Die Bundeswehr auf dem Balkan: Zwischen Krieg und Friedenseinsatz [1 ed.] 9783666352225, 9783525352229

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Die Bundeswehr auf dem Balkan: Zwischen Krieg und Friedenseinsatz [1 ed.]
 9783666352225, 9783525352229

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Agilolf Keßelring

Die Bundeswehr auf dem Balkan Zwischen Krieg und Friedenseinsatz

Bundeswehr im Einsatz Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 3

Agilolf Keßelring

Die Bundeswehr auf dem Balkan Zwischen Krieg und Friedenseinsatz

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston, MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Umschlagabbildung: Beschlagnahmte Waffen werden im Feldlager der Bundeswehr in Rajlovac bei Sarajevo von einem Panzer zerstört, 3. Mai 2005. (picture-alliance/ dpa/dpaweb / Rolf Vennenbernd) Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Fachbereich Publikationen (0837-01) Koordination: Christian Adam Bildrechte: Esther Geiger Satz: Antje Lorenz Lektorat: Christian Adam/Aleksandar-S. VuletiĆ Grafiken: Bernd Nogli Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2702-4830 ISBN 978-3-666-35222-5

Inhalt

Vorwort

I.

Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan als Zeitgeschichte militärischer Friedensoperationen



1. 2.

3. 4. 5. 6.

Geschichte als Wiedergänger Verortung der Balkaneinsätze in einer militärischen Zeitgeschichte Rekonstruktion militärischer (Friedens-)Operationen im Praxistest Krieg, Frieden, Gewalt und Verantwortung als unbequeme Fragestellungen Literatur und Quellen als Problem militärischer Zeitgeschichte Folgerungen für den Aufbau

II.

Kriege und Friedensoperationen



1.



















2.









Militärisch-politische Ausgangslage. Der Jugoslawienkrieg bis zu den Reaktionen der Internationalen Gemeinschaft im Rahmen der UN a) Dimensionen und Interpretationen der Jugoslawienkriege b) Serbische »Compound Warfare« in der Krajina: Paramilitärische Truppen und Kommandoverantwortung c) Die Kriege in Kroatien (Krajina) und Slowenien d) Reaktionen der »internationalen Staatengemeinschaft« nach Ende des Krieges in Slowenien e) Das »vorläufige Ende« des Krieges in Kroatien und dessen Beginn in Bosnien-Herzegowina Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien und der Einsatz der Bundeswehr bis zum Vertrag von Dayton a) Bosnien-Herzegowina und die »internationale Staatengemeinschaft« bis zum Beginn der NATO-Einsätze b) Weltpolitische Implikationen eines regionalen Krieges c) Die »Wende von Oslo«: Die Neuausrichtung der NATO und der Einsatz der Luftwaffe in BosnienHerzegowina

9 11 13 16 17 22 26 29

31

31 32 39 56 69 74 83 83 112 118

Inhalt









3.



4.





5.















6.











d) Der Embargoeinsatz in der Adria: Von »Maritime Monitor« und »Sharp Vigilance« bis »Sharp Guard« e) Die deutsche Rolle bei den Operationen »Sky Monitor« und »Deny Flight« Dayton und die »Implementation Force« (IFOR) a) Militärische Voraussetzungen für IFOR: Srebrenica, die Rapid Reaction Force und »Operation Sturm« b) Dayton und IFOR aus diplomatischer Sicht c) Das Dayton-Abkommen und seine Implementierung d) Die deutsche Rolle bei IFOR SFOR zwischen »Staatsaufbau« und »Exit-Strategie« a) »Joint Guard« als NATO-Operation b) Salamitaktik? Der politische Weg zum SFOR-Einsatz der Bundeswehr c) Militärische Planung und Durchführung des GECONSFOR im Rahmen von »Joint Guard« d) »Joint Forge« 1998 bis 2004 Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze a) Medien, Krieg und Einsatz b) Flüchtlinge und »Kroatienhilfe« c) Lehren aus dem Nationalsozialismus und das Ende der »Kohl-Doktrin«? d) »Mörder!« – eine Diskussion um die Bundeswehr im Einsatz? e) »Out of area« – Rechtsprechung als Ersatz für Diskurs? f) »Das Umschalten auf den Balkan-Einsatz im Diskurs der Opposition g) Der Balkaneinsatzdiskurs zwischen »Bonner« und »Berliner Republik«? Ausblick – Kosovo und Mazedonien a) Der Kosovo-Konflikt als 125 Jahre andauernde Rivalität b) Miloševićs Unterdrückungspolitik und die Reaktionen c) NATO- und OSZE-Einsatz im Kosovo und in Mazedonien d) Gefahren und Belastungen im Balkan-Einsatz

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Inhalt

III.

Historische Einordnung – der Balkaneinsatz zwischen Krieg und Frieden

321



Anhang

329



Karten und Grafiken

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Abb. 1: Balkaneinsätze der Bundeswehr nach Operationen

331

Abb. 2: Kroatien mit UNPAs 332 Abb. 3: Serbische Autonome Oblaste in Kroatien und Bosnien-Herzegowina 333 Abb. 4: Der Cutileiro-Plan

334

Abb. 5: Die Rolle Bosnien-Herzegowinas für die serbische Angriffsplanung in Kroatien, 1991

335

Abb. 6: Unterstellungen, Dienstwege und Verbindungen NATO-UN 1994 mit EG 1, AWACS und Transportkommando 336 Abb. 7: Unterstellung IFOR, Dezember 1995 bis Dezember 1996

337

Abb. 8: Dislozierung der IFOR, Dezember 1995

338

Abb. 9: Gliederung und Unterstellung des deutschen Kontingents, Implementation Force (Land), Dezember 1995 bis Dezember 1996

339

Abb. 10: Einsatzraum des gepanzerten Einsatzverbandes GECONSFOR im März 1997

340

Abb. 11: Organisation der Task Forces innerhalb der deutsch-italienischen Brigade (SFOR), ab Dezember 2002

341

Abb. 12: Suizidfälle (Tod durch Waffe) im GECONSFOR

342

Abb. 13: Suizide im GECONSFOR im Vergleich zu Suiziden von Bundeswehrsoldaten in allen Einsätzen im selben Zeitraum

342

Abkürzungen

343

Quellen und Literatur

349

Personenregister 383

Vorwort Im Jahr 1991 kehrte der Krieg nach Europa zurück. Damit kam die lange Zeit eines kalten und stets bedrohten Friedens, in der es zu keiner direkten militärischen Auseinandersetzung auf dem Kontinent gekommen war, zu ihrem Ende. Die Bundesrepublik Deutschland befand sich angesichts der gerade erst vollzogenen Wiedervereinigung in einer Phase der politischen und gesellschaftlichen Neuorientierung. Dem Land und auch seinen Streitkräften stellten sich angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen im zerfallenden Jugoslawien außenpolitisch und militärisch gänzlich neue, ungewohnte Aufgaben. Die folgenden zahlreichen militärischen Einsätze der Bundeswehr auf dem Balkan in den 1990er Jahren – 25 werden im Buch behandelt – sollten sich für Soldaten, Politiker und die deutsche Gesellschaft in ihrer Gesamtheit als ein Novum und als große Herausforderung erweisen. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) legt mit diesem Band eine Einführung in die Geschichte dieser Einsätze vor. Inzwischen sind seit deren Beginn in Kroatien, BosnienHerzegowina, dem Kosovo und dem heutigen Nordmazedonien sowie in der Adria mehr als 25 Jahre vergangen. Dieser Band kann sowohl für die historische Forschung im allgemeinen als auch speziell für die historische Bildung des Staatsbürgers in Uniform von Nutzen sein: wenn eben im Rahmen der historischen Bildung nicht nur Fakten und Ereignisse, sondern auch identifizierte Probleme und Widersprüche zur Sprache gebracht werden. Betrachtet man die Einsätze auf dem Balkan aus dem Blickwinkel der verschiedenen involvierten Institutionen von den Vereinten Nationen über die OSZE bis zur NATO, der WEU oder der EU, so darf man rückschauend von einem Erfolg sprechen. Wenngleich manche wichtigen Konflikte weiterhin ungelöst sind. Historische Prozesse sind zudem nie abgeschlossen. Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Studie konnte es daher nicht darum gehen, eine unkritische »Erfolgsgeschichte« zu schreiben, sondern das Vergangene – hier die Militärgeschichte der Bundeswehr eingebunden in ihre vielfältigen kriegerischen, politischen und sozialen Dimensionen – mit einem Verständnis für die jüngere Vergangenheit zu beschreiben und zu analysieren. Danken möchte ich dem Autor des Bandes, Oberstleutnant der Reserve PD  Dr.  Agilolf Keßelring (Nationale Verteidigungsuniversität, Helsinki).

10

Vorwort

Er ist mit Arbeiten zu den Kriegen auf dem Balkan und den dortigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr bereits vielfach hervorgetreten. Die Idee für den Band geht auf die Initiative des ehemaligen Leiters der Abteilung Einsatz im ZMSBw, Professor Dr.  Dieter Krüger, und seines damaligen Projektbereichsleiters Einsatzgeschichte, Oberstleutnant PD Dr.  Rudolf J. Schlaffer, zurück. Die nicht zu unterschätzende Aufgabe der Koordination zwischen Autor, Archiven, Bibliotheken und ZMSBw in einem dem Wandel unterworfenen Projekt hat vor allem Oberstleutnant Dr.  Helmut R. Hammerich übernommen. Die inhaltliche Fertigstellung des Bandes fiel in die Zeit der kommissarischen Führung der Abteilung durch Professor Dr.  Michael Epkenhans und die Neubesetzung der Leitung des nunmehrigen Forschungsbereichs Einsatz mit Dr.  Christian Hartmann. Mit Dr. Aleksandar-S. Vuletić fand sich im ZMSBw ein mit Sprache, Kultur und Geografie des ehemaligen Jugoslawiens wohl vertrauter Koordinator. Das Lektorat erledigte mit Sorgfalt während der Hochphase der Corona-Pandemie der Leiter des Fachbereichs Publikationen Dr. Christian Adam. Dessen Team, insbesondere Bernd Nogli, ist für die Arbeiten an den zahlreichen komplexen Spezialkarten zu danken. Den Satz und das Layout besorgte in bewährter Qualität Antje Lorenz. Der Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan entspricht in großem Maße deren Wandel zur Armee im Einsatz. Ich wünsche dem Buch daher viele Leserinnen und Leser und eine interessierte Aufnahme in der Fachöffentlichkeit. Oberst Dr. Sven Lange Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan als Zeitgeschichte militärischer Friedensoperationen

Dieser Band über die Kriege in Südosteuropa (1991‑1995) und den folgenden Friedenseinsatz ist ein erster Schritt, das dortige Engagement der Bundesrepublik Deutschland mit den Mitteln der Militärgeschichte zu beschreiben. Militärischer Friedenseinsatz wird hier als dem Phänomen Krieg zugehörig begriffen, um damit eine Konkretisierung des unscharfen Einsatzbegriffs zu leisten. Dazu bietet der Band eine Gesamtschau der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan. Kurz, es geht um eine einführende Darstellung, in der auch die Phänomene Krieg und Frieden in den 1990er Jahren und die Möglichkeiten einer modernen Militärgeschichte für die Analyse von Friedensoperationen im zeitgeschichtlichen Betrachtungszeitraum ausgelotet werden. Im Zentrum steht die Frage nach dem Charakter des Einsatzes der Bundeswehr auf dem Balkan. Dieser Charakter lässt sich dabei nicht nur an dem Wie, Wann und Warum des Einsatzes ablesen, sondern auch daran, was die Bundeswehr dort nicht tat oder tun durfte. Seit 1992 befinden sich deutsche Soldaten ununterbrochen im Auslandseinsatz: Die Bundeswehr auf dem Balkan ist damit zu einem Teil der deutschen Zeitgeschichte geworden. Diese Geschichte ist freilich heute (2022) keineswegs abgeschlossen – ein »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) hat es ohnehin nie gegeben. Dies zeigt gerade die hier zu behandelnde Militärgeschichte zwischen Krieg und Friedenseinsatz: Auch wenn im von Berlin rund tausend Kilometer entfernten Feldlager Rajlovac in Bosnien-Herzegowina die letzten deutschen Soldaten bereits im Jahr 2014 die Bundesdienstflagge niedergeholt haben, so dauert doch die EU-Operation EUFOR Althea weiter an – seit 2009 ohne Unterbrechung jeweils von einem österreichischen Generalmajor geführt und in der deutschen Berichterstattung praktisch nicht präsent. Im Kosovo wird mit geringen Kräften der 1999 begonnene KFOR-Einsatz unter Beteiligung der Bundeswehr fortgeführt. Je nach Zählweise hat die Bundeswehr seit 1992 insgesamt 25  Balkaneinsätze abgeschlossen. Hinter deren insgesamt weniger beachteten dreißigjährigen Geschichte verbergen sich solch epochale Ereignisse wie die längste Luftbrücke der Weltgeschichte, das erste Feuergefecht deutscher Soldaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges oder der erste bewaffnete

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

Evakuierungseinsatz der Bundeswehr. Inwieweit diese Einsätze in ihrer Gesamtheit oder zumindest jeder für sich »erfolgreich« waren, ist eine kaum zu beantwortende Frage, die sich weitgehend objektiver wissenschaftlicher Messbarkeit entzieht. Erfolg ist gerade im Hinblick auf solche militärischen Missionen, die auf Frieden zielen, eine höchst subjektive Kategorie. Sie richtet sich nicht nur nach dem Anspruch der gestellten Aufgaben, sondern auch etwa nach der jeweiligen militärischen, politischen oder gesellschaftlichen Betrachtungsebene, der Ausdehnung des in Frage kommenden geografischen Raumes und – für eine geschichtswissenschaftliche Studie wesentlich – dem gewählten Zeithorizont. Schon unter dem Begriff »Frieden«, also dem erklärten übergeordneten Ziel der hier behandelten Bundeswehreinsätze auf dem Balkan und somit der letztlich entscheidenden »Messlatte«, kann höchst Unterschiedliches verstanden werden. Ohne sich hier in tieferen allgemeinen philosophischen Betrachtungen über Krieg und Frieden verlieren zu wollen, sei hier nur auf die vielen Graustufen dazwischen verwiesen. Was etwa im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit »Frieden« auf dem Balkan bedeuten konnte, lässt sich anhand folgender vier Beispiele illustrieren: (1) Die temporäre Abwesenheit von Kriegshandlungen im Zeitraum zwischen dem 15. und 16. Waffenstillstand (1992) in einer Reihe von insgesamt 36 Waffenstillständen, so dass in Osijek nach einwöchigem Artilleriebeschuss die Schutzräume verlassen werden konnten und in Zadar die Cafés wieder öffneten. (2) Die unter Anwesenheit schwer bewaffneter Soldaten getroffene militärische Lagefeststellung »ruhig und nicht stabil« im herzegowinischen Mostar (1998) – einer entlang der Neretva zwischen Bosniaken und Kroaten zweigeteilten Stadt. (3) Die Verlegung von deutscher Panzerartillerie nach Tetovo (2001), nachdem es erneut zwischen albanischen »Freiheitskämpfern« und mazedonischen »Antiterroreinheiten« zu Feuergefechten gekommen war – noch etwa ein Jahr lang sollte es nahezu jede Nacht Schusswechsel entlang der Eisenbahnlinie nahe Tearce geben. Eine im Jahr 2001 häufig zu hörende Einschätzung lautete »bürgerkriegsähnliche Zustände, aber kein Bürgerkrieg«. (4) Die Zerstörung des serbisch-orthodoxen Erzengelklosters im Zuge plötzlich aufflammender lokal begrenzter Unruhen im kosovarischen Prizren (2004) durch einen ethnisch albanischen Mob, der durch ein tragisches Unglück aufgepeitscht worden war. Kurz zuvor waren aufgrund der perzipierten Beruhigung der Lage die Kräfte der KFOR und der UNMIKPolizei stufenweise reduziert worden.1 Schon diese unvollständige Auswahl an Beispielen lässt die Bandbreite an Herausforderungen im Friedenseinsatz erahnen. Sie zeigt auch die bereits erwähnte Schwierigkeit, temporären oder längerfristigen Erfolg zu definieren. Hinzu kommen solche Einsätze, die als »Friedenserzwingung« oder »Kampfeinsatz« klassifiziert werden, also etwa die Bekämpfung von

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Die hier angesprochenen Beispiele finden sich im »Wegweiser Bosnien-Herzegowina« bzw. »Wegweiser Kosovo« und werden an späterer Stelle wieder aufgegriffen.

1. Geschichte als Wiedergänger

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Erdzielen aus der Luft (1995 und 1998/99). Hier ist eingängig, dass es einen Unterschied macht, ob von taktischem Erfolg (zum Beispiel erfolgreicher Zielbekämpfung) oder von strategischem Erfolg (etwa Beendigung der Kriegshandlungen) die Rede ist. »Endgültiger Erfolg« der Gesamtheit der Balkan-Operationen wäre dann festzustellen, wenn auch nach vollkommenem Rückzug der nicht-einheimischen Soldaten der Frieden in der Region gewahrt bliebe. Dies ist aber freilich kein Ergebnis, welches ausschließlich im Zusammenhang mit den aufgewendeten militärischen Mitteln steht. Vielmehr ist hier »Frieden« mehr als eine rein militärische oder völkerrechtliche Kategorie und abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Entscheidungen. Dies verdeutlichen Begriffe wie »Friedensprozess« oder der oft geforderte, aber schwer zu verwirklichende »comprehensive approach to peace«. Noch im 19.  Jahrhundert unterschied man im Hinblick auf zwischenstaatliche Konflikte zwischen Krieg, Waffenstillstand, Vorfrieden und Frieden. Auch die Balkaneinsätze der Bundeswehr könnten analog zu diesen Kategorien beschrieben werden. Dabei wäre zu überdenken, ob es sich etwa beim Vertrag von Dayton (1995), dem Militärisch-Technischen Abkommen von Kumanovo (1999) oder dem Rahmenabkommen von Ohrid (2001) in diesem Sinne um Friedensverträge, Vorfriedensverträge oder erweiterte Waffenstillstandsabkommen handelt. Dies würde aber voraussetzen, dass der diesen Abkommen vorangehende Zustand einhellig als Krieg definiert würde. Auf jeden Fall wird aber klar, dass die hier behandelten Entwicklungen auch nach 30  Jahren noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden können. Damit wird der zeitgeschichtliche Horizont der hier behandelten Friedensoperationen deutlich.

1. Geschichte als Wiedergänger Die Geschehnisse auf dem Balkan haben jüngst wieder an politischer Aktualität gewonnen. Noch während der letzten Vorbereitungen für die Drucklegung dieses Buches schafften es im Jahr 2021 überproportional viele Nachrichten aus den ehemaligen Kriegsgebieten Südosteuropas, die Aufmerksamkeitsschwelle internationaler Berichterstattung zu durchbrechen. Drei aktuelle Ereignisse, die zwar zeitlich nach dem hier behandelten Zeitraum historischer Analyse liegen, aber doch mit den beschriebenen Ereignissen in engem Zusammenhang stehen, seien erwähnt: (1) Im April 2021 berichtete erstmalig die Redaktion des in Sarajevo beheimateten Internetportals politicki.ba von einem seit Februar in Brüssel und bei verschiedenen Regierungen des westlichen Balkans zirkulierenden Non-Paper; das slowenische Internetportal necenzurirano.si (»unzensiert«) veröffentlichte als erstes eine komplette Version des zweiseitigen Papiers, dessen Erhalt zwar von nahezu allen zuständigen europäischen Politikern abgestritten, dann von slowe-

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

nischen und albanischen Politikern schließlich doch bestätigt wurde. Wer die Verfasser des Dokuments waren, bleibt unklar. Vorgeschlagen wurde in etwa folgende Verschiebung der Grenzen, um so durch Lösung der ethno-territorialen Konflikte einen möglichst raschen EU-Beitritt Serbiens, Nordmazedoniens und Albaniens zu ermöglichen: Bildung eines großkroatischen Staates durch Beitritt der Herzegowina zu Kroatien, Bildung eines großserbischen Staates durch Beitritt der Republika Srpska zu Serbien, Bildung eines großalbanischen Staates durch Beitritt des Kosovo zu Albanien bei gleichzeitiger Reduzierung des Staates Bosnien-Herzegowina auf ein Rumpf-Bosnien bestehend aus West- und Zentral-Bosnien. Minderheitsgebiete, wie die mehrheitlichen serbischen Gebiete um Mitrovica im Kosovo, die mehrheitlichen albanischen Gebiete im (serbischen) Preševo-Tal und (nordmazedonischen) Tetovo-Gebiet, sollten Autonomie nach Vorbild Südtirols erhalten. Bosnien sollte abstimmen, ob es sich an die EU oder an die Türkei annähern wolle; im Falle einer Entscheidung zu einem späteren EU-Beitritt könnten mehrheitlich kroatische Gebiete auch bei Bosnien-Herzegowina als autonome Gebiete bleiben. Die überwiegende Mehrzahl der europäischen Regierungen sprach sich rasch deutlich gegen jegliche Grenzverschiebung und für die territoriale Integrität Bosnien-Herzegowinas aus, doch wurde nun durch das Bekanntwerden des Non-Papers das diskutiert, was über Jahre als politisches Tabu angesehen worden war.2 (2) Im Juli 2021 verordnete in Sarajevo der scheidende 2

Am 12.4.2021 erfolgte in Sarajevo die erste Veröffentlichung. Das Non-Paper wurde hier noch dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jamša zugeschrieben, was dieser später dementierte. Die erste Ablichtung eines Exemplars des seitdem als »slowenisch« bezeichneten Non-Papers erfolgte im slowenischen Nachrichtenportal Nezenzurirano am 15.4.2021. Die außerbalkanische internationale Berichterstattung folgte einem Tag später einem Artikel bei Reuters und noch am selben Tag reagierte die internationale Politik: Während der russische Außenminister Sergei Lawrow »Gespräche über GroßAlbanien als provokativ« bezeichnete, betonten Sprecher der Vereinigten Staaten, der EU und der meisten EU-Mitgliedsstaaten – inklusive Deutschland, Österreich und Kroatien – die »Integrität« Bosnien-Herzegowinas. Von dem auf nezenzurirano. si publizierten »slowenischen« Non-Paper ist ein zweites »kosovarisches« Non-Paper zu unterscheiden, von dessen die serbische und albanische Frage im Kosovo betreffendem Inhalt erstmals die in Prishtina erscheinende kosovarische Zeitung Koha Ditore berichtete. Der Ursprung dieses Dokuments wurde dort als deutsch-französisch bezeichnet und der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić schrieb das Papier sogar öffentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu. Dies wurde jedoch seitens der Bundesregierung umgehend dementiert und als »fake news« bezeichnet. Janša predvodi države EU koje žele »veliku Srbiju« i komadanje BiH, Crne Gore, Sjeverne Makedonije, 12.4.2021, https://politicki.ba; Primož Cirman/Vesna Vuković, Objavljamo dokument o razdelitvi BiH ki ga išče ves Balkan, 15.4.2021, https://nezenzurirano.si; Daria Sito-Sučić/Robin Emmott, Unofficial EU note on redrawing Balkan borders causes angst in Bosnia, 16.4.2021, https://www.reuters.com; R.D., Lavrov o »non paperu«: To su opasne igre, Brisel drugačije reaguje kad je Rusija u pitanju, 16.4.2021, https://www. klix.ba; Andrew Rettman/Ekrem Krasniqi, US rejects Slovenia-linked plan to break up Bosnia, 16.4.2021, https://euobserver.com; EU says it’s »unequivocally committed« to territorial integrity of Bosnia as voices of make or break the country looming, 22.4.2021, www.dtt-net.com; Non-Paper zur neuen Grenzziehung im Westbalkan veröffentlicht, 16.4.2021, https://www.nachrichten.at; Ambasadori gjerman: »Non-paper« i publikuar nga »Koha Ditore« është »fake news«, 27.4.2021, https.reporteri.net.

1. Geschichte als Wiedergänger

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Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der österreichische Diplomat Valentin Inzko, für Bosnien-Herzegowina ein Gesetz, welches die Leugnung des Völkermordes in Srebrenica nach Art des Straftatbestandes der Holocaust-Leugnung in Deutschland unter Strafe stellt. Das Gesetz war in seiner geplanten demokratischen Einführung zum 25. Gedenktag des Genozids ein Jahr zuvor am Veto Milorad Dodiks (Republika Srpska, RS) gescheitert. Dieser hatte bereits 2019 mit seiner öffentlichen Äußerung, dass es keinen Genozid in Srebrenica gegeben habe, für einen Skandal von zumindest regionaler Reichweite gesorgt. In Reaktion auf Inzkos Proklamation des Gesetzes durch Ausnutzung der ihm im Vertrag von Dayton gegebenen Sonderrechte rief Dodik »alle Serben in Bosnien« dazu auf, das Gesetz zu ignorieren. Die Polizei der RS werde Festnahmen wegen Überschreitung dieses Gesetzes zu verhindern wissen.3 (3) Im November 2021 drohte im UN-Sicherheitsrat eine Verweigerung der Zustimmung Russlands zur Verlängerung des EUFOREinsatzes in Bosnien-Herzegowina. Die Zustimmung wurde zwar erreicht, doch wurde – gewissermaßen im Gegenzug – erstmalig das Amt des Hohen Repräsentanten in den entsprechenden Dokumenten nicht erwähnt. Etwa zeitgleich drohte Dodik aus dem Projekt einer gemeinsamen Armee BosnienHerzegowinas auszusteigen und eine eigene RS-Armee aufzubauen. Dies steht freilich nicht nur im Widerspruch zum Vertrag von Dayton, sondern zielt auf den Kern bosnisch-herzegowinischer Gesamtstaatlichkeit und torpediert darüber hinaus auch eines der bis dato erfolgreichsten Projekte der NATO in der Region.4 In der Gesamtschau zeigt diese Auswahl jüngster Ereignisse, wie sehr zum einen die Folgen der Kriege der Jahre 1991‑1995 und 1998/99 zwar militärisch beendet, aber die zugrundeliegenden ethno-territorialen Konflikte bis heute nicht politisch gelöst worden sind.5 Man könnte von einer im Stadium eines Vorfriedens eingefrorenen Situation in BosnienHerzegowina und im Kosovo sprechen. Weitere Beispiele aus der Region ließen sich anführen. Zum anderen erkennt man als Folge der politischen Blockadesituation des Balkans, wie die durch die EU bis dato unerfüllte Erwartungshaltung südosteuropäischer Nicht-Mitgliedsstaaten durch Russland und Belarus, aber auch etwa durch China, Saudi Arabien oder die Türkei im Sinne geostrategischer Vorteile genutzt wird. Diese ohnehin bereits seit spätestens den 1990er Jahren vorhandene Tendenz ist durch die Ablehnung der EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien durch Frankreich (2020) verstärkt wor3

4

5

Aleksandar Brezar, Is Bosnia’s Milorad Dodik using genocide denial for political ends, 28.7.2021, https://www.euronews.com; Skandalozna izjava Milorada Dodika: ‚U Srebrenici nije bilo genocida, stvorili su od toga mit!‘, 12.7.2019, https://www.rtl.hr. Vesna Pusić, What Russia really wants in the Balkans. The Kremlin is destabilizing Bosnia and Herzegovina in pursuit of greater strategic goals, 23.11.2021, https://foreignpolicy.com. Auf die begrenzten Möglichkeiten militärischen Peacekeepings hat auch der ehemalige Head of Political Unit (UNPROFOR) im Schicksalsjahr 1995 Julian Harston wiederholt hingewiesen, Julian Harston, Responding to crises. Are current policies and practices the answer? In: Policy Options, 3 (2001), S. 51‑55.

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

den, wobei sich die EU-Politik hierbei von der NATO-Politik insofern unterscheidet, als dass Albanien (2009), Montenegro (2017) und schließlich auch Nordmazedonien nach Beilegung des Namensstreites (2020) als NATOMitglieder aufgenommen worden sind. Damit sind vier Nachfolgestaaten Jugoslawiens heute Mitglieder der NATO (Slowenien und Kroatien bereits seit 2004 bzw. 2009) und zwei Mitglieder der EU (Slowenien 2004 und Kroatien 2011). Nicht zuletzt wird aber auch deutlich, wie sehr die Zeitgeschichte des Balkans für Europas Zukunft von politischer Relevanz ist und welche bedeutende Rolle hier speziell die Geschichte der »Jugoslawienkriege« (Dunja Melčić) auch heute noch spielt. Die historische Erforschung der BundeswehrEinsätze auf dem Balkan ist somit nicht nur von rein militärhistorischer Bedeutung und auch keineswegs ein nur für die Bundeswehr als Teil der eigenen Geschichte und Tradition wichtiges Thema. Die Balkaneinsätze sind vielmehr Teil der gemeinsamen europäischen und transatlantischen politischen Zeitgeschichte und dabei nicht zuletzt in Bezug auf das Verständnis von Krieg und Frieden in Europa von herausragender, wenn auch häufig vernachlässigter Bedeutung.

2. Verortung der Balkaneinsätze in einer militärischen Zeitgeschichte Dreißig Jahre entsprechen in etwa einer Generation. Die Ereignisse, die im Mittelpunkt dieser Studie stehen, liegen somit in einer als zeithistorisch zu bezeichnenden Vergangenheit, die der britische Historiker Donald C. Watt als diejenige umschreibt, die durch den »Diskurs um Schuld und Verantwortung der Protagonisten« geprägt sei.6 Man könnte mit Watt also von einer üblicherweise »polarisierend anklagend-exkulpierenden Phase« der Geschichtsschreibung sprechen, die durch ein Fehlen von Synthesen gekennzeichnet ist. Um militärhistorische Analogien zu bemühen: Die gegenwärtige historiografische Phase in Bezug auf die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre ist also etwa mit der Phase der Kriegsschulddebatte nach dem Ersten Weltkrieg oder auch mit derjenigen einer exkulpierenden Geschichtsschreibung der »erschriebenen Siege« (Bernd Wegner) nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Allein dieser Umstand macht eine historische Untersuchung über den Einsatz von deutschen Soldaten im Zusammenhang mit den »post-jugoslawischen Kriegen« zu einem komplexen Unterfangen. Es gilt insbesondere vorhandene Narrative abzugleichen und mit Hilfe von Quellenkritik zu dekonstruieren. Als selbstverständlich angenommene kausale Zusammenhänge sind mittels strenger Chronologie zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr, als

6

Donald Cameron Watt (1928‑2014). Siehe hierzu Watt, Bemerkung mit dem Ziel einer Synthese.

2. Verortung der Balkaneinsätze

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hier erstmals das Terrain der deutschen Auslandseinsätze in Südosteuropa in seiner Gesamtheit mit militärhistorischen Mitteln vermessen wird.7 Die Dekonstruktion von Narrativen ist dabei nur der »halbe Weg« – ihr muss Geschichtsschreibung folgen.8 Diese sollte sich nicht selbstreflexiv nur für die Konstruktion eigener militärischer Tradition – in unserem Fall der Bundeswehr als selbstdeklarierter »Einsatzarmee« – interessieren. Militärgeschichte ist als Zeitgeschichte verstanden vielmehr »Problemerzeugungsgeschichte« (Hans Günter Hockerts).9 In diesem Sinne gilt es sich – trotz oder gerade wegen der eingenommenen deutschen Perspektive – von der deutschen Binnensicht zu lösen und zu fragen, was der Einsatz deutscher Soldaten im Krisen- und Kriegsgebiet bewirkt und auch, was er nicht bewirkt hat und wo die Ursachen hierfür liegen. Versteht man Einsatzgeschichte der Bundeswehr als Problemerzeugungsgeschichte, so führt diese zu einer Historisierung der Geschichte der 1990er und 2000er Jahre. Wir verlassen also methodisch gesehen den Bereich der Politikwissenschaft und betreten denjenigen der Geschichtswissenschaft.

3. Rekonstruktion militärischer (Friedens-)Operationen im Praxistest Es ist ratsam, zu Beginn einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung Transparenz im Hinblick auf die zugrunde liegenden Annahmen, angewandten Methoden und Ziele herzustellen. Einige grundlegende Bemerkungen und Definitionen sind wegen der wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit der hier gewählten Annäherung an den Untersuchungsgegenstand »Bundeswehr auf dem Balkan« notwendig. Auf tiefergreifende Methodendiskussionen soll an dieser Stelle verzichtet werden.10 Ziel dieser Studie ist es, eine erste Synthese, also eine »Verknüpfung von Mannigfaltigkeiten durch Verstandesleistung« (Immanuel Kant), zu schaffen. Anders ausgedrückt handelt es sich um eine erste militärhistorische Rekonstruktion dieser für die Bundesrepublik Deutschland zentralen Ereignisse. Die 1990er Jahre – politikgeschichtlich in etwa die Zeit zwischen deutscher Wiedervereinigung und den Terroranschlägen auf das World Trade Center – sind als besonders dynamische Scharnierzeit 7

8 9 10

Zu beachten ist die komplementär zu dieser Studie verstehbare Untersuchung mit Schwerpunkt auf der zeitlich späteren deutschen Einsatzgeschichte im Kosovo: Kriemann, Hineingerutscht? Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände, S. 415‑457. »Problemerzeugungsgeschichte« (Hans Günter Hockerts). Vgl. Wirsching, Von der Lügenpresse zur Lügenwissenschaft? Zur Vertiefung siehe: Keßelring, Finnland und Schweden, S.  99‑110. Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände, S.  415‑457. Keßelring, Konkurrierende Schwestern, S. 67‑77.

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

zu charakterisieren. Eine an militärhistorischen Kriterien orientierte Chronologie gilt es für die Bundesrepublik Deutschland erst zu erarbeiten. Anhand welcher Kategorien erfolgt diese historiografische Rekonstruktion? Der hier gewählte Zugriff ist – dem Untersuchungsgegenstand »Bundeswehr-Einsatz« entsprechend – dezidiert militärhistorisch und die Perspektive ist eine deutsche. Militär wird, wie im spezifisch bundesdeutschen Verständnis von Militärgeschichte seit den 1950er Jahren üblich, in seinen Bezügen zu Staat(en) und Gesellschaft(en) verstanden. Durch den Einsatz der Bundeswehr stand »Militär« in Wechselwirkung mit verbündeten Streitkräften sowie gleichsam als Objekt der Friedensmissionen auch mit regionalen militärischen oder paramilitärischen Gewaltakteuren. Folglich ist unter dem jeweiligen Bezugsrahmen »Staat« neben der Bundesrepublik Deutschland und ihrer supranationalen Einbindung auch das sich auflösende Jugoslawien und die damit eng zusammenhängende, aber in ihrem historischen Entstehungsprozess offene Bildung neuer Staaten zu verstehen. »Staat« ist also als hochdynamisch und als Teil der Transformation zu verstehen. Bei »Einsatz« – einem dem Grundgesetz entlehnten Begriff aus dem deutschen Staatsrecht – handelt es sich im militärischen Sinne um eine Vielzahl von so unterschiedlichen Operationen wie beispielsweise den Luftoperationen AIRLIFT, DENY FLIGHT, DELIBERATE FORCE oder ALLIED FORCE, den Seeoperationen SHARP GUARD oder ALLIED HARVEST oder aber teilstreitkräftegesamten Operationen mit einem überwiegenden Anteil an Landstreitkräften wie etwa JOINT ENDEAVOUR, JOINT GUARD und JOINT FORGE. Schon anhand der Namensgebung der Operationen ist zu erkennen, dass es sich hier vor allem um NATO-Operationen handelte, an denen sich Kontingente der Bundeswehr in Form von deutschen Beiträgen beteiligten. Betrachtet werden hier aber dem deutschen Blickwinkel entsprechend auch Operationen, die rein national, als Teil einer Spontankoalition (z.B. DENY FLIGHT), im Rahmen der UN (z.B. UNPROFOR), der OSZE (z.B. KVM), der WEU (z.B. SHARP VIGILANCE) oder der EU (z.B. CONCORDIA, ALTHEA) erfolgten (siehe Abb. 1: Balkaneinsätze der Bundeswehr nach Operationen). Den einen Balkaneinsatz der Bundeswehr hat es also nicht gegeben. Vielmehr handelte es sich um sehr unterschiedliche militärische Operationen. Die Operationen besaßen hinsichtlich ihrer Dauer, Konfliktintensität und institutioneller Einbindung sowie ihrer rechtlichen Grundlage höchst unterschiedliche Profile. So finden sich darunter Operationen zur Konfliktprävention und Friedenserhaltung ebenso wie Kampfeinsätze oder humanitäre Einsätze. Diese »mannigfaltigen« Operationen werden also erst durch »Verstandesleistung« zu dem Konstrukt »Balkaneinsatz der Bundeswehr« verknüpft. Die verbindenden Elemente sind a) der Raum, also »der Balkan«, oft auch als »westlicher Balkan« bezeichnet, also das Gebiet der heutigen Staaten Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien (im Untersuchungszeitraum Mazedonien oder Former

3. Rekonstruktion militärischer (Friedens-)Operationen

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Yugoslavian Republic of Macedonia, FYROM), Albanien und der Adria11 b)  die Zeit, beginnend mit den ersten Einsätzen der Bundeswehr im Jahr 1992 und c) der diese Elemente verbindende politisch-militärische kausale Zusammenhang, nämlich die 1991 beginnenden »Jugoslawienkriege«, in deren Folge erst deutsche Soldaten in die Einsätze geschickt wurden. Es sei nicht verschwiegen, dass es sich freilich bei »dem (westlichen) Balkan« ebenso um ein zeitgebundenes, umstrittenes und durchaus politisch zu verstehendes räumliches Konstrukt handelt, wie auch der Begriff »Jugoslawienkriege« regional, zeitlich und teilweise auch von der Kriegstypologie her so unterschiedliche Kriege wie etwa den »Kroatischen Heimatkrieg«, den »Bosnienkrieg«, den »Luftkrieg der NATO gegen (Rest-)Jugoslawien« oder etwa den »mazedonischen Bürgerkrieg« subsumiert. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass jede dieser Bezeichnungen für sich bereits Interpretationen des jeweiligen Krieges und in Bezug auf die Staatlichkeit der jeweils Beteiligten implizieren – spätestens jetzt betritt der Historiker »das Minenfeld der Balkanpolitik«. Da Geschichte gerade in der hier zu behandelnden Macht- und Gewaltpolitik stets auch eine legitimatorische Funktion beikommt, erscheint jede historische Aussage leicht als politisches Statement. Folglich sind all diese Begriffe selbst grundsätzlich als Narrative oder Meistererzählungen quellenkritisch zu hinterfragen, ohne dabei aber in dekonstruktivistische Beliebigkeit abzugleiten.12 Die in dieser Studie gewählten Interpretationen verstehen sich also als bewusste Wahl des Autors; sie sind bereits Folge der geschichtswissenschaftlichen Analyse, werden wo immer möglich transparent gemacht und dienen als Grundlage für das Verständnis des Gesamtgeschehens. Ein moderner militärgeschichtlich-operationsgeschichtlicher Ansatz – wie diesen etwa Stig Förster bereits im Millenniumsjahr gefordert hat13 – darf auch im Fall der in den 1990er Jahren stattfindenden ersten Kriegsereignisse seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa nicht hinter dem »state of the art«, den die militärhistorische Disziplin für das Zeitalter der Weltkriege und des Kalten Krieges erarbeitet hat, zurückfallen.14 Basierend auf die11

12

13 14

Die Begriffe »Südosteuropa« und »Balkan« werden hier bezogen auf den Bundeswehreinsatz synonym verwendet und entsprechend der Einsatzgebiete räumlich verstanden. Von letztlich das Gleiche meinenden, eher sperrigen Kunstbegriffen wie »südöstliches Europa« (Karl Kaser) wird hier abgesehen. Zu den Begriffen Südosteuropa, Westlicher Balkan, Balkan usw. sowie deren Problematisierung vgl. die entsprechenden Lemmata in: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hrsg. von Holm Sundhaussen und Konrad Clewing, Köln 2016 sowie – kritisch mit dem Balkan-Begriff umgehend – Maria Todorova, Der Balkan als Analysekategorie. Grenzen, Raum, Zeit. In: Geschichte und Gesellschaft, 28 (2002), S. 470‑492. Vgl. hierzu den Sammelband zur Ausstellung »Mythen der Nationen« des Deutschen Historischen Museums, speziell den aufschlussreichen Beitrag »Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten. Konstruktion, Dekonstruktion und Neukonstruktion von ›Erinnerungen‹ und Mythen« von Holm Sundhaussen, S. 373‑426. Förster, »Vom Kriege«. Zu den Anforderungen an eine modernen Standards entsprechende, also historisch »anschlussfähige« Operationsgeschichte siehe: Neitzel, Des Forschens noch wert, sowie theoretische Überlegungen bei: Wegner, Wozu Operationsgeschichte?

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

sem Standard wurde schon früh ein »weit über klassische Operations- und Organisationsgeschichte hinausgehender Ansatz« auch für die »Neueste Militärgeschichte« oder »militärhistorische Zeitgeschichte« gefordert.15 Was bedeutet dies aber konkret für den Untersuchungsgegenstand »Bundeswehr auf dem Balkan«? Folgende fünf Aspekte seien hier exemplarisch erwähnt: (1) Multinationalität: Diese Operationen vollzogen sich mit Ausnahme von LIBELLE im multinationalen Rahmen (combined). Eine Geschichte der Bundeswehreinsätze in Südosteuropa aus rein nationaler Perspektive würde daher dem Untersuchungsgegenstand spätestens auf militärstrategischer Ebene nicht gerecht werden. Die jeweils eingebrachten Fähigkeiten der Bundeswehr waren stets nur ein Teil der Gesamtanstrengung. Den Rahmen bildeten die UN, die KSZE bzw. OSZE, die EG bzw. EU und vor allem die NATO. Nicht selten handelte es sich auch um Kleinallianzen innerhalb der NATO oder aber um erweiterte NATO-Einsätze mit Partnern. Die Integration von Streitkräften stand hierbei stets in einem Spannungsfeld mit gewachsenen nationalen Gewohnheiten sowohl auf der politischen als auch auf den verschiedenen militärischen Ebenen. Daraus ergibt sich die Frage: Formte sich dies zu einem strategischen Ganzen? (2) Teilstreitkräftegesamtheit: Der »Balkaneinsatz« der Bundeswehr ist nur im Zusammenwirken der Teilstreitkräfte (joint) zu verstehen. So würde es beispielsweise zu kurz greifen, etwa die »Luftbrücke nach Sarajevo« (AIRLIFT) nur als reine Luftwaffenangelegenheit zu begreifen. Vielmehr erforderte bereits die Entfernung des Flughafens Butmir von der eingeschlossenen Stadt Sarajevo eine Heereskomponente für den Transport der Hilfsgüter. Andersherum scheint beispielsweise im Rahmen UNPROFOR die Problematik der (ausbleibenden) Luftunterstützung für das Handeln des niederländischen Fallschirmjägerbataillons (Dutchbat) in Srebrenica von verhängnisvoller Relevanz gewesen zu sein. Dies aber führt in das komplexe Feld der Unterstellungen und Befehlskompetenzen. (3) Militär und Staat: Die Bundeswehr handelte nicht nur im militärischen (joint und combined) Umfeld, sondern war auf dem Balkan stets exponierter Teil der Exekutive des deutschen Staates. Dies galt in Bezug auf rechtsstaatliche Verfahren, demokratische (nationale) Entscheidungsfindungen und politische Maßgaben. Letztere konnten außen- oder innenpolitisch motiviert sein. Die Bundesrepublik Deutschland agierte also nicht nur militärisch auf dem Balkan, sondern war stets auch durch andere Interessen geleitet. Erwähnt seien hier beispielhaft Einflussgrößen wie die deutschfranzösische Freundschaft oder die deutsche Einheit. Trotz verschiedener multilateraler Einbindungen kam auch der »traditionellen« bilateralen Diplomatie zwischen souveränen Nationalstaaten in den 1990er Jahren eine wichtige Bedeutung zu. Die Gewichtung solcher unterschiedlichen Faktoren gilt es zu beleuchten. 15

Chiari, Krieg als Reise?, S.  37, sowie Chiari, Die Bundeswehr als Zauberlehrling der Politik?, S. 320.

3. Rekonstruktion militärischer (Friedens-)Operationen

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(4) Militär und gesellschaftliche Dynamik: Die deutsche Gesellschaft wirkte auf die deutsche Politik und zumindest bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 stand die Bundeswehr in einem sehr direkten Austausch mit weiten Teilen der Gesellschaft. Aber auch diejenigen Teile der Deutschen, die traditionell dem Militär eher skeptisch gegenüberstanden oder schlicht über keine Berührungspunkte verfügten, waren angesichts der Balkankriege gefordert, sich zumindest mit der Bundeswehr im Einsatz auseinanderzusetzen. Andererseits musste die deutsche Politik auch ihre Bürger »mitnehmen« und durfte sie angesichts dynamischer Entwicklungen im militärischen oder politischen Bereich nicht »überfordern«. Eine wichtige Rolle scheint hierbei den Medien als Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und Politik zugekommen zu sein. (5) Spektrum militärischen Handelns: Anders als beim Aufrechterhalten der Einsatzbereitschaft ist bei der scharfen militärischen Operation stets die militärische Interaktion und damit das Handeln des militärischen Gegners von unmittelbarer Relevanz. Kampf bildete jedoch für die Bundeswehr auf dem Balkan die Ausnahme – nicht aber die potentielle Möglichkeit des Kampfes, des Bekämpftwerdens und andere Bedrohungen. Angesichts des weiten Einsatzspektrums der Balkaneinsätze (humanitäre Hilfe, Crisis Management, Peacekeeping, Peace Enforcement, usw.) bei gleichzeitigem Paradigma des »Friedenserhalts« durch »out-of-area«-Einsätze ergibt es sich, dass stets auch die Seite der ehemaligen jugoslawischen Konfliktparteien und der jeweilige Konflikt auf dem Balkan selbst mit zu betrachten sind. Dies gilt sowohl in zeitlicher Dimension als auch in Hinsicht auf die wechselnde Konfliktintensität. Dabei sind die bisher gültigen schematischen Modelle der Konfliktlösung zwar als kulturelle Faktoren der Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, aber zugleich kritisch als »offizielles Narrativ« zu hinterfragen. Inwiefern diktierten die taktischen Geschehnisse die Einsatzszenarien der Operationen (bottomup) oder handelte es sich eher um den planmäßigen Ablauf von auf der strategischen Ebene beschlossenen Abläufen (top-down)? Forderungen an eine sich gegenüber ihren Nachbardisziplinen weiter öffnende, erweiterte Militärgeschichte zu stellen, ist leicht. Multidisziplinäre Ansätze und multiperspektivisches Arbeiten drohen dabei zum bloßen Schlagwort zu verkümmern. Für die vorliegende Studie scheinen sie jedoch aufgrund der themenimmanenten Logik geboten zu sein. Doch wo gerät Militärgeschichtsschreibung an die Grenzen ihrer ertragbaren Komplexität? Wie ist es möglich, Faktoren, wie etwa das Wesen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, die NATO-Integration der Bundeswehr, die rechtlichen Maßgaben der Rules of Engagement, die internationale Diplomatie und die Forderung, keine »Geschichte der Generale« zu schreiben, nicht nur zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, sondern auch analytisch miteinander zu verknüpfen? Die vorliegende Studie ist auch als Praxisversuch zu verstehen, ein Thema der Operationsgeschichte im ausklingenden 20. Jahrhundert

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

so zu bearbeiten, dass deren militärischer Kern nicht verloren geht und zugleich der angesprochenen hohen Komplexität politischer und militärischer Zeitgeschichte Rechnung getragen wird.

4. Krieg, Frieden, Gewalt und Verantwortung als unbequeme Fragestellungen Aus diesen Ausführungen ergeben sich folgende erkenntnisleitende Fragestellungen: (1) Zeigt die Gesamtbetrachtung des Konstrukts »Balkaneinsatz der Bundeswehr« eine eigene – nationale – deutsche Südosteuropastrategie? (2) Wie sind die Operationen der bundesdeutschen Verbände in der jeweiligen strategischen Ebene sowie in der staatlichen Ebene nationaler Politik und schließlich in den internationalen Beziehungen zu verorten? (3) War die NATO und damit die Bundeswehr unter deren Führung historisch betrachtet eine Kriegspartei auf dem Balkan? Dies führt uns zurück zu der eingangs bereits angesprochenen militärhistorischen Kernkategorie, nämlich der Frage von Krieg und Frieden. Operationsgeschichte, eine zentrale Disziplin der Militärgeschichte und das analytische Mittel, um Kriege oder sonstige Einsätze bewaffneter Macht überhaupt adäquat beschreiben zu können,16 ist also die hier gewählte Perspektive zur Bildung einer Synthese. Eine »Militärgeschichte ohne Krieg«17 (Sönke Neitzel) ist immer dann verfehlt, wenn Militär und Politik, wie im Falle der Jugoslawienkriege 1991 bis 1995, durch Konflikte zur Positionierung herausgefordert wurden. Die politische Praxis und die politikwissenschaftliche Forschung hat diesbezüglich nicht nur in Deutschland zu einer geradezu babylonischen Sprachverwirrung geführt. Teilweise war diese auch eine Folge unkritischer Übernahme von Bezeichnungen aus der zeitgenössischen Kriegspropaganda. Je kürzer die zeitliche Distanz zum historischen Betrachtungsgegenstand, desto unklarer die verwendeten Begriffe. Die damit verbundene Problematik sei hier an zwei Beispielen verdeutlicht: Ein eingängiges Beispiel ist sicherlich die 1992 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum »Unwort des Jahres« gewählte Bezeichnung »ethnische Säuberung«. In den Kriegen auf dem Balkan der 1990er Jahre war dies ein konkret angewendetes »Verfahren«. Dieses begann mit der Definition von sogenannten ethnischen Gruppen, Kennzeichnen der Häuser oft durch das Besprühen mit ethnisch konnotierten Zeichen, Zerstören der Wohnhäuser durch Artilleriebeschuss, Brandlegung oder Abriss, Verschleppung der Bevölkerung in Lager, Vergewaltigung, Folter, Vertreibung oder Abtransport und Mord. Der aus den späten 1980er Jahren stammende serbische Begriff etničko čišćenje, als dessen direkte deutsche Übersetzung die »ethnische Säuberung« 16 17

Hammerich, Die geplante Verteidigung, S. 243. Neitzel, Militärgeschichte ohne Krieg.

4. Krieg, Frieden, Gewalt und Verantwortung

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oder »ethnic cleansing« ihren Weg über die Presse in die Berichterstattung und zeitgenössische politikwissenschaftliche Analyse fand, war ein propagandistischer Kampfbegriff radikaler serbischer Ethnonationalisten. Er gehört untrennbar zu der im Kontext der 1989 im Kosovo gehaltenen »AmselfeldRede« Slobodan Miloševićs international bekannt gewordenen verhetzenden Denkfigur, in der die albanische Bevölkerung durch ihre hohe Geburtenrate die Serben aus ihrem angeblich seit dem Mittelalter angestammten Erbland verdränge. Aber auch scheinbar harmlos-neutrale Bezeichnungen wie etwa »Bürgerkrieg« oder das Kompositum »Bürgerkriegsflüchtling« haben durchaus das Potential, eher von historischen Tatsachen abzulenken, als diese korrekt zu beschreiben. So ist beispielsweise jeweils kritisch zu hinterfragen, ob 1992 in Kroatien oder 1998 im Kosovo wirklich »Bürgerkriege« stattgefunden haben oder ob systematische Vertreibung von eigenen Staatsbürgern bestimmter Volksgruppenzugehörigkeiten durch staatliche Exekutivorgane Jugoslawiens bzw. Serbiens am Anfang der Gewalt stand. Handelte es sich andererseits beim »Bürgerkrieg« in Mazedonien 2001 wirklich um einen solchen? Wieso zierten sich zeitgenössisch die Analysten diesen Begriff zu verwenden? Wo taugt, wenn überhaupt, das ethnische Paradigma zur (alleinigen) Erklärung des Geschehenen? Sind sprachliche Bilder wie »Gewaltspirale«, »Eskalation«, »Pulverfass« oder »jahrhundertealter Hass« überhaupt stimmig? Handelten wirklich die »internationale Gemeinschaft« einerseits und der Balkan andererseits? Wir kehren zurück zu der eingangs erwähnten Problematik von Zeitgeschichte als »Diskurs um Schuld und Verantwortung der Protagonisten«. Dabei wurden zeitgenössisch Begriffe sicherlich auch häufig ohne böse Absichten verwendet. Der Gebrauch von Begrifflichkeiten wie »Bürgerkriegsflüchtlinge« konnte vielmehr etwa Ausdruck einer betonten Neutralität (etwa seitens der UN), Ergebnis eines Aushandlungsprozesses oder Ergebnis von Zuständigkeiten (etwa des UN-Flüchtlingshilfswerkes, UNHCR) sein. In der historischen Rückschau und mit dem höheren Wissensstand aus der zeitlichen Distanz ist hingegen die Grenze zwischen einerseits falschverstandener wohlgemeinter Neutralität im Sinne von Zuordnung einer angenommen gleichgroßen Anzahl von verübten Verbrechen auf Seiten aller Kriegsparteien und andererseits bewusster Fortschreibung von Kriegspropaganda oder politisch motivierter Geschichtsfälschung fließend. Für Geschichtsschreibung, speziell auch wie hier bei dem Versuch einer Synthese in der zeitgeschichtlichen »polarisierend anklagend-exkulpierenden Phase«, hat der Historiker zwar neutral im Sinne von unvoreingenommen zu sein, muss sich aber gegenüber den historischen Ereignissen und Akteuren aufgrund des durch die Rückschau vorhandenen breiteren Kenntnisstandes – dies ist die feste Überzeugung des Autors – sehr wohl positionieren und dabei die Sachverhalte mit diesen entsprechenden Begriffen deutlich beschreiben. Dies mag zwar abstrakt und oberflächlich betrachtet selbstverständlich erscheinen, führt aber in der wissenschaftspraktischen Durchführung nicht selten zu Verärgerung bei denjenigen, die einem

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

anderen Narrativ oder anderen »neukonstruierten Erinnerungen« (Holm Sundhaussen) folgen oder sogar als Unterlassungstäter oder Täter angesprochen werden. Ein Kennzeichen der Zeitgeschichte der letzten Generation ist ja, dass die historischen Akteure oft noch am Leben sind. In einer freien Gesellschaft ist es nach persönlicher Auffassung des Autors natürlich Pflicht des Historikers, sine ira et studio zu forschen, aber genauso auch ohne Rücksicht auf Nation, Parteizugehörigkeit oder derzeitige Funktion der Akteure, also ohne persönliche oder politische Befindlichkeiten zu formulieren – dies gilt umso mehr, als die bewusste staatliche Verfälschung von Geschichte heute etwa in Russland wieder Konjunktur hat.18 Die hier behandelte Geschichte, insbesondere die der NATO-Operationen in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, ist davon direkt betroffen. So spielt seit 2014 etwa eine konstruierte Analogie zum Vorgehen der NATO im Kosovo eine gewisse Rolle bei der öffentlichen russischen Rechtfertigungsstrategie des eigenen völkerrechtswidrigen Vorgehens auf der Krim. Geschichtsschreibung muss allerdings auch hier unabhängig von gegebenenfalls aus ihr folgenden politischen oder propagandistischen Implikationen erfolgen: Das Bemühen und die Fähigkeit zu Selbstkritik in der historischen Betrachtung auch zeitlich näherliegender Geschehnisse gehört zu den besten in der Nachkriegszeit mühselig erarbeiteten Errungenschaften bundesdeutscher militärgeschichtlicher Forschung. Errungenschaften aber basieren schon semantisch auf dem Verb ringen. Problemerzeugungsgeschichte sollte – will sie mehr als eine Worthülse sein – zu Widersprüchen herausfordern, um die für eine pluralistische Gesellschaft so wichtigen Debatten um die jüngste Geschichte anzuregen. Oft sind wenig hinterfragt wiederholte Fachtermini bereits Ausdruck von in der zeitgenössischen Politikwissenschaft vorherrschenden Forschungsparadigmen. In der zeitgeschichtlichen Geschichtsschreibung werden diese dann selbst Teil des in der jüngsten Vergangenheit liegenden Forschungsgegenstandes. Dadurch eignen sie sich nur sehr bedingt als Analysekategorien. Exemplarisch sei hier das Anfang der 1990er Jahren aufkommende Paradigma der »neuen Kriege« angeführt. Das Verständnis vom Wesen des Krieges wandelte sich gerade angesichts der für die vorliegende Studie so zentralen »Jugoslawienkriege«. Dies beschrieb zeitgenössisch der in diesem 18

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang exemplarisch das russische Verbot der Internationalen Gesellschaft für historische Aufklärung und soziale Fürsorge Memorial am 28.12.2021. Memorial erforscht insbesondere die genozidalen Verbrechen der Sowjetunion unter Stalin, darunter auch den Holodomor. Im südosteuropäischen Kontext ist ferner die restriktive türkische Politik in Bezug auf die Behandlung und Berichterstattung zum Völkermord in Armenien – speziell das Verbot im türkischen Parlament (2017), in diesem Zusammenhang den Begriff »Völkermord« zu gebrauchen – von Bedeutung. In beiden Fällen ist zwar die geschichtswissenschaftliche Erforschung der Massenmorde nicht formal verboten, wird aber auch im Kontext der eingeschränkten Pressefreiheit massiv behindert. Vgl. zum weiteren Kontext des politischen Missbrauchs von Geschichte, aber auch für deren Nutzen für den Frieden: Historian käyttö ja väärinkäyttö, hrsg. von Antti Blåfield, Helsinki 2016, speziell die Beiträge von Martti Ahtiaari, Vladislav Zubok und Timothy Garton Ash.

4. Krieg, Frieden, Gewalt und Verantwortung

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Zusammenhang geprägte Begriff der »new wars« (Mary Kaldor). Damit würde eine Analyse der »Jugoslawienkriege« anhand des Begriffs der »neuen Kriege« (Herfried Münkler) einem logischen Zirkelschluss gleichkommen – das Phänomen der Jugoslawienkriege würde mit einer empirisch aus diesen gewonnenen Theorie erklärt! Aber auch andere scheinbar analytische Begriffe können sich als »false friends« erweisen: Dies mögen folgende Ausführungen zu an der Schwelle zwischen Krieg und Frieden angesiedelten, hier so zentralen Begriffen wie »Peacekeeping«, »Crisis Management« oder »Stabilisierungseinsatz« kurz verdeutlichen. Die politische Zäsur um das Jahr 1990 verleitet leicht dazu zu übersehen, dass der Wandel des Kriegsbildes global betrachtet bereits vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Machtbereichs einsetzte.19 Das »Ende des Kalten Krieges« war nach dem Strategiewissenschaftler Jyri Raitasalo lediglich einer von mehreren Faktoren der Veränderung des westlichen Kriegsbildes in den 1990er Jahren. Andere Faktoren waren, ausgehend von den immer noch vorhandenen zu Großoperationen befähigten Massenarmeen des Kalten Krieges, die »Revolution der Kriegführung« (revolution in military affairs, RMA) und die »Krisenbewältigung« (Crisis management).20 Letzteres ist aber im Grunde kaum etwas anderes als eine andere Bezeichnung für dasjenige, was im deutschen Sprachraum nicht weniger unpräzise unter »Einsatz« subsumiert wird. Einsatz oder »Crisis Management« wird also, zumindest in den Augen mancher Vertreter der Strategischen Wissenschaften, keineswegs selbst als eine neue Form von Kriegen – mit geringerer oder auch hinsichtlich der Zielgruppen veränderter Gewaltintensität – verstanden, auch nicht als deren »Gegenmittel«, sondern eher als einer von mehreren Faktoren des gewandelten Kriegsbildes. Auch der postkommunistische politische Transformationsprozess ist hier nur einer von mehreren Faktoren. Der Strategiewissenschaftler Juha Pyykönen wiederum beschreibt in seiner Studie zum Wandel des Bildes des Krisenmanagements den im selben Zeitraum stattfindenden Wandel im »Crisis Management« von »Peacekeeping« zum »erweiterten Peacekeeping« und geht hierbei von dem Begriff der »Militärintervention« aus. Mittels dieser vermochten dritte Staaten bereits unter den Vorzeichen des Kalten Krieges Konflikte gewaltsam zu beenden. Jedoch war dies nur im Falle von Konflikten geringer Intensität (Low Intensity Conflict, LIC) – ein Begriff, der in den 1980er Jahren in den USA geprägt wurde – möglich. Die Konfliktintensität der hier behandelten Balkankriege der 1990er Jahre ging aber oft weit über dieses Maß hinaus. Solche Militärinterventionen größerer Intensität sieht Pyykönen als etwas anderes als klassisches Peacekeeping (Stichwort »Blauhelme«) an und hinterfragt hiermit den Begriff des »erweiterten Peacekeeping«.21 Vielmehr sei bereits der UN-Einsatz UNPROFOR in Kroatien und Bosnien-Herzegowina 19 20 21

Creveld, The Changing Face of War. Raitasalo, Sotan varautumisesta aktiiviseen asevoiman käyttöön, S. 214. Zum Wandel des UN-Peacekeeping grundlegend: Bellamy/Williams, Providing Peacekeepers.

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

als eine Vermischung klassischen Peacekeepings mit Elementen der Militärintervention zu verstehen. Die neuen Elemente, wie etwa das sogenannte Peace Enforcement – etwa durch die Rapid Reaction Force zur Sicherung der Blauhelme von UNPROFOR oder die Verwendung von gezielten taktischen Luftschlägen in der NATO-Operation DELIBERATE FORCE –, gehörten hier ebenso dazu wie Maßnahmen des Nationbuilding und Peacebuilding. Ein weiterer Begriff für letzteres ist der »Stabilisierungseinsatz«. Diese Vielfalt gilt insbesondere auch für die späteren Operationen der IFOR und SFOR, wobei SFOR (Stabilization Force) den Stabilisierungseinsatz bereits im Namen führte. Den wesentlichen Unterschied zum klassischen Peacekeeping aber macht Pyykönen in den Rules of Engagement (ROE) aus.22 Setzt man diese Erkenntnisse zum gewandelten Kriegsbild (Raitasalo) und den gewandelten Friedenseinsätzen (Pyykönen) erneut in einen Zusammenhang mit dem Begriff »Krieg«, so ist zweierlei festzustellen: Einerseits sind bestimmte Bereiche des Peace Enforcement oder des erweiterten Peacekeeping in ihrer gewaltsamen Ausgestaltungen durchaus auf der taktischen Ebene eindeutig als Kriegshandlungen zu klassifizieren und auf der strategischen Ebene als Militärintervention beschreibbar. Andererseits schränkten die Rules of Engagement diese taktischen Kriegshandlungen in einer historisch betrachtet wohl noch nie dagewesenen Art mittels juristischer Selbstbeschränkung der Akteure ein.23 Komplexer wird die Betrachtung dadurch, dass sich die ehemaligen jugoslawischen Kriegsparteien dabei – so auch bereits ihr Name – gegenseitig im kaum eingeschränkten Kriegszustand befanden, die Interventionskräfte aber meist davon ausgingen, dass sie sich selbst nicht im Krieg, sondern in »operations other than war« befänden – so zumindest der Name der entsprechenden amerikanischen Heeresdienstvorschrift.24

5. Literatur und Quellen als Problem militärischer Zeitgeschichte Für die vorliegende Studie wurden internationale und deutsche Werke zur Thematik ausgewertet. Diese sind jedoch nicht als historische Fachliteratur im engeren Sinne einzuordnen. Originäre historiografische Untersuchungen sind schon aufgrund der zeitlichen Nähe die Ausnahme.25 Zeitgenössische und knapp nachzeitliche politikwissenschaftliche Analysen müssen ebenso wie Quellen – also unter Anwendung der kritischen Methode und mittels des Instruments der Kontextualisierung – behandelt werden. Dies gilt eben22 23 24 25

Pyykönen, Sotilaallisen kriisinhallinnan kuvan muutos. Vgl. Findlay, The Use of Force in Peace. Wider Peacekeeping Operations Other than War, Part 2 (1994). The Army Field Manual, Vol. 5. Eine Diskussion des jeweiligen Forschungsstandes erfolgt in den entsprechenden Kapiteln.

5. Literatur und Quellen

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so, wenn diese im »unbestechlichen wissenschaftlichen Gewand« auftreten und dies umso mehr, je enger die beteiligten Personen mit dem Geschehen in Verbindung standen. Bei den Balkankriegen der 1990er Jahre kommt hinzu, dass viele Experten, Politologen oder Analysten mit SüdosteuropaFachkenntnis zumindest intellektuell in den Konflikt involviert waren. Dies ergab sich bereits aus der Forderung nach Sprach-, Orts- und Personenkenntnis. Oft verbirgt sich hinter den Experten trotz eines möglicherweise englischen Namens ein Einwanderer der zweiten Generation. Selbst bei Autoren ohne offensichtlichen persönlichen Bezug zu den Konfliktregionen war nicht selten die Präferenz für eine Konfliktpartei beispielsweise durch die durch die Sprachkenntnis bedingte Quellenauswahl beeinflusst. Nicht zuletzt aus diesen Überlegungen heraus wurde der Quellenkorpus dieser Arbeit erweitert. Die hier ergänzend verwendeten Unterlagen lassen sich neben der bereits erwähnten politikwissenschaftlichen zeitgenössischen oder knapp nachzeitlichen Forschungsliteratur grob wie folgt einteilen: (1) Politische Dokumente auf internationaler Ebene wie offizielle Verlautbarungen, Resolutionen und Verträge, aber auch politisch bedeutsame Reden oder Akteneditionen, etwa die International Conference on the Former Yugoslavia Official Papers, die völkerrechtlich ausgerichtete Edition The Yugoslav Crisis in International Law oder die auf die Staatlichkeit Jugoslawiens fixierte Yugoslavia through Documents. (2) Gerichtsakten des ICTY, des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, in denen die Akten nach Fällen geordnet abgelegt sind. Relevant sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Gerichtsurteile oder die Anklage- und Verteidigungsschriften, sondern auch kaum überschaubare Mengen an Beweismaterial wie Zeugenaussagen, Fachexpertisen oder auch schlicht Übersetzungen aus Zeitungsartikeln oder Büchern. Die Akten des ICTY sind ein besonders wertvoller Quellenfundus auch für die Rekonstruktion von Ereignissen abseits des engeren Umfelds der dort verhandelten Kriegsverbrechen. Insbesondere die »verbatim records« geben darüber hinaus einen authentischen Eindruck der Gedankenwelt und der Rechtfertigungsstrategien der Beteiligten wieder. Dabei kommt es für den Zweck dieses Buchs weit weniger darauf an, ob die Angeklagten verurteilt oder freigesprochen wurden, als auf eine Darstellung der Ereignisse und Operationen der Kriegsparteien auf dem Balkan. (3) Überlieferungen des Deutschen Bundestags: Ab 1994 verfassungsgerichtlich bestätigt war der Bundestag in die Entscheidungsfindung zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr einzubinden. Auf der Webseite des Bundestags sind die entsprechenden Abstimmungen und Debatten, meist auch als Verlaufsprotokoll, mit allen Debattenbeiträgen abgelegt. (4) Militärische Akten der Bundeswehr: Für die nationale operative und taktische Ebene wurden Akten aus dem Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv zum IFOR- und SFOR-Einsatz verwendet. (5) Selbstzeugnisse verschiedener Akteure auf allen Ebenen: Viele dieser Unterlagen können indes erst durch die Erinnerungen der Zeitgenossen

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

»zum Sprechen« gebracht werden. Diese finden sich in Autobiografien oder Erinnerungswerken, Artikeln und Buchbeiträgen, Interviews oder Leserbriefen. Zum Verständnis der regionalen Kriegsereignisse in BosnienHerzegowina galt es sich mit den wesentlichen Aussagen der Autobiografien von General Veljko Kadijević und von Politikern, wie etwa Biljana Plavšić (bosnische Serben) und Rusmir Mahmutćehajić (Bosniaken) oder Jakup Krasniqi (Kosovoalbaner), vertraut zu machen. Sie sind Teil des Schulddiskurses. Für die deutsche Seite des Untersuchungsgegenstandes konnte auf veröffentlichte Erinnerungsberichte oder Analysen der Diplomaten Geert-Hinrich Ahrens, Christian Clages, Hans-Ulrich Seidt und Richard Ellerkmann und der Generale bzw. Admirale Klaus Naumann, Friedrich Riechmann, HansOtto Budde, Walter Spindler, Jan Kuebart, Rainer Meyer zum Felde, Hans Werner Ahrens, Frank Ropers und Ulrich Weisser zurückgegriffen werden. Gezielte mündliche Zeitzeugenbefragungen wurden für diese Studie nicht angestellt. Eine systematische Befragung von Kontingentsführern und anderen Spitzenmilitärs im Einsatz wäre im Sinne zukünftiger Forschungen in Ergänzung zur Aktenüberlieferung zu begrüßen. In anderen Ländern, wie etwa den USA, ist dies bereits übliche Praxis. (6) Presseerzeugnisse: Die deutsche Presse berichtete mit Kriegsberichterstattern und regionalen Korrespondenten über den Balkankrieg und den Einsatz der internationalen Friedenstruppen, darunter auch der Bundeswehr. Anlaß dafür waren entweder lokale Ereignisse im Kriegs- und Krisengebiet oder aber politische Diskurse in der Heimat. Als Quellen für die Kriegsereignisse sind die Pressemeldungen durchweg mit Vorsicht zu gebrauchen. Für die in Kapitel 5 vorgestellten innenpolitischen und innerparteilichen Diskurse bilden sie gleichwohl die Primärquelle. Dabei kamen den unterschiedlichen überregionalen Zeitungen und Wochenzeitschriften unterschiedliche Rollen zu. Besonders dicht erfolgte die Berichterstattung in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und der »taz«. Aber auch »Der Spiegel«, »Die Zeit«, »Die Welt« und die »Süddeutsche Zeitung« wurden, wie auch bei Bedarf vereinzelt Regionalzeitungen, immer dann zu Rate gezogen, wenn diese einen Diskurs bestimmten oder maßgeblich an der Meinungsbildung Anteil hatten. Insgesamt kann damit die Quellenlage für die Zwecke dieses Buches als tragfähig bewertet werden. Die Herausforderung für den Historiker auf dem Feld der neuesten deutschen Militärgeschichte auf dem Balkan liegt weit weniger in der Zugänglichkeit von Akten als in der Quellenkritik, dem Bewahren des Überblicks und damit in der Auswahl und Interpretation der Vorgänge. Mit vorliegender Arbeit wird das Thema noch lange nicht ausgeschöpft sein. Immer dort, wo die verfügbaren Quellen keine Antwort auf offene Fragen ermöglichen oder widersprüchliche Deutungen mangels Freigabe bestimmter Aktenbestände möglich sind, wird im Text darauf verwiesen. Diese Studie versteht sich somit nicht als Abschluss eines Themas, sondern als Anfang eines Forschungsprozesses. Ziel ist es, eine »erste historische Schneise« zu schlagen – die Kolleginnen und Kollegen seien ausdrücklich dazu aufge-

6. Folgerungen für den Aufbau

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rufen, auf dieser Grundlage einen Weg zu bauen, der gegebenenfalls diese Schneise kreuzen, vielleicht aber auch einen anderen Verlauf nehmen wird. Damit ist der vorliegende Band auch als propädeutische Grundlage für weiterführende militärgeschichtliche Forschung zu den Einsätzen der Bundeswehr auf dem Balkan zu verstehen.

6. Folgerungen für den Aufbau Insgesamt soll in dieser ersten Gesamtschau einer Militärgeschichte der Balkaneinsätze der Bundeswehr stets das »militärische Handeln« in Frieden, Krieg und den dazwischen anzusiedelnden Graustufen im Zentrum der Untersuchung stehen. Nicht zuletzt deswegen wurde entschieden, die Darstellung nicht erst mit dem – im internationalen Vergleich späten – Einsatz der ersten deutschen Soldaten »auf«, »über« oder »vor« dem Balkan beginnen zu lassen, sondern den Einsatz als Teil des Gesamtprozesses Balkankriege zu verstehen. Die Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Serbien und Mazedonien bildeten nicht nur den gesellschaftlichen und politischen Rahmen für die Bundeswehreinsätze als Teil multinationaler Operationen, sondern stellten auch deren jeweilige raison d’être dar. Darüber hinaus bildeten sie deren strategische und operative Voraussetzungen sowie das konkrete kulturelle Umfeld, in dem sich die Soldaten der Einsatzkontingente bewegten. Bewusst werden hier nicht politisch determinierte und dazu höchst unterschiedlich definierte und interpretierbare Begriffe wie Peacekeeping oder Friedenseinsatz usw. zum Ausgangspunkt der Betrachtung gemacht. Angesichts der sich aus dem zeitgeschichtlichen Horizont und den beschriebenen Forderungen an eine zeitgemäße Militärgeschichte der Friedensoperationen ergebenden hohen Komplexität erschien es darüber hinaus nicht als zweckmäßig, alle Operationen mit derselben Intensität zu behandeln. Jede der Operationen hätte ein eigenes Buch verdient. Die einzelnen Operationen galt es dabei nicht nur aneinanderzureihen, sondern hinsichtlich ihrer Besonderheiten – etwa der darin gespiegelten Dynamik der Entwicklungen – in das hier beschriebene Gesamtkonzept einzubinden. Dabei wurde darauf verzichtet, jeweils alle hier aufgezeigten Ebenen »durchzudeklinieren« – wesentlicher erschien es, die Bandbreite an den verschiedenen Beispielen aufzuzeigen. Begonnen wird mit einer Binnensicht der Entwicklung der Kriege in Slowenien und in der Krajina, bis der vorläufige Friede in Kroatien den Kriegsausbruch in Bosnien-Herzegowina zumindest katalytisch beeinflusste. Darauf folgt eine Betrachtung der diplomatischen Ebene der »internationalen Gemeinschaft« bis zur Wende in der NATO-Politik beim Gipfeltreffen von Oslo (Juni 1992) und zu den ersten Einsätzen der Bundeswehr durch Teilnahme an multinationalen Operationen mit Kontingenten der Marine

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I. Der Bundeswehr-Einsatz auf dem Balkan

und Luftwaffe (Juli 1992). Anschließend wird sich weiter dem Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992‑1995) zugewendet und beschrieben, wie sich der schmerzlich-schwierige Weg bis zum Einsatz der Implementation Force im Kriegsgebiet als außenpolitischer Prozess und als militärische Operation vollzog (1996), um den noch vorsichtigen deutschen Anteil daran zu bestimmen. Das folgende Unterkapitel  4 widmet sich dem Stabilisierungseinsatz in Bosnien-Herzegowina auf den Ebenen der NATO, der deutschen Politik und Gesellschaft und der militärischen Planung und Durchführung des Heereseinsatzes. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu klären, inwieweit der IFOR bzw. SFOR-Einsatz der Bundeswehr einen epochalen militärhistorisch bestimmbaren Wendepunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte bedeutet. Hieran schließt sich in Unterkapitel 5 eine Betrachtung der spezifisch deutschen innenpolitischen Diskussion um die Balkaneinsätze an. Diese Diskurse vollzogen sich im gesellschaftlichen Klima der sich zur »Berliner Republik« wandelnden »Bonner Republik«. Eingegangen wird daher besonders auf die politischen Debatten um die »Kohl-Doktrin«, aber auch auf die innerparteilichen Richtungsentscheidungen innerhalb der durch die Friedensbewegung beeinflussten Opposition. Diese diskurstheoretisch angelegte Gesamtschau vom Slowenienkrieg bis zum Einsatz des deutschen SFOR-Kontingents ist eine Erweiterung der ansonsten auf einem kulturwissenschaftlichen Fundament ruhenden Operationsgeschichte. Der nationale deutsche Diskurs stellt gewissermaßen einen Kontrapunkt zu der sich auf multinationaler Ebene vollziehenden multipolaren Ereignisgeschichte dar. Das 6. und letzte Unterkapitel behandelt als Ausblick die Binnensicht des Kosovokonflikts, den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO und die erfolgreiche Eindämmung des aufkeimenden Bürgerkrieges in Mazedonien. Zum Ende folgt die historische Einordnung des Balkaneinsatzes der Bundeswehr. Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt damit geografisch in BosnienHerzegowina, zeitlich in der Zeit zwischen 1991 und 1998 und inhaltlich beim operationsgeschichtlichen Ausgangspunkt und dem Charakter des Krieges sowie der damit verbunden Frage, ob oder inwiefern die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Engagement auf dem Balkan zu einer der Kriegsparteien wurde.

II. Kriege und Friedensoperationen

1. Militärisch-politische Ausgangslage. Der Jugoslawienkrieg bis zu den Reaktionen der Internationalen Gemeinschaft im Rahmen der UN »Aus Slowenien ist die frühere jugoslawische Armee abgezogen und das Leben normalisiert sich. In Kroatien, das zu etwa 30 % serbisch besetzt ist, ist der Konflikt um Unabhängigkeit vorläufig durch Krieg beendet, nachdem im Vorjahr 16 Waffenstillstände gebrochen worden waren. Ein bis März 1993 befristeter sowie von UNO-Soldaten überwachter Waffenstillstand ist in Kraft. Im Kosovo ist die Lage durch die serbische Unterdrückung explosiv und einiges deutet auf einen gewaltsamen Aufstand hin. Veränderungen haben sich in Bosnien-Herzegowina im Oktober ereignet, als das Bündnis zwischen Kroaten und Moslems brach und es zu lokalen Kämpfen zwischen ihnen kam. Nachdem die Seiten die ethnische Teilung anerkannt haben, wollen sie noch Positionsgewinne erreichen. Während dessen erzielten die Serben wichtige strategische Gewinne. Aufgrund ihrer militärischen Überlegenheit und ihrer rücksichtslosen Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung (ethnische Säuberungen) stehen die bosnischen Serben kurz vor der Erreichung ihrer Kriegsziele. Nach dem Scheitern aller Vermittlungsbemühungen seitens der EG und der UNO scheinen die serbischen Bosnier eine endgültige militärische Entscheidung zu suchen.«1 So fasste das Heidelberger Konfliktbarometer wenig optimistisch die Lage für das ereignisreiche Jahr 1992 zusammen. Anfang des Jahres 1993 zeigten Krieg und Krisen im ehemaligen Jugoslawien bereits deutlich ihr schreckliches Gesicht – es sollte sich bis 1995 immer stärker zu einer grausamen Fratze verzerren. Als Höhepunkt der Schrecken dieses Krieges wird das später als Genozid klassifizierte Massaker von Srebrenica im Juli 1995 betrachtet2 – es stellte zugleich einen Wendepunkt für die Politik der sogenannten internationalen Gemeinschaft, der Bundesrepublik Deutschland 1 2

Konfliktbarometer, S. 2. Nuhanovic, Under The UN Flag. The International Community and the Srebrenica Genocide; Bogoeva/Fetscher, Srebrenica. Dokumente aus dem Verfahren gegen General Radislav Krstić vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, Frankfurt a.M. 2002; Matton, Srebrenica.

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II. Kriege und Friedensoperationen

und der Bundeswehr dar.3 Diese wurde mit den Balkaneinsätzen Teil einer Entwicklung, die die NATO-Partnerarmeen bereits länger durchgemacht hatten. Auch die deutsche politische Führung hatte sich schon länger auf dem diplomatischen Sektor mit dem Krieg in Jugoslawien beschäftigt. Die deutsche Gesellschaft hatte bereits mehrere Jahre in den Zeitungen Schlagzeilen aus den Kriegsschauplätzen des Balkans gelesen: Vukovar, Osijek, Bihać oder Mostar – gerade noch als Heimatorte von Gastarbeitern oder als Touristenziele bekannt – hatten einen neuen Klang als Synonyme für einen neuen Krieg in Europa erhalten.

a) Dimensionen und Interpretationen der Jugoslawienkriege Der südosteuropäische Gewaltkonflikt ist ohne dessen immanente militärische und kriegspsychologische Logik – auch, wenn diese nicht von ihrem politisch-gesellschaftlichen Kontext isoliert werden kann – nicht sinnvoll zu beschreiben. Diese Kriege fanden in dem ehemals wohl »westlichsten« Staat innerhalb des kommunistischen Machtbereichs statt; in einem hochkomplexen Umfeld. Sie bildeten die Vorgeschichte und damit den historischen und zeitgenössischen Rahmen für die späteren Bundeswehreinsätze dortselbst. Diese mögen als Ausdruck »der Politik« in ihrer nationalen und internationalen Dimension verstanden werden. Sie sind aber auch nicht von denjenigen Geschehnissen der Jugoslawienkriege zu trennen, die zeitlich bereits stattgefunden hatten, bevor erste deutsche Soldaten ihren Einsatz »auf dem Balkan« überhaupt begannen. Die Kriege auf dem Gebiet der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina der Jahre 1992‑1995 sind nur vor dem Hintergrund des die internationale Staatenordnung geradezu in revolutionärer Weise verändernden Zusammenbruchs der Sowjetunion und damit auch des kommunistischen Machtbereichs in seiner Gesamtheit erklärbar. Mit dem machtpolitischen, menschenrechtlichen und ökonomischen Bankrott der kommunistischen Idee fiel in Jugoslawien zugleich die letzte Klammer, die diesen Vielvölkerstaat mit seiner titoistischen Partisanenideologie unter dem Motto bradstvo i jedinstvo (Brüderlichkeit und Einheit) zusammengehalten hatte.4 Umstritten sind nach wie vor sowohl die Gründe für den Kriegsausbruch als auch die Klassifizierung des Krieges als innerstaatlicher (Bürgerkrieg) oder zwischenstaatlicher bewaffneter Konflikt 3 4

Schlaffer, Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«. Sundhaussen, Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten. Der Tod des unter seinem Kampfnamen »Tito« bekannten Diktators Josip Broz (1892‑1980), 1943 Marschall von Jugoslawien, 1953 Staatspräsident, ab 1963 Staatspräsident auf Lebenszeit, wird als ein zentraler Grund für den Zerfall Jugoslawiens angeführt. Hierin sind sich die Autoren einig, egal, ob sie Tito als Person und »dessen« Staat positiv oder negativ bewerten. Džaja, Die politische Realität des Jugoslawismus; Sundhaussen, Experiment Jugoslawien; Silber/Little, The Death of Yugoslavia.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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(Staatenkrieg).5 Beide Fragen sind eng miteinander verwoben und stark politisiert. Für die wesentlichen Kriegsgründe werden in der Literatur zwei konkurrierende Interpretationen angeführt: Erstens diejenige, es habe einen Plan für ein alle ethnischen Serben umfassendes »Großserbien« gegeben; zweitens die Angst vor einer Wiederholung des Terrors des (kroatischen) UstašaRegimes während des Zweiten Weltkrieges habe den Aufstand der regional außerhalb Serbiens wohnhaften serbischen Bevölkerung geschürt. Damit einher geht die Frage nach der Kriegsart, deren Beantwortung eben so wenig politisch neutral ist: Wenn der »Jugoslawien-Krieg« ein Bürgerkrieg war, so korrespondiert dies mit dem Erklärungskonzept ethnischer Spannungen innerhalb Jugoslawiens oder auch etwa innerhalb Kroatiens oder BosnienHerzegowinas. Entscheidet man sich aber für die Klassifizierung als Staatenkrieg, so verbindet sich diese Interpretation bald mit derjenigen eines Konzepts einer (groß)serbischen Aggression. Dieses nur vordergründig rein akademische Problem, führt wiederum in die Einzelfragen der Legitimität der staatlichen Neugründungen und des Sezessionsprozesses. Ein wesentlicher Diskurs behandelt hierbei die Rolle der Jugoslawischen Volksarmee zwischen den Positionen einer »Unionsarmee«, die versucht habe den rechtmäßigen jugoslawischen Staat zu schützen, und einer »Aggressionsarmee«, die – für großserbische Ziele missbraucht – bereits auf legale Weise in die Unabhängigkeit geglittene Staaten angegriffen habe.6 Eine der umstrittensten Fragen – die auch eine wesentliche Rolle in den Prozessen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY) gespielt hat – ist, wie weit der politische und militärische Einfluss Rest-Jugoslawiens (»Serbia proper«) auf die autonomen Serbenrepubliken (Republika Srpska Krajina, RSK bzw., Republika Srpska, RS) in den losgelösten ehemaligen Teilrepubliken (Kroatien und Bosnien-Herzegowina) wirkte. Diese Frage war bereits zeitgenössisch zwischen den Konfliktparteien umstritten, was den Friedensprozess hemmte. So beharrte etwa Slobodan Milošević bereits bei einem Treffen mit dem Friedensvermittler David Owen am 11. März 1993 auf dem Standpunkt, »Serbien werde [in Bosnien] für etwas verfolgt, worauf es keinen Einfluss habe«7. Bei den ICTY-Prozessen berief sich entsprechend 5

6

7

Das ICTY legte sich auf einen »inter state war« fest. Daraus folgen konkrete rechtliche Positionen, die wiederum das Beharren vieler serbischer Politiker auf der historischpolitischen Zuordnung eines »inner state wars« erklären. Die Perspektive der »Unionsarmee« vertreten beispielsweise Cohen und DragovićSoso, die sich auf den jugoslawischen Ministerpräsident Ante Marcović berufen, der die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens als illegal und der Verfassung widersprechend bezeichnet: Cohen/Dragović-Soso, State Collapse in South-Eastern Europe, S.  323. Die These einer »Aggressionsarmee« vertritt prononciert: Gow, The Serbian Project. Der serbische Journalist Miloš Vasić hingegen beschreibt die Rolle der JVA als Betrug an Jugoslawien bei gleichzeitiger Treue zum Kommunismus. Vasić, The Yugoslav Army. ICTY, IT 02-54 T (Slobodan Milošević), D 24769, Note by Lord Owen‘s private secretary on co-chairmen‘s meeting with President Milosevic, Paris, 11 March 1993.

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II. Kriege und Friedensoperationen

die Verteidigung der »Belgrader Serben« um Milošević stets darauf, dass die Kriegsgeschehnisse in den autonomen Serbenrepubliken RSK und RS nicht von Belgrad zu verantworten seien.8 Im Kern geht es hierbei um die Feststellung, ob es sich beim Kampf der serbischen Truppen der RSK und RS um Formen der hybriden Kriegführung bzw. des »compound warfare« mit Ausgangspunkt in Belgrad handelte; oder aber, ob die Geschehnisse treffender als eigenständige und unkontrollierbare, aus den lokalen Umständen geborene Konflikte im Sinne der »failed state«Theorien zu beschreiben sind. Beide Konzepte wurden unabhängig von den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien und zeitlich später in Weiterentwicklung von »failed state«-Theorien durch amerikanische Strategiewissenschaftler entwickelt. Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, dass interne Konflikte häufig auch eine geopolitische Dimension als Stellvertreterkriege besitzen und unkonventionelle »Kleinkriege« folglich auch eine konventionelle Dimension haben.9 Festzustellen ist aber, dass nach den Jugoslawienkriegen vor allem »failed state«-Theorien im Sicherheitsumfeld als paradigmatische Erklärung Konjunktur hatten, was teilweise durch die Balkanerfahrung bedingt war. Will man darauf aufbauend die Ereignisse auf dem Balkan mit »failed state«Theorien erklären, so handelt es sich freilich um einen logischen Zirkelschluss. Zunehmend verkompliziert wird das Problem dadurch, dass im ehemaligen Jugoslawien strukturell und regional unterschiedliche Teilkriege zu einem Gesamtkrieg verbunden werden oder aber auch getrennt voneinander betrachtet werden können.10 Dabei waren unterschiedliche militärische und paramilitärische Gewaltakteure zu beobachten: Beispielsweise regionale Freikorps, die Jugoslawische Volksarmee (JVA) oder Truppen aus deren Konkursmasse sowie Formationen der Territorialen Organisationen (TO) oder Polizeikräfte und deren speziell aufgestellte »Anti-Terror-Einheiten«. Von der jeweiligen Perspektive der räumlichen und zeitlichen Festlegung »eines (Teil-)Krieges« hängt dann ab, wer als Aggressor und wer als Verteidiger erscheint. Fest steht, dass die Zivilbevölkerung – auch, wenn diese bei dem teilweise paramilitärischen Charakter des Krieges kaum schlüssig von den Kombattanten abzugrenzen ist – in den Kriegsgebieten schrecklichen Leiden und Verbrechen ausgesetzt war. Es ist die Komplexität der auch als »Balkanisierung« bezeichneten »Sezession innerhalb der Sezessionen«, die es nicht nur für Historiker schwierig macht, den Konflikt zu beschreiben. Auch zeitgenössisch stellte be-

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9 10

ICTY, IT 02-54 T (Slobodan Milošević), Defence Opening Statement, 14.2.2002, S. 250, hier die Formulierung Miloševićs: »Serbia, and I personally, therefore, are alleged to be waging a political genocide outside Serbia. But this policy of genocide somehow does not seem to exist in Serbia for which we are solely responsible, because as the President of Serbia, I am responsible for Serbia.« Bond, Hybrid War; Huber, Compound Warfare. A Conceptual Framework. In: Compound Warfare. The Fatal Knot, Fort Leavenworth, KA 2002, S. 1‑10. Bjelajac/Žunec, The War in Croatia; Shrader, The Muslim-Croat Civil War in Central Bosnia.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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reits die Vielzahl der Handlungsebenen die Akteure aus Politik und Militär vor besondere Herausforderungen.11 Die nach Kriegsbeendigung durch den Friedensschluss von Dayton eingesetzte Internationale Balkankommission favorisierte eine – dem Paradigma der 1990er Jahre entsprechende – kulturelle Erklärung für die Hintergründe des Krieges: Oft rezipiert wird die durch Samuel Huntington und Robert Kaplan bekannt gewordene Idee,12 dass sich drei Kulturräume auf jugoslawischem Grund kreuzten und nach Wegfall des Tito-Kommunismus diese Kulturen wieder auseinandergedriftet seien.13 Diese These ist gewissermaßen eine Weiterentwicklung der in der populären Literatur häufig anzutreffenden Meinung, dass »der Jugoslawienkonflikt« bis in das Mittelalter zurückverfolgt werden könne. Solch ein Narrativ folgt freilich nicht zuletzt auch der Propaganda der Kriegsparteien und beinhaltet auch eine Rechtfertigung der frühen amerikanischen Politik der Nicht-Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Gleichzeitig erscheint in einem solchen Erklärungsmuster der Krieg gewissermaßen »von Natur aus« angelegt und damit geradezu unvermeidbar.14 Vor dem Hintergrund der spätestens seit Srebrenica offensichtlich gescheiterten internationalen Balkanpolitik mag solch eine Erklärung verständlich sein. Sie blendet jedoch mögliche Handlungsalternativen und den »freien Willen« aller Handelnden aus. Ein weiteres Erklärungsmuster der Kommission folgt geopolitischen Erwägungen: Demnach hätten Deutschland, die Türkei und Russland von außen diesen Konflikt in das Machtvakuum des Balkans projiziert.15 Diese These fußt auf dem Gedanken, der Jugoslawienkrieg sei ein »aufgetauter« nach dem Ersten Weltkrieg »eingefrorener« Nationalitätenkonflikt. Global gesehen folgt sie John Gaddis‘ These, dass der Kalte Krieg als »long peace« die staatlichen Grenzen und damit den Frieden garantiert habe.16 Erst der Friede nach dem Kalten Krieg habe den Krieg auf dem Balkan freigesetzt. Eine besondere Spielart der geopolitischen These bildet die im Jahr 2007 in Russland unter großem propagandistischem Aufwand veröffentlichte Theorie des ehemaligen jugoslawischen Verteidigungsministers der Jahre 1988 bis 1992, Armeegeneral a.D. Veljko Kadijević. Demnach sei der Jugoslawienkrieg eine Folge der Machtpolitik der USA, Großbritanniens und Deutschlands gewesen. Dagegen habe die Jugoslawische Volksarmee versucht, unnötiges Blutvergießen beim Wiederherstellen der Ordnung zu vermeiden. Damit 11 12 13 14

15 16

Shrader, The Muslim-Croat Civil War in Central Bosnia. Kaplan, Balkan Ghosts. Kritisch hierzu: Malcolm, »Seeing Ghosts«. Unfinished Peace: Report of the International Commission on the Balkans, S. 3. In die gleiche Richtung gehen auch die Erklärungsversuche Richard Owens, der die »Verlogenheit« der Balkanvölker betont und dies mit historischen Beispielen zu belegen sucht. Auch er gehört zu denjenigen, die in den frühen 1990er Jahren dem Reisebericht von West, Black Lamb and Grey Falcon, einen merkwürdig hohen Stellenwert beigemessen haben. Owen, Balkan Odyssey, S. 11. Ebd. John Lewis Gaddis, The Cold War, New York 2005, S. 52; John Lewis Gaddis, The Long Peace. Inquiries into the History of the Cold War, New York 1987.

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II. Kriege und Friedensoperationen

wird der Krieg mit seinen Grausamkeiten und Opfern »auf das Konto« der Westmächte »gebucht« und »der Balkan« als ein Opfer des Mächtespiels exkulpiert. Zur Einordnung Kadijevićs (1925‑2014) sei bemerkt, dass der jugoslawische Spitzenmilitär während des »Zehn-Tage-Krieges« gegen Slowenien und zuvor als Verteidigungsminister fungierte und somit in eigener Sache tätig war. Kadijević wird in der Anklage des ICTY gegen Milošević als eine der zentralen Figuren der »kriminellen Verschwörung« genannt. Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Kadijević lebte spätestens seit 2005 in Russland, wo er Asyl beantragte und 2008 die russische Staatbürgerschaft erhielt. Seine im Jahr 2007 veröffentlichten Memoiren stellen eine Rechtfertigung bzw. Verteidigungsschrift seiner Handlungen dar. Insbesondere bestritt er jegliche Verbindung zwischen der Jugoslawischen Volksarmee, paramilitärischen Truppen und Kriegsverbrechen. Das Buch erschien nur in Russland, doch folgten im selben Jahr Fernsehinterviews im kroatischen und serbischen Fernsehen, die für regionale Schlagzeilen sorgten und in denen Kadijević seine Thesen wiederholte.17 Wie todernst das Ringen um die Frage der Verantwortung für den Krieg, deren Aufklärung oder Vertuschung gewesen ist, wird dadurch deutlich, dass Kadijevićs Nachfolger Pavle Bulatović (1948‑2000, Verteidigungsminister 1993‑2000) in Belgrad während eines Restaurantbesuchs im Jahr 2000 erschossen wurde. Dies verhinderte nicht zuletzt die weitere Aufklärung der Rolle der Jugoslawischen Volksarmee seitens des ICTY. Freilich ignoriert die Argumentation des als Verteidigungsminister für den Einsatz der JVA verantwortlichen Kadijević die Chronologie der Ereignisse: Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft erkannten, nachdem sie dies am 17.  Dezember 1991 beschlossen hatten, Slowenien und Kroatien zum 15. Januar 1992 an. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vereinigten Staaten noch gegen eine Anerkennung. Die Schlacht von Vukovar (25.8.1991 bis 18.11.1991) zwischen JVA und Kroatischen Verteidigungskräften (HOS) mit bis zu 1400  Todesopfern auf Seiten der kroatischen Verteidiger der eingeschlossenen Stadt und weitgehender Zerstörung derselben durch Luftwaffeneinsatz und Artilleriebeschuss der JVA war zu diesem Zeitpunkt bereits beendet.18 Die »Kadijević-Theorie« – ein Jahr nach dem Tod Miloševićs veröffentlicht und damit gewissermaßen eine Fortführung von dessen Verteidigung – hat bis heute einen propagandistisch-politischen Wert als Referenzrahmen für die aggressive russische Georgien- und Ukrainepolitik. Dies zeigt beispielsweise der Debattenbeitrag eines Europaabgeordneten der rechtsextremistischen Front National zum 20. Jahrestag des Vertrags von Dayton. Dort wird Miloševićs Rolle für den Krieg in Bosnien heruntergespielt und die Schuld für die Desintegration Jugoslawiens Deutschland, den USA und der Türkei 17 18

Veljko Kadijević, Kontraudar. Moj pogled na raspad Jugoslavije, Moskau 2007. Ausführliches Material zur Belagerung und Zerstörung Vukovars durch Kräfte der JVA sowie die dortselbst erfolgten Kriegsverbrechen (»ethnische Säuberung«, Ermordung von Verwundeten und Gefangenen, völkerrechtswidrige Tötung von Zivilisten usw.) bieten die Dokumente des ICTY zum Fall IT-95-13/1, »Mrkšić et al., Vukovar Hospital«.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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zugewiesen.19 Dies entspricht der auch in den Memoiren der bosnischen Serbenpolitikerin Biljana Plavšićs geäußerten Rechtfertigung, dass sich die »Nicht-Serben« (»Moslems und Kroaten aus Bosnien-Herzegowina, das kroatische Militär, Albaner, NATO und abertausende Mudschaheddin verschiedener Nationalitäten aber gleicher Religion«)20 gegen die Serben verschworen, die Serben selbst aber nicht zusammengestanden hätten.21 Freilich wird auch hier die Chronologie der Ereignisse eindeutig verdreht.22 Historikern und Politologen, die sich mit den »Jugoslawien-Kriegen« beschäftigen, sollten diese Zusammenhänge zwischen politikwissenschaftlichen Paradigmen, völkerrechtlichen Implikationen und räumlich-zeitlichem Zuschnitt der jeweiligen Studien bewusst sein. Theorien dürfen hier nicht ein genaues Studium der »facts on the ground«, speziell auch in der Chronologie der Gewaltereignisse, ersetzen, da sie sonst nur Mythen im wissenschaftlichen Gewand weiterverbreiten. Dies gilt umso mehr, als bis auf wenige Ausnahmen nach wie vor die ethnopolitische Ausrichtung der Fachautoren die Wahl des politologischen Paradigmas und damit indirekt auch das Ergebnis in der Schuldfrage in Bezug auf die Kriegsursachen und -folgen bestimmt.23 Dies ist aber – wie bereits einleitend erwähnt – nach den Theorien des britischen Historikers D.C. Watt symptomatisch für die zweite historiografische Phase, der Behandlung eines historischen Gegenstandes 20 bis 30  Jahre nach dessen Zeit; einer Phase, die durch den »Diskurs um Schuld und Verantwortung der Protagonisten« geprägt ist.24 Es handelt sich also um kein spezifisches Balkanproblem. So lange sich das ICTY juristisch mit Protagonisten der Jugoslawienkriege befasste, musste jede historiografische Behandlung des Themas »Jugoslawienkriege« gewissermaßen vorläufig bleiben – andererseits ist die Möglichkeit der Revision ein Kennzeichen jeglicher wissenschaftlichen Forschung und auch schon deswegen in Kauf zu nehmen, da Antworten auf die virulente »Schuldfrage« keineswegs als einziger Ertrag historischer Forschung zu werten sind. Auch kann juristische Behandlung keineswegs die Geschichtsschreibung ersetzen. Juristische Fälle enden mit dem Tod der Angeklagten (wie im Beispiel Milošević) oder wer19

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24

Debattenbeitrag von Jean-Luc Schaffhauser, MdEP vom 16.12.2015. Schaffhauser gilt als Organisator russischer Kredite für die Front National. Die Front National fordert unter anderem die Anerkennung der russischen Besetzung der Krim. Vgl. Nesterov, The voice of the new right in European politics vom 25.6.2015. Plavšić, Svedočim, S.  128. Übersetzung nach: Subotić, The Cruelty of False Remorse, S. 50. Ebd. Das erste Statement der NATO mit Bezug auf den Krieg in Jugoslawien erfolgte mit der Aufforderung an alle Konfliktparteien UN-Beobachter zuzulassen erst im Februar 1992. Die erste Truppenentsendung (Operation Maritime Monitor) durch die NATO erfolgte nach dem Beschluss auf dem Gipfeltreffen von Helsinki (10.7.1992) gemäß der UN-Sicherheitsratsresolutionen 713 und 757. Agilolf Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände als Herausforderung für die Neueste Militärgeschichte am Beispiel der Kommandoverantwortung im zerfallenden Jugoslawien. In: MGZ, 77 (2018), 2, S. 436‑437 (415‑457). Watt, Bemerkungen mit dem Ziel einer Synthese.

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II. Kriege und Friedensoperationen

den aufgrund verweigerter Auslieferung und späterem Tod überhaupt erst gar nicht verhandelt (wie im Fall Kadijević). Besonders aufschlussreich ist in diesem Kontext auch der umstrittene Fall Plavšić, bei dem sich die Verurteilte in ihren Memoiren deutlich von ihren Schuldeingeständnissen absetzte, nachdem diese sich bereits strafmindernd ausgewirkt hatten.25 Allen geopolitischen Erklärungen der Jugoslawienkriege, egal ob westlichen oder südosteuropäischen Ursprungs, ist indes gemein, dass der Nationalismus bzw. die ethnische Dimension als entscheidender Kriegsfaktor in den Vordergrund gestellt wird. Dabei werden diese entweder als von außen hineingetragen (extrinsisch) oder als Balkanimmanent (intrinsisch) beschrieben. Jugoslawien erscheint dann – in den extremen Interpretationen – entweder als ein von vornherein zum Scheitern verurteilter »Kunststaat«, der an den »Realitäten des Balkans« zerbrochen sei, oder als absichtlich durch »den Westen« zerstörtes Ideal. Damit korrelieren diese Erklärungsmuster mit den Debatten über das Ende des kommunistischen Machtbereichs im Allgemeinen: Hier das Scheitern einer Utopie, da die Zerstörung eines Ideals durch »den kapitalistischen Westen«. Von diesen recht abstrakten, politikwissenschaftlichen Paradigmen folgenden Erklärungen sind konkrete Gründe für den Zerfall Jugoslawiens zu unterscheiden. Marie-Janine Calic unterscheidet zwischen Gründen politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialpsychologischer Natur: Die unbewältigte Vergangenheit der Konfliktlinien und kollektiven Erinnerungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, ethnische Vorurteile und Feindbilder, Verfassungsmängel des jugoslawischen Bundesstaats, regionale Entwicklungsunterschiede sowie sozioökonomische Probleme.26 Calic stellt damit die inneren Entwicklungen in den Vordergrund und führt von der ethnischen Selbstzuschreibung weg. Auf der anderen Seite erscheint in vielen westlichen politologischen Studien der Weg in den Krieg nicht selten »klinisch rein« wie eine Abfolge von äußeren Ereignissen, etwa gescheiterten Gipfelkonferenzen und UN-Resolutionen.27 Der Subtext dieser Studien lautet – mehr oder weniger bewusst – »der Westen« oder »die internationale Gemeinschaft« habe alles versucht, um den Frieden zu bewahren, doch habe sich »der Balkan« gesträubt. So wichtig die – jahrelang gescheiterte – 25

26 27

Subotić, The Cruelty of False Remorse. Kritisch ist zu dem Aufsatz von Subotić allein anzumerken, dass diese auf S. 42 in Bezug auf die angebliche Existenz eines Fotos, auf dem Željko »Arkan« Ražnatović und Biljana Plavšić sich über bosniakische Leichen hinweg begrüssen, diese Information ohne Quellenkritik direkt aus einem Zeitungsartikel übernimmt (Bill Glauber: Sentence hearings start for ›Iron Lady of Balkans‹ vom 17.12.2002). Es gibt zwar Propagandafotos mit Ražnatović und Plavšić und letztere lobte Ražnatović auch in ihren Memoiren, doch scheint das Detail »über den Leichen« nur im übertragenen Sinne von »nach der Schlacht« zutreffend zu sein. Dieser Fall zeigt exemplarisch, dass auch ernstzunehmende politologische Aufsätze nicht als historische Quellen dienen dürfen, zumal die sprachkundigen Fachleute meist selbst als Beteiligte im Schulddiskurs zu klassifizieren sind. Calic, Krieg und Frieden in Bosnien Hercegovina. Pointiert zusammengefasst in: Calic, Gescheiterte Idee. Burg/Shoup, The War in Bosnia-Herzegovina.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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Friedensdiplomatie aus der »Vogelperspektive« auch für die Entwicklung gewesen sein mag, so erscheinen derartige Analysen doch angesichts der Kriegsrealitäten merkwürdig steril und kontrastieren mit den bekannten grausamen Bildern des Krieges: Es entsteht das Paradox einer von der Gewalt losgelösten Gewaltgeschichte. Militärische oder paramilitärische Realitäten, Flüchtlingsströme, Gewalt- und Todesopfer vor Ort treten hinter diplomatischen Gipfeltreffen und Kontaktgruppen in dunklen Anzügen in den Hintergrund oder bilden auch ikonografisch deren Kontrapunkt: Hier der »zivilisierte Westen« – da der »grausame ethnische Krieg im Südosten«.

b) Serbische »Compound Warfare« in der Krajina: Paramilitärische Truppen und Kommandoverantwortung28 Aus der US-amerikanischen Perspektive kritisiert John Mueller die bei Kaplan dominierende Klassifizierung des Jugoslawienkrieges als »ethnischer Krieg«: Weit weniger »jahrhundertelanger Hass« oder »durch Demagogen aufgewiegelte Volksmassen« hätten – so Mueller – demnach den Jugoslawienkrieg bestimmt, sondern vielmehr teilweise sehr kleine von radikalen politischen Führern rekrutierte Gruppen opportunistischer Marodeure bestehend aus Straßenbanden oder Hooligans.29 Die Machtposition ihrer Führer sei eine Folge des politischen Systems und der Ereignisse vor Ort gewesen, habe aber keineswegs der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung entsprochen. Als einen zentralen Beleg hierfür zieht Mueller die jeweiligen Wahlergebnisse und die hohe Anzahl an Deserteuren in der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) heran.30 Diese stark rezipierte und vordergründig auch bestechende Einlassung zwingt zu einer genaueren Betrachtung der Rolle der serbischen Freikorps und Milizen der Jahre 1991 bis 1995. In der Tat sind etwa die Verbindungen des Freikorpsführers Željko »Arkan« Ražnatović31 in das Belgrader HooliganMilieu hinreichend bekannt – allerdings kann diese Tatsache nicht für alle 28 29 30 31

Siehe auch: Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände. Die Auswirkung des kriminellen Milieus betont auch Bennett, Yugoslavia’s Bloody Collapse, S. 164. Mueller, The Banality of »Ethnic War«, S. 50. Željko »Arkan« Ražnatović (1952‑2000) war Präsident des Fan-Clubs des Fuβballvereins »Roter Stern« Belgrad. Dieser diente im Oktober 1990 als Personalreservoir zur Rekrutierung der auch als »Tiger« bekannten »Serbischen Freiwilligengarde« (Srpska dobrovoljačka garda). Diese führte er 1991‑1992 im Kampf im kroatischen OstSlawonien sowie 1993 in Bosnien-Herzegowina. Ražnatović gründete 1993 eine »Partei der Serbischen Einheit«. 1997 wurde Ražnatović vor dem ICTY u.a. wegen durch seine Truppe 1995 in Sanski Most begangener Morde, unmenschlicher Handlungen, Vergewaltigungen, absichtlicher Herbeiführung großen Leids und absichtlicher Tötungen angeklagt. Ražnatović wurde am 15.1.2000 in der Halle des Belgrader Intercontinental Hotels erschossen. Die Hintergründe der Ermordung Ražnatovićs sind nach wie vor unklar und, obwohl der Täter gefasst und verurteilt wurde, Ursache von diversen Spekulationen. Das breit rezipierte Buch »The Remnants of War« sowie der zitierte Artikel Muellers ist im Zusammenhang mit den nach dem Tod Ražnatovićs durch den ICTY freigegebenen Akten der Anklage zu verstehen. ICTY, IT-97-27 (Željko

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II. Kriege und Friedensoperationen

Freikorpsverbände im Balkankrieg und schon gar nicht für alle Kriegsparteien oder für den gesamten Zeitraum auf allen Schauplätzen der Jugoslawienkriege verallgemeinert werden. So richtig die Beobachtung ist, dass (auch) ganz normale Kriminelle direkt für viele Kriegsverbrechen verantwortlich gewesen sind, so falsch wäre es damit die politischen und militärischen Eliten zu exkulpieren. Vielmehr ist nach den Hintergründen für diese Entwicklung zu fragen. Ebenfalls kann keineswegs auf eine spezifische »balkanische Primitivität« des Konflikts geschlossen werden. Auch für diesen Gewaltkonflikt und die darin verübten Verbrechen gilt die unbequeme Erkenntnis, dass unter den Gewaltakteuren auch »gewöhnliche«, ja sogar besonders gebildete Menschen, zumindest in der Rolle der »Schreibtischtäter«, anzutreffen sind. Auch aus westlicher Perspektive wäre eine Verdrängung der erschreckenden geografischen und geistigen Nähe dieser Geschehnisse durch deren Verbannung »in die Schluchten des Balkans«32 verkehrt. Die historische Entwicklung des Jugoslawienkrieges ist ohne die biografischen und militärisch-organisatorischen Faktoren in der korrekten Chronologie der Ereignisse unverständlich, ja sogar irreführend. Auch hier ist die besondere Herausforderung, sich nicht im Dschungel der kriegsbedingten propagandistischen persönlichen Beschuldigungen und Verallgemeinerungen zu verirren – gleichmachende Neutralität im Sinne einer »quotengerechten« Verteilung der Kriegsschuld der Kriegsparteien wäre ebenso falsch wie es notwendig ist jede personenbezogene Angabe quellenkritisch zu hinterfragen. Mueller ist Recht zu geben, dass eine Reduzierung auf das weitverbreitete ethnische Paradigma (»die Serben«, »die Muslime« usw.) nicht ungeprüft hinzunehmen ist und schon gar nicht als monokausale Erklärung taugt. So waren etwa »auf Seiten der Serben« unterschiedliche politische Gebietseinheiten wie (Rest-)Jugoslawien, (Teil-)Republik Serbien, Republika Srpska Krajina oder Republika Srpska aktiv. Innerhalb derselben gilt es wiederum zwischen Regierungen, Parteien, Innenministerien und deren Geheimdienst und Polizei einerseits sowie Verteidigungsministerien und den »regulären« Streitkräften in ihren verschachtelten Strukturen andererseits zu unterscheiden. Die als paramilitärische Gruppen oder Freischaren zu bezeichnenden Gruppen prägten in besonderer Weise das Gesicht der Jugoslawienkriege und waren für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich. Gerade deswegen gilt es aber deren Verbindungen zur politischen oder militärischen Führung in Belgrad, Knin oder Banja Luka zu beleuchten. Allen zentralen Führungspersonen im Jugoslawienkrieg ist gemein, dass sie, wenn auch unter unterschiedlichen Vorzeichen, über eine Vorgeschichte mit Bezug zum kommunistischen Jugoslawien verfügen. Häufig erklären sich die späteren Konfliktlinien und Allianzen aus dieser Zeit. Dies trifft auch teilweise auf die späteren politischen Positionen ab 1990 zu. Viele po-

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Ražnatović), Case Information Sheet. Mueller, The Remnants of War. Ithaca, London 2004. Vgl. Steward, Hunting the Tiger. So der Titel eines wirkmächtigen Romans von Karl May aus dem Jahr 1892.

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litische Führer der Kriegszeit können etwa als ehemalige Dissidenten oder bzw. und als Teil einer häufig korrupten (post-)kommunistischen Oberschicht im Transformationsprozess angesehen werden. Gerade die »serbische Seite« erweist sich bei genauerer Betrachtung dabei als alles andere als politisch homogen; vielmehr erscheint die Berufung auf »das Serbentum« eher als kleinster gemeinsamer Nenner der politischen Akteure. Diese entstammten auffallend häufig der akademischen Elite Jugoslawiens oder aber der kommunistischen Parteinomenklatur. Bei den politischen Führern Ex-Jugoslawiens handelte es sich also weder um »Hooligans« noch um »einfache Kriminelle«. Nicht selten waren die Protagonisten des Krieges akademisch hochgebildet und auch international besonders gut vernetzt – dies erklärt zu einem Teil auch retrospektiv gesehen irrationales Verhalten, wie »Gutgläubigkeit« seitens westlicher Akteure. Im Zuge der Diskurse um die innere Entwicklung hin zum Jugoslawienkrieg sowie auch der Politik im Krieg kommt also der Frage nach der persönlichen Verantwortung der jeweiligen Vertreter der Kriegsparteien eine zentrale Bedeutung zu. Es ist genau diese Verantwortung, die Verschwörungstheorien nach Art der Verteidigung Miloševićs, Kadijevićs oder Plavšićs zu relativieren suchen. Doch auch stark rezipierte westliche politologische Erklärungsversuche, wie diejenigen Mary Kaldors33 oder John Muellers, neigen dazu, die Verantwortung für Krieg und Verbrechen von den gewählten gesellschaftlichen Eliten auf wenige »kriminelle Elemente« umzuschichten. Dies scheint eine oberflächliche Betrachtung der durch das ICTY gefällten Urteile auch zu bestätigen. Hier ist auffällig, dass Verurteilungen aufgrund von Kommandoverantwortung oder von politischer Verantwortung die Ausnahme darstellen und sich die Verurteilungen von Politikern im Wesentlichen auf die nicht anerkannten Serbenrepubliken RS und RSK beschränken.34 Bei genauerer Betrachtung der historischen Akteure zeigt sich indes, dass dieses Bild verzerrt ist. Auf der Ebene der politischen und militärischen Führungspersonen ist zuerst deren internationale Vernetzung hervorzuheben: Beispielsweise gehörte Verteidigungsminister Kadijević zu den wenigen ausgesuchten Offizieren der JVA, die Staatspräsident Marschall Tito (eigentlich Josip Broz) im Rahmen seiner »blockfreien Politik« der 1960er Jahre zur Ausbildung in die amerikanische Offiziersakademie Westpoint geschickt hatte. Milošević35 kann ebenfalls als Angehöriger der kommunistisch-militärischen Elite Jugoslawiens betrachtet werden. Sein Onkel Milisav Koljenšić36 brachte es in der Jugoslawischen Volksarmee bis zum Generalmajor. Während seines Jurastudiums in Belgrad war Milošević als Jugendfunktionär der Kommunistischen Liga aktiv und erhielt anschließend eine Stelle im Stab des bekannten ehemaligen Partisanenführers, Belgrader Parteifunktionärs und 33 34 35 36

Kaldor, New and Old Wars. Dies wurde wiederholt kritisiert, so beispielsweise: Cyrill Stieger, Irritation über das UNO-Tribunal. In: NZZ vom 20.6.2013. Slobodan Milošević (1941‑2006). Milisav Koljenšić (1912‑1963).

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Oberbürgermeisters Branko Pešić.37 Eine enge Verbindung in das partisanennahe Intellektuellenmilieu ergab sich auch durch die familiären Bindungen seiner Frau Mirjana Marković,38 einer promovierten Soziologin und späteren Professorin an der Universität in Belgrad. Nachdem Milošević von 1978 bis 1983 Direktor der damals größten jugoslawischen Bank, der Udružena Beogradska Banka, gewesen war,39 folgte anschließend eine Karriere als eher farbloser politischer Parteifunktionär. Nach Ausbildung und Werdegang zu urteilen, war Milošević zu volkswirtschaftlich-rationalem Handeln in der Lage. Auch verfügte er über zahlreiche Arbeitskontakte in »den Westen«. Kadijević und Milošević waren vernünftig, weltgewandt und intelligent und wussten sich auch auf dem internationalen Parkett zu bewegen.40 Einem größeren Kreis bekannt wurde der spätere Präsident41 der serbischen (Teil-)Republik jedoch erst ab 1987 durch seine radikale antialbanische Kosovopolitik42 und seine erste nationalpopulistische »Amselfeldrede« vom 24. April 1987 an die Serben im Kosovo. Deren Kernsatz kann als wesentlicher Bestandteil einer trotzigen, auf Angst beruhenden bzw. diese verstärkenden nationalserbischen Schutzideologie angesehen werden: »Niemand soll es wagen, euch zu schlagen. Dies ist euer Land, dies sind eure Häuser, eure Felder und Gärten, eure Erinnerungen. Ihr werdet nicht euer Land aufgeben, weil das Leben zu schwierig geworden ist, weil Ungerechtigkeit und Erniedrigungen euch treffen.«43 Diese zentrale Botschaft der »Amselfeldrede« weist eine deutliche Kongruenz mit dem Gedankengut der bosnischen Serbenführer um Radovan Karadžić auf. Auch erklärte Karadžićs Stellvertreterin Plavšić noch im Jahr 2002 den Krieg gegen die Kroaten mit der Angst vor einer Wiederholung des Genozids an den Serben durch das kroatische Ustaša-Regime im Zuge des Zweiten Weltkrieges.44 Die zentrale Botschaft der nationalpopulistischen serbischen Politiker der frühen 1990er lautete, dass Serbien historisch von Feinden (etwa Kroaten und Albanern) eingekreist sei, die nur darauf warten würden, Serbien einzudämmen und auf das Gebiet eines miniaturisierten »Kernserbiens« zu beschränken. Serbien befinde sich also auf einem 37

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Branko Pešić (1922‑1986), Oberbürgermeister von Belgrad 1964‑1974. Pešić gehörte zu den Hardlinern angesichts der Begrader Studentenunruhen des Jahres 1968. Miller, The Nonconformists, S. 155 f. Mirjana Marković (1942‑2019). Marković lebte seit 2003 in Russland. Ihre Memoiren: Marković, Bilo je te ovako. Ab 1991 Beogradska Banka (BeoBanka). Zur Verflechtung der Bank mit dem MiloševićRegime siehe Verordnung (EG) Nr.  1294/1999 des Rates vom 15.  Juni 1999 über das Einfrieren von Geldern und ein Investitionsverbot betreffend die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1295/98 und (EG) Nr. 1607/98. LeBor, Milosevic, CT 2004. Präsident Serbiens (1989‑1997), anschließend bis 2000 Präsident Jugoslawiens. Auffallend ist, dass die Radikalisierung Miloševićs erst nach dem Tod seines Förderers Pešić öffentlich in Erscheinung tritt. Deutsche Übersetzung der Kernsätze der »Amselfeldrede« nach: Michael Martens, Slobodan Milosevic. Ein bedenkenloser Machtmensch. In: FAZ vom 12.3.2006. Biljana Plavšić, At the Bar of Justice. In: Irish Pages, S. 109‑111.

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Rückzugskampf und müsse sich einigen und verteidigen, um auch in Zukunft bestehen zu können. Begründet wurde dies mit einer sehr selektiven Deutung der Geschichte. Ähnlich hervorgehoben wie die Biografien Miloševićs und Kadijevićs, wenn auch in der Zeit des kommunistischen Jugoslawiens mit entgegengesetzten politischen Vorzeichen, erscheint die Biografie von Vojislav Šešelj. Dieser gründete gemeinsam mit dem späteren serbischen Außenminister Vuk Drašković im Jahr 1990 die monarchistisch orientierte »Serbische Erneuerungsbewegung« (Srpski pokret obnove, SPO). Diese Partei bekam bei den Wahlen im Dezember bereits etwa 100  000 Stimmen, wurde daraufhin verboten und als »Serbische Radikale Partei« (Srpska radikalna stranka, SRS) im Februar 1991 neu gegründet. Vuk Drašković hatte sich zuvor im März 1990 von der 1989 entstandenen antikommunistischen ersten Serbenpartei Jugoslawiens, der Serbischen nationalen Erneuerung (Srpska narodna obnova, SNO) unter Mirko Jović (geb. 1959), abgespalten. Der aus der Vojvodina stammende Jović führte u.a. bei der Schlacht um Vukovar den paramilitärischen Verband »Weiße Adler« (Beli orlovi) an. Diese Parteihistorie erklärt auch die Gegnerschaft Šešeljs gegenüber Jović innerhalb des radikalen serbischen Lagers sowie die in diesem Punkt und vor diesem Hintergrund durchaus glaubwürdigen Einlassungen Šešeljs vor dem ICTY, er habe mit den Kriegsverbrechen der »Weißen Adler« nichts zu tun gehabt.45 Šešelj hatte sich bereits als junger Student der Soziologie in Sarajevo von der gesamtjugoslawisch orientierten kommunistischen Partei losgelöst und sich dafür einer serbisch-nationalistischen Ideologie zugewandt. Im Jahr 1979 wurde er 25jährig an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Sarajevo promoviert.46 Die Keimzellen seines späteren Gedankenguts sind schon in den frühen Werken des späteren Dozenten für Politikwissenschaft zu finden: Šešelj beschäftigte sich in seinen Studien mit dem politischen Phänomen »Militarismus und Faschismus«47 sowie mit dem »marxistischen Konzept der Volksbewaffnung«.48 Wegen sogenannten konterrevolutionären Gedankengutes war er 1984 zu acht Jahren Haft verurteilt worden, hatte mittels Hungerstreik im Gefängnis von Zenica auf sich aufmerksam gemacht und wurde durch das Engagement von Amnesty International bereits 1986 entlassen.49 Anschließend unternahm er eine für seine spätere Politik bedeutsame Reihe von Reisen zu serbischen (antikommunistischen) Exilanten in Übersee (Kanada, Australien, USA) und Westeuropa. Der Exilserbe und ehemalige Vertraute des nationalserbisch-monarchistischen Četnik-Führers 45 46 47 48 49

ICTY, IT-03-67-T (Vojislav Šešelj), D 43081 Testimony of Vojislav Seselj, Transcript, 23.8.2005. Vgl. Velikonja, Religious Separation and Political Intolerance, S. 268. ICTY, IT-03-67-T (Vojislav Šešelj), D 25644-26645, Third amended indictment vom 7.12.2007. Šešelj, Politicka suština militarizma i fašizma. Šešelj, Marksistički koncept naoružanok naroda. Reuter/Clewing, Der Kosovo-Konflikt, S.  550; Macfarlane, Human Rights, S.  139; Mueller, The Banality of »Ethnic War«. In: International Security, Vol. 25, No. 1 (Summer 2000), S. 50.

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Draža Mihailović (1893‑1946) Momčilo Djujić50 ernannte Šešelj am 28.  Juni 1989 (600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld) zum Četnik-Anführer (vojvoda). Djujić (1907‑1999) hatte im Zweiten Weltkrieg als Kommandeur der (Četnik) Dinarska Divizija gekämpft. In den komplexen Machtverhältnissen in Dalmatien bekämpfte er (kommunistische) Tito-Kroaten und verbündete sich zeitweise mit der faschistischen italienischen Besatzungsmacht. Er führte im US-Exil die Ravna Gora-Bewegung, eine nationalserbische Exilantenbewegung an. Die Verbindungen zwischen diesen Exilbewegungen und den serbischen Nationalisten etwa in der Vojvodina oder Bosnien zeigt sich beispielsweise darin, dass kurz vor Djujićs Tod dieser noch von der damaligen Präsidentin der RS, Biljana Plavšić, mit dem Orden »Karadjordje-Stern« ausgezeichnet wurde. Šešelj verlieh der zu Friedenszeiten eher gehaltlose Titel des vojvoda eine Berechtigung, seine neue »Serbische Četnikbewegung« der 1990er Jahre in der Tradition der Četniks der Zeit des Königreichs Jugoslawien zu führen.51 In der Folge warb dieser in seiner Funktion als vojvoda mit den Mitteln und der Organisation seiner politischen Partei, der SRS, Männer als Freischärler (Četniks) an. Diese wurden dann in operativer Hinsicht als geschlossene Formationen den regulären Streitkräften – also letztendlich dem Verteidigungsministerium unter Kadijević – unterstellt. Solche Einheiten von Šešelj-Četniks kämpften sowohl unter dem operativen Befehl der Jugoslawischen Volksarmee im Kroatienkrieg als auch unter demjenigen der VRS in Bosnien-Herzegowina.52 Während der Jugoslawienkriege etablierte sich der Begriff Šešeljevči, etwa »Šešeljs Männer«, für die sich selbst als Četniks bezeichnenden serbischen Freiwilligeneinheiten. Dennoch gilt es zu betonen, dass nicht jeder serbische Freikorpskämpfer zugleich ein Anhänger Šešeljs, also ein Četnik im engeren Wortsinn, war. So hat das ICTY festgestellt, dass es sich bei dem als »Tiger« bekannten serbischen Freikorps, »Serbische Freiwilligengarde« (Srpska dobrovoljačka garda) unter Führung von »Arkan« Ražnatović, nicht um durch die ŠešeljPartei SRS angeworbene Freiwillige handelte.53 Auch in Bezug auf die in Bosnien-Herzegowina von Dragoslav Bokan kommandierten und in politischer Hinsicht mit der Srpska narodna obnova (SNO) zu identifizierenden »Weißen Adler« (Beli orlovi) konnte das ICTY keine Kriegskooperation mit den Šešeljevči nachweisen.54 50

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Marko Attila Hoare, Bosnian Serbs and Anti-Bosnian Serbs. In: Bosnia Report 8 (JanuaryMarch 1999). Zu den Mihailović-Četniks siehe: Lucien Karchmar, Draža Mihailović and the Rise of the Četnik Movement 1941‑1945, New York 1987. Tea Sindbæk, The Fall and Rise of a National Hero, Interpretations of Draža Mihailović and the Chetniks in Yugoslavia and Serbia since 1945. Journal of Contemporary European Studies 17, 1 (April 2009), S. 47‑59. ICTY, IT-03-67-T (Vojislav Šešelj), D 25644-26645, Third amended indictment vom 7.12.2007. ICTY, IT-03-67-T (Vojislav Šešelj), Le Procureur c/ Vojislav Šešelj, Jugement, S. 32. Ebd., S. 33 f. Ebd., S. 34 f.

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Dies alles folgt aus dem Selbstverständnis der Organisationen heraus, die sich als Wiederbelebung historischer und in der Zeit des kommunistisch-titoistischen Jugoslawiens verbotener Organisationen betrachteten, auch einer gewissen Logik. Der in Belgrad zum Filmregisseur ausgebildete und als Redakteur tätige Bokan erklärte, seine »Weißen Adler« nach seinem Amerikaaufenthalt (1990) nach dem Vorbild der antikommunistisch-orthodoxen »Weißen Adler« des Zweiten Weltkrieges formiert zu haben.55 »Weiße Adler« war nämlich der Name der militanten Studentenorganisation der von Dimitrije Ljotić gegründeten faschistisch-jugoslawischen Nationalbewegung »Zbor«. Die Ursprünge dieser »Weißen Adler« in der Zeit des Zweiten Weltkrieges sind im Kontext der militanten Bekämpfung des Sporazums, also des Abkommens zur Gewährung einer Autonomie Kroatiens im August 1939, zu begreifen. Weite Teile der »Weißen Adler« gingen im Serbischen Freiwilligenkorps Ljotićs auf. Zu Beginn hieß dieses »Korps« noch »Garde«56, der Name, den Ražnatović in den 1990ern für »seine« als »Tiger« bekannten Freiwilligen gewählt hatte: Srpska dobrovoljačka garda. Das serbische Freiwilligenkorps der Weltkriegszeit hatte bereits früh mit dem nationalsozialistischen Deutschland kollaboriert und war bald von den kommunistischen Tito-Partisanen ebenso bitter bekämpft worden wie die Mihailović-Četniks, das historische Vorbild der Šešelj-Četniks. Im Jahr 1990 lag die Attraktivität solcher historischen Parallelen oder Neugründungen angesichts des Transformationsprozesses im ehemaligen kommunistischen Machtbereich auf der Hand: Jugoslawien schien erneut zu zerfallen und das Modell der titoistisch-kommunistischen Partisanenideologie schien als »Kitt« angesichts des Niedergangs des kommunistischen Machtbereichs somit ebenfalls ausgedient zu haben. Die historische Tatsache der Kollaboration von MihailovićČetniks, Freiwilligengarde und »Weißen Adlern« mit Hitler-Deutschland wurde allerdings verschwiegen oder war den einfachen Mitgliedern gar nicht bekannt – als Kollaborateure galten nur »die Anderen«: Kroaten, Albaner und Bosniaken. Bokan selbst betonte 1993 in einem Interview seine Eigenständigkeit gegenüber Šešelj. Ferner gab er an, dass »seine« Freiwilligen nie für das serbische Innenministerium gearbeitet hätten, da diese die seit 1991 in der Krajina auftretende paramilitärische Truppe der »Roten Barette« bevorzugt hätten. Auch habe er selber seine Truppen nicht im Kampf geführt, jedoch sehr wohl 55 56

Interview im Wortlaut: Dejan Anastasijević, Eagles With Clipped Wings. In: Vreme News Digest Agency, No. 113 vom 22.11.1993. Das historische Vorbild der »Weißen Adler« ist in der westlichen Literatur wenig bekannt. Hinweise finden sich in: Lampe, Yugoslavia as History. Twice There Was a Country, Cambridge 2000, S.  197 und bei Israeli, The Death Camps of Croatia, S.  13. Zur Rolle Ljotićs, der offenbar für Bokan das ideologische Vorbild darstellte, siehe: Sundhaussen, Ljotić, Dimitrije, Handbuch des Antisemitismus, S.  486  f. Zur Kollaboration des serbischen Freiwilligenkorps: Antić, Police Force Under Occupation. Serbian State Guard and Volunteers’ Corps in the Holocaust, S.  12‑36. Einen guten Eindruck der in den 1990er Jahren Konjunktur habenden revisionistischen Sicht auf das Freiwilligenkorps gibt: Munoz, Belgrade’s Best.

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angeworben und organisiert. Diese Einheiten seien dann von der (serbischen) Territorialen Organisation in der Krajina bewaffnet und operativ geführt worden. Bei der Gruppe der »Gelben Wespen« (Žute ose) wiederum handelte es sich um eine etwa 60  Mann starke von Šešelj-Četniks organisierte Gruppe, von denen sich Šešelj aber nach dem durch diese verübten Zvornik-Massaker distanzierte.57 Hier zeigt sich die Problematik, dass es bis heute nicht gelungen ist, eine verlässliche Organisationsgeschichte der unterschiedlichen serbischen Freikorpsbewegungen und ihrer Beziehungen untereinander zu erarbeiten. Der Nachweis der jeweiligen Unterstellungsverhältnisse ist von der Anklageseite vor dem ICTY nur in Einzelfällen angestrebt worden. Auch ist die Rolle der Četnik-Bewegung in den Jugoslawienkriegen der 1990er Jahre bis heute nicht hinreichend erforscht. Auf der einen Seite ist es gerichtlich bewiesen, dass Šešelj (ähnlich wie auch Bokan das für die »Weißen Adler« angab) – trotz seines Titels als vojvoda – nicht die militärischen Operationen »seiner« Četniks geführt hat, sondern diese lediglich den jeweiligen serbischen Staaten als Truppen bereitstellte. Unklar bleibt hingegen, welchen geistigen Einfluss etwa der vojvoda, als Führer der Četniks, dennoch auf »seine« militärischen Formationen ausgeübt hat. Erwähnenswert sind ferner die deutlichen Hinweise auf geistige und finanzielle Unterstützung der ŠešeljČetniks und der »Weißen Adler« durch die jeweiligen exil-serbischen Kreise. Inwieweit die Wiederbelebung von deren Ideologien als Spätfolge einer geheimdienstlichen Förderung serbischer antikommunistischer Kreise aus der Zeit des Kalten Krieges begriffen werden kann, muss zukünftige Forschung klären. Die Befehlsverhältnisse zwischen regulären Streitkräften (JVA, VJ, VRS) einerseits und den serbischen Freikorpseinheiten andererseits sind indes lediglich für den Bereich der VRS bzw. der Territorialen Organisation (TO) der RSK nachgewiesen.58 Freilich entspricht es der Logik der jeweiligen Verteidigung vor Gericht, dass von übergeordneten Instanzen die eigene Kommandoverantwortung für Kriegsverbrechen unterstellter Truppen durch Bestreiten eines Vorgesetztenverhältnisses negiert wird. Ob es also der historischen Wahrheit entspricht, dass ausgerechnet immer diejenigen Freikorpseinheiten, die in besonderer Weise an Kriegsverbrechen schuldig geworden sind, gewissermaßen in einem »Befehlsvakuum« agierten, aber dennoch den strategischen Zielen der regulären Streitkräfte Jugoslawiens und der politischen Führung Serbiens zuarbeiteten, erscheint fragwürdig. Eine Klärung muss zukünftiger Forschung vorbehalten bleiben.59 Bezeichnend ist ICTY, IT-03-67-T (Vojislav Šešelj), Le Procureur c/ Vojislav Šešelj, Jugement, S. 36‑38. Ebd., S. 30‑32. Das Urteil stellt fest, Šešelj sei zwar gegenüber seinen Četniks eine »autorité morale« gewesen, doch seien diese nicht seine »subordonnés sur le théâtre des opérations militaires« gewesen (Zitat S. 32). 59 Vgl. Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände. Hier zeigt sich die Problematik der Gerichtsakten des ICTY als Quelle. Alle Fälle, die dazu geeignet gewesen wären, eine Verbindung zwischen der Belgrader militärischen und politischen Führung einerseits und den in der RS agierenden Freikorps zu belegen, wurden aufgrund des Todes der Angeklagten eingestellt und diese Frage wurde daher nicht wei57 58

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beispielsweise in diesem Zusammenhang die Problematik der Zuordnung einer besonders brutalen Gruppe im ostbosnischen Višegrad – dem Ort, der für die berühmte »Brücke über die Drina«60 bekannt ist. Das ICTY verurteilte im Fall »Milan und Sredoje Lukić« diese zu lebenslänglicher Haft bzw. 30 Jahren, doch konnten die Verurteilten weder eindeutig der Gruppe der »Weißen Adler« noch derjenigen der »Rächer« (ovetnici) zugeordnet werden. Unklar bleibt im Urteil auch, ob es sich bei den »Rächern« – offenbar einer lokalen Gruppe aus der Gegend um Višegrad – um eine Untergruppe der überregionalen »Weißen Adler« handelte. Möglicherweise war dies für die »Rächer« selbst auch gar nicht wichtig. Entsprechend wurde der Kommandeur der »Weißen Adler« vor dem ICTY bis heute nicht angeklagt. Der Versuch, anhand von Uniformstücken und Abzeichen eine Zuordnung vorzunehmen, scheiterte an der uneinheitlichen Kennzeichnung und den Phantasieuniformen der angeklagten ehemaligen Freikorpskämpfer. Da Zeugen neben dem Abzeichen des »weißen Doppeladlers« (dem Abzeichen der »Weißen Adler«, aber auch dem Wappen der RS) auch von Totenkopfabzeichen auf Pelzmützen und Käppis (ein traditionelles Abzeichen der Četniks) aber auch von einer Totenkopffahne mit der Aufschrift ovetnici berichteten, blieb die Zuordnung widersprüchlich und somit gerichtlich nicht verwertbar.61 Die bewiesene Tatsache, dass die Freikorpskämpfer sich gerne mit besonders martialischen Attributen schmückten und ihre Abzeichen aus dem Fundus paramilitärischer Gruppen des Zweiten Weltkrieges auch frei variierten, ist jedoch von der Warte des Militärhistorikers aus (nicht des Richters, für den im Zweifel die Unschuldsvermutung gilt) kein Beweis dafür, dass es keine Unterstellungsverhältnisse gegeben hat. Solche sind nicht zuletzt, weil es sich bei einem der Lukić-Vettern um einen Polizisten handelte, im Bereich des »Innenministeriums« der RS anzunehmen. Diese Frage, die für die juristische Verurteilung der Lukić-Vettern keine Rolle spielte, da die Beweislast der individuellen Taten – darunter mehrfacher Mord – ohnehin bereits erdrückend war, ist aber in historischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht sehr wohl bedeutend.

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ter verfolgt. Dies stellte bereits Marko Attila Hoare in seinem Blog »Greater Surbiton« angesichts der Verhaftung Ratko Mladićs fest. Vgl. Suljagić, A Rebellion under JNA Patronage. Emir Suljagić (geb. 1975) war 2002 bis 2004 Berichterstatter beim ICTY und trägt in diesem Artikel Beweise für eine Steuerung der Entwicklungen in der RS und RSK durch die JVA zusammen. Suljagić, der durch sein eindrucksvolles Selbstzeugnis »Postcards from the Grave«, London 2005 bekannt wurde, war ein bosniakischer Flüchtling aus dem Drina-Tal, der 1992 Zuflucht in der Enklave Srebrenica gefunden hatte und dort als Übersetzer für die UN arbeitete, was ihm ermöglichte, angesichts des Massakers von Srebrenica (1995) die eingeschlossene Stadt zu verlassen. Auch wenn diese Biografie an der Neutralität der Einlassungen Suljagićs Zweifel aufkommen lassen könnte, so ist die Argumentation in dem zitierten Artikel eingängig und mit verschiedenen Anklageschriften des ICTY kongruent. Eine Bestätigung dieser These ist indes in Urteilen des ICTY nicht zu finden. Bekannt durch den Roman des Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić (1892‑1975). Andrić, Die Brücke über die Drina. ICTY, IT-98-32/I-T (Milan Lukić, Sredoje Lukić), D  12884‑12880, Prosecutor v.  Milan Lukić, Sredoje Lukić, Judgement vom 20.7.2009.

