Hollywood auf dem Balkan: Die visuelle Moderne an der europäischen Peripherie (1900-1970) [1 ed.] 9783205208389, 9783205204749

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Hollywood auf dem Balkan: Die visuelle Moderne an der europäischen Peripherie (1900-1970) [1 ed.]
 9783205208389, 9783205204749

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Z U R K U N DE SÜ DOS T EU ROPA S I I / 4 4 Herausgegeben vom Institut für Geschichte der Universität Graz , Fachbereich Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie Karl Kaser

Karl Kaser

Hollywood auf dem Balkan Die visuelle Moderne an der europäischen Peripherie (1900–1970)

2018 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Publiziert mit Unterstützung der Universität Graz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Cover: Werbeplakat in serbokroatischer Sprache und kyrillischer Schrift für den Western „Zwölf Uhr mittags“ (1952) mit Gary Cooper in der Hauptrolle und Fred Zinnemann als R ­ egisseur. © Jugoslovenska kinoteka, Belgrad

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Ernst Grabovszki, Wien Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Layout: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: General Druckerei, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU 978-3-205-20474-9

Inhalt 7  :

Vorwort

9  :

Einleitung

11 

: Theoretische Überlegungen 20 : Ziele 22  : Stand der Forschung

33  :

Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

35 

: 40  : 44  : 51  :

Missliche wirtschaftliche Lage Die neuen Hauptstädte Deosmanisierung und Stadtplanung Das moderne Leben

65  :

Transfer visueller Kulturen um 1900

66 

: Vorsäkulare visuelle Kulturen 74  : Nationalisierung der visuellen Moderne: Bildende und Darstellende Künste 88  : Die Fotografie – hegemoniale visuelle Moderne 98  : Islam und visuelle Moderne 115  : Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920) 118 

: Das mobile Kino : Der Aufstieg Pathés 131  : Das ortsfeste Kino 145 : Filmproduktion 153  : Erste visuelle Revolution 126 

167  : Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–

1950) 170 

: 175  : 184  : 199  :

Europäische ökonomische Peripherie Stadt und Kinokultur Hollywood duldet keine Konkurrenz Hollywoods Charme

6  205 

: Scheitern nationaler Filmindustrien 221  : Das Kino – ein marginales Phänomen 234  : Kino während des Zweiten Weltkriegs 243  : Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970) 245 

: 259  : 262  : 283  : 294  : 301  : 310  :

Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘ Zwischen Hollywood und Moskau – der Kalte Kinokrieg Filmproduktion Moskauer Zuschnitts Filmproduktion im Stile Hollywoods Filmproduktion in Jugoslawien Kino als populäres Massenphänomen Hollywood und die zweite visuelle Revolution

325  : Epilog 343  : Filmografie 348  : Verzeichnis der Abkürzungen 349  : Verzeichnis der Abbildungen 353  : Verzeichnis der Tabellen 356  : Verzeichnis der Literatur 384  : Personenindex



Vorwort

Das vorliegende Buch erhielt seine endgültige Ausrichtung erst durch den Besuch wichtiger Film- und Kinoarchive in den Balkanländern im Herbst 2015. Ich war von dem freundlichen Entgegenkommen der Archivleitungen und der für die Dokumentation zuständigen Abteilungsleiterinnen und -leiter sowie von dem mir gewährten unbürokratischen Zugang zu den gewünschten Materialien angenehm überrascht. Ich danke dem Leiter der Jugoslawischen Kinothek in Belgrad, Aleksandar Erdeljanović, und insbesondere der Leiterin der Fotothek, Marijana Cukucan. Des Weiteren bedanke ich mich beim Generaldirektor der Albanischen Staatsarchive in Tirana, Gjet Ndoj, der mir in Copyright-Fragen sehr entgegenkam, bei Elvira Diamanti, der Direktorin des Staatlichen Filmarchivzentrums in der albanischen Hauptstadt, bei Eriona Vyshka, die für die Fotobestände ebendort zuständig ist und bei meiner Kollegin von der Universität Tirana, Enriketa Pandelejmoni-Papa, für die logistische Unterstützung vor Ort. Theodor Leontescu, dem Abteilungsleiter für Dokumentation im Rumänischen Filmnationalarchiv, und seinem Mitarbeiter Bogdan Movileanu bin ich für die großzügige und kostenlose Bereitstellung von visuellem Material und für die Aufbereitung wertvoller Statistiken zu Dank verpflichtet. In Sofia habe ich der Leiterin des Bulgarischen Nationalen Filmarchivs, Antonia Kovacheva und ihren beiden Mitarbeiterinnen Mariyana Angelova und Lyudmila Boteva, sowie meiner Kollegin von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Anelia Kassabova, für ihre Hilfe vor Ort zu danken. Des Weiteren bin ich dem Leiter des türkischen KinoTheater Museums (TÜRVAK) in Istanbul, Erol Şenel, und insbesondere seiner Abteilungsleiterin für Projektentwicklung und Events, Aslı Canan Yılmazsoy, zu Dank verpflichtet. Der Filmhistorikerin Maria Fritsche von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim habe ich den wertvollen Hinweis auf die Studie Siegfried Kracauers über die Mediensituation im Nahen Osten, in der Türkei und Griechenland in den frühen 1950er-Jahren zu verdanken. Michi Wolf, die nicht nur mein Leben, sondern auch meine wissenschaftliche Tätigkeit begleitet, hat den Text in seinem halbfinalen Zustand aus der Perspektive einer begeisterten Cineastin kritisch gelesen, kommentiert und mich ermuntert ihn fertigzustellen. Nataša Mišković danke ich für ihre zahlreichen kritischen Kommentare. Graz, im Herbst 2017

Einleitung

In eine zutiefst landwirtschaftlich geprägte österreichische Region hineingeboren, wuchs ich mit den Gerüchen frisch umgebrochener Ackerkrume, des Waldbodens nach einem Regen, der Getreidegarben nach dem Schnitt sowie von Rinder- und Schweineställen auf. Diese sinnlichen Wahrnehmungen aus Kindheitstagen sind Teil meiner selbst geworden. Nach beinahe sechs Jahrzehnten vermeine ich sie noch immer wahrzunehmen. Ich liebte sie so sehr, dass ich mir nicht vorstellen konnte, diese geruchsvertraute Umgebung jemals verlassen zu wollen. Im Alter von etwa fünf Jahren erlebte ich eine frühe visuelle Revolution. Das Fernsehen hatte Einzug gehalten, und so machte ich mich zusammen mit meinem Kindheitsfreund jeden Mittwochnachmittag auf den Weg zum einzigen Dorfgasthaus mit Fernsehgerät, um die Sendung ‚Kasperltheater‘ zu bestaunen. Das Taschengeld reichte für Wurstsemmel und Limonade. Ich kann mich nicht mehr an viele Geschehnisse in meinen frühen Lebensjahren erinnern; daran jedoch sehr wohl. Es wird gute Gründe dafür geben, dass dieses visuelle Erlebnis bis heute aus meinem inneren Bildspeicher abrufbar geblieben ist. An meine frühesten Kinobesuche und Internetspaziergänge kann ich mich nicht mehr erinnern, obwohl sie chronologisch später bis sehr viel später stattfanden. Ich denke, dass viele aus meiner Generation analoge visuelle Elementarerfahrungen gemacht haben. Eine Wunderwelt, in meinem Fall das im Wiener Fernsehstudio aufgeführte ‚Kasperltheater‘, im lokalen Gasthaus bestaunen zu können, hat mich offenbar fasziniert, möglicherweise geprägt. Mein Mikrokosmos verschmolz mit der weiten Welt. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes fernsehen gelernt. Das vorliegende Buch handelt im Grunde von solchen visuellen Lernprozessen – nicht von individuellen, sondern von kollektiven. Es wirft die Frage auf, wann und unter welchen Umständen die Bevölkerung der Balkanländer, die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert von Zeitgenossen und -innen noch als kulturell und wirtschaftlich rückständig klassifiziert wurde, in einer erstaunlichen Geschwindigkeit regionale und religionsgebundene visuelle Traditionen um säkulare und globale Weltsichten zu erweitern imstande war. Die Frage ist nicht, wann sie aus ihren religiös fundierten Sehweisen heraus- und in moderne säkulare Bilderwelten eintrat; ein derartig mechanistisches Ablaufschema kann der historischen Wirklichkeit nicht gerecht werden. Die Frage ist daher vielmehr, ab wann und wodurch bedingt Bevölkerungen ihre inneren, religiös bestimmten Bildregister um säkulare Weltbilder zu erweitern begannen. In der Beantwortung dieser Frage gehe ich von drei

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Einleitung

Hypothesen aus. Die erste lautet, dass dies für einen Großteil der Bevölkerung nicht vor der Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall war. Die zweite besteht in der Annahme, dass dies ohne eine sie begleitende, im europäischen Vergleich spät einsetzende industrielle Revolution nicht möglich gewesen wäre. Die dritte geht davon aus, dass die visuellen Massenmedien, allen voran der industriell gefertigte Spielfilm à la Hollywood, an der Vorbereitung dieser visuellen Revolution entscheidend beteiligt waren. Auf dem Weg zur Überprüfung dieser Hypothesen sind allerdings weitreichende Probleme zu lösen, die sich um Fragen des Transfers der ursprünglich aus ‚dem Westen‘ importierten visuellen Fertigkeiten und Apparaturen drehen. Bevor ich mit den einleitenden Gedanken fortfahre, sind einige terminologische Fragen zu klären. Unter ‚Balkan‘ und ‚Balkanländer‘ verstehe ich jene europäische Ländergruppe bzw. Staaten, die im beginnenden 19. Jahrhundert dem Osmanischen Reich angehörten und bis zum beginnenden 21. Jahrhundert staatliche Unabhängigkeit erlangten. Es handelt sich um die heutigen Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kosovo, Makedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien und Türkei. Der historisch-geografische Begriff ‚Südosteuropa‘ wird im Allgemeinen umfassender und zusätzliche Länder miteinschließend verwendet. Mir geht es jedoch aus gutem Grund um das visuelle Erbe aus osmanischer Zeit. Das Begriffspaar ‚Balkan‘ und ‚Balkanländer‘ ist bekanntlich problematisch, da es erstens vielfach abwertend verwendet wird und zweitens suggeriert, dass diese Länder in kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Einheit bilden würden. Sie tun dies nicht, doch wiesen sie aufgrund ihrer langen Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich zumindest noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gemeinsamkeiten auf, die in Hinblick auf visuelle Kulturen relevant sind. Das Begriffspaar ‚Westen‘ und ‚westlich‘ ist ähnlich problematisch. Einen homogenen ‚Westen‘ gab und gibt es genauso wenig wie einen homogenen ‚Balkan‘. Wiederum gab es im Hinblick auf visuelle Kulturen relevante Gemeinsamkeiten, die so etwas wie einen ‚Westen‘ konstituierten. Unter ‚westlich‘ verstehe ich um 1900 hochindustrialisierte europäische Staaten wie etwa Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die österreichischen Teile der Habsburgermonarchie oder die USA, von denen die entscheidenden Impulse für die Etablierung einer modernen visuellen Massenkultur ausgingen. Ich verstehe ‚Balkan‘ und ‚Westen‘ nicht als wie auch immer essenzialisierte, voneinander isolierte Weltregionen. Gerade in visueller Hinsicht gab es über die gesamte Neuzeit hinweg sich überkreuzende Entwicklungen und gegenseitige Beeinflussungen. Nicht anders war dies in Bezug auf die visuelle Moderne, die sich ursprünglich im oben skizzierten ‚Westen‘ entfaltete – und, bezogen auf die für die Fotografie und das Kino erforderlichen technischen Apparaturen und Präzisions-

Theoretische Überlegungen

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instrumente, wohl nur dort entstehen konnte. Von westlichen Ländern ausgehend diffundierte diese Technologie, ihre Anwendung und kulturelle Verarbeitung nach Lateinamerika, Indien oder auf dem Balkan. Theoretische Überlegungen

Nach diesen terminologischen Klärungen scheint es vernünftig, einige grundlegende theoretische Überlegungen vorzustellen, auf denen diese Arbeit aufbaut und die für das Verständnis ihrer Ziele und Fragestellungen essenziell sind. Sie beginnen mit einer Bestimmung des Konzepts ‚visuelle Moderne‘ und enden mit einer Bewertung des Verhältnisses von äußeren und inneren Bildern. Moderne und visuelle Moderne

Die visuelle verstehe ich als Teil der industriekapitalistischen Moderne – als deren Ausdruck und vorläufiges Ergebnis gleichzeitig. Das Kino steht neben anderen technischen Innovationen wie Telegraf, Telefon, Eisenbahn, Automobil und Fotografie für breite soziale, ökonomische und kulturelle Transformationen in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die unter ‚Moderne‘ zusammengefasst werden können und in Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland oder den USA am weitesten fortgeschritten waren. Diese industriekapitalistische Moderne eröffnete Wege in ein ‚modernes Leben‘ und zog eine nachhaltige Umstrukturierung der menschlichen Wahrnehmung und Interaktion durch spezifische Formen der Produktion und des Austausches nach sich. Das frühe Kino ist im Kontext dieses modernen Lebens zu sehen. Es war Teil einer sich ausbreitenden Kultur des Massenkonsums spektakulärer visueller Angebote, die von Weltausstellungen und Warenhäusern zu Wachsfigurenkabinetten und Leichenschauhäusern (Hansen 1995, 362–363), vom Zirkus bis zum Weltpanorama und vom Diavortrag bis zum Varieté reichten. Sie alle machten die visuelle Moderne aus, deren Ästhetik in Attraktionen bestand. Diese stellten die offensichtlichsten Verbindungen zur industriekapitalistischen Moderne dar, denn sie generierten Sehnsüchte, die zentrale Voraussetzungen für den Massenkonsum darstellten (Gunning 1994, 192). Aus der Sicht der Peripherie bildete diese Ästhetik der Attraktionen allerdings lediglich einen von zwei zentralen Aspekten der visuellen Moderne, wie sie hier verstanden wird. Der zweite bestand in den ästhetischen Formen der Darstellenden und Bildenden Künste, die gemessen an den eigenen visuellen Traditionen für die

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Einleitung

Eliten der Balkanländer eine ebenfalls attraktive visuelle Moderne repräsentierte. Der beginnende Transfer beider Aspekte fiel, wie noch darzustellen sein wird, zeitlich in etwa zusammen. Auch die aus dem Westen kommenden Darstellenden und Bildenden Künste bildeten Attraktionen, wenngleich auch nur für ein begrenztes Publikum. Insofern hob sich über die Kategorie der so verstandenen visuellen Moderne die klassische Dichotomie zwischen Hoch- und Massenkultur auf. Das Kino war also Teil der industriekapitalistischen Moderne und in der Lage, ihre Attribute (Fabriken, Eisenbahnen oder Automobile) bestmöglich zu visualisieren. Es bildete ein zentrales Element unter den neuen Formen der Technologie, des Schauspiels, der Zerstreuung, des Konsums sowie der Kurzlebigkeit, Mobilität und Unterhaltung. Das Kino wurde integraler Bestandteil eines modernen Lebens, das vom Aufstieg des Industriekapitalismus und der großstädtischen Massenkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt war (Charney; Schwartz 1995, 1–10). Dieses moderne Leben stellte vorerst ein urbanes Phänomen dar. Die moderne Stadt dieser Zeit wurde vielfach mit Paris gleichgesetzt. Stand Paris für die Moderne des 19. Jahrhunderts, so repräsentierten New York und die USA jene des 20. Jahrhunderts, die von Massenkultur, -produktion und -konsum sowie Rationalisierung und Standardisierung charakterisiert war (Ebenda, 1–10). Die Historikerin Vanessa R. Schwartz argumentiert, dass das frühe Pariser Kinopublikum bereits bestimmte, an das Kino in seinen Anfängen grenzende Vorformen kultiviert hatte. Sie nennt diesbezüglich drei Stätten des populären Vergnügens – das Morgue (Leichenschauhaus), die Wachsmuseen und die Weltpanoramen. Allen drei Orten sei gemeinsam gewesen, dass das Ausgestellte realistisch gewirkt habe und massenhaft frequentiert wurde. So etwa besuchten das Leichenschauhaus an guten Tagen – wenn etwa eine Leiche mit einem Mord in Zusammenhang stand – bis zu 40.000 Menschen aus allen sozialen Schichten und Alterskategorien. Um den Kinobesuch als historische Praktik zu verstehen, sei es notwendig, das Kino im Feld der aufkeimenden Massenkultur des späten 19. Jahrhunderts zu positionieren. So hätte sich ein Publikum für den visuellen Massenkonsum konstituiert, das sich etwas später im Kino wieder begegnete (Schwartz 1995, 297–316). Eine weitere wichtige cineastische Vorerfahrung stellte der ‚Panoramablick‘ aus dem Fenster eines Eisenbahnabteils dar. Der Blick auf einen Rahmen, in dem Natur und Menschen vorbeizogen, wohnte sowohl dem Kino als auch dem Eisenbahnabteil inne. Beide teilten eine weitere Gemeinsamkeit: Bewegung und Stillstand gleichzeitig: Die Passagiere sitzen still, während sie durch Raum und Zeit transportiert werden – physisch und visuell im Waggon, visuell im Kino. Die Eisenbahnreise stellte also einen Wahrnehmungsmodus dar, den die Reisenden im frühen Kino wiederfanden (Kirby 1997, 2–7, 42–45).

Theoretische Überlegungen

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Auch die Balkanstädte wurden von visuellen Neuerungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfasst. Sie waren allerdings dort nicht entwickelt worden und auch nicht in eine industriekapitalistische Moderne eingebettet. Die visuelle Moderne entbehrte hier ihr Pendant – die industriekapitalistische Moderne; Erstere begann sich um 1900 in den wenigen urbanen Enklaven einer weitgehend agrarischen Gesellschaft zu entfalten. Ihre Bevölkerung setzte die Moderne mit Europa gleich und das, was ich hier als visuelle Moderne bezeichne, mit europäischer Kunst und Unterhaltung; auch das Kino stellte für sie ein europäisches Phänomen dar. Die Eliten stuften ihre Länder kulturell und wirtschaftlich folglich als nicht europäisch ein, sondern wähnten sie an der Peripherie Europas. Ich übernehme diese Eigeneinschätzung deshalb, weil sie das Bestreben impliziert, in das Zentrum rücken und europäisch werden zu wollen. Das Kino, wie es sich im Westen entwickelte, schloss, wie erwähnt, an spezifische visuelle Vorerfahrungen seines späteren Publikums an. Konnte das potenzielle Publikum in den ‚nicht europäischen‘ Balkanstädten ähnliche Vorerfahrungen sammeln? Visuelle Moderne und Peripherie

In der weltweiten Filmproduktion lassen sich von ihren Anfängen bis um 1970 unschwer Produktionszentren, die über ihre Distributionsnetzwerke mit den Peripherien verbunden waren, erkennen. Dies bedeutet nicht, dass sich an den Peripherien nicht früher oder später auch mächtige Produktionszentren entwickeln konnten, die ihrerseits Peripherien mit visuellen Produkten belieferten. So versorgte die ägyptische Filmindustrie von ihren Anfängen in der Zwischenkriegszeit an auch die Türkei und Griechenland mit ihren Produkten – und den arabischen Raum bis heute. Einen anderen Aspekt spricht die Frage an, ob mittels Transfer von Filmen und anderer visueller Erzeugnisse aus den Zentren der visuellen Moderne Machtgeflechte entstanden. Dies war zweifellos der Fall. Sie äußerten sich als von Produktionszentren ausgehende visuelle Hegemoniebestrebungen. Die Rahmenbedingungen dafür können folgendermaßen beschrieben werden: 1) Der Aufbau nationaler Filmindustrien an einer europäischen Peripherie wie die der Balkanländer hätte ein Ausmaß an Kapitalinvestitionen erfordert, das unter den bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden vorindustriellen Bedingungen nur in Ausnahmefällen mobilisiert wurde. Sie waren riskant, weil die internationalen Produktionskonzerne den Markt beherrschten und die Anzahl der Kinos sowie der verkauften Eintrittskarten gering war. Erst durch die um die Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierungsinitiativen wurden Land-Stadt-Migrationen, Urbanisierungs-

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Einleitung

prozesse und die Verwirklichung von Infrastrukturprojekten ausgelöst, die die nationalen Kinomärkte bis zum Aufstieg des Fernsehens um 1970 explosionsartig expandieren ließen, was wiederum den Raum für die Entfaltung nationaler Produktionskonkurrenz öffnete. 2) Hollywoods Filmunternehmen schlossen sich zu einem Produktions- und Distributionskartell mit dem Ziel zusammen, den Weltmarkt zu beherrschen, was auch tatsächlich eintrat. 3) Lokale Produktionsfirmen konnten dadurch nicht oder nur durch Produktimitationen entstehen. 4) Wie das Beispiel des Königreichs Jugoslawien zeigen wird, war Hollywood in der Lage, Gesetze zum Schutz des heimischen Kinomarktes über Boykottmaßnahmen zu verhindern. 5) Auf der Basis einer industriell angelegten Produktion und eines florierenden Binnenmarktes konnte Hollywood eine beinahe weltweite visuelle Hegemonie herstellen, die die Kinobetreiber von seinen Filmen abhängig machte. Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie kann sich, je nachdem welche Kulturtransfers wir im Auge haben, unterschiedlich stellen. So etwa verlor einerseits die Peripherie-Zentrumsopposition in Bereichen der Kunst ihre Relevanz. Immer mehr Innovationen kamen aus dem Osten Europas, aus Budapest und Zagreb, Warschau, Posen, Prag und Kiew (Dmitrieva-Einhorn 2005, 281–282). Andererseits bestanden für den türkischen Filmhistoriker Arslan bereits vor dem Ersten Weltkrieg Formen visueller Hegemoniebestrebungen, die er als Kolonialismus bezeichnet, da die Filmrepertoires beinahe ausschließlich aus westeuropäischer Produktion gespeist wurden und die mit dem Kinowesen verbundene Technologie erst übernommen bzw. angeeignet werden musste (Arslan 2011, 9–10). Daraus ergeben sich weitere wichtige Fragen: Wie genau sahen diese Übernahme- und Aneignungspraktiken, die ich als Transfermodi bezeichne, aus? War es so, dass die regionalen Sehgewohnheiten von den ‚im Westen‘ entwickelten visuellen Medien der jeweiligen visuellen Hegemonie entsprechend zugerichtet wurden? Trat womöglich das Gegenteil ein und wurden die neuen visuellen Technologien und Produkte kulturspezifisch übernommen und genutzt? Für definitive Antworten ist das Eis des Forschungsstandes allerdings noch recht dünn. Bevor wir uns allerdings an potenzielle kontextspezifische Transfermodi herantasten, ist eine Auseinandersetzung mit Konzepten des Kulturtransfers angebracht. Kulturtransfer

Die visuelle Moderne und ihre Peripherie traten in Austauschbeziehungen, die wir in einem weiteren Sinn als Kulturtransfers verstehen sollten. Die überaus lebhafte theoretische Debatte über Formen und Ausmaß von Kulturtransfers reicht bis in die Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Sie hier in allen ihren Fa-

Theoretische Überlegungen

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cetten nachzuzeichnen, ist nicht sinnvoll. Einige Überlegungen sind jedoch für die nachfolgenden Betrachtungen von erheblicher Bedeutung, da die Kulturtransferforschung ihr Augenmerk auf die „Präsenz von Elementen fremder Kulturen in der eigenen Kultur durch empirisch untersuchbare Auswahl- und Aneignungsprozesse sowie deren Akteure und Medien“ (Middell 2016, 1) richtet. Transfer kann verstanden werden als „Übertragung von Menschen, Gütern und Wissen von einem in ein anderes System“ (Keller 2011, 107). Für Schmale (2012, 1) setzen sich solche Transfereinheiten aus Kulturemen und Strukturemen zusammen. Die Kulturtransferforschung untersucht die interne Dynamik der Rezeptionsvorgänge zwischen kohärenten kulturellen Kontexten. Wichtig ist, dass in Vorgängen des Kulturtransfers erstens stets Mittlergruppen involviert sind und zweitens Aneignungs- bzw. Amalgamierungsaspekte wirksam werden, wobei diese Mittlergruppen primär Aneignungsprozesse betreiben, die von den Bedürfnissen der Aufnahmekultur gelenkt werden (Middell 2016, 2). Modellhaft dargestellt können wir uns Kulturtransfer als einen vierstufigen Prozess vorstellen: 1) im Aneignungskontext B wird etwas Wünschenswertes festgestellt, das im kulturellen Kontext A vorhanden ist – in unserem Fall bestimmte Objekte oder Ausrichtungen der visuellen Moderne; 2) vermittelnde Akteure und Akteurinnen, die zumeist mit beiden Kontexten vertraut sind, treten auf den Plan und leisten die für eine Aneignung notwendige Übersetzung im weitesten Sinne – in unserem Fall sind dies etwa Filmvertriebe, Synchronisationsfirmen oder Kinobesitzer; 3) das Transferierte wird in die existierenden Muster des Aneignungskontextes eingebaut – in unserem Fall wird es in die bestehende visuelle Kultur integriert und 4) erfolgt schließlich die Bewertung des Aneignungsprozesses, die von offener Anerkennung der kulturellen Anregung aus dem Kontext A bis zur Verleugnung des Ursprungskontextes reichen kann (Ebenda, 2–3). In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Kulturtransfer sich auch schwierig gestalten konnte, wenn das visuelle Erzeugnis nicht in der ursprünglichen Form, sondern erst in einer stark veränderten Variante angeeignet wurde, wie dies bei Hollywoodstreifen in der Türkei der Fall war. Mitterbauer (2005, 115) unterscheidet gar zwischen „gelungenen“ und „nicht-gelungenen“ Transfers, und Schmale (2005, 218) verweist auf verweigerte oder misslungene Transfers. Die Kulturtransferforschung geht weder von der Vorstellung eines geschlossenen Kulturraums noch von der einer völligen Auflösung von Kulturgrenzen durch Kreolisierung und Hybridisierung aus. Vielmehr hat sie das Konzept von kohärenten kulturellen Kontexten vor Augen, die „Dispositionen der Zugehörigkeit“ evozieren (Middell 2016, 4). „Der Balkan“ und „der Westen“ können als zwei kohärente kulturelle Kontexte (Ebenda, 4), als Kohärenzcluster (Schmale 2010, 119) oder als unter-

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Einleitung

scheidbare Einheiten, „die zweckmäßigerweise als Kohärenzen zu bezeichnen sind“ (Schmale 2012, 28) verstanden werden, zwischen denen sich Kulturtransfers in beide Richtungen vollzogen, wobei die Aneignung der visuellen Moderne in den Balkanländern über weite Zeitstrecken asymmetrisch erfolgte; dies war allerdings auch im Verhältnis der Sowjetunion zu ihren Satellitenstaaten auf dem Balkan der Fall. In beiden Fällen handelte es sich nicht immer um einander als äquivalent anerkannte Partner in einem Austauschprozess. Solche Asymmetrien der Macht lassen allerdings nicht auf Asymmetrien der Kapazität zur Identifizierung aneignungswürdiger Innovationen schließen. In solchen Konstellationen spielten daher die Mittler, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihre Mobilität zwischen den kulturellen Zentren, eine wichtige Rolle (Middell 2005, 57; Schmale 2012, 2–4; Middell 2016, 6–7). Leider gehört die Untersuchung der Leistung solcher Mittler in visuellen Transfers (Filmvertriebe, Kinobesitzer, Kulturpolitiker und -politikerinnen oder Synchronisationsfirmen), insbesondere in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg, zu den Defizitbereichen bisheriger Forschung. Ihre Rolle wird daher im vorliegenden Text leider unterbelichtet bleiben müssen. Obzwar die dominierenden Transfermodi zwischen den beiden Kohärenzen bzw. den beiden Kohärenzclustern der visuellen Moderne und ihrer Peripherie auf dem Balkan bislang auch noch nicht systematisch untersucht worden sind, zeichnen sich diesbezüglich dennoch relativ klare Konturen ab. Transfermodi neuer visueller Technologien

Der Londoner Professor für visuelle Kultur, Christopher Pinney, stellt fest, dass die Fotografie seit ihren Anfängen in Kulturen, die sich in vielerlei Hinsicht von der euro-amerikanischen Welt unterschieden, praktiziert wurde und kritisiert, dass Forschungen von der Prämisse ausgingen, dass die eigenen Erfahrungen mit der Fotografie ohne Weiteres auf andere kulturelle Kontexte übertragen werden könnten (Pinney 2003, 11–12). Ich denke, dass dies bezogen auf den Film und das K ­ ino vielfach auch geschieht. Wiederum bezogen auf den Umstand, dass sich die Kinokultur ‚im Westen‘ entfaltete. Wurde sie einfach nur kopiert, oder fanden Transfer-, Amalgamierungs- und Umdeutungsprozesse statt, die dem Kino auch in außer­westlichen Kontexten Sinn verliehen? Dies ist eine außerordentlich wichtige Frage, die allerdings von der herkömmlichen Kino- und Filmgeschichtsschreibung kaum angesprochen wird. Auf Fragen der Aneignung der visuellen Moderne in Form des Kinos in den Balkanländern sind erst in jüngster Zeit einige Autoren bzw. Autorinnen eingegangen. Es sind im Wesentlichen drei Studien, die diesbezüglich relevant erscheinen, nämlich jene von Sifaki (2003), Hess (2000) und Gürata (2008). Sifakis Beitrag spricht für die These

Theoretische Überlegungen

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einer visuellen Hegemonie als Transfermodus. Sie beobachtet eine Beherrschung des europäischen Filmmarktes durch Hollywood ab dem Ende des Ersten Weltkriegs und eine dementsprechende Ausrichtung populärer Kinokultur entlang von internationalen kommerziellen Interessen, die spezifische nationale Identitäts- und Erinnerungsmerkmale ausgelöscht hätten. In den griechischen Filmen bis etwa 1930 sei noch eine Dichotomie zwischen populären griechischen und westlichen Themen zu erkennen gewesen, die dann zugunsten US-amerikanischer verlorengegangen wäre. Ende der 1930er-Jahre hätten griechische Kinos bereits hauptsächlich USamerikanische Filme vorgeführt. Eine Eigenproduktion habe in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg beinahe nicht mehr existiert. Der einheimische Film sei von den internationalen Filmkonzernen ruiniert worden (Sifaki 2003). Eine zumindest teilweise völlig konträre These vertritt hingegen Hess, der einen Transfermodus der Nationalisierung beobachtet. Wiederum bezogen auf Griechenland erkennt er in der Einführung des Tonfilms das Ende des kulturübergreifenden und den Beginn einer nationalen Periode des Films. Der Tonfilm – so seine These – stellte Hollywood vor die Aufgabe, der sprachlichen Diversität des Publikums Rechnung zu tragen; dies gelte auch für die größten Filmverleihfirmen jener Zeit. Wäre bis dahin eine universell verständliche Gestik im Vordergrund gestanden, seien es nun nationale Sprachen und Filmmusiken gewesen, auf die die Filmindustrie Rücksicht hätte nehmen müssen. Außerdem habe der Tonfilm den Filmproduzenten kleinerer Länder neue Möglichkeiten eröffnet, kulturspezifische Streifen zu erzeugen, was im griechischen Fall ab etwa 1930 auch tatsächlich eingetreten sei. Dadurch habe sich eine nationale Filmkultur herausbilden können (Hess 2000, 16–25). Während also für Sifaki um 1930 ein hegemonialer Transfer des visuellen Angebots einsetzte, trat für Hess geradezu das Gegenteil ein – die Herausbildung nationaler Filmkulturen. Die Dinge waren allerdings noch wesentlich komplizierter, wie uns Güratas Studie in Hinblick auf das türkische Kino zeigt. Der Autor spricht darin zwar nicht von einem nicht gelungenen oder verweigerten, sondern von einem kulturspezifisch gefilterten Transfermodus. Er weist überzeugend nach, dass die Adaption von Filmen an kulturspezifische Rezeptionskontexte das Kino seit seinen Anfängen begleitete; bereits Stummfilme seien an die kulturell geprägten Vorlieben des Publikums angepasst worden. Die Einführung des Tonfilms habe diese Strategie zwar verteuert, sei dennoch angewandt worden und habe den Hollywoodfilmen zu einer Popularität verholfen, die sie sonst nie erreicht hätten. Sie hätten einen nivellierenden Effekt auf regionale und lokale visuelle Kulturen ausgeübt, jedoch gleichzeitig eine Herausforderung für traditionelle soziale und kulturelle Arrangements dargestellt und alternative kulturelle Praktiken formuliert. Die verbreitet angewandte Strategie des

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Einleitung

kulturspezifischen Transfers von Filmen hätte also beide Potenziale in sich gehabt: sowohl kulturelle Nivellierung durch visuelle Hegemonie als auch Neuorientierung im Sinne der Formulierung einer lokal und regional gebundenen Moderne (vernacular modernism). In der Türkei habe Letztere dominiert (Gürata 2007). Der Autor verfolgt diesen vernacular modernism in Bezug auf die Adaption von Hollywoodfilmen an den türkischen Geschmack von 1930 bis 1970 und eruiert unter anderem folgende Strategien: den Vertrieb von Filmen in französischer Synchronisation, weil Französisch die Bildungssprache in spätosmanischer Zeit und in der frühen Republik darstellte; die Abänderung eventuell brüskierender Filmtitel; die Anpassung oder Entfernung von Tanzszenen, die nicht den Vorstellungen des Publikums entsprachen; die Synchronisation von Filmen in bestimmten türkischen Dialekten – der französische Schauspieler Fernandel etwa wurde im Dialekt der Region von Kayseri synchronisiert – sowie die von der Zensur eingeforderte Entfernung filmischer Szenen aus staats- und kulturpolitischen Rücksichten,sodass ein beinahe völlig neues Produkt entstand (Ebenda). Die skizzierte Diskussion förderte drei Transfermodi zutage: den hegemonialen, den nationalisierenden und den kulturspezifisch gefilterten. Sie zeigt, dass den Transfermodi, die Übertragung, Übernahme und Amalgamierung beschreiben, hohe Bedeutung zukommt. Der Umstand, dass ab den 1960er- und 1970er-Jahren die meisten kulturellen Bedenken in der Türkei gegen westliche Filme gewichen sind, sofern sie nicht mit religiösen Tabus brachen oder als staatspolitisch bedenklich eingestuft wurden, zeigt, dass Sehregister erweiterbar waren und sind und dass ehemals tabuisierte Blicke zu geduldeten werden konnten und können; Sehen ist also eine kulturell erlernte und veränderbare Fähigkeit. Sehen als kulturell erlernte Fähigkeit

Die Forschung ist sich darin einig, dass Sehen sowohl ein biologischer als auch ein kulturell erlernter und geprägter Vorgang ist. Was und wie wir sehen und welche Bedeutung wir dem Gesehenen beimessen, hängt nicht nur von der Zeit, in der wir leben, vom Lebensalter und Geschlecht, von Beruf und Religion ab, sondern vor allem auch von den Sehtraditionen, aus denen heraus wir die Welt wahrnehmen, bewerten und uns aneignen. Diese reichen mitunter weit in die Geschichte zurück, und wir können nur indirekt erschließen, was bereits längst verstorbene Menschen visuell aufgenommen und wie sie es verarbeitet haben. Eine quantifizierende Rezeptionsgeschichte kann sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, Veränderungen von Sehtraditionen auf die Spur zu kommen. Wenn sich um 1900 – so meine Überlegung – nur sehr wenige Menschen mit der visuellen Moderne ausei-

Theoretische Überlegungen

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nandersetzt haben, in den 1960er-Jahren bereits aber Massen, dann muss auch eine qualitative Veränderung im Sehverhalten eingetreten sein. Die Forschung hat auch festgestellt, dass es nicht entscheidend ist, was Kulturen wahrnehmen, sondern wie sie dies tun und wie sie das Sehen im Verhältnis zu anderen Sinnesmodi einsetzen. Unterschiedliche visuelle Traditionen allein müssten noch nicht verschiedene Weltsichten zur Folge haben. Vielmehr sei es notwendig, die Sinnesmodi in Relation zueinander zu setzen, um festzustellen, wie die Welt im Geist bzw. Verstand repräsentiert wird (Edwards; Bhaumik 2008, 5). Dies ist zweifellos richtig, kann jedoch nicht im Mittelpunkt einer Studie stehen, für die die Relation von äußeren und inneren Bildern zentrale Bedeutung hat. Äußere und innere Bilder

Visuelle Kulturen können sich erst durch ein kollektives Einvernehmen in Hinblick auf visuelle Produktion und Rezeption einstellen. Selbst ein Film, den sich niemand ansehen möchte, basiert auf gemeinsamen Ablehnungsgründen. Um visuelle Kulturen zu verstehen, ist die Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Bildern wesentlich. Wie wir die äußeren Bilder sehen, wird durch unser inneres ‚Bildarchiv‘ wesentlich mitbestimmt: „Mit Hilfe dieser inneren Bilder entscheidet ein Mensch, was ihm wichtig ist, womit er sich beschäftigt, wofür er sich einsetzt, worauf er seine Aufmerksamkeit fokussiert und wie er seine Vorstellungen umsetzt“ (Hüther 2005, 52–53). Genauso entscheidend ist die umgekehrte Verlaufsrichtung. Etwas noch nie Gesehenes ist ‚archivalisch‘ nicht abgelegt und kann daher positive oder negative Emotionen auslösen, kann zurückgewiesen oder in den inneren Bildspeicher überführt werden. Ständig stattfindende graduelle Veränderungen visueller Kulturen stellen keine große kognitive Herausforderung dar, solange sie mit dem inneren Bildrepertoire verknüpfbar sind und dieses gegebenenfalls erweitern. Die Konfrontation mit unbekannten visuellen Impulsen, die mit wenigen oder keinen Speicherdaten des inneren Bilderhaushalts verknüpft werden können, stellt daher erstens eine beträchtliche kognitive Herausforderung dar, die zweitens kommunikativ auch noch in ein kollektives Einvernehmen von Akzeptanz oder Zurückweisung überführt werden muss. Dadurch lernten und lernen Menschen, nicht anders oder neu zu sehen, denn sie bauen ihren bestehenden Bilderhaushalt nur langsam ab bzw. bringen ihn mit einem unbekannten oder ungewohnten visuellen Angebot in Einklang. Dieses Ineinandergreifen visueller Kulturelemente aus unterschiedlichen Zeit- und Kulturschichten hat nicht etwas Neues, Drittes zur Folge, sondern erweitert den jeweils bestehenden inneren Bilderhaushalt, der nun beides in sich birgt – das Ererbte und das Neue. Einmal im Hirn angelegte innere Bilder können

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sehr stabil sein; der Bildvorrat kann jedoch ergänzt und erweitert werden (Hüther 2014, 81, 101). Dies bedeutet beispielsweise, dass Heiligen- und Filmikonen widerspruchsfrei gleichzeitig verehrt werden können. Innere Bilder entstehen in einem komplizierten Wechselspiel zwischen der neuronalen Eigenstruktur des Hirns und kulturellen Einflüssen. Die Bildbildung des Hirns ist daher nicht neutral oder objektiv, sondern geschieht in einem kulturspezifischen Sinn: Die Hirnforschung hat herausgefunden, „dass Frauen ihr Hirn anders benutzen und deshalb ‚anders denken‘ als Männer, dass Muslime im Hirn anders auf bestimmte religiöse Symbole und Botschaften reagieren als beispielsweise Christen“ (Ebenda, 45). Unsere inneren Bilder sind daher nicht immer individueller Natur, aber auch wenn sie kollektiven Ursprungs sind, verinnerlichen wir sie individuell; wir halten sie für unsere eigenen Bilder. Wir nehmen die Welt in kollektiver Weise wahr, und diese ändert sich über die Zeit hinweg. An dieser Veränderung sind auch die sich in der Zeit verändernden Trägermedien beteiligt. Dadurch verändern sich die Bilder qualitativ, wenn auch ihre Themen zeitlos sein können. Die gesehenen Bilder unterliegen unserer persönlichen Zensur, aber diese wird von der jeweiligen Verfassung medialer Bilder mitmodelliert. Unsere Wahrnehmung unterliegt einem kulturellen Wandel, obwohl sich unsere Sinnesorgane seit undenklichen Zeiten nicht verändert haben (Belting 2006, 21–22). Für die vorliegende Untersuchung und die Weiterentwicklung ihrer Argumentation ist daher die Relation der äußeren zu den inneren Bildern und vice versa von zentraler Bedeutung. Ziele

Von dem besprochenen Bündel an Überlegungen abgeleitet, verfolgt dieses Buch zwei große Ziele, die auch in seinem Titel ihren Ausdruck finden. Das erste und allgemeinere besteht darin, die Formen und Mechanismen des Transfers der visuellen Moderne in den Bereichen Fotografie sowie Darstellende und Bildende Künste in die Balkanländer zu untersuchen. Diese Analyse muss sich auf die Anfangsphase der Transferprozesse beschränken. Von ihren Resultaten ausgehend werden diese in der Kinokultur weiterverfolgt, um herauszufinden, ob Kontinuitäten vorliegen oder nicht. Ich verwende den Terminus Transfer bewusst, weil ich damit zum Ausdruck bringen möchte, dass dieser akteursbezogene Handlungen umfasst. Hinter jedem Transfer standen Einzel- und Gruppeninteressen von Mittlern sowie politische und unternehmerische Entscheidungen, und jeder Transfer konnte in ein Amalgam vor Ort münden, weil entweder das visuelle Produkt angepasst wurde oder der neue Kontext ein anderer als der ursprüngliche war.

Ziele

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Ein wesentlicher Punkt der Untersuchung wird die Beantwortung der Frage sein, ob die ererbten regionalen visuellen Kulturen Anknüpfungspunkte für die visuelle Moderne boten. Dies ist für die Beurteilung der Transfermodi von Bedeutung. Konnten Elemente der bestehenden visuellen Kulturen weiterentwickelt und somit im Ineinandergreifen mit der visuellen Moderne verwertet werden? Wann begann die Bevölkerung durch die Rezeption der visuellen Moderne ihr inneres Bildreservoir zu erweitern? Welche sozialen Schichten hatten zu welcher Zeit daran Anteil? Wer waren die Mittler (und wenigen Mittlerinnen) im Transfer der visuellen Moderne und welche Rolle spielten sie? Das zweite große Ziel besteht in der Evaluierung der Rolle, die das Kino und insbesondere der im Mittelpunkt stehende Spielfilm in der Vermittlung moderner Sehkulturen in den sieben Jahrzehnten von etwa 1900 bis 1970 spielten. Meine Hypothese lautet, dass ihnen eine Schlüsselfunktion dabei zukam, da sie gegen Ende dieses Zeitraums zum populärsten visuellen Vergnügen der Massen aufstiegen und dadurch erheblich zur Erweiterung individueller und kollektiver innerer Bildwelten beitrugen. Die einheimischen Filmproduktionen hatten daran im Vergleich zu den weltweit größten Playern im Filmbusiness, von wenigen Jahren in bestimmten Ländern abgesehen, nur geringen Anteil. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte die französische Filmproduktionsfirma Pathé den internationalen Kinomarkt beherrscht. Infolge des Eintritts der USA in die internationale Politik in der Spätphase des Ersten Weltkriegs übernahm Hollywood diese Rolle – kräftig unterstützt durch das State Department. Die hegemoniale Rolle des Films à la Hollywood darauf reduzieren zu wollen, wäre allerdings zu kurz gegriffen, denn US-amerikanische Produzenten schafften es, Filme zu kreieren, die kostengünstig im Verleih waren, beinahe überall auf der Welt, wenn auch nicht ohne Modifikationen, Anklang fanden, im Vergleich zu vielen einheimischen Produkten eine bessere Qualität aufwiesen und eine Traumwelt zu vermitteln in der Lage waren, die für die Massen attraktiv war. Hollywood dominierte die Balkankinos der Zwischenkriegszeit weitgehend und jene Jugoslawiens, Griechenlands und der Türkei bis zum endgültigen Durchbruch des Fernsehens in den 1970er-Jahren. Im kommunistischen Albanien, Bulgarien und Rumänien hingegen wurde der allergrößte Teil seiner Produktion nicht gezeigt. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Sehnsucht nach ihr abgestorben wäre. Ihre Popularität in Jugoslawien, das seinen Kinomarkt für Hollywood öffnete bzw. öffnen musste, ist ein guter Beleg dafür. Der Bann, mit dem Hollywood in diesen drei Ländern belegt wurde, bedeutete des Weiteren nicht, dass die weltweit größte Filmproduktionsstätte ohne Auswirkung auf das Filmschaffen dieser Länder geblieben wäre, denn die Regisseure und die wenigen Regisseurinnen, obwohl zumeist auf Filmakademien in der SU, der ČSSR und Polens ausgebildet, rezipierten Hollywoods Pro-

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duktionsverfahren und versuchten, sie in der ihnen möglichen Art und Weise umzusetzen. Der sozialistisch-realistische Film repräsentierte ebenso wie Hollywood das moderne Leben, wenngleich die sozialistischen Filmemacher peinlich darauf achteten oder achten mussten, dass sich das moderne Leben in ihren Filmen nicht mit jenem in den Hollywoodfilmen kreuzte – und vice versa. Diese beiden großen Ziele sind dadurch stark miteinander verknüpft, dass die ersten Filme zu einer Zeit vorgeführt wurden, in der der Transfer der außerfilmischen visuellen Moderne gerade einsetzte oder bereits in vollem Schwung war. Das Kino war anfänglich ein Teil und später Anführer im Transfer der visuellen Moderne in die Balkanländer. Stand der Forschung

Über die Art und Weise, wie Menschen ihr inneres Bilderreservoir zu erweitern bestrebt waren, gibt es nur wenige auf das Kino bezogene Vorüberlegungen, auf die wir zurückgreifen können. So gibt der Filmsoziologe Ian Ch. Jarvie zu bedenken, dass der Film die Entwicklung oder Erfindung von speziellen Imaginationshilfen notwendig gemacht hätte. Das Kinopublikum habe lernen müssen, Einzelaufnahmen zu einer dreidimensionalen Welt zusammenzufügen. Filmungewohnte Menschen hätten anfänglich dabei Schwierigkeiten gehabt. Nahaufnahmen hätten sie erschreckt, weil sie der Auffassung waren, die nicht sichtbaren Körperteile seien abhandengekommen. Bei wechselnden Kameraeinstellungen hätten sie sich nicht zurechtgefunden und Kontinuitätssprüngen in der Handlung nicht zu folgen vermocht ( Jarvie 1974, 116). Der griechische Filmhistoriker Vrasidas Karalis meint bezogen auf den griechischen Film, dass die frühen Filmemacher ihr Publikum noch keinen anderen Weg des Sehens als den traditionellen lehrten, da ihre Art der visuellen Repräsentation noch von vormodernen, nicht perspektivischen Prinzipien, die der byzantinischen und postbyzantinischen Ikonenmalerei entsprangen, charakterisiert gewesen wäre. Erst sukzessive hätten sie sich der filmischen Repräsentationspotenziale voll bedient und eine neue visuelle Sprache entworfen, die auf einer perspektivischen Wahrnehmung beruhte. Die Hauptbedeutung des Kinos läge demnach in der Neugestaltung der visuellen Perzeption (Karalis 2012, 286). Diesen Überlegungen ist einiges abzugewinnen; abgesehen davon könnten sie auch auf andere orthodoxe Länder übertragbar sein. Das griechische Kinopublikum wurde vermutlich nicht erst durch den Film mit der perspektivischen Darstellung und Dreidimensionalität konfrontiert, aber er konnte den perspektivischen Blick-

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winkel verstärkt und zu seiner Verinnerlichung beigetragen haben. Insofern wäre dies ein gutes Beispiel dafür, dass das Kino an der Überwindung bestehender Seh­ traditionen maßgeblich beteiligt war. Die historische Forschung hat dem Balkankino als soziales, kulturelles und historisch-anthropologisches Phänomen bislang wenig Beachtung geschenkt, und eine den Balkan übergreifende Kinoforschung gibt es bedauerlicherweise beinahe nicht. Was es jedoch in gar nicht so geringer Zahl gibt, sind zumeist kaum kontextualisierte nationale Filmgeschichten, die vielfach von den Filmwissenschaften nahestehenden Autoren und Autorinnen verfasst wurden. Diese Art von kontextfreier nationaler Filmgeschichtsschreibung gerät immer häufiger in das Kreuzfeuer der Kritik. Sie sei ethnozentriert und selbstzufrieden, und es mangle ihr an Interdisziplinarität und Internationalität (Pop 2013, 26–29). Neben einer überhöhten Perspektive auf die jeweils nationale Filmproduktion hat die Filmgeschichtsschreibung allerdings auch mit materiellen Problemen in dem Sinn zu kämpfen, dass die frühen Filme zum Großteil nicht mehr existieren. Im griechischen Fall wurden auch die Unterlagen der Stummfilmproduzenten nicht archiviert. Man weiß nicht einmal, ob sie Daten aufbewahrt hatten und welcher Art diese eventuell waren. Daher lässt sich für die frühe Zeit weder die genaue Zahl der Kinos in Athen noch im Rest des Landes feststellen. Wenig ist über die Kinobesitzer, die Ausstattung und Ausrüstung der Kinos und ihr Publikum bekannt (Delveroudi 2012, 120–121). Das Überleben und die Archivierung vieler Filme ist individuellen Initiativen zu verdanken, wie jener der Theater- und Filmkritikerin Aglaia Mitropoulou, die eine Schlüsselrolle in der Gründung des griechischen Nationalen Filmarchivs im Jahr 1950 spielte (Hadjikyriacou 2013, 74). Aufgrund der disziplinären und nationalen Engführung der Film- und Kinogeschichtsforschung ist bislang eine Reihe von Fragen, die sich vor allem aus einer übernationalen Perspektive ergibt, unbearbeitet und daher unbeantwortet geblieben. Dazu zählen etwa Fragestellungen, die sich auf die bestehenden oder nicht bestehenden Beziehungen zwischen dem vormodernen Laien- und Volksschauspiel und dem modernen Theater, dem frühen Kino und seiner Filmproduktion beziehen; Puchners Arbeiten (etwa 1994, 2006, 2014) weisen diesbezüglich beinahe ein Alleinstellungsmerkmal auf. Dieser Fragenkomplex bezieht sich nicht nur auf das Reservoir an potenziellen Filmdarstellerinnen und -darstellern aus dem Theatermilieu, sondern auch auf die Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen traditionellen Darstellungsformen und den modernen Darstellenden Künsten. Ein anderer Fragenkomplex, der in der bestehenden Forschungsliteratur kaum angesprochen wird, bezieht sich auf das Reservoir von Kameraleuten. Sie spielten in der frühen Filmproduktion eine wesentlich umfassendere Rolle als heute, weil sie vielfach auch für Aufnahme-

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technik, Regie und Produktion verantwortlich zeichneten. Einzelne Kameramänner verknüpfen Fotografie und Filmproduktion insofern, als die erste Generation zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus der verwandten Branche des Fotogewerbes stammte. Der frühe Film ist auch mit dem dramaturgischen Literaturschaffen verknüpft, da Spielfilme Drehbücher benötigen. Dass die meisten frühen Filme in den Balkanländern ohne oder ohne auf die Möglichkeiten des Films abgestimmte Drehbücher entstanden, ist eine andere Sache. Das Kino benötigte auch ein die Säle füllendes Publikum. Daher stellen sich Fragen nach der Attraktivität von Filmen und Filmvorführungen, nach dem Kino als neuem Ort der Öffentlichkeit, nach der Bewerbung von Filmen, nach Informationsmaterial für Cineasten und Cineastinnen, nach den Preisen von Kinokarten, der staatlichen und munizipalen Besteuerung von solchen sowie nach den Handelsund Importbedingungen von Filmen. Die Forschung müsste sich des Weiteren fragen, wer sich einen regelmäßigen Kinobesuch überhaupt leisten konnte oder wollte, aber auch, wer Zutritt hatte und wie die Zensurbehörden vorgingen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Filme für das Publikum und somit auch für Kinobesitzer interessant waren und wie Filmvertriebssysteme organisiert waren. Attraktives Kino benötigte elektrische Stromversorgung für den Betrieb der Vorführkameras, für die Ausleuchtung von Kinosälen sowohl vor und nach Vorführungen als auch in etwaigen Pausen, die durch Filmwechsel oder technische Pannen entstanden. Daher ist das Kino auch mit der allgemeinen infrastrukturellen Erschließung und diese wiederum mit dem Industrialisierungsgrad eines Landes verknüpft. Die bisherige Forschung hat diese Faktoren meiner Auffassung nach noch nicht ausreichend beachtet. Im Zusammenhang mit dem Kinopublikum rankt sich ein zentraler und systematisch noch völlig unbearbeiteter Fragenkomplex um den Themenbereich Islam und Kino im Allgemeinen und Islam und Hollywood im Besonderen. Die Türkei, Albanien und Kosovo waren und sind beinahe ausschließlich oder überwiegend, Bosnien-Herzegowina etwa zur Hälfte muslimisch; Makedonien, Bulgarien, Serbien, Griechenland und Rumänien wiesen und weisen muslimische Minderheiten auf. Zwischen der muslimischen visuellen Kultur und der westlichen visuellen Moderne bestanden von vornherein Gegensätze, die miteinander zu verbinden sich als schwierig erweisen sollte. Es ist davon auszugehen, dass die dünne urbane, säkulare muslimische Führungselite kaum Probleme hatte, sich nicht nur mit dem Kino zu arrangieren, sondern an ihm sogar Gefallen zu finden. Wie stand es jedoch mit der nicht säkularen Masse der muslimischen Bevölkerung? Der Beitrag Vučkovs (2012) zählt zu den wenigen, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen.

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Aus der Warte eines Kinosaales betrachtet stellen sich also weitverzweigte Sets an Fragen. Einige lassen sich auf der Grundlage der vorliegenden Forschungsliteratur und gezielter Recherchen beantworten, andere werden Forschungsdesiderata bleiben. So ist es mir beispielsweise nicht gelungen, den Anteil von Frauen in dem männerdominierten Kinometier zu beurteilen. Diesbezüglich wäre gezielte Forschung vonnöten. Dies betrifft auch das mit dem Kinowesen in Zusammenhang stehende Anzeigen-, Ankündigungs- und Werbematerial in Zeitungen, Kinozeitschriften und auf Postern. Kinozeitschriften stellen eine höchst interessante Informationsquelle dar, wie Hess (2011) in seiner Analyse der griechischen Zeitschrift Kinimatografikós Astír eindrucksvoll nachweist. Auch die Wechselwirkung von Kino und Theater wäre einer systematischen Untersuchung wert. In der Folge werde ich einen gerafften Überblick über die bisherige Erforschung der zwei Leitmedien der populären visuellen Moderne, Film (Kino) und Fotografie, auf die Balkanländer bezogen, geben. Das Abenteuer der visuellen Moderne stellte ein vordringlich urbanes Phänomen dar. Gleichzeitig bildete die gebaute Stadt ein konstitutives Element visueller Kulturen. Aus diesem Grund schließe ich die Anfänge der modernen Stadtarchitektur, der Stadtplanung und der Stadtkultur, für die das Kino einen integralen Bestandteil bildete, in diesen Forschungsüberblick mit ein. Regionale Überblicksdarstellungen zur Film- und Kinogeschichte sind aus den oben genannten Gründen rar. Die am besten recherchierte Geschichte des Films im und über das südöstliche Europa ist die des Direktors des rumänischen Filmarchivs, Marian Ţuţui (2008), der unter anderem die filmische Repräsentation des Balkans bzw. einzelner Balkanländer durch westliches Filmschaffen analysiert und die Filmproduktion der südosteuropäischen Länder nach Genres kategorisiert hat. Die Publikation ist in rumänischer Sprache und wird daher nicht ausreichend rezipiert. Anders ist es mit den Publikationen Dina Iordanovas (2001, 2003, 2006), Professorin für Filmstudien an der St.-Andrews-Universität, über den Balkan- und osteuropäischen Film der jüngsten Zeit, die weltweit rezipiert werden; dies gilt auch für Stoil (1982) über den Balkanfilm bis um das Jahr 1980. Von den nationalen Filmgeschichten möchte ich auf jene von Holloway (1986) und Grozev (2011) über den bulgarischen Film verweisen; mit Psoma (2008) und Karalis (2012) liegen zwei jüngere griechische Filmgeschichten vor, die durch das von Constantinidis (2000) herausgegebene Sammelwerk punktuell vertieft werden. Dönmez-Colin (2008) und Arslan (2011) haben vor einigen Jahren exzellente Filmgeschichten für die Türkei vorgelegt. Große Verdienste um die Geschichte des Films im ehemaligen Jugoslawien hat sich Kosanović erworben, unter anderem durch eine Filmgeschichte Bosnien-Herzegowinas (2005, 2006), des Königreichs SHS bzw. Jugoslawiens (1985, 2011), des sozia-

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listischen Jugoslawiens (1966) und Serbiens (1996, 1996a). Bemerkenswert schließlich sind auch die Studien von Goulding (2002) über die Geschichte des Films im sozialistischen Jugoslawien sowie von Regaru (2010) und Garbolevsky (2011) über jenen in Bulgarien. Der bereits erwähnte Ţuţui (2009a) hat die beste Geschichte des rumänischen und Myftiu (2003) die bisher umfassendste des albanischen Films erarbeitet, die durch die Enzyklopädie Papagjonis (2009) sinnvoll ergänzt wird. Die bisherigen Forschungen zur Fotogeschichte zeigen, dass es bis etwa knapp vor dem Ersten Weltkrieg zwar bereits zahlreiche jüdische, jedoch kaum muslimische Berufsfotografen gab. Die Fotografen im Osmanischen Reich waren im ersten halben Jahrhundert der Fotografie überwiegend entweder Armenier, Griechen, arabische Christen oder zugewanderte Ausländer. Die Anfänge der muslimischen und jüdischen Fotografie auf dem Balkan sind beinahe gänzlich unerforscht. Für Serbien wissen wir über jüdische wandernde und ansässige Fotografen aus der Frühzeit der Fotografie bis in die Zwischenkriegszeit Bescheid (Malić 2006). Für Sarajevo erfahren wir, dass es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs keinen einzigen muslimischen Fotografen gab (Derler 2013). Über die Repräsentation von Familie, Geschlecht und Körper in der frühen bulgarischen, serbischen und bosnischen Fotografie liegen aus einem von mir betreuten Forschungsprojekt1 Ergebnisse und eine systematische Aufbereitung der im Projekt bearbeiteten Fotos im virtuellen Visuellen Archiv Südöstliches Europa (VASE)2 vor (etwa Kassabova 2012; Derler 2013; Kaser 2013). Die Frühzeit der Fotografie sowie die Geschichte einzelner Fotopioniere und Fotografendynastien in der Region sind bereits recht gut erforscht. So bestehen Untersuchungen über die italienisch-albanische Fotodynastie Marubi (Chauvin; Raby 2011), über die Brüder Manaki, die als Fotografen und Filmpioniere hauptsächlich in Bitola tätig waren (Ţuţui 2009); weiters über die serbischen Fotopioniere Anastas (Marković 1991; Todić 2002; Vasić 2005) und Milan Jovanović (Malić 1997), über den osmanisch-griechischen Hoffotografen Vassilaki Kargopoulo (Öztungay 2000) und die drei armenischen Fotografenbrüder und osmanischen Hoffotografen Abdullah (Özendes 1998); über den offiziellen Fotografen der jungen türkischen Republik, den Österreicher Othmar Pferschy (İleri 2006) oder über den Pionier der Kriegsfotoreportage, den Serben Rista Marjanović (Stanić 2011). Zwar interessant, jedoch aus theoretischer Perspektive ohne besonderen Anspruch sind einzelne nationale Fotogeschichten. Von dieser generellen Beurteilung 1 2

Das durch den österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 1910 bis 1914 geförderte Projekt trug den Titel: „Repräsentation von Familie, Geschlecht und Körper. Der Balkan ca. 1860–1950“. http://gams.uni-graz.at/context:vase

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ausnehmen möchte ich Kassabova (2012) und Baleva (2012), die auf Bulgarien bezogen die nationale Indienstnahme der Fotografie verfolgen, und Shaw (2011), weil sie die Aufmerksamkeit auf den Amalgamierungsprozess von westlicher und osmanischer visueller Moderne lenkt. Zur Geschichte der Fotografie im Osmanischen Reich liegen einige weitere Untersuchungen vor, etwa von Cizgen (1987), Şeker (2009) und Tekinalp (2010); schlechter ist es um die Fotogeschichte der Türkei bestellt (Özendes 1999). Die Fotogeschichten der übrigen Balkanländer sind mehr oder weniger gut bearbeitet. Für Rumänien sei auf Dumitran (2007) und Ionescu (1989, 2008, 2010) verwiesen; für Albanien gibt es den Überblick von Chauvin und Raby (2011) und Robert Elsies Webseite über die frühe albanische Fotografie3; Serbien ist mit Debeljković (1991), Djordjević (1991), Todić (1993) und Malić (2004) hinlänglich bearbeitet; ähnlich die Situation für Griechenland (Hamiliakis; Szegedy-Maszak 2001; Xanthakis 2002). Als wesentlich spärlicher ist der Forschungsstand zu Bosnien (Marušić 2002) einzuschätzen. Wie bereits erwähnt, stehen Städte und insbesondere die Hauptstädte im Fokus visueller Ambitionen – sei es, dass sie in der zweiten Hälfte des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert Deosmanisierungs- und Europäisierungsbestrebungen zum Ausdruck bringen sollten, sei es, dass sie zum Kondensat nationaler Legitimierungsbedürfnisse wurden. Dem Blick durch die lokale nationalstaatliche Brille entgeht gewöhnlich, dass bereits in der spätosmanischen Reformära (1839–1876) eine Urbanisierungspolitik initiiert wurde, die auf die Einführung von städtischen Selbstverwaltungen und urbanistischen Elementen wie breiten Boulevards, geordnete Verbauung, Gasbeleuchtung und Straßenbahnen nach europäischem Muster abzielte (Gül 2009, 7–71; Sahara 2011). Was die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg anlangt, so hat Paruševa (2001–2002) einen bemerkenswerten Überblicksartikel über die westlichen Einflüsse auf das urbane Alltagsleben auf dem Balkan im 19. Jahrhundert vorgelegt. Die Hauptstadt von fünf aufeinanderfolgenden Staaten, Belgrad, bietet ausreichend Anlass, durch das nationale Prisma auf ihre visuelle Ausgestaltung zu blicken. Die Arbeiten Stojanovićs (2008, 2013) bieten nicht nur Einblicke in die Planungsprobleme einer „unvollendeten Stadt“ in einem „unvollendeten Staat“, sondern geben auch ein umfassendes Bild vom kulturellen Leben der serbischen Hauptstadt zwischen etwa 1890 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Was die Stadtplanung auf dem Balkan im 19. und frühen 20. Jahrhundert anlangt, so gibt die Monografie von Yerolympos (1996) einen hervorragenden Überblick; die diesbezüglichen spezifischen Probleme Istanbuls werden von Çelik (1986) ausführlich dargestellt. Hastaoglou-Martinidis (2011) und Bozdoğan (2001, 2007) erweitern 3 Unter http://www.albanianphotography.net/, letzter Zugriff 02.03.2015.

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den Blick auf den östlichen Mittelmeerbereich und verweisen darauf, dass zwischen etwa 1900 und 1940 bemerkenswerte städtebauliche Projekte vom Balkan über die Türkei bis in den Nahen Osten durchgesetzt wurden, die zwischen einer universellen urbanen Ästhetik und den Erfordernissen nationaler Identitätspolitik oszillierten. Kreiser (1997, 2002, 2005) ist meines Erachtens nach einer der wenigen, die das Problem des auf dem zweiten alttestamentarischen Gebot beruhenden Verbots figürlicher Kunst im Islam am Beispiel des öffentlichen Raums in Kairo und Istanbul verfolgt haben. Zum Fragenkomplex der architektonischen Deosmanisierungspolitik in den Balkanhauptstädten liegt eine Reihe von Arbeiten vor. Als eine der relativ frühen Studien verdient es jene des Belgrader Architekten Macura (1984) hervorgehoben zu werden; ebenso Hartmuth (2006, 2008, 2011), Mišković (2008) und insbesondere das von Gunzburger Makaš (2010) herausgegebene Sammelwerk. In den Bereichen der Kunst und Architektur suggeriert die bisherige Forschung einen nationalisierenden Transfermodus der visuellen Moderne an die europäische Peripherie. Nenad Makuljević, Kunsthistoriker in Belgrad, hat die Kunstgeschichte Serbiens auf diesen Punkt hin untersucht und kommt zu dem Schluss, dass die Kunstschaffenden des Landes die visuelle Moderne bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs durchgehend nationalisierten (Makuljević 2006). Insgesamt scheint dieser Trend in den meisten Balkanländern feststellbar zu sein. Manche Bereiche visuellen Schaffens erwiesen sich dafür geeigneter als andere. Darstellende Kunst und Architektur im öffentlichen, aber auch im privaten Raum eigneten sich, wie Makuljević (2004) herausarbeitet, besser dafür als etwa die gewerbliche Fotografie oder der Film. Zusammengefasst ist der Forschungsstand, auf dem das vorliegende Buch aufbauen kann, in Teilbereichen wie städtische Kultur und Architektur sowie nationale Filmgeschichte recht gut, die Reihe an oben aufgeworfenen Fragen in Hinblick auf das Kino wurde jedoch noch kaum thematisiert, geschweige denn beantwortet. Für eine kultur- und sozialgeschichtlich sowie historisch-anthropologisch und balkanübergreifend orientierte Arbeit wie diese bleiben somit noch attraktive Freiräume, für die es sich lohnt, die Mühen, aber auch Freuden, die mit dem Verfassen eines Buches verbunden sind, auf sich zu nehmen. Die vorliegende Arbeit betritt insofern wissenschaftliches Neuland, als sie erstens weit verstreute Forschungsliteratur zusammenführt, zweitens das Kino in ökonomischer, sozialer, kultureller und politischer Hinsicht breit kontextualisiert, drittens Transfer- und Amalgamierungsformen der visuellen Moderne in den Balkanländern herausarbeitet und viertens die Schlüsselrolle des Kinos in der Vermittlung säkularer Sehkulturen würdigt. Insbesondere die bislang vernachlässigte übernatio-

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nale Vernetzung von Forschungsarbeiten aus den Balkanländern hat sich als, wie ich meine, äußerst ertragreich herausgestellt. Es hat sich dabei gezeigt, dass das Kino in den sieben Jahrzehnten, die hier im Zentrum der Analyse stehen, zwar wichtige nationale Eigenheiten aufwies, dass jedoch auch zahlreiche Gemeinsamkeiten festzustellen sind. Im Zuge meiner Recherchen habe ich eine Reihe von Kino- bzw. Filmarchiven aufgesucht. Diese Besuche waren außerordentlich instruktiv. Sie zeigten, dass sie wahre Schätze an Filmmaterial aller Genres, Zeitschriften, Fotomaterialien, Posters und Dokumente aufbewahren, die vielfach noch nicht aufgearbeitet sind, weil es an Geld und Personal mangelt. Ziel meiner Archivreisen war es auch, der unvermeidlichen westlichen Perspektive eines österreichischen Historikers auf die Balkanländer etwas entgegenzusetzen. Diese Westdrift stellt sich schon allein deshalb ein, weil der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzende visuelle Transfer in seiner Anfangsphase nicht ausschließlich, so aber doch zum Großteil insofern ein einseitiger war, als das visuelle Know-how und die visuelle Technologie im Wesentlichen im Westen kreiert und in die Balkanländer transferiert wurden. Ein weiteres Instrument zur Relativierung meiner Westperspektive war, dass ich die aus den Balkanländern stammende einschlägige Forschungsliteratur, soweit mir diese sprachlich zugänglich war, konsultiert und eingearbeitet habe. Der Aufbau des Buches folgt einer chronologischen Struktur, wobei ich in den ersten beiden Kapiteln einen breiten Kontext des ökonomischen Entwicklungsstandes der Balkanländer, der städtischen Kultur und der Transfermodi der visuellen Moderne entfalte. Die Anfänge der nur mühsam in Schwung kommenden Kinokultur sind in der Stadt vorzufinden. Dort standen die benötigte Infrastruktur und das für ein entstehendes Kinoleben unumgängliche Publikum zur Verfügung. Die Grundfrage ist dennoch, ob das Kino, das einem industrialisierten Kontext entwachsen ist, in den Balkanländern mit ihrer nur rudimentär entwickelten Industrie überhaupt Entfaltungsmöglichkeiten vorfand. Das zweite Kapitel wirft unter anderem die Frage auf, ob die visuelle Moderne den Bedürfnissen der Balkanbevölkerung entsprach. Um diese und andere Fragen beantworten zu können, werden die Anfänge der modernen Bildenden und Darstellenden Künste sowie der Fotografie rekonstruiert und hinterfragt, ob und wie sie mit den vorherrschenden visuellen Traditionen in Einklang zu bringen waren. Gab es Kontinuitäten oder musste die visuelle Moderne vollständig neu implementiert werden? Waren genügend künstlerische und handwerkliche Fachkräfte vorhanden, um die vorführungsseitigen sowie die produktionstechnischen Aspekte des Films bedienen zu können? Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in diesem Kapitel unter-

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sucht wird, ist die Frage, wie sich die jüdische und muslimische Bevölkerung, die sich grundsätzlich der körperlichen Repräsentation enthielt, zur visuellen Moderne stellte. Das dritte Kapitel setzt mit einem Blick auf die Entwicklungen des frühen internationalen Filmbusiness ein und geht dem Phänomen Hollywood vor Hollywood nach. Damit meine ich die französische Produktionsfirma Pathé, die vor dem Ersten Weltkrieg den Kinoweltmarkt für wenige Jahre ähnlich dominierte wie Hollywood in den Jahrzehnten danach. Es befasst sich in weiterer Folge mit den ersten Kontakten der Balkanbevölkerung mit mobilen Filmvorführern, mit dem Prozess des Übergangs zum ortsfesten Kino und mit der Einstellung der muslimischen Bevölkerung zum Film. Schließlich werden die Auswirkungen von drei kurz aufeinander folgenden Kriegen (die beiden Balkankriege 1912/13 und der Erste Weltkrieg) auf die Verbreitung der Fotografie und des Films studiert. Dies ist deshalb unumgänglich, weil die Kriegspropaganda und das Informationsbedürfnis der Bevölkerung eine erste visuelle Revolution stimulierten. Die Weltöffentlichkeit wurde auf breiter visueller Basis über die Kriegsereignisse auf dem Balkan informiert, und es begann sich im wahrsten Sinne des Wortes ein bestimmtes Bild vom Balkan zu formen. Das vierte Kapitel konzentriert sich im Wesentlichen auf Entwicklungen der Zwischenkriegszeit. Konnte das Kino, ausgelöst durch die erste visuelle Revolution, zu einem Massenphänomen, wie dies in den industrialisierten Staaten der Fall war, aufsteigen? War es bereits so tief in der Gesellschaft verankert, dass es entscheidend dazu beitragen konnte, eine neue visuelle Kultur zu etablieren? Infolge des Ersten Weltkriegs hatte sich die Struktur des internationalen Filmgeschäfts verändert und das Produktionszentrum von Europa bzw. Frankreich in die USA verschoben, die in Form von Hollywood den Weltmarkt beinahe nach Belieben beherrschten. Dies konnte jedoch zu kulturellen Reibungsflächen zwischen dem American way of life à la Hollywood und Kulturen, die diesen ablehnten, führen. Wie verhielt sich das Publikum der Türkei, des größten muslimischen Landes in der Region, in dieser Situation? Was bedeutete die weltmarktbeherrschende Position Hollywoods für die heimischen Filmproduktionsfirmen – und ebenso wichtig: Welche Auswirkungen hatte die Einführung des Tonfilms auf die kapitalschwache Filmproduktion in den Balkanländern? Das fünfte und letzte Kapitel rückt die turbulenten Veränderungen, die durch die späte industrielle Revolution in den Balkanländern um die Mitte des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurden, in den Vordergrund: massive Zuwanderungen junger Menschen in die Städte, eine urbane Jugendkultur, die nur mehr schwer oder gar nicht unter Kontrolle zu halten war, ein rascher Zuwachs an Kinos sowie ein ebenso sprunghafter Anstieg des Publikums und der Filmproduktion. Diese Vorgänge fas-

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se ich unter „zweite visuelle Revolution“ zusammen. Zu den turbulenten Veränderungen gehörte die Machtübernahme kommunistischer Parteien in Albanien, Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien. Wie würden diese auf das bis dahin ohnedies nur schwach verwurzelte Kino reagieren? Würde die Filmproduktion der sozialistischen Länder mit jener der SU gleichgeschaltet werden? Würden sie an der zweiten visuellen Revolution teilhaben? In einem Epilog werden der Aufstieg des Fernsehens sowie die damit Hand in Hand gehende abnehmende Begeisterung für das Kino skizziert. Um 1970 ging eine Ära zu Ende, in der das Kino mehr oder weniger ein Monopol auf die Befriedigung der Nachfrage nach visuellen Vergnügungen hatte. Die Periode des Massenkinos währte lediglich ein bis zwei Jahrzehnte, hinterließ jedoch ein Publikum, das die Welt säkular zu sehen begonnen hatte.

Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

Um 1800 befanden sich die späteren Balkanmetropolen noch unter osmanischer Herrschaft. Doch das sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts über drei Kontinente erstreckende Osmanische Reich verlor im Verlauf dieses Jahrhunderts zusehends an Kohäsion und Integrationskraft nach innen und Verteidigungspotenzial nach außen. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Ihnen kann hier im Detail nicht nachgegangen werden. Allgemein gesprochen waren sie ökonomischer, demografischer, militärischer und politischer Natur. In ökonomischer Hinsicht wurde das Reich zu einem Nachzügler hinsichtlich kapitalistischer Industrialisierungspolitik; das ökonomische Gefälle zwischen ihm und den europäischen Industrienationen, allen voran Großbritannien und Frankreich, wurde ständig größer. Aufgrund mangelnder natürlicher Ressourcen und fehlendem Investitionskapital blieb seine Wirtschaft auf den Primärsektor ausgerichtet. Auch in demografischer Hinsicht war das Reich im Vergleich zu den meisten übrigen europäischen Ländern zurückgefallen. In manchen Reichsteilen stagnierte die Bevölkerung, in anderen stieg sie leicht an. Gemessen an der durchschnittlichen Bevölkerungsdichte Europas war das Reich stark unterbesiedelt. Eine der Ursachen dafür war, dass es auf eine verbesserte medizinische Versorgung seiner Bevölkerung, auf eine Hebung der Hygienestandards und auf Seuchenprävention zu lange zu wenig Augenmerk gelegt hatte. Die relative Unterbevölkerung wirkte sich entscheidend negativ auf das militärische Potenzial aus. In einer Zeit, in der stehende, auf allgemeine Wehrpflicht beruhende Heere Standard waren, hing die Größe eines mobilisierbaren Heeres von der Bevölkerungsdichte ab. Mit der Relation Landesgröße zu Heeresgröße war es daher äußerst schlecht bestellt. Trotzdem hätte die Armee die im Verlauf des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ausbrechenden zahlreichen Revolten von primär nicht muslimischen Bevölkerungsteilen vermutlich niederschlagen können, wenn nicht europäische Großmächte militärisch interveniert hätten. Auf diese Weise entstand von 1830 bis 1913 eine Reihe unabhängiger Balkanstaaten, die einen beträchtlichen Teil ihres Staatsbudgets für den Aufbau einer modernen Armee einsetzte. Eine Allianz dieser Staaten fügte der osmanischen Armee im Ersten Balkankrieg (1912/13) eine empfindliche Niederlage zu, die im Verlust beinahe aller noch verbliebenen europäischen Reichsterritorien resultierte. Die Hauptstadt Istanbul, ehemals im Zentrum eines riesigen Reichs gelegen, kam nun an seiner westlichen Peripherie zu lie-

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Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

gen. Mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs war auch das Ende des Osmanischen Reichs besiegelt (Kramer; Reinkowski 2008, 87–93). Etwa das halbe 19. Jahrhundert hatten osmanische Sultane und ihre Administrationen damit verbracht, das Reich zu reformieren, zu modernisieren und sukzessive den europäischen christlichen Großmächten kulturell anzunähern. Dazu gehörte, dass bestehende Ungleichbehandlungen nicht muslimischer Bevölkerungsteile um die Jahrhundertmitte formal beseitigt wurden, de facto jedoch aufrecht blieben, da diese Maßnahme in erster Linie dem Druck europäischer Großmächte und den Vorstellungen der osmanischen Eliten, nicht jedoch jenen der restlichen muslimischen Bevölkerung entsprachen. Das sultanische Reformprojekt hatte unter anderem für unseren Zusammenhang zwei Auswirkungen: Es verschärfte erstens paradoxerweise die muslimisch-nicht muslimischen Beziehungen, da sich die muslimische Bevölkerung in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg auf der Verliererstraße wähnte, was durch Territorialverluste in Europa und die folgenden erzwungenen und freiwilligen Massenabwanderungen muslimischer Bevölkerung unterstrichen wurde. Die zweite Auswirkung war, dass sich die osmanische Elite der westlichen visuellen Moderne zu öffnen begann. Ihre Übernahme war somit nicht nur ein christliches, sondern wurde auch zu einem – vorerst elitären – muslimischen Projekt. Für Teile der osmanisch-muslimischen Elite stellten westliche Malerei, Monumentalkunst, Fotografie und Kino keine Tabus mehr dar. Dieses Kapitel hat die Aufgabe, den historischen Ausgangspunkt zu erläutern, der darin bestand, dass die politischen und kulturellen Eliten der jungen Balkanstaaten sich ihres ungeliebten osmanischen Erbes zu entledigen trachteten und Europäisierungskonzepte entwarfen, deren Umsetzung durch die ökonomischen Rahmenbedingungen eng begrenzt wurde – sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Es wird in seinem ersten Abschnitt auf die missliche wirtschaftliche Lage, in der sich die Balkanländer in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden, und auf unzureichende Wirtschaftsreformen hinweisen. Von Bukarest abgesehen mussten Kleinstädte, im Fall des montenegrinischen Cetinje ein Dorf, zu Hauptstädten erhoben und entsprechend ausgestattet werden, worauf der zweite Abschnitt hinweist. Die jungen Balkanstaaten legten auf moderne, nach europäischen Maßstäben gebaute Städte wert, und daher mussten speziell die Hauptstädte runderneuert werden (dritter Abschnitt). Die visuelle Moderne sollte zu einem integralen Teil des modernen Lebens nach europäischem Vorbild werden, und daher ist es angebracht, im vierten Abschnitt diesen Aspekt zu untersuchen. Das Kino wurde zwar nicht zum Ausdruck einer industriekapitalistischen Moderne, so aber doch Bestandteil eines sich entfaltenden modernen Lebens.

Missliche wirtschaftliche Lage

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Missliche wirtschaftliche Lage

Die Balkanländer erhielten zu unterschiedlichen Zeitpunkten innenpolitische Handlungsfreiheit und somit die Möglichkeit, ihre kulturelle Neuausrichtung zu diskutieren. Griechenland war das erste dieser Länder. 1828 als Republik konstituiert, wurde der minderjährige bayrische Prinz Otto, Sohn des Königs von Bayern, 1832 von den europäischen Mächten zum künftigen Oberhaupt des in eine Monarchie umgewandelten Staats bestimmt. Während Griechenland formal ein souveräner Staat wurde, verblieb Serbien unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs, erhielt im Jahr 1830 allerdings als Fürstentum unter Führung der einheimischen Obrenović-Dynastie innenpolitische Autonomie. Lediglich ein osmanisches Truppenkontingent verblieb zur Sicherung der Nordgrenze im Land. 1867 musste auch dieses das Land verlassen, und 1878, auf dem Berliner Kongress, wurde dem Land volle Souveränität zugestanden. Die Fürstentümer Moldau und Walachei, die sich 1862 zum Fürstentum Rumänien vereinigten, waren nie unter direkter osmanischer Verwaltung gestanden, sondern einer Oberherrschaft unterworfen, die sich durch ein osmanisches Truppenkontingent sowie die Ernennung der Fürsten durch die Sultane äußerte. Auch Rumänien erhielt auf dem Berliner Kongress seine volle Souveränität zugesprochen, nachdem das Land bereits 1866 aufgrund eines Beschlusses der europäischen Großmächte unter die Herrschaft von Karl Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen (Fürst Carol I.) gestellt worden war. Die bulgarischen Gebiete waren durch eine russische Intervention im Gefolge des russisch-osmanischen Kriegs 1877/78 von der osmanischen Herrschaft befreit worden. Durch den Beschluss des Berliner Kongresses wurde der nördliche Landesteil zu einem autonomen Fürstentum unter formaler osmanischer Herrschaft, der südliche blieb vorläufig noch eine osmanische Provinz, die 1885 mit dem Fürstentum vereinigt wurde. Die europäischen Großmächte bestimmten Prinz Alexander Joseph von Battenberg (1879–1886) zum Fürsten; 1887 folgte ihm Ferdinand von Coburg-Gotha nach. Ebenfalls auf dem Berliner Kongress wurde die Souveränität des Fürstentums Montenegro anerkannt. Das kleine Land wurde von einer einheimischen Dynastie, den Petrovići, regiert. Albanien schließlich proklamierte während der Turbulenzen des Ersten Balkankriegs Ende November 1912 seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Ende Mai 1913 erfolgte seine internationale Anerkennung als Fürstentum, das bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vom protestantisch-deutschen Fürsten Wilhelm von Wied regiert wurde. Im Ersten Weltkrieg von ÖsterreichUngarn, Italien und Frankreich besetzt, erlangte das Land als Republik nach dem

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Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

Krieg seine Unabhängigkeit wieder. Präsident Ahmet Zogu ließ sich 1928 als Zogu I. zum König von Albanien proklamieren. Diese kurze Chronologie ist deshalb aufschlussreich, weil sie dokumentiert, dass die jungen Balkanstaaten erstens als Monarchien konzipiert wurden, was im Trend der Zeit lag, und zweitens die ersten Monarchen, abgesehen von Serbien und Montenegro, allesamt aus dem westlichen Ausland stammten. Sie standen in Übereinstimmung mit den Eliten ihres Landes für eine Europaorientierung; aber auch die einheimischen Dynastien verfolgten entsprechende Reformprogramme. Diese aus- und inländischen Monarchen übernahmen Länder, die auch als Resultat der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zum Osmanischen Reich im europäischen Vergleich als ökonomisch schwach entwickelt eingestuft werden müssen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Bruttoinlandsprodukt der Balkanländer von 1913 bis 1950 und zeigt, dass die Wirtschaftsleistung dieser Staaten gemessen am europäischen Durchschnitt relativ gering war. Es handelte sich um agrarisch orientierte Länder, die einen niedrigen Urbanisierungs- und Alphabetisierungsgrad aufwiesen. Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt der Balkanländer pro Einwohner und Einwohnerin im Vergleich zum westeuropäischen Mittelwert 1913–1950

Westeuropäischer Mittelwert Griechenland Türkei Bulgarien Jugoslawien Rumänien

1913 100 47 28 34 41 41

1929 100 55 22 27 31 26

1950 100 35 24 30 28 21

Quelle: Hatschikjan 1999, 17.

Tabelle 2 dokumentiert, dass der Anteil an ländlicher Bevölkerung im Vergleich zum europäischen Durchschnitt relativ hoch war. Es waren also in erster Linie agrarische und noch schwach urbanisierte Gesellschaften, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts etwa verfügte ein Drittel aller serbischen Bauerngüter über weniger als zwei Hektar Grundbesitz, zwei Fünftel zwischen zwei und fünf Hektar, und zwei Drittel besaßen weniger Land als für ihre Existenz notwendig. Diese Familien vermochten sich kaum zu ernähren, geschweige denn einen Überschuss zu erarbeiten (Stojanović 2008, 175–176).

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Missliche wirtschaftliche Lage

Tabelle 2: Städtische und ländliche Bevölkerung im europäischen Vergleich um 1900 (in %)

städtisch 14,1 33,1 19,8 17,6 10,9 77,0 41,0 32,2 22,0 56,1 30,6

Serbien 1900 Griechenland 1897 Bulgarien 1900 Rumänien 1889/90 Finnland 1900 England/Wales 1901 Frankreich 1901 Spanien 1900 Schweiz 1900 Deutschland 1900 Ungarn 1900

ländlich 85,9 66,9 80,2 82,4 89,1 23,0 59,0 67,8 78,0 43,9 69,4

Quelle: Sundhaussen 1989, 102.

Tabelle 3: Analphabetenraten in Europa Anfang des 20. Jahrhunderts (in %)

Land Serbien (1900) Griechenland (1907) Bulgarien (1900) Rumänien (1899) Bosnien-Herzegowina Schweiz Österreich Ungarn Schweden Dänemark Großbritannienb Frankreich (1901)

gesamt 79,7 60,8 72,1 78,0 87,8 2,3 23,8 40,7 2,3 3,8 7,3 17,4

Quelle: Mayer 1994, 102. a – im Schulalter; in der Regel von 5–14 Jahren b – einschließlich Irland c – 6–10 Jahre d – 7–20 Jahre

Männer 67,3 41,8 57,9 – 82,9 – 22,1 34,4 – – – 14,8

Frauen 92,9 79,8 86,9 – 93,4 – 25,5 46,9 – – – 19,8

Kindera 78,3 55,0 68,4 70,6 87,3d – 31,3C 36,2 – – – 16,9

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Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

Wie Tabelle 3 zeigt, haben wir es außerdem mit einer weitgehend analphabetischen Bevölkerung zu tun. Die allgemeine Schulpflicht war in Griechenland 1834, in Rumänien 1864, in Bulgarien 1878 und in Serbien 1882 eingeführt worden. Die Statistik zeigt, dass diese Maßnahme nicht sonderlich erfolgreich war. Anders als in Griechenland und Bulgarien erkannten die politischen Eliten Serbiens und Rumäniens den entwicklungsstrategischen Wert von Elementarbildung nicht. Rumänien hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der höchsten Analphabetenraten Europas und gleichzeitig ebenso viele Universitätsabsolventen und Rechtsanwälte wie Deutschland (Daskalov 1999, 114–115). In Serbien wurde die allgemeine Schulpflicht nicht umgesetzt und im Jahr 1898 auf vier Jahre gesenkt. Um die Jahrhundertwende besuchten nur 44 Prozent der Burschen und zehn Prozent der Mädchen eine Schule. Lediglich in den Städten war es gelungen, den Analphabetismus zurückzudrängen. Während im Jahr 1900 in den Städten 52 Prozent (in Belgrad nur 27 Prozent) nicht lesen und schreiben konnten, waren es auf dem Land noch 88 Prozent (Sundhaussen 2007, 170–171). Wir können davon ausgehen, dass diese überwiegend bäuerlichen und analphabetischen Gesellschaftsschichten um 1900 kaum noch mit der visuellen Moderne in Berührung gekommen waren. Ein Zeichen dafür ist der Umstand, dass es zur Zeit der Staatsgründung nur wenige transregionale Verkehrsnetze gab, die sich nicht in einem desolaten Zustand befanden. Dies behinderte die gesellschaftliche Entwicklung, da die Durchsetzung des staatlichen Modernisierungswillens an ein funktionierendes Verkehrs- und Nachrichtennetz geknüpft war (Daskalov; Sundhaussen 1999, 115–116). Dies galt auch für die soziale Integration und Herausbildung eines Binnenmarktes. Dieser Zustand war nicht rasch zu beheben, denn es herrschten Kapitalknappheit und Mangel an Fachpersonal. Eine der Ikonen der industriekapitalistischen Moderne stellte die Eisenbahn als Verkehrs- und Transportmittel dar. Das Eisenbahnnetz war insbesondere für den Handel von Bedeutung und daher nach Zentraleuropa ausgerichtet. 1888 wurde Sofia durch Bahnlinien sowohl mit Istanbul als auch mit Paris verbunden. Anfänglich fuhr der ‚Orient-Express‘ nur einmal pro Woche durch Sofia, ein Jahr später bereits dreimal. In zwei Tagen konnte man nun von den Rhodopen aus nach Paris gelangen (Daskalov; Sundhaussen 1999, 115–116; Paruševa 2007, 24).

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Missliche wirtschaftliche Lage

Tabelle 4: Eisenbahnnetze auf dem Balkan und in Westeuropa Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts

Länge des Streckennetzes in km

Land Bulgarien Serbien Rumänien Griechenland Dänemark Frankreich Deutschland

Eisenbahnkilometer

1910 1890 1910 1890 1910 1890 1910

1.780 540 960 2.543 3.603 767 1.580

pro 1.000 qkm Gesamtfläche 1,8 1,1 2,0 1,9 2,7 1,2 2,4

1890 1910 1890 1910 1890 1910

1.986 3.603 36.895 49.386 42.869 61.148

5,2 9,2 7,0 9,2 7,9 11,3

pro 10.000 Bevölkerung 4,2 2,2 3,3 4,6 5,3 3,5 6,0 9,1 13,6 9,6 12,6 8,7 9,3

Quelle: Paruševa 2007, 26 nach Sundhaussen 1989, 517.

Dem unzulänglich ausgebauten Eisenbahnnetz entsprach die noch schwache Nutzung anderer moderner Kommunikationsmittel. In Serbien wurde 1899 die erste Telefonverbindung hergestellt, in Griechenland erst 1908 (Sundhaussen 2007, 183; Auernheimer 2010, 173–176). In Serbien, Rumänien und Bulgarien wurden um 1910 pro Mensch und Jahr 1,6 bis 2,0 Ferngespräche geführt, in Skandinavien dreißigmal so viele (Daskalov; Sundhaussen 1999, 116). Eisenbahn und Telefon dokumentierten Fortschritt, Modernisierung und Europäisierung. Die historische Europäisierungsidee ging von der Vorstellung aus, dass Europa bzw. West- und Zentraleuropa ein Entwicklungsmodell globaler Gültigkeit darstellte: modern, industrialisiert und fortschrittlich. Das Ziel war, ein Teil von ihm zu werden; räumlich war man diesem ohnedies nahe. Dieses Europa wurde zum politischen Leitbild und zum Synonym für Modernisierung, Zivilisierung und Urbanisierung. Europäisierung, von den Eliten angestoßen, wurde ein von breiten Gesellschaftsschichten gewollter und getragener Prozess (Roth 2007, 7–10). Dieses Europa durchdrang mit seinen Innovationen allmählich die Balkanländer. Die Wahrnehmung Europas variierte von Nation zu Nation und vermutlich von Mensch zu Mensch. Insgesamt stellte Frankreich, insbesondere für Rumänien,

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Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

das geeignetste westliche Fortschrittsmodell dar. Andere wichtige westliche Orientierungsländer bildeten Belgien, Großbritannien, Italien, Deutschland und Österreich-Ungarn (Paruševa 2001–2002, 141–144). Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete den Höhepunkt des auch in Bezug auf die Übernahme visueller Techniken nicht infrage gestellten europäischen Einflusses auf die Balkanländer. Dieser machte sich zuerst in den Städten entlang der Donau und der Eisenbahnlinien sowie in den neuen Balkanhauptstädten und anderen größeren Städten bemerkbar. Das ländliche Hinterland blieb lange Zeit für europäische Einflüsse unempfänglich (Ebenda, 145–148). Nach Daskalovs und Sundhaussens Auffassung besaßen die Eliten allerdings kein wirtschaftspolitisches Entwicklungskonzept. So habe Serbien erst 1882, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Begründung des autonomen Fürstentums, ein Ministerium für Volkswirtschaft eingerichtet. Dem militärischen Sektor wurde ungleich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Militärausgaben beliefen sich auf ein Fünftel, jene für Schuldenrückzahlungen an ausländische Geldgeber zwischen einem Viertel und einem Drittel des Budgets (Daskalov; Sundhaussen 1999, 121–122). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Industriefördermaßnahmen ergriffen. Rumänien beschloss 1887 ein erstes Fördergesetz, Serbien 1893, Bulgarien 1894 und Griechenland 1910 (Ebenda, 121–122). Der griechische Ministerpräsident Charilaos Trikoupis, 1875 bis 1895 siebenmal Ministerpräsident, hatte allerdings bereits ab den 1880er-Jahren ein ehrgeiziges Infrastrukturprojekt, insbesondere für den Großraum Athen, in Gang gebracht. Dieses stieß die Formierung einer urbanen Mittelklasse, eine beginnende Industrialisierung, öffentliche Arbeiten und eine erste Landflucht an; die Stadtbevölkerung erhöhte sich exponentiell, die Staatsverschuldung allerdings ebenso. 1893 erzwangen die Kreditoren die Einführung einer internationalen Finanzkontrolle über den Staatshaushalt (Ebenda, 122; MergoupiSavaidou 2009, 118–120). Trotz aller Entwicklungsprobleme stellten die Hauptstädte nicht nur Verwaltungsmittelpunkte dar, sondern auch Transferknotenpunkte für die westliche visuelle Moderne und für das moderne Leben schlechthin. Die neuen Hauptstädte

Die zu Hauptstädten auserwählten Orte waren gemessen an europäischen Maßstäben zumeist klein an Territorium und gering an Bevölkerung. In vier Fällen wurde die ursprüngliche Auswahl revidiert. So etwa war Athen nicht erste Wahl, sondern das im Nordosten der Halbinsel Peloponnes gelegene Nafplio. Das Städtchen fungierte von 1829 bis 1834 als griechische Hauptstadt, bis die Entscheidung für die

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Die neuen Hauptstädte

prestigeträchtigere Kleinstadt Athen fiel. Die erste Hauptstadt des serbischen Fürsten war nicht Belgrad, wo der osmanische Gouverneur seinen Sitz hatte, sondern Kragujevac im Landesinneren. Erst 1839 konnte er sie nach Belgrad verlegen, wobei noch wichtige Institutionen in Kragujevac verblieben. Die erste Hauptstadt Montenegros war Cetinje. 1946 wurde das besser gelegene Podgorica, damals Titograd, zur Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro erhoben. Die erste Hauptstadt Albaniens war 1913/14 die Hafenstadt Durrës. Das nach dem Ersten Weltkrieg wieder erstandene Albanien entschied sich 1920 für das weniger exponiert gelegene Tirana als Hauptstadt. Nach Istanbul war Bukarest die weitaus größte Stadt in der Region. Als sie 1862 zur Hauptstadt der vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei erhoben wurde, hatte es bereits eine Bevölkerung von mehr als 120.000. In den elf Jahrzehnten von 1831 bis 1941 verfünfzehnfachte sich diese. Tabelle 5: Bevölkerung Bukarests 1831–1941

Jahr 1831 1859 1877 1916 1930 1941

Bevölkerung 58.792 121.734 177.302 381.279 631.288 992.536

Quelle: Berindei 1994, 39–52.

Belgrad war mit einer Bevölkerung von rund 19.000 (1846) im Vergleich dazu eine Kleinstadt. Bis zum Jahr 1910 stieg diese Zahl auf knapp 90.000 an. Tabelle 6 gliedert den Bevölkerungsanstieg nach Geschlechtern; der männliche Bevölkerungsanteil war deutlich höher, was darauf zurückzuführen ist, dass viele junge Männer zuwanderten, um in der Hauptstadt ihr Glück zu versuchen. Die Zahl der kinderlosen Familien war doppelt und jene der Einzelhaushalte beinahe sechsmal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Zwischen 1890 und 1900 war nur etwa ein Drittel der Belgrader und Belgraderinnen auch dort geboren (Mišković 2008, 290). Der Anteil der städtischen Bevölkerung Serbiens stieg infolge des Zuzugs vom Land von 6,1% (1834) auf 13,1% (1910) (Sundhaussen 2007, 148).

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Die moderne Balkanhauptstadt um 1900

Tabelle 6: Bevölkerung Belgrads 1866–1910

Jahr

Gesamt

1866

24.768

1884 1895 1900 1905 1910

35.483 59.115 69.769 80.747 89.876

Männer Anzahl Prozent 14.588 58,9 19.642 34.455 40.302 46.089 51.112

55,4 58,3 57,8 57,1 56,9

Anzahl 10.180

15.841 24.660 29.467 34.658 38.764

Frauen

Prozent 41,1 44,6 41,7 42,2 42,9 43,1

Quelle: Mišković 2008, 290.

Die Hauptstadtentwicklung Athens begann in einer ähnlichen Größenordnung. Die Bevölkerung des Großraums Athen-Piräus, der Ende des 19. Jahrhunderts durch eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt und seinem Hafen verdichtet wurde, entwickelte sich jedoch etwas dynamischer. Zwischen 1907 und 1920 verdreifachte sich die Bevölkerungszahl beinahe. Tabelle 7: Bevölkerung von Athen und Piräus 1836–1920

Jahr 1836 1840 1851 1861 1870 1889 1907 1920

insgesamt 17.588 18.973 24.754 41.296 44.510 110.262 168.749 453.042

davon in Athen in % 94,31

86,48 80,24 76,26 69,64 64,64

davon in Piräus in % 5,69

13,52 19,76 23,74 30,36 29.85

Quelle: Hering 1994, 124.

Auch Sarajevo wies gemessen an seiner Bevölkerungszahl eine ähnliche Größenordnung wie Belgrad und Athen auf, als es nach der Okkupation durch österreichisch-ungarische Truppen im Jahr 1878 zur Provinzhauptstadt erklärt wurde. Für den Zuzug in die neue Provinzhauptstadt sorgten in diesem Fall in erster Linie Verwaltungsbeamte und Heeresangehörige.

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Die neuen Hauptstädte

Tabelle 8: Bevölkerung Sarajevos 1879–1921

Jahr 1879 1885 1895 1910 1921

Bevölkerung 21.377 26.268 38.083 51.919 66.317

Quelle: Mulić 1998, 189–190.

Sofia war mit seiner Bevölkerung von etwas mehr als 17.000 sogar etwas kleiner als Sarajevo, als es 1878 Hauptstadt wurde. Bis um 1900, also binnen zweier Jahrzehnte, vervierfachte sich ihre Bevölkerung und ließ damit Städte, Plovdiv ausgenommen, die 1878 auf ähnlichem Niveau gestanden waren, deutlich hinter sich. Tabelle 9: Bevölkerung bulgarischer Städte 1900

Stadt Sofia Plovdiv Varna Russe Sliven Šumen

Bevölkerung 67.000 43.000 34.800 32.700 24.500 23.100

Quelle: Yerolympos 1993, 245.

Cetinje schließlich hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts lediglich aus zwei Gebäuden, einem Kloster und einer Bischofsresidenz, bestanden. 1832 wurde das erste Privathaus mit einer Gastwirtschaft errichtet. Im Jahr 1864 wurde das erste moderne Hotel Montenegros, das Grand Hotel, fertiggestellt. Zwischen 1863 und 1867 ließ der spätere König Nikola einen Palast für sich errichten; Anfang der 1870er-Jahre folgten ein Mädchenpensionat und ein Krankenhaus. Im Jahr 1872 wurden etwa 115 Häuser und eine Bevölkerung von rund 500 Menschen gezählt. Ab 1878 begann die Hauptstadt rasch zu wachsen, und 1890 wurden bereits 2.476 Einwohner und Einwohnerinnen gezählt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auch die Botschaftsgebäude jener Länder, mit denen das Land diplomatische Beziehungen pflegte, fertiggestellt (Agičić 1994, 174–179). Von Istanbul und Bukarest abgesehen, handelte es sich also durchwegs um Kleinstädte, die die Zentralfunktionen ihres jeweiligen Landes übernahmen. Binnen kür-

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zester Zeit sollten sie sich in riesige Baustellen verwandeln, die als Ergebnis ihr visuelles Antlitz vollständig veränderten. In ihnen begann sich auch so etwas wie ein modernes Leben zu entfalten, das seine Vorbilder in anderen europäischen Städten suchte. Deosmanisierung und Stadtplanung

Das ‚Stadtbild‘ gehört zum Inventar des internalisierten Bilderbestandes einer urbanen Bevölkerung. Von der Stadt hat man jedoch nicht nur ein Bild – sie weist eine konkrete räumliche Struktur auf, die die Bevölkerung kanalisiert, zum Verweilen und zur Hektik auffordert oder gar zum Nichtstun einlädt. Ihre Infrastruktur wurde zu einem wesentlichen Teil des modernen Lebens im Allgemeinen und der urbanen visuellen Kultur im Besonderen. Daher ist es naheliegend, einen Blick auf die Vorgänge zu werfen, die vormals osmanische Provinzmärkte zu europäisch ausgerichteten Hauptstädten werden ließen. Die Prinzipien des europäischen Städtebaus begannen ab dem 18. Jahrhundert von den bis dahin gültigen Vorstellungen abzuweichen. Der neu sich durchsetzende rationale Gestaltungsansatz beruhte auf dem Grundgedanken des orthogonalen Rastersystems. Das unregelmäßige mittelalterliche Straßennetz wurde reguliert, was eine neue räumliche Wirkung erzeugte. Neu entstehende Funktionskerne wurden mit Boulevards verbunden und Plätze mit imposanten Denkmälern ausgestaltet (Doytchinov; Gantchev 2001, 13–14, 27). Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde die Stadtplanung darüber hinaus zunehmend verwissenschaftlicht. Der an der Technischen Hochschule in Karlsruhe lehrende Tiefbauingenieur Reinhard Baumeister war maßgeblich dafür verantwortlich. Er gab im Jahr 1876 das erste Handbuch für Stadtplanung heraus, in dem er beschrieb, auf welchen Prinzipien Stadterweiterung zu beruhen habe. Darauf aufbauend entwickelte sich eine ingenieurtechnische Praxis, die in erster Linie Verkehrsströme und hygienische Gesichtspunkte berücksichtigte. Gestaltungsprinzipien wie Sternplätze, Ring- und Diagonalstraßen wurden zum Standardrepertoire von Städteplanern (Schott 2014, 313), die auf dem Balkan ein interessantes Experimentierfeld vorfanden. Um diesen Plänen Durchbruch zu verschaffen, wurden ohne Bedenken Stadtteile zerstört und entlang der neuen Prinzipien wieder errichtet. Die meisten jungen Hauptstädte mussten in den Augen der Stadtverwaltungen und Städteplaner ‚deosmanisiert‘ werden, um sie anschließend wieder ‚europäisch‘ aufzubauen. Für die Erhaltung von historisch gewachsenen Stadtkernen, die von zukünftigen Touristen

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und Touristinnen als attraktiv empfunden werden würden, stand der zeitgenössische Sinn nicht. Die Umgestaltung nach den Gesichtspunkten der Städtebaukunst wurde von dem Gedanken geleitet, dass die urbane Ästhetik die einzige Kunstform darstellte, die den urbanen Massen zugänglich war, und die physische Gestaltung einer Stadt eine gute Möglichkeit bildete, auf die Lebensführung der Bürger und Bürgerinnen positiv einzuwirken (Hastaoglou-Marinidis 2011, 153–155). In den meisten Fällen entschlossen sich die für die Umgestaltung Verantwortlichen für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit im Sinne einer Deosmanisierung. Sie bedeutete in praktischer Hinsicht die Zerstörung der wichtigsten Einrichtungen der osmanischen Herrschaftsperiode wie Moscheen, Badehäuser, Karawansereien, Basare und andere öffentliche Einrichtungen, die aufgrund der vollständig oder großteils abgewanderten muslimischen Bevölkerung nicht mehr benötigt wurden. Da diese in den jeweiligen Stadtzentren, wo sich der Wert von bebaubaren oder als Verkehrsflächen nutzbaren Grundstücken ständig erhöhte, situiert waren, gab es auch massive kommerzielle Gründe für Deosmanisierungsmaßnahmen. Was die Hauptstädte anlangt, wiesen Athen, Sofia und Belgrad den höchsten ‚Deosmanisierungsbedarf‘ auf; Bukarest und Tirana den geringsten. Bukarest war nicht unter direkter osmanischer Verwaltung gestanden und wies einen vernachlässigbaren muslimischen Bevölkerungsanteil auf. Tirana war überwiegend von muslimischer Bevölkerung, die nicht an radikalen Veränderungen interessiert war, bewohnt. Die Reichshauptstadt Istanbul wies einen erheblichen und sehr frühen Regulierungs- und Planungsbedarf auf. Sie bestand zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus drei Hauptkonzentrationen, die durch Gewässer voneinander getrennt waren: das historische Istanbul, Galata und Üsküdar. Die kurzen und überfüllten Straßen waren Ende der 1830er-Jahre noch nicht reguliert, ihre Richtung und Breite veränderten sich ständig; Sackgassen waren häufig. Galata war noch von seiner Stadtmauer aus dem 15. Jahrhundert umgeben und wuchs um 1840 über sie hinaus; in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sollte sich dieser Prozess intensivieren. 1863 wurde die Festungsmauer abgetragen, wie dies auch sonst in Europa üblich war. Sie war zu einem ernsthaften Hindernis für die Kommunikation Galatas mit dem stark anwachsenden Pera geworden. Die Grand Rue de Péra war bereits auf beiden Seiten bebaut, das Hinterland wurde allerdings noch landwirtschaftlich genutzt. Hier lebten hauptsächlich europäische, armenische, griechische und jüdische Familien (Çelik 1986, 3–9, 70). Nördlich dieses Straßenzugs entstand um den heutigen Taksim-Platz ein gänzlich neues Militärquartier mit Kasernen, Zeughäusern, der Militärakademie und dem Verteidigungsministerium. Auch der Sultan zog aus dem beengten

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Topkapı-Palast in den 1843 bis 1856 im europäischen Stil erbauten DolmabahçePalast am Bosporus-Ufer von Galata um. Istanbuls Bevölkerung stieg von 391.000 (1844) auf 851.527 (1886) und, als Folge der beiden Balkankriege (1912/13), vorübergehend auf 1,6 Millionen (Ebenda, 37–38; Gül 2009, 64). Bereits vor dem Einsetzen dieser kriegsbedingten Zuwanderungswellen hatte die Stadtverwaltung im Jahr 1836 erste Überlegungen hinsichtlich von Regulierungs- und Planungsmaßnahmen angestellt. Die Regulierung des Straßennetzwerks sollte geometrischen Regeln folgen, ausländische Ingenieure und Architekten eingeladen und osmanische Architekturstudenten zum Studium in das Ausland geschickt werden (Çelik 1986, 49–66). 1857 bestimmte die Stadtverwaltung den 6. Bezirk (Galata, Pera und Tophane) als Experimentierfeld für Stadterneuerungsmaßnahmen: Regulierung und Pflasterung der Straßen sowie Bau und Wartung von Wasser- und Kanalleitungen nach europäischem Muster. Die Hauptstraßen wurden erweitert und im Zuge dessen eine Gasbeleuchtung sowie Wasser- und Abwasserkanäle errichtet (Ebenda, 45–47). Damit war die Infrastruktur für das schicke und mondäne Pera und für die eleganten Wohnquartiere der liberalen Istanbuler Eliten gelegt, die die visuelle Moderne in der Folge bereitwillig übernehmen sollte. Im historischen Istanbul konnten die effizientesten Regulierungsmaßnahmen erst nach Großfeuern ergriffen werden. Der Althausbestand war größtenteils aus Holz errichtet worden, weshalb die Brandgefahr endemisch war. Zwischen 1853 und 1906 gab es 229 Brände. Im besonders denkwürdigen Aksaray-Feuer von 1856 wurden 650 Gebäude zerstört. Für die Planung des Wiederaufbaus wurde der italienische Ingenieur Luigi Storari engagiert. Im September 1865 brach das sogenannte Hocapaşa-Feuer (oder das Große Feuer) im Westen Eminönüs aus. Für die Wiederbebauung mussten die Straßen gerader und breiter als bisher angelegt werden und die Häuser aus Ziegel oder Stein errichtet werden. Im Zuge dessen wurde auch ein Abwassersystem errichtet (Ebenda, 49–66). Auf diese Weise wurde das historische Istanbul sukzessive nach modernen städtebaulichen Prinzipien saniert. Im Unterschied zu Istanbul konnte die Stadtplanung in Athen nicht umhin, sich an der Antike zu orientieren. Die osmanische Provinzstadt mit einer Bevölkerung von etwa 10.000 war im griechischen Unabhängigkeitskrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach der Wahl zur Hauptstadt des kleinen Königreiches wurden mehrere kontroverse Pläne für den Wiederaufbau, die Regulierung und Stadterweiterung entworfen.4 Unter dem Einfluss des europäischen Klassizismus 4

1832 waren die Architekten Stamation Kleanthes und Gustav Eduard Schraubert mit der Stadtplanung beauftragt worden. Ihr Plan sah vor allem wesentlich breitere Straßen bzw.

