste Einfluss ist auf die Malerei Vincent van Goghs zurückzuführen. In van Gogh findet Nussbaum nicht nur in stilistischer Hinsicht ein Vorbild – Nussbaum versucht sich nur ansatzweise in dem pastosen

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und expressiven Malduktus des Holländers –, sondern erkennt vielmehr in van Gogh einen leidenschaftlichen und leidensfähigen Künstler und ein Vorbild dafür, individuelle und sehr persönliche Empfindungen und Gefühle mit künstlerischen Mitteln auszudrücken. Dabei hat Nussbaum keine Bedenken, seine Bewunderung für van Gogh zu zeigen, indem er offensichtlich auf Werke des Niederländers zurückgreift und sie in seinen Bildern verarbeitet: So am eindrücklichsten in dem Stillleben „Sonnenblumen“, 1928 (WV 64), aber auch in zahlreichen Landschaften und Porträts – die Reihe ließe sich fortsetzen und durch Gegenüberstellungen mit den Werken van Goghs bis in die Jahre um 1940 belegen.7 Am Ende seiner Studienzeit unternimmt Nussbaum im Jahr 1929, als er Meisterschüler bei Meid ist, eine Reise nach Südfrankreich. Die hier entstehenden Bilder präsentiert Nussbaum nach seiner Rückkehr aus Südfrankreich in der Galerie Wertheim 1930. Hermann Wilhelm, wie Nussbaum Schüler bei Paul Plontke, erinnert sich an die Irritation der Mitstudenten über die selbstbewussten Adaptionen der Bilder van Goghs: „Als er wiederkam überraschte er uns mit einer Ausstellung seiner Werke in der Galerie Goldschmidt [tatsächlich war es die Galerie Casper am Halleschen Ufer in Berlin, in der Nussbaum bereits 1927 seine erste Einzelausstellung hatte]. Er war den Spuren seines Gottes in Arles gefolgt und hatte alle Motive van Goghs im Angesicht der Natur getreulich mit dessen Handschrift nachgemalt. Von der Sonne des Südens ausgedörrt, [...] bestimmter als je auftretend, ein kleiner Napoleon der Malerei, stand er uns gegenüber. Wir sahen schwarz für ihn. Wie werden sie ihn verrupfen, die Glaser, Osborn, Westheim und Genossen! Aber unser Benjamin lächelte sein gewohntes Lächeln. Er hat Recht behalten, seine Ausstellung war ein Erfolg, und uns fiel die Butter vom Brot.“8 Überhaupt bestückte Nussbaum zahlreiche Ausstellungen, zwischen 1927 und 1932 waren es insgesamt 27 – immer mit gutem Erfolg: darunter allein drei Einzelausstellungen in Berlin.9 Ab 1929 nimmt er regelmäßig an den Ausstellungen der Secession sowie der Juryfreien teil, ferner an Ausstellungen, an denen Paul Westheim beteiligt war, der Nussbaum besonders schätzte und auch zwei seiner Werke besaß.10 Bemerkenswert sind auch die fast immer positiven Kritiken und Erwähnungen in der Presse. Besonders die Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit Nussbaums als Maler, durch die er sich von der Masse absetze, wird hervorgehoben. „Vielleicht ist es das Anziehende bei Felix Nussbaum, daß er sich so wacker gegen die Schule zu behaupten vermag. Begabter Kerl, scheint er ganz das Zeug zu haben, zu eigner Art zu kommen“, schreibt Paul Westheim 1929.11 Neben van Gogh spielten zwei weitere Künstler eine entscheidende Rolle in der Entwicklung eines eigenen Stils: Henri Rousseau, den Nussbaum bei Flechtheim kennen lernen konnte, und Giorgio de Chirico, dessen Werke 1927 und 1930 bei Nierendorf ausgestellt waren. Während die Bilder Rousseaus Nussbaum mit ihrer naiven Malweise die Möglichkeit offenbaren, der Welt mit unbedarftem Blick zu

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1 Erinnerung an Norderney, 1929 (WV 107), Öl auf Leinwand, 98 x 113,5 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

begegnen und alles ins Einfache verwandelt, augenscheinlich naiv darstellen zu können, eröffnet ihm die metaphysische Bildsprache Giorgio de Chiricos eine vollkommen neue Form der bildnerischen Gestaltung. Das Spiel mit Perspektiven, Proportionen, Tiefenräumlichkeit und Lichtwirkung wie in dem Gemälde „Erinnerung an Norderney“, 1929 (WV 107), geht unmittelbar auf die Begegnung mit den Bildern de Chiricos zurück. Gesteigert durch die Motive Schädel und zerbrochenes Rad gestaltet Nussbaum eine morbide, im Verfall begriffene Welt. Inmitten dieser Landschaft (oder ist es ein Stillleben?) stellt Nussbaum eine Postkarte, deren Motiv in seiner malerischen Gestaltung die naive Malerei Rousseau zitiert: Die Karte zeigt eine heitere Badegesellschaft und verweist auf unbeschwerte Ferientage. In dem

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Gemälde formuliert Nussbaum auf dem unteren Rand der Postkarte: „Gefühl von Trauer, welches gleich einem Rade über unserem Gemüt rollt. Aber dennoch bin ich kein Spielverderber und sind wir eine ganz fidele Gesellschaft. Überlassen wir also die Dinge, die unserem Auge unsichtbar sind, den modernen Malern!“ Nussbaum sucht demnach 2 „Der tolle Platz“(„Der Pariser Platz“), 1931 (WV 128), Öl auf Leinwand, 97 x 195,5 cm, Berlinische Galerie, Gefühle auszudrücken, die innere Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Welt, die er in der Malerei reflektieArchitektur, erworben aus Mitteln der Stiftung Deutsche ren und in seinen Bildern sichtbar Klassenlotterie, Berlin machen möchte. Melancholie und Heiterkeit gehören dabei gleichermaßen zur Person Felix Nussbaums wie auch zur Bildwelt des Künstlers. Es entstehen auf der einen Seite lustige Bildergeschichten kleinen Formats, alltägliche Szenen, die malerisch kindlich und naiv gehalten sind, der Karikatur nahe. Dazu gehören auch zeitgemäße Themen wie die moderne Kommunikation im Zeitalter des technischen Fortschritts, angefangen bei Darstellungen von Posthöfen und Postboten bis hin zum Berliner Funkturm.12 Andere Bilder zwischen 1928 und 1930 bezeugen dagegen eine andere Seite. Bilder wie die „Trostlose Straße“, um 1928 (WV 55), oder „Tanz an der Mauer“, 1930 (WV 114), zeigen Skelette, Galgen und Sargträger. In diesen Bildern thematisiert Nussbaum Tod und Sterben und setzt sich in ihnen mit Ängsten auseinander, die ihn wohl seit frühen Kindertagen beschäftigen.13 Diese so genannten „Angstbilder“ des Malers zeigen groteske Überzeichnungen: Die Sargträger in „Tanz an der Mauer“ schreiten in Revueformation, davor liegt in entspannter Haltung ein Skelett mit Überbiss, an dem rosaohrige Ratten knabbern – ein „Albtraum aus Zuckerguss und Marzipan“, kommentiert Willy Wolfradt.14 Doch die Ängste sind durchaus ernst zu nehmen. Durch die humoresk-groteske Umsetzung des Themas versucht Nussbaum Distanz zu gewinnen und seine Ängste zu beschwichtigen. Die Motive wird er später unter dem Eindruck der real gewordenen Bedrohung in dem Gemälde „Die Verdammten“ aus dem Jahr 1943/44 (WV 446) wieder aufgreifen. Nussbaum gilt in der Presse um 1930 allgemein als „satirisch aufgelegt“, er wird als Maler „heiter naiver Bilder“ und „amüsanter Grotesken“ beschrieben oder gilt als „Phantast“.15 So in der Berliner Kunstwelt bekannt, bereitet er seinen großen Künstlerclou vor: Als satirisches Spottbild auf die Berliner Akademie reicht er zur 64. Ausstellung der Sezession das großformatige Gemälde „Der tolle Platz“, 1931 (WV 128), ein. Die Ausstellung, die im April 1931 eröffnet wird, steht unter dem

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Thema „Künstler unter sich“. Sie zeigt vor allem Werke von Künstlern der Generation der um 1870 bis 1890 Geborenen und nur wenige Jüngere. Max Osborn beklagt hinsichtlich des Aufgebots die „anschwellende[n] Flut der Gleichgültigkeiten und Mittelmäßigkeiten, [...]. Daß auch die Akademie sich mit solchen Nieten reichlich belastet, ist zu bedauern. [...] Die Aufbegehrenden, die Nachrückenden sind entweder hinaus komplimentiert oder klopfen gar nicht mehr an, weil sie verschlossene Türen ahnen“.16 Die ausgestellten Arbeiten zeigen vor allem Porträts – Porträts von Künstlerfreunden und -kollegen. Allein Nussbaum reicht ein Gruppenbild ein, das viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Paul Westheim gibt eine gelungene Beschreibung und setzt zugleich Nussbaums freundliche Ironie in Polemik um: „Da ist der Pariser Platz, da ist die Akademie. Die Herren Professoren, durch ihre Bärte vor Zugluft geschützt, von Englein behütet, wallen auf kostbarem Teppich in das Akademiehaus. Während das Jungvolk, geschart um Paul Klee, den die Berliner Akademie ja auch noch nicht kennt, sich drängt schiebt und stößt und mit all den frisch gemalten schönen Bildern hübsch draußen zu bleiben hat. Ein Gegenstück zu dem vor 25 Jahren gemalten Bild von Henri Rousseau, das so verheißungsvoll bezeichnet ist: Die Freiheit lädt die Künstler zur Teilnahme am 22. Salon der Unabhängigkeit ein. Hier bei Nussbaum droht das Ganze mehr ins Apokalyptische überzuschlagen. Berlins Stolz: die Siegessäule ist zerborsten, das Liebermann-Haus neben dem Brandenburger Tor ist zur Hälfte schon eingestürzt. Oben wo das Atelier war, über dem Zusammenbruch, sieht man den Altmeister deutscher Kunst, das letzte Selbstbildnis vor der Zerstörung gerettet.“17 Felix Nussbaum thematisiert mit diesem Bild den Wechsel zwischen der älteren Generation um Max Liebermann und der jüngeren Generation, die für Paul Westheim durch Paul Klee repräsentiert wird – den er so auch inmitten der jungen Künstler fälschlicherweise identifiziert. Tatsächlich ist es Felix Nussbaum, der das „Jungvolk“ anführt, umgeben von seinen Mitstudenten und Freunden. Der Ort „Pariser Platz“ dient Nussbaum als Kulisse, die er verändert und verdichtet: Die Mitglieder der Akademie wandern zu einem Eingang, den es so nicht gab. Nussbaum gestaltet ihn als Gang in den Keller. Darüber lesen wir „demie (die Hälfte) der Künste“ – ein für Nussbaum typischer Wortwitz. Nussbaum gestaltet den Zug der Professoren gleich einem barocken Herrscherauftritt, den ein Putto mit Fanfare ankündigt, während ein anderer die preußische Fahne vorausträgt und weitere Putten Gänseblümchen und Vergissmeinnicht streuen. Mit seinem feinsinnigen und, für ihn typisch, liebenswürdigen Humor gestaltet Nussbaum derart eine Karikatur des Rückwärtsgewandten. Der apokalyptische Tenor des Bildes, den auch Westheim hervorhebt, die beginnende Zerstörung und die dunkle Trommlerformierung im Hintergrund deuten zugleich darauf, dass Nussbaum Dunkles ahnt. So sehr das Bild als Kritik an der Akademie zu verstehen ist, ist es zugleich gekonnte Satire, mit der Nussbaum die Akademie nicht grundsätzlich in Frage

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stellt. Alfred Döblin übt in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 11. April 1931 dagegen eine Universalkritik an der Akademie: „Warum wollen Sie denn, meine Herren, durchaus in die Akademie? Mitglied der Akademie zu sein, ist eine Beleidigung, das heißt Trottel sein, also warum wollen Sie das tun?“18 Diese provokanten Worte könnten sich direkt auf Nussbaums Bild bezogen haben. Wenig rebellisch sind auch die im Gemälde auf dem Vorplatz der Akademie zitierten Bilder. Es handelt sich mit einer Ausnahme um Eigenzitate Felix Nussbaums: Im Zentrum stehen Porträts seiner Freunde und Familie: Fritz Steinfeld, die Eltern, Felka, der Bruder mit seiner Verlobten. Auch die anderen Bilder können bis auf eine Ausnahme Nussbaum zugeordnet werden. Die Ausnahme ist die „Näherin“ von Rudolf Riester, der wie Nussbaum Schüler bei Hans Meid war und hier im Bild direkt neben Felix Nussbaum zu sehen ist. Dahinter lassen sich vermuten: Alfred Kitzig (oder Werner Lawes), Luigi Malipiero und Marcel Frischmann sowie weitere Freunde und Künstlerkollegen Nussbaums, u. a. auch aus der Klasse Meid. „Der tolle Platz“ ist also auch ein Freundschafts- und Familienbild. Es zeugt auch von dem Wunsch Nussbaums, sich der Gemeinschaft Gleichgesinnter sowie einer Standortbestimmung innerhalb des Generationenwechsels zu versichern. Dass Nussbaums Verhältnis zur Akademie und somit auch zur malerischen Tradition in jedem Fall zwiespältig ist, bezeugt eine Reihe von Bildern wie das satirische Bild „Antikensaal“ von 1930 (WV 115): Der vergreiste Professor in der Glyptothek könnte aus dem Bild „Der tolle Platz“ stammen. Die unförmig dastehenden Antikenstatuen zerbröckeln und sind ebenfalls mehr Karikatur ihrer selbst. Mit dem Bild bewirbt sich Nussbaum 1930 um den Großen Staatspreis der Akademie – ohne Erfolg. 1932 bewirbt er sich wieder, u. a. mit dem Bild „Der tolle Platz“ – also abermals mit einem Spottbild der Akademie. Den erhofften Staatspreis mit Stipendium erhält er nicht, dafür aber einen Aufenthalt als Studiengast in der Villa Massimo in Rom ab dem 1. Oktober 1932. Sein Ateliernachbar in dieser Zeit ist Arno Breker. In Rom entstehen einsame Landschaften und dunkle Hinterhöfe.19 Später in der Rückschau auf die Zeit an der Villa Massimo spricht er von Enttäuschung über die Zeit in Italien, besonders in Rom: „Diese Stadt hat mir nicht gegeben, was sie anderen gegeben zu haben scheint. Es kam mir alles so künstlich, archäologisch und unwirklich vor. Besonders das Spiel mit den riesigen Ruinen und den zerbrochenen Säulen gab mir nicht mehr als künstlerische Narrenstreiche ein und trieb mich zu schelmischen literarischen Auseinandersetzungen.“20 Ein Beispiel für die künstlerischen Narrenstreiche ist das Gemälde „Narziss“, 1932 (WV 149), das vor dem Hintergrund der Sorge, „kitschig“ zu werden, vielleicht sogar eine humoristische Auseinandersetzung mit der eigenen Person ist.21 Der Schachbrettboden der Glyptothek – wie in dem Gemälde „Antikensaal“ – ist zur Badematte geschrumpft. Das antike Säulenfragment hat eine neue Bestimmung bekommen und dient der selbstverliebten Bespiegelung des Narziss.

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In Rom malt Nussbaum auch eine römische Variante des „Tollen Platzes“. Wie das Berliner Bild ist das Gemälde „Begräbnis (Drehorgelspieler)“, um 1933 (WV 162), mit seinen 80 x 100 cm für Nussbaums Verhältnisse ein Großformat. Einige der Bildmotive sind aus „Der tolle Platz“ bekannt: Die Repräsentanten der Akademie treten als Karikatur-Varianten auf, anstelle der jungen Künstler sehen wir Drehorgelspieler22. In dem Bild „Begräbnis“ wird die antike Tradition in Gestalt des weiblichen Torsos feierlich im Rahmen eines Festaktes zu Grabe getragen. Auch in diesem Bild verweigert Nussbaum sich ironisch dem Antikenenthusiasmus und damit auch der klassischen Tradition. Doch anders als im „Tollen Platz“ schildert das „Begräbnis“ eher einen allgemeinen Generationen- und Kulturkonflikt, ohne konkrete Standortbestimmung der Person Nussbaums selber. Die Suche nach seiner Künstleridentität wird in den folgenden Jahren eine neue Dimension erhalten. Die politischen Ereignisse verändern seine Situation grundlegend. Eine Vorahnung kündigt sich im April 1933 auch in der Villa Massimo an. Joseph Goebbels kommt als erster Repräsentant des Naziregimes nach Rom. Er besucht auf eigenen Wunsch die Deutsche Akademie, wo ihm die Stipendiaten persönlich vorgestellt werden. Am 17. Mai wird Nussbaum der Akademie in Rom verwiesen. Grund ist ein Künstlerstreit zwischen Nussbaum und dem Mitstipendiaten Hanns Hubertus Graf von Merveldt, der handgreiflich endete. Schließlich mussten beide der Akademie verlassen. Ob der Streit, der nach der bekannten Quellenlage wohl einen künstlerischen Hintergrund hatte, auch eine politische Dimension besaß, ist nicht bekannt. Später, als Nussbaum Rom längst den Rücken gekehrt hat, spricht er davon, dass er in Rom mit Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 den „Rückschlag“ erlebt hatte und weiter: „Man vertrieb mich aus dem Haus der Deutschen Rompreisträger, das nun offensichtlich auch ein Stück arischen Bodens sein wollte.“23 In dieser Zeit häufen sich neben den politischen Veränderungen auch die persönlichen Schicksalsschläge für Nussbaum: Im Dezember 1932 wird nahezu sein gesamtes Frühwerk zerstört. Die Bilder lagerten in seiner Berliner Atelierwohnung, in der aus Unachtsamkeit von Mitstudenten ein Dachstuhlbrand ausgebrochen war. In der Verbindung der persönlichen Katastrophen und der politischen Ereignisse gestaltet Felix Nussbaum diese Erlebnisse in dem Gemälde „Zerstörung (2)“, 1933 (WV 161). Während sich vor der Stadtkulisse Roms im Hintergrund ein verängstigtes Paar Schutz suchend umarmt, liegen im Bildvordergrund drei zerstörte Kunstwerke. Unter ihnen lassen sich zwei Werke Nussbaums aus dem Jahr 1931 identifizieren: die Aktzeichnung aus dem Selbstbildnis „Maler im Atelier“, 1931 (WV 127), und „Der tolle Platz“, der bis auf eine kleine Ecke verbrannt ist. Das dritte ist üppig golden gerahmt und zeigt ein Golgathamotiv. Im Unterschied zu den beiden anderen verweist es über Nussbaum hinaus auf die allgemeine europäische und christlich geprägte Kunsttradition. Nussbaum spielt auf die Zerstörung der Kunst im

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3 Zerstörung (2), 1933 (WV 161), Öl auf Leinwand, 53 x 76 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe aus Privatbesitz

Allgemeinen und auf den Angriff gegen ihn persönlich als jüdischen Maler an. Beide Aspekte werden sich in seiner Kunst auch in den nächsten Jahren immer auf das Engste verbinden. Nussbaum ist durch die Ereignisse in seiner Heimat gewarnt und möchte keinesfalls nach Deutschland zurückkehren. Er bleibt also zunächst quasi freiwillig in Italien und bereist die italienische Riviera an Orten wie Alassio und San Remo. Abwartend, ob sich die Situation wieder zum Besseren wendet, geht er 1935 nach Belgien, nach Ostende und anderen Orten. Eine Rückkehr nach Deutschland wird immer unwahrscheinlicher. Das dauerhafte Exil dagegen immer gewisser. Die Entscheidung für Ostende als erste Station des Exils hat auch persönliche Gründe: Nussbaum spricht Französisch, und er kennt den Ort aus früheren Besuchen. 1937 schreibt er an Ludwig Meidner: „Wie ein Fischerboot ruhten wir [er und Felka Platek, die er 1937 heiraten wird] im Hafen von Ostende aus.“24 Allerdings stellt sich die erhoffte Perspektive auf ein besseres Leben in Ostende nicht ein. In Belgien ist er im Unterschied zu Berlin als Künstler unbekannt, und er ist als Ausländer

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unerwünscht und muss um Aufenthaltsgenehmigungen kämpfen. Statt kreativ arbeiten zu können, weicht er auf Aufträge im angewandten Bereich aus: Er illustriert Schulbücher, arbeitet an einem Zeichentrick-Werbefilm und bemalt Keramiken. Parallel entstehen eine Vielzahl von Landschaften und Stadtansichten rund um den Hafen in Ostende, die das Gefühl von Stagnation beschreiben und manchmal durchaus humoristisch sind. Ab 1936 findet eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Person im Selbstporträt statt. In den Selbstbildnissen reflektiert Nussbaum die Verunsicherung im Exil als Verlust der eigenen Identität – auch als Künstler. Wie in dem „Selbstbildnis im Atelier“, um 1938 (WV 340), das Unsicherheit und Zukunftsangst vermittelt, porträtiert er sich als heimatlosen Künstler ohne feste 4 Selbstbildnis im Atelier, um 1938 (WV 340), Bleibe – im Hintergrund sehen wir ein leeres Gouache und Öl auf Papier, 65 x 50 cm, Zimmer, in dem die Zeichenmappe verschlossen Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe bleibt. Er sieht sich an der freien Ausübung seider Niedersächsischen Sparkassenstiftung ner Kunst gehindert, denn als Emigrant ist er mit Arbeitsverbot belegt. Und er zeigt sich als ein Künstler ohne Publikum, ohne Echo – das Bild vermittelt das Entsetzten über die eigene Situation der Stagnation und fehlenden Anerkennung. Dennoch versucht Nussbaum weiterhin am aktuellen Kunstgeschehen teilzunehmen und im Gespräch zu bleiben. Er hat z. B. die Hoffnung, seine Bilder über eine befreundete Familie in den USA zu verkaufen. Und er findet einige Möglichkeiten, seine Bilder in Belgien auszustellen, kann sogar eine Einzelausstellung in Brüssel ausrichten. 1938 wird er eingeladen, an der Ausstellung „Freie deutsche Kunst“ in Paris teilzunehmen, eine Ausstellung, die als Gegenausstellung zur Münchner „Entartete Kunst“ geplant war. Die beiden Gemälde, die Nussbaum nach Paris schickt, sind Statements gegen Krieg und Malverbot.25 Eines der Bilder, „Die Perlen“, 1938 (WV 333), zeigt eine Weinende mit Kind vor der Kulisse eines Grabenkampfes mit Soldaten sowie weiße Grabkreuze. Thema ist das Leid und der Schmerz der Zurückgebliebenen im Krieg. In einem Brief an die befreundete Familie Klein in den USA vom 23. Juli 1938 beschreibt Nussbaum dieses Bild als einen „Ausdruck der Zeit“ und thematisiert zugleich die Frage, wie „politisch“ Bilder im Hinblick auf das Publikum sein dürfen: „Es ist [...] verständlich, dass das Publikum seine Zuflucht nach dem Harmlosen nimmt, nach dem Leichten, und die die Seele

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erregenden Dinge ablehnt, [...] Mit anderen Worten, der Mensch will seinen alltäglichen Sorgen nicht noch einmal im Bilde wieder begegnen. Ich habe das selbst an mir gemerkt und zwar malte ich vor kurzem einen Frauenkopf, an deren Seite ein kleiner Jungenskopf lehnt. Beide sehen wehmütig aus. [...] Aus ihren Augen [der Frau] rinnen Tränen und diese Tränen verwandeln sich zu Perlen, die nun über die Backen rinnen. Der Hintergrund zeigt grüne stumpfe Farben, wie im Nebel sieht man so etwas wie Soldaten und Kreuze. [...] Obgleich mir das Bild gelungen scheint, so könnte ich dasselbe selbst nicht einmal dauernd um mich herum haben. Was ich aber weiß, ist: dass es der Ausdruck, oder besser: ein Ausdruck der Zeit ist.“ Und weiter: „Natürlich baut sich meine Malerei nicht nur auf derart bedrückenden Themen auf, sondern ich male im Gegensatz dazu teilweise sehr lustige Dinge wie zum Beispiel einen Maler in himmelblauer Kleidung, an dessen Füßen alte romantische Bauten und Laternen stehen, und [...] in der Luft da sausen noch nicht erfundene Flugzeuge. Dieses Bild aus der Zeit wird heute noch ebenso belustigend sein wie vielleicht in 100 Jahren.“26 Diese Bilder sind nicht überliefert, sofern es sie tatsächlich gegeben hat. Aber der Brief belegt, dass Nussbaum noch immer an der in Berliner Jahren bewährten Strategie seines künstlerischen Erfolges festhalten möchte. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges, den Nussbaum 1939 von Brüssel aus erlebt, führt stattdessen zu einer Veränderung seiner Kunst in eine andere Richtung. Im Mai 1940 marschieren deutsche Truppen in Belgien ein. Nussbaum wird von den belgischen Behörden gefangen genommen und im Lager St. Cyprien in Südfrankreich inhaftiert. Nach ein paar Monaten gelingt ihm die Flucht zurück nach Brüssel. Hier entstehen noch im selben Jahr Bilder, in denen Nussbaum die Erlebnisse aus der Gefangenschaft unmittelbar verarbeitet: In dem Porträt „Selbstbildnis im Lager“, 1940 (WV 404), zeigt Nussbaum sich selbst als Inhaftierten, der gegen den Verlust von menschlicher Würde auftritt: Die beiden nur halb bekleideten Männer im Hintergrund, die ihre Notdurft in einem Eimer verrichten, stehen für die Entwürdigung im Lager. Nussbaum stellt sich in der Kleidung des Gefangenen, aber im Bildtypus des „Selbstbildnisses im Atelier“ dar. Hier vermittelt das Porträt jedoch nicht mehr Angst und Unsicherheit, sondern Selbstbestimmtheit und Unerschrockenheit. Sein scharfer Blick fixiert den Betrachter unausweichlich. So präsentiert er sich als Künstler, der zwar gefangen ist und nicht malen kann, aber genauestens beobachtet und diese Beobachtung in seiner Kunst festhält. Um das Jahr 1940 fokussiert sich Nussbaum in seiner Kunst thematisch und stilistisch sehr deutlich, klarer und selbstbewusster als in den ersten Jahren des Exils auf „politische Themen“. Er versteht sich als Protokollant einer Zeit, deren menschenverachtende Folgen durch Krieg und Entwürdigung er unmittelbar erlebt. Zu den künstlerischen Mitteln, die Nussbaum nun anwendet, muss auch der altmeisterliche Malduktus gezählt werden, der nun vorherrscht – gerade im Vergleich zu der kindlich-naiven Malerei der frühen Jahre. Ferner die Verwendung von Motiven,

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die symbolische Bedeutung besitzen und sich zu einer persönlichen Ikonographie Nussbaums entwickeln. Dazu gehört der Stacheldraht, der als Symbol der Gefangenschaft nun immer wieder in seinen Bildern auftaucht. Themen, die ab 1940 im Mittelpunkt seiner Kunst stehen, sind Vertreibung, Gefangenschaft, Trauer und Todesangst, verbildlicht vor allem in der menschlichen Figur. Bemerkenswert ist dabei der unterschiedliche Realitätsgrad seiner Figuren, die entweder porträtnah realistisch wie in den Selbstbildnissen oder stark formalisierend und damit verallgemeinernd gestaltet sind. Ein Beispiel für die entpersonalisierte Personenauffassung ist das Gemälde „Weinende Frau“, 1941 (WV 5 Weinende Frau, 1941 (WV 411), Öl auf Sperrholz, 411) . Das Bild ist eine Weiterentwicklung 52 x 48 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, der „Perlen“ und zeigt die für das SpätDauerleihgabe der Felix Nussbaum Foundation werk typische Entwicklung einer allegorischen Bildsprache. Nussbaum sucht nach dem Überzeitlichen in der zeitgenössischen Katastrophe. Er verzichtet auf erzählende Zusätze wie die Andeutung der Frontkämpfe in dem Bild von 1938. Das Bild ist still. Einzige Zutat ist der Stacheldraht – als Schmuckstück um den Hals der Frau gelegt, die in ihrer stillen Klage eines der berührendsten Porträts Nussbaums ist. Es gehört zu der Gruppe von Porträts des Künstlers, die keine Individuen darstellen, sondern vielmehr Allegorien menschlichen Daseins sind. Im Jahr 1942 verschärft sich die Situation für Nussbaum in Brüssel wesentlich. Er lebt versteckt in einer Mansarde in der Rue Archimède in Brüssel und vermutet, bespitzelt zu werden. Für ein halbes Jahr wechselt er das Versteck, bevor er dann im Frühjahr 1943 wieder in die Rue Archimède zurückkehrt. Außerdem entwickelt Nussbaum jetzt Strategien, sowohl die bis hierher geschaffenen Bilder zu retten als auch unter den erschwerten Bedingungen weiter zu malen. Er übergibt seine Bilder einem Freund, der sie für ihn verwahren soll und lässt alle ihm wichtigen Werke fotografieren. Und er bezieht ab Sommer 1943 ein Ausweichquartier als Atelier in der Rue Général Gratry. Hier ist eine Restauratorenwerkstatt vorhanden, sodass das Beschaffen von Leinwänden, aber auch von geruchsintensiven Malutensilien nicht auffällt. Die hier entstehenden und gelagerten Werke überleben nur, weil dieser Ort von der Gestapo später unbeachtet blieb.