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Hier geht es ein weiteres Mal um die Feststellung, wie die Verantwortung der Partei- bzw. Staatsführer in der Republik Serbien sowie in den autonomen Serbenrepubliken einschließlich der führenden Militärs dieser Staaten bzw. Para-Staaten zu bewerten ist. Angesichts hoher Elitenkontinuitäten im heutigen Serbien wird klar, dass die Aufarbeitung gerade solcher Fragen schwierig bleibt. Ähnliches gilt für den Fall der mit den »Weißen Adlern« konkurrierenden Gruppe der Šešelj-Četniks. Hier führte das Fehlen eines Beweises einer Befehlskette zwischen Šešelj und den »Gelben Wespen« zum Freispruch des Angeklagten, obwohl die Verbrechen der »Gelben Wespen« eindeutig bewiesen und letzteren zugeordnet werden konnten. Daraus folgt auch hier, dass keine Verbindung zwischen der Führung aus Belgrad zu dieser lokal in Ostbosnien agierenden paramilitärischen Gruppe bewiesen werden konnte. Dies heißt indes nicht, dass es keine – freilich kaum juristisch greifbare – zumindest geistig-moralische Verbindung gegeben hat.62 Während also die Verbindungen der um radikalnationale Parteien entstandenen Šešelj-Četniks und der »Weißen Adler« in den autonomen Serbengebieten zu den Führungsspitzen Belgrads noch durch historische Forschung zu be- bzw. widerlegen sein werden, ist die komplizierte Frage der Kommandoverantwortung in den Fällen der Serbischen Freiwilligengarde (»Tiger«) und der »Roten Barette« (Crvene beretke, zuvor Kninže) bereits heute weitestgehend klar zu beantworten: Zum engeren Machtumfeld Miloševićs gehörten der Chef des serbischen Staatsicherheitsdienstes Jovica Stanišić63 sowie der Kommandeur der Spezialtruppen des Innenministeriums Radovan »Badža« Stojičić.64 Stanišić studierte Politikwissenschaft und Recht, wurde 1974 in die serbische Polizei übernommen und stieg bald in der Spionageabwehr der serbischen Staatssicherheit auf. Ab 1991 übernahm er faktisch den serbischen Staatssicherheitsdienst und wurde zum Jahreswechsel 1991/1992 zu dessen Direktor ernannt. Somit unterstand ihm die Abteilung für Spezialoperationen des Staatssicherheitsdienstes, die wiederum von Franko »Frenki« Simatović65 geführt wurde. Diese Abteilung war formell von der Durchführungsebene des Kommandeurs der Spezialtruppen, also Stojičić, getrennt. Die Beziehung zwischen Simatović und Stojičić ist in etwa wie diejenige einer Stabsabteilung gegenüber einer Truppenformation. Stojičić hatte sich Milošević bereits 1989 als »Mann der Tat« empfohlen, als er den politischen Streik im Trepča-Bergwerk im kosovarischen Mitrovica66 durch Einsatz sei62

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Der Freispruch Šešeljs wurde von Opferverbänden aber auch von vielen mit der Thematik vertrauten Forschern als »Schlag ins Gesicht« empfunden. Beispielhaft siehe hierzu: Subotić, How Seselj’s Vedict Got History Terribly Wrong. Auch wenn der moralischen Argumentation Subotićs weitestgehend rechtgegeben werden kann, so ist darin der dort aufzufindende sachliche Fehler hervorzuheben, dass die »Weißen Adler« eben nicht durch Šešeljs SRS, sondern durch Jovićs SNO organisiert wurden. Jovica Stanišić (geb. 1950), persönliche Angaben nach ICTY, IT-03-63 T. Radovan »Badža« Stojičić (1951‑1997). Franko Simatović (geb. 1950), persönliche Angaben nach ICTY, IT-03-63 T. Serb. Kosovska Mitrovica, alb. Mitrovicë. Die wirtschaftliche Bedeutung der Bergwerke erklärt auch – neben aller Nationalideologie – wieso ausgerechnet dieses Gebiet im Fokus

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ner Spezialtruppe beendet hatte. Dieser von Hungerstreiks begleitete Streik war die wohl potentiell erfolgversprechendste Reaktion der gewaltlosen kosovoalbanischen Bürgerrechtsbewegung unter Ibrahim Rugova67 gegen die einseitige Abschaffung des Autonomiestatus des Kosovo durch Milošević gewesen. Das wirtschaftliche Hauptinteresse der serbischen Regierung galt damals im Kosovo dem Erhalt des Zugriffs auf die Ressourcen des TrepčaBergwerks. Das schnelle, da effektive, aber verhalten brutale Vorgehen der Spezialkräfte unter persönlicher Führung Stojičićs vor Ort zeigte bereits 1989, wie die Sicherheitsorgane der serbischen Regierung mit den Gegnern der politischen Linie Miloševićs umzugehen bereit waren. Zwei Jahre später war es wiederum Stojičić, der als Kommandeur die Territoriale Organisation (TO) in der SAO68 SBWS – des autonomen Serbischen Oblast Slawonien, Baranja und West Syrmien im Osten Kroatiens – aufbauen und befehligen sollte.69 Die SAO SBWS umfasste etwa das Gebiet der kroatischen Gespanschaften (Županije) Vukovar-Syrmien und Osijek-Baranja und trat schließlich im Februar 1992 der – aus dem SAO Krajina hervorgegangenen – Republika Srpska Krajina bei.70 Nach der Eroberung des 27 km ostwärts von Osijek gelegenen Ortes Erdut durch die JVA traten erstmalig Angehörige der Serbischen Freiwilligengarde (»Tiger«) unter dem Kommando Ražnatovićs (»Arkan«) in der Krajina auf. Dieses Freikorps war bereits am 11.  Oktober 1990 gegründet worden und stand früh mit dem Innenminister Jugoslawiens (also nicht Serbiens)71, Generaloberst a.D. Petar Gračanin, in Verbindung.72 Gračanin – ehemaliger Chef des Generalstabs der JVA und als Präsident des Präsidiums Serbiens73 (1987‑1989) gewissermaßen der Amtsvorgänger Miloševićs –, der bereits aus Altersgründen aus dem aktiven Dienst in der JVA ausgeschieden

67 68 69 70

71

72 73

der nationalistischen Politik Miloševićs stand und heute noch zu den Brandherden des Kosovo gehört. Ibrahim Rugova (1944‑2006), Präsident der Republik Kosova 1992‑2000 und 2002‑2006. Srpska autonomna oblast, dt. serbische autonome Oblast (Oblast entspricht der Bezeichnung Gebiet oder Provinz). ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 625. Der SAO Krajina wurde am 21.12.1990 ausgerufen. Am 19.12.1991 wurde der SAO Krajina zur Republika Srpska Krajina (RSK). Am 26.2.1992 traten durch einseitige Erklärung die SAO West Slawonien und SAO Slawonien, Baranja West-Syrmien der RSK bei. ICTY, IT-95-11 (Milan Martić), The Prosecutor of the Tribunal against Milan Martić. Ammended Indictment vom 14.7.2003. Vgl. Caspersen, Contested Nationalism, S. 83. Serbischer Innenminister war 1990 Radmilo Bogdanović (1934‑2014). ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 620. ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v.  Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 620. Sowohl auf Bundesebene (Jugoslawien) als auch auf der Ebene der Teilrepubliken war der jeweilige Predsednik Predsedništva, übersetzbar als Präsident des Präsidiums oder auch Präsident der Präsidentschaft, der starke Mann. Bis 1963 führte auf Bundesebene Tito als Generalsekretär des Exekutivkomitees der KP, ab da und bis zu seinem Tod 1980 als Präsident des Präsidiums. Der Wechsel erfolgte im Rahmen des zunehmenden Personenkults und in Unterscheidung zur Sowjetunion.

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war, kann zu diesem Zeitpunkt als eine Art »graue Eminenz« der jugoslawischen Streitkräfte verstanden werden. Er war einer der letzten Generale mit Partisanenvergangenheit und wurde 1999 von Milošević zum Armeegeneral (vergleichbar Feldmarschall) der Reserve ernannt.74 Ab Mai 1991 bestand dann offenbar eine direkte Verbindung zwischen Ražnatović und dem Direktor der serbischen Staatssicherheit, Stanišić. Spätestens zum Zeitpunkt ihres Auftretens in Erdut war »Arkans« Serbische Freiwilligengarde Stojičić unterstellt und unterstand damit der Territorialen Organisation (TO) der SAO SBWS.75 Es ist ferner erwiesen, dass diese Freiwilligentruppe durch die JVA versorgt wurde.76 Auffällig ist darüber hinaus, dass, nachdem Stojičić das Kommando über die TO abgegeben hatte, die Unterstellung unter diese Organisation von Zeugen als »nur auf dem Papier vorhanden« dargestellt wird,77 was für eine fortbestehende enge Verbindung mit der serbischen Staatssicherheit, dem Arbeitgeber Stojičićs, spricht. Etwa zeitgleich mit der Entsendung Stojičićs in die SAO SBWS wurde Simatović im April 1991 gemeinsam mit Dragan Vasiljković78 (später bekannt als »Kapetan Dragan«) durch den serbischen Geheimdienst nach Knin in die SAO Krajina kommandiert, um an einer Besprechung mit Milan Martić, dem damaligen »Innenminister« der SAO Krajina, teilzunehmen.79 Simatović wurde in Analogie zu Stojičićs Rolle im SAO SBWS Kommandeur der Territorialen Organisation (TO) in der SAO Krajina. Das staatssicherheitsinterne Vorgesetztenverhältnis Simatovićs gegenüber Stojičić spiegelt sich auch in der Hierarchie der SAOs wieder: Die SAO Krajina war bis zum Beitritt der SAO SBWS gewissermaßen die »Leit-SAO«, eine Rolle, die später die Republika Srpska (RS) übernehmen sollte. Auch Vasiljković verblieb in Knin, wo er die als Knindže – dem Plural von Kninža, einem Wortspiel aus »Knin« und »Ninja« – bekannt werdende Spezialeinheit der TO der SAO Krajina aufbaute. Dabei entsprach die Rolle Vasiljkovićs in der SAO Krajina in etwa derjenigen Ražnatovićs in der SAO SBWS, was für ein zentral aus Belgrad geführtes Organisationsmuster spricht. Vasiljković war als 14jähriger mit seiner Familie aus Serbien nach Australien ausgewandert, wo er als Daniel Snedden aufgewachsen war. Er hatte vier Jahre in der Australian Army Reserve dem Territorialheer Australiens gedient und war anschließend als 74 75 76

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Petar Gračanin (1923‑2004) Vgl. Magaš/Žanić/Malcolm, The War in Croatia and BosniaHerzegovina, S. 26. Ebd., S. 625. Ebd., beispielsweise S. 213, 221, 639. Die Angaben über die Finanzierung sind widersprüchlich, doch erhielt die Serbische Freiwilligengarde Waffen, Ausrüstung sowie fliegerische und logistische Unterstützung durch die JVA, was für eine Art Anweisung auf Zusammenarbeit, Attachierung oder temporäre auftragsbezogene Unterstellung unter diese spricht. ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v.  Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 625. Zu Dragan Vasiljković siehe . ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v.  Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 78.

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Militärberater in Afrika und Südamerika tätig. Nachdem Snedden/Vasiljković eine gewisse Bekanntheit als Weltumsegler erlangt hatte, ließ er sich während der politischen Umbruchszeit in Belgrad unter seinem Jugendnamen Dragan Vasiljković nieder. Seine Knindže traten ab Juli 1991 auf den Gefechtsfeldern im ehemaligen Jugoslawien auf und erhielten – nachdem sie ihre Feuertaufe im Kampf um Glina (Krajina) bestanden hatten – die roten Barette, die für diese Truppe bald namensgebend wirken sollten.80 Die Knindže wurden Ende 1991 den Streitkräften der Republika Srpska Krajina unterstellt und traten danach nur noch unter dem Namen Crvene Beretke (Rote Barette) auf.81 Allerdings muss betont werden, dass sich im Verlauf des Krieges immer mehr lokale Einheiten aufgrund ihrer schreckeneinflößenden Wirkung roter Barette bedienten, ohne dabei unbedingt Spezialtruppen zu sein. Dragan Vasiljković wurde im Jahr 2010 in Australien, wo er seit 2003 wieder unter seinem Jugendnamen Daniel Snedden gewohnt hatte, festgenommen und im Jahr 2015 nach Kroatien ausgeliefert. Dort wurde er 2017 zu 15 Jahren Haft verurteilt und im März 2020 nach Verbüssen von angerechneten 13 Jahren Haft entlassen.82 Die Geschichte der Festnahme Sneddens, der offen als Golflehrer in Australien arbeitete und in Belgrad öffentlich auftrat, beginnend mit einem Zeitungsartikel zweier australischer Nachwuchsjournalisten,83 des Beschlusses des ICTY, den Hinweisen auf Sneddens Kriegsverbrechen nicht mehr nachzugehen, über die Verleumdungsklage Sneddens gegen die Zeitung »The Australian« und die kroatischen Auslieferungsbemühungen harrt noch der histografischen Aufarbeitung.84 Sie übersteigt jedoch bei weitem den Rahmen dieser Studie. Für die Bewertung der Einflussnahme der Republik Serbien auf die Geschehnisse in der SAO Krajina ist bezeichnend, dass sich bereits im Januar 1991 Milan Martić, damals »Innenminister« der SAO Krajina,85 und der serbische Staatssicherheitschef Stanišić über militärische Ausbildungshilfe in Form der Errichtung eines Trainingslagers in Golubić (Krajina) einigten.86 Mit dem Aufbau des Ausbildungszentrums wurde Simatović betraut. Nachdem im April 1991 der Premierminister der SAO Krajina, Milan Babić,87 80 81 82

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Ebd., S. 498. ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 470. 15 Jahre Haft für serbischen Rebellenführer Dragan Vasiljkovic. In: Deutsche Welle vom 26.9.2017. Serbischer Warlord in Australien gefasst. In: Tages-Anzeiger vom 13.5.2010. Ex-Milizenführer »Kapetan Dragan« ist frei. In: Süddeutsche Zeitung vom 29.3.2020. Natasha Robinson, Paige Taylor: Serbian death squad commander alive and well and teaching golf in Perth. In: The Australian vom 8.9.2005. Natasha Robinson: Serbia offers to try Dragan Vasiljkovic. In: The Australian vom 8.1.2015. ICTY, IT-95-11 (Milan Martić), The Prosecutor of the Tribunal against Milan Martić, Ammended Indictment vom 14.7.2003. ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 463. Milan Babić (1956‑2006), Ministerpräsident der SAO Krajina, später Gründungspräsident der Republika Srpska Krajina.

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das Innenministerium der Republik Serbien auch formell um technische und personelle Unterstützung für die Aufstellung von Streitkräften gebeten hatte,88 begann die Ausbildung in Golubić mit Simatović als Kommandant und Vasiljković als »Cheftrainer«. Die Bereitstellung des militärischen Geräts und weiterer Ausrüstung erfolgte ebenso wie die Finanzierung der Ausbildungsinfrastruktur durch Stanišić.89 Die Rolle Vasiljkovićs ist indes, im Gegensatz zu Simatović, wohl weniger als Beamter des serbischen Staatssicherheitsdienstes denn als diejenige eines military enterprizer oder informellen Mitarbeiters im Dienst desselben zu verstehen. »Kapetan Dragan«/ Vasiljković/Snedden entwickelte einen Plan, wie in einer Art Schneeballsystem paramilitärische Führungskader ausgebildet werden sollten, die dann, nach ihrer Ausbildung in Golubić, als lokale Führer in ihren Heimatgebieten wiederum neue lokale Truppen aufzustellen hatten. Dieser Plan wurde auch umgesetzt: In einem 21-Tage-Kurs und einem anschließenden 14-Tage-Kurs im Lager Golubić bildete »Kapetan Dragan« 750 lokale Multiplikatoren (Führungskader) aus. Aus diesen wählte er wiederum 63 Männer aus, die in Golubić fortan als Ausbilder fungierten, bis sie bei den Kämpfen in Glina im Sommer 1991 seine Spezialtruppe der Knindže / Crvene Beretke bildeten.90 Diese erst durch das Urteil im ICTY-Prozess gegen Stanišić und Simatović im Jahr 2013 belegten Fakten zeigen – trotz des erfolgten Freispruchs dieser beiden Geheimdienstoffiziere in erster Instanz –, dass seit Beginn des Jahres 1991 die Militarisierung des Konflikts in den autonomen Serbengebieten der jugoslawischen (Teil-)Republik Kroatien gezielt durch die serbische Staatssicherheit vorangetrieben und organisiert wurde. Die dort eingesetzten paramilitärischen Einheiten »Tiger« und »Rote Barette« wurden zwar von military enterprizers (Ražnatović und Vasiljković) geführt, verfügten aber über organisatorische Verbindungen und allgemeine fachliche Unterstellung unter die serbische Staatssicherheit und waren in militärisch-operativer Hinsicht Verbänden der JVA unterstellt, bis diese aus der Krajina abzog und die Freikorpseinheiten an die Republika Srpska Krajina übertragen wurden, ohne aber dabei ihre Beziehungen zur Staatssicherheit der Republik Serbien zu verlieren. Der Freispruch der beiden serbischen Geheimdienstoffiziere ist ein Hinweis auf die Kommandoverantwortung der Führung der Jugoslawischen Volksarmee – letztlich auf die Person Kadijevićs. Geheimdienstliche Verbindungen sind indes nur schwer belegbar. Beide Komplexe gilt es in zukünftiger Forschung noch eingehend zu untersuchen. Jedoch steht bereits heute (2020) fest, dass der simple exkulpierende Hinweis auf die »Eigenständigkeit« oder das »kriminelle Milieu« der paramilitärischen Truppen in Bezug auf ihr verbrecherisches Verhalten auf dem Gefechtsfeld sowie gegenüber Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung nicht mehr haltbar ist. Zumindest gilt hier das Problem der »Geister, die ich rief«. 88 89 90

ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 468. Ebd., S. 473 f. Ebd., S. 484‑491.

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Es ist der langjährigen Konzentration der Anklage unter Carla del Ponte auf den spektakulären »Fall Milošević« geschuldet, dass für solche erst heute erkennbaren Zusammenhänge keine hohen Vertreter der JVA bzw. VJ mehr angeklagt oder als Zeitzeugen befragt werden können – sie sind inzwischen verstorben. Für die historische Forschung bedeutet die fehlende Anklage auch, dass es keinen frei zugänglichen einschlägigen Quellenfundus gibt, um die Rolle der JVA systematisch aktengestützt zu beurteilen. Es ist also eine »Schieflage« in Bezug auf die durch das ICTY produzierten Akten entstanden, die sich noch viele Jahre auf die Bewertung der Rolle des regulären Militärs auf »serbischer Seite« auswirken wird. Der Fall »Jovica Stanišić & Franko Simatović« wurde in der zweiten Instanz, nachdem beide Angeklagten in der ersten Instanz vor dem ICTY im Jahr 2013 freigesprochen worden waren, im Sommer 2017 vor dem UN International Residual Mechanism for Criminal Tribunals (MICT) wieder eröffnet und dauert bis heute (2020) an.91 Der Fall Stanišić und Simatović ist aber auch symptomatisch für die methodischen Herausforderungen der neuesten Militärgeschichte, bei der eben das »letzte Urteil noch nicht gefällt« und Akten nur bruchstückhaft zugänglich sind. Der Fall Vasiljković/Snedden zeigt, dass ein durch ein kroatisches Gericht gefälltes Gerichtsurteil (2017) es kaum über die internationale Nachrichtenschwelle geschafft hat. Allerdings »produzierten« die Prozesse und das Auslieferungsverfahren zehntausende von Aktenseiten, die der Aufarbeitung durch Historiker harren. Die Tatsache, dass Strafprozesse – über ein Vierteljahrhundert nach den Geschehnissen – noch nicht abgeschlossen sind, verbietet einerseits freilich eine (Vor-)Verurteilung durch den Historiker. Andererseits ist der Autor der festen Überzeugung, dass auch aus forschungsethischen Gründen dies den Zeithistoriker nicht von der historischen Untersuchung abhalten darf – Verurteilungen sind ohnehin nicht das Metier des Militärhistorikers. Richtsprüche können aber nicht Geschichtsschreibung, mit dem Ziel, die Vergangenheit zu begreifen, ersetzen. Die Aussicht, dass Forschungsergebnisse zukünftig möglicherweise revidiert werden müssen, ist wiederum kein Spezifikum der neuesten Militärgeschichte. Mehrfach nachweisbar ist eine lokale »Arbeitsteilung« zwischen regulären Streitkräften und angeworbenen Privat-Milizen. Der organisatorische Überbau auf oberster Führungsebene scheint eine Aufgabe der Staatssicherheit gewesen zu sein, wie das nicht selten in autoritären Regimen der Fall ist. Wie bereits festgestellt wurde, war zwischen Anfang 1991 und Mai 1992 die Zusammenarbeit zwischen autonomen Serbengebieten, serbischer Staatssicherheit und JVA deutlich sichtbar. Milan Babić, erster Präsident der Republika Srpska Krajina, ein promovierter Zahnarzt, der, nachdem er 1989 als einer der Direktoren das Ärztezentrum in Knin geführt hatte, ab 1990 als radikaler Serbenpolitiker (SDS) als erster Ministerpräsident der SAO Krajina fungierte, erklärte die Zusammenarbeit zwischen JVA und den 91

MICT-15-96 (Jovica Stanišić, Franko Simatović), .

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Milizen des Innenministeriums als »Dreiklang«: Erstens sei es die Aufgabe der Polizeikräfte, der Staatssicherheit und der Freiwilligen gewesen, die kroatischen Polizeikräfte anzugreifen, und so (zweitens) zu Gegenmaßnahmen zu provozieren, so dass (drittens) die JVA als »neutrale Friedenstruppe« der jugoslawischen Bundesebene »Pufferzonen« zwischen den Konfliktparteien schaffen konnte, aus denen unter dem Schirm der JVA die Freiwilligen – gewissermaßen als »Volkszorn« oder Kollateralschaden getarnt – die ethnisch kroatische Bevölkerung vertrieben.92 Die Aussagen Babićs vor dem ICTY hätten im Prozess gegen Milošević eine bedeutende Rolle spielen sollen. Durch den Tod Miloševićs aber wurde diese Beweisführung vor Gericht nie bestätigt. Milan Babić nahm sich schließlich in der Haft das Leben. Dies geschah noch bevor die Aufnahme der Zeugenaussage gegen seinen ehemaligen Innenminister, Verteidigungsminister und Amtsnachfolger als Präsident, Milan Martić, zu Ende gebracht werden konnte. Šešelj rühmte sich angesichts seines Freispruchs vor dem ICTY im Jahr 2016, er habe den »Verräter« Babić in den Tod getrieben.93 Auch wenn man dies als polternde Übertreibungen eines Radikalen abtut, so beleuchtet dies doch die Interessenlage der ehemaligen politischen Führungsschicht Belgrads aus Kriegszeiten in Bezug auf das gewünschte Narrativ zu den Jugoslawienkriegen. Die Zahl der gewaltsamen Todesfälle und Selbstmorde unter führenden serbischen Akteuren der Kriegszeit ist auffällig. Prominenteste Fälle sind die bis heute letztlich ungeklärten Morde auf offener Straße an Stojičić (1997) und Ražnatović (2000). Es bleibt also Aufgabe zukünftiger Geschichtsschreibung, zumindest die Rollen folgender führender JVA bzw. VJ-Offiziere in den Jugoslawienkriegen kritisch zu erforschen: Auf den als ehemaliger Stabschef der JVA in der serbischen Politik der Transformationszeit bedeutenden Amtsvorgänger Miloševićs und Innenminister Jugoslawiens zu Kriegsbeginn, Armeegeneral Gračanin, und den Verteidigungsminister Jugoslawiens, Armeegeneral Kadijević, wurde bereits verwiesen. Ferner wäre Generaloberst Blagoje Adzić (1932‑2012), Generalstabschef der JVA 1989‑1992 und ehemaliger Absolvent der Frunze-Akademie (Jahrgang 1969), insbesondere auch in Bezug auf seine Verbindungen zu Russland zu beleuchten. Ebenso der Einfluss seines Nachfolgers im Amt vom 28. Mai 1992 bis August 1993, Generaloberst Zivota Panić (1933‑2003), scheint eine Untersuchung Wert zu sein – nicht zuletzt, da dieser für die Kriegführung bei der Schlacht für Vukovar verantwortliche Panzergeneral die Umorganisation der JVA in die VJ leitete. Damit wäre 92 93

Ebd., S. 75‑77. Wörtlich sagte Šešelj: »Meine Feinde, die ich gehasst habe, waren jene Serben, die Deals mit der Anklagebehörde geschlossen und für eine geringere Strafe gegen andere ausgesagt haben, Verräter wie Milan Babić zum Beispiel, der ehemalige Präsident der Republik Serbische Krajina. Babić hat vor allem meinetwegen Selbstmord begangen. Ich habe ihn derart beleidigt und beschimpft, dass er es nicht mehr aushielt. Und der bosnische Serbenführer Miroslav Deronjić hat letztlich vor allem dank meiner Schikanen und Misshandlungen Knochenkrebs bekommen, an dem er starb. Und es tut mir um keinen leid.« Wortlaut des Interviews Michael Martens (FAZ) mit Vojislav Šešelj: Michael Martens: Im Gespräch mit einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher vom 30.3.2016.

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auch ein Erkenntnisgewinn über die Doppelbödigkeit der Maßnahmen im Zusammenspiel mit der Staatssicherheit nach Abzug der regulären Streitkräfte (JVA/VJ) aus den autonomen Serbengebieten zu erwarten. Interessant wäre ferner die Rolle des Kadijević Stellvertreters, Admiral Stanislav Brovet (1930‑2007). Dieser hatte unter anderem als Attaché an den jugoslawischen Botschaften in Rom und London gedient und schließt den Kreis der mit den westlichen Eliten gut vernetzten Belgrader Militärführung. Der Anführer der Milicija Krajina, der paramilitärischen serbischen Miliz in der Republika Srpska Krajina, und spätere (dritte) Präsident dieses serbischen Staats in Kroatien, Milan Martić (geb. 1954), passt weder in das Raster der Politiker aus der serbisch-kommunistischen Elite noch in das Bild Muellers, dass die Freikorpsführer schlicht Kriminelle gewesen seien: Er ist vielmehr als Polizeibürokrat zu verstehen. Martić hatte Ende der 1970er Jahre die Polizeiakademie in Zagreb besucht und anschließend eine Polizeikarriere in der kroatischen (Teil-)Republik durchlaufen, wo er 1990 bis zum Oberinspektor im kroatischen Innenministerium aufstieg.94 Nach 1990 war Martić Polizeichef der Kleinstadt Knin, dem regionalen Zentrum in der Krajina mit damals knapp über 10 000 Einwohnern und einer Landgemeinde mit rund 15 000 Einwohnern, sowie Stationschef von Šibenik. Aus dieser Position heraus baute er die – auch als Martićevski, also Martić-Männer, oder auch »Martić-Polizei« bezeichnete – serbische »Krajina-Polizei« in der SAO Krajina auf. Trotz der Bezeichnung »Polizei« handelte es sich eher um die Privattruppe Martićs, als um eine kodifiziertes Recht exekutierende Ordnungsmacht. Hinzuweisen ist dabei auf den zeitlichen und wohl auch inhaltlichen Zusammenhang der Ereignisse. Zeitgleich mit der bereits erwähnten Besprechung im Januar 1991 mit den Staatssicherheitsoffizieren Stanišić und Simatović wurde Martić von Babić zum »Innensekretär der SAO Krajina« ernannt und diesem somit die (serbischen) Polizeikräfte der SAO-Krajina inklusive der ohnehin schon von diesem kommandierten »Martić-Polizei« unterstellt. Damit wurde die bereits vorhandene und auf eben dieser »Polizeitruppe« beruhende faktische Macht Martićs formalisiert. Am 1.  April 1991 beschloss das Exekutivkomitee der SAO Krajina sich an die Republik Serbien anzuschließen. Es begannen die erwähnten Kurse in Golubić, bei denen auch die »Martić-Polizei« zu einer militärischen Truppe umgebildet wurde. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen war, ernannte der – am 30. April 1991 durch das Exekutivkomitee inzwischen zum Präsidenten bestimmte – Babić seinen »Innenminister« Martić am 29. Mai zum »Verteidigungsminister« der SAO Krajina. Die nun in Milicija Krajine umgebildete Martić-Polizei wurde dem »Verteidigungsministerium« – also wiederum Martić – unterstellt.95 Der Aufstieg Martićs entsprach also nicht ei94 95

ICTY, IT-95-11 (Milan Martić), The Prosecutor of the Tribunal against Milan Martić, Ammended Indictment vom 14.7.2003. Ereignisse und Chronologie nach: ICTY, IT-95-11 (Milan Martić), The Prosecutor of the Tribunal against Milan Martić, Ammended Indictment vom 14.7.2003, in Verbindung mit: ICTY, IT-03-69 T (Jovica Stanišić, Franko Simatović), Prosecutor v. Jovica Stanišić, Franko Simatović, Judgement vom 30.5.2013, S. 460‑477.

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nem – wie auch immer geäußerten – »Volkswillen« der Serben in der Krajina, sondern beruhte auf der, durch die Staatssicherheit der Republik Serbien geförderten, bewaffneten Macht seiner Martićevski. In diesem Zusammenanhang ist auch ein weiterer Hinweis auf die Chronologie der Ereignisse angebracht: Am 12. Mai 1991 erfolgte das Referendum der SAO Krajina zum Anschluss an die Republik Serbien und dem Verbleib der Krajina in Jugoslawien. Dieses Referendum wurde mit 99,8 (!) Prozent befürwortet – ein Ergebnis, dass nur in totalitären Staaten möglich ist und auf die Auswirkung der Präsenz der Martić-Polizei bei den »Wahlen« hindeutet.

c) Die Kriege in Kroatien (Krajina) und Slowenien Der Beginn der Jugoslawienkriege wird im Allgemeinen auf Ende Sommer 1991 festgelegt, als eine Folge der Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni 1991. Die JVA scheint – so ist dies wiederholt nachzulesen – bis dahin neutral, wie eine Art jugoslawische Friedenstruppe gehandelt zu haben.96 Doch wie lässt sich dies mit der oben aufgezeigten bereits seit spätestens Januar 1991 in Gang gekommenen Entwicklung in Einklang bringen? Hierzu gilt es den Blick auf die Entwicklung in Kroatien und die Person Franjo Tudjmans, Staatspräsident Kroatiens von 1990 bis 1999, zu richten. Der 1922 geborene Tudjman blickte zur Zeit der jugoslawischen Transformation bereits auf eine beachtliche Karriere als Berufssoldat in der JVA und als Historiker zurück. Er hatte sich Mitte der 1960er Jahre zu einem nationalkroatischen Dissidenten gewandelt und war in den Führungskreisen der JVA kein Unbekannter. Während des Zweiten Weltkrieges hatte sich der junge Tudjman den kommunistischen Partisanen angeschlossen. Bereits 1953, also mit 31 Jahren (!) wurde er – offensichtlich durch Tito protegiert – bereits zum Oberst befördert und wurde 1959 mit 38 Jahren Jugoslawiens jüngster General.97 1961 nahm er seinen Abschied aus der JVA und wurde Direktor des »Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung« an der Universität Zagreb. Auch lehrte er am dortigen Institut für Politikwissenschaft. Die wissenschaftliche Karriere Tudjmans war ursprünglich wohl vor allem auf politischer Linientreue, seiner Nationalität als Kroate und seiner dadurch vorhandenen Nähe zu Tito begründet.98 Es hat den Anschein, dass die akademische Qualifikation ihn für höhere Ämter im jugoslawischen Staat weiterqualifizieren sollte, er aber Konkurrenten ein Dorn im Auge war. Erst 96

97 98

Dies suggeriert bspw. folgender Forschungsbericht: Bjelajac/Žunec, The War in Croatia, 1991‑1995, S. 16. Ähnlich auch: ICTY, IT-95-11 T (Milan Martić), Prosecutor v. Milan Martić, Judgement vom 12.6.2007, S. 60. Der Verlauf der Ereignisse von Pakrac widerspricht indes dieser Interpretation. Sankovich, Tuđman – Prva politička biografija, S. 61. Die Tudjman-Biografie ist bis heute lediglich auf Kroatisch erschienen. Ebd., S. 119.

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nachdem er vier Jahre bereits als Institutsdirektor gearbeitet hatte, reichte er seine Dissertation »Gründe für die Krise der jugoslawischen Monarchie seit ihrer Gründung 1918 bis zu ihrem Zusammenbruch 1941« ein. Jedoch nahm die Universität Zagreb die Dissertation nicht an, so dass er 1965 in Zadar promoviert wurde. Die Dissertation war aufgrund ihrer prokroatischen Sichtweise umstritten. Nach ihrer Annahme kam es 1966 zu Plagiatsanschuldigungen, die 1967 zur Entlassung Tudjmans als Institutsdirektor führten.99 Es ist unklar, ob diese Probleme im Kern wissenschaftlicher oder politischer Natur waren. Auf alle Fälle beendeten sie eine bis dahin beeindruckende Karriere. Als Präsident der Kommission für kroatische Geschichte des kroatischen Kulturvereins Matica Hrvatska spielte Tudjman dann im »Kroatischen Frühling« des Jahres 1971 eine nicht unbedeutende Rolle. Diese ursprünglich von Tito tolerierte, studentisch getragene Bewegung kritisierte ebenso den zentralisierten Jugoslawismus wie dessen ökonomische Ausgleichsmechanismen im teilweise äußerst strukturschwachen Jugoslawien. Sie forderte eine Stärkung der kroatischen Nation, die dann auch später weitestgehend in der Verfassung von 1974 verankert werden sollte.100 Tudjman, der bereits 1967 aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war, verlor seine Ämter und wurde im Zuge des »Kroatischen Frühlings« als »Konterrevolutionär« verhaftet. Nach neun Monaten wurde Tudjman – wohl durch seinen Landsmann Tito geschützt – wieder aus der Haft entlassen, aber nach dessen Tod erneut (von 1982 bis 1984) eingesperrt. Er verfügte über zahlreiche Beziehungen zu kroatischen Exilantenkreisen und hatte diese auf Reisen nach Schweden und Kanada auch zu politischen Gesprächen genutzt. Eine Tatsache, die ohne Wissen der Behörden in Jugoslawien kaum möglich erscheint. Zentral wurde hierbei insbesondere die Beziehung zu Gojko Šušak, dem späteren Verteidigungsminister Kroatiens.101 Im Februar 1990 wurde Tudjman, dessen Biografie die Attribute eines »tüchtigen Mannes«, eines nationalgesinnten Kroaten und eines Dissidenten mit guten Diasporakontakten zu vereinen schien, zum Vorsitzenden der neu gegründeten Demokratischen Kroatischen Union (Hrvatska demokratska zajednica, HDZ) gewählt. Angesichts der kommenden Wahlen und dem zu erwartenden guten Abschneiden der HDZ befahl Kadijević die Entwaffnung der Kroatischen Territorialen Organisation (TO) durch die JVA.102 Nachdem die HDZ mit etwa 60 Prozent der Stimmen die ersten freien kroatischen Parlamentswahlen gewann, wurde Tudjman am 30.  Mai 1990 zum Präsident Kroatiens gewählt. Am 22.  Dezember 1990 gab sich Kroatien eine neue Verfassung, was zum Anlass für die Gründung der Republika Srpska Krajina genommen wurde.103

99 100 101 102 103

Ebd., S. 126. Steindorff, Der kroatische Frühling, S. 197‑210. Hockenos, Homeland Calling, S. 48; Tanner, Croatia, S. 222. Tanner, Croatia, S. 225. Goldstein, Croatia, S. 219.

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Die Jugoslawische Volksarmee (JVA) war noch 1990 eine Wehrpflichtarmee, deren aktiver Teil an Berufssoldaten etwa 180 000 Mann ausmachte. Sie verfügte über etwa 1800 Panzer, 3700 gepanzerte Kampffahrzeuge, 1000 Geschütze und 450 Flugzeuge. Spätestens ab Ende Juni 1991 fehlten der JVA jedoch auch die nicht-serbisch-montenegrinischen Offiziere sowie die entsprechenden Wehrpflichtigen. Bis 1988 verfügte darüber hinaus jede der jugoslawischen Teilrepubliken zum Zweck der Heimatverteidigung über eine bodenständige eigene Milizarmee, die Territoriale Organisation (TO). Diese sollte im Kriegsfall die Operationen der JVA ermöglichen. In Friedenszeiten unterstanden die TO dem jeweiligen Präsidenten der Teilrepublik. Diese Entwicklung der Bildung von »Republikarmeen« parallel zur gesamtjugoslawischen JVA hatte bereits 1969 eingesetzt. Seit der Verfassung von 1974 verfügten die Teilrepubliken (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien) sowie die autonomen Provinzen (Vojvodina, Kosovo) über eigene Republiks- bzw. Provinzstäbe der Territorialen Organisation und sogar über eigene Verteidigungsministerien. Die Stellen der Stabschefs der jeweiligen Territorialen Organisationen waren bis zum Ende der 1980er Jahre überwiegend mit Offizieren aus der jeweiligen Titularnation der Republiken (Slowenen, Kroaten, Serben, Montenegriner, Mazedonier) bzw. Provinzen (Ungarn, Albaner) besetzt. Die Ausnahme bildete hier Bosnien-Herzegowina, wo Kroaten, Serben und Muslime (Bosniaken) auf diesen Stellen rotierten.104 Mit der »antibürokratischen Revolution« Miloševićs fiel in Serbien im Jahr 1989 der Autonomiestatus der Provinzen Vojvodina und Kosovo. Die Zentralisierung auf Belgrad umfasste auch die Territorialen Organisationen dieser autonomen Provinzen.105 Somit erhielt die Regierung Milošević das bewaffnete Machtmonopol in ganz Serbien. Nachdem bereits vor den kroatischen Wahlen im Frühjahr 1990 die JVA unter Kadijević die kroatische TO entwaffnet hatte, konnte im kroatisch-serbischen Konflikt Kroatien der JVA keine ebenbürtigen Truppen entgegensetzen und war somit angesichts der eigenen begrenzten bewaffneten Machtmittel im Zweifelsfall auf das Wohlwollen der JVA angewiesen. Dies erklärt die erkennbaren Versuche der kroatischen Führung, Probleme durch Verhandlungen zu lösen, aber auch die kroatischen Aufrüstungsanstrengungen, die unter anderem bald zu Waffenkäufen in Ungarn führten.106 Die oben beschriebene Entwicklung in den im Dezember 1990 auf dem Gebiet der Teilrepublik Kroatien ausgerufenen autonomen Serbenoblasten (SAO) Krajina und SBWS mit dem Aufbau von eigenen Territorialen Organisationen im April 1991 und eines Verteidigungsministeriums in der SAO Krajina im Mai 1991 muss in diesem Kontext gesehen werden. Während die kroatische Territoriale Organisation durch die JVA entwaffnet worden

104 105 106

Bjelajac, Die jugoslawische Erfahrung, S. 17. Vladisavljević, Serbia‘s Antibureaucratic Revolution. Tanner, Croatia, S. 235.

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war, wurde auf dem Gebiet der Teilrepublik Kroatien eine neue Territoriale Organisation – nun unter Kontrolle serbischer Kroaten – mit Hilfe des serbischen Geheimdienstes unter den Augen der JVA aufgebaut. Während die Übernahme der »Provinz-TOs« in der Vojvodina und im Kosovo gegebenenfalls noch als innere Angelegenheit der Teilrepublik Serbien verbrämt werden konnte, stellte der Übergriff auf die »Republik-TO« der Teilrepublik Kroatien eindeutig und offensichtlich einen Bruch mit entweder der jugoslawischen Bundesverfassung von 1974 oder aber mit der von Serbien nicht anerkannten neuen kroatischen Verfassung vom 22.  Dezember 1990 dar. Milošević aber war in seiner Republik gerade durch die Überwindung der serbischen Verfassung zum »starken Mann« geworden. Spätestens die Etablierung eines Verteidigungsministeriums der SAO Krajina – eindeutig ein Attribut der Republiken – hätte nicht nur das territorial zuständige Kroatien, sondern auch die jugoslawische Bundesebene und damit die JVA auf den Plan rufen müssen. Die »Bundesarmee« JVA aber reagierte auf dem Gebiet der Kroatischen Teilrepublik keineswegs neutral. Den Auftakt zum serbisch-kroatischen Krieg, nach kroatischer Lesart des »Kroatischen Heimatkrieges«, bildeten die Gefechte in Pakrac vom 1. bis 3. März, am Plitvice-See am 31. März und in Borovo Selo am 2. Mai 1991.107 Es ist freilich eine eher nur theoretisch relevante Frage, wann ein nicht formal erklärter Krieg seinen Anfang nimmt, doch sind Schusswechsel zwischen Konfliktparteien und Todesopfer durch Gefechtseinwirkung zumindest starke Indizien dafür, dass kein Friede mehr herrscht. Die ersten Todesopfer gab es während des Gefechts zwischen kroatischer Spezialpolizei und MartićPolizei im Kampf um die Polizeistation im Plitvice-Nationalpark. In Borovo Selo waren bereits über zehn Tote zu beklagen. Es lohnt sich aber insbesondere das Gefecht von Pakrac im kroatischen West-Slawonien genauer zu betrachten: Pakrac liegt an der Straßen- und Eisenbahnverbindung zwischen dem Flusslauf der Sava (Posavina), der über Zagreb nach Slowenien führt, und dem Flusslauf der Drava (Podravina), der Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien verbindet. Die mittelalterliche Stadt liegt beidseitig des Flusses Pakra. Somit stellte Pakrac in militärisch-operativer Hinsicht von Serbien aus gesehen eines der Tore nach Zagreb dar. Die »Martić-Polizei« der SAO Krajina übernahm am 1. März 1991 gewaltsam die Polizeistation sowie das Rathaus der Stadt. Die 16 republiktreuen kroatischen Polizisten der Stadt wurden entwaffnet. Daraufhin schickte die Teilrepublik Kroatien etwa zwei Polizeihundertschaften, die wiederum die Polizeistation zurückeroberten und über hundert Personen, darunter 32 Angehörige der rebellischen »Martić-Polizei«, festnahmen. Die JVA wurde auf Befehl Kadijevićs erst nach Pakrac entsandt, nachdem die kroatische Polizei dort wieder die Macht übernommen hatte und bezog in der Stadt mit den gepanzerten Fahrzeugen von drei mechanisierten Kompanien Stellung. Dies ermutigte offenbar die bereits zurückgezo107

Zu diesen Gefechten siehe: Wachtel/Bennett, The Dissolution of Yugoslavia sowie Bjelajac/Žunec, The War of Croatia, S. 232‑273.

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genen der SAO Krajina zuzurechnenden Truppen, eine Polizeipatrouille zu beschießen. An dem Feuergefecht zwischen kroatischer Polizei und »MartićPolizei« beteiligte sich auf »serbischer Seite« auch die JVA. Die Kämpfe wurden eingestellt, nachdem sich geeinigt werden konnte, dass die kroatische Spezialpolizei die Stadt verlasse; etwa eine Woche später zog auch die JVA wieder aus Pakrac ab. Die JVA war also im Ergebnis nicht gekommen, um die Ordnung wieder herzustellen – dies hatte die kroatische Polizei bereits besorgt – und auch nicht, um die »Konfliktparteien« auseinanderzuhalten, sondern um die Spezialpolizei aus Pakrac zu vertreiben. Aufschlussreich ist auch das politische Nachspiel zu Pakrac: Serbische Medien berichteten über mehrere – bis heute unbestätigte – Tote. Milošević forderte von der jugoslawischen Bundesregierung aufgrund des Vorfalls von Pakrac die gewaltsame Entwaffnung Kroatiens. Dieser Forderung wurde auf Bundesebene nicht stattgegeben, was wiederum Kadijević am 11. Mai – einen Tag vor dem formalen Beitrittsgesuch der SAO Krajina zur Teilrepublik Serbien – dazu veranlasste, als Verteidigungsminister Jugoslawiens (!) zu erklären, dass die von ihm befohlenen JVA nicht mehr auf die Regierung Jugoslawiens hören werde, wenn der kroatische Ministerpräsident Stjepan Mesić (damals HDZ, also Tudjmans Partei) am 15.  Mai 1991 turnusgemäß nach Rotationsprinzip die Regierungsgeschäfte antreten werde. Mit den Stimmen Serbiens und der serbischen Provinzen und unter Enthaltung Montenegros wurde in einer – nach den Prozeduren an und für sich unüblichen – Wahl Mesić schließlich nicht zum Präsident Jugoslawiens gewählt.108 Am 25.  April hatte das kroatische Parlament entschieden, eine Abstimmung über die Unabhängigkeit Kroatiens herbeizuführen. Diese sollte am 19. Mai 1991 stattfinden.109 Diese politischen Ereignisse erklären die Fülle der »ethnischen Zwischenfälle« vor diesem Termin. Hierzu gehört auch die erste Blockade des südostwärts der »Hauptstadt« der SAO Krajina gelegenen Dorfes Kijevo mit kroatischer Bevölkerungsmajorität durch die »Martić-Polizei« Anfang April 1991. Dieses Dorf liegt an der Straße, die Knin mit Mostar und von dort weiterführend mit Serbien verbindet. Die etwas über tausend kroatischen Dorfbewohner gründeten aufgrund der Blockade eine eigene Miliz. Nachdem es am 28.  April Vertretern des kroatischen Innenministeriums gelungen war, das Dorf zu erreichen und dort eine (kroatische) Polizei zu etablieren, griff am 29. April die JVA, genauer deren 9. (Knin) Korps, in das Geschehen ein und erneuerte die offenbar zuvor unvollkommene Blockade der »Martić-Polizei«. Nach diesem Ereignis konnte kein Zweifel mehr bestehen, auf wessen Seite zumindest das 9. (Knin) Korps der JVA stand, so dass Tudjman die Bevölkerung dazu aufrief, durch Demonstrationen die Blockade zu beenden. Ab 6. Mai blockierten daraufhin Menschenmassen in der auf Seiten der Teilrepublik BosnienHerzegowina gelegenen Stadt Široki Brijeg einen aus Mostar entsandten 108

109

Ramet, The Three Yugoslavias, S. 384 f. Kaufman, Modern Hatreds, S. 189 f. sowie die Memoiren des späteren kroatischen Staatspräsidenten (2000‑2010) Mesić: Mesić, The Demise of Yugoslavia, S. 51‑55. Bjelajac, Die jugoslawische Erfahrung, S. 17.

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Armeekonvoi der JVA mit 80  Panzern und gepanzerten Fahrzeugen. Diese Blockade dauerte drei Tage und wurde erst durch einen Appell des Präsidenten der Teilrepublik Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegović, beendet. In Folge dieses Ereignisses gelang es bald, die JVA-Blockade über Kijevo auf dem Verhandlungsweg zu lösen.110 Diese Ereignisse hätten Episode bleiben können, wenn sie nicht bereits die Verflochtenheit der späteren Kriegsschauplätze in der Krajina und Bosnien-Herzegowina aufzeigen würden. Solche und ähnliche Zusammenhänge sollte verhängnisvollerweise die »internationale Gemeinschaft« erst spät begreifen. Im August 1991 wurde Kijevo schließlich zu einem der ersten Schauplätze »ethnischer Säuberung« in der Krajina. Die kroatischen Behörden begannen am 23. August das Dorf zu evakuieren und begannen dieses zur Verteidigung vorzubereiten. Die Angaben über die Stärke der kroatischen Polizeikräfte schwanken zwischen 58  Mann (nach Aussagen ihres letzten Kommandeurs) und 300 bis 1000 Mann nach Aussagen serbischer Zeugen.111 Am Vormittag des 26. August beschoss die Artillerie des 9. (Knin) Korps der JVA das Dorf nach kroatischen Berichten mit etwa 1500 Granaten, die JVA-Heeresfliegerkräfte flogen 34  Luftangriffe (CAS). Am Nachmittag stürmte ein gemischtes Bataillon mit etwa 30  Panzern und Infanterie das Dorf, das anschließend durch Milicija Krajine geplündert und die Kirche sowie Privathäuser niedergebrannt wurden.112 Über das Wesen allein dieses einen Kampfes zu Beginn des Krieges in der Krajina lässt sich treffend streiten: Ist es bereits »ethnische Säuberung«, wenn eigene Kräfte die eigene Zivilbevölkerung evakuieren und der Ort anschließend im Kampf zerstört wird? War der Kräfteansatz beim Angriff auf das Dorf verhältnismäßig? Welche Kräfte hatten die Verteidiger? Waren die Plünderungen befohlen, toleriert oder lediglich eine Folge mangelhafter Disziplin? Wurden sie durch »reguläre« Truppen oder Paramilitärs verübt? Die Antworten auf diese Detailfragen bestimmen dann die Bewertung eines lokalen militärischen Ereignisses in ihrem größeren operativ-politischen Kontext. Dieser ist aber auch durch Grundannahmen, wie etwa die Frage, ob die Existenz der SAO Krajina moralisch rechtens gewesen sei oder nicht, beeinflusst. Aus den Aussagen Martićs geht hervor, dass dieser sich 1991 beispielsweise als Exekutive eines neu entstandenen rechtmäßigen Staates begriff, der mit der Vertreibung der staatlichen Elemente Kroatiens aus der Krajina letztlich einen Unabhängigkeitskampf in der Tradition der Partisanen vergangener Zeiten führte. Einen Unabhängigkeitskampf gegen die seitens der Republik Serbien übernommenen JVA und die serbische Marionettenregierung in Knin führte aber 110 111

112

Gow, The Serbian Project, S. 154 f. Bericht über ein Interview mit Martin Čičin Šain, dem letzten Polizeikommandeur von Kijevo, der kroatischen Zeitung »Novi list«. Deljanin, Posljednji zapovjednik obrane Kijeva Martin Čičin Šain. Angaben nach Aussagen von namentlich nur teilweise bekannten Zeugen der Verteidigung im Fall Martić vor dem ICTY, ICTY, IT-95-11 T (Milan Martić), Prosecutor v. Milan Martić, Judgement vom 12.6.2007, S. 61. ICTY, IT-95-11 T (Milan Martić), Prosecutor v. Milan Martić, Judgement vom 12.6.2007, S. 61 f. sowie Bericht über das Interview mit Martin Čičin Šain.

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auch die Republik Kroatien, die sich durch freie demokratische Wahlen für unabhängig erklärt hatte. Es ist mit dem Wissen von heute nur unter Anwendung einer extrem relativistischen Sichtweise möglich, beiden Kriegsparteien Recht zu geben. Letztlich müssen die zeitgenössisch gültigen Normen als Richtschnur einer jeden Bewertung historischer Ereignisse dienen. Die Regierungen in Zagreb und Ljubljana folgten dabei einem Konzept, das als »konstitutioneller Nationalismus« beschrieben worden ist. Diese Form des Nationalismus kann insofern als rechtsstaatlich bezeichnet werden, als er, solange er sich in den Grenzen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken bewegte, nicht nur ethnisch, sondern auch verfassungsrechtlich hergeleitet werden konnte.113 Wenn aber bereits in der historischen Rückschau auf die Ereignisse eine Bewertung schwierig ist, so lässt sich erahnen, welchen Herausforderungen angesichts kultureller Prägung, psychologischen Drucks durch die Öffentlichkeit und von Lobbyisten, unterschiedlicher nationaler Interessen und Traditionen sowie von Desinformation oder schlicht Informationsmangel die politischen Entscheidungsträger in Europa, den USA und Russland während des sich entflammenden Jugoslawienkrieges ausgesetzt waren. Auch der Kriegsbeginn in Slowenien im Sommer 1991, einschließlich dessen völkerrechtlicher Implikationen, ist unter den ehemaligen Kriegsparteien bis heute umstritten. Nach serbischer Lesart verletzte Slowenien einseitig die Verfassung Jugoslawiens, als es den föderativen jugoslawischen Organen das Recht versagte, die (jugoslawische) Staatsintegrität auf dem Territorium Sloweniens zu verteidigen. Die Übernahme der Grenzübergänge durch slowenische Einheiten nach der slowenischen Unabhängigkeitserklärung im Juni 1991 wird entsprechend als »Usurpation« dargestellt. Der Einsatz der Jugoslawischen Volksarmee zur Besetzung der Grenzübergänge wird damit zu einer logischen Folge eines slowenischen »Verfassungsbruchs«114, der Einsatz der Jugoslawischen Volksarmee analog zu deren Einsatz im Kosovo der Jahre 1981 und 1989 zum inneren Einsatz erklärt.115 Auch nach der slowenischen Lesart kommt bemerkenswerterweise den Ereignissen im Kosovo eine wesentliche Bedeutung zu. Diese werden jedoch als »großserbischer Druck« verstanden, wohingegen die Teilrepublik Slowenien erfolglos versucht habe, Jugoslawien auf eine neue demokratische und dezentralisierte Basis zu stellen. Dies habe Serbien jedoch abgelehnt.116 Somit habe der Weg 113 114

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Hayden, Constitutional Nationalism, S. 654‑673. Gemeint ist die slowenische Verfassungsergänzung vom 20.2.1991, in der die (Teil-)Republik Slowenien als unabhängiger Staat und einer der Nachfolgestaaten Jugoslawiens festgeschrieben wurde. Gleichzeitig beschloss das slowenische Parlament mit 173:1 Stimmen und 2  Enthaltungen, dass der Unabhängigkeitsprozess beginnen solle und fortan (nationale) Republikgesetze über (jugoslawischen) Bundesgesetzen stünden. Bjelajac, Die jugoslawische Erfahrung, S. 21 f. Diese Meinung vertrat u.a. bereits zeitgenössisch die amerikanische Politikwissenschaftlerin Sabrina Ramet, die besonders auf die Unterschiede zwischen Zentralisten und Föderalisten hinweist. Ramet charakterisiert dabei die Politik Sloweniens und

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in die staatliche Unabhängigkeit die ultima ratio dargestellt, um in Freiheit und Demokratie zu leben. Gerechtfertigt wird dieser Schritt durch die Volksabstimmung in Slowenien mit einer Wahlbeteiligung von 93,2 Prozent und einer Zustimmung zu einem selbständigen Staat Slowenien von 88,5 Prozent – also mit dem Selbstbestimmungsrecht des slowenischen Volkes nach demokratischer Feststellung des Volkswillens.117 Diesem Volkswillen habe die national-kommunistische politische Linie Miloševićs entgegengestanden, so dass Slowenien nicht aus dem »gleichen Jugoslawien« ausgetreten sei, in das es einmal eingetreten war (»failed state«-Theorie118). Es lässt sich leicht erkennen, dass die gegensätzlichen Sichtweisen auf unterschiedlichen philosophisch-politischen Vorstellungen über den Staat fußen: Hier eine im kommunistischen Machtbereich übliche Sichtweise, die den Staat mit seiner Ideologie über die Freiheit des Einzelnen stellte, dort die »westliche Idee« individueller Freiheit, die der Staat zu garantieren habe. Die Sezession war also gewissermaßen die praktische Lösung des Freiheitsproblems unter den Voraussetzungen eines zunehmend zentralistischer werdenden repressiven, aber ehemals föderativen Staates. Im jugoslawischen Zerfallsprozess konnten beide Ideen durchaus »staatstragend« sein, die Frage lautete jedoch, wie der Staat hinsichtlich seiner inneren Ausgestaltung und hinsichtlich seiner territorialen Definition aussehen solle: Eine Frage, die es im osteuropäischen Transformationsprozess vielerorts zu klären galt. Im Kern geht es in der Kontroverse um den Kriegsbeginn in Slowenien (und Kroatien) um die Frage, ob die Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien rechtens oder zumindest gerechtfertigt gewesen sein oder aber nicht und wer somit die Schuld für die kriegerische Entwicklung trage. Mit dieser Frage beschäftigte sich auch die von der Europäischen Gemeinschaft (EG) am 27.  August 1991 ins Leben gerufene Badinter-Kommission (benannt nach dem französischen Verfassungsgerichtspräsidenten Robert Badinter).119 In ihrem »Gutachten Nummer 1« über den völkerrechtlichen Status der Sozialistischen Föderativen

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Kroatiens als nationalliberal und diejenige Serbiens und Montenegros als konservativ antireformerisch. In der Tat stellte der Wunsch nach westlich-demokratischen Reformen angesichts der autoritären Staatsform in Serbien einen treibenden Faktor der Sezessionsbestrebungen dar. Ramet, Nationalism and Federalism in Yugoslavia. War for Slovenia, . Rotberg, The Failure and Collapse of Nation-States; Liebach, Die unilaterale humanitäre Intervention. Vgl. die kapitalismuskritische Auseinandersetzung mit diesem dort als »imperialistisch« verstandenen Konzept: Barkawi/Laffey, The Imperial Peace, S. 403‑434. Die »Conference on Yugoslavia Arbitration Commission« (sog. Badinter-Kommission) bestand aus den damaligen Präsidenten der belgischen, deutschen, französischen, italienischen und spanischen Verfassungsgerichte unter der Leitung des französischen Verfassungsgerichtspräsidenten Robert Badinter. Eisemann/Koskenniemi, La succession d‘États, S.  38‑51; Pellet, The Opinions of the Badinter Arbitration Committee, dort auch der Wortlaut der Gutachten 1‑3, S.  182‑185. Vgl. Radan, Post-Secession International Borders.

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Republik vom 29.  November 1991120 stellte diese fest, dass Jugoslawien als Föderation bereits aufgehört habe zu existieren, bevor Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärt hatten. Diese völkerrechtliche Lesart der Badinter-Kommission sollte in der Folge für die weitere Behandlung der Sezessionsfrage im ehemaligen Jugoslawien politisch wirkmächtig sein: Als Nachfolgestaaten wurden die ehemaligen sechs jugoslawischen Teilrepubliken (Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro121, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien) in ihren territorialen Grenzen festgelegt. Diesem Grundsatz, der bald als Badinter-Prinzip bekannt werden sollte, entsprach die völkerrechtliche Nichtanerkennung der autonomen Serbenrepubliken in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Die Gründung eines neuen jugoslawischen Staates aus den ehemaligen Teilrepubliken Serbien und Montenegro im April 1992, dem auch die Republika Srpska in der ehemaligen Teilrepublik BosnienHerzegowina beitreten sollte, stand im bewussten Gegensatz zum BadinterPrinzip.122 In Bezug auf das Kosovo sollte sich die Bundesrepublik Jugoslawien bzw. Serbien jedoch auf das Badinter-Prinzip, hier der territorialen Integrität der ehemaligen serbischen Teilrepublik, berufen. Der wesentliche Unterschied zwischen den Entwicklungen in Kroatien und Slowenien liegt aus militärhistorischer Sicht in den Ereignissen des Mai 1990. Als die JVA in Slowenien versuchte, die Waffen der slowenischen Territorialen Organisation (TO) zu übernehmen, gelang es der Teilrepublik Slowenien, dies zu verhindern und diese zu einer 20  000 Mann starken eigenen Truppe umzugliedern. Dieser Verdienst ist wohl dem slowenischen Verteidigungsminister Janez Janša123 zuzuschreiben. Janša gehört – wie der 35  Jahre ältere Tudjman – zur höchst heterogenen Gruppe der Dissidenten aus dem militärischen Umfeld: Nachdem er das Fach Verteidigungsstudien in Ljubljana absolviert hatte, arbeitete er im Verteidigungsbüro der slowenischen (Teil)Republik und führte ein mit Zivilverteidigung betrautes Komitee in der slowenischen kommunistischen Jugendorganisation. Als solcher wurde er ab 1983 zu einem scharfen Kritiker der JVA und ab 1984 seiner Ämter enthoZeitlich und inhaltlich ist die Badinter-Kommission im Zusammenhang mit der Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens durch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu sehen. Die Anerkennung erfolgte zwar formal zum 15.1.1992, wurde jedoch am 17.12.1991 beschlossen und der Öffentlichkeit mitgeteilt. Das Gutachten der Badinter-Kommission, dass Jugoslawien nicht mehr existiere, präjudizierte die knapp drei Wochen später erfolgte politische Entscheidung, dessen ehemalige Teilrepubliken als Staaten anzuerkennen. 121 Die ehemaligen Teilrepubliken Serbien und Montenegro, oft als »Rest-Jugoslawien« bezeichnet, bildeten ab 27.4.1992 gemeinsam den Staat mit dem verfassungsmäßigen Namen Savezna Republika Jugoslavija, was als Bundesrepublik Jugoslawien oder Föderative Republik Jugoslawien übersetzt wird. Diese Neugründung Jugoslawiens boykottierten die kosovarischen Abgeordneten. Am 4.2.2003 wurde die Bundesrepublik Jugoslawien aufgelöst und durch den Staatenbund Srbija i Crna Gora (Serbien und Montenegro) ersetzt. Am 3.6.2006 erklärte das montenegrinische Parlament nach erfolgter Volksabstimmung die Unabhängigkeit. 122 Ebd. 123 Janez Janša (geb. 1958), 1990‑1994 slowenischer Verteidigungsminister, Premierminister 2004‑2008 und 2012/13, seit Februar 2020 erneut Premierminister. 120

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ben. Bald einer der bekanntesten pazifistischen Jugendaktivisten Sloweniens, wurde er 1988 vor einem Militärtribunal des militärischen Geheimnisverrats angeklagt und zu 18  Monaten Haft verurteilt.124 Die Ernennung des militärisch ausgebildeten Pazifisten zum Verteidigungsminister war ein politischer Geniestreich des im April 1990 bei den ersten freien Wahlen in Slowenien gewählten »Präsidenten des Präsidiums« Sloweniens und slowenischen Unabhängigkeitspräsidenten Milan Kučan.125 Seine Biografie wiederum zeigt interessante Parallelen zu derjenigen Miloševićs, aber eben auch signifikante Unterschiede. Kučan stammt aus einer lutherischen Lehrerfamilie, studierte Jura in Ljubljana und wurde 1968 Jugendführer der slowenischen kommunistischen Jugendbewegung. Ab 1982 war er der slowenische Vertreter im Zentralkomitee der Liga der Kommunisten und ab 1986 Parteichef der Kommunistischen Partei Sloweniens. Als slowenischer KP-Chef wählte er einen Kurs, der die durch die Reformpolitik Gorbatschows im kommunistischen Machtbereich möglich gewordenen Freiräume ausnutzte. Im Gegensatz zu Milošević verneinte er den »Panzerkommunismus« zur Lösung politischer Probleme. Spätestens in dieser Zeit wurde Kučan zu wohl einem der entschiedensten Gegenspieler Miloševićs und dessen Politik, Jugoslawien zu einem großserbischen Zentralstaat umzubauen. Fest steht,126 dass am 25. Juni 1991 – einem Tag vor der formellen Unabhängigkeitserklärung Sloweniens vom 26. Juni – das slowenische Parlament das Gesetz zur Unabhängigkeit verabschiedete. Diese politische Entscheidung erfolgte in Absprache mit Kroatien und war nicht zuletzt durch die Entwicklung in der Krajina bedingt. In Folge der Unabhängigkeitserklärung wurden unmittelbar die jugoslawischen Hoheitszeichen an den Grenzen127 durch slowenische Hoheitszeichen ersetzt und an der ehemaligen slowenischkroatischen Binnengrenze Grenzposten errichtet. Am 27. Juni, um viertel nach ein Uhr nachts erzwang eine gepanzerte Flugabwehrbatterie des Rijeka-Korps der JVA das Passieren über den kroatisch-slowenischen Grenzübergang bei Metlika. In Divača, im Südwesten Sloweniens nahe der italienischen Grenze bei Triest, fielen die ersten Schüsse des Slowenischen Sezessionskrieges, als unbewaffnete Demonstranten die Marschkolonne der Jugoslawischen Volksarmee – analog zu den erwähnten Vorgängen in Široki Brijeg (BosnienHerzegowina) vom 6.  Mai – auf ihrem Weg zur slowenisch-italienischen Grenze blockierten.128 Einen Tag zuvor starben in Glina (Krajina) ein kroatischer Polizist sowie zwei Zivilisten bei einer Schießerei. Diese Schüsse bilde124 125 126

127 128

»JBTZ-Prozeß« nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen der vier Angeklagten. Milan Kučan (geb. 1941), Präsident des Präsidiums Präsidentschaft der Teilrepublik Slowenien seit April 1990, slowenischer Staatspräsident 1991‑2002. Zahlen und Fakten sofern nichts anderes vermerkt nach: Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie (Hrsg.): Srebrenica: A ›safe‹ area, appendix XIII, Chronology of the Bosnian Conflict 1990‑1995, Amsterdam 2003. Vgl. die zeitnahe Analyse: Sunijic, Woher der Hass? Jugoslawische Außengrenzposten auf dem Gebiet der (Teil-)Republik Slowenien an den Grenzen nach Italien, Österreich und Ungarn. JVA-Soldaten eröffneten das Feuer am 26.6.1991 um ca. 14.30 Uhr.

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ten den Auftakt zur Glina-Operation im Juli 1991, bei der JVA, Milicija Krajine und Kninže grausame Kriegsverbrechen begehen sollten. Bereits dies zeigt, dass die Konflikte um die Sezession Sloweniens und Kroatiens eng miteinander verbunden waren. In Slowenien war der kurze Krieg dadurch gekennzeichnet, dass Einheiten der JVA das Ziel einer Abriegelung Sloweniens durch Schließung der Westgrenzen und Kontrolle des Flughafens von Ljubljana verfolgten und die Einheiten der slowenischen Territorialen Organisation diese durch Straßenblockaden daran zu hindern suchten. Dabei kamen sowohl in Slowenien stationierte als auch aus Kroatien zugeführte JVA-Einheiten zum Einsatz. Bereits am 28.  Juni setzte die JVA neben Panzern und gepanzerten Fahrzeugen auch Heeresfliegerkräfte sowie Luftwaffe mit Luft-BodenRaketen gegen die Barrikadenkämpfer ein. Bis zum 30. Juni 1991 gelang es der slowenischen Territorialen Organisation in lokalen Kämpfen, Kräfte der JVA einzuschließen, andere zu entwaffnen und auch eigene Panzerkräfte aus Beutewaffen aufzustellen. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich auf die Grenzübergänge, den Flugplatz in Ljubljana sowie Einrichtungen der JVA in Slowenien. Da die JVA auch Truppen des 5.  Armeekorps (Zagreb) einsetzte, kam dem Abriegeln der kroatisch-slowenischen Grenze eine besondere strategische Bedeutung zu. Der 30. Juni 1991 war sogleich der Tag, an dem ein Ultimatum der JVA zur Kapitulation an den Präsidenten Sloweniens ablief. Ein größerer Angriff der JVA von kroatischem Territorium aus blieb jedoch aus, auch wenn sowohl Luftwaffen- als auch Heereskräfte zusammengezogen worden waren. Die Initiative ging auf die Kräfte der slowenischen Territorialen Organisation über. Nachdem am 2.  Juli eine mechanisierte Kolonne im Krakowski-Wald zwischen Zagreb und Ljubljana gestoppt worden war, nahm die Territoriale Organisation der Republik Slowenien bis 4. Juli alle 27 Grenzübergänge. Der Ministerrat der EG verabschiedete am Folgetag das später als »Brioni-Erklärung« bekannt gewordene Dokument – benannt nach dem italienischen Namen der kroatischen Inselgruppe Brijuni, auf der Tito 1947 seine Sommerresidenz errichtet hatte.129 Dieses Dokument besteht aus einer allgemeinen Erklärung sowie zwei Anlagen. Im allgemeinen Teil erklärten alle Konfliktparteien (Bundesrepublik Jugoslawien, Kroatien, Serbien und Slowenien), dass sie auf einseitige Maßnahmen, speziell auf jegliche Gewaltakte, verzichten würden. Spätestens am 1. August sollten ergebnisoffene Verhandlungen über die Zukunft Jugoslawiens beginnen. Eine KSZEBeobachtermission wurde in Aussicht gestellt, wobei alle Parteien dieser volle Bewegungsfreiheit (freedom of movement) und Schutz (full protection) versprachen. Im Annex 1 wurde unter anderem festgelegt, dass die Grenzkontrollen an den Außengrenzen Sloweniens durch die slowenische Polizei erfolge, alle Truppen in ihre Kasernen zurückzukehren hätten und die Straßensperren 129

Der Wortlaut der Brioni-Erklärung ist beispielsweise zu finden unter: .

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zu räumen seien. Kriegsgefangene seien zu entlassen.130 Annex 2 regelte den Einsatz der KSZE-Beobachtermission in einer Stärke von 30 bis 50 gemischt zivil-militärischen Beobachtern. Die European Community Monitoring Mission (ECMM)131 wurde ausdrücklich nicht als peacekeeping force eingesetzt, sondern war unbewaffnet, jedoch mit diplomatischer Immunität versehenen.132 An der von einer EG-Troika unter Leitung des niederländischen Außenministers Hans van den Broek geführten Brioni-Konferenz133 vom 7. Juli 1991 nahmen, neben den Vertretern der EG, Vertreter Jugoslawiens, Serbiens, Sloweniens und Kroatiens teil.134 Die »Brioni-Erklärung« wurde von der jugoslawischen Regierung und von Vertretern aller sechs jugoslawischen (Teil)Republiken unterzeichnet. Der bewaffnete Konflikt schien aufs erste eingedämmt zu sein, doch wurde zum Zeitpunkt des Abschlusses bereits deutlich, dass dieser zwar den ohnehin schon militärisch entschiedenen Konflikt in Slowenien, nicht aber den angesichts der eindeutigen militärischen Unterlegenheit Kroatiens noch offenen Konflikt in Kroatien gelöst hatte. Verkürzt gesprochen, ruhte der diplomatische Erfolg von Brijuni auf den Gewehrläufen der Territorialen Organisationen – diese hatte in Slowenien gegenüber einer wenig motivierten JVA den Sieg errungen, in Kroatien waren die vergleichbaren Kräfte seitens der JVA aber entwaffnet worden, so dass Kroatien der JVA nur schwere Polizeikräfte entgegenstellen konnte. Dort beherrschte seit Juni 1991 entsprechend die JVA ein Viertel des Territoriums. Auch wenn die »BrioniErklärung« als diplomatischer Erfolg gefeiert wurde, schrieb sie letztlich in der Praxis lediglich den militärisch erzwungenen Status quo in Slowenien fest und verschob die Gretchenfrage zur Zukunft Jugoslawiens auf kommende Verhandlungen. Die zweifelhafte »Lehre«, die aus der »Brioni-Erklärung« in der Praxis auf dem Balkan gezogen wurde, lautete, dass »die internationale Gemeinschaft« – konkret die EG – lediglich bereit und in der Lage war, ohnehin bereits mit militärischen Mitteln erzwungene politische Zustände zu sanktionieren. Eine diplomatische Lösung der politischen Probleme würde sich aber immer am – militärisch erzwungenen – Status quo orientieren. Der 10-Tage-Krieg hatte deutlich gemacht, dass die Bekämpfung von Dörfern und Städten als »Erdziele« aus der Luft und der Einsatz gepanzerter Kräfte gegen die Bevölkerung – nach dem Muster der Niederschlagung des Prager 130 131 132 133

134

Brioni Declaration, Annex 1. Zur ECMM, später EUMM siehe Keßelring, Wegweiser BiH, S.  88  f. Zeitgenössisch: Gow/Freedman, Intervention in a Disintegrating State. Brioni Declaration, Annex 2. Die EG-Troika bestand aus den Außenministern Hans van den Broek (Niederlande), João de Deus Pinheiro (Portugal) und Jacques Poos (Luxemburg). Die Niederlande übernahmen zum zweiten Halbjahr 1991 von Luxemburg die EG-Ratspräsidentschaft. Portugal sollte den Niederlanden in der EG-Ratspräsidentschaft folgen. Für Jugoslawien Stjepan Mesić sowie Ministerpräsident Ante Marković und sechs andere Mitglieder der jugoslawischen Bundesregierung, für Kroatien Präsident Franjo Tudjman, für Slowenien Milan Kučan. Für Serbien nahm Borisav Jović an den Verhandlungen teil. Der Serbe Jović hatte bis zum 15.  Mai 1991 die jugoslawische Präsidentschaft inne und war von Mesić abgelöst worden. Milošević war nicht anwesend.

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II. Kriege und Friedensoperationen

Frühlings im Jahr 1968 – keineswegs endgültig in die Geschichte verbannt worden war. Auf slowenischer Seite waren 19 Personen getötet und 182 verletzt worden. Die JVA beklagte 45  Tote und 146  Verletzte. Insgesamt verlor die JVA sechs Hubschrauber, 31 Panzer, 22 Mannschaft-Transportpanzer und 172 Transportfahrzeuge im Kampf. Auch wenn diese Zahlen im Vergleich mit den zeitlich später liegenden Schlachten auf dem Balkan relativ gering erscheinen, so zeigen sie doch deutlich, dass es sich um einen mit modernen Waffen ausgetragenen bewaffneten Konflikt handelte. Auch hatte der Einsatz der JVA in Slowenien kaum zu zivilen Opfern geführt. Es entstand im Westen ein Bild, dass die JVA einen »sauberen Krieg« führe – eine Einschätzung, die sich bald in Kroatien als fehlerhaft erweisen sollte. Während in Slowenien der Krieg rasch zu Ende gegangen war, eskalierte er in Kroatien und weitete sich rasch auch nach Bosnien-Herzegowina aus. Seit der »Wende von Kijevo« vom 26. August 1991 kämpfte das 9. Korps der JVA offen auf Seiten der Territorialen Organisation und der Milicija Krajine der SAO Krajina. Bis Anfang des Jahre 1992 griff diese »Koalition« solche Gebiete und Orte an, die zwar eine kroatische Bevölkerungsmehrheit hatten, aber zwischen Orten oder Gebieten lagen, die sich bereits in der Hand der SAO Krajina befanden. Hierzu zählten u.a. Hrvatska Kostajnica, Cerovljani, Hrvatska Dubica, Baćin, Saborsko, Poljanak, Lipovača, Škabrnja und Nadin. Die Gewalttaten an der nichtserbischen Zivilbevölkerung waren vielfältig, die Zerstörungen groß.135 Nach dem Fall von Kijevo war vor allem die serbische Eroberung (September 1991) und Zerstörung (November 1991) der Brücke von Maslenica militärisch relevant. Diese Brücke aber war die letzte enge Verbindung zwischen den letzten durch kroatische Kräfte kontrollierten Gebieten um Split und um Zagreb. Maslenica war somit von herausragender strategischer Bedeutung für den Zusammenhalt des kroatisch kontrollierten Gebietes innerhalb Kroatiens – oder andersherum gesprochen für die Loslösung des Gebiets der norddalmatischen Krajina um Knin und Šibenik von Kroatien. Während südlich von Zagreb Kostajnica bis September gehalten werden konnte, eroberten die serbischen Truppen Glina. Auch im Norden Kroatiens (Ost-Slawonien) waren die serbischen Truppen erfolgreich. Die Angriffe wurden vom 12. (Novi Sad) Korps der JVA getragen. Ende August 1991 wurde in den Vororten von Vukovar, in Vinkovci und Osijek gekämpft.136 Osijek wurde bis Kriegsende von kroatischen Kräften gehalten, lag aber ab Sommer 1991 bis zum Waffenstillstand im Februar 1992 unter starkem Artilleriebeschuss, der sich im November 1991 in Schwerpunktzeiten zu einer Feuerdichte von etwa einem Granateinschlag pro Minute verstärkte.137 Seit etwa August 1991 konnte nicht mehr von einem Low Intensity Conflict (LIC) die Rede sein. Das schwedische »Life and Peace Institute« gab an, dass allein in Osijek bis Juni 1992 etwa 800 Menschen durch die Auswirkungen des 135 136 137

Case Information Sheet »RSK« (IT-95-11) Milan Martić, S. 6. Bjelajac/Žunec, The War in Croatia, S. 17. Bailey, Artillery and Firepower, S. 435.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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Artilleriefeuers gestorben seien.138 Solche Nachrichten verblassten allerdings durch die Schrecken von Vukovar: Die Stadt fiel am 18. November 1991. Auch wenn die Gefallenenzahlen der Schlacht um Vukovar widersprüchlich sind – die Zahlen auf kroatischer Seite variieren zwischen 800 und 1400, je nach Definition des Gebietes, die serbischen Zahlen könnten bei 1300 Gefallenen liegen und für ganz Ost-Slawonien gilt kroatischerseits die Gefallenenzahl von etwa 2000 Kombattanten139 – so stand Vukovar für eine neue Dimension von Tod und Zerstörung. Hinzu kam das von der serbischen Kriegspartei verübte Massaker von Ovčara, einer Schweinefarm, wo verletzte Gefangene aus dem Lazarett in Vukovar ermordet worden waren. In der heute dort eingerichteten Gedenkstätte wird an 261 Opfer erinnert. Nachdem das Massengrab entdeckt worden war, wurde es von russischen UNPROFOR-Soldaten bewacht. Amerikanische Gerichtsmediziner konnten 200 Opfer identifizieren, die weiteren 61 Opfer ergeben sich aus Vermisstenzahlen.140 Während der Krieg in Kroatien seine Opfer forderte, rangen die Staaten der Europäischen Gemeinschaft um eine gemeinsame Position in der Unabhängigkeitsfrage. Es scheint, dass die serbische Seite sich beeilte, in Kroatien rasch ein fait accompli zu schaffen, gerade weil die Brioni-Konferenz ein überraschend beherztes Eingreifen der Europäischen Gemeinschaft gezeigt hatte und eine diplomatische Lösung für die Jugoslawienfrage vorzubereiten schien. Dies mag zur weiteren Brutalisierung des Krieges beigetragen haben. Bis Ende des Jahres 1991 waren rund 220 000 Kroaten aus den – nun serbisch beherrschten – Gebieten Ostslawoniens und der Krajina vertrieben worden. Kroatien wiederum beeilte sich reguläre Streitkräfte zur Eindämmung des serbischen Eroberungskrieges sowie als untrügliches Attribut staatlicher Souveränität aufzustellen. Den kroatischen Generalstab etablierte die kroatische Regierung erst im Verlauf der Kampfhandlungen gegen die JVA. Die kroatische Armee Hrvatska vojska (HV) erreichte erst im September 1991 eine Stärke von etwa 200 000 Mann. Im Januar 1992 zwangen die HV – inzwischen mit 230 000 Mann in 65 Brigaden gegliedert – die JVA mit der Offensive von West-Slawonien in den »15. Waffenstillstand«.

d) Reaktionen der »internationalen Staatengemeinschaft« nach Ende des Krieges in Slowenien Angesichts dieser Entwicklung scheint die zeitgleiche europäische Jugoslawienpolitik merkwürdig abgehoben. Das seitens der EG verhängte Waffenembargo über Jugoslawien übervorteilte in der Praxis primär diejenigen, die bereits über Waffen und Streitkräfte verfügten. Die juristische Klärung des 138

Jegen, Sign of Hope, S. 14.

O‘Shea, The Modern Yugoslav Conflict, S. 23. Tus, The War up to the Sarajevo Ceasefire,

139

140

S.  80. Armeegeneral Anton Tus (geb. 1931) war von 1991‑1992 Generalstabschef der Hrvatska vojska. Stover, The Wittnesses, S. 52.

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völkerrechtlichen Status der Teilrepubliken durch die Badinter-Kommission war zwar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur für Herbst 1991 geplanten Jugoslawienkonferenz in Den Haag, doch ging von ihr während der ergebnisoffenen Analysephase natürlich kein deutliches Signal aus. Immerhin sollte die EG durch die Troika in den Friedensprozess eingebunden sein. Durch den Einsatz der ECMM im Rahmen der KSZE war zu erwarten, dass der Konflikt bis zu einem gewissen Grad internationalisiert werde. Allerdings war die außenpolitische Linie, die die KSZE auf ihrem Berliner Treffen am 20.  Juni 1991 vorgab, mehr als unklar: Im Abschlusskommuniqué hieß es: »[...] Die Minister bekunden ihre freundschaftliche Besorgnis und ihre Unterstützung im Hinblick auf die Einheit und territoriale Integrität sowie die Demokratie in Jugoslawien [...].«141 Dies konnte und musste man als ein Bekenntnis zu Jugoslawien auffassen; andererseits aber auch zur Demokratie. Doch was bedeutete das, wenn in einem demokratischen Prozess entschieden worden war, aus Jugoslawien auszutreten, wie das in Slowenien und Kroatien der Fall war? Ferner hieß es in dem Dokument: »Die Minister unterstrichen, dass es allein den Völkern Jugoslawiens obliegt, über die Zukunft des Landes zu entscheiden«.142 Damit hatten sich die KSZE-Mitgliedstaaten auf NichtEinmischung festgelegt. Doch was war, wenn »die Völker« unterschiedlicher Meinung waren, wie das ja offensichtlich im Krieg der Fall zu sein scheint? Nachdem es der EG-Troika gelungen war, am 2.  September 1991 einen Waffenstillstand als Grundlage für die Jugoslawienkonferenz zu vermitteln, begann diese unter großen Erwartungen am 7.  September. Als Vorsitzender war Peter Carington, 6th Baron of Carrington (1919‑2018) ein elder statesman, ehemaliger NATO-Generalsekretär und ehemaliger britischer Außenminister mit dieser schwierigen Aufgabe betraut worden. Carington schien dafür prädestiniert. Zudem hatte der in Sandhurst ausgebildete ehemalige Berufssoldat den Zweiten Weltkrieg als Major erlebt und bereits in den 1950er Jahren als Staatssekretär im britischen Verteidigungsministerium gedient. Einen in den Themen Krieg, Sicherheitspolitik und Diplomatie beschlageneren konnte man also im Jahr 1991 kaum finden.143 Die Konferenz basierte auf drei durch die EG vorab formulierten Prinzipien: keine einseitigen Grenzänderungen, Schutz aller Minderheiten und volles Verständnis für alle legitimen Interessen und Wünsche.144 Der konkrete Vorschlag Caringtons beruhte im Kern darauf, dass Jugoslawien als loser Bundesstaat der ehemaligen Teilrepubliken in der europäischen Staatenlandschaft erhalten bleiben sollte. Dabei sollten alle Minderheiten in den Teilstaaten über weitgehende 141

142 143

144

KSZE, Berliner Treffen des Rates der KSZE 19.‑20. Juni 1991, Erstes Treffen des Rates, Zusammenfassung der Schlussfolgerungen, Erklärung zur Situation in Jugoslawien, S. 10 (Erklärung zur Situation in Jugoslawien). Ebd. Seine Memoiren hatte Lord Carrington bereits in den 1980er Jahren geschrieben. Sie sind somit für die hier beschriebenen Ereignisse belanglos, geben aber einen guten Eindruck in dessen Gedankenwelt: Peter Alexander Rupert Carington: Reflecting on Things Past. The Memoirs of Lord Carrington. London 1988. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 53.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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politische Selbstbestimmungsrechte verfügen.145 Die Konferenz platzte allerdings bereits zu Beginn, da der Waffenstillstand nicht eingehalten worden war. Lord Carrington erlangte zwar, nachdem beschlossen worden war, trotz Fehlens der Voraussetzung eines Waffenstillstandes vor Ort weiter zu verhandeln, gewisse Erfolge in bilateralen Gesprächen, doch blieben dies Lippenbekenntnisse.146 Ein Problem war, dass die Verantwortlichen sich in Bezug auf die Waffenstillstandsbrüche darauf beriefen, sie hätten keine Kontrolle vor Ort. Ein anderes war die unterschiedliche Wahrnehmung der Konfliktparteien durch die einzelnen europäischen Staaten. Während etwa Deutschland und Italien die Verantwortung für die Eskalation des Konflikts Ende September 1991 bei der JVA sahen, sprach der Niederländer van den Broek öffentlich von »kroatischen Provokationen«. Vor allem fehlte es Lord Carrington aber aufgrund der Uneinigkeit der EG-Mitgliedstaaten oder genauer gesagt wegen der Verweigerungshaltung einzelner Mitgliedstaaten an effektiven Machtmitteln. Vor einem Treffen der WEU, welches die notwendigen Truppen hätte bereitstellen können, erklärten François Mitterand und Helmut Kohl noch, dass eine Friedenstruppe zur Schaffung einer Pufferzone einzusetzen sei. Die WEU-Staaten konnten sich indes hierauf nicht einigen und schlossen in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 19.  September 1991 eine europäische Friedenstruppe sogar ausdrücklich aus.147 Das Problem lag wieder einmal in der Uneinigkeit bezüglich einer Anerkennung der Eigenstaatlichkeit Sloweniens und Kroatiens. Es hatte sich bereits gezeigt, dass Jugoslawien bzw. Serbien, also faktisch Kadijević und Milošević, einer Friedenstruppe nicht zustimmen würden. Sie lehnten auch Minderheitenrechte für die Albaner im Kosovo ab und mochten somit dem von Carington vorgebrachten EG-Vorschlag, obwohl dieser hinsichtlich eines Erhalts Jugoslawiens grundsätzlich auf ihrer Linie lag, nicht zustimmen.148 Die Kosovo-Albaner unter Ibrahim Rugova hatten bereits Friedenstruppen für das Kosovo gefordert. Serbien hatte diese abgelehnt. Ein völkerrechtlich korrekter Einsatz von »Blauhelmen« war jedoch von der Zustimmung des betroffenen Landes abhängig. Ein Einsatz von Friedenstruppen in Kroatien setzte also die Anerkennung Kroatiens voraus, so dass Kroatien (und nicht Jugoslawien) rechtlich korrekt das zustimmungspflichtige Land gewesen wäre. Die Niederlande und Spanien beispielsweise sahen sich aber an den KSZE-Beschluss gebunden: Territoriale Integrität wurde stärker als Frieden gewichtet. Deutschland wiederum favorisierte die Anerkennung Kroatiens 145

146 147 148

Silber/Little, The Death of Yugoslavia, S.  213. Silber war Jugoslawien-Korrespondent der Financial Times, Little Jugoslawien-Korrespondent der BBC während des Krieges. Das Buch ist eine der meist genutzten Quellen in Arbeiten über die Jugoslawienkriege. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass es sich bei aller Sachkunde nicht um eine politikwissenschaftliche Analyse oder gar Forschung unter Anwendung der historisch-kritischen Methode handelt. Etwa Miloševićs Eingeständnis am 4. Oktober 1991, die Unabhängigkeit derjenigen anzuerkennen, die das wollten. Giersch, Konfliktregulierung in Jugoslawien, S. 131 f. Silber/Little, The Death of Yugoslavia, S. 213.

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II. Kriege und Friedensoperationen

und Sloweniens, doch machte Helmut Kohl bereits früh klar, dass es keinen »deutschen Sonderweg« bei der Anerkennung Kroatiens geben dürfe.149 Entsprechend der »Kohl-Linie« sollte sich das jüngst wiedervereinigte Deutschland als zuverlässiger und berechenbarer, vor allem aber fest eingebundener Partner in Europa erweisen. Eine solche Politik war aus deutscher Perspektive angesichts der durch den Wandel hervorgerufenen Unsicherheiten auch durchaus weitblickend und staatsmännisch – mit einer konsistenten Jugoslawienpolitik hatte dies allerdings nur wenig zu tun. Auch außerhalb Europas wurde der Carrington-Prozess gestört: Zwischen 19. und 21. August 1991 fand in Moskau der Putschversuch gegen Michail Gorbatschow statt. Dieser konnte zwar durch Boris Jelzins Eingreifen verhindert werden, beendete aber die Macht Gorbatschows und die Staatlichkeit der Sowjetunion bis Jahresende. Gorbatschow, der als Präsident der Sowjetunion am 25.  Dezember zurücktrat, war fortan eine »lame duck« – die Probleme in der Atommacht Sowjetunion schienen relevanter, als diejenigen im »Partisanenstaat« Jugoslawien.150 Dies galt speziell auch für Deutschland, auf dessen Staatsgebiet noch sowjetische Truppen stationiert waren. Der Zerfall der Sowjetunion barg bereits seit den Unabhängigkeitserklärungen der baltischen Staaten, die wohl den Ausschlag für den Umsturzversuch der sowjetischen Hardliner gegeben hatten, deutliche Parallelen zur Situation in Jugoslawien. Nachdem am 7.  Oktober 1991 die Carrington-Verhandlungen in Den Haag wieder aufgenommen worden waren, erging eine überraschende Einladung Gorbatschows an Tudjman und Milošević zum 15.  Oktober. Dies unterbrach nicht nur den Carrington-Prozess, sondern führte auch sonst zu diplomatischen Verwirrungen. Nach Gesprächen mit Jelzin kündigte Gorbatschow den Beginn von Friedensverhandlungen unter Schirmherrschaft der Sowjetunion ab dem 15.  November an. Diese sowjetische Parallelinitiative, wohl einer der letzten Versuche Gorbatschows, Stärke zu zeigen, verhärtete die Position Miloševićs in Den Haag zusätzlich.151 Der Carrington-Plan, der letztlich eine Gesamtlösung für alle Probleme Jugoslawiens darstellen sollte, wurde nach längeren bilateralen Verhandlungen angepasst und schließlich von allen Teilrepubliken einschließlich Montenegro außer Serbien anerkannt. Er hätte als »großer Wurf« eine langwierige territoriale Neuregelung Jugoslawiens in Verbindung mit umfangreichen Volksgruppenrechten bedeutet. Hier zeigte sich die Handschrift des deutschen Diplomaten Geert-Hinrich Ahrens, der im Stab Lord Carringtons die Arbeitsgruppe für Menschen- und Minderheitenrechte leitete.152 Botschafter Ahrens war einer der wenigen deutschen Diplomaten mit Jugoslawienerfahrung, da er von 1972 bis 1975 als Erster Sekretär an der bundesdeutschen Botschaft in Belgrad eingesetzt gewe149 150 151 152

Verheerende Folgen. In: Der Spiegel 39/1991 vom 23.9.1991, S. 183‑185. Lozo, Der Putsch gegen Gorbatschow. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 56 f. Eiff, Zehn Jahre deutsches Konfliktmanagement, S.  158. Eiff war von 1988 bis 1992 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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sen war. Gerade diese Volksgruppenrechte wurden aber von Kadijević und Milošević abgelehnt. Die Luft- und Artillerieangriffe auf Vukovar sowie diejenigen auf den historischen Hafen von Dubrovnik führten dazu, dass die europäischen Staaten sich auf eine härtere Gangart einigten und die Europäische Gemeinschaft am 28.  Oktober 1991 ein einwöchiges Ultimatum an Serbien richtete, den Friedensplan anzunehmen. Anderenfalls werde der Friedensprozess eben mit den »willigen Vertragsparteien« – also ohne Serbien – durchgeführt. Zugleich beinhaltete dieses Ultimatum den Passus, »The European Community and its member States will ask the Security Council to urgently address the question of further restrictive measures under Chapter 7«.153 Dies konnte durchaus als militärische Drohung verstanden werden. Entsprechend wurde, nachdem am 5. November 1991 Lord Carrington keine Antwort Serbiens erhalten hatte, der formale Antrag der EG-Mitgliedstaaten und der EG gestellt, die Jugoslawienfrage unter Kapitel Sieben der Charta der Vereinten Nationen im Sicherheitsrat zu behandeln. Kapitel Sieben sieht im Falle von Friedensbruch die Möglichkeit vor, militärische oder nicht-militärische Handlungen zur Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit vorzunehmen (Peace Enforcement, Friedenserzwingung). Peacekeeping, also Friedenserhaltung, kann nach Kapitel Acht aber nur mit Zustimmung des betreffenden Staates erfolgen. Dies war der europäische Ruf nach UN-Truppen, ggf. auch gegen den Willen Serbiens und gleichzeitig die Feststellung, dass die CarringtonKonferenz gescheitert war. Von hier bis zum UN-Sicherheitsratsbeschluss vom 21. Februar 1992, mit dem die UN-Friedenstruppe für Kroatien autorisiert wurde (UN/SC 743), war es allerdings noch ein weiter Weg. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates für Maßnahmen nach Kapitel Sieben oder Acht bedurfte freilich der Kooperation der dort vertretenen Vetomächte. Während die Sowjetunion noch bei UN/SC 713 vom 25.  September 1991, in der ein Waffenembargo (nach Kapitel Sieben) über Jugoslawien verhängt worden war, zustimmte, war eine Zustimmung Russlands zu einem friedensschaffenden Einsatz nach Kapitel Sieben nicht zu erreichen. So folgte zuerst eine Reihe eher »zahnloser« UN-Sicherheitsratsresolutionen (UN/SCs 721 im November 1991, 724 im Dezember 1991, 727 im Januar 1992 und 740 im Februar 1992), die als Kompromisse gesehen werden müssen, da dort jeweils von einem friedenserhaltenden Einsatz (peacekeeping mission) also einem zustimmungspflichtigen Einsatz die Rede war. Die EG hatte also mit Peace Enforcement gedroht, ohne diese Drohung wahrmachen zu können, da eine solche Maßnahme durch die Haltung der im Sicherheitsrat mit einem Vetorecht ausgestatteten Sowjetunion unrealistisch war. Dies aber war Milošević seit seinem Moskaubesuch offenbar bekannt. Außenpolitisch betrachtet war es also weit weniger die öfters 153

ICTY, IT 02-54 T (Slobodan Milošević), Beweisstück, ACE 36593R0000157506, EC, Declaration on the Situation in Yugoslavia vom 28.10.1992. Vgl. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 59 f.

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II. Kriege und Friedensoperationen

angeführte »Unfähigkeit« des ehemaligen NATO-Generalsekretärs Lord Carrington, als das letzte Aufbäumen des bereits so gut wie entmachteten letzten Generalsekretärs der abgewirtschafteten Kommunistischen Partei der kurz vor dem Zerfall stehenden Sowjetunion Gorbatschow, durch das eine diplomatische Lösung des Konflikts verspielt wurde. Auch hier ist es wichtig die Chronologie der Ereignisse zu beachten: Sie lagen zeitlich vor der deutschen Forderung nach Anerkennung Kroatiens. Es ist auffällig, dass Carington selbst keinen zweiten Teil zu seinen Memoiren verfasst hat. Bei den Erinnerungen Genschers aus dem Jahr 1995 fällt auf, dass diese in Bezug auf die Jugoslawienkriege besonders konfus und auch stark rechtfertigend wirken – dies mag der zeitlichen Nähe und politischen Aktualität geschuldet sein. Aber auch in Kohls Memoiren des Jahres 2007 tritt die Jugoslawienproblematik deutlich hinter der Sowjetunionproblematik zurück. Kohl legt Gorbatschow dabei folgendes Zitat in den Mund: »Man könne die Macht aufteilen, nicht aber den Staat. Was sich dort [in Jugoslawien] abspiele sei lächerlich im Vergleich zu dem, was in der Sowjetunion geschehen könnte.« Ob dies bei dem Kohl-Gorbatschow-Treffen am 5.  Juli 1991 in der Sommerresidenz der Kommunistischen Partei bei Kiew so gesagt worden ist, sei dahingestellt. Als möglicher Leitstern für Gorbatschows Jugoslawienpolitik ist diese Aussage aber durchaus ernst zu nehmen.154 Ein Peacekeeping in Kroatien wurde aber erst ab Dezember 1991 möglich, nachdem Deutschland seine Ansicht, dass eine gemeinsame Anerkennung Kroatiens durch die EG notwendig sei, bei den Partnern »durchgesetzt« hatte.155 Ein wesentlicher Faktor dafür, dass dieses gemeinsame Vorgehen überhaupt möglich war, war die öffentliche Meinung nach der inzwischen erfolgten Eroberung Vukovars. Gleichzeitig war die kroatische Armee inzwischen so erstarkt, dass nun auch Serbien bald ein machtpolitisches Eigeninteresse an einem Waffenstillstand und dessen Kontrolle durch die UN – zumindest auf kroatischer Seite – haben musste.

e) Das »vorläufige Ende« des Krieges in Kroatien und dessen Beginn in Bosnien-Herzegowina Mit der Übernahme der Verantwortung durch die Vereinten Nationen und die Entsendung der United Nation Protection Force (UNPROFOR) nach Kroatien wurde versucht, einen neuen Plan umzusetzen: den nach dem amerikanischen Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs Cyrus Vance benannten Vance-Plan. Dieser Vance-Plan war weniger ambitioniert als sein Vorgänger der Carrington-Plan. Er orientierte sich an dem (letztlich durch Kriegshandlungen) erreichten territorialen Status quo und dem außenpoli154 155

Helmut Kohl, Erinnerungen 1990‑1994, München 2007; Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen, Berlin 1995. Eiff, Zehn Jahre deutsches Konfliktmanagement, S. 158.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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tisch Machbaren. Insofern beschränkte er sich auf das »kroatische Problem«. Daher war dieser Plan für Kadijević und Milošević annehmbar. Da der VancePlan die Voraussetzung für eine Internationalisierung des Konflikts und die zukünftige Entsendung der Friedenstruppe darstellte, war der Plan auch für Tudjman von Interesse. Er wurde am 23. November in Genf von Kadijević, Milošević und Tudjman unterzeichnet und enthielt vier wesentliche Punkte: Einen Waffenstillstand, die Ermöglichung von Hilfsgüterlieferungen, das Ende der Blockade der JVA-Kasernen durch kroatische Truppen und im Gegenzug den Abzug der JVA aus Kroatien.156 Neben diesem »Genfer Vertrag« bestand der Vance-Plan zusätzlich aus dem Implementation Agreement oder »Vertrag von Sarajevo« vom 2. Januar 1992. Dieser ist auch als »15. Waffenstillstand« bekannt. In seiner Gesamtheit verfügte der Vance-Plan also über keine politische Friedensagenda – auf eine solche konnte man sich ja nicht einigen –, sondern sollte erst die militärischen Voraussetzungen für eine spätere politische Lösung auf dem Verhandlungswege schaffen. Er könnte also als eine Art Waffenstillstand oder Vorfriede bezeichnet werden. In dieser pragmatischen Herangehensweise, die Probleme auszuklammern und sich auf das Machbare zu konzentrieren, lag sowohl dessen Vorteil als auch dessen Problematik. Der Vance-Plan bzw. die auf dessen Grundlage eingesetzte UNPROFOR fror entsprechend die militärische Lage in Kroatien mit Stand Januar 1992 weitestgehend ein. Das hatte den großen Vorteil, dass dies praktisch in weiten Teilen Kroatiens die Waffen schweigen ließ. Andererseits waren weder die kroatische noch die serbischen Konfliktparteien mit diesem Zustand zufrieden. Der Vance-Plan sah sogenannte United Nations Protection Areas (UNPAs) in West-Slawonien, Ost-Slawonien und in der Krajina vor. Die geografische Ausdehnung dieser UNPAs war bereits ein Kompromiss, da Serbien diese als Pufferzone zwischen den eroberten Gebieten in Kroatien und den kroatischen Truppen verstanden wissen wollte (also quasi an einer zukünftigen großserbischen Westgrenze), Kroatien hingegen als Pufferzone an der faktisch kaum existenten Staatsgrenze der kroatischen Republik (also an der die kroatischen Serbengebiete einschließenden Ostgrenze). Grob gesprochen umfassten daraufhin die UNPAs das Gebiet zwischen diesen beiden Linien, also das Gebiet, welches faktisch unter Kontrolle der SAOs / Republika Srpska Krajina bzw. der JVA stand. Definiert waren sie als Gebiete mit »ethnischen Spannungen« (siehe Abb. 2: »Kroatien mit UNPAs« im Anhang).157 Dies bedeutete in der Praxis, dass sich einerseits der Präsident der RSK, Milan Babić, von Belgrad betrogen fühlte, da er damit eine Anerkennung der kroatischen Staatsgrenze auf Kosten »seines« Krajina-Staates präjudiziert 156 157

Armatta, Twilight of Impunity, S. 194‑196. Die UNPAs umfassten nach dem Vance-Plan folgende Gebiete, die jedoch von den lokalen UNPROFOR-Kommandeuren konkret zu definieren waren: Ost-Slawonien: Vukovar, Osijek, Vinkovci; West-Slawonien: Grubišno Polje, Daruvar, Pakrac, Nova Gradiška, Novska; Krajina: Benkovac, Dvor, Donji Lapac, Glina, Gračac, Knin, Kostajnica, Obrovac, Petrinja, Slunje, Titova Korenica, Vojnic, Vrginmost. Ramcharan, The International Conference on the Former Yugoslavia. Official Papers, S. 449 f.

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II. Kriege und Friedensoperationen

sah. Er wurde auf Druck Belgrads bald durch Goran Hadžić ersetzt, nachdem er sich nicht einsichtig gezeigt hatte. Kadijević wiederum trat bald als Verteidigungsminister Jugoslawiens zurück.158 In den UNPAs hatten die UNPROFOR den Auftrag, die volle Demilitarisierung der Gebiete durchzuführen. Dies bedeutete Überwachung des Rückzugs der JVA sowie die Entwaffnung und Demobilisierung lokaler Einheiten. In der Praxis stellte sich besonders die zweite Aufgabe als kaum durchführbar dar. Es war festgelegt worden, dass die – dort inzwischen serbischen – lokalen Polizeikräfte weiterhin im Amt bleiben sollten, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten und um keine zukünftigen politischen Verhandlungen zu präjudizieren. Dieses Neutralitätsprinzip war aber – da diese Polizeieinheiten unter Martić selber Teil des Problems waren – absurd, da die Annahme, dass dessen »Polizei« in der Krajina im »ethnischen Konflikt« neutral sei, schlicht falsch war. Teilweise malte die JVA vor ihrem Rückzug ihre gepanzerten Fahrzeuge blau an und deklarierte sie als Polizeimaterial, teilweise wechselten paramilitärische oder JVA-Einheiten geschlossen durch das Wechseln der Ärmelaufnäher zur »Polizei«.159 Damit wurden ironischerweise gerade die problematischsten Freikorpseinheiten – wie etwa die geheimdienstlich aus Belgrad gesteuerten »Roten Barette« – als Polizeitruppen durch die UNPROFOR legalisiert und die Milicija Krajina zunehmend schwer bewaffnet. Da entsprechend der Abkommen die lokalen Verwaltungsbehörden nicht durch die UNPROFOR geführt – diese war ja keine »Besatzungsmacht«  –, sondern nur beobachtet (»to be monitored«) werden sollten, änderte sich nichts an der diskriminierenden Politik. Hier war die Grundannahme falsch, dass es sich um »zivile Behörden« mit »zivilem Charakter« handeln würde. Sie bestanden gerade aus den Führern der Milizen, so dass es für UNPROFOR kaum möglich war, weitere »ethnische Säuberungen« in den UNPAs zu verhindern. Dies führte wiederum zu Unbeliebtheit, ja Feindschaft gegenüber UNPROFOR auf der »kroatischen Seite«, die sich in den Protection Areas alles andere als geschützt fühlte. Kroatische Milizen führten »Racheakte« an Serben in den UNPAs durch und nahmen »das Recht in die eigene Hand«. Die kroatische Armee wiederum drang in die sog. »Pink Zones« ein, Gebiete, die an die UNPAs angrenzten und überwiegend serbisch bevölkert waren, so dass die »Pufferzone« in der Krajina bald faktisch nicht mehr vorhanden war. Eine zweischneidige Erfolgsgeschichte war auch der Rückzug der JVA. Der Krieg zwischen Serben und Kroaten verlagerte sich in das ostwärts gelegene Bosnien-Herzegowina auch aufgrund der regional befriedenden Wirkung des Einsatzes der UNPROFOR (Croatia). Die Verbindungen zwischen dem Krieg um die Krajina und dem Bosnienkrieg sind vielfältig und sowohl politischer als auch militärischer Natur. Bosnien-Herzegowina spielte aus national serbischer Sicht bereits aufgrund seines Anteils von rund 31  Prozent serbischer Bevölkerung (1991; gegenüber ca. 45  Prozent Bosniaken und 158 159

Armatta, Twilight of Impunity, S. 196. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 103‑110.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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etwa 17  Prozent Kroaten) eine bedeutende Rolle. Die Nachschublinien der JVA für den Kriegsschauplatz Krajina führten durch Bosnien-Herzegowina. Verkehrsknotenpunkten, wie Prijedor, Banja Luka, Tuzla oder Zvornik und Brčko, kam daher eine große Bedeutung zu. Dies schaffte in Verbindung mit dem entlang ethnischer Linien definierten Konflikt die Grundlage dafür, dass diese Gebiete im Krieg nicht nur umkämpft, sondern auch »ethnisch gesäubert« wurden. Seit den Wahlen von 1990 war die Parteienlandschaft in Bosnien-Herzegowina anhand ethnischer Linien gegliedert. Der Krieg in Kroatien radikalisierte aber auch die bosniakische, serbische und kroatische Bevölkerung der Teilrepublik. Als im Oktober 1991 die JVA, die sich angesichts des national aufgeladenen Krieges in einer tiefen personellen Krise befand, in Tuzla und Banja Luka Reservisten und Wehrpflichtige einberief, rief der bosnische Präsident Alija Izetbegović die Bürger Bosnien-Herzegowinas zum Boykott auf. Vier Tage später fiel im bosnisch-herzegowinischen Parlament der Beschluss, ein Referendum über die Unabhängigkeit der Teilrepublik nach slowenisch-kroatischem Muster durchzuführen. Darauf verließen die serbischen Parlamentarier um Radovan Karadžić160 nach dem Muster der kroatischen Krajina die Versammlung. Karadžić war 1989 Gründer der »Serbischen Demokratischen Partei« (SDS) in Bosnien-Herzegowina und deren Präsident bis 1996. Er wurde Vorsitzender des »nationalen Verteidigungsrates« der späteren Republika Srpska (RS), ihr Präsident und Oberbefehlshaber ihrer Streitkräfte.161 Er gehörte ebenfalls zu denjenigen Jugoslawen, die akademische Bildung und Gefängniserfahrung verbanden. Auch er verfügte – wie die meisten politischen Serbenführer – über eine westliche Ausbildung. Nachdem er in den 1960er Jahren Medizin mit Schwerpunkt Psychiatrie in Sarajevo studiert hatte, bildete er sich in den 1970er Jahren in Dänemark und den Vereinigten Staaten weiter. Wegen Unterschlagung verbrachte er 1984 bis 1985 etwa ein Jahr in Untersuchungshaft, bevor er verurteilt, aber wohl auf Kaution entlassen wurde.162 Mitbegründerin der SDS war Biljana Plavšić.163 Sie war gemeinsam mit Karadžić und Momčilo Krajisnik seit Februar 1992 Mitglied der unter wechselnden Namen fungierenden »Dreier-Präsidentschaft« der Republika Srpska.164 Zwischen Juni und Dezember 1992 war sie Mitglied des »nationalen Verteidigungsrates« sowie des Oberkommandos der Streitkräfte der RS – also 160 161

162 163 164

Radovan Karadžić (geb. 1945), am 24.3.2016 durch den ICTY zu 40  Jahren Haft verurteilt, ICTY, IT-95-5/18 (Radovan Karadžić), Case Information Sheet. Die Streitkräfte der RS (Vojska Republika Srpska, VRS) wurden am 12.  Mai 1992 offiziell gegründet. Am 19.  Mai zog sich die Jugoslawische Volksarmee aus BosnienHerzegowina zurück, übergab jedoch ihre schweren Waffen an die aus ihr hervorgegangenen VRS. Sudetic, Blood and Vengeance. Biljana Plavšić (geb. 1930), am 27.2.2003 durch den ICTY zu 11 Jahren Haft verurteilt, am 27.10.2009 entlassen, ICTY, IT-00-39 & 40/1 (Biljana Plavšić), Case Information Sheet. Momčilo Krajisnik (geb. 1945), am 20.3.2009 durch den ICTY zu 20  Jahren Haft verurteilt, am 30.8.2013 entlassen, ICTY, IT-00-39 (Momčilo Krajisnik), Case Information Sheet.

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II. Kriege und Friedensoperationen

mit Krajisnik eine von zwei »Vertretern« Karadžićs. Die spätere Nachfolgerin Karadžićs als Präsidentin der Republika Srpska gehört zu dem Kreis der westlich ausgebildeten und international gut vernetzten Akademiker der Universität Sarajevo. Die promovierte Biogenetikerin hatte Biologie an der Universität Sarajevo gelehrt und unter anderem im Rahmen eines »FulbrightStipendiums« zwei Jahre in Ithaca, USA, geforscht.165 Momčilo Krajisnik wiederum hatte ein Studium der Betriebswirtschaft in Sarajevo absolviert und war somit eher eine Art Wirtschafts- und Finanzminister der damals nicht selten als »Mafia-Staat« bezeichneten Republika Srpska.166 Diese Dreier-Präsidentschaft der RS übte während des Krieges die höchste (politische) Befehls- und Kommandogewalt der Republika Srpska gegenüber ihren Streitkräften (ab Mai 1992 VRS) aus. Offenbar gab es aber bis hinunter zur lokalen Ebene eine Doppelstruktur aus Partei (SDS) und VRS. Die lokalen SDS-Parteizentralen bildeten »Kriegsstäbe«, die lokal auch Truppen anwarben und einsetzten. Diese waren zumindest formal operativ der VRS unterstellt, doch dauerte es anscheinend einige Monate, bis sich ab Mai 1992 die Armeeführung sukzessive durchsetzen konnte. Das wohl wichtigste »missing link« zwischen den Ereignissen in der Krajina und in Bosnien-Herzegowina stellt das 9. (Knin) Korps der JVA mit seinem Kommandierendem General bzw. Chef des Stabes Ratko Mladić167 dar. Dieser durchlief eine eher geradlinige und wenig auffällige Militärkarriere bis auf die Ebene Brigadekommandeur und ab 1989 als Chef der Ausbildungsabteilung im Stab des 3.  Militärdistrikts im mazedonischen Skopje.168 Erst die politischen Umstände der Transformation der 1990er Jahre sorgten für einen auch politisch signifikanten Einsatz des im Sinne der proserbischen JVA zuverlässigen Offiziers: Nach der Unabhängigkeitserklärung der (Teil-)Republik Mazedonien169 wurde Mladić zum Stellvertreter des Kommandierenden Generals des Priština-Korps der Jugoslawischen Volksarmee im zur (Teil) Republik Serbien gehörenden widerständigen Kosovo. Es war dies die politisch besonders aufgeladene Zeit der Vorbereitung des seit Juli 1990 seitens 165 166 167

168

169

ICTY, IT-00-40-I (Biljana Plavšić), Ihre Memoiren mit dem Titel »ich sage aus« in zwei Bänden: Plavšić, Svedočim; Plavšić, At the Bar of Justice. Judgement, Prosecutor v. Momčilo Krajisnik, 17.3.2009, S. 1, ICTY, IT-00-39 (Momčilo Krajisnik). Ratko Mladić (geb. 1943). 1992 Kommandeur des Hauptstabes (Generalstabschef) der VRS, 1994 Generaloberst, im Mai 2011 in Serbien wegen vorgeworfenen Kriegsverbrechen verhaftet und dem ICTY überstellt. Am 22.11.2017 zu lebenslanger Haft verurteilt, am 24. 8. 2020 Aufnahme des Berufungsverfahrens vor dem MICT, ICTY, IT-09-92 (Ratko Mladić), Case Information Sheet sowie MICT-13-56 (Ratko Mladić), Case Information Sheet. O’Shea, The Modern Yugoslav Conflict, S. 19. O’Sheas Studie – trotz oder aufgrund des hohen Maßes an persönlicher Erfahrung im Balkaneinsatz – ist in ihren Aussagen an anderen Stellen problematisch, da durch den Versuch einer »Neutralität« im Sinne von Gleichbewertung aller Konfliktbeteiligten ein quellenmäßig nicht zu stützendes und den Belegen des ICTY widersprechendes Bild der Vertreter der RS gezeichnet wird. Auch befremdet die dortige Charakterisierung der »Balkaneinwohner« als allgemein unehrlich. Volksabstimmung am 8.9.1990, Unabhängigkeitserklärung 17.9.1990.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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der Kosovoalbaner angekündigten und Ende September 1990 durchgeführten Unabhängigkeitsreferendums.170 Mladić war noch Oberst, als er erst im Sommer 1991 als Chef des Stabes ins 9. JVA-Korps nach Knin – der »Hauptstadt« der autonomen Serbenrepublik in der kroatischen Krajina171 – versetzt wurde. Wohl in Folge der Niederlage der JVA in der Schlacht von Šibenik im Oktober 1991 und zur Zeit intensiver Carrington-Gespräche ließ Kadijević den Kommandierenden General des 9. (Knin) Korps durch Mladić ersetzen. Mladić wurde zum Generalmajor befördert. Das 9. (Knin) Korps bildete – nachdem im Mai 1992 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken als Nachfolgestaaten bestätigt und die inzwischen in Armee Jugoslawiens (Vojska Jugoslavije, VJ) umbenannte172 JVA sich nach Serbien zurückgezogen hatte173 – den Stamm für die neu gegründete Armee der Republika Srpska (RS) in Bosnien-Herzegowina. Kurz zuvor war Mladić noch zum Befehlshaber des 2. (Sarajevo) Militärdistrikts ernannt worden. Der in der Republika Srpska zum Äquivalent eines Generalleutnants beförderte Mladić wurde »Kommandeur des Stabes« oder mit anderen Worten der militärischer Befehlshaber der Streitkräfte der RS (Vojska Republike Srpske, VRS). Den »Generalstab« der VRS bildete der ehemalige Stab des 2. jugoslawischen Militärdistrikts. Die Funktion Mladićs in der Republika Srpska ist dabei mit derjenigen des Generalmajors Mile Novaković – dem Stabschef der Streitkräfte der RSK (Srpska Vojska Krajine, SVK) – vergleichbar. Mladićs Korps hatte sich aus der Krajina geordnet zurückgezogen, was ihm Anerkennung bei der UNPROFOR verschafft hatte. Er hatte jedoch seine schweren Waffen Novakovićs SVK überlassen. Dieser Schritt ist angesichts der Tatsache, dass Mladićs Korps in seiner neuen Rolle als »Truppe der VRS« ja dringend schwere Waffen benötigte – und später auch aus den Beständen der JVA/VJ erhielt –, nur aus der übergeordneten serbischen strategischen Perspektive heraus verständlich. Es ist schließlich kein bei Befehlshabern übliches Handlungsmuster im Krieg, selbstlos Waffen an andere Verbände anzugeben – schon gar nicht an Verbände anderer Staaten. Betrachtet man also die Etablierung der VRS im Zusammenhang mit dem plötzlichen militärischen Aufstieg des Ratko Mladić, so wird deutlich, dass dieser Umbau zentral von der VJ in Belgrad angeordnet oder zumindest im Zuge des Desintegrationsprozesses organisiert worden war. Dies stellt die Frage nach den wirklichen Vorgesetzten Mladićs und deren Verantwortlichkeit für seine Handlungen. Sicher war der Befehlshaber der VRS direkt der politischen Führung (also dem Kriegspräsidium) der Republika Srpska unterstellt. In persona waren dies Karadžić als primus inter pares, Plavšić und Krajisnik. Zumindest beanspruchten diese für sich den 170 171

172 173

Rogel, Kosovo, S. 167‑182. Serbische Autonome Oblast (SAO) Krajina, Unabhängigkeitserklärung 16.3.1991, Referendum zur Unabhängigkeit am 12.5.1991, ab 19.12.1991 Republik der serbischen Krajina (RSK) mit dem Ziel eines Beitritts zu »Rest-Jugoslawien« (Teil-Republiken Serbien und Montenegro). Mit Stichtag 27.4.1992. Ebd., 19.5.1992.

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II. Kriege und Friedensoperationen

politischen Oberbefehl.174 Offen ist jedoch die Frage, ob es daneben noch einen direkten Befehls- und Meldeweg von der VJ zu Mladić gegeben hat. Es besteht heute nur wenig Zweifel daran, dass es das serbische Ziel war, nicht nur in Kroatien ein serbisches ethnisch reines und geografisch zusammenhängendes Territorium zu schaffen, sondern dieses auch durch ein zusammenhängendes Territorium mit der Republik Serbien zu verbinden. Dies ergibt sich einerseits aus der Chronologie sowie der Intensität und geografisch-operativen Abfolge der Kämpfe und andererseits aus den politischen Erklärungen und Handlungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die territoriale Entstehungsgeschichte der Republika Srpska aus den SAO – analog zu den Geschehnissen in der Krajina – zu begreifen. Im April 1991 wurde in Banja Luka (Bosnien-Herzegowina) eine weitere »Autonome Region Krajina« ausgerufen, die im September 1991, nachdem es nicht gelungen war, diese mit der SAO Krajina in Kroatien zu verbinden, in SAO Bosanska Krajina umbenannt wurde. Zeitgleich mit dieser Umbenennung wurden in Bosnien-Herzegowina folgende SAOs ausgerufen: SAO Snejernoistocna Bosna in Nordost-Bosnien mit »Hauptstadt« Bjeljina, SAO Romanija und SAO Bihać. Letztere wurden im November 1991 zur SAO Romanija-Bihać verbunden. Zeitgleich wurde in Nord-Bosnien die SAO Ozren Posavina mit der »Hauptstadt« Doboj ausgerufen. Eine Verbindung zwischen der inzwischen in SAO Semberija umbenannten SAO Snejernoistocna Bosna (Bjeljina) und der SAO Ozren Posavina (Doboj) konnte indes aufgrund der dazwischenliegenden Stadt Brčko nie etabliert werden. 1992 missglückte eine weitere militärische Operation (»Operation Korridor«) mit dem Ziel, die SAOs in der »kroatischen Krajina« und der »bosnischen Krajina« zu verbinden.175 Betrachtet man diesen Gebietsaufwuchs, so wird klar, dass dieser in seiner räumlichen und zeitlichen Dimension nicht zufällig von unten nach oben nach »ethnischen Regeln« erfolgte, sondern nur mit operativ-militärischen und wirtschaftlichem Sachverstand erklärbar ist (siehe Abb. 3: »Serbische Autonome Oblaste in Kroatien und Bosnien-Herzegowina« im Anhang). Im April 1992 – also noch vor der formalen Gründung der VRS – verfügte die Republika Srpska über 90  000 Soldaten mit einem Arsenal von etwa 700‑800 Panzern, 4000 Geschützen, rund 100 Flugzeugen und 50 Hubschraubern. Sie war damit die größte bewaffnete Macht in BosnienHerzegowina. Zeitgleich übernahm Präsident Izetbegović die bosnisch-herzegowinische Territoriale Organisation (TORBiH), wobei von 109 lokalen Einheiten sich 73 für Izetbegovićs Republik Bosnien-Herzegowina erklärten. Aus diesen etwa 75  000 übriggebliebenen Mann der TORBiH und der bos174

175

Dies zeigt das Beweismaterial des ICTY, welches zur Verurteilung der Angehörigen des Präsidiums der RS geführt hat. Da der Fall Milošević durch dessen Tod abgeschlossen ist und auch der Generalstabchef der JVA bzw. VJ der Jahre 1989 bis Mai 1992, Blagoje Adžić (1932‑2012), sowie Verteidigungsminister Veljko Kadijević (1925‑2014) verstorben sind, wurde diese Frage nicht durch den inzwischen aufgelösten ICTY geklärt und bleibt der historischen Forschung überlassen. Case Information Sheet »RSK« (IT-95-11) Milan Martić, S. 6.

1. Militärisch-politische Ausgangslage

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niakischen Freiwilligenformation der Patriotska liga mit etwa 35  000 Mann wurden reguläre Streitkräfte geformt. Somit verfügte Bosnien-Herzegowina bei der Anerkennung des Staates im April 1992 durch die EG-Mitgliedstaaten anders als Kroatien in der vergleichbaren Situation mit der Armija Republike Bosne i Hercegovine (ARBiH) bereits über eigene Streitkräfte. Diesen fehlte es jedoch vor allem an schweren Waffen und sie sind eher als leichte Milizinfanterie zu verstehen. Als dritte (kroatische) Partei im Bosnienkrieg etablierte sich zeitgleich die Hrvatsko vijeće odbrane (HVO) des im November 1991 gegründeten kroatischen »Marionettenstaates« Herzeg-Bosna (HZ).176 Dies war die Ausgangslage, als im Juni 1992 das Mandat für UNPROFOR auch auf Bosnien-Herzegowina ausgeweitet und der für Kroatien ausgehandelte Vance-Plan als Blaupause für Bosnien-Herzegowina diente. Wenn dieser bereits auf die Situation in Kroatien nur bedingt passte, so ergaben sich nun noch größere Probleme angesichts der Kräfteverhältnisse und der politischen Programme von anfangs drei regionalen Kriegsparteien (VRS, ARBiH und HVO) und zwei regionalen Schutzmächten (Serbien und Kroatien). Ab Juli 1992 begann sich neben KSZE und UN sukzessive auch die NATO auf dem Balkan zu engagieren.

176

Žunec/Kulenović, Die jugoslawische Volksarmee, S. 381‑407.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien und der Einsatz der Bundeswehr bis zum Vertrag von Dayton Der Einsatz der UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina ab Juni 1992 muss insgesamt und nicht zuletzt wegen des nicht verhinderten Massakers in Srebrenica (11. Juli 1995) als gescheitert angesehen werden. Die Literatur zu diesem Themenkomplex ist kaum überschaubar und reicht von »lessons learned«-Berichten der beteiligten Institutionen, über politikwissenschaftliche und strategiewissenschaftliche Analysen bis hin zu Berichten aus der Feder von Journalisten.1 Die Gründe für dieses Scheitern sind ebenso vielfältig, wie die Anschuldigungen und Exkulpationsversuche ein kaum lösbares Gewirr darstellen. Insgesamt ist festzustellen, dass »die internationale Gemeinschaft« (die eben alles andere als eine Gemeinschaft im Angesicht des Krieges im zerfallenden Jugoslawien darstellte) zu uneinheitlich, zu unentschlossen und daher vor allem zu spät reagierte. Die bereitgestellten Mittel an Personal und Material waren die längste Zeit nicht ausreichend. Ein dezidiertes Eingreifen erfolgte erst nach dem »Schock von Srebrenica« durch die aus der NATOOperation »Deny Flight« entwickelte NATO-Operation »Deliberate Force«, die erst durch die UN-Sicherheitsratsresolution 836 im Juni 1993 möglich wurde.2 Diese führte Anfang September 1995 zur Annahme des Abkommens von Dayton auf der Grundlage des Vance-Owens-Plans, konnte aber nicht den Fall von Srebrenica und Žepa – allerdings sehr wohl den Fall von Goražde und Sarajevo – verhindern.

a) Bosnien-Herzegowina und die »internationale Staatengemeinschaft« bis zum Beginn der NATO-Einsätze Besonders das erste Jahr des UNPROFOR-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina, also bis etwa Mitte des Jahres 1993, war von einem drastischen Missverhältnis der Herausforderungen in Bosnien-Herzegowina und der gewählten Mittel, um diesen zu begegnen, geprägt. Dies mag durch den Transformationsprozess 1 2

Aus dem Bereich des »lessons learned« seien exemplarisch erwähnt: Bair, What Happened in Yugoslavia? Väyrynen, Preventive Action, S. 21‑42. UN/SC 836 vom 4. Juni 1993, dort heißt es unter anderem: »Decides that, notwithstanding paragraph 1 of resolution 816 (1993), Member States, acting nationally or through regional organizations or arrangements, may take, under the authority of the Security Council and subject to close coordination with the Secretary-General and UNPROFOR, all necessary measures, through the use of air power, in and around the safe areas in the Republic of Bosnia and Herzegovina, to support UNPROFOR in the performance of its mandate set out in paragraph 5 and 9 above;« Wortlaut nach: UN Security Council, 3228th Meeting, Resolution S/RES/836, June 4, 1993.

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II. Krieg und Friedensoperationen

aller beteiligten Institutionen, wie UN, KSZE/OSZE, EG/EU, WEU und NATO, nach Ende des Kalten Krieges historisch erklärbar sein.3 Hinzu kam nicht nur in Europa die Suche nach einer »neuen Weltordnung« und das Ringen der Nationalstaaten um die Verortung darin. Besonders betraf diese Neupositionierung in Europa und der Welt auch die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung. Insgesamt fehlten Strukturen, politischer Wille, Informationen und lokales Verständnis, um sich dem Ernst einer sich rasch und dramatisch entwickelnden Lage in Bosnien-Herzegowina zu stellen. In mancher Chronik der beteiligten Institutionen liest sich der zweifelsohne im Laufe der Jahre erfolgte Lernprozess dennoch wie eine Erfolgsgeschichte – ein organisationsgeschichtlich möglicherweise richtiger Befund, der jedoch angesichts des »Preises«, den hierfür die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas zu zahlen hatte, mehr als fragwürdig erscheint. In diplomatiegeschichtlicher Hinsicht bildete die »Berlinerklärung« der KSZE-Mitgliedstaaten vom 19. Juli 1991 bereits den ersten »Webfehler«, der sich später angesichts der beginnenden Erweiterung des UNPROFOR-Einsatzes in Kroatien auf Bosnien-Herzegowina auswirken sollte: In dieser Erklärung wurden die »territoriale Integrität Jugoslawiens« und die »Einheit Jugoslawiens« betont und Wert auf die demokratische Entwicklung sowie Menschen- und Minderheitenrechte gelegt.4 Die »Einheit Jugoslawiens« war jedoch zu diesem Zeitpunkt, nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens, bereits eine Schimäre. Andererseits ist in diesem Zusammenhang das wenig bekannte »Zulfikarpašić-Karadžić-Abkommen« vom Juni 1991 von Interesse: Adil Zulfikarpašić5, Sohn eines bosnischen Adeligen, ehemaliger Tito-Partisan und Schweizer Finanzdienstleister, handelte mit Karadžić und Milošević ein Abkommen aus, welches den Verbleib eines ungeteilten Bosnien-Herzegowinas, verstärkt durch den Sandschak, vorsah. Dafür sollte keine Verbindung der SAOs in Kroatien und BosnienHerzegowina stattfinden. Das Abkommen hätte mit dem Unteilbarkeitsprinzip der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken gebrochen, dafür aber muslimisch dominierte Gebiete ebenso »wiedervereinigt« wie serbisch dominierte Gebiete. Zulfikarpašić vertrat die Meinung, Milošević habe die SAO nur als »Drohkulisse« zur Stärkung der eigenen Verhandlungsposition aufgebaut. Zulfikarpašić zufolge war es vor allem ein Fehler von Izetbegović, das Abkommen nicht unterschrieben zu haben.6 Während das ZulfikarpašićKaradžić-Abkommen in der neueren Forschung nur sporadisch erwähnt 3 4 5 6

Schulte, Former Yugoslavia, S. 19‑42. Berlinerklärung der KSZE vom 19.7.1991. Adil Zulfikarpašić (1921‑2008), ursprünglich aus der Beg-Familie der ZulfikarpašićČengić. Milovan Đjilas, Nadežda Gaće: Adil Zulfikarpašić. Eine politische Biographie aus dem heutigen Bosnien. Ins Deutsche übersetzt und eingeleitet von Jens Reuter, München 1996 [= Untersuchungen zur Gegenwartskunde Südosteuropas, 33]. Englische Ausgabe: The Bosniak. Adil Zulfikarpašić in dialogue with Milovan Đilas and Nadežda Gaće, London 1998.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien

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wird,7 war es in den 1990er Jahren zumindest im deutschen Sprachraum noch bekannt. Zulfikarpašić dachte damit »out of the box« – ein Ansatz, den sich die »internationale Gemeinschaft« nicht traute, um die »Büchse der Pandora« nicht zu öffnen. Dieser Ansatz erwies sich historisch betrachtet als falsch. Die Dynamik der Veränderung war im Sommer 1991 bereits so stark, dass sie sich, wenn von außen gebremst, gewaltsam Bahn brechen sollte. Die Frage, wie Karadžić oder Milošević sich verhalten hätten, wenn Izetbegović das Zulfikarpašić-Karadžić-Abkommen unterzeichnet hätte, oder was es bedeutet hätte, wenn dieses Abkommen wirklich zustande gekommen wäre, ist freilich kontrafaktisch. Dennoch verdient dieses Abkommen als potentielle »Weggabelung« zwischen Krieg und Frieden Gegenstand zukünftiger Forschung zu sein. Wie bereits gezeigt werden konnte, handelte die »serbische Seite« gemäß eines stimmigen Plans – »der Westen« hingegen improvisierte. Die im Rahmen der KSZE einmal formulierte gemeinsame Position der USA, Russlands und Europas legte politisch für längere Zeit alle Beteiligten fest. Ein Verstoß gegen diese Position drohte die frische Errungenschaft gemeinsamer »OstWest-Positionen« zu gefährden. Nicht zuletzt wurde Jugoslawien als ehemaliger Teil des »kommunistischen Machtbereichs« auch als Teil einer russischen Einflusszone gesehen. Dort galt es für die westliche Staatenwelt vorsichtig zu agieren, um die ohnehin fragile Sowjetunion bzw. Russland nicht zusätzlich zu schwächen oder gar zu provozieren. Eine weitere Erklärung für die Uneinigkeit in Bezug auf die Frage, wie auf Jugoslawiens Desintegration reagiert werden solle, bietet der traditionell unterschiedliche Umgang der im UN-Sicherheitsrat repräsentierten Mächte sowie unter den EG-Mitgliedstaaten mit separatistischen Bewegungen oder Irredentismus.8 So taten sich etwa die Vereinigten Staaten und Russland, aber auch Großbritannien und Spanien aufgrund ihrer eigenen historischen Erfahrungen und Konzeptionen mit Unabhängigkeitsbewegungen traditionell schwerer als etwa Deutschland oder abgestuft auch Frankreich. All dies wirkte sich auch auf die Präferenzen der nationalen Regierungen für verschiedene »für Jugoslawien zuständige« Institutionen aus: Sollte die Jugoslawienkrise im Zusammenwirken mit Russland, als Problem im »europäischen Haus« (Gorbatschow), also institutionell im Rahmen der KSZE erfolgen? Schlug nun endlich die Stunde der Vereinten Nationen oder war dies der historische Moment in dem das sich zunehmend vereinigende Europa seinen im Ersten Weltkrieg verlorenen politischen Einfluss wiedererlangen konnte? Waren die Vereinigten Staaten von Amerika als »letzte Supermacht« überhaupt bereit, sich in Europa zu engagieren und, falls ja, sollte dies im Alleingang, gemeinsam mit Russland in der KSZE oder UNO oder mit den »alten Partnern« der NATO gegen rus7

8

Bspw. kurz erwähnt bei: Strokes, Independence and the Fate of Minorities. Am ausführlichsten, aber auch nicht über das in der Zulfikarpašić-Biografie erwähnte hinausgehend: Burg/Shoup, The War in Bosnia-Herzegovina, S. 72 f. Siehe hierzu zeitgenössisch: Horowitz, Irredentas and Secessions sowie: Buchanan, Secession, S. 151‑162.

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II. Krieg und Friedensoperationen

sische Interessen geschehen? Sollte die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung ihr neu gewonnenes Gewicht für die Lösung der Jugoslawienprobleme und den Frieden in Europa in die Waagschale legen oder stand es den Deutschen besser an, die Initiative den traditionellen Schutzmächten Jugoslawiens, also Großbritannien, Frankreich und Russland, zu überlassen? Dies auch angesichts der historischen Zerschlagung des ersten Jugoslawiens durch das »Dritte Reich« und das faschistische Italien unter Nutzung Kroatiens unter Ante Pavelić. Die Antwort auf diese zeitgenössisch viel diskutierten offenen Fragen bedingte das konkrete Handeln beim Jugoslawienproblem. Die Maximen sollten sich aber im Laufe der Zeit ändern. Die »Kohl-Doktrin«, die besagte, dass in denjenigen Ländern, die von der Wehrmacht im »Dritten Reich« besetzt worden waren, keine deutschen Soldaten eingesetzt werden dürften, schwächte den Einfluss der deutschen Politik im internationalen Rahmen. Während des Krieges in Bosnien-Herzegowina löste sie sich zunehmend auf. Als Ende Juli 1991 die EG-Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen, ihre Beobachtermission in Kroatien auf 200 Beobachter zu vervierfachen, wurde die Entsendung – an sich verständlicherweise – durch deren Sicherheitsgarantie und einen Waffenstillstand konditioniert.9 Dies führte indes zu der fatalen Logik, dass eine effektive Beobachtung seitens der ECMM durch Bruch von Waffenstillständen oder Bedrohung des Personals durch die jugoslawischen Kriegsparteien stets vereitelt werden konnte. Im Oktober 1991 wurde nach einer Anfrage des Präsidenten der – zu diesem Zeitpunkt noch nicht für unabhängig erklärten – (Teil-)Republik Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegović, vom 10. September das Mandat der ECMM auf »Verhinderung von Feindseligkeiten«10 in Bosnien-Herzegowina erweitert und erneut an die Garantie der Sicherheit der Beobachter gebunden.11 Zur Erfüllung der Aufgabe »Verhinderung von Feindseligkeiten« konnte die ECMM aber weder zahlenmäßig noch hinsichtlich ihrer Ausrüstung – deren Operation war als zivile Beobachtermission konzipiert – in der Lage sein. Ihre Verdienste lagen jedoch in der unabhängigen Information der EG über die ungeschminkte Lage vor Ort. Zeitgleich hatte Izetbegović der EG auch erfolglos die Errichtung einer demilitarisierten Sechs-Meilen-Zone entlang der Flüsse Una und Sava vorgeschlagen, um Bosnien-Herzegowina von Kroatien und dem dortigen Konflikt zu trennen.12 Angesichts der Festlegung der KSZE-Mitgliedstaaten auf die territoriale Integrität Jugoslawiens, deren Teilrepublik Bosnien-Herzegowina war, hätte eine solche Anfrage völkerrechtlich gesehen nur Erfolg haben können, wenn diese von Jugoslawien, also Belgrad, gestellt worden wäre. Belgrad indes hatte an solch einer Lösung kein Interesse: Bosnien-Herzegowina wurde nicht zuletzt als Aufmarschgebiet gegen Kroatien gebraucht und solch 9 10 11 12

EG-Außenminister vom 29.7.1991. Altekrüger, European Union Monitoring Mission. EG-Außenminister vom 11.9.1991. Chronik, Srebrenica Report.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien

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eine demilitarisierte Zone hätte die Pläne in der Krajina durchkreuzt. Am 19. September 1991 reagierten der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Ministerpräsident François Mitterrand in einem gemeinsamen Vorschlag auf Izetbegovićs Anliegen. Sie schlugen die Errichtung einer Pufferzone in Jugoslawien vor, die durch eine Friedenstruppe der WEU überwacht werden sollte. Den europapolitischen Hintergrund für diesen deutschfranzösischen Vorstoß bildete freilich das Vorfeld des EG-Gipfels in Maastricht vom Dezember 1991. Die Forderung nach einer WEU-Friedenstruppe passte in das zu dieser Zeit aktuelle deutsch-französische europapolitische Konzept der Bildung einer Europa-Armee unter Aufwuchs der deutsch-französischen Brigade auf Stärke einer autonom einsetzbaren verstärkten Division mit 30  000 Mann. Dies hatten Mitterrand und Kohl auch im Oktober 1991 den übrigen EG-Regierungschefs vorgeschlagen.13 Aus diesem Kontext heraus ist die Ablehnung des Vorschlags einer WEU-Friedenstruppe für Jugoslawien seitens der britischen Regierung zu begreifen. London – zu diesem Zeitpunkt atlantischer als die USA – lehnte noch im Oktober den deutsch-französischen Vorstoß für eine Bildung einer Europa-Armee mit dem Hinweis ab, diese könne eine Gefahr für die NATO darstellen.14 Im November 1991 sollten schließlich die NATO-Mitgliedstaaten das »New Strategic Concept« der NATO, in dem erstmals »Peacekeeping« als Aufgabe der NATO definiert wurde, beschließen.15 So ging es bei der britischen Ablehnung um weit mehr, als »nur« um Jugoslawien. Zur Debatte stand vielmehr die strategische Frage, ob die europäische Sicherheit in Zukunft im europäischen oder im NATORahmen zu organisieren sei. Die Position Großbritanniens war, dass »europäische Lösungen« im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik abzulehnen seien und dass auf eine »angelsächsische Lösung«, also Sicherheitspolitik unter Führung der USA im NATO-Rahmen, gesetzt wurde. Das Jugoslawienproblem erschien für London – wie auch für Paris und Bonn – im Vergleich zu solchen »großen« strategischen Fragen eher zweitrangig zu sein. Deutschland wiederum schloss nationales Handeln in Jugoslawien aus (»Kohl-Doktrin«) und benötigte daher die WEU als Handlungsrahmen für einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten. Einen potentiellen Einsatz im NATO-Rahmen verhinderte zu diesem Zeitpunkt allen voran die Politik der NATO-Führungsmacht USA: Die Bush-Administration lehnte – ebenfalls aus geostrategischen Überlegungen, vor allem vis-à-vis der zerfallenden Sowjetunion (bis Dezember 1991) bzw. Russland – eine Teilung Jugoslawiens und einen Einsatz dortselbst ab. Auch nach der Wende in der amerikanischen Jugoslawienpolitik ab Mai 1992 wurde der Einsatz von Bodentruppen 13

14 15

Mitterrand joins Kohl proposing a European Army. In: New York Times vom 17.10.1991. Zur französischen Jugoslawienpolitik im Rahmen der sicherheitspolitischen Paradigmen: Wood, France and the Post Cold War Order. Für den Kontext der Ausdefinierung des Verhältnisses NATO-WEU-EG, siehe: WyattWalter, The European Community. NATO, New Strategic Concept, 8.11.1991. Siehe für diesen Zusammenhang: Hodge, NATO North and South, S. 108‑111.

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II. Krieg und Friedensoperationen

in Washington stets ausgeschlossen und dabei auf eine historische Analogie zum Tod von 241 US Marines bei ihrem Einsatz in Beirut im Jahr 1983 sowie allgemeiner auch auf die Niederlage von Vietnam verwiesen.16 Hier wirkte sich offensichtlich auch der jugoslawische Partisanenmythos konkret auf die Politik aus. Diese Politik der militärischen Nicht-Einmischung kann auch als klares Signal an Russland, die USA wollen den Kalten Krieg nicht wieder beginnen, gewertet werden. Darüber, wie stark die gedankliche Einteilung der Welt in Einflusssphären als Erbe der Ost-West-Konfrontation die Jugoslawienpolitik konkret bestimmt haben mag, kann nur spekuliert werden. Doch war das Gespenst eines Rückfalles in die Zeit vor 1990 sicherlich nicht selten handlungsleitend. Solche vor dem großen weltpolitischen Rahmen nachvollziehbare Einschränkungen nahmen jedoch in psychologischer Hinsicht jedem weiteren Eskalationsschritt die volle Wirkung: Die letzte »Sprosse auf der Leiter«, die Drohung mit einer militärischen Intervention, wurde hierdurch von Haus aus unglaubwürdig. Der politisch motivierte Wunsch nach Berechenbarkeit konterkarierte die noch in Zeiten der »flexible response« gültige Doktrin, dass erfolgreiche Abschreckung stets einer gewissen Unberechenbarkeit hinsichtlich der nächsten Eskalationsschritte bedarf. Neben solchen Gründen in der »großen Politik« lagen die Probleme jedoch auch im persönlichen Bereich. Izetbegović17, ab 1990 mit Fikret Abdić Führungsperson der (bosniakischen) »Partei der demokratischen Aktion«, war 1946 von einem Militärgericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden.18 Der Jurist hatte Mitte der 1960er Jahre maßgeblich an der »Islamischen Deklaration« der Jungmuslime mitgewirkt. Darin hatte er eine Wiedergeburt einer islamischen Ordnung unter Absage an das westliche Konzept des Nationalismus als »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus gefordert. Erst ab 1983 wurde die »Islamische Deklaration« in Jugoslawien als staatsgefährdend angesehen und diente im politischen Prozess gegen 13 muslimische Intellektuelle als »Beweis« ihrer fundamentalistischen Gesinnung. Izetbegović wurde damals zu 14  Jahren Gefängnis verurteilt, 16

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Am 21.6.1991 hatte Secretary of State James Baker erklärt, die USA unterstütze ein demokratisches und einiges Jugoslawien und werde keine einseitigen Unabhängigkeitserklärungen anerkennen. Noch nach dem Abzug des US-Botschafters aus Belgrad im Mai 1992 betonte die USA, der Einsatz militärischer Gewalt sei »not an option« und Bosnien-Herzegowina liege außerhalb der amerikanischen Sicherheitsinteressen. Erst am 31. Mai 1992 erklärte Bush: [...] the grave events in Serbia and Montenegro constitute an unusual and extraordinary threat to the national security, foreign policy and economy of the United States«, Vgl. Baker urges end to Yugoslav rift. In: New York Times vom 22.7.1991. Zur Wende der US-Politik im Mai 1992, siehe: Popovic, Debating Operation Quagmire Storm, S. 292‑294. Zum frühen politischen Ansatz von Alija Izetbegović (1925‑2003) und Fikret Abdić (geb. 1939) siehe: Armina Omerika: Islam in Bosnien-Herzegowina und die Netzwerke der Jungmuslime (1918‑1983), Wiesbaden 2014. Die Gründe für diese Verurteilung sind umstritten, jedoch scheint es sich bei dem Vorwurf, Izetbegović sei während des Zweiten Weltkrieges ein Kollaborateur der SS gewesen, um Propaganda zu handeln. Der junge Izetbegović war während des Weltkrieges Mitglied der »Jungmuslime«. Hoare, Bosnian Muslims, S. 12.

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wobei die Haftstrafe später auf neun Jahre verkürzt werden sollte und Izetbegović im Zuge des politischen Umbruchs des Jahres 1988 frei kam.19 Solch eine Biografie war westlichen Diplomaten weit fremder als etwa die kommunistische Parteikarriere Miloševićs. Während die kroatische Führung etwa am 17. August offen von Papst Johannes Paul II. unterstützt wurde, als dieser erklärte, diese habe »legitime Ziele«, und sich somit viele Katholiken in Europa und Amerika für die Probleme Kroatiens zu interessieren begannen, bot ein – und sei es auch durch ein kommunistisches Regime – wegen »Fundamentalismus« Verurteilter Moslem weit weniger Anschlusspunkte für europäische oder gar amerikanische Sympathien. Hinzu kam die serbische Propaganda, welche die Behauptung in die Welt setzte, Izetbegović sei Mitglied der aus bosnischen Muslimen rekrutierten 13.  Waffen-Gebirgs-Division der SS »Handschar« gewesen. Auch wenn dieser Vorwurf bis heute nicht belegt werden konnte und damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der zum Zeitpunkt der Gründung der Handschar-Division (1943) 18-jährige Izetbegović dieser nicht angehört hatte, so verfehlte diese Desinformation keinesfalls ihre Wirkung:20 Der Anführer der Bosniaken schien – so die in die Welt gesetzte serbische Propaganda – die Gefahren des islamischen Fundamentalismus und des Nationalsozialismus kroatischer Prägung in seiner Person zu vereinen. Der spätere, ab 1992 zunehmende und 1994 gipfelnde amerikanische Druck auf Kroatien, die herzegowinischen Kroaten als Gegengewicht zu einem islamischen Staat unter Izetbegović in Bosnien-Herzegowina zu belassen, mag auch auf solche Überlegungen zurückzuführen sein.21 Eine genauere Betrachtung der Muslimischen22 (bosniakischen) Akteure zeigt, dass diese aus Intellektuellen mit wenig Führungs- und keiner diplomatischen oder militärischen Erfahrung 19 20 21 22

Omerika, Der Islam in Jugoslawien; Omerika, The Role of Islam. Eine sachliche Falsifizierung des Vorwurfs bietet: Hoare, Monty Python and the Balkan Islamofascist Division vom 30.11.2007. Krišto, Deconstructing the Myth, S. 58. Der Begriff »Muslimisch« (mit »großem M«) wird, wie in der einschlägigen Literatur üblich, aber entgegen der deutschen Rechtschreibung zur Unterscheidung von der mit »kleinem m« geschriebenen rein religiösen Zuschreibung verwendet. Dies geht auf die historisch kontroverse Verwendung der Begriffe zurück: Unter österreichisch-ungarischer Herrschaft scheiterte der Versuch, alle Einwohner Bosnien-Herzegowinas als Bosniaken (Bošnjaci) zu bezeichnen an dem Widerstand der katholischen (bosnische Kroaten) und serbisch-orthodoxen (bosnische Serben) Einwohner. Die Selbstbezeichnung der muslimischen Einwohner lautete daher weiterhin Bosniak (Bošnjak), doch waren diese weder im Königreich noch im kommunistischen Jugoslawien als eigene Nation (i.S.v. Ethnie) anerkannt. Im Königreich diente die Bezeichnung muslimisch lediglich als religiöse Spezifizierung der ethnischen Zuschreibung als Serbe oder Kroate. Erst die Volkszählung von 1971 ließ die Zuschreibung als Muslim im ethnischen Sinne und die Anerkennung einer Muslimischen Nation Jugoslawiens zu. 1993 wurde offiziell der Begriff Bosniake (Bošnjak, pl. Bošnjaci) für die vormaligen sog. ethnischen Muslime Bosnien-Herzegowinas im Gegensatz zu dem für die Staatsbürger aller Volksgruppen geltenden Begriff der Bosnier (Bosanci) eingeführt. Entsprechend wird folgend bis 1993 der Begriff Muslimisch und ab dieser Zeit der Begriff bosniakisch immer dann verwendet, wenn die Ethnie gemeint ist.