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und in Anbetracht der historischen Bedeutung der Stadt wurde das antike Vorbild von niemandem infrage gestellt. Sie sollte die Verbindung des neu aufzubauenden Griechenlands mit der Antike symbolisieren. Schließlich wurde 1834 der Hofarchitekt des bayrischen Königs, Leo von Klenze, beauftragt, einen Plan zu erstellen, der nicht getreu verwirklicht wurde, dem es jedoch zu verdanken ist, dass die alten Viertel Plaka und Psyri erhalten blieben und die Hügel südlich der Akropolis von Bebauung freigehalten wurden. Seiner Auffassung nach sollte Athen schmälere und kürzere Straßen sowie kleinere Plätze aufweisen als ursprünglich geplant. Er ging fälschlicherweise von der Annahme aus, dass die Stadt nicht wesentlich wachsen würde. Diese Kleinteiligkeit sollte später viele Probleme bereiten. Ein weiterer Stadtentwicklungsplan aus dem Jahr 1860 ging noch von einer Bevölkerung von 50.000 aus, allerdings wuchs die Bevölkerung bis zum Jahr 1900 auf 130.000 an (Hering 1994, 109–115; Auernheimer 2010, 173–176). An der von Klenze entworfenen Grundstruktur konnte allerdings nicht mehr gerüttelt werden. Die Straßen blieben zu eng und wurden teilweise auch unzweckmäßig geführt. Die Innenstadt wurde durch die Konzentration an Geschäften, Behörden, Banken und Bildungseinrichtungen überlastet und an der Peripherie die Landschaft zersiedelt (Hering 1994, 119). Durch die Umgestaltung des modernen Athen im neoklassischen Stil wurde ein Kanon etabliert, der die Wiederauferstehung der griechischen Nation symbolisieren sollte. Die Errichtung öffentlicher Bauten im neoklassischen Stil, die Schaffung neuer monumentaler Achsen und die Förderung des klassischen städtischen Erbes war als Rückkehr zum Athen der verblichenen Glorie gedacht; gleichzeitig sollte ihm zum Image einer modernen europäischen Stadt verholfen werden. Die Hauptstadt sollte anderen griechischen Städten als Muster und Orientierung dienen. Von 1863 bis 1912 wurden nicht weniger als 147 Stadtpläne für griechische Städte bewilligt. Sie alle waren an den Athener Prinzipien orientiert: rechtwinkeliges Rastersystem, Straßenanpassung und die Gestaltung öffentlicher Gebäude als Referenzbauten (Koumaridis 2006, 218–219, 221). Infolge des Ausgangs der beiden Balkankriege (1912/13) und des Ersten Weltkriegs wurde das griechische Staatsgebiet nach Norden hin beträchtlich erweitert und Saloniki dem griechischen Staatsgebiet angeschlossen. Im August 1917 brach hier ein katastrophaler Flächenbrand aus, der das historische Zentrum inklusive des Wohnareals der größten jüdischen Gemeinde auf dem Balkan zerstörte. Die griechische Regierung beschloss die bestehende Eigentumsordnung und FlächennutBoulevards als die heutigen vor. Der Plan wurde vor allem deshalb nicht realisiert, weil man sich die hohen Grundstücksablösen für die Anlage breiterer Straßen nicht leisten konnte oder wollte (Hering 1994, 109–115; Papageorgiou-Venetas 2011, 18–22).

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zung zu ignorieren, die jüdische Gemeinde umzusiedeln und den Wiederaufbau für eine Modernisierung und Hellenisierung der Stadt und somit für eine radikale Umformung des Ererbten zu nutzen (Hastaoglu-Marinidis 2011, 161–165). Das heute nur wenige Fahrstunden nördlich von Saloniki gelegene Sofia umfasste eine verbaute Fläche von acht Quadratkilometern und etwa 3.000 Gebäude, als es Hauptstadt Bulgariens wurde. 1922 betrug seine Fläche 28 und 1938 bereits 45 Quadratkilometer (Gjuzelev 1998, 162). Diese Angaben sind Indikatoren dafür, dass der Zuzug beträchtlich gewesen sein musste und daher für eine vorausblickende Stadtverwaltung Entwicklungsplanung von Anfang auf der Tagesordnung stehen musste. In einem ersten Schritt boten sich jedoch Regulierungsmaßnahmen an. Das im Ostteil der Kleinstadt gelegene muslimische Viertel, das bereits während des russisch-osmanischen Kriegs von 1877/78 verlassen worden war, wurde abgerissen und nach modernen Prinzipien wiederaufgebaut. Muslimische Häuser, die nicht von neu geplanten Straßenführungen berührt waren, wurden trotzdem, angeblich zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit, geschleift. Aufgrund der Beschlüsse des Berliner Kongresses von 1878 wäre eine Enteignung aufgrund religiöser Zugehörigkeit eigentlich verboten gewesen (Stanoeva 2010, 94–96). Die öffentlichen Bauten und Moscheen aus osmanischer Zeit wurden bis auf wenige Ausnahmen abgetragen (Gjuzelev 1998, 162–163; Doytchinov; Gantchev 2001, 37–40). Der erste von dem französischen Ingenieur S. Amadier erstellte Stadterneuerungsplan wurde bereits im Dezember 1878 genehmigt – auf der Grundlage eines von zwei tschechischen Ingenieuren erstellten Katasters. Amadier hielt die auf das Stadtzentrum ausgerichteten Straßenrichtungen bei. Neu war die Idee eines stadtumrahmenden Boulevards entlang des osmanischen Festungsgrabens – also einer Ringstraße. Diese sowie die Hauptstraßen waren nach dem Pariser Modell in einer Breite von 25 bis 30 Metern geplant. Der Stadtrat traf jedoch auf den entschiedenen Widerstand der Bürger, da die Neuordnung nicht nur Eigentumsgrenzen verschoben, sondern auch sozioräumliche Dimensionen ihrer traditionellen Nachbarschaftsbeziehungen verletzt hätte (Stanoeva 2010, 94–96). Für die Umsetzung der Planungsmaßnahmen mussten weitere ausländische Spezialisten gerufen werden, deren Pläne nicht selten lokale Bedingungen und soziale Praktiken ignorierten und daher Widerstand hervorriefen. Der erste Chefstadtarchitekt, der Tscheche Adolf Václav Kolář, erarbeitete einen Straßenregulierungsplan, der jedoch nicht umgesetzt werden konnte, da sich die lokalen Eigentümer weigerten, auf Grundstückstäusche und ihrer Meinung nach unzureichende Kompensationen für Enteignungen einzugehen (Ebenda, 94–96). Was das restliche Land angeht, so wurden in den Jahren von 1878 bis 1885 für beinahe die Hälfte aller Städte, Kataster- und Straßenregulierungspläne von aus-

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ländischen Experten erstellt. Bis zum Ersten Weltkrieg verfügten alle der etwa 80 Städte über Kataster- und Regulierungspläne. Viele von ihnen wurden allerdings nicht implementiert, da es entweder an Finanzen mangelte oder der Widerstand von Grundstückseigentümern zu groß war (Yerolympos 1996, 45–48; Doytchinov; Gantchev 2001, 32–33). Was Belgrad anlangt, so verfügte auch der erste serbische Fürst, Miloš Obrenović, über keine einheimischen akademisch ausgebildeten Architekten und Ingenieure. Er lud daher einen Geometer aus der Donaumonarchie, den Slowaken Franc Janke, ein, der die urbanen Visionen des Fürsten umsetzen sollte. Janke führte bis zu dessen Abdankung Planungsarbeiten in der Stadt durch und erstellte auf unbebautem Land im Besitz des Fürsten vor den Toren der Stadt das neue serbische Regierungsquartier sowie den Grundriss einer eigentlichen Neustadt, den zukünftigen Innenstadtbezirk Vračar, den er in großen rechtwinkligen Blöcken und weiten, geraden Straßen entwarf (Mišković 2008, 153–155, 373; Damljanović Comley 2010, 48). Nachdem die osmanischen Truppen und die muslimische Bevölkerung 1867 Belgrad geräumt hatten, entwickelte der erste Stadtplaner serbischer Herkunft, Emilijan Josimović, der seine Ausbildung an der Technischen Hochschule in Wien erhalten hatte, radikale Umgestaltungspläne. Er schlug vor, das enge Straßengewirr der verlassenen Viertel durch ein orthogonales urbanes Schema mit weiten Straßen, großen Plätzen und Parks – in seinen Worten „Oasen, die die Seele erfreuen sollen“ – sowie monumentalen öffentlichen Gebäuden zu ersetzen. Umgesetzt wurde die Verlegung der bisherigen Hauptachse der Altstadt – der čaršija – im rechten Winkel und entsprechend die Anlage der neuen, eleganten Knez-Mihailova-Straße sowie die Regulierung des Gassennetzes. Andere Pläne wurden archiviert und viele Jahre später wieder hervorgeholt, wie jener einer Umgestaltung der Festungsanlage in einen Park, die nach der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen 1918 erfolgte. Andere Pläne wurden gar nie umgesetzt, wie die Schleifung der alten Festung zugunsten eines neuen Regierungsviertels. Ihm wurde vorgeworfen, zu utopisch und durch seine Ausbildung in Wien mit den lokalen Verhältnissen nicht vertraut zu sein (Mladjenović 1999, 221; Mišković 2008, 287; Damljanović Comley 2010, 48, 48–49). Die rumänischen Städte waren – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – ohne muslimische Bevölkerung geblieben. Die Regelungen des Städtewesens, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Kraft waren, stammten noch aus der spätbyzantinischen Zeit. 1829 wurde die seit 1716 währende Herrschaft der Fanariotenfürsten durch Russland, das die Fürstentümer vorübergehend besetzt hielt, beseitigt und eine Stadtplanung mit dem Ziel implementiert, bereits bestehende Städte auf der Grundlage neuer Gesetze zu modifizieren.

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Im Falle Bukarests wurden ausländische Ingenieure und Architekten eingeladen, Stadterneuerungspläne  auszuarbeiten. Deren Umsetzung wurde durch ein Erdbeben (1838), eine Überflutung (1839) sowie einen großen Brand (1847) erleichtert. Trotzdem stellte Bukarest um Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer eine weitverstreute Siedlung mit einer Bevölkerung von etwa 100.000 dar. Die Häuser, aus Holz und Lehm errichtet, selten mehr als ein Stockwerk hoch und typischerweise von der Straße zurückversetzt, lagen inmitten eines großen Gartens oder sogar Weinguts. Nur der Fürstenpalast, die Kirche, einige Geschäftsgebäude und Bojarenresidenzen waren aus Ziegel oder Stein und mehrere Stockwerke hoch. Die Straßen waren eng und gewunden. Im späten 19. Jahrhundert wurde eine tiefgreifende Umgestaltung in Gang gesetzt. So etwa wurden die noch heute charakteristischen breiten Boulevards angelegt, wofür auch historisch bedeutsame Gebäude geschleift werden mussten. Mitte der 1890er-Jahre wurde die Systematisierung des Straßennetzes nach Pariser Vorbild in Angriff genommen. Die Wände der neuerrichteten Häuser mussten aus Ziegel oder Stein und die Dächer aus Ziegel bestehen, um Bränden vorzubeugen (Raluca-Popa 2010, 62–66). Tirana war vom 18. bis in das beginnende 20. Jahrhundert durch seine reichen Kaufmanns- und Grundbesitzerfamilien geprägt. Der Marktflecken entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Handelszentrum. Bis zum ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erstreckte sich die Stadt rund um einen Basar und zwei Moscheen. Ihre Struktur war ungeordnet, fragmentarisch und ungeplant. Ein typisches Haus war ein bis zwei Stockwerke hoch, bestand aus Lehmziegeln und war von Mauern umgeben. Der Basar, in den alle Hauptstraßen mündeten, bildete das kommerzielle Zentrum (Aliaj; Lulo 2003, 21–24). Als die Kleinstadt 1920 zur Hauptstadt erhoben wurde, erstreckte sie sich über etwa 300 Hektar und wies eine Bevölkerung von 15.000 auf (Ebenda, 27–48). Bereits während des Ersten Weltkriegs, im Jahr 1916, waren von der österreichischungarischen Besatzungsmacht Vermessungsarbeiten durchgeführt worden, und im darauffolgenden Jahr begannen die Arbeiten zur Schaffung eines an den Basar anschließenden Platzes, mit dem die Grundlage für den späteren Skanderbeg-Platz mit seiner Hauptplatzfunktion geschaffen wurde (Shkreli 2010, 22–26). Nachdem 1923 österreichische Architekten und Raumplaner einen ersten, allerdings nicht realisierbaren Regulierungsplan erstellt hatten, wandte sich die albanische Regierung an Italien, das 1925 den faschistischen Architekten Armando Brasini entsandte, um einen ersten Masterplan für die Gestaltung eines neuen Stadtzentrums zu erstellen. Es sollte durch sechs Ministeriumsgebäude und einem zentralen Boulevard strukturiert werden. Dieser Plan wurde vom italienischen Kolonialarchitekten Florestano Di Fausto umgesetzt. Die Stadt sollte in ihrer Anlage an

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die Renaissance erinnern, gleichzeitig modern wirken und mit viel zeitgenössischer Architektur ausgestattet werden. Im Jahrzehnt von 1929 bis 1938 erfuhr Tirana aus urbanistischer und architektonischer Sicht durch die Anlagedes zentralen Boulevards sowie die Errichtung der Ministeriumsgebäude und anderer öffentlicher Bauten einen qualitativen Entwicklungssprung. Obwohl der traditionelle Kern, das Basarviertel, erhalten blieb, nahm Tirana in dieser Zeit den Charakter einer modernen Stadt an (Aliaj; Lulo 2010, 27–48; Shkreli 2010, 26). Stadtplanung und -architektur wurden von ausländischen Architekten und Ingenieuren geprägt. Erst ab den frühen 1930er-Jahren übernahmen junge, in Wien oder Prag ausgebildete albanische Architekten und Planer deren Aufgaben (Stiller 2010, 15). Abschließend lässt sich festhalten, dass die Umgestaltung und Erweiterung der Balkanstädte überall nach international gültigen Prinzipien erfolgten, die sich zwischen der ersten Hälfte des 19. und jener des 20. Jahrhunderts zwar in Akzenten veränderten, aber von den Grundsätzen einer rational gebauten und gegliederten Stadt nicht abwichen. Zwischen den Auffassungen eines Hofarchitekten Klenze, der in den 1830er-Jahren die Grundstruktur Athens festlegte, und den faschistischen Stadtplanern, die in den 1920er-Jahren jene von Tirana vorgaben, bestanden enorme ideologische, aber wenige handwerkliche Unterschiede. Die Grundstrukturen der Balkanhauptstädte und der meisten sonstigen urbanen Zentren wurden von ausländischen Fachleuten gelegt, die ihre Aufgaben dem jeweiligen ‚Zeitgeist‘ entsprechend erfüllten. Sie planten Städte für ein modernes Leben. Das moderne Leben

Die Städte fungierten als Fabriken modernen Lebens. War es in osmanischer Zeit üblich gewesen, der Privatsphäre einen hohen Wert beizumessen, verlagerte sich danach ein Teil des Lebens auf die Straßen und Plätze; der Spätnachmittags- oder Abendkorso wurde zu einem üblichen Ritual und der Bahnhof zu einem wichtigen Ziel von Spaziergängen; man bestaunte die Waggone und Lokomotiven, die europäische Güter in die Stadt brachten (Paruševa 2001–2002, 153–154). Weitere Gravitationspunkte des öffentlichen modernen Lebens bildeten Orte, an denen man einige Zeit miteinander verbringen, etwas trinken, Karten spielen, Zeitungen lesen oder einfach nur tratschen konnte. Das Kaffeehaus, in dem nationale sowie internationale Zeitungen und Zeitschriften auflagen, wurde zu einem dieser öffentlichen Orte – wie in vielen anderen Teilen der Welt auch. Es blieb vorläufig allerdings Männern vorbehalten. Um die Jahrhundertwende gaben Kaffeehäuser bereits den Rahmen für wichtige kulturelle und politische Veranstaltungen ab. In

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Belgrad wurde 1880 in einem Kaffeehaus die erste Glühbirne in Betrieb genommen, 1894 erstmals klassische Musik von ausländischen Violinisten angeboten, 1896 der erste Film vor- und 1908 die erste Oper aufgeführt (Ebenda; Stojanović 2008, 271; Auernheimer 2010, 173–176). Traditionelle Formen ländlicher und städtischer Geselligkeit vermischten sich mit neuen Gewohnheiten. In der Belgrader Oberschicht kam der žur in Mode, der das abendliche Zusammensitzen im privaten Rahmen in osmanischer Zeit ersetzte und Ähnlichkeiten mit dem in vornehmen europäischen Kreisen gepflegten jour de réception aufwies. Wie gewohnt beschränkte sich der Kreis der Eingeladenen auf die weitere Familie, Freunde und Nachbarinnen (Mišković 2008, 262). Ein weiteres neues Element bildete der Salon, der Frauen vermögender Männer die Möglichkeit bot, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sichtbar zu werden. Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Institution sehr populär. Der Ruf eines Salons hing allerdings von den männlichen Gelehrten und Künstlern ab, die dort verkehrten; das soziale Zentrum stellte jedoch die Dame des Salons dar (Paruševa 2001–2002, 153–154; Auernheimer 2010, 173–176). Der moderne und europaorientierte Mensch verkehrte in der Öffentlichkeit in westlicher Kleidung. Im Falle von Serbien, Bulgarien und Griechenland waren reiche Händler die ersten, die sich entsprechend kleideten und die neueste Mode für ihre Frauen und Töchter importierten.  Auch die Intelligenz, die im Ausland studiert hatte, trug europäische Kleidung (Paruševa 2001–2002, 156–159). Bis zur Jahrhundertwende hatte sich die Belgrader Alltagsmode stark modernisiert. Nur die libade, ein seidener oder samtener Bolero mit weit auslaufenden langen Ärmeln, der sich mit europäisch geschnittenen Röcken und Blusen kombinieren ließ, hielt sich bei traditionsbewussten Bürgerfrauen bis in das 20. Jahrhundert. Männer mit Fes waren um die Jahrhundertwende kaum mehr anzutreffen (Mišković 2008, 262); dies traf etwa auch auf Athen zu (Auernheimer 2010, 173–176). Einzig in Sarajevo hielt sich unter der muslimisch-bosniakischen Bevölkerung noch bis zum Zweiten Weltkrieg der Fes für die Männer und die Verschleierung (zar, feredža) für die Damen – auch jener der Oberschicht. Aber auch in Sarajevo änderten sich Alltagsgewohnheiten. Die Bevölkerung setzte sich zu zwei Dritteln aus Muslimen und Musliminnen zusammen, als die Stadt von österreichisch-ungarischen Truppen okkupiert wurde. Die soziale Interaktion war in osmanischer Zeit auf das Haus und die religiösen Einrichtungen beschränkt gewesen. In der Okkupationszeit wurden diese Traditionen durch Kaffeehaus- und Theaterbesuche, Konzerte und den abendlichen Korso ergänzt. Waren es anfänglich hauptsächlich Beamte, Offiziere und andere Zuwanderer aus der Monarchie, die sich auf diese Weise die Zeit vertrieben, so schloss sich die einheimische Bevölke-

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rung immer zahlreicher diesen neuen Praktiken an. Der Korso begann jeden Tag zur Abenddämmerung und verlief von den Neubauvierteln in das alte Stadtzentrum. Theaterstücke wurden regelmäßig in eigens dafür adaptierten Gebäuden aufgeführt, und Vokalkonzerte erfreuten sich steigender Beliebtheit (Donia 2002, 65–67). Der Ziviladlatus, also der oberste Zivilbeamte im Land, Baron Feodor Nikolić, wurde für seine wöchentlichen Empfänge mit zumindest hundert Gästen aus den höheren Rängen der Administration und lokalen Elite berühmt. Auf diesen Veranstaltungen wurden Theaterstücke, Gesang und Spiele dargeboten. Konservative Muslime hielten dies zwar für unangemessen, nahmen aber dennoch die Einladung an, hielten sich jedoch von ‚Leichtfertigkeiten‘ fern. Lokalgrößen begannen, diese westlichen Praktiken nachzuahmen und zu gesellschaftlichen Events einzuladen (Ebenda, 65–67). Istanbul war um 1900, was das gesellschaftliche Leben anlangt, eine zweigeteilte Stadt: westlich des Goldenen Horns das traditionelle, östlich davon das moderne, europäische Istanbul. Pera war um 1900 wohl der schickste und modernste Ort des Balkans. Die meisten Botschaften, Banken, internationalen Firmen und europäischen Warenhäuser waren in diesem Stadtteil angesiedelt. Hier befanden sich die Zentren westlicher Unterhaltung wie Theater, Varieté und Oper und entwickelte sich eine wachsende Nachfrage nach westlicher Kleidung und kommerzieller Unterhaltung. Hier wurde auch Alkohol angeboten. „Nach Pera gehen“ war ein geflügeltes Wort für Menschen aus den traditionelleren muslimischen Vierteln und bedeutete nichts Anderes als „sich betrinken gehen“. Die sich in erster Linie aus Levantinern, Türken, Juden, Griechen und Armeniern beiderlei Geschlechts zusammensetzende lokale Elite pflegte einen westlichen Lebensstil. Ihre lingua franca war Französisch; sie sandte ihre Kinder an europäische Schulen, konsumierte europäische Produkte und folgte den aktuellen europäischen Modetrends (Özen 2008, 47–48). Einen weiteren Marker für Modernität bildete der Sommerurlaub mit Familie. Das Urlaubsziel hing von Land und Schichtzugehörigkeit ab. Im Falle der bulgarischen Stadt Plovdiv bevorzugte die lokale Elite um 1900 Marokko, die Neureichen Kuklen (am Fuß der Rhodopen, gut zehn Kilometer von Plovdiv entfernt).  Gewerbetreibende und Arbeiter blieben in der Stadt, da das Geld für einen Urlaub nicht reichte. In Sofia, Bukarest oder Belgrad war es in den gehobenen Kreisen üblich, Mitte Juni die Stadt zu verlassen und im September wieder zurückzukehren (Paruševa 2001–2002, 156–159). Zum neuen Lebensstil der Belgraderinnen und Belgrader gehörte auch der Ausflug mit der Eisenbahn. In der Ausflugsaison von Mitte April bis Mitte September wurden spezielle ‚Spazierzüge‘ eingesetzt. Vereine, wie der Belgrader Gesangsverein,

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und Klubs organisierten häufig Ausflüge und mehrtägige Exkursionen ins Ausland – etwa in die damals noch ungarische Vojvodina. Unter den weiter entfernten Zielen befanden sich Saloniki und das serbische Athoskloster Hilandar. 1910 wurde eine Ausflugzugsverbindung zwischen Sofia und Belgrad hergestellt (Stojanović 2008, 317–328). Für alle, die es sich leisten konnten, war der Besuch der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 eine gesellschaftliche Verpflichtung. Wem das siebentägige Pauschalangebot zu kostspielig war, schloss sich dem Fahrradklub an und radelte über Zemun, Wien, Linz und München nach Paris. Attraktiv war auch die Balkanausstellung im Jahr 1907 in London mit Serbien, Montenegro und Bulgarien als Ausstellungsnationen. Auch diesmal gab es Pauschalangebote für die Reise und einen einwöchigen Aufenthalt (Ebenda, 317–328). Angesehenere Belgrader Familien begannen ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert, an das Meer zu fahren. Wegen der guten Eisenbahnverbindung wurde der kroatische Badeort Opatija bevorzugt. 1908 dauerte die Reise dorthin noch zwei Tage, später nur mehr einen Tag. Noch vor den Balkankriegen setzte eine andere Form von Meerestourismus für Reiche ein: Man kaufte sich bei Opatija ein Grundstück am Meer und errichtete auf diesem eine Sommervilla. Schließlich übernahm die serbische Elite auch noch die Mode des Kuraufenthaltes. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts begannen Zeitungen aus den Kurbädern zu berichten (Ebenda, 317–328). Der urbane Mensch befasste sich mit verschiedensten Themen der Moderne. In zwei Athener Zeitungen wurden zwischen 1908 und 1910 neben Fragen der Technik, Industrialisierung und Elektrifizierung auch Straßenbahnangelegenheiten, Hygienestandards, Infektionskrankheiten, medizinische Erkenntnisse, neue Arzneistoffe, die Verlängerung des Lebens, Mikrobiologie, Gesundheit und Schönheit, die Wiederkehr des Halley’schen Kometen am 5./18. Mai 1910, Meteorologie, Geologie und Botanik sowie die Erforschung des Südpols erörtert. Des Weiteren berichteten sie über Schauflüge und brachten Fotos sowie Biografien von Wissenschaftlern, Erfindern und Piloten. Die Erfindungen von Thomas Edison auf den Gebieten des elektrischen Lichts, der Tonaufnahme und des Films wurden gepriesen und Neuerungen auf den Gebieten der Luft- und Seefahrt, der Telekommunikation, des Ingenieurwesens, der Kriegsführung, der Fotografie und des Films vorgestellt (Mergoupi-Savaidou; Papanelopoulou 2009, 124–131). Das moderne urbane Leben in den Balkanländern unterschied sich also nicht wesentlich von dem in westeuropäischen Städten. Ein wichtiger Unterschied war allerdings, dass die Gruppe jener, die in vollem Umfang daran partizipieren konnten, kleiner als in anderen europäischen Städten war. In Belgrad konnten sich nebst der

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Königsfamilie nur einige wenige Unternehmer einen mondänen Lebensstil leisten (Mišković 2008, 323). Die Führungsschichten, die sich zu Beginn der Eigenstaatlichkeit in den Hauptstädten neu formierten, waren bäuerlicher, kaufmännischer oder handwerklicher Herkunft und dem Land noch stark verbunden. Die zweite Generation wies bereits ein bürgerliches Profil auf und distanzierte sich von der Landbevölkerung. Die Elite und ihre Klientel beherrschten die und profitierten von den neu geschaffenen Institutionen (Sundhaussen 1998, 8–17). Tabelle 10 stellt exemplarisch die Belgrader Bevölkerung nach sozialer Zugehörigkeit und Beschäftigung Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts dar und weist die öffentlichen Angestellten als größte Gruppe knapp vor den Kategorien der Handwerker und Taglöhner aus. Die Balkanländer wiesen im europäischen Vergleich von Anfang an eine erstaunlich hohe Zahl öffentlicher Angestellter auf. In Rumänien etwa gab es Mitte der 1930er-Jahre bei einer Bevölkerung von 18 Millionen etwa 440.000 Staatsbedienstete, im wesentlich bevölkerungsreicheren Deutschland (79 Millionen) hingegen nur 250.000 (Ebenda, 21–22). Tabelle 10: Belgrader Familien nach sozialer Zugehörigkeit und Beschäftigung (in %)

Jahr Öffentliche Angestellte Handwerker Tagelöhner Händler Landarbeiter Geistliche Andere

1895 22,9 24,9 16,9 12,2 1,0 0,3 21,8

1900 27,6 25,4 12,2 12,5 0,5 0,3 21,5

1905 24,3 23,1 17,3 13,0 0,6 0,3 21,4

Quelle: Stojanović 2008, 177.

Die Tabelle weist ebenfalls einen relativ hohen Anteil an Handwerkerfamilien aus; er ist in erster Linie dem mittleren und unteren Einkommensbereich zuzuordnen. Seine Zusammensetzung änderte sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend, da viele alte osmanische Handwerke ausstarben oder durch europäische verdrängt wurden (Mišković 2008, 161–174; Stojanović 2008, 177–178). Die ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstehenden Industriebetriebe waren relativ klein und kaum mechanisiert. In Serbien wurden von 1873 bis 1906 144 Industriebetriebe gegründet, von denen der größte Teil (55 Prozent) der

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Nahrungsmittelindustrie, acht Prozent der Textilindustrie, sieben Prozent der Elektroindustrie und vier Prozent der Bauindustrie zuzuordnen sind. Kleinbetriebe mit bis zu 20 Arbeitern und Arbeiterinnen und bescheidener Kapitalausstattung waren in der Überzahl (Stojanović 2008, 178–179). Ökonomisch bedeutsamer war der Handel. Der Anteil der Händler an der Belgrader Stadtbevölkerung betrug 13 Prozent (1905). Der überwiegende Teil des Kapitals konzentrierte sich in den Händen von 84 Großhändlern. Ausgeführt wurden landwirtschaftliche Produkte, eingeführt Industriewaren. Bis zur Errichtung höherer Zollschranken ab 1906 waren 87 Prozent der serbischen Produkte nach Österreich-Ungarn exportiert worden; danach bildeten Belgien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien die primären Exportmärkte (Ebenda, 179–180). Was den Modernisierungsaspekt anlangt, sind die Angehörigen der freien Berufe von besonderem Interesse, da sie gut ausgebildet waren und über Spezialwissen verfügten. Diese soziale Kohorte war es, die neuen Lebensstile, die Mode und den Geschmack in der Hauptstadt dominierte. Ihr gehörten Advokaten, Ärzte, Ingenieure, Architekten, Richter, Privatbeamte, Journalisten und die meisten der Künstler an. Im Jahr 1898 setzte sich diese Gruppe aus rund 2.500 Personen zusammen (Ebenda, 180–191). Manche bürgerlichen Berufe wurden auch Frauen zugänglich, wenn auch in der Regel nur gegen große Widerstände. In Serbien ließ die 1905 in eine Universität umgewandelte Belgrader Hochschule ab ihrer Gründung im Jahr 1863 Frauen zum Studium zu. Die erste Belgrader Studentin Draga Ljočić schrieb sich 1871 ein und promovierte 1879 in Zürich in Medizin. 1881 fand sie als eine der ersten Ärztinnen Europas überhaupt Arbeit in einem städtischen Spital – als Arztgehilfin. Später eröffnete sie eine private Praxis (Mišković 2008, 253–255; Trgovčević 2003, 185–208). In Bulgarien durften Frauen ab 1900 ein Universitätsstudium absolvieren. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs machte der Frauenanteil unter den Studierenden in einzelnen Disziplinen bis zu 25 Prozent aus. Im Zeitraum von 1901 bis 1914/15 betrug er durchschnittlich etwa zehn und im Durchrechnungszeitraum 1901 bis 1938 22 Prozent. Auf der juristischen Fakultät blieben Frauen eine kleine Minderheit. Da es keine medizinische Fakultät im Land gab, mussten angehende Ärztinnen im Ausland studieren, was kostspielig war. Eltern unterstützten Söhne in ihren Ambitionen eher als Töchter. Unter den 735 Medizinern und Medizinerinnen, die von 1898 bis 1909 im Ausland studiert hatten, befanden sich lediglich 37 Frauen. Als nach dem Ersten Weltkrieg in Sofia eine medizinische Fakultät eröffnet wurde, war etwa ein Viertel der Studierenden weiblich (Höpken 1998, 88). Während sich in den jungen Balkanstaaten ein nationales Bürgertum formierte, blieb im ausgehenden Osmanischen Reich ein bemerkenswerter Dualismus zwi-

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schen der politischen Sphäre, die von der muslimischen Elite, und der wirtschaftlichen, die von nicht muslimischen Eliten beherrscht wurde, bestehen. In Istanbul befand sich unter den 5.800 Geldwechslern des Jahrs 1877 ebenso kein Muslim wie unter den 40 Privatbankiers des Jahres 1912. Von den rund 90 Istanbuler Verlagshäusern waren nur 23 in muslimischem Besitz. Noch 1922 waren lediglich vier Prozent der Kaufleute, drei Prozent der Transportfirmen, 15 Prozent der Großhandels- und 25 Prozent der Einzelhandelsgeschäfte muslimisch. Griechen und Armenier waren es, die das Geschäftsleben dominierten, in Saloniki Juden (Adanır 1998, 59–64). In den 1890er-Jahren kam es in Städten wie Istanbul, Saloniki oder Izmir zur Gründung nobler Klubs, denen in der Regel nur Nichtmuslime angehörten; Muslime hielten sich von solchen Vergnügungen fern. In Saloniki beispielsweise wurde 1873 ein Herrenklub nach britischer Art – der Le Cercle de Salonique – gegründet, wo sich Vertreter der freien Berufe, Bankiers, Kaufleute und Unternehmer zum Zeitvertreib trafen. Gegen 1890 wurden hier außerdem der White Star Cycling Club, der Lawn Tennis and Croquet Club sowie die Union Sportive und in Izmir der Football and Rugby Club gegründet (Ebenda, 59–64). Eine kleine privilegierte soziale Schicht war also in der Lage, einen modernen, europäischen Lebensstil zu praktizierten, sich eines regelmäßigen Einkommens zu erfreuen und Gedanken über die Organisation exklusiver Freizeitvergnügungen anzustellen. Die Masse der Stadtbevölkerung blieb davon ausgeschlossen. Dies zeigen Untersuchungen über die städtischen Lebensbedingungen. 1906/07 ließ die Belgrader Stadtverwaltung eine Analyse der Wohnverhältnisse durchführen. Diese kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerungsmehrheit der Außenbezirke in überbelegten Einzimmerwohnungen in ebenerdigen Gehöften mit dem Abort im Hof lebte. Die Hälfte der Belgrader Wohnhäuser erfüllte die sanitären Mindeststandards nicht. Nur 14 Prozent der Häuser in den Zentrumsbezirken und sieben Prozent in den Außenbezirken waren einstöckig. Wohnungen in mehrstöckigen Häusern und mindestens drei Zimmern sowie zeitgemäßen Badezimmern waren der Elite vorbehalten. Es geht dabei um eine Größenordnung von etwa 200 Wohnungen (Mišković 2008, 298–306). Die Wohnsituation war für einen Großteil der Belgrader Bevölkerung also miserabel. In den übrigen Balkanhauptstädten dürfte die Lage nicht wesentlich anders gewesen sein. Um die Lebensbedingungen für die Masse der Bevölkerung zu verbessern, ergriffen die Stadtverwaltungen Infrastrukturmaßen: Kanalisation, zentrale Wasserversorgung, elektrische Beleuchtung, moderne Verkehrsmittel, asphaltierte Straßen und Müllbeseitigung. Daher wurde in den zwei, drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg an allen Ecken und Enden gegraben, gebaut und modernisiert. In Belgrad etwa begannen die Arbeiten für den Bau eines unterirdischen Kanalisati-

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onssystems – ausgelöst durch eine Typhusepidemie – im September 1905. Bis dahin hatte man septische Gruben verwendet, die große hygienische und gesundheitliche Probleme verursachten. Die Sofioter Stadtverwaltung war ehrgeiziger und begann bereits 1897 mit dem Bau einer Kanalisation. Im Vergleich dazu war in Frankfurt im Jahr 1887 das damals modernste Abwassersystem Europas errichtet worden. In Tirana begann man erst um 1930 mit dem Bau eines solchen (Ebenda, 289; Stojanović 2008, 150–155; Kera 2010, 120; Stanoeva 2010, 91–107). Neben Abwassersystemen war die Versorgung der Haushalte mit sauberem Wasser aus hygienischer Sicht ein Gebot der Stunde. In Belgrad begannen im Jahr 1890 die Arbeiten zur Errichtung eines öffentlichen Wasserversorgungssystems, das täglich 35 bis 50 Liter Wasser für jeden Einwohner und jede Einwohnerin zu liefern imstande war. Am 29. Juni 1892 wurde es mit einem Festakt eröffnet. Hamburg hatte bereits 1842, Berlin 1856 und Frankfurt 1859 ein solches in Betrieb genommen. Zwischen 1870 und 1900 folgten die meisten großen und mittleren Städte Europas (Stojanović 2008, 142–143). Den innerbalkanischen Vergleich brauchte Belgrad nicht zu scheuen. In Sofia begann die öffentliche Versorgung mit Wasser ein Jahr später (Stanoeva 2010, 100), in Athen erst in der Zwischenkriegszeit (Auernheimer 2010, 173–176), und in Tirana konnte das Problem der Wasserversorgung bis zur italienischen Okkupation im Jahr 1939 nicht gelöst werden (Kera 2010, 120). Die Elektrifizierung der Städte und darauf aufbauend jene des Straßenbahnnetzes bildeten zentrale Europäisierungsprojekte. In den meisten europäischen Ländern war die städtische Stromversorgung und die Einführung eines elektrifizierten Straßenbahnnetzes eine Folge der industriellen Moderne. In schwächer entwickelten Ländern, wie jenen auf dem Balkan, war die Elektrifizierung Bedingung für weitere Modernisierungsmaßnahmen und daher von außergewöhnlicher Bedeutung (Stojanović 2008, 117–118). Eine der ersten europäischen Städte, die eine elektrische Straßenbeleuchtung eingeführt hatten, war Barcelona im Jahr 1882. Die Elektrifizierung der Wohnhäuser erfolgte im Wesentlichen erst im Verlauf der 1920er-Jahre. So waren 1914 erst 15 Prozent der Berliner Bevölkerung mit Strom versorgt (Ebenda, 120–124). In puncto Elektrifizierung war die rumänische Hauptstadt Bukarest, wie in anderen Belangen auch, den übrigen Balkanhauptstädten voran. Ende der 1880er-Jahre war die Elektrifizierung der Stadt bereits weit fortgeschritten (Paruševa 2007, 21–24). Die erste Glühbirne Belgrads wurde im Jahr 1880 im Kaffeehaus Hamburg, nahe dem Parlament, generatorbetrieben erleuchtet. Zwei Jahre später wurde diese neue Beleuchtungstechnik im Nationaltheater eingeführt, und im Juli 1891 beschloss die Stadtregierung, die Straßen elektrisch auszuleuchten. Die Pariser Filiale der Elektrogesellschaft Edison/New York wurde beauftragt, den Plan für die Errichtung einer

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Elektrozentrale zu erstellen. Sie hatte darin die größte Erfahrung und war bereits in anderen europäischen Städten, unter anderem in London, Paris und Wien, tätig gewesen. Ab Mitte Jänner 1894 waren die zentralen Belgrader Straßen elektrisch beleuchtet. Dies veränderte das Nachtleben beispielsweise insofern, als viele neue Kaffeehäuser entstanden (Stojanović 2008, 120–124). Wie zu erwarten, gab es auch heftige Kritik von konservativer Seite: Ordentliche Bürger würden ihre Abende zuhause verbringen, und daher mache es keinen Sinn, viel Geld für die Abenteuer nächtlicher Straßenvagabunden auszugeben (Damljanović Conley 2010, 51–52). Sofia wurde im Jahr 1900 elektrifiziert; Strom gab es vorerst allerdings nur in den wichtigsten Straßen und ab 1902 für reiche Hauseigentümer (Paruševa 2007, 21–24; Stanoeva 2010, 100). Das Zentrum Athens war ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und die gesamte Stadt ab 1911/12 mit elektrischem Strom versorgt (Hering 1994, 122–123; Karalis 2012, 1–4). Ähnlich wie im Falle Belgrads war es ein Kaffeehaus am SyntagmaPlatz, das bereits wesentlich früher, nämlich ab 1888, mit elektrischer Energie arbeitete (Christofides; Saliba 2012, 103). In der montenegrinischen Hauptstadt Cetinje wurde 1910 ein Elektrizitätswerk errichtet und anschließend mit der Straßenausleuchtung begonnen (Agičić 1994, 175–179). Im Falle Tiranas erteilte die Stadtverwaltung erst 1927 den Auftrag, eine Elektrozentrale zu errichten, um die Gasbeleuchtung sukzessive ersetzen zu können. Zehn Jahre später waren allerdings nur die Hauptstraßen sowie die wichtigsten Verwaltungsgebäude mit Strom versorgt (Kera 2010, 120). Die Tramway war neben der Eisenbahn wohl das signifikanteste Produkt der industriellen Moderne. Sie signalisierte Fortschritt und ermöglichte eine Verschränkung des Stadtkerns mit den Vorstädten und angrenzenden Siedlungen. Berlin errichtete 1879 eine Straßenbahn, Rom 1890, Mailand 1895, St. Petersburg 1907 und Bukarest 1909. In Belgrad setzte sich am 1. Oktober 1892 die erste pferdebetriebene Tram in Bewegung. Es war ein sehr feierlicher Moment; Metropolit Mihailo nahm die Einweihung vor (Stojanović 2008, 129–131). 1894, also deutlich vor Bukarest und den anderen Balkanstädten, wurde die erste Linie elektrifiziert (Mišković 2008, 289). Sarajevo folgte Belgrad mit der Elektrifizierung seines Straßenbahnsystems auf dem Fuß. 1882 war der Bahnhof mit Schmalspurverbindungen nach Brod im Norden und Metković im Süden des Landes errichtet worden. Da dieser drei Kilometer außerhalb des Stadtzentrums gelegen war, wurde ein Pferdekutschenservice für den Transport von Mensch und Gepäck in das Stadtinnere eingerichtet. 1894 wurden die ersten Geleise für eine Pferdetram gelegt, um den Transport zu verbessern. Im folgenden Jahr wurden die Pferde durch elektrische Kraft ersetzt und das Schienennetz entlang des Miljacka-Flusses erweitert (Donia 2002, 47–48). In Sofia waren 1901 sechs Straßenbahnlinien betriebsbereit. Allerdings wurden vorerst nur zwei von ihnen tatsächlich in Betrieb genommen, weil man der Bevöl-

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kerung Zeit geben wollte, sich an diese neue Art der Mobilität zu gewöhnen. Der Preis für eine Fahrkarte 1. Klasse betrug 15, für jene der 2. Klasse zehn Stotinki. Der Preisunterschied entsprach einer Tasse Kaffee und der Gegenwert von zehn Stotinki einem Bier (Paruševa 2007, 21–24; Stanoeva 2010, 100). Athen hatte es weniger eilig. Zwar wurde bereits 1882 eine Pferdestraßenbahn errichtet; es sollte allerdings noch beinahe drei Jahrzehnte dauern, bis 1908 mit ihrer Elektrifizierung begonnen wurde (Paruševa 2007, 21–24; Mengoupi Savaidou; Papanelopoulou 2009, 123; Auernheimer 2010, 173–176). Diese Maßnahme muss in Zusammenhang mit der 1869 eingerichteten Dampfeisenbahnlinie zwischen Athen und Piräus gesehen werden, die 1904 elektrifiziert wurde (Hering 1994, 122–123). Für die Stadt am Bosporus gab es vordringlichere Probleme als eine elektrifizierte Straßenbahn. Dazu gehörten nebst dampfbetriebenen Fähren Brücken über das Goldene Horn, von denen die erste im Jahr 1836 errichtet wurde. 1872 wurde die Holzkonstruktion durch eine eiserne Brücke, die von einer britischen Firma errichtet worden war, ersetzt. Die wachsende Bedeutung von Galata und Pera als Handelszentrum und der Bevölkerungsanstieg machten die Errichtung einer Brücke von Karaköy nach Eminönü notwendig: Die erste (Galata-)Brücke wurde 1845 errichtet und mehrmals durch neue ersetzt (Çelik 1986, 87–90). Trotz dieser Prioritäten begann der Aufbau eines Straßenbahnnetzes relativ früh, nämlich 1869, als der Istanbul Tramway Company die Konzession für den Bau und Betrieb von vier Pferdetramlinien erteilt wurde. Die berühmte Tünel-Bahn wurde nach einer dreijährigen Bauzeit 1875 in Betrieb genommen (Ebenda, 91–97). Sie verbindet noch heute die Galata-Brücke mit der Straßenbahnlinie zum Taksim-Platz. Um die Jahrhundertwende befuhren erste Autos die Steinpflasterstraßen der Balkanhauptstädte. In Athen soll das erste im Jahr 1896 die Straßen des Zentrums befahren haben. Es dauerte rund zehn Jahre, bis im Jahr 1905 die zentralen Straßen der Stadt asphaltiert waren (Auernheimer 2010, 173–176). In Belgrad waren vor dem Ersten Weltkrieg etwa zehn Autos zugelassen. Am 3. April 1903 wurde das erste Auto, ein Neseldorf, nach Belgrad eingeführt. Als Höchstgeschwindigkeit wurden 30 Stundenkilometer festgelegt. Der Ingenieur Andra Ristić begann 1910 als Vertreter der deutschen Automobilfabrik N. A. G. Autos für den privaten Gebrauch einzuführen. Er etablierte auch den ersten Taxidienst, die erste Garage, die erste Automobilwerkstätte und die erste Fahrschule Belgrads (Stojanović 2008, 332–333). Der bisherige Überblick hat gezeigt, dass zumindest die Elite der Balkanhauptstädte in der einen oder anderen Form an Europäisierungsprozessen, wenngleich auch nicht an der industriellen Moderne Anteil nehmen konnte, denn diese sollte sich erst rund ein halbes Jahrhundert später einstellen. In den Hauptstädten wurde geplant, gebaut und nach europäischen Vorbildern modernisiert. Bis zum Ausbruch

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des Ersten Weltkriegs waren sie zu kleinen Metropolen herangewachsen und konnten ihrer Bevölkerung attraktive Zerstreuungen und Annehmlichkeiten bieten. Diese schlossen populäre Vergnügungen der visuellen Moderne mit ein, die sich kurz vor oder parallel mit dem Einzug des Kinos ephemer einzunisten begannen. Die folgenden Beispiele sollen dies verdeutlichen. Wenn wir in Belgrad beginnen, war um das Jahr 1900 das Serbische Nationaltheater (gegründet 1869), dessen Repertoire bis zum Ersten Weltkrieg beinahe vollständig aus ausländischen Stücken bestand, bereits eine altehrwürdige Institution. Es litt speziell in seiner Anfangsphase unter mangelndem Publikumsinteresse und musste 1873 deshalb sogar vorübergehend geschlossen werden (Stojanović 2008, 197–203). Wesentlich populärer waren Zirkusse, die anscheinend ab Mitte der 1890er-Jahre in Belgrad Station machten. Der Eintritt war relativ teuer – eine Karte der ersten Kategorie kostete fünf Dinar, eine der dritten allerdings nur 80 Para, also etwa so viel wie etwas später eine Kinoeintrittskarte (Ebenda, 305–307). Um 1900 entstanden weitere visuelle Attraktionen in Form von Varietés und Orpheen. Bereits 1894 wurde über den bekannten Komiker Djordje Babić berichtet, dass er ein Orpheum „im serbischen Geist“ gegründet habe (Ebenda, 218–220). Die Bierhalle Kolarac im Stadtzentrum wurde ab dem Jahr 1899 jeden Abend zum Orpheum Brana Cvetković. Er war Bühnenbildner im Nationaltheater, aber im Alltagsleben der Belgrader Bevölkerung war er mit seinem humoristische und satirische Unterhaltung bietenden Orpheum präsenter. Die Vorstellungen waren populär und die Halle stets voll besetzt (Ebenda, 218–219). Während das Orpheum nicht als direkte Vorform des Kinos eingestuft werden kann, gilt dies für Attraktionen, die etwa in Sarajevo und Belgrad als Kaiserliches Weltpanorama (Slijepčević 1982, 277) oder in Istanbul als Grand Diorama, Cosmorama und Diaphanorama (Özen 2008, 48) ab der Jahrhundertwende bekannt wurden, sehr wohl. Sie unterschieden sich vom Aktualitätenkino nur mehr dadurch, dass die Bilder statisch blieben. Sie sind der Großgruppe der Panoramen zuzurechnen, von der es unterschiedliche Varianten5 gab. Sie hatten sich in Europa und den USA im Verlauf des 19. Jahrhunderts massenhaften Publikumszuspruchs erfreut (Miller 1996, 36–40), tauchten jedoch in den Balkanstädten erst um 1900 auf. Das Kaiserliche Weltpanorama etwa konnte aus einer kreisrunden Wand bestehen, in die 20 Öffnungen eingelassen waren. Vor jeder dieser Öffnungen war ein Sitz angebracht. Durch die Öffnung blickte man auf eine dreidimensionale Fotografie. Diese konnte man eine Minute lang betrachten, dann ertönte ein Klang, und es erschien ein neues Bild. Mit Hilfe des in Belgrad auch Fotoplastikon genannten Weltpanoramas 5

Zu den verschiedenen Varianten und ihrer Geschichte siehe Miller (1996).

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konnten die Menschen gedanklich um die Welt reisen, die größten Städte besuchen, Flüsse, Meere, Gebirge und andere Naturschönheiten bewundern – und dies zu einem geringen Preis. Der Eintritt betrug lediglich 50 Para (Slijepčević 1982, 298–300; Kosanović 1985, 41), was etwas weniger war als für den Besuch einer Zirkusvorstellung im billigsten Rang. Anhand des Fotoplastikons-Programms lässt sich erahnen, welche visuellen Eindrücke die Menschen von der weiten Welt erhielten. Dank dieser Apparatur konnten sich die Belgrader und Belgraderinnen eine Vorstellung von unterschiedlichen geografischen Klimas und diversen Vegetationen, von Österreich-Ungarn, Spanien, Großbritannien oder Venedig machen. Das früher auf Europa konzentrierte Programm wurde mit der Zeit auf andere Kontinente erweitert. In der Osterzeit wurden Bilder der wichtigsten biblischen Orte wie Bethlehem und Nazareth gezeigt. Darüber hinaus offerierten die Programme Bilder aus Kairo und Alexandrien, vom Nil, von russischen Großstädten, Algier, St. Louis, China und Japan. Mit den letzten beiden Ländern warb eines der Fotoplastikons im September 1903 folgendermaßen: China und Japan im Fotoplastikon! Das größte Land, das etwa 500 Millionen Einwohner, ein Drittel aller Einwohner der Länder des Planeten aufweist, kann man bis Samstag im Fotoplastikon sehen. Neben China wird auch Japan ausgestellt, das etwa 47 Millionen Einwohner zählt und welches China im Krieg vor einigen Jahren besiegte ...

Weitere Ereignisse, die speziell angepriesen wurden, waren die Krönung König Edwards in London und der Russisch-Japanische Krieg. Das Publikum wurde auch eingeladen, sich via Fotoplastikon eine Ausstellung in Buffalo anzusehen, da „nur die Amerikaner in der Lage sind, diese berühmte Ausstellung vorzubereiten. Neben der Ausstellung können Sie auch noch den Niagara-Fluss mit … den Wasserfällen sehen“ ( Jänner 1904). Ähnlich wie das Aktualitätenkino zeigte es Ereignisse in weit entfernten Gebieten, von denen man sonst nur in den Zeitungen lesen konnte (Stojanović 2008, 298–300). Damit jedoch nicht genug. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts berichteten bulgarische Zeitungen über eine Vielzahl neuer, auch visueller Attraktionen: Bälle und Maskenbälle, Straßenkarnevals, Gartenfeste, Zirkusveranstaltungen, Konzerte, Picknicks, Tanzveranstaltungen, Vorträge, Akrobatik, Schausteller, Auftritte von Komikern, Puppentheater, Grammophon- und Kinovorführungen, Unterhaltungsausflüge mit der Eisenbahn und dem Fahrrad (Wolf 2007, 52). In Athen wurde zu Beginn des Jahrhunderts in der Nähe des Zappion-Parks das erste große Varieté (Oase) der Stadt eröffnet, und im Café Chantant wurden VarietéNummern und Musik ‚westlichen‘ Stils dargeboten (Hering 1994, 131–132). Bevor

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die ersten Freiluftkinos in der Stadt eröffnet wurden, gab es bereits andere Freiluftvergnügungen, wie etwa Karagiozis-Schattentheateraufführungen (Christofides; Saliba 2012, 102–104). Ein visuelles Vergnügen ganz anderer Art stellten Diavorträge dar. Die erste Projektion von Diapositiven in Sarajevo wurde 1896 vom Präsidenten der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Vorgeschichte in den Räumlichkeiten des Landesmuseums durchgeführt. Bis 1914 gab es einigermaßen regelmäßig solche Vorträge in der Stadt (Slijepčević 1982, 277–278). Diese der Urania-Bewegung zuordenbare Vereinigung zur Popularisierung der Wissenschaften und Künste bereiste auch verschiedene Städte außerhalb der Habsburgermonarchie, unter anderem Belgrad im Jahr 1901, wo sie Dias und Filme vorführte (Ebenda, 21). Diese empirischen Beispiele belegen, dass trotz der allgemeinen ökonomischen Misere die visuellen Angebote in den Balkanhauptstädten um 1900 rasch zunahmen und zur Gestaltung des modernen Lebens einer leicht überschaubaren Bevölkerungsgruppe erheblich beitrugen. Diese Angebote waren nicht Ausdruck und Folge von dynamischer heimischer industrieller Entwicklung und wirtschaftlicher Prosperität, sondern wurden zumeist von Ausländern offeriert, die mit ihren Zirkussen, Panoramen, Diavorträgen, Varietés und schließlich Filmvorführgeräten durch die Balkanländer tourten. Diese Vergnügungen waren in der Regel nicht aus regionalen Vorläuferpraktiken heraus entstanden, sondern stellten neue visuelle Erfahrungen dar. Obwohl sie nicht in der Region wurzelten, entstand Nachfrage nach populären visuellen Attraktionen dieser Art. ‚Europa‘ und seine modernen visuellen Repräsentations- und Präsentationsweisen begannen sich über solche, aber auch über andere Kanäle an der südöstlichen Peripherie Europas schrittweise einzupflanzen. Die Masse der Bevölkerung war aufgrund der unausgereiften Infrastruktur von solchen Einpflanzungsprozessen und vom modernen Leben noch ausgeschlossen und vermutlich daran auch noch nicht interessiert; sie bewegte sich noch im Rahmen der überkommenen visuellen Konventionen. Es waren städtische und nach ‚europäischen‘ Vorstellungen ausgerichtete Inseln im Meer landwirtschaftlich orientierter Balkanstaaten, auf denen die neuen visuellen Angebote konsumiert wurden. Die Beobachtung, dass diese visuellen Attraktionen von außen kamen oder von außen kommen mussten, ist ein starker Hinweis darauf, dass sie weniger bereits bestehende visuelle Traditionen weiterentwickelten, sondern neue visuelle Erfahrungen vor oder parallel zu den ersten Kinovorführungen repräsentierten. Die städtische Bevölkerung oder zumindest Teile von ihr waren also bereits mit einigen modernen Visualisierungstechniken vertraut, als die ersten Filmvorführungen angekündigt wurden. Bevor diese Erörterungsschiene im übernächsten Kapitel weitergeführt wird, gilt es im folgenden Kapitel auszuloten, worin die visuellen Überlieferungen

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in den Balkanländern bestanden und ob zwischen diesen und der von außen kommenden visuellen Moderne Verknüpfungen bestanden. Darüber hinaus ist ein erster Blick auf die vorherrschenden Transfermodi angebracht.

Transfer visueller Kulturen um 1900

Wenn es um die Frage geht, wie, wann und auf welche Weise die herkömmlichen inneren Bildspeicher sukzessive von Bildern der visuellen Moderne ergänzt und erweitert wurden, können wir uns nicht auf die Analyse des Kinos beschränken, wenngleich dieses, so meine Hypothese, eine der Hauptrollen in diesem Prozess übernehmen sollte. Es popularisierte, vereinte und bündelte ein breites Spektrum bereits vorhandener und in den Darstellenden und Bildenden Künsten angelegten visuellen Techniken. Im vorigen Kapitel ist deutlich geworden, dass die populäre visuelle Moderne an ihrer Balkanperipherie allerdings durchwegs auf agrarische Gesellschaften stieß, in denen dieses Know-how erst schwach entwickelt waren; sie konnte sich bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs lediglich in urbanen Milieus festsetzen. Ein weiteres Ergebnis war, dass sich die ersten Industrialisierungsschritte auf die Lebensmittelindustrie konzentrieren mussten, da für den Aufbau einer solchen relativ wenig technisches Know-how und geringes Investitionskapital erforderlich war. Visuelle Apparaturen wie etwa optische Geräte, Foto- und Filmkameras konnten nicht in Eigenproduktion hergestellt, sondern mussten importiert werden. Während die visuellen Apparaturen importiert werden mussten, wurde die visuelle Moderne über Transfermodi angeeignet. Dies war ein von den nationalen Eliten gewünschter und geförderter Prozess. Für die Weiterentwicklung unserer Fragestellungen ist es daher unumgänglich zu analysieren, auf welche vorherrschenden, vorsäkularen Traditionen die visuelle Moderne traf. Diese Analyse kann nur modellhaft erfolgen, wobei Feingranulierungen notgedrungen verloren gehen. Dies bedeutet etwa, dass die visuellen Erfahrungen der sehr dünnen sozialen Schicht, die über etwa nach Zentraleuropa hineinreichende Familiennetzwerke verfügte und daher mit der visuellen Moderne nicht nur von ihren Anfängen an vertraut war, sondern diese vermutlich auch vermittelte, außer Acht gelassen werden. Diesem Kapitel kommt darüber hinaus die Aufgabe zu, die Frage zu beantworten, wie und auf welche Weise staatliche Säkularisierungsbestrebungen ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts die Übernahme der visuellen Moderne in Form der Fotografie, der Bildenden und Darstellenden Künste sowie der Stadtraumgestaltung ermöglichten, beschleunigten und vielleicht notwendig machten. Schließlich wird das Augenmerk auf die Transfer- und insbesondere die Amalgamierungsprozesse von visueller Moderne und regionalen visuellen Praxen gelegt und die Frage bear-

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beitet werden, wie sich die muslimische, aber auch die orthodoxe und jüdische Bevölkerung zu all dem stellte. Vorsäkulare visuelle Kulturen

Säkularisierungsprozesse gewannen in den Balkanländern erst ab einem Zeitpunkt an entscheidender Bedeutung, zu dem das jeweilige Land für seine eigene, säkulare Gesetzgebung und dementsprechende institutionelle Reformen zuständig wurde. Der Grund dafür war, dass dies im Rahmen des Osmanischen Reichs nicht oder nur sehr bedingt möglich war, da dieses das Projekt einer Entflechtung von religiösen und weltlichen Institutionen Zeit seines Bestehens aufgrund großer Widerstände selbst nur halbherzig verfolgen konnte und für die Verwaltung der nicht muslimischen Bevölkerungsteile – in unserem Fall in erster Linie die christlichorthodoxe und jüdische Bevölkerung – lange Zeit die jeweils eigenen religiösen Institutionen maßgeblich blieben. Die wichtigsten Säkularisierungsschritte bezogen sich darauf, den Staat und seine Erziehungsinstitutionen als weltliche Einrichtungen zu begreifen und den Einfluss des Klerus, des Mönchstums, des Rabbinats und des islamischen Rechts dementsprechend zu begrenzen. Da die einzelnen Balkanstaaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten dazu in der Lage waren, setzten erste Säkularisierungsschritte zwischen den 1830er-Jahren (Griechenland, Serbien) und den 1920er-Jahren (Albanien, Türkei) ein. Wenn wir die zwei größten Religionsgemeinschaften des Balkans betrachten, so setzte die Säkularisierung im Bereich der Orthodoxie früher ein als in vorherrschend muslimischen Ländern wie Kosovo und Albanien. In den vorwiegend orthodoxen Ländern war dies, weit gefasst, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in Letzteren ab den 1920er-Jahren der Fall, wobei die Türkei dabei am entschlossensten vorging. Was die Bedeutung des religiösen Blicks anlangt, so gibt es kein klares Zuvor und Danach. Wir müssen annehmen, dass vorsäkulare Blicktraditionen von säkularen Sehattraktionen ergänzt wurden, ohne dass Erstere dadurch automatisch an Bedeutung verloren oder gar versickerten. Darüber hinaus wäre noch zu beachten, dass wir es mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu tun haben. Die drei religiösen Großgruppen zerfielen wie überall jeweils in zwei unterschiedlich große Untergruppen: in eine fortschrittliche, die wenig traditionsgebunden war, und eine konservative. Anhänger und Anhängerinnen der ersten Gruppe waren wohl eher in den Städten vorzufinden, jene der letzteren in ländlichen Kontexten. Aber auch Zuordnungen dieser Art können mit Recht bezweifelt werden. Die jüdische Bevöl-

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kerung Sarajevos etwa setzte sich aus tendenziell konservativen, bereits lang ansässigen Sephardim und erst unter österreich-ungarischer Herrschaft zugewanderten und tendenziell etwas liberaleren Aschkenasim zusammen. Was ist unter dem ‚religiösen Blick‘ zu verstehen? Der Terminus bedeutet nichts anderes als ein von einer Religion gelenktes und kontrolliertes Blickregime, das sowohl das Hervorbringen als auch das Anblicken von Bildern reguliert. Wir können davon ausgehen, dass diese Regulierung im vorsäkularen Zeitalter weitgehend funktionierte und durch die Konkurrenz des säkularen Bildes früher oder später ergänzt, vielleicht auch aufgeweicht wurde. Die religiösen Blickregime von orthodoxem Christentum, Islam und Judentum wiesen sowohl Unterschiedlichkeiten als auch Gemeinsamkeiten auf. Für alle drei Religionen besteht ein gemeinsamer Ausgangspunkt in Form des zweiten alttestamentarischen Gebots, das in einer von mehreren Varianten folgendermaßen lautet: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. (Exodus 20,2–5, im 2. Buch Mose, zitiert nach Rombold 2004, 27)

Die visuelle Darstellung von Gott, Menschen und Tieren, von Lebewesen überhaupt, wäre demnach den Angehörigen der drei abrahamitischen Religionen, die im Alten Testament wurzeln, also untersagt. Die Religionsgemeinschaften entfalteten sich jedoch in unterschiedlichen historischen Kontexten und begannen dieses Gebot unterschiedlich auszulegen. Das Judentum gewann seine Konturen vor und während der römischen Herrschaft in einer Umgebung heidnischer Götter- und Bilderverehrung und war überall in der Diaspora einer nicht jüdischen Umgebung ausgesetzt. Das Frühchristentum war mit der aufkommenden Verehrung des Kaiserbildes in der römischen Provinz Judäa konfrontiert, welche es strikt ablehnte und deshalb massiver Verfolgung ausgesetzt war. Einmal zur Staatsreligion geworden, waren die christlichen Missionare mit heidnischen Mensch- und Tierdarstellungen konfrontiert. Der sich in Formierung begriffene Islam hatte mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen: Bevor die Kaaba in Mekka als heiliger Ort in Betrieb genommen werden konnte, musste Mohammed sie erst von Kultsteinen säubern lassen. Diese Erfahrungen verstärkten die Ablehnung des Bildes (Kaser 2013, 63–64). Von den drei Religionen wandte sich das orthodoxe Christentum am frühesten und am radikalsten vom Bilderverbot ab. Die christliche Kirche hat sich sehr lange und eingehend mit dem Problem der visuellen Repräsentation beschäftigt. Die

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meisten Theologen duldeten ab der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts die Verehrung des Kaiserbildes. Für das Ende dieses Jahrhunderts gibt es Hinweise darauf, dass sich die Kirche vorbereitete, das Bild Gottes offiziell anzuerkennen und theologisch zu rechtfertigen, denn schließlich sei das Christus- und nicht das Kaiserbild die Krone der Darstellungen. Das irdische Dasein des Gottessohns mache seine Darstellung möglich; als Mensch sei er abbildbar geworden. Das heilige Bild solle nicht verehrt werden, sondern erhalte seinen Wert als Anschauungsmaterial für die ungebildete Bevölkerung, da es die Menschen stärker berühre als das gesprochene Wort. Diese Auffassung steht in einer Linie mit der späteren, frühmittelalterlichen Auffassung vom Bild als Bibel für die Armen in der Westkirche (Ebenda, 109–110). Die Geschichte der Ikone setzte im fünften Jahrhundert ein. Im Verlauf des sechsten und frühen siebten Jahrhunderts wurde sie zu einer eigenständigen Gattung des religiösen Bildes und entsprach dem Bedürfnis nach Schutz durch einen Heiligen. Zuerst als Mittel der Unterweisung gedacht – man sollte dem Heiligen nacheifern –, gewann das Bedürfnis nach sinnlicher Wahrnehmung der Gegenwart Christi, der Gottesmutter und der Heiligen immer mehr an Bedeutung. Aufgrund der bereits zugelassenen Verehrung des Kaiserbildes lautete die große Frage nicht mehr, ob man Lebewesen figürlich darstellen, sondern ob man Gott, Gottes Sohn, die Mutter Gottes und die Heiligen visualisieren durfte. In dieser Frage entbrannte von der ersten Hälfte des achten bis zur Mitte des neunten Jahrhunderts eine theologische Auseinandersetzung zwischen sogenannten ‚Bilderfeinden‘ und ‚Bilderfreunden‘, die als ‚Bilderstreit‘ in die Geschichtsschreibung einging. Dieser wurde im Jahr 843 von einer Synode in Konstantinopel beendet, die entschied, das Bild nicht nur zuzulassen, sondern es sogar in seiner Bedeutung den heiligen Evangelien gleichzustellen (Ebenda, 110–116). Eine der Prämissen war allerdings, dass die Ikonenherstellung kanonisiert und die künstlerische Freiheit somit minimiert wurde. In ihrer standardisierten Form wurde sie zum Instrument der kirchlichen Bildlehre. Andere Kunstgattungen, so auch die Profankunst, wurden von ihr abhängig. Die Bildkunst konnte sich nun im Schutze der Kirche entfalten: Architektur, Wandbild, Mosaiken, heilige Gegenstände und die Ikone. Im Unterschied zur Vollplastik verbürgte die Ikone durch ihre geistige, nicht jedoch mimetische Ähnlichkeit mit dem Urbild Wirkkraft (Ebenda, 118). Als sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Fotografie als Manifestation der visuellen Moderne in den ostkirchlichen Bereich vorarbeitete, war also theologisch bereits alles entschieden. Es gab keine religiösen Gründe sie abzulehnen, allerdings zwei ideologische: Die Kirche wollte sich erstens ihr monopolartiges Bildregime nicht streitig machen lassen und zweitens schon gar nicht von einem Produkt, das dem Einflussbereich der christlichen Konkurrenzkirchen entstammte.

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Was das Bilderverbot im Judentum anlangt, so könnte man annehmen, dass sich dieses eng an das zweite alttestamentarische Gebot gebunden fühlte. Diese Einschätzung dürfte im Großen und Ganzen zutreffen, wenngleich es in seiner langen Geschichte mitunter Beispiele dafür gibt, die gegen die strikte Einhaltung des Bilderverbots zu jeder Zeit und an jedem Ort sprechen. Die Zeit der römischen Herrschaft über Judäa überstand die jüdische Bevölkerung, ohne zur Verehrung des Kaiserbildes gezwungen zu werden. Im Unterschied zum Christentum, das im Schoße seiner Herrschaft entstand, respektierte Rom die bereits vor der Eroberung praktizierte anikonische Haltung des Judentums. Dieses überlebte allerdings die römische Herrschaft über Judäa als solches nicht. Nach den zwei großen Aufständen der Jahre 66 bis 70 und 132 bis 135 war nicht nur der zweite Tempel zerstört, sondern die jüdische Bevölkerung in die Diaspora gezwungen worden (Kaser 2013, 67–70). Nach der Vertreibung und Zerstörung des zweiten Tempels fehlte es dem Judentum an einer zentralen Kultstätte und Kultorganisation. Die Handhabung der Glaubenspraktiken ging somit auf die geografisch weit verstreuten Diasporagemeinden bzw. auf das Rabbinat über. Das umfassende Bilderverbot währte offenbar nur so lange, wie Götzenverehrung eine ernsthafte Bedrohung des monotheistischen Judentums darstellte. Ein Traktat in der Mischna aus der Zeit um 200 n. Chr. verdeutlicht, dass das Bilderverbot gegen die Götzenverehrung gerichtet war. Demnach dürfe alles außer Gott dargestellt werden – allerdings nicht in Form von Skulpturen und Hochreliefs. Ab dem dritten Jahrhundert waren einzelne Rabbis der Meinung, die Götzenverehrung sei gebannt, und figurative Kunst könne etwa für Lehrzwecke zugelassen werden. Die Diasporagemeinden vermieden jedoch weiterhin die Darstellung von Mensch und Tier. Die wichtigste Ausnahme stellt die Dura-EuroposSynagoge aus dem dritten Jahrhundert n. Chr. im heutigen Syrien dar. Ihre Wände sind vom Boden bis zur Decke mit Fresken biblischer Inhalte bedeckt. Dieses Beispiel zeigt, dass es Juden unter bestimmten Bedingungen durchaus möglich war, figürliche Repräsentationen anzufertigen; die Frage ist daher, ob und wie sie diese Möglichkeiten nutzten oder nutzen wollten (Ebenda, 70). Es ist über die Zeiten hinweg jedenfalls keine homogene Haltung der Rabbiner dem Bilderverbot gegenüber festzustellen. Man wird zudem feststellen können, dass sie sich nicht immer sonderlich für die Bilderfrage interessierten. In der rabbinischen Diskussion wurden bildliche Objekte unterschieden in  zwei- und dreidimensionale, Bilder in religiösen und säkularen Zusammenhängen sowie Bilder von Tieren und solche von Menschen oder himmlischen Wesen. Ergebnis war, dass Skulpturen von menschlichen Figuren in Synagogen tabu blieben und es keine mittelalterliche Quelle gibt, die menschliche Porträts ausdrücklich verboten hätte. Eine Erklärung für das Auf und Ab in der Haltung zum Visuellen ist wohl darin zu fin-

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den, dass sich die Beziehungen der jüdischen Diasporagemeinden gegenüber den jeweiligen Mehrheitskulturen über die Zeit hinweg veränderten; die jeweilige Haltung wurde also von der Akkulturation jüdischer Gemeinden in ihre jeweilige Umwelt mitgeformt (Ebenda, 70–71). Die wichtigsten Impulse für die Akzeptanz der figürlichen Repräsentation und die Weiterentwicklung der jüdischen Buchmalerei gingen vom Reformjudentum in Deutschland ab dem Ende des 18. Jahrhunderts aus. Die Haskalah, die Aufklärung (ca. 1770–1880), hatte ihre Ursprünge im jüdischen Berliner Bürgertum und drängte auf eine Säkularisierung und Öffnung in Richtung der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Im Gegensatz zu diesen Entwicklungen beharrten konservative Strömungen – sie bildeten die große Mehrheit – jedoch weiterhin auf dem Anikonismus. Die 1901 bis 1906 erstmals herausgebrachte Jüdische Enzyklopädie hielt fest, dass es so etwas wie eine jüdische Kunst nicht gäbe (Ebenda, 74–76). Wir sehen also, dass das aufgeklärte Judentum der visuellen Moderne aufgeschlossen gegenüberstand. In seinen Reihen konnte sich potenziell eine erste Generation an Fotografen formieren. Die streng gläubige jüdische Bevölkerung, der ich die überwiegende Mehrzahl der Sephardim und Aschkenasim in den Balkanländern zuordne, würde jedoch die fotografische Technik ablehnen. Es ist also davon auszugehen, dass das religiös gesteuerte jüdische Blickregime um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend intakt war. Wie stand der Islam zur visuellen Repräsentation? Im Unterschied zur Bilderfreundlichkeit der orthodoxen Kirche, welche die Ikone dem verschriftlichten Wort gleichsetzte, wird man wohl von einer grundsätzlichen Bilderfeindlichkeit, nicht jedoch von einem generellen Bilderverbot sprechen können, da der Bildgebrauch im privaten Bereich nicht ausgeschlossen wurde (Naef; Seiler 2007, 25–32). Ähnlich wie im Judentum bezieht sich die islamische Bilderskepsis neben Darstellungen Gottes und Mohammeds auf solche von Menschen und Tieren. Die Bilderfrage scheint erst nach der Eroberung des byzantinisch-christlichen Nahen Ostens und des sassanidischen Persiens im arabischen Kalifat virulent geworden zu sein. Dadurch wurde der bildlose Islam nämlich mit dem Bild konfrontiert. Diese Begegnung führte anfänglich zu keinem eindeutigen Ergebnis, endete jedoch schließlich damit, dass die Nichtdarstellbarkeit Gottes in den Hadithen (Äußerungen des Propheten) ab dem 9. Jahrhundert auch auf Gottes beseelte Schöpfung ausgeweitet wurde. Damit erhielt das Zweite Gebot größere Bedeutung (Kaser 2013, 84). In der islamischen Kunst dominierten drei Genres: abstrakte Blumenmuster, die geometrische Kunst und die Kalligrafie. Dies war im Osmanischen Reich bis in seine Spätphase der Fall, wenngleich es einige Sonderentwicklungen zu beobachten

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gibt. Dazu gehört etwa die Neigung einzelner Sultane, Porträts von sich anfertigen zu lassen. Der erste war wohl Mehmed II., der Eroberer Konstantinopels im Jahr 1453. Er schätzte die Renaissancemalerei und ließ sich im Jahr 1480 vom venezianischen Maler Gentile Bellini porträtieren. Ob Mehmeds Porträt ein erster Schritt war, die Lockerung von islamischen Bildtraditionen von oben einzuleiten, muss dahingestellt bleiben. Sein Sohn und Nachfolger Bayezid II. warf ihm jedenfalls vor, religionsfeindliche künstlerische Strömungen unterstützt zu haben (Ebenda, 89–90). Jahrhunderte später war es der Reformsultan Mahmud II., der als erster osmanischer Herrscher sein Porträt halböffentlich anbringen ließ: 1835 in der Militärakademie und 1836 in einigen Kasernen Istanbuls. Die Jahre 1835/36 markieren für die islamische Welt den vagen Beginn einer westlich orientierten visuellen Kultur. Das Porträt präsentierte Mahmud in einem westlich gestylten Armeerock anstatt im traditionellen Kaftan und mit einem Fes anstatt eines Turbans als Kopfbedeckung. Als Reaktion protestierten einige Stadtviertel gegen diese Verletzung islamischer Gebote. Aber mit der Zeit gewöhnten sich die Menschen an die Sultansbilder, und in der Regierungszeit seines Sohnes Abdülmecid I. wurden sie häufiger (Ebenda, 90). Diese Entwicklungen sind wichtig, dürfen allerdings auch nicht überschätzt werden. Die muslimische Bevölkerung, speziell auf dem Land, blieb bilderfeindlich eingestellt. Ein wichtiger Grund dafür war, dass dem Zusammenwirken von Schrift und Religion hohe sakrale Bedeutung zukam. Aufgrund des weitgehenden Verbots bildlicher Darstellungen erhielt das Bild in der Schrift – die Bildschrift also – ebenfalls außergewöhnliche Bedeutung. Die arabische Schrift diente der Verbildlichung des göttlichen Wortes, und die Schönheit der Schrift oder des Buches überragte die Bedeutung eines nachahmenden Bildes. Die vollendete Schrift war sichtbares Zeichen der Kommunikation Gottes mit den Menschen und ist der Ikone in ihrer Bedeutung für die orthodoxe Kirche gleichzustellen (Ebenda, 95–96; Morgan 2005, 65–66). Wenn wir die grundsätzliche Haltung der drei abrahamitischen Religionen zum Bild nebeneinanderstellen, dann sprach auf dem ersten Blick um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht viel für einen erfolgreichen Transfer der visuellen Moderne an ihre südosteuropäische Peripherie: ein orthodoxes Christentum, das nicht theologisch, sondern ideologisch bildlichen Innovationen feindlich gesinnt war, sowie ein Islam und ein Judentum, die große theologische Bedenken gegen figurale Repräsentationen vorzubringen hatten. Demgegenüber nahm das lateinische Christentum hinsichtlich des Bildes eine wiederum andere Haltung ein. Dem Bild wurde hier jegliche sakrale Rolle abgesprochen; diese blieb der Schrift vorbehalten; als Bibel der analphabetischen Armen diente es als Andachtangebot und als Illustration der Schrift. Im Vergleich zur Ostkirche wurde das Bild also religiös stark abgewertet,

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was es jedoch von theologischen Fesseln entband. Die protestantischen Kirchen lehnen Gottes-, Heiligen- und Mariendarstellungen ab und knüpfen insofern an die frühchristliche Bildfeindlichkeit an. Diese religiöse Abwertung des Bildes im Katholizismus öffnete künstlerischen Ambitionen weite Möglichkeiten, während der Kreativität im ostkirchlichen Bereich enge Grenzen gesetzt waren. Die Ikonenmalerei war von der Auswahl der Materialien bis zum ikonografischen Ausdruck weitgehend kanonisiert. Dies hatte zur Folge, dass sich die Bildkulturen aufgrund der dynamischen Entwicklung im westkirchlichen Bereich und der konservativen ostkirchlichen Haltung auseinanderentwickelten. Dazu trug auch der nicht unbedeutende Umstand bei, dass die Bildregime des orthodoxen Christentums, des Judentums und des Islam sowohl Dreidimensionalität als auch Betrachterperspektive ablehnten. Im Unterschied zum westlichen Christentum, wo Statuen seit dem neunten Jahrhundert vermehrt im Ritual und in der Kirchenornamentik in Gebrauch kamen, durften im östlichen Christentum die himmlischen Archetypen ausschließlich in zweidimensionaler  Form dargestellt werden. Dies führte dazu, dass sich in der byzantinischen säkularen Kunst die monumentale Plastik nie etablieren konnte, wohl hingegen eine Miniatur- und Reliefkunst (Benz 1963, 139–140). Da die Schaffung von Plastiken auch im muslimischen und jüdischen Bereich verboten war, blieben die Balkanländer bis weit in das 19. Jahrhundert hinein frei von figürlichen Monumenten im öffentlichen Raum (Kaser 2013, 314). Die drei Hauptreligionen des Balkans teilten im Unterschied zu Katholizismus und Protestantismus ein weiteres visuelles Merkmal: Sie kannten keine wesentliche Theater- bzw. Schauspieltradition. Dies ist bezogen auf den Islam und das Judentum nicht weiter verwunderlich, da das Theater am menschlichen Darstellungsverbot rüttelte; für die christliche Ostkirche bedarf dies jedoch einer genaueren Begründung. Das frühe Christentum erachtete das Theater als heidnische Gepflogenheit: Die Tragödie fröne dem Mythos der Götter und die Komödie der Zügellosigkeit. Die Ostkirche blieb dieser ablehnenden Haltung treu, entfaltete jedoch als Alternative einen außerordentlichen Reichtum in der Liturgie, der vom Mysterienspiel stark beeinflusst war – mit Prozessionen und aufeinander reagierenden Chören (Benz 1963, 144–146; Puchner 1990, 16). Trotz dieser theaterfeindlichen Haltung konnte sich mancherorts ein säkulares Improvisationsspiel ohne Textgrundlage, wie dies für Serbien im 13. Jahrhundert bezeugt ist, entfalten (Marijanović 1999, 255). In der venezianischen Ägäis begannen als Reaktion auf das Jesuitentheater orthodoxe Seminare auf Nachbarinseln ebenfalls, Theateraufführungen zu organisieren (Puchner 2006, 18). Dies blieben jedoch Ausnahmeerscheinungen.

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Die religionsgeleiteten visuellen Traditionen des Balkans wiesen somit bedeutende Gemeinsamkeiten auf: Sie lehnten die visuelle Repräsentation von Gott und Mensch im religiösen Bereich ab oder ließen sie lediglich in streng reglementierter Form zu und waren der Dreidimensionalität, der Perspektivität sowie dem Schauspiel gegenüber sehr skeptisch eingestellt. Trotz aller Diskrepanzen zwischen den auf dem Balkan heimischen visuellen Gepflogenheiten und der visuellen Moderne vermochte sich Letztere ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts in das Sehrepertoire der Balkanbevölkerung schrittweise einzunisten. Dazu bedurfte es visueller Akteure, Mittler und Unternehmer, die am Transfer der visuellen Moderne an die europäische Balkanperipherie interessiert waren. Hilfreich sind hier drei Differenzierungen: Die erste unterscheidet zwischen öffentlichen (staatlichen) Akteuren als Auftraggeber und Sponsoren einerseits und privaten Unternehmern andererseits. Öffentliche Auftraggeber und Sponsoren wurden für den Transfer der Bildenden und Darstellenden Künste ausschlaggebend. Sie drängten in Richtung einer Nationalisierung der visuellen Moderne. An den aufstrebenden visuellen Massenmedien Fotografie und Film hatte die öffentliche Hand lediglich in Ausnahmesituationen, insbesondere in Kriegszeiten, Interesse. Sie wurden von den kommerziellen Interessen privater Unternehmer bestimmt, die sich in Stil und Ästhetik an den Ländern orientierten, aus denen sie ihre Arbeitsgeräte (Kameras, optische Ausrüstungen, Filme, Kinoausrüstung) bezogen. Diese Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Interessen wird nicht in jedem Fall haltbar sein, da es immer wieder auch Querverbindungen gab; als grobe heuristische Orientierung ist sie jedoch wertvoll. Eine zweite unterscheidet zwischen der Pioniergeneration im Transfergeschäft der visuellen Moderne an ihre europäische Peripherie und der zweiten Generation. Die Pioniergeneration wurde sowohl in den Bildenden und Darstellenden Künsten als auch im fotografischen Gewerbe und im Kinogeschäft großteils von westlichen Ausländern repräsentiert; die zweite Generation hingegen wurde bereits von Einheimischen, die ihre Ausbildung im Ausland oder durch westliche Spezialisten im Lande erhalten hatten, dominiert. Auch für diese Differenzierung gilt, dass sie ausfransen kann, da zwischen den beiden Generationen keine klare Trennlinie gezogen werden kann. Eine dritte Unterscheidung scheint angebracht zu sein. In diesem Transfergeschehen spielen muslimische Akteure, Mittler oder Unternehmer zahlenmäßig eine relativ geringe Rolle. Es gab sie vereinzelt, aber generell wird man feststellen können, dass die Masse der muslimischen Balkanbevölkerung von den westlichen visuellen Attraktionen bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts kaum erfasst wurde. Was die jüdische Bevölkerung anlangt, so wird sich zeigen, dass Fotografen mit religiös-liberalem Hintergrund bereits in der frühen Fotografie eine wichtige Rolle spielten.

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Diese drei Differenzierungen helfen uns, die einsetzenden Amalgamierungsprozesse zwischen der visuellen Moderne und den lokalen visuellen Bedürfnissen besser zu verstehen. Sie weisen auf ein sich entfaltendes Spannungsfeld zwischen nationaler Aneignung und internationalen Akteuren sowie auf die überwiegende Zurückweisung der visuellen Moderne durch die muslimische Bevölkerung hin. Nationalisierung der visuellen Moderne: Bildende und Darstellende Künste

Da sich die visuellen Traditionen der Balkanländer von sich aus nur schwer in Richtung der europäischen Moderne weiterentwickelten, mussten neue Dynamiken in Gang gebracht werden. Dies konnte nur in zweierlei Weise erfolgen: indem die neu entstandenen Staaten entweder Studierende zur Ausbildung in das westliche Ausland entsandten oder ausländische Spezialisten ins Land riefen; beides war der Fall. Letztere war eine kurzfristige, erstere eine nachhaltige Lösung. Parallel dazu mussten geeignete Ausbildungsstätten für das visuelle Geschäft errichtet werden. Was die Entsendung von Studenten zur Ausbildung in das Ausland anlangt, so soll Serbien als vorrangiges Beispiel dienen. Für die Anfangszeit des serbischen Staats ist festzustellen, dass es nur wenige serbische Künstler, Architekten und Theaterleute gab, die nicht durch ein Staatsstipendium ihre Ausbildung im Ausland finanziert bekamen6 (Makuljević 2006, 27–28). In den 32 Jahren von 1882 bis 1914 entsandte das Königreich insgesamt 853 Stipendiaten an ausländische Institutionen. Im Vergleich dazu waren es im bulgarischen Fall in dem ebenso langen Zeitraum von 1878 bis 1910 451. Eine statistische Analyse ergibt, dass von den serbischen Stipendiaten die meisten (318 bzw. 36,7%) in Österreich-Ungarn ausgebildet wurden; es folgten Deutschland (201 bzw. 23,2%) und Russland (145 bzw. 16,7%) (TrgovčevićMitrović 1998, 368). Die Entsendung der serbischen Stipendiaten wurde über die zuständigen Ministerien abgewickelt. Den größten Anteil bekam das Kriegsministerium zugesprochen. Dem Ministerium für Unterricht und kirchliche Angelegenheiten wurde eine jährliche Quote von einem Fünftel bis zu einem Viertel zugestanden. Insgesamt waren es 208 Stipendiaten, die zu Hochschullehrern und Künstlern – unter anderem zu Malern, Bildhauern oder Komponisten – ausgebildet wurden. Etwa 80 von ihnen gingen nach Deutschland, 50 nach Frankreich, 27 nach Österreich-Ungarn und 26 nach Russland. Das Ministerium für Bauten entsandte seine Stipendiaten 6

Daneben schickten vermögende Eltern ihre Kinder zur Ausbildung an ausländische Universitäten und Akademien.

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für Architektur und Stadtplanung hauptsächlich an deutsche Hochschulen (Ebenda, 368–374). Wie groß die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach einer künstlerischen Ausbildung im Ausland war, zeigt auch der Umstand, dass etwa in Serbien nicht nur der Staat, sondern auch andere Institutionen Auslandsstipendien vergaben. So finanzierten vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die habsburgisch-serbische Kulturinstitution Matica srpska7 und die serbisch-orthodoxe Kirche Studien im Ausland, letztere insbesondere solche an russischen Malschulen (Makuljević 2006, 29–30). Es ist davon auszugehen, dass mehr oder weniger die gesamte serbische visuelle Intelligenz der ersten Generation im Ausland – hauptsächlich in Deutschland, Frankreich Österreich-Ungarn und Russland – ausgebildet wurde. Dies trifft auch auf die anderen Balkanländer zu. Die oben angeführten statistischen Angaben sind auch deshalb äußerst interessant, weil sie zusätzliche Tiefenbohrungen ermöglichen. Sie erlauben es zu eruieren, bei welchen Professoren die Stipendiaten studierten und ob sie, wieder in die Heimat zurückgekehrt, das erworbene Wissen bzw. die erworbenen Fähigkeiten getreu anwenden konnten oder diese aufgrund der lokalen Gegebenheiten modifizieren mussten. Die Malerei mag als Beispiel dienen. Für die Ausbildung einer ersten serbischen Malergeneration war, wie für viele andere junge Balkankünstler auch, die Münchner Privatschule des slowenischen Realisten Anton Ažbé maßgeblich. In seiner Ausbildungsstätte wurden neue künstlerische Konzepte unter den zukünftigen serbischen, kroatischen und slowenischen Malern verbreitet und Auswahlbilder auf der Ersten Jugoslawischen Kunstausstellung 1904 in Belgrad gezeigt. Der Einfluss der Münchner Schule ebnete den Weg zur Begründung der serbischen modernen Kunst bis zum Zweiten Weltkrieg. Über Münchner Vermittlung wurden Formen des europäischen Realismus – etwa Stillleben und dörfliche Genreszenen – auf das serbische Kunstschaffen übertragen. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass sich diese Künstlergruppe in einem ständigen Dilemma befand zwischen dem, was sie im Ausland gelernt hatte, und dem, was sich ihre Auftraggeber an nationalen Inhalten vorstellten. Es waren daher ständig Kompromisse nötig – etwa in Form der Historienmalerei. Ein prominentes Beispiel sind die Gemälde des bedeutenden serbischen Malers Paja Jovanović:8 ‚Die Große Wanderung unter Arsenije III. Čarnojević 1690‘ (1896) und ‚Die Proklamation des Serbischen Reichs‘ (1900) (Mansbach 1999a, 226– 227; Medaković 1999, 213–218; Protić 1999, 298). 7 8

Der Kulturverein wurde 1826 in Pest gegründet und verlegte 1864 seinen Sitz nach Novi Sad. Jovanović wurde in Vršac (Vojvodina) geboren und erhielt seine Ausbildung bei dem angesehenen orientalistischen Maler Leopold Carl Müller in Wien (Makuljević 2015a, 109).

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Neben dem Privatatelier Ažbés war die Münchner Akademie der Bildenden Künste Ziel einer Reihe angehender Künstler. So wurde die erste Generation griechischer Künstler, die noch vor 1800 geboren war, aufgrund der Verbindung des griechischen Königs mit dem bayrischen Herrscherhaus in München ausgebildet (Christou; Leotsakos 1980, 531–532). Ähnliches gilt für über hundert Maler, Bildhauer und Architekten aus Rumänien (Mandrut 2006, 1–5), aber auch für eine Reihe von bulgarischen Künstlern der ersten Generation, die daneben auch Wien und St. Petersburg anstrebten (Ficker 1990, 657–659; Mansbach 1999, 149–153). Serbische Kunststudenten studierten vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts primär an Wiener, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts an Münchner und ab der Jahrhundertwende an Pariser Ausbildungsstätten (Makuljević 2006, 32). Die angeführten Beispiele dokumentieren ausreichend, dass sich diese frühe Generation von jungen Künstlern die visuelle Moderne und ihre verschiedenen Strömungen im Ausland aneignete und in ihre Herkunftsländer transferierte. Allerdings setzten sofort Amalgamierungsprozesse ein, wenn es um die Existenzsicherung der Kunstschaffenden ging. Wer waren die potenziellen Auftraggeber und Sponsoren? Welche formalen und inhaltlichen Vorstellungen hatten sie von moderner Kunst? In einer Zeit nationaler Formierung und Konsolidierung standen nicht universelle, sondern nationale Inhalte an oberster Stelle der Agenda. Die nationale Historienmalerei begann, wie oben bereits angedeutet, einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Stellte die Kunst in vorsäkularen Zeiten quasi eine Magd der Kirche dar, wurde sie nun zu einer Magd der Nation. Interessanterweise waren es jedoch nicht einheimische Künstler, die die Nationalisierung der Kunst einleiteten, sondern ausländische. Die bulgarische Kunsthistorikerin Martina Baleva (2012) hat überzeugend herausgearbeitet, dass die Nationalisierung der Kunst auf dem Balkan weitgehend, wenn nicht gar ausschließlich, von ausländischen Künstlern eingeleitet wurde (Ebenda, 136). Es ist daher sinnvoll, ihren Beobachtungen eine Strecke weit zu folgen. Die Einflussnahme ausländischer Künstler auf die nationale Kunst der Balkanvölker begann ihrer Überzeugung nach mit dem sensationsträchtigen Gemälde ‚Das Massaker von Chios‘ (1824) des berühmten französischen Malers Eugène Delacroix, das große öffentliche Resonanz fand. Es bezieht sich auf eine im April 1822 nach einer Attacke von Freischärlern von der osmanischen Armee durchgeführte Bestrafungsaktion und sollte eine der wichtigsten ‚Leitbilder‘ der griechischen Nation werden.9 Die in dem Gemälde angelegten Merkmale sollten für die Ikonografie eines Großteils, wenn nicht gar al9

Das Bild stellt eine brutale Kriegsszene mit leidender Zivilbevölkerung und die Entführung einer Frau mit einem betont erotischen Körper dar (Makuljević 2015a, 108).

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ler ausländischen Gemälde mit Balkanthematik Vorbildcharakter erhalten (Ebenda, 137–140). Ähnlich wie Delacroix für das griechische Nationalbewusstsein wirkte eine Reihe von Gemälden des tschechischen Historienmalers Jaroslav Čermák auf jenes einiger Westbalkanländer. Auch er kombinierte den erotischen weiblichen Körper mit der Brutalität osmanischer Krieger. Für ihn waren die Aufstandsbewegungen in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina ab den 1860er-Jahren ein Thema, das seine Karriere weitertreiben sollte. Er gehörte zu den wenigen Malern der Zeit, die sich durch Reisen selbst ein Bild des Balkans geschaffen haben10 (Ebenda, 145–151; Makuljević 2015a, 108). Ein weiterer tschechischer Maler, Ivan Mrkvička, hatte an der Nationalisierung der visuellen Moderne maßgeblich Anteil und gilt als einer der bedeutendsten Nationalmaler Bulgariens. Er wirkte vier Jahrzehnte vor Ort11 und gründete 1885 die erste bulgarische Zeitschrift für bildende Kunst Izkustvo; 1886 organisierte er die erste Kunstausstellung Bulgariens in Plovdiv, und 1893 wurde unter seiner Federführung die erste Vereinigung bulgarischer Künstler gegründet. Er war zudem 1896 Mitbegründer der ‚Staatlichen Zeichenschule Bulgariens‘ (heute Akademie für Bildende Künste), deren Direktor er 25 Jahre lang war. Mrkvička war Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften sowie Herausgeber und Illustrator ethnografischer Bildbände und literarischer Werke (Baleva 2012, 156–182). Im bulgarischen Zusammenhang darf auch der polnische Genremaler Anton Piotrowski12 nicht unerwähnt bleiben. Er wurde als Autor sentimentaler Genrebilder, daneben auch als Ereignis- und Schlachtenmaler bekannt. 1885 arbeitete er im serbisch-bulgarischen Krieg auf bulgarischer Seite als Schlachtenmaler. Spätestens im Frühjahr oder Sommer 1888 begann er mit den Vorbereitungen für das Gemälde ‚Das Massaker von Batak‘, das an das 1876 stattgefundene Massaker irregulärer osmanischer Truppen an der Bevölkerung des Rhodopendorfs Batak erinnert und ikonenhaften Status in der bulgarischen Öffentlichkeit erhielt (Ebenda, 165–170). 10 Zu seinen wichtigsten Werken dieses Genres zählen ‚Plünderungszug von Baschibozuks in einem christlichen Dorf in der Herzegowina (Türkei)‘ (1861), ‚Geschändete Frau‘ (1862), ‚Gefangene‘ (1870), ‚Die Kriegsbeute‘ (1868), ‚Im Harem‘ (1877) und ‚Herzegowiner finden auf der Rückkehr in ihr von Baschibozuks geplündertes Dorf den Friedhof verwüstet und die Kirche zerstört vor‘ (1877). 11 Sein wohl einflussreichstes Werk ist der Gemäldezyklus ‚Unter dem Joch‘ (1897–1906). Mit ‚Joch‘ ist die osmanische Herrschaft gemeint. 12 Er studierte zuerst an der Zeichenschule in Warschau, von 1875 bis 1877 an der Akademie der Bildenden Künste in München und später bei dem gefeierten polnischen Historienmaler tschechischer Herkunft Jan Matejko in Krakau.