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Das „Selbstbildnis mit Judenpass“, um 1943 (WV 439), zeigt den Künstler in einer Situation, in die Nussbaum bei seinem Hin und Her zwischen Versteck in der Rue Archimède und Atelier Rue Général Gratry tatsächlich hätte geraten können. Das Bild ist typisch für Nussbaums Werk dieser späten Jahre: maltechnisch im Sinne einer nüchtern protokollierenden Darstellungsweise neusachlich gehalten und in der Zusammenstellung seiner Bildmotive eindeutig konstruiert: Nussbaum hält dem Betrachter den Judenstern entgegen, den er nach Aussagen von Zeitzeugen nie getragen hat und einen Pass, den es so nicht gab: Ein Passfoto, das Nussbaum 1942 6 Selbstbildnis mit Judenpass, um 1943 (WV 439), Öl auf Leinwand, anfertigen ließ, ist erhalten 56 x 49 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der und zeigt den Künstler im Niedersächsischen Sparkassenstiftung klassischen Passfotoformat, jedoch ohne Hut. Es wurde tatsächlich nicht für den Pass verwendet. Zudem ist der Geburtsort „Osnabrück“ unkenntlich gemacht und unter Nationalität „sans“ verzeichnet. Das alles charakterisiert den Dargestellten als heimatlosen, verfolgten und entrechteten Menschen. Mit dem „Selbstbildnis an der Staffelei“ (WV 438) aus demselben Jahr (dieses ist auf den Monat genau datiert: August 1943) fügt Nussbaum der Darstellung als Entrechteter im „Selbstbildnis mit Judenpass“ eine andere Perspektive hinzu: In einem Innenraum, also dem „privaten“ Raum, ist der Künstler unbekleidet, nur mit einem Malertuch über der Schulter darstellt. Sein Blick fixiert uns scharf, die Pfeife im Mund verleiht ihm eine gewisse Gelassenheit. Palette und Pinsel in der Hand weisen ihn als Künstler aus. Felix Nussbaum zeigt sich beeindruckend selbstsicher und selbstbestimmt in diesem letzten bekannten Selbstporträt. Es ist die Freiheit zu malen, die er sich trotz der Entrechtung nicht nehmen lässt, und die die Malerei zu

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7 Selbstbildnis an der Staffelei, 1943 (WV 438), Öl auf Leinwand, 75 x 55 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

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einem Akt des Widerstandes macht. Dabei legt Nussbaum auch Zeugnis ab über seine künstlerischen Mittel: Die Farbflaschen mit ihren Etiketten bezeichnen die Symbolik, die Nussbaum den Farbwerten zuspricht: Grün ist der Tod, Braun verweist auf souffrence (das Leid) und Blau auf Nostalgie (die Erinnerung). Die letzten Bilder, die Wieland Schmied die „großen allegorischen Panoramen“27 genannt hat, entstehen im Wissen um Verfolgung, Bedrohung und Todesahnung. Nussbaum weiß, dass er in Brüssel als untergetauchter Jude gesucht wird. Dennoch gelingt es ihm, in großformatigen Gemälden, die voller Anspielungen auf kunsthistorische Vorbilder sind, das menschliche Empfinden bildlich zu fassen. Das Gemälde „Die Verdammten“, 1943/44 (WV 446), datiert Nussbaum auf den 5. Januar 1944. Eine Gruppe von Menschen, deren unterschiedliche Gesten auf eine Vielzahl und Vielfalt des menschlichen Leids verweisen, ist dem nahenden Tod unausweichlich ausgeliefert. Nussbaum stellt die Menschengruppe vor eine einengende und verschlossene Stadtkulisse. Ein Ausweg ist den Verfolgten nicht gegeben. Links versperrt eine Mauer das Bild, rechts eine Gruppe von Sargträgern, ein Zitat aus dem Gemälde „Tanz an der Mauer“ von 1930. Jetzt ist die Bedrohung jedoch real. Das amüsante Skelett von 1930 ist als Graffiti an der Mauerwand im Hintergrund wiederzuerkennen. Weitere Motive sind aus früheren Werken Nussbaums bekannt: Pestfahnen, eine schwarze Wolke, die Mauer. Auch das Porträt der eigenen Person, vorne in der Mitte vor einem Brettersarg ist ein Eigenzitat Nussbaums: das „Selbstbildnis mit dem Judenpass“ von 1943, allerdings mit der Kappe aus dem „Selbstbildnis im Lager“. War diese noch Braun in der Farbe des Leids gehalten, verwendet Nussbaum nun Grün, die Farbe des Todes. Nussbaum fixiert den Betrachter scharf, er allein nimmt Blickkontakt zu uns auf und belegt so seine Zeugenschaft und seinen Willen, mit den Mitteln der Kunst Zeugnis abzulegen. Das letzte bekannte Gemälde Nussbaums, der „Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz)“ (WV 456) ist auf den 18. April 1944 datiert. Am 20. Juni 1944 wird Nussbaum in seinem Versteck entdeckt und am 31. Juli von Mechelen nach Auschwitz deportiert, wo er am 2. August 1944 ermordet wird. Das letzte Werk des Künstlers, das wenige Monate vor seinem Tod entsteht, zeigt einen endzeitlichen Totentanz auf den Trümmern der Menschheitsgeschichte: Eine Vielzahl von Objekten verweist auf die Errungenschaften menschlichen Zusammenlebens, auch Zeugnisse des technischen Fortschritt befinden sich darunter. Sie alle liegen zerstört am Boden. Wieder finden wir zahlreiche Motive aus der eigenen Bilderwelt: Das Säulenfragment, den Torso, die Telegrafenmasten, die Zeichenmappe aus dem „Selbstbildnis im Atelier“, den Stacheldraht und den Orgelspieler. Auch Notenblätter hatte Nussbaum schon kommentierend eingebunden.28 Die lesbaren Notenfolgen prägen das Thema des Bildes nicht unerheblich: Sie zitieren den Lambeth Walk, ein Tanzstück aus dem populären Musical „Me and my Girl“, in dem es heißt „Everything is free and easy and do as you dawn well pleasy“ – eine makaber parodistische Zutat.

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8 „Die Verdammten“, 1943/44 (WV 446), Öl auf Leinwand, 101 x 153 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

9 Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz) 1944 (WV 456), Öl auf Leinwand, 100 x 150 cm, Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

Felix Nussbaum (1904–1944)

Wenn man sich vor Augen hält, dass Nussbaum seine Werke in den letzten Jahren in der völligen Isolation malte, so wird deutlich, dass er seine Bilder weitestgehend aus der Erinnerung an Gesehenes schuf. Welche Rolle hierbei Werke aus der jüngeren und der älteren Kunstgeschichte spielen, die Nussbaum in den Brüsseler Museen noch bis 1942 aufsuchen konnte, ist ein noch unbearbeitetes Forschungsfeld, dessen Bearbeitung lohnend erscheint. Der altmeisterliche Duktus und der Rückgriff auf die Kunstgeschichte ist vermutlich Teil einer Strategie Felix Nussbaums, Bilder von intensiver und komplexer Aussage zu schaffen, die das Publikum lesen kann. Ein Publikum späterer Zeit, das zu finden Nussbaum die Hoffnung bis zuletzt nicht aufgab.

Anmerkungen   1 Dieses Zitat entstammt einem kurzen autobiografischen Text, der im Rahmen eines Artikels über den Künstler in der Zeitung „Vooruit Nr. 35“ vom 5. Februar 1939 erschien. Abgedruckt in Eva Berger u. a.: Felix Nussbaum. Verfemte Kunst – Exilkunst – Widerstandskunst, 4. Auflage des Katalogs zur gleichnamigen Ausstellung in Osnabrück im Kulturgeschichtlichen Museum 1990, Bramsche 2007, S. 293.   2 Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 293.   3 Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 293.   4 Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 248.   5 Abschrift einer Bescheinigung über die Immatrikulation an der „Vereinigten Staatsschule für freie und angewandte Kunst“ vom 13.10.1932, Kopie Archiv Felix-NussbaumHaus Osnabrück.   6 Wie Anm. 5.   7 Beispiele sind „Landschaft in der Provence“, um 1929 (Werkverzeichnis Nr. 92 nach www. felix-nussbaum.de/werkverzeichnis, im Folgenden WV ), „Gräberallee in Arles“, 1929 (WV 93), und „Selbstbildnis mit grünem Hut“, 1927 (WV 46). Letztes Beispiel dieser Reihe ist das Stillleben „Stiefel“, um 1940 (WV 401), mit dem Nussbaum das Bild „Paar Schuhe“ aus dem Jahr 1886 von Vincent van Gogh zitiert (Van Gogh Museum, Amsterdam).   8 Zit. nach Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 94.   9 Eine Kladde mit gesammelten Ausstellungsbesprechungen der Jahre 1927 bis 1932 aus dem Besitz Felix Nussbaums ist erhalten und belegt die zahlreichen, größtenteils positiven Kritiken in der Berliner Tagespresse dieser Jahre, Archiv Felix-Nussbaum-Haus. 10 Im Besitz Paul Westheims waren die beiden Gemälde „Turner“, 1929 (WV 98), und „Friedhof (Friedhof mit Windmühle)“, 1929 (WV 108). 11 Paul Westheim: Die Ausstellung der jungen Künstler in der Modernen Galerie Wertheim, Berlin, in Das Kunstblatt 13 (1929), Nr. 1, S. 9. 12 „Posthof“, um 1928 (WV 59), und „Funkturm Nr. 2“, 1928 (WV 57).

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13 Sein Freund Fritz Steinfeld erwähnt in seinen Erinnerungen an den Malerfreund Felix Nussbaum beispielsweise „Sterbensängste, Krankheitsängste, panische, anfallsweise Ängste [...], die im Hintergrund lauerten. Sie überfielen ihn von Zeit zu Zeit, und dann hatte er böse Tage“, zit. nach Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 107. 14 Willy Wolfradt: Zu den Bildern von Felix Nussbaum, in Kunst der Zeit 1, ( Juli/August) 1930, Doppelheft 10/11, S. 249. 15 Zitate sind dem Kritikenheft des Künstlers entnommen, wie Anm. 9. 16 Max Osborn: Akademie und Secession in Berlin, in Deutsche Kunst und Dekoration, Juli (1931), H. 10, S. 200. 17 Paul Westheim: Ausstellungen, Berlin, in Das Kunstblatt 15 (1931), H. 10, S. 159. 18 Alfred Döblin: Rede in der Berliner Sezession vom 11.4.1931, in ders.: Kritik der Zeit. Rundfunkbeiträge 1946–1952. Im Anhang Beiträge 1928–1931, hg. von Alexandra Birkert, Olten/Freiburg i. B. 1992, S. 370–374. 19 Vgl. vor allem WV 141 bis 144. 20 Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 294. 21 Vgl. Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 143. 22 Die Figur des Drehorgelspielers, die ab 1931 im Werk Nussbaums auftaucht und noch in seinem letzten Bild, dem „Triumph des Todes“ (1944) eine zentrale Figur ist, ist ein wichtiges Motiv im Zusammenhang mit Nussbaums künstlerischer Standortbestimmung. 23 Berger 2007 (wie Anm. 1), S. 294. 24 Brief an Ludwig Meidner vom 31.10.1937, Kopie im Archiv des Felix-Nussbaum-Hauses. Das Original befindet sich im Institut Mathildenhöhe Darmstadt. 25 Nussbaum schickt die beiden Bilder „Stillleben vor vergittertem Fenster“, 1938, WV Nr. 331, sowie „Die Perlen“, 1938, WV Nr. 333, nach Paris. Beide Werke erreichen Paris aufgrund zolltechnischer Schwierigkeiten nicht und werden nicht ausgestellt. 26 Typoskript im Archiv des Felix-Nussbaum-Hauses. 27 Wieland Schmied in der Eröffnungsrede zur Ausstellung „Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne“ im Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück am 5. Dezember 2004. 28 Beispielsweise in dem Gemälde „Das komische Konzert“, 1935 (WV 208).

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Zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft. Der Bildhauer Fritz Cremer in der Zeit des Nationalsozialismus Der Bildhauer Fritz Cremer (1906–1993) ist in den 1950er und 1960er Jahren aufgrund seiner Denkmäler für Opfer des Faschismus international bekannt geworden. Vor 1945 war er mit einigen NS-Gegnern eng befreundet, die verhaftet und hingerichtet wurden. Die persönliche Nähe zu ihnen hat ihm selbst den Ruf eingetragen, im Widerstand aktiv gewesen zu sein. So hat Diether Schmidt in seiner Monographie über den Künstler behauptet, dieser habe „in der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack [mitgewirkt], die als ‚Rote Kapelle‘ zur Ehre des deutschen Volkes gegen Faschismus und Krieg arbeitete“.1 Jedoch hat sich der Bildhauer nie als Widerstandskämpfer bezeichnet,2 nach eigener Aussage nicht einmal etwas von den oppositionellen Aktivitäten in seinem Freundeskreis gewusst, sondern davon erst später erfahren.3 Der Kunsthistoriker Eckhart Gillen bezeichnete Cremer in den 1990er Jahren als ein Beispiel für jene Künstler der „Kriegsgeneration, die als Jugendliche in der HJ, SA, dem BDM oder als Wehrmachtsangehörige [...] mit der Naziideologie in Berührung kamen“ und denen in der DDR „die Partei Generalabsolution [erteilte], wenn sie sich dafür bedingungslos für den neuen, antifaschistischen Staat einsetzten“.4 Für Gillen war er offenbar ein Mitläufer, den nach 1945 das Gefühl einer Mitschuld an der Gewaltherrschaft des „Dritten Reiches“ prägte. Und tatsächlich lässt sich der Gedanke, (mit-)schuldig geworden zu sein, in Briefen finden, die Cremer wenige Monate nach seiner Entlassung aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft verfasste.5 Zwischen Bekenntnis und Rechtfertigung schwankend, berichtete er etwa den Berliner Freunden Gerhard und Edith Eichler Ende 1946, wie er davongekommen war: „[...] mit heiler Haut und heilen Knochen, wenngleich diese ausgerechnet von den jugoslavischen Genossen oftmals durchgewalkt und geschunden wurden.“ Damit habe er, so schrieb er weiter, „meinen Teil Schuld gebüßt, wenn auch nicht abgetragen, die meine ungenügende Aktivität im Kampf gegen die Nazis erwarten musste“.6 Die Frage der Mitschuld bildete auch in einem auf den 18. Januar 1947 datierten Brief an seinen Jugendfreund Peter Rosenbaum und dessen Frau Louise den Hintergrund eines kurzen Berichts über die NS-Jahre.7 Der Kommunist Rosenbaum war 1933 nach Frankreich emigriert und lebte damals in Paris.8 Ihm und seiner Frau

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gegenüber bemühte sich Cremer, das eigene Überleben in NS-Deutschland in aller Kürze darzulegen, dabei in Kauf nehmend, dass dennoch ein „Fleck im Hemde“ zurückbleiben würde. Er erklärte, die Verhältnisse in der NS-Zeit hätten ihn gezwungen, sich ganz auf die Bildhauerei zurückzuziehen, ein Zwang, der „den Widerspruch in mir[,] ‚Künstler‘ oder politisch Verantwortlicher zu sein, beseitigte“. Entsprechend verwies er auf sein künstlerisches Schaffen: „Meine Arbeit, die ich leistete und vor allem die, die ich noch zu leisten gewillt bin, soll der Maßstab sein, mit dem gemessen wird.“9 Dabei kam der Erinnerung an die Toten zentrale Bedeutung zu, wie aus einem wenige Tage später verfassten Schreiben an Martha Husemann hervorgeht. Ihr gegenüber beteuerte Cremer, der Tod ihres 1943 hingerichteten Ehemannes, seines Freundes Walter Husemann, werde „immer der unmittelbarste Antrieb“ seiner künftigen künstlerischen Arbeit sein.10 Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, Cremers Weg und sein künstlerisches Werk vor 1945 genauer zu betrachten. Dem sei hier vorangestellt, dass die Quellenlage zu den meisten Aspekten keine eindeutigen Aussagen zulässt. Das liegt daran, dass man vor allem auf die Selbstzeugnisse des Künstlers angewiesen ist. Diese wurden zum größten Teil erst nach dem Zweiten Weltkrieg schriftlich fixiert, entstanden also in einem anderen geschichtlichen und biografischen Umfeld und sind einer von dort her geprägten, veränderten Perspektive verpflichtet. Auf dem Weg nach Berlin Die Bezugspunkte für die zu betrachtende Lebensphase des Bildhauers bildeten die „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ und die „Preußische Akademie der Künste“ in Berlin. Den oben zitierten Briefstellen zufolge bewegte sich der Künstler dort auf einem Pfad, der sowohl von bildhauerischen als auch von gesellschaftlichen Fragen und Problemen bestimmt war, ein Pfad, der den linken Künstler mitten in das Spannungsfeld zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft führte. 1906 im westfälischen Arnsberg geboren, zog Cremer nach dem frühen Tod seines Vaters mit seiner Mutter nach Essen. Diese heiratete dort 1912 einen verwitweten Lehrer, der bereits Vater von sechs Kindern war.11 In der neuen, kinderreichen Familie wuchsen Sohn und Tochter aus erster Ehe mit auf. Nach Aussagen, die Cremer 1942 bei einer polizeilichen Vernehmung machte, besuchte er nach der Volksschule die Realschule und verließ diese nach dem achten Schuljahr.12 Danach folgten eine vierjährige Lehrzeit als Steinbildhauer bei Christian Meisen in Essen (Anfang 1921 bis Ende 1924)13 und eine vier weitere Jahre währende Tätigkeit als Geselle in seinem vormaligen Lehrbetrieb.14 Nach dem Tod seiner Mutter Ende 192415 lebte er in der Essener Gottfried-Wilhelm-Siedlung16 bei der Bergarbeiterfamilie Flögel,17 bis er im Frühjahr 1929 nach Berlin übersiedelte.18

Zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft

Sein Studium an den „Vereinigten Staatsschulen“ begann er zum Wintersemester 1929/30 als Schüler auf Probe.19 Der Bildhauer Wilhelm Gerstel zog es vor, „unverbildete Talente [zu] erziehen“,20 und wollte Cremer deshalb an seinen Professorenkollegen Fritz Klimsch weiterempfehlen; denn der junge Studienbewerber hatte nicht nur vorbereitend eine wahrscheinlich private Berliner Kunstschule besucht,21 sondern schon in Essen an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Kurse belegt.22 An dieser Einrichtung23 war der Bildhauer Josef Enseling sein Lehrer gewesen. Von ihm24 sowie von Ludwig Gies25 und Will Lammert26 führte der Steinbildhauergeselle zudem bauplastische Entwürfe aus. Auch von Lammert dürften wichtige Impulse ausgegangen sein. Dieser Bildhauer, der 1922 nach Essen gezogen war,27 lud den Lehrling und einige mit ihm befreundete Mitschüler – Fritz Duda, Peter Rosenbaum, Hermann Blumenthal28 und Gustav Flögel29 – in sein Atelier ein, wo sie künstlerisch experimentieren und diskutieren konnten.30 Bereits 1924 und 1925 übersiedelten Duda, Rosenbaum und Blumenthal nach Berlin, um an den „Vereinigten Staatsschulen“ Malerei (Duda) und Bildhauerei (Blumenthal, Rosenbaum) zu studieren.31 Dorthin folgte ihnen Cremer ein halbes Jahrzehnt später.

Politisierung und Entpolitisierung Politisch verstand sich der 22-jährige Kunststudent als Marxist.32 Ob er tatsächlich 1926 als Essener Steinbildhauergeselle der kommunistischen Jugendorganisation beigetreten war33 und 192934 in Berlin Mitglied der KPD wurde, lässt sich allerdings nicht mehr belegen. In Briefen aus dem Frühjahr 1929 wird die Teilnahme an den Berliner Mai-Demonstrationen erwähnt, zu denen er sich dem „Roten Studentenklub“ der Technischen Hochschule anschloss.35 Eine vergleichbare linke Studentenvereinigung gründete er, wie er Jahrzehnte später berichtete, an den „Vereinigten Staatsschulen“ gemeinsam mit seinem Freund Duda, der jüdischen Architekturstudentin Leonie Behrmann und der Bildhauerin Gertrud Classen.36 Politische Gruppierungen waren an der Kunsthochschule verboten und traten dort deshalb nicht offen in Erscheinung.37 Dementsprechend lud der „Rote Studentenklub“ im Sommersemester 1932 zu einem Diskussionsabend mit dem Kunsthistoriker Max Raphael nicht in Räume der Hochschule ein, sondern in ein Lokal in der Kantstraße.38 Vermutlich war der „Klub“ identisch mit dem „Revolutionären Studentenbund“,39 der zwischen Ende November und Mitte Dezember 1932 eine achtseitige Flugschrift mit dem Titel „VST. Organ der revolutionären Stud[ierenden] der Vereinigten Staatsschulen“ herausgab.40 Im Juni desselben Jahres entstand zudem ein Agitationspapier einer „Gruppe revolutionärer Fachschüler“, das ebenfalls aus dem Umkreis des „Roten Studentenklubs“ stammen dürfte.41 Es richtete sich gegen

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einen so genannten „Entpolitisierungserlass“ vom Februar 1932, ein vom Reichsinnenministerium erlassenes Verbot politischer Betätigung an den Fach- und Hochschulen.42 Die Gruppe forderte mit dem Flugblatt ihre „Mitglieder und auch Sympathisanten“ dazu auf, eine „zielbewusste systematische Bearbeitung der Schülerschaft“43 im Sinne politischer Positionen links der SPD zu betreiben. Auch zu den Initiatoren einer Unterschriftenaktion im Februar 1933 soll Cremer gehört haben. Mit ihr wollte fast ein Drittel der Studierenden gegen den erzwungenen Austritt von Käthe Kollwitz aus der „Preußischen Akademie der Künste“ protestieren. Doch musste die Unterschriftenliste vernichtet werden, weil im Nachhinein viele Unterzeichner mit der Weitergabe nicht mehr einverstanden waren.44 Cremers Anfänge in Berlin waren aber nicht nur von politischen Aktivitäten, sondern ebenso von finanzieller Not bestimmt. Das spiegeln die wenigen erhaltenen Briefe an seine Schwester wider, die er in den Jahren 1929 bis 1931 verfasste. Neben ihr half ihm vor allem seine Großmutter mit monatlichen Zuwendungen.45 Außerdem versuchte er, sich mit Gelegenheitsjobs und Fabrikarbeit in den Semesterferien zu finanzieren.46 Nachdem Cremer sich allmählich ein gewisses Ansehen bei seinem Lehrer erworben hatte, schrieb Gerstel ab 1931 regelmäßig Gutachten für seinen Schüler, um ihn bei Anträgen auf Studienbeihilfe durch die Stadt Essen zu unterstützen. Cremer erhielt daraufhin zunächst 250 RM und in den Jahren 1932 und 1933 jeweils 300 RM.47 In den ersten Monaten des Jahres 1933 wurde das politische Engagement des jungen Bildhauerei-Studenten jedoch problematisch. Es gab damals nicht nur Entlassungen unter den Lehrenden,48 sondern ebenso wurden zahlreiche Studierende zum Ende des Sommersemesters vom Studium ausgeschlossen.49 Auf einer im April 1933 zusammengestellten Liste mit den Namen von zwölf Kunststudenten, die aufgrund „politischer Agitation“ nicht mehr eingeschrieben werden sollten, befand sich auch der von Cremer.50 Im Mai verlangte die Hochschulleitung unter dem neuen kommissarischen Direktor Max Kutschmann von jedem dieser Studierenden eine schriftliche Erklärung, in der sie eine etwaige kommunistische Vergangenheit verneinen und sich zum neuen, nationalsozialistischen Deutschland bekennen mussten.51 Jahrzehnte später meinte Cremer zwar, er selbst habe – trotz Aufforderung – kein solches Schreiben unterzeichnet.52 Er hat dies aber dennoch getan. Sein handgeschriebener Revers liegt heute im Archiv der Universität der Künste.53 Während andere Studenten trotz Erklärung von der Hochschule verwiesen wurden, durfte Cremer bleiben.54 Mehrere seiner Freunde wie etwa die Architekturstudenten Gerhard Eichler und Hans Mucke oder Joseph Lappe, der bei dem Bildhauer Waldemar Raemisch studierte, waren dagegen unter den Ausgeschlossenen.55 In Cremers besonderem Fall könnte eine Rolle gespielt haben, dass die Hochschulleitung über seinen Verweis zu beraten hatte, während sie parallel in Ver-

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handlungen mit der Stadt Essen um eine Studienbeihilfe für den Gerstel-Schüler stand. Alle Schreiben, sowohl die in der Stipendiumsangelegenheit wie die hinsichtlich der Relegation, gingen durch die Hände des Hochschulkustos Paul Kautzsch. Er war dem jungen Bildhauer offenbar wohlgesonnen.56 Wie anders soll man die Entscheidung zugunsten Cremers verstehen? Dessen Revers dürfte die Situation wesentlich entschärft haben – und war zugleich Warnung und Verpflichtung, politisch nicht mehr im Sinne seiner linken Überzeugungen aktiv zu sein. Statt der Exmatrikulation erhielt er am Ende des Sommersemesters 1933 sogar eine „Anerkennung“ für gute Leistungen ausgesprochen, zu der ihn Gerstel vorgeschlagen hatte.57 Das Schuljahr 1933/34 endete für ihn mit der Verleihung der Schülermedaille58 und im Herbst 1934 folgte die Ernennung zu Gerstels Meisterschüler.59 Angesichts der heiklen Situation, in der sich Cremer aufgrund seiner politischen Haltung befand, verstärkt sich der Eindruck, dass sein Lehrer ihn nicht nur besonders förderte, sondern auch (gemeinsam mit dem Kustos der Hochschule) zu schützen versuchte.