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bestanden. Izetbegovićs Stellvertreter als Präsident, Ejup Ganić, war seit 1985 Professor für Mechanik an der Universität Sarajevo. Bevor er 1981 nach Sarajevo zurückkehrte, hatte er sieben Jahre lang eine wissenschaftliche Karriere in den USA, die meiste Zeit am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), absolviert. Der erste Premierminister von BosnienHerzegowina, Rusmir Mahmutćehajić, war von 1985 bis 1991 Professor für Elektroingenieurswesen an der Universität Osijek und hatte sich während eines Aufenthaltes als Gastprofessor an der Katholischen Universität Leuven als international anerkannter Experte auf dem Feld der Elektromagnetik profiliert.23 So unterschieden sich die Vertreter Izetbegovićs hinsichtlich Ausbildung und internationaler Vernetzung interessanterweise kaum von Karadžićs Vertreterin, der Biologieprofessorin aus Sarajevo, Biljana Plavšić. Die militärische Führung der Muslimischen (bosniakischen) Kriegspartei wiederum muss im Vergleich zu den entsprechenden kroatischen und serbischen Akteuren als weniger geschult angesehen werden: Während in der JVA und auch in der kroatischen HV bereits zu Friedenszeiten gründlich ausgebildete Generale führten, löste im Mai 1992 der ehemalige JVA-Major, General Sefer Halilović, Oberst Hasan Efendić in der Führung der TO der Republik Bosnien-Herzegowina ab. Sein Nachfolger wurde im Juni 1993 dessen »Operationschef«, der ehemalige JVA-Oberstleutnant General Rasim Delić. Die Unterrepräsentation der Muslime in den Führungspositionen der JVA schlug also auf die militärische Expertise der militärischen Führung Bosnien-Herzegowinas durch. Dies zusammengenommen bedeutet, dass sowohl die politische Führung Bosnien-Herzegowinas als auch deren engste militärische Berater einen im Vergleich zu ihren Kriegsgegnern geringen Professionalitätsgrad aufwiesen – ein Umstand, der sich auf die politische Strategie und auf die militärische Operationsführung, Ausbildung und Disziplin der ARBiH auswirken musste. Dies sollte wiederum Folgen für die Wahrnehmung dieser Kriegspartei durch die »internationale Gemeinschaft« und UNPROFOR haben. Als zweiter »Webfehler« muss gelten, dass es trotz der starken Abhängigkeit Russlands von westlichen Hilfen lange nicht gelang, Russland von der Notwendigkeit zu überzeugen, im UN-Sicherheitsrat für mehr als zustimmungspflichtige friedenserhaltende Einsätze (also für Einsätze nach Kapitel VII, UN-Charta) zu stimmen. So entstanden Situationen wie die, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit Resolution UN/SC  71324 im September 1991 lediglich zu einem Waffenembargo gegen Jugoslawien durchringen konnte, aber der Ministerrat der EG im November bereits ein Handelsembargo gegen Jugoslawien verhängte. Solche Uneinigkeit wurde von allen Kriegsparteien registriert. Angesichts unterschiedlicher Rüstungslagen in den ehemaligen Teilrepubliken wirkte sich die Embargopolitik darüber hinaus auf die 23

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Kurzbiografie von Mahmutćehajić in: The Muslim 500. The World’s 500 Most Influential Muslims 2021, hrsg. von Abdallah Schleifer im Auftrag des Royal Islamic Strategic Studies Center, Amman (Jordanien) 2020, S. 187. UN/SC 713 vom 25.9.1991.

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Kriegsparteien unterschiedlich aus. Jugoslawien bzw. Serbien-Montenegro, die durch das Erbe der JVA militärisch stark waren, konnten nicht durch ein regionales militärisches Kräftegleichgewicht von der Anwendung militärischer Gewalt abgeschreckt werden, da das Rüstungsembargo die Aufrüstung und damit die Aufstellung einer effektiven Verteidigung in Bosnien-Herzegowina verhinderte. Die bosnischen Serben aber wurden mit Waffen der JVA versorgt. Eine Prozedur, die zumindest formal keiner völkerrechtlichen Bestimmung widersprach – vorausgesetzt, man nahm an, dass Jugoslawien noch als Staat bestünde. Das Handelsembargo wiederum wirkte sich auch auf BosnienHerzegowina zunehmend destabilisierend und politisch radikalisierend aus. Einen Ausgleich hinsichtlich des militärischen Ungleichgewichts konnte lediglich die Personal-, Waffen- und Materialhilfe aus Kroatien schaffen. Diese indes widersprach den UN-Resolutionen und damit dem geltenden Völkerrecht. Bosnien-Herzegowina bat am 20. November 1991 um die Entsendung von UN-Truppen, doch war dies, analog zur Lage in Kroatien, aufgrund der fehlenden Bereitschaft der permanenten Vertreter im UN-Sicherheitsrat, einen Einsatz nach Kapitel VII der UN-Charta zu genehmigen, nicht möglich. Erst als im Dezember 1991 die Flüchtlingszahlen eine halbe Million Menschen überstiegen, beschloss die EG am 2.  Dezember 1991 Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Slowenien und Kroatien von dem Handelsembargo auszuschließen. Damit galt dieses Embargo nur noch für Serbien und Montenegro. Einen Tag vor Weihnachten 1991 bat Izetbegović erneut darum, UN-Friedenstruppen nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden. Der einzige Weg ohne die Zustimmung Belgrads und Russlands völkerrechtskonform UNFriedenstruppen nach Bosnien-Herzegowina schicken zu können, war über den Umweg der staatlichen Unabhängigkeit. Doch dieser Weg, der für Kroatien, nachdem die EG-Staaten geschlossen Kroatien und Slowenien am 15.  Januar 1992 anerkannt hatten, möglich geworden war, schien BosnienHerzegowina versperrt zu sein. Am 9. Januar 1992 machte auch die EG deutlich, dass sie Bosnien-Herzegowina wegen der »Gefahr eines ethnischen Konflikts« im Unterschied zu Slowenien und Kroatien nicht anerkennen werde. Während also im Februar 1992 durch UN/SC 743 eine 13 000 Mann starke, auf ein Jahr zeitlich begrenzte UN-Friedenstruppe für Jugoslawien (praktisch für die Krajina in Kroatien) ausdefiniert wurde, bereitete sich BosnienHerzegowina auf das für den 29.  Februar 1992 festgesetzte Unabhängigkeitsreferendum vor. Im Nachhinein haben viele westliche Beteiligte vorgebracht, dass das Referendum den Konflikt verschärft habe und behauptet, dass dieses erst den Krieg in Bosnien-Herzegowina entfacht habe. Angesichts der seit April 1991 in Bosnien-Herzegowina deutlich sichtbaren Politik der Serbischen Autonomen Oblaste (SAO), analog zur SAO-Politik in Kroatien, kann freilich bezweifelt werden, dass der Krieg in Bosnien-Herzegowina ohne äußeres Eingreifen hätte verhindert werden können. Dass die Regierung Bosnien-Herzegowinas den Ernst der Lage bereits längere Zeit erkannt hatte,

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zeigen nicht zuletzt die Apelle Izetbegovićs an die Vereinten Nationen. Ein Eingreifen der UN war jedoch nur durch staatliche Unabhängigkeit zu erzwingen. Die separatistische Lösung schien vielen Akteuren demzufolge wie die »Zerschlagung eines Gordischen Knotens«, der sich aus einem Gewirr widersprechender internationaler Interessen, Institutionen und völkerrechtlicher Interpretationen gebildet hatte. Die Europäische Gemeinschaft wiederum hatte bereits deutlich gemacht, dass sie eine Aufspaltung der Teilrepubliken ablehnte (Badinter-Prinzip vom November 1991). Die zu einem frühen Zeitpunkt durchaus noch realistische Möglichkeit, die Muslimisch (bosniakisch) bewohnten Teile BosnienHerzegowinas mit den kroatisch bewohnten Teilen und dann mit Kroatien zu einem Staatenbund zu vereinen (was zeitweise ein Ziel kroatischer Politiker war) und mehrheitlich serbisch bewohnte Gebiete an Serbien anzuschließen (der Wunsch der meisten serbischen Bosnier sowie der Belgrader Eliten), verbat sich entsprechend dieser Festlegung. Der Verbleib der gesamten Teilrepublik in Jugoslawien – im Juni 1991 nach Art des ZulfikarpašićKompromisses durchaus für einen Teil der Muslime noch eine annehmbare Option – konnte angesichts des Krieges Jugoslawiens gegen Kroatien und der bereits in der SAO Krajina erfolgten »ethnischen Säuberungen« auch gegen Muslime nicht nur für den kroatischen Bevölkerungsteil nicht mehr akzeptabel sein. Für Izetbegović blieb somit nur noch die »Lösung« durch staatliche Unabhängigkeit die eigene Verhandlungsposition zu verbessern. Darauf zu warten, dass »seine« Klientel, also die Muslime in Bosnien-Herzegowina, durch ein »großserbisches«, also irredentistisch-serbisches Programm innerhalb der »eigenen« Teilrepublik, marginalisiert werde, widersprach dem Programm Izetbegovićs. Izetbegović selbst scheint ein entsprechend irredentistisches »großkroatisches« Programm weniger als Gefahr für einen separatistischen Einheitsstaat oder die Zukunft der Muslime unter seiner Führung wahrgenommen zu haben. Hierbei spielte sicherlich auch eine Rolle, dass muslimische Ex-Jugoslawen im serbisch-kroatischen Krieg als Freiwillige im Rahmen der HV kämpften. Die Sichtweise der Muslime (Bosniaken) in der Herzegowina andererseits lässt sehr wohl auch das Leitmotiv einer Furcht vor kroatischer Dominanz erkennen. Allerdings gab es weder Zeit noch demokratische Foren, um solche Überlegungen sachlich reifen zu lassen. Durch den am 21. Januar 1992 beschlossenen und ab 22. März anlaufenden Einsatz der UNPROFOR in Kroatien wurde die Möglichkeit einer potentiellen kroatischbosnisch-herzegowinischen Union (»West-Jugoslawien-Idee«) praktisch verwehrt. Der Einsatz der UNPROFOR fror den Status quo ein und festigte damit faktisch den – wenn auch de jure informellen – Status der SAO Krajina in Kroatien. Daraus und in Verbindung mit der Tatsache, dass die Verbindung der SAO Krajina mit dem serbischen »Mutterland« durch Bosnien-Herzegowina lief, erklärt sich, wieso das Parlament Bosnien-Herzegowinas (unter Boykott der serbischen Abgeordneten) nur vier Tage nach dem ersten UNPROFORMandat (UN/SC 743 vom 21. Januar 1992) den Beschluss fasste, am 29. Februar – also noch vor Eintreffen von UNPROFOR – ein Unabhängigkeitsreferendum

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abzuhalten. Bei einer Wahlbeteiligung von 63 Prozent stimmten 99,4 Prozent für »volle Unabhängigkeit«, wobei in den SAOs die Abstimmung boykottiert wurde. Die Zahl von 99,4 Prozent erscheint freilich für freie Wahlen unwahrscheinlich hoch. Dennoch galt damit zeitgenössisch Izetbegović gegenüber der »internationalen Gemeinschaft« als legitimer Vertreter der Bosniaken. Andererseits zeigte der serbische Wahlboykott auch deutlich die Grenzen seines Mandats: Spätestens jetzt verstand jeder, dass Izetbegović eben nicht der demokratisch legitimierte Vertreter aller Einwohner Bosnien-Herzegowinas war und somit kaum »die Serben« in seiner Republik zu vertreten in der Lage war. Das Unabhängigkeitsreferendum delegitimierte also zugleich Izetbegović in den Augen der bosnischen Serben um Karadžić und ließ eine Unabhängigkeitserklärung der SAO bzw. der Republika Srpska im Falle einer Unabhängigkeitserklärung der (Teil-)Republik alternativlos erscheinen. Sowohl die Unabhängigkeit der Republik Bonien-Herzegowina von RestJugoslawien als auch die Unabhängigkeit der RS von einem unabhängigen Bosnien-Herzegowina entsprach, vorausgesetzt, man glaubt den astronomischen Abstimmungsergebnissen, dem jeweiligen Volkswillen. Die Chance, durch dieses Referendum den Willen des Volkes konstruktiv zu kanalisieren und flächendeckend etwa durch Wahlbeobachter zu überwachen, war durch die »internationale Gemeinschaft« zu diesem Zeitpunkt bereits vertan worden. Eine Möglichkeit, dass Regionen mit mehrheitlicher Ablehnung eines bosnisch-herzegowinischen Einheitsstaates kontrolliert für die Zugehörigkeit zu einem anderen Staat hätten optieren können – etwa entsprechend der Abstimmung zur Saarfrage des Jahres 1955 und der Angliederung des Saarlandes 1957 –, war durch das Badinter-Dogma bereits ausgeschlossen. Die abstimmende Bevölkerung konnte sich in BosnienHerzegowina nur zwischen serbischer Dominanz in einem unfreien, kriegführenden neo-kommunistischen Staat unter Milošević und unsicherer staatlicher Unabhängigkeit der Teilrepublik unter Widerspruch einer signifikanten Minderheit entscheiden. Beides waren – egal, ob der Wähler Serbe, Kroate oder Muslim (Bosniake) war – schlechte Lösungen. Entsprechend der jeweiligen Ethnie wurde sich, wenn die Abstimmungsergebnisse denn überhaupt demokratischen Mindeststandards entsprachen, für die dem ethnischen Kollektiv näherliegende Lösung entschieden; die staatliche Zukunft wurde auf ethnisch-territoriale Fragen eindimensional verengt. Das in Slowenien und abgestuft auch in Kroatien durchaus friedensfördernde Badinter-Prinzip verhinderte in Bosnien-Herzegowina die Möglichkeit »kreativer Lösungen«, die den betroffenen regionalen Mehrheiten entsprochen hätten und die vor dem Krieg durchaus noch mit verbrieften Minderheitenrechten für die regionalen Minderheiten eine reale Chance des friedlichen Miteinanders hätten bieten können. Hintergrund war die nicht von der Hand zu weisende Befürchtung, dass eine Aufteilung Jugoslawiens unterhalb der Ebene der Teilrepubliken zu einer unkontrollierbaren »Balkanisierung des Balkans« führen könnte. Eine systematische Neuordnung Jugoslawiens nach komplexeren Gesichtspunkten schien die Völkergemeinschaft auch angesichts der Analogie zum Zerfall der

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Sowjetunion zu überfordern und aufgrund eines zu langen kontrafaktischen Festhaltens an einem Jugoslawien dessen ehemalige Garantiemächte – also die im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht ausgestatteten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges – auch gar nicht zu interessieren. Das eilig organisierte Unabhängigkeitsreferendum in Bosnien-Herzegowina bot also vor allem aufgrund äußerer Faktoren lediglich die begrenzte Möglichkeit, sich zwischen Unabhängigkeit der Teilrepublik BosnienHerzegowina oder Zugehörigkeit zu Jugoslawien (ein Staat, welcher nach EG-Interpretation gar nicht mehr existierte) zu entscheiden, nicht aber die Möglichkeit, auf die verfassungsmäßige Neugestaltung dieses neu entstehenden unabhängigen Staates einwirken zu können. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig festzustellen, dass, als in Folge des Unabhängigkeitsreferendums am 2. März 1992 in Sarajevo die ersten Barrikaden errichtet wurden, am Folgetag sowohl Karadžić als auch Izetbegović Friedensappelle an die Bevölkerung richteten. Durch Einsatz ethnisch gemischter Polizeistreifen gelang es noch kurzfristig, die Situation zu beruhigen. Retrospektiv betrachtet ist ferner festzustellen, dass dies der wohl letzte Moment gewesen wäre, an dem eine sich bereits im Land befindliche internationale Friedenstruppe noch eine realistische Chance hätte haben können, den Ausbruch des Krieges in Bosnien-Herzegowina – den offenbar weder Izetbegović noch Karadžić wollten – zu verhindern. Umso stärker ist zu diesem Zeitpunkt auf die fatale Rolle der JVA im Dienst der serbischen Milošević-Regierung hinzuweisen. Sie konnte aufgrund ihrer im kroatischserbischen Krieg deutlich gewordenen proserbischen Ausrichtung in diesem Konflikt, in dem eine Partei aus Serben bestand, keine neutrale Kraft darstellen. Als Exponent dieser nicht-jugoslawischen Neuausrichtung der Jugoslawischen Volksarmee muss insbesondere Mladić gelten. Die Regierung in Belgrad nahm – in der eigenen Wahrnehmung für »höhere Staatsziele« im Krieg gegen Kroatien – eine Eskalation in Bosnien-Herzegowina und damit auch indirekt die Gefährdung der serbischen Bevölkerungsteile dortselbst zumindest billigend in Kauf. An dieser Stelle gilt es aufzuzeigen, dass die anfangs in der »internationalen Gemeinschaft« und bei UNPROFOR in Sarajevo verbreitete Sichtweise, dass Serbien (Milošević) unionistisch »für Jugoslawien« gekämpft habe, aber Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina durch ihren Separatismus Jugoslawien zu zerstören gesucht hätten, unzulässig simplifizierend ist. Allenfalls mag dies noch beim Einsatz der JVA im slowenischen Unabhängigkeitskrieg der Fall gewesen sein. Dies verdeutlicht ein kurzer Exkurs in die jugoslawische Geschichte: Das Territorium Jugoslawiens war 1918 (damals noch als »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen«) aus Serbien – welches bereits 1913 die Gebiete Mazedoniens und das Kosovo erobert hatte –, Montenegro sowie den aus dem Kriegsverlierer Österreich-Ungarn ausgegliederten ehemaligen ungarischen Territorien Kroatien-Slawonien und Vojvodina, dem Kronland Dalmatien und dem österreichischen weitestgehend slowenisch-sprachigen

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Herzogtum Krain sowie aus dem, dem gemeinsamen österreichisch-ungarischen Finanzministerium unterstehenden, Bosnien-Herzegowina gebildet worden. Das bis 1941 bestehende monarcho-faschistische Königreich Jugoslawien hatte in der Folge immer stärkere Formen eines serbisch dominierten Einheitsstaates angenommen. Hier kam zum Tragen, dass der Weltkriegsgewinner Serbien letztlich die neuen Gebiete als Kriegsbeute betrachtete, was der »jugoslawischen Idee« freilich widersprach. Dies zeigte sich in Bosnien-Herzegowina darin, dass ab 1929 – entgegen dem die Unversehrtheit Bosnien-Herzegowinas garantierenden Artikel 135 der jugoslawischen Verfassung (»türkischer Paragraph«) – eine Gebietsreform die bosnisch-herzegowinischen Provinzen in vier auch außerhalb BosnienHerzegowinas liegende Banschaften aufteilte. Damit wurde die ohnehin nicht als »Nation« anerkannte muslimische Bevölkerung minorisierend aufgeteilt. Der »türkische Paragraph« könnte gewissermaßen als das Badinter-Prinzip der Zwischenkriegszeit verstanden werden. Diese Entwicklung der Serbisierung Jugoslawiens kehrte sich im kommunistischen Jugoslawien Titos nicht zuletzt als »lessons learned« der Zwischenkriegs- und Kriegszeit um. Das »zweite Jugoslawien« wurde durch innere territoriale und verfassungstechnische Regelungen so austariert, dass keine Volksgruppe die andere dominieren konnte. Dieser »Ausgleich« vollzog sich vor allem auf Kosten des im Königreich Jugoslawien noch dominierenden Serbien und könnte als »Deserbisierung« Jugoslawiens verstanden werden. Das nationale Prinzip wurde durch das kommunistische Prinzip ersetzt. Hierbei spielte nicht zuletzt auch eine Rolle, dass die serbisch nationalen Mihailović-Četniks zu den größten Feinden der Tito-Partisanen gehört hatten. Bosnien-Herzegowina aber war aufgrund der historischen Gebietsaufteilung zwischen dem Deutschen Reich und Italien ab 1941 zur Hochburg und zum Rückzugsraum der im Antifaschistischen Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens organisierten Tito-Partisanen geworden; dies erklärt im Rahmen der skizzierten Gesamtentwicklung die historisch gesehen »neue Eigenständigkeit« Bosnien-Herzegowinas als »Bundesland« im »zweiten Jugoslawien« ab 1943 (auf dem Papier) bzw. 1945 (faktisch, nach der Eroberung Sarajevos durch die Tito-Partisanen).25 BosnienHerzegowina wurde bis 1963 quasi durch den berühmten kommunistischen Partisanenführer Đuro »Stari« Pucar, einem Serben aus Bosanski Grahovo, der seit 1940 den kommunistischen Untergrund in Sarajevo geführt hatte, mit harter Hand regiert. In diese Zeit fielen »politische Säuberungen« gegen »Nationalisten«. Den höchsten Komplexitätsgrad erreichte Titos »System der nationalen Minderheiten« und kommunistischen Mehrheiten jedoch erst in der Verfassung von 1974. Diese angeblich »längste Verfassung der Welt« beschnitt besonders auch die aus dem »ersten Jugoslawien« ererbten großserbisch-irredentistischen Tendenzen und schaffte ein polyzentrisches System, welches nach dem Prinzip »divide et impera« nur durch den gleichzeitig 25

Clewing, Keine »Befreier«, S. 44; Sundhaussen, Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges, S. 115; Jakir, Bosnien-Herzegowina im ersten und zweiten Jugoslawischen Staat.

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zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit ernannten Tito verklammert war: Die jugoslawische (Teil-)Republik Serbien im kommunistischen Jugoslawien war also etwas Anderes (Kleineres) als das historisch durch Eroberungen gewachsene Serbien oder gar die Region, in der alle Serben lebten. Von den seitens Serbien 1913 eroberten Gebieten war nämlich nur das mehrheitlich albanische Kosovo als autonomes Gebiet im »zweiten Jugoslawien« ein Teil Serbiens. Die serbische Gegenbewegung zu diesen Entwicklungen verkörperte Aleksandar »Leka« Ranković, der bis 1966 ähnlich wie Pucar in BosnienHerzegowina Serbien »politisch säuberte« und eine zentralisierte Republik Serbien in einem jugoslawischen Zentralstaat propagierte. Im Kosovo bedeutete dies, dass die wichtigen Parteiämter mit Serben aus dem ehemaligen Partisanenumfeld Rankovićs besetzt wurden. Doch erlangte auch das Kosovo 1974 als »autonome Provinz« einen republikähnlichen verfassungsrechtlichen Status, der sich etwa darin ausdrückte, dass der Vertreter des Kosovo im »Präsidium der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien«, Sinan Hasani (1922‑2010), wie selbstverständlich – analog zu den Vertretern der (Teil-)Republiken vor und nach ihm – im Mai 1986 für ein Jahr die rotierende »Präsidentschaft des Präsidiums« und damit das Amt, das nach Titos Tod dem eines »jugoslawischen Staatspräsidenten« entsprach, übernahm. Ob damit, wie der sich stark für das Kosovo einsetzende Schweitzer Christian Staub juristisch argumentiert, das Kosovo kein Glied Serbiens, sondern eine »Quasi-Teil-Republik« gewesen ist, ist Teil des politisch überlagerten Diskurses um den Status des Kosovo in Jugoslawien. Hierbei sollte in historischer Sicht nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei Jugoslawien ohnehin um keinen Staat handelte, in dem die verfassungsrechtlich verbrieften Rechte über der kommunistischen Herrschaftspraxis standen. Doch zeigt das Beispiel Sinan Hasani, dass die autonome Provinz Kosovo im Jahr 1986 sehr wohl als eigenständiges Glied neben den jugoslawischen Teilstaaten gesehen wurde. Genau diese Entwicklung war es, die Milošević rückgängig machen sollte. Sinan Hasani war als ehemaliger Tito-Partisan trotz seiner kosovoalbanischen Herkunft nämlich ein »Hardliner« in der Politik gegenüber den freiheitlichen und nationalistischen Bewegungen an der Universität Prishtina. Die zeigt, dass sich bei dem Konflikt um die verfassungsrechtliche Stellung des Kosovo und der Vojvodina nationale bzw. ethnische mit ideologischen Fragen vermischten. Letztere werden in der Geschichtsschreibung häufig vernachlässigt. Der kroatische Politikwissenschaftler Jović vertritt die Meinung, dass die autonomen Provinzen Vojvodina und das Kosovo sich ab 1974 selbst für Republiksäquivalente hielten, aber die Position Serbiens diese nach wie vor als Teil der (Teil-)Republik betrachtete. Jović führt als ein Beispiel die republikäquivalente Organisation der territorialen Verteidigung (TO) an. Den innerparteilichen Konflikt in der Vojvodina in Bezug auf die Positionierung gegenüber der Republik Serbien und Jugoslawien untersuchte der Historiker Bjelica (Novi Sad). Er zeigt, dass die Frage der Autonomie nicht

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nur eine nationale (ethnische), sondern auch eine wirtschaftliche, eine reformkommunistische und eine generationelle Dimension aufwies.26 Analog zum Problem des Kosovo verhielt es sich auch mit dem Status der nach dem Ersten Weltkrieg im Vertrag von Trianon Serbien zugeschlagenen Vojvodina,27 in der ursprünglich Ungarn, Deutsche und eine serbische Minderheit gewohnt hatten. Sie stellte bis 1974 einen Teil der (Teil-)Republik Serbien dar.28 Serbengebiete lagen also im Jugoslawien Titos bewusst außerhalb Serbiens (Krajina, Bosnien-Herzegowina) und Serbien bestand in seinen frühen Verfassungen ebenso bewusst aus Gebieten, in denen die Serben Minderheiten waren (Vojvodina, Kosovo). Miloševićs Politik wiederum, deren Ausfluss die (re)zentralisierende serbische Verfassung von 1990 war, in der die Autonomie der Provinzen Kosovo und Vojvodina abgeschafft wurde, zielte zumindest auf ein durch einen serbischen Einheitsstaat dominiertes Jugoslawien oder – später – auf ein nicht durch Jugoslawien eingehegtes Serbien bzw. »Großserbien« als Staat aller Serben Jugoslawiens. Miloševićs Politik war somit insofern »reformatorisch« im anti-titoistischen Sinn, als dass sie auf den populären Gedanken Rankovićs fußte.29 So argumentiert der auf Ethnonationalismus spezialisierte politische Soziologe Daniele Conversi, dass Milošević 1990 bereits eine (serbische) »Sezession aus dem Zentrum« Jugoslawiens eingeläutet habe.30 Wie auch immer diese nicht unumstrittene These bewertet werden muss, so bleibt doch festzustellen, dass die Politik Serbiens nicht unitaristisch im Sinne des hergebrachten föderalen Jugoslawiens nach der Verfassung von 1974, sondern höchstens im Sinne eines serbisch dominierten Einheitsstaates mit demselben Namen – gegebenenfalls eine Mischung aus dem historischen Vorbild des »ersten Jugoslawiens« und dem Serbien Rankovićs – zu verstehen ist. Die mit Milošević im Bündnis stehende JVA hatte hingegen durch den Austritt Sloweniens und Kroatiens aus Jugoslawien und den damit verbundenen Verlust der kroatischen, slowenischen und kurz zuvor auch Muslimischen (bosniakischen) Soldaten ihren »jugoslawischen Charakter« zu diesem Zeitpunkt bereits verloren. Für weniger informierte zeitgenössische Politiker in der EG und den USA – und das waren die meisten – stand Milošević aber zeitgenössisch erstmal für das allgemein positiv belegte »alte Jugoslawien« und bediente damit in einer nach Ende des Kalten Krieges ohnehin radikalen Veränderungen unterliegenden Weltunordnung die Sehnsucht nach Stabilität. Im Februar 1992 arbeitete die Jugoslawienkonferenz der EG unter Lord Carrington einen Friedensplan für Bosnien-Herzegowina aus, der mit der 26 27 28

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Staub, Kosovo. Jović, Yugoslavia, S.  196‑215. Bjelica, The Rise and Fall Vojvodinian Liberals. Kovács-Bertrand, Der ungarische Revisionismus, S. 91, 213. Mit Radovan Vlajković (1922‑2001) hatte ein die Autonomie republikäquivalent auslegender Vertreter der Vojvodina (1985‑1986) die Präsidentschaft des Präsidiums (»jugoslawischer Staatspräsident«) inne. Cohen, Serpent in the Bosom, S. 98. Conversi, The Dissolution of Yugoslavia sowie Conversi, Central Secession.

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kroatischen, serbischen und muslimischen (bosniakischen) Parteiführung verhandelt wurde. Dieser am 18.  März 1992 in Lissabon unterzeichnete Vertrag ist unter dem Namen »Vertrag von Lissabon«, dessen Inhalt als Carrington-Cutileiro-Plan oder Cutileiro-Plan bekannt. Er enthielt die Prinzipien für eine Neugestaltung Bosnien-Herzegowinas. Der portugiesische Diplomat José Cutileiro war von Januar bis August 1992, als er gemeinsam mit Lord Carrington zurücktrat, Koordinator der Jugoslawienkonferenz der EG. Sein Plan sah vor, dass Bosnien-Herzegowina nach dem Vorbild der Schweiz in Kantone aufgegliedert werden sollte. Diese Kantone waren, auch wenn dieses von Carington bestritten wurde, ethnisch konnotiert und spiegelten letztlich die faktischen Einflusssphären der drei Konfliktparteien (Serben, Kroaten und Muslime) auf die Bevölkerung wieder. Der CutileiroPlan stellte insofern einen echten Kompromiss dar, als er einerseits, den bosnisch-serbischen und bosnisch-kroatischen Wünschen entsprechend, einen bosnisch-herzegowinischen Zentralstaat ablehnte, andererseits aber die jugoslawische Teilrepublik, den Wünschen der Muslime um Izetbegović und dem Badinter-Prinzip entsprechend, auch nicht aufteilte. Somit war der Cutileiro-Plan aber von Beginn an widersprüchlich, da er zwar einerseits das Badinter-Prinzip, also das Verbot der Aufteilung ehemaliger jugoslawischer Teilrepubliken, konsequent anwendete, aber andererseits den aus einer Teilrepublik entstandenen Nachfolgestaat anhand ethnischer Linien innerlich eben doch aufteilte. Unter den Gegebenheiten eines immer stärker ethnischterritorial konnotierten Streits wurde damit ein Modell angestrebt, welches alle Konfliktparteien in der Praxis bereits verworfen hatten. Im Wesentlichen zielte der Cutileiro-Plan dabei auf die Beseitigung eines muslimisch-serbischen Konflikts; kroatisch-muslimische Interessengegensätze wurden weitestgehend ignoriert. Daher wären bei einer Verwirklichung des Plans jeweils 44 Prozent der Bevölkerung serbisch bzw. Muslimisch dominierten Gebieten zugeteilt worden. Lediglich zwölf Prozent der Bevölkerung wurde kroatisch dominierten Kantonen zugewiesen. Dies sorgte für Unzufriedenheit auf der kroatischen Seite, die etwa 17  Prozent der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung ausmachte. Geografisch gesehen machten die »kroatischen Kantone« sogar nur fünf Prozent des Republikterritoriums aus.31 Der Cutileiro-Plan war aber nicht nur aus Sicht der bosnischen Kroaten aufgrund der Zuteilung in Gebiete unter Führung der Muslime oder Serben unbefriedigend. Er ignorierte letztlich in seiner Beschränktheit als Friedensplan für Bosnien-Herzegowina das Problem, dass es sich beim Konflikt in Bosnien-Herzegowina zu weiten Teilen um eine geografische Verlagerung des serbisch-kroatischen Krieges handelte. Eine Kernfrage war vor allem, ob die Kantone eigene Außenbeziehungen (etwa »kroatische Kantone« zu Kroatien oder »serbische Kantone« zu Serbien) unterhalten durften. Es liegt auf der Hand, dass derartige Forderungen für die Muslime nicht nur eine abstrakte verfassungstheoretische Frage über den Grad an 31

Zahlen nach: Mønnesland, For Jugoslavia og etter, S. 289 f.

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zugestandenem Föderalismus darstellten, sondern – durchaus begründet – als Schritt in die Desintegration des ohnehin schwach geplanten Zentralstaates gesehen wurden. Die militärisch starken bosnischen Serben unter Karadžić wiederum verlangten bald, dass insgesamt 65 Kreise als »serbische Kreise« zu definieren seien und suchten diese Forderung durch eigene »ethnische Zahlen« zu untermauern. Besonders umstritten waren in diesem Zusammenhang die ostbosnischen Gebiete, die Karadžić für die bosnischen Serben verlangte. Diese Gebiete waren aber im Cutileiro-Plan aufgrund der dort bekannten Bevölkerungszahlen als muslimisch deklariert worden. Diese Problematik betraf insbesondere Žepa und Goražde, die an ihrer Westgrenze an »serbische Kantone« angrenzten und diese somit von den an ihrer Ostgrenze befindlichen und mit dem serbischen Mutterland in Verbindung stehenden »serbischen Kantonen« trennten. Die ostbosnischen Kantone – darunter auch Srebrenica – besaßen neben der umstrittenen ethnischen Zusammensetzung vor allem eine strategische Bedeutung als Verbindung zwischen den kroatischen, bosnischen und serbischen Serbengebieten.32 Insofern verschärften die Verhandlungen um den Cutileiro-Plan – wenn auch sicherlich ungewollt – die Situation in Bosnien-Herzegowina: Cutileiro hatte als Grundsatz festgelegt, dass mythische oder historische Argumente zu vernachlässigen seien, vielmehr sollte der aktuelle Status quo in ökonomischer, infrastruktureller und ethnischer Hinsicht maßgeblich sein. Angesichts mangelnder internationaler Beobachter vor Ort, konnte das »ethnische Argument« insofern ausgenutzt werden, als ethnische Majorität in strategisch wichtigen Gebieten seitens der Konfliktparteien behauptet oder bestritten werden konnte. Von hier war es nur ein kleiner Schritt, diese behauptete Majorität gewaltsam mittels »ethnischer Säuberungen« auch Realität werden zu lassen – dies zeitlich bevor mit UNPROFOR »die Augen« der internationalen Gemeinschaft vor Ort waren und etwa international kontrollierte Volkszählungen oder Abstimmungen durchgeführt werden konnten. All diese Umstände erklären den hinhaltenden Widerstand Izetbegovićs gegen die Unterzeichnung des CutileiroVertrags, die erst auf Druck Caringtons zustande kam. Am 30. und 31.  März 1992 folgte in Brüssel die inzwischen sechste Verhandlungsrunde über die Zukunft Bosnien-Herzegowinas. Bei diesen »Brüsseler Verhandlungen« schlugen alle drei Parteien Korrekturen für den Cutileiro-Plan vor. Einigkeit konnte aber lediglich darin erzielt werden, dass eine Arbeitsgruppe die Kantonsterritorien basierend auf nationalen, wirtschaftlichen und geografischen Prinzipien und unter Beachtung von Kriterien wie Geschichte, Kultur, Erziehung, Transport und Kommunikation erstellen sollte. Letztlich einigte man sich also in der Praxis darauf, das eigentliche Problem, also den ethnisch-territorialen Konflikt, nicht zu lösen, sondern zu vertagen. Durch dieses »auf Zeit spielen« hofften wohl alle Konfliktparteien, ihre Positionen für die nächste Verhandlungsrunde verbessern zu können. 32

Amato, From the Carrington-Cutileiro Plan, S.  12  f. Ich danke Herrn Amato für die Bereitstellung des Manuskripts.

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Am Folgetag – dem 1. April 1992 – ereigneten sich in Bijeljina die ersten »ethnischen Säuberungen« in Bosnien-Herzegowina. Bijeljina befindet sich im äußersten Nordosten Bosnien-Herzegowinas. Zu diesem Zeitpunkt wohnten in der Stadt Bijeljina wohl etwa 30 000 Muslime. Bijeljina, die Drina aufwärts nördlich Zvornik gelegen, gehörte aber nach dem Cutileiro-Plan zu einem potentiellen »Kanton«, der zukünftig als »Gebiet der bosnischen Serben« festgelegt worden war. Zvornik wiederum war als »Muslimischer Kanton« geplant worden. Als entscheidend und verheerend erwiesen sich in diesem Zusammenhang die geografische Lage und die verkehrstechnische Anbindung. Durch Bijeljina führte die einzige Straße, die die im Cutileiro-Plan als Serbengebiete ausgeworfenen »Kantone« im nordwestlichen Bosnien-Herzegowina (um Banja Luka) mit der Republik Serbien verband. Die Vertreibungen in Bijeljina wurden durch das auch als »Tiger« bekannte serbische Freikorps, »Serbische Freiwilligengarde« (Srpska dobrovoljačka garda), unter Führung von Željko »Arkan« Ražnatović sowie durch eine lokale Gruppe der »Panther« unter Ljubiška Savić (alias »Major Mauser«) verübt. Die sieben Moscheen der Stadt wurden systematisch gesprengt und planiert. Die bosniakischen Bewohner in der benachbarten, aber in strategischoperativer Hinsicht weniger relevanten an der Straße zwischen Bijeljina und Zvornik gelegenen Stadt Janja wurden indes nicht vertrieben. Dabei wurde Janja als eine Art »Vorzeigesiedlung der Muslime« in serbisch-dominierten Gebieten pressewirksam inszeniert. Bei Kriegsende lebten nur noch weniger als 2700 Muslime in Bijeljina.33 Betrachtet man die für den kroatischen Kriegsschauplatz inzwischen belegten geheimdienstlichen Verbindungen Ražnatovićs nach Belgrad, so erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass diese Ereignisse in Bijeljina auf »spontanen Volkszorn« zurückzuführen waren. Vielmehr waren sie wohl Teil eines zentral gesteuerten Programms. Dem entsprechen auch die Schilderungen der gut organisierten und rasch durchgeführten – im Wortsinn – Einebnungen der dortigen Moscheen mit schwerem Gerät (siehe Abb. 4: »Der Cutileiro-Plan« im Anhang). Abgesehen von den hier aufgezeigten Hintergründen, sind die präzisen Auslöser für das Scheitern dieses als »letzte Möglichkeit« für einen Frieden geltenden Vertrags quellenmäßig noch nicht ausreichend erforscht und entsprechend heftig umstritten. Fest steht, dass Izetbegović sein bereits gegebenes Einverständnis mit diesem bereits unterschriebenen Dokument am 25. März 1992 wieder zurücknahm. Er rief die Bürger Bosnien-Herzegowinas dazu auf, den Cutileiro-Plan abzulehnen, da dieser nur auf Druck der Europäischen Gemeinschaft (also Caringtons und Cutileiros) als Vorbedingung für die Anerkennung des Staates entstanden sei. Am Folgetag lehnten die muslimischen Anführer den Plan geschlossen ab. Ejup Ganić forderte im Namen 33

Siehe hierzu die Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International: Human Rights Watch, May 2000, Vol. 12, No. 7 (D); Amnesty International, December 1994, AI Index EUR 63/22/94, Bosnia-Hercegovina Living for the Day. Forcible Expulsions from Bijeljina and Janja sowie: Tretter, Müller, Angeli, Richter: »Ethnic Cleansing Operations« in the Northeast Bosnian City of Zvornik fom April to June 1992, Wien 1994, S. 10‑15.

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der kollektiven Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas die Erweiterung von UNPROFOR auf Bosnien-Herzegowina sowie die Entsendung von Militärbeobachtern zur Durchsetzung eines Waffenstillstandes. Der aus dem Sandschak stammende Ganić galt bis zu diesem Zeitpunkt als Anführer der proserbischen »Sandschak-Fraktion« in Izetbegovićs SDA (Stranka demokratske akcije, Partei der demokratischen Aktion). Diese hatte bis dahin einen realpolitischen Standpunkt eingenommen, der im Wesentlichen beinhaltete, dass, wenn Bosnien-Herzegowina schon Gefahr laufe geteilt zu werden, es angesichts der starken ethnischen Durchmischung in Ostbosnien für die Muslime das Beste sei, sich mit den Serben, als militärisch stärkste Macht, zu verbünden und hierfür einen Zugang zur Adria auszuhandeln.34 Für die ursprünglich aus dem Sandschak stammenden, aber meist in Sarajevo wohnenden Politiker der »Sandschak-Fraktion« machte es bis dahin wenig Sinn, nur um die Fiktion eines unabhängigen Staates BosnienHerzegowina willen, eine künstliche Grenze zwischen ihrer Heimat (im zwischen Serbien und Montenegro gelegenen Sandschak) und ihrem Wohn- und Arbeitsort (Sarajevo) zu errichten.35 Ganićs Konzept bis Frühjahr 1992 entsprach also in groben Linien demjenigen Zulfikarpašićs vom Sommer 1991. Innerhalb der Muslime schlossen sich allerdings angesichts des zunehmenden Gefühls der Isolierung Ende März 1992 die Reihen. Welches Ereignis aber diesen Sinneswandel der »Sandschak-Fraktion« konkret auslöste, bleibt ungewiss. Die Ursachen sind jedoch insgesamt wohl in der perzipierten Unglaubwürdigkeit serbischer Politik der Zeit zu suchen, die kaum Raum für andere jugoslawische Volksgruppen integrierende Konzepte aufwies. Auf alle Fälle setzte sich die Izetbegović-Fraktion, die einen eigenen Muslimischen Staat in der Übergangsform eines Militärstaates anvisierte, nun durch. Den Aussagen des amerikanischen Botschafters in Belgrad, Warren Zimmermann, in seinen Bosnien-Memoiren zufolge,36 hatten Milošević und Tudjman die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas unter Beibehaltung eines kleinen muslimischen Pufferstaates um Sarajevo zu diesem Zeitpunkt bereits besprochen. Demzufolge sei der Cutileiro-Plan für Serben und Kroaten lediglich eine Fassade gewesen, hinter der sie ihre eigenen Teilungspläne kaschiert hätten. Dies bestätigt auch der ehemalige Vizepräsident Bosnien-Herzegowinas und Izetbegović-Vertraute Rusmir Mahmutćehajić.37 Auf der anderen Seite steht die als Zeuge der Verteidigung im Mladić-Prozess (2015) getätigte Aussage Cutileiros,38 dass es Zimmermann gewesen sei, der Izetbegović ermutigt hätte, den »tripartite plan« abzulehnen und für ein unitarisches Bosnien34 35 36 37 38

Burg/Shoup, The War in Bosnia-Herzegovina, S. 341. Vgl. zur Verflochtenheit der SDA in Bosnien-Herzegowina und im Sandschak: Bochsler, Regional Party, S. 144 f. Zimmermann, Origins of a Catastrophe, S. 181 f. Mahmutćehajić, The Denial of Bosnia, S. 47. Lisbon Agreement – Chance for Peace or Plan to Destroy Bosnia?, Sense Tribunal, The Hague vom 9.12.2015, .

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Herzegowina zu kämpfen. Dieser amerikanische Schachzug habe den Erfolg der europäischen Friedensbemühungen, also letztlich das Werk Cutileiros, konterkariert.39 Nach den Aussagen des französischen Generals Philippe Morillon – ehemals stellvertretender Kommandeur von UNPROFOR und zu diesem Zeitpunkt im Headquarter in Sarajevo stationiert – im MiloševićProzess, scheiterte der Cutileiro-Plan an allen drei Parteien. Andererseits bestätigte Morillon auch, dass Zimmermann Izetbegović gestützt hätte sowie dass Mladić als Marionette Serbiens den Konflikt verschärft habe, wohingegen er die Friedensbestrebungen Karadžićs als durchaus authentisch einschätzte.40 Morillon hob insbesondere das psychologische Moment der Angst vor serbischer Dominanz auf muslimischer Seite als Grund für das Scheitern des Cutileiro-Plans hervor.41 Auch wenn auf die Frage, woran der Cutileiro-Plan konkret scheiterte, noch keine zufriedenstellende aktengestützte Antwort gegeben werden kann, so wird doch deutlich, dass die mangelnde Abstimmung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa einerseits und zwischen den EG-Staaten untereinander andererseits die Friedensbemühungen zumindest nicht gefördert hat. Den realen Machtverhältnissen vor Ort mit etwa 100 000 serbischen Soldaten gegenüber etwa 15  000 kroatischen und 3500 Muslimischen (bosniakischen) Soldaten42 hätte eine serbische Dominanz in Bosnien-Herzegowina entsprochen. Dieser hätte nur – falls dies gewollt gewesen wäre – durch eine Änderung der militärischen Kräfteverhältnisse entgegengewirkt werden können. Dies hätte theoretisch durch Entsendung starker bewaffneter Bodentruppen unter Befehl der UN oder aber durch Waffenlieferungen an die kroatischen und vor allem muslimischen Fraktionen erfolgen können. Da beides aber seitens der »internationalen Gemeinschaft« im UN-Sicherheitsrat ausgeschlossen worden war, blieb ein unabhängiges Bosnien-Herzegowina mit gleichberechtigten serbischen, kroatischen und Muslimischen Einwohnern angesichts der angstgeprägten militarisierten Atmosphäre des Frühjahrs 1992 bestenfalls eine gefährliche Utopie. Auf der anderen Seite werden zukünftige Forschungen noch klären müssen, wieso, trotz ihres massiven militärischen Übergewichts, die »bosnisch-serbische Seite«, also letztlich Karadžić, bei den Verhandlungen zum Cutileiro-Plan bereit war, so viele Zugeständnisse zu machen. Es ist durchaus möglich, dass eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas 39

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Diese These vertrat Cutileiro bereits im Jahr 1995. Cutileiro, Letter to the Editor, The Economist vom 9.12.1995, S. 6. Vgl. Amato, From the Carrington-Cutileiro Plan, S. 29. Siehe hierzu auch die bitteren »Jugoslawien-Memoiren« Cutileiros: Cutileiro, Life and Death of Others. ICTY, IT-02-54 (Slobodan Milošević), D 31957-32049, Prosecutor vs. Slobodan Milošević, witness name: Philippe Morillon vom 12.2.2004, S. 25. »I was there to calm fear – calm the fear, but unfortunately the fear continued growing due to people who, like you [an Milošević gerichtet] reminded people of ancestral massacres in Bosnia through the media. Fear reigned in Sarajevo, that’s true. And they where afraid that this cantonisation, this plan, could actually lead to Serb domination. It was a sickness. It was a disease, the fear of being dominated.« Ebd., S. 30. So aus glaubwürdigen Quellen: Amato, From the Carrington-Cutileiro Plan, S. 24.

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zwischen Zagreb und Belgrad letztlich gar nicht im Interesse der Führung der bosnischen Serben lag. Möglicherweise versprach sich Karadžić größere Macht in einem von ihnen dominierten eigenständigen Föderalstaat BosnienHerzegowina als in der SAO als Provinz im serbischen Zentralstaat. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Bereitschaft zu Zugeständnissen als Fassade einer harten Machtpolitik vor Ort im Sinne einer psychologischen Kriegführung beim Buhlen um das Wohlwollen der »internationalen Gemeinschaft« zu verstehen ist. In beiden Fällen wäre die Rolle Belgrads und Zagrebs in diesem Prozess genauer zu untersuchen. Fest steht ferner, dass die »ethnischen Säuberungen« in Bosnien-Herzegowina während der Fortführung der Cutileiro-Verhandlungen erfolgten und durch Kräfte durchgeführt wurden, welche mit denen, die ähnliche Verbrechen bereits in der Krajina verübt hatten, zumindest teilidentisch waren. Die Vorfälle in Bijeljina ließen daraufhin den erneut seitens Cutileiros an den Verhandlungstisch gezwungenen Izetbegović endgültig die Gespräche aus Protest abbrechen. Dem inzwischen ausgebrochenen Krieg in Bosnien-Herzegowina folgte am 26./27. August 1992 auf der UN- und EG-gemeinsamen London-Konferenz wieder ein Bekenntnis zur »territorialen Integrität« – diesmal jedoch derjenigen Bosnien-Herzegowinas. Doch verfehlte diese »Bosnien-Erklärung« ihre Wirkung. In erster Linie blieb sie unwirksam, weil sie nicht mit (militärischen) Mitteln zur Durchsetzung unterlegt worden war. Es folgte die militärische Übernahme von etwa 70 Prozent des Staatsterritoriums durch die JVA bzw. durch die JVA-gestützte Armee der bosnischen Serben, VRS, bis Ende des Jahres 1992.43 Die ohnehin schon komplexe Lage des Konfliktes zwischen Serben bzw. JVA und Muslimen (Bosniaken) in Bosnien-Herzegowina erwies sich für die – zu diesem Zeitpunkt auftragsgemäß auf das Gebiet Kroatiens beschränkte – UNPROFOR als unüberschaubar. Ihr Fokus lag dort schon aufgrund der geringen Präsenz in der Fläche auf den Ereignissen in Sarajevo. Auch scheint es, dass Izetbegovićs Macht kaum über Sarajevos Vororte hinausreichte. Dort zeigte sich aber nur ein Ausschnitt des zum Krieg eskalierenden Konfliktes. Parallel zu den Ereignissen in der Hauptstadt kam es auch zu Spannungen zwischen Muslimen (Bosniaken) und Kroaten in BosnienHerzegowina. Dabei erwies sich auch die Politik Zagrebs nicht immer als mit der Linie der bosnisch-herzegowinischen Kroaten kongruent verlaufend. Im Hintergrund dieser Spannungen standen wiederum die Kämpfe im herzegowinischen Neretva-Gebiet. Eine besondere Bedeutung in Bezug auf die Entwicklung der Feindseligkeiten zwischen Muslimen (Bosniaken) und Kroaten kommt dem Angriff der JVA auf Ravno im September 1991 zu. Die JVA griff – nach eigenen Aussagen als »Vergeltungsschlag« nach einem kroatischen Angriff auf die JVA im nahe zur bosnisch-herzegowinischen Grenze gelegenen Čepikuće – das unweit davon, aber in Bosnien-Herzegowina gelegene und mehrheitlich kroatisch bewohnte Ravno mit Artillerie und anderen schweren Waffen an. Ganić, der 43

Szasz, Peacekeeping in Operation, S. 692 f.

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mit der Untersuchung des »Vorfalls« beauftragt worden war, berichtete, das Dorf sei »ausradiert« worden.44 Zu diesem Zeitpunkt versuchte Izetbegović noch Bosnien-Herzegowina aus den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kroatien und Jugoslawien/Serbien herauszuhalten. Er stand damit durchaus auch im Einklang mit der bereits erwähnten »Sandschak-Gruppe« innerhalb seiner ethnisch definierten Partei. Die Reaktionen Izetbegovićs in der Folge dieses »Vorfalls« sollten weite Teile der kroatischen Bevölkerung vor allem in der Herzegowina enttäuschen. Er äußerte öffentlich, dass dies »nicht unser Krieg«45 sei und signalisierte damit, dass er nicht den Schutz der ihm anvertrauten Bevölkerung im äußersten Südosten seiner (Teil-) Republik zu gewährleisten in der Lage war. Auch wenn diese Äußerung wohl als deeskalierendes Signal gegenüber Belgrad gemeint war und solch eine Vorgehensweise durchaus einer realen Einschätzung angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse entsprach, so konnte sie seitens der herzegowinischen Kroaten auch so interpretiert werden, dass »ihr Präsident« – der Muslim war – sich für die (kroatischen) Einwohner »seiner« Teilrepublik selbst in so einem extremen Fall wie Ravno »nicht zuständig« fühlte.46 Wiederholt wurde der Vorwurf laut, Izetbegović bediene nur seine muslimische Klientel. Ähnliche Vorwürfe ergingen auch gegen den Parteiführer der Kroatenpartei HDZ BiH in Sarajevo, Stjepan Kljuić. Dieser bezeichnete den Angriff auf Ravno später als »das Ende Bosniens«.47 Im historischen Rückblick wirft der unverhältnismäßige Angriff auf Ravno als Schlüsselereignis und »missing link« zwischen den Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina eine Reihe von Fragen auf, die hier nur angerissen werden können, aber Forschungsdesiderate darstellen: Hatten sich kroatische Kämpfer bewusst auf das »sichere« bosnisch-herzegowinisches Gebiet zurückgezogen, um damit die Ausweitung des Krieges auf Bosnien-Herzegowina zu provozieren und so die internationale Öffentlichkeit zu aktivieren? Oder handelte es sich nur um taktisch durchaus nachvollziehbares Verhalten einer Nutzung von »Rückzugsräumen« durch unterlegene Guerilla-Kräfte? Ist der Angriff auf Ravno seitens der JVA als gezielte Ausweitung des Konflikts auf Bosnien-Herzegowina etwa im Sinne einer »Warnung gegenüber Sarajevo« zu verstehen? Oder handelte es sich um eine lokale Verfolgung des Gegners auf taktischer Ebene ohne Rücksicht auf die politische Implikation des militärischen Einsatzes über innerjugoslawische Republikgrenzen hinweg? Welche konkreten Gründe (etwa auf den Feldern militärischer Schwäche, innenpolitischer oder außenpolitischer Motivation, Bündniserwägungen, ethnischer Wahrnehmung, Differenzen zwischen den Kroaten Bosniens mit denjenigen 44 45 46

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Caplan, Europe and the Recognition, S. 121. Izetbegović, Autobiografski Zapis, S. 95. Diese Äußerung tätigte Izetbegović demnach am 6.10.1991. Diese Meinung vertreten führende kroatische Historiker. Sie spielte insbesondere eine Rolle im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die kroatischen Militärführer vor dem ICTY. Krišto, Deconstructing the Myth, S. 43. Marijan, Expert Opinion, S. 285. Stjepan Kljuić zitiert nach ebd., S. 255.

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der Herzegowina usw.) führten im Einzelnen dazu, dass die bosnisch-muslimische Führung nicht dezidiert gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff auf dem eigenen Gebiet vorging? Während solche Fragen heute noch weitestgehend unbeantwortet bleiben müssen, sind indes die »Folgen von Ravno« hinreichend bekannt: Die Zerstörung von Ravno im Zusammenwirken mit der Reaktion Izetbegovićs führte nach der Unabhängigkeitsresolution des Parlaments von BosnienHerzegowina (15. Oktober 1991) zur Gründung der Kroatischen Gemeinschaft Herzeg-Bosna, Hrvatska Zajednica Herceg-Bosna (HZ-HB). Diese erfolgte einen Monat später am 18. November 1991. Die HZ-HB unter ihrem »Präsidenten« Mate Boban verstand sich selbst als politische, kulturelle, wirtschaftliche und regionale Gemeinschaft.48 Sie war zu diesem Zeitpunkt weniger als eigener Staat gemeint, sondern zielte vielmehr darauf, die Sicherheitsbedürfnisse der kroatischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina im ergebnisoffenen Transformationsprozess Jugoslawiens zu artikulieren. Die Gründung der HZ-HB erweiterte aber auch das Spektrum der politischen und militärischen Handlungsmöglichkeiten Kroatiens. Andererseits zwang dieser Schritt Bosnien-Herzegowina dazu, im Krieg zwischen Rest-Jugoslawien und Kroatien »Farbe zu bekennen«. Die militärische Gesamtlage diktierte dabei die Handlungsmöglichkeiten Bosnien-Herzegowinas. Dorthin hatten sich, als Folge der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens, bis August 1991 das 31.  JVA-Korps (ursprünglich Maribor, Slowenien) sowie das 13.  JVA-Korps (ursprünglich Rijeka, Kroatien) und das 10. JVA-Korps (ursprünglich Zagreb, Kroatien) zurückgezogen.49 Die JVA nutzte Bosnien-Herzegowina jedoch nicht nur als Rückzugsraum aus für Jugoslawien »verlorenen Gebieten«, sondern zugleich auch als Aufmarschgebiet für drei Offensivrichtungen gegen Kroatien: (1) Banja Luka nach Norden über Gradiška für das Angriffsziel Virovitica (in West-Slawonien, nahe der ungarischen Grenze an der Drava), (2) Bihać über Karlovac nach Norden für das Angriffsziel Zagreb und (3) Mostar nach Westen für das Angriffsziel Split (Dalmatien) (siehe hierzu im Anhang, Abb.  5, S.  331). Aufgrund seiner geografischen Form verfügte Kroatien nur über eine geringe strategische Tiefe, so dass all diese Angriffe auf kroatischem Gebiet lediglich über eine Entfernung von unter 100  Kilometer weit hätten vorangetrieben werden müssen. Doch nicht nur in räumlicher Hinsicht war Bosnien-Herzegowina nicht vom Krieg Serbiens bzw. Rest-Jugoslawiens gegen Kroatien zu trennen. Solange diese Teilrepublik zu Jugoslawien gehörte, entsprach es dem jugoslawischen milizgestützten Militärsystem, dass etwa in der Ost-Herzegowina Truppen der TO Bosnien-Herzegowinas (also letztlich formal gesehen Izetbegovićs eigene Truppen) der JVA unterstellt waren. Zu nennen sind hier insbesondere die 2. Partisanen-Brigade (Banja Luka) und die 5.  Partisanen-Brigade »Kozarska« (Prijedor) der Territorialen Organisation 48 49

Calic, Ethnic Cleansing, S. 123 f. Marijan, Expert Opinion, S. 255 f. Siehe hierzu die Erinnerungen des Befehlshabers des Stabes der TO Bosnien-Herzegowinas ab Mai 1992: Halilović, Lukava strategija, S. 148.

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Bosnien-Herzegowinas im Rahmen des 5. Korps der JVA (Banja Luka Korps). Diese Truppen kämpften in West-Slawonien gegen kroatische Truppen, wobei die Soldaten der TO verfassungsgemäß durch die (Teil-)Republik BosnienHerzegowina gestellt und finanziert wurden.50 Diese TO-Offiziere konnten aus allen ethnischen Gruppen stammen, so dass dort auch Kroaten und Muslime gegen Kroatien kämpften. Dies wirft die Frage auf, ob Izetbegovićs BosnienHerzegowina sich wirklich im Krieg zwischen dem oft auf Serbien verkürzten Rest-Jugoslawien und Kroatien neutral verhalten hat oder sich vielmehr als jugoslawischer Teilstaat bis zu seiner Unabhängigkeit ebenfalls im Krieg mit Kroatien befunden hatte. Somit könnte die Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas als »Befreiungsschlag« aus einem »fremden Krieg« (zwischen Rest-Jugoslawien/Serbien und Kroatien) und weniger als Eskalation in den Krieg (zwischen Rest-Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina) verstanden werden. Einem glaubwürdigen »Helsinki Watch«-Bericht zufolge hatten jedoch bereits im März 1992 – ungestört durch in Banja Luka stationierte UN-Beobachter – Angehörige der Serbischen Freiwilligengarde (Arkans »Tiger«) die Zufahrt zur Stadt blockiert und faktisch die Macht in der Stadt mit Waffengewalt übernommen.51 In diesen Zusammenhang gestellt, erscheint die Bedeutung des JVA-Angriffs auf Ravno sowie die anschliessende Äusserung Izetbegovićs und damit auch die Gründung der HZ-HB in einem anderen Licht:52 Im September 1991 wurde das 37. JVA-Korps aus dem West-Serbischen Užice nach Mostar verlegt, um gegen Split anzutreten. Aufgrund der zahlreichen Desertionen war die Mobilmachung dieses Korps jedoch unvollkommen geblieben. Die JVA-Führung änderte die Aufträge in »Sicherung des Flughafens Mostar« und »Bilden einer Operationsbasis«.53 Der Aufmarsch der JVA und die Übernahme von im Krieg gegen Kroatien notwendigen Schlüsselpositionen (Banja Luka, Mostar) durch paramilitärische serbische Milizen – und damit letztlich der Krieg auf bosnisch-herzegowinischem Gebiet – war also bereits längst im Gange, bevor er in der Hauptstadt Sarajevo und damit auch in den Augen der Weltöffentlichkeit ausbrach. Die Fokussierung auf Sarajevo gehörte schon zu den zeitgenössischen Wahrnehmungsproblemen – sie prägt und verfälscht bis heute das vorherrschende Narrativ zum bereits im allgemeingebräuchlichen Namen die Ereignisse in der Herzegowina ignorierenden »Bosnienkrieg«. Um die Weihnachtszeit 1991 – also noch bevor UNPROFOR in Kroatien etabliert worden war und während Izetbegović vergeblich UN-Truppen für Bosnien-Herzegowina forderte – setzte sich Boban mit Unterstützung der Kroaten aus der Herzegowina, aus Zentral-Bosnien und der bosnischen 50 51 52 53

Marijan, Expert Opinion, S.  253. Siehe die Memoiren des Befehlshabers (Verteidigungsministers) der JVA: Kadijević, Moje Vidjenje Raspada, S. 135 f. Helsinki Watch, War Crimes in Bosnia-Hercegovina, August 1992, Washington 1992, S. 109. Siehe hierzu: Marijan, The War in Bosnia and Herzegovina. Vgl. Efendić, Who Defended Bosnia?, S. 237. Kadijević, Moje Vidjenje Raspada, S. 139 f. Vgl. Marijan, Expert Opinion, S. 254.

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Posavina gegen den nach Ravno politisch abgewirtschafteten Izetbegovićnahen Kroaten aus Sarajevo, Kljuić, durch.54 Umstritten ist die Frage, wie stark diese Entwicklung auf Tudjman zurückging oder ob Zagreb vielmehr selbst von den militärischen und politischen Entwicklungen in der Herzegowina getrieben wurde. Fest steht, dass Boban bereits am 27.  Dezember 1991 Tudjman vorschlug, die HZ-HB für unabhängig zu erklären, um diese zu einem Zeitpunkt, der sich für Zagreb außenpolitisch für opportun erweise, mit dem kroatischen »Mutterland« zu vereinen. Es bestand allerdings innerhalb der kroatischen Machthaber Uneinigkeit darüber, ob dies der richtige Weg sei. Während Kljuić anführte, dass nach einer Angliederung der HZ-HB von 600  000 außerhalb Kroatiens lebenden Kroaten lediglich 150  000 nach Kroatien integriert würden und daher Bosnien-Herzegowina als unabhängige Gesamtheit erhalten bleiben müsse, führte Tudjman aus, dass es sich bei Bosnien-Herzegowina um ein »koloniales Konstrukt« handele, das ohne Unterstützung durch eine äußere Kraft nicht lebensfähig sei. Selbst wenn nur 30 Prozent der außerkroatischen Kroaten Teil Kroatiens würden, so sei doch eine »kleine Lösung« mit der HZ-HB als kroatischem Teil in einem unabhängigen Bosnien-Herzegowina aus geografischen Gründen als realistischere Option vorzuziehen. Damit würde ganz Bosnien-Herzegowina die Funktion eines Pufferstaates zwischen Serbien und Kroatien wahrnehmen. Es ist nicht klar, ob Tudjman die potentielle Option einer Angliederung der HZ-HB an Kroatien lediglich als Drohkulisse gegenüber Izetbegović nutzte, um diesen von seiner »jugoslawischen« Politik abzubringen, oder ob der ehemalige General die HZ-HB schlicht als militärisch sinnvolle und militärgeografisch notwendige Übergangslösung für die Kriegszeit bis zu einer vertraglichen Einigung betrachtete. Auch ist fragwürdig, ob Tudjman angesichts der internationalen Lage und der Abhängigkeit Kroatiens vom Wohlwollen des Westens eine Angliederung der HZ-HB überhaupt jemals konkret verfolgte; und falls ja, nach welchem Zeitplan eine solche geordnet vonstatten hätte gehen sollen.55 Sicher ist jedoch, dass die interne föderale Aufteilung eines unabhängigen Staates Bosnien-Herzegowina nach ethnischen Gesichtspunkten für Kroatien angesichts des Krieges gegen Serbien – und der politischen, militärischen und geografischen Rolle Bosnien-Herzegowinas darin – eine sicherheitspolitische Notwendigkeit oder zumindest einen militärstrategischen Vorteil gegenüber einem ungeteilten Bosnien-Herzegowina als Teil Rest-Jugoslawiens darstellte. Dem kroatischen Militärhistoriker Davor Marijan ist insofern Recht zu geben, dass angesichts unterschiedlicher strategischer Ziele die Kroaten und Muslime in Bosnien-Herzegowina bei Ausbruch des Krieges keine »natürlichen Verbündeten« waren.56 54

55 56

Siehe hierzu und im Folgenden: Krišto, Deconstructing the Myth, S. 44. Gute Einblicke auch bei: Fotini, Alliance Formation in Civil Wars, S. 149‑196. Zu den Entwicklungen in Mostar: Preuss, Friedensaufbau durch internationale Polizeieinsätze, S. 52‑54. Krišto, Deconstructing the Myth, S. 45‑47. Marijan, Expert Opinion, S. 285.

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II. Krieg und Friedensoperationen

In der Folge der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas überschlugen sich wegen solch vielschichtiger Zusammenhänge die Ereignisse. Nicht nur der diplomatische »gordische Knoten« wurde durchtrennt, sondern auch die vielzitierte »Büchse der Pandora« geöffnet. Am 5. April 1992 begann die militärische Einschließung Sarajevos durch die JVA. Am 6. April erfolgte die Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas durch die USA. Der Ministerrat der EG erklärte die Anerkennung BosnienHerzegowinas durch die Mitgliedstaaten. Am selben Tag starben in Sarajevo fünf Menschen, als auf eine Friedensdemonstration geschossen wurde. Dies waren die ersten Scharfschützenangriffe in Sarajevo. Abgefeuert wurden die Schüsse aus dem Hotel »Holiday Inn«. Nach den weiblichen zivilen Opfern Suada Dilberović und Olga Sučić auf der Vrbanja-Brücke heißt diese heute Most Suade i Olge. Die kurz nach den Schüssen festgenommenen Scharfschützen erwiesen sich als Anhänger Karadžićs, die dessen Räume im »Holiday Inn« genutzt hatten. Eine daraufhin angestrebte Verhaftung Karadžićs misslang und er konnte sich nach Banja Luka zurückziehen. Erste Gefechte in Sarajevo führten zu 14 Gefallenen. Am Folgetag erklärte Karadžić in Banja Luka die unabhängige »Republika Srpska«. Am 8. April rief Izetbegović den Notstand aus. In einem erneuten dramatischen Appell an die UN, die EG und die USA forderte er diese dazu auf »einzugreifen« und erließ den Befehl, dass sich sämtliche paramilitärischen Kräfte den staatlichen Sicherheitskräften zu unterstellen hätten. An diesem Tag wurde auch Sarajevo zum ersten Mal in diesem Krieg mit Artillerie beschossen. Die Reaktionen der »internationalen Gemeinschaft« erfolgten erst zeitverzögert. Offenbar überforderten die Realitäten eines Krieges in der bekannten Olympiastadt Sarajevo das Vorstellungsvermögen einer friedensverwöhnten Gesellschaft – ein vorbereiteter internationaler Krisenplan ist nicht bekannt. Am 10. April folgte die Eroberung von Zvornik. Etwa 10 000 Flüchtlinge verließen die Stadt. Der Botschafter der Vereinigten Staaten in Belgrad, Warren Zimmermann, protestierte bei Milošević und erklärte die JVA für schuldig. Zimmermann arrangierte auch umgehend den Washington-Besuch des Außenministers von Bosnien-Herzegowina, Haris Silajdžić. Angesichts dieses Besuchs kündigte US-Außenminister James Baker einen »airlift« für Sarajevo an. Die Luftbrücke für Sarajevo konnte jedoch erst Anfang Juli 1992 beginnen, da sich der Flughafen unter faktischer Kontrolle der JVA befand.57 Kroatien wiederum reagierte – wie auch Serbien und die JVA – vorbereitet und damit schneller und entschlossener auf die durch die bosnisch-herzegowinische Unabhängigkeitserklärung entstandene neue Lage. Am 6.  April 1992 erkannte Kroatien gemeinsam mit den USA und den EG-Staaten den selbständigen Staat Bosnien-Herzegowina an. Am 8. April wurde in der HZ-HB der kroatische Verteidigungsrat, Hrvatsko vijeće obrane (HVO), gegründet.58 Mit Befehl vom 9.  April genehmigte das kroatische Verteidigungsministerium 57 58

Ahrens, Luftbrückeneinsatz für Sarajevo. Krišto, Deconstructing the Myth, S. 49.

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eine Freiwilligeneinheit aus 300 bis 400 Soldaten der HV aus Rijeka. Diese bestand vor allem aus kroatischen Muslimen oder herzegowinischen Kroaten, die ihren Dienst in der kroatischen Armee, Hrvatska vojska (HV), verrichteten. Das Zagreber Ministerium verfügte, dass diese Freiwilligen ihre Rechte als Soldaten der HV einschließlich ihres Soldes behalten sollten. Jedoch sollten die Truppenausweise der HV eingezogen und die kroatischen Hoheitsabzeichen von den Uniformen abgetrennt werden. Die Soldaten versahen also ihren Dienst gewissermaßen im »Beurlaubtenstatus« von der HV bei der HVO.59 All diesen Entwicklungen stand UNPROFOR weitestgehend machtlos gegenüber. Zwar befand sich das Hauptquartier seit 13.  März 1992 in Sarajevo, doch verfügte UNPROFOR zu diesem Zeitpunkt noch über kein Mandat für Bosnien-Herzegowina – UNPROFOR wurde erst im Juni auf Bosnien-Herzegowina ausgeweitet (UN/SC 758 vom 8.  Juni 1992) und war somit formal gesehen schlicht nicht zuständig. Das Hauptquartier war auf Weisung des UN-Generalsekretärs, Boutros Boutros-Ghali, in Sarajevo als »neutralem Ort« eingerichtet worden. Es ist nicht klar, ob diese Festlegung der Stationierung des HQ als symbolische Maßnahme zur Beruhigung der Lage in Sarajevo – gewissermaßen als Stationierung von UNPROFOR durch die Hintertür – gedacht war. Fest steht, dass der Chef des Stabes UNPROFOR die Weisung, das Hauptquartier in Sarajevo zu errichten, direkt vom UNGeneralsekretär erhielt und seinen Memoiren zufolge dagegen protestierte. Auch sollte es bis zum 29. April 1992 dauern, bis der britische Under Secretary of UN, Marrack Goulding, vor Ort entsandt wurde, um sich ein Bild der Lage zu machen.60 Goulding selbst berichtete später, dass er völlig unvorbereitet und ohne länderspezifische Einweisung diese diplomatische Mission kurzfristig übernahm.61 Im Hauptquartier taten der UNPROFOR-Kommandeur, der indische Lieutenant General Satish Nambiar, und der nordirische zivile Operationschef Cedric Thornberry Dienst. Hinzu kamen als zentrale Akteure der französische Generalmajor und stellvertretende UNPROFORKommandeur mit Zuständigkeit für Kroatien, Philippe Morillon, sowie als Chef des Stabes der kanadische Brigadier Lewis MacKenzie. Somit war von Beginn an zwar nicht die NATO als Organisation beteiligt, aber doch die europäischen NATO-Staaten, Frankreich und Großbritannien, sowie mit Kanada auch ein nicht-europäischer NATO-Staat. Erst im September 1992 wurde das UNPROFOR-Kommando Bosnien-Herzegowina unter Führung des französischen Generals Morillon aufgestellt. Allerdings war die UNPROFOR dennoch vor Ort und stellte sich in Sarajevo auch der Herausforderung. MacKenzie 59 60

61

Marijan, Expert Opinion, S. 260. Anders die Entwicklung ab 1993: Keßelring, Die historische Analyse paramilitärischer Verbände. In: MGZ 77/2 (2018), S. 415‑457. Letter from the Secretary General to the President of the Security Council, 29 April 1992, (S/23860, 30  April 1992), abgedruckt in: Bethlehem/Weller, The ›Yugoslav‹ Crisis in International Law, S. 508. Reflections on United Nations Development Ideas. Proceedings from the Conference ‘From Development to International Economic Governance. The Intellectual Contribution of the United Nations‘ Geneva 24 January 2005, S. 54. Vgl. den Abschnitt zu Jugoslawien in den Goulding-Memoiren: Goulding, Peacemonger, S. 291‑332.

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II. Krieg und Friedensoperationen

beschreibt in seinen »Bosnien-Memoiren« den Austausch des nach seiner Rückkehr aus Lissabon am 2. Mai 1992 durch die JVA in der Lukavica-Kaserne bei Sarajevo gefangen gehaltenen Izetbegović gegen die JVA-Truppen, die in der Bistrik-Kaserne in Sarajevo eingeschlossen waren. Unter letzteren befand sich auch der JVA-Generaloberst Milutin Kukanjac. Auch wenn MacKenzies Schilderung ungenau ist und viele Probleme aufwirft, so geht aus ihr doch hervor, dass UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina weder personell noch materiell in der Lage war, am 3. Mai 1992 die Evakuierung der etwa 400 Soldaten der Bistrik-Kaserne zu überwachen.62 Der Angriff auf den unter dem Schutz der UNPROFOR stehenden Konvoi der JVA aus der Bistrik-Kaserne durch die ARBiH unter regelrechter Exekution von sieben JVA-Soldaten verstieß zweifelsohne gegen jegliches Kriegsvölkerrecht und die Kriegsbräuche (freies Geleit) und führte auf allen Seiten zu starkem Misstrauen gegen UNPROFOR im Allgemeinen und General MacKenzie im Besonderen. Insbesondere war fortan die Beziehung zwischen MacKenzie und der politischen Führung Bosnien-Herzegowinas stark belastet.63 Der Vorfall zeigt aber auch, dass es wirklich neutrales Verhalten im Krieg kaum geben kann: Die Geiselnahme des Präsidenten Izetbegović am Flughafen von Sarajevo war ein starker Schlag gegen die Regierung Bosnien-Herzegowinas, die damit nicht nur technisch ihrer Führung beraubt wurde, sondern der auch ihre Machtlosigkeit psychologisch wirksam vorgeführt wurde. Die Freilassung Izetbegovićs war das Resultat von politischem Druck unter Beteiligung des Botschafters der USA und des EG-Beauftragten Colm Doyle. Dies zeigt auch, wie einflussreich die EG im Verbund mit den USA sein konnte, wenn sie, wie in diesem Fall, in dem Izetbegović dringend gebraucht wurde, entschlossen reagierte. Auf der anderen Seite war die Einschließung von rund 400 Soldaten einschließlich eines Generaloberst der JVA mit ihren schweren Waffen in der BistrikKaserne ein beachtlicher Teilsieg gegen die jugoslawisch-serbische Seite im Kampf um Sarajevo. Durch die Evakuierung der schweren Waffen ging dieser »Sieg« und die dringend benötigte Beute weitestgehend wieder verloren. Es ist bis heute nicht klar, ob MacKenzie die Evakuierung der gesamten Kaserne 62

63

MacKenzie, Peacekeeper. Vgl. Off, The Lion, the Fox and the Eagle. Zu MacKenzie, der als erfahrener Peacekeeper gelten kann, siehe . MacKenzie war von Beginn seiner Tätigkeit in Sarajevo an umstritten. Von muslimischer Seite wurde ihm – nicht zuletzt aufgrund seiner häufigen Treffen mit Karadžič – eine proserbische Haltung vorgeworfen. Die Vorwürfe gipfelten in einer Kampagne, in der MacKenzie u.a. inkorrekterweise vorgeworfen wurde, mit einer Serbin verheiratet zu sein und in einem serbischen Gefangenenlager muslimische Mädchen zu missbrauchen und anschließend ermorden zu lassen. Im Juli 1992 trat MacKenzie von seinem Posten zurück, da – obwohl die Vorwürfe nicht haltbar waren – die mangelnde Akzeptanz bei der muslimischen Kriegspartei als wenig fördernd für den Friedensprozess bewertet wurde. Diese Ereignisse erklären die oft als proserbisch gedeuteten späteren kritischen Anmerkungen des kanadischen Generals zur Izetbegović-Gruppe. Vgl. Susan McClelland, A Peacekeeping General Recalls Sarajevo. Interview mit Lewis MacKenzie. In: Peace Magazin, S. 16. Peace Magazin ist die Zeitschrift des Canadian Disarmament Information Service (CANDIS).

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gegen die Freilassung des Präsidenten versprochen hatte oder aber, ob die JVA einen Konvoi von genehmigten 30 Fahrzeugen eigenständig auf 70 vergrößert hatte. Ebenso ist unklar, ob die schweren Waffen entsprechend einer Abmachung oder gegen eine Abmachung mit evakuiert wurden. Unsicher ist nicht zuletzt auch, ob der stellvertretende und zu diesem Zeitpunkt amtierende Präsident von Bosnien-Herzegowina, Ganić, diesen Angriff angeordnet hatte – wie dies MacKenzie behauptet – oder ob entsprechend der Darstellungen Ganićs, in der verworrenen Lage die muslimischen Truppen auf unterer Ebene selbstständig handelten. Retrospektiv ist festzustellen, dass der Austausch Präsident Izetbegovićs gegen Generaloberst Kukanjac hinsichtlich Kräfteansatz und Informationsmanagement fehlerhaft verlief und mit dem gewaltsamen Tod von sieben JVA-Soldaten – denen zuvor durch UNPROFOR freies Geleit zugesichert worden war – endete. Damit hatte die UNPROFOR gezeigt, dass sie nicht Herr der Lage war. Andererseits hätte trotz allem der erfolgte Geiselaustausch an sich seitens UNPROFOR insofern als ein Erfolg verbucht werden können, als der Auftrag, den Präsidenten gegen die eingeschlossenen JVA-Soldaten auszutauschen, letztlich doch erfüllt worden war. Doch wurden UNPROFOR-Truppen in dessen Folge von serbischen Milizen festgesetzt und entwaffnet, so dass deutlich wurde, dass UNPROFOR von beiden beteiligten Kriegsparteien nicht als Autorität akzeptiert wurde. UNGeneralsekretär Boutros-Ghali folgerte zutreffend aus diesen Ereignissen: »This are not the conditions which permit a United Nations peace-keeping operation to make an effective contribution.«64 Die Kriegsparteien »lernten« aus diesem Vorfall, dass in diesem Krieg trotz Anwesenheit der UNPROFOR das »Recht des Stärkeren« galt. UNPROFOR verlor damit bei der JVA, den Serben und den Muslimen bereits zu Beginn ihres eigentlichen Einsatzes in Bosnien-Herzegowina die Glaubwürdigkeit. Der UN-Generalsekretär stellte zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass unter den gegebenen Umständen UNPROFOR nicht effektiv zum Frieden beitragen könne. Fast zeitgleich konnten sich in Mostar die Kräfte frei entwickeln. Hier war es bereits am 23. April zu schweren Kämpfen gekommen. Die Stadt sollte bis zu ihrer militärischen Entsetzung durch die HVO im Oktober 1992 durch die JVA belagert werden. Nachdem am 27. April 1992 die JVA das Krankenhaus Mostars mit Artillerie beschossen hatte, wurden 41 UNPROFOR-Beobachter in die Region Mostar entsandt. Sie konnten am 1. Mai 1992 ihren Dienst mit Patrouillen in Mostar, Medjugorje, Stolac und Trebinje aufnehmen. Trotz ihrer geringen Stärke gelang es bereits am 10.  Mai eine zeitlich begrenzte Feuerpause zu vereinbaren, um in Mostar Zivilisten und Verwundete aus der Kampfzone zu bergen. In Mostar befanden sich zu diesem Zeitpunkt auch bereits ECMM-Beobachter. Einen Tag nach Ankunft der UN-Beobachter fiel der belgische ECMM-Beobachter, Kapitein-commandant Bertrand 64

Further Report of the Secretary General Pursuant to Security Council Resolution 749 (1992), (S/23900, 12 May 1992), abgedruckt in: Bethlehem/Weller, The ›Yugoslav‹ Crisis in International Law, Zitat S. 512.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Borrey, sechs Kilometer von Mostar entfernt durch gezieltes Feuer der JVA.65 Einen Tag darauf beschloss die EG, die Beobachtermission auszusetzen, am 12. Mai verließen die letzten ECMM-Beobachter auch Sarajevo.66 Bereits am 6.  Mai war ein UN-Soldat durch eine Granate verletzt worden, am 12. Mai wurde ein UN-Beobachterfahrzeug direkt beschossen, wobei die Besatzung sich unverletzt aus dem Fahrzeug retten konnte. In Folge dieses letzten Vorfalls wurde bereits zwei Wochen nach ihrem Beginn nun auch diese UN-Militärbeobachtermission im Raum Mostar abgebrochen und die Soldaten aus Sicherheitsgründen zurück nach Kroatien kommandiert.67 Während dieser Geschehnisse in Sarajevo und Mostar vermittelte am 5. Mai Doyle im Auftrag der EG einen Vertrag, in dem die JVA (vertreten durch Generalmajor Milan Aksentijević) erklärte, den Flughafen von Sarajevo zugänglich zu machen. Die Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas (vertreten durch Fikret Abdić) versprach hierfür den Abbau von Barrikaden. Außerdem wurde ein Austausch von Toten, Verwundeten und Gefangenen vereinbart. Der Flughafen von Sarajevo blieb indes weiter geschlossen. Am 8. Mai entließ Milošević 38 Generale der JVA, darunter Verteidigungsminister Blagoje Adzić und den Kommandeur in Bosnien-Herzegowina Generaloberst Milutin Kukanjac. Anlass waren die Vorfälle in Mostar, aber auch der schmähliche Rückzug aus der Bistrik Kaserne mag eine Rolle gespielt haben. Schon nach dem Tod eines französischen und von vier italienischen ECMM-Beobachtern durch Beschuss eines italienischen Hubschraubers durch eine MiG-21 der JVA im kroatischen Luftraum am 7. Januar 1991 hatte Milošević den stellvertretenden Stabschef der jugoslawischen Luftwaffe entlassen. Diese Maßnahmen bedeuteten letztlich die Übernahme der JVA durch Milošević-treue Offiziere, die endgültige »Serbisierung« der JVA und praktisch auch die Annullierung des durch Aksentijević im Namen der JVA geschlossenen Vertrags.

b) Weltpolitische Implikationen eines regionalen Krieges Auf der diplomatischen Ebene folgten angesichts der festgefahrenen Lage »Bosnien-Erklärungen« der EG-68 und der KSZE-Mitgliedstaaten,69 die letztlich ihren Ausfluss in der UN-Sicherheitsratsresolution 752 fanden, die u.a. das sofortige Ende der Kämpfe, die Einhaltung der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas, den Rückzug der JVA von dortselbst und den Schutz 65 66 67

68 69

Le Soir vom 4. Mai 1992. Helsinki Watch, War Crimes in Bosnia-Hercegovina, S. 119. Further Report of the Secretary General Pursuant to Security Council Resolution 749 (1992), (S/23900, 12 May 1992), abgedruckt in: Bethlehem/Weller, The ›Yugoslav‹ Crisis in International Law, S. 510. Declaration on Bosnia and Herzegovina, Brüssel, 11.5.1992, abgedruckt in: Yugoslavia Through Documents, Dok. 189, S. 568. Declaration on Bosnia and Herzegovina, Helsinki, 12.5.1992, abgedruckt in: Yugoslavia Through Documents, Dok. 190, S. 572.

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des Flughafens Sarajevo forderte.70 Die sonstigen Botschaften der »internationalen Gemeinschaft« erscheinen auf den ersten Blick widersprüchlich: Parallel zu diesen Papieren reagierten die USA mit dem Abzug ihres Botschafters aus Belgrad und befahl Boutros Boutros-Ghali das UNPROFOR-Hauptquartier von Sarajevo nach Belgrad zu verlegen. Am 19.  Mai besuchte der russische Außenminister Andrei W. Kosyrew Belgrad und die USA beteuerten erneut, dass sie keine Truppen nach Bosnien-Herzegowina entsenden würden: »not an option«. Am gleichen Tag begann der – freilich kaum überwachte – Rückzug der JVA aus Bosnien-Herzegowina. Schlüssel für diesen Rückzug war in der Rückschau die sich verändernde Haltung Russlands, die sich bereits auf dem Helsinki-Gipfel der KSZE vom 12.  Mai 1992 gezeigt hatte: Noch kein halbes Jahr zuvor, an Weihnachten 1991, hatte sich die Sowjetunion selbst aufgelöst, war Gorbatschow zurückgetreten. Zwar war die Volksmeinung in Russland durchaus auf Seiten Serbiens bzw. für eine Konservierung Jugoslawiens, doch passte dies nicht in die neue außenpolitische Linie Jelzins und dessen Außenministers, Kosyrew. Diese später als »Kosyrew-Doktrin« bezeichnete Linie ging davon aus, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und »der Westen« nicht weniger »natürliche Freunde und Alliierte« Russlands seien, als sie »natürliche Feinde« der totalitären Sowjetunion gewesen waren.71 Der Belgradbesuch Kosyrews muss entsprechend als ein russischer Versuch gewertet werden, die Initiative im angestammten Einflussgebiet Jugoslawien durch eine russische Friedensinitiative wieder zu gewinnen.72 Kosyrew erklärte später, dass nach Ansicht der russischen Regierung die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Hebel für eine Beeinflussung der Situation Bosnien-Herzegowinas in Belgrad gelegen hätten. Doch sei ein »Russischer Friede«, also ein von Russland koordinierter Friedensplan, durch die heftigen Aktionen der durch Belgrad kontrollierten oder von Belgrad abhängigen Streitkräfte zunichte gemacht worden, so dass der Präsident der Russischen Föderation beschlossen habe, die UN-Sanktionen zu unterstützen.73 Die Ablehnung des russischen Friedensplans durch Milošević verärgerte die russische Regierung aus innenpolitischen wie außenpolitischen Gründen: Sie zwang Kosyrew dazu, einen Weg einzuschlagen, der einerseits im eigenen Land nicht populär war und andererseits »dem Westen« geostrategisch in die Hände spielte. Ein weiterer – möglicherweise entscheidender – Faktor muss in der wirtschaftlichen Schwäche Russlands und der daraus gegebenen Abhängigkeit von westlichen Hilfen gesehen werden: Am 17. Juni 1992 gewährten die USA Russland u.a. humanitäre Soforthilfe durch Waren im Wert von 90 Millionen US-Dollar sowie eine »Butterhilfe« im Wert von 34  Millionen US-Dollar. Hinzu kamen Kreditgarantien für den Erwerb von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den USA. Gleichzeitig wurde 70 71 72 73

UN/SC 752 vom 15.5.1992. Sander/Struvkov, Historical Dictionary, S. 326 (Eintrag Kozyrev). Zur russischen Jugoslawienpolitik siehe zusammenfassend: Forsberg/Haukkala, The European Union, S. 154‑157. Detailliert: Headly, Russia and the Balkans. Hunter/Thomas/Melikishvili, Islam in Russia, S. 393.

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das »Multilateral Financial Assistance Program« für Russland in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar beschlossen, wobei der amerikanische Anteil daran 4,5 Milliarden ausmachte.74 Angesichts solcher finanziellen Abhängigkeiten erklärt sich von selbst, dass die russische Politik in Jugoslawien nicht weit von derjenigen der Vereinigten Staaten entfernt liegen konnte. Doch gilt es neben dieser realistischen Betrachtung in jener Zeit auch eine durchaus idealistische Sichtweise ernst zu nehmen: Der von seinen Gegnern für seine Politik gegenüber den Vereinigten Staaten als »unterwürfig« und »Mr. Yes« bezeichnete Radikalreformer Kosyrew versuchte, nach dem »Kalten Krieg« eine »neue Weltordnung« zu schaffen, in der Russland ein »Teil des Westens« werden sollte und eine durch den ehemaligen Warschauer Pakt erweiterte NATO durch Mitgliederidentität mit der KSZE zu einem System kollektiver Sicherheit der demokratischen Staaten verschmolzen wäre. Vor diesem Hintergrund waren ethno-nationale oder historische Motive wie eine apostrophierte russisch-serbische »slawische Bruderschaft« nachrangig. So stimmte Russland in über 50  UN-Sicherheitsratsresolutionen mit den dort vertretenen NATO-Mitgliedern, also den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. Daran sollte sich bis Februar 1994 nicht viel ändern.75 Wesentliche Voraussetzung für diese Haltung Russlands war aber, dass »die NATO« als Bündnis nicht unilateral, sondern im Rahmen der KSZE und des North Atlantic Cooperation Council (NACC) und ohne militärische Gewaltanwendung agierte. Besonders deutlich formuliert wurde dies im Oktober 1992 in der »Charter of Russian-American Partnership and Friendship«: »[Russia and the USA] support the creation of a rather strong Euro-Atlantic peace keeping politically based on the CSCE’s political authority, that would allow for use of the possibilities of the NACC«76. Dies bedeutete praktisch, dass die USA Russland ein Vetorecht für den Einsatz der NATO bei Peacekeeping-Operationen – nicht im Bereich der Verteidigung nach Artikel  5 – einräumten und gleichzeitig in diesem Bereich von russischen Truppen profitieren sollten. Dieses im Oktober festgeschriebene System begann sich bereits im Mai 1992 zu entwickeln. Bezogen auf Jugoslawien bzw. Bosnien-Herzegowina bedeutete dies, dass Russland auf die Linie der USA einschwenkte, dafür aber diese immer wieder betonten, dass sie keine Truppen nach Bosnien-Herzegowina schicken würden (was die Position Russlands gewissermaßen vorwegnahm). Diese amerikanische Politik bremste indes den Handlungsspielraum der NATO. Deutschland – welches bei der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens noch einen gewissen diplomatischen Aktivismus im europäischen Rahmen an den Tag gelegt hatte – wurde dadurch ausgebremst, dass die wesentlichen Entscheidungen nun im UNSicherheitsrat fielen, so dass fortan eine gemeinsame Jugoslawien-Politik der USA, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs die außenpolitische Linie 74 75 76

. Headly, Sarajevo February 1994. Pouliot, Power Failure, S. 4.

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der NATO bestimmte. Bundeskanzler Kohl verhielt sich im Verlauf des Jahres 1992 betont passiv. Bundeskanzler und Auswärtiges Amt hatten sich mit der Einlassung, das Grundgesetz kenne keine Militäreinsätze, bereits beim UN-Beitritt der Bundesrepublik eine Selbstbeschränkung auferlegt; doch lag die Verneinung eines Militäreinsatzes ganz auf der gemeinsamen Linie der USA und Russlands. Kohl und Genscher führten nicht nur diese »ScheelLinie« fort, sondern Kohl befürchtete auch, dass der Krieg auf dem Balkan die Bündnissituation von 1941 mit Deutschland, Italien, Österreich auf der Seite Kroatiens und USA, Großbritannien und Russland auf der Seite Serbiens wiederbeleben könne, und trat daher Tudjman gegenüber eher reserviert auf. Diese Politik gepaart mit der zunehmenden Eskalation des Krieges in Bosnien-Herzegowina führte im Dezember 1992 zum Rücktritt des Ministers Christian Schwarz-Schilling (CDU) unter der Äußerung, er »schäme [sich], diesem Kabinett anzugehören, wenn es bei einem solchen Nichtstun in einer solchen Lage« bleibe. Kohl schrieb indes in seinen Erinnerungen, »der Vorwurf des Nichtstuns« treffe die internationale Staatengemeinschaft sowie SPD und FDP.77 Ähnlich urteilte auch Außenminister Klaus Kinkel, der im Mai 1992 Hans-Dietrich Genscher ablöste und die militärische Passivität vor allem dem Sicherheitsrat der UN zuschreibt.78 Diese zeitlich nach dem Massaker von Srebrenica geäußerten Anschuldigungen entsprechen indes – wie unter anderem auch der Rücktritt Schwarz-Schillings belegt – kaum der Wahrheit. Deutschland, vertreten durch seine Regierung mit Kohl als Bundeskanzler und Genscher bzw. Kinkel als Außenminister, handelte durchaus folgerichtig im Sinne der eigenen nationalen Interessen. Berechenbarkeit, Bündnistreue, »keine Alleingänge« waren Markenzeichen der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik während des Kalten Krieges gewesen. Diese Staatsraison wurde auch angesichts des Krieges in Bosnien-Herzegowina beibehalten: Wenn die USA und Russland sich auf das Ausbleiben von Militäreinsätzen geeinigt hatten, dann war es nicht an Deutschland, zu einem solchen zu drängen. Diese von der Bundesregierung also zumindest mitgetragene abwartende Politik gegenüber der Herausforderung der Jugoslawienkriege war innerhalb der NATO nur bedingt konsensfähig. Insbesondere die schon aufgrund ihrer geografischen Lage und der religiösen Identifikation mit den Muslimen Bosnien-Herzegowinas betroffene Türkei mahnte immer wieder eine militärische Intervention an: Präsident Turgut Özal forderte bereits am 29.  Mai 1992 eine NATO-Intervention in Bosnien-Herzegowina und bot hierzu auch türkische Truppen an. Am 17. und 18. Juni verabschiedete die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) in Istanbul einen gemeinsamen Aufruf an die UN, alle notwendigen Maßnahmen, einschließlich militärischer, gegen die 77 78

Kohl, Erinnerungen 1990‑1994, S.  510. Vgl. Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, S. 679‑689. Interview Klaus Kinkel im Deutschlandfunk vom 23.7.2008, .

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II. Krieg und Friedensoperationen

Serben zu ergreifen.79 Ein militärisches Vorgehen im Rahmen der OIC wurde jedoch abgelehnt, sondern der feste Verbund mit »dem Westen« gesucht und somit erneut die NATO zum Handeln aufgefordert.80 Darüber hinaus schlug der türkische Außenminister Hikmet Çetin den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats im August 1992 einen zweistufigen »Action Plan« vor. Die erste Stufe sah vor, auf diplomatischem Wege die Übergabe aller schweren Waffen binnen 48 Stunden zu fordern, die serbischen Gefangenenlager durch UN-Beauftragte zu übernehmen, von Serben ein Ende der Unterstützung der serbischen Milizen in Bosnien-Herzegowina zu verlangen und die an Verbrechen schuldig gewordenen serbischen Milizen vor ein internationales Strafgericht zu stellen. Sollten diese diplomatischen Forderungen nicht erfüllt werden, sollten ausgewählte Ziele aus der Luft angegriffen werden. Gleichzeitig erinnerte Çetin an das Versprechen des türkischen Präsidenten Turgut Özal, dass die Türkei keinen Alleingang vornehmen werde und beteuerte, die Türkei werde weiterhin die diplomatischen Friedensinitiativen der EG unterstützen. Das Engagement der Türkei wurde – auch wenn dieser Vorschlag keine Zustimmung fand – ernst genommen, nicht zuletzt auch weil die Türkei gute Beziehungen zu Izetbegović und Tudjman pflegte. So nahm die Türkei im August 1992 auch an der London-Konferenz der EG teil – obwohl die Türkei weder EG-Mitglied noch Kriegspartei war.81 Dadurch wurde aber auch verhindert, dass die OIC auf eigene Faust ihren »muslimischen Brüdern« in Bosnien-Herzegowina zur Hilfe kam. Am 25.  November 1992 fand in Istanbul eine Balkankonferenz statt, an der die unabhängigen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Mazedonien sowie Ungarn und Rumänien, aber auch Italien und Österreich teilnahmen. Wenn die Türkei auch das einzige Land war, das seit Beginn des Krieges in Bosnien-Herzegowina dessen Ende durch einen Militäreinsatz der NATO erzwingen wollte, waren zeitgleich die Verbindungen der Türkei zu Russland besser, als das gemeinhin angenommen wird: Die Türkei hatte sich seit dem gemeinsamen Freundschaftsvertrag vom März 1991 zum zweitgrößten Handelspartner Russlands entwickelt und stand durch die gemeinsame GasPipeline auch in einer gewissen Energieabhängigkeit. So liegt die Annahme des »Clash of Civilizations«82 sowie die serbische Propaganda falsch, die »islamische Türkei« habe sich gegen ihre »Erbfeinde Russland und Serbien« gerichtet. Gründe lagen viel mehr in der Stimmung der gut bis nach Bosnien hinein vernetzten Bevölkerung im eigenen Land, die, wenn sie nicht durch politische Maßnahmen befriedigt werden konnte, drohte in das islamistische Lager von Necmettin Erbakan abzugleiten.83 Dieses Argument nutzte auch Kohl – wenig erfolgreich – gegenüber Mitterrand, um diesen in der Balkanpolitik umzustimmen. 79 80 81 82 83

Coşkun, Turkish Foreign Policy, S. 7. Axt, Der »islamische Bogen«. Axt, Türkei, Malta, Zypern, S. 381‑383. Coşkun, Turkish Foreign Policy, S. 7 f. Huntington, Clash of Civilizations. Coşkun, Turkish Foreign Policy, S. 4.

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Wenn aber für Deutschland das Primat der Westintegration und für die Türkei dasjenige des laizistischen Staates auf dem Spiel zu stehen drohte, falls der Krieg im ehemaligen Jugoslawien nicht bald endete, so war für alle NATOMitglieder gleichzeitig auch die Partnerschaft mit Russland in Gefahr, wenn es notwendig werden sollte, den Frieden mit Waffengewalt zu erzwingen. Damit kam der »russischen Linie« in Bezug auf Bosnien-Herzegowina eine weit über die eigentlichen Machtverhältnisse des stark angeschlagenen russischen Staates in der Transformation hinausgehende Rolle zu. Andererseits drohte der Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina auch die ohnehin nach Ende der sowjetischen Bedrohung und durch die deutsche Wiedervereinigung strapazierte Einheit im Bündnis zu gefährden. Eine »Sollbruchstelle« schien hier auch der schwelende griechisch-türkische Konflikt zu sein, da Griechenland Serbiens Positionen favorisierte, während die Türkei sich offensiv für Bosnien-Herzegowina und Kroatien stark machte. Das sich ohnehin im »Namenskonflikt« mit Griechenland befindliche Mazedonien beschlagnahmte allein im Juni 1992 66 griechische Tanklastwagen mit Treibstoff für Serbien. Rumänien gab offen zu, dass es Öllieferungen nach Serbien zuließ.84 Der Krieg in Europa, die Unberechenbarkeit der aus der ehemaligen Sowjetunion entstandenen Staaten und das westliche Ungleichgewicht machten aber deutlich, dass die NATO als stabilisierende Institution zu wertvoll war, um sie wegen des Dissenses in Bezug auf den Krieg in Jugoslawien zu opfern. Die ersten Monate des Krieges in Bosnien-Herzegowina hatten deutlich gemacht, dass weder mit den Mitteln der UN bzw. des UN-Sicherheitsrates, noch mit den Instrumenten der KSZE oder der EG der Krieg und dessen Folgen zu stoppen waren. Der Krieg belastete aber nicht nur das Ost-West-Verhältnis und das Verhältnis der westlichen Staaten untereinander, sondern beinhaltete auch das Potential, sich weiter in der Region auszudehnen: Aufgrund der inneren Verbindungen bestand die Möglichkeit, dass es zu bewaffneten Unruhen auch in der Vojvodina, im Kosovo und in Mazedonien kommen könnte, die wiederum die Gefahr bargen, sich auf Ungarn, Albanien, Bulgarien, Rumänien oder Griechenland auszuwirken. Die »Untätigkeit des Westens« belastete zudem die Beziehungen zu den islamischen Staaten, die nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf laut werden ließen, dass »der Westen« gar kein Interesse daran habe, den Muslimen zu helfen. In Bosnien-Herzegowina war inzwischen die humanitäre Katastrophe Realität geworden und drohte in den folgenden Wochen oder Monaten totalen Charakter anzunehmen: 830  000 Menschen befanden sich als Binnenflüchtlinge oder Binnenvertriebene in Bosnien-Herzegowina. Bei ihnen handelte es sich größtenteils um Muslime (Bosniaken), die in den eingeschlossenen Städten Sarajevo, Bihać, Tuzla und Goražde Zuflucht gefunden hatten. Angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse war es nur noch eine Frage der Zeit, dass diese Städte fallen würden und neben der angestammten Bevölkerung dieser Städte auch zusätzlich diese Menschen Opfer »ethnischer Säuberungen« zu werden drohten. Zudem verließen im Sommer 84

War Crimes in Bosnia-Hercegovina, S. 108.

118



II. Krieg und Friedensoperationen

1992 bereits täglich bis zu 10 000 Flüchtlinge Bosnien-Herzegowina und die Flüchtlingszahlen stiegen auf 2,7  Millionen Menschen an, zeitgenössischen Schätzungen zufolge war im Juli 1992 bereits ein Drittel [!] der Einwohner Bosnien-Herzegowinas ohne Wohnung. Die steigenden Flüchtlingszahlen schafften ein öffentliches Bewusstsein, aus dem rasch Handlungsdruck für die politisch Verantwortlichen erwuchs – damit folgten die Wechsel in der Politik angesichts des Krieges in Bosnien-Herzegowina geografischen und netzwerkspezifischen Gesetzen: In den Ländern, in denen sich bereits jugoslawische Gastarbeiter oder andere Verwandte der Flüchtlinge befanden, nahmen diese zahlenmäßig rasch zu und es entstand eine breitere Informationsbasis und damit ein Problembewusstsein in der Öffentlichkeit. Ende Juli 1992 akzeptierte beispielsweise Deutschland ein Kontingent von 200  000 Flüchtlingen, Ungarn ein Kontingent von 60 000, Österreich eines von 50 000 und Schweden ein Kontingent von 44 000. Großbritannien beispielsweise war lediglich bereit 1100 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufzunehmen.85

c) Die »Wende von Oslo«: Die Neuausrichtung der NATO und der Einsatz der Luftwaffe in Bosnien-Herzegowina Ab Juni 1992 wurde angesichts der Brutalisierung des Krieges in BosnienHerzegowina und Kroatien eine erste Wende in der Politik »des Westens« sichtbar. Vor allem die Kriegsereignisse im Mai 1992 um Sarajevo und die sich zuspitzende Flüchtlingsproblematik angesichts der Geländegewinne der VRS führten im UN-Sicherheitsrat zur Resolution 757.86 Diese forderte ein Embargo gegen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro) sowie das Errichten einer Sicherheitszone (security zone) um Sarajevo unter Einbeziehung des Flughafens. Das am 5. Juni vor Ort durch Thornberry (Head of Civil Affairs) für UNPROFOR mit den Kriegsparteien verhandelte Abkommen legte aber nur eine Sicherheitszone für den Flughafen (Butmir) und einen Sicherheitskorridor vom Flughafen in die Stadt fest und blieb damit hinter der zentralen Forderung der Resolution 757, nämlich dem physischen Schutz der Stadt und ihrer Bevölkerung, zurück.87 Der zu Recht kritisierte mangelnde Schutz der Bevölkerung der Stadt Sarajevo erklärt sich aus der Tatsache, dass UNPROFOR lange gar nicht über die hierfür notwendigen Kräfte verfügte. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Truppenstärke von UNPROFOR im Laufe der Peacekeeping-Mission: Erst im Herbst 1992 wurde die für UNPROFOR Bosnien-Herzegowina benötigte Truppenstärke auf fünf selbständige Bataillone für ganz Bosnien-Herzegowina festgelegt, wobei diese in vier bis fünf Zonen, wie z.B. Banja Luka, Doboj, Bihać oder Goražde, 85 86 87

Ebd., S. 37 und S. 95‑97. UN/SC 757 vom 30.  Mai 1992, UN Security Council, l  3082nd Meeting Resolution S/ RES/757, May 30, 1992. Donia, Sarajevo, S. 302.

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verteilt werden sollten, um die Arbeit des UNHCR zu sichern.88 Nimmt man ein solches Bataillon mit einer Truppenstärke von 1000 Soldaten an, so wäre mit etwa 5000  Soldaten oder maximal mit 7000  Soldaten in zwei Brigaden geplant worden.89 Die NATO ging im Jahr 1993 in ihren Berechnungen mindestens davon aus, dass für die Einrichtung eines »safe haven« zum Schutz der Zivilbevölkerung gegen Aggressionen aller Art Truppen in Korpsstärke (etwa 60 000 Soldaten), für die Einrichtung einer »safe area« in einer größeren Stadt mit Einschluss eines Verteidigungsauftrags für die Zone Truppen in Brigadestärke (etwa 3500 Soldaten) und für die Einrichtung einer »relief zone« in einer mittelgroßen Stadt – zur Gewährung eines gewissen militärischen Schutzes durch Truppenpräsenz, aber ohne besonderen Schutzauftrag – Truppen in Bataillonsstärke (etwa 800 Soldaten) benötigt würden.90 Für eine »safe area« für eine Stadt wie Sarajevo mit etwa 380 000 Einwohnern (1991) wären nach dieser Berechnung alleine schon ein bis zwei Brigaden mit rund 5000‑7000 Soldaten benötigt worden. Für Mittelstädte, wie Goražde, Žepa oder Bihać, stellten ein bis zwei Bataillone die absolute Mindeststärke für die Einrichtung einer »relief zone« ohne besonderen Schutzauftrag dar. Erst im Frühjahr 1994 erreichte UNPROFOR eine Stärke von rund 30  000 Soldaten, wobei etwa 14 000 in Kroatien und 16 000 in Bosnien-Herzegowina eingesetzt waren. Von diesem Zeitraum an befanden sich dann auch erst etwa 5000 UNPROFOR-Soldaten in Sarajevo.91 Die höchste Truppenstärke erreichte UNPROFOR ab März 1995 mit insgesamt 38 599 Soldaten (in Kroatien und Bosnien-Herzegowina). Eine Verstärkung von UNPROFOR, die auch nur annähernd den seitens des UN-Sicherheitsrates gestellten Forderungen einer Sicherung der humanitären Bemühungen des UNHCR in Bosnien-Herzegowina entsprechen konnte, war ohne die Organisationsstrukturen, die Truppenstellung und die finanziellen Mittel der NATO-Staaten nicht durchführbar. Bereits der UNPROFOR-Einsatz in Kroatien drohte immer wieder an der chronischen Unterfinanzierung der Truppen – an und für sich eine Aufgabe der ständigen Mitglieder des UNSicherheitsrates – zu scheitern.92 Die amerikanische Bush-Administration sah den Krieg in Jugoslawien primär als Aufgabe »der Europäer«,93 gerade dies förderte aber die »Zuständigkeit« der NATO. Diese beschloss auf ihrer Außenministertagung in Oslo am 4. Juni 1992, dass zukünftig NATOTruppen als »Peacekeeper« außerhalb des NATO-Gebiets eingesetzt werden dürften. Gleichzeitig wurde die Resolution »The Crisis on the Territory of the 88

89 90 91 92 93

S/24540 vom 10.9.1992, Report of the Secretary General on the Situation in Bosnia and Herzegovina. Zum Kontext der Entscheidungsfindung im UN/SC, siehe Dokumente in: Repertoire of the Praxis of the Security Council, S. 519‑530. Angaben der UN: . BArch, BW 2/34940, Bericht der Bundesregierung zu Planungen der NATO zu Bosnien und die deutsche Beteiligung daran vom 11.5.1993. Rogel, The Breakup of Yugoslavia, S. 64. Michael Littlejohns, UN Worried by Cost of Yugoslav Operation. In: Financial Times vom 21.2.1992. Milestones 1993‑2000, .

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Former Yugoslavia« verabschiedet. Diese legte fest, dass in diesem Gebiet ein militärischer Einsatz nur auf Anfrage der KSZE durchgeführt werden könne. Damit wurde Russland praktisch ein Vetorecht für einen NATO-Einsatz in Jugoslawien zugestanden. Dies entsprach der amerikanischen außenpolitischen Linie. Dennoch stellte die Konferenz von Oslo eine signifikante Wende dar, welche das Umschwenken der amerikanischen Politik unter Präsident Bill Clinton bereits in Teilen vorweg genommen hatte. Die NATO bot sich hier als Durchführungsorgan der UN an.94 In diesem Zusammenhang steht auch die amerikanische Personalentscheidung, die Stelle des SACEUR ab 23. Juni 1992 mit General John Shalikashvili, dem späteren »Chairman of the Joint Chief of Staff« in der Clinton-Administration (ab 23. Oktober 1993), zu besetzen. Shalikashvili hatte zuvor mit Operation »Provide Comfort« im Norden Iraks die erste »humanitäre Intervention« der US-Streitkräfte geführt.95 Dieser allgemein als erfolgreich angesehene Einsatz bildete in vielfacher Hinsicht die Blaupause für den Einsatz der NATO in Jugoslawien, doch zeigte er auch bereits klar die teilweise auch auf Bosnien-Herzegowina zutreffenden Probleme auf.96 Die sich im Nordirak an der türkischen Grenze entwickelnde Flüchtlingskatastrophe mit über einer halben Million Kurden und einer geschätzten Todesrate von 1000 Menschen pro Tag sollte ursprünglich durch »airdrops«, also das Abwerfen von Hilfsgütern aus der Luft, durch die US Airforce gelöst werden.97 Jedoch wurde bald erkannt, dass nur ein kombinierter Einsatz von Bodentruppen und Luftwaffe geeignet war, die humanitäre Katastrophe abzuwenden. Shalikashvilis Plan bestand aus zwei Phasen: In der ersten Phase sollte die Irakische Armee soweit zurückgedrängt werden, dass eine Sicherheitszone für die geflüchteten bzw. vertriebenen Kurden entstand, in die diese wieder zurückkehren konnten. Hierfür wurde eine Flugverbotszone (No-Fly Zone) eingerichtet. Nach dieser ersten Phase, die praktisch eine militärische Besetzung der Sicherheitszone mit massiven militärischen Kräften darstellte, wurde in einer zweiten Phase die Sicherheitszone aus der Luft überwacht und nur mit schwachen Landstreitkräften gesichert. An »Provide Comfort« nahmen 13  Nationen unter amerikanischem Oberkommando teil und ermöglichten so die Flüchtlingshilfe durch etwa 50 verschiedene NGO, die durch das US-Militär koordiniert und geschützt wurden. Auch wenn die Operation »Provide Comfort« aufgrund der Rettung von hunderttausenden Menschenleben zu Recht als Erfolgsgeschichte gelten kann, ist selbst diese Operation nicht frei von Kritik geblieben. Diese – vor allem völkerrechtlich motivierte – Kritik ist insbesondere im Zusammenhang 94 95

96 97

NATO, Ministerial Communiqué, Statement Issued at the Meeting of the Northatlantic Cooperation Council, Oslo 5.6.1992. Marble, How Are Great Leaders Made? Lessons from the Career of General John Shalikashvili (1936‑2011) sowie Marble, Boy on the Bridge. The Story of John Shalikashvili’s American Success. Goldstein, General John Shalikashvili. Operation Provide Comfort (5.4.1991‑31.12.1996) begann als reine Luftoperation und wurde am 17.4. zu einer Joint Operation ausgeweitet.

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mit Bosnien-Herzegowina von Interesse. In Bosnien-Herzegowina wurde versucht, diese »Fehler« nicht zu wiederholen: Obwohl für »Provide Comfort« mit UN-Sicherheitsratsresolution 688 eine rechtliche Grundlage gelegt worden war, wurde die Legalität dieser Operation in Frage gestellt. Um die Operation nach Kapitel  VII der UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat rechtfertigen zu können, war die humanitäre Krise im Irak nach Artikel 39 als »Gefahr für den Weltfrieden« klassifiziert worden. Da für Operationen nach Kapitel  VII eine Zustimmung des betroffenen Landes (in diesem Fall Irak) zum Einsatz notwendig ist, wurde diese auch formal eingeholt. Doch kann schlüssig argumentiert werden, dass diese Zustimmung angesichts des erst kurz zuvor beendeten Irakkrieges und des massiven Militäreinsatzes nicht von Saddam Hussein »freiwillig« gegeben, sondern militärisch erzwungen worden war.98 Die NATO stellte sich also ab Sommer 1992 nicht nur auf der politischen Ebene darauf ein, Peacekeeping im Auftrag der UN und der OSZE durchzuführen, sondern erhielt mit Shalikashvili auch auf der militärischen Ebene gewissermaßen den »Vater des robusten Peacekeeping« als neuen SACEUR. Zwei Tage zuvor hatte die kroatische Offensive in der Krajina begonnen. Ihr Ziel war es, die Stadt Knin zurückzuerobern. Präsident George Bush erklärte am 28. Juni, die USA prüfe alle Optionen und drohte damit indirekt mit einem Militäreinsatz in Jugoslawien. Am selben Tag ließ sich der französische Präsident François Mitterrand in Begleitung von Bernard Kouchner überraschend mit einem Hubschrauber in das belagerte und umkämpfte Sarajevo einfliegen und erzwang damit den Abzug der schweren Waffen der VRS vom Flughafen.99 Von Kouchner, dem Gründer von »Médecins du Monde«, stammte das Konzept eines Rechtes auf humanitäre Intervention, welches im Zweifelsfall vor der staatlichen Souveränität rangierte (sozusagen der Vorläufer der ab 2005 zum UN-Prinzip erklärten »Responsibility to Protect«, zu Deutsch »Schutzverantwortung«). Am 29.  Juni landete das erste französische Transportflugzeug mit Hilfsgütern in Sarajevo. Dieser Flug markierte den Beginn der 44  Monate andauernden Luftbrücke. Diese wurde nicht nur durch das so öffentlichkeitswirksame wie persönlich mutige Auftreten Mitterrands ermöglicht, sondern auch militärisch flankiert. 125 aus Frankreich eingeflogene Fallschirmjäger begannen am Folgetag vor Ort als UNPROFORTruppen den Flughafen zu sichern. Zeitgleich erschienen sechs Schiffe mit 2200 US Marines vor der Kroatischen Adriaküste,100 während gleichzeitig die USA verlautbarte, dass sie nicht plane, US-Soldaten in Bosnien-Herzegowina anzulanden.101 Die amerikanische Botschaft war deutlich und wurde immer wieder in den verschiedenen Medien wiederholt: Die USA seien bereit, zur 98 99 100 101

Haspeslagh, Safe Havens in Iraq. John F. Burns, Conflict in the Balkans. Mitterrand Flies Into Sarajevo; Shells Temper »Messages of Hope«. In: New York Times vom 29.6.1992. Pugh, Maritime Security and Peacekeeping, S. 264‑267. Eric Schmitt, Cheney Talks of an Air Role in Bosnia. In: New York Times vom 30.6.1992. O’Ballance, Civil War in Bosnia, S. 62.

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II. Krieg und Friedensoperationen

See und aus der Luft dafür zu sorgen, dass Hilfsgüter nach Sarajevo geliefert werden können, werden aber keine Bodentruppen einsetzen. Gewissermaßen gab es bereits ab etwa Juli 1992 eine Arbeitsteilung innerhalb der NATOStaaten: Während die USA mit ihren überlegenen Luft- und Seestreitkräften die militärischen Grundlagen legten, um die Voraussetzungen für einen Einsatz »der Europäer« in Bosnien-Herzegowina zu schaffen, war es in erster Linie Sache »der Europäer«, vor Ort mit Landstreitkräften präsent zu sein. Am 3. Juli 1992 stieg die US-Luftwaffe mit Operation »Provide Promise« in die bereits angelaufene Luftbrücke mit zwei C-130 Herkules ein.102 Diese gehörten dem 435th Airlift Wing an, das auf der »Rhein-Main-Airbase« in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Flughafens stationiert war.103 Einen Tag zuvor waren bereits vier französische und ein norwegisches Transportflugzeug in Sarajevo gelandet. Es ist davon auszugehen, dass diese Reihenfolge auch hinsichtlich ihrer außenpolitischen Wirkung so festgelegt wurde. Ab 4.  Juli 1992 nahm auch die Luftwaffe der Bundeswehr an der Luftbrücke für Sarajevo teil. Die politisch-rechtliche Grundlage hierfür bildete ein am 3.  Juli 1992 gefasster Kabinettsbeschluss. Dauerhaft nahmen bis zum Ende der Luftbrücke im Januar 1996 an den Hilfsflügen Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA teil. Auch Italien erbrachte einen Großteil der Flugleistung. Hinzu kamen weitere 15 Nationen, die sich zeitweise oder mit Unterbrechungen in die Luftbrücke einbrachten, hierzu gehörten sämtliche NATO-Staaten mit Ausnahme von Luxemburg und Island. Des Weiteren unterstützten Jordanien, Algerien, Tunesien und Kuwait sowie Polen und Schweden. Bei der Luftbrücke handelte es sich aber weder um einen Einsatz der NATO, noch um einen Einsatz der UNPROFOR, sondern um eine Operation des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). Das UNHCR richtete Ende Juni 1992 in der Schweiz die »Air Operations Cell Geneva« (AOCG) ein, bei der die Einsatzplanung und -steuerung der nationalen Beiträge lag. Dieser Stab bestand aus Luftwaffenoffizieren aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland als Operationsstab und permanenten Verbindungsoffizieren für die nationalen Beiträge der jeweiligen Luftwaffen. Hinzu kamen die Leitung durch Vertreter des UNHCR sowie Vertreter des Roten Kreuzes. Ab Dezember 1992 wurde darüber hinaus eine High Level Working Group (HLWG) auf ministerieller Ebene ins Leben gerufen, in der sich die an der Luftbrücke teilnehmenden Nationen abstimmten. Insbesondere fielen hier die Entscheidungen zum Aussetzen oder zur Wiederaufnahme der Luftbrücke.104 Die Luftbrücke bestand also 102 103

104

Brooks, Operation Provide Promise. Butler, USAFE Aids in Operation Provide Promise, vom 24.8.2012. Die Rhein-MainAirbase wurde 2005 aufgelöst. Auf ihrem Gelände entsteht der Terminal  3 des Frankfurter Flughafens. Ahrens, Luftbrückeneinsatz für Sarajevo, S. 20 f.; Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo und der »Air Drop«. Siehe ausführlich: Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo 1992 bis 1996.

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aus nationalen Beiträgen für das UNHCR, wobei vier NATO-Mitgliedstaaten den Kern des Beitrages bildeten, zu dem alle NATO-Mitgliedstaaten mit relevanten Lufttransportfähigkeiten ihren Teil beitrugen. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutete diese Organisation außerhalb des Bündnisses, dass eine nationale Führungsfähigkeit erst geschaffen werden musste. Im Verteidigungsfall standen schließlich alle Kampfverbände der Luftwaffe der Bundeswehr unter Befehl der NATO. Da es sich aber um einen »humanitären Einsatz« im Auftrag des UNHCR zu Friedenszeiten handelte, fehlte nun dieser organisatorische Überbau. Die für die Luftbrücke benötigten militärischen Ressourcen, die vom Lufttransportkommando der Luftwaffe geführten Lufttransportverbände LTG 61, 62, 63 und das Hubschraubertransportgeschwader 64 sowie die Flugbereitschaft, mussten zuerst in eine direkte Befehlskette zum Bundesminister der Verteidigung – dem Inhaber der obersten Befehls- und Kommandogewalt in Friedenszeiten – gebracht werden. Hierfür wurde der Führungsstab der Streitkräfte (FüS) unter seinem Stabschef Konteradmiral Hans Frank so umgegliedert, dass er unter Befehl des Generalinspekteurs General Klaus Naumann gewissermaßen »als Generalstab« den Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, in dieser Einsatzangelegenheit beraten konnte. Zuerst erfolgte diese Arbeit bei FüS in einem ad hoc zusammengestellten »Arbeitsstab Sarajevo« für die Hilfsflüge, der ebenso wie der »Arbeitsstab Kambodscha« direkt dem Generalinspekteur zugeordnet war. Diese beiden Arbeitsstäbe wurden noch im selben Jahr zum »Koordinierungsstab Einsatzführung« zusammengeführt und aufgrund der Zunahme der Aufgaben 1993 zum »Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben der Bundeswehr« ausgebaut. Im selben Jahr folgte noch eine Verstetigung des Provisoriums als Referat FüS IV 4, doch erwies sich die Referatsebene als zu niedrig angesiedelt, so dass 1995 das »Führungszentrum der Bundeswehr« (FüZBw) auf Unterabteilungsebene eingerichtet wurde. Ausdrücklich wurde aber betont, dass es sich beim FüZBw weder um einen Gefechtsstand noch um einen Generalstab handele.105 Die truppendienstliche Führung, im Gegensatz zur ministeriellen Aufgabe, oblag indes dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Hans-Jörg Kuebart, bzw. dessen Führungsstab der Luftwaffe unter Peter Funk, der wiederum direkte Weisungen an das Lufttransportkommando richtete.106 Dieses war dann Hauptträger der Planung und Führung der deutschen Anteile auf den Lufttransportstützpunkten (LTP). Bis März 1993 erfolgten die Hilfsflüge von Zagreb aus (LTP Zagreb), ab Mitte Februar 1993 wurde der LTP auf dem italienischen Flugplatz Falconara eingerichtet. Ziel dieser Verlegung war die Verbesserung der Sicherheit der Flugbesatzungen – durch die Festlegung der

105 106

Krause, Die Bundeswehr als Instrument, S. 222 f. Siehe hierzu: Chronik Führungsstab der Luftwaffe, S.  112, 179; Das Lufttransportkommando. 40 Jahre im Einsatz.

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neuen Flugroute wurde erreicht, dass sie sich möglichst kurz über dem von der VRS kontrollierten Gebiet aufhalten mussten.107 Problematisch war die oben skizzierte Organisationsstruktur vor allem deswegen, weil dadurch nahezu zwangsläufig ein Dualismus zwischen dem Generalinspekteur der Bundeswehr als Berater des Verteidigungsministers und dem Inspekteur der Luftwaffe als oberstem militärischem Befehlshaber der Luftwaffe entstand. Dieses altbekannte Problem bei der Führung der Bundeswehr war durch die weit klareren Befehlsstrukturen innerhalb der NATO bereits obsolet geworden, trat aber nun bei der Renationalisierung militärischer Führung wieder deutlich zu Tage. Aus einer rein militärischen Perspektive waren klare Unterstellungen durchaus gewollt. Doch ging es im Kern um die politische Frage der Stellung des Generalinspekteurs, letztlich um die Frage, ob dieser die Funktionen eines Generalstabschefs bekleiden dürfe oder lediglich Repräsentant der Bundeswehr sei.108 Doch waren es nicht nur solche, sich aus dem Umbruch entwickelnden politisch-organisatorischen oder bürokratischen Hindernisse im nationalen wie internationalen Bereich, die die Luftbrücke zu einer besonderen Herausforderung werden ließen. Die Luftbrücke spannte sich über Kriegsgebiet. Die Hilfsgüter wurden in eine belagerte Stadt gebracht. Humanitäre Hilfe hatte somit auch hier militärische Folgen: Sie verhinderte den Fall der Hauptstadt Sarajevo. In diesem Kontext sind die über 270 »ernsten Zwischenfälle«, meist Beschuss durch die VRS, erklärbar. Der Beschuss erfolgte meist mit Handfeuerwaffen. Die deutsche Transall C-160 verfügte anfangs über keine moderne Selbstschutzausstattung, die der aktuellen Bedrohung während der Luftbrücke entsprach. Außerdem war sie als zweimotoriges Transportflugzeug gegenüber der durch die meisten anderen Nationen eingesetzten viermotorigen Hercules C-130 nach Ausfall eines Triebwerkes durch Beschuss stark eingeschränkt.109 Die Soldaten der Luftwaffe flogen also mit Gerät, welches für diesen Auftrag nicht ausgelegt war. Eine solche Selbstschutzausstattung für die Transall, bestehend aus Kevlarmatten im Cockpit, einem Radar-Warnempfänger (RWR) und »Chaff« (Stanniolstreifen) zur Täuschung feindlichen Radars, konnte erst ab September 1992 durch die Besatzungen genutzt werden. Nachdem am 3. September 1992 die VRS eine italienische Transportmaschine des Typs Fiat G-222 mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen hatte, wobei auch die vier Mann Besatzung zu Tode kamen, wurden die deutschen Transall mit »Flares« (Hitzetäuschkörpern) und einem »Missile Approach Warner« (RaketenAnflugwarngerät) ausgestattet. Bis Ende des Jahres 1992 gelang es auch diese Nachrüstung abzuschließen. Diese Ausstattung schützte jedoch nicht vor Beschuss mittels Flugabwehrkanonen (Flak) nach optischer Aufklärung. Am 6. Februar 1993 wurde die deutsche Transall 50+54 durch Flakfeuer während 107 108 109

Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo und der »Air Drop«. Siehe ausführlich: Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo 1992 bis 1996. Vgl. Millotat, Das preußisch-deutsche Generalstabssystem, S. 20 f. Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo und der »Air Drop«. Siehe ausführlich: Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo 1992 bis 1996.

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des Anflugs auf Bosnien-Herzegowina über Karlovac (Kroatien) getroffen. Dabei wurde der Ladungsmeister Hauptfeldwebel Wilhelm Wiegel durch Splittereinwirkung schwer verwundet. Ein Triebwerk fiel aufgrund des Beschusses aus, doch gelang es dem Kommandanten, Hauptmann Gunter Hischen, und seiner Crew die beschädigte Transall C-160 nach Zagreb zurückzufliegen. Angesichts solcher Gefahren – bis zu 22 Konflikthandlungen im Monat110 – und auch angesichts der politischen, militärischen und technischen Herausforderungen dieser Aufgabenstellung für die deutsche Luftwaffe liest sich die Bilanz der zeitlich längsten Luftbrücke (1284 Tage) beeindruckend: Der deutscher Anteil umfasste den Transport von 10  782  t Hilfsgütern nach Sarajevo bei 1412 Einsätzen mit rund 3426 Flugstunden. Insgesamt betrug die internationale Transportleistung 160 000 t in ca. 12 900 Einsätzen. Dies bedeutet, dass deutsche Soldaten etwas über ein Zehntel der Einsätze der Luftbrücke ableisteten. Die im Vergleich hierzu relativ geringere Transportleistung (6,7 Prozent der Gesamttonnage) erklärt sich dadurch, dass die Transall C-160 pro Flug lediglich 8 t laden konnte, während die Hercules C-130 pro Flug 10‑12 t zu transportieren in der Lage war.111 Insgesamt kann der Auftrag der Luftbrücke als erfüllt angesehen werden: Die Bevölkerung von Sarajevo wurde aus der Luft versorgt, so dass die Stadt Sarajevo nicht fiel und dadurch eine »ethnische Säuberung« verhindert wurde. Die in Bezug auf die Luftbrücke geäußerte Kritik schmälert die Leistungen der Soldaten nicht, sondern zielt vielmehr auf die politisch-militärischen äußeren Umstände. Vergleicht man die Vorgehensweise der Operation »Provide Promise« (Sarajevo) mit derjenigen der USA in der Operation »Provide Comfort« (Nord-Irak), so wird deutlich, dass sich entgegen der »lessons learned« aus der Irakmission in Bosnien-Herzegowina auf eine reine Airlift-Lösung eingelassen wurde. Auch wenn die VRS ihre schweren Waffen vom Flughafen Sarajevo zurückgezogen hatte, so hat sie diese nicht aus dem Umfeld der Stadt Sarajevo, für deren eingeschlossenen Einwohner ja die Hilfsgüter bestimmt waren, abgezogen. Im Vergleich zu »Provide Comfort« gab es ursprünglich keine militärisch überwachte Flugverbotszone und keine Truppen, die diejenigen Streitkräfte, die die humanitäre Not verursachten, zurückdrängten. Die »Bodenaufgabe« des Schutzes der Bevölkerung und der für diese bestimmten Hilfe blieb UNPROFOR überlassen, einer Truppe, die hierzu weder befugt noch hinsichtlich ihrer Stärke und Ausrüstung zu solch einem Auftrag befähigt war. Auch wurde auf das fast tägliche »Aufschalten« durch Flugabwehrradar der VRS nicht mit militärischen Gegenmaßnahmen, wie etwa dem Zerstören von den Waffensystemen, von denen diese feindlichen Handlungen gegen die im Auftrag des UNHCR durchgeführten Hilfstransporte ausgingen, geantwortet. Ein Begleitschutz der Transportmaschinen durch etwa Jagdbomber 110 111

Zur Statistik der Konflikthandlungen: Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo 1992 bis 1996, S. 290‑300. Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo und der »Air Drop«. Siehe ausführlich: Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo 1992 bis 1996.

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war ebenfalls nicht vorgesehen. Der Schutz der Transporter erfolgte lediglich durch passive Maßnahmen. Die operationell gesehen »verkehrte Reihenfolge« von »Provide Promise«, also Lufthilfe vor Klärung der Situation am Boden und im Luftraum, war sicherlich den unterschiedlichen Einschätzungen und Interessen der »internationalen Gemeinschaft« geschuldet. Die Öffnung des Flughafens war nicht auf dem militärischen Weg mittels Gewalt, sondern auf dem diplomatischen Weg durch Verhandlungen erfolgt. Während dies in der Theorie nach Fortschritt klingt, brachte es in der Praxis aufgrund Thornberrys Position der Schwäche eine Vielzahl von Problemen. Das Abkommen zur Räumung des Flughafens wurde zwischen Thornberry (Head of Civil Affairs UNPROFOR), Karadžić und Izetbegović verhandelt, wobei Izetbegović der Trennung zwischen einem Rückzug schwerer Waffen vom Flughafen einerseits und der Stadt Sarajevo andererseits erst auf Druck zustimmte und Thornberry dies als zwei Stufen eines Planes darstellte – wobei die zweite Stufe nicht zustande kommen sollte.112 Dieses »Airport Agreement« vom 5.  Juni 1992 bildete die Grundlage für die UN-Sicherheitsratsresolution 761 und damit für die Luftbrücke. In Artikel  8 des »Agreement of 5  June 1992 on the Reopening of Sarajevo Airport for Humanitarian Purposes« wurde festgelegt, dass »humanitäre Hilfe nach Sarajevo und darüber hinaus« geliefert werde. Dies bedeutete, dass die Luftbrücke nicht nur die eingeschlossene Bevölkerung in Sarajevo, sondern auch die außerhalb des Belagerungsringes serbisch kontrollierte Bevölkerung versorgen musste. Um die Luftbrücke beginnen zu können, stimmte das UNHCR der Forderung Karadžićs zu – dessen Truppen den Flughafen beherrschten –, dass entsprechend des Bevölkerungsproporzes (330  000 Menschen innerhalb des Belagerungsringes, 100  000 Menschen außerhalb) 23  Prozent aller Hilfsgüter an die bosnischen Serben außerhalb der Stadt zu liefern seien. Artikel  6 des »Airport Agreement« räumte darüber hinaus beiden Kriegsparteien ein Inspektionsrecht der Hilfsgüterlieferungen ein. Dies bedeutete, dass in der Praxis alle seitens der Karadžić-Inspekteure abgelehnten Güter am illegalen Checkpoint »Sierra Four« der VRS auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt abgefangen wurden. Dies betraf beispielsweise Wasserrohre, Pumpen und Generatoren für Sarajevo, aber auch Tonnen an Nahrungsmitteln. Dieser Kompromiss war angesichts des nicht ausreichenden Kräfteverhältnisses vor Ort wohl die einzige Möglichkeit gewesen, die Luftbrücke überhaupt in Gang zu setzen. Andererseits ermöglichte dies, dass die RS-Regierung die Einfuhr von Hilfsgütern als Druckmittel gegenüber der »internationalen Gemeinschaft« nutzen konnte – ein Mittel, das nicht selten angewendet wurde.113 Es mag zynisch klingen, dass die deutsche Luftwaffe 6,7  Prozent der Hilfsgüter für Sarajevo unter erheblicher Gefahr und unter häufigem Beschuss durch die VRS nach Butmir einflog, aber 23 Prozent der Hilfsgüter gar nicht der an Mangel leidenden eingeschlossenen Bevölkerung 112 113

Off, MacKenzie in Sarajevo, S. 325‑330. Cutts, The Humanitarian Operation in Bosnia.

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Sarajevos, sondern letztlich den Belagerern zu Gute kamen. Doch ist es nicht die Politik, die solch einen Zustand über einen Zeitraum von 1284 Tagen toleriert, die zynisch ist? Von Sagato Ogata, der UN-Flüchtlingshochkommissarin stammt der auf die Situation in Bosnien-Herzegowina gemünzte treffende Satz: »Humanitarian action cannot be a substitute for political action but it can act as the bridge from conflict to peace.«114

d) Der Embargoeinsatz in der Adria: Von »Maritime Monitor« und »Sharp Vigilance« bis »Sharp Guard« Die »politische Aktion« war indes aufgrund der unterschiedlichen nationalen Interessen nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Das am 25. September 1991 mit UN/SC 713 verhängte Waffenembargo gegen alle aus der Konkursmasse Jugoslawiens entstandenen Staaten macht dies deutlich.115 Diese Maßnahme wurde mit UN/SC 757 um ein Handelsembargo gegen die aus Serbien und Montenegro bestehende, neu gebildete Föderative Republik Jugoslawien erweitert. Mit der Umsetzung dieser Entscheidungen wurden die beiden Regionalorganisationen NATO und WEU beauftragt. Im Juli 1992 einigten sich diese beiden Organisationen darauf, in einer koordinierten Aktion die Adria als einzigen seeseitigen Zugang zum Kriegsgebiet zu überwachen.116 Beinahe verzugslos nach den Entscheidungen begannen am 15.  Juli 1992 die Operationen »Maritime Monitor« der NATO und »Sharp Vigilance« der WEU. Ziel beider Operationen war es, die Umsetzung des Waffen- und des Handelsembargos durch Erstellung eines maritimen Lagebildes zu unterstützen.117 Deutschland war als Mitglied beider Organisationen von Anfang an jeweils mit einem eigenen militärischen Beitrag dabei. Für die WEU-Operation »Sharp Vigilance« stellte die Deutsche Marine bis zu drei Seefernaufklärer. An der NATO-Operation »Maritime Monitor« beteiligte sie sich im Rahmen der Standing Naval Force Mediterranean (STANAVFORMED) mit mindestens einem dorthin abgestellten Schiff. Die STANAVFORMED kann als eine Folge des Irakkrieges der Jahre 1990 bis 1991 angesehen werden, bis dahin hatte es sich um eine »On-Call-Force« gehandelt. Traditionell war die Bundesmarine nicht an diesen Mittelmeerkräften im Rahmen von AFSOUTH beteiligt gewesen. 114

115

116 117

Statement of Mrs. Sadako Ogata, United Nations High Commissioner for Refugees, to the International Meeting on Humanitarian Aid for Victims of the Conflict in the former Yugoslavia, Genf vom 29.7.1992. Das folgende Unterkapitel ruht im Wesentlichen, sofern nicht anders vermerkt, auf den teils unveröffentlichten Forschungen Rüdiger Schiels. Veröffentlicht hierzu: Schiel, Operation »Sharp Guard«, sowie Schiel, Der Adriaeinsatz der Deutschen Marine. Ich danke Herrn Fregattenkapitän Dr.  Rüdiger Schiel für die Bereitstellung eines unveröffentlichten Vortragsmanuskripts. Ropers, Embargo-Überwachung in der Adria, S. 102 f. Ebd., S. 106‑108.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Bald stellte sich heraus, dass die Überwachung des Seeverkehrs für sich genommen nicht ausreichte, um eine Verhaltensänderung auf Seiten der Kriegsparteien herbeizuführen. Am 16. November 1992 – also genau ein halbes Jahr nach Beginn des Einsatzes – wurde die Anwendung militärischer Gewalt bei der Durchsetzung des Auftrages durch UN/SC 787 autorisiert. Dieser Schritt wurde auch nach außen hin dadurch deutlich gemacht, dass die Folgeoperationen nach den neuen ROE die Bezeichnungen »Maritime Guard« (NATO) und »Sharp Fence« (WEU) erhielten. Diesem Eskalationsschritt schloss sich Deutschland indes nicht an. Dies bedeutete für die Einheiten der Deutschen Marine, dass es für sie weiterhin bei dem Auftrag »Überwachen und Melden« blieb, während die Verbündeten die Schiffe durchsuchen und notfalls unter Androhung von Gewalt stoppen konnten. Bei dieser »halbherzigen« deutschen Lösung blieb es bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994. Auf der operativen Ebene war es freilich unzweckmäßig, dass mit NATO und WEU zwei unterschiedliche Organisationen im selben Gebiet koordinierungsbedürftige Aufgaben übernahmen. Ergebnis waren Embargolücken, die erst durch das Zusammenführen beider Operationen unter der Bezeichnung »Sharp Guard« Mitte Juni 1993 weitestgehend geschlossen werden konnten.118 Der Kräfteansatz der Deutschen Marine erhöhte sich in dieser Phase deutlich. Zu jeder Zeit sollten fortan drei Seefernaufklärer und bis zu zwei Zerstörer bzw. Fregatten in der Adria im Einsatz sein. Darüber hinaus wurde Personal in die zuständigen Stäbe von NATO und WEU entsandt, um die Einsätze zu führen, bei der Organisation und Durchführung der Logistik zu unterstützen und auch um die deutschen Interessen zu vertreten. Zeitweise stellte die Deutsche Marine auch Tankschiffe bereit. Ferner wurden U-Boote entsandt, die – so zumindest die offizielle Begründung – als Übungspartner für die Schiffe dienten, um die während der Operation brachliegenden Fähigkeiten wie U-Boot-Jagd trainieren zu können. Gleichzeitig handelte es sich bei diesen Entsendungen wohl auch um Maßnahmen, um angesichts der Kriege zu Lande vor der Küste eine gewisse militärische Präsenz zu zeigen. Die deutschen U-Boote fanden sich aber so – zumindest rechtlich gesehen – nicht im Einsatz, sondern auf Übung. Hierbei sind deutliche Parallelen zur Luftwaffen- und Heerespräsenz in Albanien und Mazedonien während des Kosovokonfliktes auszumachen. Während »Sharp Guard« und den Vorgängeroperationen der Jahre 1992 bis 1996 wurden 74  332 Schiffe abgefragt. 5975 Schiffe wurden kontrolliert und 1416 zur näheren Untersuchung umgeleitet. Deutsche Seefernaufklärer flogen 695 Einsätze.119 Bis Juli 1992 wurden 53 Durchbrüche erkannt. Während der Operationen »Maritime Guard« und »Sharp Fence« zwischen November 1992 und April 1993 gab es fünf Durchbrüche und 18 Versuche. Während des gesamten Zeitraums der Operation »Sharp Guard« konnten von 118 119

Maloney, The Hinderence of Military Operations Ashore, S. 52. Ropers, Embargo-Überwachung in der Adria, S. 101.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien

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der Adria aus keine erfolgreichen Embargodurchbrüche festgestellt werden. Sechs unternommene Versuche wurden erkannt und vereitelt.120 Militärisch betrachtet kann damit der Einsatz der NATO bzw. der WEU-Marinen in der Adria und damit auch derjenige der Deutschen Marine als Erfolg bewertet werden. Für Deutschland und seine Marine brachte der Einsatz in der Adria darüber hinaus neue Erfahrungen und ermöglichte das Herausbilden neuer Fähigkeiten. Die ursprünglich auf die Ostsee konzentrierte Marine und ihre Angehörigen wurden mit den neuen Anforderungen von Einsätzen über große Distanz und lange Zeiträume konfrontiert. Das markanteste Beispiel für diese neuen Fähigkeiten der Marine stellte die Durchführung von sogenannten Boardingeinsätzen (oft unter Abseilen aus einem Hubschrauber, sog. fast roping) dar. Die neue sicherheitspolitische Rolle der Bundesrepublik Deutschland vollzog sich anfangs auf dem militärischen Gebiet in den offensichtlich aus politischer Perspektive weniger sensiblen Bereichen der Marine und der Luftwaffe. Für das Gesamtunternehmen des Marineeinsatzes spielte sich langsam eine funktionierende Routine ein. Es wurden zwei Überwachungsgebiete – Montenegro und Otranto – festgelegt und diese durchgehend mit jeweils einer Gruppe von Kriegsschiffen besetzt. Eine dritte Gruppe von Schiffen befand sich auf Transit, im Hafen oder auch bei Übungen. Mit der Rotation der Schiffe zwischen diesen drei Gruppen sollten die notwendigen Ruhe- und Trainingsphasen sichergestellt werden. Unter Zuhilfenahme von Seefernaufklärern, AWACS, Bordhubschraubern und von alliierten U-Booten wurde das Lagebild des Seeverkehrs in der Adria gehalten. Handelsschiffe wurden entdeckt, identifiziert, klassifiziert und ihre Reise überwacht. Entstanden weitere Verdachtsmomente, wurden die Schiffe durchsucht und ggf. zur weiteren Kontrolle in einen italienischen Hafen umgeleitet.121 Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass bei aller operativen Effektivität das strategische Ziel, nämlich das Verhindern von Waffenhandel in die Kriegsgebiete, nicht erreicht werden konnte. Dabei waren alle Kriegsparteien und die wichtigsten interessierten Mächte an Embargobrüchen beteiligt.122 Das Waffenembargo konnte den Waffenzufluss an die kriegführenden Mächte also nur in geringem Maß reduzieren. Durch verdeckte Operationen oder Schwarzmarktkäufe konnten alle am Krieg beteiligten Seiten Waffen und Ausrüstung erwerben. Diese wurden über den Landweg transportiert (Waffenschmuggel). Manchmal handelten selbst die Kriegsgegner miteinander, um sich mit Waffen, Munition oder Bannwaren zu versorgen.123 Alle Kriegsparteien konnten alternative Versorgungsnetzwerke aufbauen und so die blockierten Handelswege umgehen. Viele Staaten waren aus unterschiedlichen Gründen bereit, das Embargo im eigenen Interesse zu unterlaufen oder 120 121 122 123

Maloney, The Hinderence of Military Operations Ashore, S. 52. Ropers, Embargo-Überwachung in der Adria, S. 108 und 116; Maloney, The Hinderence of Military Operations Ashore, S. 21. Bromley, United Nations Arms Embargoes, S. 9. Ramet, Die drei Jugoslawien, S. 607.