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Nach Ansicht des Belgrader Kunsthistorikers Nenad Makuljević spielte die Rezeption westlicher Kunsttheorien, die sich auf die historischen, gesellschaftlichen sowie geografisch-klimatischen Bedingungen für die Herausbildung nationaler Kunst beziehen, eine zentrale Rolle. Auf solche scheinbare nationale Konstanten bezog sich bereits der erste moderne Kunsthistoriker Johann Winckelmann in seiner klassischen Arbeit ‚Geschichte der Kunst des Alterthums‘ (1764): Die grundlegenden Bedingungen für die Entwicklung der griechischen Kunst hätten die klimatischen Bedingungen, der Bevölkerungscharakter sowie die Ideale und gemeinschaftliche Ordnung der Griechen dargestellt. Sein Werk spielte noch im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle, zumal es in alle wichtigen Sprachen und auch in das Serbische übersetzt wurde. Eine orientierende Grundlage für die nationale Ausrichtung der Kunst bildete auch der Gedanke des Volksgeists, der das gesamte 19. Jahrhundert hindurch relevant war und Eingang in die serbische Kunsttheorie (Makuljević 2006, 39–49) und wohl auch in jene der anderen Balkanländer fand. Die Tendenz zur Nationalisierung der visuellen Moderne durch ausländische Künstler wird in der öffentlichen Monumentalskulptur noch wesentlich deutlicher als in der Malerei. Wie bereits oben festgestellt, hatten alle drei Balkanreligionen erhebliche Bedenken gegen die dreidimensionale figürliche Repräsentation. Dies resultierte darin, dass erstens der öffentliche Raum bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts frei von dreidimensionaler Monumentalkunst blieb und zweitens keine heimischen Künstler zur Verfügung standen, als das Bedürfnis nach Monumenten erwachte oder geweckt wurde; solche mussten daher aus dem Ausland gerufen werden. Beispiele aus Serbien und Bulgarien sollen diesen Sachverhalt verdeutlichen. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Serbien zwar die Kirchenornamentik und volkstümliche Plastik (Schnitzereien) gepflegt, nicht jedoch die Skulptur im engeren Sinn, da dies von der orthodoxen Kirche abgelehnt wurde. Die Monumentalkunst kam erst mit der einsetzenden Säkularisierung auf (Protić 1999, 313). So wurde 1857 der Plan lanciert, in Belgrad ein Monument zu Ehren des Anführers im ersten serbischen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft im Jahr 1804, Petar Karadjordje, zu errichten. Dieser Plan scheiterte jedoch am Einspruch der osmanischen Behörden und wurde vorläufig nicht wieder aufgegriffen. Das erste öffentliche Monument in Belgrad, eine Reiterstatue des serbischen Fürsten Mihailo Obrenović, gegenüber dem Nationaltheater, wurde erst 1882 von einem der damals bekanntesten europäischen Bildhauer, den Florentiner Enrico Pazzi, fertiggestellt (Makuljević 2006, 293–295). Mit dem Aufstieg des serbischen Staats und seinem Repräsentationsbedürfnis stieg die Nachfrage nach Plastiken im öffentlichen Raum in der zweiten Hälfte

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des 19. Jahrhunderts weiter an. Mit Petar Ubavkić, der in München und Rom ausgebildet worden war, brachte das Land vor dem Ersten Weltkrieg lediglich einen Bildhauer von Bedeutung hervor. Er fertigte für seine Auftraggeber eine Reihe monumentaler Statuen im öffentlichen Raum an. Unter seinen Schülern war Djordje Jovanović der talentierteste. Dieser studierte auf Staatskosten ab 1884 in Wien und München und schuf mehr als 300 Monumente und Statuen (Medaković 1999, 218– 219; Protić 1999, 313). Auch in Bulgarien waren es ausländische Bildhauer, die mit der Errichtung erster prestigeträchtiger Monumente im öffentlichen Raum beauftragt wurden. Das Denkmal zur Erinnerung an den nationalen Revolutionär Vasil Levski, eine Bronzestatue, wurde 17 Jahre nach Baubeginn 1895 feierlich im Zentrum der Hauptstadt Sofia eingeweiht. Sie war vom tschechischen Architekten Antonín Kolář entworfen worden (Weber 2006, 75). Die Reiterstatue ‚Befreierzar Alexander II.‘, die an durch die russische Armee 1877/78 erzwungene Loslösung Bulgariens vom Osmanischen Reich erinnert und ebenfalls im Stadtzentrum steht, wurde von einer international besetzten Jury beim Florentiner Bildhauer Arnoldo Zocchi in Auftrag gegeben (1900). Er gehörte zur internationalen Bildhauergarde, die sich ihren Unterhalt in ganz Europa mit der beinahe serienmäßigen Produktion von Reiterstatuen und Nationaldenkmälern verdiente (Ebenda, 145–146). Monumente erzielten ihre Wirkung erst durch den Platz, auf dem sie errichtet wurden, und durch das Gesamtgefüge der gebauten Stadt, auf das nun der Blick gelenkt werden soll. Die Architektur der beinahe vollständig neu konzipierten Balkanhauptstädte sollte um 1900 sowohl nationale als auch internationale Züge aufweisen. Auch in diesem visuellen Segment mussten ausländische Planer und Architekten in das Land gerufen werden, da es an Einheimischen fehlte, die im gewünschten europäischen Stil planen und gestalten konnten. Ihnen folgte eine erste Generation einheimischer Architekten, die zumeist in Österreich-Ungarn, Deutschland oder im rumänischen Fall in Frankreich ausgebildet worden war, bevor die ersten Ausbildungsstätten im späten 19. und anfänglichen 20. Jahrhundert in der Region selbst errichtet wurden. Die Zurückweisung der osmanischen architektonischen Traditionen war nicht einem Geschmackswechsel der Bevölkerung geschuldet, sondern den neuen, national ausgerichteten Realitäten, die nach einer Deosmanisierung und Europäisierung des Stadtbildes verlangten. Der Architektur fiel eine wichtige Rolle im Nationsbildungsprozess zu und sollte sowohl die eigenständigen Bautraditionen als auch die europäische Ausrichtung der Nation dokumentieren. Die urbane Architektur wurde somit gleichzeitig nationalisiert und europäisiert. Für Griechenland waren im Bereich der weltlichen Archi-

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tektur die Betonung des Altertums und folglich der Neoklassizismus, der damals im internationalen Trend lag, und auf dem Gebiet der Sakralarchitektur die Referenz zum byzantinischen Erbe naheliegend. Auch Bulgarien und Serbien sahen ihre nationalen Stile am besten in der Wiedererweckung der byzantinisch inspirierten Kirchenarchitektur ihrer mittelalterlichen Reiche gewährleistet. In Rumänien bildete die mittelalterliche Kirchenarchitektur nur einen Faktor im Spektrum des hybriden neorumänischen Stils. Im multireligiösen Albanien spielte die Referenz in Richtung einer bestimmten historischen Periode keine entscheidende Rolle (Hartmuth 2006, 19–21). Das vordringliche architektonische Ziel war es, einen Stil zu kreieren, der spezifisch für die Nation sein und abstrakte Konzepte wie Nationalgeist und -charakter über die Architektur transportieren sollte. Ästhetische oder funktionale Überlegungen waren demgegenüber von sekundärer Bedeutung. Das Problem bei der Formulierung von nationalen Stilen war allerdings die mangelnde fachliche Vertrautheit mit dem weit zurückliegenden kulturellen Erbe in den Ländern selbst. Paradoxerweise kam das Wissen darüber wiederum aus dem Westen; im Falle Griechenlands wurde es etwa von den Philhellenen transportiert, während die serbischen, bulgarischen und rumänischen Wiedererweckungen des Mittelalters lange Zeit vom Wissen über die byzantinische Architektur an westlichen Universitäten abhängig waren. Erst mit der Zeit konkretisierte sich dieses in nationalen Stilen (Ebenda, 19–21). Im serbischen Fall wurde die nationale Variante des byzantinischen Stils von Theophil Hansen – dem prominentesten Repräsentanten des byzantinischen Stils in der Donaumonarchie – entwickelt. Er hatte auf häufigen Reisen nach Griechenland zwischen 1838 und 1846 intensiv Bauwerke aus byzantinischer Zeit studiert. Als er 1868 Professor an der Wiener Akademie der Bildenden Künste wurde, richtete er einen Kurs für byzantinische Architektur ein. Von ihm ausgebildet, kehrte eine erste Generation an serbischen Architekten in den frühen 1870er-Jahren zurück. Seine Absolventen sollten später hohe Positionen im Bauministerium und an der Architekturfakultät der Belgrader Hochschule einnehmen (Ebenda, 16–23). 1862 legte die serbische Regierung in ihrem Gesetz über den Kirchenbesitz fest, dass serbisch-orthodoxe Kirchen im byzantinischen Stil zu errichten waren (Makuljević 2006, 25–27). Im darauffolgenden Jahr wurde im Rahmen der neu formierten Hochschule eine Technische Fakultät eingerichtet, die eine Ausbildung in Architektur, Urbanistik und Bauwesen anbot. Ab 1898 wurden auch Architekturgeschichte und Byzantinischer Stil unterrichtet. Damit wurde das zentral gesteuerte Bedürfnis nach einer Ausbildung im serbisch-byzantinischen Stil abgedeckt (Ebenda, 34–35). Bereits einige Jahre zuvor hatte der im Bauministerium tätige Hansenschüler Svetozar Ivačković von seinen Mitarbeitern Standardpläne für Kirchen im

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serbisch-byzantinischen Stil erarbeiten lassen, die nur in Ornamentik und Kubatur voneinander abwichen und den kirchenerrichtenden Kommunen aufgezwungen wurden (Pantelić 1997, 16–23). Die meisten privaten und öffentlichen Gebäude Belgrads wurden jedoch im eklektizistischen Stil der Neorenaissance Wiener Prägung errichtet. Der serbisch-byzantinische Stil war von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1930 dennoch von einiger Relevanz, und im Kirchenbau ist er bis heute von Bedeutung (Ebenda, 16). Auch in Bulgarien und Griechenland spielte der byzantinische Stil eine Rolle. Im bulgarischen Fall kehrte in den 1890er-Jahren die erste Generation an im Ausland ausgebildeten Architekten zurück, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts einen nationalen Architekturstil kreierte – eine Kombination aus moderner Bautechnik und dekorativen Motiven der mittelalterlichen bulgarisch-byzantinischen Kirchenarchitektur. Dieser Stil wurde für die Errichtung von Kirchenbauten (etwa für die 1912 fertiggestellte Aleksandăr Nevski-Kathedrale in Sofia), Bädern, Markthallen und anderen öffentlichen Gebäuden angewendet (Gjuzelev 1998, 162–163; Stanoeva 2010, 101). Der österreichische Architekt Friedrich Grünanger, der viel in Bulgarien baute, gehörte zu jenen, die die byzantinische Tradition sezessionistisch interpretierten – etwa in der keramisch-plastischen Fassadendekoration des Priesterseminars in Sofia (1902–1914) (Doytchinov; Gantchev 2001, 63–67). Ähnlich wie im Falle Belgrads konnte sich der byzantinisch-bulgarische Stil auch in Sofia quantitativ nicht durchsetzen. Private Bauherren bevorzugten die Neorenaissance und den Neubarock (Ebenda, 56–62). In Griechenland, wo die Antike keine Anknüpfungspunkte für den Sakralbau bot, blieb die byzantinische Ausrichtung in Form des griechisch-byzantinischen Stils relevant (Bastéa 2010, 35–36). Der Ausbau der griechischen Hauptstadt hingegen wurde von einem neoklassischen Bauprogramm beherrscht (Papageorgiou-Venetas 2011, 15). Die beiden Architekten Christian und Theophil Hansen verliehen auch dem Zentrum Athens ihr Gepräge. Christian arbeitete von 1833 bis 1850 in Griechenland. Er wirkte im Technischen Büro des Innenministeriums an der Stadtplanung mit und war an der Wiedererrichtung des Nike-Tempels auf der Akropolis beteiligt. Von ihm stammten die Pläne für die von 1839 bis 1864 errichtete Universität, die Münzprägeanstalt (späteres Finanzministerium, 1836) und die Anglikanische Kirche. Sein Bruder Theophil wurde mit der Errichtung der Sternwarte (1842–1845), des Megaron Dimitriou (1842–1843), der Akademie  (1859–1887) und der Nationalbibliothek (1860–1902) beauftragt. Diese und andere öffentliche Bauten im neoklassischen Stil wurden auch zum Vorbild für den privaten Hausbau (Hering 1994, 116–117). Auch in Bosnien-Herzegowina bzw. in Sarajevo entwarfen Landesfremde einen historischen Architekturstil, der aber in diesem Fall den muslimischen Charakter

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des Landes unterstreichen sollte. Architekten der Donaumonarchie entwickelten einen ‚maurischen‘ Stil für das Rathaus Sarajevos, das den Prototyp dieses neuen Landesstils darstellen sollte. Der erste mit der Konzeption des Gebäudes befasste Architekt war der Tscheche Karl Pařik, ein Student des erwähnten Theophil Hansen. Pařiks Vorschläge waren von der römisch-byzantinischen Architektur inspiriert, wurden jedoch letztlich zurückgewiesen. Man entschied sich schließlich für einen anderen jungen, in Wien ausgebildeten Architekten, Alexander Wittek, der eine islamische architektonische Ausrichtung vorschlug, die jedoch nicht in der osmanischen, sondern in der arabisch-nordafrikanischen, maurisch-spanischen und ägyptischen Tradition wurzelte. Nach dem Wiener Kunsthistoriker Hartmuth lag der Grund einfach darin, dass man im späten 19. Jahrhundert noch zu wenig mit der islamischen Architektur vertraut war und sich daher auf die Suche nach den Wurzeln architektonischer Traditionen begab. Daher empfand Wittek den osmanischen Stil als zu jung und sah in maurisch-spanischen und ägyptischen Monumenten die authentischeren Vorbilder (Hartmuth 2011, 83–97). Insgesamt jedoch wurde auch in Sarajevo dieser Landesstil nicht prägend. Die Architekten und Ingenieure der Monarchie entwarfen neue Straßen mit Gebäuden nach Wiener Muster, und bald konnte man in den Neubauarealen das Gefühl bekommen, durch weniger prominente Stadtviertel der Donaumetropole zu spazieren. Dies war auch darauf zurückzuführen, dass die meisten Neubauten, abgesehen von den offiziellen, in privater Initiative errichtet wurden. Mehrstöckige Wohngebäude nach bewährtem Muster zu errichten, war in einer Stadt mit rasch wachsender Bevölkerung eine profitable Investition. Die ‚traditionellen‘ Häuser verfügten lediglich über ein oder zwei Stockwerke, die von den Eigentümern und Eigentümerinnen selbst bewohnt wurden (Ebenda, 90–92). Auch Bukarest wurde in der Phase stürmischer urbaner Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weniger von nationalen als von internationalen architektonischen Trends bestimmt. Das Große Theater, das ab 1875 als Nationaltheater fungierte, war 1852 noch von dem Wiener Architekten Anton Hefft in neubarockem Stil errichtet worden. Die meisten politisch und kulturell relevanten Gebäude (Nationalbank, Athenäum, Konzerthalle, Galerie, Bibliothek, Sparkasse) wurden in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts unter französischem Architektureinfluss errichtet. Der französische Klassizismus beeinflusste auch die ersten Generationen rumänischer Architekten, die in Paris studiert hatten. Erste Versuche, einen rumänischen Nationalstil zu begründen, bildeten die Arbeiten des Architekten und Politikers Ion Mincu, der noch in Paris studiert hatte. Die von ihm geplante Zentrale Mädchenschule generalisierte architektonische Details von Sakralbauten des frühen 16. Jahrhunderts und der kulturellen Renaissance des

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späten 17. Jahrhunderts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dieser neorumänische Stil unter jungen Architekten populär; sie lehnten den seit Jahrzehnten dominierenden klassizistischen, historisch-eklektizistischen Stil ab (Raluca Popa et al. 2010, 62–71). Es kann also festgehalten werden, dass die Balkanhauptstädte im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts architektonisch neu geprägt wurden. Ehemalige osmanische Provinzstädte wurden zu kleinen nationalen Metropolen, in denen sich die visuelle Moderne auch in architektonischer Hinsicht einzuschreiben begann. Sie mussten mit öffentlichen und privaten, repräsentativen und funktional ausgerichteten Gebäuden versehen werden, die einer sich zusehends verästelnden Verwaltung und sozial stratifizierenden Stadtbevölkerung entsprachen. Die aus dem Ausland gerufenen Architekten, zumeist am Anfang ihrer Karriere stehend, und die erste Generation einheimischer, im Ausland ausgebildeter Architekten erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen, indem sie sowohl das Bedürfnis nach Internationalität als auch jenes nach nationalen Orientierungspunkten befriedigten. Paradoxerweise waren es in erster Linie ausländische Architekten und Professoren, die einen an eine mehr oder weniger entrückte Vergangenheit anknüpfenden nationalen Architekturstil für die Peripherie erfanden. International und/oder national stellten keine Widersprüche dar – beides war modern. Obwohl in der Architektur internationale Stile überwogen, wurde insgesamt gesehen der öffentliche städtische Raum eher national als international ‚dekoriert‘ – durch eine nationale Ausrichtung des Kirchenbaus, nationale Denkmäler und die Organisation öffentlicher nationaler Feierlichkeiten und Gedenktage; insbesondere in den Stadtzentren wurde der Charakter der nationalen Gemeinschaft zur Schau gestellt. Für die in diesen Städten lebenden Menschen, die tagtäglich in ihren Straßen verkehrten, veränderte sich durch die rege Bautätigkeit und die modernen Gebäude und Straßenzüge langsam, aber sicher nicht nur das Stadtbild, sondern auch das alltägliche Sehen. Eine der zentralen Sehschulen einer Hauptstadt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bildete das Theater, insbesondere das jeweilige Nationaltheater. Theater und Schauspiel bildeten auch wichtige Vorerfahrungen für die Herausbildung einer Kinokultur. Kino und Theater ähnelten einander, speziell in der Anfangszeit des Spielfilms, weil die Schauspieler und Schauspielerinnen meist vom Theater kamen und die Kameraführung noch statisch war. Waren die Menschen vom Theater angetan, konnten sie vielleicht auch für das eher trivialere Kino gewonnen werden. Wie bereits betont, wurde das Theater von allen drei Balkanreligionen abgelehnt. Da es verschiedene Formen des Theaters gibt, gilt es zu präzisieren, dass von dieser Ablehnung jene Theaterformen betroffen waren, die auf Nachahmung von Menschen durch Menschen beruhten. Das Schatten- und Puppentheater war daher von

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dieser Ablehnung ausgenommen. Bis zur sukzessiven Einführung des europäischen Theaters im 19. und 20. Jahrhundert gab es im südöstlichen Europa lediglich in den Einflusszonen des Habsburgerreichs und Venedigs entwickelte Theatertraditionen. Im katholischen Slowenien, Kroatien und Dalmatien war ein mittelalterliches Spiel­erbe vorhanden, in Ungarn neben den Mysterienspielen auch das protestantische Schultheater. Auf den venezianischen Inseln der Ägäis und des Ionischen Meeres wurde das Theater im 16. Jahrhundert eingeführt. Im Herrschaftsbereich des Osmanischen Reichs gab es vor Beginn der 1839 einsetzenden Reformperiode kein öffentliches Theater. Bemerkenswerte Ausnahmen bildeten das Jesuitentheater in den Kykladen, auf Chios und in Istanbul sowie die Theater der griechischen Fanariotenhöfe in Bukarest und Jassy (Puchner 2014, 753–756). Diese Situation widerspiegelt sich auch in der relativ späten Gründung von Nationaltheatern – spät gemessen etwa an der Gründung des K. u. k. privilegierten Theaters nächst der Burg in Wien im Jahr 1776. Das Nationaltheater Bukarest war das erste und wurde 1852 noch unter der Bezeichnung Großes Theater eröffnet. Serbiens Nationaltheater in Belgrad wurde 1868 inauguriert – kurz nach Erlangen der vollen Autonomie und der Evakuierung der muslimischen Bevölkerung. Das bulgarische Nationaltheater wurde 1904 gegründet – ein Vierteljahrhundert nach der Erlangung der Unabhängigkeit. Griechenlands Nationaltheater wurde erst 1901, also sieben Jahrzehnte nach der Staatsgründung als Königliches Theater eröffnet (Puchner 1994, 23). Die Etablierung von Nationaltheatern nach europäischem Muster wurde also nicht unbedingt als prioritär erachtet. Dies hat auch damit zu tun, dass sie einen Bruch mit visuellen Traditionen darstellte und emotionale Diskussionen, wie etwa jene in Bulgarien, auslösen konnte. Führende Intellektuelle begrüßten das Theater, strichen sein Bildungspotenzial hervor und sahen in ihm ein Element der Europäisierung. Mit Hilfe dieser Institution würde sich eine neue Form der Ideenbildung etablieren, die das Land vom Orient abgrenzen könne. Gegner des Theaters argumentierten, dass die bulgarische Gesellschaft noch nicht reif genug war, mit dem Theater so umzugehen, wie dies in den europäischen Ländern der Fall war. Es gab auch Stimmen, die das Theater als schädliche Einrichtung erachteten; zumindest seine Sinnhaftigkeit wurde bezweifelt und auch, dass es etwas zur Persönlichkeitsbildung beitragen könne. Das Auswendiglernen von Rollen sei Zeitverschwendung und der Rollenwechsel moralisch verwerflich, da die Schauspieler und -innen dabei lernten, sich zu verstellen und dafür auch noch nach Beifall zu heischen. Aus kirchlichen Kreisen war zu vernehmen, dass es eine schwere Sünde sei, das Theater zu besuchen; die Gesellschaft müsse vor seinen schädlichen Einflüssen bewahrt werden. Im frühen 20. Jahrhundert war das Theater dann doch so weit verankert, dass es nicht mehr prinzipiell infrage gestellt wurde; es gab jedoch immer wieder Diskussi-

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onen, ob das durchschnittliche Publikum, insbesondere Mädchen und jungen Frauen, für jedes Stück geeignet wäre (Wolf 2007a, 51 [Fußnote 4], 55–58). Theateraufführungen mit Laiendarstellern gab es bereits vor der Gründung von Nationaltheatern. Ein wichtiger Diskussionspunkt in diesem Zusammenhang war, ob Frauen oder Männer weibliche Rollen übernehmen sollten (Puchner 2012, 53). Diese Frage war ein gesamteuropäisches Problem; in den meisten Ländern wurden weibliche Rollen bis in das 18. und selbst bis in das 19. Jahrhundert von adoleszenten Männern gespielt (Skylstad 2010, 13). In Athen galt es für Frauen als ausgesprochen unschicklich, im Theater aufzutreten. Die königliche Hofkultur vermochte diese Vorbehalte langsam zu durchbrechen. Als ab 1862 in einem Saal des Palastes Theater gespielt wurde, fanden sich Damen aus der Oberschicht bereit, als Schauspielerinnen mitzuwirken (Hering 1994, 131–132). Die Anfänge des öffentlichen Athener Theaterlebens gehen auf das Jahr 1835 zurück, als ein erstes Theater errichtet wurde – ein dachloses Holzgebäude, wo auch Clowns und Akrobaten ihr Können zeigten. Fünf Jahre später wurde das nach seinem Besitzer benannte Bourkouras-Theater errichtet, das sein Publikum mit der in Europa üblichen Dramaturgie vertraut zu machen suchte. Das Publikum lehnte diese jedoch ab, sodass sich das Ensemble bald wieder auflöste. Erst Jahrzehnte später, im Jahr 1888, wurde das Athener Stadttheater nach modernem europäischem Vorbild und 1901, wie erwähnt, das Königliche Theater etabliert, das ebenfalls eine europäische Ausrichtung verfolgte. Es musste allerdings bereits 1908 wieder geschlossen werden und konnte erst 1930 als Nationaltheater wieder eröffnet werden (Mavrikou 1974, 576–588). Damit wurde auch erstmals eine systematische Schauspielausbildung möglich, da ihm eine Schauspielschule angeschlossen wurde (Georgousopoulos 1980, 567–568; Puchner 1994, 57). In den bulgarischen Gebieten vermochte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts das Laientheater in Schulen, Lesestuben und anderen Räumen, die zu Bühnen umfunktioniert wurden, durchzusetzen. Die Vorstellungen wurden von den städtischen Oberschichten besucht. Die Schauspieler benutzten zunächst Masken, um nicht erkannt zu werden; Frauenrollen wurden von Männern gespielt. Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurde aus den besten Laiendarstellern 1892 die erste ständige Berufstheatergruppe, Träne und Lachen, in Sofia gegründet, die 1904 in das Bulgarische Nationaltheater überging. Der tschechische Schauspieler und Regisseur Josef Šmaha übernahm die künstlerische Leitung des Hauses (Borisowa 1974, 285–293; Puchner 1994, 43–46; Wolf 2007a, 50–51). Bis zum Zweiten Weltkrieg konnten Bulgaren und Bulgarinnen eine gute Schauspiel- und Regieausbildung nur im Ausland, bevorzugt in Deutschland und Russland, erlangen. In der Zwischenkriegszeit wurden einige kurzlebige private Schauspiel- und Theaterschulen errichtet, bis schließlich 1942

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die an das Nationaltheater angeschlossene Staatliche Theaterschule mit zweijährigem Studiengang gegründet wurde (Hille 1990, 640). In den Fürstentümern Moldau und Walachei bzw. in Rumänien war das Theaterleben vergleichsweise am besten entwickelt. Dies hat damit zu tun, dass, wie bereits erwähnt, an den fanariotischen Fürstenhöfen das Theater gepflegt worden war. Erste Ausbildungsstätten für Schauspieler und Schauspielerinnen existierten bereits seit 1834, als die Philharmonische Schule in Bukarest, bzw. 1836, als das Philharmonisch-Dramatische Konservatorium in Jassy gegründet wurde. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bereits in den 1840er-Jahren erste rumänische Theater und Ensembles gegründet wurden. Costache Caragiale gilt als der erste Berufsschauspieler, Bühnendirektor und Gründer von Schauspielgruppen. Neben dem Theater in Jassy gründete er auch jene in Bukarest und Craiova mit ihren professionellen Ensembles (Berlogea 1974, 328–346). Wesentlich mühsamer hingegen verlief der Aufbau eines Theaterlebens in der serbischen Hauptstadt. Als Belgrad 1839 Kragujevac als Hauptstadt ablöste, begannen heimische Laienschauspieler Aufführungen in serbischer Sprache zu organisieren und adaptierten zu diesem Zweck einen Saal in der Belgrader Zollamtsbehörde. Das Repertoire bestand hauptsächlich aus Übersetzungen deutscher, französischer und britischer Dramen. 1868 wurde, wie bereits erwähnt, das Serbische Nationaltheater eröffnet, dem auch eine Schauspielschule angeschlossen wurde (Cindrić 1960, 158–162, 176–177). Es bildete sich zwar ein Stammpublikum heraus, das jedoch das Theater nicht ausreichend auslastete, um öffentliche Subventionen zu rechtfertigen. 1873 musste es daher vorübergehend geschlossen werden. 1881 forderten Abgeordnete der Radikalen Partei im Parlament, dem Theater die Subventionen zu entziehen, da es ausschließlich Reichen und Wohlhabenden zur Unterhaltung diene und eine bäuerliche Gesellschaft wie die serbische eine solche Institution nicht benötige. Drei Jahre später sahen sich zwei angesehene Damen der Belgrader Gesellschaft veranlasst, einen Ball zur Rettung des Theaters zu veranstalten, und 1889 war die Stadtverwaltung gezwungen, einen ‚Theater-Dinar‘, eine Sonderabgabe für alle Veranstaltungen in der Stadt in der Höhe von einem Prozent des Ertrags aus dem Eintrittskartenverkauf, einzuführen. Diese Maßnahme blieb bis zum Ersten Weltkrieg in Kraft. Trotzdem musste 1905 eine Sammlung unter den Bürgerinnen und Bürgern organisiert werden, um den Betrieb weiterführen zu können (Stojanović 2008, 197–199). Der Aufbau einer Theaterkultur in der orthodoxen Balkanbevölkerung gestaltete sich also schwierig. Für die jüdischen Gemeinden war dies noch wesentlich schwieriger. Wenn es eine Vorform des jüdischen Theaters gab, dann waren dies die jeweils im Frühjahr stattfindenden Purim-Spiele. Sie kamen im 16. Jahrhundert auf, erleb-

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ten im 17./18. Jahrhundert ihren Höhepunkt und konnten sich noch bis in das 20. Jahrhundert halten. Sie entwickelten sich unter den Aschkenasim Ostmitteleuropas und stellten ein Pendant zu den deutschen Fastnachtsspielen dar. Am Purim-Tag oder in den Tagen davor und danach zogen die Spieler von Musikanten begleitet in Gruppen durch die Straßen und führten in den Nachbarhäusern – eingeladen oder spontan – ihre Stücke auf, die auf biblischen Geschichten und Ereignissen basierten. Das dramatische Material war auf rund 20 biblische Episoden und Legenden beschränkt. Während die christlichen Mysterienspiele in der Kathedrale, auf den Stufen davor oder auf Marktplätzen aufgeführt werden konnten, mussten die Purim-Spiele in Privaträumen oder kleinen Hinterhöfen abgehalten werden (Sandrow 1996, 2–6). Anderen Formen der Performanz widersetzten sich die Rabbiner. Es gab Ausnahmen, aber die meisten Juden beachteten diese Restriktion. Die Rabbiner argumentierten, dass das einstige römische Theater ein heidnisches war. Die Komödie sei dumm, vulgär und kindisch und übe einen schlechten Einfluss aus. Das Drama stelle eine Imitation des Lebens dar und sei daher abzulehnen; stattdessen solle man den Talmud studieren. Strengere Rabbis hatten sogar gegen die Purim-Spiele Einwände und erachteten sie als Sünde. Zusätzliche Restriktionen verhinderten eine Weiterentwicklung zum professionellen Theater: Orthodoxe Juden missbilligten singende Frauenstimmen, ehrbare Frauen auf der Bühne und das Verkleiden von Männern als Frauen. Dies waren alles Gründe dafür, dass sich bis zum 19. Jahrhundert weder ein jüdisches Drama noch ein Theater entwickeln konnte (Ebenda, 16–19). Auch die Sephardim des Osmanischen Reichs waren mit dem Purim-Spiel vertraut. Als sich einige reformorientierte Juden in den frühen 1870er-Jahren dafür entschieden, das Theater in ihr Bildungsprogramm aufzunehmen, sahen sie sich vor die Notwendigkeit gestellt, es behutsam in die sephardische Öffentlichkeit einzuführen (Borovaya 2012, 197–199). Etwa zeitgleich begannen säkular orientierte Aschkenasim in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem jüdischen Drama und dem modernen Theater Augenmerk zu schenken. Abraham Goldfaden gilt als Begründer des Theaterwesens. Er wurde in einem aufgeklärten Mittelschichthaushalt erzogen und war davon überzeugt, dass die aufgeklärten Juden und Jüdinnen ihre eigene künstlerische Ästhetik entwickeln müssten. Der Poet und Liederschreiber ließ sich 1876 in Jassy nieder, wo er die ersten professionellen Stücke verfasste und ein Theater gründete (Sandrow 1996, 40–69). Diese kurze Übersicht über die späte Frühgeschichte des Theaters in den Balkanländern hat ergeben, dass es das moderne Theater, von Rumänien abgesehen, sehr schwierig hatte sich durchzusetzen. Es mangelte an öffentlichen Fördergeldern,

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aber auch an Interesse an dieser Form der visuellen Unterhaltung, die auch aus religiösen Gründen abgelehnt wurde. Sie war offensichtlich zu ungewohnt, obwohl sich die Theater bemühten, ihre Repertoires zu ‚nationalisieren‘ und damit zu popularisieren, indem sie Stoffe aus fremden Kontexten national interpretierten. Für das Kino bzw. für eine Filmproduktion war die zurückhaltende Begeisterung für das Theater kein günstiges Vorzeichen, zumal es, Rumänien und Serbien ausgenommen, um 1900 keine systematisch-professionelle Nachwuchsförderung für das Schauspiel gab. Es ist wohl kein Zufall, dass die ersten Spielfilme des Balkans in diesen beiden Ländern gedreht wurden. Die Aufgabe dieses Unterabschnitts war es, die Aneignung der visuellen Moderne in jenen Sektoren zu untersuchen, die sich öffentlicher Förderung bzw. Aufträge erfreuten. Für alle hier besprochenen Genres gilt, dass sie eine unterschiedlich stark ausgeprägte Tendenz zur nationalen Aneignung der visuellen Moderne zeigten. Diese Aneignungsphase war in der Frühphase von ausländischen Akteuren geprägt, da es an eigenen Fachkräften mangelte. Diese zeichneten auch Modi der nationalen Aneignung vor, die sich verstärkten, als die jeweils erste Generation an öffentlichen Stipendiaten von den ausländischen Universitäten und Akademien zurückkehrte. Dieser nationale Transfer- und Aneignungsmodus stellt zwar eine wichtige, allerdings nicht die alleinige Tendenz dar. In der Zwischenkriegszeit gingen wichtige internationale Impulse aus osteuropäischen Ländern aus: Dada kam aus Bukarest, der Konstruktivismus aus Moskau und der Suprematismus aus dem weißrussischen Witebsk (Dmitrieva-Einhorn 2005, 282). Anders war die Ausgangslage für die Übernahme des mechanisch reproduzierbaren Bildes in Gestalt der Fotografie, denn sie war von vornherein kommerziell ausgerichtet und besaß das Potenzial zum visuellen Massenmedium. Als solches stellte sie eine größere Herausforderung für die Religionen dar als die Bilder einer Ausstellung. Das apparaturmäßig hergestellte Bild drängte zur Hegemonie und somit auch zur Globalisierung der individuellen und kollektiven Blick- und Sehreservoirs. Die Fotografie – hegemoniale visuelle Moderne

1839 präsentierte der französische Maler Louis Daguerre Mitgliedern der französischen Akademie der Wissenschaften das erste kommerziell verwertbare fotografische Verfahren. Mit der von ihm entwickelten Kamera konnte man allerdings nur Positivbilder, also Unikate, erzeugen. Mit diesem Verfahren hätte die Fotografie schwerlich zum Massenmedium aufsteigen können. Dafür sorgte der Brite William Talbot, der sich 1841 das von ihm entwickelte Negativ-Positiv-Verfahren pa-

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tentieren ließ. Auf der Grundlage eines Negativs konnte man nun zahllose Positivbilder erzeugen. Um 1860 war die technische Entwicklung so weit gediehen, dass sie die Daguerreotypie ablöste. In den ersten Jahrzehnten der Fotografie wurden auf dieser Grundlage zahlreiche Verfahren praktiziert, Kameras gebaut und Formate ausprobiert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich bereits bestimmte Standardformate und -verfahren international durchgesetzt; unter den Kameraherstellern trat ein Verdrängungswettbewerb ein, den nur die großen überlebten. Eine Zäsur bedeutete der Rollfilm der Kodak-Kameras ab den 1880er-Jahren, der Kodak eine marktbeherrschende Stellung sicherte – ähnlich wie Hollywood im Filmgeschäft wenige Jahrzehnte später. Der anfängliche Transfer der Porträtfotografie in die Städte der Balkanländer erfolgte analog zu den bereits besprochenen Visualisierungssparten in erster Linie durch Ausländer und in Städten. Für die arme Landbevölkerung war unabhängig davon, ob sie überhaupt davon Gebrauch machen wollte, das fotografische Verfahren noch viel zu teuer. Wanderfotografen aus der Donaumonarchie, Deutschland, Frankreich und Italien brachten die Stadtbevölkerung mit der Fotografie in Berührung und fotografierten in Hotels und Kaffeehäusern. Anfänglich waren ihre Besuche spärlich und das Interesse gering, sodass manche nach kurzem Aufenthalt nicht wiederkehrten. Da sie ihre Anwesenheit in Zeitungen ankündigten, lassen sich ihre Besuche mit wenig Aufwand rekonstruieren. Die ersten Daguerre-Fotografen, die in der Stadt ankamen, hatten interessanterweise zum Großteil jüdischen Hintergrund (Boev 1983, 13; Todić 1993, 18–21; Malić 2006, 118–120). Der erste Wanderfotograf, der Belgrad aufsuchte, war im August 1844 Josif Kappileri. Er war erst der dritte Fotograf in der Stadt. Vor ihm kamen der in Zagreb geborene serbische Händler Dimitrije Novaković, der bereits 1840 eine Daguerre-­ Kamera erworben hatte, und Anastas Jovanović, der im Herbst desselben Jahres Fürst Mihailo, die Fürstin Ljubica und hohe Militärs fotografiert hatte. Jovanović war der erste Serbe, der sich professionell mit der Fotografie beschäftigte. Er hatte sich in Wien, wo er im Rahmen eines Auslandsstipendiums der serbischen Regierung weilte, mit der fotografischen Technik vertraut gemacht (Malić 2006, 120–122). Der erste Wanderfotograf in den bulgarischen Gebieten, Elias Armin aus Budapest, nahm im Jahr 1851 Bilder in Šumen und später in Plovdiv auf (Boev 1983, 13). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war es in Europa Usus geworden, dass Fotografen zeitweilig ein Atelier in einer ausländischen Stadt eröffneten; so etwa François Bayer in den bulgarischen Städten Russe und Šumen. Der Wiener Fotograf Samuel Göltsch unterhielt ebenfalls in diesen beiden Städten zeitweise ein Atelier (Ebenda, 13). Auch in Belgrad hielten sich Wanderfotografen nun bereits länger auf. Carl von Pállfy fotografierte hier von August bis November 1856, und auch der Ös-

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terreicher Nicolaus Stockmann, Maler und Fotograf, hielt sich Ende 1858 erstmals einige Monate in Belgrad auf (Todić 1993, 18–21). In den von den Osmanen beherrschten, vorwiegend muslimischen Gebieten wie Bosnien oder Kosovo scheinen Wanderfotografen nicht vor den 1870er-Jahren tätig geworden zu sein, in serbischen Städten unter osmanischer Herrschaft wie Niš, ­Leskovac, Vranje oder Pirot allerdings bereits in den 1860er-Jahren (Malić 2006, 118). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die meisten Städte bereits mit Fotoateliers ausreichend versorgt, und nebenberufliche Wanderfotografen wichen auf das Land aus, wo gegen Ende des Jahrhunderts Nachfrage nach Fotos entstand. Sie waren auf Versammlungen jeglicher Art, an Festtagen und auf Jahrmärkten zugegen. Um Menschen für ein Foto zu gewinnen, brachten sie etwa Stoffbären und -hirsche mit, die mit auf das Bild kamen. Darüber hinaus wendeten sie zahlreiche weiterer Tricks an, um Menschen dazu zu bewegen, Geld für eine Fotografie auszugeben (Boev 1978, 166). Das Geschäft mit der Fotografie verlief also zäh, was auch mit den hohen Preisen zu tun hatte. Der erwähnte Wanderfotograf Josif Kappileri, der 1844 in Belgrad arbeitete, verlangte für ein Porträtfoto fünf Silberforints. Diese Summe war etwas höher als der Preis für zwei Ochsen, entsprach 72 Kilo weißem Brot oder etwa der Rechnung nach einer einmonatigen Ausspeisung im Jelena, dem besten Restaurant der Stadt (Debeljković 1977a). Ursprünglich wurde die Fotografie daher mit Recht als Luxus erachtet. Nur reiche Kaufleute, hohe Militärs und Staatsbeamte konnten sich ein Foto von sich leisten. Ende des 19. Jahrhunderts tauchten in den reichen Schichten die ersten luxuriösen, sehr großen und mit Samt bezogenen Familienfotoalben auf. Allmählich ging die Fotografie auf die unteren Mittelschichten über – auf Handwerker, Lehrer, Unteroffiziere und Beamte. Hatte ein Daguerre-Foto in Belgrad 1844 noch fünf Silberforints gekostet (= 60 Groschen), kostete ein Porträtfoto im Atelier von Anastas Karastojanov, auf den ich noch zurückkommen werde, zu Beginn der 1870er-Jahre nur mehr vier Groschen (im Visitenkartenformat allerdings noch immer 48 Groschen). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die angesehensten Studios bereits mit großen Kleidergarderoben für ihre Kundschaft ausgerüstet. Junge städtische Frauen bevorzugten Nationaltracht, junge Männer Zylinder, weiße Handschuhe und einen eleganten Spazierstock (Boev 1978, 69, 167). Wie reagierte die orthodoxe Kirche auf die Fotografie? Zu dieser Frage gibt es kaum einschlägige Forschung – möglicherweise auch deshalb, weil das Verhältnis unproblematisch war. Wie bereits ausgeführt, hatte sie kaum theologische Bedenken gegen das fotografische Bild. Das Problem war eher ein ideologisches. Mit aus dem westkirchlichen Bereich kommenden Innovationen taten sich die orthodoxen Nationalkirchen grundsätzlich schwer. Daher gab es auch orthodoxe Stimmen ge-

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gen die Fotografie. So sprachen sich einige bulgarische Priester der 1870 unabhängig gewordenen bulgarischen Kirche gegen die Fotografie aus. Nur die Hand des Ikonenmalers dürfe Bilder schaffen; alles andere sei ein Werk des Satans. Von der Kanzel konnte man vielfach die Mahnung hören: Jeder, der oder die von sich eine Fotografie machen lässt, sei dem Tode geweiht und seine oder ihre Seele werde in die Hölle kommen. Nur von Gott und den Heiligen könne es ewige Bilder geben. Da konnte auch der katholische Bischof von Plovdiv nicht nachstehen und wies seine Gemeindemitglieder an, keine Fotos von sich machen zu lassen, weil dies gegen die Heilige Schrift verstoße. Abergläubische Menschen ließen sich einschüchtern. So gibt es etwa den kuriosen Fall des bekannten bulgarischen Baumeisters und Architekten Nikola Fičev, der Zeit seines Lebens kein Foto von sich anfertigen ließ. Das einzige Foto von ihm wurde auf seiner Beerdigung vor der Kirche, die er in Veliko Tărnovo errichten hatte lassen, im offenen Sarg aufgenommen (Boev 1978, 165). Die generelle Ablehnungsfront gegenüber der Fotografie war jedoch nicht durchzuhalten. Dies schaffte weder der Heilige Synod der russisch-orthodoxen noch jener der serbisch-orthodoxen Kirche. Die Fotografie wurde, und zwar als Reproduktion von Ikonen, trotz kirchlichen Widerstands auf dem ‚religiösen Markt‘ ab dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erfolgreich gehandelt (Emeliantseva 2009, 161–163). Auch auf Papier maschinell gedruckte Ikonen konnten millionenfach und billig hergestellt werden. Die Kirche verurteilte die ‚gefälschten‘ Ikonen scharf; solche westlichen Innovationen würden die künstlerischen und geistigen Grundlagen der orthodoxen Kirche zerstören. Richtige Ikonen könnten niemals massenhaft reproduziert werden, wie dies mit den Heiligenbildern in der katholischen Kirche der Fall war. Die Kopien einer Ikone könnten niemals zu heiligen Bildern werden und würden die orthodoxen Rituale verändern, da die Massenproduktion sich auf einige wenige, gut verkäufliche Ikonenheilige konzentrieren würde und daher viele Gläubige daran gehindert würden, ihre bevorzugten Heiligen zu verehren. Letztlich schlugen alle Versuche fehl, die maschinell hergestellten Ikonen zu verbieten (Nichols 1991, 135–143). In der Frage der massenhaften Reproduktion der Ikone ging es wohl eher um die Bewahrung einer Tradition und die kommerziellen Interessen von Ikonenmalern denn um Rechtgläubigkeit, da Ikonen immer als eine Reproduktion des Urbildes gesehen wurden. Es spielte keine Rolle, um welche Art der Reproduktion es sich handelte, denn ohne bischöflichen Segen konnte ein Bild ohnedies nicht zur heilspendenden Ikone werden. Was die Frage anlangt, ob eine Fotografie eine Ikone sein kann, so sagen die religiösen Schriften nicht, dass eine Ikone gemalt sein muss. Heutzutage etwa verehren die Menschen in Serbien Fotografien ihres Patriarchen Pavle (Makuljević 2015).

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Interessanterweise zählten neben Malern Ikonenmaler und Mönche zu den wichtigsten einheimischen Pionieren der Fotografie, was darauf hinweist, dass keine unüberwindbare Kluft zwischen Orthodoxie und der Fotografie bestand. Die folgenden Beispiele sollen den Umstand dokumentieren, dass Maler und mönchische Ikonenmaler zu den wichtigsten Protagonisten der heimischen Fotografie gehörten. Filippos Margaritis gilt als der erste griechische Berufsfotograf. Sein Bruder Georgios und er gelten darüber hinaus als die ersten Künstler, die sich auf westliche Art auszudrücken in der Lage waren. Er hatte in Paris Malerei studiert, eröffnete 1837 zusammen mit seinem Bruder ein Atelier in Athen und lehrte ab 1843 an der Akademie für Bildende Künste, wo er Studenten ab etwa 1848 auch in der Fotografie unterwies. Margaritis arbeitete vorerst nur zeitweise als Fotograf in ihrem Malatelier, richtete jedoch in den frühen 1850er-Jahren in seinem Haus ein Fotoatelier ein. Er war mit König Otto befreundet und dürfte einige Daguerreotypien von ihm und seiner Frau Amalie angefertigt haben (Xanthakis 1988, 35–41). Der italienische Maler Pietro Marubi gilt als Fotopionier Albaniens und war Begründer einer Fotografendynastie13, die bis zum Zweiten Weltkrieg aktiv war. In Italien hatte er Garibaldi unterstützt und musste nach einem Anschlag, den er zusammen mit einem Freund verübt hatte, aus seiner Heimatstadt Piacenza flüchten und das Land verlassen. Um 1850 ließ er sich im nordalbanischen Shkodra nieder, wo er mit seinen mitgebrachten Kameras Foto Marubi gründete. Die ältesten erhaltenen Fotos stammen aus den Jahren 1858/59. Er wurde von Kel Kodheli assistiert, der nach dem Tod Pietros das Atelier übernahm und seinen Familienamen auf Marubi änderte. Kels Sohn Gegë erhielt 1923–1927 in Lyon an der Foto- und Filmschule, die von den Brüdern Lumière gegründet worden war, seine Ausbildung und arbeitete bis 1940 als professioneller Fotograf (Elsie 2007, 9–10). Der bereits erwähnte Anastas Jovanović gilt als serbischer Fotopionier. In Vraca (Bulgarien) geboren, wuchs er bei einer Verwandten in Belgrad auf. 1832 begann er als Schriftsetzer in der serbischen Staatsdruckerei zu arbeiten. In der Freizeit beschäftigte er sich mit Stempelgravuren. 1838 erhielt er von Fürst Miloš Obrenović ein mehrjähriges Auslandsstipendium für die Ausbildung zum Maler an der Wiener Kunstakademie zugesprochen. In Wien kam er mit der Fotografie in Kontakt und konnte durch die finanzielle Unterstützung des serbischen Fürsten seine erste Kamera, eine Voigtländer, erwerben. In Belgrad fertigte er im Oktober 1841 ein erstes Foto von Fürst Mihailo Obrenović und zehn Jahre später, 1851, vom montenegrinischen Herrscher Petar Petrović Njegoš an. 1858 bestellte ihn Fürst Mihailo zum Hofbeamten in Belgrad. Nach der Ermordung des Fürsten 13

In der Fototeka Marubi sind über 150.000 Glasplatten und Fotos aufbewahrt.

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1868 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück (Debeljković 1977; Marković 1991, 25–26). Anastas Karastojanov, der bulgarische Fotopionier, arbeitete als Drucker, Buchverleger und grafischer Künstler, bevor er sich mit der Fotografie zu beschäftigen begann. Sein Vater Nikola stammte aus Samokov, wo es seit dem beginnenden 19. Jahrhundert eine bedeutende Ikonenmalschule gab. Der Lehrer, Buchdrucker und -verleger gründete hier die erste bulgarische Druckerei. 1862 ging Anastas nach Belgrad und Budapest, um für die Druckerei seines Vaters Material einzukaufen. Auf seiner Rückkehr nach Bulgarien geriet er in einen Aufstand und verlor alles, was er mit sich führte. Aufgrund der unsicheren Situation blieb er in Belgrad hängen, wo er Anastas Jovanović traf, der ihn in die Fotografie einweihte. Schon im Folgejahr eröffnete er ein Studio und wurde sogar zum serbischen Hoffotografen ernannt. Als 1877 der russisch-osmanische Krieg auf bulgarischem Territorium ausgetragen wurde, verließ er Belgrad, um im Krieg zu fotografieren. Danach ging er nach Sofia und gründete dort ein großes Fotostudio. Seine Söhne Ivan und Dimiter setzten die Arbeit ihres Vaters fort und galten für viele Jahre als die besten Fotografen Bulgariens (Boev 1978, 160–161). In Bulgarien waren aber vermutlich Mönche die ersten einheimischen Fotografen. Einer von ihnen war ein gewisser Hrisan Rašov aus Kazanlăk, der auf einem theologischen Seminar in Russland ausgebildet worden war, wo er auch lernte, mit der Kamera umzugehen. Zurückgekehrt, wurde er um 1870 Abt eines Klosters und Fotograf in Kazanlăk sowie in den umliegenden Dörfern (Ebenda, 156–158). Ein bekanntes Beispiel eines Ikonenmalers, der zum Fotografen wurde, ist Georgi Dančov. Er wurde 1846 in Čirpan (im Südosten Bulgariens) geboren und begann in jugendlichen Jahren als Ikonenmaler in einem Kloster nahe Assenovgrad in den Rhodopen zu arbeiten. 1865 ging er nach Istanbul, wo er im Fotostudio eines Armeniers arbeitete. Im Jahr darauf erwarb er eine Kamera und eröffnete ein Fotostudio in seiner Geburtsstadt. Er gehört zu den ersten Fotografen, die Bilder in ethnografischer Absicht aufnahmen (Ebenda, 163). Auch in Makedonien zählen Ikonenmaler zu den ersten Fotografen. Der früheste dokumentarische Hinweis stammt aus dem Jahr 1855, als in der Stadt Veles Koste Kristev als „Ikonenmaler und Fotograf“ auf der Rückseite einer Ikone zeichnete. In diese Reihe gehört auch ein gewisser Gjorgji Zagrafski, der den Umgang mit der Fotografie 1889 in Sofia erlernte und 1903 in seinem Wohnhaus in Veles ein Fotoatelier einrichtete ( Jankuloski 2007, 19–21). Die Faszination, die Fotografien auf Ikonenmaler ausübten, ist auffallend. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Einer könnte die durch das Aufkommen des mechanisch-reproduzierbaren Ikonenbildes veränderte Marktsituation ge-

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wesen sein, die den Absatz von Originalen schrumpfen ließ. Sie fotografierten ihre Ikonen, vervielfältigten sie, verkauften sie wesentlich billiger als das Original und erzielten dadurch höhere Umsätze. Es mussten jedenfalls kommerzielle Überlegungen mit im Spiel gewesen sein, denn der Kauf einer Fotokamera stellte eine teure Investition dar. Trotz dieser Beispiele wurde das kommerzielle Gewerbe der Fotografie in der Anfangsphase nicht von in-, sondern von ausländischen Fotografen beherrscht. In Griechenland waren es einzelne italienische und bayrische Fotografen, die sich länger im Land aufhielten oder sich sogar niederließen und einheimische Fotografen ausbildeten. Dazu zählte etwa der in Ferrara geborene Augusto Colla, der ähnlich wie Marubi 1845 Italien aus politischen Gründen hatte verlassen müssen und sich auf Korfu niederließ. Er hatte Malerei in Bologna studiert und begann sich gleichzeitig für die Fotografie zu interessieren. 1869 durfte er die Taufe des zweiten Sohns des griechischen Königs Georg I. fotografieren und wurde anschließend zum Hof­ fotografen ernannt. Einige Jahre später ließ er sich in Lavrio (Attika) nieder und eröffnete dort ein Studio, in dem auch sein Sohn arbeitete (Xanthakis 1988, 23, 45–66). Die Fotografie konnte sich in Griechenland nur bescheiden entfalten. Das griechische Handelsverzeichnis des Jahres 1875 erwähnt 16 Fotografen in verschiedenen Teilen Griechenlands14, jenes für das Jahr 1891 immerhin bereits 2715. Wie viele davon Ausländer und Inländer waren, ist anhand der Literatur nicht zu eruieren, jedoch dürfte der Ausländeranteil wohl überwogen haben. Auf dem Gebiet der heutigen Republik Makedonien, das bis 1912 unter osmanischer Herrschaft stand, gab es erst in den 1880er-Jahren Fotoateliers in den größeren Städten, allen voran die bestentwickelte Stadt Bitola, wo die Brüder Jane und Nikola Capevi nach ihrer Rückkehr aus Amerika, wo sie das fotografische Handwerk erlernt hatten, 1887 ein Atelier eröffneten. In den 1890er-Jahren wurden zumindest drei weitere Studios eröffnet, bis schließlich 1905 die Brüder Manaki ihr bekanntes Fotostudio etablierten ( Jankuloski 2007, 21–26). Janaki und Milton Manaki wurden im heute griechischen Avdela nahe Grevena geboren und waren vlachischer bzw. aromunischer Abstammung. Janaki absolvierte das rumänische Lyzeum in der osmanisch-griechischen Stadt Ioannina, war dort anschließend als Lehrer tätig und eröffnete 1898 zusammen mit seinem Bruder ein Fotostudio, das sie nach ihrer Übersiedlung nach Bitola ab 1905 als Studio für Kunst14 15

Davon waren neun in Athen, fünf auf Syros, einer in Argostoli (Kephallonia) und einer in Piräus tätig. Davon elf in Athen, fünf in Patras, vier in Piräus, zwei auf Korfu und jeweils einer in Tripoli, Volos und Larisa.

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fotografie weiterführten. Sie waren enorm produktiv und hinterließen einen Schatz von 18.513 Fotografien16 (Elsie 2007, 11; Stardelov 2007, 143–144). Milton, auf den ich noch zurückzukommen werde, konzentrierte sich ab 1905 auf das Erstellen ethnografischer Filme. Ähnlich wie Janaki, der hauptberuflich als Lehrer tätig war, waren die meisten makedonischen Fotografen dieser Zeit nur nebenbei als solche tätig, da das Fotogeschäft zu wenig abwarf ( Jankuloski 2007, 30). Die empirischen Daten aus Bitola und Belgrad zeigen enorme zeitliche Unterschiede in der Adoption der Fotografie, denn in Belgrad wurde bereits 1860 das erste Fotostudio von Florian Gantenbein, einem Schweizer mit jüdischem Hintergrund, eröffnet, der dieses bis in die 1880er-Jahre betrieb.17 Nicht viel später eröffnete Ana Feldman aus Wien ein Studio (Marković 1991, 30–33; Malić 2006, 126). Feldman war die erste weibliche Fotografin Serbiens und wurde um 1843 möglicherweise sogar in Belgrad geboren. Bereits in jungen Jahren kam sie mit der Fotografie in Berührung. Ab 1862 hielt sie sich in Wien auf, wo sie bis 1865 in Fotostudios arbeitete. Mit Apparaten und Chemikalien ausgerüstet kehrte sie nach Belgrad zurück, wo sie zu Dumpingpreisen fotografierte. Wahrscheinlich war sie dazu gezwungen, um als berufstätige Frau in einem Männermetier bestehen zu können. 1866 kamen Gerüchte auf, dass sie eine Spionin sei, und im Herbst dieses Jahres packte sie ihre Koffer, um nach Wien zurückzukehren. Ende der 1870er-Jahre verliert sich ihre Spur (Malić 2006, 126–129). Nach zeitgenössischer Ansicht war Fotografieren kein weiblicher Beruf. Frauen tauchen im Allgemeinen erst Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zumeist als Ehefrauen von Fotografen auf, die ihren Männern zur Hand gingen oder das Fotoatelier des verstorbenen Ehemanns übernahmen (Boev 1978, 161, 166). Interessant ist der hohe Anteil an Fotografen (und der Fotografin Ana Feldman) mit jüdischem Hintergrund in der frühen Belgrader Fotografie. Die Anfänge der jüdischen Fotografie werden üblicherweise erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts datiert und in den Zusammenhang mit der zionistischen Bewegung gestellt (etwa Perez 1988, 74–80; Silver-Brody 1998, 13–17, 28–36; Vavpotic 2008, 73; Hilbrenner 2009, 173). Diese Auffassung muss mit Blick auf die Forschungsergebnisse des serbischen Fotohistorikers Malić (2006) revidiert werden. Er identifizierte außerdem eine Reihe von Fotografen mit jüdischem Hintergrund in der serbischen Provinz sowie vermögendere Juden als Amateurfotografen (Ebenda, 133–140, 159). Was die weitere Entwicklung in Belgrad anlangt, so wurden noch in den 1860erJahren die meisten Fotoateliers von Ausländern geführt; Ende der 1870er-Jahre war 16 17

7.715 Glasplatten, 2.087 Filme und 8.711 Rollfilme. Ein bis zwei Jahre später folgten Richard Musil & Mirić, Hristić & Knirsch sowie Anastas Karastojanov.

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der Anteil Einheimischer bereits bedeutend höher (Ebenda, 129–130). Zwischen 1860 und 1900 waren in Belgrad etwa 40 Ateliers und in der Provinz noch weitere 60 Studios registriert. Dies mag auf den ersten Blick viel erscheinen; es handelt sich allerdings um einen recht langen Zeitraum von vier Jahrzehnten, und viele Studios wiesen lediglich eine kurze Betriebsdauer auf (Ebenda, 132). Darauf lässt auch die Statistik für das Jahr 1914 schließen, als in Serbien lediglich 47 Fotostudios, davon 13 in Belgrad, existierten. Der Rest war über Städte und Märkte im ganzen Land verstreut (FotoMuzej 2012). Aufschlussreich sind auch Zahlen, die für Bulgarien vorliegen. Die ersten Fotostudios wurden bald nach Beendigung des Krimkriegs eingerichtet. Deutsche, österreichische und ungarische Fotografen unterhielten Studios in Städten entlang der Donau. In Schwarzmeerstädten wie Varna und Burgas sowie in Plovdiv im Süden waren die Fotografen hauptsächlich Griechen und Armenier, in Russe Deutsche, und in Tărnovo war der erste Fotograf ein Rumäne. Bis 1878 gab es allerdings nicht mehr als etwa 25 Fotostudios. Zwischen 1893 und 1909 waren 142 Fotografen offiziell registriert. Von diesen waren 84 Bulgaren, die anderen Griechen, Armenier, Rumänen, Deutsche und Österreicher (Botev 1978, 156–158). Nach Sarajevo waren bis zur Okkupation des Landes durch Österreich-Ungarn lediglich Wanderfotografen gekommen. Unmittelbar danach, Ende 1878, eröffnete Anton Schädler, einer der besten Fotografen Wiens, das erste Fotostudio in der Hauptstadt, das er bis 1912 betrieb. In Mostar nahm der Wiener Fotograf Franz Thiard de Laforest, der auch in Kotor wirkte, seine Tätigkeit auf; seine frühesten Fotos datieren aus dem Jahr 1883. Die ersten Studios von einheimischen serbischen und kroatischen Fotografen entstanden erst um 1900. Sie erlernten das Handwerk bei den ausländischen Fotografen im Land (Marušić 2002, 40, 45–51, 95–101, 105–106). Einzig die rumänische Fotogeschichte scheint mit einem einheimischen Fotografen begonnen zu haben, nämlich mit dem Maler, Lithografen und Fotografen Carol Popp de Szathmary. Der in Cluj, in Siebenbürgen, geborene Adelsspross ließ sich 1843 in Bukarest nieder, wo er um 1850 mit der Fotografie zu experimentieren begann. Er wird als Europas erster Kriegsfotograf erachtet, da er im ersten Jahr des Krimkrieges (1853–1856) noch vor dem Briten Roger Fenton auf den Schlachtfeldern fotografierte. Auf der Pariser Weltausstellung von 1855 wurden etwa 200 seiner Kriegsbilder gezeigt. Der erste lizenzierte Fotograf Rumäniens stellte auch auf der Weltausstellung in Wien (1873) aus. Als 1877 die rumänische Armee gegen das Osmanische Reich in den Krieg zog, war er als Fotograf dabei (Ionescu o. J. u. S.; Ionescu 2010, 63–73). Diese empirischen Daten lassen meiner Meinung nach folgenden Befund zu: Die Etablierung von permanenten Fotostudios setzte außerhalb des direkten os-

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manischen Herrschaftsbereichs um 1860 ein, unter direkter Kontrolle der osmanischen Verwaltung, wie etwa in Makedonien, jedoch erst drei bis vier Jahrzehnte später. Istanbul ist von dieser Beobachtung ausgenommen, doch dazu weiter unten. Das reformierte Judentum hatte offenbar keine Vorbehalte gegenüber der Fotografie. Jene des Islam waren gravierender; doch auch dazu weiter unten. In der ersten Generation an Fotografen scheinen Ausländer überwogen zu haben; sie bildeten vielfach Einheimische aus. Die Zahl der Fotoateliers, die in zunehmendem Maß von Inländern betrieben wurde, stieg bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs zwar an, allerdings scheint die Fotografie schon aus finanziellen Gründen noch kein Thema für die Masse der bäuerlichen Bevölkerung gewesen zu sein. Diese Beobachtungen über die Berufsfotografie lassen sich auch auf die Amateurfotografie übertragen. Ihre zögerliche Entwicklung hatte nicht nur finanzielle Gründe, sondern auch technische. Bis zur stärkeren Verbreitung der Rollfilmkamera in den 1890er-Jahren war die Filmausarbeitung schwierig und erforderte umfassendes Fachwissen. 1897 wurde die Bulgarische Foto-Amateur-Gesellschaft gegründet, der bekannte Wissenschaftler und Männer des öffentlichen Lebens angehörten (Boev 1978, 170). In Serbien gab es in den 1890er-und 1900er-Jahren nur etwa 140 Fotoamateure, die meisten davon in Belgrad. Es handelte sich auch hier um hochgestellte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Im März 1911 begann der Klub der serbischen Fotoamateure mit der Herausgabe des Fotografski pregled (Fotografische Rundschau) (Debeljković 2001). Abschließend kann festgestellt werden, dass es also eine dünne urbane Schicht war, die bis zum Ausbruch des Ersten Balkankriegs mit der Fotografie in Kommunikations- und Aushandlungsprozesse trat – etwa, wenn es darum ging, ein Porträtfoto von sich anfertigen zu lassen. Die visuelle Moderne in Gestalt der Fotografie vermochte die sozialen Eliten in den Städten zu erfassen, die Landbevölkerung hingegen kaum. Der Charakter einer populären Massenkultur kam ihr bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts nicht zu. Bis dahin konnte die Fotografie in Kombination mit dem aufkommenden Aktualitätenkino nur in Ausnahmesituationen, wie Kriege sie darstellten, ihren relativ eng gesteckten Rahmen übertreten. Die bisherigen Ausführungen beschränkten sich im Wesentlichen auf Ausländer und auf die christlichen sowie jüdischen Bevölkerungsteile der Balkanländer. Die Frage, ob und wie sich der Islam den Herausforderungen der visuellen Moderne stellte, blieb bislang ausgeklammert.

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Islamische visuelle Kultur und visuelle Moderne waren schwer in Einklang zu bringen. Daher war der kulturspezifische Transfermodus, insofern es um die Masse der Bevölkerung18 geht, bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts stärker von Zurückweisung als von Akzeptanz geprägt. Spiegelverkehrtes gilt für die säkularen Eliten. Zwischen der muslimischen visuellen Kultur des Osmanischen Reichs und der visuellen Moderne gab es nur wenige Verknüpfungszonen. An diesen war die dünne Schicht der säkularen Elite in ihrer Mittlerfunktion anzutreffen. Wenn wir mit der Malerei beginnen, so gab es nur wenige Schlupflöcher für die Weiterentwicklung osmanischer visueller Traditionen in Richtung Moderne. Weder die Kalligrafie noch die zweidimensionale Buchmalerei, die darauf Wert legte, keine konkreten Personen abzubilden, konnte in westliche Malkonventionen eingepasst werden (Shaw 2011, 11–16). Vor allem die Perspektive, die in islamischer Tradition überhaupt keine Rolle spielte, machte in technischer Hinsicht zu schaffen; die Herstellung von Ganzkörperporträts stellte aus religiösen Gründen ein schwerwiegendes Problem dar; Landschaftsdarstellungen waren unproblematisch. Eine nicht unerhebliche Vermittlungsrolle zwischen westlichen und muslimischen visuellen Traditionen spielten Griechen und Armenier des Reichs. Sie hatten die säkulare Malerei bereits früher übernommen als muslimische Künstler, da sie bereits ab dem 18. Jahrhundert engeren Kontakt mit dem Westen hatten. Christliche Osmanen teilten jene Vorbehalte nicht, die die Adoption westlicher Kunst für Muslime komplizierte. Sie übernahmen früh die Ölmalerei und trugen erheblich zur Etablierung einer osmanischen modernen Kunst bei, da sie die Mehrheit der Studenten an Kunstakademien, der Kunstlehrer und ausstellenden Künstler bildeten. Armenier waren die ersten, die, unterstützt durch staatliche Stipendien, an ausländischen Kunstakademien studierten (Ebenda, 37–38). Einen zweiten Kanal der Übernahme westlicher Kunsttechniken stellten die ab 1785 gegründeten Militärschulen dar. 1834 wurde die Istanbuler Militärakademie gegründet, die ihre Schüler zur Absolvierung von Zeichenkursen verpflichtete. Die erste westlich orientierte Malergeneration arbeitete für den Hof. Während in den meis18

Den genauen muslimischen Bevölkerungsanteil in den Balkanländern um 1900 zu eruieren, ist infolge von Migration, Verfolgung und Vertreibung, die in dieser Zeit zuhauf stattfanden, nicht möglich. Es könnte sich jedoch in etwa um die 15 Millionen Menschen gehandelt haben; davon ungefähr zwölf Millionen auf dem Boden der heutigen Türkei. Für die Zwischenkriegszeit können folgende muslimische Anteile an der jeweiligen Gesamtbevölkerung als Orientierung dienen: Albanien 70, Bulgarien 14, Jugoslawien elf, Griechenland zwei und Rumänien ein Prozent (Stuch 1999, 497).

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ten Schulen das Zeichnen verboten war, gehörte dieser Gegenstand zum Curriculum der modernen militärischen Elementarausbildung. Nach mehrjährigem Kopieren geometrischer Zeichnungen begannen die Schüler, Blumen, Tiere, Menschen und Landschaften von lithografischen Vorlagen zu kopieren. Aquarellieren und Ölmalerei wurden nur an ausgewählten Sekundarschulen angeboten, wo die besten osmanischen Künstler unterrichteten (Naef; Seiler 2007, 86–93; Shaw 2011, 31). Die Perspektive kam schließlich über einen weiteren Weg in die Malerei, nämlich über eine Weiterentwicklung der bestehenden Wandgemäldetradition. Die osmanische Elite wurde zunehmend mit der westlichen Bildsprache vertraut, die sich zuerst auf den Palastwänden, bald auch in den Häusern der Elite und selbst in Moscheen fand. Zu Beginn der Regierung Abdülhamid I. waren Wandgemälde noch auf die Darstellung von Früchten und Blumen begrenzt; am Ende seiner Regierung waren bereits Landschaftsdarstellungen üblich. Unter seinem Nachfolger Selim III. waren Landschaftsdarstellungen bereits in Privatresidenzen und Moscheen verbreitet. So wurden die Menschen mit der abgebildeten Natur ebenso vertraut wie mit der Raumperspektive. Was sie vom westlichen Gegenstück noch unterschied, war das Fehlen von Menschen in den Landschaften (Shaw 2011, 11–16). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten erste Gemäldeausstellungen organisiert werden, und 1883 wurde die Akademie der Bildenden Künste mit Abteilungen für Architektur, Malerei, Skulptur und Kalligrafie gegründet. Mit dem Akademiegründer Osman Hamdi Bey spielte sie eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Bildenden Künste. Hamdi Bey war in Paris ausgebildet worden, wurde auch Direktor des Kaiserlichen Museums (1891) und verbreitete das einen deutlichen Bruch mit lokalen Traditionen darstellende westliche Kunstverständnis in der osmanischen Elite (Ebenda, 126–133; Rüçhan 1985, 696–697). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Istanbuler Bürgertum durch die steigende Zahl an gedruckten Bildern und Fotografien bereits mit moderner visueller Repräsentation vertraut. Die Erziehung über und durch das Bild wurde nicht mehr als Bedrohung der Religion erachtet. Im Rahmen privater Ausstellungen wurden gelegentlich Gemälde verkauft, und große öffentliche Ausstellungen begannen die privaten zu ergänzen. 1901 etwa wurde eine professionelle Ausstellung in Pera organisiert, an der erstmals auch muslimische Künstler teilnahmen. Die meisten von ihnen waren in Istanbul geboren und an der Akademie der Bildenden Künste ausgebildet worden (Shaw 2011, 100–116). Monumentalkunst im öffentlichen Raum konnte sich allerdings im Osmanischen Reich nicht durchsetzen, auch nicht in Pera. Der einzige Bildhauer im Land zur Zeit der Gründung der Akademie war Yervant Osgan, der seine Ausbildung in Rom erhalten hatte; sein Student İhsan Özsoy setzte seine Ausbildung in Paris fort (Erbil

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1986, 136). Wenige nichtfigurale, thematische Denkmäler, wie etwa jenes, das an den russisch-osmanischen Freundschaftsvertrag von Hünkâr İskelesi (1833)19 erinnern sollte, wurden außerhalb des Stadtzentrums, in diesem Fall in Beykoz am Bosporus, aufgestellt (Kreiser 1997, 104). In der Regierung Sultan Abdülhamid II. wurde der öffentliche Raum in allen Provinzen mit Brunnen und Uhrtürmen geschmückt, als Zeichen der Loyalität der Provinzgouverneure und -notablen gegenüber der Hohen Pforte. Eine ganze Serie wurde anlässlich des 25-jährigen Regierungsjubiläums im Jahr 1901 errichtet, vermied jedoch weiterhin figurale Darstellungen (Kreiser 2002, 43). Interessanterweise gab Sultan Abdülaziz, der sein Porträt auf der Pariser Weltausstellung von 1867 ausstellen hatte lassen (Roberts 2002, 192), die Anfertigung einer Büste und einer Reiterstatue bei dem britischen Bildhauer Charles Fuller in Auftrag. Die Reiterstatue wurde 1871/72 in Florenz und München angefertigt und dann nach Istanbul verschifft, jedoch nie öffentlich aufgestellt (Kreiser 1997, 108–109). Was die Architektur anlangt, so ist ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Tendenz zur Amalgamierung von westlicher Moderne und osmanischen Traditionen festzustellen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer radikalen Modernisierung und Europäisierung der osmanischen Architektur- und Ingenieurausbildung. Die Akademie der Bildenden Künste umfasste auch eine Architekturabteilung. Ein Jahr nach der Akademiegründung wurde eine Ausbildungsstätte für das Ingenieurwesen geschaffen, in der auch Architektur unterrichtet wurde (Çelik 1986, 152–153; Bozdoğan 2001, 28–29). Diese Amalgamierungsarchitektur, auch Wiedererweckungsarchitektur genannt, kombinierte formale Elemente und dekorative Motive der klassischen osmanischen Architektur mit westlichen Gebäudetypen, Gestaltungsprinzipien und Konstruktionstechniken. Dies kann als Versuch gewertet werden, die osmanische Architektur zu modernisieren – allerdings eine spezifische osmanisch-islamische Identität reflektierend. Diese Architektur stellte das erste umfassende Programm, die klassische osmanische Architektur als ‚nationalen Stil‘ eines modernen Staats zu rekonzeptualisieren, dar. Dieser Stil wurde für öffentliche Gebäude (Banken, Behörden, Bibliotheken, Kinos und Schulen) in Istanbul und anderen größeren Städten angewendet (Bozdoğan 2007, 113–121). Ähnlich wie im Fall der christlichen Balkanstaaten auch, wurde die osmanische Wiedererweckungsarchitektur von westlichen Architekten erfunden. Für diese bestand der Wert islamischer Architektur in ihren dekorativen Fassadenelementen. Von den imposantesten Beispielen dieses Stils ist in erster Linie die Sirkeci-Eisen19

Der Friedensvertrag von Hünkâr İskelesi beendete den Kriegszustand zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, der seit dem Krieg von 1828/29 geherrscht hatte.

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bahnstation im europäischen Teil Istanbuls zu nennen. Sie wurde 1889 unter der Aufsicht des deutschen Architekten August Jachmund in einem orientalistischen Stil, der auf ägyptischen und maurischen Quellen beruhte, fertiggestellt und 1890 eröffnet. Jachmunds Ziel war ein zweifaches: ein passendes Symbol für die Endstation des Orientexpress zu finden und dieses an das urbane Antlitz des klassischen osmanischen Istanbul anzupassen. Seine Gestaltungsprinzipien erreichten das erste Ziel, nicht jedoch das zweite. Der Grund war, wie im Falle des bosnischen Landesstils auch, dass Jachmund sich der regionalen Unterschiede islamischer Architektur nicht bewusst war (Çelik 1986, 144–146). Dieser unachtsame Eklektizismus hatte durch die in der Reformzeit ab 1839 induzierte Öffnung des Reichs in Richtung Westen eingesetzt. Neben dem Import europäischer architektonischer Stile, insbesondere des Neubarocks und der Neugotik sowie des französischen Empire-Stils, wurden durch diesen Umstand auch viele nicht muslimische Architekten in der Stadt beschäftigt – Europäer, Levantiner, Armenier und Griechen. Sie kombinierten in eklektischer Weise europäische Stile mit dem mittelalterlich-islamischen und klassisch-osmanischen. Der monumentale Eingang der heutigen Istanbul-Universität wurde von der Bevölkerung anfänglich ebenso als fremd erachtet wie das Rathaus in Sarajevo (Bozdoğan 2007, 113–115; Hartmuth 2011, 96–97). Um solche Fehlinterpretationen in Zukunft zu verhindern, legten zwei junge und aufstrebende Architekten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Prinzipien der osmanischen Wiedererweckungsarchitektur fest – Vedat Bey (Mehmet Vedat Tek) und Mimar Kemalettin Bey (Ahmet Kemalettin), beide in Istanbul geboren und im Westen ausgebildet. Vedat Bey studierte an der École National des Beaux Arts in Paris. Nach seiner Rückkehr wurde er zum Chefarchitekten Istanbuls ernannt und lehrte an der Akademie der Bildenden Künste. Mimar Kemalettin Bey wurde an der Technischen Hochschule Charlottenburg in Berlin ausgebildet und anschließend Chefarchitekt im Kriegsministerium und im Ministerium für fromme Stiftungen (Yavus 1986, 268, 282–283). Was den Haus- und Wohnungsbau anlangt, so standen bereits um 1900 entlang der Hauptverkehrsadern von Pera, Taksim und Pangaltı große, luxuriöse Wohnhäuser. Für ärmere Schichten gab es allerdings zu wenig Angebot. Daher wurden von etwa 1875 bis 1910 billigere Reihenhäuser für niedrige Einkommensschichten wie Kleinhändler, Handwerker, Facharbeiter und kleine Beamte errichtet. Sie wurden alle in bescheidenen Nebenstraßen errichtet und wiesen einfache, symmetrische Fassaden mit klassischen Zierelementen auf (Çelik 1986, 135–139). Auf der Nordseite des Goldenen Horns wurden neue, weite Straßen angelegt, die zur Grundlage eines neuen und modernen Stadtbildes wurden. Das Nişantaşı-

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Viertel mit seinem rechtwinkeligen Straßengitter und seinen neoklassischen Hausfassaden, die ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstanden, ist ein gutes Beispiel dafür. Westlich von Pera nahmen auch die neu bebauten Hügel von Taksim und Maçka ein neoklassisches Gepräge an (Ebenda, 135–139). Dieser Teil Istanbuls war auch jener, in den ab der beginnenden Reformperiode das Theater westlichen Zuschnitts Einzug hielt. Die entstehenden Theaterbühnen unterhielten allerdings für viele Jahrzehnte nebst Ausländern ausschließlich die nicht muslimische Bevölkerung sowie säkulare Muslime; Gläubige besuchten das Theater nicht. Dies bedeutete auch, dass auf der Theaterbühne keine muslimischen Darsteller und schon gar keine Darstellerinnen auftreten durften. Die Adoption des westlichen Theaters im Osmanischen Reich war daher schwierig, langwierig und voller Konflikte. Da das klassische Rollenschauspiel nicht erlaubt war, konnten sich lediglich Formen der Volksbelustigung entwickeln, deren Figuren entweder aus lebloser Materie bestanden oder deren lebendige Figuren nicht nachahmten, sondern Typen darstellten (Papadopoulo 1977, 60). Unter die erste Kategorie fielen das Schattenspiel und das ältere, jedoch nicht so populäre und von religiösen Würdenträgern mitunter angefeindete Puppenspiel (And 1979, 101–112). Das Schattenspiel war in allen Teilen des Osmanischen Reichs die wohl populärste Form des visuellen Vergnügens. Über seine Geschichte und Verbreitung, seine Figuren und sein Publikum besteht reichhaltige Forschungsliteratur, die im Folgenden gedrängt zusammengefasst wird. Es wurde nach einer seiner zwei Hauptfiguren Karagöz20 (der Schwarzäugige) benannt. Puchner (1977, 151–187) hat seine Verbreitung ab dem 16. Jahrhundert akribisch rekonstruiert21: Es wurde von Nordafrika über den Nahen Osten und in den osmanischen Balkangebieten überall, teilweise bis zum Zweiten Weltkrieg, gepflegt und konnte auch über die Reichsgrenzen hinweg praktiziert werden, was etwa für Dubrovnik bezeugt ist. In Griechenland wurde Karagiotis, wie das Schattenspiel hier genannt wurde, selbst ein Jahrhundert nach der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich gepflegt und taucht als Genre und Motiv noch in Filmen nach dem Zweiten Weltkrieg auf (Puchner 1975, 61–66, 71–81, 20 Im Rumänischen bedeutet das Adjektiv caraghio komisch, lächerlich; im Griechischen bezeichnet karagiozlíhi abweichendes Verhalten im Sinne von Sich-lächerlich-Machen; als Hauptwort bezeichnet karagjoz im Bulgarischen die Fischart Else (möglicherweise wegen ihrer schwarzen Augen). Caraghioz bedeutet bei den Meglenorumänen ‚der Lustigmacher‘ (Puchner 1997, 161). 21 Er erwähnt zwar den Kosovo als Verbreitungsgebiet, nicht jedoch Albanien, wo das Schattenspiel ebenfalls sehr populär war (Papagjoni 2011, 11–12), was auch für Makedonien zutrifft (Lafazanovski 2004, 50).

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116; Hering 1994, 131–132; Constantinidis 2000; Eleftheriotis 2001, 191–192). Wenngleich es erlaubt und sehr populär war, waren die Spielmeister in der Regel keine Muslime, sondern gehörten einer der nicht muslimischen Konfessionen an (Puchner 1997, 161). Für das Schattenspiel wurde ein Holzrahmen mit einer eingepassten Leinwand benötigt. Sie musste gut gespannt sein, damit man die Verzierungen der Figuren erkennen konnte, und beleuchtet werden. Bevor Leuchtgas und Strom zur Verfügung standen, wurden sechs bis zehn Öllampen mit Doppeldochten als Leuchtkörper verwendet. Die Figuren aus Blech oder Karton wiesen nur wenige farbige Elemente auf. Sie wurden an ein etwa 50 cm langes Holz genagelt, mit dem der unsichtbar bleibende Spielleiter die Figuren an die Leinwand heranführte. Die Stimmen der Figuren wurden alle von ihm gesprochen; er hatte einen oder zwei Gehilfen dabei, die ihm zuarbeiteten und während des Spielverlaufs für angemessene Musik sorgten (Puchner 1975, 111–112; Stelzig 1988, 136). Die Figur des Karagöz ist von seinem Charakter her auf der ewigen Suche nach einem erfüllten Leben. Seine Schlauheit ist nicht eine intellektuelle, sondern eine praktische, impulsive und instinktive. Freund und Gegenspieler ist Hacivat – ein reflektierender und kalkulierender Charakter, der an Wissen dem Karagöz weit überlegen ist und daher lehrerhaft wirkt. Ihr Gegensatz kreiert die Komik der meisten Stücke (Puchner 1975, 48–49; Borovaya 2012, 197). Das klassische Repertoire des Karagöz umfasst 28 Spiele, was mit der Zahl der Abende im Ramadan korrespondiert. Die mitunter obszönen Texte wurden mündlich weitergegeben. Ende des 19. Jahrhunderts begannen europäische Orientalisten, die Texte aufzuzeichnen (Stelzig 1988, 132–136). Das Schattenspiel wird mitunter als Vorform des Kinos erachtet (Arslan 2011, 26–28). Die Argumente, die dafürsprechen könnten, sind allerdings schwach: die in einem Rahmen eingespannte Leinwand, der Umstand, dass in einem Kaffeehaus in Istanbul um 1900 im Ramadan abwechselnd Filme und Karagöz vorgeführt wurden, oder die Beobachtung, dass etwa im Griechenland der Zwischenkriegszeit Karagiozis-Freiluftbühnen in Kinos umgewandelt wurden (Balan 2008, 171–185; Christofides; Saliba 2012, 102–104). Auch die Tatsache, dass Schattenspiele von Filmkameras aufgenommen und als Kurzfilme im Kino angeboten wurden (Arslan 2011, 53), sagt ebenso wenig über eine innere Verwandtschaft mit dem Kino aus wie die Thematisierung des Schattenspiels im Film vor (Psoma 2008, 113) und nach (Potamitis 2003, 33–37) dem Zweiten Weltkrieg. Gegen eine Verwandtschaft sprechen sein Improvisationscharakter, sein Eingehen auf Publikumswünsche und seine situationsabhängige Dauer. Es gab zudem weder einen kohärenten Handlungsstrang noch eine örtliche Ordnung: Ein Haus etwa konnte höher sein als ein Gebirge (Balan 2008, 171–185).

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Karagöz eignete sich wesentlich besser als Vorlage für türkische Fernsehserien (Arslan 2011, 125–126) und Satirezeitschriften. Die Aufhebung des seit 1877 geltenden Verbots von solchen Zeitschriften im Zuge der Jungtürkischen Revolution (1908) löste einen Boom neuer Satirezeitschriften aus, von denen viele nur eine kurze Erscheinungsdauer aufwiesen. Unter jenen, die sich über längere Zeit hinweg über Wasser halten konnten, befand sich die zweimal pro Woche erscheinende Zeitschrift Karagöz (1908 bis 1951). Sie wurde von Ali Fuad22 gegründet und hatte einen Umfang von vier Seiten. Die Zeitschrift wies einige formale und inhaltliche Merkmale ihres Namensgebers auf. Ihr Herzstück bildete die Rubrik Muhavere (Gespräch)  und bestand wie im Schattentheater aus Dialogen zwischen Karagöz und Hacivad, in denen sie Alltagsprobleme oder die Tagespolitik diskutieren. Mitunter wurden Motive des Schattentheaters übernommen (Heinzelmann 1999, 51–54, 91). Neben dem Schattentheater existierten weitere populäre Formen der Unterhaltung mit Laienschauspielern. Dazu gehörte das Orta Uyunu (Spiel der Mitte), das bis etwa 1960 existierte und eine Vorform des Stegreiftheaters Tuluat darstellte. Es handelte sich dabei um eine auf einem ovalen Platz unter freiem Himmel durchgeführte theatralische Aufführung von Stücken, die dem Karagöz glichen. Die Mitspieler gruppieren sich um zwei, drei zentrale Darsteller, die Typen, nicht jedoch konkrete Personen darstellten: Es sind dies der Kleinbürger mit Bildungsanflug, der Turbanträger, der den pfiffigen Mann aus den niederen Schichten verkörperte, und die von einem Mann gespielte Frau. Weitere Typen, die es im Karagöz auch gab, waren der Grobian des Stadtviertels, der Trunkenbold, der Lebemann und der Frenk (Franke, Westler) (Duda 1961, 2–4). Entscheidend war der derb-witzige Dialog, der das Publikum zum Lachen animierte; Handlungsstränge gab es keine (Arslan 2011, 29), und jede Szene konnte durch eine andere ersetzt werden. Aufführungen konnten spontan durch neu eingefügte Szenen erweitert oder durch das Auslassen von solchen verkürzt werden. Sie wurden einzig und allein durch einen Erzähler zusammengehalten (Şener 1986, 256–258). Tuluat, das Stegreiftheater, stellte insofern eine Weiterentwicklung des Orta Uyunu dar, als es westliche und heimische Elemente kombinierte. Es borgte und adaptierte westliche Texte und wurde in Kaffeehäusern, aber auch in Theatern in vulgärer Sprache aufgeführt. Der improvisierte Charakter kam dadurch zum Ausdruck, dass 22

Sein Geburtsdatum ist unbekannt; von 1875 bis 1877 zeichnete er für einige Karikaturenzeitschriften. Er wird als erster türkischer Karikaturist bezeichnet, da alle anderen seiner Zeit Armenier oder Griechen waren. Von 1908 bis 1919 gab er Karagöz heraus (Heinzelmann 1999, 61–62).

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sich Dialoge, Namen, Charaktere und sogar die Handlung aufgrund der Reaktionen des Auditoriums ändern konnten. Die Aufführung wurde vielfach durch eine Serie von Musikdarbietungen unterbrochen, die nur manchmal zur Handlung passte. In Abstimmung mit den westlichen Texten trugen die Charaktere im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend westliche Kleidung. Wie im Orta Uyunu und im Karagöz wurden Typen dargestellt: der Diener, der reiche Geizhals, der Sohn, das Mädchen oder der Tyrann (Arslan 2011, 30). Dies waren also die religiös abgesicherten visuellen Vergnügungen, die vielleicht mit dem Kasperltheater und Varieté, nicht jedoch mit dem dramatischen Regietheater und dem Film in Zusammenhang zu bringen sind. Es mochte sein, dass der populäre Film der 1950er und 1960er-Jahre einzelne ihrer Elemente formal aufgriff, wie Arslan (2011, 30, 88) vermutet. Sie führten jedoch nicht zum modernen Theater und Spielfilm hin. Ich teile daher die Meinung des türkischen Kinohistorikers Berktaş (2013, 259), dass das Kino bzw. der Film sich grundlegend von diesen traditionellen Theaterformen unterschied. Diese basierten ausschließlich auf mündlich tradierten Texten, wiesen keine kohärente Handlung auf, waren improvisiert, reagierten spontan auf das Publikum und wurden von Laien aufgeführt. Der Film benötigt jedoch zumindest ein Skript, einen durchgehenden Handlungsstrang, technische Ausrüstung und kann nicht spontan auf das Publikum reagieren. Da das moderne Sprechtheater nicht an die populären Formen des Laienspiels anknüpfen konnte, war es ein langwieriger Prozess, bis sich in Istanbul das Theater als Hochkulturform mit einer professionellen Schauspielausbildung durchsetzen konnte. Ab 1839 wurden in Pera einige, meist kurzlebige23 Theaterhäuser europäischen Zuschnitts errichtet, in denen nebst einheimischen griechischen und armenischen auch ausländische Schauspieltruppen auftraten. Frequentiert wurden sie von der westlich orientierten osmanischen Elite. Für gläubige Muslime blieb diese Form des Theaters jedoch verpönt und wurde gemieden. Von den wichtigsten Initiatoren des Theaters in Pera ist der armenische Regisseur Agop Vartovian (Künstlername Güllü Agop) zu nennen, der ab 1868 Direktor des Osmanlı Tiyatrosu (Osmanisches Theater) war. Er adaptierte Stücke von Molière, Hugo und Voltaire an den heimischen Geschmack, begann aber auch, anstelle ausländischer Stücke bereits bekannte türkische Geschichten für die Bühne umzuarbeiten. Diese ersten Bühnentexte, die um 1860 entstanden, hatten nichts mit Orta Oyunu oder Karagöz zu tun. Vartovian arbeitete in seinem Repertoiretheater 23

Darunter fiel das 1859 gegründete erste professionelle armenische Theater Şark Tiyatrosu (Östliches Theater). Agop Vartovian, einer der Laienschauspieler dieses Theaters, gründete 1868 die Asya Kumpanyası (Die asiatische Theaterkompanie) (Skylstad 2010, 36–37).

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beinahe ausschließlich mit armenischen Schauspielern und Schauspielerinnen. Das Problem dabei war, dass diese das Türkische in einem Dialekt sprachen, der von der Hochsprache deutlich abwich. Das sorgte für Ärger bei den heimischen Autoren, die das Theater im Unterschied zum Volksschauspiel als Schule der eleganten Sprache erachteten (Özgü 1974, 523–524, 530; Graham-Brown 1988, 181–183; Faroqhi 1995, 287–289; Bruijn 2007, 545–546; Arslan 2011, 29). Nach der Abschaffung der Zensur im Jahr 1908 konnte sich das Theaterleben frei entfalten. In den Jahren danach bildeten sich über hundert Ensembles. Probleme, die bis dahin nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden konnten, wurden nun aufgegriffen: Wer sollte Frauenrollen spielen? Kann und soll Schauspielerei ein Beruf sein? Sollte man ausschließlich von ihr leben können oder eine Nebenbeschäftigung bleiben? Soll es eine öffentlich geförderte Ausbildung zum Schauspieler und zur Schauspielerin geben (Özgü 1974, 532–533)? Letztere Frage sollte noch knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs positiv beantwortet werden. Im Jahr 1914 beschloss die Stadt Istanbul, ein Stadttheater mit einem angeschlossenen Konservatorium zu gründen. Letzteres konnte 1914 noch als Darülbedayi Osmanî (Osmanisches Ensemble der Schönen Künste) gegründet werden. Der Gründungsdirektor war André Antoine, ein gefeierter französischer Regisseur sowie Gründer und Leiter des Théâtre Libre. Er kam am 28. Juni 1914 in Istanbul an, und bereits im Juli wurden 63 Schüler aufgenommen, darunter auch ein gewisser Muhsin Ertuğrul. Antoine konnte jedoch nicht mit der Ausbildung beginnen, weil der Krieg ausbrach und er das Land verlassen musste. Eine improvisierte Ausbildung konnte dennoch in die Wege geleitet werden, und im Januar 1916 bestritt das Ensemble erste Aufführungen. Allerdings wurden alle jungen Schauspieler nach und nach in die Armee eingezogen, sodass die Aufführungen erst ab 1919 wieder fortgesetzt werden konnten. Ab 1924 begannen die Bemühungen um die Gründung eines Stadttheaters. Im Jänner 1927 wurde dem bereits erwähnten Ertuğrul die Leitung des Konservatoriums übertragen, das er systematisch und nach europäischem Muster ausbauen sollte (Özgü 1974, 562–572; Nutku 1986, 165). Muhsin Ertuğrul hatte sich bereits als 17-Jähriger einer Theatertruppe angeschlossen. 1911 ging er nach Paris, um sich als Schauspieler weiterzubilden. Nach seiner Rückkehr brachte er seine erste Inszenierung auf die Bühne – ‚Hamlet‘, den er auch selber spielte. 1913 gründete er eine eigene Theatertruppe und ging ein zweites Mal nach Paris. Im Juli 1914 wurde er, wie erwähnt, in das Konservatorium aufgenommen. 1916 reiste er nach Berlin, wo er sich im Lessing-Theater als Statist und Bühnenarbeiter verdingte. Im Januar 1917 kehrte er nach Istanbul zurück, um einige Inszenierungen in Gang zu bringen. Kurz nach Kriegsende ging er abermals nach Deutschland und weiter nach Wien und Stockholm (Özgü 1974, 562–571). Er soll-

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te zu einer zentralen Figur des republikanischen Theaterlebens (siehe genauer bei Nutku 1986, 166–171) sowie auch des Films aufsteigen. Die relativ fortschrittliche Entwicklung in Istanbul kann weder für die Türkei noch für andere muslimisch geprägte Länder und Regionen, wie etwa Albanien und Kosovo, verallgemeinert werden. Was Albanien anlangt, so herrschten in der christlichen Bevölkerung bis zum Ersten Weltkrieg Formen des Volkstheaters vor, die an kirchliche Rituale gebunden waren. In der Zwischenkriegszeit konnten sich die Städte Shkodra (starker katholischer Bevölkerungsanteil) und Korça (überwiegend orthodoxe Bevölkerung) als Zentren eines modernen Amateurtheaters etablieren. In beiden Städten bildeten sich Vereinigungen heraus, deren Ziel es war, ein europaorientiertes Theaterleben zu pflegen. Zur Gründung eines Nationaltheaters und einer ersten professionellen Theatertruppe kam es erst im Mai 1945, nachdem die kommunistische Partei die Macht übernommen hatte. Ihm wurde zur Ausbildung von Schauspielerinnen und Schauspielern eine ‚Dramatische Schule‘ zugeordnet. Schule und Theater wurden von dem bekannten Regisseur Sokrat Mio geleitet, der sein Studium an der Pariser Akademie für Musik und Dramaturgie absolviert hatte (Elsie 1993, 681–682, 687; Papagjoni 2011, 16–36, 62–68). Auch im Kosovo kam es erst 1945 zur Gründung eines ‚Kosovarischen Regionalen Nationaltheaters‘ in Prizren, das bis 1946 das administrative Zentrum bildete. Es war als zweisprachiges, albanisch-serbisches Theater konzipiert. Ab 1948 arbeitete es mit einer albanischen und einer serbischen Truppe (Papagjoni 2011, 107). Ein in Istanbul und sonstwo heiß diskutiertes Problemfeld stellten Frauen als Theaterbesucherinnen und Schauspielerinnen dar. Frauen als Theaterbesucherinnen waren aus konservativer Perspektive zweifach problematisch: erstens, weil sie sich von der Öffentlichkeit, selbst verschleiert, fernhalten sollten, und zweitens weil es im Theatersaal zur Vermischung von Frauen und Männern kam und das Auditorium während der Vorstellung verdunkelt wurde. Ein Theater zu besuchen, wurde als eine Verletzung der geschlechtlich getrennten Sphären von harem, wo Frauen, Kinder und engste männliche Verwandte verkehrten, und selâmlık – die Männerräume – erachtet. Daher wurden getrennte Theateraufführungen für Frauen (tagsüber) und Männer (Abendvorstellungen) eingeführt (Çeliktemel-Thomen 2009, 44; Skylstad 2010, 45). Dies war jedoch weder für Konservative noch für Fortschrittliche eine zufriedenstellende Lösung. Konservative erachteten Theaterbesuche grundsätzlich als schädlich – und für Frauen erst recht. Aus engagierter Frauensicht waren getrennte Vorstellungen deshalb keine gute Lösung, weil die Segregation entlang des türkischen Familienbegriffs (aile) erfolgte, demgemäß Frauen zusammen mit ihren Kindern als die eine und Männer als die andere Einheit gesehen wurden. Für die fortschrittliche Frau wäre es

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wünschenswert gewesen, wenn sie die Kinder für die Zeit des Kinobesuchs beispielsweise in einer Karagöz-Vorstellung abgeben hätten können. So aber war der Theaterbesuch kein Vergnügen, da die Kinder unruhig waren, die Mütter ständig mit Wasserund Nussverkäufern verhandelten und es daher so laut herging, dass die Schauspieler Schwierigkeiten hatten, sich stimmlich durchzusetzen (Skylstad 2010, 48–49). Der bereits erwähnte armenische Regisseur und Theaterdirektor Agop Vartovian war der erste, der Anstrengungen unternahm, um muslimische Frauen als Besucherinnen für sein Theater zu gewinnen. Er war bis zu einem gewissen Grad dabei erfolgreich. 1879 installierte er kafesli localar, eine Art von vergitterten Logen, in denen Frauen vor Männerblicken geschützt waren. Vartovian gewährte Frauen zuerst freien und später einen reduzierten Eintritt. Er sah diese Maßnahme als kommerziell unproblematisch, da er davon ausging, dass Frauen kaum ohne männliche Begleitung sein Theater besuchen würden. Sein Ziel war es, über mehr Frauen auch mehr männliche Theaterbesucher zu gewinnen (Skylstad 2010, 47–48). Wie bereits erwähnt, wurden auf vielen europäischen Bühnen bis in das 19. Jahrhundert weibliche Rollen von jungen Schauspielern verkörpert. Nach muslimischen Moralvorstellungen waren Bühnenauftritte muslimischer Frauen nicht möglich, stellte doch bereits der weibliche Theaterbesuch ein Problem dar. Auch im traditionellen Volkstheater wurden weibliche Rollen von Männern verkörpert (Bruijn 2007, 545–546). Wie es scheint, führte die zunehmende Zahl an Frauen im Publikum allmählich dazu, dass nicht-muslimische Frauen auf der Bühne toleriert wurden. Die erste armenische Amateurschauspielerin, Agavani Hamoyan, trat 1856 unter ihrem Bühnennamen Fani auf. Ihr folgte 1861 die erste professionelle armenische Schauspielerin, Aruşyak Papazyan. Dagegen erhoben sich allerdings innerarmenische Proteste seitens des Patriarchen und konservativer Kreise. Als Ergebnis durften in den folgenden Jahren nur mehr Mädchen auftreten. Es währte allerdings nicht lange, bis armenische Frauen wieder ihren Weg auf die Bühne fanden und es zu großer Popularität bringen konnten. Manche von ihnen spielten sogar sogenannte Kniehosenrollen, also männliche Rollen, und waren damit sehr erfolgreich (GrahamBrown 1988, 181–183; Skylstad 2010, 61). Mit der Jungtürkischen Revolution von 1908 und dem Wegfall vieler Beschränkungen wurde die ‚Schauspielerinnenfrage‘ in der Öffentlichkeit wieder aktuell. Die meisten Zeitungen waren der Meinung, dass muslimische Schauspielerinnen erlaubt werden sollten. Manche argumentierten, dass diese Frage erst nach der Lösung wichtigerer Frauenfragen angegangen werden sollte. Ertuğrul äußerte sich mehrfach öffentlich als Verfechter von Frauen auf der Bühne (Skylstad 2010, 66–68). Gegen Ende des Ersten Weltkriegs sah es erstmals danach aus, als ob sich die Bühne für muslimische Frauen öffnen würde. Im Oktober 1918 wurden fünf jun-

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ge Frauen in das Istanbuler Konservatorium zur Ausbildung zugelassen – drei von ihnen brachen die Ausbildung bald wieder ab. Von den beiden, die durchhielten, erhielt Afife Jale im Dezember 1918 einen Bühnenvertrag und trat am 3. April 1919 erstmals auf. Obwohl das Publikum überwiegend weiblich war, wurde ihr Auftritt in der Öffentlichkeit äußerst negativ kommentiert. Schließlich wurde sie von der Polizei arretiert. Kurz danach erließ die Stadtverwaltung ein Dekret, wonach es Frauen verboten war, auf der Bühne aufzutreten. Afife Jale wurde gezwungen, das Theater zu verlassen (Ebenda, 68–69). Die erste offiziell erlaubte Theateraufführung mit türkischen Schauspielerinnen fand am 7. Dezember 1923, also kurz nach Ausrufung der Republik, statt. Neyyire Neyir und Bedia Muvahhit24 traten als Desdemona und Emilia in Shakespeares Tragödie ‚Othello‘ unter der Regie Ertuğruls auf. Die Aufführung fand unter Polizeischutz statt, da man Ausschreitungen befürchtete. Sie scheint jedoch friedlich verlaufen zu sein. Muvahhits Karriere am Theater währte über 50 Jahre und endete hochdekoriert (Ebenda, 76, 84–85). Muslimische visuelle Traditionen verweigerten sich der visuellen Moderne so gut und so lange dies möglich war. Dies gilt auch für die Fotografie. 1839, in dem Jahr, als Daguerre seine Fotokamera Mitgliedern der Französischen Akademie der Wissenschaften vorstellte, rief in Istanbul Sultan Abdülmecid I. die Reformära aus. Seine Reformen ermöglichten es nicht-muslimischen Bewohnern und Bewohnerinnen des Reichs sowie Ausländerinnen und Ausländern, zu fotografieren und Ateliers einzurichten. Für Muslime blieb dies allerdings bis zum beginnenden 20. Jahrhundert ein Tabu. Aufgrund des Umstandes, dass es in der islamischen Welt keine zentrale Instanz in Glaubensfragen gab und gibt, wurden von islamischen Autoritäten unterschiedliche Auffassungen, was den aktiven Gebrauch der fotografischen Technologie anlangt, geäußert. Einige sollen im Folgenden dargestellt werden. Die Auseinandersetzung mit der Schaffung von Bildern im Islam setzte mit etwa 200 Hadithen, also Äußerungen des Propheten, und koranischen Aussprüchen ein, die darauf indirekt Bezug nahmen: Andere Formen als handschriftlich verfasste Bücher und abstrakte Ornamente wurden als unerwünscht erachtet, da sie vom Schöpfergott wegführten. Einer der Hadithe besagte, dass der Erzengel Gabriel 24 Muvahhit wuchs in einer wohlsituierten europaorientierten Familie auf, sprach als Kind Griechisch und Französisch, bevor sie Türkisch lernte, und galt in der republikanischen Öffentlichkeit als Inkarnation der neuen türkischen Frau. Als sie sich für eine Theaterkarriere entschied, passten ihre Erziehung und Weigerung, ein Kopftuch zu tragen, in den Geist jener Zeit. Als sie ihren ersten Mann heiratete (1922), wurde auf der Hochzeit Alkohol angeboten, westliche und türkische Musik gespielt und getanzt. In zweiter Ehe war sie mit einem österreichischen Pianisten verheiratet (Skylstad 2010, 84–85, 95–98).

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kein Haus betreten würde, in dem sich ein Bild befindet, und dass die Herstellung von Bildern strafbar sei (Akšamija 2015). Bilder werden mittlerweile von den islamischen Autoritäten weitgehend erlaubt, wenn sie mit Erkenntnisgewinn verbunden sind, wie etwa solche, die dem Studium der Anatomie dienen. Das Bilderverbot beziehe sich demnach auf jene Malerei, die zum Polytheismus hinführe, aber nicht auf die Alltagsfotografie. Menschliche fotografische Erzeugnisse seien ein Wunder und als solche Teil der göttlichen Schöpfung (Ebenda 2015). Insgesamt scheint es so zu sein, dass schiitische und sunnitische Gelehrte weniger Probleme mit dem fotografischen Bild haben als wahhabitische. In Saudi-Arabien wurde das Fotografieren im privaten und öffentlichen Bereich erst im Jahr 2006 offiziell erlaubt (Kaser 2013, 156–157). Die schiitischen und sunnitischen Vorbehalte gegen die Fotografie währten im Allgemeinen nicht so lange, allerdings lässt sich auch keine widerspruchsfreie Haltung erkennen. Im schiitischen Iran wurde die Fotografie unter der Herrschaft von Nāser ad-Din Schah, der etwa 20.000 Fotos sammeln ließ, akzeptiert und 1863 der erste Hoffotograf ernannt (Ibrić 2006, 72–74; Akšamija 2015). Der letzte Sultan der osmanischen Reformära, Abdülaziz, setzte die armenischen Fotografenbrüder Abdullah im selben Jahr als Hoffotografen ein, ließ sich von ihnen fotografieren und ordnete an, eines dieser Bilder als offizielles Porträt in Umlauf zu bringen (Tekinalp 2010, 293). Sein Nachfolger Abdülhamid II., der den Reformprozess zu stoppen versuchte, verbot Bilder (und später filmische Aufnahmen) von sich in der Öffentlichkeit bis knapp vor seiner Entmachtung im Jahr 1909. Er ordnete 1880 an, alle Fotos von ihm zu vernichten (Kaser 2013, 195). Er nutzte jedoch gleichzeitig die Fotografie zu Propagandazwecken, ließ Tausende von Fotos über sein Reich und dessen Institutionen anfertigen, war selbst ein Fotofreund, ließ sich ein persönliches Fotoatelier einrichten und stattete auch das Kaiserliche Museum mit einem solchen aus. Da er nur selten seinen Palast verließ, informierte er sich aus Fotografien über wichtige Geschehnisse im Reich (Tekinalp 2010, 296; Baleva 2012a, 283–284; Kaser 2013, 193–195). Nicht nur die Sultane, sondern auch Gelehrte trugen zur Meinungsbildung bei. Mustafa Sabri, der vorletzte Scheich-ul Islam des Osmanischen Reichs, äußerte sich 1909 in Bezug auf die Fotografie dahingehend, dass die Porträtfotografie unbedenklich sei, da sie nicht den ganzen Körper darstelle (Özen 2015). Allerdings veröffentlichte Ende August 1920 das offizielle und vom Scheich-ul Islam herausgegebene Organ Ceride-i İlmiye den Text einer fetva (Rechtsauskunft), der besagte, dass es eine Sünde für einen Muslim sei, ein menschliches Wesen oder ein Tier zu malen oder zu fotografieren (Waley 1991, 113). Andere Rechtsgutachten wiederum klassifizierten die Fotografie als zulässig, weil sie als Produkt keine Schatten werfe und keine neuen Bilder schaffe; es werde nicht

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etwas künstlich geschaffen, sondern etwas Vorhandenes abgebildet. Fotografieren sei keine künstlerische und schöpferische Aktivität, sondern eine auf technische und chemische Vorgänge beruhende berufliche Tätigkeit. Im Unterschied zum Künstler, der seine Figuren mit der Hand schaffe, bilde die Kamera bloß ab, was Gott geschaffen habe. Einerseits entstehe der Fotoapparat nicht ohne menschliches Zutun und werde ohne menschliches Zutun auch nicht in Betrieb gesetzt, andererseits habe der Mensch keinen Einfluss auf die für das Entstehen der Fotografie nötige Verfärbung der Salze. Der Mensch bereite alles vor, habe jedoch keinen Einfluss auf das chemische Geschehen an sich (Ibrić 2006, 74–79). Eine ähnlich positive Einschätzung islamischer Autoritäten liegt auch für den Film vor, da er sich doch nur aus einer Serie von Fotografien zusammensetze. In der richtigen Geschwindigkeit abgespielt, erscheinen sie als Bewegung, wobei es sich um eine optische Täuschung handle (Ebenda, 82–84). Für den bosnischen Fotografen und Professor an der Akademie der Bildenden Künste, Mehmed Akšamija, muss das ursprüngliche islamische Bilderverbot als gegen den Polytheismus gerichtet interpretiert werden, und so sollte das Verbot auch verstanden werden. Bilder seien Repräsentationen der Natur im weitesten Sinn. Gott sei jedoch der alleinige Schöpfer, und nur er könne Atome in Raum und Zeit zusammenführen. Der Mensch als Gottes Gesandter auf Erden könne sie neu anordnen, solange dies nicht im Widerspruch zur Schöpfung stehe. Ein Bild würde direkt vom Menschen und indirekt von Gott geschaffen. Menschen würden also nur jenen Teil der Schöpfungsmacht, den ihnen Gott abgetreten habe, nutzen (Akšamija 2015). Die Haltung der weltlichen und geistlichen Führungselite des Osmanischen Reichs in der Bilderfrage wies viele pragmatische Züge auf. Während Sultan Abdülhamid dem Gebrauch der Fotografie gewisse religiös fundierte Schranken auferlegte (weshalb er auch sein Porträt aus der Öffentlichkeit verbannte), waren Nichtmuslime solchen Restriktionen nicht oder nur marginal ausgesetzt. Im November 1900 untersagte ein Sultansdekret die Einfuhr und den Verkauf von Bildern, die den Namen Gottes oder Mohammeds trugen, von Bildern der Kaaba oder anderen Objekten Mekkas, religiösen Bauwerken und Zeremonien sowie von Porträts muslimischer Frauen (Graham-Brown 1988, 44–45). Zu dieser pragmatischen Haltung gehörte auch, dass der militärische Bereich von Restriktionen weitgehend ausgenommen war. So etwa wurde die Herstellung von Fotografien in das Curriculum der Kaiserlichen Militäringenieursakademie integriert (Tekinalp 2010, 292). In diese pragmatische Richtung zieht auch der Umstand, dass im Jahr 1880 der ägyptische Oberst Mohammed Sadik Bey vom Şarif von Mekka, Aun al-Raschid, die Erlaubnis erhielt, die heiligen Stätten Mekkas und

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Medinas für wissenschaftliche Zwecke fotografieren zu dürfen. Der gläubige Sadik hatte den Şarif überzeugen können, dass die Kamera den religiösen Anstand nicht verletzte (Gavin 1988, 5; Facey 1996, 18–19). Die osmanischen Sultane ließen seit dem Aufkommen der Fotografie im Laufe der Zeit eine umfangreiche Sammlung von Fotografien über das Reich anlegen – die sogenannten Yıldız-Alben, benannt nach dem kaiserlichen Yıldız-Palast. Die rund 36.000 Bilder wurden in 911 Alben, die meisten stammen aus den 1880er-Jahren, geordnet und in der Palastbibliothek aufbewahrt. Sie zeigen die Hauptstadt und verschiedene Aspekte der Provinz, Paläste, Moscheen, Gräber, Kirchen, Spitäler, Fabriken, Schulen, Banken, Museen und ausländische Botschaften. Die meisten Fotos wurden von Absolventen der Fotografieklassen der zuvor erwähnten Kaiserlichen Militäringenieursakademie aufgenommen. 1893/94 wurde eine spezielle Auswahl der britischen Königin, dem französischen und dem US-amerikanischen Präsidenten überreicht (Atasoy 1988, v-vi; Gavin; Bohrer 2005, 132; Dördüncü 2006, 9–16; Shaw 2009, 80–93). Für die breite muslimische Öffentlichkeit des Reichs, auch für jene Istanbuls, waren diese Vorgänge von wenig Relevanz. In der Stadt, genauer gesagt in Pera, waren bis 1915 ausschließlich nicht-muslimische und ausländische Fotografen mit ihren Ateliers präsent – und davon gar nicht so wenige. Bis zum Jahr 1900 waren insgesamt 65 Fotostudios registriert; die meisten von ihnen wurden von Ausländern betrieben (Kaser 2013, 162). Interessanterweise setzte die professionelle Fotografie unter den Muslimen des Reichs nicht in der Hauptstadt, sondern in der Provinz ein. Als erster türkischer Fotograf wird Rahmizâde Bâhâeddin Bediz genannt, der in eine reiche Istanbuler Familie hineingeboren wurde. Er besuchte die Elementarschule in Chania auf Kreta und kehrte zur weiterführenden Ausbildung nach Istanbul zurück. Wieder nach Kreta zurückgekehrt, arbeitete er ab 1896 als Buchhändler und Fotograf. 1910 musste er die Insel verlassen und ließ sich in İzmir nieder, wo er auch ein Fotostudio betrieb. 1915 übersiedelte er nach Istanbul (Pera) und eröffnete dort sein Fotostudio Resné, mit dem er sich einen Namen machte (Anagnostopoulos 2011, 174–175). Ein weiterer früher muslimischer Fotograf ist mit dem Albaner Ahmet Ymer Zherka im kosovarischen Gjakovë verbürgt, der dort im Jahr 1900 ein Fotostudio gründete. Seinen ersten Fotoapparat hatte er 1895 aus Saloniki bezogen. In den Jahren 1900 bis 1906 praktizierte er in Fotostudios in Budapest, Wien und Hamburg. Während des Ersten Weltkriegs war er wieder im Kosovo tätig. 1925–1928 arbeitete er in einem Studio in Zagreb und 1935–1939 in einem solchen in Belgrad (Kaçaniku; Shukri 2012, 19–20). Rexep H. Rakovica gilt als erster albanischer Fotoamateur im Kosovo. Er lebte in Prishtina und erwarb 1928 einen Fotoapparat der Marke AGFA (Ebenda, 145).

Islam und visuelle Moderne

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In Bosnien-Herzegowina gab es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs keinen muslimischen Fotografen (Derler 2013; Akšamija 2015). Dasselbe gilt für die muslimische Bevölkerung Bulgariens (Boev 1978, 167; Boev 1983, 72, 112) und Makedoniens (Stardelov 2007). Die Herstellung von Fotografien in der muslimischen Balkanbevölkerung scheint also frühestens um 1900 sporadisch aufgekommen zu sein. Verantwortlich für die relativ späte Befassung mit der Fotografie waren religiöse und kulturelle Gebote, die durch Gelehrtengutachten allmählich gelockert wurden. Das positive Verhältnis der Sultane zur Fotografie hatte keine unmittelbaren Auswirkungen auf die ablehnende Einstellung der Bevölkerungsmehrheit zur Fotografie sowie zur visuellen Moderne im Allgemeinen. Wenn wir Malerei, Bildhauerei, Theater und Fotografie zusammensehen, werden wir zur Auffassung gelangen müssen, dass nur sehr wenige Muslime bis um 1900 mit diesen Genres in Berührung gekommen waren. Es lässt sich also resümierend festhalten, dass zwischen den traditionellen muslimischen visuellen Kulturauffassungen und den Prinzipien der visuellen Moderne nur wenige Verbindungen erkennbar sind. Deutlich erkennbar ist die Verbindung, die über einzelne Ausbildungsbereiche im osmanischen Heer, in denen etwa die perspektivische Darstellung und die Fotografie gelehrt wurden, hergestellt wurde. Diese Beschäftigung entsprang militärischen Notwendigkeiten und nicht einem genuin gewachsenen Interesse. Was das orthodoxe Christentum anlangt, sind Verbindungen zwischen traditioneller Ikonenmalerei und Fotografie in zweierlei Hinsicht relevant: Erstens wurde ab etwa 1900 die gemalte Ikone verstärkt durch billige Ikonen im Fotoformat oder als Drucke ersetzt. Die Kirche lehnte dies zwar anfänglich ab, musste sich jedoch der Realität beugen. Zweitens findet sich unter den frühen einheimischen Fotografen, wie die Beispiele aus Bulgarien und Makedonien zeigen, eine Reihe von Ikonenmalern, darunter auch ikonenmalende Mönche. Diese arbeiteten, wie es scheint, als halbprofessionelle Fotografen. Was das Reformjudentum anlangt, so fällt auf, dass es keine Berührungsängste mit der Fotografie hatte und unter den frühen Fotografen relativ stark vertreten war. Diese Verbindungen, wie sie insbesondere von ikonenmalenden Fotografen hergestellt wurden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die traditionellen visuellen Balkankulturen mit der visuellen Moderne kaum zu verknüpfen waren. Genuine Weiterentwicklungen von herkömmlichen zu ‚europäischen‘ visuellen Formen und Gebrauchsweisen waren rar. Die Einführung von Elementen der visuellen Moderne kam daher einem Neubeginn nahe. Dies formte zwei der drei praktizierten Transfermodi entscheidend mit, denn sowohl der nationalisierende als auch der hegemoniale wurden anfänglich von Ausländern – sei es, dass sie in den Balkanlän-

dern tätig waren, sei es, dass sie Studierende aus den Balkanländern im Ausland ausbildeten – dominiert. Die Ausführungen dieses Kapitels haben deutlich gemacht, dass der nationalisierende Transfermodus von den Eliten angestrebt und von staatlicher Seite unterstützt wurde. In einer ersten Phase nach dem jeweiligen Erlangen der staatlichen Unabhängigkeit mussten, gerade was die Bereiche von Architektur und Stadtplanung anlangt, zahlreiche Fachkräfte in das jeweilige Land gerufen werden. Trotz dieser durch das Ausland erfolgenden Prägung wurde die visuelle Moderne nicht einfach nur kopiert, sondern vielfach adaptiert und national inkorporiert. Dass bei dieser nationalen Interpretation, insbesondere in Architektur und Malerei, wiederum Ausländer eine führende Rolle innehatten, scheint paradox zu sein, entsprach jedoch der damaligen Situation, in der in den Balkanländern noch zu wenig Spezialwissen etwa über die klassischen und mittelalterlichen, islamischen und byzantinischen architektonischen Traditionen vorhanden war. Erst in einer zweiten Generation übernahmen Einheimische und nationale Institutionen den Transfer, ohne dass sich am Modus Entscheidendes geändert hätte. Der nationalisierende wurde vom hegemonialen Transfermodus in der Fotografie ergänzt. Auch dieser Transfermodus wurde anfänglich von Ausländern dominiert, in einer zweiten Generation jedoch bereits von Einmischen. Auch dieser Transfermodus blieb dadurch im Wesentlichen unverändert. In der Fotografie ist – um ein letztes Mal auf die ikonenmalenden Fotografenmönche zu verweisen – eine spezifische lokale Aneignungsstrategie festzustellen. Der dritte Transfermodus, der kulturspezifische, ist dadurch charakterisiert, dass ein Großteil der muslimischen und vermutlich auch der jüdischen Bevölkerung sich der visuellen Moderne gegenüber länger reserviert verhielt als die christliche. Der hegemoniale Transfermodus sollte entscheidende Verstärkung erhalten, als ab dem Frühsommer des Jahres 1896 die ersten Gesandten der Brüder Lumière mit ihren Filmprojektionsgeräten in den Balkanhauptstädten eintrafen.

Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920) Die anfänglich für viele Menschen fremden und ungewohnten Elemente der visuellen Moderne hatten sich um 1900 in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger der Balkanstädte auf zwei Ebenen einzuschreiben begonnen: auf jener der Bildenden und Darstellenden Künste und auf jener der populären visuellen Unterhaltung. Einige visuelle Genres der ersten Ebene wurden, wie wir gesehen haben, erfolgreich domestiziert: Das Nationale im Internationalen wurde gesucht, gefunden und praktiziert. Die nach internationalen Prinzipien umgestalteten und erweiterten Städte wurden, auch unter entschiedener Anleitung ausländischer Experten deshalb national ausstaffiert, weil dies den Wünschen der Auftraggeber entsprach. Auf der zweiten Ebene, der populären visuellen Unterhaltung, war dies nicht der Fall. Die ausländischen Wanderfotografen, Zirkusse, Weltpanoramen und Theaterkompanien hatten keinen Grund, ihre Arbeit bzw. Programme auf nationale oder spezifische kulturelle Bedürfnisse abzustimmen. Sie boten eine nicht domestizierte, westliche visuelle Moderne feil, die die Menschen konsumieren oder ablehnen konnten, für deren Konsum sie Geld ausgaben oder nicht. Diese Ebenen des Evidenten sind relativ leicht rekonstruierbar. Sehr schwierig wird es allerdings, wenn man das Revier der empirischen Befunde hinter sich lässt und in jenes des Unsichtbaren einzutreten versucht: Wie kann ich herausfinden, auf welche Weise sich die kollektiven inneren Bildarchive unter dem Einfluss der visuellen Moderne erweiterten? Stabile empirische Belege sind aus nachvollziehbaren Gründen dafür nicht zu erbringen. Daher muss die methodische Annäherung auf indirektem Weg erfolgen, nämlich über eine quantifizierende Rezeptionsgeschichte des Kinos bzw. des Spielfilms. Die wichtigsten Indikatoren bilden die Anzahl an Kinos in einem Land, Kinobesuchszahlen, die soziale Zusammensetzung des Publikums und die Herkunft der Spielfilmproduktionen. Steigende Besuchszahlen wären demnach ein starker Indikator dafür, dass immer mehr Menschen Gefallen an dieser Form der visuellen Moderne fanden. Das Kino hinterlegte, so meine Hypothese, im übertragenen Sinn analog dazu immer mehr mit ihm in Zusammenhang stehende innere Bilder. Die Kinoentwicklung in den Balkanländern war zögerlicher als im übrigen Europa. Dennoch zogen immer mehr Spielfilme in einer zunehmenden Zahl an Kinosälen immer mehr Menschen in ihren Bann. War es anfänglich lediglich ein äußerst geringer Teil der Bevölkerung, der das Kino attraktiv fand, wurde es in den andert-

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halb Jahrzehnten von der Mitte der 1950er-Jahre bis zum Ende der 1960er-Jahre zum primären visuellen Massenvergnügen. Meine hypothetischen Überlegungen kulminieren darin, diesen anderthalb Jahrzehnten einen Wendecharakter beizumessen. In diesen Jahren wurde die Masse der Bevölkerung von dieser Form der populären visuellen Moderne erfasst und nicht wieder losgelassen, da das Fernsehen die ‚Pionierarbeit‘ des Kinos fortsetzte. Das Kino sollte im Verlauf des 20. Jahrhunderts zum wichtigsten Repräsentanten der visuellen Moderne aufsteigen, da es für den massenhaften Konsum konzipiert war; dieses Konzept ging auch in den Balkanländern auf. Das Kino bzw. der Spielfilm war in den drei bereits bekannten Transfermodi in Regionen übertragbar, in denen es ursprünglich nicht zuhause war: Erstens Nationalisierung und teilweise Befriedigung der Nachfrage durch die heimische Filmproduktion, zweitens Übernahme als westliches Fertigprodukt im hegemonialen Modus oder drittens Reserviertheit im kulturspezifischen Transfermodus, der in Amalgamierungsprozesse mündete. Alle drei Varianten wurden praktiziert, wenngleich sich die Relationen zwischen diesen Transfermodi im Verlauf der Zeit immer wieder verschoben. Eine Nationalisierung der Spielfilmproduktion war von vornherein schwierig, da diese mit einem laufend steigenden Kostenaufwand verbunden war und bestimmte intermediale Voraussetzungen25 erfüllt sein mussten. Die Fotografie bzw. die ersten funktionstüchtigen und kommerziell verwertbaren Fotoverfahren sind nicht zufälligerweise im ‚Westen‘, genauer in Frankreich und Großbritannien, entwickelt worden. Die Fotografie war sehr eng mit dem Medium der Malerei verknüpft, welches spätestens seit der Renaissance auf der Betrachterperspektive und den Gesetzen der Geometrie aufbaute. Die frühen Fotografen hatten vielfach eine Ausbildung als Künstler; Maler arbeiteten vielfach mit Fotografien als Motivvorlage. Vergleichbare intermediale Prozesse sind auch für das frühe Filmgewerbe zu beobachten. Der frühe Film – als seine Geburtsstunde werden allgemein die letzten Tage des Jahres 1895 angenommen, als die Brüder Lumière in Paris ihre ersten Aktualitätenfilme vorführten – ist ohne die Vermittlung der Fotografie schwer zu denken. Zwischen der Fotografie und dem Film bestehen unmittelbare Entwicklungszusammenhänge. Darüber hinaus waren viele der frühen Kameraleute ausgebildete Fotografen. Als etwa ein Jahrzehnt nach den ersten Filmvorführungen der inszenierte Spielfilm rasch an Bedeutung gewann, konnte die entstehende Filmindustrie auf Schauspieler und Darsteller beiderlei Geschlechts aus Theaterhäusern und Varietés zurückgreifen; darüber hinaus auf Drehbücher, die ein florierender Literaturbetrieb hervorbrachte. 25

Zur Medialisierung im Sinne einer Veränderung des kommunikativen Handelns im kulturellen Wandel siehe Hickethier (2010).

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Man könnte argumentieren, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Bilder in einem der industriell entwickelten Länder ‚laufen lernten‘. Hier hatten sich die entscheidenden visuellen Genres der Malerei, der Fotografie und des Theaters gut entfalten können. Darüber hinaus hatten Millionen von Menschen die Weltausstellungen etwa in London, Wien oder Paris besucht. Die ersten Filme mochten auch hier als Sensation präsentiert worden sein, aber sie stießen auf ein Publikum, das mit visuellen Attraktionen bereits wohlvertraut war. Das in dem eben beschriebenen Kontext entstandene Kino expandierte rasch in andere Weltregionen, wo es an Voraussetzungen für sein Entstehen gemangelt hatte und nur mehr oder weniger starke Anknüpfungspunkte mit regionalen visuellen Traditionen und intermedialen Ressourcen vorhanden waren. In diesem Zusammenhang eröffnet sich eine ganze Reihe von Fragen, wie etwa jene nach den erwähnten Anknüpfungspunkten: Stieß das Kino auf Zustimmung, Skepsis oder Ablehnung? Wurde es zu einer Unterhaltungsform westlich ausgerichteter gesellschaftlicher Eliten oder konnte es auch für die breiten Massen attraktiv werden? Wurde das Kino zu einer wichtigen Komponente des modernen Lebens? Eine andere Frage ist diejenige nach den Möglichkeiten und Grenzen der Filmproduktion in Ländern und Regionen, wo sich eine kapitalistisch geprägte Moderne bis zum beginnenden 20. Jahrhundert nicht oder lediglich in Ansätzen hatte durchsetzen können und wo die Eisenbahnreise noch die Erfahrung einer Minderheit war. Gab es vor Ort ausreichend versierte Fachkräfte (Kameraleute, Regisseure, Drehbuchautoren, Produzenten, Schauspieler und Filmvorführer), die mit den importierten neuen Visualisierungsinstrumenten umgehen konnten? Und wenn es sie nicht in ausreichendem Maß gab – was waren die Folgen? Und schließlich, was den Balkan, aber nicht nur ihn anlangt – wie stellte sich die muslimische Bevölkerung zu den laufenden Bildern? Wiederum bezogen auf den Umstand, dass die neue Filmkultur im ‚Westen‘ entwickelt worden war – wurde sie einfach nur kopiert oder fanden Diffusions-, Amalgamierungs- und Umdeutungsprozesse statt, die dem Kino auch in außerwestlichen Kontexten Sinnstiftung ermöglichte? Alle diese Fragen zu beantworten, ist aufgrund des noch bescheidenen Forschungsstands nicht möglich. Dieses Kapitel setzt sich daher zur Aufgabe, die Formierungsphase des heimischen Spielfilms wie auch die Distribution von Filmen westeuropäischer Herkunft in den Balkanländern zu beleuchten. Dazu wird es nötig sein, im ersten Abschnitt auf einige Eigenheiten des mobilen Kinos in den Balkanländern einzugehen; im zweiten werde ich die entstehende internationale Film­industrie und insbesondere das Erfolgsrezept der Firma Pathé beleuchten. Im dritten Abschnitt steht der Übergang vom mobilen zum ortsfesten Kino zur Debatte; der vierte beurteilt die Rahmenbedingungen für die frühe Filmproduktion in

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den Balkanländern, und der fünfte und letzte untersucht die Ursachen für die erste, kriegsbedingte visuelle Revolution in den Balkanländern. Das mobile Kino

Im Unterschied zur Zwischenkriegszeit, in der Hollywood weltweit das Kinogeschehen bestimmte, waren vor dem Ersten Weltkrieg im Wesentlichen französische, italienische und dänische Filmproduktionsfirmen für die Entwicklung des Kinobusiness verantwortlich. Unter diesen Ländern wiederum nahmen französische Unternehmen – allen voran Pathé – die marktbeherrschende Stellung ein. Für das erste Jahrzehnt nach der Filmpremiere der Brüder Lumière kann weder von einer Film- noch von einer Kinoindustrie die Rede sein. Ortsfeste Kinos gab es noch kaum. Die gezeigten Stummfilmstreifen waren kurz, keineswegs abendfüllend und dokumentierten als Aktualitätenkino26 politische Ereignisse, dahinbrausende Züge und Landschaften aus aller Welt. Die Kameratechnik erinnerte noch stark an die Handhabung von Fotokameras. Da mit den Filmkameras noch kein Schwenk vollzogen werden konnte, waren sie starr auf einen Ort gerichtet, der aus Zuschauerperspektive den Charakter einer Theaterbühne erhielt. Von Anfang an nahmen einige europäische Länder und die USA eine Hegemoniestellung in Herstellung, Vertrieb und Aufführung von Filmen ein. Bis zum Ersten Weltkrieg dominierten französische Aufnahme- und Vorführkameras. Der Cinématographe der Firma Lumière konnte sich in der Frühzeit des Kinos ein bedeutendes Marktsegment sichern, weil er im Vergleich zu Konkurrenzmodellen27 deutliche Vorteile hatte. Dazu gehörten das geringe Gewicht (7,7 kg), die parallele Einsetzbarkeit als Kamera und Projektor sowie sein Kurbelbetrieb, der ihn von der Stromversorgung unabhängig machte (Portes 1994, 27; Pearson 1998, 14–15). Die zwei wichtigsten Pioniere des mobilen Kinos der Anfangsjahre waren die Brüder Auguste und Louis Lumière sowie Georges Méliès. Letzterer stieg zum führenden Produzenten der Anfangszeit auf. Er arbeitete im Unterschied zu den an Aktualitäten und Themen orientierten Lumières mit Überraschungseffekten. Seine 26

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Diese nicht-fiktionalen Filme sollten erst unter dem Einfluss des Ersten Weltkriegs zu Dokumentarfilmen weiterentwickelt werden. Aktualitätenfilme stehen für eine ‚Ästhetik der Ansicht‘, in der einzelne Einstellungen aneinandergereiht werden, während der Dokumentarfilm strukturierte Zusammenhänge herstellt (Oppelt 2001, 22). Die bekannteren US-amerikanischen Konkurrenzmodelle als Vorführgeräte waren der Bioscope (wurde in vielen Ländern die Bezeichnung für das Kino), der Biograf, der Vitascope, der Vitagraf oder der Kinetoscope (Portes 1994, 26; Abel 1995, 186; Kărdžilov 2011a, 43).

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Filme waren theatralisch und nicht dokumentarisch; er gilt daher als Urahn des narrativen Films. Seine Firma Star Film begann 1896 zu produzieren, etablierte ein internationales Vertriebsnetz und produzierte bis 1912 Hunderte von Filmen. Damit verdrängte er die Lumières beinahe völlig vom Markt (Pearson 1998, 14–15). Die ökonomisch schwachen und infrastrukturell wenig erschlossenen Balkan­ länder spielten in diesem Geschäft als Absatzmärkte eine untergeordnete Rolle. Die Brüder Lumière schickten Kameraleute weltweit in die wichtigsten Städte, um dort erste Filmvorführungen zu organisieren, an Ort und Stelle Filme aufzunehmen und diese vor Ort und anderweitig vorzuführen. So kam auch die Bevölkerung der Bal­ kanländer erstmals mit dem Film in Kontakt. Die Kameraleute anderer Länder und Firmen folgten. Die Filme zeigten Landschaften und belebte Straßen, aber auch politische und gesellschaftliche Ereignisse. Die Krönungszeremonie des russischen Zaren Nikolaus II. etwa wurde in sieben Filmen festgehalten (Musser 1998, 81–82). Die auf aktuelle Ereignisse spezialisierte britische Charles Urban Trading Company gehörte zu jenen Produktionsfirmen, die häufig Kameraleute auf den Balkan sandten, wie etwa Charles Rider Noble. 1902/03 hatte er bereits in den albanischen Gebieten gefilmt (Hoxha 2009). Der Ausbruch des Ilinden-Aufstandes gegen die Osmanenherrschaft in Makedonien (1903) brachte viele Journalisten an die Schauplätze des Aufstandes. Noble war allerdings der einzige mit Filmkamera. Im Oktober und November 1903 gelang es ihm, einige Szenen in Bulgarien zu filmen. Damit war er der erste in Bulgarien tätige Kameramann und seine Filme die ersten über Bulgarien, die im Ausland gezeigt wurden. Acht von ihnen handelten vom Ilinden-Aufstand, die er allerdings nachstellen musste, da die Osmanen den Aufstand bereits wieder unter Kontrolle hatten, als er vor Ort ankam (Kosanović; Tucaković 1998, 20; Kardjilov 2012, 302–305). Anfang 1906 entsandte die Firma ein zweiköpfiges Team, bestehend aus dem Journalisten und Reiseschriftsteller Harry de Windt und den Kameramann John McKenzie, nach Dalmatien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Serbien, wo sie 59 Filme28 herstellten. Diese Filme wurden unter dem gemeinsamen Titel ‚Across the Balkans‘ beworben (Kosanović; Tucaković 1998, 21–22). Als 1908 die sogenannte Annexionskrise29 ausbrach, stieg das Interesse an filmischen Beiträgen aus Bosnien-Herzegowina und Serbien. Die Firma reagierte und pries die 1906 hergestellten Filme abermals an (Ebenda, 24–25). 28 19 Filme über Montenegro, 17 über Serbien, 13 über Dalmatien und zehn über BosnienHerzegowina; keiner davon ist erhalten. 29 In diesem Jahr annektierte Österreich-Ungarn Bosnien und die Herzegowina, wodurch die formelle Oberherrschaft des osmanischen Sultans über das Land beendet wurde. Dieser Schritt löste eine internationale Krise aus und führte zu scharfen Protesten Serbiens.

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Von größter Bedeutung für die serbische Filmgeschichte ist der Streifen ‚Die Krönung König Peters I. Karadjordjević‘, der im September und Oktober 1904 in Belgrad, Serbien, Montenegro und Dalmatien aufgenommen wurde. Er ist zum Großteil erhalten und stellt den ältesten Film über Serbien dar. Er wurde vom Briten Arnold Muir Wilson, Advokat, Publizist, Fotoamateur und Honorarkonsul Serbiens in Sheffield, und Frank Stern Mottershaw, Fotograf und Kameramann der Sheffield Photo Company, aufgenommen. Der größte Teil der Aufnahmen zeigt die Krönungsfeierlichkeiten: das Volk in den Straßen, im Zentrum der König und sein Gefolge, das Heer, verschiedene Delegationen und eine große Militärparade (Ebenda, 23–24). Diese von ausländischen Firmen und Kameraleuten hergestellten frühen Filme zeigten also dem Publikum der mobilen Kinos nicht nur die große weite Welt, sondern informierten auch über Ereignisse seines eigenen Landes, von denen es sich bislang kein Bild machen konnte. Filme boten billige visuelle Zerstreuung im Rahmen des Gesamtprogramms von Jahrmärkten und Varietés oder wurden von mobilen Filmvorführern in Gast- und Kaffeehäusern aufgeführt. In Deutschland entwickelte sich das Wanderkino in den Jahren ab 1896 aus den mobilen Varietés reisender Schausteller heraus, die für Filmvorführungen umgerüstet wurden. Im Unterschied zur Anfangsphase, in der die Filmvorführung nur einen Teil des Bühnenprogramms bildete, wurden später ausschließlich Filme gezeigt. Diese Programme dauerten ursprünglich nicht länger als 15 bis 20 Minuten, in denen üblicherweise etwa acht kurze Filme vorgeführt wurden. Gezeigt wurden Zauber- und Märchenfilme, komödiantische Szenen sowie Reiseund Industriebilder. Diese Wanderkinos waren außerordentlich erfolgreich. Bereits 1904 erreichten sie in Deutschland wöchentlich ein Publikum von mehr als einer Million Menschen. Das Publikum rekrutierte sich aus allen sozialen Schichten, die in mittels Eintrittspreis getrennten Rängen die Vorführungen konsumierten (Garncarz 2008, 35–37). Filme waren für das Publikum ungleich attraktiver als die Live-Programme der mobilen Varietés, da sie Stars zeigten, die ansonsten den zahlungskräftigen Eliten in den großen internationalen Varietés vorbehalten waren. Außerdem erlaubte die Filmtechnik Effekte, die auf der Bühne nicht zu erzielen waren. Doch die Zeit der Wanderkinos währte nur kurz. Spätestens um 1910 begann in Deutschland das ortsfeste Kino das mobile zu verdrängen. Bis zum Ersten Weltkrieg ging die Reisefrequenz der mobilen Kinos auf das Niveau von 1898 zurück. In den 1920er-Jahren waren sie bereits bedeutungslos (Ebenda, 41–43). Auch die Balkanländer wurden vom Routennetz mobiler Filmvorführer erfasst. Ein Spezifikum dieses frühen Kinobetriebs in der Region war, dass er mit sehr we-

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nigen Ausnahmen von Ausländern aus Zentraleuropa, Italien und Frankreich getragen wurde. In Bulgarien tauchten ab etwa 1900 französische, deutsche, tschechische und slowakische Filmvorführer auf. Namen und sonstige genauere Angaben über sie sind für die frühen Jahre nur bruchstückhaft überliefert. So ist von einem „französischen Filmisten“ die Rede, der im Jahr 1900 Vorführungen im Militärklub von Varna gab; von „zwei französischen Brüdern“, die 1899 im Salon der ‚Slavjanska beseda‘ in Sofia Filme vorführten; von „zwei Deutschen“, die mit ihrem Vorführgerät den Lesesaal der bulgarischen Stadt Šumen besuchten, und „ein Ungar“, der Filme im alten Gymnasium dieser Stadt vorführte (Kărdžilov 2011a, 38–43). Ab 1900 werden die Angaben genauer. Der Tscheche František Prohaska unternahm beispielsweise in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine oder mehrere Vorführungsreisen nach Russland (Odessa) und auf den Balkan und kam im Zuge dieser Tour auch nach Bulgarien (Ebenda, 38–43). Für das frühe 20. Jahrhundert ist eine Reihe von reisenden Filmvorführern bekannt. Gemeinsam ist ihnen, dass beinahe keiner von ihnen aus den Balkanländern selbst stammte, dass es sich in diesem männerlastigen Geschäft beinahe ausschließlich um Männer handelte und dass die Besuchsfrequenz mobiler Kinos aus Zentraleuropa insbesondere ab etwa 1908 häufiger wurde, weil die mobilen Kinos in Länder auswichen, in denen es noch wenige ortsfeste Kinos gab (Kosanović 1985, 44–46).30 Einheimische Filmvorführer gab es nur wenige. Auf Serbien bezogen war der bekannteste unter ihnen der Zauber- und Unterhaltungskünstler Stojan Nanić, der sich als Erster serbischer Kinematograf bezeichnete. Er führte von 1900 bis 1904 Filme in Belgrad, anderen serbischen Städten und Bulgarien vor (Kosanović 1998, 12; Jović 2010, 24–25). Unter den etwa 50 ausländischen von 1897 bis 1912 auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien aktiven mobilen Kinobesitzern (Kosanović; Tucaković 1998, 12) befand sich lediglich eine Frau, und zwar die verwitwete Wienerin Maria Goller, die Mostar 1905, Sarajevo 1906 und 1907 sowie Dubrovnik 1907 und 1908 aufsuchte. Sie bezeichnete ihr mobiles Kino als Goller’s Königlicher Biograf und als Goller’sches Grand-Elektro-Bioskop (Kărdžilov 2011a, 38–43). Es können grundsätzlich zwei Typen von Wanderkinos bzw. mobilen Filmvorführern unterschieden werden: Erstens solche, die mit handbetriebenen Projektoren arbeiteten und das Projektionslicht improvisiert generieren mussten. Ihre Vorführungen fanden in multifunktionalen Räumen wie Kaffeehäusern, Restaurants, Hotels oder Varietétheatern statt. Die Ausrüstung wog schwer und wurde gewöhnlich 30 Einen instruktiven Überblick über die mobilen Filmvorführer auf dem Balkan und insbesondere in Bulgarien bietet Kărdžilov 2011a.

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per Bahn transportiert. Zweitens jene, die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen und ein Zelt (‚rollender Palast‘), Sitze, Beleuchtung sowie einen Generator mit sich führten. Sie bauten nur in größeren Städten auf. Der Ausrüstungstransport war ausschließlich per Bahn möglich (Kosanović 1985, 44–46; Forster 2008, 60–62). Dies bedeutet, dass wohl beinahe ausschließlich Städte entlang des Schienennetzes von den mobilen Kinoinhabern angefahren wurden. Dieses Netz war, wie im ersten Kapitel betont, schlecht ausgebaut. Dies bedeutet, dass die abseits gelegenen Regionen mit dem Kino nicht in Berührung kamen, was ein weiterer Hinweis dafür ist, dass die Verbreitung des Kinos und der Industrialisierungsgrad eines Landes miteinander korrespondieren. Wie kann man sich Filmvorführungen des ersten Typs vorstellen? Vom improvisierten Kino im Belgrader Kaffeehaus Takovo wird berichtet, dass der ‚Kinosaal‘ durch eine in der Mitte des Kaffeehauses herabhängende Leinwand hergestellt wurde, sodass man von beiden Seiten das Geschehen auf ihr beobachten konnte. Dieses beidseitige Sehen hatte notwendigerweise zur Folge, dass sich eine Darstellerin auf der einen Leinwandseite nach rechts und auf der anderen Seite nach links bewegte. Daher waren die Eintrittskarten für Gäste, die auf der Rückseite der Leinwand zu sitzen kamen, etwas billiger. Das Publikum saß auf seinen Kaffeehausstühlen und konsumierte Speisen und Getränke. Es kam und ging, wann es wollte. Man konnte sich das Programm auch mehrmals ansehen, ohne einen Aufpreis bezahlen zu müssen (Stojanović 2008, 303–304). Die erste Vorführung in einer Balkanhauptstadt dürfte am 6. Juni 1896 in Belgrad und die zweite in Bukarest am 30. Juni dieses Jahres stattgefunden haben (Cernat 1982, 7; Stoil 1992, 9–12; Bottomore 2005, 58; Ţuţui 2008, 305; Kardjilov 2010, 55). Am 30. Mai kamen André Carré und am 4. Juni 1896 Jules Girin, beide Repräsentanten der Firma Lumière, nach Belgrad, um die Filmvorführungen im Café Goldenes Kreuz zu organisieren. Für den 5. Juni wurde eine geschlossene Veranstaltung für die Presse und tags darauf die erste öffentliche Vorstellung gegeben. Zehn Tage später besuchten König Alexander und die Königinmutter eine Vorführung (Slijepčević 1982, 15–16; Kosanović 1985, 35–41; Ranković 1998, 76). In den folgenden Jahren intensivierte sich der Besuch von mobilen Kinobetreibern. Im Jahr 1908 gab es allerdings einen Einbruch zu vermerken. Dieser hatte nicht nur mit der Konkurrenz des ersten ortsfesten Kinos zu tun, das in diesem Jahr seine Vorstellungen aufnahm, sondern auch mit der Annexionskrise: Die mobilen Kinos aus Österreich-Ungarn mussten wegen des Boykotts durch die Belgrader Bevölkerung sogar polizeilich geschützt werden (Slijepčević 1982, 36). Die Kinopremiere in Bukarest fand im Salon der französischsprachigen Zeitung L’Indépendance Roumaine statt. Männer und Frauen erschienen zu diesem feierli-

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chen Anlass in Abendkleidung. Dank einer Senkung der Eintrittspreise konnten die Aufführungen bis September fortgeführt werden (Cernat 1982; Ţuţui 2009a, 2–8). Neben der L’Independance Roumaine zeigten Filmvorführer ihre Streifen auch in den Hotels Bristol, France, Volta, Venus, Terra und Lux (Ţuţui 2009, 57–59). In Athen kam der erste mobile Filmvorführer von Lumière gegen Ende des Jahres 1896 an, wo er ab dem 29. November 1896 in einem leerstehenden Laden hinter dem Parlament in täglich bis zu 16 Vorführungen Filme zeigte, bevor er nach Istanbul weiterreiste. Trotz des offensichtlichen Erfolgs scheinen die rund 130.000 Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt kein besonderes Interesse an weiteren Vorführungen gehabt zu haben. Erst vier Jahre später, ab 1900, begannen einige Kaffeehäuser rund um den Verfassungsplatz solche zu organisieren (Psoma 2008, 6–21; Karalis 2012, 1–4). Die ersten Filmvorführungen Bulgariens fanden im Salon des Sofioter Hotels Makedonija knapp vor Weihnachten 1896 und in der an der Donau gelegenen Stadt Russe am 27. Februar 1897 statt. Der Filmvorführer in Russe dürfte ein Slowake namens Juraj Kuzmić gewesen sein (Holloway 1986, 76; Eder 1990, 646; Holloway 1995, 90; Kostov 2003, 91; Kardjilov 2010, 43–47; Kărdžilov 2015, 476–477). In Sarajevo nahm der erste mobile Filmvorführer, Angelo Curiel aus Triest, im Sommer 1897, konkret am 26. Juli dieses Jahres, seine Tätigkeit auf und verweilte 13 Tage in der Stadt. Die Wanderkinobesitzer, die es nach Bosnien-Herzegowina verschlug, kamen hauptsächlich aus der Habsburgermonarchie, aber auch aus Italien und Deutschland. Von 1897 bis 1914 hielten sich 33 Wanderkinos im Land auf, darunter das vom Österreicher Johann Bachmaier betriebene Grand Elektrobioskop, eines der größten in Zentraleuropa, welches 1906 in Sarajevo gastierte. Die letzten Wanderkinobesitzer suchten die Stadt im Jahr 1913 auf (Slijepčević 1982, 279–280; Kosanović 2005, 7–12; Kosanović 2006, 293–294). Das entlegene und schwer zugängliche Montenegro wurde erst vergleichsweise spät von mobilen Kinobetreibern angesteuert. Die am Fuße des Lovćen gelegene österreichisch-ungarische Garnisonsstadt Kotor bildete üblicherweise die Endstation ihrer Dalmatientournee (Kosanović 1985, 275). Eine Quelle spricht zwar davon, dass das erste mobile Kino die montenegrinische Hauptstadt Cetinje Ende 1901 erreicht hätte (Ranković 1998, 76), allerdings spricht einiges dafür, dass erst ab Herbst des Jahres 1908 in den Räumlichkeiten des Cafés Lovćen abends Filme gezeigt wurden, wenn auch offenbar nicht dauerhaft. Nach Nikšić kam das erste mobile Kino um 1910 und nach Podgorica um 1914 (Slijepčević 1982, 253–254; Kosanović 1985, 275–278). Ähnlich lange dauerte es, bis Makedonien in das Reiseprogramm mobiler Filmvorsteller aufgenommen wurde. Erste schriftliche Nachweise für Filmdarbietungen in Bitola und Skopje stammen aus dem Jahr 1906. Die Filmvorführer hielten zuerst

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

in Saloniki ihre Vorstellungen ab und reisten dann per Bahn nach Bitola und Skopje weiter (Kosanović 1985, 242–245; Petruševa 2007, 112–114; Ţuţui 2009, 34). Dieser Überblick macht deutlich, dass es wesentlich von der Verkehrsanbindung abhing, ob und wann Städte von mobilen Kinobesitzern aufgesucht wurden. Das zweite Charakteristikum ist, dass diese beinahe ausschließlich nicht aus der Region stammten. Ein drittes zeigt sich im folgenden Abschnitt über die mobilen Filmvorführungen in Istanbul, die sich auf den primär von nicht muslimischer Bevölkerung bewohnten Stadtteil Pera konzentrierten. Die Anfänge des Kinos in Istanbul sind weitgehend, jedoch nicht restlos geklärt.31 Bereits im April 1896 sandte die Firma Lumière ihren Vertreter Louis Janin zusammen mit anderen Angestellten nach Istanbul, um dort öffentliche Filmvorstellungen zu organisieren. Die Verantwortlichen vor Ort, die der Sache nicht ganz trauten, stellten allerdings die erforderliche Genehmigung nicht rechtzeitig aus. Sie befürchteten, dass die Projektionslampe Feuer auslösen könnte. So verließ die Delegation unverrichteter Dinge wieder das Land (Özen 2008, 47). Die ersten Filme wurden gegen Ende dieses Jahres im Yıldız-Palast für den Sultan und seine Familie vorgeführt. Es sollte in weiterer Folge immer wieder Spezialvorführungen für den Herrscher geben, der sich also nicht nur für die Fotografie, sondern auch für den Film interessierte. Er beschäftigte sogar einen ‚Bioskop-Attaché‘, der Reisefilme für ihn und den Harem herstellte. Auf diese Weise informierte sich der notorisch öffentlichkeitsscheue Abdülhamid II. über sein Reich und die wichtigsten Ereignisse in der Welt (Ebenda, 51–52; Çeliktemel-Thomen 2009, 36; Özuyar 2014, 50). In der Literatur herrscht weitgehend Übereinstimmung, dass auch die ersten öffentlichen Filmaufführungen am Bosporus gegen Ende des Jahres 1896 stattfanden. Es waren wohl Sigmund Weinberg, ein polnischstämmiger Rumäne, der noch eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Kinos in Istanbul spielen sollte, M. Tambouridis, der Repräsentant von Lumière, und Henri Delavallée, ein französischer Maler, der sich seit kurzem in der Stadt aufhielt, die in der Bierhalle Salle Sponek in Pera erstmals Filme vorführten. Die Vorstellungen wurden bis Ende März folgenden Jahres prolongiert (Çeliktemel-Thomen 2009, 28–29; Özuyar 2014, 49). Ab Anfang Februar 1897 führte Delavallée auch im noblen, muslimisch bewohnten Altstadtviertel Şehzadebaşı während des Ramadans Filme vor, und zwar nach dem abendlichen Fastenbrechen im Garten eines Kaffeehauses. Allmählich erreichten Kinovorführungen auch die Bezirke von Sultanahmet, Beşiktaş und Kadıköy. Pera und Şehzadebaşı blieben über die Jahre hinweg die beständigsten Aufführungsorte (Özen 2008, 47, 49; Özuyar 2014, 49). 31

Zur Diskussion offener Fragen der frühen Istanbuler Kinogeschichte siehe Arslan 2011, 25–26.

Das mobile Kino

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1901 führte Weinberg den ersten Filmprojektor ein und zeigte in der Musikhalle Concordia in Pera kurze 30- und 40-Meterfilme in den Pausen zwischen Varieténummern. Vom Erfolg seiner Aufführungen bestärkt, importierte er im folgenden Jahr einen neuen, elektrischen Projektor und setzte seine Vorführungen in Musikhallen, Zirkusvorstellungen, Kaffeehäusern und in den Gartenanlagen von Taksim fort. Die Ankündigungen waren auf Französisch, Deutsch, Armenisch und Griechisch, nicht jedoch auf Türkisch, was auf die Zusammensetzung des Publikums schließen lässt (Hinkle 2007, 29; Arslan 2011, 30–31). Die breiten Schichten der muslimischen Bevölkerung waren offensichtlich mäßig bis nicht am Kino interessiert. Dass dafür kulturelle und die oben erwähnten religiösen Gründe maßgeblich waren, ist naheliegend. Dies zeigt auch die sehr dürftige Evidenz mobiler Filmvorführungen in den albanischen Gebieten. Im Jahr 1904 scheint ein Italiener namens Pietro Cinesse auf dem Weg von der Hafenstadt Durrës nach Bitola Filmvorführungen gegeben zu haben. Die Wanderkinos, die ab 1905/06 albanische Städte wie Shkodra, Korça, Vlora, Elbasan und Durrës besuchten, wurden von nicht identifizierbaren Ausländern betrieben. Die Aufführungen fanden nicht nur im Freien, sondern auch in improvisierten Sälen, Kaffeehäusern und Amüsierlokalen statt (Hoxha 1994, 9; Balauri 1996: 14–17). Lediglich in den Städten Shkodra (im Norden Albaniens) und Korça (im Süden) mit ihrer starken Konzentration an katholischer respektive orthodoxer Bevölkerung entfalteten sich Initiativen für die Etablierung eines Kinolebens. In Shkodra war es der Maler, Architekt, Musiker und Fotograf griechischer Abstammung, Kolë Idromeno, der in den Räumlichkeiten des Klubs Albanische Sprache ab 1908 Filmvorführungen zu organisieren begann (Hoxha 2009). Die Stadt Korça war geprägt von Arbeitsmigration nach Australien, den USA und Argentinien. Rückkehrende Emigranten richteten dort Klubs, Kaffeehäuser, Hotels und Kasinos nach westlichem Vorbild ein. Darunter befand sich das 1911 gegründete Café Stema, in dem noch im Gründungsjahr erste Filmvorführungen stattfanden (Hoxha 1994, 11–12). Auch im Kosovo, in der Stadt Peja/Peć mit ihrer gemischten albanischen, türkischen und serbischen Bevölkerung, kam es in diesem Jahr zu ersten Filmvorführungen. Das mobile Kino war im Zentrum der Stadt in einem ehemaligen Stall untergebracht. Die ausschließlich männlichen Zuseher saßen auf Bänken, und der Projektor war handbetrieben (Slijepčević 1982, 35; Papagjoni 2009, 220–221). Wir können also festhalten, dass das hauptsächlich von Auswärtigen betriebene mobile Kino ab dem Frühsommer 1896 in den Balkanstädten sporadisch und hauptsächlich entlang der Hauptverkehrsadern Fuß zu fassen begann. Über die Zahl an Besuchern und Besucherinnen dieser Kinovorstellungen wissen wir nicht Bescheid, jedoch, dass punktuell nur Männer hingingen. Wegen der schlechten Infrastruktur

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

außerhalb der Städte kam in dieser Zeit nur ein kleines Bevölkerungssegment mit dem Kino überhaupt in Berührung. Zudem scheint das Interesse der muslimischen Bevölkerung geringer als die Durchschnittsbegeisterung gewesen zu sein. Daran sollte sich auch nichts ändern, als in den Hauptstädten die ersten permanent betriebenen Kinos errichtet wurden. Bevor wir uns diese institutionelle Verstetigung des Kinobetriebs genauer ansehen, ist es notwendig, einen Blick auf das internationale Kinobusiness zu werfen, da dieses zu einer Aufwertung des Films und des Kinos drängte. Es war primär die französische Filmproduktions- und Vertriebsfirma Pathé, die hinter dieser Dynamik stand. Der Aufstieg Pathés

Das internationale Kinobusiness existierte gerade mal sieben Jahre, als sich bereits Umwälzungen in großem Stil abzuzeichnen begannen. Die frühen handwerkbasierten Produktions- und Distributionsunternehmen, für die die Brüder Lumière und Georges Méliès standen, wurden durch ein neues Betriebskonzept überholt, das eine Strategie der horizontalen Integration bzw. Verflechtung verfolgte, und zwar mit dem Ziel, Kontrolle über die materiellen Bedingungen der jungen Industrie zu gewinnen, indem gleichzeitig Kameras und Projektionsausrüstung hergestellt, Filmmaterial entwickelt und Aufnahmestudios errichtet wurden. Pathé Frères stellte den Prototyp dieser Entwicklung dar. 1896 registrierten Charles und Emile Pathé ihre kleine Firma Phonographes et Cinémathographes im französischen Vincennes mit einem Kapital von 40.000 Francs (Abel 1993, 363). 1902 erwarb Pathé die Patente der Lumières (und 1910 jene von Méliès) (Pearson 1998, 14–15; Meusy 2002, 418). Dass es dazu kommen konnte, war einigen klugen Entscheidungen zu verdanken. Noch im Dezember 1896 wandelten die Gebrüder Pathé und der Besitzer einer Präzisionswerkzeugfirma zusammen mit einem Investor die Firma in eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von einer Million Francs um. Diese Compagnie Générale des Cinématographes, Photographes et Pellicules fusionierten sie im Jahr 1900 mit einer auf Grammophonerzeugung spezialisierten Firma. Emile sollte Direktor des phonografischen und Charles Direktor des kinematografischen Zweigs werden (Abel 1993, 363–364). Im Unterschied zu einigen Konkurrenten im Kinogeschäft verfolgte Pathé nur dann technische Innovationen, wenn sie unmittelbaren kommerziellen Erfolg versprachen; so etwa engagierte sich das Unternehmen nicht in Synchronisations- und Farbfilmversuchen, sondern konzentrierte sich auf die Produktion und Vermarktung von Apparaten und Filmmaterial. Die Filmproduktion blieb vorerst sekundär.

Der Aufstieg Pathés

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Erst 1900/01 war Charles Pathé überzeugt, dass die Firma stark genug war, um in diese einsteigen zu können. Nach ersten erfolgreichen Produktionen konnte er die Aktionäre 1902 dafür gewinnen, in den Bau eines Studios in Vincennes zu investieren (Ebenda, 363–364). Ab diesem Jahr ging Pathé dazu über, den Markt sukzessive zu erweitern und in Produktionsstätten zu investieren. In Joinville-le-pont, nahe Vincennes, entstand ein Labyrinth an Fabriken für Produktion, Lochung, Ausarbeitung, Abzug und Kleben des Filmmaterials (inklusive der Herstellung von Zwischentitel, die Pathé 1902 entwickelte) mit annähernd tausend Arbeitern, vornehmlich jedoch Arbeiterinnen. Daneben begann das Unternehmen mit der Produktion konkurrenzfähiger Projektoren und Studiokameras. Ende 1905 konnte man 200 Projektoren pro Monat, hauptsächlich für Rummelplatzkinos, und 12.000 Meter Positivfilmmaterial täglich verkaufen. Von 1904 bis 1906 stiegen die Dividenden der Aktionäre um mehr als das Dreifache (Ebenda, 364–368). Ein Grund für diesen Erfolg war, dass es gelang, die Filmproduktion immer weiter zu standardisieren und zu rationalisieren:  Jeder Regisseur arbeitete mit einer kleinen Einheit inklusive eines Kameramanns und spezialisierte sich auf ein bestimmtes Genre. Die Rationalisierung der Filmproduktion folgte tayloristischen und fordistischen Prinzipien: Standardisierung der Drehbücher, rigorose Budgetierung der Filme, Spezialisierung der Produktionsberufe und Mechanisierung der Filmentwicklung und -einfärbung (Ebenda, 364–368; Meusy 2002, 423). Auf diese Weise konnte ein halbes Dutzend Filme pro Woche hergestellt werden – mehr als andere Produktionsfirmen schafften. Ein weiteres Element des Erfolgs bildete die Senkung der Herstellungskosten durch industrielle Fertigung. 1905 beliefen sich die Herstellungskosten auf 0,5 Francs pro Meter Positivfilm, den das Unternehmen für das Drei- oder Vierfache weiterverkaufte. Am teuersten waren die Dreharbeiten. Während Méliès dafür 30 bis 50 Francs pro Meter aufwenden musste, limitierte Pathé die Kosten auf 14 bis 15 Francs. Da die Herstellung von Spiel- günstiger als jene von Aktualitätenfilmen war, kam es zu einer allmählichen Verlagerung auf den Spielfilm (Abel 1993, 364–368). Die Unternehmenserfolge beruhten teilweise auch darauf, dass es Pathé ab 1902 gelang, das Geschäft der französischen Rummelplatzkinos und in den Städten jenes der Cafés und Konzerthallen, die zwischendurch Pathé-Filme mit Pathé-Projektoren zeigten, zu monopolisieren. Da der heimische im Vergleich zum Weltmarkt klein war, begann Pathé zwischen 1904 und 1907 Filialen in Ländern mit lukrativen Absatzmärkten zu errichten, die die Aufgabe hatten, zuerst Nachfrage zu schaffen

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

und dann den Markt zu saturieren.32 Auf diese Weise übernahm Pathé im Jahr 1907 die Weltherrschaft im Kinogeschäft (Ebenda, 364–368). Einer der Schlüssel zum Erfolg war, dass Pathé Produktion und Distribution von der jeweiligen Filiale aus organisierte, sobald der Markt groß genug war (Segrave 1997, 3). Ab 1906/07 arbeitete Pathé an Methoden zur weiteren nationalen und internationalen Expansion. Dazu gehörten die Schaffung eines Kartells der französischen Filmindustrie und ihre vertikale, statt der bisher gepflegten horizontalen Verflechtung. Das Ziel war, eine durchgehende Kontrolle über Produktion, Vermarktung und Filmvorführung herzustellen. Eine wichtige Rahmenbedingung dafür war, dass das französische Parlament im Juli 1906 beschloss, einen arbeitsfreien Tag pro Woche einzuführen. Dadurch stieg die Nachfrage nach regelmäßiger Wochenendunterhaltung weiter Bevölkerungskreise (Abel 1993, 368–376). Diese politische Entscheidung war auch einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, das Vorführgeschäft von den Rummelmärkten wegzubekommen und auf permanente Kinos hinzuverlagern. So entstand das langfristige Projekt, permanente Kinostätten zu etablieren und mit hauseigenen Projektoren auszustatten. Der Anfang wurde in Paris mit dem 300-sitzigen Omnia Pathé gemacht, das im Dezember 1906 öffnete. Innerhalb von Wochen entstanden weitere Pathé-Kinos in Paris und den größeren Städten. Im Sommer 1907 gab es in Paris 50 und innerhalb der darauf folgenden zwei Jahre in Frankreich und Belgien bereits 200 Kinos, die von Pathé oder seinen Filialen betrieben wurden (Ebenda, 368–376). Die nächste wichtige Entscheidung betraf die Filmdistribution: Ab Juli 1907 wurden die Filme nicht mehr wie bislang verkauft, sondern nur mehr als Wochenprogramme verliehen. In anderen Worten – Pathé führte eine frühe Form der Blockbuchung ein, um sich eine weitere Einkommensquelle zu erschließen. Der Anfang 1909 in Paris abgehaltene Internationale Kongress der Filmproduzenten akzeptierte diesen neuen Distributionsmodus (Ebenda, 368–376). Eine weitere Innovation trug dazu bei, Pathé zum Marktführer im Kinogeschäft zu machen: Als zwischen 1901 und 1905 der Aufstieg des fiktionalen Films begann, wurde der Aktualitätenfilm zu einer Nebenerscheinung. Dieser war insofern problematisch, als er rasch veraltete. Dieses Problem löste Pathé dadurch, dass das Unternehmen 1908 zunächst nur in Paris und im folgenden Jahr in ganz Frankreich, Deutschland und Großbritannien mit dem Vertrieb von Wochenschauen begann 32

So entstanden 1904 Filialen in Moskau, New York und Brüssel, 1905 in Berlin, Wien, Chicago und St. Petersburg und 1906 in Amsterdam, Barcelona, Mailand, London und Odessa. 1907 wurde Zentraleuropa durch die Errichtung von Filialen in Budapest und Warschau erschlossen sowie Stützpunkte in Kalkutta, Singapur, Südamerika und Afrika etabliert.

Der Aufstieg Pathés

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– dem Pathé Journal. 1911 lief Pathé Weekly in den USA an und zog eine Reihe USamerikanischer Nachahmungen nach sich (Musser 1998, 81–82). Die Wochenschauen wurden in das wöchentliche Verleihgeschäft miteinbezogen und blieben somit aktuell. Das größte Investitionsrisiko stellte die Filmproduktion dar. Um dieses zu senken, beschloss Pathé, die Produktion über sein Firmennetzwerk zu dezentralisieren und die Qualität der Filme zu verbessern. In der Folge nahm Pathé die Struktur einer Holding über mehr oder weniger unabhängige Tochterfirmen an. So gründete etwa 1909 Pathé-Frères Russe in Moskau ein Studio, das kulturspezifische Filme produzieren sollte. Gleichzeitig wurde in Rom das Unternehmen Film d’Arte Italiana gegründet, das sich auf die Produktion kulturübergreifender Meisterwerke wie beispielsweise ‚Othello‘ spezialisieren sollte. Im selben Jahr begann der US-amerikanische Ableger, Filme zu produzieren und schließlich ein neues Studio in Jersey City aufzubauen (Ebenda, 81–82). Diese Struktur war erfolgreich und ermöglichte Pathé, Abgaben für Produktionen im Ausland zu vermeiden und die Filmproduktion den lokalen Bedürfnissen anzupassen (Meusy 2002, 424–425). Damit ist ein wichtiger Punkt in meinen Überlegungen erreicht: Pathé dezentralisierte die Produktion seiner Filme und passte sie den lokalen Bedürfnissen an. Damit stand das Unternehmen unter anderem Pate für die zwei ersten Filmproduktionen auf dem Balkan, nämlich ‚Karadjordje‘ (Serbien, 1911) und ‚Fatale Liebe‘ (Rumänien, 1911), auf die ich noch zurückkomme. Das Unternehmen handelte somit nicht anders als etwa die ausländischen Architektenbüros und Universitätsprofessoren, die kurze Zeit zuvor nationale Baustile erfanden, um ihren Auftraggebern entgegenzukommen und Aufträge zu akquirieren. Pathé trat zwar hegemonial auf, förderte jedoch gleichzeitig kulturelle Vorlieben – ließ sich also auf Amalgamierungswünsche ein. Hollywood hingegen, das ab dem Ende des Ersten Weltkriegs die Rolle Pathés als weltweite Führungsmacht übernehmen sollte, war zentralistisch organisiert, entwickelte eine einheitliche Filmästhetik, eine einheitliche narrative Struktur mit Filmstars, die maximalen Gewinn versprachen. Es trat hegemonial auf und versuchte, einen einheitlichen Hollywoodblick auf die Welt durchzusetzen. Dieses Konzept war in den meisten Balkanländern einigermaßen erfolgreich, scheiterte jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, an einem Land wie die Türkei. Der größte Markt für Pathé war nicht Frankreich oder Europa, sondern die USA mit ihrem erstaunlichen Aufstieg des Nickelodeons33 – einem billigen Ladenkino mit nicht mehr als einigen hundert Sitzplätzen. Dieses führte ausschließlich Filmprogramme vor, die nicht länger als 15 bis 20 Minuten dauerten, und war durchge33

Benannt nach dem Preis einer Eintrittskarte in der Höhe eines Nickels (fünf Cent).

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

hend bis in die Nachtstunden geöffnet. Es zog ein Massenpublikum an – darunter viele Frauen und Kinder. Pathé dominierte diesen Markt, der von 1905 bis 1909 auf seinem Höhepunkt war, zu etwa 60 Prozent (Abel 1995, 184–188). 1907 wurden von den 1200 Filmen, die in den USA gezeigt wurden, nur 400 im Land selbst produziert (Pearson 1998a, 25–30). Dies sollte sich ändern, als sich die wichtigsten USamerikanischen Produzenten zusammenschlossen und ihre Produktion um 1910 in das billigere und für die Filmproduktion günstigere Kalifornien zu verlagern begannen. Tabelle 11: Filmproduktion Pathés und Gaumonts 1901–1910

Jahr Pathé Filme/ Jahr Durchschnittliche Länge in m Absolute Länge Gaumont Filme/ Jahr Durchschnittliche Länge in m Absolute Länge

1901 1902 1903

1904

1905

1906

1907

1908

1909

1910

91

132

179

238

348

583

647

696

98,93

127,36 145,38 152,13 167,34

224

137

29,86 30,04 38,07 55,76 66.02

2716 6730 5215

7360

11.818 23.545 44.320 84.767 98.426 116.467

91

100

140

98

116

251

348

27,45 40,17 35,45 55,65 44,19

78,04

104,03 125,6

2499 3937 4113

19.587 36.203 55.643 69.609 79.016

5565

6187

443

488

513

142,64 154,03

Quelle: Meusy 2002, 427.

Pathé hatte einen einzigen wichtigen Konkurrenten: die französische Produktionsfirma Gaumont, die 1895 von Léon Gaumont gegründet worden war. International weniger präsent als Pathé besaß das Unternehmen allerdings von 1905 bis 1915 das weltweit größte Studio. Gaumont folgte dem von Pathé vorgegebenen Weg. Die Firma verlagerte ihr Geschäft 1897 von der Fotografie zu allen Sparten der Kinematografie. Von 1905 bis 1907 wandelte sich das ursprüngliche Familienunternehmen zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Führte ursprünglich Alice

Das ortsfeste Kino

131

Guy-Blaché, die erste Filmemacherin im männerdominierten Kinobusiness, beinahe ausschließlich Regie, wurde nach ihrer Heirat im Jahr 1907 die Filmproduktion dem bisherigen Drehbuchautor Louis Feuillade übertragen. Neben der Erzeugung von Filmen und Filmausrüstung sowie Experimenten mit Farbe und Ton erweiterte das Unternehmen seine Aktivitäten wie Pathé um Vertrieb und Aufführung. Es errichtete ab 1911 eine Kinokette, die den Gaumont Palace mit 6.000 Sitzplätzen einschloss. Das Unternehmen verfügte über 52 Agenturen sowie 2.100 Angestellte rund um die Welt (Abel 1984, 8) und setzte vor dem Ersten Weltkrieg an, Pathé zu überholen (Tabelle 11). Der Kriegsausbruch bedeutete jedoch für beide das Ende der Vorherrschaft auf dem internationalen Kinomarkt (Pearson 1998a, 25–30). Zu den wenigen europäischen Produktionsfirmen, die einigermaßen mit den französischen konkurrieren konnten, gehörte Nordisk Film in Dänemark, die sich auf den psychologischen Film mit viel Sex und meist tragischem Ende spezialisiert hatte. Das Unternehmen war auf dem zentral- und osteuropäischen Markt führend und produzierte 1913 den teuren und spektakulären Film ‚Atlantis‘ nach dem Drehbuch von Gerhart Hauptmann (Abel 1984, 8; Oppelt 2001, 80). Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte der französischen Filmindustrie ein abruptes Ende. Die Produktion musste eingestellt werden, und die Studios wurden für die Kriegsindustrie beschlagnahmt. Schon in den Jahren zuvor war der Anteil an Pathé-Filmen auf dem US-amerikanischen Markt stark zurückgegangen und betrug 1911 nur mehr zehn Prozent (Abel 1998, 105–108); Filmproduzenten in den USA, Dänemark, Schweden und Italien gewannen Marktanteile, was den Rückgang des französischen Anteils an der Weltproduktion auf 30 bis 35 Prozent zur Folge hatte. US-amerikanische Produktionsfirmen errichteten Vertriebsfirmen in Paris, und viele Kinos begannen US-amerikanische, italienische und andere ausländische Filme zu vorzuführen. Anfang Juni 1914 waren von den 20.000 Metern Film, die in Paris gezeigt wurden, 17.000 ausländischer Herkunft (Abel 1984, 9). Die Ära Pathé war zu Ende; der Aufstieg Hollywoods konnte beginnen. Das ortsfeste Kino

Pathés Erfolg führte zu einer grundlegenden Umstrukturierung des bislang gängigen, mobilen Kinobetriebs ab den Jahren 1906 und 1907. Mittels vertikaler Marktstrategie, mit der wie oben ausgeführt das Unternehmen das Kinogeschäft von der Produktion bis zur Distribution und dem Kino vor Ort, inklusive seiner Vorführpraxis in Form eines verliehenen Wochenprogramms, kontrollieren konnte, gelang es Pathé, den Absatz seiner industriell gefertigten Filmprodukte sicherzustellen. Dies

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

war nur über ortsgebundene Kinos möglich, da die Besitzer mobiler Kinos zu wenig Bedacht auf die Erneuerung ihres Filmangebots legten. Sie hielten sich nur kurz an einem Ort auf, und am nächsten Ort führten sie dieselben Filme wieder vor. Daher versuchte Pathé, das Geschäft von den Jahrmärkten und Kaffeehäusern wegzubekommen und in ortsfeste Kinos zu verlagern. Die regionalen Vertreter des Unternehmens unterstützten die Ausstattung solcher Kinos und organisierten den Filmverleih. Dies löste europaweit einen Boom in der Errichtung ortsfester Kinos aus. Damit waren zwei entscheidende Neuerungen verbunden. Eine davon war die Produktion von immer längeren Filmen bis hin zum abendfüllenden Film. Im Unterschied zum Wanderkino musste die Filmvorführung im ortsfesten Kino den Abend füllen. Die Länge der Filme stieg von zwei bis drei ab etwa 1910 auf zehn Minuten und ab etwa 1911 auf 30 Minuten und mehr. Spielfilme konnten nun 60 Minuten und länger dauern (Pearson 1998a, 25–30; Garncarz 2008, 30–40).34 Die andere Innovation war die Etablierung des Dramas als Filmgenre. Als der Spielfilm ein ganzes Abendprogramm zu tragen hatte, musste er das Publikumsinteresse für längere Zeit als bisher wachhalten. Dafür eignete sich das Drama in hervorragender Weise. Das Publikum begann zudem wählerisch zu werden und bevorzugte Filme, in denen es sich wiederfinden konnte. Die Programme der ortsfesten Kinos waren für ein breites Publikum attraktiver als die der Sprechtheater. Sie offerierten populäre Sensations- und Sittendramen, die sich am Theater nie hätten durchsetzen können, da sich dieses der gehobenen Unterhaltung für ein distinguiertes Publikum verpflichtet fühlte. Dazu kam, dass die Eintrittspreise für Kinovorstellungen günstiger als jene für Theatervorführungen waren (Bordwell; Staiger 1996, 163–164; Garncarz 2008, 30–40, 42). Diese Entwicklungen spielten den großen Filmproduzenten in die Hände. In der Frühzeit konnten Filme noch in Heimarbeit hergestellt werden: Es brauchte dazu nicht mehr als etwas Kapital, technisches Wissen und Enthusiasmus (Vasey 1998, 51). Mit der Etablierung des abendfüllenden Spielfilms war dies nicht mehr möglich. Dessen Produktion erforderte hohe Investitionen sowie eigens auf den Film abgestimmte Drehbücher. Ab der Jahrhundertwende gab es in den USA bereits einen riesigen Markt an freiberuflichen Roman- und Kurzgeschichtenautoren und -innen, auf den Hollywood zugreifen konnte. Ab den frühen 1910er-Jahren veranstalteten Produktionsfirmen Wettbewerbe für die besten Drehbücher und gingen auf Vertragsautoren und -autorinnen über, die besser und effizienter als die freiberuflichen arbeiteten (Bordwell; Staiger 1996, 164–166). 34

Der erste Langfilm der Welt, ‚Die Geschichte der Kelly-Bande‘, mit einer Länge von mehr als einer Stunde entstand 1906 in Australien (Vasey 1998, 51).

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Das ortsfeste Kino

Diese Umstrukturierungen zusammengenommen erforderten Kapitalinvestitionen, die Unternehmer in den kleinen und ökonomisch schwachen Balkanländern nicht aufbringen konnten. Die Kinobesucherinnen und -besucher waren daher früher oder später der Hegemonie der internationalen Produktionsfirmen ausgeliefert. Europa erlebte von etwa 1906/07 bis in den Ersten Weltkrieg hinein einen wahren Kinoboom. Einige Zahlen sollen dies verdeutlichen. Die Zahl der Kinotheater Deutschlands stieg von 456 (1910) auf 3.130 (1917). Allein die Zahl der Berliner Kinos stieg von 16 (1905) auf 206 (1913). 1908 zogen sie in Deutschland bereits viermal mehr Menschen an als die Wanderkinos – 171 Millionen Menschen in dieser Spielsaison (Oppelt 2001, 14, 83; Meusy 2002, 419–420; Garncarz 2008, 38–40). Die Zahl der Pariser Kinos stieg von ca. 40 (Ende 1907) auf 180 am Vorabend des Ersten Weltkriegs (Meusy 2002, 422). Tabelle 12: Anzahl der Kinos in Deutschland 1896–1917

Jahr 1896 1910 1913 1917

Anzahl der Kinos 1 456 2371 3130

Quelle: Oppelt 2001, 14, 83.

Tabelle 13: Anzahl der Kinos in Berlin 1905–1913

Jahr 1905 1907 1913

Anzahl der Kinos 16 139 206

Quelle: Meusy 2002, 419–420.

London mit seiner Bevölkerung von etwa sieben Millionen war zu Beginn des Ersten Weltkriegs mit knapp 500 Kinos bereits weitgehend versorgt. Bis 1917 stieg diese Zahl nur mehr auf 521 an. Die größte Kinodichte war in West London und West Central London zu verzeichnen – den Mittelpunkten des öffentlichen Großstadtlebens. Vergleichsweise hoch war die Dichte auch in den ärmeren Wohngebieten. Das Alexandre Theatre im Arbeiterviertel Stoke Newington verfügte über 5.000 Plätze, das Sadler’s Wells Theatre im proletarischen East End über 3.500 und andere zwischen 170 und 1.200 Plätze (Flickinger 2008, 188).

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Pathé, drei Kriege und die erste visuelle Revolution (1896–1920)

Die 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner St. Petersburgs konnten zwischen 130 (1913) und 184 Kinos (1917) wählen (Ebenda, 191, 194–195). Dabei hatte es 1910 erst 48 Kinos gegeben. Moskau mit einer Bevölkerung von etwa einer Million verfügte über 67 Kinos (1913) (Youngblood 2005, 556; Beumers 2009, 7). Im Vergleich dazu konnte eine Balkanhauptstadt wie Sofia mit seinen zwei Kinos bei einer Bevölkerung von rund 100.000 nicht mithalten (Aleksandrov 1983, 79–90). Während in St. Petersburg auf ein Kino rund 17.000 Einwohnerinnen und Einwohner entfielen, waren es in Sofia rund 50.000. In London entfiel ein Kino auf durchschnittlich 14.000 und in Paris auf etwa 11.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Was die Entwicklung in den Balkanhauptstädten anlangt, so fällt auf, dass in muslimisch geprägten Hauptstädten der Kinobetrieb beinahe ausschließlich von nicht-muslimischen Besitzern gewährleistet wurde. In Istanbul dauerte es bis zur Jungtürkischen Revolution von 1908, als die ersten Kinos von Ausländern eröffnet werden konnten. Bis dahin wurde ausschließlich mit mobiler Vorführausrüstung gearbeitet und nur Männern der Zutritt gewährt. Das erste ortsgebundene Kino war das Cinéma Théâtre Pathé Frères, das noch 1908 seine Pforten öffnete und vom bereits erwähnten Sigmund Weinberg geführt wurde.35 Das erste von einem Muslim betriebene Kino, das Milli Sinema (National-Kino) wurde 1914 eröffnet. Manche der frühen Kinos Istanbuls mussten sich auch für andere Veranstaltungen öffnen und arbeiteten nur temporär oder saisonal. Bis 1920 gab es lediglich ein Dutzend Kinos im gesamten Osmanischen Reich, die sich beinahe ausschließlich in Istanbul und Izmir befanden (Hinkle 2007, 30; Çeliktemel-Thomen 2009, 33; Savaş 2011, 30–31). Das erste ortsfeste Kino Bosniens – und wahrscheinlich auf dem Balkan insgesamt – wurde im Dezember 1907 in Sarajevo eröffnet – das Edison American Bioskop, das von einem Italiener Namens Giovanni Fabris geführt wurde und im März 1911 abbrannte. Anfang August 1910 richtete ein gewisser Georg Gritsch, der später in Travnik ein Kino eröffnen sollte, das zweite Kino ein, das Elektro-Theater Thaumatograph. Ein weiteres Kino, das Apollo Kino36, öffnete im September 1912 in der heutigen Irbi-Straße. Besitzer war der österreichische Bauunternehmer Albert Metz. Das Gebäude wurde im Jugendstil errichtet, bot 600 Sitzplätze an, verfügte über Zentralheizung und Ventilation und wurde in der Presse als elegantestes Kino der 35

In den 1910er-Jahren öffneten in Pera des Weiteren: das Ciné Éclair, das Ciné Lion, das Ciné Palace, das Ciné Cosmographe, das Ciné Centrale, das Les Cinémas Orienteux und das Ciné Gaumont. Sie wurden von Angehörigen nicht-muslimischer Bevölkerungsgruppen oder Ausländern geführt. 36 Dies war das erste Kino, das als solches errichtet wurde. Es wurde von Anton Walits betrieben, einem Neffen des Besitzers, der in Wien seine kinobezogene Ausbildung erhalten hatte.

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Monarchie gepriesen. 1913 wurden noch zwei weitere Kinos eröffnet: das Korzo mit 250 Plätzen und das Imperial37 mit 600 rotsamtenen Polsterplätzen. Das Korzo gehörte ebenfalls der Familie von Metz, der inzwischen verstorben war, das Imperial wurde von ihr gepachtet (Slijepčević 1982, 283–285; Kosanović 2005, 14–17, 28–33). Am Vorabend des Ersten Weltkriegs bestanden also vier Kinos, teilweise mit beachtlichen Sitzplatzkapazitäten. Sarajevo hatte 1910 eine Bevölkerung von 52.000. Mit einem Kino auf etwa 13.000 Einwohner und Einwohnerinnen wies seine Kinodichte etwa die Größenordnung von Paris und London auf. Der Grund für die gute Infrastruktur der bosnischen Hauptstadt dürfte wohl in dem Umstand zu finden sein, dass sich hier die Beamtenschaft des Landes aus der Donaumonarchie konzentrierte. Landesweit gab es 1915 in etwa 20 Kinos – damit entfiel ein Kino auf eine Bevölkerung von 94.902 (Slijepčević 1982, 288). Während es im Kosovo bis zum Ende des Ersten Weltkrieges offenbar kein einziges ortsgebundenes Kino gab (Kosanović 1985, 290–291), wurde in der nordalbanischen Stadt Shkodra am 1. September 1912, also knapp vor Ausbruch des Ersten Balkankriegs, das erste öffentliche Kino (Grand Kinoskioptiko – Theatri Eletrik) im Haus des bereits erwähnten Kolë Idromeno, der zuvor die erste Projektionsanlage importiert hatte, gegründet; es wurde vom Österreicher Josef Stauber betrieben (Hoxha 1994, 10–11, 13; Balauri 1996, 14–17; Elsie 2007, 9). Das erste ortsfeste Kino Belgrads, das Pariz, wurde Ende 1908 vom Kaufmann und Hotelier Svetozar Botorić in den Räumlichkeiten seines Hotels eingerichtet.38 Zuvor hatte das letzte mobile Kino, das Flamorion Kinotheater, hier Vorstellungen gegeben (Slijpčević 1982, 30). Die Kinoausrüstung und Filme musste sich Botorić über den Vertreter von Pathé in Budapest besorgen. Er führte auch die Filme für die wenigen anderen Kinos in Serbien ein und wurde 1911 offizieller ‚Vertreter der Brüder Pathé für Serbien und Bulgarien‘ (Kosanović 1998, 28). Als Vertreter Pathés verlieh er Filme, verkaufte Projektionsapparate und Ausstattung des französischen Unternehmens und bildete Kinooperateure aus. Ab Oktober 1913 konnte er in seinem Labor Filmzwischentitel in serbischer Sprache herstellen und montieren (Slijepčević 1982, 36–38). 37 38

Es wurde von der ‚Kroatischen Gesellschaft zur Unterstützung von Kindern und Lehrlingen Napredak‘ errichtet. Der in Opaljenik bei Ivanjice in der serbischen Provinz geborene Botorić wurde im Mai 1899 Miteigentümer des Hotel Pariz. Im Parterre offerierte das Hotel ein Café und eine Bierhalle. Das Café sollte später zum Kino umgewandelt werden. Nach der Okkupation Belgrads durch Österreich-Ungarn im Jahr 1915 wurde er in Ungarn interniert und starb im November 1916. Sein Kino wurde von der Okkupationsmacht requiriert (Slijepčević 1982, 36–38).

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Abb. 1: Kino, Hotel und Bierhalle Pariz im Zentrum Belgrads (1910) © Jugoslovenska kinoteka Abb. 2: Svetozar Botorić – Hotelier, Kinobesitzer, Pathé-Repräsentant und (Ko-)Produzent von drei der insgesamt vier serbischen Spielfilme aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg © Jugoslovenska kinoteka

1911 gab es zehn (Bottomore 2005, 58) und zu Beginn des Ersten Weltkriegs 18 Kinos in der Stadt, darunter das Moderni bioskop (1910), das Kasina (1911) und das Koloseum (1911) ( Jovičić 2010, 24–25).39 Außerhalb Belgrads waren es an die 30, davon 39 Einen kurzen Überblick über die Geschichte der meisten dieser Kinos bietet Slijepčević (1982, 39–49).

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Abb. 3: Das Kino Moderni bioskop der Gebrüder Savić in Belgrad (1911). Es handelte sich hierbei um eine Holzkonstruktion. Das Publikum musste weder hungern noch dursten © Jugoslovenska kinoteka

allein in Niš vier (Kosanović 1985, 59). Das Moderni bioskop40, eine Holzkonstruktion, war das erste Kino, das als solches errichtet wurde (Ebenda, 57–59). 1914 hatte Belgrad eine Bevölkerung von etwa 100.000, das heißt, dass ein Kino auf etwa 6.000 Menschen entfiel. Nach dieser Rechnung war Belgrad eindeutig besser mit Kinos versorgt als Paris oder London.41 Vergleichsweise unterversorgt mit permanenten Kinos waren dagegen Athen und Sofia. Die griechische Hauptstadt hatte 1920 lediglich sechs Kinos bei einer 40

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Die Besitzer waren Pera, Boža und Svetolik Savić. Sie waren Eigentümer der Zeitung Mali žurnal und auch Filmproduzenten. Boža studierte zwei Jahre Philosophie in Belgrad, Medizin in Wien, Berlin und Zürich. Pera absolvierte die Außenhandelsakademie in Wien. Er war leidenschaftlicher Fotoamateur und fotografierte in ganz Serbien (Slijepčević 1982, 41–44). Die Anzahl der Kinos pro Einwohner und Einwohnerinnen sagt freilich nicht allzu viel. Aussagekräftiger wären die Sitzplatzkapazitäten, die jedoch kaum zu eruieren sind.

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Bevölkerung von etwa 130.000. Allerdings gab es auch noch eine unbekannte Zahl an Sommerkinos (Karalis 2012, 1–4). Wann das erste ortsfeste Kino in Athen eröffnet wurde, erschließt sich aus der Literatur nicht (Toeplitz 1992, 304; Psoma 2008, 12, 21; Karalis 2012, 1–4). Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies erst nach der Vollelektrifizierung der Stadt 1911/12 der Fall war.42 Geht man von den sechs permanenten Kinos aus, dann entfiel ein Kino auf etwa 22.000 Menschen. In Sofia bestanden bis in den Ersten Weltkrieg hinein neben einigen kurzlebigen zwei Kinos: das 1908 errichtete Moderen teatăr und das 1909 eröffnete Odeon (Aleksandrov 1983, 79–90). Das Moderen teatăr wurde vom italienischen Millionär und InAbb. 4: Boža, Pera und Svetolik Savić, dustriellen Carlo Alberto Vaccaro errichBelgrader Kinobesitzer und Zeitungshertet. Er besaß unter anderem in Plovdiv eine ausgeber © Jugoslovenska kinoteka Fabrik mit 200 Arbeitern und war Direktor der Balkanska banka (Ebenda, 67–74). Das drei- bis viertausend Menschen fassende Odeon war als Volkstheater konzipiert; tagsüber wurden Filme von Pathé gezeigt und abends Operetten aufgeführt (Ebenda, 76–79). In der späteren Hauptstadt Makedoniens, Skopje, wurde 1912 das erste, das in einer Holzbaracke untergebrachte Kino Vardar von zwei Kaufleuten eröffnet, das bis zum Zweiten Weltkrieg in Betrieb war und eine Kapazität von 500 Plätzen aufwies. Ein zweites Kino, das 1914 gegründete Balkan, war nur wenige Monate in Betrieb. In Bitola richteten die Brüder Taško und Kostadin Čomu 1913 das erste Kino, das Velika Srbija, ein. Die Filme bezogen sie über die Pathé-Vertretung in Saloniki (Kosanović 1985, 246–247; Petruševa 2007). In ganz Montenegro gab es bis zum Ersten Weltkrieg lediglich zwei ortsfeste Kinos – jeweils eines in Cetinje und Nikšić. In Cetinje war es der in der Vojvodina geborene und 1903 zugewanderte Ljubo Tamindžić, der 1911 ein Kino gründete, das mit kleinen Unterbrechungen bis zum Ersten Weltkrieg in Betrieb war. Er war 42

1912 öffneten das Attikon, das Pallas und das Splendid ihre Pforten. 1913 wurde das legendäre Rosi-Clair eröffnet, das ein halbes Jahrhundert lang die populärsten Filme zeigte, bis es 1969, am Ende des Kinobooms, geschlossen wurde (Karalis 2012, 1–4).

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ausgebildeter Uhrmacher, Graveur und Feinmechaniker und der erste Kinooperateur Montenegros. In Nikšić begann nach den Balkankriegen der Unternehmer Branko Šobajić mit einem Kinobetrieb im Erdgeschoß seines Hauses. Der Kinosaal wurde mit Petroleumlampen ausgeleuchtet. Die Filme bezog er über Tamindžić (Slijepčević 1982, 254–263). Die hauptstädtischen Agglomerationen des Balkanraums waren also sehr unterschiedlich dicht mit Kinos ausgestattet. Belgrad scheint die Stadt mit dem dichtesten Kinonetz gewesen zu sein. Länder und Regionen mit muslimischen Mehr- und Minderheiten wie Bosnien-Herzegowina (Sarajevo ausgenommen), Albanien, Kosovo, Makedonien und die spätere Türkei (Istanbul ausgenommen) waren bis zum Ersten Weltkrieg extrem schlecht mit Kinos versorgt. Dies deckt sich in etwa mit den Regionen, in denen auch die Fotografie wenig Popularität genoss. Dafür mögen ökonomische Gründe eine Rolle gespielt haben, aber ausschlaggebend waren meiner Meinung nach religiös-kulturelle. Was die Haltung der Religionen zum Kino anlangt, ging es der orthodoxen Kirche in erster Linie darum, Filme religiösen Inhalts zu unterdrücken. Die russisch-orthodoxe Kirche lehnte das Kino generell ab, konnte jedoch nicht verhindern, dass Gläubige Kinovorstellungen besuchten (Beumers 2009, 8). Es gelang ihr jedoch, das Verbot religiöser Inhalte in den Zensurbestimmungen des Landes zu verankern (Tsivian 1994, 126). Auch die griechisch-orthodoxe Kirche bewertete das Kino als moralisch höchst bedenklich und fürchtete, dass es einen schädlichen säkularen Einfluss auf die Gesellschaft ausübte. Darüber hinaus sah sie das Kino als Einfuhrkanal negativer ausländischer Werte und als Quelle religiöser Missdeutungen. Auch der Starkult mit seinen opulenten Lebensstilen, Skandalen und sexuellen Ausschweifungen wurde als fremder und korrumpierender Einfluss interpretiert, der soziale Werte transportierte, die mit den griechischen Traditionen nicht vereinbar waren. Mitte der 1910er-Jahre startete die Kirche eine Kampagne mit dem Ziel, Filme religiösen Inhalts verbieten zu lassen. Als der Kameramann Joseph Hepp, ein Ungar, der schließlich griechischer Staatsbürger wurde, eine Messfeier in der Athener Metropolitankirche zu filmen versuchte, wurde er völlig unzeremoniell von den Messbesuchern entfernt (Hess 2011, 60–63). Während für den orthodoxen Bereich zu beobachten ist, dass die Kirche den Kinobesuch ihrer Gläubigen zu untergraben versuchte, war es in der muslimischen Bevölkerung wohl eher so, dass die Menschen entweder von sich aus keine Ambitionen auf Kinobesuche hatten oder der soziale Druck so groß war, dass sie der Versuchung widerstanden. In Istanbul gab es relativ viele am Kino potenziell interessierte Muslime und Musliminnen. Das war allerdings genau das Problem: Männer und Frauen wollten Filme sehen. Für die erwähnten Filmvorführungen im Istanbuler

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Viertel Şehzadebaşı wurde das Publikum geschlechtlich getrennt – entweder durch unterschiedliche Vorführzeiten für Männer (abends) und Frauen (tagsüber) oder durch einen Vorhang. Mitunter wurden spezielle Frauenlogen eingerichtet (Özen 2008, 50–51). Sigmund Weinberg eröffnete sogar ein eigenes Frauenkino; von dessen Kartenerlösen spendete er ein Viertel an den osmanischen Roten Halbmond (Özuyar 2014, 51). Ein gemischter Kinobesuch ohne die Teilung des Kinosaals nach Geschlechtern war erst nach dem Ersten Weltkrieg möglich. 1919 saßen bereits in einigen Istanbuler Kinos Türken zusammen mit ihren Ehefrauen im Saal43. Das einzige Kino Ankaras wies hingegen noch Männer- und Frauensektoren auf (Hinkle 2007, 30–31). Die Situation für weibliche Filmdarstellerinnen war ähnlich schwierig wie für Bühnenschauspielerinnen. 1922 drehte Muhsin Ertoğrul den Film ‚Eine Liebestragödie in Istanbul‘. Während der Dreharbeiten bewarf ein konservativer Mob das Filmteam mit Steinen, weil Frauen im çarşaf (Totalverschleierung) gefilmt wurden. Der Umstand, dass die eine Schauspielerin eine Russin und die andere eine Armenierin war, änderte nichts an dieser negativen Haltung (Skylstad 2010, 70–71). Ertoğrul drehte 1923 einen weiteren Film, ‚Das Flammenhemd‘, nach einem Roman der türkischen Autorin Halide Edip aus dem Jahr 1922. Dieser kann insofern als historisch eingestuft werden, als mit Bedia Muvahhit und Neyyire Neyir die ersten muslimisch-türkischen Frauen auf der Leinwand zu sehen waren. Danach wurde Muvahhit von Atatürk ermutigt, mit seiner offiziellen Genehmigung auch im Theater aufzutreten (Ebenda, 70–71). Trotz dieses scheinbaren emanzipatorischen Durchbruchs gab es auch noch in den 1930er- und frühen 1940er-Jahren Probleme mit der Rekrutierung weiblichen Schauspielnachwuchses für die Theaterakademie in Istanbul und für das staatliche Konservatorium in Ankara. Pessimisten fürchteten sich sogar vor einem Szenario, wonach Frauenrollen deswegen wieder von Männern gespielt werden mussten. Wie schwierig es für Frauen war, in das Filmgeschäft einzusteigen, geht aus einer Annonce des Kino- und Theatermagazins Perde ve Sahne 1941 hervor. Eine zukünftige Schauspielerin musste folgende Kriterien erfüllen: Sie sollte zwischen 20 und 25 Jahre alt sein, Sekundarabschluss haben, eine korrekte Aussprache aufweisen, ein fotogenes Gesicht und eine mikrofontaugliche Stimme haben. Und schließlich: Ihre Familie musste mit Filmauftritten einverstanden sein (Ebenda, 82–83). Letzteres war wohl das größte Hindernis.

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Einer anderen Angabe zufolge fand die erste gemischte Vorstellung 1923 in Izmir nach einer Intervention Atatürks statt (Akçura; Turan 2014, 35).

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Abb. 5: Bühnen- und Filmschauspielerin Bedia Muvahhit © TÜRVAK

Abb. 6: Bühnen- und Filmschauspielerin Neyyire Neyir © TÜRVAK

Im bosnischen Sarajevo hingegen wurden die Kinos von Ausländern für Ausländer errichtet. Das Hauptpublikum bestand aus Landesfremden, die sich ab 1878 angesiedelt hatten, also die Familien von Offizieren und Beamten sowie stationierte Soldaten. Die drittgrößte Gruppe bildeten Jugendliche und Kinder, erst die viertgrößte Gruppe einheimische Bürger. Muslimische Frauen kamen überhaupt nicht in die Vorstellungen, aber auch christliche Frauen waren selten, da sie es gewohnt waren, die Öffentlichkeit zu meiden. Muslimische Zeitungen druckten weder Ankündigungen für Filmvorführungen noch berichteten sie über diese (Slijepčević 1982, 293–294, 302–306). Eine andere Frage ist, wie viele Menschen in den Städten sich überhaupt einen regelmäßigen Kinobesuch leisten konnten. Sie ist äußerst schwer zu beantworten. Zeitgenössische Berichte dokumentieren, dass Teile der Belgrader Bevölkerung bettelarm waren. Um 1900 verdiente ein Maurer täglich durchschnittlich 4,31 und ein Taglöhner 2,25 Dinar. Der Taglöhner konnte sich dafür zwar vier Liter Wein oder drei Kilogramm Schweinefleisch kaufen (Sundhaussen 1989, 404–413), aber er musste auch noch 18 Dinar Monatsmiete für seine Einzimmerwohnung (für eine größere entsprechend mehr) (Mišković 2008, 304–305) beiseitelegen, und auch die Familie wollte versorgt werden. Verglichen mit anderen Unterhaltungen war jedoch eine Kinoeintrittskarte nicht sehr teuer. Ihr Preis bewegte sich im Falle des Wanderkinos zwischen 20 Para (für

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Kinder und Soldaten) und 1 Dinar (für gewöhnliche Erwachsene). Unter den ortsfesten Belgrader Kinos waren zwei Gruppen zu unterscheiden: die teuren, die mehr als 1 Dinar pro Eintrittskarte verlangten, und die billigen, deren Eintrittspreise unter 1 Dinar lagen. Letztere waren in den schlechteren Stadtteilen angesiedelt und orientierten die Eintrittspreise an den Möglichkeiten der potenziellen Klientel, wie etwa das Sozialistische Volkshaus, das für Abendkarten 50 Para und für Tageskarten 30 Para kassierte, während in einem der besseren Kinos der Logenplatz auf 2 Dinar kommen konnte. Eine Theatereintrittskarte kostete 50 Para bis 3 Dinar und eine Konzertkarte zwischen 50 Para und 8 Dinar. Der Belgrader Arbeiterverein verlangte für seine Konzerte 1,50 Dinar Eintritt (Slijepčević 1982, 76–79). Daraus schließe ich, dass selbst die billigen Belgrader Kinos keine ‚Theater für die Armen‘ darstellten, denn der Taglöhner konnte sich mit seinem Tageseinkommen von 2,25 Dinar im Sozialistischen Volkshaus theoretisch täglich knapp fünf Abendoder acht Tageskarten kaufen und der Maurer bei seinem Einkommen von 4,31 Dinar sogar 14 Tageskarten. Dies entspricht etwa heutigen österreichischen PreisEinkommensrelationen, die einen Kinobesuch nicht gerade billig gestalten. Da der Taglöhner mit seiner fünfköpfigen Familie das Kino nicht tagsüber besuchen konnte, kostete ihn ein Kinobesuch seinen gesamten Tageslohn. Der Taglöhner mit Familie dürfte sich also das Vergnügen eines Kinobesuchs nicht häufig gegönnt haben; für Alleinstehende und beruflich besser Qualifizierte war die Situation deutlich günstiger. Das Publikum der teureren und zentral gelegenen Kinos rekrutierte sich vermutlich primär aus den bürgerlichen und freien Berufen bzw. der Beamtenschicht. Serbiens Bevölkerung umfasste 1910 2,9 Millionen Menschen. Ich vermute, dass nicht mehr als fünf Prozent oder 150.000 Menschen in der fraglichen Zeit zum potenziellen Kinopublikum zählten. Es war also wohl eine kleine, urbane Bevölkerungsschicht, die das Kino in seiner frühen Phase frequentierte. Wie die Belgrader Daten zeigen, musste sich das Publikum nicht unbedingt nur aus den gehobenen sozialen Schichten zusammensetzen, aber für das Prekariat stellte der Kinobesuch einen Luxus dar. Die Preise der billigeren Kinos waren wohl so ausgerichtet, dass sich so viele Menschen den Eintritt leisten konnten, damit das Kino überlebte. Die Eintrittspreise wurden jedoch nicht nur von den Kinobesitzern bestimmt, sondern auch von Behörden, die den Kinobesuch mit Vergnügungs- und anderen Kommunalsteuern belegten und den Import von Filmen besteuerten. Schließlich gestalteten auch die Filmproduzenten und -verleiher den Preis mit. Der Filmverleih an die frühen permanenten Balkankinos verlief über Triest, Wien und Budapest, wo die Vertreter praktisch aller großen Filmproduzenten ihren Sitz hatten. Die in Triest ansässigen versorgten die Kinos in Dalmatien, Istrien, Westslowenien und in der Herzegowina; jene in Wien Ostslowenien, Kroatien

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und Bosnien und die in Budapest Slawonien, die Vojvodina und Serbien (Kosanović 1998, 28). So etwa wurde, wie bereits erwähnt, der erste Kinobesitzer Belgrads, Svetozar Botorić, mit Ausrüstung, Filmtechnik, Ersatzteilen, Filmen sowie Ankündigungsplakaten vom Pathé-Vertreter in Budapest, Leo Goldstein, versorgt (Ebenda, 28; Kosanović 1985, 54–55). Das erwähnte Moderen teatăr, das größte stationäre Kino Bulgariens, schloss 1909 einen Vertrag mit Pathé, womit es alleiniger Repräsentant für Filme, Ausrüstung und die Installation neuer Kinos in Bulgarien und Makedonien wurde. Das im Frühjahr 1912 in eine Aktionärsgesellschaft umgewandelte Unternehmen gründete im selben Jahr Filialen in Edirne und Alexandria und verlieh Filme an ein breites Netzwerk an Zweigstellen in Belgrad, Saloniki, Athen, Izmir, Alexandria und wahrscheinlich auch in Edirne und Istanbul. 1914 belieferte es alle größeren Städte Bulgariens mit Filmen (Aleksandrov 1983, 67–74). Im Unterschied zu den durchreisenden Besitzern mobiler Kinos waren die Eigentümer oder Pächter ortsfester Kinos von einigen Ausnahmen abgesehen durchwegs Einheimische. Zu diesen Ausnahmen zählt die bereits erwähnte Familie des österreichischen Bauunternehmers Albert Metz, die die wichtigsten Kinos in Sarajevo besaß bzw. in Pacht hatte, oder das von Sigmund Weinberg geleitete PathéKino in Istanbul. In Sofia eröffnete der Wiener Ingenieur I. Gajduschek im Jänner 1909 das kurzlebige Apolo teatăr, das in Anspielung auf seinen Besitzer auch Wiener Kino genannt wurde (Ebenda, 74–75). Das Moderen teatăr in Sofia gehörte dem italienischen Millionär und Industriellen Carlo Alberto Vaccaro. Bau und Einrichtung von Kinos konnten sehr kostenintensiv sein, weshalb zum Beispiel in Serbiens früher Kinozeit Hoteliers und Gastwirte als Kinobesitzer fungierten. Mitunter gingen Kinos aus den Vorführlokalitäten mobiler Filmschauen hervor. Die besten Belgrader Kinos gehörten Großhändlern, Industriellen oder Zeitungsbesitzern, die den unmittelbaren Kinobetrieb Geschäftsführern überantworteten (Slijepčević 1982, 58). Die filmvorführenden Operateure der ersten Stunde mussten durchwegs im Ausland rekrutiert werden, da es im Land selbst an Fachkräften mangelte (Kosanović 1985, 55, 59). Verglichen mit dem durchschnittlichen Tageslohn eines Belgrader Arbeiters in der Höhe von 4,31 Dinar waren sie mit 300 Dinar im Monat gut bezahlt. Sie verfügten üblicherweise über eine technische Ausbildung, waren Uhrmacher, Elektriker oder Mechaniker. Sie rüsteten neue Kinos technisch aus und arbeiteten Einheimische in dieses Metier ein. Zwei der in Belgrad wirkenden Operateure sind namentlich bekannt: Slavko Jovanović, in Sefkerin im Banat 1887 in eine arme Bauernfamilie hineingeboren, absolvierte in Belgrad eine Uhrmacherausbildung. Rudolf Prohaska war einer der vielen Tschechen, die es als mobile Filmvorführer nach

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Serbien verschlug. In Prag hatte er das Meisterdiplom als Elektriker erworben. In Belgrad arbeitete er als Elektriker und Filmvorführer und installierte die frühen Kinos in Serbien und Makedonien (Slijepčević 1982, 58–60). Die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in den Kinos der Balkanländer vorgeführten Filmprogramme stammten wenig überraschend in erster Linie aus Frankreich und davon wiederum die meisten von Pathé; in zweiter Linie kamen italienische, dänische oder deutsche Programme (Ebenda, 94; Segrave 1997, 3; Büker 2002, 153–154; Psoma 2008, 36–43). Ein Programm war üblicherweise 1.200 bis 2.000 Filmmeter lang, was bedeutete, dass etwa zehn bis zwölf Filme hintereinander gezeigt wurden. Ein und dasselbe Programm wurde in zwei oder drei Belgrader Kinos gleichzeitig gezeigt – entweder unter dem gleichen oder einem leicht veränderten Titel. Es wurde drei oder vier Tage lang gespielt und dann gewechselt, wobei der Wechsel üblicherweise montags und donnerstags erfolgte (Slijepčević 1982, 60–62). Das Filmprogramm des Belgrader Moderni bioskop vom 27. Oktober 1911 sah beispielsweise folgendermaßen aus:  ‚Das Leben der Meerestiere‘, Naturfilm 135m ‚Aus dem türkisch-italienischen Krieg‘, Aktualitätenfilm 110m  ‚Usurpator‘, Drama 130m ‚Bumbar‘, Humorfilm 105m ‚Vögel und Nester‘, Naturfilm 130m ‚Soldatenblut‘, Drama 360m ‚Die Obelisken‘, Humorfilm 150m ‚Kabale und Liebe‘, Drama (koloriert) 450m  Gesamtprogramm 1.960m (Ebenda, 60–62) Das Kino in den Balkanhauptstädten folgte zweifellos den europäischen Trends, zumal die visuelle Hegemonie von Produktionsunternehmen wie Pathé und Gaumont unbestritten blieb. Die ersten ortfesten Kinos entstanden nicht wesentlich später als in Paris oder in Berlin. Wie überall sonst auch dominierte Pathé den Markt, in dessen Distributionsnetzwerk die Balkanländer eingebunden waren. Für die frühe Zeit des Kinos liegen keine Statistiken vor, die einen quantitativen Vergleich, was die Dichte des jeweiligen nationalen Kinonetzwerkes (Anzahl der Kinos gemessen an der Zahl der Bevölkerung) anlangt, zulassen. Aus den Statistiken, die für die Zwischenkriegszeit vorliegen, lässt sich jedoch rückschließen, dass sich die Balkanländer auch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg am unteren Rande der Skala europäischer Länder befanden.

Filmproduktion

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Filmproduktion

Im Jahr 1912 jährte sich zum 35sten Male der Tag, an dem Rumänien an der Seite Russlands in den Krieg gegen das Osmanische Reich eintrat, was dem Land 1878 die Unabhängigkeit einbrachte. Zum Gedenken daran sollte der Historienfilm ‚Die Unabhängigkeit Rumäniens‘ gedreht werden. Die Idee dafür wird üblicherweise dem Absolventen der Bukarester Schauspielschule und Filmregisseur Grigore Brezeanu zugeschrieben. Es gibt auch die Version, dass die patriotisch gesinnten Schauspieler selber diesen Plan gefasst hätten. Nach einer wiederum anderen war der bekannte Schauspieler Constantin Nottara der entschlossenste Betreiber des Projekts oder wirkte zumindest entscheidend am Drehbuch mit. Leon Popescu, ein reicher Unternehmer und ehemaliges Senatsmitglied, sagte die Produktion des Films zu, nachdem er das Drehbuch gelesen hatte. Das Medium Film stellte für ihn keine fremde Materie dar. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte er sich in Künstlerkreisen einen Namen als Betreiber des populären Lyrischen Theaters gemacht. 1906 finanzierte er auf die Initiative eines deutschen Geschäftsmanns hin eine kleine Kinohalle im Stadtzentrum. Über Finanzierung und Eigentumsrechte des neuen Films geriet er nach dessen Veröffentlichung mit seinem Geschäftspartner Pascal Vidraşcu in Streit. Vidraşcu klagte Popescu auf einen größeren Anteil an den Einnahmen, verlor jedoch angeblich vor Gericht (Grama 2010, 37–50). Der Chef der Bukarester Zweigstelle von Gaumont, Raymond Pellerin, hatte versucht, Brezeanus und Popescus Projekt zuvorzukommen und im Herbst 1911 eine Gruppe jüdischer Schauspieler angeheuert. Der Film war in wenigen Wochen fertiggestellt, jedoch verlangte der offensichtlich voreingenommene Bukarester Polizeichef eine amtliche Vorführung vor seiner Freigabe. Erbost über den Umstand, dass der König und andere große Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von Juden dargestellt wurden, ordnete er die Zerstörung des Films an (Ebenda, 37–50). Brezeanus und Popescus Projekt nahm einen gemächlicheren Gang. Im Herbst 1911 schickte Popescu Brezeanu nach Paris, um die für die Dreharbeiten benötigte Ausrüstung anzukaufen und einen Kameramann anzuheuern. Die Dreharbeiten begannen im Februar 1912. Nach deren Abschluss im Juni reiste Popescu mit seiner restlichen Crew nach Paris, um mit Produktionsfirmen über Schnitt und Negativabzüge zu verhandeln. Schließlich verpflichtete sich die Firma Alter Ego, die Schneidearbeiten für einen halben Franc pro Meter durchzuführen. Popescu ließ eine spezielle Version für russische Verleiher herstellen. Letztlich machte er etwa 58.000 Francs Gewinn und kaufte den Schauspielern offensichtlich bestehende Rechte am Drehbuch ab. Der Film wies in einer Zeit, in der ein Spielfilm durchschnittlich 20 Minuten dauerte, mit 45 Minuten eine bemerkenswerte Länge auf (Ebenda, 37–50).

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Am 1. September 1912 fand, begleitet von Militärmusik, die offizielle Premiere von ‚Die Unabhängigkeit Rumäniens‘ im Eforie, dem damals prestigeträchtigsten Kino Bukarests, statt. Der Film lief dort drei Wochen lang – und parallel dazu in weiteren Kinos (Ebenda, 37–50). Eine gekürzte Version wurde in Österreich-Ungarn, Russland, Italien, Deutschland und Frankreich gezeigt (Darian 1996, 91–92). Der Film stellte zweifellos das erfolgreichste Filmprodukt auf dem Balkan vor dem Ersten Weltkrieg dar. Ich habe die Entstehungsgeschichte dieses Films ausführlich dargestellt, da sie aus mehreren Gründen interessant ist. Sie zeigt die rechtlichen Unsicherheiten, die mit der FilmAbb. 7: Grigore Brezeanu © Arhiva Națioproduktion in jener Zeit verbunden waren, nală de Filme urheberrechtliche Unklarheiten, aber auch unter welchen Rahmenbedingungen Filme entstanden: Ausrüstung und Kameramann mussten in Frankreich besorgt werden, die Schneide- und Kopierarbeiten ebenso dort durchgeführt werden. In Rumänien mangelte es an technischer und professioneller Infrastruktur für die Filmproduktion. Da alle für den Produktions- und Vorführbetrieb benötigten Geräte importiert werden mussten, war der entstehende Kinobetrieb vom Know-how, den Geräten und den Filmen von Pathé oder anderen ausländischen Firmen abhängig. Der Aufbau einer regelrechten Filmindustrie war aber auch aufgrund der hohen Investitionskosten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nicht möglich. Die wenigen frühen in den Balkanländern erzeugten Spielfilme befriedigten die Nachfrage des heimischen Publikums bei Weitem nicht. Mutigen Einzelinitiativen gelang es zwar, Kurzfilme und sogar einzelne längere Spielfilme herzustellen; im internationalen Kinobusiness spielten diese jedoch keine oder nur ausnahmsweise eine Rolle. Dies trifft auch auf die Aktivitäten der als Filmpioniere des Balkans gepriesenen Brüder Manaki zu. Milton und Janaki44 Manaki, Fotografen, Filmer und Kinobesitzer in Bitola/ Manastır, hinterließen etwa 18.500 Fotos und rund 40 kurze Filme mit einer Ge44

Makedonische Schreibweise; die griechische lautet Miltos und Yannakis, die türkische Milton und Yanaki, die aromunische Milton und Ianachia (Arslan 2011, 33), die rumänische Miltiade und Ienache und die albanische Janaq und Milto (Hoxha 1994, 64–71).

Filmproduktion

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Abb. 8: Szene aus dem Film ‚Die Unabhängigkeit Rumäniens‘ / ‚Independenţa României‘ © Arhiva Națională de Filme

samtlänge von etwa 2.500 Metern, was etwa für ein abendfüllendes Programm ausgereicht hätte. Beide hatten das rumänische Gymnasium in Ioannina, im heutigen Nordgriechenland, besucht. Janaki arbeitete ab 1899 als Zeichenlehrer an diesem Gymnasium und von 1906 bis 1916 als Lehrer an der rumänischen Schule in Bitola. Milton war der eigentliche ‚Filmemacher‘. Die meisten seiner Filme sind ethnografischer Natur und entstanden zwischen 1907 und 1911. Er ließ die Filme in Wien entwickeln; der Transport wurde über die Kurierpost des österreichisch-ungarischen Konsulats in Bitola abgewickelt. Von den frühen einheimischen Kameraleuten auf dem Balkan war er zwar nicht der erste, aber zweifellos der produktivste (Ţuţui 2009, 4–38, 62–63). Die Bezeichnung ‚Filmemacher‘ ist problematisch, da Milton ein Amateurfilmer war, seine Filme ungeschnitten blieben und es keinen Hinweis dafür gibt, dass sie jemals vor 1958 öffentlich gezeigt worden waren (Kosanović 1985, 261–272; Stardelov 2007, 143–144; Ţuţui 2009, 66).45 1906, im Jahr bevor Milton seine Tätigkeit aufnahm, waren in Athen einige Streifen über die Olympischen Spiele, möglicherweise von heimischen Kameraleuten, hergestellt worden. Die Anfänge des Aktualitätenfilms auf dem Balkan gehen jedoch auf das Jahr 1897 zurück, als der Bukarester Paul Menu, ein Optiker und Fotograf französischer Herkunft, ‚Die königliche Parade am 10. Mai 1897‘ und anschließend 45

Ausführliche Biografien siehe Ţuţui 2009.

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weitere 16 Ereignisse filmte.46 Er sandte die Aufnahmen zur Entwicklung zu Lumière nach Lyon und präsentierte die ersten von ihnen am 21. Juni 1897 in Bukarest. Weshalb er seine Filmtätigkeit nicht fortsetzte, ist unklar. Jedenfalls erwarb seine Kamera der Neurologe Dr. Gheorghe Marinescu. Dieser stellte zusammen mit einem Kameramann von 1898 bis 1901 eine Serie vergleichender wissenschaftlicher Filme von neurologisch Kranken her, unter anderem den Film ‚Gehschwierigkeiten bei organisch bedingter Hemiplegie‘ (Cernat 1982, 9–11; Stoil 1982, 9–12; Ţuţui 2009, 2–8).47 Soweit also die Rekonstruktion der bescheidenen Anfänge des nicht-fiktionalen Films auf dem Balkan. In Europa Abb. 9: Der erste serbische Spielfilm ‚Karadwurden bis 1914 schätzungsweise rund jordje‘, von dem die einzige Kopie im Film Arzweitausend Spielfilme hergestellt (Salt chiv Austria überlebte © Jugoslovenska kinoteka 2002, 322). Dazu steuerten die Balkanländer lediglich etwa ein halbes Dutzend bei. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden in Belgrad vier Spielfilme hergestellt. Drei davon wurden von Svetozar Botorić produziert oder mitproduziert (Slijepčević 1982, 176–177). Sein erster Spielfilm war ‚Leben und Werk des unsterblichen Anführers Kara­ djordje‘, der in der Sommerpause des Belgrader Nationaltheaters 1911 zusammen mit Pathé gedreht und produziert wurde; Louis de Beéry48 fungierte als Kameramann. Regisseur war der bekannte Schauspieler Čiča Ilija Stanojević (Toeplitz 1992, 301; Jovičić 2010, 25–26). Sein zweiter Spielfilm, ebenfalls in diesem Sommer gedreht, 46 Die Manager der Bukarester Zeitung L’Indépendance Roumaine erwarben eine LumièreKamera in Lyon und vertrauten sie dem jungen Fotografen an. 47 Filme zu wissenschaftlichen Zwecken herzustellen, war zu dieser Zeit bereits weltweit üblich. In Argentinien etwa nahm der Chirurgiepionier Alejandro Posadas zwei seiner Operationen im Jahr 1900 auf. In Brasilien wurde 1909 die Arbeit des Präventivmediziners Oswaldo Cruz ‚Die Ausrottung des Gelbfiebers in Rio‘ verfilmt (López 2000, 57). 48 Künstlername; der richtige Name des Ungarn war Lajos Zoltan Arpad Pitrolf (geb. 1879); er war Fotograf und Kameramann bei Pathé.

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war das historische Drama ‚Ulrich von ­Cilli und Vladislav Hunyadi‘. Beide wurden im Labor von Pathé entwickelt (Slijepčević 1982, 142–151; Jovičić 2010, 25–26). Die Brüder Savić, Inhaber des Kinos Moderni bioskop, waren Botorićs Hauptkonkurrenten. Sie waren mit Gaumont verbunden und begannen Ende 1911 Aktualitätenfilme zu produzieren, bis sie schließlich im März 1912 das serbische Drama ‚Die traurige Mutter‘ verfilmten. Als Kameramann fungierte de Beéry, der Botorić Anfang 1912 verlassen hatte. Die Brüder Savić arbeiteten auch mit dem jungen Kameramann Karl Freund zusammen, der später einer der bedeutendsten deutsch-amerikanischen Kameramänner der Stummfilmzeit werden sollte und für Fritz Abb. 10: Čiča Ilija Stanojević, Belgrader Lang, Friedrich Murnau, John Ford oder Schauspieler, Theater- und Filmregisseur © Fred Zinnemann arbeitete. Sein Handwerk Jugoslovenska kinoteka hatte er beim deutschen Filmpionier Oskar Messter erlernt. Nach Belgrad kam er, um ein Filmlabor für das Moderni bioskop zu organisieren. Die Belgrader Filme waren seine ersten (Slijepčević 1982, 151–160; Kosanović; Tucaković 1998, 30). In Rumänien begann die Spielfilmproduktion ebenfalls im Jahr 1911 mit der Pathé-Produktion ‚Fatale Liebe‘ unter der Regie von Grigore Brezeanu (Darian 1996, 91–92). Wie bereits erwähnt, drehte er, zusammen mit Kunstfilm Leon Popescu als Produzent, auch den zweiten Spielfilm, ‚Die Unabhängigkeit Rumäniens‘ (1912). Das patriotische Thema veranlasste das rumänische Kriegsministerium, den Film mit Militärberatern, (angeblich) 80.000 Soldaten sowie Originalwaffen und -uniformen zu unterstützen (Darian 1996, 91–92; Ţuţui 2009a, 12). In Griechenland wurde bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ein einziger Spielfilm produziert: ‚Golpho‘ (Athene Film, 1914), ein abendfüllender Streifen von 79 Minuten Länge. Produzent war der aus Izmir stammende Unternehmer Kostas Bahatoris, Regisseur der Italiener Filippo Martelli; die Schauspieler und Schauspielerinnen stammten alle vom Theater. Als Vorlage diente ein Theaterstück gleichen Titels aus dem Jahr 1893. Es handelte sich dabei um den ersten von vielen sogenannten Fustanella-Filmen (Filme mit ländlichem Hintergrund), dessen Premiere am 12. Jänner 1915 im Athener Filmtheater Pantheon stattfand und der ein kommerziel-

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Abb. 11: Das Labor des Filmproduzenten Leon Popescu © Arhiva Națională de Filme

Abb. 12: Szene aus ‚Der Bulgare ist galant‘ / ‚Bălgaren e galant‘ von und mit Vasil Gendov © Bălgarska Nacionalna filmoteka

ler Misserfolg war (Constantinidis 2000, 3–4; Psoma 2008, 36–43; Karalis 2012, 8). In Bulgarien wurde bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs kein einziger Spielfilm produziert. Erst 1915 drehte der Filmpionier Vasil Gendov die kurze Komödie ‚Der Bulgare ist galant‘, in der er selber die Hauptrolle spielte (Holloway 1986, 76–77). Auch im Osmanischen Reich entstand bis zum Ersten Weltkrieg kein einziger Spielfilm. Erst mitten im Krieg ließ die Armeeführung eine Filmproduktion aufbauen. Sigmund Weinberg, Leiter des Foto- und Filmzentrums der Armee bis zum Eintritt Rumäniens in den Krieg (1916), bereitete zwei Filme vor. Der erste, ‚Kichererbsenverkäufer Horhor‘, konnte nicht fertiggestellt werden, weil die Schauspieler zum Militärdienst eingezogen wurden. Den zweiten, ‚Die Hochzeit von Himmet Ağa‘, stellte Wein-

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bergs Kameramann Fuat Uzkınay selber fertig (Arslan 2011, 38–41). In allen sieben in den Balkanländern von 1911 bis 1914 produzierten Spielfilmen hatten mangels einheimischer Fachkräfte ausländische Kameraleute die Aufnahmeleitung inne. Die erste Generation einheimischer Kameraleute setzte sich vornehmlich aus professionellen Fotografen zusammen (Holloway 1986, 76). Im internationalen Filmbusiness fiel den Kameraleuten bis etwa 1907 eine zentrale Rolle im Arbeitsprozess zu. Erst ab dann begannen sich die Arbeitsbereiche auszudifferenzieren, was den Regisseuren größeres Gewicht verlieh. Abb. 13: Vasil Gendov – Pionier des In der frühen Zeit waren sie oft Produzenten bulgarischen Films © Bălgarska Naciound Kameramänner in einem. Als die Nachnalna filmoteka frage ab etwa 1906/07 stark zu steigen begann, stieß dieses System an seine Grenzen und konnte nicht mehr ausreichend Filme produzieren. Daher wurde ein zunehmend arbeitsteiliges Verfahren entwickelt (Bordwell; Staiger 1996, 116–117). Soweit rekonstruierbar, spielten die Kameramänner in der Produktion der Spielfilme auf dem Balkan eine wichtige Rolle und wurden gezielt verpflichtet. Für einige der sieben Spielfilme werden auch Theaterregisseure als Filmregisseure erwähnt. Wie die Rollenverteilung zwischen Kameraleuten und Regisseuren war, wissen wir nicht, wobei Erstere Filmerfahrung hatten, was bei Theaterregisseuren nicht notgedrungen der Fall war. Die auffallendste Figur eines Kameramannes im frühen serbischen Film war Louis Pitrolf de Beéry. Wahrscheinlich war er einer von vielen Freischaffenden, die durch Europa reisten, filmten und ihre Filme an Produktionsfirmen verkauften. Bevor er nach Belgrad kam, arbeitete er in Bosnien-Herzegowina (1911). 1911/12 engagierte ihn Botorić und daraufhin die Brüder Savić. Die Filme stellte er bei Pathé fertig; daher reiste er öfters nach Frankreich. Er nahm nicht nur die ersten Filme in Serbien auf, er lernte auch den ersten serbischen Kameramann, Slavko Jovanović, an, der zuerst als Operateur im Kino Pariz und dann als sein Assistent gearbeitet hatte (Kosanović; Tucaković 1998, 28–29). Die Bedeutung ausländischer Kameramänner für nationale Filmproduktionen lässt sich auch am deutsch-ungarischen Pathé-Kameramann Joseph Hepp exemplifizieren. Pathé schickte ihn 1910 auf eine Einladung König Georgs hin nach Athen, um die technischen Installationen für das neue Lichtspielhaus Panhellion durchzu-

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führen. Daneben begann er, Aktualitätenfilme zu drehen, wie etwa ‚Aus dem Leben kleiner Prinzen‘ (1911) über die vielen Kinder und Enkelkinder Georgs. Er verblieb in Griechenland, wurde zu einer bestimmenden Figur im anfänglich schwach entwickelten griechischen Filmgeschäft (Psoma 2008, 12; Karalis 2012, 4, 7–8) und dokumentierte die Balkankriege, den Einmarsch der griechischen Armee in Saloniki sowie die Niederlage der bulgarischen Armee vor der Stadt (Karalis 2012, 7–8). Von 1917 bis 1961 war er an der Produktion von 18 Spielfilmen beteiligt (Ţuţui 2008, 102). Hepp gründete 1916/17 mit finanzieller Unterstützung anderer Asty Films und entwickelte einen Mechanismus, der es erlaubte, griechische Zwischentexte während der  Vorführung einzublenden. Er filmte das berühmte ‚Anathema‘, die Exkommunikation des Premierministers Eleftherios Venizelos durch den Patriarchen der griechisch-orthodoxen Kirche im Dezember 1916, was ihm große Schwierigkeiten einbrachte.49 Seine Filme wurden konfisziert, und er selbst wurde eine Zeit lang auf die Inseln Skyros und Ikaria exiliert (Psoma 2008, 44–45; Karalis 2012, 4, 7–8). Wenn man sich die Umstände vergegenwärtigt, unter denen die wenigen Spielfilme in den Balkanländern produziert werden mussten, wird man den Produzenten Enthusiasmus nicht absprechen können. Es fehlte an Studios mit entsprechender Ausrüstung, fachlich ausgebildetem Personal und geeigneten Drehbüchern. Kameramänner mussten aus dem Ausland verpflichtet und für jeden Spielfilm das Aufnahmeteam neu zusammengestellt werden; eine kontinuierliche Filmproduktion war unter diesen Bedingungen nicht möglich. Die Schauspieler und Schauspielerinnen kamen vom Theater; sie mochten exzellent auf der Theaterbühne sein, der Stummfilm erforderte jedoch andere Qualitäten. Dies alles führte dazu, dass die heimische Filmproduktion gering blieb. Es zeichnete sich somit bereits früh ab, dass die Kinobesucher und -besucherinnen in nur ganz wenigen Spielfilmen ihre eigene Welt zu sehen bekamen. War Pathé noch bestrebt, regionale Filmprojekte über ihre Filialen zu lancieren und zu unterstützen, war Hollywood daran nicht mehr interessiert. 1912, ein Jahr nachdem in Rumänien und Serbien die ersten Spielfilme produziert worden waren, gingen die US-Produktionsfirmen dazu über, vier einrollige Filme pro Woche standardmäßig über das gesamte Jahr hinweg zu produzieren. Da ein Regisseur nicht mehr als einen Film pro Woche herstellen konnte, ging man auf voll integrierte Produktionseinheiten über, um das Ziel von vier Filmen erreichen zu können. Die Filmproduktion wurde dem standardmäßigen Fertigungssystem in der industriellen Massenproduktion angepasst. Das Studio verfügte über Abteilungen 49

Venizelos hatte in Saloniki eine republikanische Gegenregierung errichtet, nachdem er von König Georg als Ministerpräsident entlassen worden war.