Künstlerischer Erfolg oder Emigration? Konzentration auf die künstlerische Existenz bedeutete für Cremer nicht Rückzug in die Abgeschiedenheit des Ateliers. Er unternahm in den 1930er und frühen 1940er Jahren sogar mehrfach Studienreisen ins Ausland, so etwa 1934 eine nach Paris.60 Zwei Jahre zuvor hatte ihn eine Reise über Prag nach Österreich geführt.61 Vermutlich war das Ziel dieser Fahrt ein Besuch bei seiner Lebensgefährtin, der österreichischen Tänzerin Hanna Berger, mit der er seit Anfang der 1930er Jahre liiert war.62 Sie wiederzusehen, lieferte ebenso den Grund für einen London-Aufenthalt im April und Mai 1936. Als Mitglied des Ensembles, das die Tänzerin und Pantomimin Trudi Schoop begleitete, gastierte Berger damals nach einer USATournee in der britischen Hauptstadt.63 Ein knappes Dreivierteljahr später, im Januar 1937, gewann Cremer den Wettbewerb um den „Großen Staatspreis für Bildhauerei 1936“ der „Preußischen Akademie der Künste“.64 Damit verbunden waren ein Preisgeld von 2250 RM und ein Studienaufenthalt in der Deutschen Akademie (Villa Massimo) in Rom.65 Als Cremer im Oktober 1937 nach Rom aufbrach,66 war seine Zeit als Meisterschüler bei Gerstel beendet.67 Die scheinbar großzügige finanzielle Ausstattung des Preises war bei seiner Rückkehr Anfang September 1938 längst aufgebraucht. Schon Anfang Juni 1938 hatte er die Akademie mit einem Brief an deren Sekretär Alexander Amersdorffer um Hilfe gebeten, weil er aufgrund eines Krankenhausaufenthaltes und bürokratischer Hürden bei der Auszahlung der letzten Preisgeld-Rate in Finanznot geraten war und für das tägliche Überleben bei anderen Künstlerstipendiaten der Villa

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Massimo Geld leihen musste.68 Zurück in Berlin konnte er die Transportkosten für seine in Rom entstandenen Plastiken nicht mehr aufbringen und musste erneut die Akademie um Unterstützung ersuchen.69 Um Geld zu verdienen, half er dem Bildhauerkollegen und ehemaligen Gerstel-Meisterschüler Gustav Seitz bei Modellarbeiten für den Architekten Heinrich Tessenow.70 Seitz verfügte seit 1933 über eines der Meisterateliers der Akademie der Künste, denen der Bildhauer Hugo Lederer vorstand.71 Dieser hatte die Leitung der Meisterateliers bereits 1937 aus Altersgründen aufgeben müssen.72 Doch erst zum 1. Oktober 1938 wurde seine Stelle wiederbesetzt. Berufen wurde der frühere Rektor der Stuttgarter „Akademie der Bildenden Künste“ Arnold Waldschmidt.73 Dieser war ein langjähriges NS-Mitglied und SS-Standartenführer74 und genoss bei seinen Kollegen als Graphiker, nicht aber als Bildhauer Anerkennung.75 Die Position Lederers hatte er nur aufgrund seiner Parteiverbindungen erhalten.76 Waldschmidt nahm Cremer in sein Meisteratelier auf.77 Zwischen beiden entwickelte sich anscheinend ein gutes Verhältnis. Der junge Kollege beriet den neuen Leiter des Meisterateliers in steinbildhauerischen Fragen und arbeitete als Gehilfe mit an der Ausführung von dessen Relief „Fahnenkompanie“,78 das Waldschmidt zwischen 1936 und 194079 für die Pfeilerhalle des Reichsluftfahrtministeriums (heute: Bundesministerium der Finanzen) entlang der Leipziger Straße schuf. Im Sommer 1939 ging Cremer ein zweites Mal nach Italien, wahrscheinlich auf Einladung von Hanna Berger, die seit 1938 Tanz und Rhythmische Gymnastik an der Accademia d’Arte drammatica in Rom lehrte.80 Bei Kriegsausbruch verließen beide Italien und kamen nach Deutschland zurück. Bis Cremer Mitte September 1940 zum Dienst als Flaksoldat bei der Luftwaffe eingezogen wurde,81 behielt er seinen Platz im Meisteratelier der Akademie. Gleichbedeutend mit finanzieller Sicherheit war dies nicht; vielmehr sah er sich Ende Februar 1940 erneut gezwungen, einen Bittbrief an die Akademie zu senden.82 Als Soldat kam Cremer nach der Ausbildung in Stettin und Leipzig nach Griechenland. Zunächst war er in Eleusis, später auf Kreta stationiert.83 1942 gewährte ihm die „Preußische Akademie“ ein Stipendium für einen erneuten, sechsmonatigen Aufenthalt in der Villa Massimo und er durfte im Dezember des Jahres nach Rom reisen.84 In der ersten Jahreshälfte 1943 hatte er so noch einmal die Möglichkeit, relativ frei arbeiten zu können. Danach setzte Cremer seinen Dienst auf Kreta fort. Beim Rückzug seiner Truppe im Frühjahr 1945 geriet er in jugoslawische Kriegsgefangenschaft.85 Aus ihr wurde er am 13. September 1946 nach Wien entlassen, wo sich Hanna Berger befand.86 Wenige Wochen danach übernahm er eine Dozentur für Bildhauerei an der dortigen „Hochschule für angewandte Kunst“.87 Frühere Studienkollegen und Freunde wie Eva Fritzsche, Ruthild Hahne,88 Waldemar Grzimek oder Gustav Seitz schrieben ihm und versuchten, ihm die Rückkehr nach Berlin zu er-

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möglichen.89 Doch erst Ende 1950 konnte er nach Ost-Berlin übersiedeln, wo er später „als ein bedeutender Künstler des sozialistischen Realismus“90 gelten sollte. In der Rückschau fragt man sich, ob Cremer während der NS-Zeit niemals daran dachte, Deutschland zu verlassen. Diese Überlegung kommt in seinen Erzählungen über den eigenen Weg durch das „Dritte Reich“ durchaus vor.91 Maßgeblich für seine Entscheidung gegen die Emigration war demzufolge ein Gespräch während seines London-Aufenthalts im Frühjahr 1936.92 Dort traf er auf die deutschen Exilanten Bertolt Brecht, Helene Weigel und Hanns Eisler. Der junge Bildhauer trug Brecht vor, emigrieren zu wollen. Mit Blick auf die schwierige Lage vieler Exilanten riet der Dichter dem jungen Landsmann, besser in Berlin zu bleiben, zumal, wenn er nicht politisch verfolgt werde und er, wie bisher, als Bildhauer arbeiten könne und wolle.93 Cremer befolgte den Rat und kehrte in die Heimat zurück.

Unterschiedliche Lesarten Um 1936 schrieb Brecht einen kurzen Prosatext mit dem Titel „Können die Künstler kämpfen?“, der Eingang in das – unvollendet gebliebene – „Buch der Wendungen“ finden sollte.94 Der Text handelt von einem Rat suchenden Bildhauer, der, in einer Diktatur lebend, den Menschen die Wahrheit zeigen wollte, ohne dabei eine Verhaftung zu riskieren. Die Anregung zu diesem Kurztext könnte das Londoner Gespräch des Dichters mit dem jungen Künstler aus Berlin gegeben haben.95 Der in Brechts Geschichte erteilte Rat, ein vielsagendes Motiv wie das einer bekümmert auf ihren Leib blickenden schwangeren Arbeiterfrau zu wählen, bietet jedenfalls auch einen Schlüssel zum Verständnis von Cremers Werken aus der NS-Zeit. Der Bildhauer hat 1937/38 mit seiner „Trauernden“ das Bild einer schwangeren Arbeiterfrau gestaltet, die ihr Gesicht weinend in den Händen verbirgt. In einem schlichten langen Kleid und mit einem weit nach vorn über den Kopf gezogenen schweren Schleier erinnert sie an spätmittelalterliche Trauerfiguren, so genannte Pleurants.96 Während die Plastik so einerseits an alte Vorbilder aus der Kunstgeschichte anzuknüpfen scheint, folgt sie andererseits der (linken) politischen Ikonographie der späten Weimarer Republik. Das Motiv, das Brecht beschrieb, wird nämlich mit einer Fotomontage von John Heartfield aus dem Jahre 1930 in Verbindung gebracht,97 die eine schwangere Arbeiterin neben einem toten Jungen wiedergab und die mit der Bildunterschrift „Zwangslieferantin von Menschenmaterial. Nur Mut! Der Staat braucht Arbeitslose und Soldaten!“ ergänzt wurde.98 Diese Vorprägung des Motivs und die politische Position des Bildhauers legen eine doppelte Lesart von Cremers Figur nahe: Aus herkömmlicher Sicht konnte sie als Grabplastik gelten; aus der linken Perspektive betrachtet, beweint Cremers „Trauernde“ dagegen keinen Toten, sondern ihr ungeborenes Kind, weil sie die Schrecken ahnt, denen es ausgeliefert sein wird.

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Da man seine Plastik auch politisch deuten konnte, wird verständlich, was Cremer gemeint haben könnte, als er 1947 rückblickend von dem Widerspruch zwischen Künstlertum und politischer Verantwortung sprach, der mit seinem Rückzug auf die Bildhauerei aufgehoben erschien:99 Seine Kunst sollte seine Stellungnahme gegen die herrschenden Verhältnisse sein. Wer den Künstler und sein Schaffen damals kennen lernte, fand in seinem Atelier außer der „Trauernden“ noch zahlreiche weitere Werke zum Motivkreis Krieg, Tod und Trauer vor, Werke, wie für Krieger- oder Grabdenkmäler gedacht, zu denen aber keine Aufträge existierten.100 Erklären kann man diese Arbeiten nicht nur als Auseinandersetzung mit der akademischen Bildhauertradition.101 Cremers Auftreten als überzeugter Marxist, das zumindest für die Zeit vor 1933 und nach 1945 belegt ist, ließ und lässt kaum anderes erwarten als Plastiken, die einen politischen Kommentar enthalten. Vergleichbar dem Bildhauer in Brechts anekdotenhafter Geschichte hätte er also Figuren erfunden, die mit ihren verhaltenen Gesten und Gebärden kritisch und ablehnend auf die Politik und die Ziele der NS-Diktatur verwiesen. Sie waren für Vertraute des Bildhauers sicher als indirekte Warnungen vor dem Krieg und vor dem Regime lesbar, das diesen Krieg systematisch vorbereitete. Subtil-subversive Werke dieser Art hatte er allerdings nicht immer geschaffen. Vielmehr hatte er sich Ende der 1920er Jahre künstlerisch eher plakativ mit tagespolitischen Themen wie beispielsweise der Diskussion um den Abtreibungsparagraphen,102 mit dem Entwurf zu einem Arbeiterdenkmal103 oder mit dem Einfluss des Kapitalismus auf die Kunst104 beschäftigt.105 Erst durch das Studium an den „Vereinigten Staatsschulen“ veränderte sich seine Ausdrucksweise grundlegend. Gerstel kritisierte Arbeiten des Schülers, die offenkundig durch politische Anliegen motiviert waren, mit Bemerkungen wie: „Das hat zu viel Tendenz und ist zu wenig Bildhauerei.“106 Da sein Unterricht auf einer akribischen Auseinandersetzung mit dem Naturvorbild, dem menschlichen Körper, und dessen plastischer Umsetzung beruhte,107 war es kein Zufall, dass in Cremers Schaffen bildhauerische Problemstellungen in den Vordergrund rückten. Die intensive Beschäftigung mit den Themen Akt und Gewandfigur führte den Gerstel-Schüler weg von Propaganda-Bildern, die aktuelle Diskussionen und moderne Strömungen aufgriffen, hin zu einer traditionsgebundenen Kunst. So brachte ihn der Einfluss des Lehrers – mit Diether Schmidts Worten – „vom Agitatorischen zum umgreifend Humanistischen“.108 Man kann Gerstels kritische Haltung gegenüber der politisierenden Kunst vor 1933 mit dem Verbot politischer Betätigung in den Schulen und Hochschulen in Zusammenhang sehen. Ab 1933 gewinnt sie in anderer Weise an Gewicht: Nun war es von Vorteil, wenn man der nationalsozialistischen Einflussnahme möglichst weder stilistisch noch thematisch eine Angriffsfläche bot. Die eher traditionelle Kunst des Lehrers und seiner Schüler blieb sicherlich deshalb von Eingriffen weitgehend verschont.109

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1 Trauernde Frauen (Gestapo), 1936, Relief, Bronze, 110 x 74 cm, Berlin, Märkisches Museum

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2 Die Mütter, 1940, Zinkguss, 54 x 79 x 31 cm, Privatbesitz

Dass sich die akademische Arbeitsweise als hilfreich erwies, um Kritik abzuwehren, veranschaulicht nicht zuletzt die Diskussion um ein Relief von Cremer mit dem Titel „Trauernde Frauen“, das drei stehende Figuren dichtgedrängt vor Augen führt: eine weinende und eine diese tröstende Arbeiterfrau, zwischen beiden ein Kind. Das Relief gehörte zu den fünf Arbeiten, mit denen der Bildhauer Anfang 1937 den Wettbewerb um den Staatspreis gewann. Es knüpfte motivisch deutlich an Bilder von Käthe Kollwitz an.110 Wie Cremer später berichtete, war noch wenige Monate vor dem Wettbewerb durch den kommissarischen Direktor der „Vereinigten Staatsschulen“, Kutschmann, gefordert worden, das Werk aus der Hochschule zu entfernen. Eine Kommission aus Hochschullehrern verhinderte dies jedoch, indem sie das Relief auf Grundlage formal-ästhetischer Kriterien begutachtete und sich für dessen Verbleib aussprach.111 Es ist aber nicht nur an dem von Cremer überlieferten Verhalten Kutschmanns festzumachen, dass dem Relief damals ein politischer Gehalt zugewiesen wurde. Vielmehr gibt es eine Mitteilung über die Reaktion einer anderen Seite, nämlich von Freunden des Künstlers, die mit ihm die NS-Gegnerschaft teilten. Das in der Presse als Grabplastik eingestufte Relief112 erhielt von ihnen den Titel „Gestapo“.113 Dieser Titel

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deutet das Motiv als Szene nach einem Gestapo-Besuch114 und verweist auf einen im Bild nicht (mehr) anwesenden Dritten: den verhafteten oder ermordeten Ehemann der weinenden Arbeiterfrau und Vater des Kindes, welches sich hilfesuchend an die Mutter und ihre Trösterin anzuschmiegen versucht. Nach Kriegsbeginn modellierte er eine kleinplastische Figurengruppe mit dem Titel „Die Mütter“.115 Sie erweiterte den Motivkreis seiner Trauernden, indem eine der vier Frauengestalten demonstrativ eine Gegenposition zu den anderen auf dem Boden sitzenden und knienden Trauernden einnimmt. Sie hat sich erhoben, steht aufrecht und reißt ihren Trauerschleier vom Kopf. Damit markiert sie den Umschwung vom eher passiven Klagen zum SichEmpören, Aufstehen und Sich-Wehren. Eine andere Stehende schuf Cremer 1943 in Italien: die „Soldatenmutter“. Zu dieser Plastik ließ sich Cremer wahrscheinlich von einem Werk Ernst Barlachs inspirieren. Die barfüßige Frauengestalt mit Kurzhaarschnitt trägt einen langen, bis zu den Knöcheln reichenden Rock und einen langen Umhang, den sie um den Oberkörper gezogen hat und vor dem Mund zusammenführt – ein Motiv, das an Barlachs Kleinplastik „Frierendes Mädchen“ von 1916 denken lässt.116 Indem Cremer Rock und Umhang, anders als Barlach, in eine gestraffte Form bringt, unter welcher der Körper und seine angespannte Haltung erkennbar werden, macht er sie zum Ausdrucksträger der inneren, seelischen Verfassung.117

3 Soldatenmutter, 1943, Gips, 84 cm, Privatbesitz

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Der Titel gibt dem Betrachter die Empfehlung, die Figur als trauernde Frau wahrzunehmen. Ihr breitbeiniger, fester Stand und ihre geballten Fäuste, mit denen sie den Umhang fest um ihren Oberkörper spannt, lassen sie zudem als „Verwandte“ der Stehenden aus der „Mütter“-Gruppe von 1940 erscheinen. Wie diese vermittelt sie eine psychische Situation, in der Trauer in Zorn übergeht. Da die Plastik in einer Zeit entstand, als Cremers Lebensgefährtin118 und mehrere seiner Freunde als Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Widerstandsgruppe in Berlin im Gefängnis saßen und auf ihren Prozess warteten oder sogar bereits hingerichtet worden waren,119 drängt sich der Gedanke auf, in dem Motiv einen Reflex auf seine damalige persönliche Gefühlswelt und Situation zwischen Angst, Wut, Verzweiflung und Schweigen-Müssen zu sehen. Vor 1945 konnte der Freundeskreis, dem dieser Hintergrund bekannt war, das Werk in diesem Sinne rezipieren. Ob die Freunde und Kollegen das damals taten, ist aller4 Trauernde, 1947/48, Jurakalkstein, 246 cm h., dings nicht belegt. Allen anderen konnte die ausDetail des Denkmals „Den Opfern für ein freies drucksstarke realistische Plastik hingegen ledigÖsterreich 1934-1945“, Wien, Zentralfriedhof lich als ein Beispiel figürlicher Bildhauerei im Sinne der großen Berliner Tradition gelten. Als der Bildhauer 1947 für seinen Entwurf des NS-Opfer-Denkmals auf dem Wiener Zentralfriedhof zwei steinerne Frauenfiguren und einen Männerakt aus Bronze vorsah, griff er auf die „Trauernde“ von 1937/38 und zunächst auch auf die „Soldatenmutter“ von 1943 zurück.120 Am Ende übertrug er jedoch nur die „Trauernde“ in eine überlebensgroße Kalksteinfassung. Die „Soldatenmutter“ ersetzte er mit einer neuen Arbeit, die er „Anklagende“ nannte.121 Dass Cremer mit der „Trauernden“ ein immerhin zehn Jahre älteres Werk in das Wiener Denkmal integrierte, ist nur so zu deuten, dass er nach eigenem Verständnis mit seiner Kunst nicht erst nach 1945 gegen den Faschismus Stellung bezogen hatte. Insofern bedurfte es für ihn in Wien keines wirklichen Neubeginns, sondern nur der Fortsetzung der früheren bildhauerischen Arbeit. Der veränderte Kontext zog allerdings auch einen anderen Aussagehalt seiner Figuren nach sich: So nimmt die „Trauernde“ als Teil des 1948 eingeweihten Wiener Denkmals nun nicht mehr auf das parallele Zeitgeschehen Bezug, sondern auf eine überwundene Phase der Geschichte.

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Zusammenfassung Fritz Cremer, politisch und künstlerisch geprägt durch eine Jugend im Ruhrgebiet, war in der Frühzeit seines Bildhauerstudiums bei Wilhelm Gerstel an den „Vereinigten Staatsschulen“ politisch links engagiert und konnte 1933 nur nach ausdrücklicher Distanzierung vom Kommunismus weiterstudieren. Hilfreich war die Protektion durch seinen Lehrer, auch hinsichtlich finanzieller Förderung. Von ihr war der junge Bildhauer abhängig. Trotz Verleihung des Staatspreises kam seine Karriere in der NS-Zeit nicht wirklich in Gang. Noch im Meisteratelier der „Preußischen Akademie“ musste er um Unterstützung bitten, weil Verkäufe und Aufträge ausblieben. Cremer sprach nach 1945 von Schuldgefühlen, weil er sich nicht entschieden genug am Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt habe, und sah sich dem Andenken an seine Freunde verpflichtet, die ihre politischen Überzeugungen und ihr Engagement gegen die NS-Herrschaft mit dem Tod bezahlt hatten. Andererseits betonte er 1947, sich während der NS-Jahre ganz auf die Bildhauerei konzentriert zu haben und dabei für sich den Gegensatz zwischen Künstlertum und politischer Verantwortlichkeit aufgehoben zu haben. In der Tat sind seine zahlreichen Darstellungen sterbender Soldaten und trauernder Frauen als Ausdruck seiner politischen Haltung lesbar, ohne vordergründig oder plakativ zu sein: Die latente Antikriegsthematik dieser Werke muss man als einen Kommentar zur NS-Politik verstehen, die von dem Künstler zu Recht der Kriegstreiberei verdächtigt wurde. Die Form seiner Arbeiten blieb dabei akademisch-traditionell. Wohl deshalb wurde sie kaum angegriffen. Nach 1945 knüpfte Cremer an seine früheren Werke in dem Bewusstsein an, immer Antifaschist gewesen zu sein und als solcher Bildhauerei betrieben zu haben. Anmerkungen 1 Diether Schmidt: Fritz Cremer. Leben – Werke – Schriften – Meinungen, 2. verb. Auflage, Dresden 1973 (1. Auflage 1972), S. 81. 2 Vgl. die Forschungen von Christine Fischer-Defoy (Christine Fischer-Defoy: Die Rolle der Berliner Kunsthochschulen in den Jahren 1933–1945. Am Beispiel der Bildhauerei-Abteilung, in Kunst Hochschule Faschismus. Dokumentation der Vorlesungsreihe an der Hochschule der Künste Berlin im 50. Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, Berlin 1984, S. 212–225; dies.: Widerstehen – überleben – mitgestalten – selbstgestalten. Zur Bildhauerausbildung 1933–1945 in Berlin, in Magdalene Bushart/Bernd Nicolai/Wolfgang Schuster (Hg.): Entmachtung der Kunst der Kunst. Architektur, Bildhauerei und ihre Institutionalisierung 1920 bis 1960, Berlin 1985, S. 141–155; Christine Fischer-Defoy/Rainer E. Klemke: Die Kunst ist frei – Alles Nähere bestimmt das Gesetz. Karl-Hofer-Symposium 1983, Berlin 1985; Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik.

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Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Repr. d. Ausg. 1988, Berlin 1996) und Maria Rüger (Maria Rüger: Die Folge „Für Mutter Coppi und die Anderen, Alle!“, in Für Mutter Coppi und die Anderen, Alle! Graphische Folge von Fritz Cremer, Berlin 1986, S. 20–30; Maria Rüger: Die Sektion für Bildende Kunst an der Preußischen Akademie der Künste und die NS-Kulturpolitik 1933–1937, in dies. (Hg.): Kunst und Kunstkritik der dreißiger Jahre, Dresden 1990, S. 115–129, 314–316). Diese Arbeiten basierten u. a. auf ausführlichen Gesprächen mit dem Künstler.   3 Diskussion mit Fritz Cremer, in Fischer-Defoy/Klemke 1985 (wie Anm. 2), S. 76–80, hier 80.   4 Eckhart Gillen: Der entmündigte Künstler, in Günter Feist/Eckhart Gillen/Beatrice Vierneisel (Hg.): Kunstdokumentation SBZ/DDR 1945–1990, Köln 1996, S. 12–15, hier 12.   5 Nachlass Fritz Cremer, Berlin (im Folgenden abgekürzt: NLFC), Private Briefe 1946– 1951 (dieses spezielle Konvolut wird im Folgenden abgekürzt: PB): Brief an Gerhard u. Edith Eichler, 27.12.1946, sowie Brief an Alfred („Fred“) Klinkmüller, 27.2.1947. Die Briefe dieses Konvoluts im Nachlass sind in der Regel maschinenschriftlich verfasst und liegen, wenn sie von Cremer stammen, meist als Durchschlag vor.   6 NLFC, PB: Brief an G. u. E. Eichler, 27.12.1946.   7 NLFC, PB: Brief an Peter („Pit“) u. Louise Rosenbaum, 18.1.1947.   8 Zu Rosenbaum: Revolution und Realismus. Revolutionäre Kunst in Deutschland 1917 bis 1933. Zum 50. Jahrestag der Gründung der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands, Ausst.-Kat. Berlin (Staatl. Mus. zu Berlin) 1978/79, Biographien, S. 75; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 298.   9 NLFC, PB: Brief an P. u. L. Rosenbaum, 18.1.1947. 10 NLFC, PB: Brief an Martha Husemann, 29.1.1947. 11 Totenzettel „Christine Granderath, geb. Brüggenkamp, verw. Cremer (1881–1924)“, Kopie im Besitz des Autors. 12 Vernehmungsprotokoll der Staatspolizei, 23.12.1942, in Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Sg Y 4/V1/20, Bl. 55–58 (im Folgenden abgekürzt: Vernehmungsprotokoll 1942), hier Bl. 55. Anders: Christine Hoffmeister: Fritz Cremer. Biographische Daten, Texte, Fotos, in Fritz Cremer – Plastik und Grafik, Ausst.-Kat. Duisburg (W.-Lehmbruck-Museum) 1980/81, S. 11–47, hier 14 (ab 1916: Gymnasium). 13 Hoffmeister 1980/81 (wie Anm. 12), S. 15 (Gesellenprüfung: 15.10.1925). 14 Vernehmungsprotokoll 1942 (wie Anm. 12), Bl. 55. Vgl. aber Fritz Cremer. Plastik – Aquarelle – Druckgraphik, Ausst.-Kat. Essen (Arbeiterwohlfahrt Essen e. V.), 1991/92, S. 13 (zunächst arbeitslos), sowie Hoffmeister 1980/81 (wie Anm. 12), S. 14 („zeitweilige Arbeit als Steinmetzgeselle“). 15 Laut Totenzettel (wie Anm. 11) gestorben am 29. Dezember 1924. Oft wird fälschlich das Jahr 1922 angegeben, so noch bei Gerd Brüne: Pathos und Sozialismus. Studien zum plastischen Werk Fritz Cremers (1906–1993), Weimar 2005, S. 22.

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16 Ernst Schmidt: Fritz Cremer in Essen, in Fritz Cremer 1991/92 (wie Anm. 14), S. 10–12, hier 11. 17 Rolf Magerkord: Die Bildnisplastik Fritz Cremers von 1929 bis 1969, Diss. masch. Jena 1970, S. 169. 18 Der früheste bekannte Brief Cremers aus Berlin NLFC, Ungeordnetes: Brief an Emmy Cremer, 28.4.1929. 19 Archiv der Universität der Künste, Berlin (im Folgenden abgekürzt: UdK-Archiv), Best. 8, Nr. 114. „Ordentlicher Schüler“ war er ab April 1930, vgl. UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 48 (Randnotiz zum Gutachten von W. Gerstel, 10.4.1933). 20 Waldemar Grzimek: Deutsche Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts, Wiesbaden 1969, S. 112. 21 Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 346, Anm. 38. 22 Fritz Cremer: Über Fritz Duda, in Fritz Duda. Malerei, Ausst.-Kat. Berlin (Ephraim-Palais) 1989 (zuerst in Der Maler Fritz Duda, Ausst.-Kat. Berlin [VBKD] 1962), S. 20–23, hier 20. 23 Seit 1928 „Folkwang-Schule“, heute „Folkwang Universität der Künste“, vgl. Wolfgang Röver: Geschichte der „Schule für Gestaltung“, in http://www.folkwang-uni.de/home/ gestaltung/tradition/geschichte-der-schule-fuer-gestaltung/, 10.11.2014. 24 Schmidt 1991/92 (wie Anm. 16), S. 11. Vgl. Frank Vogl: Vom Steinbildhauer zum Staatspreisträger. Besuch bei dem Essener Bildhauer Fritz Cremer in seinem Berliner Atelier, in NLFC, Presse (Zeitungsausschnitt o. O., o. D., wahrscheinlich Januar 1937) (im Folgenden bezeichnet als NLFC, Presse, Vogl [1937]). 25 NLFC, Presse, Vogl [1937]. Vgl. auch Schmidt 1991/92 (wie Anm. 16), S. 12. 26 Schmidt 1991/92 (wie Anm. 16), S. 11/12. 27 Marlies Lammert: Dokumentation, in Will Lammert (1892–1957). Plastik und Zeichnungen, Ausst.-Kat. Berlin (Akademie d. Künste) 1992, S. 107–128, hier 114. 28 Ursel Berger: Ein Student wird Meister. Hermann Blumenthals Frühwerk, in Sterngucker. Hermann Blumenthal und seine Zeit, Ausst.-Kat. Berlin (G.-Kolbe-Museum) 2006, S. 13–26, 15. 29 Nur erwähnt in Fritz Cremer: Im Gedenken an Will Lammert, in Bildende Kunst 6 (1958), H. 2, S. 93–95, hier 93. 30 Cremer 1958 (wie Anm. 29), S. 93. 31 Zu Blumenthal: Berger 2006 (wie Anm. 28), hier S. 16–18. Zu Rosenbaum: Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 298. Zu Duda: Klaus Kösters: Fritz Duda, in ders. (Hg.): Anpassung, Überleben, Widerstand. Künstler im Nationalsozialismus, Münster 2012, S. 74–82, Art. Duda, Fritz, in Dietmar Eisold: Lexikon Künstler in der DDR, Berlin 2010, S. 167/168, sowie Cremer 1989 (wie Anm. 22). 32 Vgl. NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, 28.4.1929. 33 Hans Kinkel: Biographisches, in Fritz Cremer, Ausst.-Kat. Berlin (Deutsche Akademie d. Künste) 1951, S. 32–36, 20. Schmidt 1973 (wie Anm. 1), S. 358; Hoffmeister 1980/81 (wie

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Anm. 12), S. 14; Maria Rüger (Hg.): Fritz Cremer. Nur Wortgefechte? Aus Schriften, Reden, Briefen, Interviews 1949–1989, Potsdam 2004, S. 294. 34 Mitunter auch 1928, vgl. Hoffmeister 1980/81(wie Anm. 12), S. 16; Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 294. 35 NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, 28.4.1929, sowie Brief an E. Cremer, o. D. (Mitte Mai 1929?). 36 Cremer 1989 (wie Anm. 22), S. 21; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 178/179. Zu Behrmann: Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 178; zu Classen: Eisold 2010 (wie Anm. 31), S. 130. 37 Der „Rote Studentenbund“ war laut Cremer „illegal“: Norbert Bunge: Es ist genug gekreuzigt worden – Der Weg des Bildhauers Fritz Cremer, in Fischer-Defoy/Klemke 1985 (wie Anm. 2), S. 59–75, hier 61. 38 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 48. 39 Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 77. 40 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 48. Vgl. Dietmar Schenk: VST. Organ der revolutionären Stud[ierenden] der Vereinigten Staatsschulen, in „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen“. Dreihundert Jahre Akademie der Künste und Hochschule der Künste, Ausst.-Kat. Berlin (Akademie d. Künste) 1996, S. 539, Kat.-Nr. VI. 5/1; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 178/179, Abb. 6.3. 41 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50. Vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 178. 42 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50, Bl. 1 der Agitationsschrift. 43 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50, Bl. 2 der Agitationsschrift. 44 Diskussion 1985 (wie Anm. 3), S. 76; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 179 ff.; Dietmar Schenk: Protestbrief der Vertretung der Studierenden an die Direktion der Vereinigten Staatsschulen gegen die Entlassung von Käthe Kollwitz, in „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen“. Dreihundert Jahre Akademie der Künste und Hochschule der Künste, Ausst.-Kat. Berlin (Akademie d. Künste) 1996, S. 539, Kat.-Nr. VI. 5/3. 45 Vgl. NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, 28.5.1929; NLFC, Presse, Vogl [1937]; Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 294. 46 NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, o. D. (Arbeit in einer Arnsberger Papierfabrik); NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, 1.1.1931: gemeinsam mit Rosenbaum Arbeiten für den Regisseur G. W. Pabst; dazu vgl. Hans Auf der Lake/Arthur Engelbert: Den Betrachter zwingen, daß er anfängt, Fragen zu stellen. Ein Gespräch mit Fritz Cremer, in Tendenzen 22 (1981), H. 134, S. 52–56, hier 52, wiederabgedruckt in Rüger 2004 (wie Anm. 33), hier S. 211. 47 Gutachten Gerstels, in UdK-Archiv, Best. 8, 41, Best. 8, 46 und Best. 8, 48. Vgl. Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 294, sowie NLFC, Ungeordnetes: Brief an E. Cremer, o. D. (Mai 1931?). 48 Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 69. 49 Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 77 ff. Laut Fischer-Defoy waren ca. 50 Studierende vom Ausschluss betroffen (S. 78). 50 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50: Liste vom 24.4.1933.

Zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft

51 Vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 181, Abb. 6.7. 52 Bunge 1985 (wie Anm. 37), S. 61. Vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 77. 53 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50. Die nicht datierte, handschriftliche Erklärung (Text: Bleistift, Unterschrift: Tinte) lautet: „Ich bestätige hiermit dass ich nicht Mitglied der kommunistischen Partei bin, mich nicht in eben diesem parteipolitischen Sinn betätigt habe noch werde u. dass ich gewillt bin, mich ehrlich nach meinem besten Wissen u. Gewissen der nationalsozialistischen Anschauung gegenüber einzusetzen. Fritz Cremer.“ 54 Vermerk von P. Kautzsch, 21.8.1934, in UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50: Liste vom 24.4.1933. Vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 178 (zu Behrmann), S. 284 (zu Duda); Eisold 2010 (wie Anm. 31), S. 130 (zu Classen). Classen hatte ebenfalls einen Revers abgeliefert, in UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50. 55 Vgl. dessen Revers vom 20.5.1933, in UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 50. Dennoch relegiert, wurde der Ausschluss am 2. September 1935 wieder aufgehoben, vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 78 sowie 294. 56 Kinkel 1951 (wie Anm. 33), S. 31/32; K. M.: Atelierbesuch bei Professor Fritz Cremer in Wien, in Der Monat (vordem Der Neubau) 2 (1948), H. 1, S. 24/25, hier 25. 57 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 33. 58 UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 33. Vgl. Wolfgang Steguweit: Ars Juventuti. Berliner Schülermedaillen von der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums zur Hochschule für bildende Künste, Berlin 2009. Online-Ressource: http://ww2.smb.museum/ngb/files/Ars_ high.pdf.pdf, S. 128. 59 UdK-Archiv, Mischfonds BK, Ordner: Meisterschüler (Notiz zur Ernennung am 31.10.34). 60 Kinkel 1951 (wie Anm. 33), S. 32. 61 Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 294. 62 Vernehmungsprotokoll 1942 (wie Anm. 12), Bl. 56. Vgl. Andrea Amort: Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand, Wien 2010, S. 41. 63 Vgl. J. P. Wearing: The London Stage 1930–1939. A Calendar of Productions, Performers and Personnel, 2nd ed., Lanham 2014, S. 515, Nr. 36.101. 64 Akademie d. Künste Berlin, Historisches Archiv: Archiv d. Preußischen Akademie d. Künste (im Folgenden abgekürzt: PrAdK), Nr. 1351, Bl. 66 (Bericht an Minister Rust, 6.1.1937) und Bl. 157 (Mitteilung an Cremer, 6.1.1937). 65 PrAdK, Nr. 1351, Bl. 89–90 (Wettbewerbsausschreibung, 6.7.1936). 66 PrAdK, Nr. 1351, Bl. 65. 67 Letztmals ist er im Wintersemester 1936/37 als Meisterschüler verzeichnet: UdK-Archiv, Best. 8, Nr. 169. 68 PrAdK, Nr. 1299, Bl. 43–45 (Brief vom 4.6.1938). Daraufhin erhielt er eine Unterstützung in Höhe von 200 RM (PrAdK, Nr. 1351, Bl. 65). 69 PrAdK, Nr. 1387, Bl. 32 (Brief vom 10.10.1938). Daraufhin erhielt er 50 RM (PrAdK, Nr. 1387, Bl. 30).

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70 NLFC, Handschriftliches, Bl. 385 (autobiografische Notizen, o. D.): „[...] Ich, kein Arbeitsraum, kein Verdienst. Deswegen Mithilfe im Atelier Seitz bei ArchitekturModell für Tessenow.“ 71 Vgl. Chronik zu Leben und Werk, in Gustav Seitz. Werke und Dokumente, Kat.: Ursula Frenzel, München 1984, S. 6–9, hier 6. 72 Kurzbiografie, in Ilonka Jochum-Bohrmann: Hugo Lederer. Ein deutschnationaler Bildhauer des 20. Jahrhunderts, Diss. Heidelberg 1988, Frankfurt a. M. u. a. 1990, S. 243–246, hier 246. 73 Vgl. Art. Waldschmidt, Arnold, in Ulrich Thieme/Felix Becker: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 35, Leipzig 1942, S. 80. Waldschmidt war von 1928 bis 1930 Rektor der Stuttgarter Akademie (Angela Zieger: Listen/ Rektoren und Rektorin, in dies./Nils Büttner (Hg.): Rücksichten. 250 Jahre Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Stuttgart 2011, S. 410/411, hier 410). Nach PrAdK, Nr. 1360, Bl. 96–99, erfolgte die Einführung als Vorstand des Meisterateliers und in den Senat erst am 1.2.1939. 74 Art. Waldschmidt 1942 (wie Anm. 73). 75 PrAdK, Nr. 1123, Bl. 139–143 (Protokoll Senatssitzung, 3.5.1937), hier Bl. 139/140, sowie Bl. 134–137 (Bericht an Minister Rust, 4.5.1937), hier Bl. 136. 76 Wie Anm. 75 (Rust hatte Waldschmidt vorgeschlagen). Vgl. auch Ursel Berger: Georg Kolbe – Leben und Werk mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im Georg-Kolbe-Museum, Berlin 1990, S. 131. 77 NLFC, Handschriftliches, Bl. 385: autobiografische Notizen, o. D.; PrAdK, Nr. 1124, Bl. 77. 78 Verweis auf Mitteilung von Cremer, in Skulptur und Macht, Figurative Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre, Ausst.-Kat. West-Berlin (Akademie d. Künste) 1983, S. 89, Kat.-Nr. 3.19. 79 Vgl. Die neue Saat. Eine Monatsschrift für Kunst und Kultur 4 (1941), H. 1 ( Jan./Febr.), S. 15. 80 Amort 2010 (wie Anm. 62), S. 83. 81 Vernehmungsprotokoll 1942 (wie Anm. 12), Bl. 55. 82 PrAdK, Nr. 1388, Bl. 90 (Brief vom 19.2.1940). 83 Vernehmungsprotokoll 1942 (wie Anm. 12), Bl. 55; Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 296. 84 Genehmigt war ursprünglich ein Studienaufenthalt vom 1.9.1942 bis 30.6.1943, vgl. PrAdK 1275, Bl. 12 (Brief d. Akademie-Präsidenten an das Oberkommando der Wehrmacht, 24.9.1942). Der Künstler musste über Berlin nach Rom reisen, vgl. Vernehmungsprotokoll 1942 (wie Anm. 12), Bl. 55. 85 Brief von Hanna Berger an Eva Fritzsche, 18.7.1945 (Kopie im Besitz des Autors), vgl. Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 357/358, Anm. 1. 86 NLFC, PB: Brief an P. u. L. Rosenbaum, 18.1.1947. 87 NLFC, PB: Brief an Ruthild Hahne, 30.10.1946. Vgl. Erika Patka: Kunst: Anspruch und Gegenstand. Von der Kunstgewerbeschule zur Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, Salzburg 1991, S. 196.

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  88 Zu Hahne: Jörg Fidorra/Katrin Bettina Müller: Ruthild Hahne. Geschichte einer Bildhauerin, Berlin 1995.   89 Von ihnen befinden sich verschiedene Briefe, die sich um dieses Anliegen bewegen, in NLFC, PB.   90 Schmidt 1973 (wie Anm. 1), S. 86.   91 Vgl. Auf der Lake/Engelbert 1981 (wie Anm. 46), S. 52; wiederabgedruckt in Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 212.   92 NLFC, PB: Brief an P. u. L. Rosenbaum, 18.1.1947. Vgl. Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 37/38.   93 Bunge 1985 (wie Anm. 37), S. 63/64.   94 Bertolt Brecht: Buch der Wendungen, in ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 18: Prosa 3. Sammlungen u. Dialoge, bearb. v. Jan Knopf u. a., Berlin/Weimar/Frankfurt a. M. 1995, S. 156. Zur Datierung „um 1936“ vgl. S. 489 und 549/550.   95 Hoffmeister 1980/81 (wie Anm. 12), S. 18; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 188.   96 Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 37.   97 Vgl. Brecht 1995 (wie Anm. 94), S. 550.   98 Roland März: Heartfield montiert. 1930–1938, Leipzig 1993, S. 60 und 124.   99 NLFC, PB: Brief an P. u. L. Rosenbaum, 18.1.1947. 100 Peter H. Feist: Figur und Objekt. Plastik im 20. Jahrhundert, Leipzig 1996, S. 115, lokalisierte ihre Entstehung „im Windschatten des offiziellen Interesses an Kriegerdenkmälern für 1914–18“. 101 So aber Johannes Myssok: Spätwerk und Neubeginn, in Hans Körner/Guido Reuter (Hg.): Reaktionär – konservativ – modern? Figürliche Plastik der frühen Nachkriegszeit in Deutschland, Düsseldorf 2013, S. 101–117, hier 106 ff. 102 Fritz Cremer. Lithographien. Radierungen bis 1988, bearb. v. Ruth Gredig, Berlin 1988, S. 42, R7: § 218. Gekreuzigte Frau“, 1929, Kaltnadel von Kupfer 17,5 x 11,3 cm. 103 Schmidt 1973 (wie Anm. 1), Abb. 5. 104 Schmidt 1973 (wie Anm. 1), Abb. 3 (Kunst und Technik 1928, Relief ). Vgl. dazu Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 23/24. 105 Eine hier feststellbare Nähe zur Bildproduktion der ASSO (auch ARBKD, d. i. Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands) kam nicht von ungefähr; denn seine Jugendfreunde Duda und Rosenbaum waren beide seit 1928 in dem Künstlerverband aktiv. Vgl. Revolution und Realismus 1978/79 (wie Anm. 8), Biografienteil S. 20 (Duda), S. 75 (Rosenbaum). 106 Auf der Lake/Engelbert 1981 (wie Anm. 46), S. 52, wiederabgedruckt in Rüger 2004 (wie Anm. 33), S. 211. 107 Zu Gerstel und seiner Lehre vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 109–115; Arie Hartog: Struktur und Querschnitt. Wilhelm Gerstel und seine Lehre, in ders.: Moderne deutsche figürliche Bildhauerei. Umrisse einer Tradition, Pulsnitz 2009, S. 146–155.

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108 Schmidt 1973 (wie Anm. 1), S. 24. 109 Fischer-Defoy 1984 (wie Anm. 2), S. 218; Fischer-Defoy 1985 (wie Anm. 2), S. 144. Zu Gerstels Rückzug aus dem Ausstellungsbetrieb während der NS-Zeit vgl. Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 113. 110 Cremers Motiv lässt an Arbeiten wie z. B. die Kollwitz-Lithographie „Gefallen II“ von 1921 denken, vgl. Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 35/36. Anders: Myssok 2013 (wie Anm. 101), S. 106. In den ersten Ausstellungen nach 1945 wurde dem Titel die Widmung an Käthe Kollwitz hinzugefügt, vgl. Alfred Klinkmüller: Der Bildhauer Fritz Cremer. Zu der Ausstellung in der Galerie Franz, Berlin, Kaiserallee 213/214, in Sonntag, 23.2.1947; Fritz Cremer, Ausst.-Kat. Berlin (Deutsche Akademie d. Künste) 1951, S. 21, Kat.-Nr. 3. 111 K. M. 1948 (wie Anm. 56), S. 25; Kinkel 1951 (wie Anm. 33), S. 33; Bunge 1985 (wie Anm. 37), S. 63; Fischer-Defoy 1996 (wie Anm. 2), S. 188. 112 Carl Georg Heise: Staatspreis für Plastik und Malerei, in Frankfurter Zeitung, 8.1.1937; Gustav Steinbörner: Der Wettbewerb um den Staatspreis, in Münchener Neueste Nachrichten, 22.1.1937; Bruno Erich Werner: Der Wettbewerb um den Staatspreis. Ausstellung in der Akademie, in Deutsche Allgemeine Zeitung, 7.1.1937. 113 Kinkel 1951 (wie Anm. 33), S. 33; NLFC, PB: Brief an Alfred Klinkmüller, o. D. (Februar 1947): „Der eigentliche Titel war ja damals schon ‚Gestapo‘. Ich möchte daher das Relief von jetzt ab auch so nennen.“ Vgl. auch Klinkmüller 1947 (wie Anm. 109). 114 Erlebnisse mit der Gestapo assoziierte offenbar auch Walter Husemann, als er das Relief sah, wie Eva Fritzsche in ihrem Erinnerungsbericht aus den frühen 1980er Jahren überliefert (Deutsches Tanzarchiv Köln, Best. Nr. 264 [Hanna Berger], 2.3 Eva Fritzsche-Schmidt: Treff Kunsthochschule 1937–1943, Typoskript [Kopie], 68 Bl., hier Bl. 6). 115 Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 48 ff. 116 Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 52/53. 117 Vgl. auch Myssok 2013 (wie Anm. 101), S. 108/109. 118 Dazu Amort 2010 (wie Anm. 62), S. 42–49. 119 Den damals hingerichteten Freunden hat Cremer 1984 ein Denkmal neben der Ostertorwache in Bremen gewidmet: Walter Husemann, Kurt und Elisabeth Schumacher, Oda Schottmüller, Erika von Brockdorff und Wilhelm Schürmann-Horster, vgl. Ulrike Puvogel/Martin Stankowski: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bonn 1995, S. 206. 120 Zu diesem Denkmal seiner Geschichte und Konzeption: Brüne 2005 (wie Anm. 15), S. 61–78. 121 Eine frühe Abbildung der Figur ist mit dem Titel „Die Anklagende“ versehen, in Fritz Cremer: Die Moderne, in Der Monat (vordem Der Neubau) 2 (1948), H. 1, S. 21–23, hier 22.

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Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Neulektüre eines Ausstellungsprojektes

„Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin. Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945“1 war 1994 eine der ersten Ausstellungen der vereinigten „Akademie der Künste“ in Berlin. Sie beschäftigte sich mit einer Ateliergemeinschaft, die 1933 im Zuge der Schließung des alten Atelierhauses der „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ ihren neuen Sitz in der Berliner Klosterstraße 75 fand. Ehemalige Professoren und Absolventen der „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ wie Hermann Blumenthal, August Wilhelm Dreßler, Erwin Rainer Fasshauer, Werner Heldt, Käthe Kollwitz, Hermann Teuber und Herbert Tucholski2 konnten dort zusammen mit Ludwig Kasper, Gerhard Marcks und Werner Gilles arbeiten und ausstellen, obwohl viele von ihnen andernorts als entartet galten, mit Ausstellungsverbot belegt waren oder aus dem Lehramt entlassen wurden. Die Initiative des Ausstellungsprojektes ging von Gudrun Schmidt aus. Das Publikumsinteresse an der Ausstellung war groß. Noch im gleichen Jahr erschien das Katalogbuch in zweiter Auflage. Die Diskussion zur Ausstellung war kontrovers und rührte an die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Kunst im Nationalsozialismus. Sie wurde nicht nur in der Öffentlichkeit geführt. Zu ihr gehörten zwei interne Briefe. Als Mitverantwortliche für Ausstellung und Katalogbuch war ich mit diesen Briefen konfrontiert. Aus heutiger Warte stecken sie den Rahmen für die sich verändernde Wertung der Kunst im Nationalsozialismus ab. Sie stammen von zwei prominenten Kritikern, von Werner Haftmann (1912– 1999) und Julius Posener (1904–1996) – beide waren Mitglieder der „Akademie der Künste“, beide waren Polemiker. Der Kunsthistoriker Haftmann promovierte 1939 im nationalsozialistischen Deutschland über das italienische Säulenmonument und war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges federführend an der Ausrichtung der documenta I, II und III (1955, 1959, 1964) beteiligt. Als erster Direktor der Nationalgalerie Berlin (1967–1974) und als Kunstkritiker bestimmte er in der frühen Nachkriegszeit das bundesdeutsche Verständnis der Moderne maßgeblich. Der acht Jahre ältere Architekt und Architekturhistoriker Julius Posener studierte bei Hans Poelzig (1923–1929) und arbeitete danach im Büro von Erich Mendelsohn. Er war an der Ausprägung der modernen Architektur der Weimarer Republik beteiligt. Aus bürgerlich-jüdischem Hause stammend, emigrierte er 1935 nach Palästina und lebte

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nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in London und Kuala Lumpur (Malaysia). Erst 1961 kehrte er nach Berlin zurück, wo er fortan an der „Hochschule der Künste“ unterrichtete. Von 1973 bis 1976 war Posener Vorsitzender des Deutschen Werkbundes und wurde wichtiger Mentor der Zeitschrift „archplus“. Haftmann war gebeten worden, ein Vorwort für den Ausstellungskatalog zu schreiben, und Posener, an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Kunst und Macht“ teilzunehmen. Beide lehnten ab. Ihre Begründungen stehen für zwei unterschiedliche Biografien und Formen der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. Beide nahmen Bezug auf eine umfangreiche Dokumentation, die im Katalogbuch zur Ausstellung erschien. Sie basierte auf der Auswertung neuer Materialien3 u. a. aus dem Berlin Document Center und dem Bundesarchiv Koblenz.4 In dieser Dokumentation zeigt sich eine „zuweilen bis zum Zerreißen gespannte Ambivalenz“ der Beteiligten, wie es bei Eberhard Roters im Katalogbuch heißt, die „als Täter, als Opfer oder als beides zugleich“ darin verstrickt waren.5 Gerade diese „Nahaufname aus der inzwischen eingetretenen Distanz“6 führte zu entschiedener Kritik von Haftmann. Er schrieb mir in einem neunseitigen Brief, dass das Ganze „überflüssig, unangemessen und im Grunde der ‚Akademie der Künste‘ nicht recht würdig“7 sei. Es war jene Ambivalenz, die seine Kritik fand, die wohl auch in der eigenen verdrängten Haltung dieser Jahre selbst lag, und die in dem Konzept zu der jetzt vorliegenden Publikation „Künstler im Nationalsozialismus“ (2014) als noch immer zu wenig behandelte Problematik angesprochen wird. Posener fand die Dokumentation hingegen „sehr interessant“8, wie er ebenfalls in einem langen Brief ausführte. Seine Kritik richtete sich gegen den Irrtum, das Thema „Kunst und Macht“ auf die Zeit des Nationalsozialismus zu beschränken. Das hielt er für einen gewollten Irrtum, der die Komplexität der Situation verkenne und die ambivalente Verschränkung der Klassischen Moderne mit der Kunst im Nationalsozialismus verdränge. Wie aktuell diese Formen der Auseinandersetzung mit der Kunst im Nationalsozialismus sind, wird im Zusammenhang mit dem Skandal um den Kunstsammler Cornelius Gurlitt deutlich, bei dem 2012 eine große Anzahl von als verschollen gegoltenen Werken der Moderne als „Nazi-Raubkunst“ beschlagnahmt wurden. Sie stammen aus dem Nachlass von dessen Vater Hildebrand Gurlitt, der sich als Museumsdirektor und Kunsthändler in der Weimarer Republik um die Moderne verdient gemacht hatte und wesentlich an dem Verkauf so genannter Entarteter Kunst während der Zeit des Nationalsozialismus beteiligt war. Die der Moderne gewidmete Sammlung Sprengel, die 1979 zur Gründung des Sprengel Museums in Hannover führte, profitierte z. B. davon. Zu Gurlitts Entlastungszeugen nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Max Beckmann, bei dem er noch 1944 während dessen Exils in Amsterdam ein Gemälde kaufte. Hildebrand Gurlitt wurde 1948 Leiter des Kunstvereins in Düsseldorf.

Ateliergemeinschaft Klosterstraße

Zwanzig Jahre nach der Beschäftigung mit der Kunst im Nationalsozialismus stellt sich mir am Beispiel der Ateliergemeinschaft Klosterstraße die Frage, ob sich die Forschungsinteressen verschoben haben. Welche Fragestellungen erscheinen heute nach wie vor relevant oder weiter verfolgenswert, was wäre neu zu bedenken? Auch scheint es lohnenswert, mit zeitlichem Abstand die Kritik von Haftmann und Posener in den gegenwärtigen Diskurs zum Thema einzuordnen. Diese Ausgangsfragen möchte ich im Folgenden mit der Betrachtung von drei Aspekten einkreisen.

1. Welche Funktion hat der Begriff der Gemeinschaft im Verhältnis zur Legende von der Insel im nationalsozialistischen Berlin? Zu den kulturpolitischen Umständen Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße wurde als „Insel im nationalsozialistischen Berlin“9, als Ort des „stillen Kampfes der Künstler“10, als „Schonraum“, „Zufluchtsgemeinschaft“, „offenes Versteck“11 oder sogar als „Rotes Haus“12 bezeichnet. Einige mit Ausstellungsverbot belegte oder als „entartet“ diskriminierte Künstler wie Käthe Kollwitz oder Gerhard Marcks arbeiteten ebenso dort wie der 1939 nach England emigrierte Kommunist Heinz Worner. Es sei daran erinnert, dass Käthe Kollwitz 1933 zum Austritt aus der „Akademie der Künste“ gezwungen wurde und ab 1936 mit indirektem Ausstellungsverbot versehen war. 13 Gerhard Marcks wurde 1933 aus dem Lehramt in der „Staatlichen Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein“ in Halle entlassen und hatte nicht nur Ausstellungsverbot, sondern 1943 auch die Zerstörung seines Ateliers zu verkraften. Die Bildhauer Hermann Blumenthal und Ludwig Kasper stehen ebenso wie die Maler Werner Gilles, 1 Ludwig Kaspers Atelier in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße, 1940er Jahre, Foto: Ottilie Kasper Werner Heldt, Hermann Teuber und

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der Graphiker Herbert Tucholski für das künstlerische Niveau der sich im Haus in der Klosterstraße versammelnden Künstler. Die Arbeiten dieser Künstler haben im Nachhinein das Bild der Ateliergemeinschaft Klosterstraße geprägt. Sie bildeten den Gegenstand der Akademieausstellung 1994. Die genannten Künstler sollen im Folgenden als die „Gemeinschaft in der Gemeinschaft“ bezeichnet werden. Der mit Carl Justi, dem Direktor des berühmten Kronprinzenpalais, bekannte und mit dem veristischen Maler Franz Radziwill befreundete, nationalsozialistische Bildhauer Günther Martin war mit der Weisung, „‚staatsfeindliche‘ Kollegen fernzuhalten“14 so genannter „Obmann“ des Hauses geworden. Tucholski, von 1933 bis 1945 Mitglied der Ateliergemeinschaft und erklärter Gegner des Nationalsozialismus, meinte in der Rückschau kommentieren zu müssen, dass das Ministerium damit „den Bock zum Gärtner gemacht“ habe, „denn der vom Nationalsozialismus längst enttäuschte Günther Martin war ein braver Mann, der seine Nazi-Uniform nur anzog, wenn es galt, politisch verfemte Kollegen zu schützen“.15 Diese und gleichlautende Ausführungen sind aus der Rückschau auf die Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 gerichtet, auf die Umstände, die das Arbeiten im inneren Widerstand zwischen so genannter „verfemt Entarteter“ auf der einen und „Nazi-Kunst“ auf der anderen Seite ermöglichten und begrenzten. In der vorliegenden Publikation „Künstler im Nationalsozialismus“ (2014) sind sie unter dem Kapitel „Künstlersein gegen die Mehrheiten in der NS-Kultur?“ zusammengefasst. Mit Blick auf Kollwitz oder Marcks scheint das auf den ersten Blick zu stimmen. Allein die Leitung der Ateliergemeinschaft durch einen nationalsozialistischen Künstler, der wie Arno Breker 16 bedrohten Künstlern sogar gegen die Denunziation von eigenen Parteigenossen half, stärkt und trübt das Bild der Legende zugleich. Diese Legende wurde im Katalogbuch zur Akademieausstellung 1994 befragt. Eine dieser Fragen war die nach dem Begriff der Gemeinschaft. Sie scheint nichts an Relevanz verloren zu haben. Eine zweite Frage stellt sich aus heutiger Sicht deutlicher, die der Erweiterung des Zeitraums, den es zu untersuchen gilt, um sich der Erscheinung der Ateliergemeinschaft Klosterstraße anzunähern.

Der Begriff der Gemeinschaft Ging es in den 1980er Jahren zunächst um eine notwendige Aufarbeitung und Sammlung von Erinnerungen und schriftlichen Dokumenten der beteiligten Künstler, die zum künstlerischen Kern der Ateliergemeinschaft gehörten,17 setzte mit der Akademieausstellung 1994 die Befragung des Begriffs „Gemeinschaft“ ein, der von den in den Ateliers der Klosterstraße arbeitenden Künstlern unterschiedlich verstanden und eingesetzt wurde.18 Die wichtigsten Aspekte seien hier zusammengefasst.