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II. Krieg und Friedensoperationen

es zu schwächen.124 Es gibt ernst zu nehmende Hinweise, dass dabei islamische Staaten für die muslimischen Bosniaken tätig wurden. Insbesondere der Iran, aber auch die Türkei und Saudi Arabien werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt.125 Es darf darüber hinaus begründet angenommen werden, dass auf dem Kriegsschauplatz neben diesen auch Mächte wie Russland, die USA oder Südafrika oder zumindest Privatunternehmen aus diesen Ländern – jeweils im politischen Interesse bestimmter Entwicklungen auf den Kriegsschauplätzen – als Lieferanten auftraten.126 Durchbrüche auf dem Luftweg führten zu einem Skandal und wurden öffentlich – letztlich aber ohne sichtbare Konsequenzen – untersucht.127 Angesichts dieser Entwicklung scheint es anachronistisch, dass »der Westen« in Form der NATO und der WEU einerseits die Adria als den wichtigsten Handelsweg mit großem personellem, materiellem und finanziellem Aufwand schloss, aber andererseits aus einzelnen Staaten der Nordatlantischen Allianz – zumindest die USA und die Türkei sind hier zu nennen – diese Anstrengungen zur Stärkung der antiserbischen Kriegsparteien national ebenso unterlaufen wurden wie Russland dies in Bezug auf den slawischen »Bruderstaat Serbien« tat, obwohl Russland im UN-Sicherheitsrat selbst für das Waffenembargo gestimmt hatte. Hervorzuheben ist hier, trotz aller möglicherweise zu findenden »guten Begründungen« für solche nationalen Alleingänge, dass damit das System der UN als gemeinsame Anstrengung für den Frieden konterkariert wurde: Das gesprochene Wort, die Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge, aber auch die Gemeinsamkeit von Werten innerhalb einer Allianz wurden damit in Frage gestellt. Der langfristige Schaden dieser Politik ist möglicherweise noch heute zu spüren. Darüber hinaus erscheint die Embargopolitik an sich – auch wenn sie vollkommen durchgesetzt worden wäre – als ein fragwürdiges Instrument zur Beendigung der Kriege in der Krajina und in Bosnien-Herzegowina. Schließlich helfen Waffenembargos stets primär der militärisch stärkeren Partei, in diesem Falle Serbien bzw. der RS. Dies lässt das Abstimmungsverhalten Russlands im UN-Sicherheitsrat und die »offene Geheimpolitik« gegenüber Serbien durchaus als ein konsistentes Ganzes erscheinen. Das Abstimmungsverhalten der USA ist dagegen nicht mit den eigenen Zielen und den daraus folgenden Tätigkeiten vor Ort in Einklang zu bringen. Es gilt zu vermuten, dass hier eine »idealistische Lösung« mit einer »realistischen Vorgehensweise« gerungen hat – ein Phänomen, welches letztlich für pluralistische Systeme nicht untypisch ist. Dieses genauer zu untersuchen wäre ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Schwierigkeiten von politischen und militärischen Bestrebungen zur Beendigung von bewaffneten Konflikten.

124 125 126 127

Bromley, United Nations Arms Embargoes, S. 15. Wiebes, Intelligence and the War in Bosnia, S. 160. Ramet, Die drei Jugoslawien, S. 608. Wiebes, Intelligence and the war in Bosnia, S. 191 f.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien

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Das Wirtschaftsembargo gegen die Föderative Republik Jugoslawien scheint dagegen effektiver gewirkt zu haben. Es ist allerdings kaum möglich genau zu bewerten, inwiefern (oder in welchem Verhältnis) wirtschaftliche oder militärische Gründe letztlich das Einlenken Miloševićs und damit den Frieden bewirkt haben. Die offizielle Lesart der UN sieht wirtschaftliche Gründe, die offizielle Lesart der NATO militärische.128 Dies liegt gewissermaßen in der Natur der Organisationen. Inwiefern das noch heute die Entwicklung hemmende Erbe von Kriminalität und Korruption auf dem Balkan auf das Wirtschaftsembargo zurückzuführen ist, wäre genauer zu untersuchen. Auf alle Fälle sorgte das Wirtschaftsembargo für die schwerste Wirtschaftskrise in der Geschichte Serbiens.129 Die mit dem Zerfall des jugoslawischen Binnenmarktes begonnene Talfahrt wurde beschleunigt. Nach zwei Jahren Embargo war das serbische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 3000 auf 700 US-Dollar gefallen. Trotz der laufenden Embargodurchbrüche war Mitte 1993 die gesamte serbische Wirtschaft beeinträchtigt. Nachdem die Ein- und Ausfuhr um schon mehr als 50  Prozent geschrumpft war, kam sie nach dem Stopp des Transits zu einem völligen Erliegen.130 Die Industriekapazität Serbiens war Ende 1993 nur noch zu 25  Prozent ausgelastet. Es folgten Arbeitslosigkeit und Hyperinflation. Durch die aufeinanderfolgenden Währungsreformen wurden weite Teile des Volkes enteignet und Armut machte sich breit. Ende 1993 lebten 90 Prozent der Menschen in Serbien und Montenegro unter der Armutsgrenze.131 Insofern ist auch für das Wirtschaftsembargo festzustellen, dass dieses per se funktionierte. Die gesellschaftlich-psychologischen Zusammenhänge zwischen Armut durch Embargo einerseits und Gefolgschaft gegenüber politischen Führern mit expansiven Zielen andererseits scheinen – ebenso wie die Zusammenhänge zwischen Bombenkrieg aus der Luft (coercive airpower) und Kapitulation – weit komplexer, als die simple Rechnung, dass erhöhter Druck zum Einlenken zwinge. Im Falle Serbiens scheint es sogar so, dass Milošević seine Herrschaft in einem Milieu des Drucks von außen noch stärken konnte. Anders ist nicht zu erklären, dass trotz einer starken Verarmung der Bevölkerung bis 1993 der Vertrag von Dayton erst Ende 1995 zu Stande gekommen ist. Wie bei dem Mittel »coercive airpower« kommt es auch bei dem angeblich »weicheren« Mittel Wirtschaftsembargo zu »Kollateralschäden«. Hier ist neben den sich etablierenden Schwarzmarkt- und Schmugglerstrukturen auch zu nennen, dass Wirtschaftsembargos häufig die Schwächsten der Gesellschaft – Alte, Kranke und Kinder – am stärksten treffen. Von einer höheren Mortalität in Folge von Wirtschaftsembargos unter diesen Gruppen ist wohl auszugehen. Ein weiterer zu berücksichtigender Moment ist politischer Natur. »Serbien« war keineswegs ein homogener Staat, bestand neben Montenegro auch aus den ehemaligen autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina. Inwieweit das 128 129 130 131

Bromley, United Nations Arms Embargoes, S. 16. Calic, Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina, S. 168. Ebd., S. 168 f. Ebd., S. 171 f.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Wirtschaftsembargo die Lage im Kosovo verschärft hat, ist eine offene Frage, die der historischen Untersuchung harrt.

e) Die deutsche Rolle bei den Operationen »Sky Monitor« und »Deny Flight« Die »ethnische Kriegführung« der VRS mit Hilfe von serbischen Milizen wie den »Tigern« Ražnatovićs ging unterdessen ungebremst weiter. Am 16. Juli 1992 – möglicherweise als Antwort auf die Embargo-Resolution vom Vortag – fand eine bürokratisch durchorganisierte Vertreibung von 4000 Muslimen aus Bosanski Novi (durch Karadžić in Novi Grad umbenannt) in der bosnischen Krajina statt. Bosanski Novi liegt am Fluss Una, also direkt an der Grenze zu Kroatien. In der Stadt trafen sich die Fernstraßen von Banja Luka (der »Hauptstadt« der RS) und Glina-Karlovac. In Bosanski Novi kreuzten sich darüber hinaus die Eisenbahnstrecken Zagreb–Sarajevo und die »Una-Bahn«, die über Bihać nach Knin (der »Hauptstadt« der RSK) führte. Die Vertreibung erfolgte mittels bestellter Busse und die muslimische Bevölkerung musste Erklärungen unterschreiben, dass sie auf ihr Eigentum verzichte. UNPROFOR und UNHCR versuchten über vier Tage ein Bleiben der muslimischen Bevölkerung zu verhandeln. Nachdem aber die Einschüchterungen, Festnahmen und Morde nicht aufhörten, sah sich der UNHCR gezwungen, selbst 7000 Menschen nach Kroatien zu evakuieren. Die Kritik lautete, UNPROFOR und UNHCR wären dadurch praktisch zum Durchführungsorgan der »ethnischen Säuberung« geworden. Die UNFlüchtlingshochkommissarin Sagato Ogata (1927‑2019) warnte öffentlich am 23.  Juli 1992 in Genf vor dieser Entwicklung: »For the first time in its history, UNHCR was caught in a scandalous blackmail, which left us with no choice but to accept expulsion in order to prevent more killing and terrorizing of people. The cynical manipulation of our humanitarian mandate could well become a dangerous precedent for other such situations in Bosnia and Herzegovina.«132 Am 17. August 1992 erreichte ein UN-Hilfskonvoi Goražde. Die Situation dort hatte sich derart verschlechtert, dass etwa 40 000 Menschen stark unterernährt waren und sogar Operationen ohne Betäubung durchgeführt werden mussten. In Sarajevo beschoss die VRS das Krankenhaus mit Granaten und ein ukrainischer UNPROFOR-Soldat wurde durch gezieltes Scharfschützenfeuer förmlich hingerichtet (20.  August 1992). In dieser Situation begann Großbritannien 1800 und Frankreich 1100 Soldaten für UNPROFOR (BiH) zu stellen. Im Daveau-Karadžić-Abkommen vom 1.  September 1992 stimmte Karadžić zu, die sich in acht Stellungen um Sarajevo befindlichen 82-mm-Mör132

Statement of Mrs. Sadako Ogata, United Nations High Commissioner for Refugees, to the International Meeting on Humanitarian Aid for Victims of the Conflict in the former Yugoslavia, Genf vom 29.7.1992.

2. Der NATO-Kampfeinsatz in Jugoslawien

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ser der VRS durch die UNPROFOR kontrollieren zu lassen. Das Abkommen trat am 12. September 1992 in Kraft, doch wurde bereits am 14. September, im Beisein der UNPROFOR, Sarajevo wieder aus diesen Stellungen beschossen. Dies war offensichtlich eine Reaktion auf den am gleichen Tag getroffenen UN-Sicherheitsratsbeschluss 776, der UNPROFOR auf Bosnien-Herzegowina ausgeweitet hatte. UNPROFOR hatte weder ein Mandat noch die militärische Überlegenheit, um die Einhaltung des Daveau-Karadžić-Abkommens durchzusetzen. UN/SC  776 autorisierte UNPROFOR zum Schutz der humanitären Hilfeleistung einschließlich des Schutzes von Hilfskonvois des UNHCR. UNPROFOR (BiH) erhielt ein eigenes Kommando und wurde um 6000 auf ca. 7500 UN-Peacekeeper verstärkt. Die Truppen wurden von Kanada und den WEU-Staaten – mit Ausnahme Deutschlands – gestellt.133 In anderen Worten war UNPROFOR (BiH) im Wesentlichen eine durch die NATO-Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA und Deutschland durchgeführte Operation. Die Hoffnungen, die mit der am 3. September beginnenden »Permanent Conference on Yugoslavia« unter dem Briten David Owen (EG) und dem Amerikaner Cyrus Vance (UN) in Genf verbunden waren, wurden durch den Abschuss der italienischen Transportmaschine mit Hilfsgütern für Sarajevo am selben Tag getrübt.134 In dieser Situation erklärte die NATO am 10. September 1992, sie werde ihre AWACS-Flugzeuge (Airborne Warning und Control Systems) senden, um die Luftaktivität über dem ehemaligen Jugoslawien zu überwachen. Der vier Tage später gefällte Beschluss UN/SC 776 autorisierte gewissermaßen bereits den Einsatz von AWACS-Flugzeugen, da diese dem Schutz der Luftbrücke des UNHCR dienen sollten. Allerdings konnten sich Großbritannien, Frankreich und die USA nicht auf die Einrichtung einer Flugverbotszone einigen, da die Vorstellungen in Bezug auf deren Durchsetzung unterschiedlich ausfielen. Während die USA von einem Abschuss von Luftfahrzeugen bei Verletzung der Flugverbotszone ausging – sonst sei die Glaubwürdigkeit der USA gefährdet –, befürchteten Großbritannien und Frankreich Repressionen gegen ihre UNPROFOR-Soldaten vor Ort im Falle eines Abschusses. In der Praxis wirkte sich hier auf der operativen Ebene in der Luft aus, dass die USA auf der politischen Ebene beschlossen hatten, keine »boots on the ground« nach Bosnien-Herzegowina zu bringen. Frankreich dagegen hatte inzwischen 4000, Großbritannien 2700 Soldaten im Rahmen UNPROFOR (BiH) im Einsatz.135 Während die Diskussionen um die Flugverbotszone innerhalb der NATO intensiv geführt wurden und in Genf über die Zukunft Jugoslawiens getagt wurde, bestätigte das US State Department am 26. September 1992 das Massaker von Brčko mit 3000 Toten. Das Massaker von Brčko wurde später durch das ICTY als Genozid eingestuft. Forensiker im Auftrag des ICTY führten in Brčko 133 134 135

UN/SC 776 vom 14.9.1992. Ereignisse nach: Keßelring/Lützelberger, Chronik der militärischen Operationen. Bush, Major seek UN Resolution to Enforce No-Fly Zone Over Bosnia, Bangor Daily News vom 21.12.1992, .

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II. Krieg und Friedensoperationen

von 1996 bis 2006 Exhumierungen durch. Die Opferzahlen sind wie in den meisten Fällen umstritten und variieren je nach Untersuchungsmethode. Weit über hundert Tote konnten eindeutig identifiziert werden. Eine Zahl, die auf die vier Jahre zwischen Mordzeitpunkt und forensischer Untersuchung zurückzuführen ist. Das Massaker von Brčko stellte im Herbst 1992 eine neue Dimension des Genozids seit Ende des Zweiten Weltkrieges dar, geriet jedoch ab Sommer 1995 in den Schatten von Srebrenica und ist heute außerhalb des Balkans erschreckenderweise kaum bekannt.136 Am 2. Oktober schlug Präsident Bush vor, eine UN-Sicherheitsratsresolution über die Einrichtung einer »No-fly Zone« zu beschließen, die die Autorisierung zum Abschuss bei Verletzung derselben beinhalten sollte. Am nächsten Tag antwortete Mladić mit Luftangriffen auf Tesanj und Zenica. Dies wiederum führte dazu, dass am 5.  Oktober 1992 die EG-Außenminister nun ihrerseits eine »No-fly Zone« forderten.137 Am 9. Oktober wurde somit gleichzeitig mit UN-Sicherheitsratsresolution 781 ein Bann über alle militärischen Flüge über Bosnien-Herzegowina verhängt138 und die NATO stimmte zu, für die UN den Luftraum zu überwachen.139 Nach der NATO-Rats-Entscheidung vom 15. Oktober begann am 18. Oktober 1992 die NATO-Operation »Sky Monitor«.140 Während auf der Ebene der Resolutionen die Abläufe und Entscheidungen bekannt sind, bleiben die genauen Hintergründe, wieso die Entscheidung so getroffen wurde, dass keine Autorisierung zum Abschuss von Bannbrechern gegeben wurde, noch weitestgehend Spekulation. Insbesondere muss offen bleiben, inwieweit die deutsche militärpolitische Selbstbeschränkung diese Entscheidung der UN und der NATO mit beeinflusst hat. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland unter Walter Scheel (FDP) hatte angesichts der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UN am 18. September 1973 eine Doktrin entwickelt, die vorsah, dass bewaffnete (west)deutsche Streitkräfte nicht außerhalb des NATO-Bündnisses im Rahmen der UN eingesetzt werden dürften. Scheel hatte diese politische Position mit rechtlichen Argumenten der fehlenden vollen Souveränität und einem Verbot durch das Grundgesetz begründet. Obwohl das Bundesjustizministerium unter Hans-Jochen Vogel (SPD) – wohl ebenfalls aus politischen Gründen – dieser Rechtsauffassung widersprochen hatte. 1982 wurde diese Position, die vier Jahre zuvor noch umstritten war, durch den Bundessicherheitsrat festgeschrieben: Deutsche Soldaten sollten nur im Falle eines Konfliktes, der zugleich einen Angriff auf die Bundesrepublik darstelle, 136

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Vgl. hierzu ICTY, IT-95-10 (Goran Jelisić). Bosniak Victims Thrown into Animal Rendering Plant. U.S. Confirms Massacre in Bosnia. In: Sarasota Herald Tribune vom 26.9.1992. Siehe die zeitgenössische Presseberichterstattung auf: . Siehe: Zoran Matkic, Exhumierung in Brcko beendet, vom 13.12.2006, . Sharp, Honest Broker or Perfidious Albion? UN/SC 781. Peifer, The Luftwaffe’s Role in Expeditionary Bundeswehr, S. 143 f. Faust, Effektive Sicherheit, S. 236.

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außerhalb des NATO-Gebietes »out of area« eingesetzt werden können. Ein bewaffneter Einsatz außerhalb der NATO wurde also durch das »Verbot eines Angriffskrieges« nach Artikel 26 des Grundgesetzes begründet.141 Damit folgte das Auswärtige Amt unter Genscher der von Scheel vorgegebenen Linie und verwarf die Interpretation Vogels, der mit Artikel 24 (2) (»Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen«) argumentiert hatte. Diese alte Streitfrage – letztlich die Frage, ab wann ein Einsatz der Bundeswehr im Ausland als »Angriffskrieg« verboten oder zur »Wahrung des Friedens« erlaubt sei, erlebte angesichts »Sky Monitor« eine Renaissance. Ebenfalls 1978 hatte nämlich Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) das »Memorandum of Understanding between NATO Ministers of Defence on the NATO E3A Cooperative Programme« unterzeichnet und damit einen konkreten Schritt im Sinne des Artikels  24 (GG) getätigt. Die NATO E3A AWACS waren bereits im Frieden als NATO Command Force der NATO unterstellt. Das NATO-Dokument MC 57/3 »Overall Organization of the Integrated NATO Forces« vom 23.  Juli 1981 legte darüber hinaus fest, dass die NATO-Staaten ihre Anteile in solchen Verbänden nicht ohne Genehmigung des SACEUR zurückziehen durften.142 Die »E3A Component«, also die AWACS-Besatzungen, waren von Beginn ihrer Existenz im Jahre 1981 an stets abwechselnd von einem deutschen und einem amerikanischen Brigadegeneral geführt worden.143 Ein Drittel des fliegenden Personals wurde außerdem von der Luftwaffe der Bundeswehr gestellt. Unter den Jägerleitoffizieren war der deutsche Anteil sogar noch höher:144 Von insgesamt 29  Chef-Jägerleitoffizieren, die sich auf 27  fliegende Besatzungen verteilten, waren allein 24 Stabsoffiziere der Luftwaffe der Bundeswehr.145 Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass der integrierte NAEW-Verband ein »deutsches Gesicht« hatte. Damit wurde kompensiert, dass die Bundesrepublik, die auf Grund ihrer Souveränitätseinschränkung keine eigenen Kampfflieger unter nationalem Kommando hatte, trotzdem die Führung der Jagdflieger der Luftwaffe mitgestalten konnte. Die USA, Großbritannien und Frankreich verfügten jeweils über eigene (nationale) AWACS. So erschien es folgerichtig und im nationalen Interesse, dass Deutschland auch am 15. Oktober 1992 der Entsendung der AWACS unter UN-Sicherheitsratsresolution 781 zustimmte. Schließlich hatte es sich 1978/1981 durchaus um ein bemerkenswertes Zugeständnis der Alliierten an die Bundesrepublik gehandelt. Dieses galt es nicht wieder zu verspielen. Hierzu reichte – wie auch schon bei der nationalen Entscheidung zur Luftbrücke – ein Kabinettsbeschluss aus. Auch schien es ein logischer Schritt zu sein, die eigenen im Rahmen der Luftbrücke eingesetzten Transportflieger durch den Einsatz der AWACS zu schützen. 141 142 143 144 145

Breitwieser, Von der Landesverteidigung zum weltweiten Einsatz, S. 48 f. BW 2/24940, Argumentationslinie des Bundesministers der Verteidigung. NATO Airborne Early Warning & Control Force E-3A Component. BW 2/24940, Argumentationslinie des Bundesministers der Verteidigung. BW 2/24940, Überwachung und Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien und Herzegowina. Der NAEW-Verband (Stichworte) vom 4.4.1993.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Dieser »Schutz« war allerdings durch »Sky Monitor« noch nicht gegeben, da hier als Exekutivorgane die zum Abschuss autorisierten Jagdflieger fehlten. Während die USA darauf drängten, dass das Flugverbot auch militärisch durchgesetzt werden solle, bot der serbische Premierminister Milan Panić an, die Luftwaffe der VRS bis zum Ende des Krieges treuhänderisch in Serbien zu verwahren. Während Owen und Karadžić auf dieses Angebot eingingen, weigerte sich der Chef der Ratno Vazduhoplovstvo i Protivvazdusna Odbrana Vojske Republike Srpske (RV i PVO VRS), also der »VRS-Luftwaffe«, seine Flugzeuge abzugeben, so dass dieses Abkommen nie umgesetzt wurde.146 Nachdem am 15. Oktober die Entscheidung für »Sky Monitor« gefallen war, bemühte sich die EG zwei Tage vor Beginn der Operation, dieser durch die »Birmingham Declaration« mehr Biss zu verleihen: »Der Europäische Rat nahm Kenntnis von der unlängst gegebenen Zusage der bosnischen Serben, ihre Militärflugzeuge nach Serbien zu verlegen, und kam überein, dass der Sicherheitsrat im Fall von Verstößen gegen dessen Resolution 781 ersucht werden solle, dringend die zur Durchsetzung des Verbots von Militärflügen erforderlichen weiteren Maßnahmen zu prüfen.«147 Gleichzeitig wurde beschlossen, sofort 213  Millionen ECU – etwa 436  Millionen DM – unter anderem für 120 000 Tonnen Nahrungsmittel sowie Arzneimittel, Unterkünfte und 40  Lastkraftwagen als EG-Hilfe zur Verfügung zu stellen.148 Trotz dieser Bemühungen kann gesagt werden, dass »Sky Monitor« als »zahnlose« Operation angesehen werden muss. Nach Aussagen der UN wurden von Beginn der Operation bis zum 12. April 1993 über 500 gebannte Militärflüge über Bosnien-Herzegowina registriert.149 Dies bedeutet, dass durchschnittlich fast drei Mal täglich die »No-Flight Zone« verletzt wurde – angesichts dieses militärischen Luftverkehrs kann schwerlich von einer respektierten Flugverbotszone die Rede sein. Allerdings ist festzustellen, dass der Einsatz von Kampfflugzeugen der VRS, nicht aber von Kampfhubschraubern, abnahm. Diese Entwicklung war möglicherweise aber auch den Auswirkungen des Embargos geschuldet. Nachdem am 25.  November 1992 ein französisches Flugzeug der Luftbrücke in Butmir/Sarajevo mit Handwaffen beschossen worden war und am 3.  Dezember das Flugzeug des Kommandeurs UNPROFOR (BiH), General Morillon, mit Maschinengewehrfeuer belegt worden war, bat UNGeneralsekretär Boutros-Ghali die NATO am 16.  Dezember 1992 um Pläne zur Durchsetzung der »No-Fly Zone«. Am selben Tag verabschiedete die KSZE eine Erklärung, in der sie den UN-Sicherheitsrat aufforderte, die

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Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 132 f. SN/343/1/92, Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Birmingham den 16.  Oktober 1992, Anlage II, Erklärung zum ehemaligen Jugoslawien, . Ebd. Peifer, The Luftwaffe’s Role in Expeditionary Bundeswehr, S. 143 f.

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Flugverbotszone militärisch durchzusetzen.150 Der NATO-Ministerrat verabschiedete seinerseits am Folgetag ein »Statement on Former Yugoslavia«: »Members of the Alliance are prepared to take further steps to assist the UN in implementing its decisions to maintain international peace and security.«151 Während sich nach außen bemüht wurde, Einigkeit zu demonstrieren, entzweite sich die NATO entlang der Frage der Durchsetzung des Flugverbotes: Vereinfacht gesprochen suchten die USA nach wie vor das »Problem Bosnien« ohne den Einsatz von eigenen Landstreitkräften zu lösen und favorisierten deswegen präventive Luftschläge auf serbische Flugabwehrstellungen. Großbritannien, aber auch die Niederlande und bedingt Frankreich, waren hinsichtlich der Luftschläge vorsichtig, da sie nach wie vor Repressionen für ihre bereits im Land befindlichen Soldaten befürchteten.1 5 2 Während also die USA aus einer distanzierten Position der Stärke zu agieren versuchten, waren die Briten bereits so involviert, dass sie ein dezidierteres Vorgehen aus der Luft ablehnten. Im Hintergrund standen auch unterschiedliche Vorstellungen über die Möglichkeiten und Grenzen von Luftschlägen. Diese Grenzen sollten sich auch im Zuge von Operation »Deny Flight« zeigen. Die an und für sich bekannten Lehren aus »Provide Comfort« lauteten, dass effektive Luftschläge erst durch den Einsatz schwer bewaffneter, gepanzerter Kräfte am Boden voll zur Geltung kommen können, da nur so lohnende Ziele »aus der Deckung« gezwungen werden. Die Luftwaffen waren zur Bekämpfung von Erdzielen, insbesondere vom Typus der leichten Miliz-Infanterie, die in BosnienHerzegowina vorherrschte, letztlich das falsche militärische Mittel.1 5 3 Die amerikanische Entscheidung, sich nicht in einem Landkrieg im schwierigen jugoslawischen Gelände zu binden, beruhte auf politischen Erwägungen. Die britische Position zeigte sich insofern als zutreffend, als später 350 UNPROFOR-Soldaten als Geiseln gegen die Luftschläge festgehalten werden sollten.154 Der amerikanische Versuch, über die UN-Vollversammlung den UN-Sicherheitsrat zur Autorisierung militärischer Gewalt nach Kapitel  VII der UN-Charta für Bosnien-Herzegowina zu bewegen, zeigte, dass kein EGMitgliedstaat dazu bereit war. Der Riss durch die NATO in Bezug auf das richtige Verhalten angesichts des Krieges in Bosnien-Herzegowina war nun offen sichtbar: In der UN-Vollversammlung stimmten zwar 102  Staaten für eine Behandlung nach Kapitel  VII und 57  Staaten enthielten sich. Entscheidend war jedoch, dass sich alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates mit Ausnahme der USA enthielten (also China, Russland, Großbritannien und 150

151 152 153 154

CSCE, Third Meeting of the Council, Summary of Conclusions, Decision on Peaceful Settlement of Disputes, Stockholm 1992, wörtlich: »In view of the many violations of the no-fly zone, they believed that the Security Council should urgently consider taking the relevant decisions in the light of paragraph 6 of resolution 786«. Vgl. die Memoiren des Cdr UNPROFOR (BiH): Morillon, Crire et oser. NATO, M-NAC-102 (92) 108, Statement on Former Yugoslavia vom 17.12.1992. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 136 f. Alexander Benard, Lessons from Iraq and Bosnia on the Theory and Practice of No-fly Zones. In: Journal of Strategic Studies, Vol. 27, 3, (2004), S. 469‑475. Holbrooke, To End a War, New York 1999, S. 63.

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Frankreich), aber auch alle EG-Mitgliedstaaten – einschließlich Deutschland – nicht dazu bereit waren für Kapitel VII zu stimmen.155 Festzuhalten ist also, dass es am 18. Dezember 1992 seitens der USA einen politischen Versuch gegeben hat, einen dezidierten militärischen Einsatz in Bosnien-Herzegowina völkerrechtlich abzusichern und dass dieser an der Haltung der EG-Staaten und Russlands scheiterte. Es handelte sich um außenpolitische Entscheidungen, als sowohl Deutschland als auch die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich in New York nicht mit den USA für einen Einsatz nach Kapitel VII stimmten. Ob Russland bei einer eindeutigen westlichen Haltung mitgestimmt hätte, bleibt ungewiss. Es wird eine nicht leichte Aufgabe zukünftiger historischer Forschung sein, die treibenden Faktoren hinter diesen Entscheidungen zu ergründen und deren Folgen für den Fortgang des Krieges und dessen Opfer zu bewerten. Nach der fehlenden Zustimmung für diese amerikanische Initiative scheiterte auch der Vance-Owen-Peace-Plan (VOPP) der Jugoslawien-Konferenz in Genf am 4. Januar 1993. Der VOPP war lediglich von den bosnischen Kroaten (Bobans Herceg-Bosna) akzeptiert worden. Er sah eine Neuorganisation Bosnien-Herzegowinas in zehn Provinzen vor. Diese waren ähnlich wie die Kantone des Cutileiro-Plans ethnisch zuordenbar. Es sollte drei »serbische«, drei »kroatische« und drei »Muslimische« Provinzen geben. Die jeweiligen Provinzen keiner der drei Kriegsparteien waren geografisch zusammenhängend. Jede Partei sollte über eine Landverbindung in die Provinz Nr. 7, die das Hauptstadtgebiet um Sarajevo umfasste, verfügen. Die territoriale Ausdehnung der Provinzen sollte auf der Genfer Konferenz festgelegt werden.156 Während Izetbegović den VOPP wegen der ethnischen Aufteilung Bosnien-Herzegowinas ablehnte, lehnte ihn Karadžić wegen der dort enthaltenen Eigenstaatlichkeit Bosnien-Herzegowinas ab. Am 8.  Januar wurden die Friedensgespräche in Genf abgebrochen. Hintergrund war der Mord am stellvertretenden Ministerpräsidenten von Bosnien-Herzegowina, Hakija Turajlić, am Checkpoint »Sierra  4« zwischen dem Flughafen Sarajevo/Butmir und der eingeschlossenen Stadt durch Soldaten der VRS. Turajlić befand sich innerhalb eines französischen Mannschaftstransportpanzers der UNPROFOR. Die offenbar durch VRSTruppen – Infanterie in Zugstärke verstärkt durch zwei Kampfpanzer – stark eingeschüchterten UNPROFOR-Soldaten öffneten nach 90-minütigem Nervenkrieg ihren Transportpanzer. Turajlić wurde darauf regelrecht hingerichtet. Die UNPROFOR-Soldaten erwiderten das Feuer nicht und blieben selbst unverletzt.157 Dies war weder das erste noch das letzte Mal, dass UNPROFOR-Soldaten ihrem Schutzauftrag nicht nachkommen konnten. Was auch immer im Einzelfall die genauen Ursachen gewesen sein mögen, UNPeacekeeping wurde durch solche und ähnliche Vorkommnisse ad absurdum 155 156 157

UN, General Assembly, A/RES/47/121 vom 18.12.1992. Calic, Der Krieg in Bosnien-Hercegovina, S. 190‑195. Bartrop, Hakija Turajlić. Vgl. die Darstellungen in: LeBor, Complicity With Evil sowie: Rieff, Slaughterhouse Bosnia.

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geführt. Der Historiker sollte sich aber davor hüten, gleichsam »vom bequemen Schreibtisch aus« das Verhalten der militärisch deutlich unterlegenen französischen Soldaten als feige zu kritisieren – zumindest ist mit der gleichen kritischen Attitüde auf diejenigen militärischen und politischen Instanzen zu blicken, die das Eintreten solch einer Situation zu verantworten hatten. Während auf der diplomatischen Ebene keine nennenswerten Fortschritte erzielt werden konnten und die Lage der UNPROFOR vor Ort in BosnienHerzegowina für negative Schlagzeilen sorgte, geriet die Durchsetzung der Flugverbotszone erneut auf die Tagesordnung. Dahinter stand nicht zuletzt auch die Hoffnung, dass dadurch der festgefahrene Friedensprozess wieder in Gang gebracht werden könne. Inzwischen brach der sogenannten »Krieg im Krieg« zwischen Kroaten und Bosniaken in Zentralbosnien aus. Mit nunmehr zwei Gegnern konfrontiert, musste die ARBiH im April 1993 bei Cerska, Kamenica und Srebrenica schwere Verluste hinnehmen. Die Staatengemeinschaft reagierte nun auf den zunehmenden Exodus von Bosniaken mit der UN-Sicherheitsratsresolution 816 vom 31.  März 1993. Russland stimmte dieser Resolution zu, China enthielt sich. Darüber hinaus wurde die NATO autorisiert, in einer »No-Flight Zone« (NFZ) das Flugverbot gewaltsam durchzusetzen.158 Am 2.  April entschied die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss, dass »der NATO-AWACS-Verband nunmehr in Übereinstimmung mit Sicherheitsresolution 816 vom 31. März 1993 auch unter deutscher Beteiligung daran mitwirkt dieses Flugverbot durchzusetzen.«159 Am Abend des 6.  April ging der Operationsplan 40101 von CINCSOUTH auf der Hardthöhe ein, um am Folgetag im Military Committee der NATO gebilligt zu werden. Der deutsche Vertreter billigte den Operationsplan. Am gleichen Tag fand in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht die mündliche Verhandlung über die Klage der FDP-Fraktion gegen diesen Kabinettsbeschluss statt. Ihr wurde nicht stattgegeben, doch sollte es bis zum 12. Juli 1994 dauern, bis das »AWACS-Urteil« vorlag und damit für Regierung und Soldaten auch Rechtssicherheit herrschte.160 Am 12.  April 1993 begann die Operation »Deny Flight« nach Operationsplan 40101 von CINCSOUTH. Zur Durchsetzung des Flugverbots wurde der Luftraum über Bosnien-Herzegowina in drei Combat Air PatrolRäume (CAP) aufgeteilt und angestrebt, dass jedem CAP zwei Jagd-Rotten, also jeweils vier Jagdflugzeuge, zugeordnet seien.161 Zunächst beteiligten sich 50  Kampfflugzeuge an »Deny Flight«. Deren Zahl wuchs später auf bis über 200 an.162 Die Rules of Engagement (ROE) für den Lufteinsatz entsprachen einem vierstufigen Phasenplan: (I) Überwachen der Einhaltung (das war »Sky Monitor«), (II) Verlegen von Kräften und Demonstration von Präsenz im NATO-Luftraum, (III) abgestuftes Eingreifen zur Durchsetzung 158 159 160 161 162

UN/SC 816. BW 2/24940, BW 2/24940, Argumentationslinie des Bundesministers der Verteidigung. Zehfuss, Constructivism in International Relations, S. 113 f. BW 2/24940, Argumentationslinie des Generalinspekteurs der Bw. Faust, Effektive Sicherheit, S. 262.

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des Flugverbots (das war »Deny Flight«), (IV) Bekämpfen von Flugabwehr, Flugzeugen und Einrichtungen am Boden.163 Der Einsatz richtete sich in erster Linie gegen die serbische Luftwaffe und Heeresflieger der JVA bzw. VRS. Zu diesem Zeitpunkt besaßen diese eindeutig die Luftüberlegenheit über Bosnien-Herzegowina und bestimmten das Kampfgeschehen. Erst nachdem die U.S. Air Force am 10.  Mai 1993 sechs Erdkampfflugzeuge Soko G-2A »Galeb« beim Abwerfen von Bomben über Novi Travnik aufgeklärt und vier abgeschossen hatte, respektierten die VJ bzw. VRS die Flugverbotszone weitestgehend. Am 4.  Juni 1993 autorisierte der UN-Sicherheitsrat mit den Stimmen aller ständigen Vertreter die Resolution 836. Diese erlaubte die zu »safe areas« (Schutzzonen) erklärten, von der VRS eingeschlossenen Städte Bihać, Goražde, Sarajevo, Srebrenica, Tuzla und Žepa aus der Luft mittels Close Air Support (CAS) zu schützen. Dies lief komplementär zum »Air Drop« für die ostbosnischen Städte, der im März 1993 begonnen hatte. An »Air Drop« nahm die Luftwaffe der Bundeswehr von Beginn an teil.164 Erst im Dezember 1994 beschloss die Bundesregierung mit späterer Genehmigung des Bundestags bis zu 14  Tornados zu stellen und sich damit über die integrierten NATO-AWACS hinaus am Bosnien-Einsatz der NATO zu beteiligen. Hierfür waren zwei Ereignisse von Bedeutung: Am 12.  Juli 1994 lag das »AWACS-Urteil« des Bundesverfassungsgerichts vor. Am 25. Juni hatte sich die russische Armee mit einer vor dem »Sowjetischen Ehrenmal« im Treptower Park durchgeführten Militärparade der 6. GardeMot. Schützenbrigade von Berlin verabschiedet. Die Abschiedsfeiern im Treptower Park in Berlin am 31.  August 1994 markierten schließlich das Ende der sowjetischen/russischen Militärpräsenz auf deutschem Boden. Das Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse war kaum ein Zufall. Bedenkt man die Argumentationskette Scheels gegen bewaffnete Einsätze außerhalb des NATO-Gebiets von 1978, so hatte dieser das Grundgesetz und die eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik als Hinderungsgründe genannt. Die volle Souveränität der Bundesrepublik Deutschland war zwar de jure zum 3.  Oktober 1990 gegeben, faktisch standen aber bis Ende August bzw. 8.  September 1994 (Abschied der Westalliierten aus Berlin) noch Besatzungsmächte in Deutschland. Mit deren Abzug waren die ScheelArgumente nicht mehr auf die Situation in Deutschland zutreffend und die Frage der Einsätze deutscher Soldaten »out of area« der NATO konnte neu gestellt werden. Die Luftoperationen der NATO im Rahmen von »Deny Flight« und Operation »Deliberate Force« (30. August bis 14. Dezember 1995) sind in der Praxis nicht voneinander zu trennen. »Deliberate Force« stellte praktisch die letzte Eskalationsebene (Stufe IV) der ROE von »Deny Flight« dar. Nach dem Fall der eingeschlossenen Städte Žepa und Srebrenica und den dort verübten 163 164

BW 2/24940, Überwachung und Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien und Herzegowina. Grundsätze. Ahrens, Die Luftbrücke nach Sarajevo und der »Air Drop«.

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Morden war Goražde besonderer Gefahr ausgesetzt. In diesem Zusammenhang hatte die NATO beschlossen, dass bestimmte Ereignisse, wie die Tötung von UN-Geiseln, Angriffe auf UNPROFOR, Konzentration schwerer Waffen als Bedrohung einer »safe area«, Artilleriebeschuss einer »safe area«, unmittelbar mit Luftschlägen beantwortet würden. Das »Einsatzgeschwader  1« der Luftwaffe wurde nach dem Bundestagsbeschluss vom 30. Juni 1995 aufgestellt. Es bestand aus acht Electronic Combat and Reconnaissance (ECR) Tornados sowie sechs RECCE-Tornados (IDS) zur Luftbildaufklärung. Das Geschwader erhielt am 14.  Juli 1995 den Verlegebefehl nach Piacenza. Die Tornados wurden noch im Juli verlegt. Das Luftwaffen-Einsatzkontingent betrug nun insgesamt etwa 520 Soldaten, davon 60 im nationalen Gefechtsstand in Vicenza. Der erste Einsatzflug der ECR-Tornados erfolgte am 7.  August 1995 mit der Begleitung amerikanischer Kampfflugzeuge nach Sarajevo.165 Mitte August wurden beim COMAIRSOUTH die Ziellisten für »Deliberate Force« festgelegt, doch war es der Angriff auf den Markale (Marktplatz) in Sarajevo vom 28. August 1995 mit fünf Granateinschlägen und 43 Toten, der diese Stufe IV auslöste: Sarajevo war als »safe area« definiert und der Fall war somit einschlägig.166 Auch wenn »Deliberate Force« eine NATO-Operation im Auftrag der UN darstellte, so lag sie doch weitestgehend in amerikanischer Hand: Insgesamt wurden in der Aufgabe »Supression of Enemy Air Defence« (SEAD) 785  Sorties, also militärische Einsatzflüge, geflogen. Davon leistete die US Airforce 89 Prozent, die ECR-Tornados des EG 1 der Luftwaffe flogen 28 SEAD-Sorties und damit rund vier Prozent der SEAD Sorties der NATO. In der Aufgabe »Offensive Air Operations« (OAO) leisteten sie drei von insgesamt 1365 Luftschlägen. Hier zeigte sich die Einschränkung, dass Deutschland die Tornados zur Unterstützung der Rapid Reaction Force (RRF) vorgesehen hatte und Luftschläge nach UN/SC  958 nur zu deren Unterstützung vorgesehen waren.167 Die deutschen RECCE-Tornados flogen vier AufklärungsSorties im direkten Auftrag der RRF. Betrachtet man also die zahlenmäßige Leistung der Luftwaffe relativ zu den NATO-Partnern, so zeigt sich, dass Deutschland ähnlich wie etwa Spanien, die Türkei oder die Niederlande, aber anders als Frankreich oder Großbritannien auftrat. Die USA zeigten bereits in Bosnien-Herzegowina, dass sie den europäischen NATO-Partnern, auch wenn man deren Kräfte addierte, weit überlegen war.168 Den Unterschied machte der Einsatz des Flugzeugträgers USS Theodor Roosevelt in der Adria mit etwa 80 Flugzeugen. Dennoch war der Einsatz der Luftwaffe im Rahmen »Deny Flight« und speziell »Deliberate Force« in vielerlei Hinsicht wichtig. Deutschland zeigte sich nach der Wiedervereinigung und angesichts der vollen Souveränität als treuer Bündnispartner. Dieses politische Signal darf nicht unterschätzt werden. Das deutsche Engagement hat seinen Teil dazu beige165 166 167 168

Das JaboG 32 im Einsatz. Campbell, The Deliberate Force Air Campaign Plan, S. 106‑110. UN Security Council 3461st Meeting Resolution S/RES/958 November 19, 1994. Sargent, Aircraft Used in Deliberate Force. Vgl. Peifer, The Luftwaffe’s Role in Expeditionary Bundeswehr (2012), S. 145.

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tragen, dass nicht nur Sarajevo und Goražde gehalten wurden, sondern auch, dass die Kriegsparteien in Folge von »Deliberate Force« in den Vertrag von Dayton einwilligten und den Weg für eine friedlichere Zukunft frei machten. Es steht außer Frage, dass primär die US Airforce sich diese Leistung »auf die Fahnen schreiben« kann und sicherlich hätte diese auch noch 14 Flugzeuge mehr aufbringen können. Doch gewann die Operation politisch dadurch an Glaubwürdigkeit, dass 15  Nationen daran teilnahmen. Hierzu trugen auch die rund 530 Soldaten des Heeres bei, die in Trogir ein deutsch-französisches Feldlazarett für die Rapid Reaction Force betrieben. Es ist heute kaum mehr vorzustellen, wie revolutionär diese ersten schwierigen Schritte auf dem Balkan für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bundeswehr im Jahr 1994 vorkommen mussten. Jedoch bildeten sie erst den Auftakt für den ersten robusten Landeinsatz: die NATO Implementation Force (IFOR) (siehe Abb. 6: »Unterstellungen, Dienstwege und Verbindungen NATO-UN 1994 mit EG 1, AWACS und Transportkommando« im Anhang).

3. Dayton und die »Implementation Force« (IFOR) Die sichtbare Zäsur in Bosnien-Herzegowina, aber auch für Kroatien, brachte das Abkommen vom 14. Dezember 1995 mit dem sperrigen Namen »The General Framework Agreement for Peace for Bosnia and Herzegovina« – bekannter als »Vertrag von Dayton«. »Dayton« bestimmt nicht nur bis heute das politische System in Bosnien-Herzegowina,1 sondern bildete auch die Grundlage für die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der NATO bis 2004 bzw. im Rahmen der Europäischen Union bis 2012. Neben den im Kontext der deutschen Auslandseinsätze dort formulierten Aufträgen relevanten an »das Militär«, also die NATO-Streitkräfte der IFOR, ist auch der politische Teil wesentlich. Schließlich wurde IFOR schon dem Namen nach als »Implementation Force« für den Vertrag von Dayton definiert. Demnach konnte IFOR – und damit auch dessen deutsches Kontingent – nur leisten, was zuvor in Dayton festgelegt worden war. Entsprechend gilt es auch zu beschreiben, was »Dayton« aufgrund seiner eigenen historischen Genese nicht leisten konnte. Dies bestimmte naturgemäß ebenfalls die Möglichkeiten des Einsatzes der mit der Durchsetzung dieses Vertragswerkes beauftragten Truppe – der NATO Implementation Force. Dayton war als »echter Kompromiss« nicht nur unter den Kriegsparteien umstritten; bereits zeitgenössisch fraglich war, durch welche Maßnahmen der Vertrag zustande kam – letztlich also, wer sich des endlich erreichten Friedens brüsten dürfe und wer im Umkehrschluss Verantwortung für das lange Scheitern der Friedensbemühungen, den Krieg, dort verübte Verbrechen zu übernehmen habe. Und dies alles auch bezogen auf die »internationale Gemeinschaft. Dieser Diskurs schloss insbesondere auch Deutschland ein. Deutschland hatte einerseits auf dem Balkan im Gegensatz zu vielen seiner Verbündeten kaum Fehler begangen; andererseits lag dies vor allem daran, dass die schwierigen militärischen Aufgaben im Rahmen der UNPROFOR lange Zeit den Partnern überlassen worden waren, so dass der Fehler auch in der grundsätzlichen Passivität Deutschlands gesehen werden konnte: Die USA, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande mögen Fehler gemacht haben – sie hatten es aber im Gegensatz zu Deutschland wenigstens versucht und entsprechend im Wortsinn Opfer gebracht. Die Antworten in diesen Diskursen waren dabei nicht frei von Ideologie und historisch 1

Beispielsweise die Blockade des »Membership Action Plan« (MAP) der NATO durch den Präsidenten der RS, Milorad Dodik. Diese in Bosnien-Herzegowina gegebene Möglichkeit wäre etwa damit vergleichbar, dass in Deutschland eine Landesregierung außenpolitische Richtungsentscheidungen zu blockieren in der Lage wäre. Die Blockademöglichkeit ergibt sich aus der Verfassung von Dayton. Benjamin Pargan, Stoltenbergs Reise ins bosnische Chaos. In: Deutsche Welle vom 1.2.2017.

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gewachsenen Präferenzen sowie Ressentiments gegenüber bestimmten Gruppen, Institutionen, Ländern oder Methoden. So stellte beispielsweise das »Friedensgutachten 1996« fest: »Nicht nur in der Politik und in der öffentlichen Meinung, sondern auch in der Friedensforschung gibt es unterschiedliche Deutungen der Gründe, die Dayton möglich gemacht haben. Frieden schaffen ohne Waffen – notfalls auch mit Waffen? Strittig sind nicht Dayton oder die multinationale Umsetzungsstreitmacht (IFOR). Strittig ist, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen den Bombardierungen serbischer Ziele durch die NATO und dem Dayton-Abkommen gibt. [...] Doch ungeachtet gegensätzlicher Einschätzungen, ob es die von den USA geführte NATO mit ihrer Entschlossenheit war, der Fortdauer des Krieges nicht länger tatenlos zuzusehen, die Dayton ermöglicht hat, oder ob es der NATO um eine Selbstdarstellung ging, nachdem der politische Durchbruch zu einem Verhandlungskompromiss bereits erzielt war, sehen wir im Wirken der IFOR für das geschundene Bosnien ein unabdingbares Erfordernis.«2 Bereits diese wenigen gewundenen Zeilen machen deutlich, wie schwer sich allein in Deutschland Friedensforscher, deren erklärtes Ziel es war, mittels wissenschaftlicher Methoden den Weltfrieden zu fördern, damit taten, dass ihre Einschätzungen und »Friedensratschläge« sich angesichts des dezidierten Vorgehens serbischer Politik, Militärs und Geheimdienste lange in einer realitätsfernen akademischen Blase abgespielt hatten. Pazifistische Dogmen aus der Zeit der Ost-West-Konfrontation versagten nicht nur in den Konflikten auf dem Balkan; sie konnten im Gegenteil sogar zu todbringender und Kriegsverbrechen ermöglichender Passivität beitragen. Die im Vorjahr noch im »Friedensgutachten 1995« geäußerte Kritik am Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die Zustimmung des Bundestags zum Einsatz der deutschen Luftwaffe ermöglicht hatte, brachte im Schatten Srebrenicas die moralische Unantastbarkeit der kirchlich geförderten Friedensforschung in einen Erklärungsnotstand. In weiten Kreisen der evangelischen Kirche, der Sozialdemokratie und der Grünen in Deutschland galt es das – im Windschatten der Friedensbewegung des Kalten Kriegs immer negativer gewordene – vorherrschende Bild von den USA, der NATO und der Bundeswehr zu überprüfen. Dieser Prozess setzte spätestens in den Jahren 1993 bis 1995 ein und zeigt seine historische Relevanz in dem Weg zur »neuen deutschen Außenpolitik« der Ära Schröder-Fischer. Deutlich wurde dies spätestens angesichts des Krieges im Kosovo der Jahre 1998 bis 1999.3 Andererseits kritisierte das »Friedensgutachten 1996« – aus heutiger historischer Sicht auch nicht ganz zu Unrecht – eine verkürzte Lesart von Dayton 2 3

Schoch/Solms/Mutz, Friedensgutachten 1996, S. 5. Siehe zur Außenpolitik der Regierung Schröder/Fischer: Schmitt, Weltordnung in der Revision, S.  277‑298; Hacke, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Zur evangelischen Kirche in Deutschland: Bohrmann, Entwicklungslinien kirchlicher Friedensethik. Von der Lehre vom gerechten Krieg zum sozialethischen Leitbild des gerechten Friedens, S. 149‑166.

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als diplomatisch-militärische Erfolgsgeschichte der Clinton-Administration, in dem Sinne, dass »der Balkan zum Frieden gebombt« worden sei. Das vorherrschende, auch in Europa weit verbreitete amerikanische Narrativ kann wie folgt skizziert werden: Die Kombination aus Bodenoffensive, Luftkampagne der NATO und Richard Holbrookes unermüdlicher Diplomatie habe Ende September 1995 den Waffenstillstand gebracht. Am 1. November 1995 konnten in Dayton Verhandlungen der drei Kriegsparteien eröffnet werden. Die Parteien einigten sich auf das hart umkämpfte Abkommen von Dayton am 21. November, welches dann am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet wurde und zum Einsatz der IFOR ab 20.  Dezember 1995 führte.4 Diese hier nur kurz skizzierte Diskussion um Dayton, und damit auch um IFOR, gilt es an den militärhistorischen und diplomatiegeschichtlichen Fakten zu messen.

a) Militärische Voraussetzungen für IFOR: Srebrenica, die Rapid Reaction Force und »Operation Sturm« Im Allgemeinen wird der Fall und das Massaker von Srebrenica vom 11. Juli 1995 als derjenige Zeitpunkt angesehen, an dem der »internationalen Gemeinschaft« gewissermaßen »die Geduld ausgegangen« sei, diese zu härteren Maßnahmen (Deliberate Force und der Einsatz der Rapid Reaction Force) gegriffen und damit den »Frieden von Dayton« erzwungen habe. Ein solches Narrativ ist indes vereinfachend, lückenhaft und teilweise auch schlicht falsch. Zum einen ist es in der Retrospektive erschreckend festzustellen, wie bereits Jahre zuvor ein erneuter Genozid in Bosnien-Herzegowina geradezu erwartet wurde. Das Massaker von Brčko vom 26. Dezember 1992 war damals in den Köpfen durchaus noch präsent. So prägte bereits in der Bundestagsdebatte um den Einsatz der AWACS vom 21. April 1993 der Bundestagsabgeordnete Stefan Schwarz den Begriff des »genozidalen Pazifismus«.5 Der serbische Angriff auf das eingeschlossene Srebrenica begann bereits am 8.  Juli 1995. Zu den wohl fatalsten operativen Fehlentscheidungen gehört die Einstellung der Luftschläge nach der Drohung der bosnischen Serben, widrigenfalls 30  Geiseln des dort eingesetzten niederländischen UN-Bataillons (Dutchbat) zu erschießen. Hier wiederholte sich bei genauerem Hinsehen letztlich »nur« die UN-Entscheidung vom Mai. Damals hatte 4 5

Milestones 1993‑2000. Zitate in: Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 151.  Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 21. April 1993, S. 12971. Zur Einordnung: Schwarz, Kanzlerfraktion unter Wolfgang Schäuble, S. 187. Schwarz, Vorsitzender der JU in Rheinland-Pfalz, gehörte mit Schwarz-Schilling zu den wenigen CDU-Abgeordneten, die sich intensiv mit der Lage auf dem Balkan auseinandersetzten und sich bereits früh für eine Lockerung des Waffenembargos für Bosnien-Herzegowina und einen Einsatz auch der Bundeswehr stark machten. Die als »Aktivisten« bezeichenbaren Einsatzbefürworter waren in dieser Zeit weniger durch Parteizugehörigkeit, als durch Interesse für die Region definiert. Schwarz wurde nach 1994 nicht mehr in den Bundestag gewählt.

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Mladić gedroht, bei Fortführung der NATO-Luftschläge bis zu 300 ausländische Geiseln zu töten. Die VRS »lernte«, dass sie mit solchen völkerrechtswidrigen Maßnahmen selbst die militärisch übermächtige NATO in Schach halten konnte. Als nach der Beschießung Tuzlas mit Artillerie die NATO der VRS mit Luftschlägen gegen serbische Artilleriestellungen antwortete, folgte der Beschuss sämtlicher »safe areas«.6 Erst durch teilweise demütigende Verhandlungen konnten im Juni 388 UN-Geiseln freigelassen werden. In dieser Lage beschlossen EU und NATO die Bildung der Rapid Reaction Force (RRF). Am 9. Juni 1995 forderte der britische Premierminister John Major die Freilassung der verbleibenden britischen UN-Soldaten der in Goražde eingesetzten Royal Welch Fusiliers, die von der VRS als Geiseln gehalten und teilweise physischer Gewalt ausgesetzt waren mit den Worten: »The leaders of the Bosnian Serbs know that they will be held personally responsible if they let any harm befall our men. They should release them unharmed. Release them unconditionally. And release them immediately.«7

Im Kontext dieser Forderung kündigte Ministerpräsident John Major erstmalig an, dass über 5000  Soldaten der 24th Air Mobile Brigade General Rupert Smith als »Hälfte« der UN Rapid Reaction Force (RRF) zur Verfügung gestellt würden.8 Diese Entwicklung vollzog sich also knapp, aber dennoch deutlich vor dem Massaker in Srebrenica.9 Der Kontext der Aufstellung der RRF war also nicht Srebrenica, sondern Goražde. Bezeichnenderweise waren es in der Praxis Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, die im Mai 1995 gemeinsam beschlossen, eine RRF zur Unterstützung von UNPROFOR aufzustellen.10 Die UN-Sicherheitsratsresolution 998 erlaubte am 16. Juni 1995 völkerrechtlich deren Einsatz.11 NATO und EU stimmten zu, doch war die RRF letztlich eine trilaterale Angelegenheit. Sie wurde aber mit Masse erst nach dem Massaker von Srebrenica und in direktem Zusammenhang mit diesem nach Bosnien-Herzegowina verlegt. Eine gewisse Rolle spielte hierbei, dass China und Russland zwar kein Veto gegen die Resolution eingelegt hatten, sie enthielten sich aber unter dem Hinweis, dass UNPROFOR eine reine Friedenstruppe (»strictly peacekeeping force«) bleiben solle, der Stimme im UN-Sicherheitsrat.12 Beim Vormarsch des Drina-Korps der VRS auf Srebrenica flohen etwa 15  000 Bosniaken in Richtung Tuzla. Diese wurde durch die VRS angegriffen, so dass nur etwa ein Drittel dieser gemischt zivil-militärischen Gruppe aus ARBiH und Zivilpersonen Tuzla erreichen sollte. Eine andere Gruppe suchte ab dem 11.  Juli 1995 den direkten Schutz bei dem niederländischen 6 7 8 9 10 11 12

Rüstau, Die Entwicklung des Friedensprozesses, S. 43 f. Mr Major’s speech to the Welsh Conservative Party Conference, held in Llangollen on Friday 9th June 1995. Ebd. Smith, The Utility of Force. Siehe hierzu: Niall Ferguson: Ameliorate, Contain, Coerce, Destroy. In: Sunday Book Review vom 4.2.2007. Gow, Triumph of the Lack of Will, S. 321. UN/SC 998 vom 16.6.1995. Kovačević/Dajić, Chronology of the Yugoslav, S. 127.

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UNPROFOR-Bataillon in Potočari, bis diese Menschen durch die VRS am 13.  Juli mit 60  Bussen nach Bratunac und Karakaj abtransportiert und anschließend ermordet wurden. In nur 30 Stunden war Srebrenica entvölkert. Innerhalb von vier bis fünf Tagen waren also über 8000 Gefangene, vorwiegend zuvor entwaffnete Männer und Jungen, ohne ein Eingreifen von UNPROFOR ermordet worden.13 Zur historischen Einordnung scheint es erwähnenswert, dass diese Opferzahl diejenige der Opfer des Anschlags auf das World Trade Center (»9/11«) des Jahres 2001 um mehr als das Doppelte übersteigt.14 Die UN benannte später (1999) als Hauptursachen für das Versagen der UNPROFOR das Ausbleiben von NATO-geführten Luftschlägen durch die UN, fehlende nachrichtendienstliche Informationen und ein zu spätes Erkennen der serbischen Kriegsziele.15 Gewissermaßen als Antwort auf diesen Bericht, bei dem ein Teil der Schuld dem niederländischen Bataillon zugewiesen wurde, veröffentlichte acht Jahre nach Srebrenica die niederländische Regierung ein Dossier, das vor allem das unklare Mandat der niederländischen Soldaten, die unzureichenden Rules of Engagement (ROE), Ausbildungsmängel sowie mangelnde internationale Zusammenarbeit als Gründe für die Tragödie anführte. Stark vereinfacht gesprochen, wurde mit den – sicherlich zutreffenden – Vorwürfen des unklaren Mandats und der unzureichenden ROEs der »schwarze Peter« an die UN zurückgereicht. Auf der taktischen Ebene vor Ort in Srebrenica wurden die Probleme einer schwierigen und unübersichtlichen Lage angesichts der Geiselnahme von 55 und des Todes eines Soldaten des Dutchbat bei schlechten Verbindungen nach außen thematisiert.16 Jenseits dieser nach Srebrenica einsetzenden Schulddebatte, bei der insgesamt eine gewisse Tendenz auszumachen ist, die Verantwortung »nach unten« durchzureichen, ist festzustellen, dass es zeitgenössisch unterschiedliche Ansätze gegeben hat, mit dem Problem der Geiselnahme von UNPROFOR-Soldaten umzugehen. Zumindest im Nachhinein ist festzustellen, dass sich eine harte Haltung der betroffenen nationalen Regierungen sowohl in Bezug auf die Geiselfrage als auch auf die psychologische Wirkung (Abschreckung) und damit auf die Lage vor Ort in Bosnien-Herzegowina mehrmals als die bessere Strategie erwiesen hat. Dies setzte jedoch nicht nur ausreichende Kräfte vor Ort voraus, sondern auch den politischen Willen, die eigenen Soldaten trotz der gegebenen Risiken aktiv einzusetzen und gegebenenfalls Opfer hinzunehmen und diese dann anschließend politisch und moralisch zu verantworten. 13 14 15 16

Gow, S.  272‑273, Melčić in Kesselring, S.  147‑156. Am 15.11.1999 legte UN-Generalsekretär Kofi Annan den Report 53/35 »The Fall of Srebrenica« vor. Die offizielle Opferzahl von »9/11« in New York wird mit 2753 Menschen angegeben. UN-Doc, A/54/549, Report of the Secretary-General pursuant to General Assembly resolution 53/35. »The Fall of Srebrenica« vom 15.11.1999 (113 Seiten). Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie: Srebrenica, a safe area – Reconstruction, background, consequences and analyses of the fall of a safe area. 2002. Der Bericht ist mit allen Anlagen 3875 Seiten stark.

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Die primär zum Schutz von UNPROFOR aufgestellte Rapid Reaction Force stand jedoch von Beginn an vor dem Problem, dass sich die beitragenden Staaten lange nicht mit der UN auf deren konkrete Rolle, die anzuwendenden Rules of Engagement (ROE) und die Kommandostruktur einigen konnten. Aber auch unter den beitragenden Staaten selbst gab es signifikante Meinungsverschiedenheiten: So betrachtete Großbritannien die RRF als strategische Einsatzreserve für UNPROFOR, wohingegen Frankreich diese mehr in Richtung einer operativen Reserve (Kampftruppe für den Notfall vor Ort) interpretierte. Dies schlug sich auch im Erscheinungsbild der Soldaten nieder: Die britischen Soldaten der RRF trugen Blauhelme und fuhren in weiß getünchten Fahrzeugen – die französischen Soldaten traten mit grünen Helmen und voller Kampfausrüstung in grünen Fahrzeugen auf. Die RRF bestand aus vier Teilen: Die niederländisch-britische Task Force (TF) Alpha bildete gemeinsam mit der französischen TF Bravo die »Multinational Brigade«. Dabei war die TF Alpha etwa 1500 Mann und die TF Bravo 1700 Mann stark. Daneben stand die rein britische 24th Airmobile Brigade mit etwa 5000 Mann. Zu diesen beiden Einsatzbrigaden kamen eine fast ausschließlich deutsch-französische »Logistikgruppe« mit 2400 Soldaten und eine 4000 Mann starke französische Brigade in Bereitschaft in Frankreich. Das war aber lediglich die »Papierlage«, die Realität sah anders aus: Bereits Mitte Juni 1995 wurden die ersten zwei britischen Geschützbatterien, als Teil der TF Alpha, nach Bosnien-Herzegowina verlegt, von den Hauptkräften der britischen Brigade sollten lediglich ein Bataillon des Royal Anglian Regiment mit den Heeresfliegerkräften des 3rd Regiment Army Air Corps entsendet werden. Sie erreichten Bosnien-Herzegowina dank amerikanischer Unterstützung mit Seetransportmitteln allerdings erst Mitte August 1995. Diese luftbeweglichen Kräfte fehlten General Rupert Smith, als sich im Juli die Lage in Ostbosnien und speziell Srebrenica und Žepa zuzuspitzen begann.17 Am Wochenende vom 16./17. Juli 1995 erklärte der in Tomislavgrad (Duvno) eingesetzte Kommandeur der Multinational Brigade der RRF, Brigadegeneral André Soubirou, gegenüber Reportern noch frustriert: »I don‘t have a task – I am waiting for a task.«18 Am 23. Juli erhielten Teile der TF Alpha und Bravo der Multinational Brigade (RRF) den Marschbefehl nach Sarajevo. Auslöser war der Tod von zwei französischen UN-Soldaten. Am den Zufahrtsweg zur bosnischen Hauptstadt beherrschenden Mt. Igman wurden britische leichte Feldhaubitzen (105  mm) sowie französische und niederländische Mörser (120 mm) der Multinational Brigade der RRF in Stellung gebracht. TF Bravo, französische Fremdenlegionäre (mechanisierte Infanterie), sicherte gemeinsam mit britischen »Light Dragoons« (Panzeraufklärer) und einem Bataillon »Light Infantry« der TF Alpha die logistische Lebensader Sarajevos.19 Die anfangs abschreckende Wirkung dieser »show of force« nutzte sich indes 17 18 19

Dodd, War and Peacekeeping in the Former Yugoslavia, S. 14‑16. Rapid-Reaction Force Is Slow to Move Into Action. In: Los Angeles Times vom 17.7.1995. Berry, A Cold War. Col. Berry war Kommandeur der Task Force Alpha.

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bald ab. Die restriktiven ROEs der RRF wurden langsam durch die VRS ausgetestet – dies änderte sich erst, nachdem am 30. August 1995 die ersten Artillerieschüsse auf Stellungen der VRS abgegeben worden waren.20 Ein entscheidendes militärisches Detail hierzu ist – neben der nun endlich erfolgten Entsendung von luftbeweglichen Teilen der RRF –, dass es erst Mitte August 1995 nach zähen Verhandlungen mit Vertretern Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens gelungen war, acht französische Feldhaubitzen (155 mm) auf dem Mt. Igman in Stellung zu bringen und damit auch kräftemäßig eine artilleristische Überlegenheit gegenüber den Belagerern Sarajevos zu erreichen.21 Erst der Einsatz von Artillerie am 30.  August 1995 brachte die militärischpsychologische Wende von Sarajevo, die als Rückgewinnung der Initiative nach der Niederlage von UNPROFOR am Checkpoint »Sierra 4« bei Sarajevo vom 8. Januar 1993 angesehen werden kann. Bis dahin war UNPROFOR als leichte Infanterie – trotz Luftunterstützungsmöglichkeiten – im Zweifelsfall den Truppen der VRS am Boden unterlegen und somit auf der taktisch-lokalen Ebene letztendlich nicht zur Abschreckung befähigt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass Abschreckung kein Teil des traditionellen Einsatzkonzeptes von »Blauhelmen« darstellt. Von der »Wende von Sarajevo« vom 30.  August 1995 an kann damit UNPROFOR nicht mehr als reine »Blauhelm-Mission« im traditionellen engeren Sinne klassifiziert werden. Das Beschießen von Mörserstellungen mittels Artillerie stellt nach allgemeingültigem Verständnis eine Kriegshandlung dar – sei dies auch noch so sehr mit humanitären Überlegungen zu rechtfertigen. Artilleristische Zielbekämpfung setzt die vorherige Identifizierung dieser Ziele als »feindlich« voraus und ist somit nicht mit dem Neutralitätsgrundsatz zu vereinbaren. »Neutralität« ist aber als Konzept nicht per se moralisch hochwertiger als Abschreckung. So wichtig die »Wende von Sarajevo« auch war; es wäre vermessen davon auszugehen, dass, bezogen auf ganz Bosnien-Herzegowina und nicht nur auf Sarajevo, bereits der Einsatz von ein paar Feldhaubitzen den Unterschied auf dem Weg nach Dayton ausgemacht hätte. Größere Wirkung auf die zukünftige politische Weichenstellung ging von der kroatischen »Operation Sturm« (Operacija Oluja) aus. Es ist an dieser Stelle nicht nötig, detailliert auf deren operationsgeschichtlichen Verlauf einzugehen.22 Festzuhalten ist aber, dass die HV am 4. August 1995 mit überlegenen Kräften entlang der 630 km langen Frontlinie zur RSK in 30 parallel ablaufenden Teiloperation angriff. Die militärischen Operationen endeten am 10. August mit der Besetzung der gesamten RSK (mit Ausnahme ihrer Gebiete in Ost-Slawonien). Bereits in den Morgenstunden des 5. August fiel die »Hauptstadt« der RSK, Knin, worauf noch am selben Tag ein medienwirksam inszenierter Besuch des kroatischen Präsidenten Tudjman dortselbst erfolgte. Am selben Tag verbreitete das kroa20 21 22

Seybolt, Humanitarian Military Intervention, S. 237. Dodd, War and Peacekeeping in the Former Yugoslavia, S. 16. Entscheidend wirkte sich hier die größere Schussweite von bis zu 29 km aus. Siehe hierzu im Detail: Marijan, Oluja, sowie CIA, Office of Russian and European Analysis: Balkan Battlegrounds, S. 372‑377.

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tische Fernsehen die Bilder des Handschlags der Generale Marijan Mareković (HV) und Arif Dudaković (ABiH) in Tržača Raštela an der Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien nördlich von Bihać. Damit hatten die 1.  kroatische mechanisierte Gardebrigade »Tigrovi« (nicht zu verwechseln mit den serbischen »Tigern« »Arkans«) und das 5.  Korps der ARBiH erstmals den Belagerungsring um Bihać durchbrochen. Die Tatsache, dass damit die Schlüsselstadt Bihać vor dem Fall bewahrt wurde, muss als der primäre strategische »game changer« im Kräftefeld zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina gewertet werden.23 Am 7. August erreichte die 2. kroatische mechanisierte Gardebrigade die Vororte von Dvor, wo die Streitkräfte der RSK (Srpska vojska Krajine, SVK) die entscheidende Brücke zwischen der RSK und RS über die Una hielten. Nachdem das 5. Korps der ARBiH diese Brücke von strategischer Bedeutung genommen hatte, erklärte der kroatische Verteidigungsminister Gojko Šušak – nur 84 Stunden nach Beginn der »Operation Sturm« – die Hauptoperationen für beendet. Die »Operation Sturm« war nicht nur die größte Landoperation seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa,24 die HV bewies damit auch, dass sie zu moderner kombinierter Land-Luft-Kriegführung durchaus fähig war: Kroatien verfügte zu Beginn der Operation über 17 Kampfflugzeuge MiG-21 und fünf Kampfhubschrauber Mi-24.25 Den Angriff der insgesamt 200  000 Mann starken kroatischen Streitmacht trugen die hochbeweglichen Gardebrigaden voran. Der Zusammenbruch der SVK schien sich für die westlichen Beobachter unerwartet schnell vollzogen zu haben. Schließlich verfügte die SVK der RSK über 50 000 Mann in sechs Korps (Divisionsäquivalente) mit über 250 Kampfpanzern und 200 Geschützen sowie über 16 MiG-21 sowie neun zur Panzerabwehr befähigte Hubschrauber Mi-8.26 Es ist in der Literatur umstritten, welcher Anteil dem amerikanischen privaten Sicherheits- und Militärunternehmen Military Professional Resources Inc. (MPRI) am operativen Erfolg der HV zuzuschreiben ist. MPRI erhielt im September 1994 den Auftrag zur Modernisierung und Neustrukturierung der HV, einschließlich eines Ausbildungsprogramms für dessen Generalstab.27 Dies scheint unumstritten, doch ist nach wie vor unklar, ob die »Operation Sturm« von MPRI im Auftrag der Clinton-Administration geplant wurde oder aber, ob MPRI lediglich die zuvor erfolgte Modernisierung der HV beratend moderiert hatte.28 23 24 25 26

27 28

Dodd, War and Peacekeeping in the Former Yugoslavia, S. 17. Riley, Decisive Battles, S. 216. Jonathon Riley war 1995 UNPROFOR-Kommandeur in der eingeschlossenen Stadt Goražde. Marijan, Oluja, Zagreb 2007, S. 119‑121. Human Rights Watch, Vol. 8, No. 13 (D): Croatia. Impunity for Abuses Comitted During Operation Storm and the Denial of the Right of Refugees to Return to the Krajina, o.O. 1996, S. 11‑18. Singer, Corporate Warriors, S. 128 f. Siehe hierzu: Avant, The Market for Force, S.  105; Adams, The New Mercenaries, S.  103‑116. Wissenschaftlich anspruchsvolle Analysen von MPRI in BosnienHerzegowina bzw. dem Phänomen der PMI bieten: Mohlin, The Strategic Use of Military Contractors und Dunigan, Victory for Hire.

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Im Raum stehen auch durchaus ernst zu nehmende Behauptungen, dass die USA direkt vor der »Operation Sturm« Kroatien mit nachrichtendienstlichen Informationen zur Dislozierung der VRS und der VJ versorgt hätten. Hierbei soll es sich insbesondere um die Frage des Verhaltens der JVA (möglicher Angriff in Ost-Slawonien) während der Angriffe auf Knin gehandelt haben. Zukünftige Forschungen müssen dies nach Freigabe entsprechender amerikanischer Akten falsifizieren oder verifizieren. Da es sich bei der These einer erfolgten nachrichtendienstlichen Unterstützung durch Information aber um eine unabhängige kroatische Überlieferung handelt, erscheint diese These durchaus beachtenswert.29 Fest steht darüber hinaus, dass dem NichtEingreifen der JVA eine entscheidende Bedeutung zukam, da somit die unterlegene SVK alleine gegen die HV stand.30 UNPROFOR (CRO) war weder militärisch noch psychologisch in der Lage, die »Operation Sturm« zu verhindern. Wieso ein Entlastungsangriff aus Belgrad für die in ihrer Existenz bedrohte RSK ausblieb (denkbar wären Faktoren wie beispielsweise mangelnde Einsatzbereitschaft, schlechte nachrichtendienstliche Kenntnis, ein kalkuliertes Fallenlassen der RSK oder aber auch geheimdiplomatische Absprachen, Drohungen oder mangelnde Unterstützungszusagen beteiligter Großmächte) ist bis heute nicht bekannt. Die zeitgenössische Berichterstattung konzentrierte sich allerdings weniger auf solche (strategische) Fragen der militärischen »Großwetterlage«, sondern wandte sich der (taktischen) Situation der »UN-safe areas« zu: Bihać, Sarajevo, Tuzla, Srebrenica, Žepa und Goražde. Den nicht selten unter Lebensgefahr berichtenden Kriegsjournalisten vor Ort in den Enklaven fehlte fast immer der Überblick. Der sich daraus ergebende oft sehr persönliche Blick »von unten« zieht sich folgerichtig auch bis heute durch die oft opferzentrierte und militärisch die taktische Ebene betrachtende Literatur. So berechtigt, Betroffenheit erzeugend und dadurch auch pädagogisch wirksam wie Verkaufszahlen fördernd solch ein Ansatz ist, so wenig trägt er letztlich zum Verständnis der Geschichte und damit zu einer Verhinderung ähnlich gelagerter Fälle in der Zukunft bei. Das Gleiche gilt für die – angesichts der unfassbaren Schrecklichkeit der Verbrechen psychologisch nachvollziehbaren – wütenden Vorwürfe ohne Kenntnis der hochkomplexen Zusammenhänge, »die ARBiH«, »das DutchBat«, »die UN«, »die NATO« hätten »feige« versagt. Nicht selten scheint es, dass die Autoren gewissermaßen reflexmäßig dabei 29

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Der Artikel erklärt, dass über den US-Militärattaché in Zagreb, Col. Richard C. Herrick, und GM Markica Rebić eine direkte Verbindung zwischen Tudjman und US-National Security Advisor, Anthony Lake, bestanden habe. Über diese Verbindung habe Clinton »grünes Licht« für die Operation Sturm gegeben. US-Botschafter Peter Galbraith sei von diesem Kommunikationsstrang ausgeschlossen gewesen. Ivo Pukanić, US Role in Storm. Artikel vom 24.5.2005 in der kroatischen Wochenzeitschrift »Nacional«. Pukanić (1961‑2008), ehemaliger Chefredakteur und investigativer Reporter der HDZ-kritischen »Nacional«, wurde 2008 von der Organisierten Kriminalität zugeordneten Tätern ermordet. Die Zeitschrift stellte 2012 ihr Erscheinen ein, als nach dem Tode Pukanićs die Verkaufszahlen drastisch gesunken waren. Dodd, War and Peacekeeping in the Former Yugoslavia, S. 17 f.

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nach den Schuldigen suchen.31 Für die erste Phase der Geschichtsbetrachtung ist das – dies sei hier ausdrücklich noch einmal betont – normal. Aufgabe des Historikers ist es aber, sich mit hermeneutischen Mitteln einer möglichen Historisierung anzunähern. Ende August 1995 stellte sich die Lage in den »UN-safe areas« wie folgt dar: Bihać war durch »Operation Sturm« entsetzt worden, die Versorgung der eingeschlossenen Hauptstadt Sarajevo schien durch den Einsatz der RRF sichergestellt, aber Srebrenica und Žepa waren gefallen. Tuzla galt weitestgehend als durch die ARBiH militärisch gesichert, auch wenn das »TuzlaMassaker« vom 25. und 28. Mai 1995 gezeigt hatte, dass die Zivilbevölkerung der Stadt weiterhin durch die Artillerie der VRS gefährdet blieb.32 In den bilateralen Verhandlungen zwischen Vertretern der RS und den USA Anfang 1995 hatte Karadžić neben 50 Prozent des Territoriums von Bosnien-Herzegowina auch die Städte Sarajevo und Tuzla als Gebiet für die RS gefordert. Über die territorialen Ziele Karadžićs konnte also kein Zweifel bestehen.33 Allerdings war die militärstrategische Bedeutung Tuzlas aus Belgrader Perspektive (Milošević) weit geringer, als diejenige von Goražde, Sarajevo und Bihać, die sich auf der Ost-West-Achse nach Kroatien befanden. In Goražde wiederum fiel die Entscheidung über das Schicksal der Stadt letztlich wohl auf taktischer Ebene. Das dort eingesetzte, auf zwei Kompanien verminderte britische Bataillon (etwa 300 Mann) der Royal Welch Fusiliers hielt beim Angriff der VRS vom 28. Mai 1995 die Stellung der beherrschenden Höhe Biserna über der Stadt bis zum Eintreffen der ARBiH dortselbst. Obwohl 33 Soldaten als Geiseln genommen worden waren, verblieben die Welch Fusiliers in der Stadt, bis der Angriff der VRS ausgesetzt wurde.34 Ein möglicher Faktor für dieses, nicht mit den geltenden ROE zu vereinbarende, aber Menschenleben rettende Verhalten mögen die in Nordirland gewonnenen Erfahrungen gewesen sein. Der eindeutigen Haltung der Welch Fusiliers in Goražde entsprach aber auch die einstimmige Entscheidung Londons, sich »nicht erpressen zu lassen«, 31

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33 34

Ein jüngstes Beispiel dieses durchaus professionellen journalistischen Genres, welches für die historische Wissenschaft zwar als Quellensammlung von Zeitzeugenberichten und Beobachtungen sehr wertvoll ist, aber aufgrund fehlender militärischer Fachkenntnis gerade in Hinsicht auf die Aussagen zur ARBiH und dem Dutchbat eben eine militärhistorische wissenschaftliche Analyse nicht zu ersetzen in der Lage sein kann ist: Matthias Fink: Srebrenica. Chronologie eines Völkermords. Oder was geschah mit Mirnes Osmanović, Hamburg 2015. Durch den Artilleriebeschuss auf die Kapija-Straße in Tuzla aus Stellungen am Mt. Ozren starben 71 Personen und 130 wurden verletzt. Der Kommandeur der taktischen Gruppe Ozren, Novak Djukić, wurde am 12.6.2009 in Bosnien-Herzegowina für das an Titos Geburtstag vollzogene »Tuzla-Massaker« zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das TuzlaMassaker und auch die Argumentation der Verteidiger im Prozess folgte dem gleichen Schema, wie bei dem weit bekannteren »Markale-Massaker« in Sarajevo vom 5.2.1994. Cimbala/Forster, The US, NATO and Military Burden-Sharing, S. 113. Conflict in the Balkans, The Peacekeepers. At Risk. British Troops keep Watch. In: The New York Times vom 30.5.1995; Bosnia Troops’ tally of Medals Sets a Record. In: Independent vom 10.5.1996; Fusiliers’ Battle to Safe Bosnians. In: BBC World News vom 5.12.2002.

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sondern vielmehr durch die Entsendung der Multinational Brigade – auch wenn diese nicht in Goražde eingesetzt werden sollte – ein klares Zeichen der Stärke zu setzen. Der Vergleich zur Lage in Srebrenica drängt sich auf. Beim Angriff des divisionsäquivalenten Drina-Korps der VRS auf Srebrenica im Juli 1995 wirkte sich aber das Kräfteverhältnis stärker zu Ungunsten der UNPROFOR aus, als dies noch im Mai 1995 in Goražde der Fall gewesen war. Das Dutchbat in Srebrenica, nicht mehr als leichte Infanterie, hatte zwar immerhin eine Stärke von rund 400 Mann – jedoch muss berücksichtigt werden, dass die schwer bewaffneten (mechanisierten) Kräfte der VRS bereits in der Lage gewesen waren, sich gegen etwa 5000 bis 8000 in Srebrenica eingeschlossene Kämpfer durchzusetzen. Außerdem konnte nach dem Fall der Stadt nicht mehr mit Luftschlägen eingegriffen werden. Dies führt erneut zur kontroversen Frage der politischen und militärischen Verantwortung der »internationalen Gemeinschaft« für Srebrenica, die sich folglich auf den nicht erfolgten Einsatz der Luftwaffe vor dem Fall der Stadt konzentriert. Im Zuge des MladićProzesses warf der juristische Vertreter von 6000 Opferfamilien, der deutschniederländische Anwalt Axel Hagedorn, der niederländischen Regierung vor, dass die ersten fünf Anträge des Dutchbat auf Luftunterstützung in der Befehlskette beim Chef des Stabes UNPROFOR, dem niederländischen General Cornelis Nicolai, »hängen geblieben« seien und erst der sechste Antrag an den Kommandeur der UNPROFOR, den französischen General Bernard Janvier, weitergeleitet worden sei. In der Befehlskette seien bis einschließlich Nicolai ausschließlich niederländische Offiziere gestanden, die eine restriktive niederländische Politik in Bezug auf die anzuwendenden ROE befolgt hätten.35 Im Rahmen des Prozesses gegen Zdravko Tolimir sagte Nicolai aus, dass Janvier die Luftschläge abgelehnt habe, da er der Meinung gewesen sei, dass diese nur bei direkter Bedrohung der UN-Kräfte und bei Angriffen auf Zivilisten erlaubt seien. Erst ein Angriff der VRS auf UN-Truppen hätte die Erwiderung des Feuers und den Einsatz von Luftunterstützung gerechtfertigt.36 Genau das sagten die gültigen ROE aus. Der damalige niederländische Verteidigungsminister Joris Voorhoeve wiederum äußerte im Zusammenhang des Mladić-Prozesses, dass die Niederlande zu Unrecht die Schuld für den Fall von Srebrenica zugeschoben bekämen, da die Enklave nicht militärisch habe verteidigt werden können (»militarily indefensible«) und die Niederländer unter dem militärischen Kommando von UN-Offizieren aus Frankreich und Großbritannien gestanden hätten.37 Die Frage des Falles von Srebrenica wird damit auf die nicht erfolgte Entscheidung zur Luftunterstützung fokussiert. An welcher Stelle wer welchen Antrag abgeblockt hatte, ist hier nicht zu klären. Die taktische Frage nach der Autorisierung von Luftunterstützung lenkt indes davon ab, dass die strategische Gesamtlage durch UNPROFOR, gleich welcher Nationalität, nicht beherrscht wurde und mit dem vorhande35 36 37

Mladic trial revives questions over Dutch troops. In: Euronews vom 1.6.2011. Forbidden Triangle in Protected Area. In: Sense Tribunal vom 19.8.2010. Mladic trial revives questions over Dutch troops. In: Euronews vom 1.6.2011.

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nen Mandat und der vorhandenen Ausrüstung und Mannstärke wohl auch gar nicht beherrscht werden konnte. Das Beispiel Goražde zeigt, dass auch in dieser Lage ein beherztes und eindeutiges Handeln auf politischer und militärisch taktischer Ebene durchaus zeitlich begrenzt abschreckend und damit die »safe areas« beschützend wirken konnte. Dies aber setzte zumindest auf nationaler Ebene eindeutige Ziele und Führung sowie eine geschlossene Haltung von Bevölkerung und Volksvertretern voraus, sich im Zweifelsfall über die ROE – völkerrechtlich international ausgehandelte Befehle an die national gestellten Kontingente – hinwegzusetzen. Eine solche Entscheidung war in den Niederlanden kaum gesellschaftlich konsensfähig und wurde genauso wenig auf der politischen oder militärischen nationalen Führungsebene getroffen wie auf der taktischen Ebene vor Ort in Srebrenica. Als Truppensteller für die UN hatten sich die für die »safe area« in Srebrenica zuständigen niederländischen Stellen aller Ebenen entsprechend der Anweisungen der UN »korrekt« verhalten – was ein Massenverbrechen nicht verhinderte. In Žepa wiederum bestand UNPROFOR nur aus einer schwachen ukrainischen Kompanie (79 Mann); deren Soldaten waren nach dem Fall von Srebrenica demoralisiert und hätten sich kräftemäßig dem Angriff der VRS kaum widersetzen können. Wenn Srebrenica »militarily indefensible« war, so traf dies umso mehr auf Žepa zu. Ein Problem der zeitgenössischen öffentlichen Wahrnehmung des BosnienKonflikts war jedoch gerade, dass dieser kaum im Lichte militärischer Kräfteverhältnisse oder des taktisch vor Ort Möglichen und nur selten als zusammenhängender, zentral geführter Krieg im Kontext des kroatisch-serbischen ethnisch-territorialen Gegensatzes verstanden wurde. Das Paradigma des lokal verstandenen Bürgerkriegs verstellte dabei nicht selten den Blick für die Implikationen einzelner politischer Entscheidungen, einschließlich ihrer militärischen Umsetzungen vor Ort. Auch in diesem Fall gilt das ClausewitzWort: »Der Erfolg des Gesamtgefechts besteht aus der Summe der Erfolge aller Teilgefechte«38 – dies ist auch dann zutreffend, wenn diese von Armeen unterschiedlicher Staaten oder Para-Staaten ohne eine zusammenhängende Front geführt werden.

b) Dayton und IFOR aus diplomatischer Sicht Die »diplomatische Wende« vollzog sich nach Srebrenica auf der Konferenz der Kontaktgruppe vom 21. Juli 1995 in London. US-Präsident Clinton hatte nach dem Fall Srebrenicas mit Blick auf seine europäischen Kollegen geäußert: »Unless we can restore the integrity of the UN-mission, obviously its days will be numbered. [...] This is a serious challenge to the UNmission. It must either be resolved, or there will be some serious chan38

Clausewitz, Vom Kriege, Buch 4, Kap. 9.

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ges there.«39 Frankreich, Großbritannien und die USA sprachen sich gegen den Widerstand Russlands für massive Luftangriffe gegen die bosnischen Serben aus. Die Niederlande verfolgten weiter eine vorsichtige Politik. Der bereits am 19.  April 1994 auf Vorschlag Owens gebildeten, intergouvernementalen Kontaktgruppe gehörten ab Sommer 1994 die USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland an. Den ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat war Deutschland anfangs formal als Vertreter der EU (Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt dort gerade den rotierenden Vorsitz inne) beigeordnet, später blieb Deutschland jedoch in der Kontaktgruppe vertreten.40 Die Zusammensetzung der Kontaktgruppe hatte offenbar wenig mit der Frage der Truppenstellung für UNPROFOR zu tun – weder die USA noch Deutschland waren etwa im Gegensatz zu den Niederlanden oder Kanada Truppensteller. Verschiedene deutsche Diplomaten und »Beauftragte« sollten aber Schlüsselfunktionen im diplomatischen Prozess bis Dayton einnehmen. Im Juli 1995 erreichten die drei europäischen Staaten innerhalb der Kontaktgruppe einen Konsens darüber, dass eine kroatisch-bosnische Föderation in Bosnien-Herzegowina zu bilden sei und Bosnien-Herzegowina dann im Territorialverhältnis 51:49 zwischen dieser Föderation und der RS intern aufgeteilt werden solle. Dabei sollte Bosnien-Herzegowina als Staat erhalten bleiben. Bereits zuvor hatten Deutschland und die USA diesen Plan verfolgt, wobei auch die USA ursprünglich auf einer internen Dreiteilung bestanden hatten. Russland, Frankreich und Großbritannien hatten sich lange der Idee einer kroatisch-muslimischen Föderation widersetzt.41 Letztlich war es ursprünglich nur Deutschland gewesen, dass die Bildung einer Föderation als Lösung anstrebte. Es scheint, dass diese Idee ihren Ursprung in kroatischen Überlegungen hatte. Doch wurden solche Föderationspläne seitens der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat einerseits angesichts der Kämpfe zwischen Kroaten und Muslimen um Mostar lange für unwahrscheinlich gehalten, zum anderen wurden offenbar »großkroatische« Pläne befürchtet und historische Ressentiments mit Bezug auf die territoriale Aufteilung Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg deutlich. Leicht konnte der »deutsche Ansatz«, der territorial gesehen durchaus Ähnlichkeiten mit der Ausdehnung des am 10.  April 1941 unter dem Schutz deutscher Panzer proklamierten »Unabhängigen Staat Kroatien« (USK) aufwies,42 als Revision der territorialen Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges – deren Wächter die ständigen UNSicherheitsratsmitglieder ja waren – gedeutet werden. Auf dieser Klaviatur wusste auch die serbische Propaganda zu spielen. Eine lose Föderation war zwar bereits auf der Washingtoner Konferenz 1994 formal errichtet worden und hatte den Krieg zwischen HVO und ARBiH beendet, rieb sich aber nach 39 40 41 42

Zitiert nach: Roy, Die Außenpolitik von Präsident William Jefferson Clinton, S. 317. Holbrooke, To End a War, S. 137; Owen, Balkan Odyssey, S. 299. Saxer, Die internationale Steuerung der Selbstbestimmung, S.  563; Lüdeke, »Europäisierung« der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik?, S. 317‑323. Siehe hierzu: Sundhaussen, Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges, S. 107 und Karte S. 109.

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wie vor an den Gegensätzen in Mostar und war damit noch alles andere als eine »Freundschaft« oder ein bereits funktionierendes Konzept. Auf erheblichen deutschen Druck hin hatten Bosniaken und Kroaten am 6. Juli 1994 eine Vereinbarung über die Verwaltung Mostars unterzeichnet, worauf der Bremer SPD-Außenpolitiker Hans Koschnick als EU-Administrator für Mostar eingesetzt worden war.43 Bereits am Tag nach der Konferenz von London, am 22. Juli 1995, trafen sich in Split Vertreter Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens zu einer bilateralen Konferenz, deren Ergebnis, der wenig bekannten »Deklaration von Split«, eine entscheidende Bedeutung zukommt.44 Anwesend waren die beiden Präsidenten Izetbegović und Tudjman, dazu ihre Verteidigungsminister sowie ausgesuchte Generale und bosnische und kroatische Politiker. Als einzige »internationale Vertreter« nahmen an dieser Konferenz der amerikanische Botschafter in Zagreb, Peter W. Galbraith, und der deutsche Christian Schwarz-Schilling teil. Galbraith hatte bereits im Januar 1995 gemeinsam mit dem russischen Botschafter in Zagreb, Leonid Kerestedjiants, dem norwegischen UN-Diplomaten Kai Eide und dem deutschen Sonderbotschafter für die Genfer Jugoslawienkonferenz, Geert-Hinrich Ahrens,45 den sogenannten »Z-4-Plan« entwickelt. Dieser hatte eine Verhandlungslösung für die Krajina vorgesehen, wobei Gebieten mit starker serbischer Bevölkerung in der Krajina ein Autonomiestatus innerhalb Kroatiens zugesichert, andere Gebiete dortselbst unter direkte Verwaltung gestellt und die Ost-Slawonien-Frage auf zwei Jahre vertagt werden sollte. Dieser Plan war von Tudjman mit Argwohn betrachtet worden: die Vertreter der RSK aber hatten sich bereits geweigert, den Z-4-Plan überhaupt entgegenzunehmen.46 Schwarz-Schilling berichtete 2011 in einem Leserbrief an »Die Welt« erstmals von seiner Teilnahme an der »Konferenz von Split«: »Der bosnische Armeegeneral Atis [richtig: Atif] Dudaković war mit seiner Verteidigungstruppe am Ende und hatte der Regierung der Föderation in Sarajevo deutlich gemacht, dass er die belagerte ›Friedenszone‹ Bihać nur noch kurze Zeit halten kann. Man sah keinen anderen Ausweg als die Kroaten, mit denen man allerdings in der Zeit noch kurz vorher schwere Kämpfe hatte (Mostar!), zu bitten, ihnen bei der Abwehr des serbischen Angriffs zu helfen. Dieses Hilfeersuchen war der Grund für die Einberufung [...] Galbraith hatte durch sein Gespräch Tudjman mehr und mehr 43

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Hans Koschnick (1929‑2016), MdB 1987‑1994, war vor dieser Verwendung stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Zu Koschnick liegt eine journalistische Biografie vor: Hanna Müller-Tupath: Hans Koschnick, Trennendes überwinden. Biographie, Berlin 2009. Die Deklaration von Split (Deklaracija o oživotvorenju Sporazuma iz Washingtona, zajedničkoj obrani od srpske agresije i postizanju političkog rješenja sukladno naporima međunarodne zajednice = Splitska Deklaracija) vom 22.7.1995 ist als bilateraler Vertrag auf der Website des kroatischen Außenministeriums aufgeführt. Der Diplomat Dr. Geert-Hinrich Ahrens (*1934) leitete von 1992‑1996 die »Working Group on Ethnic and National Communities and Minorities« der Genfer Jugoslawienkonferenz. Ahrens, Diplomacy on the Edge, S. 151.

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davon überzeugt, dass sich die Haltung der Vereinigten Staaten ändern wird, dass die von den Amerikanern illegal mit Ausbildern und Waffenlieferungen unterstützte kroatische Armee eine Offensive gegenüber den Serben starten darf, um ein weiteres Srebrenica zu verhindern! Während der Kurswechsel im State Department klappte, hat die Bundesrepublik Deutschland auch diesen Kurswechsel scheinbar nicht mitbekommen, obwohl ich dem Auswärtigen Amt sofort darüber berichtete.«47 Einer anderen (zeitgenössischen) Überlieferung zufolge wurde die »Declaration on Implementing the Washington Agreement, joint defence from Serb aggression and achieving a political solution in accord with the efforts of the international community« – so die englische Übersetzung des sperrigen kroatischen Titels – durch den türkischen Präsidenten Suleiman Demirel auf Initiative Tudjmans vermittelt. Bosnien habe Kroatien um dringende Militärhilfe, speziell für das Gebiet um Bihać gebeten und Zagreb habe diese Notwendigkeit akzeptiert. Zeitgenössisch erklärte der ehemalige jugoslawische General Karl Gorinšek,48 dass Tudjman verstanden habe, dass er die Bosniaken bräuchte, da sonst Milošević seine Pläne umsetzen werde. Der Vertrag könne die »balance of forces on the ground« verändern.49 Mit diesen Überlieferungen stimmt überein, dass Ahrens berichtet, dass er Ende Juli 1995 vom deutschen Botschafter in Zagreb, Horst Weisel, erfahren habe, dass »no power on earth would restrain Tudjman from attacking sectors North and South militarily in the near future«.50 Ahrens berichtet ferner von den letzten dramatischen Versuchen angesichts dieser Warnungen doch noch den »Z-4Plan« durchzusetzen. So habe sich Galbraith noch am 2. August mit Babić, dem »Präsidenten« der RSK, getroffen und diesen überzeugt, am 3. August einem Treffen mit Vertretern Kroatiens zuzustimmen. Dieses Treffen habe auch zwischen den Generalen Mile Novaković (dem Stabschef des SVK) und dem Kroaten Ivić Pašalić stattgefunden. Fälschlicherweise bezeichnet Ahrens Pašalić als »im Rang niederen General«. Der zu diesem Zeitpunkt 35  Jahre alte Pašalić war indes Arzt und fungierte als Generalsekretär der HDZ und Tudjmans innenpolitischer Berater – dies erklärt auch seine Expertise für die Krajina, die ja von Tudjman als innere Angelegenheit gesehen wurde. Pašalić 47

48

49 50

20 Jahre Völkermord in Srebrenica – Die verdrängte Wahrheit über den Bosnienkrieg. Vorlesung von Jasmina Prpić und Christian Schwarz-Schilling, gehalten in der Offene Akademie Gelsenkirchen am 28.8.2015. Ich danke Herrn Prof. Dr. Schwarz-Schilling für die freundliche Überlassung des Manuskripts. Die Vorlesung ist auch abgedruckt im entsprechenden Tagungsband der Offenen Akademie, Das Zitat folgt dem Manuskript. Der kroatische General slowenischer Herkunft Karl Gorinšek (*1943), der als ehemaliger Lehrgangskamerad Ratko Mladićs galt, war ein gefragter Militärexperte für den Jugoslawienkrieg in den 1990er Jahren. Gorinšek ordnete als Kommandeur der Operationszone Osijek am 3.  April 1992 eigenmächtig den als Operacija Baranja bekannten Angriff der 107. HV-Brigade an, die noch am selben Tag von Präsident Tudjman gestoppt wurde. Die genauen Hintergründe des Halte- und Rückzugbefehls sind bis heute unklar. Jelena Lovrić, VREME: Croat Bosnian Agreement: Reluctant Allies. In: Transitions Online vom 31.7.1995. Ahrens, Diplomacy on the Edge, S. 171.

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II. Krieg und Friedensoperationen

habe Novaković einen »7-Punkte-Plan« vorgelegt, mit dem zentralen Punkt der Abgabe aller Waffen der SVK, wofür den Serben der Krajina alle Rechte zugesprochen würden.51 Zu einer Entwaffnung der SVK war Novaković aber auch am Tag vor dem Angriffsbeginn der »Operation Sturm« nicht bereit. Die genauen Hintergründe sind unklar: Bemerkenswert ist, dass noch am 5. Mai 1995 die serbische Seite – der Botschafter Belgrads bei der UN in Genf Vladimir Pavičević – bei den Beratungen des »Z-4-Plans« erklärte hatte, dass Belgrad im Falle eines kroatischen Angriffs auf die Krajina intervenieren werde. Die Krajina habe drei Verteidigungslinien: Die SVK, die VRS und die JVA.52 Ob es diplomatische oder machtpolitische Schritte oder aber begrenzte militärische Möglichkeiten Belgrads gewesen sind, die die »dritte Verteidigungslinie« der RSK außer Kraft gesetzt haben, müssen zukünftige historische Forschungen erst noch zeigen. Die spätere Einlassung des in Genf über die Jugoslawienkonferenz berichtenden NATO-kritischen Journalisten Andreas Zumach, die Kontaktgruppe habe mit Milošević vereinbart, dass Serbien auf die »Operation Sturm« nicht militärisch reagiere, ist nicht belegt. Sie steht aber auch unwiderlegt im Raum.53 Doch kann auf dem heutigen Forschungsstand bereits festgestellt werden, dass die Deklaration von Split auf diplomatischer Ebene den »game changer« dargestellt hat, der sich auf militärischer Ebene in der »Operation Sturm« materialisieren sollte. Zumindest bereitete die durch »Sturm« geschaffene neue strategische Situation – der Fall der »ersten serbischen Linie« in Kroatien – den Weg für den Kompromiss von Dayton.

c) Das Dayton-Abkommen und seine Implementierung Nach dem Beschuss Sarajevos durch die VRS machten die UN und die NATO ultimativ deutlich, dass die Luftangriffe auf die VRS erst eingestellt werden, wenn (1) die Angriffe auf die Schutzzonen eingestellt sind, (2) die schweren Waffen aus einer 20  km Ausschlusszone um Sarajevo geräumt werden und (3) die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit von UN und Hilfsorganisationen einschließlich der Nutzung des Flughafens Butmir gewährleistet sind. Am 7. September 1995 trug, nachdem die NATO inzwischen über 1600 Lufteinsätze gegen die VRS in Bosnien-Herzegowina geflogen hatte, Verteidigungsminister Volker Rühe dem Verteidigungsausschuss vor, dass »entschlossenes Handeln im politischen Prozess und mit militärischen Mitteln schon jetzt die Lage in

51 52 53

Ebd. Ebd. Zumach, Dayton – kein Synonym für Frieden, S. 11. Auch wenn das von Zumach prophezeite Scheitern der NATO nicht eingetreten ist, ist der Beitrag im Organ der renommierten Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen – trotz des polemisierenden Untertons – durchaus von Sachkenntnis geprägt und als Zeitzeugnis daher lesenswert.

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Sarajevo stabilisiert und dem Frieden eine realistische Chance gegeben habe.« Nun sei »[...] auch Deutschland politisch und militärisch gefordert.«54 Am 14.  September trat der Waffenstillstand für Sarajevo in Kraft, am 12.  Oktober 1995 stellten die Konfliktparteien die Kampfhandlungen in ganz Bosnien-Herzegowina ein (36.  Waffenstillstand). Diesem letzten Waffenstillstand gingen erfolgreiche bosniakisch-kroatische Angriffe auf Donje Vakuf, Jajce und Mrkonjič Grad mit dem Angriffsziel Banja Luka voraus. In den letzten Kriegstagen waren vor allem auch Prijedor und Sanski Most hart zwischen der ARBiH und der VRS umkämpft. Während die ARBiH diese beiden Städte einnahm und etwa 40 000 Serben von dort vertrieben wurden, konnte die VRS Banja Luka halten und vertrieb ihrerseits buchstäblich in den letzten Stunden die letzten dort verbliebenen Kroaten und Bosniaken. Goražde blieb eine »Insel« innerhalb der Serbengebiete mit etwa 60 000 teils hochtraumatisierten Flüchtlingen aus Žepa, Srebrenica und dem Umland.55 Mit dem 36.  Waffenstillstand stellte sich die geografische Verteilung der Volksgruppen – nach zahlreichen »ethnischen Säuberungen« – in etwa so dar, wie dies die Einteilung der »Entitäten« des Vertrags von Dayton am 14. Dezember 1995 in Paris festschreiben sollte. Die Lage im ethnisch-territorialen Konflikt in Bosnien-Herzegowina wurde also nicht durch Dayton verändert, sondern der militärisch erreichte Status quo vielmehr zementiert. Der »Kompromiss von Dayton« war zu einem Zeitpunkt möglich, als den Serben drohte, durch verlustreiche militärische Operationen im Territorialproporz der Aufteilung Bosnien-Herzegowinas schlechter abzuschneiden, als dies das bisher abgelehnte, seit Sommer gültige Angebot der Kontaktgruppe eines Verhältnisses RS zur Föderation von 49:51 versprach. Ob dieses Ergebnis – auch, wenn es hart verhandelt worden war – wirklich einen diplomatischen Erfolg darstellte, ist fraglich. Vielmehr war diese Situation (1) durch die Verteidigungsunfähigkeit der UN in den von der VRS angegriffenen »safe areas« und (2) durch die erst unter dem militärischen Schutz der NATO zur Luft möglichen Gebietsgewinnen der »combined« Operationen der HV, HVO und der ARBiH zu Land herbeigeführt worden. Der »diplomatische Erfolg« lag im Ermöglichen dieses Schulterschlusses angesichts eines drohenden militärischen Zusammenbruchs der Republik Bosnien-Herzegowina. Dieser hätte für Kroatien die Festigung der dann mit Serbien verbundenen RSK und somit eine Gefahr für die eigene Selbständigkeit und territoriale Integrität bedeutet. Die bis Oktober 1995 entstandenen (zumindest in Bezug auf die serbische Volksgruppe) weitestgehend ethnisch homogenen Gebiete bestimmten die Karte von Dayton. In der zynischen Praxis bedeutete dies, dass die Binnenvertreibung von etwa 200 000 Menschen im Jahr 1995 den Weg zum Friedensschluss bereitet hatte. Diese Zusammenhänge erklären die bereits 1995 geäußerte und bis heute anhaltende Kritik am Vertrag von Dayton: Während die Bosniaken sowie 54 55

Zitat nach: Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 69. Keßelring/Lützelberger, Chronik der militärischen Operationen, S. 199.

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Vertreter der bosnisch-herzegowinischen Gesamtstaatlichkeit aller Ethnien in der Etablierung der RS als starke Entität mit dem Recht sich »außenpolitisch« an Belgrad anzulehnen die Souveränität Bosnien-Herzegowinas gefährdet sahen, fühlten sich viele Kroaten durch die NATO-Präsenz und Dayton gewissermaßen um den bereits greifbaren Sieg betrogen. Besonders aber Izetbegović stand nach Srebrenica und Žepa angesichts der prekären Lage in Goražde unter politischem Druck einen Frieden – letztlich unter welchen Bedingungen auch immer – zustande zu bringen, der der physischen Vernichtung der Bosniaken ein Ende bereitete. Daneben mussten die Serben in der RS von ihren ursprünglichen Zielen abgehen und sahen sich durch die jüngsten Vertreibungen aus der kroatischen Krajina sowie aus Prijedor und Sanski Most in Bosnien-Herzegowina ebenso in der Opferrolle wie sie sich durch die Politik Belgrads betrogen sahen. Daher ist daran zu erinnern, dass bei den Verhandlungen von Dayton keineswegs überhaupt mit dem Zustandekommen eines Friedensvertrags gerechnet werden konnte. Auch war es alles andere als selbstverständlich, dass ausgerechnet der 36. Waffenstillstand halten würde. Bereits 35 zuvor verhandelte Waffenstillstände hatten schließlich nicht zum Frieden geführt. Gastgeber der am 31.  Oktober 1995 auf der Wright-Patterson Air Force Base in Dayton (US-Bundesstaat Ohio) beginnenden Friedensgespräche war der US-Vermittler Richard Holbrooke. Die Kriegsparteien wurden durch die Präsidenten Milošević (Serbien), Izetbegović (Bosnien-Herzegowina) und Tudjman (Kroatien) vertreten. Neben dem Bosnien-Beauftragten der EU, dem ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Carl Bildt56, kamen Vertreter Russlands und der EU-Kontaktgruppe, bestehend aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, hinzu. Während die »internationale Gemeinschaft« durchaus folgerichtig durch die »Kontaktgruppe« sowie zusätzlich durch die EU in Form ihres Bosnienbeauftragten vertreten war, gilt es die Zusammensetzung der Vertreter »des Balkans« genauer zu betrachten: Zugeständnisse waren in erster Linie von der Regierung der RS, also von Karadžić, nötig. Dieser war indes in Dayton gar nicht anwesend. Der einfache, formale Grund war, dass er sich seit Juli unter Anklage als Kriegsverbrecher durch den ICTY befand.57 Entsprechend hätte er bei einem Auftreten auf der Konferenz von Dayton festgenommen werden oder aber freies Geleit zugesprochen bekommen müssen. Beides erschien, wenn beabsichtigt war, den Krieg zu beenden, nicht zielführend. Die RS wurde daher von Milošević mitvertreten, der zugleich als Vertreter (Rest-)Jugoslawiens bzw. Serbiens agierte. Die RSK war nicht vertreten, da diese, außerhalb BosnienHerzegowinas gelegen, faktisch nicht mehr existierte. Somit wurden »die Serben« von Milošević vertreten. Dadurch, dass die RS nicht als eigener ParaStaat mitverhandelte, war das Ergebnis bereits präjudiziert. Letztlich verhan56 57

Carl Bildt (*1949), schwedischer Ministerpräsident 1991‑1994, 14.12.1995‑18.6.1997 Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. ICTY, IT-95-5-I (Radovan Karadžić, Ratko Mladić), Indictment, The Prosecutor of the Tribunal against Radovan Karadzic, Ratko Mladic Juli 1995.

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delten nicht verfeindete Bürgerkriegsparteien Bosnien-Herzegowinas, sondern die in den Krieg involvierten Nachbarstaaten Kroatien – das sich mehr oder weniger auch als Anwalt der Kroaten in der Herzegowina verstand – und (Rest-)Jugoslawien mit dem Vertreter Bosnien-Herzegowinas bzw. der Bosniaken (Muslime) über die Zukunft dieses Staates. Es wurde also über die Kriegsparteien in Bosnien-Herzegowina, nicht zwischen diesen verhandelt. Diese Zusammensetzung der Konferenzteilnehmer erklärt sich aber auch aus dem tieferen Wesen des Bosnien-Krieges als Stellvertreterkrieg zwischen Kroatien und dem primär nur noch aus Serbien bestehenden Jugoslawien. So wie der Krieg mit der Etablierung von serbischen Satellitenrepubliken, den SAOs, von Belgrad ausgehend begonnen hatte, so war er auch nur durch Druck auf oder Zugeständnisse an Milošević zu beenden. Auch wenn die Konferenz sich nominell auf Bosnien-Herzegowina beschränkte, sie war doch eine »Balkan-Konferenz« mit dem Ziel, eine Einigung zwischen Kroatien und Serbien sowie Bosnien-Herzegowina und Kroatien herbeizuführen. Bezogen auf die Ergebnisse für Bosnien-Herzegowina bedeutete dies, dass das Interesse, dort einen funktionierenden und lebensfähigen Staat zu schaffen, dem als übergeordnet angesehenen Interesse der kroatisch-serbischen Einigung unter Schaffung eines »Pufferstaates« untergeordnet wurde. Während der »Dayton-Verhandlungen« fanden nach dem Plenum des ersten Tages keine direkten Gespräche zwischen den Parteien statt. Vielmehr befanden diese sich in verschiedenen Flügeln, wo abwechselnd in einer Art räumlich nahen Pendeldiplomatie einzeln mit den Präsidenten gesprochen wurde.58 Milošević verhandelte dabei über das Schicksal der RS, wobei er die wesentlichen Punkte offenbar nicht mit deren Vertretern absprach. Die Zustimmung der Vertreter der RS wurde daher, erst nachdem der Vertrag von Dayton bereits formuliert war, durch eine amerikanische Delegation in Pale erwirkt. Es ist nicht bekannt, welche Drohungen oder welche Versprechungen hierbei auf Karadžić und Mladić gewirkt haben.59 In späteren Jahren bildete sich eine Art Verschwörungstheorie mit dem Inhalt, es habe einen »Deal« zwischen Holbrooke und Karadžić gegeben, dass dieser nicht festgenommen werde. Diese Theorie wurde insbesondere von der Karadžić-Familie vertreten und spielte im Jahr 2009 in der Verteidigungsstrategie des Karadžić-Anwalts Peter Robertson eine gewisse Rolle. Dieser teilte mit, es habe eine »mündliche Abmachung« gegeben. Aber sowohl Clinton als auch Holbrooke haben der Darstellung, es habe 1995 oder 1996 einen »Holbrooke-Karadžić-Deal« gegeben, stets widersprochen (Clinton wörtlich auf Nachfrage von CNN58

59

So die Erinnerung des in Dayton anwesenden deutschen Diplomaten Christian Clages (*1955): »Von da ab wurden es ›Proximity Talks‹ im Sinne des Wortes. Verhandler, die zwischen den Parteien hin und her pendelten. Plenarsitzungen gab es nicht mehr. Das Entscheidende lief in bilateralen Gesprächen ab.« Der lange Weg zum DaytonAbkommen. In: »Amtgeschichten« auf der Website des Auswärtigen Amts. Clages war 1992‑1995 Leiter des Büros der deutschen humanitären Hilfe (Zagreb) und 1996‑1998 enger Mitarbeiter des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Carl Bildt. Szasz, The Dayton Accord, S. 763.

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Korrespondent Nick Hawton: »certainly not«, Holbrooke wörtlich: »C-R-A-P, Crap!«). Hawton hielt im Jahr 2009 einen mündlichen »deal over a glass of whiskey« für möglich und auch wahrscheinlich. Charles Crawford, britischer Botschafter in Sarajevo in den Jahren 1996‑1998, widersprach dieser Ansicht, räumte aber ein, dass es in den ersten Jahren nach Dayton kein besonderes Interesse an einer Festnahme Karadžićs gegeben habe, da dieser als Garant für die Kooperationswilligkeit der bosnischen Serben fungiert habe. Einen »Deal« im Sinne einer juristisch gültigen Nebenabrede zum Vertrag von Dayton schloss er jedoch ebenfalls aus.60 Wie es mit diesem Problem auch bestellt sein mag, fest steht, dass der Inhalt des »Abkommens von Dayton« aus weit mehr als lediglich dem Vertragstext selbst bestand. Der deutsche Diplomat Christian Clages (in Dayton anwesend und später Mitarbeiter des AA im Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina) erklärte hierzu: »Alle die dort waren hatten – aus durchaus unterschiedlichen Gründen – daran Interesse, zu einem Friedensschluss zu kommen. Milošević, der die Sanktionen gegen Serbien aufgehoben haben wollte. Tudjman aus Zagreb, der sich eine Lösung der Ostslawonien-Frage erhoffte, die in Dayton auch erreicht wurde. Izetbegović, der sich darüber klar war, dass es mit einem weiteren Fortgang des Krieges immer schwieriger werden würde, das Land und seine Menschen wieder zusammenzubringen und die Wunden heilen zu lassen.«61 Den eigentlichen Verhandlungen über Bosnien-Herzegowina waren die »proximity talks« (Annäherungsgespräche) vorgeschaltet. Diese liefen bilateral ab und schafften erst die Bedingungen, auf die aufbauend die teilnehmenden Staaten bereit waren, untereinander über einen Frieden zu verhandeln. Die bilateralen serbisch-kroatischen (indirekten) Gespräche hatten das unter dem Sammelbegriff »Ostslawonien« bezeichnete Territorium BaranjaOstslawonien-Westsyrmien – das Gebiet der im Februar 1992 der SAO Krajina beigetretenen SAO SBWS – zum Gegenstand. Nach kroatischer Lesart sollte dieses letzte von einem serbischen Para-Staat beanspruchte und faktisch verwaltete Gebiet eine »Wiedereingliederung« in den kroatischen Staat erfahren. Die Wiedereingliederung Ostslawoniens war für Tudjman eine Vorbedingung 60

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Interview BBC im Frontline Club, London (Allan Little): Insight with Nick Hawton, The Quest for Radovan Karadzic vom 3.6.2009; (Video abrufbar unter , daraus die Zitate) sowie Charles Crawford: More On Karadzic: Why Not Arrested Much Earlier? vom 4.6.2009, . Die Antwort Crawfords als Reaktion auf die Erklärung von Hawton veröffentlichte dieser auf seiner eigenen Website . Der britische Diplomat Charles Crawford (*1954) war 1996‑1998 Botschafter in Sarajevo und 2001‑2003 Botschafter in Belgrad. Das Werk des BBC-Korrespondenten in Sarajevo und Belgrad (2002‑2008) beschreibt den langen Weg bis zur Festnahme Karadžićs. Von einem historischen Standpunkt handelt es sich aufgrund der Vielzahl der Gespräche, die der BBC-Korrespondent etwa mit der Karadžić-Familie geführt hat, um eine interessante Quellensammlung, die Einblicke in die Geisteswelt in der RS bietet: Hawton, The Quest for Radovan Karadzic. Der lange Weg zum Dayton-Abkommen. In: »Amtgeschichten« auf der Website des Auswärtigen Amts.

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für Gesprächsbereitschaft in Bezug auf Bosnien-Herzegowina.62 Gleichzeitig stand die HV bereit, einen Angriff auf Ostslawonien durchzuführen. Eine militärische Lösung scheint aber für Tudjman lediglich die ultima ratio gewesen zu sein. Auf der anderen Seite war auch für Milošević angesichts seiner wirtschaftlich und militärisch geschwächten Lage die (aus kroatischer Sicht) Verteidigung Ostslawoniens – faktisch dessen Rückeroberung – keine Option mehr: Die Präsidenten Kroatiens und Serbiens benötigten beide den Verhandlungserfolg in Dayton für ihr politisches Überleben. Somit wirkte Milošević letztendlich auf die Reste des serbischen Para-Staates in Ostslawonien ein, in Verhandlungen mit den kroatischen Behörden einzutreten. Gleichzeitig kursierten in Ostslawonien Gerüchte über einen Einmarsch der HV nach dem Muster der »Operation Sturm« gegen die RSK.63 Das Ergebnis des in Dayton zwischen Milošević und Tudjman erzielten Übereinkommens in der »Ostslawonienfrage« basierte auf einem durch Thorvald Stoltenberg und Peter Galbraith am 3.  Oktober 1995 verhandelten Entwurf. Wohl aus verhandlungstaktischen Gründen hatte Milošević die in Erdut – 37  km ostwärts von Osijek an der Donau und damit an der Grenze zu Serbien – befindlichen Reste der »Regierung« der RSK nicht autorisiert, das ursprüngliche Dokument anzunehmen. Am 12. November 1995 ließen Stoltenberg und Galbraith das »Basic agreement on the region of Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium«64 durch Milan Milanović in Erdut unterzeichnen – seitdem ist dies als »Abkommen von Erdut« bekannt. Anschließend wurde das Dokument nach Zagreb gebracht und dort für die kroatische Seite von Hrvoje Šarinić65 unterzeichnet.66 Das Abkommen von Erdut ermöglichte die weiteren Verhandlungen in Dayton. Es scheint aber, dass das seitens der HVO noch kurz vor Dayton eroberte Gebiet um Mrkonjić Grad in BosnienHerzegowina – als einziges Gebiet, dass der RS zugeschlagen wurde, obwohl es sich nicht unter der faktischen Kontrolle der VRS befand – gewissermaßen den territorialen »Preis« für die serbischen Verluste in Ostslawonien und den Grund für die Verzögerung der ursprünglichen Einigung vom 3. Oktober 1995 durch Milošević darstellte. Zumindest suggeriert dies die Chronologie der Ereignisse. Für Ostslawonien bedeutete das Abkommen von Erdut die Einführung einer auf ein Jahr angelegten67 (und später um ein weiteres Jahr

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Almond, Dayton und die Neugestaltung Bosnien-Herzegowinas, S. 441. Vesna Škare-Ožbolt, Peaceful Reintegration of Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium. In: Ina Vukić – Croatia, the War and the Future vom 19.1.2013. Vesna ŠkareOžbolt war kroatische Justizministerin (2003‑2006), Präsidentin des »Demokratischen Zentrums« (2003‑2015) und juristische Beraterin Tudjmans. Sie verhandelte die »friedliche Integration Ostslawoniens« in Kroatien. Text des Vertrags als UN-Dokument S/1995/951. Hrvoje Šarinić (*1935) war 1992 bis 1993 kroatischer Premierminister und gehörte zum inneren Kreis um Tudjman. Er wurde häufig mit den unpopulären Verhandlungen mit Milošević beauftragt. Bing, Sjedinjene Američke Države; Galbraith, Negotiating peace in Croatia. UN/SC 1025 vom 30.11.1995.

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verlängerten68) UN-Übergangsverwaltung: die »United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium« (UNTAES) ab dem 15. Januar 1996. UNTAES bestand aus einer zivilen und einer militärischen Komponente.69 Wesentliche Bestandteile des zivilen Teiles von UNTAES waren eine vorläufige Polizeitruppe (UN Police Support Group, UNPSG) und Elemente einer Lokalverwaltung. UNTAES führte Wahlen durch und war für die Durchführung der Flüchtlingsrückkehr verantwortlich.70 Das Abkommen von Erdut erwähnte aber im Gegensatz zu dem Vorschlag vom 3. Oktober 1995 nur die kroatischen Binnenflüchtlinge und nicht mehr die in andere Staaten, Bosnien-Herzegowina und Serbien Geflohenen. Das bedeutete in der Praxis, dass es Kroaten gegenüber Serben – die meist in die RS oder in die Vojvodina geflohen waren – bevorzugte.71 Militärische Hauptaufgaben von UNTAES waren die Demilitarisierung der Region und die Kontrolle der freiwilligen Flüchtlingsrückkehr in enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR.72 Als »Chief of Mission« von UNTAES wurde der amerikanische Diplomat und Generalmajor Jacques Paul Klein, als Force Commander der belgische Generalmajor Jozef Schoups eingesetzt. Die militärische Komponente sollte bis zu 5000 Soldaten als Kampftruppen und 100 Militärbeobachter betragen,73 um ca. 12 000 Soldaten der SVK einschließlich der berüchtigten paramilitärischen »Scorpions«, welche die Ölfelder bei Djeletovci kontrollierten, zu entwaffnen: Etwa 120 Panzer, 120 Geschütze und 140  Mörser galt es ebenso unter Kontrolle zu bringen wie die entsprechenden Mengen an Maschinen-, Sturmgewehren und anderen leichten Waffen. Seitens der UN befanden sich vor Ort bereits 1600 belgische und russische UN-Soldaten. Diese wurden bis April 1996 durch weitere 3300 Soldaten u.a. durch mit M  60 und T-95 ausgerüstete Panzertruppen aus Jordanien und Pakistan sowie Kampfhubschrauber aus der Ukraine, ein tschechisches Feldlazarett und argentinische Panzeraufklärer verstärkt. Die hierfür notwendigen kurzfristig benötigten Transportkapazitäten stellte die NATO. Die Bundesrepublik Deutschland war an UNTAES nicht direkt beteiligt. 68

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UN/SC 1079 vom 15.11.1996 verlängerte das ursprünglich auf ein Jahr angelegte Mandat um sechs Monate. UN/SC 1120 vom 14.7.1997 verlängerte das Mandat um ein weiteres halbes Jahr. In Dayton hatte es insbesondere über die Länge der Übergangsphase (transition) Meinungsverschiedenheiten zwischen Serbien (zwei Jahre) und Kroatien (ein Jahr) gegeben. Der Kompromiss sah so aus, dass die Übergangsphase auf ein Jahr befristet wurde mit der Option auf Verlängerung im Falle beiderseitigen Einverständnisses. Zu UNTAES siehe: Coleiro, Bringing Peace to the Land of Scorpions and Jumping Snakes; Schöndorf, Against the odds; Tenhio, 1996‑1998 – onnistunut kriisinhallintaoperaatio? Department of Public Information, United Nations: Croatia – UNTAES vom 21.10.1997. Galbraith, Negotiating peace in Croatia, S. 128. Department of Public Information, United Nations: Croatia – UNTAES vom 21.10.1997. Ursprünglich waren Kampftruppen in Stärke von 9300 Soldaten vorgesehen gewesen. Am 26.1.1996 wurde diese Planstärke aber auf 5000 Soldaten heruntergesetzt und dafür um ein zusätzliches Militärbeobachterkontingent von 100  Soldaten ergänzt, um so dennoch eine Präsenz in der Fläche zu erreichen. UN Secretary General, S/1996/66, January 26, 1996. Letter dated 26 January 1996 from the Secretary General addressed to the President of the Security Council.

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Allerdings hatten die UN UNTAES und IFOR zur Zusammenarbeit aufgefordert. Der NATO-Rat beschloss Unterstützungsleistungen am 26.  Januar 1996. Entsprechend sah das Bundeskabinett am 7. Februar 1996 vor, »mit den im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina (IFOR) eingesetzten ECR- und Aufklärungs-Tornado auf Anforderung zur Verteidigung von UNTAES [...] durch Luftnahunterstützung beizutragen und einen Notfallabzug von UNTAES zu unterstützen. Zudem [würden] die erforderlichen und bereits in IFOR eingesetzten Kräfte für medizinische Evakuierung (MEDEVAC) bereitgestellt.«74 Analog zu dem mit IFOR beendeten Einsatz der Luftwaffe zur Unterstützung der RRF mit 14  Tornados – also die Bereitstellung der Fähigkeit von Close Air Support (CAS) für den Fall eines Angriffs auf die RRF – erhielt die Luftwaffe nun den Auftrag zur Unterstützung der UNTAES.75 Auch wenn dieser deutsche Beitrag nicht sichtbar war, so bedeutete er doch eine wichtige Rückversicherung für UNTAES. Die massive »show of force« bei UNTAES führte dazu, dass die auf 30 Tage angesetzte Entwaffnung der VSK recht reibungslos durchgeführt werden konnte. Nachdem am 20.  Mai 1996 der militärische Teil von UNTAES voll aufgestellt und einsatzbereit vor Ort war, begann am Folgetag der Demilitarisierungsprozess. Am 26. Juni 1996 wurde die Demilitarisierung für abgeschlossen erklärt. 93  Kampfpanzer, 11  APC, 35  Panzerabwehrsysteme, 107  Artilleriegeschütze, 123  Mörser und 42  Flugabwehrgeschütze wurden sichergestellt und durch UNTAES der Zerstörung zugeführt.76 UNTAES gilt damit im Gegensatz zu den Katastrophen von Srebrenica und Žepa, auf welche UNPROFOR nicht ausreichend dezidiert zu reagieren in der Lage gewesen war, als Positivbeispiel für einen geglückten UN-Einsatz. Als besondere Herausforderung in Ostslawonien erwies sich die Bewaffnung der nun zu Zivilisten werdenden männlichen Bevölkerung mit Handwaffen von Pistolen über Sturmgewehre bis hin zu Maschinengewehren, Granatwerfern und sogar Mörsern. Ab Oktober 1996 initiierte UNTAES ein in Kroatien nicht unumstrittenes »Waffenrückkaufprogramm«, wobei der kroatische Staat für abgelieferte Waffen in Deutscher Mark – beispielsweise 150 DM pro Panzerfaust – bezahlte. In den ersten zwei Wochen wurden allein 2334 leichte Panzerfäuste abgegeben.77 Als glücklich erwies sich offenbar auch die Personalauswahl der UNTAES-Führung – General Klein, der als geborener Elsässer mit nahezu deutschem Akzent Amerikanisch sprechend, dennoch die US-Macht verkörperte, hatte offensichtlich ein gutes Gespür für Nationalitätenkonflikte: Die unkonventionelle Entscheidung, die Demilitarisierung der Zivilbevölkerung durch die kroatischen Behörden, aber nicht durch neue, Animositäten schürende Razzien und Einschüchterung, sondern durch Belohnung durchzufüh74 75 76 77

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3708 vom 7.2.1996. Rüdiger Moniac, Balkan-Einsatz wird erweitert. In: Die Welt vom 7.2.1997. Zahlen nach: Department of Public Information, United Nations: Croatia – UNTAES vom 21.10.1997. Derek Boothby, The UNTAES Experience. Derek Boothby war Deputy Transitional Administrator of UNTAES in der Zeit von Februar 1996 bis März 1997.

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ren, scheint aus heutiger Perspektive unter dem Strich aufgegangen zu sein. Dennoch stellt sich die Frage, wieso dieses beherzte Eingreifen der »internationalen Gemeinschaft« vier Jahre lang auf sich hatte warten lassen müssen. Die bilateralen bosniakisch-kroatischen Gespräche über das Föderationsabkommen bildeten neben der serbisch-kroatischen Slawonienfrage ein wichtiges Feld der »proximity talks«. Es wurde den deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger und Michael Steiner überlassen, den Prozess einer Ausgestaltung der bosniakisch-kroatischen Föderation und das Statut für die Stadt Mostar zu moderieren. Ischinger, ehemaliger persönliche Referent Genschers, war zu diesem Zeitpunkt Chef des Planungsstabs im Auswärtigen Amt. Steiner sollte erster Stellvertreter des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina, Bildt, werden. Das Ergebnis der Verhandlungen war ein zehn Seiten langer Text, der bereits eine Einigung »über die Verteilung von Kompetenzen zwischen Zentralregierung und Föderation [...] und damit ein wesentliches Element der Verfassung«78 Bosnien-Herzegowinas vorwegnahm. Am 10. November 1995 wurde das Föderationsabkommen in Dayton unterzeichnet. Es bedeutete gemeinsam mit dem zwei Tage zuvor unterzeichneten Abkommen von Erdut den ersten Durchbruch der Verhandlungen von Dayton. So wichtig dieser Schritt für den Friedensprozess auch gewesen ist, er sollte in der Zukunft auch die Schwäche des Zentralstaats in BosnienHerzegowina bestimmen. Bezogen auf die zwischen Bosniaken und Kroaten entlang der Neretva gespaltene Stadt Mostar erwies sich die Übereinkunft über die Übergangsverwaltung bald als »Papiertiger«. Die EU-Administration scheiterte nur kurze Zeit nach Dayton an der mangelnden Exekutivgewalt Koschnicks. Die ihm zur Verfügung stehenden dort eingesetzten 170 Polizisten der WEU waren unbewaffnet und trafen teilweise erst nach 18 Monaten, also kurz vor Ende der Mission Koschnicks, in Mostar ein. Nachdem bereits in der Nacht zum 11. September 1994 kroatische Freischärler mit einer Panzerfaust in das Schlafzimmer des EU-Administrators geschossen hatten, versuchte am 7. Februar 1996 eine Gruppe von über hundert, durch den Bürgermeister des Westteils der Stadt aufgehetzten Kroaten Koschnick in seinem gepanzerten Dienstfahrzeug anzugreifen. Am Fahrzeug wurden später sieben Einschüsse festgestellt, die lokale kroatische Polizei griff nicht ein79. Nach diesen zwei Mordanschlägen auf seine Person trat Koschnick schließlich 1996 zurück.80 78 79

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Der lange Weg zum Dayton-Abkommen. In: »Amtgeschichten«, Website des Auswärtigen Amts. Die Geschehnisse vom 7.2.1996 in Mostar wurden live im Fernsehen übertragen. Siehe das Interview mit Koschnick in der Bild-Zeitung: So überlebte ich zwei Attentate in Mostar. In: Bild vom 28.3.2009; Jagt den Deutschen davon. In: Der Spiegel 7/1996 vom 12.2.1996, S. 124 f.; Als Triumphator zieht Koschnick aus Mostar ab. In: Die Welt vom 29.2.1996; Trotz dieses Titels, in dem versucht wurde, den Abzug Koschnicks herunterzuspielen, sind die Zusammenhänge zwischen den Vorfällen vom 7.2.1996 und dem Rücktritt im gleichen Monat eindeutig. Letztlich verlor Koschnick die Kraftprobe mit dem (kroatischen) Bürgermeister des westlichen Teils der Stadt, Mijo Brajković. Seidt, Führung in der Krise?, S. 49. Der Diplomat Dr. Hans-Ulrich Seidt (*1952) war von 1994 bis 1997 stellvertretender Leiter des Sonderstabes Bosnien im Auswärtigen Amt.

3. Dayton und die Implementation Force

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Etwa ein Jahr später fanden im (kroatischen) Westteil der Stadt unter den Augen von SFOR und IPTF Schießereien statt, Bosniaken wurden vertrieben und die Telefonleitungen zwischen den Stadtteilen gekappt. Zwar gelang es IPTF und SFOR am 12. Februar 1997, die Vertriebenen wieder zurückzuführen, doch zeigte sich erneut die nach wie vor feindliche Haltung der lokalen (bosnisch-)kroatischen Polizei.81 Nachdem sich in Dayton auf vertragliche Lösungen für Ostslawonien und Mostar geeinigt werden konnte, zogen sich die Verhandlungen noch neun Tage hin. Besondere Schwierigkeiten bereitete die territoriale Festlegung der neuen Karte Bosnien-Herzegowinas, wobei insbesondere der Verteilungsschlüssel 51:49 zwischen Föderation und RS, die Ausdehnung des Korridors zur Verbindung der Föderation mit Goražde und der Status der Stadt Brčko umstritten waren.82 Der Korridor vom Westen nach Goražde wurde schließlich mit einer Breite von vier Kilometern festgelegt.83 Während die Bosniaken einen breiteren Korridor forderten, da sie eine Unterbrechung des schmalen Streifens durch die Serben befürchteten, hätte eine Erweiterung des Korridors in der Praxis weitere Umsiedlungen – diesmal von Serben – zur Folge gehabt.84 Später sollte IFOR eine Straße in den Korridor bauen. An der Frage nach der territorialen Zuordnung von Brčko drohten zuletzt noch die Dayton-Verhandlungen zu scheitern. Dort verband der Posavina-Korridor, der an seiner schmalsten Stelle nur vier Kilometer breit war, die nördliche RS in Nordbosnien mit Banja Luka mit der östlichen RS in Ostbosnien mit Pale und schaffte somit die Verbindung nach Serbien. Für die Föderation stellte die 439  Quadratkilometer umfassende Brčko-Region aber die Verbindung zum Verkehrsweg Save-Donau dar. Die in Dayton vereinbarte territoriale Quote 51:49 schloss implizit Brčko als Teil der RS ein. Die ethnischen Säuberungen des Jahres 1992 ließen andererseits die Föderation auf dem geforderten Zuschlag dieser ehemals muslimisch dominierten Stadt beharren. Die »Daytoner Lösung« lautete, die Frage auszuklammern und binnen Jahresfrist durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen.85 Die Entscheidung des Schiedsgerichts unter dem amerikanischen Juristen und Diplomaten Roberts B. Owen86 (nicht zu verwechseln mit dem britischen EU-Balkanbeauftragten David Owen) wurde indes erst auf Sommer 1997, dann auf Frühjahr 1998 verschoben, um dann endlich am 5.  März 1999 zu fallen. Brčko gehört seitdem organisatorisch zu keiner der Entitäten, sondern steht unter Selbstverwaltung im Rahmen des Zentralstaats.87 Am 21. November 1995 aber meldeten die deut81 82 83 84 85 86 87

International Crisis Group (ICG): Grave Situation in Mostar. Robust Response Required. ICG Bosnia Report No. 19 vom 13.2.1997. Holbrooke, To End a War, S. 418. Christ, Bevölkerungsumsiedlungen, S. 68. Chris Hedges, Bosnia Enclave Lookes Ahead Warily. In: New York Times vom 24.11.1995. Boris Kalnoky, Brcko – die Falle für den Frieden in Bosnien. In: Die Welt vom 25.7.1996. Roberts B. Owen (1926‑2016), Legal Adviser of the Department of State 1979‑1981. Moore, Peacebuilding in Practice, S. 137 f.; Farrand, Reconstruction and Peace Building in the Balkans.

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II. Krieg und Friedensoperationen

schen Diplomaten nach Bonn: »Nach dramatischen Schlussverhandlungen zur Karte, in denen am Ende nur noch Brčko offen war und viele bereits aufgeben wollten, ist heute früh, wie telefonisch vorab mitgeteilt, doch noch der Durchbruch gelungen.«88 Am 21.  November 1995 wurde der Vertrag von Dayton dortselbst paraphiert. Die formelle Unterzeichnung des »General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina« wurde am 14.  Dezember 1995 in Paris unter großem Medienecho vollzogen. Das Dokument beinhaltet die gegenseitige Anerkennung der Staaten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Jugoslawien untereinander und die Respektierung der in den elf Anhängen (engl. annexes) geregelten Einzelbestimmungen, wie die Etablierung der Teilstaaten RS und Federacija Bosne i Hercegovine (Föderation). Letztere wurde wiederum in Kantone aufgeteilt, in denen jeweils Kroaten oder Bosniaken die Bevölkerungsmehrheit bildeten. Die Konfliktparteien waren durch eine Teilstaatgrenze oder Friedensplanlinie (Inter-Entity Boundary Line, IEBL) getrennt. Diese verlief, bis auf einige Ausnahmen bei Mrkonic Grad und Sipovo, entlang der mit dem 36.  Waffenstillstand eingefrorenen Frontlinie. Annex  1  A regelt die militärischen Aspekte des Friedens: den Waffenstillstand, die Demobilisierung und den Rückzug der bewaffneten Formationen von der IEBL, die Ablösung der United UNPROFOR durch den Einsatz der Implementation Force (IFOR) und den Austausch von Kriegsgefangenen.89 Neben diesen Maßnahmen wurde im militärischen Teil des Abkommens die Herbeiführung von Bewaffnungsstärken Serbiens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas im Verhältnis 5:2:2 vereinbart. Für die beiden »Entitäten« Bosnien-Herzegowinas (die RS und die Föderation) wurde festgelegt, das bisherige Stärkeverhältnis der RS zur Föderation von 2:1 in ein Übergewicht der Föderation gegenüber der RS im Verhältnis 4:1 umzudrehen. Konkrete Truppenzahlen wurden in Dayton indes noch nicht festgelegt, sondern dieses Unterfangen auf spätere Verhandlungen im Rahmen der OSZE verschoben.90 Annex 3 befasst sich mit der Demokratisierung, der Durchführung und Überwachung von Wahlen durch die OSZE, Annex 4 enthält die Verfassung des neuen Staates Bosnien-Herzegowina. Einen zentralen Punkt im Abkommen stellten die Bestimmungen zur Flüchtlings- und Vertriebenenrückkehr (Annex 7) als Aufgabe des UNHCR dar. Das hier manifestierte Recht auf Flüchtlingsrückkehr brach mit der, nicht nur in dieser Region, üblichen Praxis ethnisch-territoriale Konflikte durch Veränderung des ethnischen Parameters zu »lösen« – also, deutlicher ausgedrückt, homogene Nationalstatten durch Flucht, Vertreibung oder »Bevölkerungsaustausch« zu schaffen. Insofern wurde in Dayton historisch und völkerrechtlich Neuland betreten. Pate stand hier die Überzeugung, dass Verbrechen nicht Recht schaffen können sowie die Hoffnung, eine Versöhnung nach Art der Beendigung 88 89 90

Der lange Weg zum Dayton-Abkommen. In: »Amtgeschichten«, Website des Auswärtigen Amts. Keßelring, Vom Friedensabkommen von Dayton, S. 82‑84. Zumach, Dayton – kein Synonym für Frieden, S. 12.

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der deutsch-französischen »Erbfeindschaft« zu erreichen. Insbesondere seitens Deutschlands wurde besonders auf das Rückkehrrecht gedrängt. Nicht zuletzt lässt sich neben kulturellen und humanitären Beweggründen dies auch damit erklären, dass in Deutschland etwa 400  000 Flüchtlinge vom Balkan Zuflucht gefunden hatten. Solche Bestimmungen und Prinzipien standen allerdings in inhaltlichem Widerspruch zu der Praxis der territorialen Aufteilung zwischen RS und Föderation nach Gesichtspunkten des militärischen Erfolgs und der damit verbundenen ethnisch-territorialen Gliederung. Da während des gesamten Krieges territoriale Ansprüche mit ethnischer Majorität begründet worden waren und diese in strategisch relevanten Gebieten gewaltsam hergestellt worden war, schien es unwahrscheinlich, dass in solchen Gebieten, aus denen Vertreibungen stattgefunden hatten, eine erneute Minorisierung akzeptiert worden wäre. Diese Problematik wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass beispielsweise in Ostbosnien nicht unbedeutende Teile der Serben, welche die Plätze der Bosniaken eingenommen hatten, selbst Flüchtlinge etwa aus der Krajina waren. Die zivile Implementierung, also letztlich die Stellung und Befugnisse des Hohen Repräsentanten (Office of the High Representative, OHR) regelt Annex 10. Annex 11 wiederum etablierte internationale Polizeikräfte als International Police Task Force (IPTF) und legte deren Befugnisse fest.91 Im Dezember 1995 wurde in London zur praktischen Umsetzung der Dayton-Bestimmungen eine »Peace Implementation Conference« abgehalten. Diese führte zur Gründung des Peace Implementation Council (PIC). Dem Rat gehören 55  Staaten und internationale Organisationen an – darunter auch das International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY). Exekutivorgan des PIC wurde das »Steering Board«, bestehend aus Vertretern der Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Russland, USA sowie der Präsidentschaft der EU, der Europäischen Kommission und der Organisation der Islamischen Konferenz, repräsentiert durch die Türkei. Der Hohe Repräsentant, Carl Bildt, sollte wöchentlich mit dem »Steering Board« auf Botschafterebene konferieren.92 Neben diesen vertraglich geregelten Festlegungen gab es auch andere, nicht offiziell verhandelte Themen. Diese führten schon bald zu deutlicher Kritik. Hierzu gehörte die seitens der USA betriebene Rüstung und Ausbildung der ARBiH zur militärischen Stärkung der schwächsten Vertragsgruppe der Bosniaken. Mit dieser durch MPRI durchgeführten Militärhilfe verbanden die USA die Forderung, die aus islamischen Staaten als »Glaubenskämpfer« 91

92

Keßelring, Vom Friedensabkommen von Dayton. Der englischsprachige Vertragstext des Abkommens findet sich beispielsweise auf der Webseite der OSZE (https://www. osce.org); Die deutsche Übersetzung folgt derjenigen durch das Bundessprachenamt. Der Lesbarkeit halber werden längere Zitate aus letzterer (informellen, aber korrekten) Übersetzung entnommen. Die Abschnitte und Einzeldokumente werden aus Gründen der wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit mit den Bezeichnungen des englischsprachigen Originals angeführt. Zitiert wird aus den gleichen Gründen nicht nach Seiten, sondern entsprechend der juristischen Gliederung. Keßelring, Vom Friedensabkommen von Dayton, S. 82‑84.