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für Regie und Kunst, für Verschiffung, Werbung und Buchführung. Sobald ein Kameramann die Negative fertiggestellt hatte, wurde der Film, ohne Zeit zu verlieren, in einer logischen Abfolge von Abteilung zu Abteilung zur Bearbeitung weitergereicht (Bordwell; Steiger 1996, 121–127). Auch die Praxis der Drehbucherstellung änderte sich. Hatte bislang ein Outline als Produktionsplan gereicht, so realisierten die Filmemacher bald, dass es effizienter war, alle Aufnahmen, die an einem Schauplatz anzufertigen waren, fertigzustellen und nicht in der Reihenfolge des Filmablaufs vorzugehen. Anschließend konnte der Regisseur die Aufnahmen im Schneidevorgang in die richtige Reihenfolge bringen. Um diesen Prozess abzusichern, benötigte man detaillierte Drehbücher (Ebenda, 121–127). Es scheint klar, dass die filmproduzierenden Enthusiasten in den Balkanländern mit den dynamischen Entwicklungen im internationalen Kinogeschäft nicht mithalten konnten. Es mag paradox erscheinen, dass es trotzdem zu einer ersten visuellen Revolution kommen konnte. Erste visuelle Revolution

Am Vorabend der beiden Balkankriege (1912/13) waren bis auf jene zur Nachbearbeitung von Filmaufnahmen alle Gerätschaften, die die visuelle Moderne hervorgebracht hatte, in den Balkanländern bekannt und in Verwendung. Fotografie und Film vermochten allerdings die große Masse der Bevölkerung aus erwähnten Gründen noch nicht zu faszinieren. Die Balkanländer waren mit modernstem Kriegsgerät gerüstet, als vier von ihnen beschlossen, ein fünftes gewaltsam aus der Region zu verdrängen und sich die Territorien untereinander aufzuteilen. Am 8. Oktober 1912 erklärte das in Bündnissen mit Griechenland, Serbien und Bulgarien stehende Montenegro dem Osmanischen Reich den Krieg. Beim formalen Friedensschluss am 30. Mai 1913 sah sich das Osmanische Reich territorial beinahe vollständig aus Europa verdrängt. Doch die bulgarische Führung war mit ihren Gebietszuteilungen unzufrieden und provozierte Ende Juni des Jahres einen weiteren, kurzen Krieg gegen die ehemaligen Bündnispartner Griechenland und Serbien. Rumänien und das Osmanische Reich stellten sich gegen Bulgarien. Der Friedensvertrag von Bukarest vom 10. August 1913 bedeutete für Bulgarien eine Katastrophe: Beinahe alle im Ersten Balkankrieg eroberten Gebiete gingen wieder verloren. Die Balkankriege und der bald darauf ausgelöste Erste Weltkrieg stellten die ersten medialen Großereignisse des 20. Jahrhunderts in Europa dar. Sie markie-

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ren den Übergang von traditionellen Formen der Kriegsverbildlichung – in erster Linie Malerei und Druckgrafik – zu den visuellen Medien, die das 20. Jahrhundert dominieren sollten: Pressefotografie und Dokumentarfilm. Um die Fotografie zur Zeitungsberichterstattung einsetzen zu können, bedurfte es des 1882 in Deutschland entwickelten Rasterdruckverfahrens ( Jäger 2000). Auf dieser Grundlage bildete sich die Fotoreportage als neuer Berufszweig heraus. Das Pressefoto, der Film und speziell die Wochenschau eröffneten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch einem breiten illiteraten Publikum Zugang zu aktuellen Informationen. Die Balkankriege stellten nicht nur die ersten modernen Kriege am Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ dar; über sie wurde auch in neuer visueller Qualität berichtet. Die drei europäischen Kriege im beginnenden 20. Jahrhundert zogen einen massiven Einsatz von Fotografie und Film sowie neue Formen gesellschaftlicher Kommunikation und eine veränderte Beziehung zur Realität nach sich. Von nun an konnten nicht nur selbst erfahrene Kriege, sondern auch über Bilder vermittelte als real empfunden werden. Die Kinos zeigten Aktualitäten- und Propagandafilme, und die Fotografie wurde Teil der Kriegsberichterstattung (Paul 2004, 105–106). Für die westlichen Kriegsmächte, die bereits lange Erfahrung mit der visuellen Moderne hatten, stellte der Erste Weltkrieg lediglich einen weiteren Schritt in der Ausweitung der visuellen Kommunikation dar. In den Balkanländern beschleunigten jedoch die drei Kriege den Weg in Richtung der visuellen Moderne erheblich; ich möchte diese Beschleunigung als erste visuelle Revolution bezeichnen, die allerdings gemessen an der zweiten ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geringe Nachhaltigkeit aufwies. Die Bedeutung der Fotografie, bislang im Alltagsleben der Massen eher bedeutungslos, veränderte sich durch die Kriege. Der Fotojournalismus erhielt durch die Präsenz ausländischer Kameramänner und Fotoreporter zur Frontberichterstattung starken Auftrieb (Ginio 2005, 165). Die Zeitspanne zwischen der Fotoherstellung und dem Vertrieb der illustrierten Zeitung konnte aufgrund technischer Weiterentwicklungen beträchtlich reduziert werden. Diese zeitliche Nähe erhöhte die Authentizität des Fotos und förderte die Überzeugung, dass es wahre und identische Information liefere (Todić 1993, 59–60). Mit dem Ausbruch des Ersten Balkankriegs im Herbst 1912 begann die Zahl an zirkulierenden Fotos, aber auch an Filmen geradezu zu explodieren. Dies setzte sich im Ersten Weltkrieg fort – nicht nur in den Balkanländern, sondern auch im übrigen Europa. In Deutschland beispielsweise publizierten die etwa 30 illustrierten Tages- und Wochenzeitungen mit einer Auflage von beinahe zwei Millionen Exemplaren pro Woche ab dem Kriegseintritt ganz- und doppelseitige Kriegsfotografien (Oppelt 2001, 102–103). Die kleinen Balkanländer wiesen kein vergleichbares Medienpotenzial auf, jedoch bezeugt das Beispiel Serbiens, dass das Land in der

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Lage war, illustrierte Propagandazeitschriften, wie etwa Der Balkankrieg in Bildern und Worten50, im Verlauf der Balkankriege herauszubringen. Die Zeitschrift druckte bis zu hundert Kriegsfotografien auf zehn Seiten (Todić 1993, 60–64). Die während der Kriege kursierenden Fotos stammten von in Militäreinheiten dienenden Berufs- und Amateurfotografen wie auch von ausländischen Pressefotografen. Das serbische Oberkommando engagierte den damals 27-jährigen Rista Marjanović von der Pariser Redaktion des New York Herald im Ersten Balkankrieg für die Sammlung und Verbreitung visueller Kriegsinformationen.51 Marjanović, der als erster serbischer Fotoreporter gilt, produzierte dramatische Bilder über die Mobilisierung, den Ausmarsch und die Eroberung bisher unter osmanischer Administration stehender Städte durch die serbische Armee (Ebenda, 60–64). Im Verlauf des Ersten Weltkriegs widmeten die Armeeführungen der visuellen Dokumentation und Propaganda größere Aufmerksamkeit denn zuvor. Großbritannien spielte diesbezüglich eine Vorreiterrolle. Kurz nach Kriegsbeginn wurde das War Propaganda Bureau gegründet. Frankreich folgte im April 1915 mit der Section Photographique de l’Armée (Paul 2004, 110–112) und Deutschland im Oktober 1915 mit dem Kriegspresseamt. Auch das serbische Oberkommando holte Marjanović wieder aus Paris zurück (Todorović 2000). Die auf Korfu stationierte serbische Armee gründete im August 1916 eine Propagandasektion, der Maler, Fotografen (Vidaković 1991, 64–65) und Kameramänner (Todić 1993, 60–64) angehörten.52 Der Boom an Fotografen und Fotografien zeitigte nachhaltige Auswirkungen: Die Fotografie wurde ein eigenständiges visuelles Pressemedium (Ebenda, 23–24). Ähnliche Entwicklungen sind auch bei den anderen kriegführenden Balkanmächten zu beobachten. Das militärische Oberkommando Rumäniens, das 1916 50 ‚Balkanski rat u slici i reči‘: http://ubsm.bg.ac.rs/latinica/dokument/1916/balkanski-rat-uslici-i-reci, letzter Zugriff: 08.07.2015. 51 In Šabac geboren, verließ er bald seinen Geburtsort und ging nach Belgrad, um sich als Maler ausbilden zu lassen. Das Fotografenhandwerk erlernte er bei dem bekannten Milan Jovanović. Er ging anschließend nach Wien, Berlin und schließlich Paris, wo er als Fotograf arbeitete – ab 1908 als Illustriertenredakteur bei der Europaausgabe des New York Herald. Vor dem Eintritt Serbiens in den Ersten Balkankrieg kehrte er auf Initiative des damaligen Leiters der Nachrichtenabteilung, Dragutin Dimitrijević-Apis, in sein Heimatland zurück (Todorović 2000). 52 Der Beschluss, eine Propagandasektion nach französischem Vorbild einzurichten, fiel bereits im Frühjahr 1916 auf Korfu. Allerdings musste ihr erster Chef, Dragiša M. Stojadinović, erst nach Rom reisen, um Ausrüstung einzukaufen: 17 Fotoapparate, zwei Filmkameras und drei Projektoren. Die Mitarbeiter der Filmsektion wurden von französischen Instruktoren ausgebildet. Bereits 1917 konnte man die in Rom ausgearbeiteten und kopierten Filme den Einheiten präsentieren (Slijepčević 1982, 184–185; Kosanović 1985, 113–115).

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aufseiten der Alliierten in den Weltkrieg eingetreten war, richtete eine Propagandaabteilung mit professionellen Fotografen ein – den Serviciul Fotografic al Armatei. Der Service fotografierte in Teamarbeit König Ferdinand, die Truppe inspizierend und Helden auszeichnend, Schützengräben, Kanonen, Maschinengewehre, Suppen essende Soldaten im Schützengraben, deutsche Kriegsgefangene, zerstörte Eisenbahnstationen und zerbombte Kirchen (Ionescu 2009, 29–30). Auf bulgarischer Seite stiegen am 16. Oktober 1912 Piloten mit dem weltweit ersten, zum Einsatz kommenden Kriegsflugzeug auf und kehrten mit Luftaufnahmen von osmanischen Militäreinrichtungen und Truppenbewegungen zurück. Eine Serie von Luftaufnahmen gibt es auch von der Saloniki-Front aus einer Höhe von über drei tausend Metern; ein bulgarischer Pilot fotografierte am 18. Jänner 1918 erstmals den Olymp aus der Luft (Boev 1982, 140). Die Kriegsfotografie beachtete seit ihren Anfängen im Krimkrieg (1853–1856) einige Tabus mit wenigen Ausnahmen. Es wurden keine Bilder von toten Soldaten und Gräueltaten veröffentlicht. Zwar wurde die neueste Waffentechnologie abgebildet, doch das Schlachtfeld wurde in der Tradition der Genremalerei weiterhin als behaglicher vormoderner Ort dargestellt (Paul 2004, 79–80). Eine der bemerkenswertesten Ausnahmen von dieser Regel stellte die von der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden in Auftrag gegebene Untersuchung über Ursachen und Verlauf der Balkankriege dar (Carnegie Endowment 1970). Was an dieser wirkmächtigen Publikation schockierte, waren weniger die zutage geförderten Fakten als die 50 veröffentlichten Fotografien, die von Toten, Verwundeten und schrecklicher Zerstörung zeugen. Leider sind weder ihre Urheber noch deren Auftraggeber bekannt. Die beiden Balkankriege verliehen auch der heimischen Filmproduktion frische Impulse, wobei die meisten Aktualitätenfilme von ausländischen Kameramännern stammten. Der Anteil heimischer Kameramänner und Produzenten blieb gemessen an der Gesamtzahl erzeugter Aktualitätenfilme weiterhin gering. Auf serbischer Seite muss der Filmpionier Djordje-Djoka Bogdanović erwähnt werden, der auch Besitzer des Belgrader Kinos Kasina war. 53 Ursprünglich hatte er die Absicht, die serbischen Siege im Ersten Balkankrieg nachzustellen. Zu diesem Zweck engagierte er zwei Kameramänner, die für die Pathé-Filiale in Wien arbeiteten. Mitten in den Vorbereitungen brach der Zweite Balkankrieg aus, weshalb er beschloss, Filme über aktuelle Ereignisse an der serbischen Front herzustellen. Seine Kamera53

In Belgrad geboren, absolvierte er vier Klassen des Gymnasiums in Kragujevac und wurde danach jedoch ausgeschlossen. 1898 wird er als Besitzer des Hotels Imperial erwähnt. 1910 kaufte er den Brüdern Cvetković das Hotel Kasina samt Kino ab (Slijepčević 1982, 44–45).

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männer filmten Kampfszenen, zerstörte Dörfer, Kriegsgefangene und das Alltagsleben der Soldaten. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, setzte er im Auftrag der Armee seine Kriegsberichterstattung mit Wochenschaubeiträgen fort (Kosanović 1985, 103–105; Schürmann; Erdeljanović 2010, 26–27). Aus dem Zweiten Balkankrieg sind über 20 und aus dem Ersten Weltkrieg etwa zehn seiner Filme erhalten ( Jovičić 2010, 26–27). In Griechenland war es der bereits erwähnte Joseph Hepp, der an der griechischen Front in beiden Balkankriegen Filme drehte und unter anderem die Tätigkeit des Roten Kreuzes Abb. 14: Djordje-Djoka Bogdanović – dokumentierte (Theodosiou o.J.u.S.). In RuFilmproduzent, Kinobesitzer und Weinmänien belichteten zwischen 1916 und 1918 die großhändler © Jugoslovenska kinoteka Armeekinematografen mehr als 20.000 Meter Film, die in Form von Wochenschauen während des Krieges und danach als abendfüllende Filme, etwa unter dem Titel ‚Unser Krieg‘ (1921) oder ‚Die Geschichte der rumänischen Nation‘ (1923) in die Kinos kamen (Cernat 1982, 21). Im Osmanischen Reich ordnete Kriegsminister Enver Pascha die Gründung einer Militärfilmbehörde nach deutschem Modell an, zu deren Direktor 1915 Sigmund Weinberg ernannt wurde. Seine Aufgabe war, Filmmaterial über die Operationen der Armee an der Front, wichtige Ereignisse und Militärmanöver zu produzieren und vorzuführen. Obwohl aufgrund des Mangels an Infrastruktur und qualifiziertem Personal der Output gering war, wurde langfristig eine feste Verbindung zwischen Film und Militär etabliert. Durch die Filmvorführungen für Frontsoldaten kamen viele junge Männer erstmals mit dem Kino in Kontakt (Dönmez-Colin 2008, 23; Atli 2010; Özuyar 2014, 52). Die bemerkenswerteste Leistung eines heimischen Kameramanns und Filmproduzenten stellt der Dokumentarfilm ‚Balkankrieg‘ des bulgarischen Kriegskorrespondenten Aleksandăr Žekov dar. Der 43 Minuten lange Streifen gehört zu den frühesten europäischen Kriegsdokumentarfilmen. Nachdem Žekov seinen Dienst in der russischen Flotte quittiert hatte, setzte er seine Karriere 1907 in der neu gegründeten Moskauer Pathé-Filiale fort. Als der Erste Balkankrieg ausbrach, verließ er zusammen mit 800 Kriegsfreiwilligen Russland, um Bulgarien zu unterstützen. Žekov erhielt ab Dezember 1912 die Möglichkeit, an seinem Dokumentarfilm zu arbeiten, dessen Premieren am 28. Juni in Varna und am 8. August 1914 in Sofia

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stattfanden. Von 1916 bis 1918 war er offizieller Kameramann der bulgarischen Armee. ‚Balkankrieg‘ wurde nach dem Ersten Weltkrieg vielfach gezeigt (Grozev 2011, 72–74; Kărdžilov 2011, passim; Theodosiou o.J.u.S.). Auffallend ist, dass die visuelle Information über militärische Ereignisse in kriegführenden Staaten, die sich auf der Verliererstraße befanden, sehr zurückhaltend war. So zeigten die Kinos in Istanbul während des Ersten Balkankriegs US-amerikanische und französische Komödien und Melodramen, jedoch keine Kriegsaktualitäten. Solche bekam das Publikum erst anlässlich der Rückeroberung der ostthrakischen Stadt Edirne aus bulgarischer Besetzung im Zweiten Balkankrieg zu sehen (Oppelt 2001, 97). Anders die Situation im siegreichen Serbien. Die ersten Filme über die serbischen Operationen im Ersten Balkankrieg wurden ab 11. November 1912 in Belgrad gezeigt. Das Takovo, das sich vorübergehend als ‚Kriegskino‘ bezeichnete, gab auch kostenlose Vorführungen. Am 16. Dezember kündigte das Moderni bioskop ‚Gaumonts Kriegstagebuch‘ und ‚Pathés Kriegschronik‘ an, am 17. Dezember ‚Gaumonts Woche‘ sowie ‚Das Neueste vom Balkan – Kriegschronik Pathé Frer Nr. 6‘ und am 23. Jänner 1913: ‚Krieg auf dem Balkan‘ und ‚Neueste Szenen vom Balkan‘. ‚Tragödie auf dem Balkan‘ wurde im Kasina am 27. Jänner 1913 gezeigt und am 13. März ‚In Makedonien‘. Pathés Wochenschau brachte eine ganze Serie über den Balkankrieg (Slijepčević 1982, 121). Die Filme wurden von ausländischen Kameramännern gedreht, die sich teilweise bereits während der Mobilisierung im Land aufgehalten hatten. Unter ihnen befand sich der russisch-französische Fotograf und Kameramann Samson Černov54, der bereits im russisch-japanischen Krieg (1904/05) als Kriegsfotograf tätig gewesen war. Er wurde vom russischen Filmproduzenten Drankov nach Serbien entsandt, arbeitete allerdings auch für Pathé und Gaumont. Für Gaumont stellte er die Filme ‚Die serbische Armee hilft den Bulgaren nahe Edirne‘, ‚Die serbische Armee nahe Edirne‘ und ‚Edirne nach der Einnahme‘. Alle drei wurden in den Belgrader Ki54

Er war russisch-jüdischer Herkunft mit französischer Staatsbürgerschaft. Neben seiner Tätigkeit als Kameramann berichtete er als Korrespondent für die Zeitung L’Illustration vom serbischen Kriegsschauplatz. Im August 1913 bereitete er eine Ausstellung im Belgrader Offizierskasino mit 500 Fotos über die serbisch-montenegrinischen Schlachtfelder und die befreiten Gebiete vor. Als der Erste Weltkrieg begann, war er wieder in Serbien tätig. Außer für L’Illustration arbeitete er auch für die russische Zeitung Novoe vremja. Er begleitete die serbischen Armee Ende 1915 nach Korfu. Von dort aus ging er nach London, wo er im Juni die Fotoausstellung ‚Serben, Dezember 1915‘ mit Bildern von Marjanović vorbereitete. Die Ausstellung zeigte den Rückzug der serbischen Armee durch die verschneiten albanischen Berge. 1916 wurde ihm die serbische Ehrenstaatsbürgerschaft verliehen (Malić 2006, 163–164).

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nos gezeigt. Zusammen mit Bogdanović, dem Besitzer des Kinos Kasina, ging er im Juli 1913 an den serbisch-bulgarischen Kriegsschauplatz, wo er zahlreiche Filme aufnahm, die regelmäßig im Kasina und in anderen Kinos gezeigt wurden (Kosanović; Tucaković 1998, 32–33; Kărdžilov 2011, 193). Nach der Eroberung Belgrads durch österreichisch-ungarische und deutsche Truppen 1915 waren in Belgrad bis 1918 nur mehr zwei Kinos in Betrieb: das Koloseum für Armeeangehörige und das Pariz für die Zivilbevölkerung. Zeitweise war auch ein Kino im Hotel Slavija in Betrieb. Gezeigt wurden vor allem österreichische, deutsche, dänische und ungarische, mitunter auch ältere US-amerikanische, französische und italienische Filme (Kosanović 1985, 112). Die jeweiligen Besatzungsmächte trugen aus Propagandaabsicht zur Popularisierung des Kinos wesentlich bei. So etwa verlief während des Ersten Weltkriegs die Front zwischen den Mittelmächten und der Entente quer durch Makedonien. Auf beiden Seiten wurden auch für die Zivilbevölkerung mobile Filmvorführungen organisiert. Dies konnte die Gründung von Kinos stimulieren. In Prilep etwa wurde, nachdem 1916 die Deutschen ein mobiles Kino in die Stadt gebracht hatten, 1917 das erste ortsfeste Kino eröffnet (Ebenda, 248; Petruševa 2007, 115–117). Auch die britischen und französischen Okkupationsmächte organisierten in Makedonien Filmvorführungen mit Wochenschauen und Komödien (Theodosiou o.J.u.S.). Ähnliches war in dem von österreichisch-ungarischen Truppen besetzten Albanien der Fall. Die Besatzungsmacht errichtete sogenannte Feldkinos in den Militärgarnisonen, die auch für die Öffentlichkeit zugänglich waren – etwa in Tirana, Shkodra, Durrës, Berat und Lushnja. Eine ‚Kriegschronik‘ leitete das Ende jeder Vorstellung ein (Hoxha 1994, 15–17; Balauri 1996, 14–17). Der Erste Weltkrieg stimulierte nicht nur das Kinopublikum und die Errichtung neuer Kinos, sondern, insbesondere im Falle des Osmanischen Reichs, auch die Filmproduktion. Bis dahin war dort wahrscheinlich kein einziger Film produziert worden (Ginio 2005, 165)55. Der bereits mehrfach erwähnte Sigmund Weinberg und sein Kameramann Fuat Uzkınay gelten als die Pioniere des osmanischen Films. Als das Reich im November 1914 in den Krieg eintrat, versuchte die Regierung die Bevölkerung auch mit Hilfe des Aktualitätenfilms für diesen Schritt zu gewinnen. Dazu sollte das von den Russen errichtete Siegermonument in San Stefano, das die osmanische Bevölkerung an den erniedrigenden Waffenstillstandsvertrag von 1878 55

Ginio erwähnt, dass unter Umständen drei Aktualitätenfilme vor 1914 gedreht worden sein könnten, die jedoch nicht erhalten geblieben sind. Dazu gehörte einer zu Ehren des siegreichen Kriegsschiffs Hamidiye. Das Kriegsschiff war in den Balkankriegen zu einem wichtigen Symbol für das Osmanische Reich geworden, da es inmitten von Niederlagen seinen Stolz bewahrte (Ginio 2005, 165).

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nach dem Russisch-Osmanischen Krieg von 1877/78 erinnern sollte, gesprengt werden. Die Sprengung sollte fotografiert und gefilmt werden. Zuerst wurde die Wiener Sascha Film mit der Verfilmung beauftragt. Letztlich fiel die Entscheidung auf den enthusiastischen Cineasten Uzkınay, der zu diesem Zeitpunkt als Reserveoffizier diente, jedoch keinerlei Kameraerfahrung besaß. Angeblich soll er rasch von einem österreichischen Experten in die Handhabung einer Kamera ausgebildet worden sein und die Sprengung am 14. November gefilmt haben (Dönmez-Colin 2008, 23; Atli 2010; Suner 2010, 2). Die visuelle Revolution bestand nicht nur aus einer stark ansteigenden Produktion von Balkanbildern, sondern auch in ihrer VerbreiAbb. 15: Fuat Uzkınay in Uniform © tung. Fotografie und Film teilten eine wichTÜRVAK tige Gemeinsamkeit, nämlich ihre weltweite Verbreitung – die Fotografie als Fotopostkarte und der Film über den Filmverleih. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurden Wochenschaufilme über Ereignisse auf der Welt immer häufiger. Gleichzeitig stieg das Bedürfnis der Unter- und Mittelschichten nach Informationen über das Weltgeschehen (Stern 2000, 65–73). Die steigende Produktion und der Vertrieb von Balkanbildern hatten insofern Folgewirkungen, als Fotografie und Film zu wichtigen Instrumenten in der Herstellung asymmetrischer visueller Machtbeziehungen zwischen ‚dem Westen‘ und ‚dem Balkan‘ wurden. Alle großen westlichen Medienproduzenten entsandten Fotografen und Kameraleute zu den Kriegsschauplätzen des Balkans. Die Annahme, dass weitaus mehr ausländische als einheimische Fotografen und Filmemacher in diesem visuellen Geschäft tätig waren, scheint gerechtfertigt. Dem Westen wurde es dadurch möglich, sich seine eigenen Bilder vom ‚kriegerischen Balkan‘ zu schaffen. Diese Spur lohnt es sich ein wenig weiterzuverfolgen. Eine visuelle Balkanberichterstattung in westlichen Ländern gibt es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und ist in dreierlei Hinsicht charakterisiert: Sie ist erstens von spezifischen visuellen Strategien, die auf traditionelle Formen der westlichen Ikonografie zurückgreifen, geprägt, zweitens durch das Herausstreichen von mehr Gemeinsamkeiten als Unterschieden zwischen den einzelnen Völkern und drittens

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durch Kriegs- und Krisenberichterstattung; in Friedenszeiten bleibt die Balkanreportage beinahe aus. Die Anfänge der visuellen Berichterstattung über Teile der Region gehen auf die Zeit des Krimkriegs zurück, fokussierten auf die Fürstentümer Moldau und Walachei und porträtierten das friedvolle, aber primitive Leben einer angeblich ursprünglichen Bevölkerung. Während diese frühen Bildberichte die Völker noch als weitgehend passiv und friedfertig darstellen, wurden seit den Unruhen in Montenegro und Bosnien-Herzegowina in der ersten Hälfte der 1860er-Jahre zunehmend Gewalttätigkeiten in den Vordergrund gerückt (Baleva 2012, 75–91). In der Zeit zwischen dem Aufstand in der Herzegowina (1874/75) und dem Russisch-Osmanischen Krieg (1877/78) kam es zu einem quantitativen wie qualitativen Höhepunkt in der visuellen Berichterstattung, die an das Mitleid der Leser und Leserinnen mit der notleidenden christlichen Balkanbevölkerung appellierte: Genreillustrationen zeigen wehklagende Menschen auf Friedhöfen und weinende Menschen vor ihren zerstörten Dörfern. Im Gegensatz dazu steht der lokale osmanische Krieger, mit Pluderhosen, Kaftan und Turban bekleidet, ein Gewehr in der Hand und den Jatagan im Gürtel tragend sowie ein langes Messer zwischen die Zähne geklemmt (Ebenda, 98–118). Die Kriege von 1912 bis 1918 resultierten in einem generellen Abwertungsdiskurs, der sich bis heute erhalten hat. Maria Todorova benannte diesen pejorativen westlichen Balkandiskurs als ‚Balkanismus‘, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei ‚Balkanisierung‘ zu einem neuen Schimpfwort in Europa geworden. Dieser Terminus sei zu einem Äquivalent nicht nur für die Fragmentierung großer politischer Einheiten, sondern auch zum Synonym für einen Rückfall in Tribalismus, Primitivismus und Barbarismus geworden. Die Balkanbevölkerungen wären als die anderen Europäer und Europäerinnen stigmatisiert worden, da sie angeblich vom Standardverhalten der ‚zivilisierten Welt‘ abwichen. Diesen Ruf, barbarischen und grausamen Charakters zu sein, habe die Region nie mehr völlig loswerden können und sei durch die Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren aktualisiert und auch den nicht kriegführenden Ländern übergestülpt worden (Todorova 1997). Todorovas reich rezipierte Thesen fokussieren primär auf textliche Diskurse und weniger auf visuelle, was verständlich ist, da die Arbeit mit visuellen Quellen andere Methoden erfordert als jene mit schriftlichen. Die visuelle Ebene ist jedoch gerade deswegen interessant, weil die visuelle Revolution auf dem Balkan genau zu einem Moment angestoßen wurde, der laut Todorova entscheidend für die Formulierung von Balkanstereotypen durch ‚den Westen‘ gewesen sei. Ich gehe davon aus, dass die textlichen Narrative, auf die sich Todorova bezieht, im Vergleich zu den Bildern und Filmen, die im Verlauf dieser drei Kriege in Umlauf gebracht wurden, eine geringe-

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re oder zumindest andere Rolle in der Konstruktion von negativen Balkanimages spielten, da Bilder eine emotionalere Wirkung haben als Texte. Diese Hypothese muss allerdings erst überprüft werden. Diese Aufgabe steht allerdings vor großen Schwierigkeiten, weil viele Filmaufnahmen nicht mehr existieren. Dies trifft beispielsweise auf die vier Kurzfilme56, die der erste filmende Kriegskorrespondent in der Region, der Brite Frederic Villiers, im Griechisch-Osmanischen Krieg von 1897 drehte, zu. Nach Auffassung seines Auftraggebers, des französischen Filmproduzenten Georges Méliès, waren diese unverkäuflich. Stattdessen stellte er eine Kriegsszene nach, die er als ‚Kriegsschiff vor Kreta‘ bezeichnete (Oppelt 2001, 90, 95; Theodosiou o.J.u.S.; Who’s Who of Victorian Cinema o.J.u.S.). Derartige Manipulationen waren durchaus üblich, da die Kameramänner nicht nahe genug an militärische Auseinandersetzungen herankamen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war es nämlich zu bedeutenden Veränderungen in der militärischen Technologie gekommen. Die Einführung einer weitreichenden Artillerie und des Mausergewehrs beeinflussten die Kriegsfilmberichterstattung nachhaltig. In früheren Kriegen hatten Waffen noch eine vergleichsweise kurze Reichweite und waren relativ ungenau. Für die Arbeit der Kameraleute wäre eine auf kurze Distanz geführte Schlacht perfekt gewesen. Durch die neue Kriegstechnologie erweiterte sich das Schlachtfeld erheblich. Dazu kam, dass die Soldaten aus Schützengräben feuerten. Dadurch wurde das Filmen von Kämpfen beinahe unmöglich. Pathé reagierte darauf bereits in den Balkankriegen mit dem Einsatz von Teleobjektiven, was auch nicht immer zu den gewünschten Resultaten führte. Deshalb ließen Kameraleute nicht selten Kämpfe entweder nachstellen oder zeigten Truppenbewegungen und die menschliche Seite des Krieges: Krankenhausszenen oder – wie in den Balkankriegen – bulgarische Soldaten, die ihre Notdurft verrichteten (Oppelt 2001, 95–96). Im Ersten Balkankrieg waren alle wesentlichen Produktionsfirmen durch Kameramänner vertreten: von Pathé, Gaumont und Messter bis zu Éclair, Jury’s, Cines, Kinemacolor und Tropical ( Jovičić 2010, 28; Theodosiou o.J.u.S.). Insgesamt waren 29, davon 26 westliche, Filmproduktionsfirmen an und hinter der Front tätig; sie produzierten 109 Wochenschaufilme.57 Etwa die Hälfte davon wurde von Pathé, das mit 56

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‚Mohammedanische Bewohner von Kreta massakrieren christliche Griechen‘, ‚Türken attackieren ein von Griechen verteidigtes Haus (Turnavos)‘, ‚Die griechische Mannschaft des Kriegsschiffs ‚Georg‘ beschießt die Festung Previsa‘ und ‚Hinrichtung eines griechischen Spions in Pharsala‘ (Theodosiou o.J.u.S.). Von diesen Filmen wurden 42 von französischen, 23 von italienischen, 15 von serbischen, elf von britischen, sieben von bulgarischen Firmen oder Kameraleuten und jeweils einer von einer deutschen und einer österreich-ungarischen Firma hergestellt. Darunter waren Fil-

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zumindest acht Kameramännern vertreten war, hergestellt (Kărdžilov 2011, 194). Bei wichtigen Kriegsereignissen waren bis zu 50 Kameraleute zugegen (Ebenda, 186). Eine der erfolgreichsten Gaumont-Produktionen über die Balkankriege war ‚Sieger und Besiegte‘, die von Oktober bis Dezember 1912 aufgenommen wurde. Sie besteht aus zwei Teilen: Der erste zeigt Aufnahmen von einem Lazarett in Sofia mit osmanischen, aber auch serbischen Soldaten. Der zweite Teil wurde auf osmanischem Territorium aufgenommen und hält Kolonnen von Menschen, die von der Front flüchten, fest (Kostov 2006, 106–107). Im Zweiten Balkankrieg produzierte Gaumont die Dokumentation ‚Sous le mitraille – Under the Machine Gun‘, die sehr erfolgreich war. Ihre Premiere fand am 31. Oktober 1913 im Pariser Cinema Palace statt. Zur Premiere kamen Diplomaten, Offiziere und Journalisten. Die bis dahin in der Pariser Kinogeschichte unerreichte Zahl von 140 Aufführungen brachte im Laufe des Novembers 7.000 Besucher und Besucherinnen pro Woche in die Kinos58 (Ebenda, 104–105). Zu den am weitesten verbreiteten Dokumentationen über die Balkankriege zählt auch der Streifen ‚Mit der Kamera in der Schlachtfront‘ des deutschen Kameramanns Robert Schwobthaler. Seine Expreß Films erhielt vom griechischen König Konstantin I. die Erlaubnis, an der griechischen Seite des Frontverlaufs zu filmen. Die deutsche und französische Premiere fand im Oktober 1913, die ungarische und griechische 1914 statt. Er konzipierte den Film als Antikriegsfilm. Eine Filmszene wurde nachgestellt, die anderen (lange Szenen marschierender Soldaten; makedonische Bevölkerung, die der griechischen Befreiungsarmee zujubelt, aber auch Szenen der Verwüstung) waren jedoch Originalaufnahmen (Horak 2013). Neben diesen Dokumentationen und Wochenschaufilmen wurden 46 Spielfilme59 mit Balkankriegsinhalten hergestellt; darunter waren fünf bulgarische Produktionen, der Rest wurde von westlichen Unternehmen hergestellt (Kostov 2006, 251–278). 1913 beispielsweise drehte die schwedische Produktionsfirma Scandinavia das Kriegsmelodram ‚Türkischer Spion‘. Der Film spielt im Ersten Balkankrieg; die Hauptakteure sind der Sohn des Generals Bogdanović und eine schöne türkische Spionin. Die Wiener Kontinental Film nahm 1913 das Melodram ‚Der Krieg ist auf

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me wie ‚The Balkan war‘ ‚Great northern Balkan war pictures‘, ‚The Balkan crisis‘ und ‚La guerre dans les Balkans‘ (Kostov 2006, 218–250, 279; Despot 2012, 229–231). Bei einer der Aufführungen in Graz (1913) ereignete sich ein bezeichnender Zwischenfall. Im Publikum befanden sich Studenten verschiedener Herkunft, hauptsächlich aus Balkanländern. Während der Aufführung kam es zu Zusammenstößen zwischen serbischen und bulgarischen Studenten (Kostov 2006, 104–105). Davon 14 italienische, zehn französische, sieben britische, fünf bulgarische, drei US-amerikanische, zwei österreichisch-ungarische und zwei dänische; drei wurden nicht realisiert.

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der  Schwelle‘ auf. Es spielt im Serbien des Ersten Balkankriegs. Zwei Burschen vom Land – Mirko und Ivan – verlieben sich in das schöne Mädchen Jelica. Sie weist Ivan zurück. Enttäuscht geht er in den Krieg gegen die Osmanen und stirbt als Held. Der bedeutendste dieser Filme war ‚Der Gefangene‘, 1915 vom berühmten Hollywoodregisseur Cecil B. DeMille gedreht (Kosanović; Tucaković 1998, 33–35). Serbien zählte aufgrund seiner stürmischen innen- und außenpolitischen Entwicklung ab dem späten 19. Jahrhundert zu den bevorzugten Motiven ausländischer Filmemacher. Im Zeitraum von 1897 bis 1918 wurden mehr als 260 Filme aller Art über Serbien gedreht – vor den Balkankriegen etwa 43, während der Kriege 82 und im Verlauf des Ersten Weltkriegs etwa 135 (Slijepčević 1982, 140). Unter den Kameraleuten befanden sich erfahrene Bildberichterstatter wie die bereits erwähnten Frederic Villiers und Louis Pitrolf de Beéry. Der Franzose Jean Hémard war der aktivste Kameramann. Er arbeitete in Montenegro, Ioannina (als die Stadt von griechischen Truppen erobert wurde) sowie Belgrad und filmte Einsätze der serbischen Armee in Makedonien. Seine Filmreportagen von der osmanischserbischen Front wurden zu einer zehnteiligen Dokumentationsserie unter dem Titel ‚Balkankriege‘ zusammengespielt (Kostov 2006, 101; Kărdžilov 2011, 194). Zu den Kameraleuten gehörten aber auch junge Draufgänger wie der Australier George Hubert Wilkins, der für die britische Filiale von Gaumont an der osmanischen Front arbeitete. Der 24-Jährige war angeblich der erste Kameramann, der direkt an der Frontlinie filmte. Später nahm er an einigen Arktis- und Antarktisexpeditionen teil und war 1929 beim Weltrundflug des Luftschiffs ‚Graf Zeppelin‘ dabei (Kărdžilov 2011, 189–100). Die einzige Frau in dieser Männerriege war die erst 20-jährige britische Bildhauerin, Fotografin und Krankenschwester Jessica Borthwick. Ihre Anwesenheit war nicht völlig zufällig, da ihr Vater, General George Colville Borthwick, die osmanischen Truppen in Ostrumelien befehligt hatte, bis es 1885 mit Bulgarien vereint wurde (Ebenda, 196–203; Kostov 2006, 103, 214–217). Die dramatischen Ereignisse auf dem Balkan wurden zwar nicht in die letzten Winkel der Welt getragen, grundsätzlich jedoch weltweit verbreitet und rezipiert. Über Pathés weltweites Vertriebsnetz wurden jeweils 300 bis 400 Kopien der wöchentlichen Film- und Wochenschaublöcke mit ihren Berichten über die Ereignisse auf dem Balkan verschifft und von etwa 500 Millionen Menschen weltweit konsumiert (Abel 1998, 370, 374–375). Sie erreichten auf diesem Weg auch die etwa 5.000 Kinos Großbritanniens, wo die Arbeiterklasse bereits die Mehrzahl des Kinopublikums darstellte und wo beispielsweise im Juli 1916 20 Millionen Eintrittskarten pro Woche verkauft wurden (Hiley 1995, 161–162). In den Kriegsjahren von 1912 bis 1918 entstand also eine mediale Infrastruktur, die eine intensive visuelle Berichterstattung über die Kriegsereignisse sowohl in den

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Balkanländern selbst als auch in der restlichen Welt ermöglichte. Die Hypothese ist daher nicht unbegründet, dass diese knapp 200 Wochenschauen und Spielfilme über die Balkankriege und eine unbekannte Zahl über den Ersten Weltkrieg weltweit von einem Massenpublikum konsumiert wurden. Es wäre eine faszinierende Aufgabe, dieses Wochenschaukino, die Dokumentationen und Spielfilme in Kombination mit anderem visuellem Material (speziell Pressefotografien und illustrierte Postkarten) zu analysieren und der Konstruktion von Balkanstereotypen durch Kameraleute und Filmproduzenten nachzugehen. Leider existiert ein Großteil des Filmmaterials nicht mehr, und daher wird diese Forschungsfrage wohl für immer offenbleiben müssen. Zusammengefasst kann man also von einer dramatischen Verdichtung der visuellen Berichterstattung auf dem und über den Balkan, die durch die Kriegsereignisse von 1912 bis 1918 ausgelöst wurde, sprechen. Diese Kriege stellten starke Impulse für einheimische wie auch ausländische Fotografen und Filmemacher dar, den Balkan in das Bild zu setzen, und bildeten eine Übergangsschwelle in Richtung einer Popularisierung der visuellen Repräsentation in der Region über die engen bürgerlichen Grenzen hinaus. Diese Schwelle als eine ‚visuelle Revolution‘ zu bezeichnen, ist daher keine Übertreibung. Sie ließ allerdings auch visuelle Machtbeziehungen zwischen ‚dem Balkan‘ und ‚dem Westen‘ entstehen. Fotografien und Filme wurden zum ‚Beweismaterial‘ für eine Überlegenheit der ‚westlichen Zivilisation‘ über einen ‚barbarischen Balkan‘. Während sich die Fotografie in der Zwischenkriegszeit eines wachsenden Marktes erfreute, war die Schubkraft der Kriege zu schwach, um eine Filmindustrie in den Balkanländern hervorzubringen. Die visuelle Industrie während dieser drei Kriege war zum größten Teil von den Militärkommanden und ihren Propagandaabteilungen in Gang gebracht worden. Nach den Kriegen traten die strukturellen Probleme der Filmproduktion rasch wieder zutage. Diese Schwäche sollte durch die Vertriebskanäle des Hollywoodfilms kompensiert werden. Das Kino der Frühzeit war, was seine Infrastruktur als auch die Filmproduktion anbelangt, vom niedrigen Entwicklungs- und Industrialisierungsgrad der Balkanländer geprägt. Der mobile Kinobetrieb war beinahe ausschließlich eine Domäne von Unternehmen, die außerhalb der Balkanregion ihre betriebliche Basis hatten, und bewegte sich, wie es scheint, primär entlang der Hauptverkehrsadern. Auch der Betrieb von ortsgebundenen Kinos war in überregionale Distributionsnetzwerke, in erster Linie in jenes von Pathé, eingegliedert. Pathé und in geringerem Maß auch andere Unternehmen der internationalen Filmbranche, die eine vertikale Marktstrategie verfolgten, stimulierten über ihre regionalen Branchen sowohl den Markt als auch die Errichtung von Kinos sowie den Vertrieb ihrer Filmprodukte. Bran-

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chenferne Unternehmer wie auch dem Kinobetrieb näherstehende Hoteliers griffen diese umsatz- und gewinnträchtige Möglichkeit auf. Das Kino als der Inbegriff einer populären und auf die Massen abzielenden visuellen Moderne ließ sich grundsätzlich nicht, wie andere ihrer Genres, einfach nationalisieren, da in den Balkanländern nur wenige Spielfilme produziert werden konnten. Dennoch wurden Amalgamierungen teils in erheblichem Maß praktiziert. In der Regel lieferten die Vertriebsfirmen fertige Produkte, die sowohl in Großbritannien als auch in Lateinamerika und auf dem Balkan die Kinos füllen sollten. Die Anpassungen an lokale Bedürfnisse wurden vor Ort vorgenommen und beschränkten sich in der Regel auf Titel und Zwischentitel in den jeweiligen Landessprachen. Das Kino kreierte grundsätzlich eine standardisierte, industriell gefertigte Traumwelt, die auch deshalb eine war, weil sie mit der Balkanrealität wenig oder nichts gemein hatte. Der Transfermodus war bis zum Entstehen nationaler Filmindustrien ab der Jahrhundertmitte ein primär hegemonialer, da für den Kinobetrieb anfänglich viele ausländische Fachkräfte benötigt wurden und die Filme beinahe sowie die Apparaturen zur Gänze aus dem westlichen Ausland importiert werden mussten. Pathé und andere internationale Großproduzenten wollten noch über ihr Filialnetz gemeinsam mit lokalen Produzenten kulturell angepasste Spielfilme produzieren. Dies war unter der Dominanz Hollywoods, das die Standardisierung entscheidend weitertrieb, nicht mehr der Fall, sodass die kulturhegemonialen Züge immer deutlicher zutage traten. Je mehr Menschen sich von diesen Filmen angezogen fühlten und in die Kinos strömten, desto stärker verbreitete sich auch standardisiertes, industriebasiertes Sehen. Das Kino setzte einen Prozess der Verinnerlichung von Bildern in Gang, die zum Großteil von Pathé industriell in seinen Produktions- und Entwicklungsstudios bei Paris gefertigt wurden. Bis zum Ersten Weltkrieg war erst ein sehr geringer Teil der Bevölkerung in diesen Verinnerlichungsprozess einbezogen. Diese neuen Bilder der Traumfabriken fanden ihren Platz neben den altehrwürdigen heilbringenden Ikonen. Welchen Rang sie in den individuellen und kollektiven inneren Bildarchiven einnahmen, waren unbewusste Entscheidungen, auf die das Kino allerdings keinen ausschließlichen Einfluss hatte, da es stets in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden muss. Der kriegsbedingte Untergang von Pathé ist ebenso ein gutes Beispiel dafür wie der kriegsbedingte Aufstieg Hollywoods, das nach der Saturierung des US-amerikanischen Binnenmarktes auf der aggressiven Suche nach neuen Märkten im Weltmaßstab war.

Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950) Die US-amerikanischen Massenmedien waren spätestens ab der Zwischenkriegszeit ebenso Ausdruck einer industriellen Gesellschaft wie auch des US-amerikanischen Lebensstils, inklusive Mobilität, Wettbewerb und mittelständischer Werte. Die Verbreitung aufklärerischer Ziele ordneten sie dem Geschmack einer kommerz­orientierten Gesellschaft unter und trachteten danach, kulturelle Homogenität zu kreieren (Hardt; Brennen 1999, 2–5). Sie produzierten und reproduzierten ein massenkulturelles Phänomen, das Herbert Marcuse (1964) als den „eindimensionalen Menschen“ bezeichnete. Das aufstrebende Hollywood bildete keine Ausnahme. Kommerzialisierung, Masse und Verwertung standen auf seiner Prioritätenliste ganz oben. Sein Erfolg auf dem Binnenmarkt beruhte nicht unwesentlich darauf, dass es erfolgreich Filme produzierte, die kulturelle Diversität überbrückten und den American way of life repräsentierten. Dieser Erfolg wäre wohl nicht so eindrucksvoll ausgefallen, wenn nicht um das Jahr 1910 die größeren Produktionsfirmen die Ostküste verlassen und sich aus strategischen Gründen in und um Hollywood, einem kleinen Vorort von Los Angeles, niedergelassen hätten. Kalifornien wies gemäßigtes Klima, viele für die damalige Filmproduktion wichtige Sonnentage und günstiges Bauland auf; außerdem war der Einfluss der Gewerkschaften dort gering (Gomery 1998, 43–44). Gut ein Jahrzehnt später hatte Hollywood nicht nur in den USA, sondern mit kräftiger Unterstützung des State Department auch weltweit die Hegemonie auf den Kinoleinwänden hergestellt. Die Produktion wurde in große Studios, industriellen Fertigungsanlagen ähnlich, verlagert. Alle relevanten Sparten wurden vertikal in das System integriert: Produktion, Werbung, Verleih und Vorführpraxis (Ebenda, 43–44). Dieses Modell, von Pathé und anderen vorformuliert, hätten andere Länder oder Produktionskonsortien nachahmen müssen, um mithalten zu können. Dies war jedoch nicht der Fall. Nach dem Umzug nach Hollywood schlossen sich ab 1914 acht Produktionsfirmen zu einem Kartell zusammen: Metro-Goldwyn-Mayer, Paramount Pictures, 20th Century-Fox Film Corporation, RKO Radio Pictures Inc. und Warner Bros. Inc. waren die sogenannten Großen Fünf, die vertikal integrierte Produktions-, Vertriebs- und Vorführungsindustrien darstellten. Universal Pictures, United Artists und Columbia Pictures betrieben als die Kleinen Drei keine eigenen Kinoketten (Segrave 1997, 8–9).

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Dieses Kartell einigte sich auf bessere Honorare für Schauspieler und Schauspielerinnen und die konzentrierte Vermarktung von Stars, die Verlängerung der Filme und damit Verteuerung der Produktion, die Verbesserung der Kinos sowie auf die globale Durchsetzung der Blockbuchung, was diejenigen, die dem Kartell nicht angehörten, vom Markt ausschließen sollte. Zum Herzstück der Produktionspalette wurde der abendfüllende Spielfilm, der in der Regel 90 Minuten dauerte und durch Wochenschauen und Trickfilme ergänzt wurde. Dadurch stiegen die durchschnittlichen Produktionskosten eines Filmes von US$ 1.000 (1909) auf $ 25.000 (1915), $ 150.000 (1920) und fallweise auf $ 500.000 (Gomery 1998, 43–44). 1915 spielte ein Film durchschnittlich $ 100.000 ein; Produktions- und andere Kosten abgezogen, blieb ein Gewinn von etwa $ 30.000 (Segrave 1997, 11). Die Dominanz des Hollywoodkartells wurde durch ökonomische und ästhetische Faktoren sichergestellt. Filme wurden von vornherein als Industrieware erachtet und entlang rationaler Kriterien in fabrikähnlichen Studios hergestellt. Die integrierte Marktstrategie machte Filme rasch profitabel und ermöglichte es dem Kartell, sie international zu geringen Preisen zu vertreiben: Bereits der Verkauf auf dem heimischen Markt amortisierte die Investitionen, der internationale sorgte für die Gewinne (Sorlin 1991, 1–2). Ästhetische Aspekte bildeten den zweiten Pfeiler der Dominanz. Hollywood etablierte einen Stil, der für die Zeit von etwa 1920 bis 1950 als ‚klassischer‘ bezeichnet wird, aber nicht einfach zu definieren ist. Wichtige Elemente waren: gute, scharfe Bilder, eine den Plot unterstützende Tonspur, verständliche Dialoge, gute Schauspielerinnen und Schauspieler – und am wichtigsten: eine gute Geschichte, die mit einer Einstiegssituation eröffnet, in weiterer Folge logisch entfaltet und am Ende unzweideutig gelöst wird. Diese klassischen Narrationselemente stellten nichts anderes als die Weiterentwicklung eines Erzählstils dar, der in der europäischen Literatur seit dem 18. Jahrhundert erfolgreich praktiziert worden war. Die europäischen Filmindustrien wendeten ihn ebenfalls an, doch es war Hollywood, das die richtige Formel fand und zudem mehr finanzielle Durchsetzungskraft als die europäischen Produktionsunternehmen aufwies (Ebenda, 1–2). Das ‚klassische Hollywoodkino‘ stieß auf ein weites Spektrum lokaler und nationaler Kontexte. Die hegemonialen Mechanismen, mit denen es ihm gelang, unterschiedliche Traditionen, Diskurse und Interessen auf US-amerikanischer Ebene zu verknüpfen, erklären nach Auffassung der Filmhistorikerin Miriam Bratu Hansen allerdings nur zum Teil seinen Erfolg außerhalb der USA. Das Hollywoodkino habe zwar eine Sprache entwickelt, die in einem globalen Zusammenhang leichter Anklang fand als jene seiner nationalstaatlichen Rivalen. Der Erfolg habe sich letztlich jedoch deshalb eingestellt, weil diese populäre Sprache Unterschiedliches

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für unterschiedliche Kulturen und Öffentlichkeiten zuhause und auswärts bedeuten konnte. Hollywoods Produkte seien in sehr spezifischen und unterschiedlich entwickelten lokalen Kontexten und Rezeptionsbedingungen konsumiert worden. Sie hätten daher nicht nur einen nivellierenden Effekt auf diese unterschiedlichen Kontexte und Kulturen gehabt, sondern seien in spezifischen Aneignungsprozessen auch verändert und amalgamiert worden. So etwa sei das Happy End für den russisch-sowjetischen Markt in ein tragisches Ende umgearbeitet worden. Aber auch die Zensur, das Marketing und Praxen der länderspezifischen Programmgestaltung hätten eine Rolle gespielt; nicht zu vergessen die Synchronisation und die Gestaltung der Untertitel. Eine internationale Geschichte des klassischen Hollywoodkinos zu schreiben, könne sich nicht darauf beschränken, die Mechanismen der Standardisierung und Hegemonialisierung zu bearbeiten, sondern müsse auch die Diversität der Wege, in welchen dieses Kino in lokale und translokale Kontexte transformiert und rekonfiguriert wurde, berücksichtigen (Hansen 1999, 66–69). Meiner Auffassung nach lohnt es sich, solchen Transformationen und Rekonfigurationen, die nichts anderes als nationale und kulturspezifische Amalgamierungen darstellen, nachzugehen. Ich erkenne in diesen wichtige Indikatoren für den Durchsetzungsgrad einer industriell geprägten visuellen Moderne. Je notwendiger Produktangleichungen an lokale Bedürfnisse sind, desto eher lässt sich annehmen, dass ein Filmangebot im Originalzustand nicht akzeptiert wird, weil lokale visuelle Vorstellungen sich als stärker erweisen. Insgesamt wird sich für den in diesem Kapitel zur Betrachtung anstehenden Zeitraum von 1920 bis 1950 feststellen lassen, dass sich Hollywood außerhalb der USA und Westeuropas zwar durchsetzte, jedoch teilweise nur in stark transformierter Form. Außerdem erfasste es aufgrund der dort herrschenden sozioökonomischen Gegebenheiten lediglich einen kleinen Teil der Bevölkerung. Dieses Kapitel wird daher in seinem ersten Abschnitt die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des Kinos analysieren. Der zweite wird die Kinokultur in den Balkanländern darstellen und darauf hinweisen, dass diese weiterhin im Wesentlichen auf Städte beschränkt blieb. Im dritten wird auf Hollywoods hegemoniale Export- und Marktstrategien eingegangen und im vierten darauf, dass Hollywood im Zusammenwirken mit der US-amerikanischen Außenpolitik nicht nur die Macht hatte, seine Filme durchzusetzen, sondern auch ästhetische Überzeugungskraft aufwies. Hollywoods Charme beruhte auf christlichen Moralvorstellungen, die in vielfacher Hinsicht nicht mit jenen in muslimischen Weltregionen kompatibel waren. Daher mussten seine Produkte insbesondere für den türkischen Markt stark abgeändert werden. Der fünfte Abschnitt wird auf das mit Hollywoods Dominanz Hand in Hand gehende Scheitern nationaler Filmin-

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dustrien eingehen, was auch mit dem Übergang zum investitionsintensiven Tonfilm zu tun hat. Der sechste legt sich auf die Aussage fest, dass das Kino bis zur Mitte des Jahrhunderts ein marginales gesellschaftliches Phänomen blieb. Der abschließende Abschnitt wird auf das Kino im Zweiten Weltkrieg, das von einer vorübergehenden deutsch-italienischen Hegemonie charakterisiert war, eingehen. Europäische ökonomische Peripherie

Ein Ergebnis des Ersten Weltkriegs war, dass sich die Grenzen der Balkanländer veränderten. Serbien hatte sein Staatsterritorium bereits in den beiden Balkankriegen Richtung Süden um makedonische Gebiete und den Kosovo erweitern können und wurde zu einem der Motoren, die auf die Gründung eines südslawischen Staats drängten. Am 1. Dezember 1918 wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929 Königreich Jugoslawien) unter Führung der serbischen Dynastie Karadjordjević proklamiert; der montenegrinische Staat und seine Herrscherdynastie hörten auf zu bestehen. Albanien blieb territorial gegenüber dem Jahr 1914 unverändert und erstand als souveräner Staat wieder auf. Als Republik rekonstituiert, wurde das Land 1928 in ein Königreich transformiert, das in eine immer stärkere ökonomische und politische Abhängigkeit von Italien geriet. Griechenland konnte sich im Nordosten um Westthrakien erweitern; seine Expansionspläne in Anatolien mündeten in die sogenannte ‚Kleinasiatische Katastrophe‘ von 1922, die das Land demografisch, ökonomisch und politisch erschütterte. Aus der Asche dieses Krieges stieg der türkische Nationalstaat unter der Führung von Mustafa Kemal, der später Atatürk genannt werden sollte, auf. Am 29. Oktober 1923 wurde die Republik Türkei feierlich ausgerufen – der letzte Sultan des untergegangenen Osmanischen Reichs war bereits im Jahr zuvor abgesetzt worden. In Bulgarien und Rumänien konnte die jeweilige Königsdynastie ihre Macht erhalten. Rumänien erweiterte sein Staatsterritorium durch den Zugewinn Siebenbürgens; Bulgarien musste den Verlust Westthrakiens an Griechenland und der südlichen Dobrudscha an Rumänien hinnehmen. Unbenommen von diesen territorialen Umwälzungen blieben die ökonomischen Probleme im südöstlichen Europa bestehen und verschärften sich sogar: die Import­abhängigkeit für Industrieprodukte, die Exportlastigkeit auf landwirtschaftliche Produkte, der geringe Industrialisierungs- und Urbanisierungsgrad sowie das mangelnde inländische Investitionskapital. Tabelle 1 zeigt, dass in der Zwischenkriegszeit ökonomisch gesehen der Abstand zu den westeuropäischen Ländern nicht abgebaut werden konnte, sondern sich im Gegenteil weiter vergrößerte. Ein

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Europäische ökonomische Peripherie

Vergleich der Balkanländer mit den führenden Industrieländern in Bezug auf die Industrieproduktion macht diesen Abstand noch deutlicher – und lässt den Schluss zu, dass das europäische Kino je nach Land auf völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen traf (Tabelle 14). Tabelle 14: Industrieproduktion pro Kopf der Bevölkerung im internationalen Vergleich 1939 (in bulgarischen Leva)

Land USA Großbritannien Rumänien Bulgarien Jugoslawien Griechenland Türkei Albanien

Quelle: Berov 1989, 79.

Leva 53.124 35.670 2825 2740 2625 1712 748 264

Die Industrialisierung der Region machte in der Zwischenkriegszeit zwar Fortschritte, jedoch betrug der Beitrag des sekundären Sektors zum Bruttosozialprodukt Ende der 1930er-Jahre lediglich zwischen 16 (Bulgarien) und 23 Prozent ( Jugoslawien). Noch immer waren knapp 80 Prozent der Bevölkerung (in Griechenland rund 60 Prozent) im primären Sektor tätig (Daskalov; Sundhaussen 1999, 126). Die Lage der landwirtschaftlichen Bevölkerung kann nicht anders als katastrophal bezeichnet werden. In Rumänien und Jugoslawien mussten sich drei Viertel und in Bulgarien etwa zwei Drittel der Bauernfamilien von weniger als fünf Hektar Land ernähren. In Rumänien verfügten 52 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe über weniger als zwei, weitere 23 Prozent über Besitzungen zwischen zwei und fünf Hektar Land. In Albanien waren 40 Prozent der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung ohne Grundbesitz (Berend; Ránki 1987, 779–782). In Griechenland war der Transformationsprozess zu einer agrarisch-gewerblichen bzw. agrarisch-industriellen Gesellschaft im Vergleich der Balkanländer am weitesten fortgeschritten. Allerdings wies das Land 1925 lediglich zwei industrielle Großbetriebe mit jeweils etwa 500 Arbeitern und Arbeiterinnen auf. Durch eine 1922 eingeleitete Industrieförderungspolitik und extrem hohe Schutzzölle nahm die Zahl maschinell ausgerüsteter Betriebe bis zum Einsetzen der Weltwirtschaftskrise jedoch rasch zu (Sundhaussen 1987, 923–927, 932–933).

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In Bulgarien und Rumänien betrug der Anteil der Arbeiterschaft an der Gesamtbevölkerung lediglich sieben bis acht Prozent; jener der Industriearbeiterschaft in etwa zwei bzw. vier Prozent. In Albanien gab es eine solche mangels an Industrie überhaupt nicht (Berend; Ránki 1987, 789). In Serbien waren die Verdienstchancen in der Industrie extrem schlecht, weil die Arbeitgeber Zusatzeinkommen der Arbeitnehmer und -nehmerinnen aus der Landwirtschaft einkalkulierten. 1919 wurde der Achtstundentag an maximal sechs Tagen die Woche als Norm eingeführt, jedoch kaum eingehalten. Die meisten alleinstehenden Belgrader Arbeiter teilten sich mit mehreren Kollegen ein Zimmer, viele sogar ein Bett, das sie entweder in Schichten oder zu zweit belegten (Calic 1994, 326–333). Massenarmut und hohe Arbeitslosenzahlen waren prägend. Laut einer Erhebung des Völkerbundes aus dem Jahr 1938 zählte Jugoslawien zusammen mit Portugal zu den ärmsten Ländern Europas (Sundhaussen 2007, 271–272). Während der Weltwirtschaftskrise lebten vier Fünftel der Belgrader Bevölkerung am Rande oder unterhalb des Existenzminimums, und statt Fleisch und Gemüse wurde vorrangig Brot verzehrt (Calic 1994, 398–399). Von 1930 bis 1939 stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen Jugoslawiens von 150.000 auf 651.647 Personen an. Die tatsächliche Zahl dürfte wesentlich höher gewesen sein, da die chronisch Unterbeschäftigten in der Landwirtschaft nicht erfasst wurden. Schätzungen ergaben, dass es bis zu zwei Millionen Beschäftigungslose gab. Nach den offiziellen Arbeitsmarktdaten standen im Jahr 1940 1.069.443 Stellengesuchen 50.048 Stellenangebote gegenüber (Calic 1994, 368–371). Der Reallohn eines verheirateten jugoslawischen Arbeiters war im September 1940 um 20 Prozent niedriger als in den Jahren 1913/14 (Höpken; Sundhaussen 1987, 868). Dies war auch in Griechenland der Fall, wo die auch kriegsbedingt hohe Staatsverschuldung eine ungewöhnlich hohe Steuerquote zur Folge hatte, die dreimal höher als in der Türkei und in Bulgarien und zweimal höher als in Jugoslawien und Rumänien war. Da 65 bis 70 Prozent der Steuereinnahmen auf indirekte Steuern entfielen, waren die unteren Einkommensschichten überdurchschnittlich betroffen (Sundhaussen 1987, 941). Die schlechte wirtschaftliche Lage, Massenarmut und -arbeitslosigkeit waren nicht zuletzt auf das schlechte Bildungsniveau der Bevölkerung zurückzuführen. Im Jahr der Staatsgründung (1923) waren 90 Prozent der türkischen Bevölkerung illiterat (Arslan 2011, 41); in Jugoslawien fiel die Analphabetenrate von 52 (1921) auf 33 Prozent (1931) (Kosanović 2011, 31). Noch in den 1930er-Jahren waren in Jugoslawien, Rumänien und Griechenland weit über 50 Prozent aller Frauen Analphabetinnen; in Bulgarien nur mehr knapp 43 Prozent (Sundhaussen 1994, 31).

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Europäische ökonomische Peripherie

Tabelle 15: Analphabetenraten in den Banschaften Jugoslawiens 1931 (in Prozent der über Fünfjährigen)

Banschaft Drau Save Donau Drina Küstenland Morava Zeta Vardar Vrbas

% 8,9 33,1 34,1 65,4 67,2 70,8 73,5 81,3 83,8

Quelle: Calic 1994a, 124.

Tabelle 15 zeigt deutlich, dass die Analphabetenraten des Jahres 1931 ein Nord-Südgefälle aufweisen. Die Drau-Banschaft mit einer sehr geringen Rate war identisch mit Slowenien; die Banschaften Morava, Zeta, Vardar und Vrbas mit den höchsten Analphabetenraten lagen im Süden des Landes. Neben dem Umstand, dass diese Prozentanteile Indikatoren für die wirtschaftliche Entwicklung darstellen, sind sie auch insofern von Belang, als ab etwa 1930 die Kinos ihre Ausrüstung sukzessive auf den Tonfilm umstellen mussten und somit die meisten Filme Untertitel trugen. Für die des Lesens Unkundigen war dadurch ein Kinobesuch unattraktiver geworden – falls er jemals attraktiv gewesen war. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 traf die agrarorientierten Balkanländer extrem schwer. Vor dem Einsetzen der Krise bestanden 70 bis knapp 90 Prozent der Exporte aus landwirtschaftlichen Produkten. Durch die internationale Absatzkrise sanken die Ausfuhrerlöse von 1929 bis 1934 in Bulgarien auf 39,7, in Rumänien auf 47,2 und in Jugoslawien auf 48,6 Prozentpunkte. Die Einkommen in der Landwirtschaft versiegten beinahe völlig. Die bulgarischen Bauern erlitten von 1929 bis 1933 einen Einnahmeverlust von 63 Prozent; die Steuereinnahmen aus indirekten Steuern sanken um rund ein Drittel, aus den direkten um mehr als die Hälfte (Daskalov; Sundhaussen 1999, 123–125). Mit der internationalen Finanz- und Bankenkrise im Sommer 1931 kam der Kapitalimport zum Erliegen. Die Devisen zur Bedienung der Auslandsschulden schmolzen dahin, was zur Folge hatte, dass die Balkanländer Anfang der 1930er-Jahre vor dem Staatsbankrott standen. Eine Erholung der Wirtschaft war erst relativ spät, ab 1935, spürbar. Die Folge waren Staatsinterventionen, die eine Regulierung des Binnen- und Außenmarkts, den Verbot des freien Devisenverkehrs,

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den Abschluss von Clearingabkommen60, Preisregulierungen sowie Exportsubventionen nach sich zogen. Die Einfuhrzölle für industriell gefertigte Produkte wurden teilweise drastisch angehoben: in Bulgarien auf 90, in Rumänien auf 55 und in Jugoslawien auf 33 Prozent des Warenwertes (Cassimatis 1988, 198; Berov 1989, 63; Sundhaussen 2007, 282–284). Die meisten südosteuropäischen Länder hatten im Jahr 1932, also noch knapp vor der Machtergreifung Hitlers, Clearingabkommen mit Deutschland abgeschlossen. Das nationalsozialistische Deutschland – langfristig an den Balkanstaaten als Nahrungsmittellieferanten interessiert – kam ihnen im Güterverkehr entgegen. 1938 belief sich der deutsche Anteil am Außenhandel dieser Staaten bereits auf 40 bis 50 Prozent (Schröder 1976, 5), und in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre wurden bereits drei Viertel des Außenhandels auf Clearingbasis abgewickelt (Berend; Ránki 1987, 815). Im Falle Griechenlands, das nur Korinthen und Tabak zu exportieren in der Lage war, führte das 1932 abgeschlossene Clearingabkommen dazu, dass sich der Warenverkehr zwischen den beiden Ländern bedeutend erhöhte und Deutschland die USA und Großbritannien als Haupthandelspartner ablöste (Sundhaussen 1987, 935–937). Dieser bilaterale Verrechnungsverkehr war nicht nur für die Balkanländer, sondern auch für Deutschland von Vorteil, da die Agrarländer auf den deutschen Markt angewiesen waren. Dieser wurde im Verlauf der Weltwirtschaftskrise aufgrund seiner konjunkturellen Sonderentwicklung ab 1933/34 für landwirtschaftliche Produkte noch aufnahmefähiger, während Frankreich, Großbritannien und die USA wegen ihrer Wirtschaftsstruktur und binnenwirtschaftlichen Entwicklung nicht in der Lage waren, Agrarprodukte aufzunehmen. Deutschland gewährte Zollpräferenzen und eine Abnahmegarantie mit Preisen über dem Weltmarktniveau (Schröder 1976, 27, 29–30). Diese aus den Zwängen der Weltwirtschaftskrise heraus entstehende Konstellation hatte im Wesentlichen zwei Auswirkungen auf das Kino. Die erste war, dass sich aufgrund der hohen Zollschranken der Import von Filmen, Kino- und Filmproduktionsausrüstungen spürbar verteuerte. Die zweite war, dass das Entgegenkommen Deutschlands auch seinen kinopolitischen Preis hatte. Deutschland sollte immer vehementer darauf drängen, dass die Clearingpartner deutsche anstatt USamerikanische Filme importierten. Im Falle Griechenlands führte dies beispielsweise dazu, dass für Verleiher US-amerikanischer Filme die Kinos, in denen die Filme gezeigt werden würden, bereits feststehen mussten, um sie durch den Zoll zu brin60 Devisenfreier Handelsverkehr zwischen zwei Staaten, im Zuge dessen der Wert der exportierten und importierten Güter gegenverrechnet wird.

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gen. Für den Import von Filmen aus Deutschland gab es derartige Restriktionen nicht (Ramsaye 1938, 1129). Stadt und Kinokultur

Trotz des weitverbreiteten Elends in den Balkanhauptstädten genoss eine kleine privilegierte Schicht einen modernen Lebensstil, der sich kaum von demjenigen der Metropolen des westlichen Europa unterschied. Das Kino nahm darin einen noch prominenteren Platz ein als vor dem Ersten Weltkrieg. Aufgrund der zähen industriellen Entwicklung hielt sich die Binnenmigration bzw. die Abwanderung vom Land in die Stadt in engen Grenzen. Im Jugoslawien der 1930er-Jahre lebten weniger als 20 Prozent der Bevölkerung in Städten; die Verhältnisse in Bulgarien und Rumänien waren ähnlich. In Griechenland betrug der städtische Anteil etwa 30 Prozent – mit dem Schwerpunkt im Großraum AthenPiräus, wo sich die Bevölkerung von 1920 bis 1951 verdreifachte. In Albanien hingegen hatte die städtische Bevölkerung lediglich einen Anteil von zwölf Prozent an der Gesamtbevölkerung (Sundhaussen 1987, 921–923; Sundhaussen 1999, 143–144). Tabelle 16: Wachstum der fünf größten Städte Griechenlands 1920–1951 (in 1.000)

Groß-Athen Groß-Saloniki Patras Heraklion Volos

1920 453 174 52 25 30

1928 802 251 61 33 48

1940 1124 278 62 40 55

1951 1379 303 88 55 51

Quelle: Sundhaussen 1987, 921.

Für diejenigen, die es sich leisten konnten, eröffneten sich urbane Angebote mit internationalem Flair. Moderne Unterhaltungsmöglichkeiten und Freizeitformen wie Kino und Ausstellungen, europäische und US-amerikanische Musik sowie Tänze. Fußballspiele und andere Massenveranstaltungen ließen auch im südöstlichen Europa neuartige urbane Vergnügungsstätten entstehen. Urbanität nahm den Charakter einer subjektiv gestaltbaren und erfahrbaren Lebenswelt an (Höpken 2010, 77–78). Die Erlebnisorte mitteleuropäischer Stadtkultur begannen sich auch in den Bal­ kanländern zu verdichten: Theater, Oper, Literaturzirkel, Restaurants, Sportvereine, Klubs und andere Geselligkeitsformen bezogen immer größere Kreise mit ein. Zwar

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verfeinerten sich die sozialen Distinktionsmechanismen in punkto Kleidung, das städtische Freizeit- und Unterhaltungsangebot öffnete sich jedoch auch breiteren Schichten. Zwar ist über die Konsumenten und Konsumentinnen des kulturellen Angebots wenig bekannt, aber es entstand im Kleinen so etwas wie eine kommerzielle ‚Vergnügungsindustrie‘. Dadurch intensivierte sich die Distanz zu den Provinzstädten, wo es diese Entwicklungen nicht oder nicht so ausgeprägt gab. Die Präsenz von Frauen verstärkte sich im Theater, auf Bällen und im Kino, äußerte sich aber auch in Vereinstätigkeiten, wo die ‚Frauenfrage‘ diskutiert und Lösungen vorgeschlagen wurden (Höpken 2006, 88–93). Bukarest und Belgrad sind gute Beispiele für die Hauptstadtkultur der Zwischenkriegszeit. Gegen Ende der 1930er-Jahre war die Bukarester Stadtbevölkerung auf beinahe eine Million angewachsen. Allein die Zahl der in der Stadt lebenden Staatsbeamten belief sich auf 25.000, jene der Verwaltungsangestellten auf über 50.000; darüber hinaus gab es beinahe 20.000 Lehrer und Lehrerinnen, 8.000 Ärzte und wenige Ärztinnen sowie 30.000 Studierende (Berend; Ránki 1987, 785). Europäische Einflüsse waren auf allen Ebenen spürbar: im Lebensstil, in der Kleidung und im Verhalten. Es wurden Hut und auch im Sommer Handschuhe getragen, Limousinen gefahren und Hochhäuser errichtet. Zuhause gab es Radios und Radiatoren, Grammophone und französische Literatur. Zwischen 1927 und 1939 stieg die Zahl der Radioabonnenten und -abonnentinnen von etwa 8.000 auf über 300.000. Geschäfte bezogen ihre Waren direkt von den Modehäusern in Paris. Es gab genügend Menschen, die Zeit und Geld hatten, sich in ihnen einkleiden zu lassen, französische Süßigkeiten und Schokolade anbietende Zuckerbäckereien aufzusuchen oder sich in einem der klimatisierten Kinos Filme anzusehen. Die alten Cafés waren verschwunden und von modernen, wie das Strobel, La Brenner, Fieschi‚ Fialkovski oder das beliebte Literaturcafé Café de la Paix, abgelöst worden. 1929 fand der erste Schönheitswettbewerb statt, für den es sich der Innenminister nicht nehmen ließ, den Vorsitz zu übernehmen (Glăvan 2011, 400–402). Belgrad, mit Zemun, das 1934 eingemeindet wurde, verdoppelte seine Bevölkerung von 135.000 im Jahr 1921 auf 266.000 im Jahr 1931 und stieg im folgenden Jahrzehnt auf nur mehr 320.000. Den wahrscheinlichsten Grund für diese Verlangsamung bildete die Weltwirtschaftskrise, deren Auswirkungen ab 1931 spürbar wurden. 90 Prozent der Bevölkerung galt als arm. 1939 betrug das monatliche Durchschnittseinkommen 1.225 Dinar; für das Überleben einer vierköpfigen Familie benötigte man jedoch 1.900 Dinar. Zur ökonomisch potenten Bevölkerung zählten nur etwa 11.000 Menschen, von denen ein Viertel Rentiers und ein Fünftel hohe Beamte, Professoren oder Freiberufler waren (Marković 2002, 17–21).

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Trotz der schwierigen Lage für die Masse der Stadtbevölkerung verfügte Belgrad über alles, was andere europäische Städte auch hatten: Oper, Theater, Ballett, schicke Restaurants, Bars und Kinos sowie modernistische Bauten wie den Ende der 1930er-Jahre eröffneten Albanija-Palast – eines der ersten Hochhäuser des Balkans (Ebenda, 17–21). Wie in Bukarest auch wurden Hotelfoyers und Kaffeehäuser zu Orten urbaner Freizeitgestaltung und Geschäftsanbahnung. Das Angebot an Kaffeehausbühnen, Orpheen und Zirkusaufführungen erhöhte sich und wurde immer vielfältiger. In den Tanzlokalen wurden Foxtrott und Tango nicht mehr als exotisch angesehen, und Zeitschriften berichteten über neueste Trends und Moden (Babović 2013, 17–26). Die produzierte und konsumierte Unterhaltung nahm die jeweils neuesten Trends aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und den USA auf. In den 1920er-Jahren folgte die Frauenmode den Pariser und die der Männer den Londoner Entwicklungen; an Literatur bevorzugte man die russische und französische; Filme, Tänze und Comics kamen vornehmlich aus den USA. Der französische Einfluss verlor nach dem Attentat auf König Alexander in Marseille (1934) an Bedeutung, und der deutsche nahm zu. Die Ausgrenzungspolitik des Dritten Reichs gegen ‚degenerierte‘ Kultur brachte in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre zahlreiche weibliche und männliche jüdische Revuetänzer und -sänger aus Deutschland, Österreich und Böhmen nach Belgrad (Ebenda, 17–26). Während Geschmack und Stil weiterhin Klassenzugehörigkeit signalisierten, wurde Unterhaltung allen, die über etwas disponibles Einkommen verfügten, zugänglich. Die Eintrittspreise, etwa für Varieté und Kino, waren relativ billig und illustrierte Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr nur für die Elite und Bohemiens erschwinglich. Beinahe alle Unterhaltungssparten – von Magazinen bis Tanzklubs – betrachteten Frauen als aktive und unabhängige Konsumentinnen (Ebenda, 17–26). In elitären Kreisen galt das Automobil als Symbol für Fortschritt, Freiheit und Europa. Eine Reihe von ausländischen Firmen eröffnete Filialen in Belgrad: Packard, Cadillac, Dodge, Ford, Lincoln, Renault, Nash, Fiat und Chrysler. Diese wurden in der Regel von Einheimischen geführt, die nebenbei auch Garagen, Werkstätten, Taxis, mitunter auch Fahrschulen und Tankstellen, betrieben. Firestone, Pirelli, Dunlop, Michelin und Goodrich verkauften Reifen und andere Autoteile. Die erste Firma, die in Jugoslawien Benzin vertrieb, war die Standard Oil Company New York; sie startete mit einer Filiale in Belgrad; weitere sollten folgen. Die Weltwirtschaftskrise traf den Autoverkauf allerdings schwer. Manche Firmen verkauften in dieser Zeit kein einziges Fahrzeug (Latinić 2002a, 61–97). 1937 fand eine internationale Auto- und Motorradausstellung im Rahmen der ersten Belgrader Messe statt. Ein Pavillon war der internationalen Autoindustrie

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gewidmet. Unter den Ausstellern befanden sich General Motors, Adler, Büssing, Dodge, Citroën, Harley-Davidson, Buick, Opel und Maybach (Rakočević 2002, 93– 94). Das größte motorsportliche Ereignis der Zwischenkriegszeit fand vor 100.000 Zusehern und Zuseherinnen am 3. September 1939 statt: der erste Internationale Grand Prix für Rennwagen und Motorräder rund um die Festungsanlage Kalemegdan. Sieger wurde der Italiener Tazio Nuvolari mit einem Boliden der Auto-Union vor Manfred von Brauchitsch in einem Mercedes-Benz (Petković; Petković 2002, 136–137). Die Belgrader Elite machte wie erwähnt nicht mehr als rund zehn Prozent der Stadtbevölkerung aus. Aus ihr rekrutierte sich vornehmlich die Klientel, die die urbane Kultur prägte und die für Kinobesuche infrage kam. Das Kino bot Blicke in die große, weite Welt und beeinflusste das Alltagsleben der Hauptstadt eines nur schwach entwickelten Landes. In erster Linie wirkte sich das Kino bzw. der Hollywoodfilm auf die Mode aus. Mädchen und junge Frauen imitierten Frisuren und Schminke von Stars wie Deanna Durbin oder Shirley Temple, einem der größten Kinderstars der Filmgeschichte; für junge Männer waren Clark Gable und Errol Flynn maßgeblich. Mädchen trugen im Adriaurlaub ‚Pyjamas für den Strand‘, wie man sie im Film sah. In Kaffeehäusern und Restaurants wurde Filmmusik gespielt, und die jugoslawische Presse berichtete in Schlagzeilen über Jugendliche, die von zuhause weggelaufen waren und in Hollywood ankommen wollten (Kosanović 2011, 49–51). Der Kinobesuch wurde zu einem wichtigen Element des städtischen Alltagslebens. Die niedrigen Eintrittspreise vergrämten die Theaterbesitzer, und die Auswahl an importierten Filmen war groß. Jede soziale Schicht konnte in den Filmen etwas für sich entdecken. In das Kino ging man mit Familie oder allein; wie auch anderswo schwänzten übermütige Kinder mitunter zugunsten eines Cowboyfilms die Schule. Jungs führten Mädchen ins Kino aus, wo sich Liebespaare während der Vorstellung küssten oder auch noch weiter gingen, insbesondere wenn der galante Kavalier Karten für eine ganze Loge besorgt hatte (Ebenda, 49–51). In vielen städtischen Kinos Jugoslawiens traten in den Pausen zwischen der Wochenschau und dem Kulturfilm sowie zwischen dem Kulturfilm und dem Hauptfilm Äquilibristen, Jongleure, Musiker, Sänger oder Imitateure auf. Sehr beliebt waren solche, die Charlie Chaplin zu imitieren imstande waren. In den dreißiger Jahren wurden in Belgrad und Zagreb feierliche Premieren von Schlagerfilmen im Beisein bekannter Sänger und Schauspielerinnen organisiert. Eine Sensation besonderer Art bildete wie anderswo auch der erste lange Zeichentrickfilm in Farbe – Walt Disneys ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge‘ (1938) (Kosanović 2011, 48). Der Belgrader Dimitrije M. Knežev (1909–1998) erinnert sich an Kinos und Fil-

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Abb. 16: Ita Rina bei den Dreharbeiten zu ‚Erotikon‘ © Jugoslovenska kinoteka

me seiner Jugend: Im Kolarac wurden die unvergesslichen Filme ‚Zorro‘, ‚Der blaue Engel‘ und der erste Tonfilm ‚The Jazz Singer‘ mit dem Schauspieler und Sänger Al Jolson gespielt. Die am meisten bewunderten Schauspieler seiner Jugend waren der Deutsche Emil Jannings in seiner Rolle in ‚Faust‘, den er im Korzo sah, der USAmerikaner Ernö Verebes im Genre ‚erster Geliebter‘ und der deutsche Stummfilmschauspieler Conrad Veidt in seiner unvergesslichen Rolle in ‚Das Cabinet des Dr. Caligari‘. Die berühmtesten Regisseure waren für ihn Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Friedrich Murnau, Ewald André Dupont, René Clair (‚Unter den Dächern von Paris‘), King Vidor (‚Halleluja‘) und Erich von Stroheim (Knežev 2001, 173–177). Eine besondere Bedeutung erlangten für ihn der Komiker Buster Keaton, der das Publikum zu Tränen rührte, die Schauspielerin Gloria Swanson, eine der glamourösesten Figuren der Stummfilmzeit, die den Übergang zum Tonfilm passabel schaffte, und die slowenische Schauspielerin Ita Rina (1926 ‚Miss Jugoslawien‘), die ihren Durchbruch mit dem Film ‚Erotikon‘ schaffte (Ebenda, 173–177). Die Tonfilmstars Kneževs Jugend waren Ramón Novarro, John Gilbert, Clark Gable, Svetislav Petrović (geboren in Novi Sad), Robert Taylor, Greta Garbo, Marlene Dietrich und Pola Negri. Als der Tonfilm in den frühen 1930er-Jahren in die

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Abb. 17: Pola Negri – die Schauspielerin polnischer Abstammung arbeitete sowohl für den deutschen Film als auch für Hollywood (hier auf der Titelseite des rumänischen Kinomagazins ‚Cinema‘)

Abb. 18: Ankündigung des Films Mata Hari (1931) mit Greta Garbo und Ramón Novarro in den Hauptrollen durch das Apollo Kino in Bukarest © Arhiva Națională de Filme

Belgrader Kinos kam, wurde beinahe jeder Film mit einem Schlager lanciert, den die jungen Leute zuhause oder in Gesellschaft nachahmten (Ebenda, 173–177). Es waren also in erster Linie Hollywoodfilme und ihre Stars, die für die jugendlichen Belgrader Kinobesucher und -besucherinnen von Interesse waren. Diesem Interesse entsprach, dass 1928 die Zeitschrift Hollywood – Gegenwartsrevue für Filmleben, moderne Kunst, Sport und Weltsensationen auf den Markt kam. Daneben gab es zumindest kurzzeitig Zeitschriften wie Film, Film und Mode, Durch den Film, Filmrevue und Cinema (Vučetić 2010, 43). Gute ausländische Filme warfen in intellektuellen Kreisen die Frage auf, weshalb es um den einheimischen Film so schlecht bestellt war und wie man den ungarischen, polnischen oder tschechoslowakischen Beispielen folgen könne (Kosanović 2011, 49–51). Über die Kinokultur im Istanbul der 1930er-Jahre liegt eine hochinteressante Untersuchung (‚The Motion Picture in Modern Turkey‘) von Eugene M. Hinkle vor,

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einem Angehörigen des US-Konsulats, die vornehmlich unter der muslimischen Bevölkerung recherchiert wurde und mit 1. Juli 1933 datiert ist. Diese Analyse wurde vermutlich von Hollywood inspiriert oder sogar in Auftrag gegeben, da die Türkei zu den Problemländern des Filmimperiums zählte. Ich gebe eine zusammengefasste Version wieder: Das Kino spielt mittlerweile eine wichtige Rolle im Alltag, sowohl im Positiven als auch im Negativen. Hinsichtlich des Familienlebens führt es zu Spannungen und verändert die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen den Ehepaaren. In den konservativen Mittel- und Unterschichten akzeptieren die Eltern das Kino nicht und versuchen, den Kindern den Kinobesuch zu verbieten. In dieser Frage bricht jedoch vielfach der traditionelle Gehorsam zusammen. Die Kinder besuchen das Kino trotzdem und kommen mit Ideen zurück, die den elterlichen Vorstellungen widersprechen. Streitigkeiten zwischen den Familienmitgliedern entstehen, wenn die Kinder vom Vater Geld fordern, um das Kino besuchen zu können, weil das Kino als Rendezvousort dient, die junge Ehefrau mit ihrem Liebhaber beim Verlassen des Kinos beobachtet wird, der konservative Vater das Kino ablehnt, Mädchen Fotos von Stars vor der Mutter verbergen und entdeckt werden und die Tochter das Kino besuchen will und ihr Vater dies verbietet. Da ihnen das türkische kulturelle Angebot keine Alternative bieten kann, stellt das Kino für junge Türken und Türkinnen eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Vergnügen dar. Sie sehen die westliche Kultur durch die Augen des Films, der ihnen ein irreführendes Bild vermittelt. Sie unterscheiden nicht zwischen den westlichen Ländern, sondern verstehen die Bilder als ‚westlich‘ und ‚modern‘. Der Kinobesuch macht allerdings auch mit dem eigenen Lebensstandard unzufrieden, da die Besucher und Besucherinnen in den Filmen eine Welt sehen, die ihnen verwehrt ist. Die handelnden Personen sind reich und glücklich, und ihr Leben besteht aus einer Abfolge von Vergnügungen und Erfolgen. Wenn Türken sich zu einer Freizeitaktivität aufraffen, dann steht das Kino an erster Stelle, gefolgt vom Besuch eines Fußballspiels und vom Kartenspiel im Kaffeehaus. Der Film ersetzt für viele das Lesen von Büchern und stellt das wichtigste Medium zur Informationsbeschaffung über das Ausland dar. Er wird auch als ‚zweite Schule‘ bezeichnet, denn nur wenige Türken und Türkinnen können lesen. Nach inoffiziellen Statistiken sind nur 17,5% der Bevölkerung literat. Die meisten von ihnen leben in den Städten, wo es auch Kinos gibt. Sich einen Tonfilm anzusehen, wird von manchen als belastend empfunden, da sie nicht nur mit dem Plot zurechtkommen, sondern auch die türkischen Untertitel lesen und einer fremden, ihnen unbekannten Sprache zuhören müssen. Die wenigen türkischen Tonfilme sind daher enorm populär.

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Das Publikum bevorzugt einfache Plots, prächtige Kulissen, lebhafte und abwechslungsreiche Handlungen, die US-amerikanische Filme auszeichnen, selbst wenn sie auf Englisch sind. Die langen Dialoge, schwierigen Inhalte und der Mangel an Action in französischen und deutschen Filmen werden hingegen abgelehnt. Die beliebten Genres des Istanbuler Kinopublikums bilden die Musikkomödie und das Nervenkitzel bescherende Drama. Um ein Kino voll zu bekommen, muss der Film sensationell mit viel Action, Sex und sentimentalen Songs aufgemacht sein. Man geht nicht in das Kino, um Stars, sondern Action und Erotik zu sehen. Dies gilt speziell für die unteren Schichten. Aufgrund der Sprachprobleme lehnt das Publikum lange und subtile Dialoge ab. Solche werden daher von den Produzenten kurz geschnitten. Beliebt sind auch die Wochenschauen, weil sie stets spektakuläre Ereignisse bringen, Wildwest- und Cowboyfilme, Komikfilme mit Slapstick-Einlagen sowie Detektivfilme. Das Kino polarisiert. Wer positiv zu ihm steht, verteidigt es mit Feuereifer und versucht, sich eine westliche Lebensweise anzueignen. Wer dieser Gruppe nicht angehört, lehnt das Kino ab. Dazwischen gibt es nichts. Der Film hat definitiv eine Klasse von Kinobesuchern geschaffen, für die das Kino eine wichtige Rolle im Leben spielt. Von der Istanbuler Bevölkerung (1927: 730.334) besuchten (1930) 0,98% und (1931) 1,2% das Kino täglich. In Ankara mit einer Bevölkerung von 75.000 besuchen 1,5% täglich das Kino. Das ist nicht so wenig, wie es aussieht, da speziell die Zahl jener, die sich einen Kinobesuch potenziell leisten können, gering ist. Die 1,5% bedeuten also, dass ein großer Teil derjenigen, die sich einen regelmäßigen Kinobesuch leisten können, dies auch tun. Das durchschnittliche Istanbuler Kinopublikum besteht zu 60 bis 65 Prozent aus Männern, zu 20 Prozent aus Frauen und zu 15 Prozent aus Kindern. Die geringe Zahl von Frauen erklärt sich aus der traditionsgebundenen Haltung, die es Frauen nicht erlaubt, an öffentlichen Vergnügungen teilzunehmen. Der größte Teil der kinobesuchenden Frauen ist daher auch nicht muslimisch. 1932 wurde in den Kinos von Pera die Altersstruktur des Kinopublikums untersucht. Das Ergebnis bringt klar zutage, dass Menschen über 50 am Kino wenig interessiert sind und Jugendliche unter 20 das Kino wahrscheinlich nicht besuchen dürfen.

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Stadt und Kinokultur

Tabelle 17: Altersstruktur des Kinopublikums in Pera (Istanbul) 1932 (in %)

Altersgruppe unter 20 20–30 30–50 über 50

Anteil in % 8 55 30 7

Quelle: Hinkle 2007, 82.

Neben Ankündigungen in Zeitungen und an den Kinoeingängen wird wenig Werbung für Filme gemacht. Die Öffentlichkeit ist es nicht gewohnt, auf Anschlagtafeln irgendwo in der Stadt zu achten; außerdem informiert sich das Publikum in der Presse. Die Kinos werben hauptsächlich auf Anschlagtafeln neben dem Eingang. Die Werbeplakate werden nach Vorlagen der Filmproduzenten vor Ort produziert. Das Werbematerial ist nämlich zumeist in der Originalsprache des Films, und die lokalen Manager müssen erst das Ankündigungsmaterial auf Türkisch oder Französisch herstellen. Um Aufmerksamkeit zu erregen, muss dieses so grell und sexy wie möglich sein. Die Originaltitel werden zumeist komplett verändert, damit sie für die örtlichen Verhältnisse interessant wirken. So etwa wurde ‚Die ungekrönte Königin‘ zur ‚Die Tochter der Prostituierten‘. Die größeren Kinotheater in Istanbul bringen nun große Poster vor dem Eingang an. Diese von lokalen Künstlern derb gemalten Bilder können in der Hauptstraße von Pera nicht übersehen werden (Hinkle 2007, 59–67, 74–82, 167–172). In Istanbul hatte sich also eine kleine Schicht von Cineasten und wenigen Cineastinnen herausgebildet, die zwischen 20 und 50 Jahre alt war, Hollywoodfilme schätzte und den American way of life nachzuahmen versuchte. Diese wurde durch Filmmagazine wie Holivut bedient, das über Filme und Stars berichtete sowie Adressen und Körpermaße der Stars als Messlatte für junge türkische Frauen sowie Schönheitsformeln publizierte (Arslan 2011, 42–43; Özyılmaz 2014, 64–65). In den Balkanhauptstädten konnte sich also die Kinokultur weiterentwickeln; sie vermochte allerdings noch immer lediglich einen relativ geringen Anteil der Bevölkerung zu erfassen. In Istanbul war der Widerstand gläubiger Muslime gegen das Kino und insbesondere den Hollywoodfilm offensichtlich erheblich. Es ist anzunehmen, dass er auf dem Land noch ausgeprägter war. Wie noch zu zeigen sein wird, haben die Produzenten und Verleihfirmen Anstrengungen unternommen, um ihre Filme an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen, das Akzeptanzproblem zu verringern und die Konkurrenz in Schach zu halten.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Hollywood duldet keine Konkurrenz

Die Expansionsstrategie Hollywoods erwies sich binnen kürzester Zeit als äußerst erfolgreich. Bereits 1920 war der Gesamtumfang des exportierten US-amerikanischen Filmmaterials auf das Sechsfache des Vorkriegsvolumens gestiegen. Um die Expansion abzusichern und ihre Interessen weltweit wahren zu können, schlossen sich 1922 23 US-amerikanische Produktionsfirmen zur MPPDA mit dem Republikaner Will H. Hays als Präsidenten zusammen. Die Macht in dieser Interessensgruppe hatte das Kartell der Großen Fünf und Kleinen Drei inne (Segrave 1997, 21). In den darauffolgenden Jahren stiegen die Marktanteile US-amerikanischer Filme weiter an. 1926 verfügten sie mit etwa 800 produzierten Filmen im Jahr weltweit bereits über einen Marktanteil von etwa 90 Prozent: 95 Prozent in den anglosächsischen Staaten und 90 Prozent in Lateinamerika. Holland und Belgien zeigten zu 80 bis 90 Prozent US-amerikanische Filme; Österreich, die Tschechoslowakei und Ungarn zu etwa 70 Prozent; in Litauen, Lettland, Estland und Polen hingegen lag er lediglich etwas über 50 Prozent (Fawcett 1928, 21–22; Segrave 1997, 65–66). Dass Hollywood derartig rasch das internationale Filmbusiness dominierte, war nicht nur auf die Qualität seiner Produkte und sein geschlossenes Auftreten im Ausland zurückzuführen. Die US-amerikanische Filmwirtschaft profitierte vom Umstand, dass die Produktion in den zwei führenden Filmproduktionsländern Europas, Frankreich und Deutschland, während des Ersten Weltkriegs unterbrochen werden musste, während sie in den USA ungebrochen weiterlief. Die USA waren bis 1917 neutral und konnten kriegsbedingte Handelshindernisse leichter umschiffen als kriegführende Länder. Als die USA im April dieses Jahres in den Krieg eintraten, entfaltete sich eine nachhaltige Partnerschaft zwischen der Regierung und der Filmindustrie. Der Kongress gründete ein ‚Komitee für öffentliche Information‘, dessen Ziel es war, US-amerikanische Kultur und Werte im Ausland zu verbreiten. Da der Film dabei eine zentrale Rolle spielte, erhielt die Filmwirtschaft rückhaltlose Unterstützung durch die Regierung. So wurden die US-amerikanischen Botschaften und Konsulate immer wieder aufgefordert, über den Filmmarkt und die Marktchancen für US-amerikanische Filme in ihren Geschäftsbereichen zu berichten. Diese Analysen wurden der Industrie frei zugänglich gemacht (Segrave 1997, 8–9, 14–15; Jarve 1998, 35). Auch die oben ausführlich wiedergegebene Analyse Hinkles entstand im Rahmen dieser Zusammenarbeit. Die USA, die sich bis zum Kriegseintritt international zurückgehalten hatten, begannen sich nun weltpolitisch zu engagieren und verknüpften dieses Engagement wie andere Großmächte auch mit wirtschaftlichen Interessen. War das Land vor dem Krieg bis auf wenige Ausnahmen rohstoffautark, so war es durch das mächtige Wachstum von Wirtschaft und Industrie während des Krieges nun gezwungen, sich

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international mit Rohstoffen zu versorgen. Diese Versorgung wie auch den Absatz der erzeugten Produkte galt es außenpolitisch abzusichern (Cassimatis 1988, 11–12). So etwa begann die US-amerikanische Handelskammer Druck auf das State Department auszuüben, eine rigorose Politik der offenen Tür gegenüber dem Osmanischen Reich zu verfolgen. Die Möglichkeiten einer Expansion der US-amerikanischen Wirtschaft im Nahen Osten schienen grenzenlos, zumal der bisherige Handel unbedeutend gewesen war. Mit Kriegsende hatten bereits einige Unternehmen ständige Büros in Istanbul eingerichtet, andere wiederum arbeiteten mit lokalen Repräsentanten zusammen. Eine ähnliche Politik sollte auch gegenüber Griechenland eingeschlagen werden (Ebenda, 11–12). Griechenland hatte bis 1914 hauptsächlich mit europäischen Ländern Handel getrieben, ab 1918 begann allerdings der Austausch von Gütern mit den USA rasch zu steigen. Schließlich umfasste er die ganze Palette von Nähnadeln bis zu Kinokonzessionen und Traktoren. 1929 waren die USA bereits Griechenlands wichtigster Export- und Importpartner. Diese Situation hielt allerdings nur kurz an, nämlich bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in den frühen 1930er-Jahren, als Deutschland zum Haupthandelspartner avancierte (Ebenda, 166, 168). Die rasche Steigerung der internationalen Marktanteile Hollywoods muss also in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Zum bereits erwähnten Zusammenschluss US-amerikanischer Filmproduzenten zur MPPDA war es gekommen, weil die Filmindustrie erkannte, dass es sinnvoll war, eine einzige Organisation zur Vertretung ihrer Interessen sowohl in Washington als auch in ausländischen Hauptstädten zu haben. Die kommerziellen Interessen dieser Organisation harmonierten bestens mit jenen der US-amerikanischen Außenpolitik. Der Präsident des MPPDA, Hays, wurde im Ausland sogar als ‚Botschafter‘ tituliert. Obwohl er einen Bereich des Privatsektors vertrat, wurde er von der US-Regierung beauftragt, im Falle von Filmimportbehinderungen in ihrem Namen Boykotte anzudrohen (Grazia 1989, 59; Trumpbour 2002, 20, 27). Wie sehr die MPPDA-Außenpolitik die Unterstützung des Außenministeriums nötig hatte, sollte sich bald zeigen. Die US-amerikanische Filmindustrie war nämlich zu dominant geworden, was Widerstand in vielen europäischen Ländern hervorrufen sollte. In Großbritannien etwa belief sich im Jahr 1927 die Zahl der im Land erzeugten Filme auf nur 44 – das waren lediglich 4,85% der gezeigten Filme; 81% (723 in absoluten Zahlen) wurden hingegen aus den USA importiert. In Frankreich war die Zahl der gezeigten Inlandsprodukte etwas höher (74 Filme oder 12,7%); 368 oder 63,3% wurden aus den USA importiert (Vasey 1998, 52–53). Deutschland mit seiner starken Filmindustrie preschte mit Maßnahmen zur Eindämmung des Imports US-amerikanischer Filme vor. Bereits am 1. Jänner 1921 war ein Gesetz in Kraft gesetzt worden, das die Einfuhr von Filmen

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auf das Ausmaß der tatsächlichen Nachfrage beschränkte. 1924 produzierte Deutschland etwa 100 Filme pro Jahr. Mehr als insgesamt 400 Filme vertrug der Markt nicht. Von den über 600 Filmen, die Hollywood in diesen Jahren produzierte, konnten aufgrund der Gesetzeslage nur mehr 200 bis 300 nach Deutschland exportiert werden (Segrave 1997, 32–34). Mit 1. Jänner 1925 setzte Deutschland eine neue Regelung in Kraft, wonach eine Vertriebsfirma die Einfuhrlizenz für einen abendfüllenden Spielfilm nur dann erhielt, wenn sie im vergangenen Jahr auch einen deutschen Spielfilm produziert hatte. In der Praxis bedeutete dies, dass ausländische Filme nur mehr einen 50-prozentigen Marktanteil besitzen durften, was tatsächlich in den folgenden Jahren der Fall war. Allerdings wurden die Kinobesitzer nicht gezwungen, diese (oft schlechten und billigen) Produktionen auch aufzuführen (Ebenda; Fawcett 1928, 119–121). Andere Länder wie Österreich, Ungarn, Frankreich, Italien oder Großbritannien folgten diesem Beispiel nach jeweils zähen Verhandlungen mit Vertretern der MPPDA. Allerdings wehrten sich die Kinobetreiber gegen Kontingente und Quoten dieser Art, weil Hollywoodfilme mehr Zuseher brachten. Das wiederum brachte die ‚Außenpolitiker‘ Hollywoods, die sich vehement gegen derartige Handelseinschränkungen stemmten, in eine relativ günstige Verhandlungsposition (Vasey 1998, 52–53). Das britische Parlament beschloss nach langem Hin und Her im Frühjahr 1927 eine Quotenregelung, die 1928 in Kraft treten sollte: Jedes Vertriebsunternehmen musste zumindest 7,5% britische Filme vertreiben, und die Kinobesitzer mussten diese auch spielen. Dieser Prozentsatz musste bis zum Jahr 1935 auf 25% angehoben werden (Segrave 1997, 45). Mit Frankreich wurde 1928 eine Kontingentregelung mit einer Quote von 1:7 ausverhandelt; mit Italien eine von 1:10 (Fawcett 1928, 148–150). Diese Regelungen zeitigten Auswirkungen: In Großbritannien sank der Anteil vorgeführter US-amerikanischer Filme bis 1932 auf 70,0%, in Frankreich auf 43,4% und in Deutschland gar auf 28% (Tabelle 18). Tabelle 18: US-amerikanische Spielfilme in Frankreich, Deutschland und Großbritannien 1926–1932 (in Prozent)

Jahr 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 Quelle: Portes 1994, 31.

Frankreich 78,6 63,3 53,7 48,2 49,6 48,5 43,4

Deutschland 44,5 36,9 39,4 33,3 31,8 28,0 --

Großbritannien 83,6 81,1 71,7 74,7 69,5 72,6 70,0

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Kleinere Staaten wie Ungarn und Österreich hatten wesentlich mehr Mühe, gegen Hollywood Quotenregelungen durchzusetzen. Ungarn musste klein beigeben und sich 1929 mit einer Quote 1:20 zufriedengeben. Österreich hatte bereits 1925 eine 1:20-Quote eingeführt und diese Anfang 1927 auf 1:10 verschärft. Dies rief Hollywood auf den Plan. In Verhandlungen mit dem österreichischen Handelsminister wurde schließlich vereinbart, dass die Quote je nach Marktlage und unabhängig von der lokalen Produktion fluktuieren konnte (Segrave 1997, 47–48). Mit Jugoslawien sprangen die Außenpolitiker Hollywoods noch schlechter um. Das jugoslawische Parlament hatte im Dezember 1931, mitten in der Weltwirtschaftskrise, ein Gesetz zum Schutz der heimischen Filmproduktion und zur Eindämmung des ständigen Devisenabflusses für Filmimporte erlassen. Gemäß Artikel 7 dieses Gesetzes sollte ein Importunternehmen für alle tausend Meter Unterhaltungsfilm, die bis zum Ende des Jahres 1933 eingeführt wurden, zumindest 70 Meter heimischen Film produzieren und vertreiben, nach diesem Zeitpunkt zumindest 150 Meter. Artikel 8 verpflichtete Importeure, die die Bedingungen unter Artikel 7 nicht erfüllten, für jeden nicht erfüllten Meter 50 Dinar für Stummfilme und 100 Dinar für Tonfilme an das Nationale Filmzentrum abzuführen. Bereits 1932 gab es erste Anzeichen für eine Erholung des nationalen Films, und die Balance zwischen heimischen und importierten Filmen verschob sich zum ersten Mal zugunsten des heimischen (Savković 1998, 199–200). Im ersten Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes entstanden 22 Filmproduktionsunternehmen, von denen zwölf bis 1939 überlebten (Stoil 1982, 18). Rund 170 der in diesen Jahren jährlich schätzungsweise 250 nach Jugoslawien importierten Filme entfielen auf die USA. Das Hollywoodkartell drohte, sich aus dem Land zurückzuziehen, falls das Gesetz nicht außer Kraft gesetzt werden sollte, und wurde dabei von US-Regierungsvertretern unterstützt, die erklärten, die Maßnahme würde als konfiskatorisch eingestuft. Auch die Kinobesitzer protestierten. Als die Regierung nicht einlenkte, schlossen im Mai 1932 Paramount und MetroGoldwyn-Mayer ihre Büros in Belgrad und entließen die Angestellten. Die nächste Stufe war ein vollständiger Boykott Jugoslawiens. Ende 1932 ersuchte die Leitung des jugoslawischen Filmwesens das Kartell, zurückzukehren. Man werde versuchen, das Gesetz in der kommenden Legislaturperiode aufzuheben. Das Angebot wurde zurückgewiesen;  zuerst müsse die Aufhebung kommen, dann werde man zurückkehren. Die Verhandlungen auf Seiten des Kartells führte der Filmhandelsexperte George Canty, der für solche Fälle in Europa zuständig war. Die Belgrader Regierung kapitulierte im März 1933 und machte die Quotenregelung (Artikel 7 und 8) rückgängig. Daraufhin wurden die etwa 200 blockierten und für Jugoslawien bestimmten Filme umgehend verschifft (Segrave 1997, 103–104). Wie Tabelle 19 zeigt,

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

ging die jugoslawische Filmproduktion nach der Rücknahme des Gesetzes wieder deutlich zurück. Tabelle 19: Jugoslawische Filmproduktion 1932–1939 (alle Arten von Filmen)

Jahr 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939

Zahl der Filme 282 188 106 100 84 61 68 50

Meter 61.726 35.973 20.959 23.136 19.272 13.559 16.088 11.113

Quelle: Kosanović 2011, 126–127.

Es herrschte also ein rauer Ton im internationalen Filmgeschäft. Im Falle Jugoslawiens wich das Kartell keinen Zentimeter zurück und setzte seinen Willen durch. Länder wie Griechenland, Albanien, Bulgarien, Rumänien und Türkei versuchten gar nicht, Quotenregelungen einzuführen. Das Hollywoodkartell war mächtig, schlagkräftig und jederzeit in der Lage, den Vertrieb an Länder zu unterbinden, die den Gesetzen des ‚freien‘ Marktes nicht gehorchten. Grund genug, einen Blick auf das Vertriebssystem zu werfen. Hollywoods Stärke auf dem heimischen und ausländischen Markt beruhte auf seinem Vertriebssystem. Die US-amerikanischen Verleiher setzten auf exklusive Arrangements für ihre Filme durch Tochterfirmen. Dies garantierte, dass die Filme gleich gut beworben wurden wie in den USA ( Jarvie 1998, 35–36). Daneben gab es unabhängige Verleihfirmen, die auch für andere Produktionsunternehmen arbeiteten. Die Verleihfirmen besaßen oder verwalteten zumeist ein oder mehrere Kinos mit einem Exklusivvertrag für die Filme der entsprechenden Produktionsfirma (Tsitsopoulou 2012, 76). Das Hollywoodkartell wandte, ähnlich wie von Pathé zuvor bereits praktiziert, Block- und Blindbuchung von Filmen als Methode an, um den Weltmarkt kontrollieren zu können. Dabei boten die Produktions- bzw. Verleihfirmen den Kinobetreibern ihre Filme nur im Paket an. Neben Kassenschlagern (im Hollywoodsystem die A-Filme) befanden sich auch weniger erfolgversprechende Filme (oder billiger produzierte B-Filme) im Paket. Bei einer Blindbuchung mussten die Kinobesitzer einen Film buchen, ohne ihn vorher gesehen zu haben. Damit verlagerten die Film-

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produzenten das Geschäftsrisiko auf die Kinobetreiber und blockierten zusätzliche Spielzeit, die der Konkurrenz in den entsprechenden Kinos dann nicht mehr zur Verfügung stand. Für unabhängige Produzenten und Verleiher wurde der Markteintritt dadurch erheblich erschwert (Segrave 1997, 28). Im Falle Jugoslawiens war es so, dass bald nach dem Ersten Weltkrieg Filialen US-amerikanischer Filmproduktionsfirmen bzw. ihrer Verleihbranchen gegründet wurden, die mit einheimischem und ausländischem Kapital ausgestattet waren. Es waren rund 20 Firmen in Zagreb und Belgrad tätig (Garić 1966, 28). In Zagreb wurde 1926 beispielsweise eine ständige Niederlassung von 20th Century-Fox als Fox Film Corporation Jugoslawien GmbH errichtet; Metro-Goldwyn-Mayer gründete die Metro-Goldwyn jugoslawische Gesellschaft für den Filmverkehr. Etwas später folgten ebenfalls in Zagreb die Paramount Film Jugoslawien GmbH und die Warner Bros. Jugoslawien GmbH (Kosanović 2011, 37–40). Neben diesen Großimporteuren gab es noch 20 bis 30 kleine jugoslawische Importeure, darunter Kinobesitzer und Filmproduzenten. Die älteste dieser Firmen war die Bosna Film, die bereits einige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs in Zagreb gegründet worden und bis 1941 tätig war. Die deutsche Filmindustrie (in erster Linie Ufa und Terra in Berlin) arbeitete mit jugoslawischen Verleihern zusammen, die aber zu kapitalschwach waren, um sich gegen die US-amerikanischen Vertreiber durchzusetzen. Die großen Importeure nutzten alle Werbemöglichkeiten, um Menschen für ihre Filme zu interessieren. Die kleinen Verleiher hingegen kauften eine oder zwei Kopien weniger bekannter Filme und gaben sie nicht selten unter Aushandlung eines bestimmten Prozentsatzes an Großverleiher zum Vertrieb weiter. Die Kinos zahlten für die geliehenen Filme entweder einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen oder vereinbarten für einen bestimmten Zeitraum einen Fixpreis (Ebenda, 37–40; Gašić 2005, 120–124). In einem kleinen Land wie Albanien mit seinen wenigen Kinos waren die internationalen Vertreiber hingegen nicht vertreten. Anfang der 1930er-Jahre war der Filmimport auf drei bis vier inländische Firmen beschränkt. Die Hauptimporteure waren die Brüder Beshiri in Tirana. Jusuf Beshiri war Besitzer des wichtigsten Kinos des Landes, des Nacional, das die meisten anderen Kinos mit Filmen versorgte. Die meisten der importierten Filme wurden nur in der Hauptstadt gezeigt. Die Besitzer der Kinos Lluks und Majestik in Korça importierten autonom. Mit der Eröffnung der Kinos Gloria in Tirana und jener in Durrës (darunter ein weiteres Gloria) und Shkodra 1934/35 wurde Dimitër Canco zu einem neuen Konkurrenten im Filmimport des Landes. Auch die Besitzer des Kinos Lulishte in Durrës (und später auch jener des Rozafat in Tirana) importierten Filme, hauptsächlich aus Italien, Deutschland und Griechenland, aber auch aus Österreich und

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Abb. 19: Das Kino Lluks in der südalbanischen Stadt Korça © Arkivi Qëndror i Shtetit Abb. 20: Das Kino Majestik in der südalbanischen Stadt Korça © Arkivi Qëndror i Shtetit

Frankreich. Die beiden Kinos in Korça wurden von Saloniki aus mit Filmen aus den USA, Frankreich, Deutschland und Großbritannien beliefert (Hoxha 1994, 47–48, 52–53). In den Balkanländern war für Hollywood, wie auch für andere Filmproduzenten, nicht viel zu verdienen. Dies lässt sich zumindest von den in Tabelle 20 präsentierten Zahlen ableiten. Der Wert der im Jahr 1931 importierten Stummfilme war gemessen an dem der Tonfilme sehr gering, weil die Stummfilmproduktion auslief. Interessant ist, dass die Türkei als größtes Balkanland die wenigsten

Hollywood duldet keine Konkurrenz

Abb. 21: Das Kino Gloria in der albanischen Hafenstadt Durrës © Arkivi Qëndror i Shtetit

Abb. 22: Das Kino Rozafat in Tirana © Arkivi Qëndror i Shtetit

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tonfilme einführte. Selbst das in seiner Größe vergleichbare Ägypten führte Filme um den dreifachen Wert im Vergleich zur Türkei ein. Tabelle 20: Import US-amerikanischer Spielfilme in die Balkanländer und Ägypten 1931 (im Wert von US$)

Stummfilme 2157 830 1648 2729 1632

Ägypten Rumänien Griechenland Jugoslawien und Albanien Türkei

Quelle: Hinkle 2007, 32.