Ateliergemeinschaft Klosterstraße

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2 Zeitungsausschnitt, Magdalena Müller-Martin und Günther Martin in ihrem Atelier, Nachlass Adolf Abel, Foto: Helga Paris

Der Begriff „Gemeinschaft“ wurde von Martin, dem nationalsozialistischen Obmann der Ateliergemeinschaft Klosterstraße, seit den 1920er Jahren in polemischer Absicht gegenüber den individualistischen „Ismen“ der Moderne verwandt. Roters, der über den Begriff der „Gemeinschaft“ in seinem Text nachdachte, vermeinte in dem unter den Nationalsozialisten ideologisch besetzten Wort „Gemeinschaft“ in Martins 1936 erschienenen Faltblatt einen taktisch sehr geschickten „Trick propagandistischen Entgegenkommens“ zu entdecken, indem Martin den Begriff von der „Gemeinschaft der Berufsgenossen“ zur „Gemeinschaft des schöpferischen Bewusstseins“ wende und damit den Begriff von außen nach innen drehe.19 Die Konnotation des Begriffs „Gemeinschaft“ ändert sich innerhalb der institutionellen Selbstdarstellungen, die von Martin verfasst wurden. In den ersten programmatischen Äußerungen (1935) wurden der Austausch und die Anregung besonderer Leistungen betont. Kollwitz, Kasper, Blumenthal und Marcks waren in das Gebäude gerade eingezogen. Kurz darauf war von der „Gemeinschaft im kulturellen

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Streben“ (1937) gegen „feindliche Aufspaltung des künstlerischen Formwillens“ (1936) der vorhergehenden Zeit“20 die Rede, auf die sich Roters bezieht. In späteren Texten wurde der Gedanke eines gemeinsamen Formwillens ersatzlos gestrichen und dafür die Wendungen vom „naturnahem Fühlen und gekonntem Handwerk“21 verwandt. Aus den Anregungen durch besondere Leistungen Einzelner für die Gemeinschaft wird die Aufgabe naturnahen und handwerksorientierten Arbeitens als Kriterium deutscher Kunst apostrophiert. Wie der Begriff der Gemeinschaft von der offiziellen Presse instrumentalisiert wurde, zeigt ein Sonderbericht für die Luftwaffenzeitschrift „Adler“ über die Ateliergemeinschaft Klosterstraße aus den 1940er Jahren. 3 Sonderbericht für die Luftwaffenzeitschrift „Der Adler“, nach Insbesondere das Atelier von 1940 – Künstler im Soldatenrock: Hermann Blumenthal, Träger Kasper wird zum Treffpunkt der des Rompreises, hat einen Arbeitsurlaub erhalten, um durch den Wehrdienst unterbrochene Arbeiten zu vollenden, Foto: Helga „Gemeinschaft in der GemeinParis schaft“. Das gemeinsame Musizieren gehörte zum Ritual mancher dieser Zusammenkünfte. In dem Sonderbericht von 1940 wird unter dem Titel „40 Künstler unter einem Dach“ nicht nur Blumenthal als „Künstler im Soldatenrock“ an einer Skulptur arbeitend abgebildet, sondern auch Tucholski, der mit einem „Berufskamerad[en]“, wie es heißt, an der Druckerpresse arbeitet und dabei vom Klavierspiel einer Dame begleitet wird. Unabhängig davon, dass der Begriff „Gemeinschaft“ nicht zwangsläufig im Sinne seines Gebrauchs im Nationalsozialismus ideologisiert werden muss und auch kein deutsches Phänomen ist – was mit dem Blick der Realität jener Jahre im teleologischen Sinne oftmals missverstanden wird –, muss man davon ausgehen, dass der Begriff „Gemeinschaft“ in der Klosterstraße trotz des unterschiedlichen Verständnisses der Beteiligten für alle von Relevanz war.22 Das trifft auf das

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institutionelle Selbstverständnis von Martin ebenso zu wie auf die „Gemeinschaft in der Gemeinschaft“, als dem Kern der Legende. Unberührt bleibt selbst Käthe Kollwitz nicht davon, die als ältere und verehrte Kollegin eine Sonderstellung einnimmt. In ihren Tagebüchern ist kaum etwas zum Verhältnis zu ihren Kollegen in der Klosterstraße zu finden, obwohl auch sie auf einigen erhaltenden Fotografien als Teilnehmerin von Festen im Treppenhaus der Klosterstraße zu erkennen 4 Käthe Kollwitz in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße neben „Mutter mit zwei Kindern“, Käthe Kollwitz Museum Köln ist. In ihrem Atelier scheinen Besucher nur zu bestimmten Zeiten zugelassen worden zu sein. Als jedoch ihre schon vorbereitete Retrospektive anlässlich ihres 70. Geburtstages in der Berliner Galerie Nierendorf abgesagt wurde, hängte sie ihre Graphiken im Atelier in der Klosterstraße auf, sodass sie von der Gemeinschaft der Künstler diskutiert werden konnten. Heldt berichtet noch zehn Jahre später davon.23 Es ist zu erwähnen, dass für Martin der Begriff der Gemeinschaft an ein Ausstellungskonzept aus der Zeit der Weimarer Republik gebunden war, bei dem zunächst in wechselnder Verantwortung von Künstlern unterschiedliche Künstlergruppen vorgestellt werden sollten. 1933 organisierte er Ausstellungen zusammen mit Radiziwill und Tucholski in Berliner Galerien.24 1934 werden von ihm Kontakte zu Otto Andreas Schreiber geknüpft, der für die Deutsche Arbeiterfront (DAF) die so genannten Fabrikausstellungen organisierte, die jeweils 14 Tage in Betrieben mit einem Grundstock einer Graphikkollektion an den unterschiedlichen Orten verändert wurden und nur für Betriebsangehörige zu sehen waren. Schreiber war auch Mitherausgeber der Zeitschrift „Kunst der Nation“, die für die „Ehrenrettung des Expressionismus“ eintrat. Heldt, Teuber und der ebenfalls in der Klosterstraße tätige Maler Rainer Fasshauer arbeiteten für Schreiber. Auch Blumenthal verweist auf sein vor die Zeit des Nationalsozialismus zurückgehendes Interesse an Ausstellungen für Arbeiter. Dieser Verweis ist sicherlich nicht nur einem taktischen Vorgehen geschuldet, das ansonsten den Ton eines Schreibens von 1937 an den Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste von Berlin zu bestimmen scheint: „Herr Fasshauer [...] beabsichtigt von mir den lebensgroßen, schreitenden Mann, der für mich das Symbol eines zielbewussten, vorwärtsschreitenden deutschen Mannes ist, auf einer Arbeitsfrontausstellung auszustellen. [...] Ich stelle mit besonderer Freude bei der Arbeitsfront aus. Ich habe

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5 Hermann Blumenthal: Großer Schreitender, 1935/36, Bronze, Höhe 180 cm, Hamburger Kunsthalle (Gips 1937 von Blumenthal zerstört, einziger Guß), Foto: Graphisches Kabinett Kunsthandel Wolfgang Werner, Bremen

schon in früheren Jahren, als in Deutschland noch kein Mensch daran dachte, für Werkausstellungen gesprochen. Leider war meine Stimme zu schwach.“25 Inwiefern eine Verbindung zwischen Käthe Kollwitz’ Position „Ich will wirken in dieser Zeit“26 mit den Ausstellungen für Arbeiter herzustellen ist, erscheint aus heutiger Sicht und mit Blick auf die kulturpolitischen Proklamationen der frühen Nachkriegszeit eine mögliche, wenn nicht eine notwendige Frage zu sein, die es gilt weiterzuverfolgen und die 1994 nicht gestellt wurde. Von den ca. 72 Künstlern, die in der Zeit von 1933 bis 1945 in der Klosterstraße arbeiteten, sind heute viele, die treffend als „Treibholz“27 beschrieben wurden, aus künstlerischer Sicht zu Recht vergessen. Auch gehörten solche Künstler zu ihnen, deren politische Überzeugungen sich nicht gegen die Mehrheiten in der nationalsozialistischen Kunst richteten, sondern im Gegenteil, sich mit diesen einig fühlten. Roters hat es in die wunderbare Wendung gebracht, dass weniger von „Gemeinschaft“ als denn von „Gemeinschaftsleistung“ zu sprechen sei, die darin bestehe, dass Nazis, halbe Nazis, enttäuschte Nazis, Indifferente, Antinazis, Antifaschisten, Bohemiens und Pedanten trotz aller ideologischer Unterschiede an einem Ort nebeneinander gearbeitet haben.28

Die zeitlichen Schnitte Die Akademieausstellung von 1994 konzentrierte sich auf die Zeit nach 1933, also die Zeit nach dem Beginn des Machtantritts von Adolf Hitler. Das entspricht der Legende von der „Insel im nationalsozialistischen Berlin“. Martin verfolgte das Ziel einer Ateliergemeinschaft jedoch schon seit 1924, dem Jahr der umstrittenen Zusammenlegung der „Akademischen Hochschule für die bildenden Künste“ und der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ zu den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ im Zuge der Schließung des ehemaligen Hauses und damit der Ateliers der Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße. Ihm gelang es, 1924 Räume in der Prinz-Albrecht-Straße für eine gemeinschaftliche Ateliernutzung zu erhalten und – als die Prinz-Albrecht-Straße 1933 zum Gestapoquartier umgewandelt wird – die Ateliergemeinschaft mit staatlicher finanzieller Unterstützung an den Ort Klos-

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terstraße 75 zu verlegen. Erst zu dieser Zeit, also 1933, beziehen z. B. Kasper und Tucholski dort Ateliers, 1934 dann Blumenthal, Worner, Marcks und Kollwitz. Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße ist also kein Konzept, das nach 1933 entstand (das zeigte sich schon bei der Koppelung des Begriffs der Gemeinschaft an die Ausstellung), sondern eine alte Idee aus der Weimarer Republik, die aus der Polemik einer dem Bauhaus ähnlichen Struktur der Zusammenführung von freier und angewandter Kunst erwuchs und sich gegen den Pluralismus der wachsenden Kunstausstellungen jener Jahre wandte, in denen der Expressionismus an Geltung gewann. Trotzdem das Hauptaugenmerk der Akademieausstellung 1994 auf die Zeit nach 1933 gerichtet war, verwiesen einige Dokumente auf die Vorgeschichte der Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Im Katalogbuch wird die Verschränkung mit den künstlerischen Entwicklungen in der Zeit vor 1933 stärker betont und kritisch analysiert. Auch die Chronik des Atelierhauses in der Dokumentation beginnt aus diesem Grunde schon 1924. Die Zusammenstellung der brisanten Archivmaterialien zu den einzelnen Künstlern beginnt jedoch erst 1933 – von heute aus betrachtet ein Defizit bzw. ein Aspekt, der weiterzuverfolgen wäre.29 Gerade mit Blick auf den zu untersuchenden Zeitraum bzw. die zeitlichen Schnitte an dessen Anfang und Ende stellt sich heute die Frage, inwieweit kulturpolitische „Umstände“ das künstlerische Werk – damit ist nicht die Einschränkung der künstlerischen Arbeit und des Ausstellens gemeint – beeinflussen. Die alte These, dass günstige Umstände gute Kunstwerke hervorbringen und vice versa, steht hier zur Disposition. Maurice Blanchot hat in anderem Zusammenhang zum Werk von Franz Kafka gesagt: „Es gibt keine günstigen Umstände.“30 Oder, um mit den Worten Roters zu sprechen: „Kunst ist[,] was trotzdem entsteht.“31

2. Gab es einen gemeinsamen Stil? Zu den künstlerischen Arbeiten Für den Kern der Ateliergemeinschaft Klosterstraße sind formale Gemeinsamkeiten festgehalten worden. Dies scheint von dem Wunsch getragen zu sein, auch dem eigenen Interesse, nicht nur den emigrierten Künstlern der Moderne, sondern auch den in Deutschland verbliebenen Künstlern ein für die Nachkriegszeit wegweisendes Potential zuzuschreiben. Die „Akademie der Künste“ vergibt bis heute den Käthe-Kollwitz-Preis (1964 erhielt ihn Herbert Tucholski), ihr Teilnachlass befand sich in der Akademie in Berlin-Ost, Gilles wird 1951 Mitglied der Münchner Akademie und 1955 der Akademie in Berlin-West, Heldt erhält 1950 den Kunstpreis der Stadt Berlin-West und wird Mitglied des Deutschen Künstlerbundes, Haftmann, der von 1964 bis 1974 Direktor der Nationalgalerie Berlin-West ist, wird 1971 Mitglied der „Akademie der Künste“ Berlin-West und verfasst 1978 eine Monographie zu Kasper. Mit der Beschränkung der Akademieausstellung 1994 auf die Zeit des Nationalsozialismus standen derlei Überlegungen nicht im Vordergrund. Sie gewinnen aber zunehmend an Brisanz.

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6 Werner Gilles: Mummenschanz, 1939, Öl/Papier, 34,7 x 50 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, aus dem Nachlass von Herbert Tucholski, Foto: Jörg P. Andersch

Die formalen Gemeinsamkeiten für den künstlerischen Kern der Ateliergemeinschaft Klosterstraße wurde für die Malerei in einer Hinwendung zum Arkadischen, ein durchweg intimes, meist horizontales Format mit überwiegend unpolitischen Motiven wie Landschaften oder Stillleben beschrieben, deren Kompositionen nicht dynamisch wie beim Expressionismus seien, aber einen Drang zur inneren Monumentalität hätten.32 Keines der entstandenen Bilder ist abstrakt, in der Radikalität der verfremdenden Mittel geht Heldt am weitesten. Gilles reizt seine Bildwelten bis zum Mythischen und Traumhaften aus. Für die Skulptur werden die Nähe zur Archaik und eine tektonische und puristische Strenge wahrgenommen, die von einer Rückbesinnung zur griechischen Antike und zur etruskischen Kunst bestimmt sind. Diese tektonische Archaik ging auf Veränderungen der Formensprache in der Weimarer Republik zurück und wurde als Moderne Klassik33 bezeichnet. Sie war unter den in der Klosterstraße arbeitenden Künstlern, die sich aus verschiedenen Regionen Deutschlands in Berlin zusammenfanden, in deren zum Teil gemeinsamen Aufenthalten um 1930 in der Villa Massimo in Rom entstanden.34 In den Ateliers der Bildhauer standen frühere

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Arbeiten von ihnen, so wie Kaspers „Mädchen mit Apfel“ von 1932. Von Blumenthal, dessen figürliche Arbeiten vom Ende der 1920er Jahre in ihrer strengen Formensprache als konstruktivistisch35 beschrieben worden sind, heißt es, dass er diese aus Angst vor den Nationalsozialisten zerstört habe.

7 Ludwig Kasper: Mädchen mit Apfel, 1932, Gips, zerstört, Foto: Ottilie Kasper

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Die stilistischen Eigenarten, die von den Zeitgenossen als Veränderung der Formensprache nach 1933 gewertet wurden, als neuer „klarer und natürlicher Stil“, der sich von deren Frühwerk abhebe, das oftmals „auf den Irrungen einer künstlerischen Manier“ begonnen und „gewisse angelernte Interessantheiten“36 abgelegt habe, setzte also schon am Ende der 1920er Jahre ein und sei auch noch im Atelierhaus in der Klosterstraße präsent gewesen. Marcks hält nach seinen Anfängen im Bauhaus 1928 in eigener Sache fest: „Ich spürte, dass mich die Entfernung von der Natur einem magischen Kunstgewerbe in die Arme trieb, das sich als Surrogat an die stelle der Kunst setzt.“37 Diese Aspekte wurden detailliert im damaligen Katalogbuch verfolgt und als Kritik der Moderne an sich selbst beschrieben und analysiert. In der Ausstellung tauchten Arbeiten aus der Zeit der Weimarer Republik nicht auf – 8 Hermann Blumenthal: Kniender, 1930, aus heutiger Sicht eine verpasste Chance. 167 x 201 cm, Neue Nationalgalerie, Berlin In der Zeit des Nationalsozialismus wurde von diesen Bildhauern die Abgrenzung zur offiziell von der Reichspropagandaleitung der NSDAP propagierten Formensprache untereinander diskutiert, die man durch die Arbeiten von Arno Breker oder Josef Thorak vertreten sah. Das Wort „Klassizist“ war ein Schimpfwort unter den Künstlern um Kasper herum, da bei diesen der menschliche Körper zum „inneren Form-Erlebnis“ wurde.38 Man kann von einer „Klassizität statt Klassizismus“ 39 sprechen. Für den künstlerischen Kern ist trotz aller „zugeneigten Gegensätzlichkeit“40 etwa zwischen Marcks und Blumenthal eine gewisse Sprödigkeit im Figürlichen gemeinsam. Gesten der Selbstberührung bei Blumenthal oder die beschwörend wirkenden Haltungen bei Kasper haben etwas vom Schützen und Bewahren. Diese Gesten unterscheiden sich von den erfrorenen Posen der Figuren von Arno Breker, aber auch von dem Habitus der Plastiken von Fritz Cremer oder Heinrich Drakes, beide Wilhelm-Gerstel-Schüler. Die einfache Kontur und die Tektonisierung der Gebärde bei Kasper, Blumenthal und Marcks erscheint unabgelenkter und banaler. Die statuarische Gegenständlichkeit findet ihren prägnantesten Ausdruck in Kaspers Plastiken, bei denen er sich der ungewöhnlichen Technik des Zementgusses bediente, die ein Anfügen und Abschlagen in besonderer Form möglich machte. Blumenthals Einfachheit und Klarheit und seine zurückhaltende Sinnlichkeit steht Kaspers abstrahierendes und montierendes Verfahren gegenüber. Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße war für diese Künstler Hülle für das Austangieren zwischen Begabung

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und Möglichkeit unter Druck. Dabei reichte die Spanne künstlerischer Auffassungen weiter als allgemein dargestellt. Ein Beispiel für diese Spannweite ist die Position von Martin, die nicht „harmlos“ war, wie 1983 in dem für die Diskussion zur Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus so wichtigen Ausstellungskatalog „Skulptur und Macht“ angemerkt wurde.41 Martin war auch nicht der Mann ohne künstlerische Ambitionen, als den ihn Haftmann noch am Ende der 1970er Jahre sah.42 Er kam in seinen Bildwerken den Anforderungen und Wünschen der nationalsozialistischen Leitbilder von Kraft und Schönheit nahe. Zweifellos entsprach das ambitionierte Wollen nicht dem künstlerischen Vermögen. Er befrachtete seine Plastiken bewusst mit inhaltlichen Bedeutungen. So wurde der „Charakter geistiger Wehr und männlicher Erhebung“, wie es in einer zeitgenössischen Kritik zu seiner überlebensgroßen Holzskulptur „Verkünder“ um 1926 heißt,43 in seinen Arbeiten der dreißiger Jahre fortgesetzt und zunehmend mit religiösen Inhalten besetzt. Die „Auferstehungstriologie“ (1930–1932), von der später eine der drei Großplastiken, als nur wenig variierte Holzfigur, im Treppenhaus des Atelierhauses stand, konnte 1933 als „ragendes Symbol der völkischen Gemeinschaft“ apostrophiert werden.44 Bruno E. Werner sprach 1940 in seiner Darstellung zur „Deutschen Plastik der Gegenwart“ in diesem Zusammenhang von der Gestaltung „eines nordischen, von der Antike bestimmten Schönheitsideals“.45 Wie komplex die Situation war, lässt sich an Kollwitz zeigen. Ihr wurde als überragende künstlerische Position nicht nur von dem künstlerischen Kern Hochachtung und Respekt entgegengebracht, sondern auch von Martin. Wir wissen auch, dass Adolf Hitler in den 1920er Jahren Arbeiten von Kollwitz kopierte.46 Abgesehen davon, dass es sich nicht um eine stilistische Übereinstimmung oder einen Gesamtstil der in der Klosterstraße arbeitenden Künstler handelt, nicht einmal unter den Bildhauern Blumenthal, Kasper und Marcks – denn Käthe Kollwitz’ „Turm der Mütter“ (1937/38) muss eher als ein dem Expressionismus nahes Urbild als archaische Tektonik beschrieben werden –, bleibt es, zwei Überlegungen weiterzuverfolgen: Zum einen, wie sich diese stilistischen Eigenarten in Deutschland auch außerhalb des Werkes der in der Klosterstraße arbeitenden Künstler feststellen ließe – näher zu untersuchen wäre z. B. das Werk von Toni Stadler in München. Zum anderen muss der Vergleich nicht nur mit der so genannten „Nazi-Kunst“ innerhalb Deutschlands, sondern auch außerhalb Deutschlands, im europäischen Maßstab, unternommen werden und deren Aus- bzw. Nachwirkungen in der Kunstpolitik der frühen Nachkriegszeit. Die Frage dreht sich nicht allein um Anpassung und Widerstand oder um „Anpassung als Stil“47, wie es Erhard Frommhold 1978 formulierte, sondern um die Voraussetzungen auch und vor allem in den 1920er Jahren.48 Ebenso wenig wie es die Antithese Widerstand und Anpassung gibt, ist die gebräuchliche Trennung von Moderner Klassik und Expressionismus aufrecht-

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zuerhalten. Haftmann, der Apologet abstrakter Kunst in der Nachkriegszeit, schreibt während der Zeit des Nationalsozialismus mehrere Artikel zum Verhältnis von klarer, sprich klassizistischer und expressiver Form. Diese Antithesen schlössen sich nicht lediglich aus, sondern bereicherten in ihrer Gegensätzlichkeit historisch gewachsene deutsche Formansicht, so seine Argumentation.49 Er sprach angesichts einer modernen zeitgenössischen Kunst von „Form und Wirklichkeit“, die durch innere Vorstellung zur Einheit verschmelzen solle, die Natürliches und Abstraktes umfasse.50 Verwirklicht sah er diese Vorstellung in den Werken der neuen Bildhauerei bei Marcks, Blumenthal und Kasper51 und in den Bildern von Teuber.52 Grundsätzlich wäre zukünftig zu fragen – und das stand vor 20 Jahren nicht im Fokus der Forschung –, inwieweit die abstrakte Kunst der Nachkriegszeit, die Haftmann von Willi Baumeister bis Ernst Wilhelm Nay vertrat, im Anschluss an diese Argumentationen zu lesen ist. So konnte Haftmann in seiner Monographie zu Kasper dessen tektonische Figuration in sein Konzept der Abstraktion einbauen und mit dynamischen Elementen eines deutsch-nationalen Expressionismus verbinden. Die Synthese aus Dynamik und Tektonik ist allerdings kein deutsches Phänomen. Deutschland war für Haftmann nicht Vorreiter der Nachkriegsmoderne, konnte aber durch seine Argumentation wesentlicher Teil einer internationalen Kunst sein, deren Eigenart sich aus den Vorstellungen auch der 1930er Jahre zu speisen scheint: Angefangen von seinem Einsatz für Fritz Winter,53 1957 erscheint Haftmanns Monographie zu dessen Serie „Triebkräfte der Erde“, über Emil Nolde, dem er 1958 ein Buch widmet,54 bis hin zu seiner Publikation über Ernst Wilhelm Nay 1991.55

3. Zur Rezeption und Forschungsmotivation. Welche neuen Forschungsansätze zur Kunst im Nationalsozialismus sind in den letzten 20 Jahren verfolgt worden und welche weiterführenden Fragen ergeben sich? Die kulturpolitische Diskussion der Nachkriegszeit und die ideologische Funktionalisierung der Figuration in der Zeit des Nationalsozialismus haben dazu geführt, dass eine Gleichsetzung von faschistischer Kunst und figürlicher Plastik en vogue war. Diese Argumentation war an einen Modernebegriff gekoppelt, der auf einer Entwicklung hin zur Abstraktion basierte. Obwohl es erst 1955 zu einer radikalen Akzentverschiebung innerhalb der westdeutschen Skulptur zur Abstraktion kam,56 wurde die figürliche Skulptur unzureichend untersucht. In der Sektion Bildende Kunst der vereinigten „Akademie der Künste“ machte sich ein gewisser Widerwillen breit, als aus der ehemaligen Ostakademie der Vorschlag gemacht wurde, in der vereinigten Akademie eine Ausstellung zur Ateliergemeinschaft Klosterstraße zu organisieren. Die Mitglieder der ehemaligen Westakademie meinten, dass sich mit der Ausstellung „Skulptur und Macht. Figurative

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Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre“57 1983, die von einer Studentengruppe um Magdalena Bushart initiiert wurde und bei der auf Beschluss der Mitglieder keine Plastik von Arno Breker im Original gezeigt werden durfte, und mit der Ausstellung „Zwischen Widerstand und Anpassung“58 1978 das Thema erledigt hätte. Die Plastiken von Blumenthal, Kasper und Kollwitz tauchten in „Skulptur und Macht“ nur am Rande auf, weil es eher um die Nähe als um den Abstand zur politisch geforderten formalen Sprache und um die Hauptakteure Georg Kolbe, Richard Scheibe oder eben Arno Breker ging. Wie schon erwähnt, zeigt das Projekt „Zwischen Widerstand und Anpassung“, dass der „Stil Klosterstraße“ kein Phänomen der Ateliergemeinschaft ist. Aus der Erfahrung der ehemaligen DDR wurde die Motivation für eine Ausstellung zur Ateliergemeinschaft Klosterstraße hingegen wie folgt formuliert: „1988 bestätigte diese Ausstellung [gemeint ist die erste Ausstellung eines Teils des Materials zu Zeiten der DDR, dass die Leiterin des Käthe-Kollwitz-Museums aus Köln dazu veranlasste, den Plan einer gemeinsamen größeren Ausstellung zu fassen – Anmerkung der Verfasserin.] einen Kreis Ostberliner Künstler und Wissenschaftlicher in ihrer eigenen Haltung.“59 Von Freundschaft zwischen Künstlern, Dokumenten unbedingten Vertrauens, dem konzessionslosen künstlerischen Weg der Künstler, der Verteidigung der bürgerlichen Verinnerlichung und einem berechtigten Pathos ging die Rede und dies mit Verbundenheit zu jener spröden Figürlichkeit, die den Stil des künstlerischen Kerns der Ateliergemeinschaft verbunden habe. Beide Argumentationen erschienen mir damals als jüngerer Generation zu ungebrochen und so legte ich die Betonung auf die Ambivalenz der einzelnen künstlerischen Haltungen in der Zeit des Nationalsozialismus. Einige Beispiele seien genannt: Heldt unterstreicht in einem Fragebogen für die Reichskammer der bildenden Künste in seinem kurzen Lebenslauf, dass er auf Mallorca vor den Roten flüchten musste: Die Angst vor der Masse war auch Angst vor den „Roten“.60 1941, aus dem Kriegseinsatz, schreibt er in einem Brief an Gilles: „Dieser Krieg, der durch göttliche Macht gelenkt wird, hat bestimmt für mich viel Entscheidendes und Gutes mit sich gebracht. [...] Ich freue mich, bei einer anständigen Firma zu sein und kann nicht behaupten, dass ich etwas gegen den Kampf einzuwenden hätte.“61 Selbst Marcks sprach 1940 Gilles gegenüber davon, dass seine künstlerische Arbeit einen Sinn habe, der gewichtig genug sei, sein „Fehlen an der Front“ zu entschuldigen.62 Marcks beteiligte sich Anfang der dreißiger Jahre an einem Wettbewerb für ein „Nationaldenkmal des deutschen Volkes“.63 Adolf Abel, der ebenfalls Mitglied der Ateliergemeinschaft Klosterstraße war, avancierte sogar mit einer seinen freien Plastiken zum Titelbild auf dem Katalog der Großen Deutschen Kunstausstellung in München 1941 und war damit wirkungsvoll in der Wochenschau präsentiert.64

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9 Werner Heldt: Meeting (Aufmarsch der Nullen), um 1935, Kohle, 42 x 63 cm, Berlinische Galerie, Museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur

Wie sehr die antipodisch behandelten Begriffe „Figuration“ und „Abstraktion“ aber noch immer virulent sind, zeigte sich u. a. 2011 in dem Symposium an der Düsseldorfer Akademie „Reaktionär, konservativ, modern?“65, das im Wunsch, sich einem vernachlässigten Feld zu widmen, stattfand. Auch ein geplantes Forschungsprojekt zum „Netzwerk Bildhauerei“66 war zunächst vor allem auf den Austausch zwischen den figurativen Bildhauern in Ost- und Westdeutschland konzentriert. Mir scheint, dass diese doch meist nur ideologisch verwandten Begriffe im 21. Jahrhundert nicht mehr sinnvoll sind und als wertendes Kriterium außer Kraft gesetzt werden sollten. Die Beschränkung auf die figürlichen Tendenzen in der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts für eine Ausstellung 2001, die erstmals einen formalen Vergleich zwischen Breker, Thorak, Kolbe, Scheibe, Blumenthal und Kasper ermöglichte, führte auch zu einem Dissens mit Penelope Curtis, der damaligen Leiterin des Henry Moore Institutes in Leeds und der jetzigen Direktorin der Tate Britain. Ihre Ausstellung „Taking Positions“67 war ein mutiger Schritt und stellte das Panorama figürlicher Skulptur einschließlich von staatstragenden Werken aus der Zeit des National-