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gekommenen Freiwilligentruppen und die iranischen Militärberater nach Hause zu schicken. Die Verzögerungen bei der Auflösung dieser, in eigenen »Mudjaheddin-Dörfern« siedelnden Freiwilligeneinheiten sollte später zu Missstimmungen auf Seiten der USA und Verzögerung weiterer Militärhilfen führen.93 Wahrscheinlich hatte der London-Botschafter Bosnien-Herzegowinas und Dayton-Teilnehmer Muhamed Filipović auf diese amerikanische Forderung gedrängt. Es war auch Filipović gewesen, der 1993 die Bezeichnung »Muslime« durch »Bosniaken« ersetzte, um die Volksgruppe aus ihrer religiösen Verbindung zu lösen und einen laizistischen Staat gegen die konkurrierende Idee eines islamischen Kleinstaates durchzusetzen. Das Konzept des in der britischen Diaspora lebenden Dissidenten aus Titos Zeiten, Philosophen und Schriftstellers zielte auf eine klare Westbindung Bosnien-Herzegowinas und auf einen multi-ethnischen Staat.94 Die bosnische »Mudjaheddin«-Problematik stellte in der Nachkriegszeit in ihrer geheimdienstlichen Verquickung ein durchgehend aktuelles Thema dar. Am 12. Januar 1996 wurde – noch von der alten »VorDayton-Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas« – ein neuer Geheimdienst, die Agency for Investigation and Documentation of Bosnia and Herzegovina (AID), gegründet. Dieser Akt legalisierte unter einem neuen Namen den Geheimdienst der bosniakischen Kriegspartei.95 Im Februar 1996 entdeckte IFOR ein Trainingscamp der AID im westlich von Sarajevo gelegenen Skiort Pogorelica. Als Trainer fungierten iranische Geheimdienstangehörige. In der Folge wurden acht AID-Angehörige verhaftet und am 16. März 1996 der Chef des AID auf amerikanischen Druck hin entlassen. Izetbegović bezeichnete öffentlich »die Sache in Pogorelica« als »großen Fehler«.96 Im Sommer des Jahres 2000 wurde öffentlich, dass die Behörden 750 Pässe Bosnien-Herzegowinas an Mudjaheddin-Veteranen des Bosnienkrieges ausgegeben hatten. Wieder wurde der Geheimdienstchef entlassen.97 Ein weiteres nicht offiziell verhandeltes Thema bildete die Kosovo-Frage, genauer deren Nicht-Behandlung in Dayton. Dies hatte sich zweifelsohne daraus ergeben, dass Milošević für das Zustandekommen des Vertrags von Dayton dringend benötigt wurde und seinerseits die Kosovo-Frage ausgeklammert haben wollte. In Deutschland war man sich dieser Problematik wohl bewusst und bei der Bundestagsdebatte zu Bosnien-Herzegowina vom 6. Dezember 1995 drückten mehrere Redner ihre Unzufriedenheit mit der Ausklammerung des Kosovo-Problems aus.98 Am 26. Januar 1996 berichtete die serbische Zeitung »Naša Borba«, dass der serbische Gouverneur über das Kosovo, Aleksa Jokić, gegenüber dem US-State Department erklärte habe, dass die Provinz nicht in die Unabhängigkeit entlassen werde. Der US-Diplomat und Stellvertreter Holbrookes während der 93 94 95 96 97 98

Szasz, The Dayton Accord, S. 765. Rathfelder, Schnittpunkt Sarajevo, S. 118 f. Lučić, Security and Intelligence Services, S. 92. Ebd., S. 94. Rathfelder, Schnittpunkt Sarajevo, S. 118 f. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3122 vom 6.12.1995.

3. Dayton und die Implementation Force

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Dayton-Verhandlungen, Christopher R. Hill, traf sich zeitgleich mit Ibrahim Rugova in Prishtina, wohl um diesen zu beruhigen.99 Festzuhalten ist, dass – ob explizit oder implizit – die faktische Akzeptanz der Kosovo-Politik Miloševićs durch die »internationale Gemeinschaft« gleichsam als »Preis« für die serbischen Zugeständnisse in Bosnien-Herzegowina und Kroatien gesehen werden kann. Als Gründe hierfür werden einerseits die Befürchtungen einer weiteren Destabilisierung der Region, etwa in Mazedonien, genannt, zum anderen das inhaltliche Problem der reziproken Parallelität der Fälle RS und Kosovo. So wäre – wenn das Thema Kosovo in Dayton mit verhandelt worden wäre – offensichtlich geworden, dass Miloševićs Forderung nach größtmöglicher Autonomie der RS innerhalb Bosnien-Herzegowinas von der Durchsetzung möglichst geringer Autonomie der Kosovo-Albaner innerhalb Serbiens begleitet wurde.100 Sachlich gesehen hätte es aber mit den Regionen Sandschak, Vojvodina und Kosovo genügend Gründe gegeben, den serbischen Staat ähnlich stark zu (re)dezentralisieren wie Bosnien-Herzegowina. Dies zeigt, dass die von Milošević angewandte minderheitsrechtliche Rhetorik im Falle der RS lediglich als Vehikel für serbische Machtansprüche – letztlich persönliche Machtansprüche Miloševićs – in und außerhalb Serbiens diente.101 Im Kosovo aber »lernte« die junge Generation, dass mit der friedlichen Politik des passiven Widerstand nichts erreicht werden konnte, dagegen aber in Dayton gewaltsam veränderte politische Zustände, also die Macht des Faktischen, positiv sanktioniert wurden. Gleichzeitig »verlegten« die gewaltbereitesten serbischen Elemente (wie etwa wie Željko »Arkan« Ražnatović) im Dienste des dortigen Geheimdienstes, die ihre blutige Spur der Verbrechen bereits von der Krajina bis Ostslawonien und Ostbosnien gezogen hatten, nach dem Verlust ihrer Basis durch Dayton nun als »Polizisten« des serbischen Innenministeriums (Ministarstvo Unutrašnih Poslova, MUP) zur »Terroristenbekämpfung« ins Kosovo. Insofern ist Dayton durchaus als »game changer« von der kosovo-albanischen Strategie des passiven friedlichen Widerstands (Ibrahim Rugova und dessen LDK) zu einer des aktiven bewaffneten Widerstands (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) anzusehen.102 Trotz aller hier angesprochenen Problemfelder bleibt festzuhalten, dass die Verhandlungen von Dayton kurzfristig zwei wichtige Ergebnisse brachten: (1) Die Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina und Kroatien, (2) die Demilitarisierung der in Dayton zur IEBL umgedeuteten Frontlinie durch IFOR.103 Vor dem Hintergrund der zahllosen gescheiterten Bemühungen der Jahre seit 1992 stellte Dayton eine bemerkenswerte friedensschaffende Leistung dar. Die Probleme von Dayton lagen (und liegen noch heute) da99 100 101 102 103

Schmidt, Kosovo Governor Says Albanians Can Forget Independence, Radio Free Europe, Radio Liberty, Newsline – January 26, 1996. Caplan, International Diplomacy and the Crisis in Kosovo, S. 750‑755; Maliqi, Kosova, S. 140. Keßelring, Zum Wesen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, S. 28‑30. Keßelring, Vom Terroristen zum Nationalgardisten?, S. 313. Szasz, The Dayton Accord, S. 765.

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II. Krieg und Friedensoperationen

her auch vor allem auf der grundsätzlichen, längerfristigen Wirkung innerhalb und außerhalb Bosnien-Herzegowinas. Folgende Bewertung von Dunja Melčić mag einen Eindruck über derartige tiefergehende Kritik geben: »Selbst der agile Architekt dieses Abkommens, der amerikanische Diplomat Richard Holbrooke, äußerte sich schon bald selbstkritisch. Er schien den Fehler einzusehen, dass der serbische Teil Bosniens als Teilstaat anerkannt wurde. War dieser doch durch Eroberungen und ethnische Säuberungen entstanden! [...] Heute ist die ethnische Zusammensetzung direkte oder indirekte Folge ethnischer Säuberungen. Der größere Teilstaat beherbergt knapp zwei Millionen Bosniaken und etwas mehr als eine halbe Million Kroaten, der kleinere wiederum etwa 1,4 Millionen Einwohner, 90 Prozent davon Serben. Hinter diesen Zahlen steckt eine enorme Umschichtung der Bevölkerung. [...] Dieser klägliche Zustand [...] erinnert an den fundamentalen Fehler Europas: statt während des Balkan-Krieges mit aller Härte und Konsequenz gegen den gewaltsamen Akteur vorzugehen, ließen sich die westlichen Politiker jahrelang auf Verhandlungen ein. Sie verwandelten Angreifer und Angegriffene zu Konfliktparteien. Zum ersten Mal tolerierte das Nachkriegseuropa Gewalt als Mittel der Politik. Im Endergebnis wurde die serbische Politik noch mit allerlei Zugeständnissen belohnt. Dieses Trauma westeuropäischer Ordnungspolitik wirkt bis heute nach und zeigt in Krisen immer wieder seine Fratze.«104 Obwohl diese Sichtweise durchaus den historischen Tatsachen entspricht, gilt es dennoch festzuhalten, dass Dayton und damit IFOR immerhin einen vier Jahre andauernden und zunehmend an Brutalität gewinnenden Konflikt beendeten. Städte wie Goražde mit 60  000 Flüchtlingen zusätzlich zur eingeschlossenen ohnehin notleidenden Bevölkerung wurden durch Dayton und den IFOR-Einsatz befreit, weitere Vertreibungen und Massenmorde unter Zivilisten sowie nicht zuletzt der Krieg selbst unterbunden. Flüchtlingsrückkehr sowie Festnahme und Bestrafung von Kriegsverbrechern waren und sind sicherlich wichtige Punkte – spiegeln sie doch das Recht als wesentliches Element der Politik wieder – mussten aber realpolitisch hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Priorität nach der Verhinderung von weiterem Krieg, Genozid und zukünftigem Exodus rangieren. Der Philosophin Melčić ist zuzustimmen, dass die Fehler bereits lange vor Dayton gemacht worden waren. Die heute fast schon – nicht nur auf dem Balkan zum Allgemeingut gewordene – Kritik an Holbrooke, Dayton und IFOR trifft demnach ungerechterweise gerade diejenigen, die den Krieg beendet haben. Sie verschont aber diejenigen, die den Krieg und die in diesem verübten Verbrechen zu verantworten haben und diejenigen, die diesen aufgrund eigener Machterwägungen oder »Vogel-Strauß-Politik« nicht zu verhindern wussten. In der historischen Rückschau nach 25  Jahren lässt sich sagen, dass zum gegebenen Zeitpunkt 104

Dunja Melčić, Mit Bosnien-Herzegowina ist kein Staat zu machen. In: Deutschlandradio Kultur vom 20.11.2015. Die Frankfurter Philosophin kroatischer Herkunft ist u.a. Herausgeberin des wohl empfehlenswertesten deutschsprachigen Werks über den Krieg 1991‑1995: Melčić, Der Jugoslawien-Krieg. Zuletzt: Melčić, Europe and the Balkans.

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die vertraglichen Inhalte von Dayton wohl das Beste waren, was nach den Entgrenzungen eines fast ein halbes Jahrzehnt andauernden Krieges in Bosnien-Herzegowina und Kroatien und mehrjährigem Versagen der »internationalen Gemeinschaft« unter den gegebenen Umständen erreicht werden konnte. Dayton brachte aber nicht das, absolut betrachtet, denkbar bestmögliche Ergebnis und konnte kein Allheilmittel für die zahlreichen aus Kommunismus, Sezessionsnationalismus und Krieg entstandenen Probleme auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sein. Dies gilt entsprechend auch für den Einsatz der Implementation Force dieses Abkommens. Die planerischen Arbeiten für IFOR begannen bereits im Sommer 1995 parallel zu den diplomatischen Bemühungen Holbrookes in den USA und waren bis Ende August 1995 fertig ausgearbeitet. Am 29. September 1995 einigte sich der NATO-Rat auf die strategischen Rahmenbedingungen.105 Von diesem Moment an plante die NATO, wobei die negativen Erfahrungen von UNPROFOR berücksichtigt wurden. Insofern war die NATO nicht nur »militärischer Umsetzer« der Ergebnisse von Dayton, sondern durchaus auch deren Gestalter. Als Aufgabe der NATO wurde die militärische Absicherung des noch zu verhandelnden Friedens, aber ausdrücklich nicht der zivile Aufbau und das Nationbuilding definiert. Das sogenannte dual key-Konzept, also die notwendige Autorisierung konkreter Militäraktionen der NATO durch die UN wurde als Hauptursache für die Ineffektivität der NATO, etwa in Ost-Bosnien, gesehen. Insbesondere die USA machten hiervon ihre Beteiligung und damit das Zustandekommen eines Einsatzes der einstimmigen Beschlüssen unterliegenden NATO abhängig.106 Die Etablierung einer eigenen Zuständigkeit der NATO für die militärisch-operativen Fragen in Bosnien-Herzegowina war daher die wesentliche Voraussetzung für ein Engagement der NATO überhaupt.107 Dieses Selbstverständnis fand Eingang in Annex  10 (Agreement on Civilian Implementation) zum Vertrag von Dayton: »Der Hohe Repräsentant hat keinerlei Befehlsbefugnisse gegenüber der IFOR-Truppe und darf nicht in die militärische Operationsführung oder in das IFOR-Unterstellungsverhältnis eingreifen.«108 Eine weitere Schlüsselforderung der NATO war diejenige nach einem »robusten Einsatz« mit entsprechenden ROE. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe erklärte dies den Deutschen in einem Interview mit der Wochenzeitung »Der Spiegel« am 16.  Oktober 1995 anhand der Formel: »Blauhelme können nur dann eingesetzt werden, wenn auch nach einiger Zeit nachweisbar gesichert ist, dass die Konfliktparteien den Frieden wirklich wollen. Und: Nie wieder Blauhelme allein, sondern immer Grünhelme dabei, damit man sich not-

105 106 107 108

Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an den Friedensmissionen, S. 69. Schnell rein, schnell raus. In: Der Spiegel vom 16.10.1995, S. 24. Dies geschah etwa zwei Wochen vor Beginn der Verhandlungen in Dayton. Daalder/O’Hanlon, Winning Ugly, S. 140‑149. Dayton Agreement, Annex 10, Art. II, 9.

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falls wirksam schützen und durchsetzen kann.«109 Die NATO-Forderung nach »sich schützen und durchsetzen« wurde später in den militärischen Teil des Vertrags von Dayton (Annex 1A) aufgenommen: »[...] Ermächtigung der IFOR zum Ergreifen erforderlicher Maßnahmen, einschließlich der zur Sicherstellung der Einhaltung dieses Vertrags und zu ihrem eigenen Schutz notwendigen Gewaltanwendung.«110 Das »Spiegel«-Interview Rühes war ein sichtbares Zeichen der fortschreitenden Vorbereitungen der NATO. Es ist vor dem Hintergrund der weichenstellenden Entwicklungen im Bündnis und in Deutschland im Oktober 1995 – bevor Dayton im November begann – zu sehen. Am 12.  Oktober wandte sich der Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), General George A. Joulwan, in einem förmlichen Ersuchen an die Bundesregierung, einen möglichen deutschen Beitrag für IFOR bis zum 24.  Oktober 1995 aufzuzeigen. Einen Tag zuvor hatten der NATO-Rat und damit auch Deutschland das vorläufige Operationskonzept des SACEUR gebilligt. Der entscheidende NATO-interne Termin war aber die TruppenstellerKonferenz vom 18./19. Oktober. Hier zeigten die NATO-Mitgliedstaaten an, wenn auch noch unter Vorbehalt, welche Truppen sie bereit und in der Lage wären, zur Verfügung zu stellen. Dies bildete dann die Grundlage für die Fortschreibung des vorläufigen Operationskonzeptes zu einer detaillierten Operationsplanung.111 Ein wesentliches politisches Element war im Vorfeld die Beteiligung Russlands. Ausdrücklich wurde betont, dass auch Nicht-NATO-Truppen im Rahmen des NACC teilnehmen sollten. Dies war insbesondere auch auf die entscheidende Zustimmung Russlands im UN-Sicherheitsrat gemünzt. Der von der NATO als Grundbedingung für die Truppenstellung geforderte »robuste Einsatz« setzte voraus, dass der UN-Sicherheitsrat den Einsatz nach Kapitel VII der UN-Charta (friedensschaffender statt friedenserhaltender Einsatz) beschloss. Darüber hinaus hoffte man den spürbaren geopolitischen Gegensatz auf dem Balkan durch diese praktische Einbindung zu entschärfen. Die Fehler der Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkrieges sollten nicht wiederholt werden. Bosnien-Herzegowina sollte nicht in »Sektoren« aufgeteilt werden, sondern IFOR sollte eine einheitliche Politik der UN (oder zumindest der NATO) umsetzen. Dieser erste gemeinsame NATOEinsatz »out of area« kann als »historisch« bezeichnet werden – politisch gewollt war er von allen Seiten, doch die praktische Umsetzung, einschließlich der schwierigen Frage der Unterstellung der russischen Truppen, berei109

110 111

»Wir haben eine neue Rolle übernommen«. Volker Rühe über deutsche Beteiligung an der Bosnien-Friedens-Gruppe. In: Der Spiegel vom 16.10.1995, S.  26. Eine dem NeoRealismus folgende politikwissenschaftliche Analyse dieses Interviews findet sich bei: Schöneberger, Vom Zweiten Golfkrieg, S. 221 f. Schöneberger, der nicht quellenkritisch an dieses Interview herantritt, entgeht, dass dieses Interview einerseits der Kommunikation der in der NATO vereinbarten Bedingungen für IFOR in die deutsche Gesellschaft hinein und andererseits der deutschen Besonderheiten (»caveats«) in Richtung der Verbündeten diente. Dayton Agreement, Annex 1A, Art. I, 2 (b). Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 69 f.

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tete Schwierigkeiten. Sie stellte ebenso eine psychologische, politische und praktische Herausforderung dar wie sie ein deutliches Zeichen des Endes des Kalten Kriegs sein sollte. Im Januar 1996 traten russische Truppen zu IFOR hinzu. Vorausgegangen waren harte Verhandlungen um ein »special arrangement« zwischen NATO und Russland im Oktober 1995. Im Ergebnis wurde die russische IFOR-Brigade unter Oberst Aleksandr I. Lentsov in operativer Hinsicht direkt dem russischen Generaloberst Leontiy Shevtsov unterstellt, der wiederum als russischer Stellvertreter des SACEUR, General Joulwan, zeichnete. In taktischer Hinsicht wurde die Brigade vor Ort in die amerikanisch geführte Multinational Division North (MND (N)) unter USGeneralmajor William L. Nash eingegliedert.112 Dieses Arrangement stellte in der Praxis eine erneute Art »dual-key« dar, nur dass dieser nunmehr auf die russische Brigade beschränkt war, deren Einsatz als hochpolitisiert angesehen werden muss. Noch bei der die Konferenz von Dayton abschließenden Pressekonferenz vom 21.  November 1995 machte der Leiter der russischen Delegation, Stellvertretender Außenminister Igor Ivanov,113 deutlich, dass die Entscheidung zum Einsatz russischer Truppen in Bosnien-Herzegowina noch nicht gefallen sei. Es gelte die UN-Sicherheitsresolution abzuwarten sowie die Informationen der russischen Militärfachleute, die gegenwärtig das Problem in Brüssel studierten.114 Einen guten Eindruck über die politischen und praktischen Implikationen des russischen IFOR-Einsatzes unter amerikanischem Kommando gibt das Tagebuch des persönlichen Übersetzers von General Nash bei der russischen IFOR-Brigade, James Nelson.115 Festzuhalten ist, dass der Einsatz der russischen IFOR sowohl eine regionale Bedeutung in den vom »slawischen Brudervolk« dominierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas als auch eine globale Bedeutung im Zuge des Versuches der Schaffung einer neuen Weltordnung nach Ende des Kalten Krieges besaß. Im Jahr 1995 befand sich die NATO als Organisation auf einem neuen Höhepunkt der Macht, wohingegen Russland sich an der Wegscheide zwischen westlichem Staat und einem »eigenen nationalen Weg« befand. Eine interessante Frage für zukünftige Untersuchungen lautet, welche Chancen weltpolitisch gesehen in dieser historisch einzigartigen Konstellation gelegen haben und wieso dieses »Fenster der Möglichkeiten« sich nicht zu einem für die Zukunft tragfähigen Modell entwickeln ließ. Als am 15.  Dezember 1995 der UN-Sicherheitsrat den Einsatz der IFOR durch Resolution 1031 autorisierte, war aufgrund der parallelen Vorbe112 113

114 115

Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S.  28. Zum »special arrangement« siehe: Layton, Command and Control Structure, S. 43 f. Igor Ivanov (*1945), zuvor langjähriger Botschaftsangehöriger und Botschafter in Madrid, wurde 1994 zum Stellvertretenden russischen Außenminister ernannt. 1998 bis 2004 war Ivanov russischer Außenminister, anschließend bis 2007 Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats. Einen Eindruck von der Sichtweise Ivanovs gibt: Iwanow, Die neue russische Diplomatie. Press Conference Following the Initialing of the Balkan Proximity Peace Talks Agreement vom 21.11.1995. Nelson, Bosnia Journal.

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reitungen der NATO eine rasche Verlegung der Kräfte – die Planungen sahen eine Verlegung der Hauptkräfte bereits drei bis vier Tage nach Unterzeichnung des Abkommens vor – möglich. Dies bedeutete, dass die praktischen Vorbereitungen bereits vor der Unterzeichnung des Vertrages weit gediehen sein mussten, um die Verfügbarkeit von IFOR »just in time« zu ermöglichen. So befanden sich beispielsweise die Hauptquartiere mit ihren Führungskräften bereits vor der Unterzeichnung des Vertrags vor Ort.116 Am 2. Dezember 1995 verlegten 2600 zukünftige IFOR-Soldaten nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina.117 Diejenigen Aufgaben, welche in Annex 1A der IFOR gegeben worden waren, hatte die NATO sich letztendlich im Vorfeld der Verhandlungen für Dayton selbst gestellt, auch wenn sie formal als militärischer Erfüllungsgehilfe der UN fungierte. IFOR sollte die Erfüllung der militärischen Auflagen des Friedensvertrags von Dayton gemäß Annex  1A überwachen. Deren knapper zeitlicher Rahmen bedingte eine sofortige Einsatzbereitschaft vor Ort. Zugleich war dieser Plan selbst Teil des NATO-Konzepts, eine Demilitarisierung rasch durchzuführen, bevor die fragile Geschlossenheit der »internationalen Gemeinschaft« wieder zerbrechen würde oder die Kriegsparteien weitere gegebenenfalls vorhandenen Pläne zur Störung der Vereinbarung zu verwirklichen in der Lage sein würden. Dieser zeitlichen Komponente kam besondere Bedeutung zu, lautete doch eine Lektion aus UNPROFOR, dass kein Waffenstillstand lange angedauert hatte. Eine lange Dauer war auch nicht für den primär auf militärischer Machtausübung beruhenden 36.  Waffenstillstand zu erwarten, wenn dieser nicht rasch militärisch wirkungsvoll überwacht würde. Entsprechend verpflichtete Annex  1A in einer ersten Operationsphase, »alle Streitkräfte in Bosnien-Herzegowina, die nicht dortiger Abstammung« waren, »innerhalb von 30  Tagen [...] mit ihrer Ausrüstung vom Territorium BosnienHerzegowinas« abzuziehen.118 Dies schloss etwa serbische Freischärler nach Art der »Tiger« ebenso ein wie »Mudjaheddin« oder die Truppen der HV, die noch im September im Rahmen der Operation »Maestral 2« bis kurz vor Banja Luka vorgerückt waren. Ebenso innerhalb der ersten 30 Tage mussten alle Streitkräfte der Kriegsparteien »hinter eine entmilitarisierte Zone, die beiderseits der vereinbarten Waffenstillstandslinie [...] eine klare und deutliche Grenze zwischen den gegnerischen Kräften« ziehen sollte, verlegen.119 In dieser vier Kilometer breiten entmilitarisierten Zone sollten Verstöße »militärische Maßnahmen der IFOR [...] einschließlich der zur Durchsetzung der Vertragseinhaltung erforderlichen Gewaltanwendung« nach sich ziehen.120 In einer zweiten Phase sollten sich 45 Tage nach Inkrafttreten des Vertrags von Dayton die Kriegsparteien aus denjenigen Gebieten zurückgezogen haben, die ihnen in Dayton nicht zugestanden worden waren. Die in diese Gebiete 116 117 118 119 120

Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 71. Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S. 28. Dayton Agreement, Annex 1A, Art. III. Ebd., Art. IV, 2 (a). Ebd., Art. IV, 2 (b).

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einziehenden Truppen der Gegenseite durften nicht vor Ablauf von 90 Tagen die entsprechenden Gebiete betreten, so dass IFOR in der Zwischenzeit die Sicherheit zu garantieren hatte. Zwischen den neu dislozierten Truppen war es Aufgabe der NATO, eine (neue) entmilitarisierte Zone von vier Kilometern Breite beidseitig entlang der Inter-Entity Boundary Line (IEBL) zu errichten.121 Nach 90 Tagen IFOR-Einsatz sollten die VRS, die HVO und die ARBiH also nicht nur entlang der Waffenstillstandslinie des 36.  Waffenstillstands entflochten sein – das war das Ziel nach 30  Tagen –, sondern auch Stellungen jeweils jenseits der in Dayton festgelegten IEBL eingenommen haben. Bis zum 120. Tag (Phase III) sollten die Kriegsparteien alle ihre »schweren Waffen« in vom Kommandeur der IFOR angewiesene Sammelplätze zurückziehen. Als »schwere Waffen« definierte Annex  1A »sämtliche Panzer und gepanzerten Fahrzeuge, sämtliche Artilleriegeschütze mit Kaliber 75 mm und darüber, alle Mörser ab Kaliber 81  mm sowie alle Flugabwehrwaffen mit einem Kaliber von 20 mm und mehr«.122 Für diese Aufgaben sowie die allgemeine Gewährleistung der Sicherheit und Aufrechterhaltung der Lufthoheit betrug die Soll-Stärke von IFOR, unter dem Kommando von US Admiral Leighton W. Smith, 60 000 Soldaten und ist damit die größte jemals durchgeführte NATO-Operation (Im Vergleich dazu verfügte KFOR in der stärksten Phase über 50 000 Soldaten).123 Etwa 10 000 Soldaten kamen dabei aus Nicht-NATO-Staaten.124 Der Befehl zur Verlegung des Hauptkontingents wurde am 16.  Dezember 1995 aktiviert, nachdem die Vertragsparteien den Friedensvertrag unterzeichnet hatten, der UNSicherheitsrat den Einsatz gebilligt und der NATO-Rat den Operationsplan (NATO OPLAN 10405) angenommen hatte. Vier Tage später, am 20. Dezember 1995, übernahm IFOR die Verantwortung und Kommandogewalt von UNPROFOR. Der Auftakt verlief für die ganze Welt sichtbar wie geplant und wirkte damit zugleich als Demonstration der Stärke und Einsatzfähigkeit der NATO.125 Der Heeresanteil von IFOR, IFOR (L), wurde von einem Korpsstab in Sarajevo aus geführt. Diesen Korpsstab stellte das Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (ARRC) aus Rheindahlen (Mönchengladbach) unter Generalleutnant (UK) Michael Walker.126 Ein Großteil der britischen Truppen entstammte diesem NATO-Korps (siehe Abb. 7: »Unterstellung IFOR« im Anhang).127 IFOR (L) bestand aus drei multinationalen Divisionen (MND). Diese wurden jeweils von einer Leitnation betrieben. Dabei standen die MND North 121 122 123 124

125 126 127

Ebd., Art. IV, 3. Ebd., Art. IV, 5 (a). Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S. 26. Diese waren Australien, Österreich, Bangladesch, Tschechien, Ägypten, Estland, Finnland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malaysia, Neuseeland, Pakistan, Polen, Rumänien, Slowakei, Schweden und die Ukraine. Zahlen, Daten und Ereignisse nach: Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S. 25‑31. Michael Walker, Baron Walker of Aldringham (seit 2006), (*1944), Chief of the General Staff 2000‑2003, Chief of Defence Staff 2003‑2006, Field Marshal 2014. Wentz, Lessons from Bosnia. The IFOR Experience. Vienna, VA 1997, S. 41.

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(N) mit Hauptquartier in Tuzla unter amerikanischer, MND South West (SW) mit Hauptquartier in Banja Luka unter britischer und MND South (S) mit Hauptquartier in Sarajevo (später MND South East in Mostar) unter französischer Führung. Jeder Verantwortungsbereich bestand sowohl aus Gebieten der RS sowie aus solchen der Föderation und wurde durch die zu demilitarisierende Zone entlang der IEBL zentral durchzogen. Der Schwerpunkt der IFOR-Kräfte lag klar im Bereich MND (N). Diese informell auch als Task Force Eagle bezeichnete verstärkte Division bestand aus fünf Brigaden und war damit weit stärker als die Nachbardivisionen. Am 6. Januar 1996 überquerten die amerikanischen Hauptkräfte in einer spektakulären Überbrückungsaktion die Sava. Der Divisionsstab sowie zwei Brigaden wurden durch die in Ansbach stationierte amerikanische 1st Armoured Division (»Ironsides«) gestellt. Hinzu kamen eine türkische und eine russische Brigade sowie mit NORDPOL BDE (Nordic-Polish Brigade) eine multinationale Brigade.128 Diese gliederte sich in fünf nationale Bataillone aus jeweils den vier nordischen Ländern (Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland) und Polen. Das dänische Bataillon von NORDPOL verfügte wiederum über eine »baltische Kompanie« mit jeweils einem Zug aus Estland, Lettland und Litauen sowie einer US Artilleriebatterie.129 Hier zeigt sich die bündnispolitische Dimension von IFOR, die auch in Bezug auf Deutschlands Rolle festzustellen ist: Der Einsatz in BosnienHerzegowina fand in einer Zeit statt, in der die geostrategische Lage einem starken Wandel unterlag, wobei unklar war, wie die zukünftige »Weltordnung« aussehen werde. Die Frage, wie sich Russland – abseits politscher Sonntagsreden – gegenüber der NATO einordnen werde, wurde dabei ebenso ausgetestet wie diejenige nach der Position derjenigen Länder, die versuchten, sich einer drohenden »Randstaatenrolle« zwischen NATO und Russland zu entziehen.130 Dies waren allen voran die nun unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen sowie das von Sowjetdiktatur befreite Polen und in geringerem Maße auch Finnland und Schweden. Während letztere am 1. Januar 1995 der EU beigetreten waren und damit ihre langjährige neutralistische Linie in eine der »Nicht-Allianz unter Anlehnung an die Allianz« eingetauscht hatten, suchten Polen, Litauen, Lettland und Estland die Annäherung an die EU, vor allem aber den militärischen und politischen Schutz gegen Russland bei der NATO und dort vor allem den USA.131 Da diese neue Lage Russland in der und um die Ostsee entscheidend schwächte, galt es umso mehr, Russland näher einzubinden. Die NORDPOL-Brigade zeichnete erste Konturen einer neuen »Ostseewelt« (Matti Klinge) und griff gleichzeitig den alten Traum einer Nordischen Allianz auf. Beides waren Konzepte, die auf die Zeit nach Ende des Ersten Weltkrieges zurückgingen und die durch den bipolaren Mächtekonflikt, genauer die so128 129 130 131

Layton, Command and Control Structure, S. 36. Sørensen, Danish Senior Officer’s Experience, S. 89. Varoli, Russia’s new Baltic policy, S. 9‑13. Keßelring, Finnland und Schweden.

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wjetische Expansion nach Westen, bereits in der »Mottenkiste der Geschichte« gelandet waren und nun »entstaubt« in das noch zu definierende Konzept einer Nach-Nachkriegsordnung eingebracht wurden. All diese Entwicklungen waren freilich zur Jahreswende 1995/1996 noch ergebnisoffen. Zukünftige historische Forschungen werden noch klären müssen, welche Rolle, jenseits der ideologisierten Debatte über das Vorhandensein einer westlichen Zusage, die in Bosnien-Herzegowina im Krieg und im Friedenseinsatz gemachten Erfahrungen bei den späteren Osterweiterungen der NATO (1999 und 2004) gespielt haben.132 Ebenso wenig wie die Entwicklung der zukünftigen NATO-Osterweiterungen stand 1995/1996 fest, dass Schweden und Finnland – im Gegensatz zu Polen und den baltischen Staaten – nicht der NATO beitreten würden und sich auch die »nordische Option« letztlich bis heute nur ansatzweise verwirklichen ließ. Ein effektives nordisches Verteidigungsbündnis ist ebenso wie ein vergleichbares europäisches nicht existent. Das Vorhandensein eines klaren Interessengegensatzes zwischen Russland und der NATO in Bezug auf die »Flankenregionen« Ostsee und Balkan ließ sich aber bereits 1995/1996 ausmachen und deren Auflösung wurde im Rahmen von IFOR mit wechselndem Erfolg versucht. Dass sich unter dem Dach einer US-amerikanischen Panzerdivision nicht nur Russen und Amerikaner, sondern – wenn auch freilich in getrennten Brigaden – gleichfalls Russen und Esten, Letten, Litauer zusammenfinden konnten, um den Frieden zwischen Serben, Bosniaken und Kroaten wieder herzustellen, wäre noch fünf Jahre zuvor undenkbar gewesen. Heute erscheint dieses erneut nicht möglich und verdient gerade deswegen herausgehoben zu werden. Andererseits wirkten sich die offenen strategischen Fragen und nationalen Gegensätze auf die taktische Ebene der Brigaden, Bataillone und Kompanien aus. Aus praktischen Gründen (zu nennen sind Sprachprobleme, Unterschiede in der Führungsphilosophie, aber auch in der materiellen Ausstattung und den gewohnten Unterhaltsstandards der Soldaten) gepaart mit politischem Druck lehnten nicht wenige militärische Führer solche multinationalen Experimente ab. Hier konkurrierten, abstrakt gesprochen, regional-operative Ziele der Auftragserfüllung vor Ort in Bosnien-Herzegowina mit global-strategischen Zielen auf internationaler Ebene: Waren die Soldaten in Bosnien-Herzegowina, um dort den Frieden wiederherzustellen, oder ging es um die neue Weltordnung? Die korrekte Antwort lautet höchstwahrscheinlich »sowohl als auch«. In den anderen zwei Divisionen, der MND (SW) und MND (SE) war die Multinationalität weniger ausgeprägt. So verrichteten in der britisch geführten MND (SW), die maßgeblich aus der 3rd (UK) Division der Rheinarmee bestand, durchschnittlich etwa 9300 britische Soldaten unter Generalmajor Mike Jackson Dienst. Die kampfstärksten Teile bildete die 4th Mechanized Brigade (»Black Rats«). Diese war organischer Bestandteil der 3rd (UK) Division und verfügte unter anderem über Kampferfahrung aus dem Irak-Krieg. Hinzu kam eine kanadisch ge132

Zimmermann/Klein, Aspekte der Osterweiterung der NATO.

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führte multinationale Brigade (MNB) mit rund 1000 kanadischen Soldaten im Raum Bihać133 mit dänischen Truppen sowie ein selbständiges niederländisches Bataillon »Mechbat« mit 1050 Soldaten.134 Die »Black Rats« standen bereits seit Oktober 1995 in Bosnien-Herzegowina und wurden nach dem Vertrag von Dayton IFOR unterstellt. Die französisch geführte MND (S) in Sarajevo (»Division Salamandre«) war die kleinste der drei Divisionen. Auch hier war ein Großteil der Soldaten bereits vor Ort und wurde von der RRF bzw. UNPROFOR dem COMIFOR unterstellt. Geführt vom französischen Generalleutnant Robert Rideau, bestand die »Division Salamandre« aus rund 10 000 Soldaten (größtenteils französische Fremdenlegion) in vier Brigaden. Eine französische Brigade wurde in Rajlovac bei Sarajevo stationiert, die zweite französische Brigade in Mostar. Hinzu kamen eine spanische Brigade im herzegowinischen Wallfahrtsort Medjugorje. Zu dieser gehörten ein ägyptisches mechanisiertes Bataillon sowie ein marokkanisches Infanteriebataillon. Eine italienische Brigade nahm ihr Hauptquartier in Vogosca bei Sarajevo. Dieser war ein portugiesisches Fallschirmjägerbataillon in Goražde unterstellt135 (siehe Abb. 8: »Dislozierung der IFOR« im Anhang).136

d) Die deutsche Rolle bei IFOR Bis zum 24.  Oktober 1995 musste die deutsche Bundesregierung ihren Beitrag – falls es denn einen geben sollte – anzeigen. An diesem Tag erläuterte Verteidigungsminister Volker Rühe dem Kabinett die Aufgaben von IFOR und stellte zwei deutsche Leitprinzipien für eine deutsche IFOR-Beteiligung heraus: »(1) Deutschland werde sich nach seinen Möglichkeiten solidarisch und angemessen mit einem Beitrag beteiligen, der helfe Probleme zu lösen, aber keine neuen schaffe. (2) Keine Stationierung von Bodentruppen in Bosnien-Herzegowina, um die Verwicklung deutscher Soldaten in Auseinandersetzungen mit den Konfliktparteien zu vermeiden. Das zweite Prinzip bedeute nicht, dass unsere Soldaten nicht das gleiche Risiko tragen sollten wie die Alliierten, es vermeide vielmehr, dass sie einer ungleich höheren Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt seien.«137 Die deutsche Meldung, so schlugen es Rühe und Kinkel gemeinsam vor, solle zuerst jene Kräfte beinhalten, die bereits zur Unterstützen der RRF und zur Überwachung des Adriaembargos eingesetzt seien. Das betraf in erster Linie, wie gehabt, Luftwaffe und Marine. Der Einsatz der IFOR (L), wobei das »L« für »Land Forces«, 133 134 135 136 137

Canadian Forces Operations in Bosnia-Herzegovina, backgrounder vom 10.5.2007 auf der Webseite der kanadischen Streitkräfte. Zaalberg, Soldiers and Civil Power, S. 262. Dutch contribution (Artikel auf der Webseite des niederländischen Verteidigungsministeriums). William Durand, OPEX FORPRONU/FRR/IFOR/SFOR en Ex Yougoslavie a partir de 1992. Zitiert nach: Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S. 11. Zitiert nach: Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 70 f.

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also Heer stand, könne aber mit Transport- und Pionierverbänden des deutschen Heeres unterstützt werden. Beachtet man, dass die Truppenstellerkonferenz zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden hatte, so ist davon auszugehen, dass diese »Marschrichtung« bereits mit den Verbündeten der NATO abgestimmt war. Am 28.  November beschloss das Bundeskabinett dieser Planung entsprechend Transporteinheiten, Pioniere und Sanitäter in Kroatien zu stationieren. Sie sollten zwar Versorgungs- und Rettungsaufträge in Bosnien-Herzegowina wahrnehmen, aber nach verrichtetem Auftrag immer wieder nach Kroatien zurückkehren. Am 6.  Dezember 1995 stimmte der Bundestag unter Vorbehalt dieser Lösung zu, so dass nach Unterzeichnung des Vertrags von Dayton und Zustimmung des UNSicherheitsrats sowie des NATO-Rats am 15.  Dezember 1995 einem Einsatz auch im Rahmen der IFOR (L) staats- und völkerrechtlich nichts mehr im Wege stand.138 Beschlossen wurden folgende Maßnahmen: »Verstärkung der bereits in Kroatien eingesetzten Sanitätskomponente; Bereitstellung von land- und luftgestützten Transportkräften einschließlich erforderlicher Eigensicherung; Bereitstellung von Pionierkräften einschließlich erforderlicher Eigensicherung; Bereitstellung von Lufttransportkräften (Transall); Bereitstellung der bereits eingesetzten Tornado-Flugzeuge der Luftwaffe und Flugzeuge Breguet Atlantique der Marine; Beteiligung an maritimen Operationen durch Schiffe und Seeaufklärer.«139 Lesenswert sind auch heute noch die Protokolle der betreffenden Bundestagsdebatten vom 30.  November und 6.  Dezember 1995: Außenminister Kinkel betonte die geschichtliche Dimension dieses Beschlusses: Der »jetzt vorgesehene Einsatz unserer Soldaten markiert einen weiteren historischen Einschnitt. Er wird der größte Auslandseinsatz für unsere Bundeswehr in ihrer bisherigen Geschichte sein.« Er ließ es aber auch nicht an Appellen an die Bündnissolidarität fehlen, indem er darauf hinwies, dass Deutschland 4000 Soldaten, die USA aber wohl 20 000, Großbritannien 13 000 und Frankreich 11 000 Soldaten entsenden werde. Noch am 30. Juni 1995 hatte Kinkel in der Bundestagsdebatte festgestellt: »Unser Beitrag bedeutet keine Abkehr von unserer wohlbedachten Politik. Keine deutschen Bodenkampftruppen in das ehemalige Jugoslawien. Dabei wird es bleiben.«140 Günter Verheugen, der für Außen- und Sicherheitspolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, erklärte die »Kohl-Doktrin« für beendet und erinnerte an die besondere historische Rolle Deutschlands: »Ich stelle zunächst fest, dass damit das vom Bundeskanzler aufgestellte Dogma ›keine deutschen Soldaten auf jugoslawischem Boden‹ endgültig aufgegeben ist. Es ist immer ein fragwürdiger Lehrsatz gewesen; denn er bedeutete, dass früheres Unrecht heute zu unterlassener Hilfeleistung führen könnte. Man sollte über die Aufgabe dieses Grundsatzes nicht einfach hinweggehen, weil die historische Belastung 138 139 140

Ebd., S. 72 f. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3122 vom 6.12.1995. Ebd., Plenarprotokoll 13/48 vom 30.6.1995.

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im Einzelfall natürlich doch gegeben ist. Ich sehe für das moralische Dilemma, das sich daraus ergibt, nur eine einzige handhabbare Lösung: Ein Bundeswehreinsatz im Rahmen einer Friedensmission in Gebieten, wo Hitlers Armeen waren, ist nur möglich, wenn alle Beteiligten ihn ausdrücklich wollen.141 Während die PDS den IFOR-Einsatz mit Hinweis auf die deutsche Geschichte kategorisch ablehnte, bezweifelte die SPD die Sinnhaftigkeit des Einsatzes der ECR-Tornados mit der Begründung, sie seien nicht gebraucht worden. Sachlich war diese Behauptung Verheugens unzutreffend, denn die ECR-Tornados hatten im Rahmen von »Deliberate Force« 28 SEAD und 3 OAO geflogen. Es ist Generalleutnant Ulf von Krause142 recht zu geben, dass die Ablehnung der ECR-Tornados durch Teile der SPD-Fraktion auf deren Klassifikation als Kampfflugzeuge beruhte. Sie erfolgte somit nicht wegen ihrer Entbehrlichkeit, sondern vielmehr wegen ihres Zerstörungspotentials. Dabei waren dieselben ECR-Tornados nicht nur für den Schutz des IFOR (L)-Einsatzes der NATO in Bosnien-Herzegowina, sondern auch für denjenigen des UN-Einsatz UNTAES im kroatischen Ostslawonien vorgesehen. Die SPD beantragte also, dass die Luftwaffe im Zweifelsfall zwar nicht-deutsche UNTAES-Einheiten etwa in Osijek hätte unterstützen dürfen, nicht aber deutsche IFOR-Einheiten bei der Auftragserfüllung im nur 114 Kilometer südlich gelegenen Tuzla, nur fünf Tornado-Flugminuten entfernt. Solche Beispiele zeigen, wie sich dogmatische politische Blickwinkel (hier die außenpolitisch motivierte Favorisierung von UN-Einsätzen vor NATO-Einsätzen) im komplexen multinationalen militärischen Umfeld in höchst unzweckmäßiger Weise verselbständigen können. Diese wenigen Zitate aus der Bundestagsdebatte vom 30.  November 1995 und mehr noch ein Vergleich der dort getätigten Äußerungen mit denen der Bundestagsdebatte vom 30.  Juni 1995 machen deutlich, wie drastisch der Meinungsumschwung in Bezug auf einen deutschen Heereseinsatz im ehemaligen Jugoslawien in diesem nur fünf Monate umfassenden Zeitraum gewesen ist. Exemplarisch steht hierfür auch der Meinungsumschwung des Sprechers der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Joschka Fischer, der mit einer Minderheit seiner Fraktion am 6.  Dezember für die Beteiligung der Bundeswehr am IFOR-Einsatz stimmte.143 Die Debatten zeigen aber auch, wie wenig militärische Denkkategorien bei den politischen Entscheidungsträgern für die Ausgestaltung eines militärischen Einsatzes präsent waren. Neben der moralisch-ethischen Diskussion, die im Bundestag auf hohem Niveau geführt wurde, zeigte sich die Diskussion über militärische Fragen dortselbst im Jahr 1995 als ausgesprochen amateurhaft und durch Schlagworte wie »Kampfeinsatz«, »Kampfflugzeuge« oder »Bodenkampftruppen« geprägt, welche in ihrer Ungenauigkeit die komplexe Problematik von friedensschaffenden Auslandseinsätzen nicht zu greifen vermochten. 141 142 143

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 74. Sitzung vom 30.11.1995. Krause, Die Bundeswehr als Instrument, S. 204 f. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Plenarprotokoll 13/76 vom 6.12.1995.

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Die militärischen Planungen für das deutsche Kontingent IFOR (L) liefen derweil parallel zu diesem politisch-parlamentarischen Entscheidungsprozess ab. Dies war auch nötig, da nur so der notwendige und ohnehin schon extrem knappe zeitliche Vorsprung für die Planung, Zusammenstellung und Vorausbildung der Einsatzkräfte des deutschen Heeres gehalten werden konnte. Nachdem am 24.  Oktober 1995 die NATO die Meldungen entgegengenommen hatte und ein Kabinettsbeschluss hierzu vorlag, erging am 25.  Oktober die ministerielle Weisung an das II.  Korps in Ulm – unter Vorbehalt – das deutsche Heereskontingent aufzustellen und mobilzumachen. Konkret waren dies bis zu acht bewegliche Arzttrupps, eine MEDEVAC-Komponente (»Rettungshubschrauber«) bestehend aus einem leichten Transport- und Mehrzweckhubschrauber des Typs Bell UH-1D in Rettungskonfiguration und des mittleren Transporthubschraubers CH-53 GRH (Großraumrettungshubschrauber), ein Transporteinsatzverband mit Sicherungskräften und Versorgungskomponente, ein zum Straßenbau befähigter Pioniereinsatzverband mit Versorgungskomponente, ein Transporthubschraubereinsatzverband aus bis zu 15 mittleren Transporthubschraubern und bis zu 15 leichten Transporthubschraubern und einer Sicherungskomponente sowie Kräfte für die Führungs- und Einsatzunterstützung.144 Hinzu kam das bereits in Trogir stationierte Feldlazarett der UNPF. Diese Aufgabe führte zur Bildung von für die damalige Bundeswehr völlig neuartigen Verbänden, die so im Heer nicht verfügbar waren. Dies traf insbesondere auf den Transporteinsatzverband zu. Dieser sollte neben einer Kompanie mit militärischen Lastkraftwagen (4,5-Tonner) und einer Betriebsstoffkompanie auch 18 Schwerlasttransporter (SLT) sowie eine Sicherungskompanie mit Radpanzern beinhalten. Die Sicherungskompanie wiederum sollte aus zwölf Spähpanzern (SPz) »Luchs« und acht Transportpanzern (TPz) »Fuchs« bestehen. Der »Luchs« verfügte über eine 20-mm-Bordmaschinenkanone, ein Maschinengewehr auf Drehringlafette und ein Wärmebildgerät. Der »Fuchs« verfügt über maximal drei lafettierte Maschinengewehre. Zweck dieser Radpanzer war der Konvoischutz – eine neue Aufgabe, für die die Panzeraufklärer, die über diese Fahrzeuge verfügten, erst ausgebildet werden mussten. Bei der Sicherungskompanie des Transporteinsatzverbandes handelte es sich technisch gesehen um nichts anderes als um eine für die spezielle Aufgabe des Konvoischutzes zusammengestellte leichte Panzeraufklärungskompanie. Im militärischen Sprachgebrauch also um eine Kampftruppe. Der Transporthubschraubereinsatzverband sollte über eine Sicherungskomponente in Form einer Infanteriekompanie mit zehn TPz Fuchs verfügen – auf diese trifft die gleiche Feststellung zu. Das Feldlazarett galt es um 135 Soldaten zu verstärken, es bestand dann aus 435 Soldaten. Insgesamt sollte es sich bei 144

BArch, BH 7-2/1161, II. Korps, Befehl Nr.  1 für die Aufstellung und die Herstellung der Verlegefähigkeit eines möglichen deutschen Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für das ehemalige Jugoslawien, German Contingent Implementation Force (Land), GECONIFOR (L) vom 31.10.1995.

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GECONIFOR (L) um einen Verband in Brigadestärke handeln, dem vier bataillonsäquivalente Verbände (Feldlazarett, Pioniere, Heeresflieger und Transporter) unterstanden. Es handelte sich also um die auf den Einsatz zugeschnittene Sanitäts- und Transportkomponente des in Sarajevo stationierten ARRC, welches die drei multinationalen Divisionen führte. GECONIFOR (L) war also gewissermaßen das »Logistikpäckchen« für drei kampfstarke Divisionen auf Korpsebene. Insofern machte die Stationierung in Kroatien durchaus Sinn. Als »Korpstruppe« von IFOR (L) unterstand GECONIFOR (L) in operativer Hinsicht dem ARRC, truppendienstlich war diese durch das II. Korps aufgestellte Task Force bei Einsatzbeginn an das Heeresführungskommando zu übergeben (siehe Abb. 9: »Gliederung und Unterstellung des deutschen Kontingents, Implementation Force (Land)« im Anhang). Besonders herausfordernd war der Zeitplan für die Vorbereitung des ersten Einsatzkontingents. Bereits drei Wochen nach dem Befehl Nr. 1, also am 20.  November, sollte die Ausbildung des Personals beginnen, um bis zum 26. Januar 1996 abgeschlossen zu sein. Nur so konnte Ende Januar die Verlegung des Hauptkontingents erfolgen. Trotz dieses strengen Zeitplans konnte das deutsche Einsatzkontingent laut Plan erst einen Monat nach offiziellem Einsatzbeginn einsatzbereit sein. Dies traf nicht auf das Feldlazarett und die MEDEVAC-Kräfte zu.145 Nachdem sich am 6.  Dezember 1995 abzeichnete, dass eine Bundestagsmehrheit zustande kommen würde, wurde der geplante Zeitablauf für die Verlegung des Vorauskommandos bekanntgegeben. Am 19. Dezember sollte an den Seehafen Emden verlegt werden, um nach Verladung am 22. Dezember 1995 auslaufen zu können. In der aktuellen Planung betrug der deutsche Heeresanteil der IFOR nun 2625 Soldaten, davon waren 305 Sicherungssoldaten bzw. Lagerfeuerwehr. Zusammengenommen 880  Soldaten dienten im Stab (160 Soldaten), in der Fernmeldekompanie (180  Soldaten), im Presseinformationszentrum (20 Soldaten) und im Einsatzunterstützungsverband (520 Soldaten). Diese Struktur ermöglichte die Führung, Unterbringung und Versorgung der taktischen Elemente mit 1725 Soldaten bestehend aus dem Pionierbataillon (405 Soldaten), dem Transporteinsatzbataillon (540 Soldaten), der Heeresfliegereinsatzabteilung (380 Soldaten) und dem Feldlazarett (400 Soldaten). Zugleich wurde die Dislozierung festgelegt: Trogir für den Stab und das Feldlazarett, Benkovac für den Pioniereinsatzverband, Zadar für die Heeresflieger. Für Transportbataillon und Unterstützungsverband war Šibenik vorgesehen.146 Am 29. Dezember 1995 erfolgte schließlich der Befehl für die Verlegung der 145

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BArch, BH 7-2/1161, II. Korps, Befehl Nr.  1 für die Aufstellung und die Herstellung der Verlegefähigkeit eines möglichen deutschen Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für das ehemalige Jugoslawien, German Contingent Implementation Force (Land), GECONIFOR (L) vom 31.10.1995. BArch, BH 7-2/1161, II. Korps, German Contingent Implementation Force (Land) [GECONIFOR (L)], Ergänzungen/Änderungen zum Befehl Nr.  2 (Bezug 4) vom 6.12.1995.

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Hauptkräfte. Sie sollte ab dem 8. Januar 1996 erfolgen und bis zum 10. Februar 1996 abgeschlossen sein. IFOR (L) sollte bis zum 18. Februar 1996 bedingt einsatzbereit sein.147 Bereits im Januar 1996 konnte der erste Konvoi von Šibenik nach Livno durchgeführt werden. Erster Kommandeur der deutschen IFOR (L) war Brigadegeneral Friedrich Riechmann, Chef des Stabes wurde der vormalige Kommandeur des GECONUNPF, Oberst Henning Glawatz, der dieses im Dezember 1995 von Brigadegeneral Hans-Heinrich Dieter übernommen hatte. Brigadegeneral Henning Brümmer führte das zweite Kontingent und wurde im dritten Kontingent wieder von Brigadegeneral Riechmann abgelöst. Die individuelle Einsatzdauer bei IFOR betrug vier Monate; erst später sollten die Einsatzkontingente der Bundeswehr auf ein halbes Jahr verlängert werden. Deutlich wird, dass die Bundeswehr über keine Verbände verfügte, die bereits die benötigten Fähigkeiten abbildeten. So kamen die Soldaten des zweiten Kontingents beispielsweise aus 67 unterschiedlichen Truppenteilen und 38 verschiedenen Standorten in Deutschland.148 Bis zum 18. Dezember 1996, dem Übergang zur Stabilisation Force, ließen sich die Leistungen der drei Kontingente der GECONIFOR (L) sehen. Über tausend Lufttransporteinsätze und knapp 500 Transporteinsätze zu Land konnten durchgeführt werden. Dabei legten die Soldaten insgesamt fünfeinhalb Millionen Einsatzkilometer zurück. Die Transporte versorgten die Divisionen in Tuzla, Sarajevo bzw. Mostar und Banja Luka und transportierten dabei 35 000 t Fracht. Die Pioniere setzten acht Brücken instand und bauten 35 km Straße und reparierten etwa ebenso viele Straßen-Kilometer. Diese Aufgaben waren insbesondere aufgrund der Minenlage besonders gefährlich und nicht mit ähnlicher Tätigkeit im Heimatland zu vergleichen. Ein wichtiges Beispiel für die Arbeit der Pioniere ist die Instandsetzung der Straße im Korridor von Sarajevo nach Goražde. Die Erreichbarkeit der einstigen Enklave stand und fiel mit dem Zustand der Wege. Der Bau der Straße war daher ausdrücklich im Vertragswerk von Dayton erwähnt. Auch das Mitwirken an der Öffnung des Flugplatzes von Mostar und der Bau der Zufahrt zum Flugplatz Butmir (Sarajevo) gemeinsam mit den französischen Kameraden waren wichtige infrastrukturelle Meilensteine von operativer Bedeutung. Insgesamt wurden durch deutsche Soldaten 40 Weg-Kilometer von Minen geräumt. Die Bundeswehr hatte im IFOR-Einsatz keine Toten zu beklagen. Im Feldlazarett wurden etwa 13 000 Behandlungen für Soldaten aus über 50 Nationen durchgeführt.149 Als am 17. April 1996 die ersten IFOR-Heimkehrer in Köln-Wahn ankamen, begrüßte Bundeskanzler Helmut Kohl diese persönlich mit den Worten: »Sie haben al147 148 149

BArch, BH 7-2/1161, II. Korps, Befehl für die Verlegung der Hauptkräfte GECONIFOR (L) nach Kroatien vom 29.12.1995. Rüdiger Moniac, Der fliegende Wechsel der deutschen IFOR-Soldaten. In: Die Welt vom 28.8.1996. Hans-Christian Bustorf, Die deutsche IFOR-Truppe hat ihren Auftrag erfüllt. In: Die Welt vom 16.12.1996; Hans-Ulrich Stoldt, Bundeswehr. Die tun viel für uns. In: Der Spiegel 35/1996 vom 26.8.1996, S. 60‑62.

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len Grund, gemeinsam mit Ihren Kameraden von Luftwaffe und Marine stolz auf Ihre Leistung zu sein [...] Wer sich nach dem schrecklichen Krieg an der militärischen Absicherung des Friedens beteiligt, setzt sich auch Gefahren für Leib und Leben aus. Wer bereit ist, dies auf sich zu nehmen, um dem Frieden eine Chance zu geben, gibt Beispiel für viele.«150 Kaum ein Satz zeigt so deutlich den Wandel Deutschlands von der »KohlDoktrin« und der noch kein Jahr alten Beteuerung Kinkels, »keine deutschen Bodenkampftruppen in das ehemalige Jugoslawien« zu schicken, in das, was bald mit dem Schlagwort »Normalität« umschrieben wurde. Für die Bundeswehr hatte diese neue Aufgabe aber eher den Charakter eines improvisierten Ausnahmezustandes. Die Bundeswehrführung begann sich auf den Nachfolgeeinsatz der Stabilization Force (SFOR) in Bosnien-Herzegowina vorzubereiten.

150

Rüdiger Moniac, Kohl dankt Ifor-Soldaten für ihren Einsatz. In: Die Welt vom 18.4.1996.

4. SFOR zwischen »Staatsaufbau« und »Exit-Strategie« Die Schlagworte »Normalität« und »gleichberechtigte Partner« spielten in der deutschen zeitgenössischen Argumentation sowie dadurch bedingt in der politikwissenschaftlichen Analyse des Bundeswehreinsatzes in BosnienHerzegowina nach 1996 eine nicht zu übersehende Rolle. Dies wirft ein deutliches Licht auf die damit zusammenhängenden deutschen Interessen. »Ja, wir teilen das Risiko, wir tragen die gleiche Last der Verantwortung. [...] Meine Soldaten erleben, dass die uns gegebenen Aufträge ohne Rücksicht auf unsere Nationalität erteilt werden. Und es erfüllt uns mit Stolz, gleich und mit Kameradschaft behandelt zu werden. Es heißt nicht ›Germans to the front‹, es wird aber auch keine Schutzglocke über die Brigade Centre mit ihren deutschen Soldaten gestülpt.«1 So erklärte der Brigadekommandeur der in Bosnien-Herzegowina eingesetzten deutschen Kräfte und spätere Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, die Stellung der ersten deutschen SFOR-Soldaten. Diese in der äußeren Form von Erinnerungen vorgetragene Aussage konnte politischer gar nicht sein: Deutschland war gleichberechtigt. Die Nachkriegszeit mit Deutschland als eingeschränkter Partner war vorbei. Brigadegeneral Budde war von 1995 bis 1997 Kommandeur der DeutschFranzösischen Brigade. Diese stellte den Brigadestab für das erste deutsche Kontingent SFOR in Rahmen der Multinational Brigade Centre. Die Gleichberechtigung der Bundeswehr war offenbar für den deutschen Brigadekommandeur 1997 keine Selbstverständlichkeit – sondern etwas, was es besonders zu betonen galt. Dies ist nur aus der historischen Entwicklung heraus zu verstehen. Noch drei Jahre zuvor, im Jahr des endgültigen Abzugs der russischen Streitkräfte aus Ost-Deutschland, hatte dies ganz anders ausgesehen: Das deutsche Budget sah 1994 die Zahlung von 104  Millionen US-Dollar pro Jahr für die Finanzierung von UNPROFOR – das waren acht Prozent der jährlichen Gesamtkosten – vor. Ein wenig bekanntes Detail ist darüber hinaus, dass im selben Jahr Deutschland den Transport und die komplette Ausrüstung für etwa 4200 UNPROFOR-Soldaten aus Bangladesch und Pakistan für Bosnien-Herzegowina stellte. Ab Mai 1994 taten zwei pakistanische Bataillone in Vareš und Djurdjevik Dienst.2 Das Bataillon aus Bangladesch löste die bedrängten französischen Soldaten im Oktober 1994 in Bihać ab. Bereits im Dezember 1994 fiel der erste Soldat aus Bangladesch 1 2

Budde, Gleiche Rechte und Pflichten, S. 168. Informationen zu PAKBAT 1 und PAKBAT 2 nach der Webseite des Verteidigungsministeriums Pakistans. Aus dieser geht allerdings nicht hervor, dass Deutschland die Ausrüstung und den Transport der Bataillone stellte.

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nach Beschuss eines Schützenpanzers mit Panzerabwehrwaffen der VRS.3 Die Bundesrepublik Deutschland stellte für diese drei Bataillone 227 Schützenpanzer BTR-70 aus ehemaligen NVA-Beständen, 29  Ambulanzen, 450  Lastkraftwagen, Generatoren sowie Uniformen zur Verfügung. Bereits zuvor hatte Deutschland die kenianischen und nepalesischen UNPROFORKontingente für Kroatien mit 225 Schützenpanzern BTR-70 ausgestattet.4 Es ist damit nicht übertrieben zu sagen, dass Deutschland aufgrund der selbst auferlegten Restriktionen, keine Soldaten nach Bosnien-Herzegowina zu schicken, große Summen bezahlte und anderen, finanziell deutlich schwächeren Ländern die gefährliche Aufgabe überließ, Soldaten zu entsenden. Auch wenn man diese Politik als großzügige Hilfe angesichts eigener moralisch gerechtfertigter Einschränkungen verstehen mag, so bleibt doch der »Beigeschmack«, dass Soldaten aus Bangladesch bei Bihać ihr Leben ließen, während deutsche Soldaten aus letztlich politischen Gründen nicht in Bosnien-Herzegowina stationiert werden durften. Noch kurz zuvor hatte Deutschland darüber hinaus in den Jahren 1993 und 1994 in Somalia gezeigt, dass die Bundesregierung nicht die politische Durchsetzungskraft aufbringen konnte, eigene Soldaten im Rahmen der UN so einzusetzen, dass diese die im Süden Somalias operierende indische Brigade auftragsgemäß versorgen konnten. Der deutsche Einsatz war politisch auf das befriedete Gebiet um Beledweyne im Westen Somalias beschränkt worden, so dass nach einem durch den Commander UNOSOM II geänderten Auftrag für die indische Brigade der Einsatz des deutschen Logistikverbandes Gefahr lief, ins Absurde abzudriften. Auch wenn der Einsatz des deutschen Kontingents bei UNOSOM II als ein Lehrstück humanitärer Unterstützung und als Erfolg verbucht werden sollte, bleibt doch die Tatsache, dass für den real ausgeführten Auftrag ein anders zusammengesetzter Verband weit sinnvoller gewesen wäre. Hinzu kam, dass aufgrund politisch gewollter Mandatsbeschränkung – zum Ärger der deutschen militärischen Führung und trotz Einsatz zweier aus Fallschirmjägern bzw. im zweiten Kontingent aus Gebirgsjägern bestehenden Sicherungskompanien – das deutsche Kontingent von einem italienischen Verband fremdgesichert werden musste.5 Ob dies alles wirklich einer höheren Moral entsprach und bei etwas genauerem Hinsehen noch mit den »Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg« rechtfertigbar war, musste bereits zeitgenössisch informierten Beobachtern zweifelhaft erscheinen. 3

4

5

Dean E. Murphy, Peacekeeper Wounded in Bosnia Dies. Balkans: Bangladeshi was one of five injured in Serbian attack. U.N. officials denounce it as most serious strike against their mission since war began, in L.A. Times vom 14.12.1994. Diese Tatsache ist wenig bekannt und fand auch zeitgenössisch in den Medien kaum Beachtung. Hinweise darauf geben folgende spätere Vorgänge im Bundestag: Deutscher Bundestag, Drucksache 13/2171 vom 22.8.1995. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD. Kammerhoff, Unterm Blauhelm am Horn von Afrika, S.  123; Naumann, Der Wandel des Einsatzes von Katastrophenhilfe, S. 135. Zum Einsatz zusammenfassend: Kollmer, In die Wüste geschickt?

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Mit der Stabilisation Force (SFOR) verlegte die Bundeswehr, wie es der spätere Generalleutnant Riechmann ausdrückte, in die »Box«6 – also in das ehemalige Kriegsgebiet Bosnien-Herzegowinas. Die Bundesrepublik Deutschland schien damit »in der Normalität« angekommen zu sein. Dies galt zumindest für die abstrakte Wahrnehmung in der Staatenwelt. Auf der persönlichen Ebene der Bundeswehrsoldaten war freilich das Gegenteil der Fall: Auslandseinsätze waren 1997 noch alles andere als eine Normalität. Dies galt für den persönlichen Bereich der Soldatenfamilien ebenso wie für den Dienstbetrieb auf den verschiedenen Ebenen. Abgesehen von der aufgezeigten deutschen politischen Perspektive fand der SFOR-Einsatz bald nur noch eine geringe öffentliche Beachtung. Zum einen hat dies mit dem bald einsetzenden Krieg im Kosovo zu tun, zum anderen mit der Beschaffenheit des Einsatzes selbst. Der ab 1998 auf das internationale Tableau geratende KosovoKonflikt schien spektakulärer, wohingegen mit Dayton Ende 1995 in BosnienHerzegowina gewissermaßen der Gipfel der Spannungskurve bereits überschritten war. Der Dienst in Bosnien-Herzegowina wurde bald »als Routine« angesehen und schaffte es kaum mehr in die Schlagzeilen – die Karawane der Berichterstatter war den Gewalttaten in das Kosovo gefolgt. Auf der anderen Seite machte die politische Entwicklung in Bosnien-Herzegowina nur schleppend Fortschritte. Eine möglicherweise erhoffte Reduzierung der Kosten trat durch die »Politik der Normalität« übrigens nicht ein. Dies ließ schon die instabile Weltlage nicht zu. Im Jahr 2002 gab das Verteidigungsministerium den absoluten Betrag, den Deutschland für friedenserhaltende Maßnahmen der UN bezahlte, mit 382  Millionen US-Dollar an. Er hatte sich also innerhalb von acht Jahren mehr als verdreifacht. Im Verhältnis war der deutsche Anteil jedoch lediglich um 1,4 Prozent auf 9,4 Prozent gestiegen.7 Es machte aber gerade die Herausforderung des SFOR-Einsatzes aus, dass dieser als Stabilisierungseinsatz eben einen »langen Atem« verlangte und spektakuläre Einsätze, wie etwa die Festnahme von gesuchten Kriegsverbrechern oder effekthaschende politische Aktionen, weniger zur Beruhigung der Lage beitrugen, als der langfristige und trotz einsetzender Routine gefährliche alltägliche Dienst. Aus historischer Sicht ist daher die Bewertung des SFOREinsatzes eine besondere Herausforderung. Sie kann sich ebenso wenig in der Beschreibung des militärischen Alltags in einer »Perspektive von unten« von Kontingent zu Kontingent erschöpfen, wie auch eine nur auf den Krieg in Bosnien-Herzegowina beschränkte Perspektive unzureichend bleibt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, rief 1995 dazu auf, dass sich die deutsche »Gesellschaft und Politik [...] zur Notwendigkeit von Streitkräften als Wesenskern und Voraussetzung staatlicher Souveränität bekennen«8 solle: »Sicherheit nach außen zu gewährleisten, sich selbst verteidigen zu können, ist aber Voraussetzung und innerster Kern 6 7 8

Riechmann, Von Kroatien in die »Box«. Zahlen nach: Bundesministerium der Verteidigung: Bundeswehr 2002. Sachstand und Perspektiven, S. 19. Naumann, Aufgaben der Bundeswehr, S. 707.

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jeglicher Souveränität von Staaten. [...] Die Verantwortung gemeinsam mit Partnern auch Macht berechenbar anzuwenden, um den Frieden zu erhalten oder ihn wieder herzustellen, werden im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen.«9 Das Moment der vollen staatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nach dem Abzug der Besatzungsmächte spielte in den Gedanken des höchsten Bundeswehr-Generals und Beraters des Verteidigungsministers eine herausragende Rolle: »Deutschland ist nicht nur vereint, seit dem 31.  August 1994 ist es frei von Besatzungstruppen und damit vollständig souverän«,10 beschrieb Naumann die Situation. An der Bundeswehr war es 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges – wie dies bereits zehn Jahre danach, im Jahr 1955, der Fall gewesen war – durch ihre Tätigkeit bzw. Existenz diese Souveränität nun in Gänze zu erreichen. Hier bewies sich Naumann als geistiger Erbe der Gedanken der Generale und Gründerväter der Bundeswehr Hans Speidel und Adolf Heusinger.11 In dieser langfristigen historischen Perspektive gilt es den deutschen SFOR-Einsatz als militärhistorisch und damit staatspolitisch für die deutsche Geschichte hochsignifikantes Ereignis zu begreifen.

a) »Joint Guard« als NATO-Operation Am 20. Dezember 1996 lief das auf ein Jahr befristete Mandat für die IFOR und die durch diese durchgeführte NATO-Operation »Joint Endeavour« aus. Der NATO-Ministerrat erklärte im »Statement on Bosnia« vom 10. Dezember 1996, dass die Allianz bereit sei, eine Stabilisation Force (SFOR) zu organisieren und zu führen. Nach dieser Absichtserklärung autorisierte der UN-Sicherheitsrat mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1088 SFOR am 12.  Dezember 1996 als Nachfolgeoperation für IFOR. Hierauf aktivierte die NATO am 20.  Dezember den SFOR-Einsatz. Diese gradlinige politische Geschichte des NATO-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina stellt freilich lediglich die Zusammenfassung der Ereignisse auf der höchsten denkbaren völkerrechtlichen Ebene dar. Der deutsche SFOR-Einsatz vollzog sich zwar in diesem Rahmen, doch waren die Faktoren, die diesen bestimmten – wie noch zu zeigen sein wird – weit komplexer. Im Unterschied zur Implementation Force (IFOR) Operation »Joint Endeavour«, bereits dem Namen nach die gemeinsame Anstrengung (endeavour) zur Durchsetzung (implementation) des Friedensvertrages von Dayton, wachte die Stabilisation Force Operation »Joint Guard« über die Einhaltung der Vereinbarungen und sollte darüber hinaus die Situation in Bosnien-Herzegowina stabilisieren helfen. Hieraus ergab sich, 9 10 11

Ebd., S. 691. Ebd. Zur Bedeutung des Gedankens der staatlichen Souveränitätserlangung durch Aufstellung bundesdeutscher Streitkräfte bei den geistigen Gründungsvätern der Bundeswehr, Speidel, Heusinger und Foertsch siehe: Keßelring/Loch, Der »Besprechungsplan«.

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dass SFOR hinsichtlich der Rules of Engagement (ROE) nicht weniger »robust« sein durfte als IFOR und speziell für die Überwachung des just durchgesetzten Friedens auch über besondere Aufklärungs- und zur Not auch militärische Durchsetzungsfähigkeiten verfügen musste. Der konkrete Auftrag der SFOR lautete (1) eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen oder neuer Bedrohungen des Friedens abschreckend zu verhindern oder zu unterbinden, (2) die Errungenschaften von IFOR zu verfestigen, (3) ein Klima zu fördern, in dem der Friedensprozess vorankommt, (4) ausgewählte Unterstützung von zivilen Organisationen im Rahmen der Möglichkeiten, (5) Bereitschaft zur Notfallunterstützung für die UNTAES-Operation der Vereinten Nationen im nordöstlichen Kroatien.12 Hierzu wurde SFOR anfänglich eine Stärke von 32 000 Soldaten zugestanden. Dies war etwa die Hälfte der maximalen Personalstärke des IFOR-Einsatzes.13 Dies zeigt, dass es sich bei SFOR auch um den ersten Schritt einer »Exit-Strategie« der NATO handelte. Die Erfahrungen der UN-Missionen hatten gezeigt, dass ein vernünftiger abgestufter Plan zur Loslösung der Truppen aus dem Einsatzgebiet für den Friedensprozess nicht weniger notwendig war als der rasch durchgeführte Einsatz vor Ort. Dabei drängten insbesondere die USA darauf, ihre Truppen nicht zu lange auf dem Balkan binden zu müssen. Der Operationsplan »Joint Guard« definierte vier verschiedene Phasen mit einzelnen Aktivitäten: »Transition« (Übergang), »Stabilisation« (Stabilisierung), »Deterrence« (Abschreckung) und »Mission Completion« (Vollendung des Einsatzes). Dabei umfasste die Übergangsphase die Verlegung der SFOR und Rückverlegung der IFOR, eine Reservenbildung auf allen Ebenen, die Umgliederung der Kräfte im Einsatzraum unter zunehmender Luftüberwachung sowie Aufklärung zur Kompensation der Truppenreduzierung im Operationsgebiet. Diese erste Phase (»Transition«) galt als abgeschlossen, sobald SFOR die Bereitschaft zur Erfüllung der zugewiesenen Aufträge erreicht hatte und die strategischen und operativen Reserven außerhalb bzw. innerhalb von Bosnien-Herzegowina einsatzbereit aufgestellt waren. Ziel der zweiten Phase (»Stabilisation«) war es, sichere Rahmenbedingungen herzustellen. Dabei bestand die Hauptaufgabe der Stabilisierungstruppe darin, Präsenz zu zeigen und unmissverständlich militärische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Dies sollte das Umfeld schaffen, um den zivilen politischen Prozess überhaupt erst zu ermöglichen. Hier standen der Aufbau nationaler Institutionen sowie die Unterstützung bei der Durchführung der Kommunalwahlen im Vordergrund. Es galt die militärische Rüstung der ehemaligen Konfliktparteien zu überwachen und sicherzustellen, dass die Kriegsflüchtlinge in ihre Wohnorte zurückkehren konnten. Nach Abschluss dieser Phase sollten in einem dritten Schritt (»Deterrence«) die militärischen Operationen und Unterstützungsleistungen für zivile Organisationen weiter reduziert werden. Während Risiko- und Abschreckungskräfte noch in Bosnien-Herzegowina verbleiben sollten, wa12 13

Wentz, Bosnia – Setting the Stage, S. 32. Keßelring, Vom NATO-Kampfeinsatz zum »nation building«, S. 22 f.

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ren große Teile der SFOR nun in die Heimat zurück zu verlegen. Jedoch sollten strategische, operative und taktische Reserven eine schnelle und unmittelbare Reaktionsfähigkeit garantieren. Diese Phase wurde auf höchstens 18  Monate befristet. Anschließend sollte der Einsatz beendet werden (»Mission Completion«) und innerhalb von vier Wochen alle SFOR-Soldaten das Operationsgebiet unter der Kontrolle des Commander Stabilisation Force (COMSFOR) verlassen. Zeitgleich sollte der Übergang der vollziehenden Gewalt in Bosnien-Herzegowina auf die dortigen Zivilbehörden (Transfer of Authorisation, TOA) abgeschlossen sein. Die ersten drei Phasen dieses Operationsplans konnten in groben Zügen auch eingehalten werden. Jedoch durchkreuzte ab 1998 das immer akuter werdende Kosovo-Problem die Pläne zum endgültigen Ende der Operation.14 Mit Blick auf den militärischen Kräfteansatz lässt sich die Operation »Joint Guard« als Einsatz eines multinationalen NATO-Korps unter amerikanischer Führung vorstellen. Die oberste Führung von SFOR war klar zwischen den, die drei Divisionen stellenden Ländern, also den USA, Großbritannien und Frankreich, aufgeteilt: Bis Oktober 1999 stand SFOR unter dem Kommando eines amerikanischen Vier-Sterne-Generals, dem Commander SFOR (COM SFOR). Dieser verfügte über zwei Stellvertreter, einen französischen Generalleutnant als Deputy Commander SFOR (DEPCOMSFOR) und einen britischen Generalleutnant als Deputy Commander Operations (DEPCOMOPS).15 Hinsichtlich der »Einsatzphilosophie« von SFOR gilt es festzuhalten, dass der militärische Auftrag lautete, ein sicheres Umfeld für die Arbeit der zivilen Organisationen zu schaffen. Eine Beteiligung von SFOR-Truppenverbänden am Wiederaufbau war also nicht vorgesehen. Vielmehr wurde festgelegt, dass die Friedenstruppe nicht mit als zivil definierten Aufgaben überlastet werden dürfe. So lag beispielsweise auch das »humanitäre Minenräumen«, also Minenräumen zu anderen Zwecken als in Unterstützung militärischer Vorhaben oder Operationen, allein in der Verantwortung ziviler Organisationen und Unternehmen.16 Diese klare Definition des Einsatzes, die mit dem Sprichwort »Schuster bleib bei deinen Leisten« charakterisiert werden könnte, kontrastierte – obwohl die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied des NATO-Rats selbst mit für diese Linienführung verantwortlich war – stark mit der deutschen Debatte um den SFOR-Einsatz der Bundeswehr.

b) Salamitaktik? Der politische Weg zum SFOR-Einsatz der Bundeswehr »Man kann sich sehr verlaufen in den Schluchten des Balkans,«17 so berief sich Verteidigungsminister Volker Rühe noch im April 1996 vor einer Verlängerung 14 15 16 17

Schlaffer, Der Krieg in Bosnien, S. 26 f. Website der NATO SFOR Stabilisation Force. Schlaffer, Der Krieg in Bosnien, S. 27. Bundeswehr. Durch die Schluchten. In: Der Spiegel 36/1996 vom 2.9.1996, S. 26.

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des IFOR-Mandats auf den Schriftsteller Karl May, der freilich seinen »OrientZyklus« geschrieben hatte, ohne zuvor den Balkan besucht zu haben. Dies hatte zu diesem Zeitpunkt der deutsche Verteidigungsminister des späten 20. Jahrhunderts mit dem sächsischen Autor des späten 19. Jahrhunderts gemein. Keine drei Monate später änderte sich der Ton der Bundesregierung. Rühe hob nun hervor, dass weitere Abschreckung zur Verhinderung einer »Rückkehr von Krieg und Massakern« notwendig sei.18 Ende des Folgemonats, am 29.  August 1996, berichtete die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« erstmals, dass ein deutsches Kontingent im »Post-IFOR-Mandat« der Zukunft auch in Bosnien-Herzegowina selbst eingesetzt werde. Erstmals trat hier auch die Sprachregelung der Wahrnehmung von »gleichen Pflichten« der Deutschen im Bündnis auf.19 Zwei Tage später konkretisierte Rühe in einem exklusiven Interview gegenüber der »Bild-Zeitung« erstmals öffentlich, dass sich Deutschland bei der zukünftigen Balkanmission in Bosnien-Herzegowina »signifikant engagieren« werde.20 Das gegenseitige Bedingtsein von Pflichten und Rechten ist eine tief im Alltagsbewusstsein verankerte »Gleichung«. Es ist auffällig, dass die aus »gleichen Pflichten« ableitbaren »gleichen Rechte« in der Diskussion um SFOR kaum thematisiert wurden; sie schwangen aber dennoch als stillschweigende Forderung ständig mit. Der Hintergrund dieser ersten öffentlich sichtbaren Zeichen des erneuten Umschwungs in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik lässt sich auf Mitte August 1996 datieren. Am 15. und 16. August fand – einen Monat vor den ersten Nachkriegswahlen in Bosnien-Herzegowina vom 16.  September 1996 – eine gemeinsame Informationsreise des Politischen Direktors im Auswärtigen Amt, Wolfgang Ischinger, und des Chefs des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Vizeadmiral Ulrich Weisser,21 statt. Auf dem Programm dieser Reise standen Gespräche mit dem Hohen Repräsentanten, Carl Bildt, mit Vertretern der IFOR sowie mit den Vertretern der beiden »Entitäten«, also der RS und der Föderation. In ihrem gemeinsamen Bericht empfahlen Ischinger und Weisser, dass IFOR erst nach den Wahlen, dann aber rasch auf etwa 25 000 bis 30 000 Soldaten zu reduzieren sei. Die Fortsetzung der zivilen und militärischen Präsenz werde von allen politischen Kräften für unabdingbar gehalten. Dabei stelle »Abschreckung als stabilisierendes Element« den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Deutschland solle – allein schon wegen der Flüchtlingsproblematik – an einer weiteren Stabilisierung der Region »auch mit militärischer Hilfe« besonders gelegen sein. Die Fortsetzung sollte von Deutschland »auch mit einem deutschen Beitrag, je sichtbarer, desto bes-

18 19 20 21

NATO. Gemeinsam drinnen. In: Der Spiegel 28/1996 vom 8.7.1996, S. 28 f. Längerer Aufenthalt und neuer Auftrag für die Bundeswehr in Bosnien. In: FAZ vom 29.8.1996. Interview mit Verteidigungsminister Volker Rühe. In: Bild vom 31.8.1996. Ulrich Weisser (1938‑2013), 1992‑1998 Chef des Planungsstabes im BMVg. Der Anteil des Vizeadmirals an der Neuausrichtung der Bundeswehr kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seine Memoiren: Weisser, Strategie als Berufung.

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ser« unterstützt werden.22 Weisser berichtete später: »Auf dem Rückflug von Zagreb nach Bonn haben wir eine gemeinsame Empfehlung an unsere beiden Minister formuliert: es ist Zeit und es findet in ganz Bosnien Akzeptanz, dass Deutschland sich ohne Einschränkung solidarisch an der Stabilisierung des Landes beteiligt – und zwar möglichst mit der deutsch-französischen Brigade.«23 Am 29. August 1996 folgte das diesbezügliche Gespräch Rühes mit den Obleuten im Verteidigungsausschuss. Jetzt wurde spätestens deutlich, dass sowohl das Auswärtige Amt als auch das Bundesministerium der Verteidigung eine weitere Stationierung von Kampf- und Kampfunterstützungstruppen zur Abschreckung der ehemaligen Kriegsparteien befürworteten.24 Es folgte kurz nach den Wahlen ein Truppenbesuch Rühes in Bosnien-Herzegowina gemeinsam mit dem britischen Verteidigungsminister Michael Portillo.25 Dieser Besuch war es, der für die deutsche und internationale Öffentlichkeit sichtbar die Wende in Bezug auf das deutsche Militärengagement auf dem Balkan darstellte. Allein die Tatsache, dass diese Wende im Rahmen eines gemeinsamen deutsch-britischen Truppenbesuchs kommuniziert wurde, zeigt, wie sehr jeglicher Eindruck eines deutschen Alleinganges vermieden werden sollte. Dass es sich dabei keineswegs nur um einen deutschen »Vergangenheitskomplex« handelte, unterstreicht die Anekdote, dass der britische Verteidigungsminister Portillo es bei dieser Reise um jeden Preis vermied, vor Großfahrzeugen der Bundeswehr oder aus einem Bundeswehr-Hubschrauber aussteigend fotografiert zu werden – er befürchtete einen negativen Einfluss auf seine Popularität in Großbritannien, falls im Hintergrund das Eiserne Kreuz sichtbar sein sollte!26 Der Bundesverteidigungsminister wiederum spielte den Kampftruppencharakter des künftigen Bundeswehreinsatzes in Bosnien-Herzegowina herunter und betonte das Vorgehen im Bündnisrahmen: »Wir denken vor allem an Zusammenarbeit mit den Franzosen in deren Sektor. Dabei wollen wir einen Sicherungsverband einsetzen, auch ein Feldlazarett und gewisse eigene Logistikkapazitäten. Der deutsche Gesamtbeitrag könnte zwischen 2000 und 3000 Soldaten betragen, in einem vernünftigen Mix. Gepanzerte Kampftruppen – das klingt mir viel zu martialisch.«27 Diese politisch gedachte Integration im Bündnis spielte auch bei der praktischen Ausgestaltung des zukünftig geplanten Balkaneinsatzes der Bundeswehr eine signifikante Rolle. Der Bundesverteidigungsminister machte deutlich, dass Deutschland keineswegs 22

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Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S.  76. Der damalige Oberst i.G. Meyer zum Felde war von Juli 1996 bis Juni 1998 Referent für die laufenden Operationen im Planungsstab des BMVg. Weisser am 19.10.1998 bei seiner Abschiedsansprache im Planungsstab. Zitiert nach: Ebd., S. 76, Fn. 17. Bundeswehr. Durch die Schluchten. In: Der Spiegel 36/1996 vom 2.9.1996, S. 26. Lantis, Strategic Dilemmas and the Evolution, S. 132. Angst vor dem Kreuz. In: Der Spiegel 42/1996 vom 14.10.1996, S. 20. Interview mit Verteidigungsminister Volker Rühe, »Wir bleiben nicht ewig«. In: Der Spiegel 39/1996 vom 23.9.1996, S. 25.

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eine Führungsrolle beanspruchte. Auch hier wurde geschickt argumentiert: »Es soll bei der neuen Mission eventuell der Stab der deutsch-französischen Brigade eingesetzt werden, die jetzt turnusgemäß ein Deutscher führt. [Der Brigadekommandeur wechselt im Zwei-Jahres-Rhythmus an den ungeraden Jahren zwischen Deutschland und Frankreich.] Bei einem Einsatz im französischen Sektor Bosniens werden natürlich die Franzosen die Führung behalten.«28 Demnach klang es so, dass gewissermaßen »zufällig«, weil gerade ein Deutscher die 1990 in Dienst gestellte »Deutsch-Französische Brigade« führte, ein deutscher General mit seiner Truppe nach Bosnien-Herzegowina entsandt werde. Von Zufall konnte freilich keinesfalls die Rede sein. Es handelte sich um eine bewusste Entscheidung, nach der Empfehlung der Fachleute des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums der Verteidigung Ischinger und Weisser, wobei der Einsatz der »Deutsch-Französischen Brigade« dazu diente, dem ersten deutschen Kampftruppeneinsatz seit Ende des Zweiten Weltkrieges jegliche Dramatik zu nehmen. Während diese Taktik der Einbindung sich in erster Linie an das Ausland richtete, macht es den Anschein, dass der eigenen Bevölkerung die Entscheidung zum Kampftruppeneinsatz im ehemaligen Kriegsgebiet von Bosnien-Herzegowina so verkauft wurde, als sei Sie schon lange zuvor gefallen und als handele es sich darüber hinaus primär um eine Forderung der Alliierten. So argumentierte auch der bald im Heeresführungskommando für die Einsätze zuständige Riechmann, dass ohnehin schon 80 Prozent der Leistungen des deutschen IFOR-Kontingents in Bosnien-Herzegowina stattgefunden hätten.29 Diese Argumentation findet sich auch in verschiedenen Reden und Interviews Rühes.30 Interessant ist dies insofern, als noch ein Jahr zuvor gerade das Argument, dass die Bundeswehr ja nicht in BosnienHerzegowina sondern nur in Kroatien eingesetzt werden solle, eine zentrale Rolle gespielt hatte. Eine »Salamitaktik« – versteht man darunter eine stückchenweise Gewöhnung der Öffentlichkeit an die neue politische Linie angesichts neuer politischer Gegebenheiten – wurde in der Tat im Rahmen der Kommunikation der »neuen Normalität« an die Bevölkerung angewendet. Dies zeigen nicht nur die Ereignisse in ihrer Chronologie, sondern das geht auch aus einem späteren Debattenbeitrag des Generals Naumann hervor: »Die Kommunikation dieses Wandels der ›alten Bundeswehr‹, deren Einsatz sich Außenminister Klaus Kinkel allein auf dem Balkan noch 1994 nur schwer vorstellen konnte, hin zur ›neuen Bundeswehr‹, die in Afghanistan im Kampfeinsatz steht, gleicht einer ›Salamischeibentaktik‹.«31 Festzuhalten ist, dass den deutschen Wählern, der ausländischen Öffentlichkeit und wohl auch den Angehörigen der Bundeswehr selbst der fundamentale Wandel nur stufenweise zugemutet wurde. Dabei wurden die nächstfolgenden Schritte 28 29 30 31

Ebd., S. 26. Riechmann, Von Kroatien in die »Box«, S. 164. Beispielsweise: Interview mit Verteidigungsminister Volker Rühe, »Wir bleiben nicht ewig«. In: Der Spiegel 39/1996 vom 23.9.1996, S. 25‑27. Zitiert nach: Loch/Mayer, »Generation Einsatz«, S. 52.

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jeweils nicht vorab offen gelegt. Zukünftige Forschungen müssen zeigen, ob die Bundesregierung unter Kohl hierfür einen »Masterplan« besessen hatte oder aber, ob sie mit dem Ziel einer vollen Gleichberechtigung vor Augen jeweils situativ reagierte. Die Entscheidungen für den jeweils nächsten Schritt erfolgten indes – dies gilt es zu betonen – transparent, demokratisch und auch sonst im Einklang mit dem Grundgesetz. Entscheidender als diese Methode der politisch-gesellschaftlichen Kommunikation ist die Tatsache, dass sich die außenpolitische Linie der Bundesregierung in Bezug auf die Militäreinsätze für alle sichtbar im Sommer 1996 geändert hatte. Dies war spätestens nach den ersten freien Nachkriegswahlen in Bosnien-Herzegowina auch allgemein bekannt. So machte etwa »Der Spiegel« eine größere Öffentlichkeit auf diesen drastischen Meinungsumschwung aufmerksam. Zitiert wurde dabei Bundeskanzler Kohls »es bleibt aber bei unserer Position, dass wir aus Gründen der geschichtlichen Erfahrung keine deutschen Soldaten, also Bodentruppen, in das frühere Jugoslawien schicken« vom 19. Dezember 1994. Der Kontrast zwischen dieser Aussage und der Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr im Rahmen des SFOR-Einsatzes war deutlich. Knapp drei Jahre später erklärte Rühe während eines Truppenbesuchs in Bosnien-Herzegowina: »Die deutschen Soldaten tun das, was alle anderen Soldaten im Rahmen des SFOR-Mandats auch tun«.32 Bundeskanzler Kohl besuchte gemeinsam mit seinem Verteidigungsminister zu Weihnachten 1997 die Truppe in Rajlovac (Sarajevo). Während aber, wie gezeigt werden konnte, an der Form der Kommunikation (»Salamitaktik«) und an der mehrfach deutsche Einsatzszenarien eskalierenden Meinungsänderung, politische Unehrlichkeit implizierend, in Teilen der Öffentlichkeit Anstoß genommen wurde, gab es doch einen breiten demokratischen Konsens darüber, dass in der Sache der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina angemessen und sinnvoll sei. Das zeigt die Abstimmung zum Einsatz der SFOR am 13.  Dezember 1996 im Deutschen Bundestag: Von 613 Bundestagsabgeordneten stimmten 499 für den SFOR-Einsatz, 91 dagegen und 21 enthielten sich.33 Die parlamentarische Zustimmung überstieg also die – hier gar nicht verfassungsmäßig geforderte – Zweidrittelmehrheit, wie sie im Falle einer Grundgesetzänderung notwendig gewesen wäre. Der historischen Bedeutung dieser Abstimmung waren sich Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete sehr wohl bewusst. Bundeskanzler Kohl bezeichnete die Abstimmung als eine »Entscheidung, die einen Einschnitt im Leben unseres Volkes bedeutet«.34 Die Stimmverteilung verdient es allein schon deswe32 33 34

Zitiert nach: Videoaufnahme der Pressekonferenz vom 23.12.1997: AP, Bosnia: Sarajevo: German Defence Minister Volker Ruehe visit. Bundestag, Plenarprotokoll 13/149 vom 13.12.1996, Tagesordnungspunkt 14. Katrin Schulze, 20 Jahre Bosnien-Einsatz. Als Deutschland wieder in den Krieg zog. In: Der Tagesspiegel vom 11.1.2016, . Festzuhalten ist, dass der Titel irreführend ist, da im Januar 1996 der IFOR-Einsatz in Kroatien begann. Der SFOR-Einsatz begann erst ein Jahr später. Die geschilderten Erinnerungen an den ersten Einsatz in Mostar sind inhaltlich dem SFOR-Einsatz zuzuweisen. Zitat geprüft nach: Bundestag, Plenarprotokoll 13/149 vom 13.12.1996, Tagesordnungspunkt 14.

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gen genauer betrachtet zu werden: Es stimmten die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP – bis auf eine sich enthaltende Stimme – geschlossen für den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina im Rahmen der NATOgeführten SFOR. Auf der politischen Gegenseite stimmten die Abgeordneten der PDS-Fraktion geschlossen dagegen. In der SPD-Fraktion war das Ergebnis trotz mangelnden parteiinternen Konsenses deutlich für den Einsatz. Es stimmten 107 SPD-Abgeordnete für den Einsatz und 41 dagegen; also ergab sich innerhalb der SPD eine qualifizierte Binnenmehrheit für den Einsatz. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die SPD-Parteiführung sich für den Einsatz aussprach. Aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmten zwei Abgeordnete – die aus der DDR-Bürgerbewegung stammende Vera Lengsfeld und die Bremerin Waltraud Schoppe – für den Einsatz; 25 Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen und 16 enthielten sich.

c) Militärische Planung und Durchführung des GECONSFOR im Rahmen von »Joint Guard« Der militärische Einsatz begann sich Ende Oktober 1996 – vorbehaltlich der ausstehenden Regierungs- und Bundestagsbeschlüsse – zu konkretisieren. Seine praktische Ausgestaltung war durch das Spannungsfeld zwischen nationalen Interessen und gesellschaftlichen Möglichkeiten einerseits und bündnispolitischen und militärisch-praktischen Anforderungen andererseits bedingt. Am 29.  Oktober 1996 fand eine erste Befehlsausgabe beim Heeresführungskommando in Koblenz statt. Hintergrund war der Auftrag des NATO-Rats an die Militärbehörden der NATO-Mitgliedstaaten, die jeweiligen Möglichkeiten für eine Stabilisierung des Friedensprozesses in ExJugoslawien zu untersuchen.35 Hier arbeitete der Apparat der NATO weitsichtig und war den nationalen Entscheidungen voraus. Der NATO-Rat, der die Summe der nationalen politischen Entscheidungen repräsentierte, spiegelte freilich auch die Politik der Bundesregierung wider. Diese hatte Ende August, wie gezeigt, bereits einen Einsatz der Deutsch-Französischen Brigade anvisiert. Ausgeplant wurde dieses Kontingent im Heeresführungskommando unter seinem Befehlshaber, Generalleutnant Dr. Klaus Reinhardt. Reinhardt36 hatte ab März 1994 das Heeresführungskommando als nationales Führungsinstrument des Heeres aufgebaut. Seit 1995 war Brigadegeneral Axel Bürgener dort Chef des Stabes. Das deutsche Heereskontingent SFOR sollte aus einem gemischten Überwachungsverband bestehen. Unterstützung sollte der Verband durch Heeresflieger, Pioniere, Panzeraufklärer, ein Feldlazarett sowie Logistiktruppen erhalten. Als materielle Ausstattung waren 35

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BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996. Reinhardt, 1941 geb., ist am 30. November 2021 verstorben.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Transportpanzer »Fuchs« und Spähpanzer »Luchs«, Transporthubschrauber CH-53 der Heeresflieger und Aufklärungsdrohnen CL-289 der Artillerie vorgesehen. Das mit der Aufstellung der Einsatzverbände beauftragte II. Korps, in der damaligen Heeresstruktur  V (N) bestehend aus den Großverbänden 5. Panzerdivision, 10. Panzerdivision und 1. Gebirgsdivision, hatte bereits mit der Aufstellung der deutschen Kontingente für UNPF und IFOR Erfahrungen sammeln können. Nun stellte dieses seit 1993 als II. (Deutsch-Amerikanisches) Korps firmierende, aber dennoch in Friedenszeiten bis auf einen amerikanischen Verbindungsstab deutsche Korps – dem erst im Verteidigungsfall der NATO die 1.  (US) Panzerdivision unterstellt worden wäre – die Truppen, die es entsprechend der politischen Vorgabe dem Brigadestab der DeutschFranzösischen Brigade zu unterstellen galt. Die Deutsch-Französische Brigade war aber bereits zu Friedenszeiten dem Eurokorps in Straßburg assigniert, doch war dessen deutscher Anteil truppendienstlich der 10. Panzerdivision in Sigmaringen unterstellt.37 Die 10. Panzerdivision wiederum stellte den deutschen Beitrag für das Eurokorps im Falle eines Einsatzes im Verteidigungsfall nach Artikel  5 des Nordatlantikvertrages oder des WEU-Vertrages dar. In Friedenszeiten war sie hingegen Bestandteil des II.  Korps (GE/US). Diese komplizierte Situation war der Neuordnung der Großverbände nach Ende des Kalten Krieges geschuldet, die in Deutschland die Schaffung multinationaler Korps bedeutete.38 Der Startschuss für die Aufstellung des Eurokorps war am 22. Mai 1992 auf dem Deutsch-Französischen Gipfel von La Rochelle gefallen und dessen Zweck wie folgt beschrieben worden: »Die Aufstellung dieses Korps wird dazu beitragen, die Europäische Union mit Möglichkeiten des eigenen militärischen Handelns auszustatten und verdeutlicht den Willen der am Korps beteiligten Staaten, im Rahmen einer Europäischen Union, die auf längere Sicht auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik umfasst, ihre Verantwortung auf dem Gebiet der Sicherheit und der Aufrechterhaltung des Friedens wahrzunehmen.«39 Im November 1995 hatte das inzwischen um eine belgische Division und eine spanische Brigade erweiterte Korps im Manöver »Pegasus 95« seine volle Operationsbereitschaft demonstriert.40 Nur kurz vorher hatte jedoch die Bundesregierung französische Versuche, das Eurokorps als Friedenstruppe in Ruanda oder Bosnien-Herzegowina einzusetzen, abgeblockt.41 Die in diesem Zusammenhang gefallene Äußerung Rühes, »das Eurokorps ist kein Afrikakorps«, sollten bald zu einem geflü-

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Deutsch-Französische Brigade Franco-Allemande 1989‑2009. Dyba/Bentler, 50 Jahre 10. Panzerdivision. 59. Deutsch-Französischer Gipfel in La Rochelle – Erklärung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat (22. Mai 1992). Jacques Isnard, »L’Eurocorps est devenu opérationnel«. In: Le Monde vom 1. Dezember 1995, S.  5. Zur vom 17.11.‑1.12.1995 andauernden Übung »Pegasus  95 siehe die Überlieferung des Heeresführungskommandos BArch, BH 41/108. Rüdiger Moniac, Mit »Pegasus« erlebt das Eurokorps seine Feuertaufe. In: Die Welt vom 30.11.1995, .

4. SFOR zwischen »Staatsaufbau« und »Exit-Strategie«

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gelten Wort werden.42 Es mag jedoch kein Zufall sein, dass der Inspekteur des Heeres zur Zeit der Entscheidung, die Deutsch-Französische Brigade in Bosnien-Herzegowina einzusetzen, Generalleutnant Helmut Willmann, zuvor Kommandierender General des Eurokorps in dessen Aufstellungsphase bis zur Operationsbereitschaft war. Das Führungspersonal des ersten deutschen SFOR-Kontingents war handverlesen. In den Planungen vom Oktober 1996 war noch davon ausgegangen worden, dass die Stelle des Nationalen (deutschen) Befehlshabers im Einsatzland und diejenige des Chefs des Stabes der Multinational Division Southeast (»Division Salamandre«) – der die Deutsch-Französische Brigade unterstellt wurde – durch nur einen deutschen General wahrgenommen werden könne.43 Diese beiden Funktionen wurden jedoch ab November 1996 getrennt ausgeplant und besetzt, was sich auch aufgrund der Dienstgradstruktur der Dienstposten und der Notwendigkeit, im Einsatzgebiet mit einem Zweisternegeneral präsent zu sein, ergab.44 Chef des Stabes der Multinational Division Southeast (MND SE, »Division Salamandre«) und Dienstältester Deutscher Offizier (DDO) wurde mit Brigadegeneral Helmut Neubauer der Chef des Stabes der 10.  Panzerdivision. Dieser hatte nicht nur einen französischen Generalstabslehrgang absolviert, sondern war auch der erste Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade (1991‑1993). Neubauer sollte anschließend stellvertretender Kommandierender General des Eurokorps im Dienstgrad Generalmajor werden.45 Mit dem Kommandeur der 5.  Panzerdivision, Generalmajor Klaus Frühaber, wurde der ehemalige erste Chef des Stabes des Heeresführungskommandos als stellvertretender Kommandeur Logistik (Combined Joint Staff for Logistics, CJ4) im NATO HQ SFOR und gleichzeitig (deutscher) Nationaler Befehlshaber Einsatzland eingesetzt.46 Als solcher vertrat er die deutschen Interessen im Stab SFOR und ermöglichte einen rein deutschen nationalen Befehlsweg vom Heeresführungskommando über den Nationalen Befehlshaber Einsatzland und den (deutschen) Chef des Stabes der »Division Salamandre« und zugleich stellvertretenden Nationalen Befehlshaber Einsatzland – Brigadegeneral Neubauer – zur Deutsch-Französischen Brigade unter ihrem Kommandeur 42

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Volker Rühe im Interview mit dem Nachrichtenmagazin »Focus« (Klaus Schrotthofer). Kein Triumphgeheul. In: Focus Magazin 29, (1994) vom 18.7.1994. Zur späteren Verwendung des Zitats im Rahmen deutscher Afrikapolitik etwa: Bierling, Vormacht wider Willen. BArch, BH 7-2/1162, II.  Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage A. Ebd., Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage A. Gabriele Babeck-Reinsch, Minister schickt Glückwünsche. Helmut Neubauer wurde 70. In: Badische Zeitung vom 14.7.2011 sowie Website des Eurokorps, dessen stellvertretender Kommandierender Generalmajor Neubauer von 1998 bis 2001 werden sollte. Rüdiger Moniac, Vorgelebte Versöhnung. In: Die Welt vom 7.2.1997.

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Brigadegeneral Hans-Otto Budde. Als Stellvertretender G3 im Stab SFOR war darüber hinaus Brigadegeneral Ulrich Wolf eingesetzt.47 Wolf war von seiner Friedensverwendung als Assistant Chief of Staff Operations für die operative Planung und Führung im Hauptquartier der Alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa (LANDCENT) in Heidelberg als G3 bereits 1996 ins IFORHauptquartier (Ilidza) der NATO kommandiert worden und bekleidete diese Funktion auch 1997 im Rahmen von SFOR. Wie eine genauere Betrachtung der Dienststelle des Nationalen Befehlshabers Einsatzland zeigt, war diese so ausgestattet, dass diesem die nationale Führung der Operationskräfte und ein zumindest unabhängiger Überblick über die Lage ermöglicht wurde: Der Stab des Nationalen Befehlshabers Einsatzland bestand aus 73 Soldaten, mit den Führungsgrundgebieten G1 bis G6 mit einem klaren Schwerpunkt bei G2 (Militärisches Nachrichtenwesen) und G3 (Führung und Organisation). In der Praxis fanden sich die hier eingesetzten Soldaten in dem gemischten Divisionsstab der MND SE als »deutscher Anteil« wieder.48 Dazu gehörten auch, dem Chef des Stabes beim nationalen Befehlshaber direkt unterstellt, zwei Truppenpsychologen und diesem angegliedert zwei Militärpfarrer sowie ein 19  Personen umfassendes Presseinformationszentrum. Dieses war personalmäßig also stärker als die zusammengesetzte G2/G3-Abteilung mit insgesamt 15  Soldaten.49 Dem Nationalen Befehlshaber Einsatzland war darüber hinaus die Stabs- und Fernmeldekompanie Nationaler Befehlshaber unterstellt. Diese knapp über hundert Soldaten umfassende Einheit war eine Besonderheit, die sich so nur im Einsatzland finden sollte: Sie bestand aus zwei Fernmeldestaffeln, wobei eine rein national unterstellt und eine andere »international« unterstellt war. Letztere unterstand dem deutschen Anteil am SFOR Hauptquartier. Hinzu kam ein Trupp »Radio Andernach« aus der Operativen Information und eine »Zelle« JASMIN bzw. GENIC.50 Hinter diesen Kürzeln verbargen sich nachrichtendienstliche Elemente: Das Personal für JASMIN (Joint Analysis System Military Intelligence) wurde durch das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBw) und das MAD-Amt personell betrieben, die GENICs (German National Intelligence Cells) stellte der Bundesnachrichtendienst (BND).51 Letztere unterstanden nicht dem Nationalen Befehlshaber, sondern waren mit diesem auf Zusammenarbeit angewiesen. Das Betreiben von GENICs, die auf der operativen Ebene im Rahmen der Auslandseinsätze der Bundeswehr eingesetzt wurden, stellte für den BND ebenso Neuland dar, wie deren Integration in den Stab des Nationalen Befehlshabers für 47 48 49

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Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, Mostar 1997 [Kontingentbuch], S. 92. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 27‑43. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/1. Ebd., Anlage D/2 in Verbindung mit Anlage A. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 64 f.

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die Bundeswehr in dieser Form etwas Neues war. Hier kam zum Tragen, dass die Bundeswehr über keinen eigenen Militärnachrichtendienst zur Nachrichtenbeschaffung verfügte, sondern diese Funktionen durch den BND wahrgenommen wurden. Valide historische Aussagen über die Wirksamkeit der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit sowohl im internationalen Rahmen als auch an der nationalen Schnittstelle zwischen politischem Nachrichtendienst und militärischer Nachrichtengewinnung auf der operativen Ebene sind auf Grund der Sensibilität dieses Bereiches nicht möglich.52 Festzuhalten bleibt jedoch, erstens dass Deutschland im Rahmen SFOR die Notwendigkeit einer eigenen nachrichtendienstlichen Komponente begriff und diese zivilen und militärischen Fähigkeiten an höchstmöglicher nationaler Stelle – nämlich beim Nationalen Befehlshaber Einsatzland – unabhängig von den internationalen G2-Einrichtungen bei SFOR auf den verschiedenen Ebenen vorgehalten wurden. Dies stellte einen deutlichen Schritt zur »Normalität« und »Gleichberechtigung« dar, da etwa die USA oder Frankreich sich in diesem, im Rahmen der NATO nicht integrierten, Bereich ähnlich verhielten. Zweitens wurde auch in diesem Bereich Neuland betreten und es mussten sich erst Strukturen heranbilden, die der spezifisch deutschen nachrichtendienstlichen Struktur im Bereich des Militärischen und dem Bedarf gerecht werden konnten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die technischen Aufklärungsmittel (Signal Intelligence, SIGINT), die das Heer der Bundeswehr bei SFOR einbrachte und die wesentlich zum Lagebild sowohl bei SFOR als auch auf der nationalen Ebene durch die Einspeisung der Aufklärungsergebnisse bei JASMIN beitrugen: ein unbemanntes LuftbildAufklärungssystem (Drohne CL-289) sowie Komponenten der Elektronischen Kampfaufklärung (EloKa). Diese unterstanden als Divisionstruppen der »Division Salamandre«. Von den Schwierigkeiten, ein ursprünglich für den Krieg in der norddeutschen Tiefebene konzipiertes System im Rahmen des Peacekeeping – also letztlich in einem befriedeten Umfeld – einzusetzen, zeugt der Einsatz der Drohne CL-289. Diese war ursprünglich als Artillerieaufklärungsmittel und zur Lagefeststellung auf Korps- und Divisions-Ebene – konkret zur Aufklärung der zweiten Angriffsstaffel der Sowjetarmee mit einer Eindringtiefe von rund 100  km über die hochbewaffnete Frontlinie hinweg – entwickelt worden. Das Aufklärungssystem zeichnete sich daher durch hohe Geschwindigkeit und eine geringe Radarsignatur aus.53 Im Januar 1997 erfolgte die personelle und materielle Verlegung eines Systems Drohne CL-289 nach 52

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Vgl. das jedoch nicht spezifisch über Deutschland gefällte Urteil bei Hennessy: »SFOR intelligence can not be called a failure; however it has been operationally focussed and remains of unknown significance in shaping the success of nation building. It clearly aided the creation of a more stable security situation and what else is needed is perhaps best carried out by political intelligence beyond the ken of military operational forces. The interface between the two is perhaps a gray area yet to be explored and can prove a mayor military factor.« Hennessy, A reading of tea leaves, S. 37. Zur Typenbeschreibung und dem damaligen Stand der technischen Entwicklung siehe: Grabau, Technische Aufklärung, S. 293‑303.

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Mostar. Verlegt wurde also keine gesamte Drohnenbatterie, sondern lediglich eine 33 Mann starke, aus Schlüsselpersonal bestehende Kernmannschaft, die etwa ein Drittel der Friedensstärke der entsendenden Drohnenbatterie 100 aus Coesfeld betrug. Hiermit sollte die Fähigkeit zu vier Aufklärungsflügen pro Woche aufrechterhalten werden.54 Am 11.  Februar 1997 erfolgte der erste deutsche Drohnenflug im Auslandseinsatz. Drei weitere unbemannte Aufklärungsflüge folgten, mussten jedoch bald witterungsbedingt eingestellt werden. Beim nächsten Anfang März erfolgenden Flug55 stürzte die Drohne aufgrund eines technischen Fehlers in der Nähe der Ortschaft Buna (Mostar) ab. Wrackteile mussten unter Einsatz französischer Hubschrauber und Gendarmerie – teilweise aus dem gleichnamigen Fluss – geborgen werden. Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Flugunfalluntersuchungen durch den General Flugsicherheit der Bundeswehr kam es anschließend zu einer längeren Einsatzpause.56 Ab Juli 1997 übernahm die Drohnenbatterie 1 aus Delmenhorst den Drohnenauftrag in Mostar.57 Der Rhythmus der Aufklärungsflüge wurde in der Folge auf zwei Flüge pro Woche reduziert.58 Im Laufe der 1998 endenden Operation »Joint Guard« wurden insgesamt 164 deutsche Drohnenflüge geleistet. Auftrag war die Aufklärung und vor allem auch Dokumentation von Waffenlagern und militärischen Bewegungen und auch von Verkehrsverbindungen sowie Zerstörung an Infrastruktur. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten und der Adaption neuer Verfahren erwies sich das System CL-289 als das wertvollste Aufklärungsmittel der Allianz im Bereich der Multinationalen Division SE (»Salamandre«) und darüber hinaus im gesamten SFOR-Einsatzgebiet, da es Aufklärungsergebnisse schnell und vor allem auch unter Schlechtwetterbedingungen zu liefern vermochte.59 Die Verwendung unbemannter Luftfahrzeuge konkurrierte dabei keineswegs mit dem Einsatz von Hubschraubern, sondern ergänzte diese. Die G2-Abteilung der MND SE (»Salamandre«) verfügte über ein Détachement Reconnaisance Tactique d’Origine Imagerie, in dem ein deutscher und ein französischer Verbindungsoffizier die Einsätze französischer Hubschrauber Gazelle HL Pod 289 mit dem Einsatz der deutschen Drohne CL-289 abstimmten.60 Die Abgrenzungen mussten sich indes erst in der Praxis einspielen. Der Einsatz eines zum damaligen Zeitpunkt auf der Höhe der technischen Entwicklung stehenden Drohnensystems verdeutlicht zum einen, wie weit sich der SFOR-Einsatz von traditionellen Peacekeeping-Operationen mit leichter Infanterie unterschied. Zum anderen zeigt er auch, dass das deutsche 54

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BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/6. Flug 3004 am 1.3.1997; die Flugnummer weist auf den vierten Einsatzflug hin. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 56 f. Mit 40 Soldaten nach Bosnien. In: Delmenhorster Kreisblatt vom 17.7.1997. Draußen nur mit schusssicherer Weste. In: Delmenhorster Kreisblatt vom 6.12.1997. Leutz, Eine lange Ära geht zu Ende. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 31.

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Heer seine teuersten Waffensysteme in Bosnien-Herzegowina einzusetzen bereit war, solange deren Einsatz nicht als »Kampfeinsatz« interpretiert werden konnte. Nicht zuletzt entsprach der gesteigerte Einsatz von hochmodernen Aufklärungssystemen der NATO-Forderung nach verstärkter Aufklärung in der Phase  II (»Stabilisation«) des Operationsplans »Joint Guard«. In der Einsatzpraxis erwies sich bald, dass der Friedenseinsatz komplexer Systeme nicht mit deren Kriegseinsatz vergleichbar war. Dies betraf Verfahren zur Koordinierung des Luftraumes ebenso wie die potentiellen Gefahren für die Zivilbevölkerung, die bei Absturz einer Drohne in bewohntem Gebiet zu erwarten waren. Solche Kollateralschäden, die im Krieg hingenommen worden wären, erschienen im Friedenseinsatz unzumutbar, so dass es das Regelwerk für den Einsatz solcher Aufklärungsmittel zwischen militärischer Effektivität und geringem Risiko neu zu justieren galt. Hinzu kam, dass neben den Fragen der Flugsicherheit im überfüllten Luftraum über BosnienHerzegowina insbesondere die Lande- und Bergeverfahren angesichts der Minenverseuchung die Soldaten vor neue Herausforderungen stellten. Der Einsatz unbemannter Drohnen war freilich nur in der Luft unbemannt – die für deren aufwendige natürlich bemannte Bodenorganisation lebensnotwendigen Restriktionen und Vorschriften in Bezug auf Minen und Blindgänger begrenzten die Einsatzmöglichkeiten solcher »schwerer« Systeme, was im deutschen Unmanned Aerial Vehicle (UAV)-Konzept bald zu einem Umdenken in Richtung leichterer, preisgünstigerer, aber weniger robuster Aufklärungssysteme führte. Innerhalb der Artillerie wandelte sich sukzessive das Verständnis der eigenen Truppengattung. Stand im »GDP-Denken« noch das Bereitstellen von artilleristischem Feuer – auch in seiner nuklearen Ausgestaltung – im Vordergrund, verlagerte sich der Truppengattungsinterne Schwerpunkt zunehmend auf die artilleristischen Aufklärungssysteme, allen voran den Drohnen- und Artilleriewetterdienst. Der Priorisierung der Aufklärung im Operationsplan »Joint Guard« trug auch der Einsatz deutscher Komponenten für den elektronischen Kampf (EloKa) Rechnung. Für die EloKa-Komponente des ersten deutschen SFOR-Kontingents stellte das Fernmelderegiment  320 aus dem hessischen Frankenberg/Eder den Leitverband. Das Fernmelderegiment 320 war erst 1992 nach Auflösung des III. Korps als Korpstruppe des IV. Korps aufgestellt worden. 1994 wurde es den Krisenreaktionskräften zugeordnet. Dabei wurden die ehemals selbständigen Fernmeldekompanien 2 und 5, die für die grenznahe Fernmeldeaufklärung an der innerdeutschen Grenze zuständig gewesen waren, als 4. und 5.  Kompanie eingegliedert.61 Es waren diese Kompanien, die 1997 das Gros des SFOR-Einsatzes der Elektronischen Kampftruppe schulterten. Der Einsatz von EloKa im Rahmen der MND SE (»Salamandre«) stellte insofern eine Neuigkeit dar, als der Bereich EloKa zuvor stets ledig-

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Vom Bataillon zum Regiment zum Bataillon .... In: Waldeckische Landeszeitung vom 14.5.2012.

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lich im nationalen deutschen Kontext erfolgt war.62 Zum Leistungsprofil der extra für den Einsatz maßgeschneiderten Fernmeldeelektronischen Aufklärungskompanie SFOR mit 30 Soldaten gehörte sowohl die Aufklärung von Truppenfunk als auch von analogem Mobilfunk. Hinzu kam die Ortung von Funkanlagen. Im Bereich der elektronischen Unterstützungsmaßnahmen galt es Lageinformationen zu erstellen und die jeweilige elektronische Bedrohung festzustellen.63 Hierzu wurden Empfangs- und Auswerteanlagen integriert und zu »im Grunde völlig neuen Fernmeldeaufklärungstrupps«,64 dem von der Truppe augenzwinkernd »EWS – eierlegende Wollmilchsau« getauften Electronic Warfare System (EWS) zusammengeführt.65 Koordiniert wurde der Einsatz der Fernmeldeelektronischen Aufklärungskompanie SFOR durch das Détachement Guerre Electronique der G2-Abteiung der MND SE (»Salamandre«).66 Eine besondere Herausforderung bestand darin, einerseits das Primat der nationalen Führung der EloKa beizubehalten und sich zugleich in das multinationale, aber französischerseits dominierte Divisionskommando zu integrieren. Dabei galt es bestehende Vorschriften in Bezug auf Sicherungsbereiche und Meldewege so neu zu definieren, dass dennoch eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den französischen Partnern möglich gemacht wurde. Während die Führung der deutschen EloKa angelehnt an den Divisionsgefechtsstand der MND SE (»Salamandre«) ihren Gefechtsstand auf dem Flughafen Mostar Ortiljes bezog, wurden die Aufklärungskräfte »auf dem Berg« auf der Höhe Udric (15 km nordostwärts von Mostar) innerhalb der Aufklärungsstellung des französischen 54e Regiment de Transmission mit Heimatstandort Haguenau im Elsass eingesetzt.67 Auch dieses Detail zeigt, dass in Bezug auf die deutsch-französische Kooperation Neuland betreten wurde, das weit über die Erfahrungen innerhalb der Deutsch-Französischen Brigade herausreichte. Ein weiterer neuer Bereich war die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl an Übersetzern für Serbokroatisch, die für die Analyse des abgehörten Funkverkehrs unabdingbar waren, die aber zugleich dem für den sensiblen Bereich der elektronischen Kampfführung unverzichtbaren hohen Grad der militärischen Sicherheit genügen mussten. Angesichts der Tatsache, dass die Einsatzkräfte aus noch wenige Jahre zuvor an der innerdeutschen Grenze eingesetzten Truppen gebildet worden waren, und eingedenk der zeitlichen Dauer von Sprachausbildung in Verbindung mit der Auftragserteilung erst wenige Wochen vor Einsatzbeginn, mussten hier gänzlich neue Wege beschritten werden. Insgesamt kann festgestellt 62

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Zu den Grenzen der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der EloKa und zu der für diese Truppengattung spezifischen Entwicklung siehe Grabau, Lageaufklärung Ost, S. 113‑138. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage D/5. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 60. Ebd. Ebd., S. 31. Hirschhäuser, Der SFOR-Einsatz, S. 92‑94.

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werden, dass die Meldungen der deutschen EloKa nicht selten auf der taktischen Ebene die Grundlagen für konkrete Einsätze der Kampftruppe der MND SE (»Salamandre«) lieferten.68 Auf der strategischen Ebene war von besonderer Bedeutung, dass Deutschland seit 1995 einem französisch-amerikanischen Abkommen beigetreten war, in dem vereinbart wurde, dass Signal Intelligence (SIGINT) der drei Länder im Hauptquartier der NSA/ CSS Europe in Stuttgart gesammelt und analysiert werde.69 Die deutsche Fernmeldeelektronische Aufklärungskompanie SFOR stellte in diesem Zusammenhang das Mittel dar, um eine deutsche Partizipation im gemeinsamen trinationalen Aufklärungsverbund unter Führung der NSA im Bereich der SIGINT für den Einsatzraum Bosnien-Herzegowina sicherzustellen. Zu den nicht minder signifikanten deutschen Anteilen der Divisionstruppen der MND SE (»Salamandre«) gehörten die mittlere Heeresfliegertransportstaffel und ein Feldlazarett. Obwohl in Rajlovac und nicht in Mostar stationiert, zählte auch die deutsche Heeresfliegerstaffel zu den Divisionstruppen der MND SE (»Salamandre«). Die Heeresfliegerstaffel bestand aus insgesamt 133  Soldaten mit sieben Hubschraubern und 80  Kraftfahrzeugen.70 In den Planungen wird die Personalstärke der Heeresfliegerstaffel mit 150  Mann bei ebenfalls sieben Hubschraubern angegeben. Auf diese Stärke rechnen wohl die mit Heeresfliegerangelegenheiten in den verschiedenen Stäben betrauten Soldaten ebenso an wie die vier Mann starke Zelle Geophysik mit den Aufgaben geophysikalische Beratung, Wetterbeobachtung, Landeswettervorhersage sowie Radiosondenaufstiege.71 In diesem Zusammenhang ist auch die Artilleriewettergruppe in Mostar zu nennen, die nicht nur die für den Drohnenflug notwendigen Wetterdaten lieferte, sondern auch die Zelle Geophysik der Heeresflieger mit Wetterdaten versorgte. Wichtigste Aufträge waren die Bereitstellung von vier Mittleren Transporthubschraubern (MTH) CH-53 für die Schnelle Eingreiftruppe der MND SE sowie einmal dessen Variante als Großraumhubschrauber (GRH) für die Verwendung als MEDEVAC-Komponente. Hinzu kamen regelmäßige Personentransporte (Shuttle Service) zwischen Rajlovac, Mostar und Ploce sowie sonstige Transportleistungen. Dabei wurde der MEDEVAC-Dienst auf den Tagesbetrieb beschränkt. Der Shuttle-Dienst wurde seitens der deutschen Hubschrauberstaffel an zwei Tagen der Woche mit jeweils zwei Flügen pro Tag versehen.72 Darüber hinaus verfügte die Division über französische, spanische und italienische Hubschraubereinheiten mit Hubschraubern der Typen 68 69 70 71

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Ebd., S. 94. Aid, SIGINT and peacekeeping, S. 52 f. Garben, Fünf Jahrzehnte Heeresflieger, S.  193. Brigadegeneral Fritz Garben war von 1995 bis 1999 General der Heeresfliegertruppe. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/4. Garben, Fünf Jahrzehnte Heeresflieger, S. 195.

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Gazelle, Cougar, Super-Puma und AB-205. In der MND SE (»Salamandre«) führte ein deutscher Oberstleutnant die Zelle Heeresflieger.73 Das deutsche Feldlazarett (German Field Hospital) in Rajlovac (insgesamt 300  Soldatinnen und Soldaten) gliederte sich in Stab, Stabs- und Versorgungskompanie sowie die Klinik mit insgesamt 130  Personen. Mit dieser Klinik – dem eigentlichen German Field Hospital Rajlovac – brachte die Bundeswehr die Fähigkeit zu multidisziplinärer Akutbehandlung bei SFOR ein.74 Konkret bildeten die medizinischen Teilbereiche Traumatologie und Notfallmedizin den Schwerpunkt. Darüber hinaus waren aber auch Spezialisten für Hautkrankheiten (Dermatologie), Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (Oto-Rhino-Laryngologie), Urologie, Nervenheilkunde (Neurologie), Augenheilkunde (Ophthalmologie) und Radiologie eingesetzt. Diese Einrichtung stellte die höchste Stufe medizinischer Versorgung bei SFOR im Einsatzland – also nicht nur für die deutschen Soldaten – dar. Das Feldlazarett bildete die bewährte Fortführung der bereits deutscherseits für IFOR erbrachten Leistung, nun »in der Box« am neuen Ort Rajlovac. Die Behandlungsprioritäten waren abgestuft: (1) SFOR-Soldaten aller Länder, (2) SFOR-Zivilpersonal, (3) Personal anderer Regierungsorganisationen, wie beispielsweise UN-Personal oder Personal der Botschaften. Grundsätzlich diente das German Field Hospital Rajlovac – anders als etwa das German Field Hospital Phnom Penh seinerzeit – nicht der Behandlung der lokalen Bevölkerung. Dies ergab sich nicht zuletzt auch aus dem grundsätzlich hohen Niveau der medizinischen Versorgung in Sarajevo.75 Die Größenordnung des Field Hospital wurde mit 50  Betten festgelegt.76 Die Bettenkapazität von 50  Betten muss freilich differenziert betrachtet werden: So bestand die Krankenstation aus 20 Betten und die Isolierstation aus fünf Betten. Weitere 20  Betten waren Bestandteil der Chirurgischen Abteilung. Bei den verbleibenden fünf Betten handelte es sich um diejenigen der Intensivstation. Bei einem Massenanfall von zu behandelnden Patienten bestand die Möglichkeit, die Bettenzahl bis auf hundert zu verdoppeln. Allerdings galt hier die Einschränkung, dass die Personaldecke im Falle eines hohen Aufkommens an Trauma-Patienten nicht für eine Erhöhung der Bettenkapazität ausgereicht hätte.77 Hinzu kamen ein Labor, eine Apotheke, sechs Bewegliche Arzttrupps (BAT), fünf Sanitätstrupps sowie eine Verwundetenleitstelle (VwuLtSt), was erklärt, wieso die Personalstärke der Stabs- und Versorgungskompanie der73 74

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Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 35. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage D/7. Michael Maddox, German Field Hospital. In: SFOR Informer online vom 2.8.2000. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/7. Michael Maddox, German Field Hospital. In: SFOR Informer online vom 2.8.2000.

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jenigen der Klinik gleichkam.78 Bei dem Labor handelte es sich nicht um ein reines Krankenhauslabor, sondern es enthielt auch Komponenten des Veterinärdienstes und der Lebensmittelchemie. Dieses war für den gesamten Einsatzraum von SFOR zuständig, prüfte die seitens der Soldaten zu konsumierenden im Land erworbenen Nahrungsmittel und arbeitete häufig an der Grenze der Belastbarkeit.79 Letzteres Beispiel zeigt, dass die Aufgaben im Einsatzland auch im Routinebetrieb nicht mit denjenigen in der Heimat vergleichbar waren – unterschiedliche Hygienestandards stellten täglich aufs Neue eine Herausforderung dar, die für die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der SFOR-Soldaten von zentraler Bedeutung war. So hätte etwa eine Salmonellenvergiftung rasch ganze Teile der SFOR-Truppe lahmlegen können. Dem Einsatz des deutschen Feldlazaretts kam neben der unbestreitbar zentralen militärischen Funktion, die medizinische Versorgung im Einsatzalltag und im Falle eines größeren Anfalls an Verwundeten sicherzustellen, auch eine besondere politische Funktion zu. Nicht umsonst hatte Rühe den Einsatz von Sanitätskräften und Logistikern hervorgehoben, um so wohl die Kontinuitäten zu IFOR zu unterstreichen und dem SFOREinsatz das »Martialische« zu nehmen. Der SFOR-Einsatz klang durch das Einbringen dieser Sanitätskomponente bereits bei IFOR eher nach einer natürlichen Entwicklung und konnte in der Tradition des UNTAC-Einsatzes in Kambodscha »verkauft« werden. In der Realität handelte es sich beim Feldlazarett allerdings nicht um einen »humanitären Einsatz«, sondern um eine rein militärische Unterstützungskomponente. In dieser Funktion war dessen bündnispolitische Wirkung kaum zu unterschätzen: Jeder multinationale SFOR-Soldat vom Gefreiten bis zum General konnte, falls er ernsthaft erkrankte, die hohe Professionalität des deutschen medizinischen Personals im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erfahren. Es ist nur schwer zu messen, wie groß diese im Wesentlichen positiven Erfahrungen bei den Verbündeten zu einem Bild der Bundeswehr als professioneller und verlässlicher Partner geführt haben. Fest steht, dass auch in diesem Bereich die Bundeswehr mit Spezialistentum und hoher technischer Ausstattung punkten konnte. Insgesamt fanden über 700 Heeressoldaten des deutschen SFOR-Kontingents ihre Verwendung außerhalb der Deutsch-Französischen Brigade. Die Stärke des deutschen Anteils in der in Bosnien-Herzegowina eingesetzten Deutsch-Französischen Brigade – der Deutsch Französischen Gruppe/ Groupement Franco Allemand (DFGFA) – wurde auf 1263 Soldaten festgelegt.80 78

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BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/7. Michael Maddox, German Field Hospital. In: SFOR Informer online vom 2.8.2000. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen

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Beim genauen Betrachten der eingesetzten Soldaten zeigt sich aber, dass deutscherseits keineswegs die Deutsch-Französische Brigade als Verband, sondern nur der Stab derselben und deren Versorgungsbataillon in der DFGFA eingesetzt wurden. Dabei betrug der deutsche Anteil im Brigadestab 50 Soldaten und in dem aus dem Müllheimer Deutsch-Französischen Versorgungsbataillon gebildeten Stabs- und Einsatzunterstützungsverband (St/EUVbd) 501 Soldaten. Dabei gehörten 93 Mann zur Stabs- und Versorgungskompanie der Brigade und 85 zur Stabs- und Versorgungskompanie des St/EUVbd. Der deutsche Anteil der deutsch-französisch gemischten Transportkompanie betrug 90 Soldaten, während die rein deutsche Instandsetzungskompanie 120 Mann stark war.81 Hinzu kamen noch 20  Feldjäger, die durch das Feldjägerbataillon 750 aus Stetten am kalten Markt gestellt wurden.82 Insgesamt kamen also aus dem Bereich der Deutsch-Französischen Brigade nicht mehr als ein gutes Viertel der deutschen Soldaten des ersten deutschen SFOR-Heereskontingents. Zum deutschen SFOR-Kontingent zählten ferner 93  Soldaten des Luftumschlagzuges (LUZ) der Luftwaffe, der in den Stabs- und Einsatzunterstützungsverband eingegliedert wurde.83 Die etwa dreimal so hohe Personalstärke des LUZ SFOR im Vergleich etwa zu den im Zusammenhang mit dem AfghanistanEinsatz stehenden Luftumschlagzügen erklärt sich daraus, dass bei der Luftversorgung von SFOR die Bundeswehr noch nicht auf zivile Leistungen (»Outsourcing«) im Einsatz zurückgriff, sondern den Lufttransport einschließlich des Umschlags von Gütern voll und ganz mit Soldaten bewerkstelligte.84 Die Bundeswehr verfügte im Jahr 1997 auch noch nicht über Einheiten, die dazu ausgelegt waren, Feldlager im Auslandseinsatz aufzubauen und zu betreiben. Diese nur auf den ersten Blick banal erscheinende Aufgabe stellte sich nicht zuletzt deswegen als besondere Herausforderung dar, da im Friedensbetrieb der Bundeswehr die zum militärischen Wohnen benötigten Dienstleistungen größtenteils durch die zivilen Einrichtungen der Standortverwaltungen (StOV) erbracht wurden. Hinzu kam in BosnienHerzegowina die starke Minenverseuchung des Geländes, was bei jedem Bauvorhaben und allen Erdarbeiten berücksichtigt werden musste. In kaum einem anderen Bereich ist daher die »Lernkurve« im Auslandseinsatz als ähnlich steil zu beschreiben. In den Planungen für das 1. GECONSFOR vom Dezember 1996 wurde für die in Rajlovac eingesetzte DFGFA eine 70 Mann

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Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage A. Ebd. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage B. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage A. Marischka, Die privatwirtschaftliche Basis einer Armee. Beim IMI Magazin handelt es sich um Veröffentlichungen der gegenüber der Bundeswehr und den Auslandseinsätzen kritisch eingestellten »Informationsstelle Militarisierung e.V.«.

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starke Pionier- und ABC-Abwehrkompanie vorgesehen.85 Die Aufträge für diese Kompanie lagen einerseits im klassischen militärischen Einsatzspektrum, wie Beseitigen von Hindernissen, Räumen von Minen und Kampfmitteln, Straßeninstandsetzung, ABC-Aufklärung und Eigendekontamination, andererseits umfassten sie Dienstleistungen für die eigene Truppe, wie Einrichten eines Feldlagers, Bau von Feldbefestigungen, Schneeräumen, Trinkwasseraufbereitung und Wassertransport.86 Entsprechend heterogen war diese organisatorische Neuerung aufgebaut. Größte mediale Beachtung erreichten die Pioniere durch die Minengefahr in Bosnien-Herzegowina. Innerhalb der Pionier- und ABC-Abwehrkompanie waren allerdings lediglich 14 Mann im Kampfmittelräum- und EOD-Trupp mit dem Auftrag Räumen von Minen und Kampfmitteln beschäftigt. EOD (Explosive Ordnance Disposal), also Kampfmittelbeseitigung, war in der Bundeswehr ursprünglich eine Domäne der Instandsetzungstruppe, die noch in der Heeresstruktur 4 neun voll gekaderte – nicht aktive – Kampfmittelbeseitigungszüge auf Korpsebene stellte. Über aktive Kampfmittelbeseitiger verfügte die Bundeswehr nur auf den Truppenübungsplätzen zur Beseitigung von Blindgängern (Unexploded Ordnance, UXO). Aktive Kampfmittelbeseitigungszüge hat das Heer erst ab 1994 aufgestellt. Erste Einsatzerfahrung wurde durch zwei EOD-Trupps bei UNOSOM in Somalia gewonnen.87 Über zwei solche Trupps auf TPz »Fuchs« verfügte der Kampfmittelräum- und EOD-Trupp der Pionier- und ABCAbwehrkompanie. Hinzu kamen zwei Minenräumpanzer (MiRPz) »Keiler« der Pioniere. Der MiRPz »Keiler« hatte sich kurz zuvor noch in der Erprobung befunden und wurde erstmals im Rahmen der IFOR bei der Räumung des Flugplatzes von Mostar eingesetzt. Allerdings handelte es sich auch bei diesem Großgerät der Pioniere um eine Entwicklung, die nach den Anforderungen des Kalten Krieges erfolgt war. Die taktische Vorgabe für den »Keiler« war gewesen, über ein Mittel zu verfügen, das in der Lage war, für mit Panzerkräften durchgeführte Gegenangriffe in die mit Panzerabwehrminen gesicherte Flanke des Gegners befahrbare Gassen in Minenfelder zu schlagen. Entsprechend dieses Auftrags war im Sinne der Angriffsgeschwindigkeit in Kauf genommen worden, dass etwa zwei Prozent der Minen beim Minenräumen durch den »Keiler« nicht zur Explosion gebracht werden konnten, sondern lediglich zur Seite geschleudert wurden. Entsprechend hätten sich die Kampfpanzer in einer durch den MiRPz »Keiler« geräumten Gasse strikt an deren Grenzen halten müssen und wären von Pionieren durch die Minengassen geführt worden. Nach dem Ende des Kalten Krieges und damit des GDPDenkens bildete der MiRPz »Keiler« als Rüstungsgroßprojekt einen Teil des Gesamtkonzept »Minenverlege- und Räumsystem«, zu dem auch Projekte wie 85

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BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage A. Ebd., Anlage D/9. Göbel, Kampfmittelabwehr der Bundeswehr.

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das Minenwurfsystem »Skorpion« und das Minenverlegesystem 85 gehörten.88 Der MiRPz »Keiler« war also primär eine Komponente eines für die Zukunft anvisierten hochtechnischen Minenkampfsystems. Im Friedenseinsatz der SFOR war der MiRPz »Keiler« entsprechend nur teilweise geeignet. Deshalb mussten durch den »Keiler« geräumte Flächen durch die EOD-Trupps »von Hand nachgelesen« werden. Dennoch war das regelmäßige Abfahren von Straßen durch Pioniererkundungstrupps und das Bereithalten der »Keiler« eine wesentliche Leistung, da so nicht nur eine relative Bewegungsfreiheit der SFOR ermöglicht wurde, sondern auch den ehemaligen Konfliktparteien deutlich gemacht wurde, dass die SFOR nicht einfach durch das Ausbringen von Minen in ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern war. Ähnliches galt auch für das Bereithalten von zwei ABC-Spürpanzern. Sicherlich wäre es übertrieben zu behaupten, der MiRPz »Keiler« habe sich lediglich als Truppenversuch in Bosnien-Herzegowina befunden. Doch scheint dessen Einsatz eher politischen, rüstungspolitischen und militärisch-psychologischen Gründen als handfesten taktisch-militärischen Zwecken gedient zu haben. Fest steht, dass die in den Medien »dem Keiler« als Symbol für den SFOR-Einsatz und dessen humanitären Charakters (Minenräumen) zugeschriebene Bedeutung weder mit der Einsatzrealität des für Räumeinsätze ausgeplanten Personals noch mit den durchgeführten Einsätzen in Einklang gebracht werden kann: Die Aufgaben der 14 Soldaten des Kampfmittelräum- und EOD-Trupps waren angesichts rund 2400 deutscher Soldaten im ersten deutschen SFOR-Kontingent alles andere als repräsentativ für den Einsatz. Die Masse der Soldaten der Pionier- und ABC-Abwehrkompanie war mit Aufgaben betraut, die denjenigen einer Feldlagerbetriebskompanie nahekommen: Zentrale Aufgabe der in zwei Zügen organisierten 37 ABC-Abwehrsoldaten war der Transport und die Aufbereitung von Brauchwasser zu Trinkwasserqualität.89 Bei der Masse der Pioniere handelte es sich wiederum um Baupioniere. Der 20 Mann starke Baupionierzug verfügte beispielsweise über zwei Pionierpanzer (PiPz) »Dachs« – eine militärische Variante eines Baugerätes mit Tieflöffel-, Bagger- und Kranfunktionen –, einen Kran, einen Bagger, einen Erdhobel und eine Vibrationswalze sowie andere Erdarbeitsgeräte. Hinzu kamen 15  Panzerpioniere auf drei TPz »Fuchs«.90 Die erste entscheidende Aufgabe der Pioniere war der Aufbau des Feldlagers Rajlovac; einem ContainerStädtchen für das im Zulauf befindliche deutsche SFOR-Kontingent. Einen prägnanten Eindruck der Herausforderung dieser Aufgabe gibt die erste Ausgabe der Feldzeitung »Der Keiler« Ende Januar 1997 mit dem ironischen Titel »Schlammschlacht von ›Rajlomatsch‹ gewonnen«. Fotos zeigen schweres Erdarbeitsgerät in völlig verschlammtem Gelände beim Aufbau 88 89

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Nassauer/Küchenmeister, Deutsche Landminen. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage D/9. Ebd.

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eines Hubschrauberlandeplatzes für die Heeresflieger.91 Während in den Planungen des Jahres 1996 noch die zur Deutsch-Französischen Brigade gehörende Panzerpionierkompanie 550 aus Immendingen gemeinsam mit dem ABC-Abwehrbataillon aus Bruchsal als Leitverband für die Panzerpionierund ABC-Abwehranteile der Pionier- und ABC-Abwehrkompanie festgelegt wurde,92 fungierte in der Praxis das Pionierbataillon 320 – ein Pionierbataillon der Pionierbrigade des III.  Korps – bald als Leitverband derjenigen ABCAbwehr- und Pionieranteile, die bald zu einer 115  Mann starken PionierFeldlager- und Betriebskompanie aufwuchsen.93 Die ABC-Abwehr-Soldaten der Pionier-Feldlager- und Betriebskompanie des ersten Kontingents stellte in der Masse das ABC-Abwehrbataillon 805 aus Prenzlau.94 Diese Verbände verfügten bereits aus dem ersten deutschen IFOR-Kontingent über damals in der Bundeswehr einmalige Erfahrungen. Für den deutschen Anteil der in Mostar stationierten MND SE (»Salamandre«) jedoch war keine eigene Feldlager- und Betriebskompanie vorgesehen. Es herrschte die Vorstellung, dass das deutsche Kontingent sich dort an die bereits vor Ort befindlichen französischen Kräfte anschließen und von dieser Infrastruktur profitieren könne. Obwohl es sich bei der MND SE (»Salamandre«) um eine multinationale Division handelte, war dies in der Praxis nicht der Fall, sondern der deutsche Anteil musste sich selbst um »seinen« Anteil an der Lagerunterkunft kümmern. Entsprechend wurde aus Teilen einer Jägerkompanie aus Immendingen ein Stabskompanieführungstrupp gebildet, der letztlich für alle möglichen Tätigkeiten genutzt wurde, die trotz Anbindung an die französisch geführte MND SE doch national zu lösen waren. Dies reichte vom Wäschewaschen in einer lokalen Wäscherei (aufgrund mangelnder Kapazitäten der französischen Feldwäscherei) bis hin zum Materialnachweis, einem Besucherdienst für hochrangige deutsche Dienstaufsicht und Truppenbesuche oder den Aufgaben der Truppenverwaltung und des Rechnungsführers, die im Einsatzland auch die dezentralen Bargeldkäufe umfassten. Darüber hinaus wurde eine deutsche Betreuungseinrichtung betrieben.95 In den Planungen waren solche Betreuungseinrichtungen ebenso wenig vorgesehen wie gelegentliche touristische Ausflüge ins Land (sog. Betreuungsfahrten) zur Aufmunterung der Soldaten. In der Einsatzpraxis stellte aber eine solche Betreuungseinrichtung – eine Art improvisiertes Café oder Bistro – eine wichtige Anlaufstelle für die 91 92

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Schlammschlacht von »Rajlomatsch« gewonnen. In: Der Keiler. Bundeswehr-Feldzeitung für die Soldaten in Bosnien-Herzegowina und Kroatien, 1 vom 21.1.1997, S. 1, 3. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage  B. In Verbindung mit der Chronik der Panzerpionierkompanie 550 auf der Website der Deutsch-Französischen Brigade (letzter Zugriff 11.11.2020). Pionierbataillon 320. Die Geschichte eines Verbandes 1956‑2003, auf der Website der Traditionsgemeinschaft Pionierbataillon 320 e.V (letzter Zugriff 11.11.2020). Mission in Bosnien ist erfolgreich beendet. In: Rhein-Zeitung vom 27.8.1997. Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 51‑54.