Tonfilme 31.670 16.778 15.980 12.568 10.410

Die relative Marginalität des Balkanmarktes zeigt sich auch in einer US-amerikanischen Exportstatistik bezogen auf Projektionswaren, Tonanlagen und Filmkameras und -projektoren aus dem Jahr 1936. Selbst das kleine Österreich importierte teilweise deutlich mehr von diesen Produkten als jedes einzelne Balkanland (Tabelle 21). Tabelle 21: Aus den USA in die Balkanländer exportierte Waren 1936 (in US$)

Projektionswaren & Tonanlagen $

30.856.441 weltweit 154.898 Österreich 38 Albanien 12.380 Bulgarien 51.100 Griechenl. 33.295 Jugoslaw.

Filmkameras 35 mm (Standard) 35 mm Stück

512

$

Filmprojektoren 35 mm (Standard) 35 mm

unter

Stück

$

119.838 30.525 845.414

Stück

$

1454 383.078

unter

Stück

$

7383 304.278

1

155

330

7084





104

2.344





































12

310

1

774

7

1061





42

1053









193

Hollywood duldet keine Konkurrenz

Rumänien Türkei

51.078

1

2300













49.550

2

204

2

85





2

135

Quelle: Ramsaye 1938, 1144–1147.

Für europäische und US-amerikanische Filmexporteure bildeten der Balkan und der Nahe Osten einen minderwertigen Absatzmarkt, der unter ‚Orientmarkt‘ firmierte. Dieser setzte sich aus den Balkanländern, Ägypten, Syrien, Palästina und Zypern zusammen und konnte mit qualitativ schlechten Produkten versorgt werden (Tsitsopoulou 2012, 76–79). Interessanterweise wurden an den ‚Orientmarkt‘ Filme verliehen, die das Stereotype des ‚Orients‘ in Arabische-Nacht-Kostümromanzen und Actiondramen bestärkten und vertieften, ohne dass sich Widerstand dagegen geregt hätte. Diese machten einen beträchtlichen Prozentsatz der europäischen und US-amerikanischen Filme in den 1910er- und 1920er-Jahren aus.61 Europäisierte ‚Orientalen‘ wurden positiv als loyale Helfertypen oder tragische Opfer dargestellt, die anderen als üble und mysteriöse Primitive präsentiert. Als Charaktertypen trugen osmanische Paschas Fese, die sich kaum von den Kopfbedeckungen indischer Maharadschas oder arabischer Stammesführer unterschieden. Der unterste Rang in der zivilisatorischen Hierarchie wurde üblicherweise Menschen schwarzer Hautfarbe als Diener und Sklaven zugewiesen (Ebenda, 81–86). Wie weiter oben bereits ausgeführt, dominierte in Europa (die SU ausgenommen) Hollywood das Filmgeschehen selbst nach den Importrestriktionen, die die größeren Staaten in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre erlassen hatten. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den Balkanländern zu beobachten, wenngleich die Dominanz Hollywoods in einigen von ihnen nicht eindeutig war (Trumpbour 2002, 70). Noch im Jahr 1920 waren US-amerikanische Filme in den Balkanländern beinahe unbekannt gewesen (Thompson 1985, 133). Den Durchbruch auf dem Balkanmarkt schaffte Hollywood von 1925 auf 1926, als es den Wert an exportierten Filmen verdreifachen konnte (Tabelle 22). Wie Tabelle 23 zeigt, dominierten seine Filme im Jahr 1927 die Balkankinos bereits.

61 Beispiele für US-Produktionen:  ‚The Virgin of Stambul‘ (‚The Beautiful Beggar‘), ‚Der Scheich‘ und ‚Araber‘. Beispiele für französische Produktionen: ‚In den Klauen des Harems‘, ‚Le Sang d’Allah‘ und ‚Le prince Zilah‘. Beispiele für deutsche Produktionen sind etwa ‚Die weiße Sklavin‘, ‚Zigeunerbaron‘ und ‚Panik‘ (Tsitsopoulou 2012, 81–86).

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tabelle 22: Wert der von den Balkanländern importierten US-amerikanischen Spielfilme 1923–1927 (in US$)

Land Bulgarien Griechenland Jugoslawien und Albanien Rumänien Türkei Zusammen

1923 900 5500 –

1924 – 17.000 500

3000 – 9400

1500 570 19.570

Wert in US$ 1925 1926 3000 1872 5500 14.012 2500 17.119 8000 70 19.070

12.488 17.852 63.343

1927 983 – 13.325 13.835 10.240 38.383

Quelle: Alicoate 1928, 950–981.

Tabelle 23: Leinwandanteile US-amerikanischer, deutscher und französischer Spielfilme in den Balkanländern 1927 (in %)

Bulgarien Griechenland Jugoslawien/Albanien Rumänien Türkei

USA 60 60 50 60 65

Deutschland – 20 30 10 25

Frankreich – 20 20 20–25 20

Quelle: Alicoate 1928, 950–981.

Der folgende Länderüberblick zeigt, dass diese Entwicklung nicht gleichförmig verlief. In Albanien wiesen Filme aus Deutschland und den USA gegen Ende der 1930er-Jahre ungefähr die gleichen Marktanteile auf; Frankreich und Italien hatten zusammen lediglich einen Anteil von etwa zehn Prozent. Von den deutschen Filmen waren Musikkomödien beliebt, während man vom US-amerikanischen Angebot Melodramen am meisten schätzte (Ramsaye 1938, 1115). In Bulgarien waren die Marktanteile deutscher und US-amerikanischer Filme etwa gleich. Mitte der 1920er-Jahre hatten deutsche Filme einen Marktanteil von 45, US-amerikanische einen solchen von 29 und französische einen von 18 Prozent (Holloway 1995, 90). Durch die Einführung des Tonfilms ging die Präsenz des US-amerikanischen Films auf etwa 20 Prozent zurück. Das Publikum bevorzugte deutsche und französische Tonfilme (The Motion Picture Almanac 1932, 216). Im Jahr 1938 kamen allerdings 39 Prozent der ausländischen Filme aus den USA und 36 Prozent aus Deutschland (Toeplitz 1992, 307).

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Hollywood duldet keine Konkurrenz

In Griechenland hingegen dominierte der Hollywoodfilm eindeutig. Bereits um das Jahr 1930 waren mehr als 50 Prozent der gezeigten Spielfilme US-amerikanischer Herkunft (The Motion Picture Almanac 1931, 306). In der Saison 1935/36 (Oktober-Mai) wurden 323 Spielfilme eingeführt; davon waren 232 (72 Prozent) USamerikanische, 43 (13 Prozent) deutsche und 32 (zehn Prozent) französische. Noch in den frühen 1920er-Jahren hatten im Repertoire der jugoslawischen Kinos der deutsche und österreichische Film dominiert. Danach holte der US-amerikanische Film rasch auf. Wie in Bulgarien und Albanien fand der Hauptwettbewerb in den späten 1920er-Jahren zwischen US-amerikanischen und deutschen Produzenten statt; danach war Hollywood relativ konkurrenzlos (Kosanović 2011, 37–40). 1931 führte das Land 134 Filme aus den USA und lediglich 72 aus Deutschland ein (The Motion Picture Almanac 1931, 306). Der Trend der Jahre bis 1937 (Tabelle 24) setzte sich 1938 und 1939 fort. 1939 wurden 769 Filme importiert; darunter befanden sich 467 US-amerikanische, 139 deutsche, 99 französische und 64 aus anderen Ländern (Paramentić 1995, 282; Savković 1998, 200; Gašić 2005, 120–124). Tabelle 24: Anzahl der in Jugoslawien 1932 bis 1937 gezeigten Spielfilme aus den USA, Deutschland und Frankreich

Jahr 1932 1933 1934 1935 1936 1937

USA 227 (51,6%) 301 (57,1%) 435 (68,8%) 434 (65,4%) 445 (57,0%) 434 (56,3%)

Deutschland 199 (45,2%) 184 (34,9%) 107 (16,9%) 137 (20,6%) 215 (27,5%) 171 (22,2%)

Frankreich 6 18 18 30 54 79

Quelle: Gašić 2005, 121.

In Rumänien dominierte nicht, wie man annehmen könnte, der französische Film, sondern der deutsche. Allerdings stieg der Anteil an Hollywoodfilmen von einem Viertel (1934) auf zwei Drittel und mehr (1937/38) (Motion Picture Almanac 1931, 216; Ramsaye 1938, 1138; Nelson 2011, 295, 343). Ab 1938 versuchte Deutschland mit großem Nachdruck, den rumänischen Filmmarkt, auf dem man noch bis in die beginnenden 1930er-Jahre gut vertreten war, wieder zurückzugewinnen. So etwa besuchte Leni Riefenstahl Rumänien, um für ihren Film ‚Olympia‘ (1938) zu werben. Mit der am 6. September 1940 mit deutscher Hilfe erzwungenen Abdankung von König Carol II. wurde die Situation für den US-amerikanischen Film allerdings schwierig (Nelson 2009, 297–309).

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tabelle 25: Anteile der in Rumänien 1925 bis 1933 gezeigten Spielfilme aus den USA, Deutschland und Frankreich (in %)

USA 20,0 25,0 35,0 45,0 60,0 59,3 40,0 45,0 50,0

1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933

Deutschland 30,0 40,0 35,0 30,0 20,0 22,4 45,0 – –

Frankreich 30,0 20,0 10,0 5,0 5,0 13,1 – – –

Quelle: Thompson 1985, 137, 221.

Die Verteilung der Premierevorstellungen in den Kinos der Hauptstadt Bukarest ergibt ein etwas anderes Bild, da Filme US-amerikanischer Provenienz bereits ab 1925 relativ klar voranlagen. Filme aus der SU und dem verfeindeten Ungarn wurden nicht gezeigt. Tabelle 26: Premierevorstellungen in den Bukarester Kinos nach Herkunft der Spielfilme 1920–1940

1920 1925 1930 1935 1940

USA 76 121 153 202 106

Deutschland 14 60 80 64 61

Frankreich 58 59 38 33 27

Italien 115 22 2 – 4

GB 4 1 7 17 4

Österreich 3 16 2 11 2

Rumänien 2 4 6 1 –

Quelle: Ein vom Filmforscher Constantin Popescu erstelltes Filmrepertoire der Bukarester Kinos für die Zeit von 1920 bis 1948; ausgewertet von Theodor Leontescu.

Im Osmanischen Reich, wo es Kinos beinahe ausschließlich in Istanbul gab, wurden vor dem Ersten Weltkrieg vornehmlich skandinavische, französische und italienische Filme gespielt. Zwischen 1914 und 1918 wurden aufgrund der Kriegskonstellation primär deutsche Filme gezeigt. Nach dem Waffenstillstand wurden wieder französische und italienische Filme bevorzugt gespielt, US-amerikanische hingegen waren noch nicht sehr beliebt und wurden erst ab 1921 in einer größe-

Hollywood duldet keine Konkurrenz

197 Abb. 26: Ankündigung der Hollywoodproduktion ‚Im siebenden Himmel‘ / ‚Ingerul Străzii‘ (1937) in Rumänien © Arhiva Națională de Filme

ren Anzahl gezeigt. Wildwest- und Abenteuerfilme stellten die beliebtesten Genres dar (Hinkle 2007, 30). Ab 1925 drängten US-amerikanische Produktionsfirmen verstärkt auf den Markt, und spätestens 1929 war es mit der französischen Vormachtstellung vorbei. Allerdings wurden selbst US-amerikanische Filme bis zum Zweiten Weltkrieg mit französischen Untertiteln bzw. in französischer Synchronisation vorgeführt (The Motion Picture Almanac 1931, 306; Büker 2002, 153–154). Die Einführung des Tonfilms verschob den Schwerpunkt der Einfuhr vorübergehend wieder auf französische Filme (Motion Picture Almanac 1931, 216). Die Tabellen 27 und 28 indizieren – obwohl Tabelle 27 nur das erste Quartal des Jahres 1933 berücksichtigt – ab Mitte der 1930er-Jahre allerdings wieder eine deutliche Verschiebung in Richtung US-amerikanischer Filmproduktionen. Auffallend ist die relativ geringe Zahl insgesamt importierter Filme. Jugoslawien führte 1936 445 Filme (Tabelle 24) ein, die Türkei hingegen lediglich ein Viertel dessen.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tabelle 27: Ausländische Spielfilme in der Türkei (1. Quartal 1933)

Produktionsland USA Deutschland Frankreich Andere Länder Gesamt

Zahl der Filme 23 22 13 10 68

Prozentanteile 33,8 32,2 19,1 14,7 99,8

Quelle: Hinkle 2007, 69.

Tabelle 28: Ausländische Spielfilme in der Türkei 1936 ( Januar–Oktober)

Produktionsland USA Frankreich Deutschland Großbritannien Österreich SU Gesamt

Zahl der Filme 56 27 22 4 2 1 112

Prozentanteile 50,0 24,1 19,6 3,6 1,8 0,9 100,0

Quelle: Ramsaye 1938, 1142.

Alle Daten sprechen dafür, dass Hollywood, dessen Filme bis in die ersten Nachkriegsjahre in den Balkanländern kaum gespielt worden waren, ab der Mitte der 1920erJahre rasch an Leinwandzeit zulegte und bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs dominierte – in Albanien und Bulgarien gemeinsam mit deutschen Filmen. Gründe für diese Dominanz gab es viele: die Bearbeitung der Märkte durch das US-amerikanische Filmkartell im Zusammenwirken mit den US-amerikanischen Außenhandelsvertretungen, Konsulaten und Botschaften, die Verhinderung von Quotenregelungen und der dadurch gewährleistete freie Marktzugang sowie die technische Qualität der industriell gefertigten Produkte. Hollywoodfilme mochten anfänglich gewöhnungsbedürftig gewesen sein, bald waren sie es nicht mehr. Wie das jugoslawische Beispiel gezeigt hat, gingen Regierungen in die Knie, wenn Hollywood ein Land boykottierte oder drohte, dies zu tun. Die starke Präsenz ausländischer Filme insgesamt war darauf zurückzuführen, dass beinahe keine heimischen Filme gedreht wurden. Vielleicht ist es umgekehrt formuliert richtiger: Die Präsenz ausländischer Filme, die unter industrieähnlichen Bedingungen produziert wurden, verhinderte das Aufkommen nationaler Filmindustrien. Das oben angeführte Beispiel Jugoslawien macht deutlich, dass Hollywood imstande war, aufkommende Konkurrenz im Keim zu ersticken.

Hollywoods Charme

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Die nationalen Film- und somit auch Blickkulturen wurden durch ausländische Filme und in immer stärkerem Maß durch jene aus den Studios Hollywoods geprägt. Seine Stars animierten die Kinobesucher und -besucherinnen, ihr Äußeres nachzuahmen, und die in Hollywood erzeugten Scheinwelten wurden in ihre inneren Bildspeicher abgelegt und internalisiert. Diese inneren Bilder wurden insofern zu Akteuren, da sie Wünsche und Hoffnungen gedeihen ließen, also Antriebskräfte freisetzten. Aber was machte Hollywoods Charme konkret aus? Hollywoods Charme Kulturelle und religiöse Vorbehalte ... scheinen jegliche Veränderung der bestehenden Situation zu verhindern. Diese Vorbehalte werden eher durch Spielfilme als durch Dokumentarfilme bekräftigt. Lediglich 56% der Kino besuchenden griechischen Gesprächspartner erinnern sich daran, einen Dokumentarfilm gesehen zu haben; und nur ein Viertel der Arbeiter und Bauern in Ägypten sind mit ausländischen Produkten dieser Art vertraut. ... Was den Verleih anlangt, so liegen Hollywoodfilme überall voran. Und wie die Analyse Griechenlands veranschaulicht, so sind es genau diese, die gravierenden Widerstand hervorrufen und die bestehenden Vorurteile gegen dieses Medium wachhalten. Ältere Griechen aller Gesellschaftsschichten sind über den, wie sie glauben, destruktiven Einfluss von Hollywoodfilmen auf die Jugend mit ihrer Missachtung von Traditionen, ihren zahlreichen Gewaltszenen und ihrer oberflächlichen Freizügigkeit sehr besorgt. Bezeichnenderweise fühlen sich in Griechenland die weniger Gebildeten von ihnen am stärksten angezogen, während die besser Gebildeten britische Filme wegen ihrer kulturellen Anziehungskraft und ihrer angemessenen moralischen Inhalte bevorzugen. (Kracauer 1952, 12)

Hollywood polarisierte. Das Zitat aus Kracauers Untersuchung zeigt deutlich die bestehenden Vorbehalte einer älteren Generation gegenüber dem Film à la Hollywood. Es zeigt aber auch, dass er für eine jüngere attraktiv sein musste. Hollywood reagierte angeblich besser auf den Geschmack junger Menschen als europäische Filmproduzenten. Seine Filme präsentierten einem zunehmend sozial geschichteten Publikum neue und attraktive soziale Identitäten: das kameradschaftliche Paar oder das zäh um ihren Aufstieg kämpfende Arbeitermädchen. Die Filme offerierten auch praktische Vorschläge für das Modeverhalten, die Wahl des Makeups und das Liebeswerben – Dinge, die für das zunehmend weibliche Publikum in einer Zeit, in der sich die sozialen Gepflogenheiten rasch veränderten, wichtig waren (Grazia 1989, 59–61).

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Europäisches und US-amerikanisches Kino unterschieden sich auch in puncto Organisation. Hollywood stand für kapitalintensive Technologien und Standardisierung; es favorisierte die auf einen Star zugeschnittene actionreiche Handlung und setzte auf ein klassenübergreifendes Publikum. Die europäische Tradition wurde gleichgesetzt mit dezentraler Kunstatelierproduktion sowie Theater- und Dramenkonventionen für ein definiertes Publikum mit Regisseuren und Technikern, die zwischen Theater und Kino hin und her wechselten (Ebenda, 51–61). Der klassische Hollywoodfilm zentrierte seine Erzählung auf psychologisch definierte Individuen, die ihre spezifischen Probleme lösen mussten oder bestimmte Ziele zu erreichen trachteten. Die Handlungen der Charaktere hatten klare Motive; ein Großteil der Erzählung widmete sich den Hindernissen, mit denen sie sich konfrontiert sahen und die von einer feindlichen Umgebung oder anderen Individuen ausgingen. Der Film wies ein klares Ende mit der Zielerfüllung oder dem Scheitern der Hauptdarstellerin oder des Hauptdarstellers auf. Es bestand ein klarer UrsacheWirkungszusammenhang, der von der narrativen Logik von Raum und Zeit abhing, wobei Erstere über Letztere dominierte. Beleuchtung, Kameraeinstellung und Ton wurden dazu eingesetzt, um Klarheit und Kohärenz zu steigern (Papadimitriou 2006, 17–18). Der zunehmend praktizierte Filmschnitt machte den Film von Theaterkonventionen unabhängig. Der Schnitt warf allerdings auch große Probleme auf, weil es durch ihn schwieriger wurde, ein klares Narrativ aufrechtzuerhalten (Bordwell; Staiger 1996, 161–163). Diese Beobachtungen über den klassischen Hollywoodstil beziehen sich allerdings darauf, was das Publikum sah, und nicht, was es nicht sah bzw. nicht sehen durfte. Davon gab es vieles. Hollywood überließ nichts dem Zufall. Damit das Publikum nicht sah, was es nicht sehen sollte, entwickelte die MPPDA zwei Instrumente: einen moralisch strengen Produktionskodex und eine Vorzensur. Die beabsichtigte Einführung eines Produktionskodex sollte mithelfen, Filme des Kartells sicherer durch die heimischen und ausländischen Zensurbehörden zu bringen. Filme, die an ihnen scheiterten, bedeuteten nämlich hohe Verluste. Bereits bevor dieser Kodex 1934 in Kraft trat, wurden einige Maßnahmen in diese Richtung ergriffen. 1924 stimmte die MPPDA der Formel zu, keine schlüpfrigen Skripts zu verfilmen. 1927 wurden elf Verbote beschlossen. Zu diesen gehörte, profane oder vulgäre Ausdrücke zu unterlassen, die Worte ‚Gott‘, ‚Lord‘, ‚Jesus Christus‘ (ausgenommen Szenen mit religiösen Handlungen) oder ‚Hölle‘ nicht zu verwenden, unzüchtige Nacktheit zu vermeiden sowie keine Rückschlüsse auf sexuelle „Perversionen“, sexuelle Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen, illegalen Drogenhandel, Verhöhnung des Klerus, einer Rasse oder eines Glaubensbekenntnisses zuzulassen (Trumpbour 2002, 32–35).

Hollywoods Charme

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Produzenten konnten ihre Drehbücher auch einer Vorzensur unterwerfen, um spätere Probleme möglichst zu vermeiden. Im weiteren Prozess hin zur Erstellung eines Produktionskodex wurden der katholische Filmkritiker Martin Quigley und der Jesuit Daniel Lord beauftragt, eine Philosophie für die Vorzensur zu entwickeln. So kam es zur Doktrin der ‚ausgleichenden Werte‘: Verbrechen und Unmoral konnten dargestellt werden, solange der Täter am Ende seine verdiente Strafe erhielt (Ebenda, 32, 39). Die wichtigsten Punkte des 20-seitigen Kodex, wie er 1934 beschlossen wurde, beruhten auf der Grundüberlegung, dass das Publikum am Ende zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte. Über die bereits genannten Punkte hinaus wurde kommunistische Propaganda verboten; Justiz und Polizei durften nicht so dargestellt werden, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit an sie verlorenging; zur öffentlichen Gewalt aufrufende Agitation durfte nur in einem Ausmaß zugelassen werden, das für die Entwicklung der Handlung unbedingt notwendig war (Ebenda, 53). Die Filmprodukte, die das Hollywoodpublikum zu sehen bekam, waren also aus christlicher Sicht moralisch abgesichert. Aber waren sie dies auch aus muslimischer Sicht? Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass dem nicht so war. Der Erfolg des US-amerikanischen Films wird gerne auf seinen kultur- und religionsübergreifenden Universalismus zurückgeführt. Dagegen weist der türkische Filmhistoriker Gürata am Beispiel der Türkei nach, dass erst die Art und Weise, wie er den lokalen Erfordernissen und religiösen sowie kulturellen Präferenzen angepasst wurde, seinen Erfolg ermöglichten. Solche Anpassungen wurden bereits in den frühen Stummfilmen vorgenommen. Der Tonfilm machte solche zwar schwieriger und teurer, Produzenten und Verleiher sahen sich dennoch zu solchen Maßnahmen gezwungen, da zahlreiche importierte Filme gegen die herrschenden Moralvorstellungen verstießen (Gürata 2007, 333–335). Die US-amerikanischen Produzenten bereiteten von sich aus eine zunehmende Zahl an Varianten des Originalfilms, der dem US-amerikanischen Publikum gezeigt wurde, für das ausländische Publikum auf. So wurden beispielsweise Nahaufnahmen und Gesprächsszenen in verschiedenen Sprachen und unterschiedlicher Besetzung gedreht – abhängig von den Ländern, in denen der Film gezeigt werden sollte. Durch neu hinzugefügte Szenen erhielt der Film vielfach einen völlig anderen Charakter. Ein Film etwa, dessen Plot ein tiefsinniges psychologisches Problem bearbeitete, konnte in der Exportversion Sex in den Vordergrund stellen. Die Produzenten waren sich der kulturbedingten Geschmacksunterschiede voll bewusst und versuchten, diese zu berücksichtigen (Segrave 1997, 31–32; Hinkle 2007, 67–68). Sobald ein Film bzw. die Variante eines Films in die lokale Verteilung kam, konnte er abermals zum Objekt kultureller Adaptionen werden (Gürata 2007, 347).

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Die Türkei zählte zusammen mit Indien, Ägypten und dem Libanon zu jenen Ländern, deren Publikumsgeschmack einigermaßen diametral zum US-amerikanischen stand. Verleihfirmen eliminierten für den türkischen Markt daher etwa Gesangs- und Tanzszenen aus Filmen. Spektakuläre Hollywoodproduktionen wie ‚Kismet‘ und ‚South Pacific‘ wurden wesentlich gekürzt gezeigt, weil man ihre Gesangsszenen herausgeschnitten hatte. Das türkische Publikum schätzte nämlich Musicals – im Gegensatz zum weltweiten Trend – nicht. Musicalfilme wurden für den Vertrieb in der Türkei weiter modifiziert, indem man Szenen mit lokalen Sängern und Tänzerinnen montierte. Darüber hinaus erhielten Filme neue Titel, um den Eindruck zu vermitteln, sie wären in der Türkei gedreht worden. Hollywoodfilme wurden durch solche und ähnliche Methoden zu quasi-türkischen Filmen, also amalgamiert (Ebenda, 337). Diese ‚Indigenisierung‘ von Filmen war ein billiger Weg, den lokalen Geschmack zu bedienen. Die Abänderung von Filmen erhielt 1948 eine neue Dynamik, als die lokalen Abgaben auf Eintrittskarten für türkische Filme reduziert wurden. Dies führte dazu, dass die Zahl der in der Türkei produzierten Filme von sechs im Jahr 1946 auf 18 im Jahr 1948 stieg. Als Reaktion ließen ausländische Filmverleiher 1948 beinahe zweimal so viele Filme synchronisieren und amalgamieren als im Jahr zuvor. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, mussten neue Studios eingerichtet werden (Ebenda, 337). Auch die Synchronisierungspraxis konnte zur Turzifizierung, Indigenisierung oder Amalgamierung von Filmen beitragen. In den frühen Tonfilmjahren synchronisierte Hollywood seine Filme selbst, bis aus verschiedenen Ländern scharfe Proteste gegen unpassende Akzente oder falsche Intonation der Synchronsprache kamen. Ab den frühen 1930er-Jahren wurden aus diesem Grund die Filme in den Aufführungsländern synchronisiert – sofern sie über entsprechende Einrichtungen verfügten. Wie bereits erwähnt, errichtete die einzige türkische Filmproduktionsfirma İpek Film 1933 ein neues Tonfilmstudio und begann mit der Synchronisation ausländischer Filme. Die kulturelle Adaption von Filmen durch Synchronisierungspraxen kann am Beispiel des für İpek Film arbeitenden Synchronsprechers Ferdi Tayfur gezeigt werden. Er war deutscher Muttersprache, dolmetschte simultan vom Französischen, Englischen und Deutschen ins Türkische, beherrschte OsmanischTürkisch und war im Istanbuler und anderen türkischen Dialekten bewandert. Er konnte nicht-muslimische Minderheiten ebenso wie Menschen anatolischer Herkunft imitieren und synchronisierte eine Reihe von Hollywoodstars. Am bekanntesten wurde er durch die Synchronisation von Komödianten wie Laurel und Hardy, die er beide mimte, ferner von Groucho Marx und Eddie Cantor (Ebenda, 338–339).

Hollywoods Charme

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Die Filme mit Stan Laurel und Oliver Hardy waren in der Türkei deshalb ein Kassenschlager, weil Tayfur beide so synchronisierte, dass sie gebrochenes Türkisch mit US-amerikanischem Akzent sprachen. Ihre Originalgags ergaben im Türkischen nicht viel Sinn und wurden durch türkische ersetzt, wofür man allerdings auch Schauplätze und Themen verändern musste, damit sie in den Kontext passten. Tayfur änderte auch die Namen von Protagonisten und transferierte sie an vertraute Schauplätze. Die Marx Brothers wurden in ‚Drei Kumpels‘ umbenannt, die in Istanbul lebten. Groucho Marx, von Tayfur synchronisiert, wurde in ‚Ein Armenier Abb. 24: Ferdi Tayfur – ein meisterhafter aus Istanbul‘ umbenannt. Diese Figur wurde Synchronsprecher © TÜRVAK so beliebt, dass einige armenische Istanbuler sich als dessen Verwandte zu erkennen gaben. Chico Marx wurde zu ‚Bonito‘ und Harpo zum ‚Lockigen‘. Durch die Veränderung des Schauplatzes wurde der synchronisierte Film zu einem neuen Produkt (Ebenda, 339–341). Filme orientalischen Inhalts, egal ob in Hollywood oder in Ägypten hergestellt, waren bereits in der Stummfilmzeit in der Türkei extrem beliebt. Absolute Kassenschlager waren etwa Rudolph Valentinos Klassiker ‚Der Scheich‘ und ‚Der Sohn des Scheichs‘. Entscheidend für ihren Erfolg war, dass sie grundlegend modifiziert wurden, um sie auf die kulturellen Präferenzen des Publikums abzustimmen. Beispielsweise ersetzten die türkischen Verleiher Alberto Colombos Originalsoundtrack für ‚The Sheik Steps Out‘ durch einen türkischen. In ähnlicher Weise wurde ‚Der Barbar‘ mit einem Soundtrack des türkischen Komponisten Saadettin Kaynak versehen und jener von ‚Der Tiger von Eschnapur‘ durch einen vom türkischen Komponisten Mesut Cemil. In ‚The Sheik Steps Out‘ sprach Ferdi Tayfur den Scheich in Türkisch mit arabischem Akzent. Dieselbe Strategie wurde auch für ägyptische Filme angewendet, die so in ein völlig anderes Produkt verwandelt wurden (Gürata 2004, 60–61). Die Turzifizierung Hollywoods machte auch vor dem Vorspann nicht halt. So wurden vielfach etwa die Namen aller Darsteller, ausgenommen jene der Hauptdarsteller, eliminiert; volle Erwähnung fanden hingegen die Synchronsprecher und -innen, das Synchronstudio und die Synchronmixer (Arslan 2011, 116–117).

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Als in den Jahren des Zweiten Weltkriegs wegen Schwierigkeiten im Filmnachschub die 1939 gegründete Ha-Ka Film (Akronym des Firmengründers Halil Kamil) sowjetische Filme einführte, wurden auch diese turzifiziert und ideologisch entschärft. So wurden lokale Tanz-, Gesangs- und Komödienszenen montiert und für ideologisch bedenkliche Abschnitte ein neues Skript geschrieben. Um eine narrative Kohärenz herzustellen, wurden die geänderten Sequenzen von türkischen Schauspielern gespielt. Ha-Ka Film domestizierte auf diese Weise auch deutsche, US-amerikanische und französische Filme (Ebenda, 116–117). Auch Zensoren griffen in Filme ein. Bis zum ersten Zensurgesetz, das 1932 erlassen wurde, waren die lokalen Polizeibehörden für die Zensur zuständig. Dies konnte dazu führen, dass es an internationalem und nationalem Gleichschritt mangelte. Beispielsweise wurde der deutsche Film ‚Der blaue Engel‘, der in Deutschland für Personen unter 18 Jahren verboten war, in Istanbul auch für Kinder zugelassen. Es konnte aber auch passieren, dass ein Film in der einen Stadt zensiert wurde, in der anderen jedoch nicht. ‚König der Könige’ etwa, der das Leben Christi darstellt, wurde in Ankara aus religiösen Gründen zensiert, nachdem er in Istanbul unzensiert gezeigt worden war (Hinkle 2007, 57). 1939 wurden die Zensurvorschriften verschärft und dem italienischen Modell angepasst. Die meisten verbotenen Filme betrieben „politische Propaganda zugunsten eines bestimmten Staats“ oder „propagierten politische, ökonomische und soziale Ideologien, die dem Staat gegenüber feindlich eingestellt sind“. Filme konnten nach einer ersten Abweisung wieder zugelassen werden, wenn sie bestimmte Auflagen (Entfernung bestimmter Szenen oder Veränderung von Dialogen in der Synchronisierung) erfüllten (Gürata 2007, 343–344). Das jugoslawische Gesetz über den Filmhandel von 1931 führte auch die Filmzensur ein. Die Vorführung von Filmen konnte verboten werden, wenn sie die Harmonie der internen Beziehungen des Landes gefährdeten, die Moral, religiösen Gefühle, nationale Würde und den nationalen Stolz verletzten und andere Länder und ihre Führer herabwürdigten. Auf dieser Grundlage wurden die Filme ‚Der Gefangene von Zenda‘ (Gründe: Verletzung der nationalen Würde und schlechte Synchronisation), ‚Marie Antoinette‘ (Grund: zeigt Königsmord), ‚La Marseillaise‘ (Grund: zeigt Revolution) verboten (Stoil 1982, 16–17). Für die Jahre 1933–1937 liegen die statistischen Ergebnisse der jugoslawischen Zensur vor: Es wurden insgesamt 57 Filme zensiert, darunter, trotz aller oben beschriebener Vorsichtsmaßnahmen, auch 15 US-amerikanische (Kosanović 2011, 40–41). Das bulgarische Zensurgesetz enthielt ähnliche Bestimmungen wie das jugoslawische und als zusätzliche die Verletzung der Würde der königlichen Familie und der bulgarischen Armee sowie die Begünstigung von Verbrechen (Stoil 1982, 16–17).

Scheitern nationaler Filmindustrien

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Der Einführung der Filmzensur in Griechenland im Jahr 192562 ging eine längere öffentliche Debatte voraus. Mitte der 1920er-Jahre geriet das Kino in das Visier der konservativen Presse und der orthodoxen Kirche, die ihre moralischen Stimmen gegen die Inhalte von Filmen erhoben und eine Kampagne für die Einführung eines Alterslimits für das Publikum entfachten. Schließlich schloss sich auch die politische Elite den Bedenken an, nicht nur weil es die öffentliche Meinung zu manipulieren imstande wäre, sondern auch, weil es einen Kanal für traditionsfremde Ideen und ausländische Propaganda darstellen würde (Hess 2011, 60–63). Auch die rumänische Zensur arbeitete auf der Grundlage von Bestimmungen der bereits erwähnten Gesetze und untersagte zusätzlich die Erwähnung einer Staatsvertragsrevision63. Restriktionen gegen ungarische Filme gingen so weit, dass die Zensoren Hollywoodcharaktere ungarischer Herkunft mit französischen oder rumänischen Namen versahen (Stoil 1982, 16–17). Der Charme Hollywoods war vermutlich tatsächlich ein globales Phänomen, reichte jedoch nicht aus, um die Originalversionen von Filmen weltweit vorführen zu können. Wie die vielen türkischen Beispiele zeigen, musste mitunter kräftig Hand angelegt werden, um sie an spezifische kulturelle Bedürfnisse anzupassen oder kulturelle Unverträglichkeiten auszugleichen. Diese Manipulationen wurden zunehmend weniger, dauerten jedoch bis in die 1960er-Jahre an. Der Charme Hollywoods war also relativ, reichte jedoch aus, um nationale Filmproduktionen in größerer Zahl zu verhindern. Diesem Problem gehe ich im folgenden Abschnitt nach. Scheitern nationaler Filmindustrien

In den Betrachtungszeitraum dieses Kapitels fällt die Einführung des Tonfilms. Die Umstellung vom Stumm- zum Tonfilm hatte gravierende Konsequenzen sowohl für die Filmproduktion als auch für die Kinos und Schauspieler sowie Schauspielerinnen. Um die neue Filmtechnologie ausreifen zu lassen, wurde es notwendig, eine entsprechende Mikrofontechnik zu entwickeln und zu installieren, lautlose Filmkameras zu bauen und die Studios rundum zu erneuern. Die Produktionskosten sollten sich dadurch erheblich erhöhen. Dies spielte den großen Filmproduzenten in die Hände, für die entsprechende Investitionen kein Problem darstellten. Sollte 62 63

Unter anderem waren Witze über die Akropolis Gründe, einen Film verbieten zu können (Hadjikyriacou 2013, 72–74). Bezieht sich auf die von Ungarn geforderte Rückgabe Siebenbürgens, das als Ergebnis des Ersten Weltkriegs an Rumänien gefallen war.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

es in der Stummfilmzeit Anzeichen für das Entstehen nationaler Filmindustrien gegeben haben, so brachen diese mit der Einführung des Tonfilms weg. Der aufkommende Tonfilm bedeutete für manche Stars das Ende ihrer Karriere. Die weitgehende Absenz des Dialogs im Stummfilm hatte das Kino gezwungen, den menschlichen Körper ausdrucksstark zu konfigurieren. Kleidung, Gestik und Gesichtsausdruck hatten über den emotionalen Zustand der Charaktere informiert, und Pathos hatte nur über die Körpersprache auf das Publikum übertragen werden können. Nonverbale Kommunikation war leicht zu kodifizieren und in einer überkulturellen Grammatik zu arrangieren. Sie überstieg geografische und kulturelle Grenzen und ermöglichte Produzenten, Filme internationalen Zuschnitts herzustellen (Hess 2000, 18–19). Nun jedoch rückte die Sprache in den Vordergrund; die Bedeutung des körperlichen Ausdrucks verlor im Vergleich dazu an Bedeutung. Nicht jeder Star hatte eine Stimme, die den neuen Herausforderungen genügte. Wenn wir im ersten Schritt die Stummfilmzeit in das Zentrum der Betrachtung rücken, dann ist zu bedenken, dass Hollywood in dieser Zeit weitere Schritte in Richtung Gewinnoptimierung durch eine verbesserte Produktionskontrolle setzte. Ein zentraler Produzent wurde zum modernen Manager eines gut organisierten Massenproduktionssystems. Er benötigte ein sehr detailliertes Aufnahmeskript, um einen Film Aufnahme für Aufnahme planen und budgetieren zu können, bevor die Arbeiten aufgenommen wurden. Es ging also in Richtung Verwissenschaftlichung von Management und Produktion (Bordwell; Staiger 1996, 128–139). Ein Unternehmen wie Metro-Goldwyn-Mayer beschäftigte in seinen Studios ständig zwischen 1.500 und 2.000 Fachkräfte und hatte 1927 fünf fix angestellte Produktionsleiter, 15 Direktoren, 55 Schauspieler sowie 35 Regisseure und Dramaturgen unter Vertrag (Fawcett 1928, 59). Kleine Produktionsfirmen und Länder konnten dabei nicht mithalten. In den Balkanländern war man auch weiterhin gezwungen, auf einfachste Weise zu produzieren. Dadurch, dass praktisch alle für die Filmproduktion benötigte Ausrüstung wie Rohfilme, Labormaterialien, Studioeinrichtungen sowie Kameras importiert werden mussten, wirkten sich die hohen Zollschranken negativ auf die Filmproduktion aus. Während die Türkei die belichteten Filme ausländischer Filmimporteure niedrig besteuerte, wurden für Rohmaterialien und Industrieprodukte hohe Zölle abverlangt (Berktaş 2013, 259). In Rumänien waren die Rahmenbedingungen für Filmproduktionen noch am besten – möglicherweise weil der Markt etwas größer als in anderen Balkanländern war und eine staatliche Filmförderung in Form der ‚Kulturstiftung Rumäniens‘ unter der Patronage König Carol II. existierte. Die Stiftung nutzte ab 1921 rumänische Studios für die Produktion von Wochenschauen, Dokumentationen und Rei-

Scheitern nationaler Filmindustrien

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Abb. 25: Sascha-Filmstudio in Wien – Aufnahmeleitung der Koproduktion ‚Povara‘: Hintere Reihe: Ludwig Schaschek (Operateur), Oskar Beregi (Schauspieler), Jean Mihail (Regisseur), Joseph Rehberger (Theater ‚Komödie‘), Szenenmeister Stepanek und Lautner. Vordere Reihe: Regieassistent Ott, Architekt Arthur Berger, Szenendirektor Arthur Gottlein und Chefelektriker Schaffer (Quelle: ‚Cinema‘ 84, V, 16. Juni 1928, 373).

seberichten, die allerdings nur staatlichen Interessen dienten. Die meisten privaten Produktionsfirmen, die auch Spielfilme produzierten, existierten hingegen nur kurz; manche produzierten überhaupt nur einen einzigen Film. Lediglich Romania Film und Clipa Film existierten über einen längeren Zeitraum hinweg (Stoil 1982, 12–14). In den 1920er-Jahren entstanden knapp 20 Spielfilme, die großteils in Koproduktion mit ausländischen Studios hergestellt wurden. Solche waren schon deshalb unabdinglich, weil es im Land keine zeitgemäßen Aufnahmestudios und entsprechend ausgerüstete Labors gab. So produzierten beispielsweise die Berliner Spera Film und die Bukarester Rador Film 1923 den Streifen ‚Die kleine Zigeunerin aus dem Schlafzimmer‘ unter der Regie des Deutschen Alfred Halm (Toeplitz 1992, 308–309), und die rumänische Sapho Film produzierte 1928 gemeinsam mit der Wiener Sascha Film das Drama ‚Povara‘ mit Jean Mihail als Regisseur.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Abb. 26: Die Filmcrew von ‚Mit dem Glauben an Gott‘ / ‚Sa verom u Boga‘ (1932) in einer Drehpause. Der Regisseur, Mihajlo A. Popović, war 20 Jahre alt © Jugoslovenska kinoteka

In Jugoslawien hingegen entstanden in der Stummfilmzeit lediglich zehn Spielfilme, die ausschließlich in Serbien, Kroatien oder Slowenien produziert wurden (Petrović 1995, 102). In Serbien sah man sich nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Neuanfang gezwungen, weil zwei der bedeutendsten Filmproduzenten der Vorkriegszeit, Svetozar Botorić und Djordje-Djoka Bogdanović, im Ersten Weltkrieg verstorben waren und sich die Brüder Savić zu Beginn des Krieges vollkommen aus der Filmarbeit zurückgezogen hatten, um sich auf den Journalismus zu konzentrieren. So war vorläufig einzig die ehemalige Filmsektion des serbischen Heeres als potenzielle Ressource übriggeblieben, die nach dem Wiedereinmarsch in Belgrad gegen Ende des Jahres 1918 ihre Aktivitäten jedoch auf die Erstellung von Dokumentarfilmen beschränkte (Kosanović 2011, 83–84). Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation bildete die Hauptstadt Belgrad das Filmzentrum des SHS-Staats. In den 1920er-Jahren wurden einige Filmproduktionsfirmen gegründet, die hauptsächlich Wochenschauen und Dokumentarfilme sowie etliche Spielfilme produzierten; es konnte allerdings keine Produktionsfirma über längere Zeit die Spielfilmproduktion aufrechterhalten (Kosanović o.J.u.S.). Der am-

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209 Abb. 27: Mihajlo A. Popović Jahre später hinter der Kamera © Jugoslovenska kinoteka

bitionierteste jugoslawische Film der Zwischenkriegszeit war das patriotische Drama ‚Mit dem Glauben an Gott‘. Es handelt sich dabei um einen Stummfilm (Toeplitz 1992, 303) – in einer Zeit, in der praktisch nur mehr Tonfilme produziert und gespielt wurden. In Bulgarien hingegen konnten in den 1920er-Jahren 23 Spielfilme produziert werden (Holloway 1986, 141–209). Vasil Gendov trug mit elf Spielfilmen in der Stummfilmzeit wesentlich zu dieser Statistik bei. Er war zweifellos der wichtigste Filmschaffende Bulgariens in der Stummfilmzeit, brach-

Abb. 28: Szene aus dem Film ‚Der Aufstand der Sklaven‘ / ‚Bundat na robite‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Abb. 29: Vasil Gendov (li) und Boris Grežov (re) © Bălgarska Nacionalna filmoteka

te sich und seine Familie dadurch allerdings an den Rand des finanziellen Ruins. In seinen Filmen war er stets Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. Seiner Pionierrolle gerecht werdend, drehte er 1933 im Rahmen einer bulgarisch-österreichischen Koproduktion mit ‚Der Aufstand der Sklaven‘ den ersten bulgarischen Tonfilm (Milev 1996, 29–30). Zu den bedeutendsten Filmen der bulgarischen Stummfilmzeit zählt ‚Nach dem Feuer über Russland‘ von Boris Grežov. Der in der Schweiz verstorbene Regisseur hatte zwischen 1917 und 1921 als Assistent von Robert Wiene und anderen deutschen Regisseuren in Berlin gearbeitet, bevor er nach Bulgarien zurückkehrte und zwischen 1923 und 1947 sieben Spielfilme drehte (Holloway 1986, 77–78). Produktionsfirmen wie Rila Film, Slawischer Film, Balkan Film, Kubrat Film oder Rex Film überlebten, indem sie unter einfachsten Bedingungen das Bestmögliche herausholten. 1926 gründeten einige Filmenthusiasten die Organisation ‚Bulgarisches Nationales Filmstudio‘, deren Ziel es war, Ausbildungsstätten für Produktionspersonal zu schaffen. Innerhalb von drei Jahren fanden sich allerdings nur 30 Menschen, die gewillt waren, 100 Leva pro Monat Mitgliedsbeitrag zu leisten. Dies war zu wenig, um die ambitiösen Ziele verwirklichen zu können (Ebenda, 77–78; Garbolevsky 2011, 17–18). Auch in Griechenland war es so, dass internationale Produktionen den Markt dominierten und der heimische Film in technischer und künstlerischer Hinsicht schlecht entwickelt war. Mitte der 1920er-Jahre existierten drei Filmproduktionsfirmen; am Ende des Jahrzehnts waren es zehn, die in der Zeit ihres Bestehens zumindest je einen Film produziert hatten. Einzig und allein DAG Film war in der Lage, mehrere Spielfilme herstellen (Psoma 2008, 64). Das Familienunternehmen wurde 1923 gegründet. Vater Anastasios Gaziadis war ein bekannter Kunstfotograf. Ur-

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sprünglich erzeugte die Firma Dokumentarfilme und Wochenschauen, importierte und vertrieb Filme. 1927 beschloss sie, ihre Produktion auf Spielfilme auszuweiten. Von den drei Söhnen fungierte Dimitris üblicherweise als Regisseur, Kostas besorgte den Schnitt und Michalis war der Kameramann (Karalis 2012, 15). Die sechs Jahre von 1927 bis 1932 gelten als eine der zentralen Perioden der griechischen Filmgeschichte. Allein von 1929 bis 1931 wurden 28 Spielfilme produziert. Der Umstand, dass manche von ihnen im europäischen Ausland gezeigt werden konnten, zeugt davon, dass es einen internationalen Markt für filmische Repräsentationen des griechischen Lokalkolorits gab (Hess 2000, 13; Hess 2011, 65–66). DAG trug mit sieben Spielfilmen zu diesem kurzen Boom bei. Das Aus für die Firma kam durch den Tonfilm, da das Unternehmen die nötig gewordenen Investitionen nicht aufbringen konnte (Psoma 2008, 74–86). Als griechischer Meisterfilm der gesamten Stummfilmzeit schlechthin gilt ‚Daphnis und Chloe‘ (1931), der von DAG Film hergestellt wurde. Es war dies der erste Film mit einem Drehbuch, das speziell für den Film geschrieben wurde. Die Schauspieler und Schauspielerinnen waren alle Amateure, und der Film war vermutlich der erste europäische, der einen vollständig entblößten Frauenkörper zeigte. Die Frage ist, wie der Film die Zensur passieren konnte. Karalis (2012, 25–26) vermutet, dass dies deshalb möglich war, da es sich um eine entsexualisierte, begierdelose Nacktheit gehandelt habe. Was die Türkei anlangt, so war bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs lediglich ein Spielfilmregisseur aktiv, nämlich der Direktor des Istanbuler Stadttheaters Muhsin Ertuğrul. Er zeichnete bis 1939 für alle 29 Spielfilme verantwortlich und drehte diese in den Sommerpausen seines Hauses mit seinen Theaterschauspielern. Sie waren daher stark vom Theater beeinflusst, mit langen Dialogen und theatralischer Pose (Onaran 1985, 663–668). Der Regisseur inspirierte auch die Gründung der zwei einzigen in der Zwischenkriegszeit tätigen Spielfilmproduktionsfirmen. 1921 ermunterte er Kemal Seden, Kemal Film zu gründen. Nach zwei Einspielerfolgen gründete das Unternehmen ein Studio. Ertuğrul produzierte mit ihm bis 1924 sechs Filme, darunter 1923 den ersten Film mit zwei türkischen Schauspielerinnen, von dem weiter oben bereits die Rede war. Die beiden letzten Filme waren finanzielle Misserfolge, was die Auflösung von Kemal Film zur Folge hatte. Ertuğrul ging daraufhin für einige Jahre in die SU. Wieder in die Türkei zurückgekehrt, überredete er 1928 die reiche Unternehmerfamilie İpekçi64, eine Filmproduktionsfirma zu gründen (Yılmazok 2012, 17–18). 64

Die fünf Brüder und zwei Schwestern İpekçi übersiedelten Ende des 19. Jahrhunderts von Saloniki nach Istanbul. Die Brüder betrieben einige Zeit Seidenhandel und gründeten ein Großmagazin in Eminönü. 1922 stiegen sie in das Kinogeschäft ein, als sie die Kinos Melek

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Abb. 30: Muhsin Ertoğrul – der Altmeister des türkischen Films © TÜRVAK

Abb. 31: Werbung für den Film ‚Auf den Straßen Istanbuls‘ / ‚İstanbul Sokaklarında‘ © TÜRVAK

In den ersten Jahren verfilmte Ertuğrul zusammen mit İpek Film die jeweils größten Saisonerfolge des Istanbuler Stadttheaters. Der erste Tonfilm des Unternehmens – eine Koproduktion mit Griechenland und Ägypten – war ‚Auf den Straßen Istanbuls‘ (1931). Das Drehbuch stammte von Ertuğrul, der auch Regie führte. İpek Film erhoffte sich, durch die Koproduktion den Film auch auf dem arabischen Markt platzieren zu können, um die hohen Investitionskosten (die Apparatur musste aus Deutschland importiert, Studioaufnahmen und Synchronisation in Frankreich durchgeführt werden) wieder hereinzuspielen. Der kommerzielle Erfolg stellte sich jedoch nicht ein, und damit endete auch diese einzigartige Zusammenarbeit (Ebenda, 17–18; Psoma 2008, 96–101). Dennoch gelang es İpek Film im folgenden Jahr, ein eigenes Studio mit einer exzellenten Ausrüstung einzurichten, was hohe Investitionen erforderlich machte. Es befasste sich hauptsächlich mit der Synchronisation und somit, wie oben ausgeführt, mit der Amalgamierung ausländischer und weniger mit der Produktion ei(1.200 Sitze) und Alhambra (750 Sitze) eröffneten. Daneben begannen sie, für Paramount und die Ufa-Filme zu importieren (Hinkle 2007, 36, 44–45).

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Abb. 32: İpek Film-Magazin 1936 © TÜRVAK

gener Filme. Zwischen 1935 und 1938 musste İpek sogar die Produktion einstellen, weil der Kinokartenverkauf zu wenig einbrachte. Als schließlich die Besteuerung der Kinokarten gesenkt wurde, ließ sich İpek 1938 erneut auf ein Filmprojekt ein, das allerdings wieder ein kommerzieller Misserfolg war (Gürata 2004, 56–58; Hinkle 2007, 36). İpek Film und Ertuğrul erhielten erst von der 1939 gegründeten Ha-Ka Film Konkurrenz. Die Gründung dieser Produktionsfirma war insofern wichtig, als nun jüngere Regisseure die Möglichkeit erhielten, ihr Talent unter Beweis zu stellen (Kaplan 1998, 618). Der Erfolg ausländischer, insbesondere US-amerikanischer Produktionen, ab Mitte der 1920er-Jahre beeinflusste die Ausrichtung heimischer Produktionsfirmen in den Balkanländern. Diese begannen, lokale Inhalte in eine westliche Form zu gießen. Dies gilt etwa für jugoslawische Filme, die zwischen nationalen Traditionen und geborgten westlichen Formen oszillierten. Ein Beispiel dafür ist der Film ‚Die Hajduken von Topčider‘ (1924) von Kosta Novaković65, eines der bedeutendsten 65

Der Drehbuchautor, Regisseur und Kameramann wuchs in Kragujevac auf und absolvierte 1923 eine Pharmazieausbildung in Zagreb. Danach ging er nach Belgrad, wo er seine eige-

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serbischen Filmemacher in der Zwischenkriegszeit. Es handelt sich dabei um eine satirische Behandlung des patriotischen Hajdukentums in westlicher Filmmanier. Der Belgrader Apotheker produzierte weiterhin Filme, in denen er westliche melodramatische Vorlagen nachahmte, bis mit der Produktion von ‚Sündeloser Sünder‘ (1928) seine finanziellen Ressourcen erschöpft waren und er seine Apotheke verkaufen musste, um weiterarbeiten zu können (Stoil 1982, 17–18). Ein ähnlicher amalgamierender Mix aus westlichen und einheimischen Elementen ist auch in Griechenland zu beobachten. Um die Mitte der 1920er-Jahre verfilmten einheimische RegisseuAbb. 33: Kosta Novaković – Apore eine Reihe von Burlesken und Lustspielen, in theker und Filmemacher © Jugoslodenen internationale Komödianten nachgeahmt venska kinoteka wurden. Sie orientieren sich an US-amerikanischen Vorbildern wie Fatty Arbuckle, Charlie Chaplin, Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy, aber auch an dem französischen Komiker Max Linder (Psoma 2008, 62–63). Die bekannteren griechischen Komödianten nutzten sowohl die regionalen Ressourcen wie das Schattentheater Karagiozis als auch Elemente der angloamerikanischen und französischen Komödien (Hess 2000, 20). Dieser Überblick hat gezeigt, dass es unter den gegebenen ökonomischen Umständen in den einzelnen Ländern enorm schwierig war, eine Spielfilmproduktion zu etablieren und aufrecht zu erhalten. Diese wies durch das zum Ausdruck kommende Lokalkolorit eigenständige Züge auf, orientierte sich jedoch stark an den erfolgreichen Genres des internationalen Filmbusiness. Als Transfermodus dominierte durch den Filmimport zwar die hegemoniale Variante, jedoch spielte aufgrund der Eigenproduktionen die nationalisierende daneben auch noch eine gewisse Rolle. Gegen Ende der 1920er-Jahre begann die Tonfilmzeit. Anstatt den Film in den Nationalsprachen zu stärken, sollten durch sie jedoch noch größere Probleme auf die ne Apotheke Zvezda eröffnete. 1924 wurde er aktives Mitglied im ‚Belgrader Klub der Filmfreunde‘ und gründete 1925 das Unternehmen Novaković Film, das etwas später seinerseits ein eigenes Produktionsstudio mit einigen Mitarbeitern gründete. Im März 1929 kaufte er das Kino Pariz, und benannte es in Kino Novaković um. Anschließend kaufte er noch die Kinos Korzo und Odeon. Neben Produktion und Vorführung beschäftigte er sich mit dem Verleih eingeführter Filme (Kosanović 2011, 87–90).

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Abb. 34: Szene aus dem Film ‚Sündeloser Sünder‘ / ‚Grešnica bez greha‘ des Belgrader Filmemachers Kosta Novaković © Jugoslovenska kinoteka

lokalen Filmproduzenten zukommen. Dadurch brachen die einheimische Filmproduktion und somit der nationalisierende Transfermodus beinahe vollständig zusammen. 1927 wurde im New Yorker Warner Theater der erste Tonfilm (‚Der Jazzsänger‘) uraufgeführt. Noch hatten Kinos und Filmproduzenten drei, vier Jahre Zeit, sich auf die Tonfilmvorführung und -produktion umzustellen. Ab etwa 1930 begannen die Kinobetreiber in Europa und in den Balkanhauptstädten ihre Kinos mit Soundon-film-Tonfilmanlagen auszurüsten. Für ihre Anschaffung waren etwa 10.000 bis 15.000 US$ vonnöten (Segrave 1997, 73–79; Psoma 2008, 90–94). Dies war für die großen Hauptstadtkinos kein Problem. Die Besitzer kleiner Kinos hatten allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, große Probleme mit der Umrüstung ihrer Vorführeinrichtungen. Andererseits machte es infolge der Kinoumrüstung keinen Sinn mehr, Stummfilme zu produzieren. Die technische Ausrüstung für die Produktion von Tonfilmen, etwa von Western Electric, kostete 1932 die erkleckliche Summe von 250.000 US$ aufwärts (Psoma 2008, 105). Die Finanzierung war jedoch nur eines der zahlreichen Probleme, die es rund um die neue Tonfilmtechnologie zu lösen galt.

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Der Erfolg von ‚Der Jazzsänger‘ – eigentlich noch ein Stummfilm mit einigen vertonten Einschüben – zeigte, dass der Tonfilm die Technologie der Zukunft darstellen würde. Die anderen US-amerikanischen Produktionsfirmen zogen rasch nach (Dibbets 1998, 197–200). In Europa, Lateinamerika oder Japan wurden solche Tonfilmproduktionen 1928/29 erstmals vorgestellt. Dabei kristallisierte sich allerdings heraus, dass die Sprachenvielfalt des Publikums ein erhebliches Problem darstellte. Die englische Sprache verletzte den Stolz des Publikums in vielen Weltregionen. Italien und etwas später Spanien, Frankreich, Deutschland, Ungarn und die Tschechoslowakei untersagten Filme in Fremdsprachen. Hollywood reagierte mit der Produktion von Musicals, die überall ohne Übersetzung gezeigt werden konnten (Ebenda, 197–200). Auf Dauer konnte jedoch auf diese Weise das Sprachenproblem des Tonfilms nicht gelöst werden. Einige US-amerikanische Firmen begannen, Filme in mehreren größeren Sprachen zu produzieren. So errichtete Paramount ein riesiges Studio in Joinville bei Paris, um mehrsprachige Versionen seiner Filme zu produzieren. Ein und derselbe Film wurde in verschiedenen Sprachen mit unterschiedlichen Schauspielteams gedreht, nur die Kulissen und Kostüme blieben gleich. Dies war allerdings eine teure Lösung, die die Kosten dieser Art von Filmproduktion verdoppelte und verdreifachte (Ebenda, 197–200). Das Sprachenproblem erwies sich als ausgesprochen komplex. So etwa wurde der erste Tonfilm in spanischer Sprache (‚Broadway‘) auf Kastilisch-Spanisch verfilmt – ein Idiom, das in Lateinamerika aus historischen Gründen abgelehnt wurde. In Japan sprachen die Zensoren Oxford-Englisch und verstanden den US-amerikanischen Slang nicht;  daher wurden die Dialektworte aus den Filmen verbannt. Selbst in der englischsprachigen Welt gab es Probleme, weil man um die ‚Reinheit‘ der englischen Sprache besorgt war, oder, wie in Australien, die Amerikanisierung befürchtete (Segrave 1997, 73–79). Hollywood schien durch das Sprachenproblem in eine Krise zu geraten – und für nationale Filmindustrien schienen sich neue Perspektiven zu eröffnen. In Ländern wie Frankreich, Ungarn und Holland ging es mit der nationalen Produktion tatsächlich kurzfristig wieder bergauf. 1932 allerdings gelang Hollywood mit der Methode der Nachsynchronisation für die ‚großen‘ Sprachen der Durchbruch; für die ‚kleinen‘ wurde die Untertitelung als angemessen erachtet. Bereits ab 1933 erlebten die Hollywoodstudios wieder einen Konjunkturaufschwung (Ebenda, 73–79). Die wenigen Produktionsstudios im südöstlichen Europa waren auf den Tonfilm nicht vorbereitet. Da es an Investitionskapital mangelte, bestand die einzige Lösung darin, gut ausgerüstete ausländische Produktionsfirmen zu finden, mit denen sie Koproduktionen eingehen konnten. Die eigenständige Filmproduktion in den

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Abb. 35: Szene aus ‚Ciuleandra‘ / ‚Verklungene Träume‘ © Arhiva Națională de Filme

Balkanländern kam in den frühen 1930er-Jahren völlig zum Erliegen (Stoil 1982, 14–16). Die einzige Ausnahme bildete ausgerechnet das schwächste Kinoland, die Türkei. İpek Film war 1933, wie bereits ausgeführt, in der Lage, in ein modernes Tonfilmstudio zu investieren. Selbst in einem relativ großen Land wie Rumänien war es vorerst nicht möglich, Investoren für die Etablierung einer eigenständigen Tonfilmproduktion zu finden (Nelson 2011, 335). Eine erste deutsch-rumänische Koproduktion wurde 1930 fertiggestellt, und zwar die Verfilmung von ‚Verklungene Träume‘ nach Liviu Rebreanus Roman, die von dem deutschen Regisseur Martin Berger in zwei Sprachversionen inszeniert wurde. Die Außenaufnahmen wurden in Bukarest und Constanţa gedreht, die Studioaufnahmen in Berlin. Bis 1938 wurden knapp mehr als zehn Spielfilme in Koproduktion hergestellt, darunter drei im französischen Joinville, der europäischen Filiale von Paramount (Stoil 1982, 14–16; Toeplitz 1992, 308–309; Ţuţui 2009a, 22–24). Rumänien war das einzige Balkanland, das die Filmproduktion durch ein staatliches Studio für Tonfilmaufnahmen sowie die Gründung eines ‚Nationalfonds für Kinematografie‘ (1934) finanziell zu unterstützen trachtete. Beides wurde durch eine spezielle Steuer auf Kinokarten erleichtert: 1 Leu für einheimische und 10 Lei

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für importierte Produktionen. Dies führte jedoch vorerst nicht zu einer Erhöhung der Filmproduktion, weil der Initiator des Programms verstarb und die Steuereinnahmen auf Eintrittskarten, rund 70 Millionen Lei, aufgrund administrativer Probleme blockiert waren (Stoil 1982, 14–16; Mitulescu 2010, 31–33). 1936 wurde diese Summe dem ‚Nationalfonds für die Produktion von Reise- und Propagandafilmen‘, der dem Nationalen Tourismusamt unterstellt war, übertragen. Nun konnte das angesparte Geld flüssiggemacht und die Errichtung des Tonfilmstudios realisiert werden, das auch von privaten Kommerzfilmproduzenten genutzt werden Abb. 36: Ion Cantacuzino, Direktor konnte. Das 200 Quadratmeter große Studio im des Nationalen Kinoamts (ONC) © Zentrum Bukarests wurde im August 1937 in BeArhiva Națională de Filme trieb genommen. 1938 schließlich wurde das ‚Nationale Kinoamt‘ (ONC), das sich auf den Dokumentarfilm und die Beschaffung von Ausrüstung für die Spielfilmproduktion konzentrierte, gegründet. Ion Cantacuzino, ein bekannter Filmexperte, wurde zum Direktor ernannt. Diese Anstrengungen führten 1939 zur Produktion von vier Spielfilmen (Ramsaye 1938, 1138–1139; Cernat 1982, 30, 34–35; Ţuţui 2009a, 16; Mitulescu 2010, 33–42). Selbst während des Zweiten Weltkriegs konnte eine kontinuierliche Spielfilmproduktion aufrechterhalten werden (Tabelle 29). 1943 wurde der bis dahin beste rumänische Spielfilm in Eigenproduktion hergestellt – nämlich die Komödie ‚Eine stürmische Nacht‘ (Cernat 1982, 35–36; Leontescu 2015, 59–60). Tabelle 29: Spielfilmproduktion Rumäniens 1912–1948

Jahr Filme Jahr Filme Jahr Filme

1912 1 1930 3 1944 2

1913 2 1931 3 1945 5

Quelle: Tolu 1998; Leontescu 2015.

1918 1 1933 2 1946 6

1920 1 1934 1 1947 1

1923 1 1935 1 1948 1

1925 2 1937 1

1927 3 1939 4

1928 5 1942 2

1929 5 1943 3

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Anders die Situation in Griechenland, wo der Staat keine Initiativen ergriff, um die Spielfilmproduktion zu fördern. Der erste Tonfilm wurde in der Diaspora gedreht. Es handelte sich dabei um den Spielfilm ‚Die Faust des Krüppels‘, der vom griechischstämmigen Sänger Tetos Dimitriadis 1929 in New York produziert wurde und im Frühjahr 1930 in die Kinos von Athen kam (Psoma 2008, 92–94). Im Land selbst wurden bis 1934 noch Stummfilme und zwischen 1934 und 1938 sieben Tonfilme in Koproduktion mit dem 1934 gegründeten und gut ausgerüsteten Studio Misr in Kairo produziert. Der erste von diesen war der populäre Kassenschlager ‚Bitte, Fräulein, ans Telefon‘ (1934) (Toeplitz 1992, 305; Bergmann 1993, 4–9; Hess 2000, 13; Karalis 2012, 31). Der Tonfilm entfachte in Griechenland eine alte Streitfrage auf das Neue. Sollte die  Katharevousa, also die Hochsprache, oder die Dimotiki, die Volkssprache, die Filmsprache sein? In der Literaturszene und im Theater hatte es diese Diskussion bereits im späten 19. Jahrhundert gegeben. Schließlich setzte sich auch im Film die auf den Volksgeschmack ausgerichtete Dimotiki durch (Hess 2000, 23–24). Auch der erste Tonfilm in serbokroatischer Sprache, ‚Liebe und Leidenschaft‘ (1932), wurde in New York gedreht. Die Regie hatte der Hollywoodregisseur Frank Melford übernommen. Produziert wurde er von einer Aktiengesellschaft, die speziell für die Produktion dieses Films von Melford und seiner aus Belgrad stammenden Frau Rahel Davidović gegründet wurde. Die Hauptrolle spielte Rahel als Kaffee­ haussängerin, um die sich eine Liebesgeschichte entwickelte. Die weiteren Rollen wurden von in der Stadt lebenden jugoslawischen Amateuren gespielt. Die Premiere fand im Dezember 1932 im Beisein des jugoslawischen Konsuls statt. Der von der Presse als Misserfolg eingeschätzte Film wurde im folgenden Jahr auch in Jugoslawien gezeigt (Kosanović; Tucaković 1998, 86; Lim; Lim 2006, 27), wo selbst Koproduktionen die durch den Tonfilm entstandenen Investitionslücken nicht schließen konnten. Eine deutsche Firma finanzierte noch ‚Das Lied der Schwarzen Berge‘ (1932) mit, in dem die slowenische Schauspielerin Ita Rina mitwirkte. Danach hörte die Spielfilmproduktion auf (Toeplitz 1992, 303–304). Auch die bulgarische Filmproduktion war die gesamte Zwischenkriegszeit hindurch sehr schwach ausgeprägt – mit Jahren, in denen kein einziger Film produziert wurde. Die sieben im Jahr 1929 produzierten Filme signalisierten einen Aufschwung, der allerdings durch die einsetzende Weltwirtschaftskrise und die Einführung des Tonfilms zunichtegemacht wurde. 1934 begann die Tonfilmproduktion (Lim; Lim 2006, 28), die mit vier im Jahr 1941 produzierten Filmen ein kurzes Hoch erlebte.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tabelle 30: Spielfilmproduktion Bulgariens 1915–1950

Jahr

Filme Jahr Filme Jahr Filme Jahr Filme

1915

1 1924 1 1933 2 1942 1

1916

– 1925 1 1934 2 1943 3

1917

2 1926 – 1935 – 1944 1

1918

– 1927 2 1936 1 1945 2

1919

– 1928 2 1937 1 1946 3

1920

– 1929 7 1938 1 1947 3

1921

3 1930 3 1939 1 1948 –

1922

3 1931 2 1940 2 1949 –

1923

1 1932 – 1941 4 1950 1

Quelle: Holloway 1986, 141–209.

Die türkische Filmproduktion hingegen, die in den Jahren von 1922 bis 1938 lediglich 24 Filme hervorgebracht hatte, erlebte im Jahrzehnt von 1939 bis 1949 eine deutliche Steigerung auf durchschnittlich sieben Filme pro Jahr (Tabelle 31) und eine Verdoppelung von 1946 auf 1947 (Tabelle 32). Dies waren bereits erste Indikatoren für die bevorstehende Massenproduktion in den 1950er-Jahren. Tabelle 31: Spielfilmproduktion der Türkei 1917–1949

Zeitraum 1917–1921 1922–1938 1939–1949

Produzierte Filme 6 24 77

Durchschnittliche Produktion pro Jahr 1,2 1,4 7,0

Quelle: Yılmazok 2012, 249.

Tabelle 32: Spielfilmproduktion der Türkei 1939–1950

Jahr 1939 1945 1946 1947 1948 1949 1950 Quelle: Toeplitz 1992a, 421; Arslan 2011, 76; Berktaş 2013, 149.

Produzierte Filme 3 2 6 12 18 19 22

221

Das Kino – ein marginales Phänomen

Die Einführung des Tonfilms brachte also die Produktion von abendfüllenden Spielfilmen in den armen und investitionsschwachen Balkanländern beinahe zum Stillstand. Sie konnte, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, lediglich in Form von Koproduktionen aufrechterhalten werden. Bestenfalls also Stagnation statt Aufschwung. Insgesamt war das Kino noch weit davon entfernt, ein Massenphänomen darzustellen. Es führte, von den großen Städten abgesehen, noch ein Schattendasein. Diesen Schluss legen die über die Verbreitung des Kinos vorliegenden Statistiken nahe, die ich für den folgenden Abschnitt vorbereitet habe. Das Kino – ein marginales Phänomen Die unteren Schichten werden vom Kino weniger berührt als durch das Radio und Zeitungen. Viele sind zu arm, um sich den Eintritt leisten zu können; und, noch wichtiger, es gibt einen bedauerlichen Mangel an Möglichkeiten dafür. Zum Zeitpunkt der Interviews gab es in der Türkei lediglich 275 Kinos und zusätzlich die dürftige Zahl von sechs mobilen Kinoeinheiten zur Versorgung der ländlichen Regionen; und drei Viertel der griechischen Gesprächspartner auf dem Land sagten, sie hätten noch nie eine Kinovorstellung besucht. (Kracauer 1952, 11)

Kracauers Bericht lässt darauf schließen, dass das Kinonetz in Griechenland und der Türkei selbst noch in den frühen 1950er-Jahren schlecht ausgebildet war und viele Menschen auf dem Land noch niemals eine Kinovorstellung besucht hatten. Lassen sich die Beobachtungen Kracauers verifizieren? Zunächst muss festgestellt werden, dass in einer weltweiten Perspektive das Kino ein beinahe ausschließlich US-amerikanisches und europäisches Phänomen darstellte. Im Jahr 1927 wurden weltweit etwas über 50.000 Kinos betrieben; davon etwas mehr als 40.000 in Europa und in den USA. Asien und Lateinamerika wiesen etwa so viele Kinos auf wie Frankreich oder Großbritannien (Tabelle 33) Tabelle 33: Weltweite Kinostatistik (31.12.1927)

Kontinent/Land Europa USA Asien Kleinasien Lateinamerika

Zahl der Kinos 21.624 20.500 3619 71 3598

222 Kanada Afrika Gesamt Europa Deutschland Großbritannien Frankreich Italien Spanien Österreich Ungarn Schweiz

Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

1019 644 51.103

4300 3700 3300 1500 1500 500 370 130

Quelle: Fawcett 1928, 79.

Für das Jahr 1931 liegt eine weitere Statistik vor, die einen Vergleich europäischer Länder erlaubt (Tabelle 34); sie ist deswegen interessant, weil sie auch die Zahl der bereits auf Tonanlagen umgerüsteten Kinos erfasst. Die Zahlen sind zwar größtenteils gerundet, scheinen jedoch, auch im Vergleich mit Tabelle 33, realistisch zu sein. Demnach hat sich die Zahl der Kinos in Europa von knapp 22.000 auf knapp 29.000 erhöht. Beide Tabellen weisen Deutschland, Großbritannien und Frankreich als die in absoluten Zahlen größten Kinoländer Europas aus. Was die Bal­ kanländer anlangt, ist Albanien nicht erfasst, was für das Gesamtbild insofern nicht besonders problematisch ist, als das Land zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als etwa fünf Kinos aufwies. Für die Balkanländer sind zusammen 1111 Kinos ausgewiesen – eine Zahl, die der Anzahl der schwedischen Kinos entspricht und knapp vier Prozent der europäischen Kinos ausmacht. Auffallend ist, dass die flächenmäßig große Türkei nur etwas mehr Kinos aufwies als die kleinen Länder Estland, Lettland und Litauen. In Rumänien und Griechenland hatte etwa die Hälfte der Kinos bereits auf Tonanlagen umgestellt, in Jugoslawien sowie der Türkei etwa ein Drittel und in Bulgarien ein Viertel. In Großbritannien gab es nur mehr relativ wenige Kinos ohne Tonausstattung, in Deutschland wartete jedoch noch die Hälfte der Kinos auf die Umstellung. Die Türkei, Albanien, Bulgarien und Jugoslawien nahmen die letzten Ränge in der Kinoversorgung der europäischen Länder ein.66

66 Kosanović (2011, 31) spricht davon, dass 1931 Albanien an letzter und Jugoslawien an vorletzter Stelle lag. Er dürfte jedoch die Türkei nicht miteinbezogen haben.

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Das Kino – ein marginales Phänomen

Tabelle 34: Anzahl der Kinos in europäischen Ländern 1931

Land Deutschland Großbritannien Frankreich Spanien Italien Tschechoslowakei Russland Schweden Polen Österreich Belgien Ungarn Rumänien Jugoslawien Schweiz Dänemark Niederlande Norwegen Portugal Finnland Bulgarien Griechenland Türkei Lettland Estland Litauen

Zahl der Kinos 5057 4850 3300 2600 2500 2000 1800 1100 900 850 740 505 400 360 330 300 266 245 202 200 138 123 90 85 83 77

Davon mit Tonanlage 2500 4100 1450 452 528 350 – 750 135 419 226 198 213 133 171 200 208 76 42 97 36 62 30 27 33 46

Quelle: Trumpbour 2002, 5.

Die absoluten Zahlen sagen einiges aus, aussagekräftiger jedoch ist die Relation der Kinoanzahl zur Gesamtbevölkerung eines Landes. Für die Balkanländer war es mir möglich, eine solche Relationstabelle für das Jahr 1939 zu erstellen (Tabelle 35). Ihre Aussagekraft ist insofern zu relativieren, als die Anzahl der Kinos Griechenlands Sommer- und Winterkinos umfasst. Die Winterkinos hatten in der Regel im Sommer geschlossen und die Sommerkinos im Winter. Dies mag erklären, weshalb die Relation Anzahl der Kinos zur Gesamtbevölkerung die günstigste ist. Wenn

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

wir davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der Kinos entweder nur im Winter oder im Sommer in Betrieb war, belief sich die durchschnittliche Bevölkerungszahl pro Kino auf etwa 50.000.67 Die Zahlen sind auch insofern relativierbar, als wir nicht wissen, ob die Kinos tagtäglich oder etwa nur an zwei Tagen der Woche Filme vorführten. Die Versorgung der bulgarischen und jugoslawischen Bevölkerung mit Kinos war in etwa gleich. Albanien war etwa doppelt so gut mit Kinos ausgestattet wie die Türkei. Albanien und die Türkei, die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Balkanstaaten, beide mit einer muslimischen Mehrheitsbevölkerung, waren im Vergleich zu den anderen Balkanländern deutlich schlechter mit Kinos versorgt. Tabelle 35: Durchschnittliche Bevölkerungszahl pro Kino in den Balkanländern 1939

Bevölkerung Kinos EW pro Kino

Albanien*

Bulgarien

1.003.097

6.319.000

14 71.650

155 40.768

Griechen- Jugoslawien Rumänien* Türkei land 7.221.900 15.703.000 20.045.000 17.370.000 280** 25.793

413 38.022

372 53.884

130 133.615

Quelle: Nelson 2009, 295; Ramsaye 1938, 1115; Toeplitz 1992a, 346, 421; Karalis 2012, 33; Kosanović 1966, 78. * Zahl der Kinos 1938, Zensusjahr 1930 ** Sommer- und Winterkinos

Wenn wir uns die Entwicklungen in den einzelnen Ländern genauer ansehen und mit Bulgarien beginnen, so fällt die geringe Zahl an Kinos im Jahr 1923 auf. Sie sollte sich innerhalb der folgenden zwei Jahrzehnte jedoch vervielfachen. Das ländliche Kinonetzwerk blieb dennoch äußerst lückenhaft; lediglich 73 der 213 Kinos im Jahr 1944 ist diesem zuzuordnen (Grozev 2011, 213). Dem entspricht, dass in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 in der südwestbulgarischen Region Gorna Džumaja (Blagoevgrad) neun Kinos registriert waren, davon sechs städtische. Von der dörf­ lichen Bevölkerung hatten nur fünf Prozent die Möglichkeit, ein Kino zu besuchen (Vučkov 2012).

67

Im Jahr 1936 bestanden 153 Winterkinos (Ramsaye 1938, 1129).

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Das Kino – ein marginales Phänomen

Tabelle 36: Anzahl der Kinos in Bulgarien 1923–1944

Jahr 1923 1932 1939 1944

Anzahl der Kinos 23 138 155 213

Quelle: Paramentić 1995, 280; Toeplitz 1992a, 346; Garbolevsky 2011, 41, 120.

In Jugoslawien hingegen blieb die Anzahl der Kinos von 1926 bis 1939 mit einer leicht ansteigenden Tendenz relativ konstant; die Zahl der zur Verfügung stehenden Kinositze stieg in diesem Zeitraum um rund 40.000 an. Tabelle 37: Anzahl der Kinos und Kinositze in Jugoslawien 1926–1939

1926 1929 1932 1933 1934

Kinos 344 341 338 319 336

1935 1936 1937 1938 1939

318 349 383 370 413

Davon mobil – – – – – – – – – 27

Kinositze – – 92.028 89.951 95.549 92.905 105.924 113.971 – 132.346

Bevölkerung pro Kino – – – – – – – – – 37.763

Quelle: Kosanović 1966, 78; Kosanović 2011, 32–34.

Von den 341 Kinos des Jahres 1929 waren lediglich 49 täglich geöffnet (etwas weniger als 15 Prozent), lediglich zehn (in den größeren Städten) hielten mehrere Vorstellungen täglich ab. Bis zum April 1941 stieg der Kinoanteil mit täglichen Vorstellungen auf etwa 20 Prozent. Die wenigen mobilen Kinos konnten nur Stummfilme zeigen. In schwach entwickelten Regionen gab es praktisch keine Kinos; so etwa waren im Kosovo knapp vor dem Zweiten Weltkrieg lediglich fünf Kinos registriert, von denen keines täglich Vorstellungen anbot (Kosanović 2011, 32–34).68 Auch die makedonische Bevölkerung war mit zwölf Kinos nicht gerade gut versorgt, nämlich 68 Noch in den Jahren 1935/37 waren sieben Kinos registriert gewesen, nämlich in Mitrovica, Prishtina, Gjilan, Ferizaj, Prizren, Gjakova und Peja (Papagjoni 2009, 219).

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Abb. 37: Erste mobile Filmvorstellungsausrüstung Serbiens (1930er-Jahre) in einem Dorf in der Šumadija © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 38: Improvisierte Filmvorstellung in einem serbischen Dorf in der Šumadija (1930er-Jahre); das Publikum ist beinahe ausschließlich männlich © Jugoslovenska kinoteka

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Das Kino – ein marginales Phänomen

nur in den größeren Städten wie Bitola, Skopje, Prilep, Tetovo oder Štip. Der größte Teil der Bevölkerung hatte keine Möglichkeit, ein Kino zu besuchen (Petruševa 2010, 128). Die Kinos waren also nicht gleichmäßig über das Land verteilt. Tabelle 38 zeigt, dass die meisten sich in den nördlichen Landesteilen befanden. Von den insgesamt 341 Kinos im Jahr 1929 waren lediglich 120, also etwa nur ein Drittel, in den südlichen Landesteilen Bosnien-Herzegowina, Makedonien, Montenegro und Serbien situiert. Die bis 1918 habsburgische Vojvodina (Nordserbien) wies mit 90 Kinos die höchste Kinokonzentration des Landes auf; in Bosnien-Herzegowina mit seinem beträchtlichen muslimischen Bevölkerungsanteil hingegen war das Kinonetz relativ weitmaschig (Tabelle 39) und zeigt keine deutliche Tendenz nach oben. In Sarajevo gab es von 1920 bis 1931 nur zwei Kinos, das Apollo und das Imperial. Bis 1938 kamen zwei weitere hinzu (Kosanović 2005, 36–38) und ein weiteres bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs (Stojanović 1974, 42).

Bosnien

Kroatien

Makedonien

Montenegro

Serbien

Slowenien

Vojvodina

unsicher

Jugoslawien

Tabelle 38: Anzahl der Kinos in Jugoslawien – Verteilung nach Regionen 1929

25

68

12

8

81

37

90

20

341

Quelle: Kosanović 2011, 32–34.

Tabelle 39: Anzahl der Kinos in Bosnien-Herzegowina 1928–1938

1928 20

1933 26

1935 27

1936–1938 25

Quelle: Kosanović 2005, 36–38, 42.

Von den 280 Sommer- und Winterkinos Griechenlands im Jahr 1939 befand sich rund ein Drittel in Athen. Die Athener Kinos waren etwa zur Hälfte bis zu zwei Dritteln Sommerkinos. So waren im Jahr 1939 von den 86 Kinos 60 Sommerkinos (Karalis 2012, 21, 33).

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Tabelle 40: Anzahl* der Kinos in Athen 1912–1939

Jahr Anzahl der Kinos

1912 5

1928 31

1939 86

Quelle: Toeplitz 1992, 304–305; Karalis 2012, 21, 33, 79–80 * Sommer- und Winterkinos

Für Rumänien lässt sich ein mit Jugoslawien vergleichbares Phänomen feststellen, nämlich eine relativ starke Konzentration an Kinos in den ehemals habsburgischen Gebieten wie etwa im Banat und Siebenbürgen. Von den 436 Kinosälen des Landes im Jahre 1938 wurden 178 in Siebenbürgen betrieben. Wenn man die 61 in Bukarest geführten Kinos hinzuzählt, war etwas mehr als die Hälfte aller Kinos und Sitzplätze auf Siebenbürgen und Bukarest konzentriert. In manchen Distrikten gab es lediglich ein oder zwei Kinos, in der ganzen Dobrudscha waren 18 Kinos mit etwas mehr als 4.000 und in Bessarabien 33 Kinos mit gut über 8.000 Sitzplätzen registriert (Mitulescu 2012, 95). Die Anzahl türkischer Kinos stieg von etwa 30 (1923) auf rund 130 (1939) und ca. 200 (1949). Bis in die 1920er-Jahre stellte der Istanbuler Bezirk Pera den wichtigsten türkischen Kinomarkt dar. Von den 32 permanenten Istanbuler Kinos des Jahres 1921 befanden sich 14 in Pera, darunter die größten und prestigeträchtigsten des Landes. Die Hauptstadt Ankara hingegen wies 1932 lediglich drei Kinos mit 2.700 Sitzplätzen auf (Gürata 2004, 56–58; Çelitemel-Thomen 2009, 65).

Abb. 39: Kino Capitol in Timişoara © Arhiva Națională de Filme

Das Kino – ein marginales Phänomen

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Abb. 40: Sommerkino in Arad mit Logenplätzen © Arhiva Națională de Filme

Der US-amerikanische Konsulatsbeamte Eugene M. Hinkle lieferte 1933 folgende von mir zusammengefasste Zustandsbeschreibung der Istanbuler Kinos: Die Stadt mit einer Bevölkerung von 730.334 Einwohnern und Einwohnerinnen (Zensus 1927) hat 39 Kinos. Davon gehören zehn zur ersten Kategorie. Von diesen befinden sich sieben in Pera und drei in Alt-Istanbul. Die zweit- und drittklassigen befinden sich in Pera und in den Außenbezirken. Ein halbes Dutzend davon ist sehr heruntergekommen und wird von den Ärmsten besucht; deren Besitzer können kaum überleben. Die Sitzkapazität beträgt insgesamt 23.820. 23 Kinos können Tonfilme zeigen. Größe und Zustand der Häuser variieren zwischen dem großartigen neuen Gloria in Pera mit einer Sitzkapazität von 1.400 Personen und dem Pathé Pangaltı in Şişli mit 350 Plätzen in einem schmutzigen Bauteil eines Gebäudes ohne Ventilation und nur mit Holzbänken ausgestattet. Der Eintritt beträgt allerdings nur 17 Piaster (sieben Cents). Die großen Häuser befinden sich in einem relativ guten Zustand, wenngleich dieser den amerikanischen Häusern nicht gleichkommt. Die Sanitäranlagen, wenn überhaupt vorhanden, würden in größeren europäischen und amerikanischen Städten nicht geduldet. Die besseren Kinos sind übertemperiert. Frischluftzufuhr wird nicht einmal in den Pausen gestattet, da diese vielfach noch immer als gesundheitsgefährdend eingeschätzt wird. Ständig wird etwas getrunken und gegessen, und am Ende einer Vorstellung ist der Boden mit Nussschalen, Papieren und anderem Abfall übersät.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Die Häuser, auch die neuen, werden nicht in Schuss gehalten und verkommen rasch (Hinkle 2007, 42–43).

1932 wies die Türkei 130 Kinos in 79 Städten mit einer geschätzten Sitzplatzanzahl von 60.170 auf – davon beinahe die Hälfte in Istanbul. Die geringe Sitzplatzkapazität außerhalb Istanbuls indiziert, dass lediglich ein geringer Teil der Bevölkerung am Kinogeschehen Anteil hatte. Die Städte mit Kinos wiesen eine Bevölkerung von zusammen weniger als fünf Millionen auf, was bedeutet, dass bei einer Gesamtbevölkerung von etwas über 13 Millionen zwei Drittel der Bevölkerung keine Gelegenheit hatte, ein Kino zu besuchen. Insgesamt dürften nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerung mit dem Kino in Berührung gekommen sein (Ebenda, 41–42). Das Kino bildete also eine beinahe ausschließlich städtische Vergnügungsform und fand nur langsam seinen Weg in das Landesinnere. Städte wie Kayseri mit einer Bevölkerung von 38.000 oder Sivas mit einer solchen von 28.000 unterhielten im Jahr 1933 noch kein permanentes Kino. Viele Kinos waren umgebaute Kaffeehäuser, die Filme billig ausliehen, nachdem sie in Istanbul oder Izmir gespielt worden waren. Dadurch konnten die Eintrittspreise niedrig gehalten werden, doch die Landbevölkerung ließ sich auch dadurch kaum anlocken. Im Osten Anatoliens führten vielfach fahrende Händler als Teil ihres Geschäfts in den Sommermonaten auch Filme vor und verlangen dafür geringe Eintrittsgebühren (Ebenda, 52–54). Das kleine Albanien wies im Jahr 1934 zehn und in der Spielsaison 1937/38 14 Kinos, alle mit Tonanlagen ausgestattet (Ramsaye 1938, 1115), und zusätzlich fünf bis sechs, die nicht regelmäßig geöffnet hatten, auf (Myftiu 2003, 23; Papagjoni 2009, 218; Mëhilli 2011, 24). Die Bevölkerung Tiranas hatte erst ab 1917 die Möglichkeit, einigermaßen regelmäßig Filmvorführungen zu besuchen – sei es im Feldkino der österreichisch-ungarischen Truppen, sei es im Garten des Cafés Orient, dessen Besitzer der österreichische Unternehmer Rudolf Pentz war. Bis zur Mitte der 1920erJahre bot das eine oder andere Café bzw. Hotel Filmvorführungen an. 1926 wurde nach längeren Verhandlungen mit der Regierung das Kinema Teater Nacional eröffnet, das ab 1930 auch ein Sommerkino führte und unter italienischer Besatzung in Rex umgetauft wurde. Es war dies das erste Kino, das als solches errichtet wurde, und hinsichtlich seiner Innenausstattung als erstes europäischen Vorbildern folgte. Das berühmteste Kino des Landes war neben dem Nacional wohl das Majestik in Korça, das mit seinen 600 Plätzen am 15. Dezember 1927 eröffnet wurde (Hoxha 1994, 24–34; Balauri 1996, 14–17; Mëhilli 2011, 8–20, 31).

Das Kino – ein marginales Phänomen

Abb. 41: Das Kino Rex in Tirana © Arkivi Qëndror i Shtetit

Abb. 42: Das Sommerkino Skenderbej in Tirana © Arkivi Qëndror i Shtetit

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Die Umstellung vom Stumm- zum Tonfilm bereitete vielen kleinen Kinos Probleme. Da jedoch die Stummfilmproduktion aufhörte, mussten sie umstellen oder schließen. In der Türkei bestand bereits 1932 Mangel an Stummfilmen. Dadurch mussten viele der improvisierten Stummfilmkinos in der Provinz schließen. Sogar die billigste Tonanlage war für sie nicht erschwinglich (Hinkle 2007, 52–54). 1936 waren noch immer etwa 30 Provinzkinos ohne Tonanlage (Ramsaye 1938, 1142). Tabelle 41 zeigt, dass auch in Jugoslawien der Umstieg sehr zögerlich verlief. 1937 waren noch immer 53 Kinos nur für Stummfilmvorführungen geeignet. In dieser Zahl sind allerdings auch die rund 40 mobilen Kinos enthalten. Tabelle 41: Anzahl der Kinos in Jugoslawien mit und ohne Tonanlage 1932–1937

Jahr 1932 1933 1934 1935 1936 1937

mit Tonanlage 184 174 246 263 301 330

ohne Tonanlage 154 145 90 55 48 53

zusammen 338 319 336 318 349 383

Quelle: Kosanović 2011, 32–34.

Am 20. Dezember 1929 gab es im Belgrader Koloseum die erste Tonfilmvorführung. Als Reaktion bemühten sich auch andere Belgrader Kinos, Tonanlagen zu beschaffen. Bis Ostern 1930 waren beinahe alle mit solchen ausgestattet (Paramentić 1995, 280–281; Kosanović 2011, 35–36). In Athen war bereits zwei Monate zuvor der erste Tonfilm zu sehen gewesen (Psoma 2008, 92), und in Tirana wurde im Juli 1931 im Nacional der erste Tonfilm vorgeführt (Hoxha 1994, 35–39). Im europäischen Vergleich wiesen die Balkanländer die geringste Dichte an Kinos auf. Die Vermutung ist gerechtfertigt, dass dies an dem geringen Interesse und/ oder den finanziellen Möglichkeiten großer Bevölkerungsteile lag. Obwohl es Indizien dafür gibt, dass es auch Kinos mit relativ niedrigen Eintrittspreisen gab (für Athen etwa Christofides 2012, 104, für Istanbul Hinkle 2007, 42–43), nahm, wie die Berechnungen für die Türkei ergaben, nur ein geringer Teil der Bevölkerung am Kinoleben teil. Dieser aber zelebrierte den Besuch einer Vorstellung in einem der besten Istanbuler Kinos als ein gesellschaftliches Ereignis. Ein Istanbuler erinnert sich an einen Kinobesuch in den letzten Jahren des Osmanischen Reichs:

Das Kino – ein marginales Phänomen

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Es war brechend voll. Wir konnten uns kaum hineindrängen … Menschen überall. Die gesamte feine Gesellschaft Beyoğlus war anwesend, lokale Levantiner, Wesirsfamilien, die Schwiegersöhne des Sultans. Die Damen an den Schaltern trugen Abendrobe und Juwelen; die Herren trugen Monokel, Smoking, Gehrock; Herren mit Silberlitzen und Goldmedaillen. Gegenüber den Eingangstüren, im Unterstock, ist ein Gerangel. Es ist ein völliges Durcheinander, Polizisten und Militärpolizisten hetzen aneinander vorbei. Das Keifen einer Glocke; das Orchester stimmt sich ein. Zwei komische Griechen drehen die Gaslampen runter. Hätten sie sie völlig runtergedreht, würden sie Probleme haben, sie wieder hell zu bekommen … Schließlich war der weiße Bildschirm erleuchtet; das Zetern, der Tumult, das Plappern und Gemurmel hörte auf, und die Vorstellung begann… (Akçura 2014, 88).

Auch in den 1930er-Jahren bot das gehobene Kino wie auch das Theater Unterhaltung für die Elite. Der Kinobesuch war ein Ritual; die Platzanweiser trugen Uniform. Wenn mittwochs im Istanbuler Melek Cinema die neuen Filme gezeigt wurden, so waren dies Galaabende, zu denen Männer und Frauen in Abendrobe erschienen. Männer, die keinen Anzug trugen oder unrasiert waren, wurden nicht eingelassen. Solche Galaevents gab es bis in die 1960er-Jahre, allerdings trug dabei niemand mehr Smoking, lange Kleider oder Pelz (Büker 2002, 153–155). Nicht wesentlich anders stellte sich die Situation in Griechenland dar. Das am Kino interessierte Publikum erweiterte sich im Wesentlichen nicht über die reiche Mittelschicht hinaus, die das Kino auch für die Bestärkung ihrer Identität als ‚Europäer‘ und ‚Europäerinnen‘ erachtete. Daher bevorzugten sie ausländische gegenüber einheimischen Filmen, die von besserer technischer und künstlerischer Qualität waren (Papadimitriou 2006, 172 [Fußnote 7]). In den 1950er-Jahren änderte sich dieses Verhältnis. Die Binnenmigration, auf die noch zurückzukommen sein wird, führte in Kombination mit dem Umstand, dass das Kino nun ein Breitenphänomen geworden war, dazu, dass die Filme nicht mehr nach dem Geschmack der Elite ausgewählt wurden, sondern nach dem eines immer breiter werdenden Publikums. Während sich bis dahin der kultivierte Geschmack Istanbuls nach Anatolien verbreitet hatte, war es nun umgekehrt. Kinos, die nie türkische, sondern nur ausländische Filme gezeigt hatten, begannen nun auch solche vorzuführen (Ebenda, 153–155). An den in diesem Kapitel analysierten Grundbedingungen für das Kinowesen und die Filmproduktion sollte auch der Einbezug der Region in die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs wenig ändern. Was sich allerdings gravierend verändern sollte, war das Filmangebot, denn Hollywood verlor vorübergehend beinahe alle seine europäischen Märkte.

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

Kino während des Zweiten Weltkriegs

Der Südosten Europas geriet erst im Oktober 1940 in den Strudel des Zweiten Weltkriegs, als Italien von Albanien aus Griechenland angriff. Das Debakel der italienischen Armee wurde von Nazideutschland ausgeglichen, das im April des folgenden Jahres Jugoslawien nach dem Sturz seiner deutschlandorientierten Regierung ohne Kriegserklärung überfiel, in Interessensphären aufteilte und anschließend Griechenland militärisch bezwang. Das Land wurde von italienischen und deutschen Truppen besetzt. Rumänien und Bulgarien waren politisch an die Achsenmächte gebunden; die Türkei konnte sich aus dem Krieg heraushalten, indem es eine strikte Neutralitätspolitik verfolgte. Die knapp vier Jahre bis Ende 1944, denen die Balkanländer primär deutscher, daneben aber auch italienischer Dominanz ausgesetzt waren, bedeuteten zumindest teilweise einen Bruch mit den bisherigen Kinovorlieben. In den Kinos wurden deutsche und italienische Wochenschauen gezeigt (Grozev 2011, 192), und ausgenommen in der Türkei wurde Hollywood gezwungen, sich aus dem Balkanfilmgeschäft zurückzuziehen. Die Kriegsjahre waren allerdings zu kurz, um das Publikum von der Droge des Hollywoodfilms entwöhnen zu können – eher traten Entzugserscheinungen ein. Durch die Dominanz Nazideutschlands über weite Teile Kontinentaleuropas war Hollywood bereits Ende der 1930er-Jahre zunehmend aus Europa verdrängt worden. Ab 1938/39 gingen Hollywood Märkte wie Deutschland und Italien, die Tschechoslowakei, Österreich, Belgien, Niederlande, Frankreich, im Baltikum und in den von der SU besetzten Teilen Finnlands verloren. 1942 konnten Hollywoodfilme nur mehr in der Türkei, Schweden, in der Schweiz, Finnland, Spanien und Portugal gezeigt werden (Segrave 1997, 120–121; Gürata 2004, 58). Die Balkanstaaten waren durch die Weltwirtschaftskrise ökonomisch von Deutschland abhängig geworden. Von 1933 bis zum Kriegsbeginn stieg der deutsche Südosthandel sowohl mengen- als auch wertmäßig stetig an. Deutschland war für alle südosteuropäischen Staaten zum bedeutendsten Handelspartner geworden, importierte landwirtschaftliche Produkte und exportierte hauptsächlich Fertig­waren. Als Großbritannien im September 1939 den deutschen Seehandel zu blockieren begann, musste Deutschland seine Kontinentalimporte intensivieren, aber auch neue Exportmärkte gewinnen. 1940 stiegen die Importe aus den südosteuropäischen Ländern um 10,7% und die Exporte um 12,8%. Mehr als ein Fünftel der deutschen Ein- und beinahe ein Viertel der deutschen Ausfuhr wurde mit ihnen abgewickelt (Olshausen 1973, 257–261). Die Sicherung landwirtschaftlicher Produkte aus den südosteuropäischen Ländern war von vitalem Interesse. Die Annäherung der Balkanstaaten an Deutschland hatte also bereits eine mehrjährige

Kino während des Zweiten Weltkriegs

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Vorlaufzeit auf ökonomischer Ebene, bevor Deutschland politisch und militärisch intervenierte. Deutschland strebte einen von ihm politisch dominierten, geschlossenen kontinentalen Markt an, den es nicht nur wirtschaftlich (‚Großwirtschaftsraum‘) steuern, sondern auch kulturell (‚Befreiung‘ Europas vom ‚Judeo-Bolschewismus‘) dominieren konnte. Das Kino, mit dem gleichgeschalteten Produktionsunternehmen Ufa69 an der Spitze, sollte als zentrales kulturpolitisches Instrument dienen. Die Nationalsozialisten setzten den Film nicht nur aus propagandistischen Überlegungen heraus ein, sondern auch weil er die Möglichkeit bot, Deutschlands Überlegenheit als Kulturnation zum Ausdruck zu bringen (Grazia 1998, 21–25). Bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers hatte die deutsche Filmindustrie formale Schritte unternommen, um ihren Einfluss in Europa zu stärken. Dies konnte nur gelingen, wenn parallel dazu der Einfluss Hollywoods und der MPPDA zurückgedrängt werden konnte. Auf deutschem Betreiben wurde 1935 in Paris die Internationale Filmkammer gegründet, deren 24 Mitgliedsländer auch Indien und Japan umfassten. Deutschland hatte den Vorsitz und Italien den stellvertretenden Vorsitz inne (Ebenda, 21–25). Im Jahr 1940, als Deutschland über Eroberungen und Verbündete weitgehende Kontrolle über Europa ausübte, ordnete Goebbels an, die lokalen Filmindustrien, die sich unter deutscher Kontrolle befanden, zu reorganisieren. Eine Kombination von rassenideologischen, ökonomischen sowie militärischen Überlegungen führte dazu, dass, wie etwa im Falle von Polen, nationale Filmindustrien ausgelöscht wurden und Länder wie Kroatien, Slowakei, Bulgarien und Rumänien, die 1941 der Internationalen Filmkammer beitraten, Unterstützung erhielten (Ebenda, 21–25). Im Jänner 1942 wurde die gigantische UFI Film70 gegründet, deren Filmproduktion derjenigen Hollywoods quantitativ und technisch ebenbürtig war (Ebenda, 79). Dies war die Grundkonstellation, vor der das Kino in den Balkanländern während des Zweiten Weltkriegs gesehen werden muss. Der Zweite Weltkrieg brachte für das griechische Filmpublikum einen deutlichen Bruch in seinen Sehgewohnheiten, da das bisher klar dominierende Hollywoodangebot primär von deutschen, italienischen und ungarischen Filmen ersetzt 69 Die Universal Film AG (Ufa) war 1917 aus staatlichen und privaten Geldern gegründet worden. Bereits 1918 verfügte sie über die größten und bestausgerüsteten Studios in Europa. Sie baute eigene Verleihnetzwerke auf und besaß eine Reihe von Kinotheatern. Nach dem Krieg kaufte die Deutsche Bank die Staatsanteile (Grazia 1998, 67). 70 In den Konzern wurden die Ufa und alle ehemaligen Konkurrenten wie Tobis, Terra, Bavaria Film und Wien Film sowie alle erbeuteten ausländischen Filmproduktionsfirmen eingegliedert.

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wurde (Psoma 2008, 111). Zu den ersten Maßnahmen der deutschen Besatzer gehörte, die meisten US-amerikanischen Tochterunternehmen im Filmverleih und griechische Verleihfirmen zu liquidieren. Die Ufa gründete eine griechische Tochterfirma, Hellas Films, die ausschließlich deutsche Filme vertrieb und die italienische Besatzungsmacht Esperia Film, die italienische Filme in Umlauf brachte (Sifaki 2010, 148–151). Das griechische Publikum präferierte ungarische und italienische, aber nicht, wie erhofft, deutsche Filme. Es fand in italienischen Filmen mehr kulturelle Gemeinsamkeiten vor als in deutschen. 1942/43 befanden sich unter den 20 meistgesehenen Filmen nur vier deutsche, jedoch 13 italienische. Die deutsche Besatzungsmacht war also offensichtlich nicht in der Lage, eine kulturelle Hegemonie im Lande herzustellen (Ebenda, 153–154). Während der deutsch-italienischen Besatzungszeit wurde die Produktion von etwa zehn einheimischen Filmen in Angriff genommen, von denen allerdings nur zwei fertiggestellt werden konnten. Sie wurden 1943 von Filopimin Finos produziert, der seine Villa in ein Tonfilmstudio umfunktioniert hatte und nach dem Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle im griechischen Filmbusiness spielen sollte: ‚Stimme des Herzens‘ und ‚Der Sturm ist vorüber‘. Für ‚Stimme des Herzens‘ wurden in Athen innerhalb von drei Wochen über 100.000 Karten verkauft. Der Film war schlecht gemacht, traf jedoch die Stimmung des Publikums. Wenige Monate vor Abzug der deutschen Truppen wurde Finos wegen Widerstandsverdachts inhaftiert und sein Studio zerstört (Psoma 2008, 112–116; Stassinopoulou 2012, 135). In Belgrad begannen zweieinhalb Monate nach dem Aprilüberfall Deutschlands – und dem Bombenangriff auf seine Hauptstadt – die meisten Kinos wieder zu arbeiten; einige waren durch die Kriegshandlungen beschädigt worden. Das alleinige Recht auf den Filmvertrieb in dem unter deutscher Militärverwaltung stehenden Serbien erhielt das Unternehmen Tesla-Film, das mit deutschem Kapital operierte. Auch hier veränderte sich das Repertoire durch das Ausbleiben US-amerikanischer Filme grundlegend. Im Unterschied zu Griechenland dominierte der deutsche Film. Im Januar 1942 etwa wurden 40 deutsche, elf ungarische, vier italienische und ein norwegischer Film gezeigt. Die neuen Filmhelden und -heldinnen waren: Zarah Leander, Marika Rökk, Ilse Werner, Johannes Heesters, Heinz Rühmann und Emil Jannings (Manojlović 1994, 86–88). Im Verlauf der deutschen Besatzungszeit wurden insgesamt 281 deutsche Spielfilme gezeigt (Savković 1998, 202) und ein Spielfilm, der als erster serbischer Tonfilm gilt, gedreht: Der Kriminalfilm des Regisseurs Dragoljub Aleksić ‚Schutzlose Unschuld‘ (1943), in den auch Vorkriegsaufnahmen mit akrobatischen Einlagen des Regisseurs hineinmontiert worden waren (Kosanović 1996, 110).