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sozialismus zur Diskussion, ohne dass die Skulpturen von Breker und Thorak als kulturpolitisches und abschreckendes Kuriosum behandelt worden wären, wie das in anderen Ausstellungen davor der Fall war. Der Widerspruch bestand in folgenden Fragen: Was macht man aber mit Brekers Arbeiten rodinscher Prägung aus den Jahren der Weimarer Republik im Vergleich mit Georg Kolbes neuem Figurideal nach 1927, das sich in seinen Denkmalsentwürfen zu Ludwig van Beethoven und Friedrich Nietzsche ausdrückt? Wie erklärt man, dass man Rudolf Bellings „Dreiklang“ von 1919, eine Inkunabel der abstrakten Bildhauerei, nicht ausstellt, dafür aber Wilhelm Lehmbrucks „Sitzenden Jüngling“ von 1917 einbezieht? Wie ordnet man die Veränderung der Formensprache Bellings ein, denkt man an seine figürliche Skulptur „Max Schmeling“ von 1929, die dem Klischee vom Figurentyp im Nationalsozi10 Taking Positions, Ausstellung des Henry Moore Institute alismus mehr entspricht als Brekers in Zusammenarbeit mit dem Gerhard Marcks-Haus und Arbeiten rodinscher Prägung aus den dem Georg-Kolbe-Museum, Ausstellungsansicht Jahren der Weimarer Republik? Und wie wertet man Bellings Arbeiten aus seiner Zeit in der Türkei? In „Taking Positions“ erfolgte der Vergleich nur zwischen so genannten figürlichen Positionen. Die Veränderung der Formensprache in den Jahren der Weimarer Republik wurde außer Acht gelassen. Eine Zusammenführung dieses Zuschnitts ist bisher noch nicht unternommen worden. Das wäre wert, in einem zukünftigen Vorhaben realisiert zu werden. Die Akademieausstellung von 1994 wurde in der Presse kritisiert, weil nur Werke der Künstler des künstlerischen Kerns der Ateliergemeinschaft gezeigt wurden. Aber nur eine Gegenüberstellung tatsächlich vergleichbarer Positionen, wie es in „Taking Positions“ erfolgte, wäre sinnvoll gewesen. Die Plastiken von Martin entbehrten dieser Qualität, waren aber im Vergleich zu den meisten „Treibholzkünstlern“ noch von formaler Entscheidung getragen. Eine Filmdokumentation in der

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Ausstellung und die Dokumentation im Katalogbuch wogen diese Fehlstelle auf. Sie begann zeitlich 1927 mit Filmen von Hans Cürlis und schloss mit dem Film „Drei von vielen“ von Jürgen Böttcher (Strawalde) von 1961. Im Unterschied zur Publikation der Ausstellung von 1988 „Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Vom stillen Kampf der Künstler“ wurde im Katalogbuch der Akademieausstellung von 1994 ein Text über Martin einbezogen. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass der Verfasser des Textes über Martin keine wirklich kritische Bestandsaufnahme, sondern das ganze Gegenteil ablieferte, was dazu führte, dass die damalige Lektorin ein Meisterstück, eine Art „Kürzungsmontage“ vollführte, um die spannenden Informationen in das Projekt einzubeziehen, die in einem sonst nicht öffentlichen Nachlass verschwunden wäre. Abschließend sei auf die Argumentationen von Haftmann und Posener zurückgekommen. Haftmann äußerte in seinem Brief von 1994, dass das Gerede von der „Künstler-Gemeinschaft“ „reines ‚Geschwafel‘“ sei. Er argumentierte, wenn solche Worte in den Zeitungsartikeln vorkommen seien, so wären sie unter dem Druck der Nazizeit entstanden und hätten keinen authentischen Wert, beziehungsweise suchten bestenfalls verbal die Ateliergemeinschaft nach Außen abzuschirmen.68 1986, acht Jahre zuvor, heißt es aber noch in seiner Publikation zur „Verfemten Kunst“, dass sich in der Klosterstraße eine „kleine Gemeinschaft lebendiger, kritischer Geister“ zusammengefunden habe, „die sich dem Ungeist der Zeit verschlossen und in freundschaftlichem Verkehr jenes vertrauensvolle freiheitliche Klima bewahrten, das im öffentlichen Leben bereits verloren war“.69 Haftmanns kritische Bemerkungen von 1994 bezogen sich auf die institutionellen Verlautbarungen der Ateliergemeinschaft, einen gewissermaßen „äußeren Gemeinschaftsbegriff“. Seine Schilderung der „Enklave“ in der Klosterstraße zehn Jahre davor zielt auf einen „inneren Gemeinschaftsbegriff“, der gleichermaßen das Verständnis der beteiligten Künstler und das Gemeinschaftliche der künstlerischen Arbeit unter Bedingungen einer Diktatur traf. Die Vorstellung von Gemeinschaft korrespondiert auch mit den kollektiven künstlerischen Utopien und der politisch aufgeladenen Angst vor der Masse in der Zeit der Weimarer Republik. Dieser Aspekt wird im Katalogbuch der Akademieausstellung 1994 nur angedeutet, ließe sich aber umfassender analysieren und mit Blick auf die Nachkriegszeit kontextualisieren. Festzuhalten bleibt, dass Heldts 1927 auf Mallorca begonnener Aufsatz „Einige Beobachtungen über die Masse“ und seine 1935 entstandenen Arbeiten zum „Aufmarsch der Nullen“ davon künden: „Eine heutzutage besonders seltene Art von Mut scheint mir nun die zu sein, dass man allein steht, auch gegen die Majorität. Besonders verfemt: besonders verdienstvoll. Zumal in einer „Zeit des Massenheroismus“.70 In einem 1934 von Haftmann verfassten Zeitungsartikel zur aktuellen

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Kunstsituation werden ähnliche Ängste artikuliert.71 Er kleidete diese Ängste bisweilen in das gebräuchliche Vokabular dieser Zeit oder leitete sie davon her. So ist die Rede von der „kollektiven Form der geeigneten Rassenverbände“, die er gegen den europäisch stabilisierten Begriff der Persönlichkeit“ in Anschlag bringt.72 Natürlich ist der Gebrauch des Begriffs „Gemeinschaft“ im Zusammenhang mit der Ateliergemeinschaft Klosterstraße weder mit der kollektiven Form von Rassenverbänden noch mit der gemeinschaftlicher Arbeit gleichzusetzen. Dennoch fällt auf, dass Haftmann den Gedanken des Kollektivs in seiner Eröffnungsrede zur documenta II 1964 wieder aufgreift, negativ besetzt und ideologisiert, indem er die auf die russischen Konstruktivisten zurückgehende „Idee vom Teamwork“ als „katastrophale Fehlleistung“73 bezeichnet. Ich weiß nicht, wer damals den Mut gehabt hätte, darüber zu lächeln. Vor allem aber verschärft sich in Haftmanns Brief sein Ton, als es um die einzelnen Künstler der „Kernzelle“ der Ateliergemeinschaft Klosterstraße geht. Haftmann schildert sie Politik verachtend. Es sei daher gefährlich, dass von der „Kriegsbegeisterung“ Werner Heldts zu lesen sei. Er spricht von Werner Gilles’ „konfusem Eifer missverständlichen Verhedderns“ angesichts von dessen abschätzigen Äußerung über Juden und von den „lächerlichen Denunziationen“ untereinander. Trotz aller hochgeschätzten Qualität besagter Künstler seitens Haftmanns hätten diese im nationalen oder europäischen Raum keine herausragende Resonanz finden können74. Sein Modernebegriff der 1930er Jahre, der sich aus der Vorstellung einer Synthese von Form und Wirklichkeit speiste75 und den er in der expressionistischen Malerei ebenso verwirklicht sah wie in der Bildhauerei von Blumenthal oder Kasper, wurde später aus dem Konzept einer internationalen Moderne, für die Haftmann nun zeitgeistig stritt, verdrängt. Anlässlich der Wiederkehr des 50. Jahrestages der ‚Entarteten“-Ausstellung 1987 ist dann vom Verfliegen des „Nazispuks“ die Rede und vom „bruchlosen“76 Anknüpfen an die moderne Kunst der Jahre vor 1933. Julius Posener hingegen kritisiert das Konzept eines bruchlosen Anknüpfens an die Vorkriegsmoderne und stellt die Verbindungen der Vorkriegsmoderne zur Kunst im Nationalsozialismus heraus. Für ihn ist das Thema „Kunst und Macht“ auch nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges obsolet geworden. Er schrieb: „‚Kunst und Macht‘ ist ein umfassendes Thema. Es auf den Nationalsozialismus zu beschränken, ist ein Irrtum: leider ein gewollter Irrtum; denn es war ja nicht so, – das weiß sogar ich, der 1933 ausgewandert ist, – dass die Künstler sich unterworfen haben: viele haben eben das gewollt, und Jahre vorher.“77 Die Komplexität der Situation wird von ihm an einigen herausragenden Beispielen skizziert. So führt er aus: „Dabei hat es Paul Schmitthenners Angriff auf die Moderne gegeben – lange vor 33 –, und Schmitthenner ist einer gewesen, der eng mit Tessenow befreundet war, und den Tessenow nicht aufgegeben hat, obwohl er, Tessenow, von Freunden gedrängt, Nazi zu werden, sehr klar festgestellt hat, warum

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er das nicht werden konnte. [...] Tessenow, der Mann des Handwerks, der Utopist eines neuen Handwerks; Tessenow, der einen großartigen Entwurf für ein N. S. Ferienheim auf Rügen gemacht hat, – jawohl, mit Hakenkreuz! – und der sich dennoch ferngehalten hat, und zwar aus Überzeugung.“ Poseners Thema ist die Versuchung durch das „Dritte Reich“, die „groß“ und „verständlich“ gewesen sei. 78 Anders als Haftmann, der sofort in den Verteidigungsmodus der eigenen Haltung fällt und wie nebenbei erwähnt, dass er ja gleich nach 1934 sowieso in Florenz und nicht in Deutschland gewesen sei, erinnert sich Posener an die Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit der Jahre 1930 bis 1932 „und an das Aufhorchen, die Hoffnung, – die Versuchung, als dann etwas geschah“. Er fasst selbstkritisch zusammen: „[G]lauben Sie denn, ich war frei davon?79 [...] Die Versuchung einer verlorenen – und verlassenen – Kunst durch eine immer allgemeiner anerkannte Macht, ‚die wirklich etwas bewirkte‘“80, wiegt für ihn die Schwere des Themas auf. Im Unterschied zur Vorstellung eines bruchlosen Anschlusses der Nachkriegskunst an die Klassische Moderne bei Haftmann steht die Verschränkung von Moderne und Kunst im Nationalsozialismus bei Posener. Letzterer interessiert sich darum auch für die Ambivalenz der Arbeit von Künstlern im Nationalsozialismus, hingegen Ersterer genau diese Ambivalenz verdrängt. Haftmann plädiert für die Erfahrung des Einzelnen aus der Befürchtung heraus, durch ein gemeinschaftliches Modell vereinnahmt zu werden. Posener argumentiert aus der gemeinschaftlichen Erfahrung für die Haltung des Einzelnen. Angesichts des Medienrummels um die Beschlagnahmung des Nachlasses von Hildebrand Gurlitt äußerte der Anwalt von dessen Sohn Cornelius Gurlitt: „Die Verdrängung ist nicht ein Problem von Gurlitt. Es ist ein deutsches Problem.“

Anmerkungen 1 Angela Lammert/Gudrun Schmidt/Inge Zimmermann (Hg.): Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin 1933–1945. Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1994. Die Vereinigung der beiden Berliner Akademien fand 1993 statt. 2 Die „Königliche Hochschule für Bildende Künste“ (HS) und die „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ (UAKGM) wurden 1924 zu den „Vereinigten Staatsschulen“ (VS) zusammengefasst. Die meisten Künstler in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße waren in einer der drei Kunsthochschulen gewesen. Eine Gruppe von Künstlern, zu denen auch Ludwig Kasper gehörte, traf sich Ende der 1930er Jahre in der Villa Massimo in Rom. In den VS waren, wenn nicht anders angegeben, als Schüler: Hermann Blumenthal (1925–1931, davon 1925–1927 bei Wilhelm Gerstel, ab 1927 Meisterschüler bei Edwin Scharff, 1927/28 Schülermedaille), August Wilhelm Dreßler (1934–1938 Lehrer), Erwin Rainer Fasshauer (1933 Meisterschüler bei Karl Hofer), Werner Heldt (1925–1930 bei Maximilian Klewer, 1926/27 Schülermedaille), Käthe Kollwitz (1928–1933 Leiterin des

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Meisterateliers für Graphik an der „Preußischen Akademie der Künste“), Gerhard Marcks (1907/08 UAKGM, Anleitung von August Gaul und Georg Kolbe, 1918/19 Lehrer), Hermann Teuber (1922–1926 bei Hans Meid und Karl Hofer, 1924/25 Schülermedaille), Herbert Tucholski (1926–1928 Hospitant), aber auch Adolf Abel (1923–1926 Meisterschüler bei Wilhelm Gerstel, 1924/25 Schülermedaille), Fritz-Paul Blum (1913–1925 bei Emil Orlik und Bruno Paul zuerst in der UAKGM, 1923 Schülermedaille), Heinrich Boese (1919–1922 HS), Maria Brück (1930 ein Semester Hospitantin), Carl Brunotte (1905–1910 UAKGM bei Walter Schmarje), Adolf Dahle (1909–1914 HS bei Arthur Kampf, Georg Koch und Raffael Schuster-Woldan, dann Meisterschüler bei Georg Koch, 1924 Atelier), Hermann Düttmann (1913–1915 und 1919–1924 UAKGM), Robert Elster (1907–1914 UAKGM bei Walter Schmarje und 1919/20), Ilse Fischer (1921–1925 zuerst UAKGM, 1925–1929 Meisterschülerin bei Paul Plontke, 1926/27 Schülermedaille), Peter Förster (HS bei Woldemar Friedrich und Georg Koch), Wolfgang Franke (1934 bei Wilhelm Gerstel, 1936–1938 Meisterschüler), Heinz Fuchs (1908–1910 Schüler HS bei Lovis Corinth), Hans-Erich Gassmann (1930/31 Schülermedaille), Paul Gruson (1913/14 HS bei Karl Schaefer und Georg Koch, Meisterschüler bei Hugo Lederer), Kurt Haase-Jastrow (1903–1914 UAKGM bei Julius Ehrentraut, Eugen Braht, Richard Schubring, Karl Schaefer, Friedrich Kallmorgen, Raffael Schuster-Woldan und Josef Scheurenberg), Erich Heermann (1908–12 HS Meisterschüler bei Karl Köpping), Jürgen Klein (1930–1932 bei Wilhelm Gerstel), Leopold Koch (UAKGM), Toni Koch-Kulemann (1914–1920 und 1923/24 UAKGM, Meisterschüler bei Joseph Wackerle), Toni Koch-Kuhlemann (1914– 1920 und 1923–1924 UAKGM bei Joseph Wackerle), Johannes Kramer (1898–1902 Architektur an der UAKGM, ab 1931 Lehrtätigkeit), Wilhelm Kruse (1906–1915 UAKGM bei Walter Schmarje und Wilhelm Haverkamp, 1918–1923, wahrscheinlich um 1922–1923 Meisterschüler), Hans List (HS 4 Jahre bei Ferdinand Spiegel, 1921–1924 Meisterschüler bei Arthur Kampf ), Jürgen Maass, Günther Martin (1919–1924 UAKGM bei Johannes Röttger), Heinrich Mekelburger (1911–1914 UAKGM bei Joseph Wackerle, 1919–1924), Otto Moldenhauer (1905–1907 UAKGM), Magdalena Müller-Martin (1916–1924 UAKGM bei Johannes Röttger und Otto Hitzberger, noch 1926 eigenes Atelier), Wolf Röhricht (Lehrer an den VS), Richard Scheibe (ab 1937 Professor an den VS, ab 1945 Lehrer und 1945–1951 Professor an der „Staatlichen Hochschule für Bildende Künste“), Adolf Schlabitz (1875–82 HS bei Paul Thumann, Otto Knille, Karl Gussow und Ernst Hildebrand, Menzel-Preis, ab 1908 Lehrer und 1911–1917 Professor an der HS), Michael Schoberth (1928–1934 Schüler und Meisterschüler an den VS), Hanns Schrott-Fiechtl (1918–1921 UAKGM bei Hans Perathoner), Kurt Spribille (HS bei Walther Hauschild sowie VS bei Fritz Klimsch), Fritz Thiel (1920–1927 UAKGM bei Waldemar Raemisch, noch 1933 Atelier, 1946–1948 Dozent an der „HS für bildende und angewandte Kunst“ in Berlin-Weißensee), Helene Wenck-Birgfeld (1927–1930 UAKGM), Friedel Weyel (ab 1937 Meisterschülerin bei Cesar Klein), Heinz Worner (1925–1929 Abendstudium UAKGM bei Felix Kupsch, 1950–1951 Dozent für Plastik an der „HS für bildende und

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angewandte Kunst“ Berlin-Weißensee). Siehe Recherchen von Anke Matelowski in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 216–230.   3 Diese Dokumentation ist auf der Grundlage einer sorgfältig aufgestellten Sammlung von Erinnerungen und Informationen zur Ateliergemeinschaft Klosterstraße durch Gudrun Schmidt entstanden, die 1988 in einer Ostberliner Galerie ausgestellt wurden. Sie war Initiatorin der Ausstellung 1994. Siehe dazu: Gudrun Schmidt (Hg.): Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1933–1945. Vom stillen Kampf der Künstler, Berlin 1988. Die biografischen Dokumente waren im BDC vordem nicht zugänglich.  4 Angela Lammert: Dokumentation, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 158–215.   5 Eberhard Roters: Vorwort, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 6/7, hier 7. Roters schrieb dieses Vorwort als Reaktion auf die Absage Haftmanns. Haftmann zog zunächst auch schon zugesagte Leihgaben für die Ausstellung zurück, was er jedoch später revidierte.   6 Wie Anm. 5.   7 Brief von Werner Haftmann an Angela Lammert vom 1.2.1994. Archiv der Akademie der Künste Berlin, 1560.   8 Brief von Julius Posener an Inge Zimmermann vom 25.7.1994, Archiv der Akademie der Künste Berlin, 1564.   9 Alfred Hentzen 1973, in Brusberg Dokumente 17: Werner Heldt. Berlin am Meer, Berlin 1987, S. 7. 10 Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1988 (wie Anm. 3). 11 Eberhard Roters, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 6/7 und 40–49, hier 7 und 41. 12 Herbert Tucholski, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 50, siehe dazu: Günther Busch: Gerhard Marcks. Das plastische Werk, Frankfurt a. M./Berlin/ Wien 1977, S. 55. 13 Zur Jubiläumsausstellung der „Preußischen Akademie der Künste“ 1936 sind Arbeiten von Käthe Kollwitz aufgeführt, die dann am Tag der Eröffnung neben denen von Ernst Barlach und der „gotisierenden Plastik“ von Wilhelm Lehmbruck nicht mehr vertreten waren. Sie waren angeblich zurückgezogen worden. Siehe Gero Seelig: Die Jubiläumsausstellung von 1936, in „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen“. Akademie der Künste. Hochschule der Künste. Dreihundert Jahre. Berlin 1996, S. 525–527, hier 526. Sie waren jedoch wahrscheinlich ohne Konsultation des Ausstellungsleiters Fritz Klimsch, des Vorsitzenden der Ausstellungskommission, Arthur Kampf, und des Sekretärs der Akademie, Alexander Amersdorffer, offenbar auf Betreiben von Reichsminister Rust entfernt worden. 14 Herbert Tucholski: Atelierhaus Klosterstraße, in Herbert Tucholski: Bilder und Menschen, Leipzig 1985, S. 22–24. 15 Tucholski 1985 (wie Anm. 14), S. 22–24.

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16 Arno Breker versuchte Hermann Blumenthal vor dem Kriegsdienst zu schützen und setzte sich 1943 bei der Reichskulturkammer für bildende Künste nach dem Tod für eine Unterstützung von dessen Familie ein. In Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 195. 17 Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1988 (wie Anm. 3). 18 Besonders Eberhard Roter: Das Helle im Dunkeln – Das Dunkle im Hellen, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 40–49, hier 40, 41 und Angela Lammert: Die Plastik im Spannungsfeld Gemeinschaft – Moderne – Nation, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 50–63, hier 50–53. 19 Eberhard Roters, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 40–49, hier 41. 20 Ausstellungskataloge der Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1937 und 1936, siehe Angela Lammert, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 50–63, hier 51. 21 Ausstellungskatalog der Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1937, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1). 22 Das betrifft auch Entscheidungen gegen die Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Der Bildhauer Gustav Seitz zog hingegen aus, da ihm die Atmosphäre der „Gemeinschaft“ nicht gefiel, heißt es in dem Brief von Haftmann an Lammert 1994 (wie Anm. 6). 23 Hannelore Fischer: Vorwort, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 8/9 und 210 (Dokumentation). 24 So fand 1933 eine Ausstellung in der Galerie Günther Deneke unter dem Titel „Die Gemeinschaft. Gemälde, Skulpturen, Graphik, Architektur, Metallarbeiten“ statt. Hans Jürgen Meinik: Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße innerhalb der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 12–39, hier 14/15. 25 BDC, RKK Personalakte Hermann Blumenthal. 26 Käthe Kollwitz, in Jutta Bohnke-Kollwitz (Hg.): Käthe Kollwitz. Die Tagebücher 1908– 1943. Berlin 199, S. 542. 27 Tucholski 1985: „Unter den vierzig Atelierinhabern waren zehn Prozent unbestechliche Antifaschisten, zehn Prozent waren gefährliche Nazis; die Mehrzahl der Künstler glich Treibholz.“ 28 Eberhard Roters, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 7/8, hier 7. 29 Hans Jürgen Meinik: Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße innerhalb der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 12–39, hier 12–35. Angela Lammert: Chronik, Teil 1 der Dokumentation, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 159–171, hier 159. 30 „Selbst wenn man der Anforderung des Werkes ‚seine ganze Zeit‘ gibt, ist ‚ganze‘ noch nicht genug, denn es handelt sich nicht darum die Zeit der Arbeit zu widmen [...] sondern in eine andere Zeit überzugehen, wo es keine Arbeit mehr gibt, sich jenem Punkt anzunähern, wo die Zeit verloren ist, wo man die Faszination und die Einsamkeit der

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Abwesenheit der Zeit betritt. Wenn man all seine Zeit hat, hat man keine Zeit mehr und die ‚freundlichen‘ äußeren Umstände sind zu jener – unfreundlichen – Tatsache geworden, dass es keine Umstände mehr gibt.“ Maurice Blanchot: Der literarische Raum, Zürich 2012, S. 56. 31 Eberhard Roters: Eröffnungsrede zur Ausstellung von Will Lammert in der Akademie der Künste, Berlin 1992 (Manuskript Nachlass Will Lammert). 32 Eberhard Roters, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 40–49, besonders 42. 33 Angela Lammert: Moderne und Antimoderne in der Weimarer Akademie, Dissertation Berlin 1993. 34 In der Villa Massimo in Rom waren nicht nur die Bildhauer, sondern auch Dreßler, Gilles und Teuber. 1929 waren der in Heidelberg geborene Abel gemeinsam mit dem aus Böhmen stammenden Dreßler und Tucholski, der seine Ausbildung in Dresden genossen hatte, in der Villa Massimo. Der in Essen geborene Blumenthal begann zusammen mit Fritz Cremer seine künstlerische Arbeit bei Will Lammert und traf sich 1931 mit Lammert, dem Rheinländer Gilles und dem Berliner Ernst Wilhelm Nay in der Villa Massimo. 1932 waren Arno Breker und Felix Nussbaum in der Villa Massimo. Der aus Österreich stammende Kasper hatte in München studiert und war nach einem Griechenlandaufenthalt 1936/37 kurz darauf, 1939/40, in der Villa Massimo. Der in Berlin geborene Gerhard Marcks war ebenfalls 1928 aus Mitteln des Villa-Romana-Preises in Griechenland und 1935 in der Villa Massimo. Der Dresdner Teuber war 1936/37 in der Villa Massimo. 35 Joachim Heusinger von Waldegg: Karriere zwischen den Zeiten, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.5.1981. 36 Zeitungsartikel o. A., Werner Klau: Eine Künstlergemeinschaft am Werk, aus dem Nachlass von Herbert Tucholski, Berlin. 37 Gerhard Marcks zitiert in Günter Busch: Gerhard Marcks. Das plastische Werk, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1977, S. 45/46. 38 Herbert Tucholski: Bilder und Menschen, Leipzig 1985, S. 36. 39 Eberhard Roters, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 40–49, hier 43. 40 Werner Haftmann: Der Bildhauer Ludwig Kasper, Frankfurt a. M./Berlin 1978, S. 13. 41 Skulptur und Macht. Figur und Plastik in Deutschland der 30er und 40er Jahre, Berlin 1983, S. 99. 42 Werner Haftmann 1978 (wie Anm. 40), S. 56. 43 Bruno E. Werner: Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin 1940, S. 90. 44 Herbert Griebitzsch: Die Halle des deutschen Volkes. Das ist lebendige deutsche Kunst, in Reclams Universum, Jg. 50, H. 4, 26.10.1933, S. 135. 45 Bruno E. Werner: Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin 1940, S. 90. 46 Adolf Hitler entwarf im Kampf gegen die Weimarer Demokratie ein Plakat mit dem Titel „Deutschlands Kinder hungern“ – Plagiat einer Graphik von Käthe Kollwitz. Siehe

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Der Spiegel 6 (1983) und Billy F. Price: Adolf Hitler als Maler und Zeichner, München 1983. 47 Erhard Frommhold: Zwischen Widerstand und Anpassung. Kunst in Deutschland 1933– 1945, Berlin 1978, S. 15. 48 Dabei ist weniger nach Kleinbürgerlichkeit zu fragen als nach reaktionären Zügen und innovativen Momenten. Gudrun Schmidt spricht von Künstlern, deren „Werk unbeirrt und ohne Konzession wuchs“ bzw. „Ihre Kunst war maßstabsetzend und -erhaltend, nicht kleinbürgerlich reaktiv“. In Ateliergemeinschaft 1988 (wie Anm. 3), S. 25/26. 49 Werner Haftmann: Zur Vielfältigkeit deutscher Kunst, in Kunst der Nation 24 (1934). 50 Werner Haftmann: Form und Wirklichkeit. Exkurs über deren Einheit in der modernen Kunst, in Kunst der Nation 8 (1934). 51 Werner Haftmann: Grundsätzliches über die neue Bildhauerei, in Kunst der Nation 17 (1934). 52 Werner Haftmann: Hermann Teuber, in Kunst der Nation 2 (1935). Haftmann schreibt auch: „Die Kunst diktiert unsere Vorstellungen, nicht unsere Vorstellungen die Kunst.“ Junge Bildhauer. Schumacher, in Kunst der Nation 24 (1934). 53 Werner Haftmann: Fritz Winter – Triebkräfte der Erde, München 1957. 54 Werner Haftmann: Emil Nolde, Köln 1958. 55 Werner Haftmann: Ernst Wilhelm Nay, Köln 1991. 56 Ursel Berger: „Moderne Plastik“ gegen „Die Dekoration der Gewalt“. Zur Rezeption der deutschen Bildhauerei der zwanziger und dreißiger Jahre nach 1945, in Peneloge Curtis (Hg.): Taking Positions. Figürliche Bildhauerei und das Dritte Reich, Leeds 2001, S. 61. 57 Skulptur und Macht 1983 (wie Anm. 41). 58 Zwischen Widerstand und Anpassung. Akademie der Künste, Berlin 1978. 59 Gudrun Schmidt: „Ich wollte, ich wäre so wortgewaltig wie Hölderlin, dann würde ich Oden der Freundschaft schreiben.“, in Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1994 (wie Anm. 1), S. 10. Die neuen in der Dokumentation gesammelten Materialien aus den Archiven haben, so hielt Gudrun Schmidt fest, auch „nachdenklich“ gemacht. 60 In BDC, RKK, Personalakte Werner Heldt. 61 Brief von Werner Heldt an Werner Gilles vom 3.1.1941 und vom 18.6.1941, in GNM Nürnberg, Archiv, Nachlass Werner Gilles, I, C 152. 62 Brief von Gerhard Marcks an Werner Gilles vom 10.7.1940, in GNM Nürnberg, Archiv, Nachlass Werner Gilles, I, C 152. 63 Angela Lammert 1993 (wie Anm. 33), S. 45/46. 64 Brief von Adolf Abel an seine Eltern vom 2./3.9.1941, in GNM Nürnberg, Archiv, Nachlass Adolf Abel, II, C 2. 65 Siehe dazu Angela Lammert: Funktionswandel der figürlicher Plastik: Vom Mahnmal zur Plastik im öffentlichen Raum, in Reaktionär, konservativ, modern? Figürliche Plastik der frühen Nachkriegszeit (S. 55–78), hg. von Guido Reuter und Hans Körner, Düsseldorf 2014.