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Soldaten aller Dienstgradgruppen in ihrer dienstfreien Zeit dar. Ein Novum und bald beliebtes Angebot in Zusammenarbeit der Evangelischen sowie Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung e.V. bildeten die sogenannten OASEN. Die erste gastronomische Einrichtung dieser Art, ein Fertighauscafé mit heimeliger Atmosphäre, wurde bereits zur Betreuung des GECONIFOR in Benkovac errichtet. 1997 erfolgte der Aufbau einer OASE in Rajlovac. Diese in Eigeninitiative der Truppe oder der Militärseelsorge erbrachten Leistungen entstanden anfangs unter schwierigen Bedingungen und in einem nicht abgesteckten Rahmen. Die in anderen Streitkräften selbstverständliche Betreuung war für die Bundeswehrführung zuerst eine Art »Luxus«, die sich erst aus der Notwendigkeit gewissermaßen »von unten« entwickelte. Für die Umstände der Zeit typisch mögen die diametral auseinandergehenden Wahrnehmungen dieser improvisierten Verbesserungsversuche der Lebensumstände vor Ort in den Feldlagern durch einerseits die Soldaten im Einsatz und andererseits den deutschen bürokratischen Apparat in der Heimat anmuten: So kritisierte die im Auftrag des Bundesrechnungshofes im Jahr 1998 nach Bosnien-Herzegowina entsandte Delegation des Münchener Prüfungsamtes des Bundes die Betreuungseinrichtungen wie folgt: »Von der Truppe selbst bewirtschaftete Betreuungseinrichtungen erzielten durch – entgegen einschlägigen Weisungen – überhöhte Preisaufschläge auf die Einkaufspreise zum Teil erhebliche Gewinne, die u.a. für zusätzliche Serviceleistungen, z.B. Bereitstellen von Gläsern, Bedienungsgeld und kostenlose Abgabe von Kaffee, wie auch für den Kauf von Einrichtungsgegenständen verwendet wurden. Zudem wurden daraus Material im Wert von 2000 DM für einen neuen Holzbau, Freigetränke, Zuschüsse für Erinnerungsgaben wie Bildbände und zusätzliches ziviles Bedienungspersonal bezahlt. [...] Die Evangelische und die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung e.V. betrieben für das deutsche Heereskontingent seit über zwei Jahren ohne schriftliche Genehmigung des Bundesministeriums oder entsprechende Verträge die Betreuungseinrichtung ›OASE‹ im Feldlager Rajlovac sowie eine ähnliche Einrichtung in Mostar. [...] Die derzeitige Situation, in der kirchliche Vereine ohne schriftliche, nachvollziehbare und nachprüfbare Aufträge oder Verträge gastronomische Betriebe in Rajlovac und Mostar betreiben, muss dringend bereinigt werden. Ohne die geforderte vertragliche Grundlage entgehen dem Bund erhebliche Einnahmen, denn Leistungen der Bundeswehr dürfen grundsätzlich nur gegen vollen Wertausgleich abgegeben werden.«96 Der Bericht des Bundesrechnungshofs beschreibt an dieser Stelle, wie in der Praxis »aus dem Nichts« – also ohne mit personellen oder materiellen Ressourcen hinterlegt zu sein – und deswegen durch den Konsum der Soldaten im Einsatz selbst finanziert (!) Betreuungseinrichtungen aufgebaut und verbessert wurden. Die erwirtschafteten Überschüsse flossen in die Bezahlung der lokalen Arbeitskräfte und zurück in den Barackenbau 96

Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/1667 vom 11.10.1999, Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof, S. 173.

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der Betreuungseinrichtungen, was wiederum belegt, dass für diese keine Haushaltsmittel vorgesehen waren. Während es für die Soldaten vor Ort selbstverständlich erschien, für den Aufbau der Betreuung Transportraum der Luftwaffe oder Pioniergerät des Kontingents in Anspruch zu nehmen, forderte – durchaus den Vorschriften entsprechend – der Bundesrechnungshof, dass die Betreuungseinrichtungen keine Überschüsse erwirtschaften dürften und die von »der Bundeswehr erbrachten« Leistungen gegenüber den Betreuungseinrichtungen – die als privatwirtschaftliche Unternehmungen angesehen wurden – zu bezahlen seien. Die Soldaten aber waren stolz auf die selbst aufgebauten Einrichtungen und diese waren auch seitens der militärischen Führung vor Ort gewollt und gefördert: »Am ersten Februar um 19:30  Uhr zerschnitt Brigadegeneral Neubauer das Band, enthüllte das Namensschild und betrat als erster Gast das Betreuungszelt. In einer kurzen Begrüßungsrede bedankte sich Neubauer im Beisein der Generale Vittorio Ghiotto (Italien), Luis Calero (Spanien), André Ranson (Frankreich) und der geladenen Gäste für das Engagement und Zupacken der Bautruppe fast rund um die Uhr. Dieses Team hatte in Rekordzeit von nur 14 Tagen ›BAPSI‹ fertiggestellt. [...] Keine Nationalität, die dort nicht abends beim Bier zu finden ist. [...] Es mag zum einen wohl an der gemütlichen Zeltatmosphäre liegen, zum anderen vielleicht auch an den hübschen, einheimischen Mädchen, die dort hinter der Bar arbeiten, dass sich an manchen Abenden mehr als 200 Gäste einfinden. [...] Wie auch immer. Im BAPSI findet man vorgelebte multinationale Zusammenkunft in einer Form, wie man sie sonst selten verspürt.«97 Die Betreuungseinrichtungen, konkret also die OASE in Rajlovac und das BAPSI in Mostar, wurden bei Kontingents- und Heimkehrerbefragungen von über 80  Prozent der Befragten als »gut« bewertet.98 Nicht nur in der historischen Rückschau erscheinen die Forderungen des Bundesrechnungshofes höchst widersprüchlich und zeigen auf, dass aus der Heimat entsandte Prüfbeamte und Soldaten im Einsatzland auch geistig in »zwei verschiedenen Welten« lebten. Dieses Beispiel zeigt auch, dass in der Praxis rudimentärste Betreuungsgrundsätze, die bei verbündeten Streitkräften mit längerer Einsatzerfahrung selbstverständlich waren (Möglichkeiten zum privaten Rückzug, Sport-Infrastruktur, Verbindung zur Heimat), aufgrund bürokratischer Regelungen ad absurdum geführt wurden. Die »Generation Einsatz« »lernte«, dass sich die Truppe selbst helfen muss. Ob durch solche und ähnliche Erfahrungen der Keim dafür gelegt wurde, dass mancher Soldat das Vertrauen zu politischen und verwaltungstechnischen Institutionen in der Heimat verlor, wäre sicherlich eine genauere Untersuchung wert. Den kampfkräftigen Kern des deutschen Kontingents bildete der knapp 600 Mann starke gepanzerte Einsatzverband SFOR. Zur Aufstellung des gepanzerten Einsatzverbandes wurde das Panzeraufklärungsbataillon  12 aus dem unterfränkischen Ebern und das seit Einnahme der Heeresstruktur V (n) 97 98

Erstes Deutsches SFOR Kontingent in Mostar, S. 77 f. Bock, Religion als Lebensbewältigungsstrategie.

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1997 ebenfalls zur Panzerbrigade 12 gehörende Panzergrenadierbataillon 12 aus dem niederbayerischen Regen herangezogen.99 Der gepanzerte Einsatzverband bestand aus fünf Kompanien, wobei zwei der Einsatzkompanien als Panzeraufklärungskompanien à 19  SpPz »Luchs« und zwei als Infanteriekompanien à 13  TPz »Fuchs« festgelegt wurden. Hinzu kamen neben der Stabs- und Versorgungskompanie noch zwei Trupps Tactical Air Control Party (TACP).100 Diese stellte die Fernspähkompanie  200 sowie das Fernmeldebataillon 820.101 In diesen taten Forward Air Controller (FAC) ihren Dienst, die in der Lage waren, bei Bedarf Luftunterstützung für die Einsatzkräfte am Boden anzufordern.102 In der Praxis wurden im gepanzerten Einsatzverband Infanterie und die Panzeraufklärer bis hinunter zur Ebene des Zuges gemischt. Eine Kompanie bestand aus 14  Panzern, zur Hälfte Panzeraufklärer auf SpPz »Luchs« und Infanterie auf TPz »Fuchs«. Diese Einsatzform der »gemischten Patrouille« vereinte die Vorteile der Nachtkampffähigkeit und relativen Stärke des SpPz »Luchs« mit Wärmebildgerät und 20-mm-Bordkanone mit der gleichzeitigen ständigen Verfügbarkeit der Infanteriekräfte. Die Stärke der gemischten Patrouillen variierte dabei je nach Auftrag und Einsatzbereitschaft der Fahrzeuge normalerweise zwischen zwei und fünf Panzern, die stets von einem beauftragten Zugführer geführt wurden. Um den Einsatzgrundsätzen sowohl der Infanterie als auch der Panzeraufklärer gerecht werden zu können, kamen stets stellvertretender Zugführer und Zugführer aus der jeweils anderen Truppengattung. Der Auftrag des gepanzerten Einsatzverbands lautete Überwachung der ehemaligen Konfliktparteien – im NATO-Jargon als Former Wartime Fractions (FWF) bezeichnet. Diese FWF waren die ARBiH, HVO und die VRS, die durch das Reglement des Vertrages von Dayton in ihren Bewegungen und Stärken begrenzt worden waren. Deren militärische Marschbewegungen, Waffenund Munitionstransporte sowie Ausbildungsaktivitäten waren zu überwachen bzw. zu kontrollieren. Hinzu kamen Inspektionen und Zählungen aller Handwaffen und Handwaffenmunition in den jeweiligen Kasernen der FWF. In der Praxis sah dies so aus, dass die FWF alle Ausbildungs- und Marschaktivitäten vorab bei der MND SE (»Salamandre«) bzw. der Brigade Centre (DFGFA) mit einer vorgeschriebenen Vorlauffrist genehmigen lassen mussten. In ihrem geografischen Zuständigkeitsbereich kontrollierten dann die Patrouillen des gepanzerten Einsatzverbands das Einhalten der

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BArch, BH 7-2/1162, II.  Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage B. Ebd., Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage A. Ebd. Juan A. Pina, Inside the NAOCC. In: SFOR Informer online vom 15.3.2000.

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Bestimmungen und Auflagen.103 Hierdurch konnten erneute Eskalationen des Konflikts verhindert werden. Stationiert war der Verband anfangs in Rajlovac, doch musste bereits im Februar 1997 nach Auseinandersetzungen zwischen Bosniaken und Kroaten in Stolac und dem Beschuss einer spanischen SFOR-Patrouille in Mostar eine Kompanie an den Ostrand von Mostar verlegt werden.104 Im März 1997 erstreckte sich der Einsatzraum des gepanzerten Einsatzverbandes auf eine Fläche von 5000 Quadratkilometern (siehe Abb. 10: »Einsatzraum des gepanzerten Einsatzverbandes GECONSFOR im März 1997« im Anhang).105 Da die ARBiH zur Herstellung eines inneren militärischen Gleichgewichts zwischen den FWF amerikanischerseits ausgerüstet und ausgebildet wurde, bereitete deren Kontrolle die meisten Schwierigkeiten. Hier befand sich die nationale US-amerikanische Politik nicht immer im Einklang mit dem internationalen, auf Neutralität bedachten Auftrag der NATO und damit letztlich des deutschen gepanzerten Einsatzverbands. Da die territoriale Ausdehnung des Einsatzgebiets des deutschen gepanzerten Einsatzverbands – durchaus politisch gewollt, um die Arbeit nicht durch gegebenenfalls auftretende antideutsche Ressentiments der Serben zu erschweren – es mit sich brachte, dass sich die Kontrolle und Überwachung deutscherseits auf die ARBiH und HVO konzentrierte, entstand bei den deutschen Einsatzkräften bald der Eindruck, dass es sich gerade bei der ARBIH im Raum Sarajevo sowie der HVO um Mostar um nicht immer kooperationswillige FWF handelte. Auf das gesamte SFOR-Gebiet bezogen trügt diese Wahrnehmung jedoch, da die Erfahrungen der deutschen Kräfte mit der VRS sich im Wesentlichen auf solche Gebiete bezogen, in denen diese sich in der Minderheit befanden. Insofern sind die »echten« Stimmen der Zeitzeugen stets quellenkritisch zu betrachten. Sie sind in den Kontext des jeweiligen Erlebnishorizonts zu setzen und mit den Erfahrungen der SFOR-Kontingente anderer Länder im Zusammenhang zu sehen. Hier zeigen sich exemplarisch die Probleme einer nationalen, auf einzelne Kontingente beschränkten Betrachtungsweise. Die in die Heimat tradierten Eindrücke und Erfahrungen der jeweiligen Kontingente waren darüber hinaus stets von der Handlungsebene und dem entsprechend gewonnenen Überblick abhängig. Hier zeigt sich nicht zuletzt auch die Notwendigkeit, die übergeordneten strategischen Zusammenhänge auch für die taktische Ebene sichtbar zu machen. In der Praxis der ersten SFORKontingents zeigten sich hier durchaus Defizite – nicht zuletzt auch deswegen, weil weder die Bundeswehr noch die deutsche Forschungslandschaft über in 103

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Vortrag Major Much: Einsatz eines KRK-Verbandes im erweiterten Aufgabenspektrum. Einsatz in Bosnien-Herzegowina. Der gepanzerte Einsatzverband I.  Kontingent GECONSFOR. In: Chronik der Flugabwehrraketengruppe 34, S. 62‑69. Beim Politischen Seminar der Flugabwehrraketengruppe 34 in Ödwies (5.‑7.9.1998). Siehe hierzu auch die Einträge auf der Website der Kameradschaft Panzeraufklärungsbataillon 12 e.V. Karte nach: Vortrag Major Much, Einsatz eines KRK-Verbandes im erweiterten Aufgabenspektrum. Einsatz in Bosnien Herzegovina. Der gepanzerte Einsatzverband I. Kontingent GECONSFOR. In: Chronik der Flugabwehrraketengruppe 34, S. 66.

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Qualität und Quantität ausreichende, auf die damals jüngsten militärischen und politischen Ereignisse in Bosnien-Herzegowina spezialisierte Ausbildungs- bzw. Forschungskapazitäten verfügte.106 Die auf praktische Ausbildung wie etwa »mine awareness« und »riot control« ausgerichtete und in der Masse durch Soldaten ohne eigene Einsatzerfahrung und mit noch weniger spezifischem Wissen über das Einsatzland durchgeführte Kontingentausbildung konnte solche Defizite nicht auffangen. Zu den neuen Erfahrungen der »Armee im Einsatz« gehörte auch, dass es nicht mehr ausreichte, nur die führenden Offiziere in den Stäben politisch und landeskundlich zu schulen. Bereits der Zugführer eines Einsatzzuges im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels oder Oberleutnants konnte vor Ort im Einsatzland in Situationen gestellt werden, bei denen er profunde interkulturelle Kompetenz und dazu landeskundliches, historisches und politisches Wissen benötigt hätte, über das in Deutschland beispielsweise zur damaligen Zeit kaum ein Geschichte oder Sozialkunde lehrender Gymnasiallehrer verfügte. Diese Lücke suchte die Bundeswehr bald durch sog. Leitfäden für Bundeswehrkontingente, die durch das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr herausgegeben wurden, zu schließen. Es sollte bis zum Ende des SFOR-Einsatzes dauern, bis mit den »Wegweisern zur Geschichte« des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (heute Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr – ZMSBw) auch ein auf historisches Verständnis und interkulturelle Kompetenz zielendes Medium entwickelt wurde. Ein ganz banales Problem stellte aber bereits das multilinguale Umfeld des Einsatzes dar. So erhielt der gepanzerte Einsatzverband seine täglichen Aufträge – etwa zur Kontrolle eines militärischen Ausbildungsvorhabens der ARBiH – auf Französisch (die Kommandosprache der DFGFA) und musste bei der Durchführung des Auftrages sich in einem auf Serbokroatisch fußendem Umfeld zurechtfinden. Letzteres wurde zwar durch eingesetzte Sprachmittler erleichtert, doch fand sich der Einsatzzug vor Ort dennoch in einem Umfeld wieder, in dem, abgesehen von den übersetzten formalen Gesprächen, die Soldaten kein Wort verstanden.107 Die Soldaten im Einsatz wurden zwar mit Taschenkarten, die einsatzrelevante Sätze für den Dienstgebrauch auf serbokroatisch wie »Halt stehenbleiben oder ich schieße!« enthielten, informiert. Zu komplexerer Kommunikation war das deutsche Einsatzkontingent ohne Einsatz von Sprachmittlern indes nicht befähigt. Vergleicht man diese Herausforderungen mit denjenigen an einen Panzergrenadier- oder Panzeraufklärungszug in den 1980er Jahren im Rahmen des GDP-Denkens, so wird ersichtlich, dass bei allen Bemühungen die Kompetenzen der Soldaten häufig kaum ausreichend waren. Es zeigte sich – wie auch schon bei den Kampfunterstützern – auf dem Gebiet der Kampftruppe, dass die friedensmäßige Gliederung, Ausstattung und Ausbildung von Panzeraufklärern und Panzergrenadieren nicht immer 106 107

Siehe hierzu Clewing, Krisen und Konflikte auf dem Balkan. Vortrag Major Much, Einsatz eines KRK-Verbandes im erweiterten Aufgabenspektrum. Einsatz in Bosnien Herzegovina. Der gepanzerte Einsatzverband I.  Kontingent GECONSFOR. In: Chronik der Flugabwehrraketengruppe 34, S. 62‑69.

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dem entsprach, was im Einsatz benötigt wurde. Dies fing bei der im Einsatz geforderten Mischung der Truppengattungen bis auf Zugebene an, so dass die Soldaten – im gepanzerten Einsatzverband aus über vierzig Heimatverbänden zusammengewürfelt – sich erst frühestens bei der Einsatzausbildung kennenlernten. Die militärische Grundforderung nach »eingespielten Teams« konnte auch hier, wie man in Erfahrungsberichten euphemistisch lesen konnte, »nur bedingt erfüllt« werden. Die Improvisation für den Einsatz bezog sich aber auch auf »militärhandwerkliche« Grundfähigkeiten. Das beinhaltete beispielsweise den Umgang mit dem TPz »Fuchs« für auf dem SPz »Marder« ausgebildete Panzergrenadiere, beginnend mit teilweise mangelnder Fahrpraxis der jungen Panzerfahrer bis hin zu einsatzwichtigen Details wie etwa Verladeplänen oder der Praxis des Auf- und Absitzens in einem anfangs fremden Gefechtsfahrzeug. Umso mehr gilt es, die Leistungen der Einzelnen, die Einsatz- und Lernbereitschaft sowie Flexibilität der Soldaten aller Dienstgradebenen hervorzuheben. Erst ein weit über das im Garnisonsdienst hinausgehende Engagement des eingesetzten Personals ermöglichte einen auf taktischer Ebene erfolgreichen Einsatz. Die Fähigkeiten der aus der Wehrpflicht heraus speziell für den Einsatz gewonnenen freiwillig länger dienenden Soldaten (sog. FWDL), die häufig über eine für Mannschaftssoldaten anderer Länder ungewöhnlich hohe Stufe der formalen Bildung (nicht selten Abitur oder mittlere Reife und Lehre) verfügten, spielten hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle. So konnte etwa ein des Französischen mächtiger Abiturient als Zugführergehilfe gut die militärisch-fachlichen Fähigkeiten eines erfahrenen Zugführer-Hauptfeldwebels ergänzen. Grundlage für solche durch den Stellenplan nicht gedeckte Fähigkeiten bildete die Personalauswahl für den Einsatz, bei dem es keinen Platz für weniger motivierte Soldaten geben konnte. Nicht zuletzt deswegen konnte für nicht wenige Soldaten, vor allem der Mannschafts- und Unteroffizierebene, der Gegensatz zum Garnisonsalltag in Bezug auf Eigenständigkeit und Verantwortung kaum größer sein. Dies wiederum führte dazu, dass der Einsatz trotz Strapazen und Trennung von der Heimat oft als positivste Erfahrung der Dienstzeit wahrgenommen wurde und andererseits die Reintegration in den Kasernenalltag – der Schritt »zurück ins Glied« – sich nicht immer konfliktfrei gestaltete und zu einer gewissen Kluft zwischen Einsatzerfahrenen und »Daheimgebliebenen« führen konnte. Zu diesen »Daheimgebliebenen« gehörten auch die Soldaten des Verstärkungsverbandes SFOR. Von Beginn der deutschen SFOR-Planungen an war es eine offene Frage, ob der zu diesem Zeitpunkt noch als »Überwachungsverband« bezeichnete, gepanzerte Einsatzverband mit Kampfpanzern (KPz) »Leopard« und Schützenpanzern (SPz) »Marder« ausgestattet werden solle. Im Kern ging es um die Definition des Verbandes als »leicht« oder »schwer«.108 Dabei bedeutete dies nicht nur eine militärische Festlegung, sondern hier schlug die politische Diskussion um den 108

Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 79.

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»Kampfeinsatz« auf die Ausrüstung des Kontingents mit Kampfpanzern durch.109 In den frühen Planungen für das deutsche SFOR-Kontingent findet sich noch eine »Sicherungskompanie Reserve«.110 Deren genaue Zusammensetzung und Natur war im Oktober 1996 noch nicht festgelegt. Im Verlauf des Planungsprozesses wurde eine Kompanie in Reserve als militärisch zu schwach beurteilt, so dass ab 16.  Dezember 1996 diese planerisch auf zwei Kompanien verdoppelt wurde. Diese neue ReserveKomponente wurde fortan als »Verstärkungskräfte DFGFA« bezeichnet. Diese Verstärkungskräfte mit insgesamt 270  Soldaten sollten aus einer Infanteriekompanie à vier Züge mit jeweils drei Transportpanzern »Fuchs« (dazu ein Fuchs für den Kompaniechef, also insgesamt 124 Mann auf 13 TPz »Fuchs«) und einer Panzeraufklärungskompanie à drei Züge mit jeweils sechs Transportpanzern »Fuchs« (insgesamt 84  Mann auf 19 TPz »Fuchs«) sowie einer Einsatzunterstützungsstaffel bestehen. Während das Material der Verstärkungskräfte sich bereits im Einsatzland befinden sollte, wurde festgelegt, das Personal an den Standorten in Deutschland in Bereitschaft zu halten.111 Als Leitverband für diese Verstärkungskräfte bestimmte das Heeresführungskommando das Gebirgspanzeraufklärungsbataillon 8 aus dem niederbayerischen Freyung. Es entsprach der Empfehlung des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Helmut Willmann, einen »leichtgepanzerten Überwachungsverband« einzusetzen. Auf der anderen Seite verlangte das dem Führungsstab der Streitkräfte (FüS) weitestgehend zugeordnete Führungszentrum der Bundeswehr und mit ihm der Generalinspekteur, General Hartmut Bagger, einen gepanzerten Einsatzverband.112 Das Führungszentrum der Bundeswehr war erst im Januar 1995 aufgestellt worden und wurde in Personalunion vom Leiter des 1993 aufgestellten Koordinierungsstabes für Einsatzaufgaben (KSEA), Brigadegeneral Hartmut Moede,113 geleitet.114 Über den KSEA und das Führungszentrum übte der Generalinspekteur zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf dem direkten Befehlsweg operative Kontrolle über Truppen der Teilstreitkräfte aus. Der KSEA wurde im Jahr 1994 von einem ameri109 110

111

112 113 114

Bosnien. Leo in Reserve. In: Der Spiegel 51/1996 vom 16.12.1996. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Vorbefehl für eine Beteiligung des Heeres an einer möglichen Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 24.10.1996, Anlage A. Ebd., Befehl Nr.  3 für die Aufstellung und das Herstellen der Verlegefähigkeit eines Heeresanteils an einer internationalen Friedenstruppe für die Folgeoperation zur Unterstützung der Friedensvereinbarungen für das frühere Jugoslawien vom 17.12.1996, Anlage B. Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 79. Hartmut Moede (*1944), zuletzt 2001‑2003 als Generalleutnant Stellvertreter des Oberbefehlshabers der Alliierten Streitkräfte Nord-Europa. Naumann, Der Wandel des Einsatzes von Katastrophenhilfe. Die Bundeswehr 1955‑2005. Rückblenden – Einsichten – Perspektiven, S. 484. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr.  Peter Struck, anlässlich des Großen Zapfenstreichs für Generalleutnant Moede vom 30.9.2003 auf der Website des BMVg (letzter Zugriff 11.11.2020).

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kanischen Strategieprofessor bereits als Generalstab für Einsätze unterhalb der Schwelle des Krieges klassifiziert.115 Hier befanden sich neben den Stabschefs der Führungsabteilungen  I bis VII sowie Vertretern der zivilen Abteilungen für Recht, Verwaltung, Finanzen, der stellvertretende Leiter des Planungsstabes des Bundesministeriums der Verteidigung, die Leiter der Führungsstäbe der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine sowie des Sanitätsdienstes. Bei der Entscheidung zwischen einem »leichtgepanzerten Überwachungsverband« (Willmann) und einem »gepanzerten Einsatzverband« (Bagger) ging es indes nicht nur um die Frage »leicht« oder »schwer«, also SpPz »Luchs« und TPz »Fuchs« oder KPz »Leopard« und SPz »Marder«, sondern auch um die Frage, ob die teilstreitkräfteübergreifende Führung – letztlich der Generalinspekteur mit seinem Führungszentrum – in der Lage war, sich gegenüber dem Heer, also dem Inspekteur des Heeres mit seinem Heeresführungskommando, durchzusetzen oder nicht. Ende Dezember 1996 fiel die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers zu Gunsten der »schweren Lösung« des Generalinspekteurs der Bundeswehr. Wie bereits ausgeführt bestand der gepanzerte Einsatzverband in BosnienHerzegowina aber trotz seines auf »schwere Truppe« hinweisenden Namens lediglich aus »leichten« TPz »Fuchs« und SpPz »Luchs«. Es handelte sich also auch hier um einen Kompromiss zwischen militärischer Forderung und politischem Zugeständnis. Im Dezember 1996 fand die endgültige Festlegung statt: »Für den Fall, dass eine Lage eintritt, in der die präsenten Kräfte nicht ausreichen, sind in Deutschland zusätzliche Heeres-Verstärkungskräfte (bis zu 300  Soldaten) bereitzuhalten, deren Material im Einsatzgebiet voraus zu stationieren ist. [...] Verlegung und Einsatz dieser Reservekräfte sind an einen neuen Beschluss des Deutschen Bundestages gebunden.«116 In der Praxis entstand daraus eine 350-Mann starke Reserve mit 18 SpPz »Luchs« plus 14 TPz »Fuchs«, einer Kompanie »Leopard 1«-Kampfpanzern und einer weiteren Kompanie »Marder« mit jeweils 13 Kettenfahrzeugen.117 Ende Dezember 1996 erhielt das Panzerbataillon  383 aus dem thüringischen Bad Frankenhausen den Befehl zur Aufstellung einer verstärkte Panzerkompanie Leopard  1 A5 für einen Reserveverband im Rahmen von GECONSFOR. Konkret war es die 2.  Kompanie dieses Panzerbataillons, die sich für den Reserveverband im Rahmen von GECONSFOR auszubilden und für einen eventuellen Einsatz in Bosnien einsatzbereit zu halten hatte.118 Hintergrund war, dass das Panzerbataillon  383 über den KPz Leopard  1 in seiner modernsten Version (A5) verfügte. Der zu diesem Zeitpunkt neueste deutsche Kampfpanzer, der Leopard 2, wurde für die Straßen- und Brückenverhältnisse als zu schwer be115 116

117 118

Young, Trends in German Defense Policy. BArch, BH 7-2/1162, II. Korps, LZ GECONIFOR (L), Befehl für die Aufstellung und das herstellen der Verlegefähigkeit des Reserveverbandes (ResVerb) GECONSFOR vom 30.12.1996. Axel Hofmann, SFOR-Einsatz. »Leos« für den Notfall. In: Focus Magazin, 5 (1997) vom 27.1.1997. Website des Freundeskreis PzGrenBrig 38 e.V.

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urteilt. Hier zeigte sich, dass die für Mitteleuropa passende Entwicklung der deutschen Panzerwaffe hin zu immer mächtigeren Kampfmaschinen nicht mit dem schlecht ausgebauten Straßennetz in Südosteuropa kompatibel war. Für dieses Gebiet war der damals modernste Panzer der Welt auch gar nicht entwickelt worden. Die DFGFA verfügte also über die in Bosnien-Herzegowina stationierten Kräfte des gepanzerten Einsatzverbandes hinaus über eine kampfstarke Reserve in Bataillonsstärke. Diese stellte eine Art Task-Force mit jeweils einer Kompanie Jäger, Panzergrenadiere, Panzeraufklärer und Panzern dar, die insgesamt oder sukzessive abgerufen werden konnte, falls die Lage in BosnienHerzegowina eskalieren sollte. Während die militärische Führung über den Einsatz der Jägerkompanie und der Panzeraufklärungskompanie der Verstärkungskräfte DFGFA ohne politische Rücksprache entscheiden konnte, hätte vor einem Einsatz der Panzer- oder Panzergrenadierkompanie erst der Bundestag zustimmen müssen. Insofern hatte der Generalinspekteur sich zwar formal durchgesetzt, was auch der Name »gepanzerter Einsatzverband« zeigt, doch behielt sich die politische Ebene eine Eskalation durch den Einsatz schwerer Waffen vor und verhinderte dadurch, dass rein militärische Automatismen greifen konnten. In der Praxis blieb dies jedoch folgenlos, da die Reserve nie eingesetzt werden musste. Neben der politischen Zurückhaltung »schwere« Kampftruppen nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden spielte möglicherweise auch die multinationale militärische Arithmetik eine entscheidende Rolle dafür, dass die insgesamt etwa 600 Mann starken Verstärkungskräfte DFGFA lediglich in Deutschland einsatzbereit vorgehalten wurden. Die deutsche militärische Gesamtstärke in Bosnien-Herzegowina stieg im Januar 1997 auf 2700 Soldaten an. Solche Zahlen waren aber stets auch politischer Natur. Insgesamt sollte die deutsche Gesamtstärke bei SFOR 3000 Soldaten (inklusive Luftwaffenanteil) betragen, wobei die französische Gesamtstärke in einem internen Papier des französischen Verteidigungsministeriums mit 2500 Soldaten angegeben wurde. Das französische Verteidigungsministerium korrigierte aber diese Zahlen öffentlich auf 3100 Franzosen und 2450 Deutsche. Hintergrund hierfür bildete die ungeschriebene NATO-Regel, dass dasjenige Land, welches die meisten Soldaten stellt, für gewöhnlich auch die Führung des gemischten Verbandes übernimmt.119 Eine deutsche Divisionsführung aber war zu diesem Zeitpunkt weder seitens Frankreichs noch seitens Deutschlands politisch gewünscht. Vielmehr sollte der Übergang in den ersten deutschen Einsatz von Kampftruppen in einem ehemaligen Kriegsgebiet so sanft und international eingebunden wie nur irgend möglich erfolgen. Auch dies erklärt, wieso die Bundeswehr ihre gepanzerte SFOR-Reserve nicht in das Einsatzland schickte. Das Primat der Politik stand somit deutlich über der Frage, ob einem Einsatz

119

Jean-Dominique Merchet, La Bundeswehr avec les soldats français en Bosnie. Première opération extérieur de la brigade franco-allemande. In: Libération, 26.12.1996.

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von Kampfpanzern im militärischen Sinn der Vorzug zu geben gewesen wäre oder nicht.

d) »Joint Forge« 1998 bis 2004 Die Operation »Joint Guard« war zu Beginn lediglich für die Dauer von 18 Monaten ausgelegt worden. Jedoch zeichnete sich rasch ab, dass trotz erfolgreicher Kontrolle der Konfliktparteien und durchgeführter Kommunalwahlen die Lage in Bosnien-Herzegowina noch nicht so stabilisiert war, dass es bei einem Truppenabzug der SFOR garantiert schien, dass nicht erneut Kampfhandlungen ausbrechen. Militärisch gesprochen waren die Ziele des Operationsplanes »Joint Guard« also nicht erreicht worden, sondern die Operation befand sich 1998 in ihrer zweiten oder dritten Phase, sodass an die vierte Phase, die Rückführung der Truppen, nicht zu denken war. Vor einem schrittweisen Abzug der SFOR wurde nach wie vor allgemein eine längere Phase der Abschreckung (deterrence) als notwendig angesehen. Dies bedeutet, dass an ihren hochgesteckten zeitlichen Zielen gemessen die Operation »Joint Guard« nicht erfolgreich war. Ob es jeweils überhaupt realistisch gewesen ist, das Ziel einer Rückführung der Staatsgewalt an die zivilen Behörden vor Ort innerhalb von lediglich 18 Monaten zu erreichen, scheint indes fragwürdig. Zumindest die militärische Führung der NATO – verkörpert durch General Naumann – war stets von einer längeren Einsatzdauer ausgegangen. Die Begrenzung von »Joint Guard« auf 18 Monate entsprach eher politischen Zwängen und Wunschvorstellungen als einer sachlichen Analyse der Größe der Aufgabe.120 Dabei lagen die Probleme weit weniger in dem der NATO zugewiesenen militärischen Teil des Abkommens von Dayton – hier waren die wichtigsten Ziele der Entwaffnung und Kontrolle der Abrüstung erreicht worden. Vielmehr lagen sie im zivilen Bereich des Friedensvertrages, für den die NATO gar nicht zuständig gewesen war. Hintergrund hierfür bildete nicht zuletzt die chronische Unterfinanzierung des Wiederaufbaus BosnienHerzegowinas. Anlässlich der ersten Londoner Wiederaufbaukonferenz, die etwa zeitgleich zur Unterzeichnung des Vertrags von Dayton abgehalten worden war, hatten Weltbank und Europäische Kommission für die Zeit bis 1999 einen Finanzbedarf von mindestens 5,1  Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau von Wohnungen und elementarer Infrastruktur errechnet. Davon leitete sich ein Bedarf von 1,8 Milliarden US-Dollar für das erste Friedensjahr 1996 ab. Diese Summe wurde zwar auf der internationalen Brüsseler Finanzierungskonferenz im Februar 1996 noch zugesagt, doch war schon auf der Londoner Konferenz von diesen Zahlen keine Rede mehr. Die dort versammelten Staaten und internationalen Organisationen begannen mit dem Rückzug von ihren früheren Zusagen.121 120 121

Keßelring, Bosnien-Herzegowina, S. 60‑62. Zumach, Dayton – kein Synonym für Frieden, S. 14.

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Als am 20. Juni 1998 »Joint Guard« auslief, begann die NATO eine neue NATO-Operation »Joint Forge«. Anders als beim Übergang von IFOR zu SFOR erhielten die Einsatzkräfte jedoch keinen neuen Namen, sondern firmierten weiterhin unter SFOR. Einzig sichtbares Zeichen für die »neue« Operation, die letztendlich eine zeitliche Verlängerung der alten darstellte, war, dass die Zählung der Einsatzkontingente erneut von vorne bei eins begann. Verwirrenderweise führte dies dazu, dass das eigentlich vierte deutsche SFOR-Kontingent erneut als »1.  GECONSFOR« bezeichnet wird. Der Umfang der SFOR blieb jedoch im Unterschied zum Übergang von IFOR zu SFOR im Wesentlichen bestehen. Dem Namen nach wurde von der »Wacht« (guard) zur »Schmiede« (forge) übergegangen. Dies deutete bereits an, dass es nun nicht mehr mit einem reinen Überwachungsauftrag gegenüber den ehemaligen Konfliktparteien getan war, sondern es jetzt einen funktionierenden neuen Staat zu »schmieden« galt. Dies sollte rasch, – um im sprachlichen Bild der NATO zu bleiben – »solange das Eisen noch heiß war« geschehen. Einen deutlichen Unterschied zwischen SFOR »Joint Guard« und SFOR »Joint Forge« stellte die Einführung einer neuen Komponente dar. Dies wurde etwas euphemistisch als »Schließen der Sicherheitslücke« bezeichnet. Bereits seit Beginn der NATO-Operationen in Bosnien-Herzegowina war auf eine »Sicherheitslücke« zwischen »dem Militär«, also IFOR oder SFOR, einerseits und »der Polizei«, also der IPTF bzw. der lokalen Polizei, andererseits hingewiesen worden. Dabei galt das Schließen der »Sicherheitslücke« als eine Grundvoraussetzung für eine realistische »Exit-Strategie«.122 Die negative Erscheinung der »Sicherheitslücke« ergab sich als Folge der positiven Entwicklung eines immer weniger militarisierten Umfelds in BosnienHerzegowina, aber auch schlicht aus der Tatsache, dass die IPTF ihre geforderten Stärken nicht erreichte und damit im Zweifelsfall nur bedingt in der Lage war, nach Abzug von SFOR ihren Auftrag weiter zu erfüllen. Stand zu Beginn der Operationen noch die Abschreckung gegenüber den Kriegsparteien und deren Entwaffnung im Vordergrund – eine Aufgabe, für die schwere militärische Einheiten mit überlegener Feuerkraft benötigt wurden –, wandelt sich der Auftrag der SFOR also hin zur Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung. Dies war typischerweise eine zivile Aufgabe, die in das Aufgabenfeld der IPTF fiel. Dies stand freilich im Gegensatz zur ursprünglichen Planung der Abschreckungsphase, in der militärische Operationen und Unterstützungsleistungen für die zivile Seite reduziert werden sollten. Mit »Joint Forge« übernahm die SFOR und damit die NATO also eine zusätzliche Aufgabe an der Grenze zwischen Militär- und Polizeiaufgaben. Während aber die Streitkräfte für Aufgaben wie »crowd and riot control« (CRC), im Polizeideutsch »Überwachung von unfriedlichen Menschenansammlungen und Eindämmung von Krawallen«, nur bedingt geeignet, ausgebildet und ausgerüstet sein konnten, zeigte sich die lokale Polizei mit solchen Aufgaben schon kräftemäßig und auch aufgrund ihrer mangelnden Fähigkeit zum 122

Meyer zum Felde, Die deutsche Mitwirkung an der Friedensmission, S. 82.

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Handeln in geschlossener Ordnung gegen aggressive Demonstranten überfordert. Hinzu kam, dass angesichts der bevorstehenden Wahlen angenommen werden musste, dass gewalttätige Demonstrationen oder Krawalle aufgrund der hohen Zahl an verfügbaren Kriegswaffen fließend in paramilitärische Gewalthandlungen übergehen konnten.123 Beim Schließen der »Sicherheitslücke« ging es also fast wörtlich darum, dass die NATO vermeiden wollte, mangels Alternative »mit Kanonen auf Spatzen« schießen zu müssen. Der Operationsplan »Joint Forge« sah vor, diese »Sicherheitslücke« vom militärischen Ende (NATO) und nicht von der zivilen Seite (IPTF) her zu schließen: Gegen »Spatzen« sollte mit »leichten Kanonen« vorgegangen werden. Dies geschah nicht unbedingt deswegen, weil »leichte Kanonen« dazu besser geeignet gewesen wären, sondern eher in Ermangelung militärischer Alternativen. Den politischen Hintergrund des Problems bildete freilich das bereits in Dayton angelegte Defizit, dass die Entitäten – also die alten Kriegsparteien im neuen Gewand der Teilstaaten Bosnien-Herzegowinas Föderation und RS – weit davon entfernt waren, im gesamtstaatlichen Sinn wirklich neutrale Polizeikräfte aufzustellen. Gerade die Polizeikräfte waren es in der RS gewesen, die bereits zu Beginn des Krieges alles andere als neutral, sondern als Agenten Belgrads gehandelt hatten. Als Folge dieses Dilemmas, dem die IPTF aufgrund der an den historischen Realitäten vorbeigehenden Planungen nicht gewachsen war, entstand im August 1998 das neue und für spätere Peacekeeping-Operationen zukunftweisende Konzept einer Bildung von Multinational Specialized Units (MSU) im Rahmen der SFOR. Der Auftrag der MSU umfasste das Füllen der Sicherheitslücke im Bereich der öffentlichen Sicherheit, die Unterstützung des ICTY, des OHR, der IPTF sowie der lokalen Polizeiverbände, die Unterstützung der Militärpräsenz sowie das Generieren von speziellen Informationen.124 Den Kern der MSU bildete das 13. Carabinieri-Bataillon »Friuli-Venezia-Giulia« mit 383 Carabinieri unter Führung eines italienischen Obersten. Im Gegensatz zu rein militärischen Einheiten zeichneten sich die zwischen Militär und Polizei angesiedelten Carabinieri durch eine hochspezialisierte Struktur mit hoher Führerdichte mit 29 Offizieren und 98 Unteroffizieren aus. Nach Erkundungsmaßnahmen im April 1998 – also noch während Operation »Joint Guard« – trafen am 2.  August 1998 die italienischen Hauptkräfte in Sarajevo-Butmir ein. Bis Oktober 1999 wuchsen die MSU durch 76  Angehörige der argentinischen Gendarmerie, 23 rumänische und 25 slowenische Militärpolizisten auf eine Stärke von über 500 Einsatzkräften an.125 Bei Ende der SFOR im Dezember 123

124 125

Zu Fragen der Doktrin zum Schließen dieser Sicherheitslücke siehe die Dokumentation der Associazone Nazionale delle Universitá della Terza Etá, (letzter Zugriff 1.12.2020) oder die amerikanische Sichtweise der »lessons learned« aus den Unruhen des Jahres 2004 im Kosovo durch das United States Institute of Peace: (letzter Zugriff 10.12.2020). NATO-Website, (letzter Zugriff 10.12.2020). Website der Carabinieri, .

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2004 dienten in Bosnien-Herzegowina 800 Spezialpolizisten der MSU. Die italienischen Carabinieri stellten über den gesamten Einsatzzeitraum die meisten Kräfte und nahmen eine leitende Rolle bei der Entwicklung und Führung dieses neuen Einsatzkonzeptes ein. Im März 1998 fanden auf der Arbeitsebene sogenannte Quadrolaterale Besprechungen zwischen Vertretern Frankreichs, Spaniens, Italiens und Deutschlands statt, um eine gemeinsame Position der truppenstellenden Nationen der MND SE (»Salamandre«) für die NATO Force Generation Conference am 7. April vorzubereiten. Insgesamt stellten sich die Positionen so dar, dass Frankreich und Deutschland die Truppenstärke reduzieren wollten, aber Spanien und Italien sich deutlich dagegen aussprachen. Einem Einsatz von »EUROFOR«, wie diesen Italien und Spanien vorschlugen, widersetzten sich Frankreich und Deutschland kategorisch.126 Es scheint, dass mit dieser »EUROFOR« die Überführung der auslaufenden NATO-Mission unter ein europäisches Kommando – wie dies ab Ende des Jahres 2004 dann auch mit EUFOR Althea geschehen sollte – gemeint war. Die Hintergründe und die Genese der EUFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina sind, trotz einer Vielzahl von Erwähnungen in politikwissenschaftlichen Studien zur europäischen Sicherheitspolitik, alles andere als erforscht. Als Ausgangspunkt einer historiografischen Betrachtung anhand der Quellen könnte die These Tolksdorfs dienen, dass Bosnien-Herzegowina als »außenpolitisches Testfeld« der EU gedient habe, ohne dass die EU selbst über eine kohärente Bosnienstrategie verfügte.127 Im Jahr 1998 lag es offenbar (noch) nicht im deutschen und französischen Interesse, am fein austarierten deutsch-französischen Gleichgewicht zu rütteln und nicht auf die bewährten Strukturen der NATO – und damit auch die amerikanischen Fähigkeiten zur Abschreckung – zurückzugreifen. Hier mag insbesondere auch der sich bereits abzeichnende Kosovo-Konflikt eine Rolle gespielt haben. Im deutschen Interesse war hingegen mehr politische Sichtbarkeit des SFOR-Engagements, etwa durch organisatorisches Anheben des Feldlazaretts von Divisions- auf SFOR-Ebene. Darüber hinaus sollten die force multiplier – darunter wurden die Aufklärungskräfte, also HUMINT, EloKa, Drohne gerechnet – unbedingt »im Theater« bleiben. Nicht zuletzt sollten die deutschen Pionierkräfte im Einsatz gehalten und das deutsche Engagement in Bezug auf zivil-militärische Zusammenarbeit (Civil Militäry Cooperation, CIMIC) verstärkt werden.128 In diesen Präferenzen zeigt sich, dass politisch vorzeigbaren und dabei wenig »martialisch« anmutenden Kräften deutscherseits der Vorzug gegeben werden sollte. Das deutsch-französische »Erfolgsmodell« war im Rahmen der NATO beizubehalten. Hier zeigte sich zum letzten Mal die politische Handschrift der Bundesregierung unter Helmut Kohl, die jedoch bereits nach den Bundestagswahlen im Oktober 126 127 128

BArch, BW 2/34949, Führungszentrum der Bundeswehr, Folgeoperation SFOR, Ergebnisse der 2. quadrolateralen Besprechung am 20.3.1998. Tolksdorf, Die EU und Bosnien-Herzegowina, Zitat S. 347. BArch, BW 2/34949, Führungszentrum der Bundeswehr, Deutsche Beteiligung an der Folgeoperation SFOR, hier: »Force Generation«-Konferenz bei SHAPE am 7.4.1998.

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1998 durch das erste Kabinett Gerhard Schröder ersetzt wurde. Im Rahmen der quadrolateralen Militärkonstellation im »französischen Sektor« BosnienHerzegowinas versuchte offenbar Spanien, in der inneren »Hierarchie« der Truppensteller aufzusteigen, und beharrte deswegen darauf, dass trotz zahlenmäßiger Reduzierungen eine spanische Brigade mit einem spanischen Brigadegeneral an der Spitze im Rahmen der MND SE (»Salamandre«) beibehalten werden solle. Auch hier mag bereits das Kosovo-Problem im Hintergrund gestanden haben. Der Erhalt einer spanischen Brigade garantierte unter Anwesenheit eines spanischen Generals mit entsprechenden Truppen bei SFOR ein stärkeres Gewicht innerhalb der NATO, was die spanische Politik dringend benötigte, da die spanischen Vorstellungen in Bezug auf das Kosovo stark von denjenigen etwa Frankreichs, Deutschlands oder auch Italiens abwichen. Eine europäische Linie, die sich wohl abweichend von der amerikanischen Linie dargestellt hätte, schien für Spanien das Konzept eines europäischen Einsatzes in Bosnien-Herzegowina interessant zu machen. Deren Durchsetzung zu diesem Zeitpunkt hätte zugleich wohl bedeutet, dass es schon aufgrund mangelnder Fähigkeiten kein militärisches Eingreifen im Kosovo gegeben hätte. Praktisch vollzog sich die Reduzierung der spanischen Brigade durch den Abzug der dort enthaltenen ägyptischen Kräfte, die seit IFOR wertvolle Dienste im Rahmen der französisch geführten Division geleistet hatten, die aber bei »Joint Forge« nicht mehr auftauchen. Die Gründe für den Rückzug des ägyptischen mechanisierten Bataillons wären eine eigene Untersuchung wert. Die italienische Reduzierung beschränkte sich wiederum im Wesentlichen auf die Artilleriebatterie, wobei die Panzerhaubitzen M-109 im Einsatzland verbleiben, das Personal sich aber in Italien in Bereitschaft halten sollte. Insgesamt stärkte Italien aber seine Präsenz in Bosnien-Herzegowina. Dies kann durchaus als traditionelle italienische Außenpolitik gewertet werden. Interessanterweise schienen sich bald die deutschen und italienischen Interessen auf dem Balkan recht gut zu ergänzen – eine Konstellation, die Bundeskanzler Kohl schon aufgrund der Wirkmächtigkeit vermeintlicher historischer Parallelen eines gemeinsamen Vorgehens Italiens und Deutschlands während des Zweiten Weltkrieges auf dem Balkan stets zu vermeiden gesucht hatte. Die Gesamtstärke von SFOR wurde im Jahr 2000 auf 24 000 Soldaten129 und 2002 auf 18 000 Soldaten heruntergefahren. Obwohl der Anteil der deutschen SFOR-Soldaten absolut gesehen um rund 1000 Soldaten auf 1700 sank, stieg der relative deutsche Anteil von knapp acht Prozent bei »Joint Guard« auf 9,5 Prozent bei »Joint Forge« an.130 Die Reduzierung von SFOR um etwa die Hälfte des Personals gegenüber den Anfängen im Jahr 1997 war nicht nur der deutlich verbesserten Lage in Bosnien-Herzegowina, sondern auch durch den am 12. Juni 1999 begonnenen Einsatz der Kosovo Force (KFOR) der NATO im 129 130

Keßelring, Vom NATO-Kampfeinsatz zum »nation building«, S. 22 f. Bundesministerium der Verteidigung: Bundeswehr 2002. Sachstand und Perspektiven, Bonn 2002, S. 19.

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nahen Kosovo bedingt. Dort waren anfänglich rund 50 000 Soldaten, darunter 6000 Deutsche im Einsatz.131 Dies bedeutete nicht zuletzt, dass es möglich war, im Falle einer auftretenden erneuten Eskalation in Bosnien-Herzegowina Truppen aus dem Kosovo dorthin zu verlegen, so dass auf größere Reserven bei SFOR verzichtet werden konnte. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Herbst 2001 (»9/11«) veränderte sich das amerikanische Interesse an Bosnien-Herzegowina und »dem Balkan« dahingehend, dass zum einen neue Kriegsschauplätze wie Afghanistan und Irak in den Vordergrund traten, zum anderen aber gerade die muslimischen Bosniaken und Kosovo-Albaner als eine Art »Trojanisches Pferd« des Islamismus gesehen wurden. Im Herbst 2002 wurden die drei in Bosnien-Herzegowina eingesetzten multinationalen Divisionen in multinationale Brigaden umgegliedert, wobei die vorherigen Verantwortungsbereiche der multinationalen Divisionen nun zu Verantwortungsbereichen der Brigaden wurden. Während die MND SE (»Salamandre«) stets von einem französischen Generalmajor geführt worden war, wechselten sich ab November 2002 als Kommandeure der Multinational Brigade (MNB) SE (»Salamandre«) Brigadegenerale aus Frankreich, Italien, Spanien und zuletzt von März bis November 2004 auch Deutschland ab. Mit der Ernennung von Brigadegeneral Gerhard Stelz als erstem deutschen Brigadekommandeur der MNB SE (»Salamandre«) von März bis November 2004 befahl erstmals ein Deutscher das französisch-deutsch-italienisch-spanische Einsatzkontingent.132 Dies zeigt, dass die vier hauptsächlich beteiligten Länder inzwischen gleichberechtigt beteiligt waren. Vergleicht man diese Situation mit derjenigen von 1997, so wird deutlich, wie sehr der SFOR-Einsatz der Bundeswehr das Gewicht der Deutschen, aber auch der Italiener und Spanier innerhalb der NATO verändert hatte. Diese Entwicklung war noch 1998 von deutscher Seite gehemmt worden, was der politischen Linie einer engen deutsch-französischen Partnerschaft entsprach. Während 1997 die »deutsche Normalität« noch beschworen werden musste, war sie ab 2002 in Bosnien-Herzegowina bereits Realität. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, dass SFOR in der Priorität der NATO inzwischen weit hinter ISAF und KFOR rangierte, es sich also gewissermaßen um eine Art »Nebenkriegsschauplatz« handelte. Dennoch stellte dieses Kommando einen weiteren »historischen« Schritt dar. Innerhalb der MNB SE wurde ab Dezember 2002 eine Gliederung eingenommen, die sich deutlich von derjenigen der frühen SFOR-Jahre, in denen die Bundeswehr als Teil der DFGFA agierte, unterschied. Die MNB SE (»Salamandre«) bildete im Wesentlichen zwei als Battle Groups bezeichnete Bataillonsäquivalente, eine französisch-spanische Battle Group in Mostar sowie eine deutsch-italienische (GE/IT) Battle Group in Rajlovac. Die GE/IT Battle Group setzte sich aus jeweils zwei italienischen und zwei deutschen 131 132

Keßelring, Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien, S.  75; Lehmann, Der Luftkrieg der NATO, S. 78‑87. SFOR Stabilisation Force. Previous commanders of SFOR.

4. SFOR zwischen »Staatsaufbau« und »Exit-Strategie«

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Einsatzkompanien auf Radpanzern, einer italienischen Mörserkompanie, italienischen Heeresfliegern im Bestand der Brigade, deutschen Pionieren, dem deutschen Feldlazarett im Bestand der Brigade, einer deutschen CIMICKompanie sowie zweier deutscherseits ausgerüsteter und ausgebildeter albanischer Infanteriezüge zur Bewachung des Feldlagers in Rajlovac zusammen. Sowohl Deutsche als auch Italiener verfügten über jeweils eigene Militärpolizei-, Fernmelde- und Instandsetzungseinheiten, was sich aus den rechtlichen, sprachlichen und ausrüstungstechnischen Eigenheiten der jeweiligen nationalen Anteile logisch ergab.133 Betrachtet man diese Gliederung im Lichte der deutschen Ziele von 1998, so ist festzustellen, dass sich die deutschen Vorstellungen in den Bereichen HUMINT, EloKa, Pioniere und CIMIC Ende des Jahres 2002 verwirklicht hatten (siehe Abb. 11: »Organisation der Task Forces innerhalb der deutsch-italienischen Brigade (SFOR)« im Anhang).134 Der Einsatz einer deutschen CIMIC-Kompanie stellte eine der grundlegenden Neuerungen im Rahmen von »Joint Forge« dar. In ihm wird der Unterschied zwischen den NATO-Operationen wohl am deutlichsten. Die Aufträge der deutschen CIMIC-Kompanie lagen im Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur sowie der Unterstützung und Koordination von Maßnahmen zur Strukturentwicklung. Hierzu bestand die CIMICKompanie aus 33  Soldaten – meist Reservisten aus einschlägigen Berufen, wie etwa Bau- oder Elektroingenieure – in den Dienstgraden Oberstleutnant bis Stabsunteroffizier sowie aus elf Sprachmittlern. Die CIMIC-Kompanie diente dabei als eine Art »Relaisstation« zwischen Geldgebern für den Wiederaufbau, wie etwa der EU, dem Auswärtigen Amt, der OSCE oder auch NGOs wie der Caritas, und den Bedürfnissen vor Ort. Hierzu nahm die CIMIC-Kompanie Projekte auf, erkundete die Voraussetzungen, bewertete die Möglichkeiten der Vorhaben, führte diese steuernd durch und kontrollierte deren Abschluss. Eine Grundidee war, dass nicht Gelder nach dem »Gießkannenprinzip« über Bosnien-Herzegowina ausgegossen werden, sondern konkrete Projekte verwirklicht werden sollten. So führte beispielsweise die deutsche CIMIC-Kompanie im 6. Einsatzkontingent SFOR Bauprojekte mit einem Volumen in Höhe von 800 000 Euro, das 7. Einsatzkontingent in Höhe von 500 000 Euro durch. Konkret handelte es sich im 7. Einsatzkontingent im Jahr 2003 etwa um Projekte wie dasjenige zur Flüchtlingsrückkehr Hadžići.135 In Hadžići lebten von bei der Volkszählung 1991 angegebenen knapp 6400 Serben im Jahr 1997 noch etwa 670. Das Auswärtige Amt hatte 65 000 Euro für die Instandsetzung von elf Wohneinheiten zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden rund 300  Rückkehrer erwartet. Die CIMIC-Kompanie beantragte im gleichen Jahr darüber hinaus 74 100 Euro bei der EU für den Aufbau der Stromversorgung. Mit diesem Geld sollten die Stromversorgung selbst, der Bau einer Trafo-Station sowie ein Niedervolt-Leitungsnetz auf133 134 135

BArch, BW 60/137, KTB 7. DtEinsKtgt SFOR, Anlagenband, GE-IT BG Task Organisation. Ebd. BArch, BW 60/137, KTB 7. DtEinsKtgt SFOR, Anlagenband, Lagevortrag zur Unterrichtung für FüH 5, III vom 12.6.2003.

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II. Krieg und Friedensoperationen

gebaut werden. Solche Infrastrukturmaßnahmen wurden idealerweise mit einem politischen Zweck verbunden: Hier die Verwirklichung der im Vertrag von Dayton festgeschriebenen Flüchtlingsrückkehr, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern dadurch, dass sie durch Elektrifizierung attraktiv gestaltet wurde, real stattfinden sollte. Als Beispiele für den Auftrag der Strukturentwicklung lassen sich Seminare für kommunale Selbstverwaltung oder zur praktischen Weiterbildung von Wirtschaftsstudenten anführen. Bei solchen Strukturentwicklungsmaßnahmen stellte die CIMIC-Kompanie den Moderator oder das Forum. Die Kurse selbst wurden beispielsweise durch deutsche Kommunalexperten oder Handelskammern durchgeführt. Durch solche Programme sollten die dringenden, eindeutig der zivilen Ebene zuzuschreibenden Probleme Bosnien-Herzegowinas gelindert werden. Als größte Probleme machte die CIMIC-Kompanie im Jahr 2003 die degressive Wirtschaftslage mit negativen Prognosen, eine ausbleibende Verbesserung der Verhältnisse zwischen den Ethnien sowie ein desolates Steuer-, Rechts- und Verwaltungssystem und Korruption aus.136 Trotz eines großen Engagements der Soldaten und solcher Leuchtturmprojekte wie demjenigen in Hadžići bleibt festzustellen, dass der Einsatz der deutschen CIMICKompanie letztlich lediglich als »Tropfen auf den heißen Stein« bewertet werden kann. Ihr Einsatz reflektierte jedoch den guten Willen Deutschlands, nachdem in den ersten zwei Jahren nach Dayton gerade einmal 35 000 sog. minority returns, also Flüchtlingsrückkehrfälle in Gebiete, welche (inzwischen) von einer (einst) verfeindeten Ethnie beherrscht wurden, verzeichnet werden konnten. Eine Auswertung von rund 50 CIMIC-Berichten aus den Jahren 1997 und 1998 zeigt, dass die Aufnahmebereitschaft der ortansässigen Bevölkerung neben mangelnden Perspektiven in den Rückkehrgebieten den größten Hinderungsgrund darstellte. In Hinblick auf die wirtschaftliche, infrastrukturelle und politische Lage erschienen nach Meinung der CIMICBearbeiter etwa ein Drittel der untersuchten Gemeinden als geeignet für die Aufnahme von Flüchtlingen, ein weiteres Drittel wurde wegen der desolaten wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Lage als nicht oder nur bedingt geeignet eingestuft. Das letzte Drittel wurde zwar grundsätzlich als geeignet eingeschätzt, doch wurde eine tatsächliche Rückkehr nur für Angehörige der jeweiligen Mehrheitsgruppe als empfehlenswert angesehen.137 Das Problem der gescheiterten Flüchtlingsrückkehr zeigen auch die Zahlen: Von 2,2 Millionen Flüchtlingen hatten 1999 nur rund 500 000 entsprechende Möglichkeiten genutzt. Lediglich rund 100  000 waren minority returns. Besonders schwierig gestaltete sich die Rückkehr von »Minderheits-Flüchtlingen« in die RS: Bis 1999 kehrten lediglich 14  000 Kroaten und Bosniaken in das Gebiet der RS

136 137

BArch, BW 60/137, KTB 7. DtEinsKtgt SFOR, Anlagenband, Lagevortrag zur Unterrichtung für FüH 5, III vom 12.6.2003. Nadoll, Probleme der Friedenskonsolidierung, S.  176‑185, zur Untersuchung der CIMIC-Berichte, S. 181.

4. SFOR zwischen »Staatsaufbau« und »Exit-Strategie«

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zurück.138 Bis 1995 waren 67 Prozent der Kroaten aus Bosnien-Herzegowina vertrieben worden. Von diesen waren bis zum Jahr 2006 lediglich 13 Prozent in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt.139 Heute muss das Projekt der Flüchtlingsrückkehr – obwohl in den ersten Jahren durchaus Fortschritte erzielt werden konnten – als gescheitert angesehen werden. Dieses Scheitern erfolgte, obwohl etwa die Hälfte der bereitgestellten fünf  Milliarden Dollar Aufbauhilfe bis 1999 in die Flüchtlingsrückkehr geflossen war. Allein 1999 wurden 385  Millionen DM für den Aufbau von Privathäusern und -wohnungen bereitgestellt.140 Auch wenn die für den wirtschaftlichen Wiederaufbau bereitgestellten Geldmengen weit geringer waren als die zuvor errechneten notwendigen Finanzmittel, so lagen die Probleme doch weniger am Geld denn an der psychologischen Wirkung eines mangelnden Vertrauens an eine Zukunft in der alten Heimat. Um dies zu ändern, kennt das Strafgesetz Bosnien-Herzegowinas von 2003 den Straftatbestand »Verhinderung der Rückkehr von Flüchtlingen durch Drohungen oder Gewalt«. Verstöße gegen den »Rückkehrer-Paragrafen« können seitdem mit Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren geahndet werden.141 Der Einsatz der deutschen CIMIC-Kompanie mit dem Ziel 300 minority returns nach Hadžići zu ermöglichen, so verdienstvoll und richtig diese Arbeit auch gewesen ist, konnte die Entwicklungen ebenso wenig aufhalten wie das wohlgemeinte Gesetz. Als die Operation »Joint Forge« der NATO im Dezember 2004 endete und in eine Operation der EU überführt wurde, waren die militärischen Ziele des NATO-Operationsplanes erreicht. Die Truppenstärke wurde noch vor Übergabe von SFOR an EUFOR auf 7000  Soldaten reduziert. Bedenkt man, dass IFOR neun Jahre zuvor mit 60 000 Soldaten begonnen hatte, so zeigt sich der Erfolg der IFOR sowie der acht Jahre andauernden SFOR-Operation. Bei aller berechtigter Kritik und allen Defiziten in der Aussöhnung der ehemaligen Kriegsparteien bleibt, dass die NATO und in ihrem Verbund auch die Bundeswehr bis heute in Bosnien-Herzegowina einen Frieden, im Sinne von Abwesenheit von Krieg, erzwungen, überwacht und geschmiedet haben.

138 139 140 141

Ellerkmann, Nachkriegsentwicklung, S. 170 f. Botschafter Ellerkmann war von 1998 bis 1999 Stellvertretender Hoher Repräsentant in Mostar. Posselt, Perspektiven: Tragödie und Hoffnung, S. 177. Ellerkmann, Nachkriegsentwicklung, S. 170 f. Marko/Railić, Minderheitenschutz im östlichen Europa.

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze Die Entwicklung der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan ist nicht ausschließlich aus ihrer spezifisch militärischen oder der außen- und bündnispolitischen Entwicklung heraus verständlich. Als Bestandteil der Exekutive eines demokratischen Staates war die Bundeswehr stets auch ein Teil der deutschen Gesellschaft und somit bildeten die bundesdeutschen Diskussionen um die Balkaneinsätze immer auch den sozialen Rahmen, in dem sich Militär und Politik bewegten. Auffällig ist dabei, dass die kriegerischen Entwicklungen in Südosteuropa selbst nur einen Bruchteil dieser Diskurse beeinflussten. Der in deutschen Medien geführte öffentliche Diskurs scheint sich vielmehr vor allem auf die eigenen Handlungen, weniger auf deren Auswirkungen im Einsatzland fokussiert zu haben. Im Zentrum standen Fragen der Außen- und Selbstwahrnehmung der Deutschen im Jahrzehnt nach der Einheit. Diese Fragen überlagerten und bestimmten inhaltlich die Diskussion um einen möglichen Bundeswehreinsatz im ehemaligen Jugoslawien. In diesem Zusammenhang ist ferner darauf zu verweisen, dass es zu Zeiten des Kriegsausbruchs in Slowenien im Auswärtigen Amt kein eigenes Balkan-Referat gab. Zuständig war das Referat 214, welches alle ehemaligen kommunistischen Staaten Europas von der Ostsee bis zur Adria mit Ausnahme der ehemaligen Sowjetunion bearbeitete. In diesen aus dem Kalten Krieg geerbten Strukturen bildeten die wenigen Jugoslawienexperten des Auswärtigen Amtes eine Minderheit, die schon aufgrund der organisatorischen Rahmenbedingungen nur geringen internen Einfluss besaß.1 Damit kam den Medien und deren Berichterstattung auch mehr als sonst üblich eine gewisse fachliche Expertenfunktion zu.

a) Medien, Krieg und Einsatz Bezogen auf die Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ist zuerst festzuhalten, dass sich die regionalen Medien weitestgehend von den jeweiligen Kriegsparteien instrumentalisieren ließen. In Serbien können die Medien während des Krieges aufgrund des Charakters des Milošević-Regimes ohnehin als gleichgeschaltet betrachtet werden; in Kroatien wie in Serbien erhielten die Medien detaillierte Direktiven für die Berichterstattung. Diese beinhalteten etwa Bezeichnungen für den Kriegsgegner, das Präsentieren von Opfern 1

Michael Martens, »Oder es wird zerfallen«. Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vor 20  Jahren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.1.2012. Siehe hierzu: Clewing, Krisen und Konflikte auf dem Balkan.

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II. Krieg und Friedensoperationen

und andere in den Bereich der Kriegspropaganda gehörende Festlegungen.2 Die Anzahl der Deutschen, die aufgrund ihrer Sprachkompetenz in der Lage waren, die regionalen Zeitungen auszuwerten, war aber ohnehin verschwindend gering. So scheint in den deutschen Medien zuerst das Thema Krieg in Jugoslawien, möglicherweise auch als Reaktion auf die Vorwürfe der medialen Inszenierung im Kuwait-Krieg, eher zurückhaltend behandelt worden zu sein. Bereits eine kursorische Auswertung der »Spiegel«-Titel des Jahres 1992 ergibt, dass von den 53 Ausgaben der Wochenzeitschrift lediglich zwei den Krieg auf dem Balkan bzw. einen möglichen Bundeswehreinsatz thematisierten: »Der Westen wacht auf – Krieg in Jugoslawien« (28/1992) und »Einsatz ohne Grenzen? UNO-Mission der Deutschen?« (30/1992). Beide Ausgaben erschienen im Juli, also in der Zeit, als die Bundesregierung erstmals einen Einsatz von Marineeinheiten in der Adria beschloss. Auf das ganze Jahr 1992 bezogen wurden mögliche Titel-Themen zum Jugoslawien-Konflikt oder gar potentiellen Bundeswehreinsätzen von durch die deutsche Einheit inspirierten Themen, allen voran deren finanziellen und sozialen Folgen, verdrängt.3 Darüber hinaus bestimmte aber auch die Flüchtlings- und Asylproblematik4 in ihrer innenpolitischen und gesellschaftlichen Dimension sowie – teilweise damit zusammenhängend zum Jahresende – Nachrichten über das Wiederaufleben des Rechtsradikalismus die im »Spiegel« veröffentlichte Diskussion.5 Zumindest von der Zahl der Titel her zu urteilen, rangierte die Einsatzfrage gleichauf mit Bildungsproblemen oder auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogenen historischen Themen.6 Dennoch wäre es sicherlich übertrieben zu behaupten, dass der damals aktuelle Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nicht mehr interessiert hätte als die sich zum 50. Mal jährende Schlacht von Stalingrad. Beim genaueren Hinsehen wird deutlich, dass kaum eine Woche verging, in der nicht irgendein Artikel zum »Jugoslawienkrieg« im »Spiegel« abgedruckt wurde. Dennoch zeigt aber bereits diese Stichprobe, dass der Fokus auf anderes als auf den Balkan gerichtet war. Die Deutsche Einheit dagegen beschäftigte in den unterschiedlichsten Gebieten die Gemüter und es machte sich ange2 3

4

5 6

Vgl. Kurspahic, Prime Time Crime. Die »Spiegel«-Titel: »Die Horror-Akten – Stasi Archive öffnen sich« (3/1992), »Die ungeliebten Deutschen – Bewundert, gefürchtet, beneidet« (6/1992), »Große Pleite – Ist die Einheit unbezahlbar« (13/1992), »Das Teilen beginnt – Opfer für den Osten« (18/1992), »Deutsche gegen Deutsche – Die neue Teilung« (34/1992), »Der Absturz – Deutschland in der Krise« (38/1992), »Der Versager – Schuldenminister Waigel« (47/1992). Die »Spiegel«-Titel: »Asyl – Die Politiker versagen« (15/1992), »Wut auf den Staat – Asyl-Notstand, Fremdenhass, Elend im Osten« (36/1992), »Wer nimmt die Flüchtlinge? – Ansturm vom Balkan« (31/1992), »Abschiebung – Bonn will 300  000 ausweisen« (46/1992). Die »Spiegel«-Titel: »Druck von rechts – Versagt der Staat?« (41/1992), »Mörder von rechts« (49/1992), »Die Nazi-Kids« (50/1992). Die »Spiegel«-Titel: »Abitur – Prüfung ohne Wert« (23/1992), »Sturm auf die Uni – Wohin mit den Studenten« (45/1992) sowie »Neue Goebbels-Tagebücher« (29/1992), »Stalingrad – 50 Jahre« (37/1992).

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze

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sichts der immer größer werdenden Kosten und der ausbleibenden schnellen Erfolge (Schlagwort: »blühende Landschaften«) nach der »Feier der Einheit« eine Art »Katerstimmung« breit. Themen wie der neu zu erstellende Schlüssel für den Länderfinanzausgleich, die Pflegeversicherung und natürlich die vielen personellen innenpolitischen Themen und Parteimanöver zeichnen ein Bild einer mit den Realitäten und der Fülle der Aufgaben möglicherweise überforderten politischen Elite und eher unzufriedener Bürger, für die angesichts der allgegenwärtigen Macht der Veränderung das Gleiche galt. Neben dem »Spiegel« als auflagenstärkster europäischer Wochenzeitschrift berichteten mehrere überregionale Tageszeitungen mittels ihrer SüdosteuropaKorrespondenten oder freier Reporter direkt aus dem Kriegsgebiet. Zu den bekanntesten und wirkmächtigsten »Kriegsjournalisten« gehörten Matthias Rüb (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Erich Rathfelder (taz, Stuttgarter Zeitung), Peter Sartorius (Süddeutsche Zeitung), Boris Kálnoky (Springer Auslandsdienst/Die Welt) sowie der im Jahr 1999 am Dulje-Pass im Kosovo ermordete Gabriel Grüner (Stern).7 Grüner berichtete bereits 1992 aus dem Kessel von Sarajevo und dokumentierte 1994 den Bestseller »Ich bin ein Mädchen aus Sarajevo«, das Tagebuch der damals 14-jährigen Zlata Filipović, die als »bosnische Anne Frank« bekannt werden sollte.8 Bereits diese Benennung deutet auf das spezifisch deutsche Phänomen hin, dass eine Diskussion über den Krieg in Ex-Jugoslawien nicht ohne Rückgriffe auf die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auskam. Interessanterweise kam es vor allem der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und der »taz« zu, mit ihren Berichten aus Kroatien und Bosnien den politischen Diskurs aktiv zu beeinflussen. In der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« wurde schon früh regelmäßig die Forderung nach einem robusten militärischen Eingreifen des Westens laut.9 Die häufig anzutreffende Annahme, die »FAZ« hätte der Bundesregierung den Weg zur Intervention »freigeschrieben«, geht jedoch fehl.10 Sie geht von einem politikgetriebenen Journalismus aus – das Gegenteil war der Fall: Durch den Aufenthalt vor Ort und die dadurch entstehenden persönlichen Erfahrungen bedingt, erschien die eher abwartend deutsche und westeuropäische Politik vielen Journalisten fatal. Die direkte Berichterstattung aus den Kriegsgebieten weckte Teile der Gesellschaft auf und schaffte erst so politischen Druck. Dabei gilt es hervorzuheben, dass gerade die 116 Artikel Rübs, die sich mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien beschäftigten, fast ausnahmslos auch die offizielle serbische Lesart referierten. Diese wurde aber mit Berichten aus den Kriegsgebieten konfrontiert und dadurch besonders wirksam widerlegt. Wesentlicher als diese Position der zumindest formalen »Neutralität« war 7

8 9 10

Siehe kurze Berufsbiografien und Berichte über die Arbeitsbedingungen in: Richter, Journalisten zwischen den Fronten, S. 109‑111 (Sartorius), S. 112‑114 (Grüner), S. 118 f., (Kálnoky), S. 120‑122 (Rüb), S. 122‑125 (Rathfelder). Finzi, Unterwegs zum Anderen?, S. 208. Ebd. Vgl. Beham, Kriegstrommeln. Ähnlich argumentiert: Brock, Dateline Yugoslavia.

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II. Krieg und Friedensoperationen

aber die Stellung des Themas innerhalb der Zeitung. Hier war relevant, dass der Mitherausgeber der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Johann Georg Reißmüller, selbst auf eine persönliche Vergangenheit als SüdosteuropaKorrespondent zurückblicken konnte und sich dadurch besonders für das Thema interessierte. Rübs Artikel zu diesem Themenkomplex befanden sich daher oft entweder selbst auf der ersten Seite oder sie waren mit Artikeln Reißmüllers auf der ersten Seite verschränkt.11 Reißmüller war zwischen 1967 und 1971 Korrespondent in Belgrad gewesen und war bereits in dieser Zeit mit dem Auseinanderdriften der Nationen konfrontiert worden. Er gehörte daher zu den wenigen Deutschen, die die tieferliegenden Wurzeln des Konflikts einzuordnen in der Lage waren. Allein in den Jahren 1990 und 1991 schrieb Reißmüller nahezu 130 Reportagen, Glossen und Leitartikel über den Zerfall Jugoslawiens.12 Für deren Wirkung mag stellvertretend das im Herbst 1991 gefallene Genscher-Zitat stehen, er werde sich die deutsche Außenpolitik nicht von Zeitungsherausgebern vorschreiben lassen, könne aber auch die Leitartikellage nicht außer Acht lassen.13 Der damalige Leiter der Presseabteilung im Auswärtige Amt, Jürgen Chroborg, erinnerte sich später: »Herr Reißmüller war ein massiver Anhänger einer sofortigen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens. Er hat ständig hierfür plädiert und über die ›F.A.Z.‹ starken Druck ausgeübt, endlich die Anerkennung auszusprechen. Seine beinahe täglichen Leitartikel zu dieser Frage haben Kohls Jugoslawien-Politik getrieben. Und Kohl hat sich dann ebenfalls für die Anerkennung ausgesprochen, weil er diese Diskussion leid war. Die ›FAZ‹ hat damals einen unglaublichen Druck gemacht [...] Reißmüller hat uns alle unter erheblichen Handlungsdruck gesetzt.«14

Ein ähnlich überzeichnetes Bild entwarf die Wochenzeitung »Die Zeit« noch Ende 1993, als hier in gänzlich anderem Zusammenhang mit kritischem Unterton festgestellt wurde: »Fast im Alleingang hat ›FAZ‹-Herausgeber Johann Georg Reißmüller den deutschen Vorstoß nach Jugoslawien, die Anerkennung Kroatiens, betrieben und auch erreicht.«15

Freilich waren keineswegs alle Deutschen Leser der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Am anderen Ende des politischen Spektrums berichtete Erich Rathfelder in der »taz« und auch in der »Stuttgarter Zeitung« besonders engagiert und ambitioniert aus den Kriegsgebieten. Als typisch für diese persönlich betroffene Berichterstattung in 115  »taz«-Artikeln ist anzuführen, dass Rathfelder während des gesamten Krieges keine Urlaube in der Heimat 11 12 13 14 15

Bauschinger, Der gedruckte Krieg. Michael Martens, »Oder es wird zerfallen«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.1.2012. Zum Einfluss der »FAZ« auf die deutsche Außenpolitik vgl. kritisch: Neu, Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung. Michael Martens, »Oder es wird zerfallen«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.1.2012. Gunther Hofmann: Ein Beitrag zur inneren Ehrlichkeit. In: Die Zeit, 3.12.1993.

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze

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verbrachte und sich im Anschluss offensichtlich aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen in psychiatrische Behandlung begeben musste.16 Im Gegensatz zu Rüb versuchte sich Rathfelder gar nicht erst in Neutralität, sondern engagierte sich für jene, die unter diesem Krieg am meisten zu leiden hatten. Das war vor allen in den Gebieten der Fall, in die Rathfelder Zugang erhielt: Kroatien und die bosniakischen bzw. kroatisch beherrschten Teile Bosnien-Herzegowinas. Rathfelder erklärte im Nachhinein, dass er aufgrund seiner Erfahrungen die »Leserschaft der ›taz‹, die zum Großteil aus der Friedensbewegung komme, von einem NATO-Militäreinsatz überzeugen« wollte.17 Die Berichte in der »FAZ« und »taz« führten zu einer Meinungsbildung, die sich interessanterweise abseits des gängigen Rechts-Links-Schemas aus der Zeit der Nachrüstungsdebatte der 1980er Jahre vollzog. Die Meinungen differierten nun vielmehr zwischen Informierten und Betroffenen und solchen Menschen, die ihre Schwerpunkte auf andere Themen legten. Die von den deutschen Journalisten vor Ort stammenden Berichte unterschieden sich also weit weniger durch deren parteipolitische Einstellung in Deutschland oder die Grundrichtung der entsendenden Zeitung als durch deren Umgebung im Einsatzland. Wer sich wie Grüner oder Rathfelder täglich mit den Leiden der Bevölkerung konfrontiert sah, musste nahezu zwangsläufig zu anderen Schlussfolgerungen kommen als etwa der Schriftsteller Peter Handke, der in seinem sicheren Pariser Intellektuellenmilieu abstrakt über »Gerechtigkeit für Serbien« räsonieren konnte. Entsprechend emotional fiel die Kritik von kriegsgeprägten Journalisten auch aus, nachdem Handke in der Wochenendbeilage der »Süddeutschen Zeitung«18 in kalter Intellektualität antrat, die seiner Meinung nach seitens »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« von »Le Monde« und dem »Spiegel« medial geschürten Feindbilder gegen die Serben aufzulösen.19 Die soziale Dynamik der Debatte über einen Einsatz – auch der Bundeswehr – im ehemaligen Jugoslawien war also immer auch eine Loslösung von den alten ideologischen Stellungskämpfen innerhalb der westdeutschen Gesellschaft. Sie kennzeichnet damit sukzessive das neue deutsche Diskursverhalten nach Ende des Kalten Krieges, indem ein weiteres Kaleidoskop an Sichtweisen bipolar eingehegte Meinungsstränge zu verdrängen begann. Dieser gesellschaftliche Prozess war aber Anfang der 1990er Jahre erst in Bewegung geraten, so dass gerade Frontstellungen aus der Zeit der 16

17 18 19

Siehe hierzu die Interviews in: Bauschinger, Der gedruckte Krieg. Zur Berichterstattung über den Jugoslawienkrieg (1993‑1995). In: taz und FAZ. In: Augsburger Volkskundliche Nachrichten, 26 (13. Dezember 2007). Ebd., S. 13. Ausgaben vom 5./6. und 13./14.1996. Vgl. für Handke Partei ergreifend: Gritsch, Peter Handke und »Gerechtigkeit für Serbien«; Struck, Der mit seinem Jugoslawien. Die Kritik an Handkes Texten auf den Punkt bringt: Jürgen Brockoff, Ich sehe was, was ihr nicht fasst. In: Frankfurter Allgemeine, 15.7.2010.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Systemkonfrontation, wie etwa um den »NATO-Doppelbeschluss«, durchaus noch ihre späte Wirkung entfalten konnten.

b) Flüchtlinge und »Kroatienhilfe« Eine Besonderheit in der deutschen Diskussion um die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und damit auch um die Einsätze der Bundeswehr liegt zudem in der geografischen Nähe des Krieges. Die Entfernung zwischen München und Sarajevo beträgt weniger als 1000  Kilometer. Das Thema Jugoslawienkriege erreichte die Bürger daher mit einem gewissen SüdNord-Gefälle auch über die Flüchtlinge, die in Deutschland ankamen. Die Gesamtzahl der Asylbewerber war in Deutschland bereits 1990/91 von 193  663 auf 256  112 Menschen angestiegen, wobei im Jahr 1991 mit etwa 75  000 Personen die Kategorie der sogenannten jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtlinge rund 30 Prozent ausmachte. Im Jahr 1992 stieg die Zahl der Asylbewerber auf insgesamt 438  191 Antragsteller – hatte sich also gegenüber 1990 mehr als verdoppelt. Über ein Viertel dieser Antragsteller des Jahres 1992, gute 26 Prozent, stammten aus dem ehemaligen Jugoslawien.20 Davon waren rund 55  000 Kroaten, die vor allem in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen lebten.21 Im Jahr 1994 waren in Deutschland allein aus Bosnien-Herzegowina 350 000 Flüchtlinge registriert.22 Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte hierbei die Tatsache, dass seit dem Anwerbeabkommen Deutschlands mit Jugoslawien (1968) und auch nach dem Anwerbestopp des Jahres 1973 die Zahl der jugoslawischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik stetig gestiegen war.23 Zur Zeit des Anwerbestopps arbeiteten bereits rund 500 000 jugoslawische Gastarbeiter in West-Deutschland. Diese stellten etwa 17 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer.24 Sie waren meist in jugoslawischen Arbeitervereinen oder Kulturvereinen organisiert, die wiederum vom jugoslawischen Staat unterstützt wurden.25 Diese Besonderheit, mittels der die kommunistische Tito-Diktatur versuchte, auch die Jugoslawen im Ausland zu kontrollieren, führte dazu, dass, als sich mit Kriegsbeginn die Kulturvereine entlang ethnischer Linien aufzuspalten begannen, bereits Strukturen vorhanden waren, die es ermöglichten, gezielt die Interessen der jeweiligen Volksgruppe oder zumindest diejenige ihrer politischen Führung in der Heimat zu artikulieren.

20 21 22 23 24 25

Migration und Asyl in Zahlen, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2004, S. 47. Ivanda, Die kroatische Zuwanderung, S. 136 f. Alscher/Obergfell/Roos, Migrationsprofil Westbalkan, S. 21. Zoran Arbutina, Jugoslawische Gastarbeiter in Deutschland. In: Deutsche Welle, 12.1.2013. Alscher/Obergfell/Roos, Migrationsprofil Westbalkan, S. 5. Dragišić, Ein Volk unterwegs.

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze

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Viele Deutsche, vor allem in Bayern, aber auch in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, kamen direkt über die 1992 gegründeten lokalen Vereine zur »Kroatienhilfe« – später durch »Bosnienhilfe« ergänzt – mit den Realitäten des dortigen Krieges in Kontakt. Die damals entstehenden Initiativen häufig kirchlicher oder anderer karitativer Vereine waren Graswurzelbewegungen, deren Gründung meist nach folgendem Muster ablief: Ein lokaler Unternehmer mit jugoslawischem bzw. kroatischem Migrationshintergrund – etwa der Betreiber eines »Balkan-Restaurants«  – hielt einen Vortrag im katholischen Pfarrgemeindesaal. Im Rahmen der lokalen Caritas-Sektion oder Ortsgruppe des Roten Kreuzes bzw. der Arbeiterwohlfahrt wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Bazare oder Sammlungen wurden abgehalten und die gesammelten Güter wie Decken, Winterbekleidung usw. mit Lastwagen von lokalen Fuhrunternehmern – oft mit Fahrern mit Migrationshintergrund und Ortskenntnissen aus der Zielregion – und engagierten Gemeindemitgliedern nicht ohne Gefahren in die Kriegsgebiete gebracht. Häufig koordinierten die lokalen Kulturvereine die Hilfe untereinander. Die Tätigkeit dieser Vereine ist bis heute nur punktuell untersucht.26 Wie stark die »Kroatienhilfe« aus Kroatien heraus gesteuert war, ist unbekannt. Zeitgenössisch wurde sie zunehmend durch Verfassungsschutzorgane beobachtet. Doch scheint Waffenschmuggel die absolute Ausnahme gewesen zu sein und die karitative Komponente fast immer im Vordergrund gestanden zu haben. Nicht zu unterschätzen ist jedoch deren meinungsbildende Funktion. Solche konkreten und multiplikatorisch wirkenden Erfahrungen hatten letztlich zur Folge, dass gerade im Süden Deutschlands und damit vor allem in der CSU und der Baden-Württembergischen CDU »von unten« ein politischer »Handlungsdruck« entstand. Dieser mag in den Bundestagsfraktionen demjenigen, den der überregionale Journalismus, etwa der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« verursachte, durchaus ebenbürtig gewesen sein. Diese Mechanismen sind jedoch bis heute kaum untersucht und daher nur schwer greifbar. Doch ist anzunehmen, dass die Bewusstseinsbildung für das Thema in der Bevölkerung zumindest in Teilen auf solche oder ähnliche Bürgerinitiativen aus dem vor allem katholischen, kirchlichen oder sonstig sozial engagierten Bereich zurückzuführen war. Ähnlich unerforscht ist die ebenfalls durch solche Initiativen beeinflusste Medienpräsenz des Leidens im Kriegsgebiet in der Lokal- und Kirchenpresse wie deren Einfluss auf Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Eine präzise Erforschung der Meinungsbildungsprozesse zur deutschen (und österreichischen) Jugoslawienpolitik unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist methodisch schwierig und bis heute ein Desiderat. Die überregionale Organisation, die Netzwerke und die Wirkung der »Kroatienhilfe« abseits der rein karitativen Funktion könnte beispielsweise nach Ablauf der Schutzfristen mittels 26

Erste Hinweise bei: Ivanda, Die kroatische Zuwanderung und Thränhardt/Winterhagen, Der Einfluss der katholischen Migrantengemeinden.

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II. Krieg und Friedensoperationen

der Akten der Landesverfassungsschutzämter erforscht werden. Doch deutet alleine die noch heute existierende hohe Dichte an Vereinen oder Arbeitskreisen zur »Kroatienhilfe« und aus dieser hervorgegangenen »Bosnienhilfe« in Österreich und Süddeutschland, die 2017 ihr 25-jähriges Jubiläum feierten, auf deren Wirkmächtigkeit im Jahr 1992 und danach hin.27 Der öffentliche Diskurs ist also insbesondere auch kulturgeschichtlich zu begreifen. Er stand stets über die Flüchtlings- und GastarbeiterCommunities in einer losen und schwer zu bestimmenden Verbindung mit den Geschehnissen an den Fronten. Der mediale Diskurs erfolgte darüber hinaus ungeordnet jenseits des Links-Rechts-Schemas und vor allem auch wohl abseits der überregionalen Zeitungen bottom-up über Bürgerengagement und Regionalpresse. In der Folge sollen die die Diskussionen bestimmenden Topoi oder Denkfiguren des quellenmäßig greifbaren öffentlichen – also überregional veröffentlichten – Elitendiskurses in ihrer geistesgeschichtlichen Entwicklung analysiert und auf ihre Wirkung auf die politische Diskussion und die daraus folgende Neubestimmung der politischen Positionen hin untersucht werden. Dabei ist einschränkend zu sagen, dass dieses Bild angesichts des oben Gesagten nur einen Teil des deutschen Diskurses um die Einsätze abzubilden vermag.

c) Lehren aus dem Nationalsozialismus und das Ende der »Kohl-Doktrin«? Den archimedischen Punkt dieses öffentlichen Diskurses bildete die eigene deutsche Geschichte. Insbesondere die Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung und Diktatur, der Weltkrieg sowie im Besonderen der Völkermord an den europäischen Juden wurden immer wieder als Referenzrahmen für 27

Bezeichnend für die »Kroatienhilfe« ab 1992 war, dass diese Hilfe »von unten« auch direkt die Transporte unternahm und dadurch erstaunliche Werte sammeln und Hilfeleistung erbringen konnten. Beispiele wären zahllos zu nennen. Als typische Aktionen können aufgeführt werden: Die u.a. von Katholischen Landjugendbewegung (KLJB), Pfarrjugend, Katholischer Frauenbund, Katholische Frauengemeinschaft, Kolpingfamilie, Katholische Arbeiterbewegung (KAB), Katholische Landvolkbewegung, Katholischer Burschenverein, Pfarr-Caritasverein in 77 Pfarrgemeinden im Ruperti und Chiemgau getragene Aktion »Junge Leute helfen« e.V., die OVB-Weihnachtshilfe in Mühldorf und Rosenheim, die 1991 umgerechnet 284 000 Euro und 1992 umgerechnet 176 000 Euro für die Kroatienhilfe und 1993 umgerechnet 599  000 Euro für die Bosnienhilfe sammelte und davon gekaufte Güter überbrachte. Der Verein »Humanitäre Kroatienhilfe« der Kolpingfamilie in Memmingen, die durch den Katholischen Frauenbund getragene Kroatienhilfe in Kemnath oder die Arbeiterwohlfahrt Bischofswiesen-Berchtesgaden, die 1992 gemeinsam mit dem Serbischen Roten Kreuz kroatische Flüchtlinge in der Vojvodina unterstützte und zwischen 1992 bis 1995 Medikamente in Höhe von insgesamt 1,5 Millionen DM nach Zagreb lieferte, so dass diese in das eingeschlossene Osijek gebracht werden konnten. Siehe: , , , , .

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politisch-militärisches Handeln seitens der Bundesrepublik Deutschland postuliert. Darüber hinaus spielten die persönlichen politischen Werdegänge der aus Politik und Intelligenz stammenden Diskutanten häufig eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hier schwangen bei den Akteuren auch die Positionen und Grundeinstellungen aus der Zeit der heftig geführten Diskussionen um den NATO-Doppelbeschluss mit. Die dort verhandelten Topoi tauchten in abgewandelten Formen immer wieder in den Einsatzdiskussionen der 1990er Jahre auf. Insbesondere gilt dies für Heiner Geißlers (CDU) Erwiderung auf Einlassungen der damaligen Abgeordneten der Grünen Otto Schily und Joschka Fischer in einem Interview für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« im Rahmen der Bundestagsdebatte vom 15.  Juni 1983. Gegenüber dem »Spiegel« hatte der damalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Schily mit folgenden Worten die Auffassung vertreten, dass auch illegaler Widerstand gegen die Stationierung von amerikanischen MRBM-Raketen des Typs »Pershing II« geboten sei: »Gerät aber Europa an den Rand eines Atomkrieges, droht uns ein atomares Auschwitz. Deshalb ist gewaltfreier Widerstand gerechtfertigt.«28

Fischer hatte im gleichen Interview erklärt:

»Aber ich finde doch moralisch erschreckend, dass es offensichtlich in der Systemlogik der Moderne, auch nach Auschwitz, noch nicht tabu ist, weiter Massenvernichtung vorzubereiten – diesmal nicht entlang der Rassenideologie, sondern entlang des Ost-West-Konflikts. Da analogisiere ich nicht mit Auschwitz, aber ich sage: Auschwitz mahnt eigentlich daran, diese Logik zu denunzieren, wo sie auftritt, und sie politisch zu bekämpfen.«29

Nachdem also seitens der Grünen-Abgeordneten die Chiffre »Auschwitz« als Argument der »Friedensbewegung« in die öffentliche Debatte eingebracht worden war, drehte der CDU-Abgeordnete Geißler dieses Argument mit seiner im Bundestag für einen Eklat sorgenden Äußerung um: »Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.«30

Damit war die Chiffre »Auschwitz« Teil der Argumentation der sicherheits- und militärpolitischen Fachdebatte. In ihrer moralischen Mächtigkeit war diese »Chiffre« dazu geeignet, komplexere Zusammenhänge und fachlich-pragmatische Argumentationslinien wegzuwischen. Je nach Lesart der Akteure »verpflichtete Auschwitz« zu unterschiedlichem »alternativlosen« politischem Handeln. Eine spezifisch deutsche geschichtliche Erfahrung und deren Lehren wurden nicht selten öffentlich als moralische Richtschnur politischen Handelns postuliert – von hier war der Schritt zu einem sicher28 29 30

»Spiegel«-Gespräch, »Wir sind ein schöner Unkrautgarten«. In: Der Spiegel (24/1983), 13.6.1983, S. 23‑27. Ebd. Abgedruckt in: Floehr, Ordnung ist die halbe Rede, S. 167.

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II. Krieg und Friedensoperationen

heits- und militärpolitischen »deutschen Sonderweg«, wenn auch gewissermaßen mit anderen Vorzeichen, nicht weit. Die Gefahr, einen solchen »Sonderweg« einzuschlagen, drohte für das jüngst wiedervereinte Deutschland mit der Positionierung angesichts Operation »Desert Storm« (17. Januar bis 21. Februar 1991) in Reaktion auf die am 2. August 1990 erfolgte Invasion Kuwaits durch irakische Streitkräfte.31 Da jedoch der Zwei-plus-Vier-Vertrag erst am 4. März 1991 durch Russland ratifiziert worden war, stellte sich auf der politischen Entscheidungsebene die Frage nach einem deutschen Eingreifen im Irak an der Seite der Bündnispartner in der Praxis noch nicht – so war es möglich, sich einerseits auf die mangelnde Souveränität sowie auf die postulierte Verfassungswidrigkeit von Bundeswehreinsätzen außerhalb des NATO-Bündnisgebiets ohne Eintritt des Verteidigungsfalles zurückzuziehen, aber andererseits durch den Einsatz der Marine (»Operation Südflanke«) in der Türkei und im Mittelmeer dennoch Bündnissolidarität zu zeigen.32 Darüber hinaus beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland an der Finanzierung der Befreiung Kuwaits mit rund 17 Milliarden Deutschen Mark.33 Das Paradigma des militärischen »Nicht-Interventionismus« führte in eine »Scheckbuchdiplomatie«. Die spätestens durch die Deutsche Einheit in der Bedeutungslosigkeit versunkene, am Rüstungswettlauf des Kalten Krieges orientierte »Friedensbewegung« schien indes durch den Irakkrieg von 1991 wieder neu erstanden zu sein. Dies geschah allerdings in einer eher spontanen Weise »von unten« und durchaus zur Überraschung der organisatorischen Überreste der »Friedensbewegung«. Einerseits scheint die, durch die amerikanischen Kriegspropaganda verbreitete, simplifizierende Idee eines »Kampfs gegen das Böse« eben nicht bei den protestierenden Studenten und Gymnasiasten verfangen zu haben; andererseits herrschte offenbar eine genuine, wenn auch diffuse Angst die eben diese meist jungen Menschen und ihre Lehrer unter der ebenfalls streng vereinfachenden Formel »kein Blut für Öl« auf die Straßen ziehen ließ.34 Dieses Angstgefühl unter jungen Leuten war möglicherweise durch die erstmalige Direktübertragung des Krieges in die Wohnzimmer (CNN-Effekt) hervorgerufen worden.35 Zeitgenössisch war daher in den Vereinigten Staaten ironisch von einem Protest der »angstridden German teacher« die Rede.36 Die von Intellektuellen in den Printmedien betriebene Diskussion um die spezifisch deutschen Lehren aus der eigenen Vergangenheit angesichts des Irak-Krieges wurde emotional und sehr personalisiert geführt. Sie bil31 32 33

34 35 36

Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, S. 991. Vgl. Jacobi, 10 Jahre danach; Hirtz, »Operation Südflanke«. Vor 25  Jahren: Beginn des Zweiten Golfkriegs, Bundeszentrale für politische Bildung, 31.7.2015, . Thomas Kleine-Brockhoff, Norbert Kostede, Birgit Schwarz: Die Kinder des Friedens. In: Die Zeit, 25.1.1991. Vgl. Kelman, The Reaction of Mass Publics to the Gulf War, Zitat S. 187. Berman, The Gulf War and Cultural Theory.

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dete die Grundlage für die etwa ein Jahr später einsetzende Diskussion um einen Einsatz auf dem Balkan. Ausgerechnet im linken intellektuellen Diskurs um einen Kuwait-Einsatz entwickelt sich ein Argument für eine deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen (Magnus Enzensberger, Wolf Biermann, Jürgen Habermas, Henryk M. Broder).37 Dabei ist dem amerikanischen Politologen Russell Berman durchaus Recht zu geben, dass es im deutschen Diskurs um die Beteiligung an kriegerischen Interventionen letztlich stets um eine Definition Deutschlands gegangen sei. Speziell bei Habermas macht Berman in Bezug auf die Irakkriegsdiskussion (gemeint war der Kuwaitkrieg) der frühen 1990er Jahre eine Kritik an der Unwilligkeit der Regierung Kohl-Genscher aus, eine klare und konsistente Linie moderner deutscher Außenpolitik festzulegen. Die Debatte um den Kuwaitkrieg sei demnach von drei wesentlichen Themen bestimmt worden, die alle kaum etwas mit der Lage in Kuwait oder auch mit Fragen der Energiesicherheit zu tun gehabt hätten: (1) Die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands, (2) Die Neuorientierung seit der Wiedervereinigung und (3) eine spezifisch deutsche Tradition des unpolitischen Romantizismus, der sich in einer Diskussion fernab von Realitäts- und Interessenfragen rein auf ethisch-moralische Fragen bezogen widergespiegelt habe. Diese Analyse passt sowohl auf den bekannten Saddam-Hussein/HitlerVergleich Enzensbergers, bei dem dieser den irakischen Diktator zum »Feind der Menschheit« stilisierte,38 als auch auf die Einlassungen Biermanns. Beide griffen in ihrer jeweiligen Argumentation – möglicherweise unbewusst – die durch Geißler in den Diskurs eingeführte Denkfigur auf, dass Pazifismus Verbrechen begünstigen könne. Biermann ging dabei noch weiter und verglich die irakischen Gasangriffe auf Israel mit der Ermordung der europäischen Juden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Seinen sehr persönlich gehaltenen Appell in der Wochenzeitung »Die Zeit« beendete er mit den dramatischen Zeilen:

»Saddam kündigt nach dem konventionellen Raketenvorspiel nun den nichtkonventionellen großen Vernichtungsschlag gegen Israel an. Er wird also meinen Freund Walter Grab und seine Frau Ali in Tel Aviv das erste Mal im Leben vergasen und meinen toten Vater zum zweiten Mal. Und ich höre schon den lapidaren Kommentar von einigen besonders fortschrittlichen deutschen Friedensfreunden: selber schuld. Na dann! Bindet euer Palästinensertuch fester, wir sind geschiedene Leute.«39

Kein halbes Jahr später, im Sommer 1991, bestimmte dasjenige, was retrospektiv als »Kohl-Doktrin« bekannt werden sollte, die Meinung des Bundeskanzlers zum Thema eines Einsatzes der Bundeswehr in Jugoslawien. Der Begriff der »Kohl-Doktrin« selbst fand jedoch erst drei Jahre später Einzug in die Debatte. Im Dezember 1994 forderte Josef Joffe, damals Ressortleiter Außenpolitik der 37 38 39

Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 103‑110. Hans Magnus Enzensberger, Hitlers Widergänger. In: Der Spiegel, 1.2.1991, S. 26‑28. Wolf Biermann, Kriegshetze Friedenshetze. In: Die Zeit, 1.2.1991, S. 59‑60.

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II. Krieg und Friedensoperationen

»Süddeutschen Zeitung«, den »Abschied von der Kohl-Doktrin«, die er auf die griffige Formel »deutsche Soldaten dürften nie wieder dort aufmarschieren, wo die Wehrmacht gewütet hat«, brachte.40 Die Bundeswehr, so forderte Joffe, solle aber

»nicht herrschen, sondern helfen; sie sollen die Geschichte nicht wiederholen, sondern deren Wiederkehr – Grausamkeit, Gewalt und Blutrunst – so gut wie es nur geht verhindern.«

Damit setzte der im Ghetto Litzmannstadt geborene Sohn jüdischer Eltern einen Kontrapunkt zur bisherigen moralischen Argumentation Helmut Kohls und des FDP-Politikers Hermann Otto Solms. Er knüpfte auf diese Weise inhaltlich an die Argumentation Biermanns aus dem Jahr 1991 und damit letztlich an diejenige Geißlers von 1983 an. Doch hob er diese auf eine neue Stufe: Der Einsatz der Bundeswehr solle – so Joffes Argument – die Wiederkehr der Geschichte verhindern.41 Erst wenige Tage zuvor hatte Kohl in einem Interview mit dem Fernsehsender ZDF eingelenkt, dass »unter ganz bestimmten Umständen« – gemeint war ein zu diesem Zeitpunkt durch Luftwaffenkampfeinsatz gedeckter, aus der Not geborener Abzug der UN-Friedenstruppe aus dem ehemaligen Jugoslawien – einem Einsatz deutscher Tornados zuzustimmen sei, um die Evakuierung »abzuschirmen«. Gleichzeitig lehnte der Bundeskanzler jedoch eindeutig eine Verlegung deutscher Kampfverbände – gemeint waren Heerestruppen – in das Kriegsgebiet ab. Für diese Ablehnung, so Kohl, gebe es »gute historische Gründe«. Noch im Dezember 1994 hielt Bundeskanzler Kohl also offenbar an der »Kohl-Doktrin« fest.42 Diese »Kohl-Doktrin« hatte der Bundeskanzler jedoch nicht – wie dies Joffe in seinem Kommentar in der »Süddeutschen« behauptete – erst »vor Jahresfrist«43 verkündet, sondern sie wurde bereits zwei Jahre zuvor im Kontext der Geschehnisse von Ende August 1991 – also im Ringen um die diplomatische Anerkennung Sloweniens und Kroatiens – geboren. Sie stand in engster Verbindung mit der Problematik der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Da sie als Reaktion auf diese zu sehen ist, kann sie ohne Kenntnis der Anerkennungsgeschichte nicht verstanden werden. Gerade zur Geschichte der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch viel Unwahres geschrieben worden – teilweise mit handfesten politischen Ambitionen. Sie sei hier daher der Klarheit halber noch einmal kurz im historischen Ablauf der Ereignisse rekapituliert: Bundesaußenminister Genscher hatte von Stjepan »Stipe« Mesić – dem letzten turnusmäßigen Präsident der Präsidentschaft Jugoslawiens – einen Anruf erhalten, in dem dieser um die Anerkennung 40 41 42 43

Vgl. zur »Kohl-Doktrin«: Schlaffer, Die Bundeswehr auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«, dort auch das Joffe-Zitat S. 248 f.; Schlaffer, Die Bedeutung des Balkans. Joffe, Abschied von der ›Kohl-Doktrin‹. Doch noch deutscher Tornado-Einsatz? In: taz, 12.12.1994. Joffe, Abschied von der ›Kohl-Doktrin‹.

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Sloweniens und Kroatiens gebeten hatte.44 Dieser Anruf setzte die deutsche Anerkennungspolitik überhaupt erst in Gang. Die jugoslawische Teilrepublik Kroatien und damit Mesić war ab 15.  Mai 1991 turnusgemäß an der Reihe gewesen, die Präsidentschaft Jugoslawiens zu übernehmen. Die Vertreter der serbisch dominierten Teilrepubliken (Serbien, Montenegro und die Provinzen Kosovo und Vojvodina) hatten auf Druck des Präsidenten der serbischen Teilrepublik Slobodan Milošević entgegen des bis dato üblichen verfassungsmäßigen Rotationsverfahrens eine Wahl innerhalb des Präsidentschaftsrates durchgesetzt. Somit wurde staatsstreichartig der Amtsantritt Mesićs und damit zugleich eines ersten nicht-kommunistischen Präsidenten Jugoslawiens verhindert.45 Formal trat er das Amt erst am 1. Juli auf Druck der »internationalen Gemeinschaft« an. Noch am 18. Juni 1991 hatte der Bundestag sich für das Selbstbestimmungsrecht der jugoslawischen Völker, nicht aber für die Unabhängigkeit der slowenischen und kroatischen Teilrepubliken ausgesprochen. Genscher hatte in der darauf folgenden Ratssitzung der KSZE entsprechend auch noch genau diese politische Linie verfolgt.46 Dies änderte sich aber mit der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens am 25.  Juni und dem beginnenden Einsatz der Jugoslawischen Volksarmee (Slowenien-Krieg) ab dem 26. Juni. Diesen Einsatz bezeichnete Mesić in seinem Telefonat mit Genscher als »Staatsstreich durch die Armee«. In Bonn wiederum forderte zeitgleich die oppositionelle SPD eine erneute Behandlung der Anerkennungsfrage, wobei insbesondere die Ministerpräsidenten der Bundesländer und hier allen voran das CSU-regierte Bayern (Max Streibl) die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens forderten.47 Die Behandlung der Frage der Anerkennung wurde daraufhin für die Bundestagssitzung am 1. Juli 1991 festgesetzt. Dadurch schien sich angesichts der hohen Dynamik der Ereignisse und einer gewissen Trägheit der Bundesregierung auf dem Feld der als FDP-Domäne verstandenen Außenpolitik eine Art »große Koalition« zu formieren. Genau dies war der Moment, an dem Genscher umschwenkte und sich als Bundesaußenminister an die Spitze der Anerkennungsfraktion zu stellen begann. Es ist also anzunehmen, dass hierbei auch innenpolitische und parteipolitische Gründe des Verhinderns einer großen Koalition auf Bundesebene durch den Außenminister und Vorsitzenden der FDP eine Rolle gespielt haben. Bemerkenswert ist hierbei, dass – ähnlich wie schon bei der Betrachtung der Presselandschaft – keineswegs die Positionen zwischen Regierung und 44 45 46 47

Torsten Krauel, Ein Anruf der die Welt veränderte. In: Rheinischer Merkur, 20.12.1991, S. 4 und 27.12.1991, S. 6. Celestine Bohlen, New Crisis Grips Yugoslavia over Rotation of Leadership. In: The New York Times, 16.5.1991, S. 1. Zur Chronologie der diplomatischen Schritte siehe: Studnitz, Die Internationalisierung der Jugoslawien-Krise. Streibl, Bayern und Südosteuropa, S.  312  f., sowie Bulletin der Bayerischen Staatsregierung, Selbstbestimmungsrecht für Slowenien und Kroatien, 3.7.1991. Siehe zur Rolle des Freistaats Bayern: Zeitler, Deutschlands Rolle bei der völkerrechtlichen Anerkennung der Republik Kroatien, S. 209.

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Opposition nach einem Rechts-Links-Schema verliefen, sondern vielmehr Länderinteressen stärker betroffener Länder wie des Freistaates Bayern gegen Bundesinteressen standen und sich teilweise SPD und CSU in der Anerkennungsfrage ursprünglich näher standen als etwa CSU und FDP. Dies ändert alles jedoch nichts daran, dass die Anerkennungspolitik dem Willen einer breiten Abgeordnetenmehrheit folgte und auf Wunsch des als rechtmäßig angesehenen Präsidenten Jugoslawiens Mesić geschah.48 Solche proaktive Politik Genschers – auch wenn diese nicht aus seiner Parteilinie heraus gewachsen, sondern ihm eher aufgezwungen worden war –, die sich kurz zuvor in Bezug auf den politischen Umbruch in der DDR und die deutsche Einheit noch als außenpolitisch erfolgreich und konsensfähig erwiesen hatte, kollidierte aber bereits auf dem EG-Außenministertreffen am 5. Juli 1991 mit der Meinung der übrigen EG-Mitgliedstaaten unter Führung der Niederlande als Inhaber der Ratspräsidentschaft. Hintergrund waren gänzlich konträre Vorstellungen vom inzwischen zum Krieg mutierten Konflikt: Der niederländische Außenminister Hans van den Broek gab »den Kroaten« die Schuld an dem noch bis zum 7.  Juli andauernden Krieg in Slowenien, wogegen Genscher, im Einklang mit der Bundesregierung und der Bundestagsmehrheit, die durch die serbische Teilrepublik unter dem kommunistischen Führer Milošević gekaperte Jugoslawische Volksarmee als Aggressor sah. Die erfolglosen Verhandlungen im europäischen Rahmen führten schließlich Kohl dazu, am 27. November 1991 die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens im Alleingang anzukündigen. Das deutsche Handeln zwang letztlich die Staaten der EG auf die deutsche Linie der Anerkennung einzuschwenken.49 Das Umschwenken Kohls wurde in seiner Rede vom 19. November 1991 sichtbar. Gegenüber den Delegierten erklärte er:

»Ich möchte an dieser Stelle auch allen, die uns andere Motive unterstellen, sagen: für uns Deutsche geht es nur um das Schicksal dieser Menschen, um ihre Zukunft in Frieden, Freiheit und Demokratie und nichts anderes.«50

Diese Solidarität erfreute sich der Zustimmung weiter Gruppen über die Parteiklientel der CDU hinaus. Sie traf in Deutschland »den Nerv der Zeit« und wurde in Medien, Kirchen, Gewerkschaften, aber auch von Künstlern und Intellektuellen weitestgehend begrüßt.51 Dies wiederum ist der Moment, in dem die später sogenannte KohlDoktrin entstand. Am 27. November 1991 flankierte der Bundeskanzler seine Ankündigung des notwendigerweise im Alleingang durchzuführenden Prozesses der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch einen gleichzeitigen vor dem Bundestag erklärten Gewaltverzicht: »Wie kompliziert die deutsche Außenpolitik gerade nach der Wiedervereinigung geworden ist, kann man an diesem Beispiel besonders leicht erkennen. Sie haben

48 49 50 51

Axt, The Impact of German Policy, S. 8 f. Ebd. Zeitler, Deutschlands Rolle bei der völkerrechtlichen Anerkennung der Republik Kroatien, S. 181. Ebd.

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recht, Herr Abgeordneter Klose, die Geschichte hat uns einmal mehr eingeholt. Deswegen ist es doch ganz klar – und darüber braucht man wirklich nicht zu sprechen; ich habe es immer wieder gesagt, auch die Bundesregierung hat es gesagt – dass es in Europa – wie man auch über einen Truppeneinsatz in Europa entscheiden mag – einige Gebiete gibt – dazu gehört mit Sicherheit auch Jugoslawien –, bei denen man sich nicht vorstellen kann, dass dort deutsche Soldaten eingesetzt werden.«52

Die »Kohl-Doktrin« zielte somit in erster Linie auf die Beruhigung der durch das politische Vorpreschen verunsicherten Partner in der EG. Sie untermauerte, dass Deutschland keine militärische Linie in Ex-Jugoslawien einzuschlagen gedenke, auch wenn sie aus politisch-moralischen Gründen die Anerkennung der abtrünnigen Teilrepubliken nach erfolgtem innerjugoslawischem Staatsstreich forcierte. Auch wenn Kohl seine Doktrin historisch begründet hatte, so ist die Interpretation, dass er hier mit dem Argument, die Bundeswehr dürfe nicht dort eingesetzt werden, wo die Wehrmacht gewütet habe, argumentiert hätte, dennoch irreführend. Dies war lediglich die drei Jahre später erfolgte recht freie Deutung Joffes. Kohl hatte vielmehr bereits im August 1991 vor dem Bundesvorstand der CDU erklärt, wieso er keine deutschen Soldaten in Jugoslawien sehen wollte:

»Wir sehen es praktisch täglich, dass hier [in Bezug auf Jugoslawien A.K.] noch vielfach die alten Größenordnungen des Denkens und Handelns von der Zeit des Jahres 1918 oder 1919 her die Dinge beherrschen. Was befreundete Länder von uns tun – ich will das hier nicht weiter vertiefen –, stößt auf mein totales Unverständnis.«53

Denselben Gedanken wiederholte er erneut einen Monat später vor demselben Personenkreis: »Alles, was nach 1918 in den Pariser-Vorort-Verträgen festgelegt wurde, kommt jetzt neu auf.«54 Die historische Parallele, die den in historischen Dimensionen denkenden Bundeskanzler leitete, war nämlich keineswegs die Besetzung Jugoslawiens vom 6. April 1941, sondern die außenpolitische Konstellation, die bereits zum Ersten Weltkrieg und damit zu den Verträgen von Versailles und Trianon geführt hatte. Kohl erwies sich hier, im Gegensatz etwa zu dem in militärhistorischen Dimensionen argumentierenden kroatischen Präsidenten und ehemaligen General Tudjman, primär als ein Schüler Konrad Adenauers, der historisch auf der Linie der notwendigen Westintegration argumentierte. Die außenpolitische Gefahr, die Kohl ganz in Nachfolge der Politik Adenauers erkannte, bestand in einer Interessensbildung entlang der historischen Bruchlinien des Ersten Weltkrieges, letztlich eine Isolierung deutscher und österreichischer Balkanpolitik – gekennzeichnet durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens – bei gleichzeitiger Bemühung eines Erhalts des nach dem Ersten 52 53 54

Helmut Kohl, BT, Plenarprotokoll 12/60, 27.11.1991, S. 5014 [Hervorhebung im Original]. Torsten Krauel, Helmut Kohl (1930‑2017). Ein Nachruf. In: Die Welt. Ebd.

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Weltkrieg durch die Siegermächte aus der Konkursmasse Österreich-Ungarns geschaffenen Jugoslawiens. Angesichts der erst kurz zuvor vollzogenen Deutschen Einheit und den Erfahrungen mit den im Kuwait-Krieg enttäuschten westlichen Partnern schien diese Gefahr besonders groß. Die Lehre nicht nur aus dem »Dritten Reich«, sondern aus der deutschen Geschichte seit 1870 lautete für Kohl, dass Deutschland nie wieder isoliert handeln dürfe. Die »Kohl-Doktrin« für Jugoslawien war eine regionale Spezifizierung dieses allgemeinen Leitsatzes bundesrepublikanischer Staatsraison: Wenn schon Deutschland aus moralischen, stabilisatorischen und praktischen politischen Gründen der Kriegseindämmung vor der eigenen Haustür eine Politik einschlagen musste, die es der Gefahr eines Streits mit den westlichen Mächten aussetzte, dann sollte wenigstens deutlich werden, dass die Bundesrepublik keinerlei politische Ambitionen in Jugoslawien selbst habe und keinesfalls eigene militärische Macht dorthin projizieren wolle. In der Folge blieb die zur politischen Richtlinie gewordenen »KohlDoktrin« in ihrer historischen Erklärung vage, wurde aber immer wieder zitiert. So verweigerte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Solms noch bei der Bundestags-Debatte über eine Beteiligung an UN-Missionen 1993 sich jeglichem Bundeswehreinsatz im ehemaligen Jugoslawien mit Hinweis auf die »Kohl-Doktrin«:

»Eines muss aber gerade im Hinblick auf die Einsätze in Ex-Jugoslawien klar sein: Einsatz deutscher Truppen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien darf es keinesfalls geben – weder zu Wasser, zu Lande noch in der Luft. Das ist schon aus historischen Gründen geboten.«55

Er stellte sich damit aber keineswegs gegen den Außenminister aus den Reihen seiner eigenen Partei. Klaus Kinkel als Nachfolger Genschers argumentierte nämlich ebenfalls – aber auf allgemeinerer Ebene – entlang der Linie Kohls, wenn er ausführte:

»Es besteht in diesem Hause weitgehend Einigkeit, dass die Bundeswehr in die Lage versetzt werden muss, sich bei der Friedenssicherung – also bei Blauhelmmissionen – zu beteiligen. Wir ringen aber nun seit langer Zeit um die Frage, ob sich die Bundeswehr auch der Aufgabe der Friedensschaffung stellen muss. Die Antwort der Koalition, der Bundesregierung hierauf ist ›Ja‹. [...] Wir alle müssen umdenken. Ich achte die Motive derer, die sich über ein erweitertes Engagement unserer Bundeswehr Sorgen machen [...], aber die Vorstellung, der wirtschaftsstärkste und bevölkerungsreichste Staat in der Mitte Europas könne sich nach dem Fall von Mauer und Eisernem Vorhang in eine Art Schneckenhaus zurückziehen, während unsere Partner für uns die Kastanien aus dem Feuer holen, hält doch der Realität nicht stand! Unsere Partner in Allianz und WEU haben über 40  Jahre lang mit für unsere Sicherheit gesorgt. Wenn wir nun diese Partner bei den neu hinzugekommenen Aufgaben der Friedenssicherung und Friedensschaffung im Stich lassen, dann werden wir bündnisunfähig. Wir wol-

55

Hermann Otto Solms (Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion 1991‑1998), BT, Plenarprotokoll 12/151, 21.4.1993, S. 12 941.

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len keine Draufgänger, aber auch keine Drückeberger sein. Ja, wir müssen unsere Geschichte im Auge behalten, dürfen uns aber nicht hinter ihr verschanzen. Die Lehre aus ihr kann nur lauten: Nie wieder aus der Gemeinschaft der westlichen Völker ausscheren, nie wieder Sonderwege – auch nicht der moralischen Besserwisser und Gesinnungsethiker.«56

Die FDP bekräftigte damit vielmehr die »Kohl-Doktrin« in ihrem eigentlichen Sinn – verstanden als Staatsraison einer nicht diskutierbaren Westbindung. Hierzu gehörte ebenso das nicht »im Stich lassen« der »Partner in Allianz und WEU« bei »Friedenssicherung und Friedensschaffung« (Kinkel) wie ein freiwilliger Verzicht auf einen »Einsatz deutscher Truppen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien« (Solms). Beides waren zwei Seiten der gleichen Medaille. Kohls und Genschers wohl größtes Verdienst, nämlich dasjenige, mit der Deutschen Einheit die deutsche Westbindung festzuschreiben, stand für die Bundesregierung – bei CDU, CSU oder FDP – überhaupt nicht zur Diskussion, sondern bildete die außen-, sicherheits- und militärpolitische Richtschnur. Die vor allem aus dem linken und friedensbewegten Lager heraus geführte mediale Diskussion um die richtigen Lehren aus der Zeit des »Dritten Reiches« kam dieser politischen Linie sogar zu Pass, zeigte sie doch den Partnern, dass die Deutschen eben keineswegs mit der Wiedervereinigung ihre Geschichte vergessen hatten, was wiederum die Westbindung unterstrich. Das Schreckensszenario, welches Kinkel entwarf, lautete »aus der Gemeinschaft der westlichen Völker ausscheren«. Dies stand im Einklang mit Adenauers Richtungsentscheidung, die bereits im Januar 1950 für die spätere Bundeswehr von den Generalen Speidel, Heusinger und Foertsch (Hermann) im »Besprechungsplan« formuliert worden war.57 Dies war die »Lehre aus der Vergangenheit«. Der mediale und politische Diskurs der frühen 1990er Jahre hatte diese Dimension allerdings weitestgehend vergessen. Er wurde weit theoretischer und moralischer – um nicht zu sagen abgehoben – geführt. Die Verankerung in der westlichen Gemeinschaft wurde dabei ebenso als gegeben hingenommen, wie sich die Diskussion kaum um die möglichen politischen Gefahren eines Krieges im ehemaligen Jugoslawien – keine 1000 Kilometer von München entfernt – drehte. Hieran änderte auch die eindringliche Berichterstattung über den Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nur wenig. Rückblickend war dies die Diskussionskultur einer durch fast 50  Jahre Frieden verwöhnten Gesellschaft. Unterschiedliche Nuancen innerhalb der politischen Lager ergaben sich jedoch durch das Bild vom Militär im Allgemeinen und der Bundeswehr im Besonderen.

56 57

Kinkel, Erklärung der Bundesregierung zur deutschen Mithilfe bei Friedensmissionen. Keßelring/Loch, Der »Besprechungsplan«.

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d) »Mörder!« – eine Diskussion um die Bundeswehr im Einsatz? In einem engen Zusammenhang mit dieser auf die Friedensbewegung der 1980er Jahre rekurrierenden und angesichts des Kuwait-Krieges neu aufgelegten Debatte um die Frage, inwieweit der Einsatz militärischer Macht gerechtfertigt sein könne, stand die Debatte um die Rolle des Trägers militärischen Handelns: Die Debatte um das Wesen des deutschen Soldaten. Den in den Quellen greifbaren Kontext bildete die »Soldaten-sindMörder«-Debatte. Im Jahr 1994 erreichte diese im Anschluss an das entsprechende Urteil des Landgerichts Krefeld und dessen Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht einen Höhepunkt. Die Kontroverse hinter dieser juristischen Entscheidung um die Gewichtung von einerseits Ehrenschutz und andererseits Meinungsfreiheit war indes nicht nur weit politischer, sondern wies in das Verständnis und Verhältnis der Deutschen von und zu »ihrem« Militär hinein. Wie in kaum einer anderen Kontroverse kamen hier die tiefen Brüche und Narben zum Vorschein, welche zwei verlorene Weltkriege in der deutschen Gesellschaft hinterlassen haben.58 Auslöser der Debatte war ein aus seinem textlichen und historischen Zusammenhang gerissenes Zitat Kurt Tucholskys aus dessen auf den Ersten Weltkrieg bezogenen, im Jahr 1931 in der »Weltbühne« Carl von Ossietzkys veröffentlichten Text »Der bewachte Kriegsschauplatz« als Aufkleber auf dem Auto eines Kriegsdienstverweigerers.59 Die Frage, ob Soldaten Mörder genannt werden dürften, und zwar nicht im historischen Sinne, sondern im damaligen hier und jetzt der Bundesrepublik, konfrontierte antimilitaristische und pazifistische Ressentiments auf der einen Seite mit solchen Meinungen, welche die Bundeswehr als Verteidigungsorganisation eines friedlichen und freien Staates verstanden wissen wollten. Angesichts der drohenden Einsatzrealität seit 1993 gewann diese vorher eher abstrakte Fragestellung zunehmend an tagespolitischer Bedeutung. Hier ging es freilich kaum um den ursprünglichen Text Tucholskys, auch wenn die Tatsache, dass der Spruch »Soldaten sind Mörder« als Tucholsky-Zitat gekennzeichnet schwer als Beleidigung auszulegen war, eine wesentliche Rolle bei dessen juristischer Bewertung gespielt hatte.60 Tucholskys historischer Text hatte, wie auch dessen Titel bereits suggeriert, die Praxis des Ersten Weltkrieges kritisiert, nämlich den Einsatz der Feldgendarmerie an Zäunen, welche den Kriegsschauplatz von der friedlichen Etappenwelt trennten sowie den Einsatz der Feldgendarmerie, um die eigenen Soldaten mittels Waffengewalt zum Töten des Gegners zu zwingen:

»Die Feldgendarmen sperrten den Kriegsschauplatz nicht nur von hinten nach vorn ab, das wäre ja noch verständlich gewesen; sie passten keineswegs nur auf, dass niemand von den Zivilisten in einen Tod lief, der nicht für sie bestimmt war.

58 59 60

Vgl. Dülffer/Krumeich, Der verlorene Frieden; Duppler/Groß, Kriegsende 1918; Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg. Zum politischen Kontext der 1990er Jahre siehe: Hepp/Otto, Soldaten sind Mörder. BVerfG, Beschluss vom 25.8.1994, 2 BvR 1423/92.

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Der Kriegsschauplatz war auch von vorn nach hinten abgesperrt. [...] Manche Nationen jagten ihre Zwangsabonnenten auch mit den Maschinengewehren in die Maschinengewehre. So kämpften sie. Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. [...] Die Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muss sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten.«61

Es war mehr als evident, dass der UNPROFOR, IFOR- oder SFOR-Einsatz bzw. der Einsatz der Luftwaffe zur Beendigung des Krieges bzw. zur Stabilisierung eines durch brutalen Krieg, inklusive Massenmord, Vergewaltigungen, Flucht und Zerstörung mehr als erschütterten Landes mit der historisch von Tucholsky geschilderten Situation an der Westfront des Ersten Weltkrieges kaum etwas gemein hatte. Schließlich war es gerade der Auftrag der Bundeswehr, dort das Morden zu verhindern und »MörderSoldaten« im Sinne Tucholskys – die es sehr wohl im Krieg in BosnienHerzegowina gegeben hatte – als Kriegsverbrecher festzunehmen. Letztlich drehte sich die ganze Debatte stets um die Frage, ob den Deutschen aus ihrer Geschichte – wie bisher – eine Pflicht zur außenpolitischen Zurückhaltung oder aber im Gegenteil eine Pflicht zum Eingreifen erwachse. Damit bildete das in Stellung bringen des Tucholsky-Zitates durch Vertreter der Friedensbewegung und Wehrdienstverweigerer gegen einen möglichen Balkan-Einsatz der Bundeswehr geradezu die Antithese zur Forderung Joffes, die Bundeswehr solle »die Geschichte nicht wiederholen, sondern deren Wiederkehr – Grausamkeit, Gewalt und Blutrunst – so gut wie es nur geht verhindern«62. Die »Soldaten-sind-Mörder«-Diskussion griff jedoch auch über spezifisch deutsche Fragestellungen hinaus. Der runde Aufkleber mit dem TucholskyZitat und dem grafisch als Grabkreuz dargestellten »t« im Wort »Soldaten« der 1990er Jahre stand zeitlich gesehen nämlich gar nicht mit einem BalkanEinsatz in Verbindung, sondern ist im Zusammenhang mit dem Krieg am Golf zu sehen. Im weiteren Sinne handelte es sich aber wohl auch um ein letztes Aufbäumen der radikaleren Teile der »Friedensbewegung«.63 61 62 63

Ignaz Wrobel [Kurt Tucholsky], Der bewachte Kriegsschauplatz. In: Die Weltbühne, Nr. 31, 4.8.1931, S. 191. Josef Joffe, Abschied von der ›Kohl-Doktrin‹. In: Süddeutsche Zeitung, 16.12.1994, S. 4. Zum wenig populären und kaum erforschten Thema der Unterwanderung und Instrumentalisierung der Friedensbewegung im informationellen Krieg, etwa der Finanzierung solcher Initiativen, wie »Generale für den Frieden« (Gerhard Kade, DN »Robust«), »Ärzte gegen Atomtod« durch die Staatssicherheit der DDR siehe: Knabe, Die unterwanderte Republik, S.  254, sowie allgemeiner: Knabe, Westarbeit des MfS. Die Rezeption von Knabes »unterwanderter Republik« zeigt nicht zuletzt wie schmerzhaft die Instrumentalisierung und Unterwanderung der Friedensbewegung durch den MfS zum Erhalt bzw. Ausbau des Rüstungsvorsprungs des Warschauer Paktes für die Betroffenen gewesen ist.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Dies erklärt zumindest teilweise, wieso in der »Soldaten-sind-MörderDebatte« ursprünglich primär amerikanische Soldaten und erst sekundär Soldaten der Bundeswehr im Fokus standen, aber etwa die militärischen Verbrechen der irakischen Truppen und des irakischen Geheimdienstes oder der Jugoslawischen Volksarmee mit ihren paramilitärischen Helfern nicht einmal thematisiert wurden.64 Die Diskussion in Deutschland aber wurde erst durch die Gerichtsurteile vor den Amtsgerichten, die Revisionsurteile der Landesgerichte und letztlich die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes immer wieder neu angestoßen und am Laufen gehalten. Durch die zeitliche Langwierigkeit gerichtlicher Verfahren bedingt, handelte es sich also um einen retardiert ausgetragenen Konflikt, der zum fraglichen Zeitpunkt eigentlich bereits erledigt war und unter anderen Umständen möglicherweise gar nicht mehr auf der politischen Tagesordnung gestanden hätte: Am 10.  Oktober 1995, also über ein Jahr nach dem Tucholsky-Zitat-Urteil vom August 1994, stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Leitsatz zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz bei Kollektivurteilen über Soldaten erneut deutlich die Meinungsfreiheit über den Ehrenschutz.65 Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezog sich nicht auf den Krefelder Fall des Tucholsky-Aufklebers, sondern auf Urteile der Amtsgerichte Ansbach, München, Landsberg am Lech und Mainz aus den Jahren 1989 bis 1991. In allen diesen Fällen hatten anerkannte Kriegsdienstverweigerer auf Plakaten, Banderolen, Flugblättern bzw. in Leserzuschriften gegen militärische Übungen oder Öffentlichkeitsveranstaltungen der amerikanischen oder bundesdeutschen Streitkräfte protestiert und dabei in dem verteilten Material oder auf Banderolen Soldaten als Mörder bzw. potentielle Mörder bezeichnet. Die jeweiligen Entscheidungen der nächsthöheren Instanzen wurden aufgehoben und die Sachen an die jeweiligen Amtsgerichte zur Neuverhandlung zurückverwiesen.66 Mit dem Tucholsky-Zitat hatten diese gegen die Bundeswehr und die US-Streitkräfte gerichteten Aktionen freilich kaum etwas zu tun. Allerdings verschwammen in der öffentlichen Wahrnehmung die unterschiedlichen Fälle zu einer Melange, bei der nur noch die Frage, ob man Soldaten als Mörder bezeichnen dürfe oder nicht, die Gemüter auf allen Seiten erregte. Vor allem aber hatte sich die politische Diskussion inzwischen weg von Kuwait auf den Balkan verlagert, wo den Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig militärischer Aktionismus vorwerfbar war wie der deutschen Bundesregierung. Vom Konkreten wandelte sich daher diese Diskussion immer mehr ins Abstrakte und Grundsätzliche. Bezeichnend und erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die abweichende Meinung der Bundesverfassungsrichterin Evelyn Haas (CDU), die präzise die Sichtweise derer zusammenfasste, die das Soldaten-sind64 65 66

Zur Verbindung zwischen JVA und von Paramilitärs begangenen Kriegsverbrechen siehe: Keßelring, Die historische Analyse. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91. Ebd.

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Mörder-Urteil zeitgenössisch kritisierten. Dort hieß es unter anderem über die Soldaten der Bundeswehr:

»Sie setzen ihr Leben ein, um von der Zivilbevölkerung die Gräuel des Krieges fernzuhalten und deren Leben und nicht zuletzt auch das derjenigen zu schützen, die ihr Tun geringschätzen und sie in der Öffentlichkeit verächtlich machen. Eine Rechtsordnung, die junge Männer zum Waffendienst verpflichtet und von ihnen Gehorsam verlangt, muss denjenigen, die diesen Pflichten genügen, Schutz gewähren, wenn sie wegen dieses Soldatendienstes geschmäht und öffentlich als Mörder bezeichnet werden. Dabei geht es nicht um die Konstruktion einer besonderen ›Soldatenehre‹.«67

Zum Zeitpunkt, als Haas ihre von den anderen Bundesverfassungsrichtern abweichende Meinung zu Protokoll gab, im Oktober 1995, haftete in der Tat angesichts des im Juli 1995 verübten Genozids an rund 7000 Bosniaken in Srebrenica einer Diskussion darüber, ob man deutsche Soldaten »Mörder« nennen dürfe oder nicht, bereits etwas Realitätsfremdes und Unwirkliches an. Dennoch hatte sich das »Soldaten-sind-Mörder«-Zitat in einer derartigen Weise im politischen Schlagabtausch um die Rolle der Bundeswehr verselbständigt, dass es einerseits bald schon zum »guten Ton« der bundesdeutschen Diskussion gehörte, im äußeren linken Spektrum der politischen Meinung dieses Zitat wie eine Monstranz vor sich herzutragen, andererseits konservative Politiker geradezu gebetsmühlenartig durch die Verurteilung dieses Spruches ihr – nicht selten erst kürzlich wiederentdecktes – Interesse an der Bundeswehr deutlich machten. Beide Gruppen zeichneten sich in der Debatte nur in Ausnahmen dadurch aus, dass sie sich wirklich mit den Aussagen und der Person Kurt Tucholskys – der als ehemaliger Vizefeldwebel der Feldpolizei und promovierter Jurist gerade in »Der bewachte Kriegsschauplatz« seine ganz persönliche Vergangenheit selbstkritisch analysiert hatte – beschäftigt hätten, geschweige denn diese auf die sehr wohl vorhandenen militärischmoralischen Probleme der 1990er Jahre jenseits der Schlagworte anzuwenden gewusst hätten. Semantisch interessant ist die Argumentation der Richterin Haas auch insofern, als sie dem »Mörder-Soldaten« den »schützenden Soldaten« – dem dafür wiederum vom Staat »Schutz« gewährt werden solle – entgegenstellte. Das Motiv erinnert an das für die Moderne typische Postulat gegenseitiger Eidestreue zwischen Staat und Soldaten.68 Dies ist wiederum eine aus der Aufklärung stammende Denkfigur (bspw. bei Kant), welche ein transzendentales Eidverständnis ablöste.69 Im Herbst 1996 stellte der Abgeordnete Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) angesichts seines Informationsbesuchs bei der Bundeswehr im IFOR-Einsatz in Kroatien den Begriff »Schützer, Helfer, Retter« demjenigen des »Mörders« entgegen. Dies war ein nicht gering zu achtender Schritt eines einstigen, prominenten Mitglieds der Friedensbewegung 67 68 69

Ebd., vgl. Graßhof, Die Sondervoten von Evelyn Haas, S. 49‑84. Buschmann/Murr, »Treue« als Forschungskonzept?, S. 21. Twellmann, »Über die Eide«, S. 226‑232.

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und Gründungsmitglieds der Grünen in Richtung Bundeswehr. Damit begannen – bewusst oder unbewusst sei dahingestellt – die Grünen sukzessive in ihrer Vorstellung vom deutschen Soldaten auf die Linie der abweichenden Meinung der Richterin Haas umzuschwenken. Allerdings fällt auch hier geradezu symptomatisch für die gesamte innerdeutsche Diskussion das Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des »Kämpfers« (gerade auch in der Funktion des »Schützers«) in all seiner moralischen Komplexität auf.70 Damit fiel die Diskussion weit hinter die Reflexionen der Juristen Kurt Tucholsky oder Carl von Ossietzky zurück. Diese Abwesenheit einer gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der Frage, wann Kampf und damit Töten durch staatliche Exekutivinstrumente der Bundesrepublik Deutschland, der Bundeswehr, jenseits der Verteidigung des Vaterlandes gerechtfertigt sei (und wann nicht), sollte sich indes erst künftig, zuletzt in Afghanistan, negativ auswirken. Das Problem der medialen und politischen Diskussion – auch im Bundestag – lag insbesondere in der mangelnden Konkretheit und der geradezu als tabubeladen zu beschreibenden Verweigerung der politischen Akteure, sich mit der Problematik des »Schützens« mittels »Kampf« intellektuell auseinanderzusetzen. Es wurde versäumt, einen wertgebundenen Kämpferbegriff, der im Einklang mit der bundesdeutschen Gesellschaft sowie dem Grundgesetz stand, zu schaffen.71 Nachtweis »Schützer, Retter, Helfer« – sosehr dies auch einen Paradigmenwechsel seiner Partei einläutete – trug ebenso wenig dazu bei wie der radikalpazifistische Pauschalvorwurf »Soldaten sind Mörder« der frühen 1990er Jahre oder aber auch Verteidigungsminister Rühes (CDU) zeitgleiches »Kampftruppen – das klingt mir viel zu martialisch«.72 Der Versuch, die Bundeswehr, also die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, als etwas »Unmartialisches« – also nicht Militärisches – verkaufen zu wollen, war ebenso fragwürdig wie der Versuch, sich nach den Massakern von Vukovar, Brčko, Sarajevo oder Srebrenica einen »Schützer« vorstellen zu wollen, dem aber nicht erlaubt sein sollte, für diesen Schutz auch auf Gewalt mittels automatischer Waffen, Feldartillerie und Jagdbomber zurückzugreifen. All diese Positionen bildeten jedoch den Teil einer größeren Frage. Durften deutsche Soldaten angesichts der deutschen Gewaltgeschichte seitens der deutschen Bundesregierung für das verwendet werden, wofür Soldaten im Normalfall ausgebildet werden: Durften deutsche Soldaten im Zweifelsfall kämpfen? Diese vordergründige Frage aber legitimierte und rationalisierte die grundsätzliche bundesdeutsche Absicht, militärisch international beteiligt zu sein, ohne den Argwohn der Partner zu wecken. 70

71 72

Siehe hierzu das erstmals 1985 hrsg. Werk der Evangelischen Militärseelsorge: De Officio. Ein Vergleich dieses Werks sowie der militärseelsorgerischen Schriften beispielsweise zum Thema »Blauhelmeinsatz« (1991) mit den Bundestagsdebatten zeigt, dass das geistige Niveau Letzterer kaum mit Ersteren mithalten konnte. Loch/Mayer, »Generation Einsatz«. »Spiegel«-Gespräch [mit Volker Rühe]: »Wir bleiben nicht ewig«. In: Der Spiegel (39/1996), 23.9.1996, S. 25.

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Aber nicht nur die deutsche Gesellschaft und damit die Politik der 1990er Jahre waren dieser Frage nicht gewachsen – auch die entstehende EinsatzBundeswehr hatte ihren Soldaten noch auf Jahre hinaus nicht viel mehr zu bieten als die Forderung nach dem »archaischen Kämpfer und dem, der den High-Tech-Krieg führen kann«.73 Dieses aufgeregt aufgenommene, aber wenig reflektierte Schlagwort beschrieb indes lediglich militärische Fähigkeiten, nämlich das Kämpfen mit hochtechnischen Mitteln und das Kämpfen ohne hochtechnische Mittel, also mit herkömmlichen (»archaischen«) Methoden; die moralischen Implikationen des Kampfes gerade auch zum Schutz – sei es im bemannten oder unbemannten Luftkrieg oder im »archaischen« Einsatz von Infanterie – sprach diese »Lösung« nicht einmal an. Budde, dessen militärische Sozialisation als Fallschirmjäger und dessen Verwendung als Divisionskommandeur der Division Spezielle Operationen (DSO, 2001 bis 2002) hier möglicherweise durchschlug, betonte hiermit schlicht, dass auch im Kriegsbild des »High-Tech-Krieges« ohne die Fähigkeiten des Infanteristen nicht auszukommen sei. Der spätere General Budde war aber vor allem in der wichtigen Phase von 1991 bis 1995, als die Frage von Einsätzen auf dem Balkan zur Diskussion stand, als Oberst i.G. in der Position eines Referatsleiters in der Personalabteilung – er beschäftigte sich also von Amts wegen in dieser weichenstellenden Zeit mit der Frage der praktischen Anforderungen an den Soldaten im »neuen Aufgabenspektrum« und eben nicht mit Fragen der Moral. Es scheint aber auch kein Zufall zu sein, dass das Wort vom »archaischen Kämpfer« ausgerechnet vom ersten Kommandeur des deutschen SFOR-Kontingents, dem zum Zeitpunkt der Äußerung (2004) inzwischen zum Inspekteur des Heeres avancierten Generalleutnant Budde stammt. Gerade der erste SFOR-Einsatz stellte durch den Einsatz deutscher Kampftruppen die Frage nach der Fähigkeit zum Kämpfen der Bundeswehr jenseits des »Helfens, Schützens, Rettens«. Die Notwendigkeit dieser Fähigkeit, die bereits während des gesamten Kalten Krieges im Vordergrund gestanden hatte, rief Budde als Inspekteur des Heeres erneut ins Gedächtnis. Für die bundesdeutsche Binnendiskussion war es bezeichnend, dass diese Forderung als Gegenentwurf des Leitbildes vom »Staatsbürger in Uniform« (miss)verstanden wurde.74 Später sollte das Problem eines fehlenden reflektierten Kämpferbegriffs und eines fehlverstandenen Inhalts der Inneren Führung am Fall des damaligen Oberstleutnants der Luftwaffe Jürgen Rose deutlich werden. Dieser Berufssoldat rechtfertigte seine Verweigerung von logistischen Unterstützungsleistungen für in Afghanistan eingesetzte Luftwaffeneinheiten mit Hinweis auf die Innere Führung und wurde dabei aus dem Umfeld des »Darmstädter Signals« zum Widerpart des nun zum

73 74

Wolfgang Winkel, Bundeswehr braucht archaische Kämpfer. In: Welt am Sonntag vom 29.2.2004. Als typisches Beispiel hierfür sei erwähnt: Bald, Restaurativer Traditionalismus. Zum hundertsten Geburtstag Wolf Graf von Baudissin, S. 11‑21.