Kino während des Zweiten Weltkriegs

237 Abb. 43: Einer der 281 in Serbien von 1941 bis 1944 gezeigten deutschen Filme war ‚Ich vertraue Dir meine Frau an‘ mit Kurt Hoffmann als Regisseur und Heinz Rühmann in der Hauptrolle (1943) © Jugoslovenska kinoteka

In Rumänien hatte König Carol II. noch kurz vor seiner Abdankung im Jahr 1940 ein Dekret unterzeichnet, das die jüdische Bevölkerung klassifizierte und mit bestimmten Verboten belegte; so durften Juden kein Kino führen. Am 19. November 1940 dekretierte Diktator Ion Antonescu die Rumänisierung der Filmproduktionsfirmen und Kinos;  jüdisches Personal sollte entlassen werden. Dagegen gab es allerdings Widerstand, unter anderem auch deswegen, weil es zu wenig qualifiziertes rumänisches Personal gab. Trotzdem lief das RumänisierungsproAbb. 44: Nicht identifizierbares Belgrader Kino in deutscher Besatzungszeit (1943/44) © Jugoslovenska kinoteka

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Abb. 45: Montierte Szene aus ‚Schutzlose Unschuld‘ / ‚Nevinost bez zaštite‘ mit dem Regisseur Dragoljub Aleksić im Bild © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 46: Das Belgrader Kino Takovo bringt ‚Schutzlose Unschuld‘ / ‚Nevinost bez zaštite‘ des serbischen Regisseurs Dragoljub Aleksić (1943). Der Andrang ist beträchtlich © Jugoslovenska kinoteka

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Kino während des Zweiten Weltkriegs

gramm erfolgreich an. Ab Anfang 1941 wurden alle 63 Kinos Bukarests von nicht jüdischen Rumänen geleitet (Nelson 2009, 297–309). Nach einem Bericht des rumänischen Propagandaministers im Dezember 1941 bevorzugte das Publikum nach wie vor Hollywoodfilme. Im April 1942 wurde der Import von US-amerikanischen Filmen allerdings verboten und sollte von deutschen ersetzt werden. Der deutsche Film stieß im Vergleich zum italienischen auf geringe Akzeptanz. Die Folge war, dass im Jahr 1943 in den Bukarester Kinos 116 italienische und nur 46 deutsche Filme ihre Premiere hatten. Nach dem Staatsstreich vom 23. August 1944, der die Diktatur Antonescus sowie das Bündnis mit Deutschland beendete und der Rumänien auf die Seite der Alliierten brachte, wurden in den Kinos des Landes binnen kürzester Zeit wieder Hollywoodfilme gespielt (Ebenda, 297–309). Ab 1944 wurden sowjetische und ab 1945 regelmäßig ungarische Filme gezeigt (Tabelle 42). Die Zahlen demonstrieren, wie stark das Kinogeschehen von der politischen Großwetterlage abhängig war. Die Daten für 1948 widerspiegeln die kommunistische Machtübernahme in diesem Jahr. Tabelle 42: Premierevorstellungen in den Bukarester Kinos nach Herkunft der Spielfilme 1940–1948

USA 1940 1941 1942 1943 1944* 1944** 1945 1946 1947 1948

106 51 21 1 – 14 35 46 91 12

Deutschland 61 77 63 46 28 – – – 1 1+3 (DDR)

Frankreich 27 19 13 26 – 3 21 65 48 18

Italien

GB

SU

Ungarn

4 7 59 116 39 2 7 13 3 3

4 2 – – – 1 14 10 22 –

2 – – – – 18 24 18 26 51

– – – 1 – – 8 70 13 5

Rumänien – – – 1 – 1 – 4 – –

Quelle: Ein vom Filmforscher Constantin Popescu erstelltes Filmrepertoire der Bukarester Kinos für die Zeit von 1920 bis 1948; ausgewertet von Theodor Leontescu. * Vor dem 23. August ** Nach dem 23. August

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

In dem seit 1939 von Italien besetzten Albanien erhielt mit Dekret vom 31. Oktober 1939  die ENIC (Ente Nazionale Industrie Cinematografiche) das Monopol auf die Einfuhr und den Vertrieb aller Filme im Land zugesprochen (Hoxha 1994, 134–140). Der erste Versuch, eine eigene Filmproduktion zu organisieren, wurde 1941 unternommen, als die italienisch-albanische Filmgesellschaft Tomorri Film gegründet wurde, die vorläufig nur Dokumentarfilme herstellte und in der Italiener die Führungspositionen einnahmen. Die Produktion des ersten Spielfilms ‚Die Tochter des Führers‘ musste wegen der Kapitulation Italiens im September 1943 abgebrochen werden (Ebenda, 126–130; Toeplitz 1992, 301). Die Türkei verfolgte, wie bereits ausgeführt, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs einen strikten Neutralitätskurs, geriet allerdings in eine schwere wirtschaftliche Krise. Die Inflationsrate zwischen 1939 und 1945 betrug 350 Prozent. Die türkische Presse beschuldigte nicht-muslimische Geschäftsleute, die wirtschaftlichen Probleme herbeigeführt zu haben. Dies begründete die Einführung einer Kapitalabgabe für ethnische und religiöse Minderheiten, die von November 1942 bis März 1944 wirksam und bis zu zehnmal höher als diejenige für muslimische Unternehmen war. Diese Maßnahme betraf auch nicht muslimische Kinobesitzer und Filmverleiher, die durch diese Maßnahme in den Ruin getrieben wurden (Gürata 2004, 59–60; Berktaş 2013, 259). Durch den Krieg kam es zu Versorgungsengpässen mit europäischen Filmen, was zur Erhöhung des ohnedies bereits hohen Anteils an Hollywoodfilmen in den türkischen Kinos führte. Zwischen 1939 und 1945 wurden mehr als 5.000 Filme importiert, 80 Prozent davon aus den USA, die anderen aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien oder Ägypten. Diese Konzentration von US-amerikanischen Filmen beeinflusste sowohl den Geschmack des einheimischen Publikums als auch die technische, stilistische und ästhetische Ausrichtung einer ersten Generation an ausgebildeten Filmemachern, die sich nach der Beendigung des Monopols von İpek Films und Regisseur Muhsin Ertuğrul durch Konkurrenzunternehmen entfalten konnte (Berktaş 2013, 265). Zu dieser Generation gehörten junge Filmemacher wie Faruk Kenç, Şadan Kamil, Baha Gelenbevi und Turgut Demirağ, die bürgerlichen Istanbuler Familien angehörten und im Ausland ausgebildet worden waren. Da sie keinen Zugang zur zeitgenössischen Tontechnik von İpek Film hatten, drehten sie ihre Filme stumm und synchronisierten sie anschließend. Diese Methode hatte Auswirkungen auf den Film sowohl in der Form als auch im Inhalt. Die Filme verloren einerseits an Realität, weil der externe Sound die Authentizität der Szenen reduzierte, andererseits konnten Dialogfehler im Nachhinein korrigiert werden, wodurch sich die Ausbildung von Schauspielern und Schauspielerinnen in puncto Stimme, Intonation und

Kino während des Zweiten Weltkriegs

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Memorieren erübrigte. Diese Methode ermöglichte darüber hinaus die Gründung neuer, zumeist allerdings kapitalschwacher Produktionsfirmen in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre (Ebenda, 259–260). Darauf wird weiter unten noch genauer einzugehen sein. Diese Umschichtung in der türkischen Filmproduktion und die Machtübernahme kommunistischer Parteien in Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und Albanien in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre lassen die Schlussfolgerung zu, dass in den Jahren um 1950 eine Kinoperiode und eine Auseinandersetzung mit der visuellen Moderne zu Ende ging, die von einem geringen Industrialisierungsgrad, einer Weltwirtschaftskrise, die kleine Agrarländer besonders schwer traf, Krieg und Kriegswirtschaft, Zerstörung und Wiederaufbau geprägt war. In den Balkanhauptstädten und in den größeren Städten insgesamt konnte sich trotz der auch dort herrschenden Armut ein modernes Leben weiterentwickeln, das das Kino und die Kinokultur als seine unabkömmlichen Bestandteile verstand. Die Produktion von Filmen, insbesondere in der Tonfilmzeit, erforderte hohe Investitionen, die in den Balkanstaaten nur wenige riskieren konnten oder wollten, denn die Erfahrung zeigte, dass Filmproduzenten lediglich von der Hand in den Mund lebten. Ein erfolgreicher Film ermöglichte die Produktion eines weiteren. Ein Misserfolg an den Kinokassen konnte das Ende aller Ambitionen bedeuten. Die Einführung des Tonfilms verschärfte die technologische Abhängigkeit der heimischen Produktion von westlichen Ländern, die sich in Form von Koproduktionsarrangements ausdrückte. Das Kino war zu einer Industrie in globalem Maßstab geworden. Die Großen in diesem Geschäft, allen voran Hollywood, bestimmten die Spielregeln, Preise und Konditionen des Marktes; einzelne europäische Staaten intervenierten gegen das aggressive Vorgehen der US-amerikanischen Filmindustrie; dies war den Regierungen der Balkanländer nicht möglich. Hollywood dominierte zwar die Balkanmärkte, es vermochte jedoch noch keine kulturelle Hegemonie herzustellen. Das Publikum liebte die Produkte der Traumfabrik Hollywood zwar, und immer mehr Menschen setzten sich auf jeweils ihre Art und Weise mit der Logik der schönen, erfolgreichen und leidenschaftlich liebenden Charaktere auseinander. Sie begannen, sich nach der Manier der Stars zu kleiden und vom schönen Leben zu träumen, in dem es an nichts mangelte. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hollywood auch Abneigung gegen den American way of life schürte. Das Beispiel der Türkei zeigt am deutlichsten, dass nicht die ganze Welt Hollywoods Produkte so akzeptierte, wie sie waren. Die Traumfabrik produzierte entlang christlich-katholischer Wert- und Kulturvorstellungen. Ihr Erfolg beruhte nicht darauf, dass sie entlang eines weltweiten kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenners zu produzieren imstande gewesen wäre, sondern vielmehr darauf, dass man ih-

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Hollywoods Charme – ein visuelles Angebot setzt sich durch (1920–1950)

re Filme im Vergleich zum Original bis zur Unkenntlichkeit an den lokalen Geschmack adaptierte, um sie mit intakten Chancen auf finanziellen Gewinn in die Kinos bringen zu können. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur in der Türkei das Original mit den lokalen kulturellen Präferenzen amalgamierte. Die US-amerikanische Lebensweise fand jedenfalls in der muslimischen Welt die Grenzen ihrer Akzeptanz. Dies führte dazu, dass sich nicht nur die Peripherien mit Hollywood auseinandersetzen mussten, sondern aus kommerziellen Überlegungen dies auch umgekehrt der Fall war: Hollywood musste selber Marktforschung betreiben, wenn es sein Monopol halten oder ausbauen wollte. Die umfassende Analyse des türkischen Kinos durch den US-amerikanischen Konsulatsangestellten in Istanbul, Eugene M. Hinkle, zeugt davon. Die drei Jahrzehnte von 1920 bis 1950 waren noch nicht von populärer Massenkultur gekennzeichnet. Diese Beobachtung trifft auch auf das Kino zu, sodass für die Masse der Bevölkerung die herkömmliche Bilderwelt noch die ausschlaggebende blieb. Im Unterschied zu den Haupt- und Provinzstädten blieb das Interesse der ländlichen Bevölkerung in den armen Agrarländern der südöstlichen Peripherie Europas am Kino gering. Es fand in den Ländern, die von der industriellen Moderne lediglich gestreift worden waren, auch seinen Platz – allerdings nur einen marginalen. Es wies in den Balkanländern ein vergleichsweise noch sehr hohes Entwicklungspotenzial auf. Für die zweite Hälfte der 1940er-Jahre gibt es erste Indizien dafür, dass die Wende hin zu einer populären Massenkultur auf industrieller Basis bevorstand. Das Kino sollte in einer Phase zu einem Massenphänomen aufsteigen, in der es in den hochindustrialisierten Ländern bereits seinen Zenit überschritten hatte.

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970) Mit Ausnahme von Griechenland und der Türkei endete der Zweite Weltkrieg für die Balkanländer damit, dass sie über kurz oder lang von kommunistischen Parteien regiert wurden, die sich auf keine politische Konkurrenz einzulassen gedachten. In Rumänien und Bulgarien geschah dies mit tatkräftiger Unterstützung der SU und der Roten Armee. In Albanien und Jugoslawien übernahm die Führung der siegreichen Partisanenverbände unmittelbar nach Kriegsende die Macht und schaltete die Opposition aus. Doch auch diese beiden Länder orientierten sich maßgeblich an der SU, zumindest anfänglich. Daher verliefen die ersten Jahre nach der Machtübernahme in diesen vier Ländern relativ gleichförmig. Es galt in einer Phase der ‚Diktatur des Proletariats‘ die ‚Bourgeoisie‘ von den Hebeln der Macht zu entfernen. Diese gewaltsame Phase der Abrechnung mit dem alten Establishment und dem sogenannten Klassenfeind war von Flucht und Vertreibung, Todes- und langjährigen Gefängnisstrafen sowie Stigmatisierung der Verurteilten und ihrer Familien gekennzeichnet. Parallel dazu galt es, die Macht zu konsolidieren, den Staatsapparat nach kommunistischen Vorstellungen umzubauen und den Privatbesitz im Industrie-, Dienstleistungs- und Primärsektor entweder vollständig oder weitgehend zu nationalisieren. Damit hatte die Partei alle nötigen Instrumente in der Hand, um ihre politisch-ideologischen Ziele zu realisieren: Industrialisierung, Modernisierung, Urbanisierung und Begründung eines neuen Menschentyps, der befreit von den konservativen und patriarchalen Traditionen sich den Zielen der kommunistischen Partei annähern würde. Dass dies kein leichtes Unterfangen werden würde, war den neuen Machthabern klar. Mit Zwangsmaßnahmen allein waren diese Ziele nicht zu erreichen. Es war viel an Überzeugungsarbeit zu leisten. Die wichtigsten Medien wie Zeitung, Radio und Film, die zur Zeit der Machtübernahme noch keine Massenmedien darstellten, sollten massiv ausgebaut werden. Dem Kino fiel dabei eine Schlüsselrolle zu. Es wurde gemeinsam mit der Filmproduktion verstaatlicht und Hollywoodfilme mit dem aufkeimenden Kalten Krieg aus den Vorführprogrammen gestrichen. Die kommunistischen Parteien zielten darauf ab, das Denken und Handeln der Menschen zu verändern. Die Arbeiterklasse sollte die deklassierten aristokratischen und bürgerlichen Schichten als Kulturträgerin einer neuen, von einer sozialistischen Lebensweise geprägten Gesellschaft ablösen. Ein breites Netz an Institutionen zur

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Propagierung und Durchsetzung dieser moralisch legitimierten Werte sollte ihr zum Durchbruch verhelfen. ‚Moralisch‘ bedeutete, eine disziplinierte Lebensweise zu pflegen, das sozialistische Eigentum zu achten, sich weiterzubilden, einen solidarischen und freundlichen Umgang mit seinen Mitmenschen zu pflegen sowie das Privat- und Familienleben nach den Prinzipien des Sozialismus zu gestalten (Brunnbauer 2007, 22–27). Die Bandbreite dieser Institutionen reichte von der vorschulischen Erziehung über Bildungseinrichtungen und Massenmedien bis hin zu den verschiedenen Kultureinrichtungen wie dem Kino. Eine besondere Rolle fiel den Massenorganisationen zu, mittels derer die Bevölkerung möglichst in ihrer gesamten Breite erfasst werden sollte. In Hinblick auf die politische Sozialisierung und Förderung der sozialistischen Lebensweise kam den Jugendorganisationen große Bedeutung zu, die als eigentliche „Schulen des Kommunismus“ konzipiert waren und in denen man ab dem 14. Lebensjahr aufgenommen werden konnte. Die Mitgliedschaft galt als Voraussetzung für ein Studium oder einen erfolgreichen Start in das berufliche Leben (Ebenda, 361–362). Der organisierte Besuch ausgewählter Filmvorführungen war integraler Bestandteil seiner Aktivitäten. Die im Krieg neutral gebliebene Republik Türkei wurde seit ihrer Gründung im Jahr 1923 von der Einheitspartei Republikanische Volkspartei des Mustafa Kemal Atatürk regiert. Dieses System überdauerte den Tod des charismatischen Staatspräsidenten um acht Jahre. 1946 musste die herrschende Partei ein Mehrparteiensystem zulassen, das von 1950 bis 1960 die konservative Demokratische Partei an die Macht brachte, die den Markt liberalisierte. Dies löste eine Entwicklungsdynamik aus, die das bislang marginale Kino zu einem Massenphänomen aufsteigen ließ. Im sich formierenden Kalten Krieg positionierte sich die Türkei durch ihre Mitgliedschaft in der Nato ab 1952 im westlichen Bündnissystem. Dies galt auch für Griechenland, dessen Zukunft allerdings in den ersten Nachkriegsjahren ungewiss war. Auch hier waren die kommunistisch geführten Partisanenverbände als führende politische Kraft aus dem Krieg hervorgegangen. Die Machtübernahme scheiterte allerdings, weil sich Stalin und Churchill im Oktober 1944 darauf geeinigt hatten, Griechenland der Einflusssphäre des westlichen Kriegspartners zu überlassen. Diese nationale bzw. internationale Machtkonstellation mündete schließlich in einen blutigen Bürgerkrieg (1946–1949) zwischen der Regierungsmacht und den kommunistisch geführten Streitkräften. Die kommunistische Machtübernahme wurde mithilfe britischer und ab 1947 US-amerikanischer Truppenkontingente verhindert, die die konservative Regierung unterstützten. Im März dieses Jahres hatte, auch vor dem Hintergrund des griechischen Bürgerkrieges, der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman in seiner berühmt gewordenen Doktrin erklärt, dass sich die Völ-

Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

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ker zwischen der Freiheit, wie die USA sie verstünden, und dem Totalitarismus sowjetischer Prägung zu entscheiden hätten. Ähnlich wie im Falle der Türkei löste auch in Griechenland die massive finanzielle Unterstützung der USA eine Dynamik aus, die den Aufstieg des Kinos zu einem Massenphänomen nach sich zog. Ziel dieses Kapitels ist es, den Ursachen für den Aufstieg des Kinos zu einer massenhaften Erfahrung nachzuspüren. Es wird zuerst darum gehen, die Auswirkungen der Industrialisierungspolitiken, die in allen Balkanländern, unabhängig von ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung, verfolgt wurden, nachzuzeichnen. Erst diese schufen die Voraussetzungen für den Massenkonsum an Gütern und visuellen Produkten. Der darauffolgende Unterabschnitt wird sich dem Kalten Krieg widmen, da dieser auch ein Kalter Kinokrieg war, in dem beide Seiten versuchten, in ihrem jeweiligen Lager eine kulturelle Hegemonie herzustellen. Die drei anschließenden Abschnitte analysieren die Filmproduktion in den drei verschiedenen politischen Sphären, die von Moskau, Washington und Belgrad repräsentiert wurden. Der vorletzte Abschnitt verfolgt das Kino in seinem Aufstieg zum Massenphänomen, und das abschließende wird die zweite visuelle Revolution im Lichte Hollywoods charakterisieren. Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

Die zur Mitte des 20. Jahrhunderts eingeleiteten Industrialisierungsmaßnahmen hatten tiefgreifende gesellschaftliche Umschichtungen zur Folge, die auch auf das Kino gravierende Auswirkungen hatten. Dieses Unterkapitel hat nicht die Aufgabe, auf einzelne Industrialisierungsmaßnahmen einzugehen, da dies zu weit von den Kernthemen wegführen würde, sondern wird sich auf deren Auswirkungen beschränken. Es erhält seine Bedeutung dadurch, dass das Kino erst in einer industriellen Gesellschaft seine ihm ursprünglich zugedachte Wirkung zu entfalten vermochte, nämlich ein visuelles Massenereignis zu sein. Eine industriell basierte Ökonomie verfügte über ein dichtes Verkehrsnetz zur raschen Beförderung von Gütern und Menschen, über eine gut ausgebildete Bevölkerung, über Frauen, die in einem hohen Ausmaß in die Erwerbsarbeit eingebunden waren, und über eine in Städten lebende Bevölkerungsmehrheit mit Einkommen, die das Bedürfnis nach Massenkonsum sowie aktiver Freizeitgestaltung, das Kino eingeschlossen, nach sich zogen. Erst unter diesen Bedingungen konnte das Kino noch vor der Einführung des Fernsehens zum wichtigsten visuellen Lehrmeister der Nation werden. Die Modernisierungsbemühungen der sozialistischen Länder orientierten sich an der SU und sahen vor, den Privatbesitz an Produktionsmitteln zu beseitigen, alle

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

gesellschaftlichen Ressourcen zu bündeln und planmäßig gesteuert zu redistribuieren. Die ökonomische und gesellschaftliche Rückständigkeit sollte in einer dramatischen Aufholjagd überwunden und der Westen überflügelt werden (Daskalov; Sundhaussen 1999, 129). Für die Umsetzung dieser Absichten musste die Bevölkerung teuer bezahlen – einerseits durch kostenlose Arbeitsleistungen in ihrer Freizeit, andererseits durch Konsumverzicht in den 1950er-Jahren. Widerstand dagegen unterdrückte die Regierung systematisch, denn die Industrialisierung des Landes sollte um jeden Preis vorangetrieben werden. Aus dem gleichen Motiv verstaatlichte sie die (kaum vorhandenen) Industriebetriebe: in Jugoslawien und Albanien 1946, in Bulgarien Ende 1947 und in Rumänien 1948; die Landwirtschaft wurde kollektiviert (Ebenda, 129–131). Damit leiteten die kommunistischen Staatsführungen um 1950 eine im europäischen Vergleich späte industrielle Revolution ein, die in kurzer Zeit Agrar- in Industriestaaten umformte. Der Außenhandel wurde auf die sozialistischen Bruderländer konzentriert und 1949 der RGW mit dem Ziel gegründet, die Austauschbeziehungen zu steuern, die nationalen Wirtschaftspläne zu koordinieren und eine Arbeitsteilung unter den Partnerländern herbeizuführen. Der geschlossene Markt schottete die industrielle Produktion von der internationalen Konkurrenz ab. Letztlich führte diese Art der Industrialisierung in eine Sackgasse, da die Produkte auf dem Weltmarkt nicht abzusetzen waren, Quantität vor Qualität ging, technologisch rückständig produziert wurde und das Management überdimensioniert und politisch dirigiert war (Ebenda, 129–131). Im Folgenden sollen Bulgarien und Jugoslawien als Beispiele für zwei unterschiedliche sozialistische Industrialisierungspolitiken dienen. Kernstück einer sozialistischen Wirtschaftspolitik nach sowjetischem Muster bildeten ihre zentrale Planung und ihr Fokus auf die Kapitalgüterindustrie. Deren Produktion stieg in Bulgarien von 1948 bis 1962 um 18,1% im jährlichen Durchschnitt und die Produktionsleistung von 1948 bis 1988 um das 92-fache an. Die industrielle Gesamtproduktion war 1988 51-mal höher als 1948 (Brunnbauer 2007, 257). Tabelle 43 zeigt, dass sich der Anteil der einzelnen Wirtschaftssektoren am Bruttosozialprodukt in den Jahren von 1939 bis 1975 gewaltig verschob; der Agrar- wurde zum Industriestaat.

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Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

Tabelle 43: Anteil der Wirtschaftssektoren am Bruttosozialprodukt in Bulgarien 1939–1975 (in %)

Sektoren Industrie Landwirtschaft Bauwesen Transport & Verkehr Handel & Dienstleistungen Sonstiges

1939 27 53 5 3

1948 42 40 6 4

1952 50 24 9 4

1955 55 24 9 5

1960 58 24 9 3

1965 63 20 8 3

1970 65 14 9 5

1975 66 14 9 5

10

7

11

5

5

4

5

4

1

1

2

1

1

2

2

2

Quelle: Brunnbauer 2007, 259.

Jugoslawien wählte einen etwas anderen Weg. Das Land hatte sich 1948 mit der SU entzweit, entzog sich ihrer politischen und wirtschaftlichen Kontrolle und ging seither in der Wirtschaftspolitik einen eigenen Weg. Als Reaktion auf den Bruch zwischen Tito und Stalin, aber auch aufgrund offenkundiger Mängel der Zentralplanungswirtschaft setzte die jugoslawische Führung ab 1950 auf eine dezentrale Wirtschaftspolitik, deren Kern die Arbeiterselbstverwaltung darstellte. Sie bestand darin, dass Arbeiter und Angestellte das Recht hatten, entweder unmittelbar oder über von ihnen gewählte Arbeiterräte über Art und Umfang der Produktion, Verteilung der Nettogewinne, Investitionen, die Höhe ihrer Gehälter und über die Arbeitsbedingungen zu entscheiden (Höpken; Sundhaussen 1987, 876). In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten der Aufbau des Sozialismus und die Vision einer gerechten Gesellschaft für eine Aufbruchsstimmung. Arbeiter und Bauern beiderlei Geschlechts rückten in das Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Wie die anderen sozialistischen Länder auch, erzielte das Land in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens große Fortschritte:  rechtliche Gleichstellung der Frau, Anhebung des Bildungsniveaus, Verbesserung der Sozial- und Krankenfürsorge, Erhöhung des Lebensstandards, Elektrifizierung der Eisenbahn und Vorwärtstreiben des Straßenbaus. In der Periode von 1953 bis 1965 erhöhte sich das jugoslawische Bruttosozialprodukt durchschnittlich um 8,1% pro Jahr, die industrielle Produktion um 12% und die persönlichen Einkommen um 5,3%. Ein krisengeschütteltes Agrarland stand an der Schwelle zur Vollindustrialisierung. Der Beitrag der industriellen Produktion zum Sozialprodukt stieg von 1947 bis 1964 von knapp einem Drittel auf beinahe die Hälfte, jener der Landwirtschaft sank von 27 auf 20 Prozent, und der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung reduzierte sich von über 70 (1945) auf 38 (1971)

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Prozent (Sundhaussen 2007, 354–356). Das reale Volkseinkommen stieg von 1947 bis 1964 um 230 Prozent, und die Reallöhne erhöhten sich aufgrund der dynamischen Wirtschaftsentwicklung von 1955 bis 1980 um das Dreifache. Hatten jugoslawische Männer und Frauen 1952 noch 53,7% ihres Einkommens für den Kauf von Lebensmitteln aufzuwenden, so waren es 1980 nur mehr 35% (Höpken; Sundhaussen 1987, 877). Tabelle 44: Beschäftigte nach Sektoren in Jugoslawien 1953–1971 (in %)

Sektor Primärer Sekundärer Tertiärer

1953 71,4 17,2 11,3

1961 61,0 23,9 15,1

1971 48,9 29,6 21,5

Quelle: Höpken; Sundhaussen 1987, 874.

Jugoslawien wurde zu einer Konsumgesellschaft; Verbrauchsgüter wurden massenhaft nachgefragt. Wie überall in Europa wurden Radiogeräte und Autos bedeutende Symbole des Massenkonsums. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kam ein Radiogerät auf 70 Einwohner und -innen, 1965 bereits eines auf sieben Menschen (Calic 2013, 73–74). Ähnlich rasant verlief die Entwicklung auf dem Automobilsektor: Zwischen 1960 und 1970 verfünffachte sich der Kraftstoffverbrauch, und 1971 besaßen zehn Prozent der Bevölkerung ein Auto (Münnich 2013, 115–117). Es bildete sich eine grenz- und systemüberschreitende Konsumkultur heraus, die ihr Vorbild im US-amerikanischen Modell hatte (Calic 2013, 73–74). Da bei Weitem nicht alle Konsumgüter selbst erzeugt werden konnten, stieg das Außenhandelsdefizit in den 1960er-Jahren sprunghaft an. Teilweise machten die Exporterlöse weniger als die Hälfte der Importausgaben aus. Das Defizit ergab sich primär aus dem Warenverkehr mit westlichen Industrieländern – in erster Linie aus jenem mit der BRD. Die USA waren nach der BRD, der SU und Italien der viertgrößte Handelspartner Jugoslawiens (Höpken; Sundhaussen 1987, 906–908). Im Gegensatz zu Bulgarien und Jugoslawien ging Griechenland wirtschaftlich in eine kapitalistische Richtung. Noch 1958 beschäftigten 85 Prozent der Betriebe nur fünf oder weniger Arbeiter, und lediglich knapp ein Drittel arbeitete auf maschineller Basis. Die wirtschaftliche Erholung des Landes nach Krieg und Bürgerkrieg hatte 1953 mit einer drastischen Abwertung der Drachme begonnen. Die eigentliche Industrialisierungs- und Wachstumsphase setzte erst in den 1960er-Jahren ein und hielt bis 1974 an, als die Ölpreiserhöhung und die Zypernkrise zu einem Wachstums­einbruch führten (Sundhaussen 1987, 923–927).

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Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

Der wirtschaftliche Aufschwung des Landes war auch eine Folge US-amerikanischer Unterstützung. Allein von 1944 bis 1950/51 erhielt das Land Wirtschafts- und Militärhilfe von insgesamt 2.280,9 Millionen US$, darunter etwa 750 Millionen US$ Marshallplanhilfe (Ebenda, 944). In den 1960er-Jahren wandelte sich Griechenland zu einem industriellen Schwellenland. Unter den 24 OECD-Ländern lag das Land 1975 gemessen am Bruttosozialprodukt an 19. und gemessen am Pro-Kopf-Einkommen an 21. Stelle (Ebenda, 923–927). Als Wirtschaftsmotor fungierte der Großraum Athen, wo sich Anfang der 1970er-Jahre rund die Hälfte aller Industriearbeiter und -innen konzentrierte (Ebenda, 932–933). Diese Entwicklungen spiegeln sich in der Verschiebung des Anteils Erwerbstätiger in den einzelnen Wirtschaftssektoren (Tabelle 45) ebenso wie in der starken Zunahme des privaten Konsums, der in Griechenland, von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend, von 1961 bis 1977 mehr als doppelt so hoch als in der Türkei und höher als in vielen anderen Ländern war (Tabelle 46). Sie wirkten sich zudem positiv auf das Bildungswesen in den zwei Jahrzehnten von 1961 bis 1981 aus. Die Analphabetismusrate konnte halbiert und die Anzahl der Sekundar- und Universitätsabschlüsse verdoppelt werden (Tabelle 47). Tabelle 45: Aufgliederung der Erwerbstätigen nach Sektoren in Griechenland 1961–1981 (in %)

Sektor Primär Sekundär Tertiär

1961 53,8 19,0 27,2

1971 40,5 25,6 33,9

1981 30,7 29,0 40,3

Quelle: Pirgiotakis 1994, 197.

Tabelle 46: Anstieg des privaten Konsums im internationalen Vergleich 1961–1977 (in %)

Land Japan Griechenland Türkei Österreich Schweiz Kanada USA Deutschland Quelle: Hadjikyriacou 2013, 31.

Anstieg des privaten Konsums in % 184 142 66 87 50 83 65 79

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Tabelle 47: Aufgliederung der griechischen Bevölkerung nach Bildungsniveau 1961–1981 (in %)

Niveau Analphabeten Ohne Volksschulabschluss Volksschulabschluss Sekundarabschluss Universitätsabschluss

1961 14,6 23,8 35,5 6,2 1,5

1971 11,6 27,2 40,1 9,1 2,4

1981 7,3 13,2 37,0 11,5 3,4

Quelle: Pirgiotakis 1994, 199.

Der Anteil berufstätiger Frauen stieg von 16,7% (1951) auf 25,9% (1971). Immer mehr Frauen wurden vom traditionellen Familienkontext unabhängig, wozu die üblichen hohen Mitgiften zusätzlich beitrugen. Für Männer wurde es, zumindest in den Unterschichten, immer schwieriger, mit ihrem Vermögen und Einkommen den Haushalt allein zu erhalten, zumal es ihre Pflicht war, die kostenintensiven Mitgiften für Schwestern und/oder Töchter zu stellen (Hadjikyriacou 2013, 36–47). Unter dem Strich durchliefen Bulgarien, Jugoslawien und Griechenland beachtenswerte ökonomische Entwicklungen. Tabelle 48 verweist auf vergleichbare Dynamiken auch in anderen Balkanländern. Während sich das Bruttosozialprodukt Jugoslawiens, Bulgariens und Griechenlands in den Jahren zwischen 1960 und 1979 verdreifachte, verfünffachte sich jenes von Rumänien, und jenes von Albanien verdoppelte sich. Dies sind signifikante Zuwachsraten, wenngleich der Abstand zu Ländern wie Österreich und der BRD ebenfalls beachtlich blieben. Tabelle 48: Bruttosozialprodukt der Balkanländer im Vergleich 1960 und 1979 (in US$ von 1979)

Land BRD Österreich SU Jugoslawien Griechenland Bulgarien Rumänien Albanien Quelle: Höpken; Sundhaussen 1987, 883.

1960 6330 4020 1910 890 1330 1310 360 380

1979 11.730 8630 4110 2430 3960 3690 1900 840

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Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

Was waren die Folgen dieser Industrialisierungsprozesse? Sie lösten ab den 1950er-Jahren beträchtliche Binnenmigrationsströme aus, allen voran im Bereich der Land-Stadt-Wanderung. In Bulgarien waren allein von 1953 bis 1956 410.661 Menschen an ihr beteiligt. Der Höhepunkt wurde 1965 bis 1967 erreicht, als jährlich mehr als 80.000 Menschen vom Land in die Stadt wechselten (Brunnbauer 2007, 234). Tabelle 49: Abwanderung vom Land in die Stadt in Bulgarien 1947–1976

Periode 1947–1949 1950–1954 1955–1959 1960–1964 1965–1967 1974–1976

Abwanderung vom Dorf in die Stadt 91.046 252.115 344.268 362.939 242.078 186.475

Jahresdurchschnitt 30.879 50.432 68.854 72.588 80.693 62.158

Quelle: Brunnbauer 2007, 235.

In Jugoslawien waren es rund 5,5 Millionen Menschen, die zwischen 1945 und 1970 das Dorf verließen; davon die Hälfte in den 1960er-Jahren. Die Bevölkerungen Sarajevos und Belgrads wuchsen bis 1953 um ca. 18 Prozent, jene Skopjes um mehr als 36 Prozent und jene neuer Industriestädte wie das bosnische Zenica um 56 Prozent (Calic 2013, 71). Belgrad bildete das Hauptziel der Zuwanderung. In der ersten Fünfjahresplanperiode ab 1947 kamen jährlich durchschnittlich über 26.000 hauptsächlich ungelernte Arbeiter in der Stadt an; von 1957 bis Anfang der 1960er-Jahre waren es über 24.000 Menschen pro Jahr. 1989, als die Stadt auf eine Bevölkerung von 1.639.000 angewachsen war, belief sich der Anteil der in der Stadt geborenen Bevölkerung lediglich auf ein Drittel, und nur ein kleiner Prozentsatz hatte zwei Elternteile, die bereits in Belgrad geboren waren. Die Stadt wurde ‚rurbanisiert‘, denn die Dorfbevölkerung passte vielfach ihren traditionellen Lebensstil nur teilweise urbanen Verhältnissen an und adaptierte auch die ihren Kindern beigebrachte sozialistische Lebensweise nur selektiv (Prošić-Dvornić 1992, 91–92). Auch in Griechenland resultierte die Migration der 1950er- und 1960er-Jahre in vielfache ökonomische, soziale und kulturelle Transformationen. Noch in den 1950er-Jahren bildete die schwierige Situation auf dem Land nach dem verheerenden Bürgerkrieg die Hauptursache für die Abwanderung in die Stadt. Über 5.000 Dörfer waren zerstört und Viehherden dezimiert, Land lag brach, und ein Drittel

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des Waldbestands war zerstört. Die Menschen – insbesondere die junge Generation – suchten ihr Glück in der Stadt. Im Verlauf von zwei Jahrzehnten verdoppelte sich die Bevölkerung Athens von 1.378.500 (1951) auf 2.540.200 (1971) (Hadjikyriacou 2013, 26–27). 1971 lebten bereits 65 Prozent der griechischen Bevölkerung im urbanen und semiurbanen Raum. Tabelle 50: Das Wachstum der fünf größten Städte Griechenlands 1951–1981 (in 1000)

Stadt Groß-Athen Groß-Saloniki Patras Heraklion Volos

1951 1379 303 88 55 51

1961 1853 381 96 64 55

1971 2540 557 112 78 59

1981 3027 706 142 102 71

Quelle: Sundhaussen 1987, 921.

Tabelle 51: Land- und Stadtbevölkerung Griechenlands 1961 und 1971 (in %)

Urban Semiurban Ländlich Gesamt

1961 43,2 13,0 43,8 100,0

1971 53,2 11,7 35,1 100,0

Quelle: Hadjikyriacou 2013, 27.

In den 1950er- und 1960er-Jahren war also ein massiver Zuzug von jungen Menschen in die Städte des Balkans und speziell in die Hauptstädte zu verzeichnen; parallel dazu begannen sich in den ‚wilden Sechzigerjahren‘ Formen der Populärkultur herauszubilden, die in den 1950er-Jahren noch unbekannt waren. Während im Belgrad der 1950er-Jahre die Partei noch eine gewisse Kontrolle über das Verhalten der Jugendlichen im Sinne einer sozialistischen Lebensweise auszuüben vermochte, entglitt ihr die junge Generation in den 1960ern in zunehmendem Maß. Daran hatte der außenpolitische Schwenk der jugoslawischen Führung nach dem Bruch mit Moskau großen Anteil. Wie weiter unten noch genauer zu besprechen sein wird, öffnete sich Jugoslawien in den frühen 1950er-Jahren einem ökonomischen Hilfsprogramm der USA, wofür das Land insofern einen politischen Preis zu zahlen hatte, als es sich dem US-amerikanischen Kulturexport öffnen musste, was wiederum auf die Populärkultur Belgrads und des ganzen Landes Auswirkungen hatte.

Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

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Belgrad wandelte sich in den 1960er-Jahren zu einer modernen, westlichen Großstadt. Die Vespas der jungen Männer und die Miniröcke der jungen Frauen eroberten die Straßen. Große Warenhäuser warben mit westlicher Mode, Kosmetika und Schallplatten (Münnich 2013, 109). Die US-Amerikanisierung der städtischen Alltagskultur war umfassend: Erste Jugendliche in Jeans und Lederjacke tauchten ab den beginnenden 1960er-Jahren auf. Dank der US-amerikanischen Botschaft gaben Jazzgrößen wie Dizzy Gillespie (1956), Louis Armstrong (1959 und 1965) und Ella Fitzgerald (1961 und 1964) sowie zahlreiche Rockbands Konzerte in Belgrad (Vučetić 2008, 283–285). Die einheimische Rock- und Popmusik unterschied sich kaum mehr von jener in westlichen Ländern. Die meisten Teenager hatten Partisanenkult und sozialistische Dogmen satt; der puristische Agitprop der späten 1940erund frühen 1950er-Jahre wich einem kulturellen Pluralismus (Sundhaussen 2007, 357). Die populärsten Magazine des Landes brachten Reportagen über Hollywood, Besprechungen der neuesten Filme und Biografien der Stars. In einer Umfrage über die beliebtesten Schauspielerinnen und Schauspieler nannte nur einer von 800 Befragten einen nicht westlichen; unter den westlichen waren US-amerikanische die meistgenannten. Unter den gezeigten US-amerikanischen Filmen waren auch solche, die ideologisch gesehen die Zensur eigentlich nicht hätten passieren dürfen, wie etwa Stanley Kubrics ‚Dr. Seltsam oder: wie ich lernte, die Bombe zu lieben‘, der 1967 in Jugoslawien gezeigt wurde und ideologisch weit von der jugoslawischen Gesellschaft entfernt war. Die Zensur ließ lediglich einige Dialoge entfernen (Vučetić 2008, 285–286). Der Western wurde zum beliebtesten Filmgenre des jugoslawischen Kinopublikums. Dies unterschied Jugoslawien radikal von den anderen sozialistischen Ländern – Polen ausgenommen –, wo es nicht möglich war, die Kultwestern zu sehen. In den 1950er-Jahren erreichten Western wie ,Rio Grande‘ (1950), ‚Zwölf Uhr mittags‘ (1952) oder ‚Mein großer Freund Shane‘ (1953) ein Massenpublikum. Diesem Reiz vermochte sich auch Staats- und Parteichef Tito nicht zu entziehen, der angeblich Western mit Gary Cooper bevorzugte (Vučetić 2010a, 130–135). Die Westernfilme hatten auch Auswirkungen auf das Alltagsleben: Sheriffs wurden imitiert, Kinder spielten in diesen Jahren nebst ‚Partisanen und Deutsche‘ auch ‚Cowboy und Indianer‘. In Zagreb wurde der Klub John Wayne gegründet, und im bosnischen Bjeljina ließ sich der Besitzer des Fotoateliers Western in Harry Jackson umbenennen; nicht nur dies – er drehte auch zehn kurze Western von etwa 30 Minuten Länge (Ebenda, 130–135). Westernfilme hinterließen auch in Partisanenfilmen tiefe Spuren, die die Westernikonografie in kluger Weise nutzten, ohne plump nachahmend zu wirken. Die

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Abb. 47: ‚Zwölf Uhr mittags‘ / ‚Tačno u podne‘ mit Fred Zinnemann als Regisseur sowie Gary Cooper und Grace Kelly in den Hauptrollen © Jugoslovenska kinoteka

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Abb. 48: Der Wilde Westen im Kosovo. Szene aus dem Film ‚Ešalon doktora M.‘ des serbischen Regisseurs Živorad-Žika Mitrović © Jugoslovenska kinoteka

diesbezügliche Pionierleistung erbrachte der serbische Regisseur Živorad-Žika Mitrović, der sich in seiner Gymnasialzeit in den Dreißigerjahren aus Honoraren für seine Comicstrips jeden Westernfilm angesehen hatte, der nach Belgrad kam. Sein erster aus einer Reihe von sogenannten „Partisanen-Western“ oder „KosovoWestern“ war ‚Ešalon doktora M.‘ (1955), der gleichzeitig der erste unter direktem Einfluss des Westerns stehende jugoslawische Film war. In einem Interview sagte er: „Meine Partisanenfilme wurden als Western bezeichnet, aber mir war es das Wichtigste, dass das Publikum sich einige seiner Wünsche erfüllen konnte: die, die sich Western ansehen wollten, konnten dies nun in ihrer Sprache, mit unseren Schauspielern und im heimischen Ambiente tun“ (Ebenda, 140; Gilić 2015, 227, 234). Seine Filme waren im Publikum, bei der Filmkritik wie auch in der Partei hoch angesehen. Letztere schätzte sie, weil sie den Volksbefreiungskampf der Bevölkerung, speziell der jungen Generation, nahebrachten, indem sie sozialistische Inhalte in eine populäre Form verpackten. Sie waren ihr insofern auch wichtig, als in den 1960er-Jahren die ersten Produkte des ‚Schwarzen Films‘, die die jugoslawische Realität kritisierten, verboten wurden. Cowboys in Partisanenuniformen waren aus

Industrialisierung, Massenkonsum und die ‚wilden Sechzigerjahre‘

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ideologischer Sicht ein besseres role model als die negativen Helden und Heldinnen des ‚Schwarzen Films‘ (Ebenda, 140–149) – ein Filmgenre, das auf soziale Missstände im Land hinwies. In einem sozialistischen Land wie Bulgarien gab es wenig Spielraum für eine Populärkultur, die nicht den Vorstellungen der Partei entsprach. Ebenso wie in der SU befürchteten die bulgarischen Autoritäten die Unterwanderung der nationalen Kultur durch den US-amerikanischen ‚imperialistischen‘ Pop. Die Popmusik war jedoch auch durch abwertende Stellungnahmen der Partei nicht aufzuhalten (Taylor 2006, Abb. 49: Živorad-Žika Mitrović, der Regisseur, der den Western domestizierte 121–127). Ihr Einfluss begann parallel mit © Jugoslovenska kinoteka dem Auftauchen erster Tonbandgeräte in bulgarischen Geschäften im Jahr 1958 und stellte in den ersten Jahren noch ein elitäres Freizeitvergnügen, das nur wenigen in den Städten zugänglich war, dar (Trendafilov 2011, 244–250). Die Rockmusik der 1960er-Jahre war der Kritik und dem Hohn der bulgarischen Presse ausgesetzt. Sie wurde als unerwünschte von den sozialistischen Werten abweichende westliche Subkultur apostrophiert. Blue Jeans, Kaugummi, Marlboro und Coca Cola hatten es schwer sich durchzusetzen. Männer in engen Jeans und schicken Schuhen, Frauen mit lockigem Haar und Schminke oder jemand, der gerade mit Genuss tanzte, lief Gefahr als bürgerlicher ‚Schwinger‘ (zoza) abgekanzelt und in ein Arbeitslager abgeschoben zu werden (Ebenda, 244–250). Im Jänner 1966 widmete das Komitee für Kunst und Kultur (eine Art Ministerium) der Rock- und Popmusik eine eigene Konferenz und kündigte das Ende der Toleranz gegenüber dieser an. Im November desselben Jahrs, am 9. Parteikongress, wandte sich Staatsund Parteichef Živkov gegen die westliche Jugendkultur, die „nationalen Nihilismus“ unter der bulgarischen Jugend verbreite, und kündigte an, die westliche Popkultur auszumerzen (Taylor 2011, 244–250). In Jugoslawien reagierte die herrschende Partei anfänglich auch feindselig gegen den Rock, aber nicht so unversöhnlich wie in Bulgarien. In den Zeitungen erschienen Hunderte von abwertenden Artikeln gegen diese Art von Musik und zahlreiche Aufforderungen, sie zu verbieten. Das alles tat der Popularität der Beatles, Stones oder Doors keinen Abbruch. 1971 erließ die Partei eine Direktive, wonach lediglich

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ein Viertel der Musik im Radio aus dem Westen stammen durfte. Es war jedoch unmöglich, dies umzusetzen, da es an attraktiver bulgarischer Popmusik und solcher aus anderen kommunistischen Ländern mangelte (Trendafilov 2011, 146–148). Das beliebteste oder vielleicht doch nur zweitbeliebteste Freizeitvergnügen nach der Pop- und Rockmusik für die bulgarische Jugend in Klein- und Großstädten war das Kino – obwohl es die Partei lieber gesehen hätte, wenn sie das Theater besucht hätte. Die öffentliche Debatte in den frühen 1960er-Jahren kreiste um die Frage, ob das Kino Zeitverschwendung sei und ob es lediglich schwache Charaktere anziehe. Theoretiker hoben seinen erzieherischen Charakter hervor, Soziologen bezeichneten es als passiven Zeitvertreib. Schließlich wurde es als eine zulässige Form der Unterhaltung anerkannt und massiv gefördert. Die Jugendlichen waren sehr aktiv, wenn es um die Verfolgung ihres Hobbys ging. Eine Studie aus dem Jahr 1975 belegt, dass 36,2% der Jugendlichen durchschnittlich einmal pro Woche das Kino aufsuchten. Nur 4,4% der Befragten gaben an, sie würden das Kino nie besuchen. Theatervorstellungen hingegen besuchten 33,7% niemals (Taylor 2006, 100). In den 1960er-Jahren hatte die bulgarische Jugend bereits genug vom sowjetischen Film bzw. von den sowjetischen Genres des Sozialistischen Realismus – ausgenommen die ewigen Klassiker. Die in Bulgarien gezeigten sowjetischen Filme handelten hauptsächlich über den Zweiten Weltkrieg und den Aufbau des Sozialismus, woran viele Jugendliche nicht mehr interessiert waren. In der Monotonie der sozialistischen Filme waren solche aus dem Westen attraktiv und rasch ausverkauft, da sie ein Fenster in eine relativ unbekannte Welt bildeten. Wenn ausländische Filme auf dem Programm waren, gingen auch jene ins Kino, die es sonst nie oder kaum besuchten. In den 1960er-Jahren waren es in erster Linie französische Filme mit Gérard Philipe und italienische mit Antonella Lualdi oder Sofia Loren. Es gab auch mexikanische oder andere lateinamerikanische Spielfilme zu sehen. Ende der 1960er-Jahre waren in Sofia ausgewählte britische, französische und italienische Streifen in speziellen Filmwochen zu sehen. Wegen des großen Interesses war es enorm schwierig, Eintrittskarten zu bekommen. Als der Beatles-Film ‚A Hard Day’s Night‘ (1964) nach Sofia kam, war dies eine Sensation. Die Polizei musste vor dem Kino ordnend eingreifen, um den Andrang kanalisieren zu können (Ebenda, 100–101). Im Dezember 1967 gab es im Zentralkomitee der Partei eine Diskussion über die Jugendarbeit und den Komsomol. Darin wurden besorgte Stimmen gegen den bedenklichen Erfolg westlicher Kinofilme im Land erhoben, da sie keinen pädagogisch-ideologischen Wert hätten und ein falsches Bild über den Westen vermitteln würden. Der Abteilungsleiter für Kunst und Kultur wies darauf hin, dass der Film ‚Lenin in Polen‘ nur 311-mal im Land gezeigt wurde, hingegen ‚Die goldene Göttin

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vom Rio Beni‘ etwa 4.500-mal und forderte, dass nur mehr Filme importiert werden sollten, die pädagogischen Wert für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen hätten (Brunnbauer 2007, 357). Diese Diskussionen über westliche Filme sind insofern interessant, als Hollywoodproduktionen zwar kaum gezeigt wurden, aber auch andere westliche Filme für Jugendliche grundsätzlich interessanter waren als auf ideologische Reinheit achtende sowjetische oder bruderländische. Dies lässt darauf schließen, dass die Hollywoodträume in der jungen Generation (vielleicht auch in einer älteren) nicht auszumerzen waren. Trotz seiner Unterdrückung – oder gerade deswegen – lebte Hollywood weiter. Völlig anders die Situation in den Städten Griechenlands, wo in den 1960er-Jahren neue Gewohnheiten und Unterhaltungsmöglichkeiten aufkamen, die den USamerikanischen Lebensstil imitierten. Rauchende, autofahrende, Umgangssprache sprechende und vor der Heirat sexuell aktive Frauen, aber auch Autos, Waschmaschinen, Kühlschränke, trendige Kleidung, ausländische alkoholische Getränke (vor allem Whisky) – das war, was die Mehrheit des Publikums im Kino sehen wollte, weil sie an der neuen Konsumkultur teilhaben wollte (Hadjikyriacou 2013, 76–84). Trotz der vorherrschenden moralischen Normen der griechisch-orthodoxen Kirche diente die Zurschaustellung des weiblichen Körpers in zunehmendem Maße als Attraktion, die den Konsum ankurbeln sollte. In den 1950er-Jahren waren religiöse und patriarchale Traditionen noch stark genug gewesen, um solche Entwicklungen abzubremsen. Die meisten Filme enthielten zumindest einige Minuten mit einem weiblichen Körper in erotischer Pose. Mit ihm wurde auch für Filme und Magazine geworben, um Publikum und Leser anzulocken. Dies sorgte für viel Diskussionsstoff in politischen, juridischen, psychologischen und klerikalen Kreisen, die öffentlich über die bedenklichen Inhalte von Filmen, das ethische Verhalten des Publikums und die Moral von Frauen debattierten (Ebenda, 76–84). Die Tausenden von importierten Hollywoodfilmen übten letztendlich nachhaltigen Einfluss auf die griechische Gesellschaft und speziell auf die Jugend aus. Marlon Brando, James Dean und Elvis Presley verkörperten Charaktere, die gegen die bestehende soziale Ordnung rebellierten. Geschlechterbeziehungen, Männlichkeit, Weiblichkeit, Sexualität und Patriarchalismus wurden durch den Hollywoodfilm neu definiert. Die Locke James Deans war bereits in den 1950er-Jahren als nachahmenswert empfunden worden, und die Elvis-Presley-Filme der 1960er-Jahre stimulierten den Rock ’n’ Roll im ganzen Land, was wiederum die Protestbewegung der teddy boys oder teds mitauslöste (Ebenda, 76–84). Diese muss im gesamteuropäischen Kontext des Anstiegs einer aggressiven Jugendkultur gesehen werden, die von Großbritannien ausging und die traditionelle

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Bewertung von Maskulinität, Feminität und einem ehrenhaften Leben infrage stellte. Vorehelicher Sex, Missachtung staatlicher Gesetze, kleine Diebstähle, Hören von Rockmusik, Nachtklubbesuche, Fahren schneller Autos, das Werfen von Joghurtbomben auf Reiche, Provozieren von Schlägereien und Missachtung der patriarchalen Autorität waren die wichtigsten Elemente dieses Proteststils. Die männlichen teds trugen enge Jeans mit umgedrehten Hosenaufschlägen, enge T-Shirts, für damalige Verhältnisse langes Haar, das bevorzugt nach dem Modell der Elvis-Tolle drapiert war, und befleißigten sich eines angeberischen Ganges (Ebenda, 49–50). Diese Protestbewegung erfasste auch die größeren griechischen Städte. Die konservative Presse und die Kirche beschuldigten das Kino, Kriminalität, Ungehorsam, vorehelichen Sex und Respektlosigkeit gegenüber traditionellen Werten zu vermitteln. Als dieses Phänomen Ende der 1950er-Jahre manifest wurde und selbst Söhne reicher Athener Familien erfasste, reagierte der Staat mit schweren Strafen gegen teddy boys. 1959 wurde ein auf sie abgestimmtes Jugendkriminalgesetz beschlossen (Ebenda, 49–50). Athen zählte um 1950 bereits 1,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, 1955 zwei und 1960 2,3 Millionen. Die wachsende Arbeiterschaft in Athen, Piräus, Saloniki, Patras oder Volos schuf Bedarf nach populärer Unterhaltung. Bis dahin hatte sich die Bevölkerungsmehrheit in den ländlichen Gebieten beim traditionellen Karagiozis-Schattentheater sowie bei mobilen Theater- und Filmvorführungen unterhalten. Vor dem Hintergrund der Großstadt und langer Arbeitstage strömte die neue urbane Arbeiterklasse, speziell am Wochenende und an Feiertagen, in die großen Kinos. Filme lösten vielfach Initiationserlebnisse für die zu erwartenden Freuden städtischen Lebens aus, die sich in geräumigen Wohnungen, Häusern und Villen, wunderbaren Kleidern und Innenausstattungen, großen Küchen mit Kühlschränken und Badezimmern mit heißem Fließwasser manifestierten. Dies war das moderne Leben, das dem Publikum vorschwebte. So oder so ähnlich war die Atmosphäre in Belgrad, Sofia und Athen. In den anderen Hauptstädten mochte sie ähnlich gewesen sein. Industrialisierung, Modernisierung, Land-Stadt-Wanderung, urbanes Leben, populäre Massenkultur, Fließwasser, im Sommer ein kurzer Urlaub, Rockmusik, deviante Jugendkulturen, die das Establishment verunsicherten und Frauen, die sich gegen Mechanismen der Unterdrückung zur Wehr zu setzen begannen, prägten das Ende der Fünfziger- und die ‚wilden Sechzigerjahre‘ – in nicht sozialistischen Ländern stärker als in sozialistischen. In diesem Kontext muss auch das Kino gesehen werden, das sich in diesen knapp zwei Jahrzehnten einer Popularität wie niemals zuvor und niemals danach erfreuen sollte.

Zwischen Hollywood und Moskau – der Kalte Kinokrieg

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Zwischen Hollywood und Moskau – der Kalte Kinokrieg Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die nicht mit dem Kino vertraut sind, nicht in der Lage sind, den Ereignissen auf der Leinwand zu folgen. Die kinematografische Sprache ist ungewohnt für sie. Sie können von der eigentlichen Erzählung abkommen, da sie an einen unbedeutenden Vorfall in ihrem Alltagsleben erinnert werden; und sie können von Rückblenden, Großaufnahmen und Übergängen, die ein gewöhnlicher Kinobesucher leicht versteht, völlig verwirrt werden. (Kracauer 1952, 13)

Die erwähnte Truman-Doktrin machte der Weltöffentlichkeit schlagartig klar, dass zwei Jahre nach Kriegsende zwischen den ehemaligen Kriegsverbündeten USA und SU unüberwindbare politische und ideologische Differenzen bestanden. Nach dem weltpolitischen Zurücktreten Großbritanniens in die zweite Linie, das sich insbesondere in der Entlassung des indischen Raj in die Unabhängigkeit, aber auch im Rückzug aus Griechenland manifestierte, steuerte der Kalte Krieg immer deutlicher auf eine bipolare Konfrontation zwischen einem von Washington auf der einen und einem von Moskau aus gesteuerten Lager auf der anderen Seite zu. Die Zuordnung der Balkanländer war dabei noch nicht völlig geklärt. Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien und Albanien schienen in der sowjetischen Hemisphäre gelandet zu sein. Griechenland befand sich mitten in einem Bürgerkrieg mit noch ungewissem Ausgang, und die Türkei sah sich Revisionsansprüchen seiner Ostgrenze durch die SU ausgesetzt. Die USA waren in dieser zugespitzten Situation gewillt, alles zu unternehmen, um Griechenland und die Türkei im westlichen Lager zu halten. Am 24. Februar 1947 erklärte Großbritannien, dass es nach dem 31. März des Jahres keine Wirtschaftshilfe mehr an die Türkei und Griechenland leisten könne. Daraufhin ersuchte Präsident Truman am 12. März den Kongress um Wirtschaftshilfe an Griechenland im Ausmaß von 300 Millionen und an die Türkei in der Höhe von 100 Millionen US$, um sie so vor der Gefahr des Totalitarismus zu schützen. Von 1946 bis 1964 betrug die US-amerikanische Hilfe an Griechenland insgesamt 2,8 Milliarden US$. 1953 wurde ein Vertrag über die Errichtung US-amerikanischer Militärbasen unterzeichnet (Cassimatis 1988, 209). Durch dieses massive Engagement der USA konnten die beiden Länder als Bündnispartner gesichert werden. Dies war auch aus der Perspektive Hollywoods nicht unwesentlich, da es aus dem osteuropäischen Markt gedrängt worden war. In den 1950er-Jahren wurde seine Verbindung mit dem State Department durch den fernsehbedingten Einbruch seines heimischen Markts extrem wichtig, da bereits etwa die Hälfte des Gewinns durch den Filmexport zustande kam. Aus der Sicht der

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

US-amerikanischen Außenpolitik bildete die Filmindustrie ihre wichtigste SoftPower-Komponente, deren Aufgabe es war, eine kulturelle Hegemonie über die Verbündeten im Kalten Krieg herzustellen. Diese Strategie war bereits unmittelbar nach dem Krieg im Zuge der Denazifizierung Deutschlands und Österreichs und in der ‚Umschulung‘ Japans eingesetzt worden (Shaw 2007, 168–169). Die Interessen Hollywoods und des State Departments überlappten sich nach wie vor weitgehend. In den 1940er- und 1950er-Jahren konnte sich die 1945 gegründete MPEA selbst als the little State Department bezeichnen. Diplomaten und leitende Angestellte der Filmindustrie teilten die gleiche Weltsicht und waren sich grundsätzlich darin einig, welcher Typ von Film sich im nationalen Interesse am wenigsten für den Export eignete. Das State Department war allerdings nicht in der Lage, die Inhalte der exportierten Filme systematisch zu regulieren, und hätte sich weniger Filme mit Gangstern, Korruption, Sex und Jugendkriminalität gewünscht. Das Archiv des State Department ist voll von Berichten ausländischer Vertretungen, die von den verheerenden Auswirkungen mancher US-amerikanischer Filme in den jeweiligen Ländern zeugen (Ebenda, 168–169). Für die sowjetische Außenpolitik spielte der Film eine analoge Rolle. Sowohl Hollywood als auch die sowjetische Filmindustrie produzierten mehr oder weniger subtile Propagandafilme, deren Funktion es primär war, das jeweils eigene Lager zu stärken, denn in beiden weltpolitischen Blöcken wurden nur sehr wenige Filme vom jeweils feindlichen gezeigt. In diesem Kalten Kinokrieg war Hollywood im Vorteil, da seine Filme nur bestärken mussten, dass die westliche Welt die bessere war. Die sowjetischen Filmemacher hatten es insofern schwieriger, als sie zuerst dem eigenen Publikum nachweisen mussten, dass angesichts vieler Probleme das sowjetische System funktionierte und darüber hinaus noch das bessere war (Ebenda, 218–220). Der sowjetische und der US-amerikanische Film reflektierten den Kalten Krieg unterschiedlich. Für ersteren war der Konflikt ein ideologischer und der Kalte Krieg eine ‚Schlacht‘ für Frieden und Internationalismus einerseits sowie gegen Kriegstreiberei und kapitalistischem Materialismus andererseits. Das US-amerikanische Kino porträtierte den Kalten Krieg speziell in den frühen Jahren auch als ideologischen. Es tat dies jedoch zumeist nicht so unverhohlen und war daher wahrscheinlich erfolgreicher als sein sowjetisches Pendant (Ebenda, 218–220). Was die US-amerikanische Seite des Kalten Kinokriegs anlangt, so war nicht nur Hollywood in die Produktion von Propagandafilmen involviert, sondern auch und ganz besonders die USIA, die sich damit brüstete, die umfassendste und geistreichste Filmproduktion, die im Kalten Krieg für ein ausländisches Publikum aufbereitet wurde, angeführt zu haben. Sein MPS war mit qualitativ hochstehenden und von Hollywoodregisseuren hergestellten Dokumentarfilmen wohl assortiert. Das MPS

Zwischen Hollywood und Moskau – der Kalte Kinokrieg

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wie auch das FBI finanzierten Produktionen ausländischer Unternehmen in Übersee und Projekte, die die US-Außenpolitik direkt unterstützten (Ebenda, 174–176). Die USIA stützte sich in ihrem Kalten Kinokrieg auch auf wissenschaftliche, insbesondere soziologische Untersuchungen. So wurde der im US-amerikanischen Exil lebende Soziologe und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer mit einer gründlichen Studie (Appeals to the Near and Middle East. Implications of the Communication Studies Along the Soviet Periphery) über die propagandistischen Möglichkeiten und Grenzen des US-amerikanischen Films und anderer Medien in den an der Grenze zum Ostblock befindlichen Ländern des östlichen Mittelmeers beauftragt, die er 1952 vorlegte (Kracauer 1952). Wie das diesen Unterabschnitt einleitende Zitat dokumentiert, befasste er sich auch mit Rezeptionsproblemen eines noch unroutinierten Kinopublikums. Die Jahre zwischen 1962 und 1967 bildeten das ‚goldene Zeitalter‘ der KalteKrieg-Filmproduktion der USIA. 1962 beispielsweise produzierte sie 36 Filme in den USA und 147 in Übersee sowie 197 Wochenschauen. Sein MPS agierte weltweit und unterhielt auf seinem Höhepunkt in den 1960er-Jahren 226 Filmzentren in 106 Ländern, die geschätzte 600 Millionen Menschen erreichten (Shaw 2007, 174–176). Mit der Truman-Doktrin, der Gründung des CIA und der USIA, der Angst vor den ‚Roten‘ und der definitiven Teilung der Welt bekam Hollywood eine neue Rolle im Kampf gegen den Kommunismus, die nicht so sehr in der Produktion relativ erfolgloser antikommunistischer bzw. antisowjetischer Filme bestand (Ebenda, 48; Shaw; Youngblood 2010, 25–28; Vučetić 2010, 40–43), sondern in Streifen, die USamerikanische Werte in den Vordergrund stellten. Bereits 1947 hatte der Direktor der internationalen Abteilung der MPA71 seine Überzeugung geäußert, dass es kein effizienteres US-amerikanisches Produkt im Ausland zu verkaufen gäbe als Filme, die den US-amerikanischen Traum symbolisierten:  ein großes Haus mit Swimmingpool, ein voller Kühlschrank, Geschirrspüler, glamouröse Automobile und wohl assortierte Geschäfte. Das Wort vom ‚Volkskapitalismus‘ sollte zuhause und in Übersee demonstrieren, dass das freie Unternehmertum etwas war, von dem alle profitierten und nicht nur die Reichen. Hollywood war sich seiner Rolle bewusst und sah sich an der Frontlinie des Kalten Krieges (Shaw; Youngblood 2010, 25–28). Doch wie war die Situation auf der anderen Seite der Frontlinie des Kalten Kinokriegs? Wie war dort die Filmproduktion organisiert und welche ästhetischen und 71

1948 veröffentlichte sie das sehr einflussreiche Buch A Screen Guide for Americans. Je schärfer die Ost-West-Auseinandersetzung wurde, desto mehr sah es die MPA und die politische Rechte in Hollywood als ihre Pflicht an, die intervenierende US-Außenpolitik zu unterstützen und Subversion in den eigenen Reihen aufzuspüren (Shaw 2007, 46).

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

ideologischen Gegenpositionen kamen in Filmen Moskauer Prägung zum Tragen? Diese Fragen drängen nach eingehender Beschäftigung mit dem sowjetischen Kino. Filmproduktion Moskauer Zuschnitts

Die turbulenten Jahre des Umbruchs, die der Oktoberrevolution folgten, mündeten erst Ende der 1920er-Jahre in eine Zentralisierung des Filmwesens. Bis dahin waren die sowjetische Filmproduktion und -presse noch bemerkenswert vielfältig. Die Zensur war noch wenig ausgeprägt, verschärfte sich jedoch gegen Ende dieses Jahrzehnts. Die Filmunternehmen mussten sich selbst finanzieren, was ihnen durch den Import und Vertrieb ausländischer, insbesondere US-amerikanischer und deutscher Filme, die die Sowjetbürger und -innen in Massen anzogen, auch gelang. Das Publikum liebte insbesondere Hollywoodfilme in einem Ausmaß, das der sowjetische Filmtheoretiker Lev Kulešov 1922 als eine Krankheit namens ‚Amerikanitis‘ bezeichnete. Mit den Profiten aus dem Vertrieb ausländischer und populärer sowjetischer Filme, die nach westlichem Muster hergestellt worden waren, konnte man nicht kommerzielle, avantgardistische Meisterfilme wie Sergei Eisensteins ‚Panzerkreuzer Potemkin‘ (1926) oder Vsevolod Pudovkins ‚Das Ende St. Petersburgs‘ (1927) produzieren (Ebenda, 37). Da die sowjetische Filmproduktion anfänglich zu gering war, um die rund 9.000 Kinos (1928) (Beumers 2009, 41) des Landes versorgen zu können, mussten Filme in großer Zahl importiert werden. Die in den Jahren 1922 bis 1924 gezeigten Filme waren zu 90 bis 95 Prozent ausländische. Gegen Ende des Jahrzehnts ging ihr Anteil deutlich zurück: 1927 waren die Kartenerlöse für aus- und inländische Filme bereits ausgeglichen, und ab 1928 nahm die Zahl ausländischer Filme drastisch ab (Ebenda, 41–42; Thompson 1985, 133). Diese Entwicklung hatte auch damit zu tun, dass Ende der 1920er-Jahre die Zentralisierung der Kinoproduktion vorbereitet und 1930 Sojuskino als staatlicher Filmkonzern gegründet wurde, der westlichen Filmen und dem Avantgardekino feindlich gegenüberstand. Die öffentliche Vorführung ausländischer Filme kam – von den wenigen Ausnahmen, in denen ein negatives Bild westlicher Länder gezeichnet wurde, zu einem Ende. Ab 1934 war nur mehr ein einziger ästhetischer Stil zugelassen – der Sozialistische Realismus, auf den weiter unten noch zurückzukommen sein wird (Shaw; Youngblood 2010, 38). Am 20. März 1946 wurde die sowjetische Filmindustrie dem neu gegründeten Ministerium für Kinematografie untergeordnet, was dem Film unter den Künsten einen besonderen Status verlieh und ihn noch stärker unter staatliche Kontrolle

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brachte. Dies dürfte wohl mit dem sich abzeichnenden Kalten Krieg in Zusammenhang gestanden haben und geschah zu einem Zeitpunkt, als die Filmindustrie einem Kollaps nahe war. Durchschnittlich wurden nur mehr etwa 20 Spielfilme (in den späten 1920er-Jahren waren es um die 150 gewesen) pro Jahr hergestellt; bis 1951 sank die Filmproduktion auf jährlich neun Produktionen ab. Dies war auf Interventionen Stalins zurückzuführen, der eine geringere Zahl, dafür aber ideologisch vorbildhafte Filme wünschte (Ebenda, 40–41). Mit dem politischen Tauwetter, das nach dem Tod Stalins 1953 einsetzte, erfolgte eine Abwendung vom monumentalistischen Film der Stalinzeit. Die veränderten Rahmenbedingungen ermöglichten, dass sich junge Regietalente profilieren konnten, die versuchten, an den Höhepunkt der sowjetischen Kultur in den 1920er-Jahren anzuknüpfen, um in einen kreativen Wettbewerb mit Hollywood eintreten zu können. Die Filmproduktion erhöhte sich drastisch und überschritt gegen Ende der 1950er-Jahre wieder die Hundertergrenze. Darunter befanden sich künstlerisch hochstehende Produktionen, die sowohl in der SU als auch im Westen Geschichte machten, wie Mihail Kalatozovs ‚Wenn die Kraniche ziehen‘ (1957), Sergej Bondarčuks ‚Ein Menschenschicksal‘ (1959), Grigori Čuhrais ‚Die Ballade vom Soldaten‘ (1959) oder Andrej Tarkovskis ‚Ivans Kindheit‘ (1962). Diese Filme wurden im Ausland sehr positiv aufgenommen und gewannen Preise auf internationalen Filmfestivals. Sie revidierten das herrschende Bild vom Großen Vaterländischen Krieg, indem sie die menschlichen Kosten dieses Krieges hervorstrichen (Ebenda, 48–51). Der Geist des Tauwetterfilms äußerte sich außerdem darin, dass er ein gutes Leben darstellte, das sich nun nicht mehr in Wachsamkeit und Denunziation äußerte, sondern in der Entwicklung persönlicher Beziehungen:  Familie, Freunde und romantische Liebe standen nun im Zentrum. Die ideologische Botschaft war, dass das sowjetische Leben letztlich das bessere war, obwohl es im Vergleich zum Westen von materieller Bescheidenheit charakterisiert war. Die Regisseure ließen sich vom Hollywoodstil inspirieren, ohne jedoch mit den Konventionen des Sozialistischen Realismus zu brechen (Ebenda, 48–51). Der Sozialistische Realismus war Mitte der 1930er-Jahre eingeführt worden. Im August 1934 fand der Erste Kongress der 1932 gegründeten sowjetischen Schriftstellervereinigung statt. Er beschloss, den Sozialistischen Realismus als einzige Methode der künstlerischen Arbeit zu akzeptieren. Die Kunst sollte die sozialistische Idee, den nationalen Charakter und die Loyalität zur Partei zum Ausdruck bringen sowie die Realität in ihrer revolutionären Entwicklung darstellen. Die Grundsätze des Sozialistischen Realismus – der Terminus wurde angeblich von Stalin und Maksim Gorki geprägt – wurden in den Reden des Parteiideologen Ždanov und Gorkis erläutert. Von der Literatur ausgehend wurde er von den anderen Künsten über-

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nommen. Die Allunionskonferenz für Kinoangelegenheiten übernahm 1935 dessen Grundsätze (Toeplitz 1968, 8–10; Beumers 2009, 78; Zimmermann 2014, 168–169). Laut Reden und Papieren des Schriftstellerkongresses sollte sozialistisch-realistisches Schaffen auf drei Ebenen ansetzen: 1) Realität muss als historischer Prozess gesehen werden, der seine Wurzeln in der Vergangenheit und eine Perspektive in die Zukunft hat. Dies ist nichts anderes als die Anwendung des marxistischen historischen Materialismus. 2) Kunstschaffende verfolgen immer eine erzieherische Absicht. Die Kunst soll das Publikum dazu bringen, den Geist des Sozialismus zu akzeptieren. 3) Es werden nur künstlerische Ausdrucksmittel angewendet, die für die Öffentlichkeit einleuchtend sowie klar und leicht verständlich sind. Um einen Film klar zu gestalten, ist der Dialog vorrangig und das visuelle Experiment abzulehnen (Toeplitz 1968, 8–10). Trotz erster Festlegungen und Grundsätze war anfänglich noch nicht klar, was diesen neuen Realismus konkret ausmachte. Dies sollte sich erst nach und nach in der Praxis herausstellen. Es handelte sich jedenfalls um eine bewusst ideologisch ausgerichtete Ästhetik, die jener à la Hollywoods entgegengestellt werden sollte. Andrej Aleksandrovič Ždanov war jener sowjetische Parteiideologe, der sich am meisten um die Konkretisierung des Sozialistischen Realismus kümmerte und der von 1946 bis zu seinem Tod für die sowjetische Kulturpolitik zuständig war. ‚Ždanovismus‘ wurde dadurch zu einem beliebten Parallelbegriff. Er verstand Kunst als ideologische Kampfeswaffe, die zur Realisierung einer sozialistischen Gesellschaft beizutragen hatte. Zu diesem Zweck sollte der Film eine klar erkennbare Frontstellung bzw. Dichotomie aufbauen: der niederträchtige Schurke, der die sozialistische Idee hintertrieb, und der Held, der für diese kämpfte und dem das Publikum nacheifern konnte. Ždanovs Held war beinahe immer ein Russe oder Sowjet, gewöhnlich unter 30 Jahre alt und durch seine sozialistische Einstellung motiviert. Sein Bewusstsein für die sozialistische Sache wuchs im Laufe der Handlung, was ihn dazu brachte, sich mit dem Kollektiv zu identifizieren und Wundertaten im Namen des Sozialismus zu vollführen. Trotz aller Widerwärtigkeiten triumphierte er schließlich. Die Schurken waren beinahe immer männlich, im mittleren Alter, Ausländer oder Agenten einer fremden Macht und wurden von sowjetfeindlichen Kräften inspiriert (Stoil 1982, 26–32). Das Problem von Ždanovs Konzept neben der propagandistischen Simplifizierung seiner Figuren und des belehrenden Charakters der Filme war von Anfang an, dass die Botschaften des sozialistisch-realistischen Filmes alle erreichen sollten – vom ungebildeten Arbeiter und Bauern bis zu den Intellektuellen. Ein zusätzliches Problem war, dass der typische Plot und die Charaktere eines Ždanov-Films wenig mit dem Leben und den Erfahrungen des Publikums und seinen Wertvorstellungen zu tun hatten (Ebenda, 26–32).

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Jerzy Toeplitz, der langjährige Leiter der Filmhochschule im polnischen Łódź, kommt in einem bemerkenswerten Beitrag aus dem Jahr 1968 zu dem Ergebnis, dass die erzieherisch-ideologische Absicht im Filmschaffen der sozialistischen Länder zu rigide verfolgt wurde. Der Sozialistische Realismus blieb daher keine bloße Methode, sondern wurde zu einer auf Parteiverordnungen oder -empfehlungen beruhenden strengen Formel. Diese hätten mitunter desaströse Auswirkungen gehabt, denn so logisch und sinnvoll sie erscheinen mochten, so wenig konnten sie auf das künstlerische Schaffen übertragen werden, da dadurch die Essenz der Kunst verloren ging. Zwar gebe es solche Parteianweisungen nicht mehr, jedoch hätten viele Filmschaffende sie internalisiert. Daher sei der Sozialistische Realismus gleichzeitig tot und nicht tot (Toeplitz 1968, 8–10). Dies waren in groben Zügen die sowjetischen Rahmenbedingungen der Filmproduktion, die auf die jungen sozialistischen Balkanländer übertragen wurden: eine zentral gelenkte Filmindustrie, die ausschließlich den Sozialistischen Realismus als ästhetische Ausrichtung zuließ. Dieser Transfer setzte durch sowjetische Berater ein, die in die jungen sozialistischen Staaten entsandt wurden, um den Aufbau der Filmproduktion anzuleiten. Die Verbreitung des Ždanovismus sollte mit der Konsolidierung der politischen Macht der Kommunisten, der Nationalisierung des Kinos und dem Aufbau einer Filmindustrie zusammenfallen. Insofern waren solche Leitlinien in der anfänglichen Filmproduktion willkommen, um der ‚degenerierten und korrumpierenden‘ westlichen Art des Filmemachens ein glaubhaftes und überzeugendes eigenes Konzept entgegenzustellen. Außerdem sollte so der Widerstand gegen den Kommunismus rascher überwunden werden. Wenn wir den Überblick über die Entwicklung in den einzelnen Staaten mit Jugoslawien beginnen, so kann der organisatorische Neubeginn auf den 16. Juli 1944 festgelegt werden, dem Gründungsdatum der ‚Filmsektion in der Propagandaabteilung des Oberkommandos der Befreiungsarmee‘. Ihr Begründer und erster Chef war Radoš Novaković, ein bekannter Nachkriegsregisseur, Filmhistoriker und langjähriger Professor für Theater, Film und Radio an der Fakultät für dramatische Künste in Belgrad. Die Sektion hatte die Aufgabe, Filmvertrieb und -vorstellungen zu organisieren. Zu diesem Zweck wurden Hunderte von Filmen aus verbündeten Ländern wie SU und Großbritannien importiert (Savković 1998, 206–211; Kirin 2015, 218). Nach der Auflösung der Sektion Mitte 1945 war Novaković maßgeblich für den Aufbau des zentralistisch ausgerichteten staatlichen Filmproduktionsunternehmens Zvezda verantwortlich. Im Juni 1946 formierte die Zentralregierung das ‚Komitee für Kinematografie‘ als oberstes Staatsorgan für die Entwicklung des Kinowesens. Tito selbst ernannte den surrealistischen Intellektuellen und Schriftsteller Aleksandar Vučo zu seinem Vorsitzenden. Das Komitee machte es sich unter

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Abb. 50: Radoš Novaković hinter der Kamera © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 51: Der angesehene Belgrader Schriftsteller Aleksandar Vučo © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 52: Vjekoslav Afrić, Regisseur des ersten jugoslawischen Films unter Tito – der Partisanenfilm ‚Slavica‘ (1947) © Jugoslovenska kinoteka

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anderem zur Aufgabe, eine Filmstadt am Košutnjak an der Peripherie Belgrads aufzubauen, eine Filmschule in Belgrad einzurichten und zwei Akademien in Belgrad und Zagreb zur Ausbildung von Filmtechnikern zu errichten (Goulding 2002, 1–3; Lim; Lim 2006, 124–125). Letzteres war dringend notwendig, mangelte es doch nach der sozialistischen Machtübernahme beinahe völlig an ausgebildetem Personal (Goulding 2002, 1–3). Der jugoslawische Film konnte in diesen Jahren auf lediglich 19 Fachleute für den künstlerischen und technischen Bereich zurückgreifen. Der Kroate Vjekoslav Afrić wurde als ehemaliger Partisan mit der Regie des ersten PartisanenAbb. 53: ‚Slavica‘ – „der erste heimische Spielfilm, films ‚Slavica‘ (1947) betraut. Er war aufgenommen in Split und Umgebung“ © Jugoslobereits in der Zwischenkriegszeit ein venska kinoteka bekannter und beliebter Schauspieler gewesen und hatte auch als Regisseur und Dramaturg Erfahrung (Toeplitz 1992a, 356–357). ‚Slavica‘ war der erste Spielfilm in den sozialistischen Balkanländern, der in sozialistisch-realistischer Manier in Zusammenarbeit mit sowjetischen Beratern hergestellt wurde. Daher sind einige Hintergründe über den Produktionsablauf nicht uninteressant. Anfänglich wussten die jugoslawischen Mitglieder des gemischten Produktionsteams wenig darüber, was Sozialistischer Realismus im Filmschaffen bedeutete. Er war jedoch ausdrücklich von der Politik gewünscht, die den sowjetischen Fachleuten vertraute. Über die Vorverhandlungen mit den sowjetischen Beratern wurde Stillschweigen gewahrt. Das Drehbuch wurde in Moskau als Prototyp für weitere Filme in Ländern mit Partisanengruppen, Widerstand und Kollaboration im Zweiten Weltkrieg ausgearbeitet. Wichtig für die jugoslawische Seite war, dass im Film Vertreter und Vertreterinnen aller jugoslawischen Völker vorkamen, dass die Klassenkomponente klar zutage trat und die Unterschiede zwischen Partisanen und Četniks deutlich wurden. Den Sowjets war wichtig, dass am Schluss bei der Befreiung Belgrads sowjetische Panzer und Truppen zu sehen waren. Als al-

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les fertig war, hatte Aleksandar Vučo den Charakter vorzuschlagen, man möge den Film gleich als sowjetischen bezeichnen, da die jugoslawische Mitwirkung lediglich formaler Natur gewesen sei (Volk 2001, 96–99; Wurm 2015, 186–192). Der Sozialistische Realismus bildete in Jugoslawien nicht mehr als eine ephemere Episode.72 Im Dezember 1949 verkündete das 3. Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei dessen Abschaffung (Vučetić 2010, 45). Im Rahmen des Übergangs zum Selbstverwaltungssystem wurde 1951 das Filmwesen reorganisiert. Die Filmschaffenden waren nicht mehr Staatsangestellte, sondern Selbständige, die zusammen mit den Produzenten teilweise vom Markterfolg ihrer Filme finanziell abhängig wurden. Gleichzeitig wurde der Filmimport aus dem Westen liberalisiert, um eine Wettbewerbssituation für die heimischen Produzenten zu schaffen (Kosanović 1996, 111). Auch die Verwaltung der Filmvorführungsstätten wurde reorganisiert. 1946 wurden die Kinos, die bis dahin von Privaten oder von Aktiengesellschaften betrieben worden waren, verstaatlicht. Die Belgrader Kinos wurden im Städtischen Unternehmen für die Vorführung von Filmen zusammengefasst, das 1954 in Belgrad Film umbenannt wurde. Dieses wie auch die analogen Unternehmen in anderen Städten waren bis in die 1950er- und 1960er-Jahre auch die operativen Träger der Kinematifizierung73 des Landes (Paramentić 1995, 284–286). Im sich formierenden Kalten Krieg wurden die noch zirkulierenden britischen Filme bald als politische Propagandafilme eingeschätzt und das noch bestehende Abkommen mit Großbritannien über die Einfuhr von Filmen ausgesetzt. Falls solche noch gezeigt wurden, sollten sie mit sowjetischen Filmen und Wochenschauen kombiniert werden. Die mittlerweile gleichgeschaltete Presse verurteilte westliche Filme, vor allem US-amerikanische, pauschal. Sie stünden im Dienst des US-amerikanischen Imperialismus, seien reaktionär und dekadent. Der in Belgrad laufende Film ‚Akkorde der Liebe‘ wurde von einem Kritiker in der Borba, der Parteizeitung, als banale Musical-Operette eingestuft. In Stan-und-Oli-Filmen würde mit billigen Tricks und formalistischen Effekten gearbeitet und eine oberflächliche amerikanische Lebensart propagiert. Sowjetische Filme hingegen würden die höchsten moralischen und charakterlichen Eigenschaften des Menschen hervorkehren (Marković 1996, 437–440). 72 Zum sozialistisch-realistischen Kunstschaffen in Jugoslawien allgemein siehe Zimmermann (2014), 171–178. 73 Dieser ungewöhnliche Terminus war in den sozialistischen Ländern üblich und meint nichts anderes als die Zahl der Kinos weitestgehend zu erhöhen und die Menschen in möglichst großer Zahl in die Kinovorführungen zu bringen.

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Abb. 54: Einer der gezeigten sowjetischen Filme mit Vorbildfunktion war ‚Seoska učiteljica‘ / Die Dorflehrerin © Jugoslovenska kinoteka

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Abb. 55: Ankündigung des US-amerikanischen Films ‚Carrie‘ (1952) mit Laurence Olivier und Jennifer Jones in den Hauptrollen – nach dem Roman von Theodore Dreiser ‚Sister Carrie‘ © Jugoslovenska kinoteka

Das jugoslawische Regime hatte bereits im November 1944 ein Repertoire eingerichtet, in dem der sowjetische Film dominierte. US-amerikanische Filme wurden vorläufig nicht mehr importiert und auf dem 5. Parteikongress im Jahr 1948 noch als „reaktionär und dekadent“ bewertet (Vučetić 2010, 43–44). Die politische Kehrtwende Jugoslawiens im Jahr 1948 hatte auch Auswirkungen auf den Filmimport. Waren noch 1948 lediglich ein einziger Film aus den USA und 40 aus der SU importiert worden, so war das Verhältnis im folgenden Jahr bereits ausgeglichen, und im Jahr 1950 wurde mehr kein einziger Film aus der SU, hingegen 33 aus den USA eingeführt; dazu kamen noch elf aus Großbritannien (Tabelle 52). Die völlige Importsperre für sowjetische Filme wurde bis 1954 aufrechterhalten.

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Tabelle 52: Nach Jugoslawien importierte Spielfilme 1944–1954 (nach Herkunftsländern)

Jahr 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954

USA – – 1 9 1 19 33 26 32 61 51

SU 15 50 64 48 40 18 – – – – –

Frankreich – 15 34 14 1 4 2 12 20 10 20

Italien 1 3 4 – 1 3 5 8 9 13 8

GB 3 2 – 1 3 8 11 17 20 14 33

ČSSR 1 8 7 12 4 – – – – – –

BRD – – – – – – 1 2 4 5 3

Quelle: Kosanović 1966, 84.

Mit dem vollständigen Importstopp von Filmen aus der SU verschwanden die sowjetischen Filme nicht sofort vom Markt, sondern wurden noch einige Zeit gespielt. Sowjetische Filme verloren allerdings von 1949 auf 1950 deutlich an Publikumsinteresse (Tabelle 53). Tabelle 53: Verkaufte Eintrittskarten für einheimische, sowjetische und andere Spielfilme in Jugoslawien 1947–1950

Jahr 1947 1948 1949 1950

einheimische Filme 2.402.024 5.399.322 5.973.537 3.664.862

sowjetische 28.432.397 37.879.820 32.151.881 10.707.019

andere 10.826.690 14.981.721 28.741.216 30.954.711

Quelle: Marković 1996, 441.

Tabelle 54 zeigt, dass die Zahl der Vorführungen sowjetischer Filme in den Belgrader Kinos im Verlauf des Jahres 1950 von 33 zu Jahresbeginn auf zwölf Prozent am Jahresende deutlich zurückging.

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Tabelle 54: Prozentuelle Verteilung der Filmvorführungen in den Belgrader Kinos 1950 (nach Exportländern)

Herkunft USA SU Jugo­ slawien GB

Jan.–Feb. 34,43 32,79 8,20 16,38

März–Apr. 36,73 24,49 8,16 14,29

Mai–Juni 23,08 20,00 6,15 36,92

Juli–Aug. Sept.–Okt. 28,77 33,87 9,59 8,06 9,59 17,74 31,50

22,50

Nov.–Dez. 44,83 12,07 6,90 22,50

Quelle: Djordjević 1996, 112.

Der plötzliche Anstieg an importierten Filmen aus den USA und Westeuropa in den Jahren 1949/50 stellte eine Herausforderung für die jugoslawischen Zensurbehörden dar. Diese stand zudem vor der Herausforderung, dass an der Spitze des Staats ein Filmliebhaber stand, der die Gewohnheit hatte, nach dem Abendessen in Gesellschaft seiner Familie und Gästen Filme in seinem Heimkino anzuschauen. Tito liebte es, Filme zu sehen, die eben erst eingetroffen waren und noch nicht die Zensurbehörde passiert hatten. Er konnte sich klarerweise nicht alle eingelangten Filme ansehen; das Problem für die Zensurbehörde war, dass sie nicht wusste, welche Filme Tito bereits gesehen hatte und wie er über sie dachte (Miloradović 2004, 103–105). Die Zensurkommission arbeitete von Anfang Jänner 1949 bis Anfang Juni 1950 täglich, um die anstehenden 633 Filme zu bewerten. 110 (17,3%) von ihnen wurden verboten; davon waren beinahe 50 Prozent US-amerikanischer, hingegen nur zwei sowjetischer Herkunft. Filme wie ‚Kalkutta‘ und ‚Zorro‘  wurden „aus offensichtlichen Gründen“ und ‚Casablanca‘ ohne Begründung verboten (Djordjević 1996, 14– 15). Was es mit den vier jugoslawischen Filmen in Tabelle 55 auf sich hatte, ist unklar. Tabelle 55: 1949/50 in Jugoslawien zensurierte Spielfilme (nach Herkunftsländern)

Herkunftsland USA GB Frankreich Deutschland Österreich Italien Jugoslawien SU Schweden Quelle: Djordjević 1996, 114.

Zahl der verbotenen Spielfilme 48 21 11 9 8 5 4 2 2

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Abb. 56: Ankündigung des Films ‚Kalin der Adler‘ / ‚Kalin Orelăt‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Abb. 57: Zahari Ždandov © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Im Unterschied zu Jugoslawien blieb Bulgarien dem Bündnis mit der SU treu. Während in Jugoslawien das Kinowesen bereits 1945 verstaatlicht worden war und daher auch relativ früh mit dem Aufbau einer Filmproduktion nach sozialistischen Kriterien begonnen werden konnte, vollzog Bulgarien diesen Schritt erst im April 1948. Die bestehenden privaten Produktionsfirmen und Kinos wurden verstaatlicht und in die Bulgarische Kinematografie übergeführt (Garbolevsky 2011, 25). Auch hier war kaum Infrastruktur vorhanden, als man 1950 begann, eine nationale Filmindus­ trie und später das Spielfilmstudio Bojana am Fuße des Vitoša-Gebirges aufzubauen. Die technische Ausrüstung wurde von der SU geliefert – und mit ihr Techniker und Berater (Lim; Lim 2006, 134). Der erste produzierte Spielfilm war Boris Borozanovs ‚Kalin der Adler‘ (1950), der noch unter der Ägide einer Privatfirma begonnen worden war. Zahari Ždanovs ‚Alarm‘ (1951) kennzeichnet den tatsächlichen Beginn des sozialistischen Films (Holloway 1986, 81–84). Der Sozialistische Realismus wurde offiziell erst im Jahr darauf durch den Bulgarischen Ministerrat dekretiert, der auch die Themen auflistete, die zu behandeln waren: etwa der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, die couragierte Führung der SU oder Nationalhelden aus der Zeit des osmanischen Jochs. Die Kenntnis des

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Abb. 58: Ein Technikraum im bulgarischen Spielfilmzentrum Bojana © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Marxismus-Leninismus für Drehbuchautoren und -innen sowie Regisseure wurde verpflichtend. Die primäre Aufgabe des Films war es, eine bestimmte Botschaft an die Massen zu richten. Um diese Linie abzusichern, wurde einer der besten sowjetischen Regisseure, Sergej Vasil'ev, im selben Jahr zum Kunstdirektor der Bulgarischen Kinematografie ernannt (Petrova 2006, 4–6; Piskova 2014, 142–146). Ähnlich verliefen die Anfänge des sozialistischen Films in Rumänien. Am 30. Dezember 1947 wurde die Volksrepublik Rumänien ausgerufen und knapp ein Jahr später, am 2. November 1948, das Dekret über die Nationalisierung der Kinoindus­trie und die Regulierung des Handels mit kinematografischen Produkten verabschiedet. Dieses Dekret bedeutete die Geburt einer sozialistischen Filmindustrie. Die Ausrüstung, die das Nationale Kinoamt hinterlassen hatte, war eher bescheiden: ein kleines Filmstudio im Zentrum Bukarests und ein Labor für die Ausarbeitung von Schwarz-Weiß-Filmen. Im Jahr 1950 wurde, 18 Kilometer von Bukarest entfernt, am Rande des Bufteasees das Zentrum für die kinematografische Produktion (auch BufteaStudio genannt) gegründet, das allerdings erst 1959 seinen Vollbetrieb aufnehmen konnte (Cernat 1982, 38–41; Ţuţui 2009a, 26; Filimon 2014, 95).

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Abb. 59: Beginn der Bauarbeiten für das Buftea-Studio © Arhiva Națională de Filme

Schwieriger war die Situation in Albanien, wo noch keinerlei Infrastruktur für eine Spielfilmproduktion existierte. Noch vor der Ausrufung der Volksrepublik am 11. Jänner 1946 hatte die Führung der Befreiungsarmee eine Kinoagentur gegründet und ihr die Verwaltung der 17 Kinos des Landes übertragen. Am 10. Juli 1952 konnte das staatliche Kinostudio Shqipëria e Re (Neues Albanien) mit Atelier und Kopierwerk eröffnet werden (Toeplitz 1992a, 361–363; Papagjoni 2009, 223). Da es in Tirana noch an Fachkräften für die Filmproduktion mangelte, wurden die ersten beiden Filme unter sozialistischer Ägide 1953 in Moskau gedreht: der Spielfilm ‚Skanderbeg – Ritter der Berge‘ und der Dokumentarfilm ‚Neues Albanien‘. Im Grunde handelte es sich um sowjetische Produktionen, denn Sergej Jutkevič war Regisseur bei ‚Skanderbeg‘ und Ilja Kopalin für ‚Neues Albanien‘; das albanische Personal erhielt eine Grundausbildung. Der albanische Historiker und spätere Präsident der Akademie der Wissenschaften Aleks Buda wirkte als Konsulent für ‚Skanderbeg‘ mit; die albanische Schauspielerin Besa Imami spielte eine Hauptrolle (Toeplitz 1992a, 361–363). Der erste genuine albanische Spielfilm, ‚Tana‘ (1958) mit Kristaq Dhamo als Regisseur wurde zu einer Zeit gedreht, als die ersten Studenten mit abgeschlossenen Regiestudium aus den kommunistischen Bruderländern zurückgekehrt waren, während die künftigen Kameraleute und Bühnenbildner noch in Ausbildung standen, sodass auftretende technische Probleme schwer zu lösen waren (Balauri 1996, 18–19).

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Die ersten langen Spielfilme Bulgariens, Jugoslawiens und Albaniens wurden also in Koproduktion mit der SU  hergestellt. Auch sonstige infrastrukturelle Maßnahmen wurden unter sowjetischer Beratung ergriffen. Die Ausrüstung, die die SU in den Anfangsjahren zur Verfügung gestellt hatte, erwies sich bald als veraltet und wurde in den späten 1950erJahren, Albanien ausgenommen, durch Ausrüstung aus dem Westen ersetzt (Stoil 1982, 55–56). In den sozialistischen Ländern wurde also unter viel Mühe eine Filmproduktion, die von den Inhalten und der Organisationsform her sozialistischen bzw. sowjetischen Vorstellungen entsprach, aufgebaut. Von Jugoslawien abgesehen, konnte sie erst in den 1950er-Jahren aufgenommen werden. Ein knappes halAbb. 60: Dreharbeiten für ‚Skanderbeg – Ritter bes Jahrhundert zuvor hatte in Serbien, der Berge‘ / ‚Skenderbeu‘ © Arkivi Qendror Shteteror i Filmit Bulgarien und Rumänien die Filmproduktion bereits einmal begonnen. Beide Anfänge waren schwierig und nur unter Einbindung ausländischer Fachkräfte und Technologie möglich. Auch die Ausbildung des Filmpersonals erfolgte im Ausland, in erster Linie in der SU. Die erste Adresse dafür bildete die Filmakademie in Moskau, die 1919 als ‚Hochschule für Kinematografie‘ gegründet worden war, 1930 zum ‚Staatsinstitut für Kinematografie‘ und 1934 zum ‚Allunionstaatlichen Institut für Kinematografie‘ (VGIK) im Rang einer Universität aufgewertet wurde. Sie wurde noch im revolutionären Geist gegründet und erwies sich als höchst experimentierfreudig: Traditionelle Hierarchien wurden gestürzt, konservative Lehrmethoden verworfen und radikale Filmtechniken ausprobiert. Die Lehrmethoden beruhten auf Projektbasis und Workshopsituationen, und die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis wurde aufgehoben. Der Gründungsdirektor Vladimir Gardin nutzte das Institut für die Entwicklung der Montage als zentrales Prinzip des sowjetischen Films (Petrie 2010, 33–34). In der Praxis hatten die Direktoren und Professoren große Freiheit. Sie wurden üblicherweise nicht aufgrund ihrer politischen Zuverlässigkeit, sondern wegen ih-

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Abb. 61: Großer Andrang vor dem Bukarester Kino Scala, das die rumänische Produktion ‚Fata Morgana‘ (1967) mit Dinu Manolache und Diana Lupescu in den Hauptrollen sowie Elefterie Voiculescu als Regisseur bringt © Arhiva Națională de Filme

res Rufs in der Filmindustrie ernannt. Daher erlangte diese Institution auch internationale Anerkennung (Miller 2007, 463–490). 1932 übernahm Sergei Eisenstein die Führung der Regiefakultät und nutzte sie als Forum für seine bahnbrechenden theoretischen Schriften über den Film. Das Curriculum, das er 1936 entwickelte, sah eine vierjährige, sehr strenge Ausbildung vor, die neben Theorie und Praxis des Filmemachens auch Philosophie, Sozialtheorie und die Künste im Allgemeinen umfasste (Petrie 2010, 33–34). Weitere wichtige Ausbildungsadressen, die von sozialistischen Balkanländern genutzt wurden, war die 1946 gegründete ‚Nationale Hochschule für Film, Television und Theater‘ im polnischen Łódź mit dem erwähnten Jerzy Toeplitz als Grün-

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dungsmitglied und Präsident sowie die 1945 gegründete Filmhochschule FAMU in Prag (Ebenda, 35–36). Die ersten Studenten der FAMU konnten Regie, Dramaturgie und Filmaufnahme studieren und mussten mit einem Dokumentarfilm und einem Erzählfilm diplomieren. In der Anfangsphase gab es noch kein Curriculum; Vorlesungen und Seminare wurden improvisiert abgehalten. 1950 wurde auf der Grundlage des Curriculums des VGIK der erste Studienplan ausgearbeitet. Die Ausbildung umfasste nun Philosophie, Kunst, Theater, Film, Musikgeschichte und Theorie mit den Schwerpunkten Regie, Stand- und Filmfotografie, Drehbuch und Filmmontage. In den 1960er-Jahren genoss die FAMU bereits einen weltweit ausgezeichneten Ruf, und selbst die Ereignisse des Jahres 1968 hatten keine Minderung der Ausbildungsqualität zur Folge (Bernard o.J.u.S.). Junge Leute wurden gewöhnlich so lange zur Ausbildung in das Ausland entsandt, bis eigene Ausbildungsstätten zur Verfügung standen. In Rumänien gründete man relativ früh eine solche. Als in Bukarest das Buftea-Studio seinen Betrieb aufnahm, wurde auch das Institutul de Arta Teatrala si Cinematografica (IATC) – das Institut für Theater- und Filmkunst – eröffnet, sodass die rumänischen Filmschaffenden üblicherweise nicht in Moskau studieren mussten. Der Regisseur Dinu Negreanu bildete eine Ausnahme. Nach Absolvierung eines Spezialkurses an der Leningrader Theaterakademie wurde er Chef des Nationaltheaters in Bukarest und des Buftea-Studios. Das IATC brachte in sieben Jahren 140 Filmschaffende hervor und wurde 1957 bis 1963 vorübergehend geschlossen, da das Land nicht noch mehr Fachleute benötigte (Lim; Lim 2006, 142). Albanien schuf mit der Gründung der Albanischen Akademie der Künste im Jahr 1966 eine systematische Ausbildung für Fachleute in der Filmproduktion. Sie umfasste die Sparten Musik, szenische Künste (Schauspiel, Regie und Inszenierung), Choreografie, Kinematografie (Regieausbildung, Kameraführung und Montage) sowie Darstellende Kunst (Papagjoni 2009, 14–16). Was Bulgarien betrifft, so wurde erst 1973 eine Filmakademie gegründet. Bis dahin wurden bulgarische Filmemacher üblicherweise in der SU, der ČSSR und in Frankreich ausgebildet. 1956 wurde beispielsweise zehn Studierende an das VGIK entsandt (Garbolevsky 2011, 21). In Bulgarien wie auch in den anderen kommunistischen Ländern investierte das politische Establishment viel Geld in die Errichtung moderner Studios und Beschaffung zeitgemäßer Ausrüstung. Die Filmemacher genossen hohes Ansehen, hatten gute Karrierechancen und kamen leicht zu Auslandskontakten, -reisen und -währung. Außerdem wurde ihnen viel Zeit für die Herstellung ihrer Filme eingeräumt. Die Filmemacher und wenigen -macherinnen waren deshalb jedoch keine Lakaien und Lakaiinnen ihrer Regime, sondern hatten das Bestreben, ihre persönlichen Visionen und Auffassungen über die Situation in ihrem Land zum Ausdruck zu bringen (Ebenda, 1–2).

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Abb. 62: Hristo Piskov © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Abb. 63: Szene aus dem Film ‚Montagmorgen‘ / ‚Ponedeljak sutrin‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Da die Herstellung von Filmen behördlicherseits begleitet wurde, wurden ihre Filmprodukte relativ selten zensiert, was nichts daran änderte, dass, wie etwa in Bulgarien, Filmemacher und -macherinnen immer wieder von der Parteiführung gemaßregelt wurden, weil sie sich nicht willfährig den Vorstellungen von Partei und Regierung unterwarfen. So etwa bezichtigte im Februar 1962 der Parteivorsitzende einige von ihnen, den Weg des Sozialistischen Realismus verlassen zu haben, und betonte, dass kreative Freiheit abseits der Parteilinie nicht gutgeheißen werden könne. Die jüngsten Werke bestimmter Filmemacher seien Unsinn und Ausdruck dekadenter pessimistischer Poesie, von Abstraktionismus und Pseudo-Avantgardismus (Ebenda 2011, 66–69). 1966/67 war es das Politbüro der Bulgarischen Kommunistischen Partei, das sich genötigt sah, zum Kampf gegen ideologische Abweichung aufzurufen. Im Zuge dessen wurden zwei Filme verboten: ‚Montagmorgen‘ (1966) und ‚The Attached Balloon‘ (1967). Ersterer war von Regisseur Hristo Piskov und seiner Frau Irina Aiktaševa hergestellt worden. Piskov hatte 1954 das VGIK absolviert, wo er Irina traf, die sich auf das Schauspiel spezialisierte. Der Film handelt über die Entwicklung einer jungen, freiheitsuchenden Arbeiterin und konnte erst 1990 gezeigt werden. Der zweite Film stammte von der ersten Regisseurin Bulgariens, Binka Željazkova. Sie drehte den Film, nachdem sie nach ihren ersten zwei Filmen Ende der 1950er-/Anfang der 1960er-Jahre von der Partei mit einem Berufsverbot von fünf Jahren belegt worden war. Er dreht sich um das kleine Dorf Čerkask und seine Begegnung mit

Filmproduktion Moskauer Zuschnitts

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Abb. 64: Szene aus dem Film ‚The Attached Balloon‘ / ‚Privârzanijat balon‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

einem Ballon, der während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen war (Ebenda, 78–80). Aufgrund des Films wurde sie für weitere fünf Jahre von Filmarbeiten ausgeschlossen. Sanktionen dieser Art blieben Ausnahmefälle und hatten auf die Filmproduktion, die von einem kontinuierlichen Wachstum charakterisiert war, kaum Auswirkungen. In Rumänien wurde 1949 und 1950 jeweils ein Spielfilm produziert; 1963 waren es bereits elf (Cernat 1982, 54–55; Stoil 1982, 56). Die Filmproduktion stieg bis in die frühen 1980er-Jahre an, um dann rückläufig zu werden.

280

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Tabelle 56: Spielfilmproduktion Rumäniens 1950–1989

Jahr Filme

1950 1

1951 2

1952 1

1953 1

1954 3

1955 4

1956 6

1957 9

1958 5

Jahr Filme

1959 5

1960 7

1961 10

1962 7

1963 11

1964 10

1965 15

1966 15

1967 11

Jahr Filme

1968 14

1969 11

1970 10

1975 23

1980 31

1985 19

1989 15

Quelle: Leontescu (Manu).

Ähnlich war die Entwicklung in Bulgarien, das im Jahr 1950 seinen ersten Film hergestellt hatte und seine Filmproduktion bis 1984 kontinuierlich auf 22 steigerte. Tabelle 57: Spielfilmproduktion Bulgariens 1951–1984

Jahr Filme

1951 2

1952 2

1953 1

1954 4

1955 2

1956 8

1957 6

1958 8

1959 4

Jahr Filme

1960 10

1961 9

1962 8

1963 8

1964 11

1965 8

1966 11

1967 13

1968 11

Jahr Filme

1969 17

1970 11

1971 15

1972 19

1973 16

1974 17

1975 17

1976 15

1977 17

Jahr Filme

1978 17

1979 18

1980 17

1981 13

1982 18

1983 16

1984 22

Quelle: Holloway 1986, 141–209.

Albanien, das im Jahr 1958 seine ersten beiden Filme selbstständig produziert hatte, konnte die Anzahl gedrehter Spielfilme von einem bis drei in den 1960er-Jahren auf durchschnittlich acht in den 1970er-Jahren und 14 in den 1980er-Jahren steigern (Papagjoni 2009, 219–220).

281

Filmproduktion Moskauer Zuschnitts

Tabelle 58: Spielfilmproduktion Albaniens 1958–1990

Jahr Filme

1958 2

1959 1

1960

1961 1

1962

1963 1

1964 1

Jahr Filme

1968 3

1969 3

1970 5

1975 9

1980 16

1985 13

1990 12

1965 1

1966 2

1967 2

Quelle: Mëhilli 2011, 201–203.

Keines der drei Länder konnte allerdings die Nachfrage durch Eigenproduktionen befriedigen. Die nötigen Importe stammten hauptsächlich aus den sozialistischen Bruder- und Schwesterländern. Filmimporte aus den USA wurden tunlichst vermieden. In die SU der 1950er- und 1960er-Jahre wurden jährlich durchschnittlich nicht mehr als fünf Filme aus den USA eingeführt, und diese mussten – sofern es sich um keine Komödie oder kein Musical handelte – einen kritischen Blick auf das Leben in den USA werfen. Polen importierte von 1945 bis 1967 immerhin 336 Filme, allerdings konnten ‚Doktor Schiwago‘ und ‚James Bond‘ bis 1989 nicht gezeigt werden (Segrave 1997, 213–214; Vučetić 2010, 49–50). Unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee in Bulgarien am 9. September 1944 wurde die Vorführung deutscher, ungarischer und italienischer Filme gestoppt. Dadurch entstand ein empfindliches Versorgungsdefizit, das durch Importe aus anderen Ländern kompensiert werden musste. Von den 316 Filmen, die 1945 eingeführt wurden, stammte mehr als die Hälfte aus den USA und 78 aus der SU. Die ab 1946 von Kommunisten angeführte Mehrparteienregierung verabschiedete noch in diesem Jahr ein neues ‚Gesetz über die Kinokultur‘. Dieses versetzte den Staat in die Lage, den Markt, die Produktion und den Vertrieb von Filmen zu kontrollieren. Die britische und US-amerikanische Reaktion war, ihre noch zirkulierenden Filme, also mehr als die Hälfte aller, zurückzuziehen. Um dies einigermaßen wieder auszugleichen, mussten italienische und ungarische Filme (insgesamt 104) wieder zugelassen werden (Garbolevsky 2011, 28–29). Ab dem folgenden Jahr nahm der Import sowjetischer Filme rasch zu. Im Jahr 1947 wurden 17 Millionen Eintrittskarten verkauft, davon entfielen knapp weniger als die Hälfte, nämlich acht Millionen, auf sowjetische Filme. Im Jahr 1950 wurden bereits in 87,2% aller Filmvorführungen sowjetische Filme gezeigt. Von den 39 Millionen verkauften Eintrittskarten entfielen 34 Millionen auf Filme aus der SU (Petrova 2006, 7; Garbolevsky 2011, 41). Die wenigen westlichen Filme waren außerordentlich beliebt. Tabelle 59 zeigt, dass die Popularität sowjetischer Filme von 1956 bis 1970 stark rückläufig war und jene aus anderen kommunistischen und westlichen

282

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Ländern analog zunahm. Hollywoodfilme kamen erst in den späten 1970er-Jahren in die Kinos. Sie wurden jedoch stets von Presseberichten begleitet, in denen auf die angebliche Sinnlosigkeit des Hollywood-Show-Business und die Schwäche der US-amerikanischen Gesellschaft hingewiesen wurde (Taylor 2006, 101). Tabelle 59: Herkunft der Spielfilme und ihr Publikum pro Jahr in Bulgarien 1956–1970 (in Millionen)

Herkunft Bulgarien SU Andere kommunistische Länder Westliche Länder

1956 6,7 35,1 19,0

1960 12,5 49,7 20,6

1962 15,6 48,1 31,6

1965 10,7 27,4 38,0

1967 9,6 26,2 38,6

1968 9,0 25,1 28,2

1969 11,2 26,0 30,0

1970 11,5 25,6 31,8

21,0

27,1

23,0

41,2

37,4

45,5

37,5

37,6

Quelle: Garbolevsky 2011, 104.