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66 Netzwerk Bildhauerei. Konzept von Nikola Doll. 67 Taking Positions 2001 (wie Anm. 56). 68 Taking Positions 2001 (wie Anm. 56). 69 Werner Haftmann: Verfemte Kunst, Köln 1986, S. 26 ff. 70 Werner Heldt: Einige Beobachtungen über die Masse. Vollständige wiedergegeben in Thomas Föhl: Biographie, in Lucius Grisebach (Hg.): Werner Heldt, Berlin 1989, S. 17/18. 71 Dies, obwohl er in besagtem Brief selbst von den künstlerisch erinnerungswürdigen Künstlern als „Kernzelle“ spricht, deren geistiges Klima vom „bloßen Dasein der verehrenswürdigen, in ihrer Stille versunkenen Figur von Käthe Kollwitz“ und Gesprächen zwischen den Künstlerfreunden Ludwig Kasper und Hermann Blumenthal bestimmt gewesen sei. Siehe Brief von Haftmann an Lammert 1994 (wie Anm. 6). 72 Werner Haftmann: Geographie und unsere bewusste Kunstsituation. Abhandlung zur Frage des West-Östlichen Kunst der Nation, Kunst der Nation 20 (1934). Er schreibt auch über die „schicksalshafte Sendung“ des Geistes, die „vom Blut und vom Raum“ eingelagert sei. 73 Werner Haftmann: Das antwortende Gegenbild. Ausgewählte Texte 1947–1990, hg. von Evelyn Haftmann und Wouter Wirth, München 2012, S. 65. 74 Brief von Haftmann an Lammert 1994 (wie Anm. 6). 75 Werner Haftmann: Form und Wirklichkeit, in Kunst der Nation 15 (1934) und ders.: Grundsätzliches über die neue Bildhauerei, in Kunst der Nation 17 (1934). 76 Werner Haftmann: Kriegserklärung an die moderne Kunst. Nachdenklicher Bericht zur Wiederkehr des 50. Jahrestages der „Entartetet“-Ausstellung, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1987, Nr. 151, zit. nach Haftmann 2012 (wie Anm. 73), S. 255. 77 Wie Anm. 76. 78 Wie Anm. 76. 79 Wie Anm. 76. 80 Brief Posener an Zimmermann 1994 (wie Anm. 7).

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Charlotte Salomon und ihr Werk „Leben? Oder Theater?“

Der 75. Jahrestag der Novemberpogrome bietet den mehr als gegebenen Anlass, über eine Künstlerin und frühere Studentin der Hochschule zu sprechen, die diesen Tag in Berlin erleben musste, wenige Wochen später nach Südfrankreich floh und 1943 in Auschwitz ermordet wurde: Charlotte Salomon. Wenn Bilder aus Salomons Werk „Leben? Oder Theater?“ gezeigt werden, während ich zugleich über die Biografie der Künstlerin spreche, so soll damit nicht der – falsche – Eindruck erweckt werden, dass Leben und Werk identisch seien. Es gibt dennoch eine Reihe autobiografischer Bezüge zwischen Charlotte Salomon und der „Charlotte Kann“ in dem genannten Werk, die zu erwähnen sind. Im Personenverzeichnis wird diese Nähe zwischen fiktiven und realen Personen auch an den ironisierten Namen deutlich. 1982 erhielt ich von der Hochschule der Künste Berlin den Auftrag, die Geschichte der Berliner Kunst- und Musikhochschulen zwischen 1933 und 1945 zu erforschen. Während meiner Recherchen fand ich eine unscheinbare Akte in bräunlichem Packpapier mit der Aufschrift „Studierende nichtarischer Abstammung“. Darin, unter der Nr. 10: „Salomon, Charlotte, Volljude.“ Jetzt erst stellte sich für mich plötzlich der Zusammenhang zwischen der Künstlerin und ihrem publizierten Werk her: Im Hauptgebäude der heutigen UDK am Steinplatz hatte Charlotte Salomon studiert, bevor sie nach Südfrankreich emigriert war und von dort nach Auschwitz deportiert wurde. Seither hat mich ihre Lebensgeschichte nicht wieder losgelassen. Ihr verdankte ich die Freundschaft zu Paula Salomon-Lindberg, die mein Leben verändert hat. Charlotte Salomon wurde am 16. April 1917 als Tochter des Chirurgie-Professors Albert Salomon und seiner Frau Franziska Grunwald in Berlin geboren. Sie wuchs in einem gutbürgerlichen, assimilierten jüdischen Haushalt auf, in dem, wie die Kindheitserinnerungen zeigen, die in den Bildern in „Leben? Oder Theater?“ Ausdruck fanden, das Weihnachtsfest mit dem geschmückten Christbaum wichtiger war als die jüdischen Feiertage. Die Familie Salomon lebte in Berlin-Charlottenburg, damals wie heute einer der angesehensten Bezirke Berlins. Hier, zwischen dem Kurfürstendamm und dem Charlottenburger Schloss, konzentrierte sich vor

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allem das Kulturbürgertum der Weimarer Republik. Wer zum Kreis der wohlhabenderen Intellektuellen, Künstler, Literaten oder Geschäftsleute gehörte, siedelte sich hier an. Dies galt auch für die jüdische Intelligenz. Geht man heute durch die Straßen im Umfeld der Wielandstraße, in deren Haus Nr. 15 die Familie Salomon bis 1939 gewohnt hat, so erinnern dort viele Gedenktafeln an jüdische Künstler und Intellektuelle. In der Wielandstraße 15 selbst hat der Landesjugendring Berlin eine Gedenktafel für Charlotte Salomon angebracht. Seit 2011 sind dort auch drei Stolpersteine für die Familie Salomon eingelassen worden. Charlotte Salomons Schilderungen der Kindheit von „Charlotte Kann“ in „Leben? Oder Theater?“ spiegeln das Glück eines sorglosen Familienlebens in diesen Jahren wider. Der Selbstmord der Mutter änderte dies jedoch 1926 tiefgreifend. Der damals neunjährigen Charlotte wird erzählt, die Mutter sei an einer Grippe gestorben. Erst in den bittersten Stunden des Exils in Südfrankreich wird sie die Wahrheit erfahren. Ab Ostern 1927 besucht Charlotte das Fürstin-Bismarck-Gymnasium in der Sybelstraße (das heutige Sophie-Charlotte-Gymnasium), eine Schule für die höheren Töchter Charlottenburgs. Das Familienleben war nun durch ständig wechselnde Kindermädchen bestimmt, von denen allein „Hase“ bei Charlotte Gnade und Zuneigung fand. So ist es nur zu verständlich, dass sich alle Sehnsüchte und Schwärmereien der nun 13-jährigen Charlotte auf Paula Lindberg richteten, eine jüdische Sängerin, die Albert Salomon im September 1930 heiratete. Paula Lindberg war 1927 von Mannheim nach Berlin gekommen, um an der „Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik“ ihre Ausbildung als Sängerin fortzusetzen. Prof. Siegfried Ochs, der Leiter des Philharmonischen Chores in Berlin, förderte sie nicht nur in ihrer musikalischen Ausbildung. Er war es auch, der ihr angesichts der zunehmenden antisemitischen Hetze in Deutschland riet, ihren Geburtsnamen Levi in Lindberg zu ändern. Paula Lindberg studierte an der Akademischen Hochschule bis zu ihrer Heirat 1930. Hier lernte sie Kurt Singer kennen, den Arzt und Musiker, der neben seiner Tätigkeit als Stellvertretender Intendant der Städtischen Oper in der Bismarckstraße an der Musikhochschule das Fach „Berufskrankheiten der Musiker“ unterrichtete. Neben seinen Vorlesungen hielt er ärztliche Beratungsstunden für die Studenten ab. Zusammen mit vier weiteren jüdischen Lehrkräften wurde Kurt Singer bereits im Herbst 1932 von der Hochschule entlassen – aus „Einsparungsgründen“, wie es offiziell hieß. Tatsächlich waren dies die ersten Schritte vorauseilenden Gehorsams im Vorgriff auf die Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933. Monate vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 begann die Berliner Musikhochschule so, sich selbst gleichzuschalten.

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Die Machtübergabe 1933 änderte auch die Lebenssituation in der Familie Salomon tiefgreifend: Albert Salomon verlor seine Professur an der Berliner Universität und seine Stelle als Chirurg am Universitätsklinikum. Paula Salomon-Lindberg trat im März 1933 in der Leipziger Thomaskirche zum letzten Mal öffentlich auf – mit der Bach-Kantate „Sehet, wir geh’n hinauf gen Jerusalem“. Einen Tag später wurde den jüdischen Bühnenkünstlern das öffentliche Auftreten untersagt. In Charlottes Schule nahmen antisemitische Angriffe zu. Paula Salomon-Lindberg fand ein neues Podium im „Kulturbund Deutscher Juden“, den Kurt Singer im Juni 1933 gründete, nachdem er selbst aufgrund des Berufsbeamtentumsgesetzes an der Städtischen Oper entlassen worden war. Der Kulturbund wurde rasch zum Sammelbecken Tausender entlassener jüdi- 1 Charlotte Salomon, Die Machtübernahme am 30.1.1933, „Leben? oder Theater“, 1940–1942, Blatt 4304, Joods scher Schauspieler, Sänger und OrchesHistorisch Museum, Amsterdam termusiker. Auch für Paula Salomon-Lindberg wurde dies nun der einzige Ort, wo sie ihren Beruf und ihre Berufung als Sängerin weiter ausüben konnte. Diente der Kulturbund einerseits dem Propagandaministerium, dem er unterstellt war, als Ventil, damit das Unruhepotential Tausender entlassener Künstler nicht außer Kontrolle geriet, sondern in die geordneten Bahnen eines kulturellen Ghettos gelenkt werden konnte, so war er für die jüdischen Künstler wie für das Publikum von unschätzbarem Wert als Ort der Selbstbehauptung und der Vergewisserung der eigenen Existenz. In einer Zeit der permanenten Diskriminierung und Verfemung fanden die Juden hier für wenige Stunden einen Ort der Identifikation. Charlottes Großeltern Dr. Ludwig Grunwald und seine Frau Marianne BendaGrunwald emigrierten bereits 1933 nach Südfrankreich. Charlotte traf sie wenig später in Italien. Der kurze Aufenthalt in Rom hinterließ nachhaltige Eindrücke von der Begegnung mit Werken der Bildenden Kunst: die „Sixtinische Kapelle“ und Michelangelos „Pietà“ blieben so unauslöschlich im Gedächtnis, dass Charlotte sie fast zehn Jahre später in ihrem Bilderzyklus „Leben? Oder Theater?“ ausdrucksvoll

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wiedergab. Diese Begegnung mit Bildender Kunst mag den Wunsch in ihr geweckt haben, selbst Malerei zu studieren. Charlotte Salomon verließ ein Jahr vor dem Abitur im Herbst 1933 das Fürstin-Bismarck-Gymnasium, in dem nun antisemitische Anfeindungen auf der Tagesordnung standen. Das Abschlusszeugnis bescheinigte ihr „fehlerloses Betragen“ und vermerkt am 9. September 1933, dass Charlotte die Schule auf eigenen Wunsch verließ, um Privatunterricht zu nehmen.1 Wie auch heute noch üblich, besuchte Charlotte eine private Kunstschule, um sich für die Aufnahmeprüfung an der Berliner Kunsthochschule vorzubereiten. Zum Wintersemester 1935/36 wurde Charlotte Salomon an den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“ 2 Charlotte Salomon, Die Berliner Kunsthochschule in der in der Hardenbergstraße in Berlin-CharHardenbergstraße, „Leben? oder Theater“ 1940–1942, lottenburg aufgenommen, zunächst auf Blatt 4335, Joods Historisch Museum, Amsterdam Probe, dann im Februar 1936 als ordentliche Studentin. Charlotte Salomon wurde immatrikuliert nach Maßgabe des „Gesetzes gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ vom April 1933, quasi dem Gegenstück zum Berufsbeamtentumsgesetz im studentischen Bereich, mit dem auch hier linksorientierte, „marxistische“ Studierende vom Studium ausgeschlossen und jüdische Studenten nur entsprechend einer Quote von 1,5 % aufgenommen wurden – ein Prozentsatz, der ungefähr dem zahlenmäßigen Anteil der Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung entsprach, nicht jedoch ihrem weit höheren Anteil im Berliner Kulturbereich, und nicht eingerechnet, was im Zuge der Verschärfung der Rassengesetze als „Halb-“ oder „Vierteljude“ oder als „jüdisch versippt“ den Verfolgungen anheimfiel. Die Ausnahmeregelung der 1,5 % galt darüber hinaus nur für diejenigen Studienbewerber, deren Väter sich im Ersten Weltkrieg als „Frontkämpfer“ um Deutschland verdient gemacht hatten. Albert Salomon, der in Frankreich in einem Kriegslazarett gearbeitet hatte, zählte in den Augen der Behörden dazu. Über Charlottes Aufnahme vermerkt das Protokoll in der Akte „Nichtarische Studenten“: „Die

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künstlerischen Leistungen der Volljüdin Charlotte Salomon gaben zu Bedenken keine Veranlassung. Trotzdem erhob Herr Scheunemann (Vertreter des NS-Studentenbundes) Einspruch gegen die Zulassung von nichtarischen Studentinnen, weil sie für die arischen Studierenden eine Gefahr bildeten. Prof. Bartning wies demgegenüber darauf hin, dass diese Gefahr gerade bei Frl. Salomon wegen ihres zurückhaltenden Wesens nicht vorliege.“2 Daneben in deutscher Beamtenpingeligkeit mit spitzem Buntstift ein Stammbaum, der mit verschiedenfarbigen Kästchen die Abstammung der Studierenden bis zu den Großeltern aufzeichnet. Charlotte Salomon hat nur rote Kästchen vorzuweisen: Sie galt somit als eine so genannte „Volljüdin“. Charlotte wurde zunächst in die Klasse des Gebrauchsgraphikers Ernst Böhm aufgenommen, der kurz darauf, im 3 Charlotte Salomon, Die Aufnahme in die Hochschule, „Leben? oder Theater“ 1940-1942, Blatt 4336, Joods September 1937, wegen „jüdischer VersipHistorisch Museum, Amsterdam pung“ selbst entlassen wurde. Nach einem Semester wechselte sie zu Ludwig Bartning – unter den Studierenden liebevoll-spöttisch „Primel-Professor“ genannt, weil er seine Schüler im eigens dafür angelegten Hochschulgarten Blumen zeichnen ließ. Zu seinem Unterrichtsschwerpunkt gehörten aber auch Illustrationen nach literarischen Vorlagen, was sich später in Charlottes Arbeiten für Alfred Wolfsohn widerspiegelt. Charlottes Mitschülerin Barbara Petzel, die „schöne Barbara“, wie sie in „Leben? Oder Theater?“ genannt wird, erinnert sich an die lebhafte Atmosphäre, die in der Bartning-Klasse herrschte. Als Charlotte von der Böhm-Klasse dorthin überwechselte, erschien sie ihrer Mitschülerin als „kleines, schüchternes, graues Ding – wie ein grauer Novembertag, das war die Lotte“.3 Bartning und Böhm kamen beide von der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ 1924 an die Hochschule, sie hatten Bruno Paul unterstützt und standen nun in Opposition zu dem amtierenden Direktor Kutschmann. So war es für sie eine Selbstverständlichkeit, sich der jüdischen Studentin Charlotte anzunehmen, die sie über mehrere Semester vor antisemitischen Anfeindungen bewahren konnten. Die Bilder in „Leben? Oder Theater?“, auf denen das Studium von „Charlotte

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Kann“ an der Hochschule dargestellt sind, zeugen von der relativen Unbeschwertheit dieser Zeit für sie: Charlotte war zum ersten Mal in einer Gruppe aufgehoben, bei der ihre Herkunft keine Rolle spielte, und konnte sich dort künstlerisch entfalten. Jahre später porträtierte sie liebevoll ihren „Professor“ und ihre Mitschüler. Für die Hochschule insgesamt ist diese Darstellung jedoch nicht repräsentativ, wie Jeanne Flieser berichtet, die zeitgleich mit Charlotte dort studierte. Wenn jüdische Studenten, und sie selbst zählte auch dazu, die große Eingangshalle der Hochschule am Steinplatz betraten, so schlug ihnen oft ein Pfeifkonzert ins Gesicht, gemischt mit den Rufen „Juden raus!“.4 Die künstlerische Moderne war rasch ausgeschaltet. Eine Beschäftigung mit der wegweisenden Kunst der Weimarer Republik oder mit der avantgardistischen Kunst des Auslandes war nur in den verschwiegenen Lesesälen der Bibliothek möglich, die erstaunlicherweise nicht „gesäubert“ worden war. Es lässt sich heute nicht mehr sagen, ob Charlotte sich für die nun so genannte „entartete“ Kunst interessiert hat. Vermutlich war ihre eigene künstlerische Arbeit weit mehr von dem kulturellen Umfeld beeinflusst, in dem sie aufwuchs: den Konzerten, Opernaufführungen und Vortragsabenden des Jüdischen Kulturbundes und dem Kino. Viele Zitate in „Leben? Oder Theater?“ sind Opern- oder Theateraufführungen entnommen, die in dieser Zeit auf dem Spielpan des Kulturbundes standen, dies war und blieb für Charlotte neben der Hochschule die einzige Inspiration außerhalb der Wohnung in der Wielandstraße 15. Von besonderer Bedeutung für Charlottes Leben und für ihre künstlerische Arbeit war ihre Beziehung zu Alfred Wolfsohn, der durch Vermittlung der „Jüdischen Künstlerhilfe“ ins Haus Salomon kam. Die Künstlerhilfe vermittelte stellungslose jüdische Künstler, die von den Nazis entlassen worden waren. Ein Arbeitsnachweis war zumindest vorübergehend ein Schutz vor Verhaftung und Deportation. Neben Paula wurde Alfred Wolfsohn nun zur zentralen Figur in Charlottes Leben und als „Daberlohn“ in ihrem Werk „Leben? Oder Theater?“. Er war es, der ihre künstlerische Arbeit ernst nahm, der sich mit ihr beschäftigte, ihr Anregungen und Aufträge gab und Lob und Trost spendete. Sie zeigte ihm Arbeiten aus der Hochschule, so ihre Illustration zu „Der Tod und das Mädchen“ nach einem Gedicht von Matthias Claudius, das in der Vertonung durch Franz Schubert zu Paulas Repertoire gehörte. Ein Musikstück, das deshalb eine besondere Bedeutung für Charlotte hatte, weil sie Paula dazu auf dem Klavier begleiten durfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Alfred Wolfsohn, der mit Paulas Hilfe nach England emigrieren konnte und dort überlebte, ein Buch unter dem Titel „Die Brücke“ verfasst, in dem er sich auch mit diesem Bild „Der Tod und das Mädchen“ von Charlotte auseinandersetzt. Er schreibt dort: „Es ist nicht absichtslos, dass auf dem Bild Lottes, das ich ‚Der Tod und das Mädchen‘ nenne, der Tod seine Hand auf den Kopf des jungen Mädchens legt. [...] In diesem Kopf saßen die un-

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barmherzig beobachtenden Augen einer Malerseele, die gezwungen waren, in der Außenwelt die Grausamkeit des Nichtverständnisses für die Innenwelt zu entdecken, und deren Kraft erlosch, als sie den Zusammenprall zweier Welten wahrnehmen musste: die hässliche äußere Wirklichkeit im Gegensatz zur geträumten inneren Schönheit.“5 Im Wintersemester 1937/38 brach Charlotte ihr Studium ab. Die Kunsthochschule hatte einen Wettbewerb um den „Sandkuhl-Preis“ ausgeschrieben. Als die Jury Charlottes Bild für den ersten Preis auswählen will, verhindert Ludwig Bartning dies aus Angst, dass dadurch ihre jüdische Herkunft publik wird. Den Preis erhielt daraufhin Charlottes umschwärmte Mitschülerin, die „schöne Barbara“. Nachdem sich diese Demütigung unter den Mitschülern herumgesprochen hat, kehrte Charlotte nicht wieder zur Hochschule zurück. Sie war zwar noch im Sommersemester 1938 in der Bartning-Klasse formal eingeschrieben, um sich eine Fortsetzung des Studiums offenzuhalten, aber sie änderte ihre Meinung nicht mehr. Auch die äußeren Bedingungen ließen ein Studium bald nicht mehr zu: Die Pogrome der so genannten „Reichs-Kristallnacht“ vom 9. November 1938 brachten auch für die Familie Salomon einen tiefen Einschnitt für ihre weitere Lebensperspektive in Berlin. Albert Salomon wurde gemeinsam mit hunderten von jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten im KZ Sachsenhausen in „Schutzhaft“ genommen. 4 Charlotte Salomon, Die „Reichs-Kristallnacht“ am 9. November 1938, „Leben? oder Theater“ 1940–1942, Blatt 4762, Joods Historisch Mit Hilfe ihrer Kontakte Museum, Amsterdam zum politischen Widerstand gelang es Paula, ihn von dort freizubekommen. Geschunden und abgemagert kehrte Albert Salomon nach mehrwöchiger Haft in die Wielandstraße 15 zurück. Dies war auch für die Familie Salomon das letzte Alarmsignal, Berlin auf schnellstmöglichem Weg zu verlassen. Alle Gespräche drehten sich jetzt nur noch um dieses eine Thema: Wem können wir bei der Auswanderung helfen? Wer kann uns bei der Flucht helfen?

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Für Paula Salomon-Lindberg, die bereits mehrfach von der Gestapo verhaftet und verhört worden war, gab es keinen offiziellen Ausweg aus Deutschland mehr. So beschloss die Familie, zunächst Charlotte alleine zu den Großeltern nach Südfrankreich zu schicken. Charlotte verließ Berlin im Januar 1939, ausgestattet mit einem Besuchsvisum für ein Wochenende, mit einem kleinen Handkoffer und mit einer Schallplatte, auf der Paula zwei Arien aus der Oper „Carmen“ singt. Am Anhalter Bahnhof nahm sie Abschied von Paula und von Alfred Wolfsohn. Beide würde sie nicht wiedersehen. Charlotte emigrierte zu den Großeltern, die in Villefranche in der Nähe von Nizza bei einer reichen Amerikanerin untergekommen waren. Die letzten Abschiedsworte von Alfred Wolfsohn 5 Charlotte Salomon, Abreise vom Anhalter Bahnhof, wurden Charlottes Lebensmotiv in den „Leben? oder Theater“ 1940–1942, Blatt 0438, Joods nun folgenden Jahren: „Um das ganze Historisch Museum, Amsterdam Leben zu lieben, dazu muss man vielleicht auch seine andere Seite, den Tod, umfassen und begreifen. Mögest du nie vergessen, dass ich an dich glaube!“ Die ersten Monate in Südfrankreich erscheinen noch unbeschwert: Das südliche Licht, die Farbenpracht der üppigen Vegetation und die Landschaft spiegeln sich in den Bildern wider, auf denen Charlotte Salomon die Ankunft von „Charlotte Kann“ in Südfrankreich darstellt. Aber die Situation veränderte sich schlagartig mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Großmutter Grunwald nahm sich angesichts der herannahenden Gefahr durch den Vormarsch der deutschen Truppen im März 1940 vor Charlottes Augen das Leben. Nun erst erfuhr sie von der Kette der Selbstmorde, die wie ein Fluch über ihrer Familie lagen. Im Mai 1940 erklärte Nazideutschland Frankreich den Krieg. Nachdem auch Italien im Juni 1940 auf Seiten Deutschlands in den Krieg eingetreten war, wurde Südfrankreich von Ausländern „gesäubert“. Charlotte wird mit dem Großvater Grunwald interniert, im Juli jedoch wegen dessen hohen Lebensalters wieder freigelassen. Sie kehrte mit ihm nach Villefranche zurück. Durch den Selbstmord der

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Großmutter und die Lagerzeit mit dem Großvater befand sie sich in einer tiefen Nervenkrise. Ein Arzt in Villefranche gab Charlotte den Rat, die künstlerische Arbeit wieder aufzunehmen und sich so mit den überschatteten Ereignissen in ihrem Leben auseinanderzusetzen. Wie Paula Salomon-Lindberg sich erinnert, hat Charlotte ihr noch in Briefen davon berichtet, dass sie an einer großen Serie mit Bildern zu ihrer eigenen Lebensgeschichte arbeitete. Paula und Albert Salomon waren im März 1939 mit falschen Papieren nach Amsterdam geflohen. Von dort schickten sie Charlotte die Farben und Zeichenblöcke nach Südfrankreich. Zwischen 1940 und 1942 entstanden die über 1300 Gouachen zu „Leben? Oder Theater?“. Ihre Entstehung, so lässt Charlotte Salomon ihre Protagonistin „Charlotte Kann“ im Epilog sagen, verdanken 6 Charlotte Salomon, Wiederaufnahme der künstlerischen Arbeit, „Leben? oder Theater“ 1940–1942, Blatt 4842, die Bilder der Theorie Alfred Wolfsohns: Joods Historisch Museum, Amsterdam „So war sie ja eigentlich das lebende Modell für seine Theorien – und sie sah mit wachgeträumten Augen all die Schönheit um sich her, sah das Meer, spürte die Sonne und wusste, sie musste für eine Zeit von der menschlichen Oberfläche verschwinden und dafür alle Opfer bringen – um sich aus der Tiefe ihre Welt neu zu schaffen. Und dabei entstand: Das Leben oder das Theater?“ Charlotte Salomon hat sich in der Verzweiflung und der Verlassenheit des Exils ihre Lebenswelt auf eine imaginäre, innere Bühne zurückgeholt und die wirkliche Geschichte als „Singspiel“ neu inszeniert. Zu einem Zeitpunkt, als ihr Leben völlig von den Bestimmungen feindlicher Mächte abhing, verfasste sie die Lebensgeschichte von „Charlotte Kann“ als ein Bühnenstück mit verteilten Rollen, mit Aufzügen und Szenen in verschiedener Kulisse, mit Rückblenden und Parallelmontagen und mit Angaben zur Bühnenmusik, die sich der Betrachter dazu vorzustellen hat. Sie zeigt uns darin Figuren, die in vielem autobiografische Züge tragen und deren Namen auf wirkliche Personen verweisen: Da ist „Albert Kann“, der Vater Albert Salomon, und „Paulinka Bimbam“, die zärtlich geliebte zweite Mutter, da ist „Dr. Singsang“ alias Kurt Singer, der Gründer und Leiter des Jüdischen Kultur-

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bundes, und da sind die lautmalerisch „Knarre“ genannten Großeltern Grunwald. Und da ist „Charlotte Kann“ – „ich kann“ scheint sie uns selbstbewusst mit dem Namen sagen zu wollen, den sie sich gegeben hat. Der Titel „Leben? Oder Theater?“ verweist aber immer wieder darauf, die Bildwirklichkeit infrage zu stellen nach dem Motto: Ist es nun so gewesen? Oder habe ich es mir nur so vorgestellt? Wenn wir das Leben von Charlotte Salomon und ihr Werk „Leben? Oder Theater?“ betrachten, so scheint es unumgänglich, diese Unterschiede zwischen dem wirklichen Leben von Charlotte Salomon und dessen künstlerischer Gestaltung in der Geschichte von „Charlotte Kann“ immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. „Leben? Oder Theater?“ entzieht sich damit den Kategorien der biografischen Exilforschung. „Leben? Oder Theater?“ entzieht sich aber auch den herkömmlichen Kategorien der Kunstbetrachtung und Kunstbewertung. Es ist ein einmaliges künstlerisches Werk. Dies gilt für die äußeren Daten: den Umfang, die Intensität und Dichte der Darstellungen. Dies gilt aber erst recht für seine besondere Qualität: die Integration verschiedener künstlerischer Medien durch die Hinzufügung von Texten und Musikangaben zu den einzelnen Bildern. „Leben? Oder Theater?“ wurde damit zu einem Gesamtkunstwerk, das seine Vollendung erst im Kopf des Betrachters erfährt, der die jeweils zugehörige Musik mit den Bildern zugleich wahrnimmt. Charlotte Salomon wurde am 24. September 1943 zusammen mit ihrem Ehemann Alexander Nagler in Nizza verhaftet und über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert. Im fünften Monat schwanger, wurde sie vermutlich noch am Tag ihrer Ankunft am 10. Oktober 1943 dort ermordet. Alexander Nagler starb an den Folgen der Haftbedingungen. Ihr Werk „Leben? Oder Theater?“ ist heute im Besitz des Joods Historisch Museum Amsterdam.