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»Anti-Baudissin« erklärten Budde stilisiert.75 Seine Schriften atmen den Geist der »Soldaten-sind-Mörder«-Debatte der 1990er Jahre, wobei ein fragwürdiges Verständnis der Inneren Führung der »kämpfenden Bundeswehr« entgegengestellt wird. Glaubt man dem im marxistischen Zeitschriften verbreiteten Thesen Roses, so habe Baudissin die Innere Führung eingeführt, um eine kämpfende Bundeswehr zu verhindern76 – dabei war die Konzeption der Inneren Führung vielmehr als »geistige Rüstung« gerade für den Kampf mit einem hochideologisierten Gegner erdacht worden.77 Der Begriff des »archaischen Kämpfers« fand unter jungen Heeresoffizieren der Bundeswehr der »Generation Einsatz« noch zehn Jahre später offenbar Zustimmung, auch wenn er – aus dem Kontext genommen – moralisch und nicht, wie eindeutig von Budde intendiert, »technisch« im Sinne von personellen »Fähigkeiten« interpretiert wird.78 Diese Entwicklung zeigt, dass die fehlende, sich konkret mit Fragen des Kampfes auseinandersetzende Diskussion im politischen und gesellschaftlichen Bereich jenseits dichotomischer Gegenüberstellungen von »Mördern« und »Schützern« letztlich bis heute nachwirkt und damit an Aktualität nicht verloren hat.79 Bezeichnend ist, dass die – wenn auch inhaltlich eher schwachen – hier behandelten späteren Konflikte kaum in den Medien oder der Politik, sondern vielmehr in der Bundeswehr ausgetragen wurden und werden. In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, dass bereits vor dem SFOREinsatz, also in der Hochphase der politischen Diskussionen um den BalkanEinsatz, General Naumann angemahnt hatte, dass das »Kämpfen« im »1993 für das Bild des Soldaten unter den geänderten Bedingungen gesetzte[n] Motto«, »fähig zu kämpfen und bereit zu helfen«, nicht verleugnet oder herabgewürdigt werden dürfe. »Die Bereitschaft eines Soldaten, mit der Waffe in der Hand und unter Einsatz seines Lebens für den Schutz unseres Landes und seiner Bürger einzustehen«, unterscheide »ihn von den Trägern aller anderen Berufe und Verantwortlichkeiten« – »Feigheit und Heuchelei« wäre es aber, »diese Möglichkeit zu verschweigen«.80 Naumann wies damit auf das Alleinstellungsmerkmal des Soldaten gegenüber anderen Berufen hin. Dieses Alleinstellungsmerkmal liegt nicht im Einsatz des eigenen Lebens – dieses setzen auch Angehörige vieler anderer potentiell gefährlicher Berufe, wie 75 76

77 78 79 80

Peter Mühlbauer, Archaischer Kämpfer vs. Staatsbürger in Uniform. In: Telepolis, 4.7.2008. Einer der historischen Person wie auch dem Konzept Baudissins und dem Bild des »archaischen Kämpfers« nicht gerecht werdender Beitrag Roses: Jürgen Rose: Vom Staatsbürger in Uniform zum archaischen Kämpfer. Anmerkungen zum Paradigmenwechsel in der deutschen Militärpolitik, Vortrag auf dem Symposium »Trommeln für den Krieg« der Neuen Gesellschaft für Psychologie, FU Berlin, 7./8.3.2014. Abrufbar unter: . Nägler, Der gewollte Soldat. Rotter, Wir dienen?, S. 56 f. Loch/Mayer, »Generation Einsatz«. Naumann, Aufgaben der Bundeswehr, S. 707.

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etwa Feuerwehrleute, Rennfahrer oder Seuchenmediziner ein, – sondern in dem, was der damalige Generalinspekteur eher vage als »mit der Waffe in der Hand« umschrieb, also das potentielle Töten anderer Menschen im Rahmen des Auftrags: des Kampfes. Die deutsche Politik konzentrierte sich zeitgleich fast ausschließlich auf das Problem des potentiellen Getötet-Werdens der eigenen Soldaten und der politischen Verantwortung hierfür und klammerte das Problem des aktiven Tötens und der politischen Verantwortung dafür weitestgehend aus. Im klassischen Verteidigungskrieg, wie dem Kriegsbild der Verteidigung WestDeutschlands im Rahmen des General Defense Plan, war dieses moralische Problem durch die Rechtsfigur der Notwehr des Angegriffenen lösbar. Im Auslandseinsatz fernab der Heimat griff diese Rechtfertigung nur bedingt. Dieses Problem stellte sich erstmals am 21. Januar 1994, als im Feldlager Belet Uen (Somalia) ein deutscher Soldat in Erfüllung seiner Dienstpflichten im Einsatz einen Menschen durch Schusswaffengebrauch tötete.81 In der Behandlung dieses Falles zeigten sich bereits alle moralisch-politischen und damit auch rechtlichen Widersprüchlichkeiten oder, um mit den Worten Naumanns zu sprechen, die »Feigheit und Heuchelei«: Dies begann bereits mit dem Begriff des »Zwischenfalls« – Zwischenfälle sind kleinere Unfälle, sie geschehen gewissermaßen »aus Versehen« und schließen meist »menschliches Versagen« ein. Dies traf beides auf den »Fall Belet Uen« nicht zu.82 Der Schütze handelte entsprechend der Vorschriften beim Wachdienst, »versagte« also keineswegs. Auch handelte es sich keineswegs um einen »Unfall«, sondern um bewusst ausgeführte gezielte Schüsse nach vorangegangenem Warnschuss. Da es in Deutschland zu Friedenszeiten keine Militärgerichtsbarkeit gibt,83 sind zivile Gerichte für von Soldaten begangene Straftaten zuständig. Als also ein deutscher Soldat, während seiner Dienstausübung im Ausland erstmalig, einen Menschen tötete, lag folgerichtig der Verdacht einer Straftat vor und der Staatsanwalt hatte zu ermitteln.84 Trotz fragwürdiger Rechtslage wurde die Staatsanwaltschaft in Koblenz – der Stationierungsort des die Soldaten entsendenden Heeresführungskommandos – nach »Eilzuständigkeit« für zuständig erklärt.85 Dieses rechtlich problematische Muster der Zuständigkeit 81

82

83 84 85

Zur deutschen Beteiligung an UNOSOM II: Kollmer, In die Wüste geschickt?, sowie Jost, Der deutsche Unterstützungsverband Somalia. Die Diskussion um die Einsätze auf dem Balkan war mit derjenigen um den Einsatz in Somalia eng verschränkt. Sie ist daher kaum getrennt zu begreifen. Eine Geschichte des Somalia-Diskurses ist ebenso Desiderat wie eine Operationsgeschichte des deutschen Somalia-Einsatzes. Deutscher Bundestag, Drucksache 12/6989 vom 8.3.1994. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 12/6757 – Zwischenfälle beim Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der VN-Mission in Somalia (UNOSOM II). Eine Militärgerichtsbarkeit ist durch das Grundgesetz nach Artikel 96 grundsätzlich für den Verteidigungsfall vorgesehen. Siehe zur rechtlichen Problematik: Richter, Töten im Krieg. Christiane Wolters, Bundeswehr. Auslandseinsatz in der Gesetzeslücke. In: Spiegel online vom 8.4.2004, .

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nach Stationierungs- oder Entsendungsort in Deutschland wurde erst mit der seit 1. April 2013 gesetzlich festgelegten Lösung, dass der Gerichtsstand für Straftaten von Soldaten bei besonderen Verwendungen der Bundeswehr in Kempten (Allgäu) liegt, aufgelöst.86 Um dieses eher marginal erscheinende – aber doch juristisch gesehen wesentliche – Problem der Zuständigkeit zu lösen, benötigte der Gesetzgeber 19  Jahre! Die Bundestagsfraktion der Grünen lehnte diesen Gesetzesentwurf mit dem Vorwurf, hier werde eine Militärgerichtsbarkeit geschaffen, ab – eine solche ist nach Artikel 96 durch das Grundgesetz für den Verteidigungsfall durchaus vorgesehen und damit keineswegs von Haus aus in Deutschland verfassungswidrig. Vielmehr ging es hier im Kern um die Frage, wo der Auslandseinsatz der Bundeswehr rechtlich zwischen Frieden und Krieg zu verorten sei. Auch dies war eine Frage, die sich bereits in den frühen 1990er Jahren stellte, seit den Schüssen von Belet Uen auch erkannt war, aber politisch nicht geklärt wurde. Der Fall in Somalia zeigte aber grundsätzliche Probleme auf, die spätestens zum SFOR-Einsatz bereits hätten gelöst werden müssen. Anders als in dem durch Tucholsky bekannt gewordenen Fall des Ersten Weltkrieges mit der durch den Juristen Tucholsky als widersprüchlich identifizierten Grenze zwischen Kriegsareal, in dem Töten legal war, und dem Friedensareal, wo dies eine Straftat bildete, stellte sich die grundsätzliche Situation im SFOR-Einsatz so dar, dass potentielles militärisches Töten im Kriegsgebiet unter deutsches Friedensrecht fiel. Somit konnte etwa die Bundeswehr, die nach deutschem Friedensrecht agierte, im gleichen Gebiet tätig sein, wo nach Kriegsrecht und -bräuchen verfeindete Gruppen sich bekämpften. Im Falle einer militärischen Interaktion mit diesen Kräften (bspw. durch Schusswechsel) hätten etwa deutsche Soldaten und lokale Soldaten sich auf zwei unterschiedliche Rechtssysteme berufen können: Hier Kriegsrecht als Verteidiger des eigenen Landes, da durch international sanktionierte Rules of Engagement (ROE) erweitertes bundesdeutsches Friedensrecht. Im Rahmen der deutschen SFOR-Mission kam es zu keinen tödlichen Schüssen durch deutsche Soldaten. Dies war allerdings nicht vorhersehbar. Das grundsätzliche moralisch-juristische Problem blieb. Gelöst ist dieser Widerspruch, der sich 1999 im Kosovo-Einsatz (KFOR) deutlich zeigen sollte, bis heute nicht: Am 13.  Juni 1999 töteten erstmals deutsche Soldaten in Anwendung der seitens des Bundestags genehmigten Rules of Engagement. In Somalia war der Fall noch mit dem für die Kasernenbewachung auf deutschem Hoheitsgebiet geschaffenen Unmittelbaren Zwangsgesetz der Bundeswehr lösbar gewesen; auch wenn es juristisch durchaus nicht eindeutig war, ob dieses auch in einem Feldlager in Somalia gelte. Im Sommer 1999 aber befahl an einem Checkpoint in Prizren ein dort eingesetzter 24-jähriger Leutnant des Gebirgsjägerbataillons  571 das Feuer auf zwei bewaffnete Personen, die aus einem gelben Lada heraus in die Luft geschossen hatten. Die Bilder des zerschossen Fahrzeugs sollten später als Dokumente eines 86

Ladiges, Strafprozessuale Gerichtsstandsregelungen.

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der ersten deutschen Feuergefechte seit Ende des Zweiten Weltkrieges um die Welt gehen. Der Fahrer des Wagens war sofort tot, der Beifahrer und somit wohl »Kommandant« des Ladas, Zarko Andrejević, verstarb von einer Vielzahl von Schüssen getroffen wenig später trotz geleisteter Erster Hilfe und ärztlicher Behandlung. Die deutsche Besatzung des Checkpoints hatte insgesamt etwa 180 Schüsse mit ihren Sturmgewehren sowie 40 Schuss aus einem Maschinengewehr abgegeben.87 Während der Leutnant für beispielhafte Erfüllung der Soldatenpflicht das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold verliehen bekam, ermittelte die Staatsanwalt Koblenz, bis sie schließlich das Verfahren einstellte. Dieser Widerspruch ist zwar aus dem zuvor Ausgeführten rechtlich folgerichtig – es wäre aber durch den Gesetzgeber bis heute möglich gewesen, Grundlagen dafür zu schaffen, dass nicht jeder Soldat, den die deutsche Bundesregierung mit Zustimmung des deutschen Bundestags in den Einsatz schickt, im Falle des tödlichen Waffengebrauchs – auch wenn dieser im Rahmen der seitens des Bundestages vorgeschriebenen ROE erfolgt – erst einmal in Deutschland unter Strafverdacht (Totschlag) steht. Über die Frage, ob das Verschießen von rund 220 Gewehrpatronen auf zwei offenbar angetrunkene serbische Freischärler verhältnismäßig war, lässt sich theoretisch bestens debattieren. In einem Polizeieinsatz im Inland (Friedenseinsatz) wäre solch eine Reaktion wohl juristisch als unverhältnismäßig gewertet worden. In der seitens des jungen Infanterieoffiziers als Gefechtssituation bewerteten Lage war diese Frage zu vernachlässigen. Entscheidend war nach militärischen Gesichtspunkten – wenn man akzeptiert, dass es sich um ein kriegsartiges Gefecht handelte – die Wirkung. Die neu im Einsatzgebiet eingetroffene Bundeswehr hatte gezeigt, dass sie entschieden auf jeden Angriff reagieren wird. Die abschreckende Wirkung dieses Beispiels von Prizren auf alle Konfliktparteien mag später viele Menschenleben gerettet haben. Dieses Beispiel zeigt exemplarisch die Herausforderungen für Soldaten im Auslandseinsatz und darüber hinaus die Problematik unklarer theoretischer Rechtspositionen in ihrer Wirkung »on the ground«. Es zeigt aber auch, dass Tabus im öffentlichen Diskurs nicht selten bei der Truppe ungelöste Probleme hinterlassen mussten. Viel wichtiger als die Frage, ob das Grundgesetz die Meinungsfreiheit von Bundeswehr-Gegnern soweit garantieren solle, dass diese Soldaten der Bundeswehr als »Mörder« bezeichnen dürfen oder ob die Ehre der Soldaten gegenüber solcher Diffamierung zu schützen sei, musste für Soldaten im Einsatz die Frage sein, wie der eigene Staat dazu steht, wenn sie in seinem Auftrag Menschen töten. Dies beinhaltete sowohl moralische Fragen wie Fragen der Rechtssicherheit, der psychologischen Nachsorge und der sozialen Wiedereingliederung nach dem Einsatz. All diese Fragen blieben in der öffentlichen Diskussion ausgeklammert und die damit zusammenhängenden praktischen Folgerungen blieben aus. Das in der Öffentlichkeit propagierte und idealisierte Bild des Schützers und Helfers 87

Susanne Koelbl, Bundeswehr. Der Kampf das ist das Äußerste. In: Spiegel online vom 7.2.2000.

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traf gerade im Einsatz auf die Realitäten des potentiellen Kämpfers und das damit zusammenhängende Selbstbild. Diese »Schizophrenie« mag mehr zu einer Abkapselung der Einsatzsoldaten beigetragen und damit mehr Risse im Konzept des Staatsbürgers in Uniform hinterlassen haben, als dies bei einer offenen und ehrlicheren Diskussion der Fall gewesen wäre.

e) »Out of area« – Rechtsprechung als Ersatz für Diskurs? Eine mögliche Erklärung dafür, dass für die Gewaltanwendung zum Zweck der Friedensdurchsetzung keine klaren Grundsätze auf der politischen Ebene festgelegt wurden, ist wohl darin zu sehen, dass bereits weit weniger komplexe Probleme politisch kaum lösbar erschienen. Ein solcher Fall war die politische Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan in dem Punkt, ob deutsche Soldaten – seien sie nun »Helfer« oder »Kämpfer« – überhaupt außerhalb des Gebietes der NATO eingesetzt werden dürfen. Diese Frage war in den 1990er Jahren keineswegs neu. Sie hatte sich bereits zum ersten Mal gestellt, als am 18. September 1973 beide deutsche Staaten den Vereinten Nationen beitraten und es damit zu klären galt, ob die Bundesrepublik Deutschland ihre Bundeswehr als Kontingent von UN-Friedenstruppen einsetzen könne, falls sie darum gebeten werde.88 Außenminister Walter Scheel (FDP) entwickelte die Argumentationslinie, dass bewaffnete deutsche Kräfte nicht außerhalb eines NATO-Unterstellungsverhältnisses – also auch nicht unter dem Kommando der UN – eingesetzt werden dürften. Diese im Kern politische Festlegung lag vor allem darin begründet, dass an der Westbindung nicht gerüttelt werden sollte und West-Deutschland nicht Gefahr laufen dürfe, durch die Hintertür über die UN eine neutralistische Haltung einnehmen zu müssen und dadurch gegebenenfalls in einen Gegensatz zu den NATOVerbündeten zu geraten. Diese außenpolitische Doktrin – gewissermaßen ein geistiger Vorläufer der oben behandelten »Kohl-Doktrin« – wurde allerdings nicht politisch, sondern völkerrechtlich und staatsrechtlich begründet: Da die Bundesrepublik Deutschland nicht voll souverän sei, würde das Grundgesetz einen Einsatz außerhalb der NATO-Kommandostruktur verbieten. Und auch im NATO-Rahmen dürfe die Bundeswehr nur zur Verteidigung des Bundesgebietes bzw. durch den NATO-Beitritt des Jahres 1955 des NATOGebietes eingesetzt werden. Letztere Festlegung sollte das nur teilsouveräne Deutschland davor schützen, Hilfstruppen bei fragwürdigen Unternehmen der Verbündeten stellen zu müssen. Interessanterweise teilte – ebenfalls aus politischen Gründen – der damalige Justizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) diese Meinung nicht, sondern interpretierte die durch den UN-Beitritt erfolgte völkerrechtliche Veränderung so, dass die Bundeswehr sehr wohl im Rahmen der UN einsetzbar sei. 88

Winkler, Der lange Weg nach Westen, S. 314.

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In der Praxis trat dieses Problem auch schon nach wenigen Monaten auf, wobei die Bundesregierung noch im Dezember 1973 beschloss, die UN Emergency Force II (UNEF II) durch Lufttransportkapazitäten der Luftwaffe zu unterstützen und senegalesische und ghanaische Blauhelme an die ägyptisch-israelische Grenze zu fliegen. Der Bundestag stimmte zu, wobei zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig geregelt war, ob diese Zustimmung staatsrechtlich überhaupt notwendig ist. Der »Scheel-Doktrin« folgend wurde jedoch festgelegt, dass die deutschen Piloten keinen Teil der UNEF-II-Truppe bilden sollten, sondern diese nur unterstützen und damit unter nationalem deutschem Kommando agieren würden.89 Fünf Jahre später wurde das gleiche Modell in Bezug auf die Unterstützung der UN Interim Force in Lebanon (UNIFIL) gewählt. Diesmal transportierte nicht nur die Luftwaffe norwegische UN-Blauhelm-Soldaten in den Libanon, sondern die Bundeswehr rüstete zudem das nepalesische UNIFIL-Kontingent aus.90 Die bundesdeutschen Flugzeugbesatzungen wurden nicht zu UN-Soldaten, sondern behielten ihren nationalen Status, agierten aber unter dem Schirm der entsprechenden UNSicherheitsratsresolution. Dies war eine pragmatische Kompromisslösung, die bereits die im Grundgesetz erlaubte »Katastrophenhilfe« weit auslegte. Es bedurfte jedoch schon einer besonderen juristischen Spitzfindigkeit, wollte man den UNEF-Einsatz oder den UNIFIL-Einsatz als Katastropheneinsatz nach Art der Erdbebenhilfe oder der Hamburger Flutkatastrophe definieren. Diese beiden Fälle zeigen, dass ein Einsatz außerhalb des NATO-Gebietes (out of area) keineswegs als verfassungsrechtliches Problem wahrgenommen wurde, aber sehr wohl eine Unterstellung deutscher Soldaten außerhalb der NATO-Strukturen als politisches Problem. Die »Scheel-Doktrin« war 1978 bei den Diskussionen um den UNIFIL-Einsatz noch umstritten, dennoch richtete sich die Regierung Kohl mit Außenminister Genscher ohne viel Aufhebens an dieser außen- und militärpolitischen Doktrin aus. Jede Form von bewaffnetem Einsatz außerhalb der NATO Strukturen wurde als Verstoß gegen Artikel 26 des Grundgesetzes, der die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges verbietet, verstanden.91 Man muss kein Jurist sein, um zu verstehen, dass es sich hierbei um eine merkwürdige Konstruktion handelte: Im Jahr 1973 und 1978 galt es noch verfassungsrechtlich als unproblematisch, bewaffnete nicht-deutsche Soldaten mit Luftwaffenflugzeugen in Krisenregionen zu transportieren, solange die Piloten unbewaffnet waren und unter deutschem Kommando standen. 1973 hatte Justizminister Vogel noch argumentiert, dass der »NATO-Artikel« 24 des Grundgesetzes, nach dem die Bundesrepublik sich »zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen« könne, auch für die UN gelte. Das juristisch verbrämte politische Problem stellte in der Praxis aber keineswegs das Einsatzgebiet (out of area) deutscher Soldaten dar, sondern eben die militärische Unterstellungsfrage mit 89 90 91

Breitwieser, Verfassungshistorische und verfassungsrechtliche Aspekte der Auslandseinsätze, S. 159 f. Schmidt/Wasum-Rainer, Nicht nur Geld und gute Worte, S. 161. Breitwieser, Von der Landesverteidigung zum weltweiten Einsatz, S. 48 f.

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ihrer politischen Dimension. Anders ist nicht zu erklären, dass zwischen 1960 und 1990 insgesamt 98-mal unter dem juristischen Titel der Katastrophenhilfe im nationalen Rahmen, aber meist in enger Abstimmung mit den NATOVerbündeten, Bundeswehr-Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes stattfanden, aber keine einzige Beteiligung an UN-Einsätzen. Auf die Regierungsbeschlüsse der Regierung Kohl hin, Einheiten der Marine zur Embargoüberwachung in die Adria zu entsenden (15. Juli 1992) und am UN-Einsatz in Somalia (UNOSOM II) teilzunehmen (21. April 1993), reichte die SPD Organklagen beim Bundesverfassungsgericht ein. In den zwanzig Jahren seit 1973 hatten sich also gewissermaßen die politischen Fronten in Bezug auf UN-Einsätze umgedreht. Hinzu kam eine Klage gegen den AWACS-Einsatz im Rahmen von »Deny Flight« gemeinsam mit der FDP-Fraktion. Im Karlsruher Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12.  Juli 1994 legten die höchsten deutschen Richter einerseits für Auslandseinsätze die konstitutive Zustimmung des Bundestags fest – gaben also in Teilen der Opposition recht, beriefen sich aber auf den Artikel 24 (GG) und folgten damit letztlich der von Vogel bereits 20 Jahre zuvor aufgezeigten Linie. Bereits im April 1993 hatte das Bundesverfassungsgericht eine von FDP und SPD beantragte einstweilige Anordnung gegen die Teilnahme deutscher Soldaten in den AWACS-Verbänden mit dem Hinweis abgelehnt, dass sonst ein »Vertrauensverlust der Bundesrepublik Deutschland bei den NATO-Partnern und bei allen europäischen Nachbarn« eintreten werde.92 Verhindern von Vertrauensverlust bei Verbündeten ist freilich keine juristische Kategorie, sondern eine politische Linie. Die Denkfigur des »abzulehnenden Sonderwegs« trat bei der Entscheidung deutlich als gewichtiges und letztlich historisch begründetes Argument zu Tage. Die seitens der Politik auf die Judikative geschobene Frage der Auslandseinsätze wurde mit dem 12.  Juli 1994 wieder an die Politik und zwar die Legislative, also den Bundestag, zurückgegeben. Bereits 1990 hatte die Bundesregierung einen Entwurf für eine Verfassungsänderung eingebracht, die Auslandseinsätze im Rahmen der UN auch »out of area« erlauben sollte. SPD und Grüne hatten sich jedoch angesichts des Krieges in Kuwait geweigert, diesen Schritt zu gehen, und damit faktisch die Legislative ihres Gestaltungsspielraums beraubt. Das bis dahin für die zögerliche Entscheidungsfindung nicht unpraktische Argument, die Verfassung lasse keine Einsätze »out of area« oder Unterstellungen unter die UN zu, war mit dem Karlsruher Urteil entkräftet. Im Urteil bündelte das Bundesverfassungsgericht die in der Sache ähnlichen Organstreitverfahren: Die Anträge der SPD-Fraktion gegen die Entscheidung der Bundesregierung zur Beteiligung der Marine an der EmbargoÜberwachung im Rahmen der NATO und WEU in der Adria, zur Mitwirkung der deutschen AWACS-Besatzungen an der Durchsetzung des Flugverbots über Jugoslawien (»Deny Flight«) und zur Teilnahme eines bewaffneten 92

Koob, Deutsche Militärpolitik in den neunziger Jahren, S. 82‑84.

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Bundeswehrkontingents an UNOSOM  II in Somalia sowie den Antrag der FDP-Fraktion mit Bezug auf den Einsatz der deutschen AWACS-Besatzungen. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 12. Juli 1994 stellte im Wesentlichen fest, dass Art. 24 (2) GG, also die verfassungsmäßige Möglichkeit, in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzutreten, die Einsätze erlaube und dies nicht durch Art. 87a GG (»Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf«) lediglich auf Einsatz in der Landesverteidigung beschränkt sei. Im rechtlichen Sinn ging es also vor allem um die Fragen, ob eine Hierarchie zwischen diesen Artikeln besteht – was das Bundesverfassungsgericht verneinte – und ob es sich bei UN und NATO um »Systeme kollektiver Sicherheit« handelt – was im Urteil bejaht wurde. Darüber hinaus wurde die Parlamentsbeteiligung gestärkt: Im Falle des Einsatzes der Streitkräfte aufgrund eines Mandats der UN sei stets die Zustimmung des Parlaments notwendig, auch wenn die weitgehende Zuständigkeit über die Auswärtige Gewalt bei der Exekutive liege. Im Ergebnis waren damit alle drei Einsätze verfassungsgemäß, doch mussten sowohl der AWACS- als auch der Adria-Einsatz vom Bundestag in der Folge formal (nach)ratifiziert werden.93 Nicht minder wichtig aber war das, was durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht geklärt wurde: Die Frage, ob es sich bei der Verwendung der Streitkräfte in den Fällen AWACS, Adria und Somalia rechtlich gesehen um »Einsätze« oder aber um »Verteidigung« handele.94 Diese Frage ist und war aber nicht nur rein akademischer Natur: Die verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 hatten sich erstmals, wenn auch noch vage, einem »erweiterten Sicherheitsbegriff« angenähert, auch wenn sich der Begriff dort noch nicht explizit findet. Das Weißbuch des Jahres 1994 sprach aber bereits von einer »erweiterten Landesverteidigung« und meinte damit Soldaten im Ausland »out of area«, etwa in Somalia. Das später verwendete Bild einer »Verteidigung am Hindukusch« wurde hier bereits als »Verteidigung in Afrika« vorweggenommen. Zum Zweck dieser »erweiterten Landesverteidigung« solle ein Teil der Streitkräfte zum »Einsatz« außerhalb Deutschlands befähigt werden. Für die »Bewältigung der absehbaren Krisen und Konflikte« wurden daher die Krisenreaktionskräfte (KRK) geschaffen, die neben den Hauptverteidigungskräften (HVK) stehen sollten.95 Unpräziser und verwirrender konnte der neue Auftrag und dessen verfassungsrechtliche Grundlage schwerlich umschrieben werden. Hinsichtlich des Auftrags der Hauptverteidigungskräfte, also der Landesverteidigung nach Artikel 87a (GG), schien alles klar. Hier wurde kein Neuland betreten. In Bezug auf die Krisenreaktionskräfte hingegen häuften sich die Fragen: Handelte es sich 93 94

95

Schöneberger, Vom Zweiten Golfkrieg, S. 171‑183. Dokumente in: Dau/Wöhrmann, Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte. Eine Dokumentation der AWACS-, des Somalia- und des Adria-Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, Heidelberg 1996. Vgl. Schöneberger, Vom Zweiten Golfkrieg zum Kampfeinsatz im Kosovo. Eine Zwei-Ebenen-Analyse der Bundeswehreinsätze in den 90er Jahren, S. 180. Schmitz, Das soldatische Selbstverständnis im Wandel, S. 156‑158.

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um erweiterte Landesverteidigung nach einer weiten Interpretation von Artikel  87a (GG) oder um einen Einsatz, also eine weite Interpretation des für das Inland bestimmten Artikel 35, (2) und (3) (GG), der über Artikel 24 (2) – den für den NATO-Beitritt geschaffenen und bereits auf den UN-Einsatz uminterpretierten Artikel? War rechtlich gesehen ein Einsatz der Bundeswehr im Ausland immer eine Art Amtshilfe für die Vereinten Nationen oder die NATO? Die Begriffe und Bestimmungen blieben weiterhin schwammig: Krise, Konflikt, erweiterte Sicherheit. Von Krieg, Eingreifen in denselben, Friedenserzwingung mittels militärischer Gewalt oder gar Machtprojektion im nationalen Interesse war nicht die Rede. Andererseits war deutlich geworden, dass zumindest die Bundesregierung die »Scheel-Doktrin« des »out of area« bereits über Bord geworfen hatte. Allerdings hatte hierbei geholfen, dass UNOSOM II in das kurze Zeitfenster gefallen war, in dem die Vereinigten Staaten die Führungsrolle bei einem UN-Einsatz übernommen hatten, und dass es sich in Somalia darüber hinaus gewissermaßen um einen »Feldversuch« für neuartige, großangelegte und personalintensive Blauhelmeinsätze einer neuen noch nicht dagewesenen »robusten« Dimension gehandelt hatte. Der Bundestag hatte diesem Einsatz im Nachhinein im Anschluss an das Bundesverfassungsgerichtsurteil zugestimmt. Eine Verfassungsänderung oder eine entsprechende Mehrheit hatte es jedoch hierzu nicht gegeben, aber auch nach Auffassung der Verfassungsrichter nicht geben müssen. Die gescheiterte Verfassungsänderung von 1990 vollzog sich also mangels notwendiger Bundestagsmehrheit mittels Uminterpretation der Verfassungslage durch die Bundesregierung und anschließender Verfahrensfeststellung des Bundesverfassungsgerichtes 1994, deren Ergebnis wiederum – allerdings teils nur mit gewöhnlicher Mehrheit – durch den Bundestag in den Einzelfällen bestätigt wurde. Ein wesentliches Moment war daher die Präzisierung der Grundsätze für den Einsatz von Streitkräften in Form einer Proklamation dieser neuen Realität durch Bundesverteidigungsminister Volker Rühe auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 4. Februar 1995. Da es sich um ein grundlegendes Dokument handelt, sei hieraus ausführlich zitiert:

»Wir werden jeden Einzelfall [für den Einsatz, A.K.] sorgfältig wägen, aber unserer Verantwortung gerecht werden. Dabei lassen wir uns von Grundsätzen leiten, die unserem Rechts- und Werteverständnis ebenso entsprechen wie unserer Interessenlage: Unsere Hauptverantwortung liegt in Europa und seiner Peripherie. Unser Engagement kann auch nur so weit gehen, wie unsere Möglichkeiten reichen. Zentrale Bedingungen für den Einsatz der Streitkräfte ist seine völkerrechtliche Legitimität. Ein Mandat der Vereinten Nationen ist Voraussetzung. Deutschland wird nicht allein handeln, sondern nur mit Freunden und Partnern in der euro-atlantischen Gemeinschaft. Grundsätzlich gibt es keine Region, in der Deutschland aufgrund seiner Geschichte nicht mit Blauhelmen vertreten sein könnte. Aus historisch-moralischer Sicht mag es gute Gründe für und gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an Friedensmissionen in solchen Regionen geben.

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze

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Der Maßstab ist, ob wir wirklich helfen können. Ein friedenserhaltender Einsatz macht nur dort Sinn, wo deutsche Soldaten im Auftrag der UNO weitgehend die Akzeptanz aller Konfliktparteien finden. Für Kampfeinsätze außerhalb von Landes- und Bündnisverteidigung muss es zwingende Gründe geben. Die Gefahr für Deutschlands Sicherheit, für die Stabilität Europas oder für den internationalen Frieden muss offensichtlich sein, so dass die Bevölkerung einen solchen Einsatz mitträgt. Unverzichtbar ist ein glaubwürdiges politisches Konzept, das zu dauerhaftem Erfolg führt, und ein präziser militärischer Auftrag, der in einem klar begrenzten Zeitraum durchführbar ist.«96

Diese Proklamation gilt es genauer zu betrachten. Sie legte und legt möglicherweise bis heute die Bedingungen für einen Einsatz deutscher Streitkräfte jenseits der Landes- und Bündnisverteidigung fest. Selbstverständlich ging es hierbei konkret erst einmal um den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan. Jedoch ist diese Proklamation als etwas Grundsätzlicheres zu verstehen: Eine Erklärung der militärischen Souveränität des vereinigten Deutschlands und zugleich der freiwilligen Selbstbeschränkung: Neu war, dass Kampfeinsätze außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr ausgeschlossen waren und auch deutlich als solche beim Namen genannt wurden. Dies ist als Rückkehr der militärischen Souveränität Deutschlands und somit als historischer Augenblick zu bewerten. Diese militärische Souveränität wurde allerdings im Sinne einer richtig verstandenen »Kohl-Doktrin«, also dem der absoluten Priorität der Westbindung Deutschlands nach dem Muster der Adenauerschen Republik, freiwillig selbst beschränkt. Die beschränkenden Faktoren waren nun zum einen ein Mandat der UN und zum anderen die Bindung an das gemeinsame Handeln »mit Freunden und Partnern in der euro-atlantischen Gemeinschaft«. Es sollte zwar potentiell weltweite deutsche Blauhelm- und Kampfeinsätze geben können. Diese aber nur, wenn sie im deutschen Interesse notwendig werden sollten und diese sollten niemals im Alleingang durchgeführt werden. Die historische Parallele zu dieser, die deutsche Sicherheits- und Militärpolitik grundlegend verändernden Aussage liegt im Brüsseler Vertrag von 1950, in dem die Grundlagen für eine deutsche Wiederbewaffnung festgelegt worden waren. Sie erfolgte nach der seit Januar 1950 im »Besprechungsplan« als Staatsraison der Bundesrepublik festgelegten sicherheitspolitischen bundesdeutschen Linie. Diese hatte als Lehre aus zweimaliger verfehlter Außenpolitik, welche in zwei Weltkriege geführt hatte, jeglicher Schaukelpolitik zwischen Ost und West eine klare Absage erteilt und die durch konkrete militärische Unterstellung zementierte Westbindung Deutschlands festgeschrieben. Hier war Kohl also auch inhaltlich der »Sohn Adenauers«.97 96 97

Volker Rühe, Rede, 32. Münchener Sicherheitskonferenz, 4.2.1995. Manuskript im Besitz des Verfassers. Siehe hierzu die bereits im Besprechungsplan festgeschriebene Forderung der Generale Hermann Foertsch, Hans Speidel und Adolf Heusinger: »nicht mit Rapallo-Gedanken spielend, klar westlich«. Keßelring/Loch, Der »Besprechungsplan«, S. 215.

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Betrachtet man die deutsche Einsatzgeschichte von Februar 1995 bis heute, so ist auffallend, dass die Bundesrepublik Deutschland sich auch in Bezug auf die Einsätze der Bundeswehr in der Praxis an dieser Maxime ausgerichtet hat. Einsätze erfolgten mit einer Ausnahme (Kosovo) mit UN-Mandat und unter einem Bündniskommando, also im Rahmen der NATO (z.B. SFOR, ISAF) bzw. der europäischen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (z.B. EUFOR Kongo, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina) oder jüngst unter französischer Führung (z.B. MINUSMA). Auch die Nicht-Teilnahme am Irakkrieg des Jahres 2002 unter der Bundesregierung Schröder passt durchaus noch in dieses Konzept, da diese als Zeichen gewertet werden kann, dass bei Ablehnung der deutschen Öffentlichkeit die Bundesregierung auch ihr souveränes Recht wahrnehmen kann, eben nicht an einem Einsatz der Verbündeten teilzunehmen. Es muss mangels heutiger Aktenkenntnis dahingestellt bleiben, ob bzw. inwiefern die von Verteidigungsminister Rühe im Februar 1995 veröffentlichte Linie einen mit den Verbündeten abgesprochenen oder ausgehandelten Kompromiss darstellte und wie solche möglicherweise bilateral stattgefundenen Besprechungen ausgesehen haben könnten. Es ist dies eine Frage, mit der sich nach Ablauf der entsprechenden Schutzfristen die neueste deutsche Militärgeschichte auseinanderzusetzen haben wird. Es wird dies darüber hinaus mit der Neuformierung der »Armee der Einheit« und dem zeitgleichen Verschwinden der nationalen deutschen Korpsebene – also einer unbedingten Forderung noch des Jahres 1950 – in Einklang zu bringen sein. Bezogen auf den zuvor betrachteten öffentlichen Diskurs ist festzustellen, dass dieser die Proklamation Rühes und die darin sichtbar werdende neue Richtlinie des Bundeskanzlers in der, dieser Proklamation vorangehenden, entsprechenden Zeitspanne nicht abdeckte. Der Diskurs bezog sich aber durchaus auf ihre Einzelaspekte. Zwar erschien dieser gewissermaßen von den praktischen Problemen eines konkreten Balkaneinsatzes der Bundeswehr angesichts des dortigen Leidens der Zivilbevölkerung Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens abgehoben. Die Diskussionen über die Frage, ob die Chiffre Auschwitz zum Nicht-Eingreifen oder gerade zum Eingreifen verpflichte oder ob deutsche Soldaten der 1990er Jahre als »Mörder« bezeichnet werden dürften oder nicht, beinhalteten beim genauen Hinsehen aber sehr wohl grundsätzliche Positionen. Diese sollten sich auf den Inhalt der RüheProklamation auswirken: Dies war insbesondere die Festlegung auf jeglichen Verzicht auf Alleingänge, auch wenn diese moralisch gerechtfertigt erscheinen und dem deutschen Wähler vermittelbar seien. Die 1991 angesichts des politischen Anerkennungsalleinganges – auch wenn es noch gelungen war, diesen formal mit einem europäischen Rahmen zu ummanteln – formulierte »Kohl-Doktrin«, die einen militärischen deutschen Alleingang auf »historisch kontaminiertem« Gebiet ausschloss, war aber eben keine Folge dieser Diskussionen. Die »Kohl-Doktrin« war längst formuliert, als die öffentlichen Diskurse überhaupt erst begannen, Fahrt aufzunehmen. Letztlich veränderte sich diese Regierungsposition in ihrem grundlegendsten Anliegen nicht.

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Die Diskurse scheinen also eher dem Zweck gedient zu haben, die Bevölkerung »psychologisch mitzunehmen«. Ob dies intendiert war oder nur in der historischen Retrospektive so erscheint, muss dahingestellt bleiben. Interessanterweise waren es aber gerade »unverdächtige« Diskussionsbeiträge aus dem eher linken Meinungsspektrum, die in der Wochenzeitung »Die Zeit« oder der »Süddeutschen Zeitung« – also eher regierungsfernen Publikationsorganen – kamen, die den veröffentlichten Meinungsumschwung einleiteten oder abschlossen. Zukünftige Forschung wird klären müssen, welche Zufälle, Kommunikationszusammenhänge oder gar Absprachen dies bewirkt haben. Noch im Jahr 1996 stellte aber – ungeachtet der durch den Verteidigungsminister verkündeten Erklärung vom Februar 1995 – der deutlich sichtbare Widerspruch zwischen politisch-moralischem Anspruch einerseits und der Sanktionierung militärisch-moralischen Handels durch die politische Führung andererseits ein deutliches Defizit der deutschen strategischen Kultur dar.98 Ein erster Schritt, dieses zu beseitigen, lag in der ehrlichen Benennung der militärischen Herausforderungen mit klaren Begriffen wie kämpfen und helfen, Krieg und Frieden, Tod und Leben. Das Verfassungsgerichtsurteil des Jahres 1994 hatte zu einer Klärung – wie bereits gezeigt werden konnte – nicht beigetragen. Der friedensschaffende oder friedenserhaltende militärische Auslandseinsatz bewegt sich grundsätzlich im Graubereich zwischen Krieg und Frieden und bedarf daher eines spezifischen auch rechtlichen Instrumentariums. Es ist im historischen Rückblick ebenso irreführend, den Zustand in Bosnien-Herzegowina der Jahre 1996 bis 1997 mit dem Begriff »Frieden« zu belegen, wie es unzutreffend ist, für diese Zeit von einem Kriegszustand und damit einem »verschärften Kampfeinsatz« (Angela Beer) auszugehen: Im Frieden ist es nicht notwendig, mit Helm und Bristol-Westen geschützt, mit unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallenden geladenen Waffen und gepanzerten Fahrzeugen zu patrouillieren. Ein verschärfter Kampfeinsatz indes setzt per Definition Kampf voraus. Solcher fand im Rahmen der deutschen SFOR Mission nicht statt. Um einen Einsatz von deutschen Kampftruppen mit der Fähigkeit und Bereitschaft zum Kämpfen handelte es sich allerdings sehr wohl. Zur Beschreibung des Spannungsfelds zwischen politischen und militärischen Denkmustern eignen sich exemplarisch die bereits erwähnten Zitate »Kampftruppen, das klingt mir viel zu martialisch« (Rühe), »verschärfter Kampfeinsatz« (Beer) und »Feigheit und Heuchelei« (Naumann). Als General Naumann noch in seiner Funktion als Generalinspekteur der Bundeswehr bereits am 4.  Dezember 1995 im IFOR-Kontext von einem Kampfauftrag (nicht Kampfeinsatz! A.K.) für die Bundeswehr sprach – was sich begrifflich aus der Charta der Vereinten Nationen herleiten ließ – wurde er dafür von 98

Siehe: Germany, Pacifism and Peace Enforcement.

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Verteidigungsminister Rühe öffentlich gerügt.99 In diesem Zusammenhang ist auch auffallend, dass später – parallel zur Diskussion um den SFOR-Einsatz der Bundeswehr – nicht nur die bereits erwähnte »Soldaten-sind-Mörder«Debatte weiter geführt wurde, sondern sich auch eine Machtdemonstration »der Politik« (in der Form des Verteidigungsministers und des Bundestags) gegenüber »dem Militär« (in Person des Generals Naumann) zeigte. Naumann, seit Februar 1996 zum Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses avanciert, hatte sich dahingehend geäußert, dass noch sehr lange militärische Präsenz in Bosnien-Herzegowina nötig sein werde. Dies entsprach der Einschätzung der NATO.100 Heute wissen wir, dass Naumann Recht hatte: In der Tat sollte die Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina bis 2014, also knapp 20 Jahre lang, mit Einsatzkräften präsent sein. Im Jahr 1996 stellte Rühe hierzu aber klar:

»Es ist nicht Sache der Militärs, das einzuschätzen. Die Dauer der Mission muss natürlich von der UNO festgelegt werden, dann muss die NATO sich dazu äußern, auf politischer Ebene. Ich bin auf jeden Fall für eine Befristung.«101

Ob es sich hier um eine Fehleinschätzung trotz andersartiger Beratung durch seine Fachleute oder aber um ein taktisches Manöver Rühes gehandelt hat, ist schwer einzuschätzen. Deutlich wird jedoch, dass »die Politik« nicht bereit war, militärische Automatismen – so richtig sie auch in der Sache sein sollten – zuzulassen. Hierbei ging es aber gar nicht um die Sache, also um den Balkan, sondern vielmehr um das innere deutsche Machtverhältnis und die Rolle des Militärs im nationalen Machtgefüge, also um das Primat der Politik. Zugleich zeigte sich hier das für multinationale Auslandseinsätze typische Phänomen, dass das (nationale) Primat der Politik über das (nationale) Militär durch das militärische Handeln im Rahmen der Allianz an seine Grenzen geriet. Wenn Souveränität einmal an das Bündnis abgetreten war, war diese in der Praxis nur schwer zurückzuholen, wollte man nicht damit die Westbindung gefährden. Jede Organisation und somit auch die NATO mit ihren zivilen und militärischen Strukturen hat das Potential, eigene Meinungen zu entwickeln. Eine eigene militärische und von der politischen Führung gegebenenfalls abweichende Meinung sollte es aber in Deutschland seit den Entmilitarisierungsbestimmungen und dem Verbot eines deutschen Generalstabes nicht geben. Naumann hatte seine korrekte Äußerung zur Dauer von SFOR aber genaugenommen gar nicht als deutscher General, sondern als Vorsitzender des NATO-Militärausschusses getätigt. Er handelte also in seiner Eigenschaft als übernationaler NATO-General. Der deutsche Verteidigungsminister wiederum war in diesem Setting nur einer von mehreren Vertretern des kollektiv durch den NATO-Rat ausgeübten politischen 99 100

101

Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3122 vom 6.12.1995. Siehe bspw. NATO, PC (96) 7, Defining Moments: Alliance Developments 1996. Draft General Report vom 22.10.1996, . Interview mit Verteidigungsminister Volker Rühe, »Wir bleiben nicht ewig«. In: Der Spiegel 39/1996 vom 23.9.1996, S. 25‑27.

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Primats der Bündnismitgliedstaaten über ihre vereinten Bündnistruppen. Als solcher war der deutsche Verteidigungsminister zwar mit dem deutschen (nationalen) Vetorecht ausgestattet, doch fand dieses seine Grenzen in der im deutschen Interesse liegenden Geschlossenheit des Bündnisses und der deutschen Doktrin, dass kein deutscher Einsatz außerhalb des Bündnisses stattfinden dürfe. Der nationale Gestaltungsspielraum im Bündnis war aber wiederum abhängig vom Anteil des deutschen Engagements, also dem Umfang des militärischen Einsatzes der Bundeswehr. In dem Moment, in dem »die NATO« als Organisation etwas anderes für zweckmäßig hielt als der deutsche Verteidigungsminister es seinem Wahlvolk zumuten wollte, verliefen die Entscheidungen aber – das zeigen die Entwicklungen – eben doch nach dem Plan der Organisation. Theoretisch war der Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan freilich begrenzt und der Bundestag musste jedes Jahr neu zustimmen. In der politischen Praxis wurde dieses jedoch im Falle der Bosnieneinsätze eher zu einer Routineangelegenheit, da die politischen Kosten eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Einsatz zu hoch gewesen wären.

f ) Das Umschalten auf den Balkan-Einsatz im Diskurs der Opposition In der politikwissenschaftlichen Literatur herrscht nicht selten die Meinung vor, dass die CDU unter Helmut Kohl gezielt in Richtung einer »Normalisierung der Außenpolitik«, sprich für Auslandseinsätze im Einvernehmen mit den Verbündeten, gearbeitet habe. Die FDP habe gebremst, sei aber letztlich gescheitert. Dies habe zum Rücktritt Genschers 1992 geführt und den Weg für die enger an Kohl angelehnte neue Linie der FDP geebnet.102 Wie oben gezeigt, verlief die Entwicklung jedoch alles andere als geradlinig oder gar determiniert. Gerade im Nachklang des Kosovo-Krieges aber machte sich unter der äußersten Linken ein verschwörungstheorieartiges Narrativ breit, welches von einem westlichen Masterplan für einen Krieg gegen Serbien ausging.103 Dieses Narrativ wird bis heute seitens der Regierung Putin im Sinne der irreführenden aber propagandistisch wirksamen These, der Krieg in der Ukraine finde sein historisches Pendant und damit seine Rechtfertigung im »Krieg des Westens« gegen Serbien, genutzt.104 Nicht zuletzt deswegen ist es notwendig, den innerdeutschen Diskurs in der Parteipolitik und rund um die ersten Balkaneinsätze zu erhellen. Da seit 1990 bei der CDU/CSU das Ziel einer Verfassungsänderung zur Durchführung auch friedensschaffender Einsätze klar war, aber wegen fehlender Mehrheiten nicht durchgesetzt werden konnte, und die FDP weitere Interpretationen 102 103 104

Bspw. Jefrey L. Lantis: Strategic Dilemmas and the Evolution of German Foreign Policy Since Unification, Westport, CT 2002, S. 172‑174. Seeßlen, Kriegsnovelle, S. 175. Vgl. Gordana Knezević, Kosovo’s Bridge to Russia. In: Balkans without Borders blog, Radio Free Europe / Radio Liberty, 11.11.2017.

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des Grundgesetz ausschloss, lag der Schlüssel für einen Balkaneinsatz der Bundeswehr bei den Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen. In der vorhandenen Stimmenkonstellation hatten diese Parteien zumindest bis zum Bundesverfassungsgerichtsurteil 1994 die Macht einen deutschen Einsatz zu verhindern. Dies war auch der Fall. Zuerst ist auffallend, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) sich als größte Oppositionspartei in der Diskussion um die Balkaneinsätze erstaunlich wenig profilieren konnte. Ein wesentlicher Grund hierfür lag sicherlich darin, dass die deutschen Sozialdemokraten aus dem Weg zur Deutschen Einheit aufgrund ihres langen Festhaltens an einem deutsch-deutschen Konföderationsmodell geschwächt hervorgegangen waren. Insbesondere die Vorstöße des SPD-Kanzlerkandidaten und Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, zur Verhinderung der Währungs- und Sozialunion oder für eine Zuzugsbeschränkung für DDRBürger in die Bundesrepublik zeigten, dass weite Teile der SPD die Zeichen des Umbruchs nicht erkannt hatten oder diesen gar ideologisch ablehnten.105 Neben der ab 1990 notwendig gewordenen inhaltlichen Neuorientierung setzte mit dem altersbedingten Rücktritt des Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel ein Generationswechsel ein, der durch die Vielzahl an starken Kandidaten die Partei in Personalquerelen band: Nach dem Rücktritt von Björn Engholm, dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, als Parteivorsitzendem am 3.  Mai 1993 im Zuge des Barschel-Untersuchungsausschusses, setzte sich in einer Urabstimmung der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping, gegen den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Gerhard Schröder, und die langjährige europapolitische Sprecherin der SPDBundestagsfraktion, Heidemarie Wieczorek-Zeul, durch. Nach Scharpings Wahlniederlage 1994 verlor dieser 1995 wiederum die Kampfabstimmung gegen Lafontaine.106 Vergleicht man diese Ausgangslage mit derjenigen der CDU, wo die Macht Kohls durch die Deutsche Einheit wie zementiert erschien, wird klar, wieso die SPD dem permanenten »wind of change« kaum mit glaubwürdigen Konzepten begegnen konnte. Um in diesem von der Rockband Scorpions geprägten Sprachspiel zu bleiben: Während die CDU/ CSU immer besser in diesem Wind segeln lernte, stellte sich die SPD diesem entgegen und wurde entsprechend gebremst. Dennoch war die Meinung zu möglichen Einsätzen innerhalb der SPD-Flügel durchaus uneinheitlich. Insgesamt war es aber leichter, sich auf ablehnende Voten zu den Einsätzen zu einigen, als gestalterisch einzuwirken. Ausgangspunkt war das SPD-Grundsatzprogramm vom 20.  Dezember 1989. Dort wurde der Bundeswehr eine strikt defensive Rolle zugewiesen. Im folgenden Wahlprogramm wurden »drastische Kürzungen im Verteidigungsbereich« sowie »drastische Abrüstung« gefordert. »Einsatz und zusätzliche militärische Aufgaben von NATO und WEU außerhalb des 105 106

Vogel, Nachsichten, S. 308‑313. Thörmer/Einemann, Aufstieg und Krise der »Generation Schröder«, S. 89‑93.

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Geltungsbereichs des Bündnisses« wurden abgelehnt.107 Bereits auf dem Bremer Parteitag der SPD im Jahr 1991 hatte die SPD auf Antrag Engholms und Lafontaines darüber hinaus festgelegt, dass eine Beteiligung der Bundeswehr an UN-Blauhelmmissionen befürwortet, aber »Kriegseinsätze der Bundeswehr außerhalb des Nato-Vertragsgebiets« abzulehnen seien.108 Konkret ging es hierbei um Kambodscha und Kuwait. So bezeichnete die SPD den Adria-Einsatz der Marine als Verstoß gegen die bisherige Verfassungsinterpretation und machte sich damit zum Verfechter der in den 1970er Jahren seitens der FDP gegen Vogel (SPD) in Stellung gebrachten »Scheel-Doktrin«. Am 21.  Juli 1992 reichte die SPD-Fraktion entsprechend die erste Klage beim Bundesverfassungsgericht ein und stimmte am Folgetag im Bundestag gegen den Einsatz. Die von Engholm eingeleitete »Wende von Bad Salzuflen« auf der Klausurtagung vom 12. September 1992 war also insofern gar keine Wende in Bezug auf die Einsatzproblematik. Die »Wende« betraf vielmehr die Asylpolitik, hinter der eindeutig das bereits in Bremen 1991 entschiedene Thema »Blauhelmeinsatz« zurückstand. Dennoch oder gerade deswegen konnte beschlossen werden, dass die Sozialdemokraten einem deutschen Kontingent bei einem UN-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien grundsätzlich zustimmen konnten, sofern dies mit einer qualifizierten Mehrheit im Bundestag beschlossen werde. Kampfeinsätze nach Art des Kuwait-Einsatzes seien aber nach wie vor auszuschließen.109 Die Linie der SPD hatte sich also praktisch nicht geändert. Für letztere Einschränkung hatte sich vor allem Schröder eingesetzt:

»Ich habe von Anfang an [...] klargemacht, dass ich es für falsch halte, wenn die SPD einer Verfassungsklarstellung oder -änderung zustimmt, die über BlauhelmAktionen hinausgeht.«110

Diese Aussage war für den Ministerpräsidenten Niedersachsens durchaus folgerichtig, hatte er sich bereits im Kuwait-Krieg auf die Seite der »Kein-Blutfür-Öl«-Bewegung gestellt.111 Anders als vielfach behauptet, bewegte sich Schröder damit absolut auf der Parteilinie und war somit zumindest in diesem Bereich weit weniger ein Erneuerer, denn ein SPD-Konservativer auf der traditionellen Linie Vogels. Erneut fällt aber hierbei auf, dass das »KuwaitErlebnis« die Politik bestimmte und nicht das inzwischen – etwa in Vukovar –

107

108 109 110

111

Zitate aus dem SPD-Regierungsprogramm vom 28.9.1990: Der Neue Weg, ökologisch, sozial, wirtschaftlich stark. Regierungsprogramm 1990‑1994. Beschlossen vom SPDParteitag in Berlin vom 28.9.1990, Bonn 1990, S. 21 f. Siehe hierzu: Freiherr von Neubeck, Die Transformation der Bundeswehr, S. 75 f. Lafontaine, Das Herz schlägt links, S. 16. Gunter Hofmann, Zwischen Prinzip und Zeitgeist. Auf der Suche nach einer neuen Politik: Die Sozialdemokraten wählen die Anpassung. In: Die Zeit, 18.9.1992. »Wir wurden immer getrieben«. Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder über SPD-Chef Björn Engholm und die Strategie seiner Partei. In: Der Spiegel, 38/1992, 14.9.1992, S. 39. Vgl. zur Einstellung Schröders: Schöllgen, Gerhard Schröder. Die Biographie, S. 197‑382.

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dringlich gewordene Problem des Balkans. Wieso dies in dieser Weise wirkte, ist nicht einfach erklärbar. Es war schließlich Scharping, der als SPD-Parteivorsitzender und Oppositionsführer Ende 1994 versuchte, diese Ignoranz aufzubrechen und die SPD auf einen möglichen Jugoslawien-Einsatz im Rahmen der NATO einzuschwören. Zu diesem Zeitpunkt war längst deutlich geworden, dass der UNEinsatz als gescheitert angesehen werden musste und folglich keine realistische Option zur Beendigung des Krieges mehr darstellen konnte. In seinem Brief an den SPD-Vorstand und die SPD-Fraktion vom 21.  Dezember 1994 hieß es unter anderem:

»Eine deutsche Beteiligung an Nato-Maßnahmen zum Schutz eines eventuellen Abzugs der UN-Blauhelme ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den Entsendestaaten, sondern unzweifelhaft auch eine Bündnisverpflichtung, wenn die Nato einen entsprechenden UN-Auftrag erhält.«

Aus dem Parteivorstand erwiesen sich jedoch vor allem Lafontaine und Wieczorek-Zeul als unnachgiebige Gegner dieses Ansinnens ihres Vorsitzenden und Kontrahenten im Kampf um das Erbe Vogels. Sie verhielten sich dabei zwar im Sinne der Parteitagsbeschlüsse seit 1991, doch beraubte sich die SPD mit ihrer fundamentalen Haltung eigener sicherheitspolitischer Gestaltungsspielräume. Dies konnte freilich mit dem eigenen Verständnis, dass die Partei nicht von oben geführt werden, sondern die Parteilinie von der Basis her aufwachsen solle, begründet werden. Die Diskussion um dieses Thema fand bei der SPD zumindest öffentlich weit weniger mittels Argumenten, als vielmehr mit der Wiederholung von »Dogmen«, wie Parteibeschlüssen, Hinweisen auf die Parteibasis sowie auch durch gezielte verbale Schläge »unter die Gürtellinie« statt. So ließ beispielsweise Wieczorek-Zeul im Pressedienst der SPD ihren Angriff auf den SPDAußenpolitiker Karsten Voigt veröffentlichen: »Der Wörner konnte wenigstens einen Tornado fliegen. Du würdest dir doch in die Hosen machen.«

Lafontaine sekundierte im Spiegel:

»Jetzt bietet die Bundesregierung Tornados an, um Hilfsflüge zu schützen und, falls nötig, beim Abzug von Blauhelmen serbische Stellungen zu bombardieren. Als verhängnisvoll für die zukünftige Außenpolitik erweist sich, dass die Bundesregierung ihr absurdes Angebot mit unserer Verpflichtung zur Bündnissolidarität begründet, obwohl die Nato in ihren vertraglichen Verpflichtungen gar nicht gefordert ist.«112

Ein konkreter Bezug zur Situation in Bosnien-Herzegowina wurde in der Diskussion seitens der prominenten Einsatzgegner in der SPD schlicht nicht hergestellt, sondern sich vielmehr in das Grundsätzliche geflüchtet. Dabei interessierte es Scharpings parteiinterne Kritiker offenbar nicht, dass es die UN gewesen war, die am 24. Mai 1995 mit Luftschlägen gedroht hatte, falls weiterhin Zivilisten in Sarajevo mit Artillerie beschossen würden. Scharping sprach 112

Lafontaine, Das Herz schlägt links, S. 16.

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sich schließlich – entsprechend der Parteilinie – im Bundestag dafür aus, dort möglichst keine deutschen Soldaten einzusetzen. Im Prinzip sei die SPD zwar bereit, die Entsendung von Sanitätskräften und Lufttransportkapazitäten mitzutragen. Keinesfalls dürfe Deutschland aber in irgendeiner Form – z.B. bei Tornado-Einsätzen – in die Kriegsgeschehnisse auf dem Balkan eingreifen. Man dürfe nicht das Risiko auf sich nehmen, die »geschichtlich begründeten serbischen Gefühle gegenüber dem Einsatz deutscher Soldaten«, besonders aufgrund der »Erinnerung an die Gräuel im Zweiten Weltkrieg«, zu missachten. So wogen, nimmt man Politikerworte ernst, für den SPD-Vorsitzenden und späteren Verteidigungsminister – nachdem er von Lafontaine und Wieczorek-Zeul in die Parteilinie zurückgedrängt worden war – die »serbischen Gefühle gegenüber dem Einsatz deutscher Soldaten« schwerer als das Leben von bosnischen Zivilisten in Sarajevo. Es sollte keinen Monat dauern, bis Ende Juli die sogenannten UN-Schutzzonen Žepa und Srebrenica fielen und tausende von Bosniaken ermordet wurden. Nachdem die Bundesregierung die Beteiligung an IFOR am 28. November 1995 beschlossen hatte, erklärte Scharping im Bundestag die Zustimmung der SPD. Fast entschuldigend fügte er hinzu, der Aufforderung der Weltgemeinschaft könne man sich nicht einfach entziehen. Zehn Jahre später analysierte Scharping das Verhalten der SPD mit folgenden Worten:

»Die SPD hatte sich auf eine sehr kunstvolle Unterscheidung eingelassen. Die einen sagten: ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen, ausdrücklich friedenserhaltend und nichts nach Kapitel VII, also schon gar nicht Friedenserzwingung. Das wurde alles ›abgebucht‹ unter ›Kriegführung‹. Man hat im Grunde genommen eine alte Begriffswelt aus der Zeit der Blockkonfrontation und aus noch älteren, sehr stark von der nationalstaatlichen Souveränität her geprägten Debatten in eine neue Welt herüberzuretten versucht.«113

Späten Einsichten sollte sich der Historiker nicht verschließen, ebenso wenig wie die bequeme Position des Chronisten dazu verleiten sollte, in ihrer Zeit handelnde Personen ex post ungerecht harsch zu kritisieren. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass schon damals und auch unter Sozialdemokraten, selbst mit friedensbewegter Sozialisation, andere Meinungen und Handlungsweisen sehr wohl möglich gewesen sind. Zu nennen ist hier der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Norbert Gansel (SPD), der in der Zeit vom 20. bis 22.  Mai 1991 zum Informationsbesuch nach Jugoslawien reiste, wo er sich gemeinsam mit dem bereits erwähnten Karsten Voigt zu getrennten Gesprächen mit Stipe Mesić, Slobodan Milošević und Milan Kučan traf. Gansel und Voigt erstellten bereits auf dem Rückflug nach Deutschland ein Positionspapier, welches sowohl Kohl als auch dessen Regierung zuging und am 23.  Mai 1991 als Presseerklärung veröffentlicht wurde. Hier wurde die Position vertreten, dass sich Jugoslawien auflöse, die Republiken ein Recht auf Selbstbestimmung hätten und die serbische 113

Interview Neubeck mit Scharping am 7.12.2005, zitiert nach: Neubeck, Die Transformation der Bundeswehr, S. 83.

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Regierung als illegitim zu betrachten sei. Wie sehr dieses vierseitige Papier sich auf die Entscheidung der Bundesregierung zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens ausgewirkt hat, ist nicht bekannt. Doch scheint es möglich, dass gerade diese direkt vor Ort erhaltenen Eindrücke mit ausschlaggebend gewesen sind. Gansel absolvierte in der Zeit vom 29. bis 30. Juni 1991 eine ähnliche Reise, wobei er in Ljubljana von den Luftangriffen der JVA überrascht wurde, im Luftschutzkeller seines Hotels Zuflucht suchte und dort auf Kučan traf. Gansels und Voigts Positionen wurden insbesondere von Heidemarie Wieczorek-Zeul, Peter Glotz und Hans-Ulrich Klose kritisiert.114 Andererseits ergab sich eine Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg mit anderen, die Kriegsgebiete bereisenden und sich vor Ort mit Politikern und Bürgern unterhaltendenden deutschen Politikern wie Bernd Posselt (CSU) oder Doris Pack (CDU). Der gebürtige Kieler Gansel war Reserveoffizier (Leutnant zur See), Historiker und Jurist. Von 1997 bis 2003 war er Oberbürgermeister der Stadt Kiel. Der gebürtige Elmshorner, Skandinavist und Historiker Karsten Voigt war von 1994 bis 1996 Präsident der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Ein anderes Beispiel für vom Mainstream der SPD abweichendes Engagement stellte der ebenfalls im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages tätige Freimut Duve115 dar. Das Wenige, was innerhalb der SPD diskutiert wurde, ist zu einem großen Teil den Anstößen Duves zu verdanken – auch wenn sich die Meinung dieses bestens informierten Mannes nicht parteiintern durchzusetzen vermochte. Duve, dessen Vater, ein Großneffe Theodor Herzls, während des Zweiten Weltkrieges von Ustaša ermordet wurde, verfügte durch die familiären Wurzeln der Familie Herzl über eine geistige Verbindung in deren Heimatstadt, das damals österreichisch-ungarische ost-slawonische Osijek. Bereits im November 1991 – also nach der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens – schrieb Duve in einem Gastkommentar in der »taz«, dass sich

»zum ersten Mal in diesem Jahrhundert [...] eine Armee vollständig jeglicher politischer Kontrolle entledigt [habe]. Sie hat sich nicht an die Spitze des Staates gestellt, sondern alle physische Gewalt an sich gerissen, indem sie – völlig fiktiv so tut, als repräsentiere sie noch Staatsmacht (jugoslawische oder serbische).«116

Nach dem Rücktritt Genschers räsonierte er in der »taz«:

»Wir müssen Verantwortung übernehmen für den Schutz von Menschen, die von Völkermord oder Vertreibung bedroht sind. Letztlich auch mit militärischen Mitteln. Darum Unterstützung von UNO-Missionen in Bosnien oder in Kambodscha. Aber wahrscheinlich müssen wir rasch an konkreteren Instrumenten arbeiten.«117

114 115 116 117

Walker, German and Bosnian Voices, S. 1‑5. Duve (1936-2020). Freimut Duve, Wir Bonner im tödlichen Jugo-Griff. In: taz, 8.11.1991, S. 12. Freimut Duve, Außenpolitik nach Genscher. In: taz, 29.4.1992, S. 12.

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Wenig später forderte er ein deutlicheres deutsches Engagement mit den Worten:

»Die Bundesrepublik Deutschland, Nachfolgerin des Auschwitz-Staates, hätte Anlass, die UNO an ihre Konvention zu erinnern. Diese war nicht nur geschaffen worden, um die Nürnberger Prozesse im Nachhinein zu legitimieren, sondern sie sollte neuen Völkermord verhindern helfen.«118

Seinem Parteigenossen Peter Glotz widersprach er nach dessen Einführung des Begriffs des ethno-nationalistischen Krieges in einem »Spiegel«-Artikel119 deutlich und stellte diesem den Begriff des Völkermordes gem. deutschem Strafgesetzbuch §  220a gegenüber.120 Noch heute am lesenswertesten sind aber die Artikel »Noch heißt ›Friede‹ Tod und Vertreibung für die Bosnier«121 und »Ausklinken, oder was?«122 In ersterem wandte sich Duve gegen Intellektuelle und Weggefährten aus der Friedensbewegung, wie Frieder Otto Wolf (Mitglied im Vorstand der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und habilitierter Philosoph), Ekkehart Krippendorff (Politologe und Friedensforscher) sowie Ludger Vollmer (Sprecher des Bundesvorstandes Bündnis  90/Die Grünen 1990‑1994), und deren Kritik an den Aussagen Daniel CohnBendits.123 Insbesondere Vollmer kann als Gegenpart Duves innerhalb der Opposition im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages gesehen werden. In »Ausklinken, oder was?« rechnete Duve mit der mangelnden Bodenhaftung der außenpolitischen Ideen Lafontaines ab, begegnete diesen mit moralischen und Sachargumenten in drastisch-ironischer Sprache. Dabei ist festzuhalten, dass Duve keineswegs als Linker zu klassifizieren war. Duve war vielmehr glaubwürdig, weil er selbst der Friedensbewegung zuzurechnen war und gut auch in das Profil der Grünen hätte passen können. Im Dezember 1995 beschwor er seine ehemaligen Mitstreiter aus den 1980er Jahren: »Nein, wir sitzen nicht mehr vor Mutlangen, um die Aufstellung von Raketen zu behindern. [...] Was stellen sich denn all die Friedensfürsten von Schmückle, über Krippendorff hin zu Augstein vor, die strikt jedes militärische Drohpotential gegen Karadžić ablehnen? Es ist die tödliche Annahme einer auch nur annähernd gleichartigen Gegnerschaft. Doch es geht nicht nur um Ungleichheit der Waffen. Die bosnischen Serben verfügen über das gesamte Arsenal der von Ost und West aufgerüsteten jugoslawischen Armee. Es geht um andere, tödlichere Ungleichgewichte. Von Anfang an.«124

118 119 120 121 122 123 124

Freimut Duve, Völkermord in Bosnien. In: taz, 13.7.1992, S. 10. Peter Glotz, Der Mannbarkeitstest. In: Der Spiegel, 10/1993, 8.3.1993, S. 38 f. Freimut Duve, Es ist Völkermord. In: taz, 11.3.1993, S. 10. Freimut Duve, Noch heißt »Friede« Tod und Vertreibung für die Bosnier. In: taz, 14.12.1995, S. 10. Freimut Duve, Ausklinken, oder was? In: taz, 23.3.1995, S. 10. Daniel Cohn-Bendit, Versager aller Länder verteidigt Euch! In: taz, 24.6.1993, S. 10. Freimut Duve, Noch heißt »Friede« Tod und Vertreibung für die Bosnier. In: taz, 14.12.1995, S. 10.

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Der damals bereits 75  Jahre alte ehemalige Pressesprecher des Verteidigungsministers Strauß und spätere stellvertretende Supreme Allied Commander Europe General a.D. Gerd Schmückle hatte 1992 als »Militärexperte« in Manier einer militärischen Kassandra geweissagt: »So bitter das klingt, der Krieg wird ausbluten müssen, bis den Leuten die Waffen aus der Hand fallen.«125 Dieser vor allem seitens grüner Politiker immer wieder als eine Art »Kronzeugenaussage« zitierter Satz eines von politisch-militärischen Entscheidungsprozessen entfremdeten Pensionärs ist ein erschreckendes Beispiel angeblicher Militärexpertise. Sie führt nahtlos in den Diskurs bei den Grünen, die noch stärker als die SPD der frühen 1990er Jahre eine Tradition der Ablehnung der Bundeswehr pflegten und darüber hinaus in der NATO ihr Feindbild gefunden hatten. Andererseits herrschten bei den Grünen im Gegensatz zur SPD eine offenere Diskussions- und Gesprächskultur sowie eine geringere Parteidisziplin. Als Ausgangssituation kann dennoch folgender Satz im grünen Wahlprogramm für die Bundestagswahl des Jahres 1990 zitiert werden: »Wenn in der Auseinandersetzung um die Durchsetzung einseitiger Abrüstung die NATO-Mitgliedschaft der BRD zur Diskussion steht bzw. die NATO in eine Zerreißprobe geführt wird, so sind wir zum Bruch mit der NATO bereit.«126

Ähnlich wie die SPD verweigerten damit die Grünen die seitens der CDU/ CSU angestrebte Grundgesetzänderung des Jahres 1990. Diese Linie wurde noch im Sommer 1994 angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Richtschnur der grünen Politik gemacht:

»Bündnis 90/Die Grünen verstehen unter Souveränität gerade auch die Fähigkeit zur politischen Selbstbeschränkung. Wir weisen die konservative Propaganda zurück, dass eine im Grundgesetz verankerte militärische Selbstbeschränkung die Bundesrepublik an der Wahrnehmung ihrer vollen Souveränität hindere. [...] Die Wahl am 16. Oktober ist heute vom BVG [Bundesverfassungsgericht] auch in dieser Hinsicht zu einer Richtungsentscheidung gemacht worden: Stolpert Deutschland unter Kohls Führung in eine Periode militärischer Abenteuer oder findet es die Kraft zur Friedensfähigkeit durch Selbstbeschränkung?«127

Neben dieser offiziellen Parteilinie waren aber schon seit längerem unter den »Realos« Stimmen laut geworden, die eben gerade diese Auffassung kritisierten. Eines der prominentesten Beispiele ist sicherlich Daniel CohnBendit.128 Dieser gehörte zu den Ikonen der Grünen. Der Sohn eines jüdischen Trotzkisten radikalisierte sich als Student in Paris, hatte bereits 1970 gemeinsam mit Joschka Fischer und anderen die Karl-Marx-Buchhandlung 125 126 127 128

Vgl. die zeitgenössische Kritik von Klaus Hartung: Wer will denn Bosnien retten? In: Die Zeit vom 21.8.1992. Die Grünen: Das Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990, 1990, S.  19. Siehe: Neubeck, Die Transformation der Bundeswehr, S. 76. Pressemitteilung des Bundesvorstandes, Bündnis 90/Die Grünen, Nr.: 90/94, 12.7.1994. Zu den Positionen Cohn-Bendits in Bezug auf einen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien und dessen Auseinandersetzung mit Joschka Fischer, siehe: Hockenos, Joschka Fischer and the Making of the Berlin Republic, S. 235‑237.

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in Frankfurt gegründet und gehörte in den 1970er Jahren zum RAF-nahen Umfeld.129 Erst 1984 war der erklärte »Sponti« formal den Grünen beigetreten. Während der Zeit Fischers als Hessischer Umweltminister 1985‑1987 gehörte Cohn-Bendit zu dessen engsten Politikberatern. Anschließend widmete er sich auf kommunaler Ebene der Ausländerfrage in Frankfurt, bevor er 1994 in das Europaparlament gewählt wurde.130 Im Juni 1993 schrieb Cohn-Bendit:

»Wir, eine Generation, die im Namen einer solidarischen Utopie die Generation unserer Eltern für ihr politisches Versagen so verachtet hat, schauen hilflos, machtlos und scheinheilig zu, wie die bosnischen Muslime vertrieben werden. Nun stehen wir genauso nackt vor dem ›Urteil der Geschichte‹. [...] nach dem Versagen der europäischen Politik in Sarajevo, Tuzla und Goražde weiß ich nicht mehr, was uns legitimiert, im Namen einer menschlichen Solidarität weiterhin politisch tätig zu sein. Wir sind doch diese politischen Hampelmänner, die nichts, aber auch gar nichts durchsetzen können! [...] Manchmal gibt es etwas Wichtigeres zu verteidigen als die Illusion vom Frieden, nämlich das Überleben von Menschen. Dazu waren wir zu feige.«131

Während sich Cohn-Bendit speziell mit den bosnischen Opfern solidarisierte und Parallelen zur ausbleibenden Bombardierung der NS-Vernichtungslager durch die Alliierten zog, konzentrierten sich weite Teile der Grünen – auch Fischer – auf theoretische Fragen des Friedens. So etwa Exponenten der Friedensbewegung wie der damalige Grünen-Politiker und spätere (1999) Bundessprecher der »Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen«, Jürgen Grässlin, der noch lange der Bundesregierung nicht nur »Salamitaktik«, sondern auch eine »zielstrebig und unter Täuschung der Öffentlichkeit« betriebene Umgründung der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Kampftruppe« vorwarf.132 Das unter anderem auch von Fischer im Jahr 1994 gebrauchte Wort der »Salamitaktik« hielt sich noch lange in der politischen Debatte um den Einsatz der Bundeswehr. So äußerte der PDS-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi angesichts der Diskussion um einen Einsatz im Kosovo noch im Oktober 1998 wie folgt:

»Die PDS war immer gegen den internationalen Einsatz der Bundeswehr – aus politischen, moralischen, aber auch aus vielen historischen Gründen. Das war lange Zeit auch überwiegend Auffassung in der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen. Herr Fischer hat in der Zeitschrift ›Die Woche‹ vom 30. Dezember 1994 folgendes ausgeführt. Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, dass die Bundesregierung, Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen oder Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber den militärischen Optionen der Außenpolitik des vereinigten Deutschland noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und die

129 130 131 132

Stamer, Cohn-Bendit. Die Biografie, S. 167. Ditfurth, Das waren die Grünen, S. 118‑121. Daniel Cohn-Bendit, Versager aller Länder verteidigt Euch! In: taz, 24.6.1993, S. 10. Grässlin, Lizenz zum Töten? Jürgen Grässlin trat 1999 im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz im Kosovo aus Protest aus seiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen, aus. Klaus Naumann, Salamitaktik. In: Die Zeit, 11.1.1997.

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Humanitätsfrage. So das Zitat von Joseph Fischer. – Ich bin der Meinung, es hat eine entsprechende Entwicklung stattgefunden.«133

Dieser (spätere) Vorwurf an Fischer war aus Warte der PDS insofern gerechtfertigt, als sich bei den realpolitisch orientierten Kräften der Grünen im Laufe des ersten Halbjahres angesichts der Ereignisse in Bosnien-Herzegowina ein zuvor kaum vorstellbares Umdenken feststellen lässt – in den Augen der PDS oder auch radikaler Anhänger der Friedensbewegung musste dies wie Verrat an der eigenen Sache erscheinen. Es sollte allerdings bis nach dem Fall von Žepa und Srebrenica dauern, bis Fischer seine Partei in einer gewissen Analogie zu Scharpings gescheitertem Vorpreschen innerhalb der SPD etwa ein halbes Jahr zuvor direkt ansprach:

»Die Mehrheit in Partei und Fraktion hat sich bisher nachdrücklich für das UN-Embargo, für humanitäre Hilfe und für die Aufrechterhaltung des Blauhelmeinsatzes ausgesprochen. Wir waren gegen eine Beteiligung Deutschlands mit Kampfverbänden in Bosnien, weil wir, bedingt durch das Wüten der deutschen Wehrmacht im ehemaligen Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs, dadurch eine Verschärfung des Konflikts und nicht seine Dämpfung befürchten. Aber auch uns wird angesichts des Scheiterns der bisherigen Friedensmission der UN-Blauhelme in Bosnien ein erneutes und sehr grundsätzliches Nachdenken nicht erspart bleiben. [...] Ich bin, nach Abwägung aller hier vorgetragenen Argumente der Meinung, dass ein Abzug ein Anheizen des Krieges bedeuten wird und es demnach zu einer militärischen Garantie der UN-Schutzzonen nur schlimmere Alternativen gibt. Freilich, ein solcher Schritt bringt weder die politische Lösung noch gar eine substantielle Besserung der Verhältnisse in Bosnien, wohl aber den möglichen Schutz und das Überleben der betroffenen Zivilbevölkerung in den Schutzzonen. Und dies ist angesichts der Barbarei nicht wenig.«134

Fischer hatte sich damit an die Position seines alten Weggefährten und »spin doctors« Cohn-Bendit angenähert. Trotz dieses auch heute noch eindrucksvollen Wandels ist das Abstimmungsergebnis im Bundestag zur Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik vor dem SFOR-Einsatz in all seinen Widersprüchen bemerkenswert. Während das Abstimmungsverhalten innerhalb der historisch für die (auch militärische) bundesdeutsche Westintegration stehenden Parteien CSU, CDU und FDP – und mit umgekehrten Vorzeichen auch der SED-Nachfolgepartei PDS – durchaus als folgerichtige Entwicklung der Parteipositionen aus der der Wiedervereinigung vorangegangenen Zeit verstanden werden kann, gestaltete sich der Wandel bei Teilen der SPD, aber vor allem bei den Grünen als besonders schwierig: Die in ihrer Gründungsgeschichte stark mit der »Friedensbewegung« verbundene Partei verfügte über eine in der Tradition der radikalen »Friedensbewegung« verhaftete, alles Militärische fundamental ablehnende und eine pragmatischere Linie. In der pragmatischen Linie 133 134

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998, S. 23 146. Joschka Fischer, Wir müssen für den Schutz der UN-Schutzzonen sein. In: Die Welt, 3.8.1995.

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zeigte die Einsicht, dass das sicherheitspolitische Umfeld der 1990er Jahre nicht mit den dogmatischen Instrumenten der – trotz allem in ihrer gefährlichen Utopie unter dem Schutz des atomaren Schirmes der NATO gesicherten – fundamentalen Opposition aus Zeiten des Kalten Krieges zu meistern war.135 Als bezeichnend ist das Abstimmungsverhalten im Fall von UNTAES, also der United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium. Dieser UN-Einsatz verlief parallel zum IFOREinsatz. Der NATO-Rat beschloss Unterstützungsleistungen für UNTAES am 26.  Januar 1996. Entsprechend sah das Bundeskabinett am 7.  Februar 1996 vor, »mit den im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe für BosnienHerzegowina (IFOR) eingesetzten ECR- und Aufklärungs-Tornado auf Anforderung zur Verteidigung von UNTAES [...] durch Luftnahunterstützung beizutragen und einen Notfallabzug von UNTAES zu unterstützen«. Am 20.  Mai 1996 war der militärische Teil von UNTAES voll aufgestellt und einsatzbereit vor Ort. In Deutschland aber war der »Stand-by-Einsatz« von 14  Tornados zum Schutz von UNTAES umstritten: Die Gruppe der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) unter dem Vorsitz von Gregor Gysi sah hierin »eine weitere Militarisierung der Außenpolitik«. Im Antrag »Kein Einsatz der Bundeswehr in Ost-Slawonien« hieß es weiter: »Die Überwachung von Friedensvereinbarungen ist Angelegenheit der Vereinten Nationen, keinesfalls Aufgabe der NATO. Es ist weder jetzt noch in Zukunft wünschenswert oder erforderlich, einem Militärpakt solche Aufgaben zu übertragen. Der Einsatz deutscher Soldaten auf dem Balkan ist schon allein aus historischen Gründen abzulehnen. Er könnte die Gefahr einer Eskalation in dem extrem spannungsreichen Gebiet Ost-Slawonien hervorrufen, wenn es dort zu Kampfhandlungen unter deutscher Beteiligung kommt. Zumindest aber würde ein solcher Einsatz ein weiteres Konfliktpotential einführen.«136

Der Bundesverteidigungsausschuss empfahl den Antrag der Bundesregierung »mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS« anzunehmen und den Antrag der PDS »gegen die Stimmen der antragstellenden Gruppe bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen« abzulehnen, was auch so geschah.137 Die Einwände der PDS und auch der Grünen sind aus der historischen Retrospektive nur schwer nachzuvollziehen. Begründet waren sie vor allem in einer historisch gewachsenen, teilweise aus der Friedensbewegung, teilweise aus der DDR-Ideologie herrührenden tiefen grundsätzlichen Ablehnung der NATO und einer Angst vor »Militarisierung der Außenpolitik«. Dennoch verwundert diese Haltung angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der UNTAES-Soldaten, die es zu 135

136 137

Zeitgenössisch zum Selbstverständnis der Grünen: Schnieder, Von der sozialen Bewegung zur Institution: Die Entstehung der Partei Die Grünen, Münster 1998. Aus politikwissenschaftlicher Sicht: Probst, Bündnis 90/Die Grünen (Grüne). Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3693 vom 6.2.1996. Ebd., Drucksache 13/3730 vom 7.2.1996.

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schützen galt, aus Russland kamen und somit die NATO hier keineswegs in einer Frontstellung nach Art des Kalten Krieges stand, sondern im Gegenteil das Ende des Ost-West-Gegensatzes in Ost-Slawonien mit der Unterstellung von russischen UN-Soldaten unter einen amerikanischen General eine neue Dimension erreichte. Merkwürdig ist daher auch das Argument, dass ein Einsatz auf dem Balkan »schon aus historischen Gründen« – also wegen der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges – abzulehnen sei. Die Grünen waren also – anders als die SPD – nach wie vor nicht bereit, einer NATOLuftunterstützung für die Blauhelmtruppe der UNTAES zuzustimmen. Insofern erscheint der Vorschlag der Grünen in der Debatte um SFOR, den Stabilisierungseinsatz in Bosnien-Herzegowina bald wieder in die Hände der UN zu legen, merkwürdig halbherzig. Noch ein Jahr zuvor war UNTAES keine Luftunterstützung wert gewesen. Die Forderung nach den UN kontrastierte auch mit den Einsichten, die der Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik der Grünen, Winfried Nachtwei, von seiner ersten Balkanreise mitgebracht hatte. Er sollte als Abgeordneter dennoch diesen Antrag seiner Partei unterstützen und – im Gegensatz etwa zu Fischer, der sich enthielt – gegen den SFOREinsatz stimmen. Das Grünen-Gründungsmitglied Nachtwei, Leutnant der Reserve und seit den 1980er Jahre eng mit der »Friedensbewegung« verbunden, hatte erst einen Monat vor der Abstimmung über den SFOR-Einsatz im Bundestag einen noch heute lesenswerten Text mit dem Titel »Konfrontation mit der Kriegswirklichkeit« verfasst. In diesem recht persönlich gehaltenen und primär an seine Partei gerichteten Bericht teilte er seine auf einer fünftägigen Informationsreise der Vorstände von Bundestagsfraktion und Partei von Bündnis 90/Die Grünen gewonnenen Eindrücke mit. In einem eng gedrängten Programm hatten im Oktober 1996 Nachtwei, Fischer und andere maßgebliche Grünen-Politiker Zagreb, Split, Trogir (den Stationierungsort des deutschen IFOR-Kontingents) sowie in Bosnien-Herzegowina die Städte Sarajevo, Mostar, Banja Luka und Tuzla besucht. Nachtwei folgerte:

»Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der UN ist am Boden. Das frühere Versagen der ›internationalen Gemeinschaft‹ wird – so verkürzt das auch ist – ihr zugeschoben. Außerdem verfügt die UN nicht über die notwendige Kommandostruktur. Im Moment würde von einer autoritätslosen UN-Truppe, die gegen den Willen vor allem der Bosniaken zum Einsatz käme, keine abhaltende, sondern höchstwahrscheinlich eine destabilisierende Wirkung ausgehen.«138

Im Abstimmungsverhalten der Abgeordneten Nachtwei und Fischer zum SFOR-Einsatz spiegelten sich die politischen Konsequenzen der Reise nur bedingt wieder. Fischer enthielt sich wie oben geschildert, Nachtwei aber stimmte gegen den Einsatz. Die Abgeordnete Angelika Beer, seit 1994 verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sprach

138

Konfrontation mit der Kriegswirklichkeit: Bosnien-Reise der Vorstände von Bundestagsfraktion und Partei von Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 1996.

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sogar von der zukünftigen SFOR-Mission verächtlich als »verschärftem Kampfeinsatz«.139 Wichtig erscheint aber bei Nachtwei und Fischer trotz dieses Abstimmungsverhaltens die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, und nicht, wie etwa die SPD-Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul und Oskar Lafontaine oder Gregor Gysi von der PDS, auch später noch starr an ihren Fehleinschätzungen festzuhalten.140 In seinem bereits zitierten offenen Brief von Oktober 1996 schrieb Nachtwei:

»Am Hang über Sarajewo und beim Bischof von Banja Luka, dem großen Humanisten, fühle ich es am eindringlichsten: die Scham darüber, wie unzureichend unsere Solidarität, die Solidarität Europas mit den Angegriffenen gewesen war [...] Gegenüber den Überlebenden wagt es kaum jemand, bündnisgrüne Einwände gegen die NATO- und Bundeswehr-Einsätze aus den letzten Jahren zur Sprache zu bringen.«141

g) Der Balkaneinsatzdiskurs zwischen »Bonner« und »Berliner Republik«? Die hier untersuchten innerdeutschen Diskurse um die Frage der Balkaneinsätze der Bundeswehr sind auf den ersten Blick nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Dennoch sei eine zusammenfassende Erklärung versucht: Als archimedischer Punkt des ganzen Diskurses ist die deutsche Geschichte, speziell die Frage nach den richtigen Lehren aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur auszumachen. Hinzu kamen Elemente, welche auf die hitzig geführte Kontroverse um den NATO-Doppelbeschluss der 1980er Jahre zurückgingen. Diese hatten sich aber über die maßgeblichen Stationen der »Kein-Krieg-für-Öl«-Bewegung und dem weitestgehend mit diesem zusammenhängenden »Soldaten-sind-Mörder«-Streit weiterentwickelt. Die hierdurch entstandene Konstellation bildete vorerst die Grundlage für nahezu jede Diskussion mit Bundeswehrbezug. Der »Balkan-Einsatz« stand daher kaum allein zur Diskussion, sondern stets in diesem größeren Rahmen. Auseinandersetzungen über einen BalkanEinsatz der Bundeswehr befassten sich mit »Einsatz« oder auch mit »Bundeswehr«, jedoch nur wenig mit »Balkan«. Eine mögliche Erklärung hierfür bildet die – Anfang der 1990er Jahre noch – geringe Balkankompetenz der Diskutanten. So konnten rasch Presseorgane mit solcher Kompetenz, wie etwa die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« oder die »taz«, die Meinungsführerschaft übernehmen. 139 140

141

Bundestag, Plenarprotokoll 13/149 vom 13.12.1996, Tagesordnungspunkt 14. Vgl. die Selbststilisierungen Lafontaines und Wieczorek-Zeuls in ihren autobiografischen Darstellungen: Lafontaine, Das Herz schlägt links; Wieczorek-Zeul, Gerechtigkeit und Frieden sind Geschwister. Konfrontation mit der Kriegswirklichkeit: Bosnien-Reise der Vorstände von Bundestagsfraktion und Partei von Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 1996.

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Die Meinungsverschiedenheiten zeigten sich damit nicht zwischen politischen Grundrichtungen, sondern eher zwischen Spezialisten und Generalisten. Eine andere Erklärung ist struktureller Natur: Der NATO-Militäreinsatz im ehemaligen Jugoslawien wurde auf der supranationalen Ebene geplant und durchgeführt. Die Frage, ob Deutschland hierbei ein Kontingent stellen dürfe bzw. solle oder nicht, ließ wenig Gestaltungsspielraum für Sachdiskussionen jenseits der Ebene der Fachexperten. Somit beschränkte sich der Diskurs eher holzschnittartig auf die Alternativen Teilnahme oder Verweigerung. Folglich standen Fragen nach der sich entwickelnden deutschen »strategischen Identität«142 im Vordergrund. Für diese hat der Politikwissenschaftler Håkon Lunde Saxi die Kategorien strategische Kultur, geopolitische Lage und Führungskultur eingeführt.143 Die Inhalte dieser Kategorien befanden sich im Deutschland der ersten Hälfte der 1990er Jahre im Fluss. Die geopolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland hatte sich durch die Deutsche Einheit und den Zusammenbruch des Akteurs Sowjetunion im bipolaren Mächtekonflikt in revolutionärer Weise verändert. Mangels fehlender staatlicher Souveränität speziell im militärischen Bereich war eine nationale strategische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland kaum ausgeprägt. Strategische Entscheidungen wurden im Bündnis getroffen – ein Garant für weitestgehende Mitbestimmung war in der Bonner Republik die unbedingte Loyalität zur Westbindung gewesen. Ob dies in der Berliner Republik noch genauso sein würde, stand keineswegs fest. Im Kern ging es in der Diskussion um die Balkan-Einsätze stets auch um diese Frage. Die Regierung Kohl hatte sich hierzu bereits im Zuge der Wiedervereinigung mittels des unbedingten Festhaltens an der NATO-Mitgliedschaft und deren gesamtdeutscher Übertragung positioniert. Die »Kohl-Doktrin« zielte in erster Linie darauf, nicht in die sich durch die Deutsche Einheit ergebende »geopolitische Falle« eines deutschen »Sonderwegs« oder einer »Schaukelpolitik« zu tappen. Insofern war der Balkan-Einsatz nie Strategie, sondern lediglich eine Operation im Rahmen der seit Adenauer bestehenden deutschen »grand strategy« der Westbindung. Hinsichtlich der politischen Führungskultur fällt auf, dass auf dem politischen Wege der Legislative eine Verfassungsänderung aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht möglich war – so gab es keine umfangreiche Verfassungsdiskussion, sondern lediglich exekutives Regierungshandeln, welches wiederum durch die Opposition hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit angezweifelt wurde. Verfassungsmäßigkeit ist aber letztlich keine Kategorie, über die diskutiert werden kann – sie war durch die Judikative zu klären. Die wesentlichen Ergebnisse der Debatten um »out-of-area«, aber auch um die gesellschaftliche Stellung des Militärs im vereinigten Deutschland erfolgten keineswegs idealtypisch durch Diskussion, Überzeugung und Kompromiss, 142 143

Zum Modell der strategischen Identität siehe: Keßelring, Finnland und Schweden, S. 99‑110. Grundlegend nach wie vor: Katzenstein, The Culture of National Security. Saxi, Norwegian and Danish defence policy (=  Defence and Security Studies 1/2010), S. 9 f.

5. Die innenpolitische Diskussion um die Balkaneinsätze

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sondern durch verfassungsrichterlichen Beschluss. Erst ein solcher zwang die sich im »Deadlock« befindliche Legislative wieder zum Handeln. Eine interessante Frage ist, ob die relative Einseitigkeit des medialen Diskurses – idealtypisch als »vierte Gewalt« bezeichnet – mit der Paralyse der Legislative in einer Wechselwirkung gestanden hat. Auf alle Fälle wurden die Balkaneinsätze weit weniger durch die das ganze wahlberechtigte Volk betreffende aktive demokratische Mechanismen als durch eine Wechselwirkung von schwacher medialer Abdeckung, totalverweigernder Opposition und gleichzeitigem Zusammenwirken zwischen Regierung und Verfassungsgericht vollzogen. Erst der Meinungsumschwung bei den Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen gab den parlamentarischen Kräften ihre Gestaltungsfähigkeit zurück. Von daher waren die innerparteilichen Diskurse bei diesen Oppositionsparteien für die weitere Entwicklung weit relevanter als die Meinungsbildung bei den Bürgern im gesamten politischen Spektrum. Zugespitzt formuliert galt es nicht, »das deutsche Volk« von der Richtigkeit der Balkaneinsätze der Bundeswehr zu überzeugen, sondern eine prozentuale Minderheit desselben: die potentiellen Wähler der SPD und der Bündnisgrünen. Dies erklärt, wieso die Diskussion sich stark an den Diskussionsmustern dieser Wählergruppen orientierte. Nicht zuletzt deswegen kam einsatzbefürwortenden Stimmen von dem linken Spektrum zuzuordnenden Intellektuellen oder Künstlern eine besondere Wirkmächtigkeit zu. Biermann, Joffe, Duve oder Cohn-Bendit gehörten zu den wenigen Meinungsführern im linken Parteispektrum, denen man nur schwerlich überzeugend mit dem Gegenargument kommen konnte, sie würden für eine militaristische Aggressionspolitik nach Art des »Dritten  Reiches« sprechen. Das »Pazifismus-Argument« Geißlers hatte in den 1980er Jahren noch für Empörung gesorgt – das in die gleiche Kerbe schlagende »Scham-Argument« Cohn-Bendits der 1990er Jahre scheint letztlich in den eigenen Reihen überzeugt zu haben. So war der Diskurs um den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan in Wahrheit viel mehr ein Diskurs um die strategische Identität der sich findenden Berliner Republik. Aus heutiger Sicht scheint dieser Prozess keineswegs abgeschlossen.

6. Ausblick – Kosovo und Mazedonien Eine geschichtliche Betrachtung der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan wäre ohne die Ereignisse im Kosovo, in Mazedonien und Albanien unvollständig. Auch wenn in vorliegendem Band der Schwerpunkt bewusst auf die UNPROFOR, IFOR und SFOR-Einsätze gelegt wurde, soll daher ein Ausblick auf die Einsätze in diesen Gebieten gegeben werden. Der seit dem Jahr 1999 andauernde KFOR-Einsatz ist bis heute nicht abgeschlossen. Der SFOR-Einsatz der NATO begann bereits 1998 angesichts der Entwicklungen im Kosovo aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt zu werden. Der ethnisch-territoriale Konflikt im Kosovo war allerdings 1998 alles andere als eine neue Entwicklung – vielmehr kann festgehalten werden, dass der Aufstieg Miloševićs und der Beginn der Auflösung Jugoslawiens bereits stark durch den Kosovo-Konflikt geprägt waren. Wie bereits zu Beginn dieser Studie ausgeführt, war mit der »antibürokratischen Revolution« Miloševićs im Jahr 1989 der Autonomiestatus der Provinzen Vojvodina und Kosovo gefallen. Nicht zuletzt hatte es eine direkte Verbindung zwischen diesem Verfassungsbruch Miloševićs im Kosovo und dem Entschluss Sloweniens zur Unabhängigkeit gegeben. Wenn auch der Kosovokonflikt am Anfang der jugoslawischen Desintegration gestanden hatte und eine starke Interdependenz zwischen der Wirkung der Kriege in der Krajina und Bosnien-Herzegowina einerseits und dem durch die Erfahrungen aus dem passiv gehaltenen Widerstand Rugovas im Kosovo andererseits bestanden hatte, so sind doch die Ursachen für den Krieg im Kosovo anderer Natur als diejenigen in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina.

a) Der Kosovo-Konflikt als 125 Jahre andauernde Rivalität Der Kosovo-Konflikt von 1998 ist nur in seiner historischen Dimension als etwa 125 Jahre andauernde »enduring rivalry« zu verstehen.1 Die »albanische Frage« war darüber hinaus seit Ende des 19.  Jahrhunderts ein Resultat der Geschehnisse in der Region und beeinflusste die Geschichte dort. Die serbisch-albanische »enduring rivalry« unterscheidet sich nicht zuletzt auch deswegen grundlegend von derjenigen zwischen Kroaten und Serben, da letztere eher als eine – im Zweiten Weltkrieg eskalierte – Folge der Zerschlagung des Habsburgerreiches im Ersten Weltkrieg zu verstehen ist. Der kroatischserbische Konflikt ist also eher ein Phänomen des 20.  Jahrhunderts; der 1

Clewing, Zur Kontinuität des Kosovo-Konflikts, S. 112‑123.

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II. Krieg und Friedensoperationen

serbisch-albanische Konflikt aber ein Erbe der Nationalstaatswerdung im späteren 19. Jahrhundert.2 Der ethnisch-territoriale Konflikt um das Kosovo geht nicht – wie das die serbische Propaganda seit 1987 glaubhaft zu machen versuchte – auf die erste Schlacht auf dem Amselfeld (1389) und auch nicht auf die, für die endgültige Eroberung des Balkans durch die Osmanen bedeutsamere, zweite Amselfeldschlacht von 1448 zurück. Sehr wohl steht er aber in direktem Zusammenhang mit der Unabhängigkeit Serbiens von 1878 und den zeitgleichen Gewaltereignissen im Rahmen einer Neuordnung des Balkans aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches. Im Vilajet (osmanische Provinz) Kosovo – dessen Ausdehnung weit über das heutige Kosovo hinausging – hatten katholische und muslimische Albaner sowie orthodoxe Serben weitestgehend friedlich zusammengelebt. Ein albanisch-slawischer Antagonismus ist erst ab 1875 in den Quellen historisch greifbar.3 Das interethnische und interreligiöse Zusammenleben im Kosovo verschlechterte sich erst als Folge der Aufstände im nördlichen Osmanischen Reich, speziell in der südlichen Herzegowina. Als »game changer« ist die Kriegserklärung Serbiens und Montenegros an das Osmanische Reich im Jahr 1876 zu sehen. Sie machte das Kosovo bald zum frontnahen Hinterland eines blutigen Konflikts. Folgen waren Überfälle muslimischer Gruppen auf albanische katholische und serbische orthodoxe Christen. Diese waren offenbar auf durch die Aufstände in der Herzegowina geschürte Ängste vor christlichen Aufständen im Rücken der eigenen Kräfte zurückzuführen. So wüteten in Prizren etwa 6000 Baçibozuks, irreguläre osmanische Truppen aus anderen Reichsteilen, gegen die lokale christliche Bevölkerung. Sie schikanierten und mordeten sowohl katholische albanische, als auch orthodoxe serbische Personen, da diese Christen als eine Art »Fünfte Kolonne« Serbiens bzw. Russlands gesehen wurden. Die regulären Osmanischen Truppen waren zeitgleich im Konflikt mit Russland gebunden. Kosovoalbaner wurden daher in irreguläre Truppen gepresst und ohne Artillerieunterstützung ins serbische Feuer geschickt.4 Das albanische »nationale Erwachen« (Rilindja), das seinen Anfangspunkt in der »Liga von Prizren« (1878) genommen hatte (auch wenn später die Ereignisse mythisch überhöht worden sind), ist nicht zuletzt auf diese Gewalterfahrungen im Osmanischen Reich zurückzuführen.5 Einen wesentlichen Faktor stellte dabei die zunehmende Albanisierung des Kosovo in dieser Zeit dar: Eine erzwungene Abwanderung von etwa 80  000 ursprünglich in der osmanischen Provinz Niš beheimateten muslimischen Albanern aus dem jungen Königreich Serbien fand in das Osmanische Reich und speziell in das Kosovo statt. Etwa 50 000 Albaner aus dem ehemaligen Sancak Niš suchten eine neue Heimat im Kosovo-Gebiet. Im Gegenzug verließen etwa 60 000 Serben teils unter Druck der Osmanischen Behörden und teils auf Anreiz des Königreichs 2 3 4 5

Keßelring, Zum Wesen der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, S. 28‑30. Frantz, Gewalt und Koexistenz, S. 298. Ebd., S. 308‑354. Keßelring, Die Anfänge der albanischen Nationalbewegung, S. 46 f. Zur Mystifizierung der Liga von Prizren, Hoxhaj, Mythen und Erinnerungen.

6. Ausblick – Kosovo und Mazedonien

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Serbien das Kosovo.6 Die Nationalitätswerdung Serbiens wirkte sich somit direkt auf diejenige der Albaner im Kosovo aus: Zum einen entdeckten die Albaner, die sich vorher eher religiös oder nach Berufsgruppen definiert hatten, dass es eine albanische Nation als politische Forderung geben konnte. Zum anderen erlebten sie, dass das Osmanische Reich in den Wirren der Zeit der serbischen Unabhängigkeit die christlichen Albaner mit Mistrauen behandelte, aber auch den muslimischen Albanern keinen Schutz zu bieten im Stande war. Die Aufstände von Prizren (1880, 1885), Prishtina7 (1885) und Pejë (1881, 1905) stellen in der Folge wichtige Wegmarken hin zur konkreten Ausgestaltung einer eigenen albanischen nationalen Identität dar.8 Diese konkurrierte nicht zuletzt stets mit den religiösen Identitäten. Im Gegensatz zu den serbischen, kroatischen und bosnischen Identitäten, die jeweils an eine spezifische Religion oder Konfession gekoppelt waren, bedingte gerade der Umstand, dass katholische Albaner mit muslimischen Albanern konkurrierten, dass die Albaner gemeinhin als »verspätete Nation« gesehen werden.9 Später, im Jahr 1912, waren es die zahlreichen bewaffneten albanischen Aufstände im heutigen Kosovo und Mazedonien – in Prishtina, Mitrovicë, Vuçitërn, Ferizaj und Skopje – die dazu führten, dass dieses Gebiet im Osmanischen Reich einen Autonomiestatus erhielt. Der Einmarsch königlich serbischer Truppen im Jahr 1912 wiederum verhinderte zwar, dass das Kosovo Albanien zugeschlagen wurde, nicht aber das Fortleben einer starken nationalalbanischen Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 75  Prozent der Einwohner des Kosovo Albaner.10 Die europäischen Großmächte legten die albanisch-serbische Grenze nicht nach ethnischen oder nationalen Kriterien, sondern nach den realpolitischen Gesichtspunkten der faktisch ausgeübten militärischen Macht fest.11 Es lag sicherlich im geopolitischen Interesse Italiens und Österreich-Ungarns, Serbien und damit Russland den Zugang zum Mittelmeer durch Albanien zu verwehren; ein Interesse an der Bevölkerung des Kosovo schien es dagegen ebenso wenig gegeben zu haben, wie es wichtig erschien, ein Kräftegleichgewicht der aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches entstandenen Staaten herzustellen. Die Serben hatten sich so aber als die Totengräber einer albanischen Autonomie im Osmanischen Reich oder einer national definierten Selbstständigkeit als Teil Albaniens erwiesen. Die extrem nationalistische Innenpolitik des jungen Königreichs Serbien aber tat wenig, um der Mehrheitsbevölkerung des annektierten Kosovo die neue Herrschaft attraktiv zu machen. 6 7

8 9 10 11

Clewing, Bevölkerungsentwicklung und Siedlungspolitik, S. 19 f. Die in diesem Kapitel auftretenden Orte werden in ihrer albanischen Form verwendet. Also bspw.: Prishtina statt Priština, Ferizaj statt Uroševac, Pejë statt Peć. Dies entspricht der Bevölkerungsmehrheit der seit 2008 unabhängigen ehemaligen serbischen Provinz. Judah, Kosovo, S. 16 f. Hoxhaj, Mythen und Erinnerungen. Clewing, Bevölkerungsentwicklung und Siedlungspolitik, S. 20. Malcolm, Kosovo, S. 256 f.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Die sich rasch heranbildende, nun nicht mehr anti-osmanische, sondern anti-serbische bewaffnete albanische Kaçak-Bewegung wurde blutig seitens des serbischen Militärs unterdrückt. Während die Überlieferung der albanischen Opferzahlen zwischen mehreren Tausend und 20  000 Toten variiert, kann gesichert von rund 100 000 albanischen Flüchtlingen aus dem Kosovo ausgegangen werden.12 Berühmte Anführer der Kaçak-Bewegung kamen aus den Gebieten um Mitrovicë und aus der Drenica-Region. Die südlich von Mitrovicë und westlich von Prishtina gelegene Drenica-Region besteht aus etwa 100 Dörfern, die sich um die Städte Drenas (serb. Glogovac) und Skënderaj (serb. Srbica) gruppieren. Nicht zuletzt aufgrund seiner topografisch bedingten schweren Zugänglichkeit entwickelte sich das Drenica-Gebiet zu einem der zähesten Widerstandsgebiete. Im Ersten Weltkrieg unterbrach der Einmarsch der Mittelmächte im Kosovo den Kampf der Kaçak gegen die Serbenherrschaft, doch formierte sich nach den Hungersnöten von 1916 und 1917 erneut bewaffneter Widerstand. Diesmal gegen die bulgarische Fremdherrschaft. Als 1918 nach dem Ersten Weltkrieg das Kosovo-Gebiet erneut an Serbien gefallen war, entflammten ausgehend von Pejë erneut KaçakAufstände. Es sollte bis 1927 dauern, bis diese durch das serbische Militär gewaltsam unterdrückt werden konnten. Die angewendete Taktik bestand in der Zerstörung rebellischer Kaçak-Dörfer durch Artilleriebeschuss.13 Erst die Zerschlagung Jugoslawiens durch die Achsenmächte im Jahr 1941 sollte zu einer Umkehrung der Machtverhältnisse im Kosovo führen. Dieses wurde mit Teilen Westalbaniens und Montenegros – also Gebieten des ehemaligen Vilajets Kosovo mit albanischer Mehrheitsbevölkerung – an das italienisch dominierte Albanien angeschlossen. Während in dieser Zeit etwa 20  000 Serben vertrieben wurden, entstand erstmals eine eigene albanische Gendarmerie sowie albanischsprachige Schulen. Nicht unähnlich der Erfahrung etwa bosnischer Kroaten erlebte das Kosovo im Zweiten Weltkrieg erstmals die Möglichkeit nationaler kultureller Eigenständigkeit. Der Zweite Weltkrieg und auch der italienische Faschismus wurden damit grundlegend anders erlebt als etwa in den serbischen Kerngebieten oder gar durch die Serben in Kroatien. Diese Erfahrung »lehrte« – trotz aller mit Krieg und dem faschistischen bzw. nationalsozialistischen Regime verbundenen Leiden –, dass Eigenständigkeit erstrebenswert und grundsätzlich möglich sei. Nach dem Abzug der deutschen Truppen im Jahr 1944 kam es zwischen vorrückenden serbisch-montenegrinischen und lokalen kosovoalbanischen Partisanenverbänden zu heftigen Kämpfen.14 Bis in die 1950er Jahre sollten sich vor allem im Drenica-Gebiet noch ehemalige albanische Angehörige der 21.  Gebirgsdivision der Waffen-SS »Skanderbeg« sowie Angehörige 12 13 14

Clewing, Facetten des Kosovo-Konflikts; Banac, Was the Albanian opposition to the Serb Kingdom’s annexation in 1912 without justification? Malcolm, Kosovo, S. 258. Siehe zu diesem Kontext auch: Kola, The Search of a Greater Albania. Pichler, Serben und Albaner, S. 65‑67.

6. Ausblick – Kosovo und Mazedonien

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des Jashari-Clans Kämpfe mit der serbischen Geheimpolizei liefern.15 Die Erinnerung an diese gewaltbestimmten Zeiten blieben in der ruralen Gesellschaft des Kosovo durch mündliche Überlieferung wach und fanden ihren Weg auch in die Städte; sie fanden aber kaum Eingang in die offizielle Geschichtsschreibung des einseitig auf die Befreiung durch kommunistische Partisanen fixierten Jugoslawiens. Das Kosovo blieb auch in der Nachkriegszeit unter Tito eine verarmte Unruheprovinz: 1968 wurden Demonstrationen, in denen für das Kosovo der Status einer jugoslawischen (Teil-)Republik gefordert wurde, mit massiver Polizeigewalt unterdrückt. Gleichzeitig wurde versucht, durch Zugeständnisse, wie die Anerkennung einer kosovoalbanischen »ethnischen« Fahne (1968) und die Gründung der Universität in Prishtina (1970) mit den Lehrsprachen Albanisch und Serbisch, die Lage zu entschärfen. In diesem Zusammenhang war die Perspektive der (Teil-)Republik Serbien eine andere als die des jugoslawischen Staates. Festzuhalten ist, dass bis etwa 1970, nicht zuletzt aufgrund des politischen jugoslawisch-albanischen Gegensatzes, die ethnisch albanischen Bürger Jugoslawiens kulturell deutlich benachteiligt wurden. Höhere Bildung war in Jugoslawien – dem Staat der Südslawen – bis 1970 nur auf serbo-kroatisch zu erhalten. Die Eindämmung der Macht Serbiens im jugoslawischen Gesamtstaat durch Tito in den 1970er Jahren mag ein weiterer Hintergrund für die einsetzende veränderte Kosovopolitik gewesen sein. Ab 1966 kam mit dem Fall des Chefs des militärischen Geheimdienstes UDBA, Aleksandar Rankovićs,16 Advokat eines serbisch dominierten jugoslawischen Zentralismus und einer der mächtigsten Männer in Titos Jugoslawien, langsam Veränderung in die Lage der Albaner im Kosovo. Ob die Verbesserungen im kulturellen Status der Albaner in direktem Zusammenhang mit der überproportionalen Emigration von jugoslawischen Albanern zusammenhing, müsste noch erforscht werden. Auf alle Fälle hielt auch nach 1973 die Intensität der jugoslawienalbanischen Wirtschaftsemigration im Gegensatz zu derjenigen anderer jugoslawischer Ethnien an. Auch waren die Albaner die einzige Gruppe der jugoslawischen Gastarbeiter, bei der weiterhin die Zahl der Auswanderer diejenige der Rückwanderer überstieg.17 Ab 1974 sah die neue Jugoslawische Verfassung für das Kosovo einen republikähnlichen Status vor. Hierbei handelte es sich um einen Kompromiss, dessen genaue Ausgestaltung der Zukunft überlassen bleiben sollte. Bereits 1974 kam es zu etwa 100 Festnahmen von protestierenden Studenten, die den vollen Republikstatus für das Kosovo gefordert hatten. Zwischen 1974 und 1981 wurden mindestens 618 Kosovo-Albaner wegen separatistischer oder nationalistischer Tendenzen angeklagt, von denen 89 zu Freiheitsstrafen zwischen 15 16

17

Keßelring, Vom Terroristen zum Nationalgardisten?, S. 310. Aleksandar Ranković (1909‑1983), Ranković hatte 1944 den Geheimdienst der Tito-Partisanenorganisation gegründet und war bis 1966 Chef des jugoslawischen Militärgeheimdienstes (UDBA) und Innenminister. Als Begründung für seinen Ausschluss aus der KPJ wurde angegeben, er habe Tito abgehört. Kretsi, Die Rolle der Diaspora in den 1990er Jahren, S. 160 f.

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einem und 15 Jahren verurteilt wurden. Als sich 1978 die Zusammenkunft der »Liga von Prizren« zum hundertsten Mal jährte, führte dies in Jugoslawien zu einer die kommunistischen Behörden überfordernden Kundgebung des albanischen Nationalgefühls, dass durch Zeigen von albanischen Fahnen in fast jedem Albanerdorf von Prizren im südlichen Kosovo bis Preševo im südlichen Serbien und Tetovo in Mazedonien deutlich wurde. Drei Jahre später, am 11. März 1981, zerstreute die Polizei gewaltsam Studentenproteste in Prishtina, mit schätzungsweise 20  000 Teilnehmern. Dies führte wiederum zu den teils gewaltsamen Protesten im ganzen Kosovo vom 1. und 2. April, an denen nun aber nicht nur Studenten, sondern auch Bergarbeiter, Arbeiter, Lehrer und Beamte teilnahmen. Die jugoslawischen Behörden verhängten daraufhin den Ausnahmezustand, riegelten die Provinz ab, besetzen mit Fallschirmjägereinheiten den Flugplatz von Prishtina und entsandten 30 000 Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee zur Niederschlagung der Unruhen. Im Nachhinein gab Belgrad elf Todesopfer als Folge dieser Militäraktion zu. Amnesty International berichtete von etwa 300 Toten, kosovoalbanische Quellen nennen als Zahl hingegen 1000 Tote. Aufgrund der Abriegelung des Kosovo kam es auch im albanisch bevölkerten mazedonischen Tetovo zu Demonstrationen, bei denen eine albanischsprachige Universität in Tetovo oder eine Zuordnung der mazedonischen Albanergebiete zu einer (Teil-)Republik Kosovo gefordert wurde.18 Zu dieser Zeit hielten sich 74,7 Prozent der jugoslawienalbanischen Wirtschaftsemigranten in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dahinter folgten Österreich und die Schweiz.19 Auch wenn die westliche Staatenwelt auf diese Entwicklungen kaum reagierte, waren diese unter jugoslawienalbanischen Gastarbeitern und unter Menschenrechtsorganisationen bekannt. Die Studentenproteste von 1981 sind in vielerlei Hinsicht aufschlussreich: (1) zeigte sich hier bereits die »Blaupause« der Jugoslawischen Volksarmee für das Vorgehen gegen Volksaufstände, wie es zehn Jahre später auch gegen die separatistischen Republiken Slowenien, Kroatien und zuletzt Bosnien-Herzegowina angewandt wurde, (2) wurde deutlich, dass es im Kosovo einen breiten nationalalbanischen Konsens gab, der sich nur mit massiver Gewalt unterdrücken ließ, (3) offenbarten sich die alten Verbindungen zwischen den Albanern im Tetovo-Gebiet und dem Kosovo, (4) zeigte sich bereits 1978 die Wirkmächtigkeit von national aufgeladenen Jahrestagen mythisch überhöhter historischer Ereignisse – Miloševićs »Amselfeldstrategie« des Jahres 1989 kann als ein zuvor orchestriertes »Gegen-1978« verstanden werden – und (5) waren bereits 1981 die Verbindungen der Kosovo-Albaner in den deutschen Sprachraum ein wesentlicher Faktor, dessen Wirkung auf die Ereignisse noch zu untersuchen wäre.

18 19

Mertus, How Myths and Truths Started a War, S. 29‑32. Kretsi, Die Rolle der Diaspora in den 1990er Jahren, S. 160 f.

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b) Miloševićs Unterdrückungspolitik und die Reaktionen Den Keim zum – auf diesen etwa hundertjährigen Gewalterfahrungen aufbauenden – Kosovo-Krieg von 1998/1999 legte die Aufhebung des Autonomiestatus des Kosovo am 28. März 1989 im Vorfeld der als nationalserbisches Spektakel inszenierten 500-Jahresfeier der ersten Amselfeldschlacht. Diese Politik Miloševićs ist nicht selten als von Ranković inspiriert beschrieben worden.20 Am 2. Juli 1990 rief der Professor für albanische Literaturwissenschaft, Ibrahim Rugova, die Republik Kosovo als Teilrepublik in Jugoslawien aus. Damit stand der Aufhebung der Autonomie die Forderung nach Republikstatus in Jugoslawien entgegen. Die folgende Festlegung des Serbischen als alleinige Universitätssprache im Jahr 1991 stellte eine Maßnahme Miloševićs dar, die bereits deutlich auch auf die ethnische Marginalisierung der Albaner hinwies und in engem Bezug zu den Ereignissen von 1981 stand. Sie sollte der Bewegung um Rugova die Basis entziehen. Nach den Erfahrungen von 1981 stand es jedoch außer Frage, dass die albanischen Studenten in Prishtina solche Maßnahmen nicht ohne Proteste hinnehmen würden. Es deutet daher vieles darauf hin, dass damit bewusst eine Spirale der Gewalt provoziert wurde, um einen Grund zum militärischen Einschreiten nach dem Muster von 1981 im Kosovo zu besitzen. Die folgenden Studentenproteste wurden mittels Polizeigewalt unterdrückt. Die albanischen Lehrkörper und Studenten der Universität Prishtina verlegten sich auf eine erklärte Politik der Gewaltlosigkeit. Diese war mit der Hoffnung begründet, dass die »internationale Gemeinschaft« – letztlich »der Westen« – dieses Verhalten honorieren würde. Am 19. Oktober 1991, also nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens vom 25.  Juni des Jahres, aber noch vor dem Fall Vukovars und zeitgleich mit den Carrington-Verhandlungen in Den Haag, erklärte die 1990 von Rugova ausgerufene, aber von Milošević nicht akzeptierte (Teil-)Republik Kosovo ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Entsprechend des Grundsatzes, dass nur die Unabhängigkeit ehemaliger jugoslawischer (Teil-)Republiken von den europäischen Staaten anerkannt werde, wurde das formale Ersuchen Rugovas an Lord Carrington zur Anerkennung der Souveränität des Kosovo – im Gegensatz zu den Fällen Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina – nicht angenommen. Folglich wurden auch im Sommer 1992 keine Vertreter des Kosovo als offizielle Teilnehmer der Londoner Jugoslawienkonferenz eingeladen. Der kosovarische Standpunkt war freilich, dass, da in der einstigen autonomen Provinz mit »republikähnlichem Status« die albanische Mehrheitsbevölkerung durch einen Verfassungsbruch ihrer Freiheit und der Ausübung ihrer kulturellen Bedürfnisse beraubt worden sei, die Ausrufung der (Teil-)Republik Kosovo rechtmäßig gewesen sei und deswegen der Republik Kosovo das gleiche Sezessionsrecht zustände wie etwa Slowenien. Eine Betrachtung der über 20

Zur Verbindung Milošević-Ranković, siehe: Doder/Branson/Milosevic, Portrait of a Tyrant, S. 30 f.

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II. Krieg und Friedensoperationen

hundert Jahre alten »enduring rivalry« zwischen dem serbischen Staat und den Kosovoalbanern zeigt, dass es sich bei der Entscheidung der NichtAnerkennung der Republik Kosova durch die westlichen Mächte weit weniger um eine rechtliche Entscheidung, als um eine politische gehandelt hatte. Noch weniger als an einer Desintegration Jugoslawiens war die »internationale Staatengemeinschaft« an einer Desintegration Serbiens interessiert. Mitte August 1992 startete die KSZE ihre »Langzeitmission« im Kosovo, der Vojvodina und im Sandschak – diese wurde indes im Juni 1993 durch Milošević aufgekündigt.21 Diese KSZE-Mission hatte primär den Dialog zwischen den jeweiligen Konfliktparteien in den drei Regionen fördern sollen. Daneben hatte sie Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu sammeln und Kontakte zur Lösung konkreter Probleme zu vermitteln. Ursprünglich war die KSZE-Mission auf zwölf Mitglieder im gesamten Gebiet beschränkt, später erhöhte sich die Zahl auf 20 Mitarbeiter. Im Kosovo begann die Mission in der Praxis im September 1992 mit Büros in Prishtina, Pejë und Prizren.22 Diese »Langzeitmission« im Kosovo war nur etwa neun Monate aktiv – ihre potentielle Effektivität belegt dennoch nicht zuletzt die Weigerung Serbiens, diese Mission fortzuführen. In der Folge verfügte die »internationale Gemeinschaft« im Kosovo über keine »Augen« mehr. Das Kosovo-Problem verblasste hinter den grausamen Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina und wurde in Dayton nicht einmal zum Thema gemacht. Gerade dieses verhandlungstaktische Ausklammern der Kosovo-Frage in Dayton kann aber bereits als stillschweigender Teil des Abkommens verstanden werden. Die internationale Politik über das Kosovo war von Beginn an auch mit der Krajina-Frage und später mit der Frage der RS untrennbar verbunden. Im Oktober 1991 hatte die Europäische Gemeinschaft im Carrington-Plan noch die Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo verlangt. Milošević hatte dies strikt abgelehnt.23 Auf der anderen Seite führte die Folgenlosigkeit der Politik des passiven Widerstands und der albanischen Parallelstrukturen unter den Kosovoalbanern zu starker Frustration. Daraus wiederum entwickelte sich einerseits eine starke Abwanderung der zukunftslosen jungen Generation in den Westen, andererseits kam es zu einer Radikalisierung, die letztlich in der Gründung der Kosovo Befreiungsarmee (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) mündete. Ein nicht zu unterschätzender Faktor – deren konkrete Auswirkungen und Mechanismen zukünftig zu erforschen wären – war der deutsche Beschluss nach der Konferenz von Dayton, etwa 130  000 kosovoalbanische Asylsuchende zu repatriieren.24 Es ist anzunehmen, dass der durch die Unzufriedenheit der jungen zukunftslosen Generation entstandene Druck sich vorerst in die Anstrengungen der 21 22 23 24

Krieger, The Kosovo Conflict, S. 115. SEC.GAL/27/16 18, Survey of OSCE Field Operations, [Wien] 2016, S. 50 f., . Biermann, Der Weg in Krise und Krieg, S. 75. Troebst, The Kosovo Conflict, S. 51. Siehe für die Zusammenhänge auch: Troebst, The Kosovo War.

6. Ausblick – Kosovo und Mazedonien

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Auswanderung nach Mitteleuropa entladen konnte. Das dort verdiente Geld linderte zudem die Probleme vor Ort im Kosovo. Mit der Rückkehr der jungen Generation, die die Vorzüge einer offenen und freien Gesellschaft am eigenen Leib erfahren hatte, in das Milieu serbischer staatlicher Unterdrückung unter zeitgleicher Beraubung aller persönlicher Chancen entstand eine zahlenmäßig signifikante Gruppe tatkräftiger Personen, die glaubte, nichts mehr zu verlieren zu haben. In diesem Zusammenhang ist der Befund erwähnenswert, dass der studentische Anteil innerhalb der UÇK auffallend hoch war: Der »typische UÇK-Kämpfer« – so eine Studie aus dem Jahr 1999 – war zwischen 20 und 40 Jahre alt, männlich und hatte einen höheren Schulabschluss.25 Die Südosteuropahistorikerin Georgia Kretsi26 hat darauf hingewiesen, dass einerseits die »beängstigende Perspektive« der potentiellen Rückkehr der kosovarischen Diaspora einen »entscheidenden Mobilisierungsschub« verschaffte, der einigend wirkte. Andererseits aber, dass der die kosovarische Parallelgesellschaft finanzierende und etwa 1995 in der Schweiz gegründete Verein Vedlindja Thërret (Die Heimat ruft) zwar mehrere Millionen Dollar in das Kosovo transferiert, dessen Aufruf zur Rekrutierung von Kämpfern aber in den USA lediglich zur Bildung des zahlenmäßig schwachen »Atlantic Batallion« geführt habe.27 Während die Aussage über einen »entscheidenden Mobilisierungsschub« ernsthaft geprüft werden sollte, ist der von Kretsi selbst gemachten Einschränkung weit weniger Bedeutung zuzumessen: Das »Atlantic Bataillon« bestand aus knapp 300 Freiwilligen und wurde erst im April 1999 gebildet. Zu untersuchen wäre jedoch, wie stark der Zulauf in die UÇK aus der zahlenmäßig bedeutsameren kosovoalbanischen Diaspora in Europa, speziell Deutschlands, Österreichs und der Schweiz gewesen ist. Ersten Hinweisen zufolge war dieser signifikant.28 Die englischsprachige Forschung zur UÇK beschränkt sich jedoch auf die zahlenmäßig als weit geringer anzunehmende kosovoalbanische Diaspora im anglophonen Bereich. Als die UÇK am 28. November 1997 in Llaushë, in der Nähe von Skënderaj, erstmals bei der Beerdigung eines von der (serbischen) Polizei erschossenen (albanischen) Lehrers und UÇK-Kämpfers29 öffentlich in Erscheinung trat, 25 26

27 28 29

Özerdem, From a »Terrorist Group«, S. 85. Kretsi (1972‑2009); ihr Forschungsprojekt am Osteuropa Institut der Freien Universität Berlin über Wechselbeziehung zwischen politischer Mobilisierung, Verwandtschaft und transterritorialen Lebenswelten am Beispiel der kosovoalbanischen Bevölkerung wurde aufgrund des frühen Todes der Südosteuropahistorikerin leider nicht mehr verwirklicht. Ihr mit Interesse erwarteter Vortrag »Political Mobilization of Migrants: the Case of Kosovo« auf der Konferenz (Post-)Yugoslav Migration, State of Research New Approaches and Comparative Perspectives vom 8. bis 10. Dezember 2006 in Berlin ist nicht greifbar. Er findet sich weder in den veröffentlichten Tagungsberichten noch im entsprechenden Tagungsband: Brunnbauer, Transnational Societies. Siehe zur Person: Truveta, Nekrolog zur Erinnerung an Georgia Kretsi, S. 291 f. Kretsi, Die Rolle der Diaspora in den 1990er Jahren, S. 166‑168. Keßelring, Vom Terroristen zum Nationalgardisten?, S. 309‑327. Es handelte sich um die Beerdigung von Halit Gecaj, die im Kampfkommuniqué Nr. 40 der UÇK – einer Videobotschaft – zu einer Kundgebung der Stärke der UÇK stilisiert wurde. Zeitgenössisch zur Beerdigung von Halit Gecaj, Roland Schleicher, Balkan,

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war das eingetreten, was mit der Schließung der Universität in Prishtina möglicherweise bereits beabsichtigt gewesen war: Ein gewaltsamer kosovoalbanischer Widerstand, der als Anlass wiederum das gewaltsame Vorgehen des serbischen Innenministeriums »rechtfertigte«. Die Kenntnis dieser Vorgeschichte des späteren Konflikts im Kosovo ist insofern wichtig, als sie zeigt, dass es sich – anders als häufig angenommen – beim Kosovokonflikt ursprünglich nicht um einen Bürgerkrieg verfeindeter »wütender Volksmassen«, gar beruhend auf »jahrhundertelangem Hass«, handelte. Auch waren »die Albaner« keineswegs besonders gewaltbereit. Vielmehr dauerte es nach dem Schließen der Universität Prishtina ganze sechs Jahre, bis aus der albanischen Bevölkerung in signifikanter Größenordnung mit Gewalt auf immer stärker werdende polizeiliche Gewalt- und Willkürmaßnahmen seitens des serbischen Staates geantwortet wurde. Das häufig gewählte Bild einer »Eskalation des Konfliktes« ab 1997 beschreibt daher die historischen Realitäten kaum. Im Kosovo handelte es sich weit weniger um einen ethnischen Konflikt, der eskaliert war, als um massive staatliche Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Mehrheitsbevölkerung einer Provinz. Diese Unterdrückung durch das »System Milošević« erfolgte wohl aus politischen, wirtschaftlichen und teilweise auch »ethnischen« Motiven. Die dazu lancierte Begleitpropaganda begründete die Maßnahmen in nationalchauvinistischer Manier »völkisch«. Die Verbindung zwischen den Widerstandsformen der Kaçak-Bewegung, den Protesten der 1989er Jahre und der UÇK zeigt sich exemplarisch in einer der wesentlichen Leitfiguren der UÇK, Adem Jashari. Der aus Prekaz i Poshtëm stammende Adem Jashari (1955‑1998) war der Sohn des 1924 geborenen Shaban Jashari, der bereits als militanter Kämpfer gegen die Obrigkeit gegolten hatte. Bereits 1990 hatte Adem Jashari sich gemeinsam mit Sami Lushtaku in albanischen Camps militärisch ausbilden lassen. Er stand in Verbindung mit Personen wie Xhavit Haliti30 (*1956) aus der Gegend von Pejë, die bereits in den 1980er Jahren als Teil der rasch durch den jugoslawischen Inlandsgeheimdienst zerschlagenen Haxhiu-Gruppe bewaffneten Widerstand geleistet hatten. Haliti verließ nach Freilassung aus der Haft das Kosovo bereits 1987 und galt als einer der UÇK-Führer im Schweizer Exil. Ahmet Haxhiu (1932‑1994) hatte wiederum gemeinsam mit Adem Demaçi (1936‑2018) zur Generation des frühen Widerstandes gegen Titos diktatorischer Herrschaft in Jugoslawien gehört.31 Der bekannte BürgerrechtlerSchriftsteller Demaçi hatte sein Leben in Jugoslawiens Gefängnissen zugebracht (1958‑1961, 1964‑1974 und 1985‑1990) und galt vielen als »Mandela

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»unser Jerusalem«. In: Der Spiegel 1/1998 vom 29.12.1997. Einen guten Einblick in das Milieu und die Mentalität der in Familien organisierten UÇK gibt: Pierre Hazan, Sept frères en armes. L’histoire de Gecaj témoigne de la radicalisation des Albanais. In: Libération vom 30.1.1999, zeitgenössisch zur Beerdigung von Halit Gecaj. In: Der Spiegel 1/1998 vom 29.12.1997. Xhavit Haliti, kosovarischer Parlamentsabgeordneter seit 2001 (PDK). Pettifer/Vickers, The Albanian Question, S. 99; Perritt, Kosovo Liberation Army, S. 17.

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des Kosovo«. Demaçi, der Sacharow-Preisträger des Jahres 1991, gehörte zu den größten Kritikern von Rugova, dem Sacharow-Preisträger von 1998. Beide Personen stehen exemplarisch für die gewaltlose Position der KosovoAlbaner in den 1990er Jahren. Noch 1996 hatte Demaçi zu solchen gewaltlosen Aktionen wie dem plötzlichen »Einfrieren« der Bevölkerung – also plötzlichem Verharren am Platz für eine Minute zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt – aufgerufen.32 Politisch hatte er zu diesem Zeitpunkt noch seine Föderation Ballkania, eine Art Mini-Jugoslawien nach Art der Verfassung von 1974 bestehend aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo verfochten.33 Im Jahr 1998 trat Demaçi frustriert als »politischer Vertreter« der UÇK bei. Die Nähe Halitis zu Demaçi zeigt, dass zwischen aktivem militantem Widerstand und pazifistischem Aktionismus in der doch überschaubaren Gesellschaft des Kosovo keine unüberwindbaren Barrieren bestanden. Bei den aus dem Westen, vor allem aus der Schweiz, Deutschland, aber auch den USA und Großbritannien, zurückkehrenden UÇK-Kämpfern handelte es sich häufig im Gegensatz zu der älteren rural geprägten Generation, die Adem Jashari verkörperte, um formal gebildete und moderne Stadtmenschen. Doch hatten diese nicht selten gerade in der Fremde Verbindungen zu und idealisierende Vorstellungen von ihrer ländlich geprägten Heimat bewahrt. Im Kosovo zeigte sich erneut die traurige Tatsache, dass die »internationale Gemeinschaft« – wie bereits im Fall Bosnien-Herzegowinas – erst nach gewaltsamer Eskalation Handlungsfähigkeit bewies. Zwischen November 1997 und Januar 1998 erklärte die UÇK, dass sie Teile des Drenica-Gebiets bis Pejë kontrolliere. In der Praxis geschah dies durch Angriffe auf die serbische Polizei und das Einrichten von nächtlichen UÇK-Kontrollposten. Die UÇK gab zu diesen Zeiten an, zehn serbische Polizisten und elf »albanische Verräter« getötet zu haben. Als »Umschaltpunkt« der Wahrnehmung des Kosovokonflikts durch die »internationale Gemeinschaft« ist die gemeinsame »Drenica-Offensive« von VJ und der Polizei des serbischen Innenministeriums (Ministarstvo Unutrašnih Poslova, MUP) zu sehen: Die MUP-Truppen umfassten etwa 110 000 Mann, darunter die Polizei für spezielle Operationen (Jedinice posebne namjene policije, JPNP) und die Antiterroreinheit (Specialne antiteroristicke jedinice, SAJ). In der Praxis handelte es sich bei ersteren um kampferfahrenes Personal aus den Kriegen in der Krajina und in Bosnien-Herzegowina der »Roten Barette« und bei letzteren um in die »Spezialeinheiten« überführten »Tiger« des Željko Ražnatović. Diese für Kriegsverbrechen bis hin zum Genozid in der Krajina und in Bosnien-Herzegowina verantwortlichen Täter fanden – nun im Rahmen der MUP vollkommen legalisiert – im 32

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Zur Biografie von Adem Demaçi siehe die Website des Europäischen Parlaments. Dieses verleiht den Sacharow-Preis, . Troebst, Conflict in Kosovo, S.  19  f. Es handelt sich um die Denkschrift: »Balkania. A Confederation or an Association of Sovereign States consisted [sic] of Kosovo, Montenegro and Serbia« vom 14.3.1997, .

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Kosovo ein neues Betätigungsfeld.34 Das erste als »Anti-Terroraktion« bezeichnete Massaker der MUP war dasjenige in den Dörfern Likoshane und Qirez am 28. Februar und 1. März 1998. In Likoshane durchbrach die MUP mit gepanzerten Gefechtsfahrzeugen die Mauer des Gehöfts der AhmetiFamilie und richtete dort zehn Familienmitglieder und einen Nachbarn förmlich hin. Zwei weitere Nachbarn, darunter ein alter Mann, wurden ebenso getötet. Gegenwehr hatte es in Likoshane nicht gegeben. In Qirez tötete die MPU zwölf Personen, darunter eine schwangere Frau. Die Nachricht von dieser Aktion der MPU führte am 2. März 1998 zu Massendemonstrationen in Prishtina mit möglicherweise 100 000 Teilnehmern. Die Demonstrationen breiteten sich bald auch auf andere Städte aus, wurden aber gewaltsam unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken niedergeschlagen. Dennoch bahnten sich geschätzte 30 000 Personen am Folgetag den Weg nach Likoshane und Qirez, um die Toten zu beerdigen. Erst am folgenden Wochenende folgte der im Kosovo zum nationalen Mythos erhobene Angriff auf die Jashari-Familie in Prekaz mit insgesamt 56 Toten, von denen 41 als Mitglieder der JashariFamilie identifiziert werden konnten. Zwölf von ihnen waren Frauen und elf Kinder unter 16 Jahre.35 Der UÇK-Führer Adem Jashari befand sich ebenfalls unter den Toten. Die Popularität des mit seiner Familie ermordeten Adem Jashari war in der Folge unter Kosovoalbanern indes kaum zu überbieten.36 Vor allem Jugendliche – nicht zuletzt aus der Diaspora – begannen in die UÇK zu strömen, die sich damit geradezu lawinenartig von einer geschlossenen militanten »Zelle« zu einer nationalen Bewegung entwickelte.37 Die »internationalen« Reaktionen waren wenig entschieden: Bereits im Februar 1997 hatte die OSZE den ehemaligen niederländischen Außenminister Max van der Stoel zum »Chairman-in-Office for Kosovo« ernannt. Doch ließen die serbischen Behörden van der Stoel nicht in das Kosovo einreisen. Es sollte bis Oktober 1997 dauern, dass dieser ein separates Treffen mit Delegationen aus Belgrad und Prishtina im österreichischen Dürnstein erreichen konnte. Im Dezember 1997 hatte van der Stoel, nachdem die serbische Polizei eine Studentendemonstration in Prishtina im wahrsten Sinne des Wortes niedergeschlagen hatte, seine »ernste Besorgnis« ausgedrückt. Zum 19. Februar 1998 war es endlich gelungen, ein Visum für eine »private Reise« des »Chairmanin-Office for Kosovo« ins Kosovo zu erreichen. Während sich van der Stoel dort mit Rugova traf, verweigerte Demaçi ein Treffen und begründete dies damit, dass van der Stoel auch als OSZE-Kommissar für Minderheiten zuständig war. Die Albaner, so argumentierte Demaçi, seien aber im Kosovo keine Minderheit, sondern eine Mehrheit.38 In der Tat betrug der Anteil der 34 35

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Keßelring, Vom Terroristen zum Nationalgardisten?, S. 313. Insgesamt 58 Tote, davon zwei, die nicht in Prekaz getötet worden waren. Nach zeitgenössischen Angaben von Human Rights Watch waren darunter 18 Frauen und zehn Kinder. Watch, A Week of Terror in Drenica, S. 28‑32. Clark, Civil Resistance in Kosovo, S. 172‑175. Perritt, Kosovo Liberation Army, S. 38 f. Troebst, Conflict in Kosovo, S. 38 f.

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Albaner im Kosovo zu diesem Zeitpunkt etwa 85 Prozent der Bevölkerung.39 Hier ging es also um die hochpolitische Frage der Bezugsgröße: Kosovo oder Serbien? Ein Treffen mit dem OSZE-Minderheitenkommissar hätte für den in Opposition zu Rugova stehenden Demaçi impliziert, dass das Kosovo bereits seinen Unabhängigkeitsstatus aufgegeben hätte, den nur als Teil Serbiens waren die Albaner als Minderheit zu verstehen. Nach den Massakern von Likoshane und Qirez erklärte die OSZE:

»The Chairman-in-Office of the OSCE, Polish Foreign Minister Bronislaw Geremek, is deeply shocked and disturbed by the most recent unrest in Kosovo, and strongly condemns the violence that has led to so many casualties. Such violence, whether it be the result of repression or terrorism is equally unacceptable and goes against basic, commonly accepted standards of prevention and solution of conflicts. Continued lack of dialogue and understanding can only lead to a further deterioration of the situation. Therefore, the OSCE Chairman-in-Office urges all sides to refrain from any further acts of violence and to start a meaningful dialogue.«40

Die Reaktion der OSZE auf zwei Massaker mit über 20 Toten erschöpfte sich also letztlich in der Feststellung, dass Gewalt keine Lösung und Dialog notwendig sei. So richtig diese Feststellung auch abstrakt gesehen gewesen sein mag, sie verfehlte angesichts der evidenten Gewaltbereitschaft der MUP auch gegen Frauen und Kinder in der Praxis vollkommen die kosovoalbanischen Adressaten. Konkrete Drohungen oder Ultimaten der »internationalen Gemeinschaft« blieben aus. Als praktischer Schritt der OSZE ist die Ablösung von van der Stoel zu sehen. Zwei Tage nach dem Massaker von Prekaz (7. März 1998) teilte Geremek mit, dass der ehemalige spanische Ministerpräsident Felipe González zum »Chairman-in-Office for FRY« ernannt worden sei. Inwieweit zwischen diesen beiden Ereignissen ein direkter Zusammenhang besteht, muss zukünftige Forschung noch klären. Festzuhalten ist jedoch, dass es nach Prekaz keinen Kosovo-Beauftragten der OSZE mehr gab, sondern lediglich einen auch für das Kosovo zuständigen »Jugoslawien-Beauftragten«. Dies bedeutete, wie auch immer diese Maßnahme intendiert gewesen sein mag, dass die OSZE, nachdem die serbische MUP gewaltsam vorgegangen war, ein Signal aussendete, dass die Kosovofrage nur im Rahmen des ehemaligen Jugoslawiens – sprich innerhalb Miloševićs Machtbereich – gelöst werden könne. Dieses Zugeständnis an die mächtigere Konfliktpartei Belgrad trug nicht zur Deeskalation des Konfliktes bei. Die Drenica-Massaker gelten dennoch als Wendepunkt im Kosovo. Häufig wird die Reaktivierung der Balkan Contact Group, bei der es sich formal um eine »Contact Group on Bosnia-Herzegovina« handelte, als Zeichen der diplomatischen Aktion angeführt. Bereits im Mai 1996 – nach dem Beitritt Deutschlands und Italiens – hatte diese eine erweiterte Autonomie innerhalb Jugoslawiens verlangt. Am 5. Februar 1998 – also noch vor den Massakern der MUP – traf sich 39 40

Clewing, Bevölkerungsentwicklung und Siedlungspolitik, S. 25. OSCE Press Release No. 15/98 vom 2.3.1998.

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zum ersten Mal die »Working Group on Kosovo« der Balkan-Kontaktgruppe mit Vertretern der USA, Russlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands. Am 24. Februar hatte die Kontaktgruppe sich in Moskau darauf einigen können, dass sie weder die Unabhängigkeit des Kosovo noch den Status quo fördere, sondern eine Lösung mit dem Kosovo innerhalb Jugoslawiens mit bedeutender Selbstbestimmung anstrebe. Letztlich kam dies der Forderung nach einer Föderation Ballkania (Demaçi 1996) nahe. Noch nicht erforscht ist die Frage, ob die erneute Aufnahme der Kosovo-Frage auf der internationalen Ebene seitens Serbiens durch das Drenica-Massaker beantwortet wurde, etwa um – wie dies in Bosnien-Herzegowina mehrmals der Fall gewesen war – vor einem unabwendbaren internationalen Engagement in ethnischer oder machtpolitischer Hinsicht ein »fait accompli« zu schaffen. Die gemeinsame Erklärung der Kontaktgruppe nach den Drenica-Massakern offenbarte die Uneinigkeit der westlichen Staaten mit Russland: Russland verschloss sich bereits dem Verweigern von Visa für führende serbische Politiker und dem Einfrieren von Krediten. Einigen konnte man sich lediglich auf ein Waffenembargo für ganz Jugoslawien einschließlich Kosovo.41 Angesichts der Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina hätte klar sein können, dass diese Maßnahme lediglich der VJ und der MUP in die Hände spielte und Schmuggel und organisierte Kriminalität fördern konnte. So fehlte es – abgesehen von zahnlosen Verurteilungen – an jeglichen konkreten Gegenmaßnahmen gegen die, nur mit starkem Wohlwollen, lediglich als eindeutig unverhältnismäßige »Antiterroraktionen« zu bezeichnenden Polizeiaktionen in Drenica. Auch in dem am 5. März 1998 folgenden Kommuniqué der NATO wurden nach den Massakern von Likoshane und Qirez beide Konfliktparteien ermahnt. Allerdings unterschied sich die Stellungnahme der NATO insofern von den anderen Stellungnahmen, als dass hier die Niederschlagung der Demonstrationen in Prishtina vom 2.  März 1998 (»in particular the Serbian police’s brutal suppression of a peaceful demonstration in Pristina«) ausdrücklich erwähnt wurde. Ferner wurde Jugoslawien eine besondere Verantwortung, die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen, zugewiesen und vorgeschlagen, den bereits mit Rugova verhandelten, aber seitens Milošević verzögerten Bildungskompromiss, der eine Wiedereröffnung albanischsprachiger Schulen vorsah, auch umzusetzen (»a rapid and full implementation of the Education Agreement would represent an important step forward«).42 Auch wenn der Ton moderat war, so deuteten sich doch bereits hier die Perzeptionsoder auch Interessenunterschiede zwischen den westlichen Staaten einerseits und Russland andererseits an. Daraus folgte, dass es in der OSZE, der Balkankontaktgruppe und in der UN nicht möglich war, sich auf deutliche Stellungnahmen gegen Serbiens Regierung zu einigen. Doch auch in den westlichen Staaten wurden die gewaltsamen Aktionen der UÇK nicht gutgeheißen. 41 42

Troebst, Conflict in Kosovo, S. 47‑52. Dort auch der komplette Wortlaut des »Statement on Kosovo« der Kontaktgruppe vom 9. März 1998, S. 49‑51. Wortlaut des Communiqués in: Troebst, Conflict in Kosovo, S. 56.

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Nach wie vor wurde – in der historischen Retrospektive auf unrealistische Art – erhofft, dass die Kosovo-Albaner, obwohl seitens der serbischen Regierung keine Zugeständnisse gemacht wurden, die Unterdrückung fortgeführt wurde und die »internationale Gemeinschaft« keinen Druck auszuüben bereit war, weiter auf gewaltlose Methoden zurückgreifen würden. Nicht nur die Verhandlungen über die Wiedereinführung der albanischsprachigen Schulen, bei denen ein Übereinkommen »auf dem Papier« erreicht worden war, hatten die gewaltlose Methode Rugovas in den Augen vieler seiner Landsleute diskreditiert. Neben Demaçi war es der kosovarische »Ministerpräsident« Bujar Bukoshi im Bonner Exil, der »Präsident« Rugova Passivität vorwarf43. Vor allem aber fühlte sich die junge Generation ihrer Zukunft beraubt und träumte von »kroatischen Lösungen« des Kosovo-Problems. Wie bereits im Fall von Bosnien-Herzegowina wurden die serbischen Ambitionen seitens der »internationalen Gemeinschaft« falsch bewertet. Im Frühjahr 1998 war der Konflikt auch wahrscheinlich nicht mehr durch ein reines Einlenken in der Schulfrage und schon gar nicht durch den Dialog zwischen zwei in Bezug auf ihre Macht nicht vergleichbaren Konfliktparteien zu lösen. Während im Falle Bosnien-Herzegowinas vielleicht noch argumentiert werden könnte, dass es zu Beginn der 1990er Jahre kaum möglich gewesen war, die wahren Absichten Miloševićs zu erkennen, war bis 1998 bereits ausreichend Zeit zu einer Analyse der Fehler ins Land gegangen. Mit dem »Erfolg von Dayton« wurde aber anscheinend »der Balkan« wieder von der Prioritätenliste gestrichen. Obwohl massive Menschenrechtsverletzungen durch serbische Exekutivbehörden im Kosovo beispielsweise seit 1989 durch Amnesty International regelmäßig dokumentiert und nationalen Regierungen sowie internationalen Institutionen zur Kenntnis gebracht wurden.44 Beim Lesen dieser Berichte stellt sich weniger die Frage nach den Ursachen für die Etablierung der UÇK, als nach den Gründen für das vergleichsweise späte in Erscheinung treten von Waffengewalt seitens der Kosovoalbaner. Eine Erklärung für die erst spät eintretende bewaffnete Reaktion der Kosovoalbaner ist einerseits in der effektiven besatzungsähnlich repressiven serbischen Exekutivgewalt zu finden, andererseits in der mangelnden Bewaffnung und militärischen Organisation der Kosovoalbaner. Im Gegensatz zu den jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien war die TO im Kosovo fest 43

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Biermann, Gescheiterte internationale Krisenprävention, S.  72. Dieser Beitrag findet sich nicht mehr in der nach der Unabhängigkeit des Kosovo erstellten 3. Aufl. desselben Jahres. Beispielsweise: Amnesty International, EUR/48/08/89, Yugoslavia: Recent events in the autonomous province of Kosovo, May 1989; EUR/48/13/89, Yugoslavia: Administrative detention (»isolation«) torture allegations, June 1989; EUR/48/19/89, Yugoslavia: Etnic Albanians on trial in Kosovo province, October 1989; EUR/48/08/91, Yugoslavia: Further allegations of abuses by police in Kosovo province, May 1991; EUR/48/18/92, Yugoslavia: Ethnic Albanians – victims of torture and ill-treatment by police in Kosovo province, June 1992; EUR/70/01/94, Yugoslavia: ethnic Albanians – Trials by truncheon, February 1994; EUR/70/06/94, Yugoslavia: Police violence against ethnic Albanians in Kosovo province, April 1994; EUR/70/16/94, Yugoslavia: Police violence in Kosovo province – the victims, September 1994.

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II. Krieg und Friedensoperationen

in serbischer Hand. Die Anfänge einer eigenen bewaffneten Macht stellte die wohl 1991‑1992 gegründeten »Streitkräfte der Republik Kosovo« (Forcat e Armatosura të Republikës së Kosovës, FARK) dar. Diese wurde seitens des sich im Bonner Exil befindlichen »Ministerpräsidenten« Bukoshi aus der LDK Rugovas ins Leben gerufen. Bukoshi vertrat die Meinung, dass die »internationale Gemeinschaft« die Regierung des Kosovo nur wahrnehmen würde, wenn diese über ein Exekutivinstrument zur potentiellen Ausübung militärischer Gewalt verfüge. Dies stand ursprünglich nicht unbedingt im Widerspruch zur Politik des passiven Widerstandes unter Rugova. Ziel war es vielmehr, den von Rugova initiierten Parallel-Staat Kosovo auch mit einer militärischen Komponente auszustatten. Als »Verteidigungsminister« wurde Hajzer Hajzeraj bestimmt, der Anfang der 1990er Jahre eine »schlafende« Partisanenarmee mit einer Zielstruktur von 40  000 Reservisten aufbauen sollte. Hajzeraj und sein »Generalstab« wurden 1993 durch den serbischen Geheimdienst vollkommen aufgeklärt und die Strukturen zerschlagen. Als verhängnisvoll hatte sich hierbei für die FARK erwiesen, dass Hajzeraj auf ehemalige (ethnisch albanische) Offiziere der JVA zurückgegriffen hatte, um eine möglichst militärisch professionelle Organisation aufzubauen. In Bezug auf die Aufgabe einer konspirativen Schattenarmee erwies sich dieser Personenkreis aber insofern als ungeeignet, da die ehemaligen Offiziere der JVA als Gruppe leicht zu ermitteln waren und geheimdienstlich überprüft werden konnten. Ab 1994 folgten schauprozessartige Verurteilungen des Hajzeraj-Generalstabs.45 Erst 1997 gelang es, nach Treffen in Augsburg und Würzburg einen neuen »Generalstab« der FARK aufzubauen. Mit dem sich im slowenischen Exil aufhaltenden ehemaligen JVA-Oberst Ahmet Krasniqi46 konnte Bukoshi einen neuen »Verteidigungsminister« gewinnen. Dieser agierte ebenso wie die UÇK-Führung von Tirana aus und unterhielt in Nordalbanien acht Ausbildungslager der FARK. Diese wuchs schätzungsweise auf bis zu 2000 Kämpfer an. Die FARK konkurierte mit der UÇK nicht nur in Tirana um die Gunst der dortigen Regierung und in Nordalbanien um Schmuggelwege und Waffen, sondern vor allem auch um die Gelder, die der damalige »Finanzminister« Isa Mustafa als »Steuern« von der kosovoalbanischen Diaspora eintreiben konnte (Vedlindja Thërret-Gelder). Während in der UÇK der erneute Aufbau der FARK als Bildung unnötiger Parallelstrukturen zur bereits existierenden Organisation der UÇK gesehen wurde, versuchte die »Exilregierung« unter Bukoshi durch eine Unterstellung der Kämpfer der UÇK unter den »FARK-Generalstab« diese unter eigene politische Kontrolle zu bekommen. Dabei kann nicht nur die FARK als der bewaffnete Arm der LDK und die UÇK als derjenige der PDK gesehen werden, vor allem unterschieden sich FARK und UÇK auch grundlegend hinsichtlich ihrer Strategie und Taktik gegenüber der serbischen Unterdrückung. Während die UÇK mittels Hinterhalten und handstreichartigen Unternehmen (»hit and run«) sofort 45 46

Schmidt, Balkan Crisis. Ahmet Krasniqi (1948‑1998).

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agierte und durch diese Anschläge ihren Ruf stärkte, Aufmerksamkeit und Zulauf erhielt, den es dann zu organisieren galt, suchte die FARK eine Art »stehende Guerilla« oder »Schutzkorps« aufzubauen, die erst nach ihrem Aufbau aktiv in Erscheinung treten sollte. Dem vorsichtigeren Vorgehen der FARK lag dabei die militärisch korrekte Einschätzung zu Grunde, dass andernfalls einer serbischen Offensive nichts entgegenzusetzen sei. Die Gewaltlosigkeit Rugovas stellte damit bei Licht betrachtet nur eine Seite der Medaille dar, die durch die andere Seite – nämlich die geheime Aufrüstung – ergänzt werden sollte. Diese Strategie scheiterte mit der Zerschlagung des HajzerajGeneralstabs durch die serbische Exekutivgewalt. Ein weiterer Unterschied zwischen der FARK und der UÇK lag im Alter und der Sozialisation der Führer: Die FARK-Kämpfer waren in der Regel älter und militärisch in der JVA geprägt; die UÇK-Führung war weit jünger und durch die Erfahrungen der Studentenunruhen und das Exil beeinflusst. Später im Jahr 1998 kam es vor allem in der Dukagjini-Region des Kosovo zu Schwierigkeiten in Bezug auf die Unterstellungsverhältnisse zwischen FARK (Salij Çekaj47, Tahir Zemaj48) und der UÇK in ihrer Zone 3 unter ihrem Kommandeur Ramush Haradinaj.49 Mit der Verhaftung und darauf unmittelbar folgenden sofortigen Exekution Krasniqis in Tirana am 21. September 1998, offensichtlich durch albanische Geheimdienstkräfte, verlor die FARK rapide an Bedeutung. Die Hintergründe sind bis heute unklar: Einerseits wurde die UÇK beschuldigt, die sich noch nach dem Krieg vor allem in Dukagjini blutige Fehden mit der FARK lieferte, andererseits könnte der Mord auch durch die damalige albanische Regierung angeordnet worden sein. Unwahrscheinlicher erscheint, dass Krasniqis Tod einen serbischen Hintergrund hatte.50 Der spätere Leiter der »Task Force Südosteuropa« am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI), Professor Rafael Biermann, der von 1995 bis 1999 im Planungsstab des Bundesministers der Verteidigung das Referat »Zentrale Aufgaben« leitete, kam 2002 zu einer vernichtenden Analyse der Reaktionen der internationalen Gemeinschaft: »Die Politik folgt reaktiv dem Problemdruck. Solange dieser nicht stark genug ist, der Druck etwas zu tun also noch nicht ausreicht, bleibt die Politik zumeist abwartend. Dieser Problem- oder auch Handlungsdruck wird in unserer Demokratie weniger von einer Krise selbst als vielmehr von ihrer Perzeption

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Sali Çekaj (1956‑1999). Tahir Zemaj (1956‑2003), sollte im Jahr 2003 als Hauptzeuge gegen einen Bruder Ramush Haradinajs, Daut Haradinaj (*1978), aussagen. Zemaj wurde auf offener Straße ermordet. Wölfl, Kosovo: In Dukagjini bröckelt die Macht der ehemaligen UÇK. In: Der Standard vom 2.11.2015, . Ramush Haradinaj (*1968), 2004‑2005 Ministerpräsident des Kosovo. Haradinaj wurde während dieser Zeit vor dem ICTY angeklagt und 2008 freigesprochen. Einer seiner Brüder, Enver Haradinaj, wurde 2005 auf offener Straße ermordet. Zur Problematik der FARK siehe: Hockenos, Homeland Calling, S. 257 f.; Clark, Civil Resistance in Kosovo, S.  234; Mattern, Anschläge auf LDK- und FARK-Mitglieder in Kosovo; Heinemann-Grüder/Paes, Wag the Dog, S. 10.

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in der Öffentlichkeit geschaffen. Die öffentliche Meinung wiederum wird im Fernsehzeitalter von den Medien geformt. Medien jedoch nehmen erst dann eine Krise wahr, wenn sie gewaltsam eskaliert: Nicht zuletzt deshalb sind die Massaker von Srebrenica, Sarajevo und Reçak zu Wendepunkten in der internationalen Konfliktbewältigung im Bosnien- wie Kosovo-Krieg geworden. Den Akteuren vor Ort ist im Verlauf der Balkankrisen dieses Grundmuster westlicher Reaktion durchaus bewusst geworden. Manche bleiben in ihrem militärischen Handeln gezielt unter dieser Gewaltschwelle oder hindern die Journalisten am Zugang zu den Kriegsgebieten, wie Milošević im Kosovo-Konflikt 1998/99 – oder sie setzen inzwischen gezielt auf Gewalt und Blutvergießen, um eine westliche Involvierung zu erzwingen, wie die albanische Untergrundarmee UÇK 1998.«51

Biermann ist Recht zu geben, dass erst das Massaker von Reçak vom 15. und 16. Januar 1999 letztlich zu den Luftschlägen der NATO – der vom 24. März bis 10. Juni 1999 andauernden »Operation Allied Force« – führte. Historisch zu hinterfragen bleibt jedoch, wieso nicht die Drenica-Massaker in Likoshane, Qirez und Prekaz vom März 1998 bereits ähnliche Maßnahmen wie dasjenige in Reçak im Januar 1999 auslösten. Hinsichtlich der Anzahl der Opfer war Reçak mit 45 Todesopfern sogar weniger bedeutend als etwa Prekaz mit 56 Todesopfern. Hierzu gilt es sich kurz die Ereignisse »zwischen Prekaz und Reçak« zu verdeutlichen: Die UN-Sicherheitsratsresolution 1160 vom 31. März 1998 machte sowohl die serbischen Exekutivkräfte wie auch die albanischen Rebellen für die Eskalation der Gewalt verantwortlich.52 Bis Ende Mai 1998 wurde eine Vielzahl diplomatischer Initiativen zur Lösung der Kosovo-Frage gestartet. Nach deren Scheitern wurde begonnen auch »militärische Optionen« zu prüfen:53 Am 24. Mai 1998 begann die serbische Gegenoffensive auf die südlich von Pejë gelegene Stadt Deçan (bekannt durch das oberhalb der Stadt gelegene serbisch-orthodoxe Kloster Visoki Dečani).54 Ziel dieser Operation war offensichtlich das Abschneiden der Verbindungen zwischen dem albanischen Staatsgebiet als Nachschub- und Kommandobasis der UÇK und den UÇKHochburgen in Dukagjini und Drenica. In der Erklärung zum Kosovo der in Luxemburg am 28.  Mai 1998 tagenden Minister der NATO-Mitgliedstaaten hieß es unter anderem:

»Wir missbilligen die fortdauernde Anwendung von Gewalt, um politischen Dissens zu unterdrücken oder politische Veränderung herbeizuführen. Die Gewalt und die damit verbundene Instabilität gefährden die Friedensvereinbarung für Bosnien und Herzegowina und sind eine Gefahr für Sicherheit und Stabilität in Albanien sowie der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien. Es ist besonders besorgniserregend, dass das jüngste Wiederaufflammen von Gewalt mit Behinderungen einhergeht, die internationalen Beobachtern und huma-

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Biermann, Deutsche Mitwirkung an der Konfliktbewältigung, S.  323. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei: Troebst, Von den Fanarioten zur UÇK, S. 231‑249. United Nations, S/RES/1160. Judah, Kosovo, S. 165. Petritsch/Pichler, Kosovo – Kosova – Der lange Weg zum Frieden, S. 220.

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nitären Organisationen den Zugang zu den betroffenen Gebieten im Kosovo verwehrt. [...] Wir werden die Situation in und um Kosovo weiterhin genau beobachten und beauftragen den Ständigen NATO-Rat, die politischen, rechtlichen und – falls erforderlich – militärischen Implikationen möglicher weiterer Abschreckungsmaßnahmen zu prüfen, falls die Lage dies erfordert.«55

Am Folgetag setzten Kräfte der VJ und der Polizei die Offensive von Deçan in Richtung Westkosovo fort. Am 15. Juni 1998 führte daraufhin die NATO ihre Operation »Determined Falcon« durch. Bei »Determined Falcon« handelte es sich militärisch gesehen um eine »show of force and capabilities«56, wobei es sich rechtlich betrachtet hierbei nicht um einen Einsatz, sondern eine Luft-Übung der NATO im Luftraum Albaniens und Mazedoniens handelte. Albanien und Mazedonien waren zu dieser Zeit Mitglieder im NATOProgramm »Partnership-for-Peace« (PfP) und stimmten der Übung zu.57 Ziel dieser Operation war es, die Entschlossenheit (determination) der NATO zu demonstrieren, im Zweifelsfall auch militärisch einzugreifen und damit eine Deeskalation der Lage seitens Serbiens zu erreichen. Auch der Zeitpunkt war einen Tag vor dem Treffen Miloševićs mit dem russischen Präsidenten Jelzin in Moskau alles andere als zufällig gewählt. Damit stellte dieses internationale Luftwaffenmanöver sowohl eine Drohgebärde an Milošević als auch eine deutliche Warnung an Jelzin dar. Insgesamt nahmen an »Determined Falcon« über 80  Luftfahrzeuge aus 13  NATO-Staaten teil. Den Hauptanteil stellten mit 27 Flugzeugen die USA, gefolgt von Spanien mit neun Flugzeugen und Deutschland mit acht: Vier Electronic Combat and Reconnaissance (ECR) Tornados sowie vier RECCE-Tornados (IDS). Damit stellte Deutschland 9,8  Prozent der übenden Luftfahrzeuge. Hinzu kam der Einsatz von zwei NATO E-3A AWACS mit teilweiser deutscher Besatzung. »Determined Falcon« zeigte die Entschlossenheit der NATO, aber auch deren Grenzen auf. Deutlich ist der Zusammenhang zwischen der Erklärung der NATO-Minister vom 18.  Mai und dem Manöver vom 15.  Juni erkennbar. Die NATO hatte vor allem vor einem Übergreifen des Konflikts nach Bosnien-Herzegowina, Albanien oder Mazedonien gewarnt. Genau davor schreckte das massive Auftreten der NATO-Luftwaffen an den Grenzen zum Kosovo ab. Gleichzeitig aber wurde durch die Reaktionen Russlands deutlich, dass Moskau keineswegs bereit war, Milošević fallen zu lassen. Der Verteidigungsminister und Marschall Russlands Igor Sergejew58 kritisierte die NATO-Luftübung und rief den russischen Vertreter bei der NATO zurück. Damit war klar, dass weder vom UN-Sicherheitsrat, noch von der OSZE deutliche Kosovo-Resolutionen 55 56 57

58

NATO Kommuniqué, Luxemburg, 28.5.1998, Erklärung zum Kosovo (nichtamtliche Übersetzung). Larson [et al.], Interoperability of US and NATO, S. 76. Short, Michael, Exercise Determined Falcon press briefing, COMAIRSOUTH, Allied Forces Southern Europe, Aviano, Italy, June 15, 1998, available at, . Igor Dimitrijević Serjejew (1938‑2006), 1997‑2001 russischer Verteidigungsminister, 1997 von Präsident Boris Jelzin zum ersten und bis dato einzigen Marschall Russlands ernannt.

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zu erwarten waren.59 Andererseits hatte NATO-Generalsekretär Javier Solana am Tag vor »Determined Falcon« deutlich gemacht, dass die NATO im Kosovo keinen Krieg wie in Bosnien-Herzegowina zulassen werde und schloss ausdrücklich selbst die Option eines Luftkrieges nicht aus: »On Kosovo, let me be quite clear that NATO will not stand idly by. We will not allow a repeat of the situation of 1991 in Bosnia. [...] Last week, NATO’s Defence Ministers showed that we are ready to back up international diplomacy with military means. [...] In order to secure these objectives we will study and prepare for a wide range of military options, including the possible use of NATO air power.«60

So entschlossen, wie dies Solana darstellte, war allerdings angesichts des Gegenwinds aus Moskau zumindest die deutsche Regierung keineswegs: Verteidigungsminister Rühe hielt – im Einklang mit Solana – einen Militärschlag notfalls auch ohne UN-Mandat für möglich. Doch lehnte Außenminister Kinkel ebenso wie die zu diesem Zeitpunkt sich noch in der Opposition befindliche SPD ein militärisches Eingreifen ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates – also mit Zustimmung Russlands – ab. Bundeskanzler Kohl forderte zunächst die Ergebnisse des Treffens zwischen Milošević und Jelzin abzuwarten.61 Ein weiterer Faktor war praktischer, politischer und militärischer Natur: Die postkommunistische Koalitionsregierung in Mazedonien schloss eine Nutzung Mazedoniens als NATO-Aufmarschbasis gegen Belgrad aus.62 Dies sollte sich erst nach den Parlamentswahlen in Mazedonien vom 18. Oktober und 1. November 1998 ändern, als die mazedonisch-nationalistische VMRO/DPMNE63 eine Koalition mit der nationalistisch-albanischen Partia Demokratike Shqiptare (PDSH)64 einging, um so die »Reformkommunisten« abzulösen. Diese Partei um den familiär aus Tetovo stammenden ehemaligen Kulturradio-Journalisten aus Prishtina, Arbën Xhaferi,65 forderte unter anderem – als Partei in der Republik Mazedonien – die Unabhängigkeit des Kosovo, eine Anerkennung der Albaner als zweite staatsbildende Nation Mazedoniens und ein kulturelles Zusammengehen aller Albaner aus Albanien, Kosovo, Mazedonien, Serbien und Montenegro. Die VMRO/DPMNE und die PDSH trafen sich trotz ihrer sich gegenseitig ausschließenden ethnischen Positionen in ihrer Feindschaft gegenüber Serben, Altkommunisten und Jugoslawismus.66 Xhaferi und dessen Stellvertreter Menduh Thaçi verfügten über gute Verbindungen zur UÇK des Kosovo, wo59 60 61 62 63 64 65 66

Nato hails air manoeuvres a success, in BBC News vom 15.6.1998. NATO, AEJ’S 26th International Congress Warsaw, Speech by NATO Secretary General, Dr. Javier Solana vom 14.6.1998. NATO-Manöver an Grenzen zu Kosovo. In: Der Tagesspiegel vom 16.6.1998. Troebst, IMRO + 100 = FYROM. Politik und Geschichte in Makedonien. Auch häufig als IMRO/DPNME bezeichnet: Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation/Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit. Demokratische Partei der Albaner, mazedonisch: Demokratska Partija na Albancite (DPA). Siehe hierzu die Website der Partei. Arbën Xhaferi, (1948‑2012), siehe: Macedonia, Arben Xhaferri passes away. In: Top Channel vom 15.8.2012. Willemsen, Republik Makedonien, S. 17.

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bei insbesondere die mazedonischen Nachschubwege für diese eine wichtige Rolle spielten. Zugleich war Xhaferi mit seinem zumindest in kultureller Hinsicht als großalbanisch zu interpretierenden Programm ein heftiger Kritiker des lange »jugoslawisch« denkenden Rugova.67 Solange allerdings die Regierung Mazedoniens weitestgehend auf der Seite Serbiens stand, fehlte der NATO schlichtweg ein Landzugang ins Kosovo. Albanien war schon aufgrund der Geografie und Infrastruktur, aber auch aus politischen wie politisch-historischen Gründen als potentielles Aufmarschgebiet der NATO kaum geeignet. All diese Faktoren und Entwicklungen bewirkten, dass offenbar zwar die Regierung Milošević mit ihrem professionellen Apparat in Belgrad sehr wohl über die Probleme und Uneinigkeiten der NATO im Bilde war, aber weit weniger die Vertreter der UÇK. Anders ist kaum zu erklären, dass die kosovoalbanischen Rebellen ihre Juli-Offensive begannen, die nach kurzfristigen lokalen Siegen an der taktischen und materiellen Überlegenheit der MUP und VJ scheiterte. Sobald die UÇK den konventionellen Kampf führte, wirkte es sich für diese nachteilig aus, dass es sich um keine »top-down« organisierte Armee, sondern um eine von unten aufgewachsene Truppe handelte.68 Ob diese Form des heroischtragischen Kampfes in seiner formalmilitärischen Aussichtslosigkeit als Größe oder Verantwortungslosigkeit wahrgenommen wurde, lag in den Augen des jeweiligen Betrachters. Die NATO aber hatte zur Abschreckung des MiloševićRegimes eine »militärische Karte« gezeigt, die sie (noch) nicht auszuspielen bereit war. Ob sie damit der UÇK die Illusion einer bevorstehenden Hilfe vorgegaukelt hat und ob dies auf fehlerhafter Kommunikation beruhte oder aber als bewusste Irreführung zu werten war, wurde zeitgenössisch nicht nur unter Kosovoalbanern heiß diskutiert. Die UÇK verlor wichtige Städte wie Rahovëc. Mit der nahezu kompletten Entvölkerung von Malisheva wurde spätestens klar, dass der militärische Sieg der VJ und MUP zu einer humanitären Katastrophe in Form eines albanischen Exodus führen werde.69 Dies war der Moment, ab dem sich westliche Diplomaten öffentlichkeitswirksam mit Abgesandten der UÇK zu treffen begannen. US-Diplomat Richard Holbrooke traf sich am 23.  Juni 1998 mit Lum Haxhiu und Gani Shehum in Lunik, dessen Vertreter aus Dayton, Christopher R. Hill, am 29. Juli 1998 mit Shaban Shala in Likovac. Diplomaten Großbritanniens wiederum trafen sich am 30. Juni 1998 nicht frei von Symbolik im zerstörten Malisheva mit dem Pressesprecher der UÇK, Jakup Krasniqi.70 Hervorzuheben ist, dass es sich bei Lum Haxhiu und Gani Shehum keineswegs um die UÇK-Führung, sondern lediglich um Angehörige deren mittlerer Führungsebene handelte und dass das Treffen selbst keine zwei Stunden dauerte (nach anderen Angaben 30 Minuten). Bei Haxhiu, der sich 1998 als politischer UÇK-Kommandeur in Junik bezeichnete, handelte es sich um ei67 68 69 70

Pettifer, Kosova Express, S. 176‑179. Judah, Kosovo, S. 165. Jane’s Balkans Handbook, S. 15. Phillips, Liberating Kosovo, S. 93; Judah, Kosovo, S. 170.

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nen lange in Malmö wohnhaften Albanischlehrer, Dichter und Schriftsteller. Er hatte ab 1978 in Prishtina Literaturwissenschaft studiert und 1981 an den dortigen Studentenunruhen teilgenommen. Anschließend verbrachte er vier Jahre in Serbiens Gefängnissen und befand sich ab 1989 im schwedischen Exil in Malmö. Dort wurde er mit Demaçi bekannt und nahm 1992 Kontakt zu den Vorläufern der UÇK in der Schweiz auf.71 Jakup Krasniqi72 wiederum hatte von 1972 bis 1976 Geschichte an der Philosophischen Fakultät in Prishtina studiert und anschließend als Geschichtslehrer in Drenas und Skënderaj gearbeitet. Nach den Studentenunruhen von 1981 war Krasniqi wiederholt bis 1991 inhaftiert gewesen. Neben Rugova und Demaçi repräsentierte Krasniqi die Generation der sich zuerst in der LDK sammelnden intellektuellen Widerständler. Anders als Rugova und ähnlich wie Demaçi wandte er sich aber der UÇK zu und nahm ab 1999 wesentliche Funktionen in der PDK war.73 Ab 2006 publizierte der spätere kosovarische Parlamentspräsident eine Reihe von beachtenswerten historischen Büchern zu den Themen seines Lebens. Auch wenn diese freilich durch eine gewisse Tendenz gekennzeichnet sind, so ist doch die weitgehende internationale Ignoranz gegenüber diesen historischen Studien zugleich bemerkenswert und fragwürdig.74 Die eher symbolischen Treffen vom Sommer 1998 brachten keine diplomatische Lösung des Konflikts. Bis September 1998 zerstörten VJ und MUP etwa 100 Dörfer im Kosovo, was zu einer geschätzten Zahl von 265  000 kosovoalbanischen Flüchtlingen führte.

c) NATO- und OSZE-Einsatz im Kosovo und in Mazedonien In Reaktion auf diese »humanitäre Katastrophe« – wobei dieser Begriff bereits angesichts der Analogie zur unausweichlichen Naturkatastrophe irreführend ist – einigte sich der UN-Sicherheitsrat auf die Resolution 1199 in der gefordert wurde, dass »alle Parteien, Gruppen und Individuen sofort die feindlichen Handlungen beenden und einen Waffenstillstand einhalten«.75 Diese UN-Resolution unterstrich die NATO am Folgetag, dem 24. September 1998, mit einer »Activation Warning« für Luftschläge. Am 12. Oktober eskalierte die NATO – nachdem es zu keinen wesentlichen Änderungen der Lage im Kosovo gekommen war – diese Warnung zu einer »Activation Order«, also etwa einem Befehl zur Vorbereitung der Luftschläge gegen der VJ zuzuordnende Landziele. Diese »Activation Order« erzwang vier Tage später 71 72 73 74

75

Olivier Truc, Kosovo: un jusqu’au-boutiste de l’UCK. Pour le poète Lum Haxhiu, la lutte pour l’indépendance passe par les armes. In: Libération vom 23.10.1998. Jakup Krasniqi (*1951). Da Jakup Krasniqi von 2010 bis 2014 Parlamentspräsident im Kosovo war, findet sich ein ausführlicher Lebenslauf auf der Website des Kosovarischen Parlaments. Hervorzuheben: Krasniqi, Kthesa e Madhe; Krasniqi, Kosova në Kontekst historik; Krasniqi, Lëvizja për Republikën e Kosovës; Krasniqi, Pranvera e lirisë ’81; Krasniqi, Pavarësi dhe personalitete. United Nations, S/RES/1199.

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die Vereinbarung zwischen US-Sonderbotschafter Holbrooke und Präsident Milošević, die als Holbrooke-Milošević-Abkommen bekannt wurde.76 Diese Vereinbarung vom 16.  Oktober 1998 nahm Bezug auf die UNSicherheitsratsresolution 1199 und beinhaltete die internationale Kontrolle der Lage im Kosovo durch die OSZE. In der Praxis bedeutete dies die Einrichtung von zwei Verifikationsmissionen: Eine OSZE-Mission zu Lande und eine NATO-Mission aus der Luft. Am 24. Oktober 1998 stellte die UNSicherheitsratsresolution 1203 die Ergebnisse des Holbrooke-MiloševićAbkommens fest. Damit wurde die OSZE-Mission zu einer von der UN beauftragten Operation. Daraufhin beschloss am Folgetag der Ständige Rat der OSZE mit bis zu 2000 unbewaffneten Beobachtern die Bestimmungen der UNSicherheitsratsresolution 1199 – also das Einstellen feindlicher Handlungen und Einhalten eines Waffenstillstands – zu überwachen.77 Damit fielen die Maßnahmen der »internationalen Gemeinschaft« hinter den UNPROFOROperationen zur Lösung der Konflikte in Kroatien und Bosnien-Herzegowina zurück. Dort waren leicht bewaffnete »UN-Blauhelmsoldaten« eingesetzt worden – im Kosovo wurden lediglich unbewaffnete »Verifikateure« eingesetzt. In der UN-Terminologie waren diese etwa mit Militärbeobachtern, nicht aber mit UN Friedenstruppen (peacekeeper) vergleichbar. Setzt man voraus, dass die »internationale Gemeinschaft« aus dem Krieg in BosnienHerzegowina gelernt hatte, dass angesichts des Vorgehens der serbischen Kriegspartei bereits die leicht bewaffneten Soldaten im UN-Auftrag zu wenig »Robustheit« besessen hatten, um Völkermord und Massaker zu verhindern, so ist diese Entscheidung zumindest erklärungsbedürftig. Die Hintergründe sind in der völkerrechtlichen und politischen Machtposition Miloševićs zu suchen. Hier wirkte zum einen der Grundsatz des Badinter-Prinzips, die innerjugoslawischen Territorialeinheiten unter der Ebene der ehemaligen Teil-Republiken nicht anzutasten, zum anderen und viel konkreter der Widerstand Russlands. Dessen ohnehin schwache Führung unter Präsident Jelzin sollte nicht durch solche Entscheidungen noch zusätzlich geschwächt werden, welche die Duma nicht bereit war mitzutragen. Russland verhinderte gemeinsam mit China im UN-Sicherheitsrat den Beschluss einer »robusteren« UN-Resolution. Der diplomatische Streit zwischen Russland und der NATO hinsichtlich der russischen Verweigerung einer Mandatierung der NATO nach dem Muster der IFOR ging so weit, dass die russische Regierung im Herbst 1998 die NATO beschuldigte, diese begehe im Fall eines Militäreinsatzes gegen die BR Jugoslawien »eine flagrante Verletzung der UN-Charta« und untergrabe das »ganze System der internationalen Beziehungen«. Dies zeigt, dass das russische Interesse weit weniger in Serbien oder gar dem Kosovo selbst lag, sondern vielmehr an einer Revision der sich im Zuge des Krieges in Bosnien-Herzegowina etablierten »Weltordnung«, in der Russland nur eine eher unbedeutende Rolle spielte. Die amerikanische Regierung wiederum 76 77

Smith, Kosovo, NATO and the United Nations, S. 160. Maisonneuve, The OSCE Kosovo Verification Mission.

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warnte Russland davor, eine Außenpolitik einzuschlagen, die sich gegen den Westen richte und drohte mit der Einstellung westlicher Wirtschaftshilfen.78 Die Holbrooke-Lösung kann somit als amerikanisch-russischer Kompromiss verstanden werden. Darüber hinaus verfügte die UÇK über eine schwache Lobby, was nicht zuletzt darin deutlich wurde, dass diese formal nicht einmal in das Verfahren des Einsatzes eingebunden war. Dies erklärt auch die Präferenz Miloševićs für eine OSZE-Mission im Gegensatz zu einer UNMission. Eine OSZE-Mission unterstrich die serbische Lesart des Konflikts, dass es sich um ein internes serbisches Problem und nicht um die Separation eines entstehenden Staates handele. Die NATO-Verifikationsmission aus der Luft wiederum beruhte auf einem Abkommen zwischen dem SACEUR, General Wesley Clark, und dem jugoslawischen Generalstabschef, Generaloberst Momčilo Perišić, vom 15. Oktober 1998. Perišić wurde noch im selben Jahr durch den späteren Armeegeneral Dragoljub Ojdanić abgelöst. Das Clark-Perišić-Abkommen erlaubte der NATO ein Überfliegen des Kosovo mit unbemannten und mit hochfliegenden bemannten, aber unbewaffneten Luftfahrzeugen. Jedoch behielt sich Perišić die Genehmigung des Zeitplans und die Festlegung der Luftkorridore vor. Zur Koordination wurde in Skopje am 26. November 1998 ein »Kosovo Verification Coordination Centre« eingerichtet.79 Das besondere Problem der unbewaffneten »Kosovo Verification Mission« (KVM) der OSZE zu Lande im Kosovo und der »NATO Air Verification Mission for Kosovo« – bekannter als Operation »Eagle Eye« – war, dass sowohl die OSZE-Beobachter als auch die beteiligten NATO-Luftfahrzeuge unbewaffnet zu sein hatten. Daher stationierte die NATO etwa nach dem Muster der RRF für UNPROFOR in BosnienHerzegowina (1995) in Mazedonien eine NATO Extraction Force (Operation »Joint Guarantor«). Diese etwa 1700  Soldaten umfassende Truppe bestand aus einem britischen, einem italienischen, einem deutschen und einem französischen Kontingent mit Frankreich als »Lead Nation« mit 900  Soldaten.80 Der deutsche Anteil an der Operation »Joint Guarantor« bestand aus einer verstärkten Kompanie mit etwa 190  Soldaten im mazedonischen Tetovo sowie etwa 80  Spezialkräften für den Fall einer Geiselbefreiung. Die deutsche Beteiligung an der KVM wurde auf 200  Personen, davon 80  Soldaten festgelegt – hier übernahm das Auswärtige Amt die Federführung. Für Operation »Eagle Eye« stellte die Bundeswehr 350 Soldaten, darunter auch eine Drohnenbatterie CL-289 des Heeres, womit deren Einsatz bei SFOR endete. Darüber hinaus wurden für diese Operation ein Aufklärungsboot und Aufklärungsflugzeuge (Bréguet Atlantic) der Marine eingesetzt. Insgesamt waren 700 deutsche Soldaten als deutsches Kontingent in der Folge des 78 79

80

Zu diesem Aspekt siehe: Jureković, Die politische Dimension des Krieges. Spindler, Der Beitrag der Bundeswehr zur Bewältigung des Kosovokonflikts, . Generalmajor Walter Spindler war zum Zeitpunkt des Verfassens des Berichts zwischen 1998 und 2002 als Oberst i.G. Referatsleiter im Planungsstab des Bundesministers der Verteidigung. Jureković, Die politische Dimension des Krieges.

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Holbrooke-Milošević-Abkommens und des Clark-Perišić-Abkommens im Rahmen der drei unterschiedlichen Operationen eingesetzt. Am Weihnachtsabend 1998 startete die VJ ihre Winter-Offensive. Diese eskalierte letztlich in den Ereignissen, die als Massaker von Reçak traurige Berühmtheit erreichen sollten. Bis Ende Februar 1999 verzeichnete die KVM mehr als 70 Leichenfunde – zumeist gewaltsam zu Tode gekommene Menschen albanischer ethnischer Zugehörigkeit. Während sich anfangs die serbischen Exekutivkräfte als durchaus kooperativ erwiesen hatten, änderte sich dies mit Beginn der Winteroffensive. So ging beispielsweise die MUP massiv gegen die Exhumierung von 21 Leichen in Abri e Epërme durch das finnische »EU Forensic Expert Team« (EUFET) vor.81 Andererseits erlaubte die Belgrader Führung den Einsatz des Teams. Dies zielte nach Aussagen der beteiligten Forensikerin darauf, die Aufmerksamkeit auf serbische Opfer in Kleçkë und Volljakë zu lenken. Generell ist zu bemerken, dass es ohne Identifizierung der Opfer Forensikern unmöglich ist, die ethnische Herkunft von Personen zu ermitteln. Da das Reçak-Massaker noch heute zu den politisch umstrittenen Ereignissen gehört, werden hier nur die belegbaren Fakten geschildert. Diese zeigen klar, dass – ähnlich wie bei den Drenica-Massakern – sowohl Kämpfe als auch anschließend gezielte Exekutionen stattgefunden haben. Im Hinblick auf die politische Bewertung ist allerdings zu bemerken, dass in der Folge der Aufklärung das Reçak-Massaker durchaus instrumentalisiert wurde, um den Abzug der KVM zu rechtfertigen. Dieser lag wohl weniger in dem spezifischen Ereignis von Reçak begründet als in der Gesamtheit der eskalierten Lage, in der trotz Nähe der KVM durch VJ und MUP grausam getötet und vertrieben wurde. Zur Diskussion um Reçak ist anzumerken, dass diese, der zeitgenössischen serbischen Propaganda folgend, die Gesamtlage und die Entwicklung ausblendet und insbesondere die Zeit zwischen dem ReçakMassaker (15.  Januar 1999) und dem Beginn der Luftschläge (Einsatzbefehl vom 22. März 1999) ignoriert. Folgender Ablauf lässt sich als gesichert annehmen: In den Morgenstunden des 15.  Januars 1999 schlossen Einheiten der jugoslawischen Armee (VJ) und der serbischen Polizei das Dorf Reçak ein. Dabei kamen gepanzerte Polizeifahrzeuge, Kampfpanzer des Typs T-55 sowie Artillerie zum Einsatz. Zeugenaussagen zufolge wurde das Dorf Haus für Haus durchsucht. MUP sowie deren Antiterroreinheiten verhafteten männliche Bewohner, die später tot aufgefunden wurden. Erst am späten Nachmittag des 15. Januar 1999 gelang es der KVM, ihren – ihr völkerrechtlich zugesicherten – Zugang nach Reçak durchzusetzen. Insgesamt 45 Leichen wurden am Folgetag gefunden, durch die KVM untersucht und anschließend in der Moschee von Reçak aufgebahrt. Von da an blieb die KVM im Dorf präsent. Zwei Tage nach den Kämpfen beschlagnahmten serbische Polizeikräfte die Toten, um sie in Prishtina gerichtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Das offizielle Ergebnis jugoslawischer und belorussischer Forensiker lautete am 25.  Januar 1999, dass keine 81

Keßelring, Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien, S. 70.

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Zeichen eines Massakers festzustellen gewesen seien. Erst ab dem 22. Januar 1999 war es der OSZE gelungen eine Herbeiziehung der EU-Forensiker durchzusetzen. Die erst sieben Tage nach den Vorfällen selbst beginnende forensische Untersuchung durch unabhängige Gerichtsmediziner hatte mit Problemen wie etwa dem bereits fortgeschrittenen Verwesungszustand zu kämpfen. Diese geben bis heute Anlass zu Spekulationen. So ist etwa die Verbringung der Leichen von Reçak nach Prishtina nach Angaben des EUFET ebenso zweifelhaft wie die Dokumentation der ersten 16 ohne Beisein der EUFET durchgeführten Obduktionen lückenhaft war. Somit bleibt eine zweifelsfreie Identifizierung der untersuchten Körper fragwürdig. Seit Beginn des Einsatzes des finnischen EU-Forensikerteams stand der Vorwurf im Raum, die serbische Polizei habe Spuren verwischt. Gleichzeitig begann eine Pressekampagne, die über französische Zeitungen Zweifel an der Existenz des Massakers weckte und dieses als Inszenierung der UÇK darstellte. Die Beweislast der unmittelbar nach dem Massaker durch die KVM und Human Rights Watch zusammengestellten Zeugenaussagen führten dazu, dass in der Anklageschrift im »Fall Milutinović et al.« des ICTY (IT-99-37PT) das »Massaker von Reçak« als solches bezeichnet wurde. Den Vorwurf des Spurenverwischens äußerte der Leiter der KVM, William Walker, öffentlich in einer Pressekonferenz, worauf er in Jugoslawien zur unerwünschten Person erklärt wurde.82 Die KVM – deren höchste Stärke bei 1350 statt den erlaubten 2000  Beobachtern lag – sollte noch bis 20.  März 1999 im Kosovo bleiben. Zwei Wochen nach dem Reçak-Massaker, am 29. Januar 1999, kam es zu dem sogenannten Rogovo-Vorfall in der Ortschaft Rogovë: Dabei wurden 24  Menschen getötet, darunter auch Zivilisten. Insbesondere der »RogovoVorfall« wurde in Deutschland seitens des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping später im April 1999 zur Erläuterung der Notwendigkeit der deutschen Teilnahme an den Luftschlägen im Kosovo (Kosovokrieg 1999) angeführt. In einer Fernsehdokumentation (WDR) mit dem Titel »Es begann mit einer Lüge« von Jo Angerer und Mathias Werth wurde die nicht korrekte Darstellung des Hergangs der Vorkommnisse in Rogovë durch den deutschen Verteidigungsminister als Propaganda scharf kritisiert. Mehrere Aussagen Scharpings vom April 1999 wurden durchaus nachvollziehbar falsifiziert.83 Es erscheint wahrscheinlich, dass es sich bei 18 der 24  Toten um UÇK-Kämpfer und bei sechs Opfern um zivile Tote handelte. Die – bewusst 82

83

Die hier getätigten Angaben zu Reçak stammen aus folgenden Quellen: Pekka Visuri: Kosovon sota, Helsinki 2000, S.  91‑93, (beruht u.a. auf Aussagen der Forensikerin Helena Ranta). Helsinki Watch, Yugoslav Government War Crimes in Racak. Bericht vom 29.1.1999; Gesellschaft für bedrohte Völker: Das Verbrechen von Racak, Göttingen 1999; Maisonneuve, The OSCE Kosovo Verification Mission. (Der damalige kanadische Brigadegeneral Michel Maisonneuve kommandierte den entsprechenden KVMSektor  1, in dem sich die Massaker von Reçak und Rogovë abspielten.) Mehrere Gespräche des Autors mit Helena Ranta sowie Agilolf Keßelring, Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg 1998/99, S. 214‑217. Jo Angerer, Mathias Werth, Es begann mit einer Lüge, WDR-Fernsehdokumentation, gesendet am 8.2.2001 (ARD).

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oder unbewusst – offenbar falsche Assoziationen erweckende Nutzung von Bildern aus Rogovë, so problematisch sie im demokratischen Sinne auch sein mag, ändert jedoch nichts an der historischen Tatsache, dass in Rogovë ein Massaker stattgefunden hat, dass nach Zeugenaussagen auch Exekutionen von UÇK-Kämpfern und Zivilisten beinhaltete.84 Es steht außer Zweifel, dass diese Taten – im Falle der Exekutionen Morde – durch keinerlei Friedensoder Kriegsrecht gedeckt waren. Anders verhält es sich, wenn man Kriegsrecht zu Grunde legt, bei im Kampf gefallenen UÇK-Kämpfern, die es in Rogovë auch gegeben hat. Parallel zum immer machtloser werdenden Einsatz der KVM vollzogen sich die diplomatischen Verhandlungen von Rambouillet. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die Balkan-Kontaktgruppe – speziell Großbritannien und Frankreich – zuerst versuchte, den noch jungen und diplomatisch unerfahrenen politischen Kopf der UÇK, Hashim Thaçi, zu marginalisieren, um zu einer raschen Friedenslösung zu gelangen. Für die UÇK bzw. die Positionen der Kosovoalbaner ungünstige Vorschläge scheiterten jedoch am Widerstand regionaler Kampfkommandeure wie Ramush Haradinaj, Rrustem Mustafa oder dem 29-jährigen »Generalstabschef« der UÇK und Regionalkommandeur von Drenica, Sylejman Selimi.85 Den militärischen Teil der schließlich für Thaçi akzeptierbaren Version des Friedensplans lehnte die serbische Delegation am 19.  März 1999 ab. Bereits abgezogene Verbände der VJ und MUP marschierten an der Provinzgrenze zum Kosovo erneut auf. Am 20. März wurde seitens der OSZE wie erwartet eine Weisung erteilt, die KVM abzubrechen. Parallel zu den Rambouillet-Verhandlungen war die »Extraction Force« in Mazedonien (EXFOR  II) deutlich aufgestockt worden, wobei sich die Bundeswehr inzwischen mit 6000 Soldaten beteiligte. Nach dem Abzug der KVM und letzten aussichtlosen Verhandlungen zwischen Holbrooke und Milošević am 22. März 1999 begannen am 24. März die Luftschläge der NATO. Primäres Ziel war das Ausschalten der integrierten Luftabwehrsysteme der VJ. Am 25. März 1999 setzte eine Welle von Massakern an ethnischen Albanern ein: Bellacërkvë am 25.  März mit 39  Todesopfern, Krushë e Madhe mit 102 Toten, am 26. und 28. März Gjakovë mit 26 Opfern, am 26. März 19 Opfer in Padalishtë und 45 (alle Angehörige des Berisha-Clans) in Suharekë. Am 2. Mai töteten serbische Polizei und VJ etwa 100 Menschen beim Massaker von Vushtrri. Alle hier aufgeführten Toten sind namentlich 84 85

Ebd., Maisonneuve, The OSCE Kosovo Verification Mission, S. 49‑55. Syleiman Selimi (geb. 1970) führte nach dem Krieg zuerst stellvertretend, ab 2006 als Kommandeur das Kosovo Protection Corps (KPC). Dieses wurde 2009 in die Kosovo Security Force (KSF) überführt, deren Befehlshaber Selimi bis 2011 war. Im Mai 2015 wurde Selimi vor dem lokalen Gericht im serbisch dominierten Mitrovica zu acht Jahren Haft verurteilt, das Urteil in zweiter Instanz im kosovoalbanisch dominierten Prishtina auf sieben Jahre reduziert und im Januar 2019 auf Bewährung ausgesetzt, die im Oktober 2020 überprüft wird. Kesselring, Kosovo Security Force, S. 15‑19 sowie: Die Morina, Adelina Ahmeti: Kosovo Ex-Commander Sylejman Selimi Freed from Jail. In: BalkanInsight vom 25.1.2019.

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bekannt und in der Anklageschrift des ICTY86 einzeln mit Altersangabe aufgeführt. Darunter finden sich mehrere Kleinkinder und Kinder.87 Vom 24. März bis 10. Juni 1999 führte die NATO über 14 000 Luftschläge im Rahmen der NATO-Operation »Allied Force« durch, bis Milošević einlenkte und seine etwa 40 000 Mann starken Kräfte aus dem Kosovo zurückzog. General Clark befahl dabei eine Luftstreitmacht von rund 1000 Flugzeugen. NATO-Maschinen flogen in dieser Zeit etwa 38 000 Einsätze, von denen rund 500 durch die Bundeswehr geleistet wurden und bei denen 200 Raketen des Typs Harm verschossen wurden. Insgesamt beteiligte sich die Bundeswehr mit maximal 33 Luftfahrzeugen, darunter 14 Tornados, was rund 3 Prozent der eingesetzten Luftfahrzeuge entsprach. Im Vergleich dazu setzte Frankreich 84 Luftfahrzeuge, Italien 58 und Großbritannien 39 ein. Die USA stellten mit 731 Flugzeugen nicht nur 69 Prozent der Einsatzkräfte, sondern waren auch die einzigen, die Ziele in Serbien nördlich des Kosovo bekämpften.88 Während die Kampfflieger der Luftwaffe bei der Operation »Allied Force« einen gefährlichen und psychisch belastenden Einsatz durchzustehen hatten, trugen auch andere deutsche Soldaten aus Heer, Luftwaffe und Marine in Mazedonien und Albanien zum Einsatz bei: Die Drohnenbatterie des Heeres lieferte von Tetovo aus weiter Luftbilder. Neben Luftzielen konnten so Schäden an der Infrastruktur, Flüchtlingsströme sowie Truppenbewegungen der VJ aufgeklärt werden. In Albanien bauten 500 deutsche Soldaten der NATO Albanian Force (AFOR) vier Flüchtlingscamps mit insgesamt 25 000 Plätzen. Deutsche Transall flogen 1500  Tonnen Hilfsgüter nach Albanien, in Mazedonien betrieben deutsche Soldaten der NATO-EXFOR in Čegrane ein Flüchtlingscamp für 40 000 Vertriebene. Die Luftwaffe transportierte 1250 Tonnen Hilfsgüter ins Land. Die Deutsche Marine beteiligte sich mit der Fregatte »RheinlandPfalz« sowie mit dem bereits im Rahmen KVM in der Adria eingesetzten Flottendienstboot »Oker«.89 Nachdem in den ersten Tagen der Operation »Allied Force« im Schwerpunkt Flugabwehrsysteme bekämpft wurden, gingen die NATO-Luftwaffen dazu über taktische Punktziele – also Panzer und Artilleriestellungen der VJ – auf dem Gebiet des Kosovo zu bekämpfen. Hier zeigte sich das Problem, dass coercive airpower alleine nicht ausreichte, um Heereseinheiten zu bekämpfen. General Clark hatte, um Verluste unter den eigenen Soldaten durch Flug- und Fliegerabwehr so gering wie möglich zu halten, Angriffe im Tiefflug grundsätzlich ausgeschlossen. Um Panzer aus Flughöhen außerhalb der Reichweite der Luftverteidigung der VJ erfolgreich bekämpfen zu können, wären Heereseinheiten vor Ort im Zusammenwirken mit Forward Air Controllers (FAC) notwendig gewesen. Die politische Entscheidung, die UÇK nicht als Koalitionspartner zu betrachten, sondern dem – angesichts des Luftkrieges faktisch illusionären – Imperativ der »Neutralität« zu folgen, führte dazu, 86 87 88 89

ICTY, IT-99-37-PT (Fall Milutinović et. al.) Keßelring, Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg 1998/99, S. 217. Larson [et al.], Interoperability of US and NATO, S. 57. Keßelring, Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien, S. 73‑75.

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dass die UÇK nicht mit solchen Luftwaffenverbindungsoffizieren der NATO oder deren Ausstattung (Tactical Air Control Party, TACP) ausgerüstet wurde. Dies bedingte wiederum, dass passive Bodenziele wie etwa Kampf- oder Schützenpanzer technisch bedingt (Radaraufklärung) erst dann aufgeklärt werden konnten, wenn sie sich bewegten. Dies erklärt, wieso eine Vielzahl der Kampfpanzer das Ende der Luftkampagne unbekämpft überstehen konnte.90 Andererseits ist festzuhalten, dass der Vorwurf, der Luftkrieg sei ineffektiv gewesen, eher politischer als militärischer Natur war. So wurden im Kosovo im Verlauf der Operation »Allied Force« dreistellige Zahlen von Panzern und anderen Zielen zerstört. Wesentlicher erscheint jedoch, dass durch den Lufteinsatz die Heereskräfte der VJ an der Bewegung und damit am Kampf gehindert wurden. Oder wie es der spätere Generalmajor Jan Kuebart – 1999 Staffelkapitän im Einsatz über dem Kosovo – ausdrückte: »Wer im Versteck bleiben muss, kann von dort aus keine ethnischen Vertreibungen durchführen«.91 Ab dem 10. April 1999 steigerte die NATO – nachdem Serbien nach wie vor nicht eingelenkt hatte – die Zahl der Einsätze deutlich. Vom 14. April an ging sie von der taktischen Luftkriegführung auf eine strategische Luftkriegführung über: Sie zerstörte wichtige Raffinerie und Industrieanlagen. Diese Maßnahme wurde mit dem Verhängen eines Ölembargos am 23. April 1999 gekoppelt. Am selben Tag zerschlug die NATO Kommandozentralen in Belgrad sowie Miloševićs Residenz in Dedinje (Belgrad). Das Ausschalten von Stromanlagen zur Versorgung Belgrads ließ am 3. Mai 1999 nicht nur in Belgrad die Lichter ausgehen, sondern zog auch Probleme in der Wasserversorgung der serbischen Hauptstadt nach sich. Es dauerte mehr als einen Monat von Beginn des Luftkrieges an, bis erste Zeichen einer Änderung der Haltung der serbischen Führung erkennbar wurden. Am 3. Juni 1999 billigte die Regierung in Belgrad die Kernforderungen der NATO sowie den Friedensplan der G-8-Staaten. Am 9.  Juni konnte das »Militärisch-technische Abkommen« (MTA) im mazedonischen Kumanovo unterzeichnet werden. Es sah den Rückzug der VJ und MUP aus dem Kosovo bei parallelen Einmarsch der alliierten Kosovo Force (KFOR) unter Kommando des britischen Generals Sir Mike Jackson in das Kosovo und gleichzeitigem Einstellen der NATO-Luftschläge vor. Am 10.  Juni 1999 wurde dieses »Abkommen von Kumanovo« Teil der UN-Sicherheitsratsresolution 1244 und die NATO erteilte ihrer KFOR den Einsatzbefehl. Am 12. Juni 1999 um 5 Uhr 30 drangen die Vorhuten der britischen, französischen und deutschen KFORKontingente von Mazedonien aus in das Kosovo ein.92 Während es auf Seiten der NATO zunächst ein Interesse daran gab, einen räumlichen Puffer zwischen der sich zurückziehenden VJ und MUP und den KFOR-Einheiten zu schaffen, zeigte die Realität vor Ort, dass die abrückenden jugoslawischen Einheiten 90 91 92

Lambeth, NATO’s Air War for Kosovo, S. 53‑55. Kuebart, Die NATO-Luftoperationen im Kosovo, S. 254. Lehmann, Der Luftkrieg der NATO, S. 90 f. Der damalige Oberleutnant Kai Lehmann war als Zugführer eines Panzeraufklärungszuges einer der ersten deutschen Soldaten, die in das Kosovo einmarschierten.

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häufig ein zügiges Nachrücken der KFOR sogar wünschten. Im Hintergrund stand hier der Wunsch, das Vakuum zu begrenzen, welches Vertreibungen von Serben seitens der UÇK oder rachewütiger Zivilisten ermöglichte. Es gehört zur Tragik des Einmarsches der KFOR, dass diese aufgrund der geringen Zahl und der abgestimmten Nachrückprozeduren aufflammende »Racheakte« an serbischer Bevölkerung nicht im Keim ersticken konnte. Festzuhalten ist jedoch, dass die Masse der Kosovoserben, die nach dem 12. Juni 1999 das Kosovo fluchtartig verließen, gemeinsam mit den serbischen Verbänden abzogen. Die Behauptung, diese seien seitens der KFOR vertrieben worden, ist in den Bereich der bewussten Belgrader Fehlinformationen zu verweisen. Nach der komplexen und potentiell gefährlichen Aufgabe des Einmarsches unter Abzug der VJ und MUP war es der Auftrag der KFOR, mit der verbliebenen Streitmacht, also der UÇK und geringeren Kräften der FARK, eine Vereinbarung über ihre Demilitarisierung zu treffen. Am 20. und 21.  Juni 1999 unterzeichneten General Jackson (KFOR) und Hashim Thaçi (UÇK) ein Abkommen zur Entwaffnung der UÇK. Das Spannungsfeld zwischen dem Eigenverständnis der UÇK als Sieger und der Durchsetzung des KFOR-Mandats konnte nie vollkommen gelöst werden. Problematisch blieb in diesem Zusammenhang, dass die KFOR keineswegs gegen die UÇK als Besatzungsmacht handeln konnte und wollte.93 Die Bundeswehr nahm bei KFOR von Beginn an eine Führungsrolle unter Partnern ein. Mit anfänglich 6000 deutschen Soldaten sowie weiteren 4000 Mann aus Bulgarien, Georgien, den Niederlanden, Russland, der Slowakei, Schweden, Schweiz, der Türkei und Österreich übernahm sie als »Lead Nation« einen Sektor des Kosovo als Multinationale Brigade Süd (MNB  S) mit dem Brigadestab in Prizren. Deutschland stellte damit zehn Prozent der KFOR-Soldaten. Andere »Lead Nations« waren Frankreich (Mitrovicë), Großbritannien (Prishtina), USA (Ferizaj) und Italien (Pejë).94 Die gewachsene Rolle der Bundesrepublik Deutschland zeigte sich auch darin, dass mit General Klaus Reinhardt am 8. Oktober 1999 ein deutscher General der zweite COMKFOR wurde.95

d) Gefahren und Belastungen im Balkan-Einsatz »Zwei von unseren Soldaten waren dabei, als am 22.  September 1999 vier deutsche Soldaten bei einem schweren Minenunfall verwundet wurden. Der eine Obergefreite begleitete als Fernmelder die Fallschirmjägerpatrouille. Er behielt die Nerven und holte Hilfe. Der andere flog als Fernmelder im Hubschrauber mit, der in dem durch Minen gefährdeten Gelände landete, um die Verwundeten herauszuholen. [...] Unsere Fernmeldestaffel auf der 93

94 95

Olshausen, Mit KFOR und UNMIK, S. 606‑610. Generalleutnant Dr. Klaus Olshausen war von Juni bis Dezember 1999 Stellvertreter des 1. Kommandeurs der KFOR, General Sir Mike Jackson. Keßelring, Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien, S. 75. Reinhardt, KFOR. Streitkräfte für den Frieden.

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Hochebene von Dragas, weitab von allen anderen, stellte die Verbindung zum türkischen Infanteriebataillon her. Eines Tages sprengte sich der türkische EOD-Spezialist unglücklicherweise beim Entschärfen einer Bombe direkt neben der Staffel in die Luft. Die Soldaten holten seine blutigen Reste aus ihren Tarnnetzen, damit, was übrig war, beigesetzt werden konnte. Natürlich hatten sie Angst, waren erschüttert und haben um ihren Kameraden getrauert. [...] Wir haben Teams des ICTY bewacht, als diese Massengräber öffneten und untersuchten. Ich erinnere mich, wie zögerlich ich diesen Auftrag akzeptierte und wie sorgfältig wir die kaum zwanzigjährigen Soldaten nach Rückkehr befragten und beobachteten. Konnte, durfte man so jungen Menschen eine solche Aufgabe zumuten?« So erinnerte sich der damalige Kommandeur des Stabs- und Fernmeldebataillon Kosovo des zweiten deutschen Kontingents KFOR, Oberstleutnant i.G. Thomas Will.96 Neben den militärischen, politischen und gesellschaftlichen Ereignisketten und Interdependenzen der Balkaneinsätze ist es wichtig, auch den Soldaten nicht aus dem Blick zu verlieren. Weil die Einsätze der Bundeswehr auf dem Balkan höchst unterschiedlich waren, waren auch die Erfahrungen der einzelnen Soldaten verschieden: Ein Staffelkapitän bei »Joint Force« beschrieb die Erlebnisse wie folgt: »Jedem sind bestimmte Bilder im Kopf eingebrannt: Etwa, wie sich vom Flugzeug des Formationsführers die Harm in der Startphase löst, oder das ständige Ausschau-Halten nach Raketen, die vom Boden auf einen selbst zugeflogen kommen. [...] Die besondere Belastung führte dazu, dass die Beatzungen bereits nach relativ kurzer Zeit physisch und psychisch zu erschöpft waren, um noch fliegen zu können. Dieses Burn-out-Syndrom konnte sich individuell nach unterschiedlicher Zeit einstellen. [...] Wie bei keinem anderen Einsatz wurde bei diesem von den Besatzungen der Tornados der permanente, aktive Waffeneinsatz verlangt, und wie bei keinem anderen Einsatz bestand eine Gefahr für Leib und Leben.«97 Aus dem historischen Rückblick scheinen die Balkaneinsätze der Bundeswehr etwa im Vergleich mit dem ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan weniger gefährlich gewesen sein. Der Eindruck, dass sich die Gefahr im Laufe der Bundeswehreinsätze ständig gesteigert habe, ist jedoch auch der gegenseitigen Verdrängung der Einsätze im medialen Bereich geschuldet. Schon mit dem KFOR-Einsatz der Bundeswehr im nahegelegenen Kosovo im Jahr 1999 begann SFOR in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein Schattendasein zu fristen. Auch ist Gefahr, also potentielle Bedrohung, solange sie sich nicht in Tod und Verletzung manifestiert, nur schwer messbar. Dies verführt dazu anzunehmen, dass für jeden Soldaten, der heil aus dem Einsatz nach Hause gekommen ist, dieser nicht gefährlich gewesen sei. Die Bewertung von SFOR als wenig gefährlicher Einsatz ist freilich insofern zutreffend, als dass keine Angriffe auf deutsche SFOR-Soldaten erfolgten und somit keine deutschen Soldaten durch feindliche Angriffe 96 97

Will, Bataillonskommandeur im Kosovo, S. 263 f. Kuebart, Die NATO-Luftoperationen im Kosovo, S. 257.

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fielen. Allerdings gab es sehr wohl Angriffe auf Kräfte der MND SE anderer Nationen. Als größte Gefahr galt in Bosnien-Herzegowina gemeinhin die Mine. Minentote gab es unter den deutschen SFOR-Soldaten nicht. Dies ist indes kein Indikator für eine geringe Minengefahr – diese war sehr wohl omnipräsent –, sondern für die Wirksamkeit der »mine awareness«. Die NATO verzeichnete im Jahr 2001 insgesamt 13 durch Minen getötete und 133 durch Minen verletzte SFOR-Soldaten. Zu dieser Zeit waren etwa 20 000 Minenfelder in Bosnien-Herzegowina registriert, wobei die NATO davon ausging, dass 50 bis 60 Prozent der existenten Minenfelder registriert seien. Etwa 120  000  Minen waren bis dahin geräumt worden und 26 Quadratkilometer Land wurde als »entmint« qualifiziert. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass 1400 Quadratkilometer minenverseuchtes Gebiet noch nicht entmint war und sich zwischen 950  000 und einer Million noch nicht geborgene Minen in Bosnien-Herzegowina befanden.98 Hieraus könnten mit Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung theoretische Gefahrenpotentiale errechnet werden – für die Soldaten im Einsatz galt jedoch das Bonmot, dass Minen solange ungefährlich sind, bis man auf sie tritt. Insbesondere nach der Schneeschmelze konnten auch in als minenfrei angesehenen Gebieten immer wieder »angespülte« Minen auftreten. Die »mine awareness« war nicht nur Teil der Vorausbildung, sondern wurde als »laufende Aufgabe« im Einsatz immer wieder durch Ausbildung, Aufklärung und Befehle aufrechterhalten. Im Laufe der deutschen SFOR-Operation (einschließlich des deutschen Beitrags zu EUFOR bis 2014) starben insgesamt 19  Soldaten.99 Bei acht der 19  Todesfälle unter Deutschen im Verlauf der SFOR-Operationen (einschließlich EUFOR) handelte es sich um Suizide. Diese erfolgten ausnahmslos unter Gebrauch der dienstlichen Schusswaffe (siehe Abb. 12: »Suizidfälle (Tod durch Waffe) im GECONSFOR« im Anhang). Damit entsprach die Zahl der Suizide etwa derjenigen der Verkehrsunfälle, so dass Selbsttötung statistisch als die zweitgrößte sich materialisierende Gefahr für die deutschen Soldaten im SFOR-Einsatz angesehen werden muss. Ob diese Todesopfer im Verhältnis zu zivilen Suizidraten und der Suizidrate bei der Bundeswehr in der Heimat als »auffällig« oder aber als »normal« einzustufen sind, wurde immer wieder ähnlich kontrovers diskutiert wie die Frage, ob die Ursachen gewissermaßen »privater« oder »militärischer« Natur gewesen seien. Ein Urteil hierüber zu fällen ist nicht Aufgabe des Historikers, sondern sollte den auf Suizidfälle spezialisierten Fachkräften überlassen bleiben. Dennoch kann ein Blick auf die historischen Zahlen helfen, festgefahrene angenommene Zusammenhänge in Frage zu stellen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums nannte – nach einer von der »Deutschen Welle« übernommenen Meldung bei »Spiegel online« – als Ursachen die längere Dauer und die wachsende Zahl an Auslandseinsätzen sowie die Zunahme

98 99

Egeberg, 1,000,000 reasons to watch your step. Offizielle Angaben der Bundeswehr auf deren Website: .

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traumatisierender Erlebnisse.100 Zumindest die Suizidzahlen bei SFOR lassen, wenn man sie in Vergleich zu den Gesamtsuizidzahlen mit denjenigen deutscher Soldaten in anderen Auslandseinsätzen setzt, diesen Schluss so nicht zu: Während die Suizide in den »anderen Auslandseinsätzen« in den Jahren 1998 bis 2002 konstant bei einem Fall pro Jahr blieben, stiegen die Todesfälle im Einsatz durch Suizid in den Jahren 2000 und 2001 bei SFOR auf zwei Fälle pro Jahr an. Dies bedeutet, dass bei SFOR in Rajlovac stets gleich viele oder mehr Suizide geschahen als bei den »anderen Auslandseinsätzen« – also im Wesentlichen beim KFOR-Einsatz (ab 1999) und dem ISAF-Einsatz (ab 2002) – zur gleichen Zeit (siehe Abb. 13: »Suizide im GECONSFOR« im Vergleich zu Suiziden von Bundeswehrsoldaten in allen Einsätzen im selben Zeitraum im Anhang). Den Zahlen nach zu urteilen war es also nicht unbedingt die Zunahme der Einsätze, welche die Suizidrate im Einsatz hochtrieb (im Jahr 2003 kam es zu keinem Suizid im Einsatz). Auch die Länge der Einsätze betrug in diesem Zeitraum bei SFOR ebenso sechs Monate wie in hinsichtlich des Suizids von Soldaten weniger auffälligen Einsätzen wie ISAF oder KFOR. Auch scheint es eher fragwürdig, dass eine »Zunahme traumatisierender Erlebnisse« ausschlaggebend gewesen sei. Die Zunahme der Suizide bei SFOR in den Jahren 2000 und 2001, welche für die höchsten absoluten Zahlen in diesen Jahren verantwortlich ist, kann schwerlich kausal mit einer Zunahme von traumatisierenden Ereignissen im vierten und fünften Einsatzjahr von SFOR in BosnienHerzegowina erklärt werden.101 Es bleibt festzustellen, dass (1) die Suizidrate bei SFOR – und zwar in Rajlovac – höher war als im gleichen Zeitraum bei allen anderen Einsätzen zusammengerechnet und (2) im Jahr 2004 die Suizide in der Bundeswehr, ohne einen im historischen Rückblick erkennbaren kausalen Zusammenhang, dazu verwendet wurden, auf die – sicherlich zutreffende – hohe Belastung der Bundeswehr und eine Verkürzung der Kontingentsdauer auf vier Monate hinzuwirken. Festzustellen ist ferner, dass die Bundeswehr im speziellen wie auch die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen sich im Umgang mit den Suizidfällen im Einsatz besonders schwer getan haben. Konnte ein Opfer von Selbsttötung als Einsatztoter gerechnet werden? Zu bedenken ist, dass Suizid durch Dienstwaffe im Friedensbetrieb der Streitkräfte angesichts rigoros kontrolliertem Umgang mit Munition kaum möglich ist und es sich – unabhängig von den spezifischen psychologischen Ursachen – daher bei den Suizidfällen in Rajlovac sehr wohl um ein einsatzspezifisches Problem handelte, mit dem bei SFOR zum ersten Mal Truppe, Bundeswehrführung und Politik konfrontiert wurde. Viele Soldaten bewerteten den Freitod von Kameraden im Auslandseinsatz als einschneidendes Erlebnis. 100 101

Vgl. zur Diskussion bspw: Bundeswehr im Auslandseinsatz. Ein Selbstmord pro Jahr. In: Spiegel online vom 11.2.2004. Zahlen nach: Artikel »Todesfälle im Auslandseinsatz« auf der Website der Bundeswehr. in Verbindung mit: Suizide deutscher Soldaten im Auslandseinsatz. In: Deutscher Bundestag, 17.  Wahlperiode, Drucksache 17/4792 vom 14.2.2011.

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Ein anderes – wenn auch möglicherweise verwandtes – Phänomen stellten die Fälle von Posttraumatischen Belastungsstörungen dar. Für die Gesamtdauer des SFOR-Einsatzes von 1996 bis 2004 erfasste die Bundeswehr insgesamt 109 an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkrankte männliche und weibliche Soldaten.102 Die zu Beginn dieses Abschnitts gewählten Zitate aus dem KFOR- und »Allied Force«-Einsatz zeigen, dass es sich hier um grundsätzliche Einsatzerscheinungen handelte, die den Fernmeldesoldaten des Heeres ebenso betreffen konnten wie den Strahlenflugzeugpiloten. Bereits im ersten Kontingent starben am 23. Mai 1997 zwei Soldaten bei einem Schießunfall in Rajlovac. Bei der Sicherheitsüberprüfung der 20-mmBordkanone eines SpPz »Luchs« vor Abmarsch einer Patrouille aus dem Feldlager lösten sich sechs Schüsse und schlugen in den davor stehenden Panzer ein. Von der verletzten Besatzung starben der 23-jährige Unteroffizier Matthias Koch aus Güstrow und der 25  Jahre alte Hauptgefreite Torsten Stippig aus Freiburg auf den Operationstischen des Feldlazaretts.103 Bei beiden Opfern handelte es sich um Soldaten aus dem Jägerbataillon  292 aus Donaueschingen. Dieser Unfall ging offenbar auf den zur Routine werdenden Umgang mit scharfer Munition zurück. Bei den deutschen SFOR-Soldaten blieb er der einzige Fall dieser Art. In der Praxis waren es vor allem Unfälle, die im weiteren Sinne als Verkehrsunfälle bezeichnet werden können, die zu weiteren Todesfällen in den deutschen Kontingenten führten. Dabei schienen sich einschleichende Routinen und unterschiedliche lokal bedingte Verkehrsgewohnheiten in Verbindung mit schlechten Straßenverhältnissen das Risiko gegenüber dem militärischen Verkehr in der Heimat zu vervielfachen. Auch wurden im Einsatz schlicht mehr Kilometer zurückgelegt als im Garnisonseinsatz in der Heimat. Die Truppe versuchte mit abschreckenden Beispielen, wie dem Ausstellen von Unfallwracks, ein ständiges Gefahrenbewusstsein wach zu halten. Übungsfahrten im Konvoi halfen, das Unfallrisiko zu reduzieren, standen aber bald in einem Spannungsfeld zur politisch gewollten Deeskalation der Lage, die zu einer Reduzierung von Konvoifahrten führte. In der Folge der Todesfälle im Einsatz entspannen sich wiederholt Diskussionen darüber, ob solche Unfälle »einsatztypisch« seien oder auch am Heimatstandort hätten vorkommen können. Im Hintergrund solcher in Deutschland immer wieder aufkommender Debatten stand nicht zuletzt die Frage, ob es sich bei den Unfallopfern der SFOR um »im Einsatz Gefallene« handelte und damit gewissermaßen die Verantwortung für den Tod der Soldaten im Einsatz bei der politischen Führung (Bundesregierung und Bundestag) lag oder aber, ob es sich um »vermeidbare Unfälle« handelte, die aufgrund von Verletzung von Befehlen und Vorschriften erfolgt waren. Handelte es sich – zugespitzt formuliert – bei den Toten um Nebenerscheinungen 102 103

Zahlen nach: Deutscher Bundestag, 17.  Wahlperiode, Drucksache 17/4792 vom 14.2.2011, S. 4. Bundeswehr-Soldaten bei Unfall in Bosnien getötet. In: Die Welt vom 24.5.1997; Das Drama von 1997. In: Südkurier vom 2.5.2009.

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des Auslandseinsatzes oder um das Versagen von Vorgesetzten vor Ort? Nicht zuletzt spielten Antworten auf solche Fragen bei der Gewährung von Versorgungsansprüchen eine signifikante Rolle. Fern von solchen und ähnlichen von vielen Soldaten als »unfair« empfundenen Debatten ist festzuhalten, dass jeder Soldat, der im Einsatz stirbt, als Einsatztoter zu gelten hat und – auch wenn tödliche Unfälle bei Übungen und Garnisonsdienst oder auf dem Weg zum Dienst vorkommen können – Todesfälle und Verletzungen im Einsatz stets mit diesem in Verbindung stehen. Die Unterscheidung nach Ursachen, Gründen und Verantwortlichkeiten scheint dabei eine deutsche gesellschaftliche Spezialität zu sein – niemand fragt, ob etwa amerikanische Gefallene des Vietnamkrieges durch Feindeinwirkung oder Unfälle im Dienst gestorben sind. Die Ursachen für dieses »Delegieren der Verantwortung nach unten« mag der besonderen Situation der ersten deutschen Einsatzkontingente auf dem Balkan geschuldet gewesen sein. Zeitgenössisch waren nicht nur die versorgungsrechtlichen Fragen noch unklar, sondern es bestand auch eine besondere Scheu, »das Kind beim Namen zu nennen«. Die nicht selten von der politischen und militärischen Realität der 1990er Jahre vor Ort abgehobenen politischen Diskurse, wie diejenige über »deutschen Kampftruppeneinsatz angesichts deutscher Vergangenheit« oder die »Soldaten sind Mörder«Debatte, verstellten den politischen Blick für die Probleme der Soldaten im Einsatz: Allen voran die Frage nach politischer Verantwortung und Fürsorge der Entscheider gegenüber ihrer Exekutive. Mit der geradezu krampfhaften politischen Verdrängung alles »Martialischen« sogar durch den Verteidigungsminister ging auch die gesellschaftliche Verdrängung der Einsatztoten – von Gefallenen wurde entsprechend zeitgenössisch nicht gesprochen – einher. Da unter den Todesfällen bei SFOR solche Fälle vorherrschten, die auch dahingehend interpretiert werden konnten, dass sie »auch in der Heimat hätten passieren« können, wurde diese Entwicklung noch zusätzlich begünstigt. Wichtig ist festzustellen, dass die 19 deutschen SFOR-Toten eben faktisch im Einsatz ihr Leben verloren haben. Die Frage, ob sie in der Heimat die gleiche Zeitspanne überlebt hätten, ist kontrafaktisch, führt ins Absurde und entbindet die politischen und militärischen Verantwortlichen keineswegs von der Verantwortung. Im militärischen Bereich scheint dies bereits früh erkannt worden zu sein. Doch bestand hier offenbar ein möglicherweise binnenkulturell bedingtes Schnittstellenproblem in der Kommunikation zwischen Militär und Politik. Als prägnantes Beispiel für die Art der Todesursachen von SFOR-Soldaten ist der Tod des 36-jährigen Hauptmanns Harald Leyh zu nennen. Dessen TPz »Fuchs« kam auf dem Weg von Hadžići nach Krupac am 6.  Juli 1998 von der Straße ab und rutschte sich überschlagend eine Böschung herunter.104 Solche und andere Verkehrsunfälle mit insgesamt neun Todesopfern unter den deutschen SFOR-Soldaten entsprachen als Todesursache nicht dem in Deutschland typischen Verkehrsunfallmuster, sondern waren eher den be104

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II. Krieg und Friedensoperationen

sonderen Straßenverhältnissen, der Bauart der Militärfahrzeuge sowie dem Umstand geschuldet, dass die Fahrzeugkommandanten im Einsatz aus den Luken heraus zu führen hatten. Ein ähnlicher Fall, der sich etwa ein Jahr später im albanischen Durrës ereignete, sollte später für Furore sorgen. Der TPz »Fuchs« des im Rahmen der Kosovo Verification Mission (KVM) im mazedonischen Ohrid Dienst tuenden Oberstabsarztes Sven Eckelmann stürzte von einer Brücke. Der 33-jährige Oberstabsarzt – der offenbar aus der Luke des Panzers herausgesehen hatte – starb am 30.  Mai 1999 bei dem Absturz von der Brücke. Neben seiner Frau hinterließ Eckelmann zwei damals fünf und zwölf Jahre alte Söhne.105 Im Jahr 2002 kam es zu einem Gerichtsverfahren, da die Bundeswehr sich weigerte, der Witwe des verunglückten Zeitsoldaten eine erst 1999 eingeführte Einmalzahlung an die Hinterbliebenen in Höhe von 38 000 Euro bei Todesfall im Einsatz zu zahlen. Gegen den Panzerfahrer, der mit dem Leben davon gekommen war, wurde seitens der Straubinger Staatsanwaltschaft ermittelt. Diese stellte fest, dass der Panzerfahrer zu schnell gefahren sei, er die Brücke nicht ausreichend erkundet habe und die Kommunikations- und Führungsorganisation im Fahrzeug mangelhaft gewesen sei. Damit wurden nicht die Umstände, dass der bewegliche Arzttrupp (BAT) im Einsatz auf einer teilzerstörten Brücke in Albanien unterwegs war für das Unglück verantwortlich gemacht, sondern die Verantwortung auf die niedrigste Ebene, nämlich den BAT und dort den Panzerfahrer im Mannschaftsrang geschoben. Im Fall der Versorgungszahlung an die Witwe des Oberstabsarztes beharrte die zuständige Bundeswehrverwaltung darauf, dass es in Albanien keine vom Inland wesentlich abweichenden Verhältnisse mit gesteigerter Gefährdungslage gegeben habe, also der Unfall auch in Deutschland hätte passieren können. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass am 30. Mai 1999 die Soldaten sich formaljuristisch nicht im Einsatz befanden, sondern in einem PfP-Land Dienst taten. Keine zwei Wochen später – nach dem Einmarsch ins Kosovo am 12. Juni 1999 – wäre gegebenenfalls die Rechtslage anders interpretiert worden. Die Entschädigungszahlung von maximal 74 000 Euro aber – so argumentierte die Bundeswehrverwaltung – sei für den Tod in Krisensituationen gedacht. Auch habe der BundeswehrArzt nicht bewusst sein Leben eingesetzt, sondern sei durch das fahrlässige Verhalten des Panzerfahrers ums Leben gekommen.106 Am 20.  Juni 2002 entschied das Berliner Verwaltungsgericht, dass der Witwe des verunglückten Soldaten keine Entschädigungszahlung durch die Bundeswehr zustünde. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes kritisierte diese Entscheidung unter anderem mit den Worten: »Dieses Urteil ist ein Schlag für die Hinterbliebenen und die Soldaten der Bundeswehr. Und es wird sich negativ auf die Motivation der Soldaten, die in gefährliche Auslandseinsätze entsandt werden, auswirken [...] Wer als Dienstherr so mit den Soldaten und

105 106

Letztes Geleit für Bundeswehr-Arzt. In: Berliner Kurier vom 10.6.1999. Udo Ludwig, Bundeswehr. In: Der Spiegel 25/2002 vom 17.6.2002, S. 56.

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ihren Angehörigen umgeht, verspielt Vertrauen. Die Soldaten fühlen sich im Stich gelassen.«107 Dieses Beispiel zeigt, dass noch im Jahr 2002 – fünf Jahre nach dem Beginn von SFOR (!) – die Bundesrepublik Deutschland keine Gesetze und Verfahren entwickelt hatte, die der Entsendung von Soldaten in Auslandseinsätze in ihren realen Gefahren gerecht wurden. Politik und Verwaltung, aber auch Parlament und Judikative versteckten sich hinter Vorschriften, die schon mit der komplexen Einsatzrealität der 1990er Jahre nichts mehr zu tun hatten. Erst im Jahr 2004 – also etwa mit Abschluss des SFOREinsatzes – wurden unter Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) mit dem Einsatzversorgungsgesetz Grundlagen geschaffen, die als adäquat bezeichnet werden können. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schaffte erst 2007 unter Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Voraussetzungen dafür, dass im Einsatz verletzte und damit teilweise dienstunfähig gewordene Soldaten auf entsprechenden Dienstposten umgeschult werden konnten und nicht, wie zuvor, nach einsatzbedingter »Untauglichkeit« zu entlassen waren. Diese Entwicklung hin zur Fürsorge zeigt einen Wandel in der deutschen Gesellschaft, der wohl mit der verstärkten Wahrnehmung des Einsatzes in Afghanistan in Verbindung stand. In die gleiche Zeit (2008) fiel die Schaffung eines »Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit«. Forderungen nach einem eigenen Tapferkeitsorden für Bundeswehrsoldaten lassen sich zumindest bis zum Einsatz der Luftwaffe im Rahmen der Operation »Joint Force« nachweisen. Im historischen Rückblick erscheint es einerseits erstaunlich, dass deutsche Soldaten unter solchen Versorgungsumständen überhaupt bereit gewesen sind, ihren Dienst bei SFOR anzutreten. Andererseits stellt sich die Frage, wieso die Bundesregierungen aller Couleur in dieser Weise mit dem Vertrauen ihrer Soldaten spielten. Zukünftige Untersuchungen mögen sich solcher Fragen annehmen. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass sowohl die Politik als auch die Soldaten erst durch praktische Fehler lernten und sich die Herausforderungen der Einsatzrealität erst schrittweise abzeichneten. Ein mögliches Feststellen solch einer reaktiven Politik würde allerdings bedeuten, dass in der Bundesrepublik, außerhalb der NATO-Planung, auf militärischem Gebiet nicht vorausschauend, also strategisch, gedacht, geplant und gehandelt worden wäre. Die nationale Fähigkeit zum strategischen Denken und Handeln war nach dem Zweiten Weltkrieg beim Aufbau der Bundeswehr nicht gewollt. Die im Rahmen der ersten Balkaneinsätze konstruierten Ersatzbetriebslösungen konnten offenbar die Funktionen eines selbstdenkenden Militärs nicht ersetzen. Ob ein solches überhaupt gewollt war (und ist) erscheint darüber hinaus fraglich. Solche Fragestellungen sind dabei keineswegs von rein akademischer oder militärisch-fachlicher Natur.

107

Deutscher Bundeswehrverband: Soldatenwitwe erhält keine Entschädigung, DBwVVorsitzender Gertz zum Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom 21.6.2002.

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II. Krieg und Friedensoperationen

Sie betreffen den Kern des Verhältnisses von Staat, Militär und Gesellschaft und haben darüber hinaus auch ganz konkrete Auswirkungen auf alle drei Handlungsebenen.

III. Historische Einordnung – der Balkaneinsatz zwischen Krieg und Frieden

Zur historischen Einordnung des Balkaneinsatzes gilt es, sich die zu Anfang gestellte Fragestellung wieder ins Gedächtnis zu rufen: Wie handelte die Bundeswehr, wann und warum? Wie waren die Operationen der deutschen Truppe in der jeweiligen strategischen Ebene sowie in den Vorgängen der staatlichen Ebene der nationalen Politik und der internationalen Beziehungen zu verorten? Zuvor wird jedoch aufgrund des hier Festgestellten eine grobe Periodisierung des Untersuchungszeitraums vorgeschlagen: Als grundlegende politische Zäsur für die Balkaneinsätze der Bundeswehr ist weniger der Regierungswechsel Kohl-Schröder (1998), als der Abzug der russischen Truppen (1994) und damit das faktische Erreichen der im »Zwei-plus-vierVertrag« festgeschriebenen Souveränität anzusehen. Das deutsche Engagement mit militärischen Mitteln begann sich auf dem Balkan ab 1994 vom Paradigma des »humanitären Einsatzes« hin zur Nutzung der Bundeswehr für konkrete außenpolitische Ziele zu wandeln. Diese waren jedoch keineswegs territorialer oder etwa wirtschaftlicher Natur, sondern zielten vielmehr auf das Festschreiben der Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Konzert der Mächte ab. Dabei bildeten in der »Ära Kohl« sowohl das deutsch-französische Tandem als auch die transatlantische Bindung das Fundament. Die häufig hervorgehobene Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Legalität der »Out-of-area-Einsätze« erscheint weniger als Ursache, sondern auch in der »Politizität« der Entscheidung hinsichtlich des Zeitpunkts 1994 eher als Symptom. Die Fokussierung auf den deutsch-französischen Gleichklang führt zur militärischen Zäsur zum Jahreswechsel 1996/1997: Hier erreichte Deutschland mit dem SFOR-Einsatz als Vehikel erstmals den Status als gleichberechtigte militärische Macht unter den NATO-Partnern. Während der Operation »Joint Guard« erfolgte dies unter freiwilliger Unterstellung unter französische militärische Führung. Dies sollte sich erst anderthalb Jahre später mit »Joint Forge« ändern. Dieses Heraustreten aus dem französischen Windschatten fiel grob mit dem Regierungswechsel und mit dem Beginn des Kosovo-Engagements zusammen – es war aber weit weniger hierdurch, denn strukturell bedingt. Somit ergibt sich unter einem sicherheitspolitischen Paradigma folgende Periodisierung: (1) 1990 bis 1994: Phase der militärischen

322



III. Historische Einordnung

Zurückhaltung, (2) 1994 bis 1998: Phase des deutsch-französischen Tandems, (3) 1998 bis 2001: Phase des nationalen Freischwimmens mit tastenden Ansätzen einer deutsch-russischen Schaukelpolitik. Außenpolitisch zeigt sich damit nach Abschluss der sicherheitspolitischen Linie der »Normalisierung« und »Gleichberechtigung« eine Abkehr vom »langen Weg nach Westen« (Heinrich August Winkler), die sich nicht zuletzt im Irakkrieg des Jahres 2003 manifestierte. Die Balkaneinsätze der Bundeswehr vollzogen sich in – je nach Lesart – rund 25 unterschiedlichen multinationalen Operationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Sie fanden eingebunden in unterschiedliche institutionelle Rahmen wie die UN, OSZE, NATO und nach unserem Betrachtungszeitraum ab 2003 auch dem Rahmen der EU (EUFOR Concordia in Mazedonien und 2004 EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina) statt. Sie umfassten das gesamte militärische Spektrum von der Hilfsoperation bis zum Kampf. Gleichzeitig ablaufende Operationen ergänzten sich zu einem gemeinsamen strategischen Ganzen. Am deutlichsten wird dies im Zusammenspiel von KVM, »Eagle Eye«, EXFOR und AFOR mit Bezug auf das Kosovo. Aber auch »Deny Flight«, »Airlift«, UNPROFOR und »Sharp Guard« bildeten bezogen auf BosnienHerzegowina operative Bestandteile eines strategischen Ansatzes, zu dem die Bundeswehr wiederum einen Teil innerhalb der einzelnen multinationalen Operationen beitrug. Ein strategischer Gesamtansatz (grand strategy) setzt jedoch gemeinsame Ziele voraus. Es versteht sich von selbst, dass angesichts unterschiedlicher nationaler Interessen und verschiedener nationaler Zusammensetzungen diese etwa zwischen den unterschiedlichen Rahmen der UN, der OSZE und der NATO nur bedingt abgleichbar waren. Hier zeigte sich das Problem, dass auch das internationale System nach 1990 letztlich nur auf diejenigen sicherheitspolitischen internationalen Strukturen zurückgreifen konnte, die als Folge des Zweiten Weltkrieges oder im Verlauf des Kalten Krieges entstanden waren. Die UN stellte durch ihre Fixierung auf den Sicherheitsrat letztendlich einen Spiegel der Machtkonstellation von 1945 dar, die NATO wurde von vielen als Relikt des überwundenen Kalten Krieges verstanden. Als »neueste« Organisation stand die aus der KSZE hervorgegangene OSZE da, die sich nach Gorbatschows Schlagwort vom »gemeinsamen Haus Europa« für so manchen als das nach dem Kalten Krieg angemessene Instrument zeigte. Es erschien naheliegend, dass – um im Bild zu bleiben –, wenn es in einem Zimmer des Hauses brannte, es Sache der Hausverwaltung sei, die Feuerwehr zu rufen. Bei aller Eingängigkeit solcher Bilder trafen sie jedoch nie die Realität. Wenn denn die KSZE/OSZE die »Hausverwaltung« war, so bestand sie aus uneinigen »Mietparteien«, die sich nicht einigen konnten, wer denn diese »Feuerwehr« sei und wann bzw. ob überhaupt diese zu rufen sei. Darüber hinaus konnte man sich nicht darauf einigen, diese mit effektiver »Löschausrüstung« zu entsenden, sondern schickte sie daher mit »Feuerpatschen gegen Großbrände«. Die Betrachtung des diplomatischen Verlaufs der Ereignisse zeigt in der Gesamtschau, dass es aufgrund des Prinzips der Einstimmigkeit im

III. Historische Einordnung

323

Rahmen der UN und der OSZE nicht möglich war, zu solchen Lösungen zu kommen, die in den jeweiligen Konflikten den Frieden gebracht hätten. Um das Kind beim Namen zu nennen, lag dies vor allem immer wieder am Blockadeverhalten Russlands sowohl als UN-Sicherheitsratsmitglied als auch als KSZE/OSZE-Mitglied. Oder aber es lag – aus russischer Sicht – daran, dass »der Westen« die UN bzw. OSZE nur zum »Absegnen« der für ihn vorteilhaften eigenen Lösungen der Konflikte missbrauchen wolle, anstatt Russland das Mitspracherecht zu geben, das ihm gebühre. Gerade aber in der Frage des »Gebührens« gingen die Vorstellungen weit auseinander und es zeigte sich, dass die reale Macht des selbst durch den Transformationsprozess stark ins Schlingern geratenen Russland angesichts militärischer Stärke bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Schwäche nicht zum Gestalten des Friedens, sehr wohl aber zum Blockieren gemeinsamer Lösungen ausreichte. Die sich parallel zu den Kriegen auf dem Balkan weiterentwickelnde NATO konnte dieses Defizit nur bedingt auffangen. Zwar wurde versucht, durch Einbindung der NATO für Russland den historisch ererbten Schrecken zu nehmen, doch führte dies in der Praxis zu zwei unterschiedlichen »NATOs«: Hier die »alte NATO« des Artikel 5, die für die Verteidigung des Bündnisgebietes zuständig war, da die »neue NATO« der »Out-of-area-Einsätze, die nur im Verbund mit den Partnern zu handeln bereit war. Dies bedeutete wiederum, dass die NATO damit faktisch in Fragen der Balkan-Strategie Russland eine Art ungeschriebenes Vetorecht einräumte. Dieser Vorgang könnte mit dem hässlichen Kunstwort einer »OSZE-isierung« der NATO in Sachen Balkaneinsätze umschrieben werden. Da die NATO-Staaten aber nur bedingt und in unterschiedlicher Intensität dazu bereit waren, ihre nationalen Interessen auf dem Balkan oder, vermittelt durch diese, ihre Interessen in der Welt vom Wohlwollen Russlands abhängig zu machen, wurde Russland mittels Hilfszahlungen oder Drohgebärden immer wieder gezwungen, solche Schritte zu akzeptieren, die seitens der Regierung oder zumindest seitens der Opposition als den russischen Interessen gegenläufig betrachtet wurden. Als Positivum ist zu vermerken, dass immer zu dem Zeitpunkt, an dem Russland und »der Westen«, aus welchen Gründen auch immer, an einem Strang zogen, rasch deutliche Fortschritte in Richtung Kriegsbeendigung erreicht werden konnten. Damit kam der klassischen zwischenstaatlichen Diplomatie, dem Schmieden von Koalitionen eine neue Bedeutung zu. Hierüber täuscht die formale supranationale oder multinationale Einbindung leicht hinweg. Wesentliche Akteure waren Koalitionen mit beschränkten gemeinsamen Zielen, die eher den realen Machtverhältnissen entsprachen, wie etwa die aus den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland bestehende Balkan-Kontaktgruppe. Eine solche Entscheidungsfindung über die Zukunft des ehemaligen Jugoslawiens unterschied sich strukturell nicht wesentlich von etwa der Berliner Konferenz von 1878, die weitgehend über die Köpfe der betroffenen Staaten hinweg die Konkursmasse des Osmanischen Reiches nach geostrategischen Gesichtspunkten neu gegliedert hatte. Entsprechend unvollkommen waren die dort getroffenen Kompromisse wie

324



III. Historische Einordnung

etwa das Abkommen von Dayton, in dem festgelegt wurde, was BosnienHerzegowina alles nicht sein sollte, ohne zukunftsfähige Strukturen zu schaffen oder die institutionelle Absicherung eines Schwebezustandes für das Kosovo. Beide »Lösungen« brachten zwar Frieden im Sinne einer Abwesenheit von Krieg, sind aber im klassischen Sinne lediglich als »Vorfrieden« zu begreifen. Bis zu einer »endgültigen« Friedenslösung blieben daher nur provisorische Konstruktionen von »Protektoraten« der UN (im Falle des Kosovo) oder einer Koalition (im Falle Bosnien-Herzegowinas). Das hier beschriebene strukturell bedingte Fehlen einer gemeinsamen strategischen Zielrichtung traf indes nicht auf die NATO als Organisation zu. Nachdem sich die NATO für die Kriege im ehemaligen Jugoslawien zuständig erklärte – ein Transformationsprozess, der erst schleppend in Gang kam und keineswegs vorherbestimmt war –, entwickelte die NATO zumindest eine Militärstrategie für den Balkan. Dabei trafen das »Out-of-area-Engagement« der NATO zeitlich mit demjenigen Deutschlands zusammen. Die schmerzlichen – letztlich gescheiterten – Versuche einer auf UN-Friedenstruppen gestützten Befriedung des Westbalkans blieben so Deutschland, anders als etwa Kanada oder den Niederlanden, erspart. Für das, erste militärische Gehversuche als vollsouveräner Staat ausprobierende, wiedervereinigte Deutschland war hierbei neu, dass es nationale sicherheitspolitische Positionen geben konnte, die sich besser außerhalb der NATO verwirklichen lassen konnten. Damit zeigte sich die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Bundeswehr als ein eifriger und »treuer« Bündnispartner: Eckstein der ehemaligen Staatsraison der Bundesrepublik im Kalten Krieg. Eine Emanzipation von diesem Paradigma geschah vorsichtig abtastend, kaum zielgerichtet und verfestigte sich weniger durch die Parteizugehörigkeit der jeweils Regierenden als durch generationelle Erfahrungen der Akteure. Ein Beispiel hierfür stellt die Etablierung der UNMIK für das Kosovo dar, die nicht zuletzt durch das deutsche Interesse einer Einbindung Russlands zustande kam. In der Praxis schaffte dies schwer aufeinander abstimmbare Parallelstrukturen zwischen der NATO und der UN, die den russisch-westlichen Interessengegensatz lediglich in neue Formen gossen. Für die Bundeswehr bedeutete diese oben skizzierte mittelfristige Entwicklung, dass sie sich im Spannungsfeld zwischen NATO und nationaler Exekutive neu zu verorten hatte. Nationale Führungsstrukturen – während des Kalten Krieges ein Unwort, da dies die für die Bundesrepublik so zentrale Bündnissolidarität hätte gefährden und die Geister des Zweiten Weltkrieges wachrufen können – wurden vorsichtig zuerst für die Luftwaffe und das Heer, später teilstreitkräfteübergreifend (joint) geschaffen. Exemplarisch wurde dieses Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Positionen in Bezug auf Bosnien-Herzegowina durch Bundesverteidigungsminister Volker Rühe und General Klaus Naumann als Vorsitzendem des NATOMilitärausschusses von 1996 bis 1999 personifiziert. Auch galt es das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Heeresführung neu auszutarieren. Dies zeigte sich exemplarisch in den Meinungsverschiedenheiten über die »Schwere«

III. Historische Einordnung

325

des gepanzerten Einsatzverbandes für SFOR. Der »Weg zur Normalität« bedeute aber auch, dass etwa analog zu Großbritannien zunehmend eine Verortung deutscher Sicherheitspolitik außerhalb der NATO denkbar wurde. Zumindest wenn man voraussetzt, dass nicht die Bereiche des Artikels 5 des Nordatlantikvertrages betroffen waren. Mit der NATO-Osterweiterung des Jahres 1999 trat dieser für Deutschland zunehmend in den Hintergrund und öffnete neue Handlungsmöglichkeiten. Diese waren und sind indes nicht ohne Gefahr für die politische Verortung der Bundesrepublik im Westen. Ist die Bundeswehr historisch betrachtet im Verbund und unter Führung der NATO zu einer der Kriegsparteien auf dem Balkan geworden? Eine in diesem Zusammenhang relevante Frage ist diejenige nach dem Ende von neutralem »Peacekeeping« und dem Beginn eines Eingreifens an der Seite einer Kriegspartei (Intervention). Daran schließt sich die Frage an, ob bzw. wann die NATO auf dem Balkan und damit gegebenenfalls auch die Bundeswehr faktisch zu einer Kriegspartei, die Bundesrepublik Deutschland zu einer kriegführenden Interventionsmacht geworden ist? Diese historische Frage ist unabhängig davon zu untersuchen, ob es der Bundesrepublik Deutschland staatsrechtlich erlaubt war (und ist) einen Angriffskrieg zu führen. Vielmehr geht es um die historische Feststellung, ob die Bundesrepublik Deutschland durch ihr bewaffnetes Engagement für den Frieden auf dem Balkan selbst zu einem Teil der Balkankriege der 1990er Jahre wurde – möglicherweise ohne sich eines Angriffskrieges, wie ihn die Väter und Mütter des Grundgesetzes verstanden hätten, schuldig zu machen. Diese Frage wird dadurch verkompliziert, dass selbstverständlich die Antwort nicht zuletzt von dem verwendeten Kriegsbegriff abhängt. Hier wird – da allgemein anerkannt – die klassische völkerrechtliche Kriegsdefinition der UN zu Grunde gelegt: »Krieg ist eine mit Waffengewalt geführte Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen, von denen wenigstens eine als reguläre Armee oder Streitkraft auftreten muss. Die Aktivitäten der Gruppen sollen organisiert und zentral gelenkt sein und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.« Legt man diese Definition zugrunde, so wurden mit der »Wende von Sarajevo« am 30. August 1995 die Soldaten der von Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden gestellten Rapid Reaction Force (RRF) selbst Kriegsteilnehmer. An diesem Tag beschoss französische Artillerie serbische Artilleriestellungen bei Sarajevo: Es gibt keinen Zweifel daran, dass es sich bei der RRF um eine »reguläre Streitkraft« handelte und dass das Schießen mit 105  mm Artilleriegranaten als »Waffengewalt« zu werten ist. Spätestens von diesem Tag an befanden sich folglich auch die seit dem 7. August im Rahmen von »Deny Flight« ausschließlich zur Unterstützung der RRF freigegebenen deutschen Tornados im Krieg. Der 30. August war gleichzeitig der Beginn der Operation »Deliberate Force«. Mit dem CAS, den die deutschen Tornados zur Unterstützung der RRF im Rahmen »Deliberate Force« flogen, nahm die deutsche Luftwaffe demzufolge an einem Krieg teil. Zwar war der Auftrag der RRF wie auch der von »Deny Flight« und »Deliberate Force« theoretisch neutral gehalten, doch richtete sich deren taktisches Wirken gegen die VRS bzw. die jugoslawische

326



III. Historische Einordnung

Luftwaffe. Unterstützungsleistungen für die RRF im Rahmen der UNPF können in die gleiche Richtung gewertet werden, da nicht nur diejenigen Soldaten sich völkerrechtlich gesehen im Krieg befinden, die schießen, sondern auch diejenigen, welche für diese »Gruppe« Unterstützungsleistungen erbringen. Nach dieser Lesart hätte der Vertrag von Dayton vom 21. November nicht nur den Krieg der ARBiH, HVO, HV und VRS, sondern auch denjenigen der Bundeswehr und anderer beteiligten NATO-Streitkräfte in BosnienHerzegowina beendet. Die gleiche Argumentation lässt sich auch analog für die Einsätze im Rahmen der vom 24.  März bis 10.  Juni 1999 andauernden Operation »Allied Force« vorbringen. Das Militärisch-Technische Abkommen von Kumanovo hätte damit auch die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr über dem Kosovo beendet. Damit ist auch der Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien, im Rahmen EXFOR oder auch KVM in diesem Zeitraum, als Kriegshandlung zu werten. Schließlich klärte etwa die in Tetovo stationierte Drohnenbatterie auch Luftziele auf, die anschließend beschossen worden sind. Die Vorgänge der Aufklärung und der Bekämpfung sind völkerrechtlich nicht analytisch voneinander zu trennen. Die Soldaten der Bundeswehr bei EXFOR und KVM gehörten im fraglichen Zeitraum unzweifelhaft zu der gleichen bewaffneten Gruppe wie die Jagdstaffeln der »Allied Force«. Nach der zu Grunde gelegten Kriegsdefinition befand sich also die Bundeswehr vom 30.  August bis zum 21.  November 1995 als Kriegsteilnehmer im Krieg um Bosnien-Herzegowina und vom 24. März bis 6. Juni 1999 als Kriegsteilnehmer im Krieg um das Kosovo. Jeder dieser Zeiträume war kürzer als drei Monate. Es kam zu keinen deutschen Verlusten. Für den Rest der Balkanoperationen könnte der amerikanische Begriff des »less than war« – unterhalb der Kriegsschwelle – angewendet werden. Eine schwierige Frage ist diejenige nach der Rolle der regionalen Kriegsparteien im strategischen Ansatz der NATO und damit Deutschlands. Stand die NATO und damit die Bundeswehr und Deutschland als möglicherweise stiller Verbündeter an der Seite der HV und HVO und damit Kroatiens im Krieg um die Krajina bzw. der ARBiH im Krieg um Bosnien-Herzegowina? War die NATO stiller Verbündeter der UÇK? Wie gezeigt werden konnte, deutet vieles darauf hin, dass die USA Kroatiens HV und die ARBIH mittels »private military enterprizer« im Zeitraum von Operation »Deliberate Force« unterstützt haben. Die Unterstützung des »Atlantic Batallion«, der UÇK durch CAS im Rahmen der Operation »Allied Force« in der Nähe des Berges Pastrik wird in einer Studie der RAND-Cooperation bestätigt.1 Solche Vorgänge liegen weitestgehend im Dunkeln und wären durch zukünftige Studien bei Freigabe der entsprechenden Akten historisch zu untersuchen. Mit heutigem Wissenstand gab es vereinzelte taktische Kooperation, Ausbildungskooperation sowie Informationsaustausch. Ob dies die NATO bereits zu einem »Verbündeten« machte, liegt wohl vor allem in den Augen 1

Lambeth, NATO’s Air War in Kosovo. RAND. Santa Monica, CA 2002, S. 53.

III. Historische Einordnung

327

des Betrachters. In der militärischen Praxis des ausgehenden 20. Jahrhunderts benötigt der Einsatz der Luftwaffe gegen Panzerziele aus großen Höhen Bodentruppen, die diese zur Bewegung zwingen und durch Radar aufklärbar machen. Diese Funktion nahmen taktisch betrachtet in Bosnien-Herzegowina die HV, HVO und ARBiH, im Kosovo die UÇK und die FARK war. Die NATO weigerte sich während der Luftoperationen strikt als »Luftwaffe der UÇK« betrachtet zu werden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es für die UÇK dennoch eine Ehre gewesen sein könnte, als Bodentruppen der NATO im Kampf gegen die VJ fungiert zu haben. Die Militärgeschichte ist reich an ungewollten militärischen Allianzen, die zerbrachen, sobald die Waffen zu schweigen begannen. Das von den UNEinsätzen auf dem Balkan ererbte Primat der Neutralität zeigte sich nicht selten als Illusion. Angesichts Vertreibung, Mord und Vergewaltigung – den sogenannten ethnischen Säuberungen – gibt es ohnehin keine moralisch zu rechtfertigende Neutralität.

Anhang

Jugoslawien Bosnien-Herzegowina Adria Adria Adria Adria Bosnien-Herzegowina Adria Mazedonien Kroatien Bosnien-Herzegowina Bosnien-Herzegowina, Kroatien Bosnien-Herzegowina Mazedonien Kroatien Bosnien-Herzegowina Albanien Albanien, Mazedonien Mazedonien Mazedonien Mazedonien Bosnien-Herzegowina Kosovo Jugoslawien Adria Kosovo Kosovo Mazedonien Mazedonien Mazedonien Mazedonien Bosnien-Herzegowina

Gebiet

© ZMSBw 08208-09

PK Humanitäre Hilfe PK PK PK PK PK PK PK PK PE PK PE/PK CP PK PK Evakuierung PE PK/CP Luftaufklärung im Rahmen KVM Evakuierung PK Militärbeobachter PE PK PK PE/PK PK PK PK PB PB

Kategorie nach UN-Terminologie*

** keine Beteiligung der Bundeswehr

UN UN NATO WEU NATO WEU NATO NATO/WEU UN UN NATO UN NATO UN UN NATO NATIONAL NATO NATO OSZE NATO NATO OSZE NATO NATO NATO NATO NATO NATO NATO EU EU

Internationaler Rahmen

* CP = Conflict Prevention, PK = Peacekeeping, PE = Peace Enforcement, PB = Peacebuilding

UNPROFOR AIRLIFT SHARP VIGILANCE MARITIME MONITOR SHARP FENCE MARITIME GUARD DENY FLIGHT SHARP GUARD UNPROFOR** UNCRO DELIBERATE FORCE UNPROFOR (Rapid Reaction Force) JOINT ENDEAVOUR (IMPLEMENTATION FORCE-IFOR) UNPREDEP UNTAES ** JOINT GUARD (STABILISATION FORCE-SFOR) OPERATION LIBELLE DETERMINED FALCON DETERMINED GUARANTOR EAGLE EYE EXTRACTION FORCE (EXFOR I, II) JOINT FORGE (STABILISATION FORCE-SFOR) KOSOVO VERIFICATION MISSION (KVM) ALLIED FORCE ALLIED HARVEST JOINT GUARDIAN KOSOVO FORCE-KFOR AMBER FOX ESSENTIAL HARVEST ALLIED HARMONY CONCORDIA ALTHEA

1992 1992 1992 1992 1992 1992 1993 1993 1993 1995 1995 1995 1995 1995 1995 1996 1997 1998 1998 1998 1998 1998 1998 1999 1999 1999 1999 2001 2001 2002 2003 2004

Quelle: Zusammenstellung Keßelring.

Operation

Beginn

Abb. 1: Militärische Balkanoperationen

332



Karten und Grafiken Abb. 2: Kroatien mit UNPAs Argentinien

Zagreb

SLOWENIEN

KROATIEN Nigeria

Jordanien

UNNordzone Dänemark

Frankreich

Veliki Kladusa

Polen

UNGARN

UNWestzone

UNBelgienOstzone Luxemburg

Kanada

Russland

Nepal

Banja Luka

Doboj Tuzla

BOSNIENHERZEGOWINA

Tschechien Frankreich UNSüdzone Kenia

Großbritannien

Ägypten

Vitez

Frankreich

Kanada Livno

VOJVODINA (AUTONOME PROVINZ)

Ukraine

Kiseljak

Sarajevo

SERBIEN

Mostar

Adriatisches Meer

Spanien Medjugorje

„Pink Zones“ außerhalb der UNPA-Sektoren

0

25

50

Trebinje

75

100 km

Quellen: Milan Baletić, Hrvatska 1994. Zagreb 1994, in Verbindung mit Sandra Kasunić, Pragmatic Peace. The UNTAES Peacekeeping Mission as Example for Peaceful Reintegration of Occupied Multiethnic Territories. Venice Lido 2018, S 18.

MONTENEGRO Ein nordisches Bataillon (Finnland, Schweden, Norwegen) hat seinen Hauptsitz in Skopje, Mazedonien

ALBANIEN © ZMSBw

08209-06

333

Karten und Grafiken Abb. 3: Serbische Autonome Oblaste in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ÖSTERREICH

UNGARN

Klagenfurt

SLOWENIEN

Pécs ZAGREB

LJUBLJANA

KROATIEN

1990 Pakrac

Rijeka

Vukovar 1990

Save

Prijedor

Bihać

Brčko

1991 Banja Luka

Doboj

BOSNIENHERZEGOWINA Travnik

Knin 1990

Tuzla

Split

ITALIEN

0

D

R

IA

25

T

IS

50

C

75

E

S

100 km

M

Dubrovnik

E

E

1991 Pale

Mostar

1991 Trebinje

H

Bijeljina 1991

Zenica

Bugojno SARAJEVO

A

Donau

Drau

MONTENEGRO

PODGORICA

R

Knin 1990 „Hauptstadt“ der Oblast, Gründungsjahr Serbische autonome Oblaste in Bosnien-Herzegowina: SAO Bosanska Krajina SAO Nordostbosnien SAO Romanija SAO Ostherzegowina

Serbische autonome Oblaste in Kroatien: SAO Westslawonien SAO Kninska Krajina SAO Ostslawonien, Baranja und Westsyrmien Quelle: ICTY.

© ZMSBw

08210-06

334



Karten und Grafiken Abb. 4: Der Cutileiro-Plan Osijek

KROATIEN

Novi Sad

Bihać

Brčko

Banja Luka

Tuzla

BOSNIENHERZEGOWINA

Knin

Livno

SARAJEVO

SERBIEN Srebrenica Zepa

Goražde

Split Mostar muslimische Kantone serbische Kantone kroatische Kantone 0

25

50

75

MONTENEGRO

100 km

Quelle: The Center for Nationalism Studies (CNS).

Dubrovnik

PODGORICA

© ZMSBw 08211-08

335

Karten und Grafiken Abb. 5: Die Rolle Bosnien-Herzegowinas für die serbische Angriffsplanung in Kroatien, 1991 UNGARN

SLOWENIEN ZAGREB

LJUBLJANA

Virovitica Karlovac

KROATIEN

Bihać

A

BOSNIENHERZEGOWINA

Zadar

D

R

IA

T

0

IS

Banja Luka

Knin

SARAJEVO

Split

C

H

25

Mostar

E

S

50

M

E 75

E

R 100 km

MONTENEGRO © ZMSBw

08212-06

336



Karten und Grafiken

Abb. 6: Unterstellungen, Dienstwege und Verbindungen NATO-UN 1994 mit EG 1, AWACS und Transportkommando Politische Entscheidung

NATO

USA RU F GB C

16 NATO-Staaten deu

tsc

he

Military Committie

Stim

(MC)

High Level Working Group (HLWG) USA, GB, F, D

5. ATAF

UN

Bundesminister der Verteidigung:

BMVg

FüS ROE

ät

ber

UNPROFOR BIH Absprache

Sarajevo, Luftbrücke ja/nein

COMAIRSOUTH UN

Einspruchsrecht fordert an

(SACEUR)

CINCSOUTH

me

Deutschland

Supreme Allied Commander Europe

Operative Planung

United Nations UNSC UNHCR

delegiert Auftrag

NATO-Rat

Air Operations Cell Geneva (AOCG)

Führungsstab der Luftwaffe

(FüL)

Taktische Führung

koordiniert

Ab-

Combined Air UN sprache Operations Center (CAOC) Vincenza

NATO Airborne Early Warning

Lufttransportkommando (LTKdoBw)

(NAEW)

Geilenkirchen

Münster

stellt ab

Truppe

JagdLeitung

GECON DENY FLIGHT ab April 1993 6 Tornado IDS 8 Tornado ECR ab August 1995 Piacenza

UN

E-3A Component (AWACS) mit deutschem Anteil

FlugLeitung ab Okt. 1992

Geilenkirchen

UN-Verteidigungskommandos

Quelle: Nach BArch, Abt. MA, BW 2/34940.

Befehlskette

GECON PROVIDE PROMISE Transall C-16C ab Juli 1992 Zagreb, bis Sept. 1992 Falconara

Kommunikation

Zusammenarbeit

© ZMSBw

08213-04

337

Karten und Grafiken Abb. 7: Unterstellung IFOR, Dezember 1995 bis Dezember 1996 SACEUR/SHAPE (Belgien)

USEUCOM (Stuttgart)

AFSOUTH (Neapel)

USAREUR (Heidelberg)

IFOR (Sarajevo)

Nationales Unterstützungselement USAREUR Fwd (Pécs/Kasparov, Ungarn)

COMNAVSOUTH (Neapel)

ARRC (Sarajevo)

CAOC (Vicenza)

Großbritannien Division (Banja Luka)

Frankreich Division (Mostar)

USA 1. Panzerdivision (Task Force Eagle) (Tuzla)

Steuerung und Kontrolle

Nationale Verwaltung und logistische Unterstützung

Quelle: Richard L. Layton, Command and Control Structure. In: Lessons from Bosnia:The IFOR Experience. Ed. by Larry Wentz, Vienna, VA 1998, S. 41.

© ZMSBw

08214-06

338



Karten und Grafiken Abb. 8: Dislozierung der IFOR, Dezember 1995 Novi Sad

Okucani Slavonski Brod Orasje Bihać

Banja Luka

MND (SW) britischer Sektor

Brčko Bijeljina

HQ

Tuzla HQ

xx

Drvar

KROATIEN

Doboj

Jajce

MND (N) amerikanischer Sektor

Srebrenica

xx

xx

Bugojno

SARAJEVO

HQ Pale

Jablanica

BOSNIEN-HERZEGOWINA

Mostar

Multinational Division (MND) Grenze serbisch kroatisch-muslimisch 20

40

60

Goražde

MND (SE) französischer Sektor

Split

0

SERBIEN

80

MONTENEGRO

100 km

Quelle: Nach BArch, Abt. MA, BW 2/34946.

Dubrovnik

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08215-08

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Karten und Grafiken

Abb. 9: Gliederung und Unterstellung des deutschen Kontingents, Implementation Force (Land), Dezember 1995 bis Dezember 1996 XXX

XXXX

ARRC (NATO)

HFüKdo (Bw)

operativ X

truppendienstlich

COMGECOM IFOR (L) in jeglicher Hinsicht II

II

II

II

FELDLAZARETT

PIONIERVERBAND

HEERESFLIEGEREINSATZVERBAND

TRANSPORTEINSATZVERBAND

Quelle: BArch, Abt. MA, BW 2/34946.

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08216-06

340



Karten und Grafiken Abb. 10: Einsatzraum des gepanzerten Einsatzverbandes GECONSFOR im März 1997

Bugojno

as Vrb O

Visoko

Fojnica

Bo

sn

a

Kiseljak

Sarajevo Oiljacka M

Pazarić

Tarćin Bradina

BOSNIENHERZEGOWINA

Igman 1502 m

Jahorina 1913 m

Konjić voaa eot erre ONe

aa eeotvo Neerr O

Mostar

Ein sat zra u m GEC ONSFOR

Quellen: BArch, Abt. MA, BW 2/34948; Diercke Globus Online.

0

5

10

15

20 km

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08217-07

341

Karten und Grafiken Abb. 11: Organisation der Task Forces innerhalb der deutsch-italienischen Brigade (SFOR), ab Dezember 2002 STAFF

COM IT TF

HQ

COM IT NSE

COM GE TF

MP

STAFF

CIMIC

MP

COM GE NSE

STAFF

SFOR

IT Beitrag MNB SE Reserve MNB SE

HQ Wache

MNB SE

ICU

HUMINT

SFOR

Quelle: BArch, Abt. MA, BH 7-2/1162.

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08218-05

342



Karten und Grafiken Abb. 12: Suizidfälle (Tod durch Waffe) im GECONSFOR

Dienstgrad

Geschlecht

Ort

Todestag

Alter

Hauptfeldwebel

männlich

Rajlovac

6.9.1998

35

Stabsunteroffizier

männlich

Rajlovac

15.1.1999

25

Oberleutnant

männlich

Rajlovac

27.2.2000

33

Oberfeldwebel

männlich

Rajlovac

17.9.2000

29

Stabsunteroffizier

männlich

Rajlovac

1.10.2001

23

Obergefreiter

männlich

Rajlovac

21.3.2001

19

Unteroffizier

weiblich

Rajlovac

11.11.2002

21

Quelle: Suizide deutscher Soldaten im Auslandseinsatz. In: Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/4792 vom 14.2.2011, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Sevim Dadğdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke - Drucksache 17/4577, S. 20.

© ZMSBw

08219-06

Abb. 13: Suizide im GECONSFOR im Vergleich zu Suiziden von Bundeswehrsoldaten in allen Einsätzen im selben Zeitraum Jahr

Suizide bei SFOR

Suizide in anderen Auslandseinsätzen

Gesamtzahl deutscher Suizide im Auslandseinsatz

1998

1



1

1999

1

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2004



3

3

Quelle: Artikel „Todesfalle im Auslandseinsatz“ auf der Website der Bundeswehr: www. bundeswehr.de in Verbindung mit: Suizide deutscher Soldaten im Auslandseinsatz, in: Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/4 792 vom 14.2.2011, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schäfer (Köln), Christine © ZMSBw Buchholz, Sevim Dadğdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke - Drucksache 17/4577, S. 20. 08220-04

Abkürzungen ABC AFSOUTH AID

Atomar, biologisch, chemisch (Waffen) Allied Forces Southern Europe (NATO) Agency for Investigation and Documentation of Bosnia and Herzegovina ANBw Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr AOCG Air Operations Cell Geneva APC Armoured Personnel Carrier (Mannschaftstransportwagen) ARBiH Armija Republike Bosne i Hercegovine ARRC Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (NATO) AWACS Airborne Warning and Control Systems BAT Beweglicher Arzttrupp BiH Bosna i Hercegovina BMVg Bundesministerium der Verteidigung BND Bundesnachrichtendienst CAS Close Air Support CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CIMIC Civil Militäry Cooperation CINCSOUTH Commander in Chief Allied Forces Southern Europe (NATO) CJ4 Combined Joint Staff for Logistics CNN Cable News Network COMIFOR Commander Implementation Force COMKFOR Commander Kosovo Force COMSFOR Commander Stabilisation Force CRC Crowd and riot control CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DDO Dienstältester Deutscher Offizier DEPCOMOPS Deputy Commander Operations DEPCOMSFOR Deputy Commander SFOR DFGFA Deutsch Französischen Gruppe / Groupement Franco Allemand DM Deutsche Mark ECMM European Community Monitoring Mission ECR Electronic Combat and Reconnaissance ECU European Currency Unit

344

Abkürzungen

EG Einsatzgeschwader EG Europäische Gemeinschaft EloKa Elektronische Kampfaufklärung EOD Explosive Ordnance Disposal EU Europäische Union EUFET European Union Forensic Expert Team EUFOR European Union Force EUMM European Union Monitoring Mission EWS Electronic Warfare System EXFOR Extraction Force FAC Forward Air Controller FARK Forcat e Armatosura të Republikës së Kosovës FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP Freie Demokratische Partei Flak Flugabwehrkanone FWDL Freiwillig Wehrdienst Leistender FWF Former Wartime Fractions FüS Führungsstab der Streitkräfte FüZBw Führungszentrum der Bundeswehr G8 Group of Eight GDP General Defense Plan GECONIFOR (L) German Contingent Implementation Force GECONSFOR German Contingent Stabilisation Force GECONUNPF German Contingent United Nations Peace Forces GENIC German National Intelligence Cell GG Grundgesetz GRH Großraumrettungshubschrauber HDZ Hrvatska demokratska zajednica HLWG High Level Working Group HOS Hrvatske obrambene snage HQ Headquarter HUMINT Human Intelligence HV Hrvatska vojska HVK Hauptverteidigungskräften HVO Hrvatsko Vijeće Obrane Herzeg-Bosna HZ HZ-HB Hrvatska Zajednica Herceg-Bosna ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia IDS Interdictor / Strike IEBL Inter-Entity Boundary Line IFOR Implementation Force IFOR (L) Implementation Force (Land) IPTF International Police Task Force ISAF International Security Assistance Force JASMIN Joint Analysis System Military Intelligence

Abkürzungen JPNP JVA KFOR KP KPz KRK KSEA KSZE KVM LANDCENT LDK LIC LTG LTP LUZ MAD MAP MdEP MEDEVAC MICT MINUSMA

345

Jedinice posebne namjene policije Jugoslawische Volksarmee Kosovo Force Kommunistische Partei Kampfpanzer Krisenreaktionskräfte Koordinierungsstab für Einsatzaufgaben Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kosovo Verification Mission Allied Land Forces Central Europe Democratic League of Kosovo Low Intensity Conflict Lufttransportgeschwader Lufttransportstützpunkt Luftumschlagzug Militärischer Abschirmdienst Membership Action Plan Mitglied des Europaparlaments Medical evacuation International Residual Mechanism for Criminal Tribunals United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali MiRPz Minenräumpanzer MIT Massachusetts Institute of Technology MNB Multinational Brigade MNB (S) Multinational Brigade South MNB (SE) Multinational Brigade South East MND (N) Multinational Division North MND (S) Multinational Division South MND (SE) Multinational Division South East MND (SW) Multinational Division South West MPRI Military Professional Resources Inc. MRBM Medium Range Ballistic Missile MSU Multinational Specialized Units MTA Militärisch-technisches Abkommen (auch Abkommen von Kumanovo) Mannschaftstransportwagen (=APC) MTW MUP Ministarstvo Unutrašnih Poslova NACC North Atlantic Cooperation Council NAEW NATO Airborne Early Warning & Control Force North Atlantic Treaty Organisation NATO NFZ No-Flight Zone NGO Non-governmental organization NORDPOL BDE Nordic-Polish Brigade NS Nationalsozialismus

346

Abkürzungen

OAO OHR OIC OPLAN OSZE PAKBAT PDS PDSH PfP PIC PiPz PTBS RECCE ROE RRF RS RSK RV i PVO VRS RWR SACEUR SAJ SAO SAO Krajina SAO SBWS SDA SDS SEAD SFOR SIGINT SLT SNO SPD SPO SpPz SPz SRS

Offensive Air Operations Office of the High Representative Organisation der Islamischen Konferenz Operation Plan Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Pakistani Batallion Partei des demokratischen Sozialismus Partia Demokratike Shqiptare Partnership-for-Peace (NATO-Programm) Peace Implementation Council Pionierpanzer Posttraumatischen Belastungsstörung Reconnaissance (Aufklärung) Rules of Engagement Rapid Reaction Force Republika Srpska Republika Srpska Krajina Ratno Vazduhoplovstvo i Protivvazdusna Odbrana Vojske Republike Srpske Radar Warning Reciever (Radar-Warnempfänger) Supreme Allied Commander Europe (NATO) Specialne antiteroristicke jedinice Srpska autonomna oblast = Serbische Autonome Oblast Srpska autonomna oblast Krajina Srpska autonomna oblast Slawonien, Baranja und West Syrmien Stranka demokratske akcije Srpska Demokratska Stranka Supression of Enemy Air Defence Stabilisation Force Signal Intelligence Schwerlasttransporter Srpska narodna obnova Sozialdemokratische Partei Deutschlands Srpski pokret obnove Spähpanzern Schützenpanzer Srpska radikalna stranka

Abkürzungen

347

St/EUVbd Stabs- und Einsatzunterstützungsverband STANAVFORMED Standing Naval Force Mediterranean (NATO) StOV Standortverwaltung SVK Srpska Vojska Krajine TACP Tactical Air Control Party taz Die Tageszeitung TF Task Force TO Teritorijalna Odbrana (Territoriale Organisation) TOA Transfer of Authorisation TOBiH Teritorijalna Odbrana Bosne i Hercegovine TPz Transportpanzer UÇK Ushtria Çlirimtare e Kosovës UDBA Uprava državne bezbednosti armije UN United Nations UN/SC United Nations Security Council UNEF II United Nations Emergency Force II UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees UNIFIL UN Interim Force in Lebanon UNMIK United Nations Mission im Kosovo UNO United Nations Organization UNOSOM United Nations Operation in Somalia UNPAs United Nations Protection Areas UNPF United Nations Peace Forces UNPREDEP United Nations Preventive Deployment Force UNPROFOR United Nations Protection Force UNPSG United Nations Police Support Group UNTAC United Nations Transitional Authority in Cambodia United Nations Transitional Administration for Eastern UNTAES Slavonia, Baranja and Western Sirmium Unabhängigen Staat Kroatien USK UXO Unexploded Ordnance WEU Westeuropäische Union VJ Vojska Jugoslavije VOPP Vance-Owen-Peace-Plan Vojska Republika Srpska VRS VwuLtSt Verwundetenleitstelle ZEI Zentrum für Europäische Integrationsforschung

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Zeitungen, Zeitschriften und Online-Zeitschriften [Bei Online-Zeitschriften letzter Zugriff 15.12.2019] Badische Zeitung BalkanInsight BBC Berliner Kurier Bild Delmenhorster Kreisblatt Der Keiler Der Spiegel Deutsche Welle Deutschlandradio Kultur Deutschlandfunk Die Tagespost Die Welt Die Zeit Euronews Financial Times Focus Magazin Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Le Monde Le Soir Libération Los Angeles Times Neue Zürcher Zeitung (NZZ) New York Times Novi list Radio Free Europe Radio Liberty Rheinischer Merkur Rhein-Zeitung Spiegel online Strategic Culture Foundation, online journal taz

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Quellen und Literatur

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Personenregister Abdić, Fikret   88, 112 Adenauer, Konrad   245, 247, 263, 280 Adzić, Blagoje   54, 112 Ahrens, Geert-Hinrich   28, 72, 156 f. Ahrens, Hans Werner   28 Aksentijević, Milan   112 Andrejević, Zarko   257 Angerer, Jo   308 Apel, Hans   135 Augstein, Rudolf   273 Babić, Milan   51, 53‑55, 75, 157 Badinter, Robert   63 Bagger, Hartmut   218 f. Baker, James   108 Baudissin, Wolf Graf von   254 Beer, Angelika   265, 278 f. Berman, Russell   241 Biermann, Rafael   299 f. Biermann, Wolf   241 f., 281 Bildt, Carl   160, 166, 169, 193 Bjelica, Historiker   96 Boban, Mate   105‑107 Bokan, Dragoslav   44 f. Borrey, Bertrand   112 Boutros-Ghali, Boutros   109, 136 Broder, Henryk M.   241 Brovet, Stanislav   55 Broz, Josip »Tito«   41, 56 f., 66, 96 f., 287, 292 Brümmer, Henning   185 Budde, Hans-Otto   28, 187, 200, 253 f. Bukoshi, Bujar   297 f. Bulatović, Pavle   36 Bürgener, Axel   197 Bush, George   87, 121, 134 Calic, Marie-Janine   38 Carington, Peter, 6th Baron of Carrington   70‑72, 74, 97‑100, 289 Çekaj, Salij   299 Çetin, Hikmet   116 Chroborg, Jürgen   234 Clages, Christian   28, 162

Clark, Wesley   306, 310 Clinton, Bill   120, 145, 150, 154, 161 Cohn-Bendit, Daniel   273‑276, 281 Conversi, Daniele   97 Crawford, Charles   162 Cutileiro, José   98, 102 f. Delić, Rasim   90 Demaçi, Adem   292‑297, 304 Demirel, Suleiman   157 Dieter, Hans-Heinrich   185 Dilberović, Suada   108 Doyle, Colm   110, 112 Drašković, Vuk   43 Dudaković, Arif   150 Duve, Freimut   272 f., 281 Eckelmann, Sven   318 Eide, Kai   156 Ellerkmann, Richard   28 Engholm, Björn   268 f. Enzensberger, Magnus   241 Erbakan, Necmettin   116 Filipović, Muhamed   170 Filipović, Zlata   233 Fischer, Joseph »Joschka«   144, 182, 274‑276, 278 f. Foertsch, Hermann   247 Förster, Stig   19 Frank, Hans   123 Frühaber, Klaus   199 Funk, Peter   123 Gaddis, John   35 Galbraith, Peter W.   156 f., 163 Ganić, Ejup   90, 100 f., 103, 111 Gansel, Norbert   271 f. Geißler, Heiner   239, 241 f., 281 Genscher, Hans-Dietrich   115, 135, 166, 242‑244, 246 f., 259, 267, 272 f. Geremek, Bronislaw   295 Ghiotto, Vittorio   213 Glawatz, Henning   185 Glotz, Peter   272 f. González, Felipe   295

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Personenregister

Gorbatschow, Michail   72, 74, 85, 113, 322 Gorinsek, Karl   157 Goulding, Marrack   109 Grab, Walter   241 Gračanin, Petar   49, 54 Grässlin, Jürgen   275 Grüner, Gabriel   235 Gysi, Gregor   275, 277, 279 Haas, Evelyn   250‑252 Habermas, Jürgen   241 Hadžić, Goran   76 Hagedorn, Axel   153 Hajzeraj, Hajzer   298 Halilović, Sefer   90 Haliti, Xhavit   292 f. Handke, Peter   235 Haradinaj, Ramush   299, 309 Hasani, Sinan   96 Hawton, Nick   162 Haxhiu, Ahmet   292 Haxhiu, Lum   303 Herzl, Theodor   272 Heusinger, Adolf   190, 247 Hill, Christopher R.   171, 303 Hischen, Gunter   125 Holbrooke, Richard   145, 161 f., 170, 172 f., 303, 305, 309 Huntington, Samuel   35 Ischinger, Wolfgang   166, 193, 195 Ivanov, Igor   175 Izetbegović, Alija   61, 77, 80, 84‑94, 98‑108, 110 f., 116, 126, 138, 156, 160, 162, 170 Jackson, Mike   179, 311 f. Janša, Janez   64 Janvier, Bernard   153 Jashari, Adem   292‑294 Jashari, Shaban   292 Jelzin, Boris   72, 113, 301 f., 305 Joffe, Josef   241 f., 245, 249, 281 Jokić, Aleksa   170 Joulwan, George A.   174 f. Jović, Mirko   43, 96 Jung, Franz Josef   319

Kadijević, Veljko   28, 35 f., 38, 41‑44, 52, 54, 57‑60, 71, 73, 75 f. Kaldor, Mary   41 Kálnoky, Boris   233 Kaplan, Robert   35, 39 Karadžić, Radovan   42, 77‑79, 84 f., 90, 93 f., 99, 102 f., 108, 126, 132, 136, 138, 152, 160‑162 Kerestedjiants, Leonid   156 Kinkel, Klaus   115, 180 f., 186, 195, 246 f., 302 Klein, Jacques Paul   164 f. Klinge, Matti   178 Kljuić, Stjepan   104, 107 Klose, Hans-Ulrich   272 Koch, Matthias   316 Kohl, Helmut   71 f., 74, 87, 115 f., 185, 196, 224 f., 234, 241 f., 244‑247, 259 f., 263, 267 f., 271 f., 274, 280, 302, 321 Koljenšić, Milisav   41 Koschnick, Hans   156, 166 Kosyrew, Andrei W.   113 f. Kouchner, Bernard   121 Krajisnik, Momčilo   77‑79 Krasniqi, Ahmet   298 f. Krasniqi, Jakup   28, 303 f. Krause, Ulf von   182 Kretsi, Georgia   291 Krippendorff, Ekkehart   273 Kučan, Milan   65, 271 f. Kuebart, Hans-Jörg   123 Kuebart, Jan   28, 311 Kukanjac, Milutin   110‑112 Lafontaine, Oskar   268‑271, 273, 279 Lengsfeld, Vera   197 Lentsov, Aleksandr I.   175 Leyh, Harald   317 Ljotić, Dimitrije   45 Lukić, Sredoje   47 Lushtaku, Sami   292 MacKenzie, Lewis   109‑111 Mahmutćehajić, Rusmir   28, 90, 101 Major, John   146 Mareković, Marijan   150

Personenregister Marijan, Davor   107 Marković, Mirjana   42 Martić, Milan   50 f., 54 f., 61, 76 May, Karl   193 Melčić, Dunja   172 Mesić, Stjepan   60, 243 f., 271 f. Meyer zum Felde, Rainer   28 Milošević, Slobodan    33, 36 f., 41‑43, 48‑50, 53 f., 58‑60, 63, 65, 71‑73, 75, 84 f., 89, 93 f., 97, 101, 108, 112 f., 131, 152, 157 f., 160‑163, 170 f., 244, 271 f., 283, 289 f., 295‑297, 300‑303, 305 f., 309‑311 Mitterand, François   71, 87, 116, 121 Mladić, Ratko   78 f., 94, 102, 134, 146, 153, 161 Moede, Hartmut   218 Morillon, Philippe   102, 109, 136 Mueller, John   39‑41, 55 Mustafa, Isa   298 Mustafa, Rrustem   309 Nachtwei, Winfried   278 f. Nambiar, Satish   109 Nash, William L.   175 Naumann, Klaus   28, 123, 189 f., 195, 221, 254 f., 265 f., 324 Nelson, James   175 Neubauer, Helmut   199, 213 Nicolai, Cornelis   153 Novaković, Mile   79, 157 f. Ogata, Sagato   127, 132 Ojdanić, Dragoljub   306 Ossietzky, Carl von   248, 252 Owen, David   133, 136 Owen, Roberts B.   155, 167 Özal, Turgut   115 f. Pack, Doris   272 Panić, Milan   136 Panić, Zivota   54 Pašalić, Ivić   157 Pavelić, Ante   86 Pavičević, Vladimir   158 Perišić, Momčilo   306 Pešić, Branko   42

385 Plavšić, Biljana   28, 37 f., 41 f., 44, 77, 79, 90 Portillo, Michael   194 Posselt, Bernd   272 Pucar, Đuro »Stari«   95 f. Putin, Wladimir   267 Pyykönen, Juha   25 Raitasalo, Jyri   25 Ranković, Aleksandar   96 f., 287, 289 Ranson, André   213 Rathfelder, Erich   233‑235 Ražnatović, Željko »Arkan«   39, 44 f., 49 f., 52, 54, 100, 132, 171, 293 Reinhardt, Klaus   197, 312 Reißmüller, Johann Georg   234 Rideau, Robert   180 Riechmann, Friedrich   28, 185, 189, 195 Robertson, Peter   161 Ropers, Frank   28 Rose, Jürgen   253 f. Rüb, Matthias   233‑235 Rugova, Ibrahim   49, 71, 171, 283, 289, 293 f., 296‑299, 303 f. Rühe, Volker   123, 158, 173 f., 180, 192‑196, 198, 207, 252, 262, 264‑266, 302, 324 Šarinić, Hrvoje   163 Sartorius, Peter   233 Savić, Ljubiška   100 Scharping, Rudolf   268, 270 f., 276, 308 Scheel, Walter   134 f., 140, 258 Schily, Otto   239 Schmückle, Gerd   273 f. Schoppe, Waltraud   197 Schoups, Jozef   164 Schröder, Gerhard   144, 225, 268 f., 321 Schwarz-Schilling, Christian   115, 156 Schwarz, Stefan   145 Seidt, Hans-Ulrich   28 Selimi, Sylejman   309 Sergejew, Igor   301 Šešelj, Vojislav   43‑46, 48, 54 Shala, Shaban   303 Shalikashvili, John   120 f. Shehum, Gani   303

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Personenregister

Shevtsov, Leontiy   175 Silajdžić, Haris   108 Simatović, Franko »Frenki«    48, 50‑52, 55 Smith, Rupert   146, 148 Snedden, Daniel (auch Dragan Vasiljković)   50‑52 Solana, Javier   302 Solms, Hermann Otto   242, 246 f. Soubirou, André   148 Speidel, Hans   190, 247 Spindler, Walter   28 Stanišić, Jovica   48, 50‑52, 55 Steiner, Michael   166 Stelz, Gerhard   226 Stippig, Torsten   316 Stojičić, Radovan »Badža«   48‑50, 54 Stoltenberg, Thorvald   163 Streibl, Max   243 Struck, Peter   319 Sučić, Olga   108 Šušak, Gojko   57, 150 Thaçi, Hashim   309, 312 Thaçi, Menduh   302 Thornberry, Cedric   109, 118, 126 Tolimir, Zdravko   153 Tucholsky, Kurt   248‑252, 256 Tudjman, Franjo   56 f., 60, 64, 72, 75, 101, 107, 115 f., 149, 156 f., 160, 162 f., 245

Turajlić, Hakija   138 Vance, Cyrus   74, 133 van den Broek, Hans   67, 71 van der Stoel, Max   294 f. Vasiljković, Dragan   50‑52 Verheugen, Günter   181 f. Vogel, Hans-Jochen    134 f., 258 f., 268‑270 Voigt, Karsten   271 f. Vollmer, Ludger   273 Voorhoeve, Joris   153 Walker, William   308 Watt, Donald C.   16, 37 Wegner, Bernd   16 Weisel, Horst   157 Weisser, Ulrich   28, 193‑195 Werth, Mathias   308 Wieczorek-Zeul, Heidemarie    268, 270‑272, 279 Wiegel, Wilhelm   125 Willmann, Helmut   199, 218 f. Will, Thomas   313 Wolf, Frieder Otto   273 Wolf, Ulrich   200 Xhaferi, Arbën   302 f. Zemaj, Tahir   299 Zimmermann, Warren    101 f., 108 Zulfikarpašić, Adil   84 f., 101 Zumach, Andreas   158