Anmerkungen 1 Abgangszeugnis des Fürstin-Bismarck-Gymnasiums für Charlotte Salomon vom 9.9.1933, Archiv der Sophie-Charlotte-Schule Berlin. 2 „Vereinigte Staatsschulen“, Akte Studierende nichtarischer Abstammung, Archiv der Universität der Künste Berlin. 3 Gespräch mit Barbara Petzel, Köln 1986, zum Teil veröffentlicht in Christine FischerDefoy (Hg.): Charlotte Salomon – Lebensbild einer jüdischen Malerin aus Berlin 1917– 1943, Akademie der Künste Berlin 1986. 4 Gespräch mit Jeanne Flieser, Berlin 1986, zum Teil veröffentlicht wie in Anm. 3. 5 Alfred Wolfsohn: Die Brücke, unveröffentlichtes Manuskript im Besitz von Marita Günther.

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Gerd Brüne, Dr. phil., geboren 1963, Studium der Kunstgeschichte an der LMU München und der Universität Tübingen, Promotion an der Universität Kassel mit einer Arbeit über Fritz Cremer als Denkmalbildhauer, seit 1994 freiberuflich als Kunsthistoriker tätig, 2008–2010 Projektmitarbeiter am Historischen Institut der Universität Paderborn. Maria Derenda, geboren 1982 in Alma-Ata, Kasachstan, studierte 2001–2007 Geschichtswissenschaft, Philosophie, Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Nach dem Zweiten Staatsexamen 2009 trat sie in den Schuldienst ein. 2010–2013 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Sie promoviert zum Thema „Käthe Kollwitz und Elena Luksch-Makowskaja – Professionelle Selbstkonzepte von Künstlerinnen um 1900“. Magdalena Droste, Prof. Dr. phil., seit 1997 Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der BTU Cottbus, verfügt über langjährige Erfahrung in allen Bereichen der Bauhausforschung. 1968–1977 Studium der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft an der RWTH Aachen und der Philipps-Universität Marburg, 1977 Promotion mit dem Thema „Das Fresko als Idee. Probleme deutscher Wandmalerei im 19. Jahrhundert.“ Seit ihrer Tätigkeit am Bauhaus-Archiv Berlin (1980–1997) hat sie sich mit Themen aus der gesamten Breite der Bauhausgeschichte auseinandergesetzt. Ihren beiden Publikationen zur Geschichte der Kunstschule (1990 und 2006) sind in elf Sprachen verbreitet. 2008 entstand ein Rückblick auf „10 Jahre Bauhausforschung“ und 2009 ein Sammelband mit Aufsätzen internationaler Autoren zum „Mythos Bauhaus“ (beide hg. mit A. Baumhoff ). Zu den jüngeren Arbeiten zählen Aufsätze zu Oskar Schlemmer. Dessen Korrespondenz mit dem Schweizer Künstler Otto Meyer-Amden wird für eine wissenschaftliche Edition bearbeitet (Zusammenarbeit mit Elisa Tamaschke, Halle). Christine Fischer-Defoy, Dr. rer. pol., Autorin, Zeithistorikerin und Ausstellungsmacherin. 1970–1975 Studium an der Gesamthochschule Kassel, 1977–1981 dort

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Promotion in Politikwissenschaft mit einer Regionalstudie zum Widerstand im Nationalsozialismus. Von 1982–1994 Forschungsprojekte an der damaligen Hochschule der Künste Berlin zur Hochschulgeschichte im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, 1994–1997 Ausstellungs- und Publikationsprojekt zur Geschichte der Akademie der Künste Berlin. Seit 1983 Gründungsmitglied der Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin, seit 1992 dort ehrenamtlich Vorsitzende und Kuratorin zahlreicher Ausstellungen zu NS-Verfolgung und Exil. Veröffentlichungen u.a.: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunstund Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988; „Und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch“ - Dokumente zur Geschichte der Akademie der Künste (West) 1945–1993, Berlin 1997; „Kunst, im Aufbau ein Stein.“ Die Westberliner Kunst- und Musikhochschulen im Spannungsfeld der Nachkriegszeit, Berlin 2001. Christian Fuhrmeister, Dr. phil., PD, geboren 1963, Lehre als Steinmetz, zwei Semester Studium Philosophie und Anglistik an der Universität Hamburg, Studium für das Lehramt an Gymnasien (Englisch, Kunst) in Oldenburg und Towson/ Baltimore (Erstes Staatsexamen 1992). Promotionsstudium Kunstgeschichte in Hamburg, dort Stipendiat und Koordinator des Graduiertenkollegs „Politische Ikonografie“, Promotion 1998. Lehraufträge in Oldenburg, Bielefeld und Braunschweig. Volontariat am Sprengel Museum Hannover (Mai 2000 bis Januar 2002). Leiter der Geschäftsstelle des Departments Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München ( Januar 2002 bis November 2003, kommissarisch bis April 2004). Seit Dezember 2003 Projektreferent am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, unter anderem zuständig für drittmittelfinanzierte Forschungs- und Digitalisierungsprojekte, auch im Bereich Provenienzforschung. Habilitation im Mai 2013, seitdem Privatdozent für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte der LMU München. Veröffentlichungen: siehe http:// aleph.mpg.de/F/?func=find-a&find_code=WPE&request=fuhrmeister%2C+christian&local_base=kub01 . Bernhard Fulda, Dr. phil., geboren 1975, lehrt und forscht als David Thompson Fellow und Director of Studies in History am Sidney Sussex College der Universität Cambridge. Nach einem Undergraduate-Studium der Geschichte in Oxford promovierte er bei Professor Sir Richard Evans in Cambridge zum Thema Presse und Politik in der Weimarer Republik (Press and Politics in the Weimar Republic, Oxford 2009). Unter seinen Publikationen zu Medien-, Politik- und Kulturgeschichte des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist besonders die zusammen mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Aya Soika, verfasste Biographie Max Pechsteins zu erwähnen (Max Pechstein. The Rise and Fall of Expressionism, New York/Berlin 2012). Mit ihr unternimmt er auch das Forschungsvorhaben „Emil Nolde und

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der Nationalsozialismus“, das von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde initiiert wurde. Josephine Gabler, Dr. phil., geboren in Bayreuth, aufgewachsen in Berlin. Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Freien Universität Berlin, 1988 Magister Artium, 1996 Promotion. Tätigkeiten im Landesarchiv Berlin, der Verwaltung der Schlösser und Gärten Berlin und im Georg-Kolbe-Museum Berlin, von 1998 bis 2004 Geschäftsführerin der Stiftung für Bildhauerei, Berlin, danach freiberuflich tätig. Seit 2008 Geschäftsführerin des Museum Moderner Kunst in Passau. Zahlreiche Publikationen zur Kunst im 20. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt Bildhauerei sowie Kunst im Nationalsozialismus. Eckhart Gillen, Dr. phil., geboren 1947 in Karlsruhe, Kunsthistoriker und freier Kurator. Ausstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts, u.a. „Deutschlandbilder“, Berlin 1997, „Art of Two Germanys“ (zus. m. Stephanie Barron) in L.A., Nürnberg und Berlin 2009/2010, zuletzt die Retrospektive „R.B.Kitaj – Obsessionen“ im Jüdischen Museum Berlin und in der Hamburger Kunsthalle 2012/13. Publikationen zur deutschen, russischen und amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts, u.a. Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990, Berlin 2009. Zahlreiche Preise, u.a. „einheitspreis - Bürgerpreis zur deutschen Einheit“ 2003, AICAUSA für beste thematische Museumsschau 2009 und Friedlieb Ferdinand Runge-Preis der Stiftung Preußische Seehandlung 2011 für unkonventionelle Kunstvermittlung. Lehrbeauftragter für Kunstgeschichte an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam. Andreas Hüneke, Dr. h.c., geboren 1944 in Wurzen. 1965–1970 Studium der Theologie und der Kunstgeschichte in Halle, 1971–1977 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle, 1977–1978 Redakteur am Allgemeinen Künstlerlexikon in Leipzig. Seit 1978 freiberuflich als Kunsthistoriker, Kritiker und Ausstellungskurator, seit 1982 in Potsdam. Seit 2003 Werkverträge für die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin, verbunden mit Lehraufträgen. 2012 Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Hauptarbeitsgebiete: Expressionismus, Bauhaus, Museums- und Sammlungsgeschichte, Aktion „Entartete Kunst“, Gegenwartskunst. Stefanie Johnen, geboren 1980 in Willich. Studium der Politologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie Kulturgeschichte in Göttingen und Berlin. Seit 2005 zunächst studentische, später freie Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien der Universität der Künste Berlin. Dort entstand auch

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ihre von Wolfgang Ruppert betreute Dissertation zu den Vereinigten Staatsschulen, die Publikation der Arbeit ist in Vorbereitung. Nina Kubowitsch, geboren 1980. Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Ethnologie in Würzburg und Berlin, 2006 Magisterarbeit „Der Kunsthistoriker Werner Noack (1888–1969). Ein Beitrag zur Erschließung des kulturellen Lebens im Dritten Reich“ im Rahmen der Forschungsstelle „Entartete Kunst“. 2011–2013 Wissenschaftliches Volontariat bei den Staatlichen Museen Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. 2013–2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der ehem. Arbeitsstelle für Provenienzforschung, heute Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. Aktuell wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Provenienzforschung bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten und mit dem Promotionsvorhaben zur „Reichskammer der bildenden Künste“ befasst. Angela Lammert, Dr. phil., PD, Leitung interdisziplinäre Sonderprojekte der Sektion der Akademie der Künste. 2013 Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin „Bildung und Bildlichkeit von Notation. Von der frühen Wissenschaftsfotografie zu den Künsten des 20. Jahrhunderts“, 2009/10 Gastprofessur Kunsthochschule Berlin-Weißensee, 1993 Promotion am Kunstwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, „Edwin Scharff und Ewald Mataré. Aspekte der Einbindung in das Kunstgefüge der Weimarer Republik“. Forschungsschwerpunkte: Kunst des 19.–21. Jahrhunderts (v.a. in Deutschland, Frankreich, USA und Brasilien), Geschichte und Theorie der Moderne, Geschichte und Theorie der Fotografie und Skulptur, Raum- und Notationstheorie, Kunst und Wissenschaft. Ausstellungen u.a.: Gudrun Schmidt/Angela Lammert (Hg.): Ateliergemeinschaft Klosterstraße Berlin 1933–1945, Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1994; Hermann Blumenthal und Ludwig Kasper, in Penelope Curtis (Hg.): Taking Positions. Figurative Bildhauer und das Dritte Reich, Leeds 2001; Will Lammert: Sitzendes Mädchen I, 1913, in Matthias Wemhoff (Hg.): Der Berliner Skulpturenfund. „Entartete Kunst“ im Bombenschutt. Entdeckung, Deutung, Perspektive, Berlin, Regensburg 2012; Funktionswandel der figürlichen Plastik: Vom Mahnmal zur Plastik im öffentlichen Raum, in Guido Reuter/Hans Körner (Hg.): Reaktionär, konservativ, modern? Figürliche Plastik der frühen Nachkriegszeit, Düsseldorf 2013. Martin Rennert, Prof., geboren 1954 in New York, seit 2006 Präsident der Universität der Künste Berlin, seit 1985 Professur für Konzertgitarre. Wolfgang Ruppert, Prof. Dr. phil., geboren in Hof/Saale. Studium der Geschichte, Germanistik, Politologie, Soziologie und Kunstgeschichte in München, von 1983– 1988 Lehrbeauftragter im Studiengang Geschichte der Universität Bielefeld.

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Seit 1988 Professor für Kulturgeschichte, seit 1999 für Kultur- und Politikgeschichte an der Universität der Künste Berlin. Seine Forschungsfelder im Fach Kulturgeschichte haben sich zuletzt von der besonderen Ausrichtung der Universität der Künste her entwickelt. Dies sind die Geschichte des modernen Künstlers als Beruf, die Geschichte der Dinge als eine Form der industriellen Massenkultur und die Geschichte der Gestaltung. Veröffentlichungen: Der moderne Künstler. Zur Sozialund Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19.und frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1998; La culture d‘État au service du Troisième Reich, in Pascal Huynh (Hg.): Le Troisième Reich et la musique, Paris 2004; Christian Fuhrmeister/Wolfgang Ruppert (Hg.): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität. Formen der Künstlerausbildung 1918 bis 1968, Weimar 2007; Mit Akademismus und NS-Kunst gegen die ästhetische Moderne. Die späte Öffnung der Akademie der Bildenden Künste München zwischen 1918 und 1968, in Gerhart/Grasskamp/Matzner (Hg.): 200 Jahre Akademie der bildenden Künste München, München 2008; „Es naht die Umwälzung.“ Kandinsky und der Künstlerhabitus am Bauhaus, in Baumhoff/Droste (Hg.): Mythos Bauhaus, Berlin 2009; „KünstlerGestalter“. Widersprüche im Künstlerhabitus am Bauhaus, in Fastert/Joachimides/Krieger (Hg.): Die Wiederkehr des Künstlers, Köln 2011. Ein neues Buch zur Geschichte des modernen Künstlers im 20. Jahrhundert ist in Vorbereitung. Anne Sibylle Schwetter, 1973 in Osnabrück geboren. 1994–2003 Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Osnabrück. 2004-2005 wissenschaftliche Volontärin, seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Sammlungskuratorin am Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück. Ausstellungen (Auswahl): „Die Malerin Käthe Loewenthal und ihre Schwestern“ (2009), „Nussbaums Welt der Dinge, Stillleben von Felix Nussbaum und Gästen“ (2014). Publikationen: „Online-Werkverzeichnis Felix Nussbaum“ (Konzeption und wissenschaftliche Überarbeitung, 2006). James A. van Dyke, Associate Professor im Department of Art History & Archaeology an der University of Missouri in Columbia, Missouri, lehrt dort Geschichte der modernen Kunst sowie kunstwissenschaftliche Methoden. Seit 1994 schreibt er über die politische Geschichte der deutschen Kunst zwischen den Weltkriegen, unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen moderner Kunst, Nationalsozialismus und weiteren antidemokratischen Kreisen. Sein Buch, Franz Radziwill and the Contradictions of German Art History 1919–1945, erschien 2011. Seitdem hat van Dyke Aufsätze über Nolde und die SS, Barlach und die konservative Revolution, Dix im Dritten Reich und Grosz sowie die Darstellung der Folter im KZ veröffentlicht. 

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Otto Karl Werckmeister, Prof. Dr. phil., geboren 1934, hatte Professuren für Kunstgeschichte an der University of California in Los Angeles und der Northwestern University in Evanston, Illinois, inne, lebt seit 2001 wieder in Berlin. Neueste Publikationen: Linke Ikonen, München 1997; Der Medusa-Effekt: Bildstrategien seit dem 11. September, Berlin 2005; Die Demontage von Hans Bellmers Puppe, Berlin 2011. In Vorbereitung: The Political Confrontation of the Arts: From the Great Depression to the Second World War, 1929–1939.

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Bildnachweise

An der Beschaffung des teilweise unbekannten Materials waren zahlreiche sachkundige Wissenschaftler und kunstsinnige Sammler beteiligt. Für großzügige Unterstützung danke ich: Prof. Dr. Konrad Donhuijsen, Antje Kalcher, Dr. Stephan Klingen, Dr. Ralf Peters, Dr. Dietmar Schenk, Dr. Gerhard Schneider, Dr. Mathias Schreiber und anderen. W.R.

Wolfgang Ruppert: Einleitung Abb. 1 Michael Bollé (Hg.): Der Campus. Ein Architekturführer, Berlin 1994, S. 8 Abb. 2 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 70 Abb. 3 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 70

Wolfgang Ruppert: Künstler im Nationalsozialismus Abb. 1 Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne, Bramsche 2004, S. 42/43 Abb. 2 Zeit im Blick (wie Abb. 1), S. 96 Abb. 3 Jürgen Trimborn: Arno Breker. Der Künstler und die Macht. Die Biographie, Berlin 2011, Bildtafel 7, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 4 Zeit im Blick (wie Abb. 1), S. 77, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 5 Helga Gutbrod (Hg): Edwin Scharff. „Form muss alles werden“ 1887–1955, Edwin Scharff Museum Neu-Ulm, Köln (o.J.), S. 191, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 6 Otto von Kursell: Adolf Hitler, 1923, Buchcover Abb. 7 UdK-Archiv, Bestand (Lehrer- und Schülerarbeiten) 360, Nr. 448 Abb. 8 UdK-Archiv, Bestand 360, Nr. 69 Abb. 9 Anna-Carola Krausse: Lotte Laserstein. Meine einzige Wirklichkeit, Dresden 2003, S. 165, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 10 Krausse (wie Abb. 9), S. 238, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 11 Die Kunst im Dritten Reich, 3. Jg. Folge 8, Juni 1939, S. 247

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Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16

Die Kunst im Dritten Reich, 2. Jg., Folge 11, Ausg A, Nov. 1938, S. 345 Foto: Christa Unglaub, Hof, (Abdruck mit Erlaubnis der Fotografin) UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 194 UdK-Archiv, Bestand 8, Nr. 669 Christiane Ladleif/Gerhard Schneider (Hg.): Moderne am Pranger. Die NS-Aktion „Entartete Kunst“ vor 75 Jahren – Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider, Katalog zur Ausstellung, Aschaffenburg 2012, S. 210 Abb. 17 Die Kunst im Dritten Reich, 2. Jg., Folge 3, März 1938, S. 94, © VG BildKunst, Bonn 2015 Abb. 18 Stefanie Barron (Hg.): „Entartete Kunst“. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, München 1992, S. 51, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 19 Ernst Wilhelm Nay: Aquarelle, Gouachen, Zeichnungen hg. von Achim Sommer, Ostfildern 2000, S. 45, © Elisabeth Nay-Scheibler, Köln/VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 20 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek Abb. 21 Kunst und Propaganda, im Auftrag des Deutschen Historischen Museums Berlin hg. von Hans-Jörg Czech und Nicola Doll, Dresden 2007, S. 345 Abb. 22 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek Abb. 23 Gutbrod (wie Abb. 5), S. 201

Nina Kubowitsch: Die Reichskammer der bildenden Künste Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5

LArch, A Rep 243-04 Nr. 4095 LArch, A Rep 243-04 Nr. 4095 LArch A-Rep 243-04, Nr. 7172 LArch A-Rep 243-04, Nr. 6937 Diether Schmidt (Hg.): In letzter Stunde 1933–1945, Schriften deutscher Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, Bd. II, S. 96, S. 85 Abb. 6 LArch A-Rep, 243-04, Nr. 5478

Christian Fuhrmeister: Die Große Deutsche Kunstausstellung Abb. 1 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 2 Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Bibliothek, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 3 Photo im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek Abb. 4 Photo im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek

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Otto Karl Werckmeister: Politische Führung Abb. 1 Robert S. Wistrich: Ein Wochenende in München: Kunst, Propaganda und Terror im Dritten Reich, Frankfurt, 1996, S. 119 Abb. 2 Peter Adam: Art of the Third Reich, New York, 1992, S. 95 Abb. 3 Friedrich Burgdorfer: Das Haus der Deutschen Kunst 1937–1944, I, Kiel, 2011, S. 23 Abb. 4 Adam (wie Abb. 2), S. 103 Abb. 5 Mortimer Davidson, Kunst in Deutschland 1933-1945: Eine wissenschaftliche Enzyklopädie der Kunst im Dritten Reich, II/1, Malerei A-P, Tübingen, 1990, Abb. 805, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 6 Mortimer, II/2, Malerei R-Z (wie Abb. 5), Abb. 123

Stefanie Johnen: Die Vereinigten Staatsschulen Abb. 1, 2 UdK-Archiv, Bestand 360, Nr. 591 u. 592 Abb. 3 Erich Blunck: Das Denkmal für die Gefallenen des letzten Krieges in der Technischen Hochschule zu Berlin, in Deutsche Bauzeitung 37 (1926), S. 305/306, Abbildung in der Beilage „Stadt und Siedlung“, nach S. 76 Abb. 4 Organisationskomitee für die XI. Olympiade Berlin 1936 e.V. (Hg.): XI. Olympiade Berlin 1936. Amtlicher Bericht, Bd. II, Berlin 1937, S. 1120 Abb. 5 Gerhard Krause: Das Reichssportfeld, Berlin 1936, Bildteil nach S. 18

James van Dyke: Staatliche Kunstakademie Düsseldorf Abb. 1, 3 ,4  Fotos: Kunstakademie Düsseldorf, Bibliothek/Archiv Abb. 2 Kunst und Propaganda (wie Ruppert Abb. 21), S. 304

Andreas Hüneke: Karl Hofer Abb. 1 Karl Hofer 1878–1955, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Berlin, 1978, S. 104 Abb. 2–4  Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, Abb. 2, 4: © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 5 Potsdam Museum, Forum für Kunst und Geschichte

Magdalena Droste: Ambitionen Abb. 1 Oskar Schlemmer. Der Folkwang-Zyklus, Ausst.-Kat. Stuttgart 1993, S. 101, © Albert Renger-Patzsch Archiv/Ann und Jürgen Wilde/VG Bild-Kunst, Bonn 2015

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Abb. 2 Elisabeth Vaupel/Stefan L. Wolff (Hg.): Das Deutsche Museum in der Zeit des Nationalsozialismus. Göttingen 2010, S. 202 Abb. 3 Wand-Bild, Bild-Wand, Ausst.-Kat. , Mannheim 1988, S. 131 Abb. 4 Oskar Schlemmer, Monographie, 1979, Farbtafel 27 Abb. 5 (wie Abb. 1.), S. 187 Abb. 6 Kunst und Propaganda im Streit der Nationen, Ausst.-Kat., Berlin 2007, S. 307 Abb. 7 Dirk Scheper, Oskar Schlemmer, das Triadische Ballett und die Bauhausbühne, Berlin 1988, S. 38 Abb. 8 Kunst und Propaganda (wie Ruppert Abb. 21), S. 318

Eckhart Gillen: Die Debatte um den Expressionismus Abb. 1,2 Sammlung Dr. Gerhard Schneider, Olpe Abb. 3 Karl Hofer 1878–1955, Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle Berlin 1978, S. 139, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 4 (wie Abb. 3), S. 167, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 5 Werner Haftmann: Emil Nolde, Köln 1958, S. 125 Abb. 6 (wie Abb. 5), S. 167 Abb. 7 Die Avantgarden im Kampf, Bonn 2014, S. 135

Josephine Gabler: Das Monumentale Abb. 1 Kurt Lothar Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, München 1942,Abb. 125 Abb. 2 Hans Reichhardt/Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörung der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanung, Berlin 1998, S. 129, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 3 Die Kunst im Deutschen Reich 1943, S. 243, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 4a, b  http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Thorak, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 5 Ursel Berger: Georg Kolbe. Leben und Werk, Berlin 1990, S. 365, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 6 Bruno E. Werner: Die Deutsche Plastik der Gegenwart, Berlin 1940, S. 37 Abb. 7 Kunst im Deutschen Reich 1941, S. 106, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 8 Bernhard Heiliger 1915–1995. Monographie und Werkverzeichnis, hg. v. Marc Wellmann, Berlin/Köln 2005, S. 23, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

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Maria Derenda: Käthe Kollwitz Abb. 1 Martin Fritsch(Hg): Käthe Kollwitz Selbstbildnis-Selfportraits, Leipzig 2007, S. 127, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 2 Fritsch (wie Abb. 1), S. 167, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Bernhard Fulda: Hinter jedem Busch... Abb. 1 Sammlung der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Abb. 2 Grafik des Autors Abb. 3 Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (ANS), copyright M. Schreiber Abb. 4 Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (ANS) Abb. 5 Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (ANS) Abb. 6 Sammlung der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Abb. 7 Archiv der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (ANS)

Anna Sibylle Schwetter: Felix Nussbaum Abb. 1–9  Fotos: Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück

Gerd Brüne: Zwischen künstlerischer Professionalisierung und Zeitgenossenschaft Abb. 1, 3  Klaus G. Beyer, Weimar Abb. 2, 4  Archiv des Autors

Angela Lammert: Ateliergemeinschaft Klosterstrasse Abb. 1 Angela Lammert/Gudrun Schmidt/Inge Zimmermann (Hg.): Atelier­ gemeinschaft Klosterstrasse Berlin 1933–1945. Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 93 Abb. 2 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 15 Abb. 3 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 32 Abb. 4 Käthe Kollwitz Selbstbildnisse, (wie Derenda Abb. 1), S. 128, © VG BildKunst, Bonn 2015 Abb. 5 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 110 Abb. 6 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 135 Abb. 7 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 71 Abb. 8 Josephine Gabler (Hg.): Sterngucker. Hermann Blumenthal und seine Zeit, Georg Kolbe Museum 2006, S. 78

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Abb. 9 Ateliergemeinschaft (wie Abb. 1), S. 55, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Abb. 10 Penelope Curtis (Hg.): Taking Positions. Ausst.-Kat., Leeds 2001, Titelbild

Christine Fischer-Defoy: Charlotte Salomon Abb. 1 Charlotte Salomon in „Leben? Oder Theater“ 1940–1942, Blatt 4304, Joods Historisch Museum, Amsterdam Abb. 2 (wie Abb. 1), Blatt 4335 Abb. 3 (wie Abb. 1), Blatt 4336 Abb. 4 (wie Abb. 1), Blatt 4762 Abb. 5 (wie Abb. 1), Blatt 0438 Abb. 6 (wie Abb. 1), Blatt 4842

GILBERT LUPFER, THOMAS RUDER (HG.)

KENNERSCHAFT ZWISCHEN MACHT UND MORAL ANNÄHERUNGEN AN HANS POSSE (1879–1942)

Hans Posse ist eine der wichtigen wie umstrittenen Figuren der deutschen Museumsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ersteres, da er die Dresdener Gemäldegalerie, der er von 1910 bis 1942 als Direktor vorstand, behutsam modernisierte und nachhaltig prägte. Zweites, weil er als »Sonderbeauftragter des Führers« tief in das NS-Kunstraubsystem verwickelt war. Das Buch beleuchtet verschiedene Themen rund um Hans Posses Leben und Wirken. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf seinem Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst, die er bis 1933 engagiert für die Galerie erwerben konnte – um nach dem NS-Machtantritt klaglos deren Diffamierung als »entartet« zu akzeptieren. Der zweite Schwerpunkt thematisiert Posses fatale Rolle als Hitlers Sonderbeauftragter für das »Führermuseum Linz«. Angesichts der im Zusammenhang mit dem »Fall Gurlitt« wieder belebten Diskussion um den Umgang mit sogenannter entarteter Kunst einerseits sowie mit dem NS-Kunstraub andererseits sind die Themen dieses Buchs von großer Aktualität. 2015. CA. 432 S. 52 FARB. UND 45 S/W-ABB. GB. 160 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22424-0

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JÖRN GRABOWSKI, PETRA WINTER (HG.)

ZWISCHEN POLITIK UND KUNST DIE STAATLICHEN MUSEEN ZU BERLIN IN DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS (SCHRIFTEN ZUR GESCHICHTE DER BERLINER MUSEEN, BAND 2)

Der 30. Januar 1933 brachte auch für die Staatlichen Museen zu Berlin einschneidende Veränderungen, die sich nicht nur auf die durch die Aktion »Entartete Kunst« und die späteren Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verluste beschränkten. Mit dem vorliegenden Band wird erstmals der Versuch unternommen, die Rolle der Staatlichen Museen in der Zeit des Nationalsozialismus kritisch zu untersuchen. Über zwanzig Beiträge geben einen Einblick in die Aktivitäten der Sammlungen und ihrer Mitarbeiter zwischen 1933 und 1945. Thematisiert werden die Auswirkungen der antijüdischen Verdrängungspolitik des NS-Staates auf die Museen sowie deren Reaktionen auf den schrittweisen Abbau der Demokratie und die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. Anhand exemplarischer Untersuchungen der Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit der Museen sowie ihrer Erwerbungen in dieser Zeit wird die Ambivalenz einer Museumspolitik deutlich, die sich zwischen Traditionsbewusstsein und aktiver Anpassung an die politischen Erfordernisse bewegte. 2013. 496 S. 94 S/W-ABB. GB. 145 X 230 MM | ISBN 978-3-412-21047-2

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