In Albanien stammten in den 1970er- und 1980er-Jahren etwa zehn Prozent der gezeigten Filme aus eigener Produktion. Die ausländischen Filme kamen hauptsächlich aus dem Westen, primär aus Italien und Frankreich, sofern sie keine Gewalt verherrlichten, politisch ‚neutral‘ waren und keine erotischen Szenen enthielten (Hetzer 1993, 695; Balauri 1996, 18–19). Die Wiederaufnahme der Filmproduktion in den sozialistisch gewordenen Ländern stellte sich also als sehr mühsam heraus und gelang nur unter Zuhilfenahme sowjetischer Berater und Technik. Dies, die Ausbildung erster Generationen an Filmfachleuten in Moskau oder an anderen Filmhochschulen und entsprechende Verordnungen der kommunistischen Parteien und Regierungen stellten sicher, dass die Filmproduktion bis in die späten 1960er-Jahre sich in einem bestimmten, sozialistisch-realistischen Rahmen bewegte. Rumänien etwa entfernte sich ab den späten 1960er-Jahren immer stärker vom Sozialistischen Realismus der 1950er-Jahre und übernahm den klassischen Hollywoodstil, ohne jedoch in den historischen Dramen, Abenteuerfilmen und Komödien den Boden der sozialistischen Ideologie zu verlassen (Filimon 2014, 96). Jugoslawien war bereits frühzeitig aus der sowjetischen Hemisphäre ausgeschert und begann sich ab den frühen 1950er-Jahren allmählich an Hollywood zu orientieren. In Griechenland und der Türkei blieb die Orientierung an Hollywood unhinterfragt. Hier hatte man im Unterschied zu den sozialistischen Ländern allerdings mit erheblichen Finanzierungsproblemen zu kämpfen.

Filmproduktion im Stile Hollywoods

283

Filmproduktion im Stile Hollywoods

Während in der Filmproduktion der sozialistischen Länder sowohl in personeller als auch in ästhetischer Hinsicht die Kontinuität zur Zwischenkriegszeit weitgehend unterbrochen wurde, blieb sie in Griechenland und in der Türkei großteils aufrecht. Sie war insofern nicht gegeben, als sich ab den 1950er-Jahren eine Massenproduktion einstellte, die jene der sozialistischen Balkanländer in den Schatten stellte. Dies kann hinsichtlich ihrer Qualität nicht behauptet werden. Denn diese Massenprodukte stellten vielfach nationale Adaptionen von Hollywoodprodukten dar, ohne über die Ressourcen Hollywoods zu verfügen, was auf Kosten der Qualität ging. Bis in die frühen 1950er-Jahre war die Infrastruktur für die Filmproduktion in wirtschaftlich schlecht entwickelten Ländern wie Griechenland und Türkei nicht zu vergleichen mit jener der industrialisierten europäischen Länder. Im krassen Gegensatz zu den staatlichen Produktionsfirmen in den realsozialistischen Staaten gab es auch keinerlei staatliche Initiativen zur Stimulierung der Filmproduktion – weder eine öffentliche Filmförderung noch eine staatlich unterstützte Filmschauspielausbildung74 (Potamitis 2003, 74–83). Im griechischen Fall war die Rolle des Staats sogar kontraproduktiv. Anstatt Produktionen zu unterstützen oder zu schützen, ließ er das Kino den Regeln des freien Markts ausgesetzt. Angebot und Nachfrage waren die einzigen Parameter, die den Charakter der Filmproduktion bestimmten. Der griechische Staat nutzte den Aufschwung des Kinos darüber hinaus für die Erhöhung seiner Steuereinnahmen. Er belegte billige Eintrittskarten mit 25 und teure mit 42 Prozent Steuern. Diese Einnahmen flossen jedoch nicht etwa in eine Filmförderung, sondern in die Unterstützung anderer Kunstsparten. Das Überleben vieler Filme ist individuellen Initiativen wie jener von Aglaia Mitropoulou zu verdanken, die, wie bereits erwähnt, eine Schlüsselrolle in der Gründung des Nationalen Filmarchivs im Jahr 1950 spielte (Hadjikyriacou 2013, 72–74). Verglichen mit dem professionellen industriellen Studiosystem Hollywoods stellte die griechische Filmproduktion ein wenig solides Handwerksgeschäft dar. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie noch im Rahmen von Familienunternehmen abgewickelt. Erfahrene Techniker – ehemalige Kameraleute und Filmvorführer – errichteten ‚Studios‘ in Lagerhallen mit Geräten, die aus zurückgelassener deut74

In Griechenland wurde die erste (private) Ausbildungsstätte für Filmschauspieler und -innen 1948 von Lykourgos Stavrakos in Athen gegründet. 1950 wurde diese vom griechischen Staat als einzige Filmakademie des Landes anerkannt (Karalis 2012, 57).

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

scher und alliierter Ausrüstung zusammengebastelt wurden. Auf diese Weise wurden Mikrofone, Kameras, Tonaufnahme- und Filmentwicklungsgeräte hergestellt. Die Folge war, dass in Filmen der Ton mitunter kaum hörbar war und Aufnahmen so dunkel waren, dass man nicht wusste, ob sie am Tag oder in der Nacht gedreht wurden. Charakteristisch für diese handwerkliche Struktur war auch, dass Produktionsfirmen nur einige Filme jährlich herstellen konnten – wenn überhaupt. Dadurch blieb auch die vertikale Integration von Produktion, Vertrieb und Kinobetrieb begrenzt. Es gibt nur zwei Beispiele durchgehender vertikaler Integration, nämlich Finos Films in den 1950er- und 1960er-Jahren und Karayiannis-Karatzopoulos in den 1960er-Jahren (Ebenda, 72–74). Die bedeutendste Produktionsfirma in der griechischen Kinogeschichte war Finos Films, da sie am längsten, nämlich knapp vier Jahrzehnte, Bestand hatte. Ihr Begründer, Filopimin Finos, hatte bereits Ende der 1930er-Jahre mit dem Tonfilm experimentiert (Papadimitriou 2006, 14; Karalis 2012, 36) und war nach dem Krieg die erste Produktionsfirma, die die Wichtigkeit der Investition in die Infrastruktur erkannte. Das Unternehmen war nach dem Modell des Hollywoodstudios organisiert, stellte langfristig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Bereichen Drehbuch, Regie, Schauspiel und Technik an, errichtete eine eigene Verleihbranche und führte nach internationalem Vorbild das System der Blockbuchung ein. Auf diese Weise versuchte es, der Fülle an Filmen, die von Kleinproduzenten auf den Markt gebracht wurden, etwas entgegenzusetzen (Papadimitriou 2006, 14–16). Was diese Kleinproduzenten anlangt, so gab es in der Saison 1949/50 lediglich sieben75, von denen jeder jeweils einen Film drehte. Zehn Jahre später, in der Saison 1959/60, waren es bereits 26, von denen beinahe die Hälfte jährlich zwei oder mehr Filme produzierte. In diesen zehn Jahren wurden über hundert Produktionsfirmen gegründet, von denen die meisten nach der Produktion eines einzigen Filmes wieder untergingen. 20 Firmen brachten jeweils zwei oder drei Filme heraus (Ebenda, 14–16). Manche Produktionsunternehmen waren bereits in der Zwischenkriegszeit ak76 tiv , doch viele kamen mit dem Ziel neu in das Filmgeschäft, ihre Unternehmensprodukte zu diversifizieren. Frühere Polizei- und Luftwaffenoffiziere, Besitzer von Reparaturwerkstätten, Nahrungsmittelgroßhändler, Techniker und sogar Journalisten versuchten ihr Glück im Filmgeschäft. In diesen zehn Jahren investierten lediglich Finos Films, Anzervos und Novak Film in ihre technische Infrastruktur. Andere aufkommende Firmen mieteten von ihnen Produktionsanlagen, Ausrüstung und Techniker (Ebenda, 14–16). 75 76

Finos Films, Spetzos Film, Anzervos, Novak Film, DAG Film, E.K.O und Studio A. DAG Film, Panyiotis Dadiras, Olympia Film, Janis Aliferis und Jal Films.

Filmproduktion im Stile Hollywoods

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Der Vertrieb und das Vorführgeschäft, also die vertikale Integration, wurde von wenigen Firmen, die für Hollywood vor Ort tätig waren77 und die mitunter auch Filme produzierten, kontrolliert. Die horizontale Integration von Produzenten, Regisseuren, Schauspielern und Kameraleuten beiderlei Geschlechts war fließend und mobil; man arbeitete an einem Film, ging wieder auseinander und fand sich in einer neuen Konstellation wieder: Der Drehbuchautor und Regisseur Nikos Tsiforos arbeitete in 19 Spielfilmen mit elf Produktionsfirmen zusammen; der Regisseur Grigoris Grigoriou drehte 13 Spielfilme mit zwölf unterschiedlichen Produktionsfirmen, und der Schauspieler Dinos Iliopoulos trat bis 1963 in 38 Filmen auf, die von 20 unterschiedlichen Unternehmen produziert wurden (Ebenda, 14–16). Für die erste Hälfte der 1950er-Jahre kann die Situation folgendermaßen beschrieben werden: Jährlich wurden etwa 20 bis 25 Melodramen in provisorischen Studios produziert. Die Regisseure lernten ihr Handwerk aus Büchern und ausländischen Filmen. Kameraschwenks waren selten, die Beleuchtung sowie der Ton schlecht. Die Filmberichterstattung war oberflächlich und erschöpfte sich in Skandalen von Stars. Um maximalen Profit zu erzielen oder einfach nur zu überleben, mussten die Produktionskosten möglichst gering gehalten werden und die Einnahmen möglichst hoch ausfallen. Wenig überraschend versuchten viele der Produktionsfirmen, durch die Nachahmung des Erfolgsmodells Hollywood den Betriebserfolg sicherzustellen (Ebenda, 14–16). Dies gelang allerdings nur unter großen Abstrichen, denn die beiden Filmindustrien waren von der Größe und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten nicht miteinander vergleichbar. Der klassische Hollywoodstil konnte in ästhetischer Hinsicht nur in einer sehr losen und flexiblen Art auf die begrenzten Möglichkeiten griechischer Produktionsverhältnisse übertragen werden. So lassen sich in griechischen Filmen klassische Erzählmodi und stilistische Aspekte Hollywoods erkennen; sie wurden allerdings nicht so systematisch implementiert wie im Original. Dafür waren finanzielle und technische Faktoren verantwortlich (Ebenda, 17–20). Die knappen finanziellen Ressourcen der meisten griechischen Produzenten hatten gravierende Auswirkungen auf die hergestellten Filme. Dies äußerte sich etwa in schlechter Ausrüstung, Beleuchtung und Tonqualität der Filme aus den 1950erJahren und in Low-Budget-Produktionen der 1960er-Jahre (Ebenda, 17–20). Eines der Charakteristika des griechischen Films war seine Abhängigkeit vom Theater. An der Wende von den 1940er- zu den 1950er-Jahren gab es, wie erwähnt, 77 Vassilis Lambiris und Milas Films vertraten beispielsweise United Artists, Takis Haniotis und Parthenon Films Columbia Pictures und Damaskinos-Michailidis Metro-Goldwyn-Mayer sowie Warner Bros.

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

zwei gut ausgestattete Produktionsfirmen: Finos Films mit drei und Anzervos mit zwei Aufnahmehallen. Sie prägten die ‚Hollywood Arkade‘78. Um frischen Wind in den Film zu bringen und sein Niveau zu heben, holten sie Schauspielerinnen und Schauspieler vom Theater. Das griechische Theater verfügte seit der Zwischenkriegszeit über begabte darstellende Künstlerinnen und Künstler sowie Skriptautoren. Einer der populärsten Verfasser von Komödienskripts für das Theater in den vierziger Jahren war Alekos Sakellarios. Finos Films bot ihm eine Zusammenarbeit an. Ein anderer Drehbuchautor aus dem Theatergeschäft, der sich für den Film interessierte, war Nikos Tsiforos; ihn holte Anzervos. Die Verbindung mit dem Theater war ein Schritt nach vorn, wenn es um Filminhalte ging. Gleichzeitig erinnert ihre Umsetzung stark an Bühnenstücke. Hollywood hingegen hatte bereits in der Zwischenkriegszeit diese Abhängigkeit vom Theater unterbrochen und die charakteristischen Ausdrucksmöglichkeiten des Films über den Kameraschwenk, den Schnitt und die Bildkomposition auszuschöpfen begonnen (Toeplitz 1992a, 417–419). Diese Grenzen der griechischen Filmproduktion erklären bis zu einem gewissen Grad auch die Dominanz von Komödien und Melodramen. Diese beiden Genres machten etwa 90 Prozent (davon waren zwei Drittel Komödien) der griechischen Filmproduktion aus (Eleftheriotis 2001, 186). Sie lockten die meisten Zuseherinnen und Zuseher, egal welchen Alters und welcher sozialen Zugehörigkeit, an. Die Billigfilme dieser Zeit wiederholten ein und dieselbe Geschichte immer wieder in leicht abgeänderter Form. Was die Komödien anlangt, so behandelten diese im Wesentlichen vier Themen: Familienbande und -integrität, verbotene Liebe (die Verliebten gehören unterschiedlichen sozialen Schichten an), Armut und Arbeitslosigkeit sowie tiefgreifende soziale und kulturelle Veränderungen. Die Geschichten spielten vielfach in urbanen Kontexten, zumeist in Athen, was für das Publikum offensichtlich am attraktivsten war. Für diese Entscheidung sprach außerdem, dass das Straßennetz auf dem Land noch sehr schlecht und eine Erlaubnis, Dreharbeiten in Dörfern durchführen zu dürfen, schwer zu erhalten war (Hadjikyriacou 2013, 85–86). Auch die Inhalte der Melodramen wiesen viele Ähnlichkeiten auf. In den meisten Fällen basierte die Dramatik auf dem Kummer eines jungen romantisch verliebten Paares. Sein größtes Problem ist seine unterschiedliche soziale Herkunft. Daneben gibt es die alleinerziehende Mutter auf dem Land, die aufgrund ihrer feindseligen 78 Die Bezeichnung ‚Hollywood Arkade‘ steht für das große Gebäude im Zentrum Athens (am unteren Ende der Akadimias-Straße nahe dem Kanningos-Platz), wo sich in den 1950er-Jahren die Büros der wichtigsten Produktionsfirmen befanden (Papadimitriou 2012, 149).

Filmproduktion im Stile Hollywoods

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Umgebung abwandern muss und Sängerin, Tänzerin oder Prostituierte wird (Papadimitriou 2006, 21–22). Neben Komödien und Melodramen spielte auch das Filmmusical als Genre eine gewisse Rolle. Das erste, ‚Erfreulicher Auftakt‘, kam in der Spielsaison 1954/55 in die griechischen Kinos und wies viele formale Ähnlichkeiten zu US-amerikanischen Musicals auf (Ebenda, 45–50). Dies gilt auch für ‚Sonntags … nie‘ (1959) mit Melina Mercouri in der Hauptrolle (Tsitsopoulou 2000, 79–81). Diese Filmmusicals à la Hollywood waren am Geschmack der Mittelklasse orientiert. In dieses Genre kam erst Bewegung, als 1965/66 ein junger Filmemacher, Giorgos Skalenakis, der in Prag studiert hatte, seinen ersten Film in Griechenland herstellte: ‚Den Syrtaki tanzen‘. Er versuchte, sich vom theatralischen und spektakulären Stil der bisherigen Filmmusicals zu lösen, und begründete ein nationales Musical, das im Alltagsleben sowie in der Kultur und Musik der Arbeiterklasse fußte (Papadimitriou 2006, 85–87). Das wichtigste Element, das Skalenakis einführte, war die Bouzouki, ein Lauteninstrument, das ursprünglich im Kontext der Rembetiko-Musik eingesetzt wurde und die Werte der Arbeiterschaft und Marginalisierten zum Ausdruck brachte. Durch diesen und nachfolgende Filme ähnlicher Ausrichtung wurde der Rembetiko in den 1960er-Jahren zum musikalischen Wahrzeichen Griechenlands. Allerdings mussten sich dafür einige seiner Inhalte grundlegend ändern: War zuvor etwa vom Vergnügen an Drogen die Rede, so fokussierte der Text nun auf die Liebe, die Freuden und die Mühsal des Arbeitslebens. Das einzige volksmusikalische Element, das dem Rembetiko verblieb, war die Bouzouki. Aber selbst sie wurde adaptiert, indem sie durch eine vierte Doppelsaite ergänzt wurde, was sie der Gitarre ähnlicher machte (Ebenda, 85–87). Sowohl die ‚Nationalisierung‘ des Rembetiko als auch die Popularisierung der Bouzouki waren weitgehend das Verdienst von Komponisten wie Manos Chatzidakis, Mikis Theodorakis und Stavros Xarchakos, die die ‚künstlerische Volksmusikbewegung‘ begründeten. Dieser Terminus ist ein Indiz dafür, dass sie den Status der Volksmusik, speziell des Rembetiko, zu heben versuchten, indem sie ihm künstlerische und mittelklassenkonforme Qualität verliehen. Dieses Projekt wurde hauptsächlich dadurch erfolgreich, dass die Komponisten westliche Formen der Harmonie und Orchestrierung mit musikalischen Elementen des Rembetiko kombinierten (Ebenda, 85–87). Rembetiko und Bouzouki trugen wesentlich zum Erfolg des griechischen Films in den 1960er-Jahren bei. Trotz des herrschenden Bürgerkriegs war in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre die Filmproduktion langsam wieder angelaufen. Während der 1950er-Jahre stieg parallel zum Wirtschaftsaufschwung auch die Filmproduktion deutlich an. Zwischen 1965 und 1975 existierten 243 Produktionsfirmen, von

288

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

denen allerdings nur wenige regelmäßig Filme herstellten. In der Saison 1966/67 wurde mit 118 Filmen die Produktionsspitze erreicht. Ab Mitte der 1970er-Jahre allerdings ging die Nachfrage aufgrund der zunehmenden Popularität des Fernsehens drastisch zurück, was ein deutliches Absinken der Produktion nach sich zog (Ebenda, 14–16; Hadjikyriacou 2013, 66). Tabelle 60: Spielfilmproduktion Griechenlands 1945–1968

1945 –

1946 4

1957/58 28

1947 5

1958/59 46

1948 8 1960/61 58

1949 7

1950 7

1961/62 68

1951/52 12 1962/63 82

1952/53 22

1963/64 92

1955/56 22

1966/67 118

1968 117

Quelle: Karalis 2012, 50, 79–80, 140; Psoma 2008, 159.

Erste, aus einer relativen Überproduktion rührende Krisenanzeichen hatte es bereits Mitte der 1960er-Jahre gegeben, als die Zahl der Eintrittskarten pro produzierten Film bis 1965 auf die Hälfte des Standes von 1950 gesunken war. Als Reaktion darauf schlossen sich Finos Films und Damaskinos-Michailidis 1966 zu einem Konzern zusammen, der in den folgenden fünf Jahren 50 Prozent des Verleihs und der Filmaufführungen kontrollierte. Aber auch diese Maßnahme konnte die Krise nicht abwenden (Papadimitriou 2006, 14–16). Die Entwicklungen in der Türkei der 1950er- und 1960er-Jahre verliefen teilweise ähnlich, teilweise wichen sie von jenen in Griechenland ab. Wie bereits erwähnt, erleichterten zwei Maßnahmen den Aufstieg des türkischen Films zu einem festen Bestandteil der Populärkultur der 1950er- und 1960er-Jahre. Die erste wichtige Voraussetzung war, dass 1948 die steuerliche Belastung von Eintrittskarten für einheimische Filme auf 20 Prozent gesenkt wurde, während jene für ausländische Filmprodukte weiterhin 70 Prozent betrug, was den Besuch einheimischer Filme wesentlich günstiger gestaltete und die Filmproduktion attraktiv machte. Waren in den drei Jahrzehnten von 1917 bis 1947 lediglich 58 Filme hergestellt worden, lag 1956 diese Zahl bereits bei 359 (Kaplan 1998, 618). Die zweite entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg des sogenannten Yeşilçam-Films79 war der Übergang von der Live-Tonaufnahme zur Postsynchro79

Bezeichnet nach der Yeşilçam Sokak (Grüne-Pinien-Gasse), einer Quergasse zur İstiklal Çaddesi in Beyoğlu/Istanbul, wo etliche Produktionsfirmen ihren Sitz hatten. Die Bezeichnung markiert auch die Produktionspraxis billig und schnell hergestellter Filme von etwa 1950 bis 1990.

Filmproduktion im Stile Hollywoods

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nisation. Das historische Verdienst diesbezüglich kam dem Film ‚Unruhiger Sommer‘ (1943) mit Faruk Kenç als Regisseur zu. Weil İpek Films die Dreharbeiten nicht ermöglichte80, entschloss er sich, den Film ohne Tonaufnahme zu drehen und ihn im Tonstudio des Produzenten Necip Erses, das damals fremdsprachige Filme synchronisierte, nachzuvertonen. Diese Methode verbilligte die Produktion wesentlich und stimulierte Nachahmung, was die Nachvertonung zur Standardpraxis werden ließ (Arslan 2011, 117–118). Sie hatte darüber hinaus den Vorteil, dass die Produzenten gutaussehende Schauspieler und Schauspielerinnen, die jedoch eine schlechte Stimme hatten, engagieren konnten und Souffleusen sowie Souffleure ihnen Zeit für das Auswendiglernen des Textes ersparten. Da es nur wenige Schauspieler und Schauspielerinnen gab, die sich selbst nachvertonten, wurde Nachvertonung zu einem eigenen und gut bezahlten Beruf. Jeder Film wurde in drei bis fünf Sitzungen zu jeweils drei Stunden nachvertont. Die Synchronstimmen, wenn sie nicht mit der Hauptstimme beauftragt waren, übernahmen üblicherweise mehrere Nebenstimmen. Die Synchronsprecherinnen und -sprecher standen in stets gleichbleibender Distanz rund um ein Mikrofon, unabhängig von der tatsächlichen Distanz der Schauspieler und Schauspielerinnen zur Kamera, was dem Ton etwas Unnatürliches verlieh (Erdoğan 2006a, 258–260). Dazu kam, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler zwar ihre Lippen bewegten, sie erweckten allerdings den Eindruck von Puppen, die vom selben Bauchredner ‚gesprochen‘ wurden. Die im Film zu hörenden Stimmen waren gewissermaßen entkörpert. Der türkische Filmhistoriker Erdoğan vermutet dahinter auch einen Modus, der dem religiös-muslimischen Publikum entgegenkam: Die auf der Leinwand agierenden Darstellerinnen und Darsteller erweckten den Eindruck lediglich halbfertiger Menschen, die sich nicht artikulieren konnten; sie mussten erst von anderen Stimmen ‚be-sprochen‘ werden (Ebenda, 262–264). Solche halbfertigen Schauspieler und Schauspielerinnen waren zur Nachahmung des Menschen nicht in der Lage. Diese beiden Maßnahmen sowie die in Schwung kommende Land-Stadt-Migration ließ die Zahl der Filmproduktionsfirmen exorbitant in die Höhe schnellen. Gab es bis zum Jahr 1939 lediglich maximal eine einzige Spielfilmproduktionsfirma gleichzeitig, so wurden in den 1950er-Jahren mehr als 120 neue Produktionsunternehmen gegründet. Im Durchschnitt bestanden gleichzeitig rund 70 Unternehmen, von denen die meisten über keine Studios verfügten. Dies zwang sie, sich einzumieten oder im Freien zu drehen. Es fehlte jedoch auch an geschulten Aufnahmeteams. 80 Nach einer anderen Version hatte İpek-Films seine Geräte zur Wartung nach Deutschland geschickt, und Kenç wollte ihre Rücksendung nicht abwarten (Erdoğan 2006a, 258–260).

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Um in der Filmproduktion tätig zu werden, benötigte man keine spezifische Ausbildung, da in diesen Billigfilmunternehmen jeder und jede – auch der Produzent – mehrere Aufgaben übernehmen musste. Daher entstanden viele Filme durch learning by doing: Regisseur und Produzent studierten Hollywood-Meisterfilme und versuchten sie nachzuahmen (Yılmazok 2012, 25–26). Der Yeşilçam-Film versuchte also ein kleines Hollywood auf Türkisch zu sein. Diese Praxis brachte ihm den Vorwurf des Plagiats ein. Dies mag sowohl für die generelle Intention als auch für bestimmte Teilbereiche der Praxis zutreffen. Die technischen und stilistischen Mittel unterschieden sich jedoch radikal von jenen in Hollywoodfilmen. Belichtung, Farbe, Synchronisation, Dialog, Aufnahmepraktiken und -perspektive sowie der Schnitt schufen selbst in den getreuesten Adaptierungen einen spezifischen Filmdiskurs. Um Zeit zu sparen, wurde die Frontalaufnahme bevorzugt und Schuss-Gegenschuss-Montagen sowie andere perspektivische Aufnahmetechniken vermieden (Erdoğan 2006a, 255). Auch Neuverfilmungen populärer Hollywoodfilme wird man kaum als Plagiat werten können, da sie historisch, politisch und kulturell in den türkischen Kontext übertragen werden mussten. In der türkischen Version von ‚Der Exorzist‘ verwendete der aus dem Koran lesende Imam (und nicht der Priester) Zamzam-Wasser (Wasser aus dem heiligen Zamzam-Brunnen in Mekka) und nicht geheiligtes christliches Wasser. Die Hauptdarstellerin besuchte eine Moschee, nachdem sie den Teufel in ihrer Seele besiegt hatte (Sarı Karademir 2012, 634–640). Die wenigen großen Produktionsfirmen, die sich lange am Markt behaupten konnten und kontinuierlich produzierten81, stellten Filme in besserer Qualität her und hatten daher weniger Probleme mit Absatz und Vertrieb. Sie waren beispielsweise in der Lage, Spielzeiten in den erstklassigen Istanbuler Kinos zu reservieren, was Kleinproduzenten, die ständig um ihr Überleben kämpften, nicht möglich war. Ihre prekäre Situation drückte sich etwa darin aus, dass von den 75 Produktionsfirmen, die im Jahr 1962 bestanden, zehn Jahre später nur mehr 19 existierten (Arslan 2012, 105). Die meisten dieser Kleinproduzenten spielten kaum ihre Ausgaben herein. Wenn ein Film kein Erfolg war, war es beinahe unmöglich, einen weiteren zu drehen, denn Banken gewährten für dieses unsichere Geschäft keine Kredite. Sie mussten also nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten suchen. So entwickelte sich ab den späten 1950er-Jahren ein System der Produktionsfinanzierung und des Vertriebs, in 81

Dazu gehörten Erler Film mit 169 Filmen, die von 1960 bis 1995 produziert wurden. Er Film produzierte ab 1961 150 Filme, Kemal Film, Saner Film und Erman Film etwas mehr als 100 (Arslan 2012, 105).

Filmproduktion im Stile Hollywoods

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dem regionale Filmverleiher eine zentrale Rolle spielten. Das Land wurde, Istanbul ausgenommen, in sechs Regionen aufgeteilt. Bevor ein Unternehmen mit den Dreharbeiten für einen Film beginnen konnte, musste es sich bei einem Regionalverleiher ein Darlehen in der Höhe von bis zu 80 Prozent des erforderlichen Bedarfs besorgen. Die Verleiher sicherten sich dadurch ab, dass sie sich für eine bestimmte Zeit die Vertriebsrechte für den Film in ihrer Region oder einen bestimmten Anteil an den Kartenverkäufen garantieren ließen. Über dieses Netzwerk an Regionalverleihern erhielten die Produzenten auch wertvolle Informationen aus den Regionen, was den Publikumsgeschmack, die Beliebtheit von Schauspielerinnen und Schauspielern, Themen und die bevorzugte Länge von Filmen betraf (Ebenda, 30–31). Zu diesem System gehörte auch, dass die Produktionsfirmen Darsteller und Darstellerinnen sowie Regisseure mit Schuldscheinen im Voraus zahlten, um sich ihre Mitwirkung für einen bestimmten Zeitraum zu sichern (Ebenda, 104–105). Da, wie ausgeführt, die meisten Yeşilçam-Filme chronisch unterfinanziert waren, mussten sie, um Aufnahmekosten einzusparen, binnen kürzester Zeit gedreht werden. Solche Quickies waren von fragwürdiger Qualität. Der Produzent und Regisseur Mehmet Karahafız produzierte den Film ‚Bombala oski bombala‘ mit dem Regisseur Çetin İnanç in zwei Tagen; Dreh und Schnitt dauerten jeweils einen Tag. Viele Filme wurden mit Handkameras und ohne Zuhilfenahme von Kränen und anderer professioneller Ausrüstung gedreht. Schauspieler und Schauspielerinnen, die vielfach nicht über eine formale Ausbildung verfügten, brachten mitunter ihre eigenen Requisiten und Kostüme mit. Der Abenteuerfilmstar Cüneyt Arkın musste selbst sein eigenes Pferd zu den Dreharbeiten mitbringen. Diese Rahmenbedingungen führten dazu, dass beinahe alle Filme, verglichen mit jenen Hollywoods, eine endlos erscheinende Zahl an Fehlern aufwiesen. Eine der Fehlerquellen war, dass 35-Milimeter-Filmstreifen halbiert wurden, um Filmmaterial zu sparen.  Der synchronisierte Sound wurde mit 17,5-Milimeter-Filmstreifen auf das Bildmaterial geschnitten, wodurch Lippensynchronisation und Bildqualität beeinträchtigt wurden (Ebenda, 109). Ähnlich wie in Griechenland zählte das an Hollywood orientierte Melodrama zu den populärsten Filmgenres. Das türkische Melodrama teilte ein wesentliches Element mit jenem à la Hollywood: die klassische Mann-trifft-Frau-Situation. Im Unterschied zum westlichen Melodrama, das meist von einem Familienkonflikt ausgeht und sich dann auf Individuen konzentriert, bleibt das Yeşilçam-Melodrama auf der Familienebene. Die Trennung eines Paares oder von der Familie stellen die typischen Ursachen für einen Konflikt dar, der in falschen Anschuldigungen, Entführungen und Missverständnissen seine Fortsetzung findet. Der Hauptkonflikt entfaltet sich zwischen Gut und Böse, reich und arm sowie ländlich und städtisch und

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wurde in türkischer Tradition durch die Autorität einer männlichen Figur gelöst (Dönmez-Colin 2008; Sarı Karademir 2012, 634–640). Neben dem Melodrama kam in den 1960er-Jahren der sozial-realistische Film auf, der die Folgen von Arbeiterstreiks oder der Land-Stadt-Migration thematisierte. Metin Erksans Film ‚Trockener Sommer‘ (1963) bearbeitet das Problem schutzloser alleinstehender Frauen in ländlichen Milieus; die Heldin heiratet schließlich den Bruder ihres verstorbenen Mannes. Yılmaz Güney lenkte mit seinem Film ‚Pferd, Frau, Gewehr‘ (1966) bereits große Aufmerksamkeit auf sich (Dönmez-Colin 2008, 30–31) und legte so den Grundstein für sein späteres Filmschaffen. Abb. 65: Werbung für den Film ‚Trockener SomDa das Kinopublikum zunehmend mer‘ / ‚Dertli Pinar‘ © TÜRVAK weiblicher wurde, begannen ‚Frauenfilme‘ eine immer größere Rolle zu spielen. Zu den vier Frauentypen, die man sich in den 1960er-Jahren am ehesten im Film erwartete, zählten die unterdrückte erotische, die unterdrückte unerotische, die gut erzogene asexuelle bürgerliche und die unerotische Frau, die ehrenhaft und geradlinig wie ein Mann war. Die traditionellen Geschlechterrollen und Familienwerte durften in diesen Filmen, speziell in jenen, die in der Provinz gezeigt wurden, nicht verletzt werden. Ehrenhafte Mädchen zogen sich nie aus, um zu einem Mann ins Bett zu steigen. Sexualität war ausschließlich ‚schlechten‘, unehrenhaften Frauen vorbehalten, und ‚gefallene‘ Frauen wurden nie glücklich (Dönmez-Colin 2008, 143–144). Die Hoffnung auf schnelle Gewinne ließ die Filmproduktion rasch ansteigen. Wurden 1948 18 Filme produziert, waren es 1952 bereits 56 und in den Jahren 1958 bis 1961 etwa 100 Filme pro Jahr. 1966 stieg die Produktion auf über 200. Die Spitze wurde 1972 mit über 300 erreicht. Bis 1980 fiel die Produktion wieder auf rund 160 Filme pro Jahr (Tabelle 61) zurück. Tabelle 62 zeigt deutlich, dass zwischen 1945 und 1955 die Zahl der Produktionsfirmen überproportional zur Zahl der produzierten Filme war; das durchschnittliche jährliche Einspielergebnis pro Unternehmen konnte daher nicht groß gewesen sein.

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Filmproduktion im Stile Hollywoods

Tabelle 61: Spielfilmproduktion der Türkei 1917–2011

Zeitraum 1917–1921 1922–1938 1939–1949 1950–1959 1960–1974 1975–1979 1980–1989 1990–1999 2000–2011

Produzierte Filme 6 24 77 540 2897 832 1124 138 434

Jahresdurchschnitt 1,2 1,4 7,0 54,0 193,1 166,4 112,4 13,5 36,2

Quelle: Yılmazok 2012, 249.

Tabelle 62: Anzahl der Produktionsfirmen und produzierten Filme in der Türkei 1945–1955

Jahr 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955

Anzahl Produktionsfirmen 2 5 8 11 9 11 23 32 31 36 44

Zahl produzierter Filme 2 6 12 18 19 22 36 61 41 51 62

Quelle: Berktaş 2013, 149.

Griechenland und die Türkei erlebten gemessen an allen relevanten quantifizierbaren Faktoren speziell in den 1960er-Jahren einen Kinoboom sondergleichen. Die Zahl der Kinos, verkauften Eintrittskarten, Produktionsfirmen und produzierten Filme stieg enorm an. In diesem Jahrzehnt wurden in der Türkei jährlich rund 200 und in Griechenland etwa 100 Filme produziert. Unter kapitalistischen Bedingungen war das Kinobusiness allerdings für die meisten Produktionsfirmen eine hochriskante Investition, was in den realsozialistischen Ländern keineswegs der Fall war.

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Das jugoslawische Kino stand ab 1948 irgendwo zwischen dem realsozialistischen und dem kapitalistischen Modell. Es hatte von beiden etwas und stellte somit einen Fall für sich dar. Filmproduktion in Jugoslawien

Jugoslawien, das anfänglich den von Moskau vorgezeichneten Weg ging, schlug nach der politischen Wende von 1948 einen eigenen Weg in der Filmproduktion ein. Am 5. April 1950 wurde der ‚Bund der Filmemacher Jugoslawiens‘ gegründet. Dessen Generalsekretär Vicko Raspop bezog sich in seiner Rede auf die ehemalige Zusammenarbeit mit der SU und den Film ‚In den Gebirgen Jugoslawiens‘ des russischen Regisseurs Abram Matveevič Room82, dessen Premiere im April 1947 stattgefunden hatte, verurteilte die SU scharf. Sie habe den Aufbau einer jugoslawischen Filmindustrie mit allen Mitteln verhindern wollen; die Filmproduktion sollte ausschließlich durch sowjetische Produktionsteams und Schauspieler und Schauspielerinnen erfolgen (Miloradović 2010, 82). Der Abrechnung mit dem ehemaligen Bündnispartner folgte eine völlige Reorganisation des jugoslawischen Filmwesens, das nun dezentralisiert und auf die Ebene der jugoslawischen Republiken verlagert wurde. Ausdruck dessen war, dass nun in Republiken Spielfilme produziert wurden, in denen bislang noch keine hergestellt worden waren. Das Abb. 66: Die sowjetische Produktion ‚In den GeUnternehmen Bosna film in Sarajebirgen Jugoslawiens‘ / ‚U planinama Jugoslavije‘, an der Nikola Popović und Vjekoslav Afrić als stellvervo produzierte als ersten Spielfilm tretende Regisseure mitwirken durften © Jugoslo‚Major Bauk‘ (1951); Vardar in Skopje venska kinoteka

82 Eine ausführliche Dokumentation und Beschreibung des Films findet sich bei Zimmermann (2014), 164–168.

Filmproduktion in Jugoslawien

Abb. 67: ‚Major Bauk’, hergestellt unter der Leitung des serbischen Regisseurs Nikola Popović © Jugoslovenska kinoteka

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Abb. 68: Ankündigung des ersten makedonischen Films ‚Frosina‘ mit Vojislav Nanović als Regisseur und Kiro Bilbilovski hinter der Kamera © Jugoslovenska kinoteka

drehte den ersten makedonischen Spielfilm ‚Frosina‘ (1952) noch mit einem serbischen Regisseur, aber einem makedonischen Kameramann. Der erste montenegrinische Film wurde 1955 von Lovćen film in Budva hergestellt: der Historienfilm ‚Der falsche Kaiser‘ mit Velimir-Velja Stojanović als Regisseur (Holloway 1996, 23– 24; Kosanović 1996a, 83–84; Goulding 2002, 233). 1968 wurde Kosmet film reorganisiert und in Kosova film umbenannt. Nach mehreren Dokumentarstreifen drehte der aus Belgrad stammende Regisseur Miomir Stamenković den ersten Spielfilm, den Kriegsfilm ‚Der Wolf von Prokletije‘ (1968). Die nunmehr eigenständigere serbische Provinz verfügte erst gegen Ende der siebziger Jahre über erste professionell ausgebildete albanische Filmregisseure. 1979 entstanden ihre ersten Filme. Besim Sahatçiu drehte die Fernsehserie ‚Wind und Eiche‘ und Ekrem Kryeziu83 den 83 Er wurde in Peja/Peć geboren, studierte an der Universität Zagreb und an der dortigen Kunsthochschule Dramaturgie und gehörte zu den ersten albanischen Studenten, die an einer Kunsthochschule im ehemaligen Jugoslawien ausgebildet worden waren. Er arbeitete als Drehbuchautor, Regisseur und Redakteur für das Fernsehen in Belgrad (1968–1973) und Prishtina (1974–1981) (Papagjoni 2009, 247–249).

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Abb. 69: ‚Der falsche Kaiser‘ / ‚Lažni car‘, der erste montenegrinische Film mit Velimir-Velja Stojanović als Regisseur © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 70: ‚Der Wolf von Prokletije‘ / ‚Vuk sa Prokletija‘ © Jugoslovenska kinoteka

Spielfilm ‚Wenn sich der Frühling verspätet‘ (Kosanović 1996, 118; Papagjoni 2009, 221). Jugoslawien konnte auf keine relevante Filmtradition zurückblicken, auf die der Spielfilm in sozialistischer Zeit hätte aufbauen können. Die Phase des Sozialistischen Realismus währte zwar nur kurz, doch niemand hatte sich bis dahin damit auseinandergesetzt, wie Filme anders als in der SU konzipiert werden könnten, ohne in das Fahrwasser Hollywoods zu geraten. Der erste Schritt in Richtung Loslösung vom sowjetischen Modell war, dass zumindest vorübergehend Abstand von der Produktion von Partisanenfilmen genommen wurde, da solche ohne sozialistischrealistischen Pathos und Schwarz-Weiß-Charaktere nicht denkbar waren. So wurde in Kroatien zwischen 1950 und 1956 kein einziger Partisanenfilm produziert, stattdessen konzentrierte man sich auf die Verfilmung literarischer Klassiker; Ähnliches war auch in Serbien und in Bosnien-Herzegowina der Fall (Pavičić 2008, 23–25). Der zweite Schritt war, Hollywood an jugoslawische Verhältnisse anzupassen. Darüber konnte in den 1950er-Jahren nicht öffentlich diskutiert werden; er wurde jedoch praktiziert. Regisseure wendeten zunehmend Praktiken der klassischen

Filmproduktion in Jugoslawien

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Hollywood-Dramaturgie an und verschmolzen sie mit der lokalen Ikonografie und Ideologie (Ebenda, 23–25). Hollywoodfilme waren enorm attraktiv. Das offizielle, dem Regime nahestehende und seit 1957 erscheinende Filmmagazin Filmska kultura berichtete regelmäßig positiv über Hollywoodregisseure. Gleich in der ersten Ausgabe erschien ein kompetenter Essay über Alfred Hitchcock. Affirmative Texte über das erstklassige Filmhandwerk Hollywoods wurden sorgfältig mit Texten gemischt, die über das ‚andere‘ Hollywood informierten, über seine Vorzensur und den Hays-Kodex. Zwar wurde Hollywood nie offen als Modell für Jugoslawien empfohlen, jedoch wurden stilistische Prinzipien, die dem klassischen Hollywoodstil immanent waren, gutgeheißen: die Dreiaktstruktur, die dramatische Einheit, die Vermeidung von SchwarzWeiß-Charakteren, der aktive Held, eine psychologisch überzeugende HandAbb. 71: ‚Wenn sich der Frühling verspätet‘ / ‚Kur lung und ein realistisches Setting. Vor pranvera vonohet‘ mit Ekrem Kryeziu als Regisdem Hintergrund dieses positiven Kliseur © Jugoslovenska kinoteka mas sollte es nicht verwundern, dass von einigen Ausnahmen abgesehen es von der Mitte der 1950er-Jahre bis Anfang der 1960er-Jahre kaum einen Film gab, der nicht mit einer Brise des klassischen Filmstils Hollywoods versehen worden wäre (Ebenda, 25–26, 28–30). Bis zum Ende der 1950er-Jahre hatte sich eine kleine Filmindustrie entwickelt, in der rund 1.500 Menschen beschäftigt waren84 (Kosanović 1966, 6). Regisseure und Drehbuchautoren waren gut bezahlt. Sie verdienten durchschnittlich 800.000 Dinar pro Film, was einem durchschnittlichen Dreijahreseinkommen entsprach; 84

Davon knapp 130 Regisseure, 45 Kameraleute und 160 Schauspieler und Schauspielerinnen (Kosanović 1966, 6).

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Abb. 72: Aleksandar Petrović in charmanter Gesellschaft © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 73: Petrovićs Drama ‚Zwei‘ / ‚Dvoje‘ erzählt von Mirko und Jovana, die sich ineinander verlieben – © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 74: ‚Der Meister und Margarita‘ / ‚Maestro i Margarita‘ – eine Verfilmung des Romans Michail Bulgakovs © Jugoslovenska kinoteka

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Abb. 75: Dušan Makavejev © Jugoslovenska kinoteka Abb. 76: Makavejevs Film ‚WR – Die Mysterien des Organismus’ basiert auf den Theorien Wilhelm Reichs und durfte erst in den 1980er-Jahren gezeigt werden © Jugoslovenska kinoteka

Drehbuchautoren und -autorinnen erhielten bis zu zwei Millionen Dinar für ein angenommenes Skript (Marković 1996, 464). Die 1960er-Jahre waren ein Jahrzehnt relativ großer künstlerischer Freiheiten – im Film, aber auch in der Literatur und den anderen Künsten. Diese ‚langen‘ Sechzigerjahre begannen mit den Filmen Aleksandar Petrovićs ‚Zwei‘ und Boštjan Hladniks ‚Tanz im Regen‘, die 1961 von einem neuen, experimentierfreudigen Film zeugten. Sie endeten mit Dušan Makavejevs ‚WR – Mysterien des Organismus‘ (1971) und Petrovićs ‚Der Meister und Margarita‘ (1972). Einschränkend muss gesagt werden, dass diese experimentellen Filme den weitaus geringeren Teil der Filmproduktion ausmachten. Der größere Teil war ästhetisch und thematisch konventionell ausgerichtet. Dieser war auch ideologisch konform – insbesondere, wenn es sich um Partisanenfilme handelte ( Jakiša 2013, 185–188).

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Die jugoslawische Filmavantgarde gruppierte sich lose unter dem Label novi film. Dieser Neue Film war begleitet von ideologischen Diskussionen über neue Formen der Selbstverwaltung, die eine offene Kulturdebatte ermöglichen sollten. Die Regisseure forderten die Befreiung des Films von ideologischen Dogmen und bürokratischer Kontrolle, die Förderung stilistischer Experimente in Form und Sprache sowie die Zulassung zeitgenössischer Themen über die dunklen Seiten des menschlichen Lebens (Goulding 2002, 62–65). Eine Zwischenbilanz im Jahr 1965 ergab, dass der Film zwar große Fortschritte erzielt habe, aber noch nicht Weltklasse sei (Raspor 1966, 14). Trotzdem war es so, dass einzelne Filme exportfähig waren. ‚Zastava‘ war der erste jugoslawische Film, der exportiert werden konnte, und zwar 1951 nach Israel. Bis 1958 konnten von 89 produzierten Spielfilmen 50 in 17 Länder der Welt exportiert werden; bis 1964 waren es insgesamt 155 Filme (Levi 1966, 12; Levi 1966a, 18). Einschränkend muss vermerkt werden, dass es nach dem Tod Stalins wieder relativ leicht war, jugoslawische Filme in die Ostblockländer zu exportieren. Etwa zwei Drittel bis vier Fünftel der exportierten Filme wurden dorthin verkauft (Marković 1996, 462–463). Die Spielfilmproduktion stieg kontinuierlich an und erreichte in den Jahren von 1967 bis 1970 die Spitze. 1967 wurden 31 einheimische Spielfilme und vier Koproduktionen mit ausländischen Partnerunternehmen hergestellt (Goulding 2002, 62–67). Tabelle 63: Spielfilmproduktion Jugoslawiens 1945–1964 (nach Republiken)

1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958

Bosnien

Kroatien

– – – – – – 1 – – 2 2 2 3 2

– – 1 – 1 1 1 1 2 1 4 2 5 2

Makedonien – – – – – – – – – – 1 – 1 1

Montenegro – – – – – – – – – – 1 2 1 1

Serbien

Slowenien

– – 1 3 2 3 2 2 5 3 5 6 5 9

– – – 1 – – 2 2 2 1 2 1 3 3

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Kino als populäres Massenphänomen

1959 1960 1961 1962 1963 1964 Zusammen

3 – 2 5 1 4 27

2 4 9 5 6 6 53

3 – 2 – – 2 10

2 2 4 – 1 – 14

4 7 10 9 8 7 91

2 3 6 4 2 2 36

Quelle: Kosanović 1966, 75–76.

Im Vergleich zur Filmproduktion Griechenlands und der Türkei fiel jene Jugoslawiens quantitativ bescheiden aus. Qualitativ waren die Filme bestimmt besser als die meisten der türkischen und griechischen Filme. In der Teilrepublik Serbien wurden mit deutlichem Abstand vor Kroatien die meisten Filme produziert. Die Filmproduktion in Montenegro und Makedonien war naturgemäß schwach ausgeprägt (Tabelle 63). Das Filmschaffen in Jugoslawien war einer geringeren ideologischen Kontrolle ausgesetzt, als dies in den anderen kommunistischen Ländern der Fall war. Das Abrücken vom Sozialistischen Realismus als einzig zulässige ästhetische Form öffnete Räume für Filmexperimente, die in den realsozialistischen aus ideologischen und in den kapitalistischen Ländern der Region aus kommerziellen Gründen nicht möglich gewesen wären. Was Balkanländer jedoch miteinander verband, war, dass das Kino spätestens in den 1960er-Jahren zu einem visuellen Massenphänomen aufgestiegen war. Kino als populäres Massenphänomen

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren insbesondere die ländlichen Regionen der Balkanländer im europäischen Vergleich mit Kinos relativ unterversorgt gewesen. Der Kinobesuch war daher ein primär städtisches Phänomen geblieben. Die sozialistischen Balkanländer unternahmen in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg große Anstrengungen, die Zahl der Kinos drastisch zu erhöhen; insbesondere galt es, die ländlichen Gebiete für das Kino zu erschließen, da ihre Bevölkerung den Absichten der neuen Staatsmacht im Allgemeinen sehr skeptisch gegenüberstand. Das Ziel dieser Kinematifizierungsanstrengungen war klar: Das Kino eignete sich hervorragend als Propagandainstrument. Interessant, jedoch im Lichte der bisherigen Ausführungen nicht überraschend ist der Umstand, dass in den Balkanländern das Kino in einer Zeit zum primären visuellen Massenvergnügen aufstieg, als es in den westlichen Industrieländern

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

aufgrund der Konkurrenz des Fernsehens bereits wieder im Abstieg begriffen war. Zur Verdeutlichung dieser Tendenz können die Kinostatistiken Neuseelands und Großbritanniens beitragen, wobei Neuseeland um die Jahrhundertmitte nicht als hoch industrialisiertes Land bezeichnet werden kann. Im Falle Neuseelands stieg die Zahl der Kinos bis zum Jahr 1950 an, um dann kontinuierlich wieder abzunehmen. Die Zahl der verkauften Kinokarten hingegen erhöhte sich bis 1961, um dann drastisch rückläufig zu werden. Tabelle 64: Anzahl der Kinos und verkauften Karten in Neuseeland 1939–1975

Jahr 1939 1945 1950 1954 1961 1965 1975

Verkaufte Karten (in Mio) 29,8 35,4 36,4 37,4 40,6 26,0 15,0

Anzahl der Kinos 576 551 600 582 545 397 203

Quelle: Statistics New Zealand (o.J.u.S.).

In Großbritannien hingegen stieg die Zahl der verkauften Kinokarten lediglich bis 1946 an und ging ab 1955 drastisch zurück. Tabelle 65: Anzahl der verkauften Kinokarten in Großbritannien 1935–1970

Jahr 1935 1940 1945 1946 1947 1950 1955 1960 1970

Verkaufte Kinokarten 912,3 1309,0 1585,0 1635,0 1462,0 1365,0 1181,8 500,8 193,0

Quelle: Film Distributors’ Association (o.J.u.S.).

In den USA besuchten im Jahr 1930 wöchentlich 80 Millionen Menschen das Kino (65 Prozent der Bevölkerung) und 1946 sogar 90 Millionen. Ab dem folgenden Jahr

303

Kino als populäres Massenphänomen

sollten die Besuchszahlen, ähnlich wie in Großbritannien, rückläufig werden. Für diesen Rückgang war das Aufkommen des Fernsehens hauptverantwortlich. 1950 waren 3,9 Millionen und 1955 bereits 30,7 Millionen Haushalte mit Fernsehgeräten registriert, was eine Zunahme von 87 Prozent bedeutet (Pautz 2002, 54–66). Auf dem Balkan müssen wir hinsichtlich des Ansteigens der Kinozahlen zwischen den sozialistischen und den nicht sozialistischen Ländern unterscheiden. Während die Ersteren eine staatliche Politik der Kinematifizierung verfolgten, gehorchte in Letzteren die Anzahl der Kinos den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. In Albanien waren unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg lediglich 15 bis 20 Kinos registriert gewesen. Um 1960 waren bereits 150 Filmvorführstellen in Betrieb; bis 1970 stieg deren Zahl inklusive der mobilen Kinos sprunghaft auf 450 an. Die Anzahl der ortsfesten Kinos stieg von 35 (1950) auf 72 (1960) und auf 102 (1980). Das Land war nun kinematifiziert; jede Stadt und jedes ländliche Zentrum verfügte über ein ortsfestes Kino. 1972 wurden mit etwa 20 Millionen die meisten Kinokarten verkauft. Anschließend ging es aufgrund der steigenden Zahl an Fernsehgeräten mit dem Kinobesuch bergab (Hetzer 1993, 695; Balauri 1996, 18–19; Papagjoni 2009, 218). In Bulgarien wurde 1948, nach der Verstaatlichung des Kinobetriebs, eine Zentralstelle für die Koordination einer systematischen Kinematifizierung des Landes geschaffen. Um die nicht elektrifizierten Dörfer zu erreichen, mussten mobile Kinos eingesetzt werden. Die Ergebnisse dieser Bemühungen waren ansehnlich: 1944 hatte es 213 ortsfeste Kinos gegeben; 1951 waren bereits 1.045 ortsfeste und 124 mobile Kinos registriert (Garbolevsky 2011, 26–28, 38). Die Zahl der Kinos war also binnen kurzer Zeit sprunghaft angestiegen. Mitte der 1960er-Jahre gab es in den bulgarischen Dörfern etwa 1.600 Kinosäle; 1939 waren es lediglich 32 gewesen (Brunnbauer 2007, 246). In den zwei Jahrzehnten zwischen 1944 und 1973 verzwanzigfachte sich die Zahl der Kinos landesweit beinahe (Tabelle 66). Tabelle 67 zeigt, dass der Schwerpunkt der Kinematifizierung in den Dörfern lag, wo der größte Nachholbedarf bestand. Tabelle 66: Anzahl der Kinos in Bulgarien 1944–1973

Jahr

1944 1950 1960 1970 1973

Anzahl der Kinos 213 764 1515 3170 3586

Quelle: Toeplitz 1992a, 346; Paramentić 1995, 280; Garbolevsky 2011, 41, 120.

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Tabelle 67: Kinematifizierung Bulgariens 1944–1950 (nach Stadt und Land)

Jahr 1944 1950

Kinos 213 764

Stadt 140 197

Land 73 567

Quelle: Garbolevsky 2011, 41.

Das ehrgeizige bulgarische Kinematifizierungsprogramm stieß allerdings in Regionen mit muslimischen Bevölkerungsanteilen auf beträchtliche Schwierigkeiten. Eine Untersuchung über den Blagoevgrader Kreis zeigt, dass die Hindernisse in der religiösen Überzeugung der Dorfbevölkerung und ihrer Skepsis gegenüber dem Neuen und Modernen bestanden. Ein anderes Problem war, dass es aus Sicht der dörflichen Bevölkerung nicht möglich war, dass Männer und Frauen gleichzeitig eine Kinovorstellung besuchten. Dies konnte nur durch spezielle Frauenvorstellungen bzw. durch die räumliche Trennung der Kinosäle in einen Männer- und einen Frauenbereich gelöst werden. Insgesamt besuchten nur wenige muslimische Frauen das Kino. Außerdem ist aus Berichten Mitte der 1950er-Jahre zu erfahren, dass selbst die bulgaro-muslimische Bevölkerung (Pomaken und Pomakinnen) mäßiges Interesse am Kino hatte, von der türkischen gar nicht zu sprechen (Vučkov 2012, passim). In Jugoslawien schritt die Kinematifizierung am raschesten voran. So gab es in Makedonien am Ende des Zweiten Weltkriegs lediglich 17 Kinos; 1953 waren es bereits 77. Diese Zahl stieg bis 1972 nur mehr unwesentlich auf 86 an (Stardelov 2007a, 147–150). In Serbien wurden in den wenigen Jahren von 1946 bis 1952 bedeutend mehr Kinos errichtet, als in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, nämlich 197 (Paramentić 1995, 284–286). Ein Blick auf die gesamtjugoslawische Kinoentwicklung zeigt, dass sich die Zahl der Kinos und die Platzkapazitäten von 1939 (de facto von 1946) bis 1953 verdreifachte und die durchschnittliche Bevölkerungszahl pro Kino analog dazu um zwei Drittel zurückging. Diese Zahlen stiegen bis zum Jahr 1964 nur mehr unwesentlich an. Das bedeutet, dass in den sieben Jahren von 1946 bis 1953 das Land flächendeckend mit Kinos versorgt wurde. Tabelle 68: Anzahl der Kinos und Kinositze in Jugoslawien 1939–1964

Jahr 1939 1953 1954

Kinos insgesamt 413 1326 1329

davon mobil 27 57 43

Kinositze gesamt 132.346 395.543 446.172

Bevölkerung pro Kino 37.763 12.857 13.005

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Kino als populäres Massenphänomen

1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964

1388 1366 1498 1524 1544 1588 1638 1613 1629 1675

39 32 52 50 57 65 68 65 86 100

466.712 453.908 475.397 494.070 505.930 528.413 539.208 547.682 546.938 553.930

12.622 12.946 11.922 11.823 11.798 11.588 11.360 11.678 11.703 11.510

Quelle: Kosanović 1966, 78; Kosanović 2011, 32–34.

Wir können also festhalten, dass die Kinematifizierung Jugoslawiens rasch abgeschlossen war; in Bulgarien dauerte dieser Prozess bis in die 1960er-Jahre und in Albanien bis in die frühen 1970er-Jahre. In Griechenland und der Türkei bestand im Vergleich dazu ein großes Problem darin, dass die Elektrifizierung der Dörfer nur langsam voranschritt. Während im Großraum Athen-Piräus 1961 bereits 95 Prozent der Haushalte elektrifiziert waren, begann eine durchgreifende Elektrifizierung der Provinz erst 1962 (Hering 1994, 127). Die Anzahl der Winterkinos in Athen und seinen Vorstädten verdoppelte sich in den wenigen Jahren von 1960/61 bis 1969/70 beinahe (Tabelle 69). Von den 1.055 Winterkinos, die 1969 in Griechenland registriert waren, befand sich ein Drittel in Athen (Hadjikyriacou 2013, 69). Tabelle 69: Anzahl der Winterkinos in Athen und seinen Vorstädten 1946–1970

1946/47 1950/51 1955/56 1960/61 1965/66 1969/70

59 59 76 152 268 347

Quelle: Hadjikyriacou 2013, 71.

Winter- und Sommerkinos zusammengenommen gab es im Jahr 1960 zumindest 350 Kinos in Athen; in Piräus bestanden weitere 140 und ähnlich viele in Saloniki und anderen großen Städten. Die anderthalb Jahrzehnte zwischen etwa 1955 und 1970 bildeten den Höhepunkt der Kinoeuphorie. Die in den 1950er-Jahren noch zum Großteil illiterate Landbevölkerung war dabei, massenhaft in die Städte ab-

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

zuwandern, wo sie über das Kino Informationen über Ereignisse im eigenen Land und in der weiten Welt erhielt. Das Kino war zur wichtigsten Informationsquelle in den unteren Schichten geworden (Sifaki 2003, 246; Karalis 2012, 79–80). Aufgrund der heißen Temperaturen hatten in der Sommersaison (Mai bis September)  nur die Freiluftkinos geöffnet. In den 1960er-Jahren stieg deren Zahl in Griechenland stark an und erreichte 1969 den Höhepunkt, als allein in Athen 559 geöffnet hatten. Die Filme waren mehr oder weniger dieselben, die zuvor in den Winterkinos angeboten worden waren. Die Kultur des Freiluftkinos war davon geprägt, dass sich in den Pausen hektische Aktivitäten entwickelten: Getränkeverkäufer erschienen, die Leute gingen zur Bar oder Toilette, die einen verließen das Kino, die andere kamen an. Das Werbematerial kündigte nicht nur Anfang und Ende einer Vorstellung an, sondern auch die Pause, die in keinerlei Weise mit der narrativen Struktur des Films abgestimmt war. Bekannte trafen sich an der Bar und versäumten den Wiederbeginn. Da die Eintrittskarte für alle Vorstellungen des Abends galt, schauten sich die Kinogäste den gleichen Film auch mehrere Male oder von Pause zu Pause an und nicht von Anfang bis zum Ende. Da es sich vielfach um Wiederholungen aus der Wintersaison handelte, kamen Zuseher und Zuseherinnen auch, um sich nur einen bestimmten Abschnitt nochmals anzusehen (Eleftheriotis 2001, 189–191). Das Kino wurde zur populärsten Unterhaltungsform. Ab 1963 wurden jährlich mehr als hundert Millionen Eintrittskarten verkauft; dies war gemessen an der Bevölkerungszahl der höchste Prozentanteil in Europa (Hadjikyriacou 2013, 65–66). Tabelle 70 zeigt, dass die Zahl der verkauften Eintrittskarten von 1956 bis 1969 kontinuierlich anstieg und sich in diesen 13 Jahren beinahe verdreifachte. Ab 1969 war die Zahl der verkauften Eintrittskarten stark rückläufig und fiel 1975 unter das Niveau von 1956. Tabelle 70: Kinokartenverkauf in Griechenland 1956–1975

1956 1960 1965 1969 1970 1975 Quelle: Hadjikyriacou 2013, 65.

56.918.637 84.164.611 121.137.252 135.275.538 128.599.812 47.927.821

307

Kino als populäres Massenphänomen

Das Kinonetz der Türkei war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gemessen an der Bevölkerung und Größe des Landes das am wenigsten entwickelte. Die Gründe dafür waren einerseits religiöser Natur, andererseits waren es die schlechte Verkehrsinfrastruktur und die mangelnde Stromversorgung auf dem Land. 1950 kam, nachdem bereits 1946 auf der Grundlage eines Mehrparteiensystems gewählt worden war, die Demokratische Partei an die Macht, die konservativ und wirtschaftsliberal war und das Land enger als bislang an die USA heranführte. Die gewährte Marshallplanhilfe ermöglichte Investitionen in die Infrastruktur. Das Verkehrsnetz wurde massiv verbessert, ebenso die Elektroversorgung, die nun Filmvorführungen auf dem Land erleichterte. Hinzu kam, dass eine massive Migration in die Industriestandorte einsetzte und somit mehr Menschen in das Kino brachte (Yılmazok 2012, 23–25). Tabelle 71 zeigt die Auswirkungen der infrastrukturellen Verbesserungen und demografischen Veränderungen. Nachdem sich bereits von 1939 bis 1947 die Zahl der Kinos und verkauften Eintrittskarten von einem äußerst niedrigen Niveau ausgehend verzweifacht hatte, verdoppelte sie sich in den acht Jahren von 1947 bis 1955 abermals. Tabelle 71: Anzahl der Kinos und verkauften Karten in der Türkei 1939–1955

Jahr 1939 1947 1955

Anzahl der Kinos 130 275 450

Verkaufte Eintrittskarten in Millionen 12 25 50

Quelle: Toeplitz 1992a, 421.

In den 15 Jahren von 1955 bis 1970 verfünffachte sich die Zahl der Kinos abermals; 1970 waren 2.424 Kinos registriert. Ungefähr die Hälfte von ihnen war allerdings nur in der Sommer- oder Wintersaison geöffnet. Eskişehir, in Zentralanatolien, hatte in den 1960er-Jahren mit seiner Bevölkerung von 209.000 15 Winter- und 16 Sommerkinos; in Bartin, am Schwarzen Meer, mit seinen etwa 10.000 Einwohnern und Einwohnerinnen waren vier Winter- und sechs Sommerkinos registriert (Büker 2002, 158; Arslan 2011, 123; Yılmazok 2012, 29–30). Das heißt also, dass die Statistik insofern täuscht, als nur jeweils etwa die Hälfte der Kinos Vorführbetrieb hatte. Bis zur Jahrhundertmitte bildete der Besuch von erstklassigen Kinos noch ein soziales Ereignis für die Elite, die, gedruckten Einladungen folgend, in Abendrobe zu Galavorstellungen erschien. Die Wirtschaftspolitik der Demokratischen Partei löste eine verstärkte Land-Stadt-Migration aus, wodurch das Kino immer mehr zu einem Massenphänomen wurde (Dönmez-Colin 2008, 26–29).

308

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

In Jugoslawien verdoppelte sich aufgrund der energischen Kinematifizierungspolitik in den sieben Jahren von 1953 bis 1960 die Zahl verkaufter Kinokarten; in den schwach entwickelten Teilrepubliken Bosnien-Herzegowina, Makedonien und Montenegro war der Zuwachs stärker als etwa in Slowenien und Kroatien. Interessant ist, dass auf gesamtjugoslawischer Ebene der Kinobesuch bereits ab 1960 wieder leicht rückläufig war; in Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Makedonien und Serbien setzte dieser Rückgang erst im Jahr darauf ein (Tabelle 72). Dies ist wieder ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Einführung des Fernsehens relational zu rückläufigen Kinobesuchszahlen war. Da die Menschen in den relativ wohlhabenden Teilrepubliken Slowenien und Kroatien früher in der Lage waren, sich Fernsehempfangsgeräte anzuschaffen, gingen in diesen beiden Landesteilen die Kinobesuchszahlen bereits ab 1960 zurück. Der Rückgang der Kinobesuchszahlen hatte jedenfalls nichts mit eventuell stark steigenden Eintrittspreisen zu tun. Die für 1967 bis 1971 vorliegenden statistischen Erhebungen zeigen, dass die Eintrittspreise für das Kino beinahe gleichblieben, während die Fernseh- und Radiogebühren deutlich anstiegen (Tabelle 74). Tabelle 72: Verkaufte Kinokarten in Jugoslawien nach Republiken 1953–1964 (in 1.000)

gesamt 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964

68.442 85.046 96.997 101.392 108.110 114.282 125.080 130.124 129.464 121.810 116.885 123.143

Bosnien

Kroatien

6676 8605 9847 10.734 10.759 11.805 13.553 13.640 14.345 13.886 13.731 14.382

20.461 23.791 27.124 28.518 30.474 31.892 34.848 37.133 35.605 32.740 32.185 33.282

Makedonien 4042 5041 5838 5928 6393 7116 8129 8652 9203 8997 8844 9161

Montenegro 994 1082 1354 1515 1751 1891 1882 1947 2144 2140 2429 2597

Serbien 25.285 33.718 39.065 39.615 43.620 45.637 49.486 51.563 51.647 48.428 44.231 48.133

Slowenien 10.984 12.809 13.769 15.082 15.110 15.941 17.182 17.189 16.520 15.619 15.465 15.588

Quelle: Kosanović 1966, 79.

Interessant ist, dass diese Steigerung nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass immer größere Bevölkerungskreise vom Kino angesprochen wurden, sondern auch dass die Menschen immer öfter ins Kino gingen. Besuchte der durchschnittliche

309

Kino als populäres Massenphänomen

Bosnier und die durchschnittliche Bosnierin im Jahr 1953 2,7-mal das Kino, so taten sie dies 1964 4,7-mal (Tabelle 73).

Serbien Vojvodina

Serbien Kosovo

2,7 2,9 3,6 4,6 4,5 4,8 4,7 4,9

3,8 4,7 5,4 5,3 5,9 6,0 6,6 6,7

6,0 8,3 9,4 9,8 10,5 10,8 11,4 11,8

1,6 2,4 3,0 2,7 3,1 3,0 2,8 3,5

4,1 5,3 6,1 6,1 6,7 6,9 7,4 7,6

8,1 9,4 1,0 10,0 10,8 11,3 12,1 12,0

8,6

7,2 5,0

6,2

10,7

3,5

7,0

10,7

3,7

6,7

1962

7,2

4,7

1961 1963 1964

7,8

6,9

7,1

5,0

9,4

4,6

8,4

4,7

8,6

7,5 5,2

6,9 5,6 7,1 5,9

6,7

5,6

6,0

11,6 9,6

10,2

3,6

3,4

7,5

6,3

Slowenien

Serbien engeres

3,6 4,4 5,1 5,1 5,3 6,0 6,8 7,1

4,6 5,6 6,3 6,5 6,8 7,1 7,7 7,9

Serbien gesamt

Makedonien

5,8 6,6 7,5 7,8 8,3 8,6 9,3 9,9

1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960

Montenegro

Kroatien

2,7 3,5 3,9 4,2 4,1 4,3 4,9 4,8

Jugoslawien

Bosnien

Tabelle 73: Jährlicher Kinobesuch pro Einwohner und Einwohnerin in Jugoslawien nach Republiken und autonomen Gebieten 1953–1964

11,5

10,6

10,5

Quelle: Kosanović 1966, 79.

Tabelle 74: Durchschnittliche Kinoeintrittspreise in Belgrad im Vergleich 1967–1971 (in Dinar)

Art des Vergnügens Kinoeintritt Theatereintritt Sportlicher Wettkampf Radio monatlich TV monatlich

1967 3,00 5,94 5,68 6,00 20,00

1968 3,67 9,06 7,79 6,00 20,00

1969 3,67 10,42 8,33 6,00 20,00

1970 3,67 10,67 8,33 8,00 20,00

1971 3,67 11,07 11,25 10,00 25,00

Quelle: Nemanjić 1991, 281.

Eine Befragung im Jahr 1971 ergab, dass der Kinobesuch vornehmlich ein Phänomen von Kindern und Jugendlichen war und auch mit dem Bildungsgrad zusammenhing. 53% der Belgrader Bevölkerung ging nie ins Theater, 52% nie in ein

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Konzert und 43% nie in das Kino. Nur 7% der Belgrader Bevölkerung ohne Grundschulabschluss kam mit dem Kino in Berührung, hingegen 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen, 73 Prozent der Beamten und 77 Prozent der Facharbeiter- und etwa die Hälfte der Arbeiter- und Handwerkerschaft (Nemanjić 1991, 236–238). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Kino in den ein bis zwei Jahrzehnten, bevor das Fernsehen das Publikum in seinen Bann zog, das populärste Massenvergnügen darstellte. Es wurde zu einem integralen Bestandteil von noch jungen Industriegesellschaften und einer sich herausformenden urbanen Massenkultur. Nun hatte das Kino die Stadtgrenze endgültig überschritten. Die Landbevölkerung wurde, speziell in den sozialistischen Ländern, systematisch in die Kinokultur einbezogen. Selbst die konservative muslimische Bevölkerung konnte und wollte sich dem Film nicht länger entziehen. Die Jahre um 1960 erwiesen sich als entscheidend für den Durchbruch zur zweiten visuellen Revolution. War die erste visuelle Revolution noch ein genuines Resultat dreier Kriege gewesen, war die zweite ein Ergebnis bzw. eine Begleiterscheinung einer gesellschaftlichen Umschichtung unter den Bedingungen einer industriellen Revolution. Industrialisierung und zweite visuelle Revolution ließen letzte Vorbehalte gegen die visuelle Moderne schmelzen. Die zweite stieß die Tore für die dritte visuelle Revolution auf, die sich in den 1970er-Jahren in Form des Fernsehens einstellte. Die Revolution war allerdings nicht das Fernsehen an sich, sondern der Umstand, dass die Bilder zu den Menschen und nicht umgekehrt, die Menschen zu den Bildern kamen. Hollywood und die zweite visuelle Revolution

Die infrastrukturellen Voraussetzungen für die zweite visuelle Revolution hatten die Balkanländer, unterstützt durch die SU und die USA, selbst geschaffen. Sie konnten diese inhaltlich mitgestalten, indem sie zahllose Filme nach den Modellen Hollywoods und Moskaus herstellten und diese an die lokalen Gegebenheiten adaptierten. Der Transfer der populären visuellen Moderne erhielt wesentlich stärker als ein halbes Jahrhundert zuvor den Charakter einer nationalisierenden Amalgamierung, weil die Bevölkerungsmasse und nicht bloß die städtische Elite zufriedengestellt werden musste. Über zahllose Amalgamierungsprozesse wurde die visuelle Moderne an der europäischen Peripherie eingeschmolzen. Durch die steigende Eigenproduktion trat der hegemoniale Transfermodus gegenüber dem nationalisierenden zurück. Dazu kam, dass durch eine zunehmende Diversifizierung der Filmimporte in die realsozialistischen Länder Moskau weniger in der Lage war, seine Hegemonie zu verteidigen als Hollywood in der Türkei, Griechenland und Jugoslawien.

Hollywood und die zweite visuelle Revolution

311

Nachdem Hollywood ab Kriegsende wieder zurück in die europäischen Kinos gekommen war, erreichte es in dem halben Jahrhundert ab 1945 einen Anteil zwischen 30 und 80 Prozent an verkauften Eintrittskarten in den meisten europäischen Ländern (Nowell-Smith 1998, 1, 12). Da der Binnenmarkt zunehmend an das Fernsehen verloren ging, rückten ausländische Märkte – und insbesondere noch entwickelbare – in das Zentrum der Marktstrategien Hollywoods. In den 1940er- und 1950erJahren ließ Hollywood Langzeitstudien durchführen, in denen es unter anderem herauszubekommen versuchte, wie der ideale Film aussehen müsste, um überall auf der Welt so hoch bewertet zu werden, wie dies bei ‚Die drei Musketiere‘ der Fall war. Zusätzlich bündelte man die Staaten in sieben Gruppen, und zwar von einer, die dem US-amerikanischen Geschmack am nächsten war (Gruppe 1), bis zu jener, die von diesem am weitesten entfernt war (Gruppe 7). Griechenland wurde der Gruppe 4 und die Türkei der Gruppe 6 zugeordnet85 (Segrave 1997, 196–197). Die Türkei stellte also weltweit betrachtet nicht das größte Problem dar, allerdings ein großes, weshalb die Hollywoodprodukte weiterhin für den Geschmack des Publikums zugerichtet werden mussten. Interessanterweise erfreute sich vorübergehend der adaptierte ägyptische Film beinahe ebenso großer Beliebtheit wie der eingeschmolzene Hollywoodfilm. Die ägyptischen Filme wurden in der Türkei populär, als die türkische Filmindustrie noch schwach war, neue Publikumsschichten in die Kinos der anatolischen Städte strömten und sich damit die Zusammensetzung des Publikums und seines Geschmacks in Richtung ländliche Unterschichten verschob. Zwischen 1939 und 1947 verdoppelten sich die Zahl der Kinos und jene der Zuseher und Zuseherinnen. Hollywoodfilme waren nicht unbedingt nach dem Geschmack dieses neuen Publikums, aber auch der ägyptische Film musste erst von der Amalgamierungsindustrie zurechtgerichtet werden. In manchen Fällen wurden die Originalsongs durch türkische Liedtexte, die von lokalen Sängern vorgetragen wurden, ersetzt. Häufiger komponierten türkische Künstler Originalsongs, die von den Filmsoundtracks lediglich inspiriert waren und in den Film montiert wurden. Dies trug entscheidend zum Erfolg ägyptischer Filme bei. So wurde die Neuorchestrierung von ‚Tränen der Liebe‘ durch Hafiz Burhanettin in den 1940er-Jahren zu einer Bestsellerschallplatte. In manchen Fällen wurde ein Film zwar synchronisiert, der Originalsoundtrack jedoch beibehalten (Gürata 2004, 55–56, 61–65; Arslan 2011, 66–70). 85

Gruppe 1: Großbritannien, Australien, Neuseeland, Südafrika; Gruppe 2: Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden; Gruppe 3: Deutschland, Österreich, Niederlande; Gruppe 4: Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien; Gruppe 5: Lateinamerika; Gruppe 6: Indien, Naher Osten, Ägypten, Irak, Libanon, Türkei; Gruppe 7: Hongkong, Indochina, Indonesien, Japan, Malaysia, Siam (Thailand), Philippinen (Segrave 1997, 197).

312

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Offensichtlich eigneten sich die im Jahrzehnt zwischen 1938 und 1948 etwa 130 zur Aufführung gebrachten ägyptischen Filme besser zum kulturellen Transfer als andere internationale Streifen. Gründe dafür mochten sein, dass sie erstens alle dem Musical-Genre angehörten, in dem die Handlung den Songs untergeordnet war. Zweitens gab es zwischen traditioneller osmanischer und arabischer Musik viele Ähnlichkeiten (Gürata 2004, 61–65) und drittens trugen ägyptischen Filme und ihre Musik auch zur Begründung neuer Musikformen in der Türkei bei. Der berühmte ägyptische Komponist und Sänger Muhammed Abd al-Wahhab, der Rhythmen wie Tango, Rumba, Samba und Foxtrott in die traditionelle Musik einführte, hatte großen Einfluss auf türkische Komponisten. Die kemalistische Politik der Abwendung von traditioneller Musik und der kulturellen Westernisierung öffneten ein Vakuum, das von ägyptischen Filmen, die geschickt westliche Musikelemente integrierten, besser gefüllt werden konnte als von rein westlicher Musik und dem Hollywoodfilm (Ebenda, 61–65). In besagtem Jahrzehnt ersetzten ägyptische Filme die türkischen beinahe vollständig. Sie wurden damit beworben, dass die Songs auf Türkisch und/oder dass die Sänger, aber auch Komponisten sowie Darsteller und Darstellerinnen Türken und Türkinnen wären. Die Originaltitel, Regisseure und Besetzungen wurden üblicherweise nicht genannt. Die türkischen Synchronstimmen gingen mit den ägyptischen Stars eine gute Symbiose ein und waren für das Publikum attraktiv (Ebenda, 71–74). Als ab 1948 die türkische Filmindustrie einen rasanten Aufschwung erlebte, übernahmen türkische Produktionen die Funktion, die die ägyptischen vorübergehend ausgeübt hatten, und der Import ägyptischer Filme hörte beinahe auf (Ebenda, 75–76). Parallel dazu hatte für die traditionellen Publikumsschichten die Attraktivität Hollywoods nicht nachgelassen. Seine an die lokalen Verhältnisse angepassten Filme blieben die beliebtesten. Die Menschen wollten die Hollywoodstars sehen und genossen ihren Reichtum und Glamour. Zwischen 1943 und 1947 erschienen 20 Filmmagazine – viele von ihnen nur kurzzeitig –, die über Hollywood, seine Intrigen und Erfolge sowie über Liebe, Sex und Eheprobleme seiner Stars berichteten (Erdoğan; Kaya 2002, 49–50). US-amerikanische Filme blieben auch in der Frühphase des Kalten Kriegs dominant. Von den 104 zwischen September und Dezember 1948 erstmals in Istanbul gezeigten Filmen stammte die deutlich überwiegende Mehrheit aus den USA (66); an zweiter Stelle folgte Frankreich (zwölf ); daneben wurden acht türkische Produktionen gezeigt. 1951 waren 80 Prozent der Leinwandzeit von US-amerikanischen Filmen okkupiert (Gürata 2004, 76; Arslan 2011, 25). Das in der Türkei gezeigte Filmmaterial geriet allerdings immer stärker unter ideologische Kontrolle. Ausschlaggebend dafür war, dass ab Mitte der 1950er-Jahre

313

Hollywood und die zweite visuelle Revolution

die türkische Lira ständig abgewertet wurde, was zu einer starken Einschränkung von Hollywoodimporten führte. Die türkischen Importeure konnten nämlich die abwertungsbedingt steigenden Schulden bei den US-amerikanischen Vertreibern und Produzenten nicht mehr bezahlen. Sie wurden in Lira berechnet, beglichen werden mussten sie hingegen in US$. 1958 wertete die türkische Regierung die Lira erneut von 2,82 auf 9 Lira pro US$ ab, wodurch sich die Schulden mit einem Schlag verdreifachten. Die türkischen Importeure mussten ihre Verträge mit den US-amerikanischen Vertreibern kündigen und die Importe einstellen (Erdoğan; Kaya 2002, 51–53). Noch im selben Jahr konnte mit Unterstützung der USIA, die für das Ansehen der USA in der Welt und insbesondere in Staaten im Frontbereich des Kalten Krieges verantwortlich zeichnete, ein Kompromiss erzielt werden. Die Schulden mussten nicht sofort, sondern konnten im Verlauf von zwölf Jahren getilgt werden. Außerdem wurde die Türkei in das IMG-Programm der USIA, in dem sich auch Jugoslawien befand, aufgenommen. Das bedeutete aber auch, dass nur Filme kostengünstig importiert werden konnten, die sich in dessen Sortiment befanden und die den American way of life positiv darstellten. Die USIA erstellte 1959 eine schwarze Liste von 82 US-amerikanischen Filmen, die in zwölf Ländern nicht gezeigt werden durften; zu diesen gehörten die Türkei, Jugoslawien, Polen und Südvietnam. Unter den Filmen auf der schwarzen Liste befanden sich populäre und allgemein als gut eingeschätzte Filme. 1962 wurde nur einer von 30 Filmen, die die türkische Seite der USIA vorlegte, für den Export genehmigt (Ebenda, 51–53). Tabelle 74 mit ihrer lückenhaften Darstellung der Zahl importierter Filme dokumentiert, dass zumindest bis 1959 ausländische Filme – hauptsächlich wohl US-amerikanische – dominierten und die Zahl der Kinos in den 15 Jahren zwischen 1955 und 1970 enorm zunahm. Tabelle 75: Anzahl der Kinos, ausländischen und inländischen Spielfilme sowie verkauften Karten (in Millionen) in der Türkei 1947–1970

Jahr 1947 1949 1950 1955 1959 1970

Zahl der Kinos 275 200 – 450 – 2.242

Inländische Filme 11 19 23 57 95 224

Quelle: Toeplitz 1992a, 421; Arslan 2011, 41, 76.

Ausländische Filme – – 229 – 246 –

Zahl der Karten 25 – 12 50 25 246

314

Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

Auch in Griechenland behielt der US-amerikanische Film seinen aus der Zwischenkriegszeit ererbten hohen Stellenwert. 1957 kamen auf eine griechische Produktion sieben importierte Filme. Aufgrund der rasch steigenden Eigenproduktion kamen zwischen 1965 und 1975 auf einen griechischen Film allerdings nur mehr drei importierte. Aber das Verhältnis gemessen an den verkauften Karten war in beiden Fällen nur 1:2;  das bedeutet, dass die griechischen Filme durchschnittlich mehr Publikum anzogen als die US-amerikanischen. 1974/75 betrug das Verhältnis zwischen einheimischen und importierten Filmen allerdings bereits wieder 1:4 bzw. 1:6, was den Niedergang des griechischen Films bzw. der Filmproduktion widerspiegelt (Papadimitriou 2006, 172 [Fußnote 12]; Psoma 2008, 171). In den wenigen Jahren zwischen 1957 und 1963 verdoppelte sich die Zahl importierter Filme (Tabelle 76), was die steigende Zahl an Kinos und Besuchern sowie Besucherinnen widerspiegelt. Dadurch erhöhten sich von 1960 auf 1970 die Ausgaben für den Import von Filmen um mehr als das Doppelte (Tabelle 77). Eine Aufstellung der von 1960 bis 1970 in den Athener Kinos gezeigten Filme weist eine beinahe als erdrückend zu bezeichnende Dominanz an Filmen US-amerikanischer Herkunft aus (Tabelle 78). Tabelle 76: Spielfilmimport Griechenlands 1957–1963

1957 225

1961 534

1963 547

Quelle: Psoma 2008, 171.

Tabelle 77: Jährliche Ausgaben für den griechischen Import von ausländischen Spielfilmen 1960– 1970 (in US$)

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 Quelle: Hadjikyriacou 2013, 69.

1.513.906 1.875.898 2.223.520 2.322.154 2.092.066 2.304.706 2.789.617 3.898.000 3.462.000 3.233.000 3.596.000

315

Hollywood und die zweite visuelle Revolution

1967/68

309 90 61 54 30 52 10

253 84 62 49 22 20 16

224 88 58 51 19 34 19

216 86 54 96 16 39 15

247 76 65 77 11 35 1

1969/70

1966/67

297 96 63 51 27 55 13

1968/69

1965/66

253 69 87 39 33 50 19

1964/65

266 62 55 31 35 48 27

1963/64

1961/62

USA Griechenland Frankreich Italien BRD GB SU

1962/63

Land

1960/61

Tabelle 78: In Athen gezeigte Spielfilme 1960–1970 (nach Produktionsland)

245 243 80 80 55 37 83 58 8 5 26 – 5 4

Quelle: Hadjikyriacou 2013, 70.

Hollywood dominierte nicht nur den griechischen und den türkischen Markt, sondern auch den jugoslawischen. Der zwischen Jugoslawien und der SU eskalierende Konflikt hatte zur Folge, dass die SU und ihre Verbündeten die Einfuhr jugoslawischer Filme boykottierten. Tito führte auf dem 3. Kongress der Volksfront 1949 Beispiele für die nicht erwiderte Liebe osteuropäischer Länder im Bereich des Filmhandels an. So etwa habe Jugoslawien 1948 vier polnische Filme eingeführt, Polen habe jedoch die Einfuhr dreier jugoslawischer Filme unter der Ausrede verweigert, das Publikum habe bereits genug von Kriegsfilmen. Aus der ČSSR habe man 18 Filme gekauft, die ČSSR hingegen nur zwei, von denen einer nicht zu einem Filmfestival zugelassen worden sei, ein britischer Kriminalfilm hingegen sehr wohl. Die SU und ihre Verbündeten würden die Sache des Sozialismus verraten und Kriminalfilme Filmen über die jugoslawische Revolution bevorzugen. Die SU  habe überhaupt noch keinen jugoslawischen Film importiert – weder einen Spielfilm noch einen Dokumentarfilm (Marković 1996, 442–444). Im folgenden Jahr wurde kein einziger sowjetischer Film mehr nach Jugoslawien importiert. Bereits 1949 hatte der Einkauf US-amerikanischer Filme jenen aus der SU übertroffen. In der Einschätzung US-amerikanischer Filme musste eine ideologische Kehrtwende vollzogen werden. Erste positive Kritiken bezogen sich auf Filme mit sozialkritischen Inhalten. Der sowjetische Film hingegen wurde immer negativer eingeschätzt. Ende 1950 erschien in der Politika ein Artikel über die sowjetischen Besatzungskräfte in Österreich, die angeblich ehemalige nationalsozialistische Künstler für Filmdreharbeiten engagiert hätten (Ebenda, 442–444). Tabelle 79 zeigt, dass in den zwei Jahrzehnten von 1944 bis 1964 zwar insgesamt die Filmeinfuhr aus den USA jene aus anderen Länder übertraf, wenn man jedoch

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

das Augenmerk auf einzelne Jahre wirft – etwa 1951, 1952 oder 1954 –, dann war die Dominanz nicht immer so klar. Die jugoslawischen Filmimporteure waren offensichtlich angehalten, die aus dem Westen eingeführten Filme auf verschiedene Länder zu verteilen. Tabelle 79: Jugoslawiens Spielfilmimport 1944–1964 (ausgewählte Länder)

USA 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964

– – 1 9 1 19 33 26 32 61 51 92 107 49 40 77 45 18 35 47 35 778

SU 15 50 64 48 40 18 – – – – – 18 16 7 21 10 25 18 48 32 30 460

Frankreich – 15 34 14 1 4 2 12 20 10 20 22 11 15 26 24 18 24 29 33 13 347

Italien 1 3 4 – 1 3 5 8 9 13 8 18 23 15 19 32 15 26 30 31 12 276

GB 3 2 – 1 3 8 11 17 20 14 33 24 8 12 7 13 3 6 17 21 13 236

ČSSR

BRD

1 8 7 12 4 – – – – – – 4 6 5 8 4 4 3 2 9 12 89

– – – – – – 1 2 4 5 3 2 3 1 2 9 12 9 9 21 4 87

Quelle: Kosanović 1966, 84.

Der anfängliche Einkauf US-amerikanischer Filme wurde aus den Mitteln des Marshallplans, dem Jugoslawien 1950 beigetreten war, unterstützt. Das Land erhielt über den Plan direkte Zuschüsse, mit denen es US-amerikanische Waren kaufen musste. Man schätzt, dass Jugoslawien von 1950 bis 1964 1,5 bis 2,5 Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe erhielt, mit der das Land etwa 60 Prozent seines Au-

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ßenhandelsdefizits abdecken konnte. Die Marshallplan-Hilfe bewirkte, dass man Anfang 1951 den Film ‚Die Erbin‘, der 1949 zwei Oscars erhalten hatte, und im Sommer 1952 den im Jahr zuvor Oscar-preisgekrönten Film ‚Ein Platz an der Sonne‘ in den jugoslawischen Kinos sehen konnte. Ab 1953 erhöhte sich das Tempo in der Einfuhr von US-amerikanischen Filmen. Dafür spielte das bereits erwähnte Hilfsprogramm der USIA, das IMG-Programm, das ausgewählten Ländern die Einfuhr US-amerikanischer Filme zu günstigen Preisen ermöglichte, eine wichtige Rolle. Die „technische Hilfe“ für den Einkauf von Filmen stieg von 440.000 US$ (1952) auf 615.000 US$ in der Saison 1955/56. Die Zahlung erfolgte in Dinar nach amtlichem Kurs, welcher weitaus höher, mitunter doppelt so hoch war, als der tatsächliche. Auf diese Weise stieg die Zahl der sehr billig aus den USA eingeführten Filme von 26 (1951) auf 107 (1956) (Marković 1996, 444–445; Vučetić 2010, 46–47). Jugoslawien wollte sich jedoch nicht mit der Liste von Filmen, die auf das IMGProgramm kamen, zufriedengeben. 1956 forderte Jugoslawien erstmals von der USIA, selbstgewählte Filme einführen zu können, und nicht nur solche, die sich im IMG-Hilfsprogramm der USIA befanden, weil sich herausgestellt hatte, dass bestimmte Filme, die von den USA ein kritisches Bild zeichneten, nicht auf das Programm kamen. Nach einem längeren Tauziehen gab die USIA 1965 schließlich nach und lieferte den bereits ein Jahrzehnt lang geforderten, sozialkritischen Film ‚In den Docks von New York‘ (1928) an Belgrad aus (Marković 1996, 444–445). Ein recht interessantes statistisches Bild ergibt sich für die Jahre von 1956 bis 1960. Obwohl die Zahl der sich im Umlauf befindlichen ausländischen Filme weitaus höher war als die umlaufenden einheimischen und die Kinovorstellungen von ausländischen Filmen die der heimischen Produkte um das Zehnfache überstieg (Tabellen 81 und 82), war der Besuch der einheimischen Filme sehr hoch. In diesem Zeitraum besuchte das jugoslawische Kinopublikum mehr einheimische als ausländische Filme. Der einheimische konnte also genauso attraktiv oder gar attraktiver sein als der ausländische Film (Tabelle 80), was sich mit den oben festgestellten Vorlieben des griechischen Kinopublikums deckt.

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Tabelle 80: Durchschnittliche Besuchszahl heimischer und ausländischer Filme in Jugoslawien 1956–1960

Filme Heimische Ausländische Attraktivität heimischer Filme; Index 100

1956 122.540 131.380 93,3

1957 126.100 135.710 92,9

1958 164.760 136.600 120,6

1959 177.000 147.500 120,0

1960 178.500 155.000 115,2

Quelle: Kosanović 1966, 11–12.

Tabelle 81: Anzahl der heimischen und ausländischen Spielfilme in Jugoslawien 1956–1960

Filme Heimische ausländische Zusammen % heimische

1956 63 713 776 8,12

1957 76 726 802 9,47

1958 80 740 820 9,76

1959 94 735 829 11,34

1960 96 729 825 11,64

Quelle: Kosanović 1966, 11–12.

Tabelle 82: Anzahl der Kinovorstellungen mit heimischen und ausländischen Filmen in Jugoslawien 1956–1960

Anzahl der Vorstellungen Heimische Ausländische Zusammen % heimische

1956 32.258 385.293 417.551 7,72

1957 41.363 410.304 451.667 9,16

1958 55.346 429.963 485.309 11,40

1959

– 447.217 – –

1960 76.995 469640 546.635 15,00

Quelle: Kosanović 1966, 11–12.

In absoluten Zahlen jedoch wurden weitaus mehr Eintrittskarten für die importierten als für die einheimischen Filme verkauft. Während die Zahl der verkauften Eintrittskarten für einheimische Filme von 5,7 (1951) auf 17,1 Millionen (1960) stieg, kletterte die Zahl der verkauften Eintrittskarten für ausländische Filme im selben Zeitraum von 57,9 auf 113 Millionen (Goulding 2002, 37). Während sich also die Zahl der verkauften Eintrittskarten für importierte Filme verdoppelte, verdreifachte sich jene für einheimische Filme, allerdings auf vergleichsweise geringem Niveau. In den 1960er-Jahren betrug der Anteil ausländischer Filme in den jugoslawischen Kinos bei etwa 200 jährlich eingeführten Filmen rund 85 Prozent. Anfang der 1960er-Jahre waren die Beziehungen zwischen den USA und Jugoslawien vo-

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rübergehend gespannt, was dazu führte, dass 1962 erstmals seit 1948 mehr sowjetische als US-amerikanische Filme eingeführt wurden (Tabelle 79). 1967 wurde die bis dahin bestehende Importbegrenzung für ausländische Filme aufgehoben. Daraufhin stieg die Zahl importierter Filme insgesamt und speziell aus den USA stark an. 1970 war die Einfuhr USamerikanischer Filme um 44,2% im Vergleich zum Jahr 1966 und um 316,6% im Vergleich zu 1961 gestiegen (Nemanjić 1991, 174; Vučetić 2010, 47–48). Die Belgrader Kinos bildeten von Anfang an eine Bastion des US-amerikanischen Films. Ein erster Riesenerfolg war der Hollywoodstreifen ‚Badende Venus‘ (1944), der in den frühen 1950erJahren im Belgrader Kino 20. Oktober Abb. 77: Ankündigung des in Jugoslawien äusechs Monate auf dem Programm stand ßerst populären mexikanischen Films ‚Ein Tag und von 333.000 Menschen gesehen im Leben‘ / ‚Jedan dan života‘ © Jugoslovenska wurde. Kein anderer Film vorher und kinoteka nachher wurde von so vielen Belgradern und Belgraderinnen besucht (Paramentić 1995, 287). Einer der populärsten, wenn nicht gar der populärste von Jugoslawien importierte Film war jedoch ‚Un día de vida‘ (1950), der hier 1952 seine Premiere hatte. ‚Ein Tag im Leben‘ war in Mexiko kein großer Erfolg und wurde bald vergessen. Es handelt sich dabei um ein Melodrama, das die mexikanische Revolution thematisiert. Die Protagonistin Belén Martí (gespielt von Columba Domínguez)86 ist eine kubanische Journalistin, die sich ein Bild von den revolutionären Ereignissen in Mexiko machen möchte. Der Erfolg hat sicher damit zu tun, dass er noch im Schatten der Auseinandersetzung zwischen Stalin und Tito vorgeführt wurde. Der Film repräsentiert den unabhängigen revolutionären Geist eines Landes, das weder mit der SU 86 Die Schauspielerin, die jahrzehntelang Briefe von ihren jugoslawischen Bewunderern und Bewunderinnen erhielt, wurde 1997 nach Belgrad eingeladen, um an einer Galavorführung ihres Films im Jugoslawischen Filmarchiv teilzunehmen. Sie erhielt einen großen Empfang zu ihren Ehren seitens des serbischen Kulturministeriums und wurde behandelt, als wäre sie einer der größten Stars des heimischen Kinos.

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noch mit den USA verbündet war, was gut in die damalige jugoslawische Stimmung passte. Jugoslawische Filmvertriebe erneuerten die Rechte für die Aufführung des Films dreimal. Später wurde er vielfach im Fernsehen gezeigt (McKee Irwin 2010, 152–153). In der Öffentlichkeit, aber auch parteiintern gab es ein gewisses Misstrauen gegenüber westlichen Filmen. Insbesondere wurde ihr angeblich negativer  Einfluss auf die Jugend thematisiert. Selbst Tito äußerte sich in verschiedenen Interviews anlässlich des 40. Jahrestags der Parteigründung besorgt über die Auswirkungen des (schlechten) westlichen Films auf die Jugend. Viele der Partei- und Politikinstanzen zeigten jedoch wenig Besorgnis über seine angeblich schädlichen Auswirkungen. Die ideologische Kommission des Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten beschäftigte sich vielfach mit dem Verhältnis des jugoslawischen Publikums zu seinen Hollywoodstars, aber es kam nie zu einem Beschluss, der dieses zu verändern trachtete. Es wurde sogar positiv hervorgehoben, dass Frauen ihre weiblichen Idole – Prototypen moderner Frauen – nachahmten (Marković 1996, 446–449; Vučetić 2010, 54–57). Die Filmeinfuhr wurde daher auch nie Gegenstand großer Kampagnen und Affären. Auch der Besuch von Hollywoodstars trug zur grundsätzlich positiven Stimmung den aus dem Westen kommenden Filmen gegenüber bei. Aufgrund der vielen Koproduktionen mit westlichen Filmproduzenten besuchten in den 1960er-Jahren viele Stars das Land. Orson Welles hielt sich mehrere Male in Kroatien auf. Anthony Quinn war für die Verfilmung von ‚Marco Polo‘ zu Besuch. Anlässlich dieser italienisch-französisch-jugoslawischen Koproduktion waren auch Horst Buchholz, Omar Sharif und Orson Welles zu Gast. Alfred Hitchcock kam im Mai 1964 auf Besuch, und im selben Jahr urlaubte der Regisseur Fred Zinnemann an der Adria. Einer der bedeutendsten Besuche in den 1960er-Jahren war jener von Kirk Douglas, der sich von 4. bis 8. November 1964 im Land aufhielt und von Tito empfangen wurde. Burt Lancaster weilte 1968 in Jugoslawien. Zu den Dreharbeiten für den Kassenschlager ‚Schlacht an der Neretva‘ (1969) hielten sich Yul Brynner, Hardy Krüger, Curd Jürgens, Franco Nero und wieder einmal Orson Welles im Land auf (Vučetić 2010, 59–63). Richard Burton in Begleitung von Liz Taylor kam 1972 zum Dreh von „Die Schlacht an der Sutjeska“; die beiden wurden von Tito empfangen. Die Stimmung war klar für US-amerikanische und gegen osteuropäische Filme. 1967 hatte das Land, wie erwähnt, die Begrenzung für den Import ausländischer Filme aufgehoben, aber aus politischen Gründen sollte die Relation eingeführter US-amerikanischer zu osteuropäischen Filmen 2:1 betragen. Dies war jedoch nicht realistisch, weil das Publikum Letztere einfach nicht goutierte. Es wollte weder sowjetische Filme noch die SU auf der Leinwand sehen. In einer Umfrage in der zwei-

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ten Hälfte der 1960er-Jahre, in der Menschen gefragt wurden, welchen Teil der Welt sie in Filmen sehen wollten, gaben 247 die USA, 110 Afrika, 58 Europa, 35 Japan, 33 Hawaii, jedoch nur sechs die SU an. Dazu kam erschwerend, dass die Einfuhr eines US-amerikanischen Films, da man ihn zum amtlichen Umrechnungskurs, der viel zu hoch angesetzt war, einkaufte, durchschnittlich lediglich 4.000 US$ kostete und einen Gewinn zwischen 16.000 und 23.000 US$ erbrachte. Die osteuropäischen Filme hingegen waren alle ein Defizitgeschäft, weil der Einkauf etwa eines sowjetischen Films vier- bis fünfmal teurer war, jedoch nur zwischen 3.000 und 4.000 US$ einspielte (Ebenda, 51–53). Von den 78 aus Osteuropa im Jahr 1967 aus politischen Gründen eingeführten Filmen wurden in den Belgrader Kinos nur zehn gezeigt. Anlässlich des 50. Jahrestags der Oktoberrevolution setzte das Belgrader Kino Jadran den Film ‚Oktoberrevolution‘ des französischen Regisseurs montenegrinischer Herkunft Frédérik Rosif auf sein Repertoire. Nach einem Tag musste der Film abgesetzt werden, weil ihn kaum jemand sehen wollte. Aber auch die qualitätsvollsten Filme eines Jirži Mencl, Miloš Forman, einer Vĕra Čytilová, eines Andrzej Wajda oder Andrej Tarkovski fanden kaum Publikum, wohl aber Action-Filme, Western und andere Hollywoodprodukte, über die man sich in einem sozialistischen Land dem US-amerikanischen Traum hingeben konnte (Ebenda, 51–53). 1965 und 1966 befanden sich unter den 15 meistgesehenen Filmen sieben USamerikanische; 1968 rangierten unter den fünf meistgesehenen Filmen vier und 1969 unter den zehn meistgesehenen Filmen acht US-amerikanische. Die Dominanz Hollywoods spiegelt sich auch in den Kinovorführungen Belgrads. Im August 1965 wurden in 23 der 49 Kinos der Hauptstadt US-amerikanische Filme gespielt, in sieben britische, in sechs französische und jeweils in einem Kino ein sowjetischer, ein mexikanischer und ein japanischer Film (Ebenda, 48–49). Diese Beobachtungen über das jugoslawische Kinopublikum führen zu folgenden Schlussfolgerungen: Ausgelöst von einer vergleichsweise spät einsetzenden industriellen Revolution, die eine ungeheure Zahl von jungen Menschen in die städtischen und industriellen Ballungszentren auf der Suche nach Arbeit, Annehmlichkeiten und sozialem Aufstieg – kurz: einem modernen Leben – führte, wurde das Kino zu einem Massenphänomen ersten Ranges. Während in den fortgeschrittenen Industriestaaten eine bereits stark zunehmende Zahl an Menschen vor den Fernsehgeräten saß, strömten die Menschen in den Balkanländern noch in Massen in eine immer größer werdende Zahl an Kinos. Im Verbund mit anderen aufstrebenden industriellen Schwellenländern bescherte dies Hollywood noch für eine kurze Zeit Absatzmärkte für seine industriell gefertigten, geschliffenen visuellen Produkte. Der Hollywoodfilm in seiner Technik, nicht unbedingt in seinen Inhalten

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und seiner Ideologie, wurde zum role model für die Filmproduktion in den Balkanländern (und nicht nur dort). Dieses wurde für die lokalen Bedürfnisse bearbeitet, abgeändert, eingeschmolzen und amalgamiert – in einem Fall stärker, in einem anderen weniger stark und im dritten vielleicht gar nicht. Der Umstand, dass in der Türkei, Griechenland und Jugoslawien einheimische Produktionen mitunter ein größeres Publikum fanden, kann ein Hinweis darauf sein, dass den Menschen eine lokale Illusion des modernen Lebens näherstand als eine à la Hollywrood. Der Bevölkerung war nicht nach experimentellen Kunstfilmen; die vom Land in die Stadt strömenden Menschen suchten Unterhaltung, die ihren Erfahrungen gerecht wurde. Komödien, Melodramen und Musicals mit lokaler Filmmusik eigneten sich ideal dafür, Menschen massenhaft in die Kinos zu locken. Die Inhalte der meisten Filme stellten die Vision eines modernen Lebens in seiner sozialistischen oder kapitalistischen Variante dar. Beide waren höchst attraktiv, wenngleich die kapitalistische Variante mit weniger Gegenattraktionen zu kämpfen hatte als die sozialistische. Dem paternalistischen Gehabe der kommunistischen Parteien mit ihren puristischen Moralvorstellungen von der sozialistischen Lebensweise konnte ab den 1960er-Jahren eine immer größer werdende Zahl an jungen Menschen nicht mehr folgen. Sie wollten an der internationalen Pop- und Rockkultur teilhaben und Filme mit Stars sehen, die überall in der Welt bewundert wurden und an denen man sich orientieren konnte. Dadurch kam es möglicherweise zu einer sonderbar erscheinenden Umkehrung in der Zukunftsvorstellung junger Menschen. Für die junge Generation in den sozialistischen Balkanländern wurde das Hollywoodmodell eines modernen Lebens attraktiver als für junge Menschen in der Türkei, Griechenland oder Jugoslawien, die die US-amerikanische Lebensweise mitunter auch kritisch beurteilten und daher eine lokale Variante des modernen Lebens für sinnstiftender erachteten. Jenseits von ideologischen Ausrichtungen des Sozialismus und Kapitalismus ist eine Frage angesiedelt, die dieses Buch durchgehend begleitet hat und die darauf hinausläuft, wie und in welcher Form die visuelle Moderne die europäische Peripherie verändert hat. Dies schließt die Frage nach den Eigenschaften der zweiten visuellen Revolution und die Frage danach, worin sich die erste von der zweiten unterscheidet, mit ein. Die Antwort darauf wird lauten müssen, dass die zweite nachhaltiger als die erste war. Die erste war den Kriegsereignissen auf dem Balkan vom Frühherbst 1912 bis zum Spätherbst 1918 geschuldet. Die Fotografie und der frühe Film fanden in dieser kurzen Phase eine massenhafte Verbreitung, die allerdings noch nicht Ausdruck einer Industriegesellschaft war. Daher brach sie nach Beendigung der kriegerischen Konflikte wieder in sich zusammen. Was davon blieb, war eine relativ geringe Zahl an öffentlichen (militärischen) Visualisierungsinstrumenten wie

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Foto- und Filmkameras sowie Filmprojektoren, von deren Weiterverwendung wir nicht viel wissen. Die zweite visuelle Revolution hingegen bildete keine ephemere Erscheinung mehr; sie war die Massen erfassend und nachhaltig in dem Sinn, dass sie den traditionellen visuellen Kanon an verinnerlichten Bildern gesellschaftsrelevant erweiterte. Die Priorität der Ikone im orthodoxen Christentum und die Maxime des Verbots der körperlichen Repräsentation in Islam und Judentum schmolzen dahin und wurden zunehmend der Konkurrenz von Bildern des modernen Lebens in aufstrebenden Industriegesellschaften ausgesetzt. Wie sich dies in jedem individuellen Fall ausgewirkt haben mag, wissen wir nicht. Die Annahme scheint jedoch gerechtfertigt, dass sich die Palette verinnerlichter und somit machtwirksamer Bilder wesentlich erweiterte. Junge Menschen in den 1960er-Jahren sahen dadurch die Welt wesentlich säkularer als jene etwa in den 1940er-Jahren. Eine massive Nachhaltigkeit war sowohl im kapitalistisch als auch im sozialistisch orientierten Staat gegeben, was dem Prinzip des Kinos für die Massen in einer sich industrialisierenden Gesellschaft geschuldet war. Sie war in den sozialistischen Ländern vermutlich sogar stärker als in den kapitalistischen, da der Atheismus bekanntlich zu den Grundpfeilern der sozialistischen Staaten zählte und sich daher in den sozialistisch-realistischen Filmen tief einnisten konnte – insbesondere in einem Land wie Albanien, das sich als „erster atheistischer Staat der Welt“ bezeichnete. Ich behaupte auf der Grundlage vieler vorgebrachter Argumente, dass sich die Menschen an der ehemaligen Peripherie der visuellen Moderne in den 1950er- und 1960er-Jahren ein neues, von jahrhundertelangen Traditionen weitgehend befreites Bild von der Welt angeeignet haben. Abschließend wäre noch die Frage zu beantworten, welche Rolle Hollywood in der zweiten visuellen Revolution spielte. Die Frage muss für die realsozialistischen Länder Rumänien, Bulgarien und Albanien, für Jugoslawien sowie für Griechenland und die Türkei gesondert beantwortet werden. Die wichtigste Rolle spielte der US-amerikanische Film in den visuellen Revolutionen Griechenlands und der Türkei, was im Kontext des Kalten Kriegs verständlich wird. In diesen zwei Frontstaaten gegenüber der kommunistischen Welt ging es den USA darum, neben ihrer Integration in die Nato und der Errichtung militärischer Stützpunkte über den Film eine kulturelle Hegemonie herzustellen. Daher waren alle maßgeblichen US-amerikanischen Behörden und Hollywood in hohem Maß daran interessiert, die Kinos der beiden Länder mit möglichst vielen ideologisch subversiven Spielfilmen zu versorgen. Quantitativ gesehen konnte eine Dominanz Hollywoods hergestellt werden, über ihre ideologische Wirksamkeit kann lediglich spekuliert werden. Auch im Falle Jugoslawiens muss die Rolle Hollywoods in politischen Zusammenhängen diskutiert werden. Mit dem Beitritt des Landes zum Marshallplan und

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Industrialisierung und zweite visuelle Revolution (1950–1970)

anderen US-amerikanischen Hilfsprogrammen musste es seinen Markt für Hollywood öffnen – allerdings nicht so bedingungslos wie Griechenland und die Türkei. Jugoslawien versuchte, den Einfluss Hollywoods nicht allzu groß werden zu lassen. Er sollte durch Filmimporte aus anderen westlichen Ländern neutralisiert werden. Außerdem verlangte man die Freigabe von Filmen, die die USA in einem kritischen Licht darstellten. Letztendlich dominierte Hollywood quantitativ auch in den jugoslawischen Kinos; seine Stars waren im Publikum am beliebtesten. Der relativ großen Bedeutung Hollywoods in Jugoslawien, Griechenland und der Türkei entsprach, was die Zahl der gezeigten Filme anlangt, seine relativ geringe Bedeutung in Albanien, Bulgarien und Rumänien. Die politischen Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Unterdrückung von Produkten aus der Traumfabrik Hollywood ließ unter den jungen Menschen allerdings die Sehnsucht nach ihnen nicht absterben – genau das Gegenteil trat ein.

Epilog

Als in den Balkanländern der Aufstieg des Kinos zum dominierenden visuellen Massenspektakel vorbereitet wurde, neigte sich in den industriell entwickelten Gesellschaften die große Zeit des Kinos bereits dem Ende zu. Abgesehen von Großbritannien, wo das Publikum schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wieder rückläufig wurde, stiegen in Westeuropa die Kinobesuche um 1955 auf den höchsten Stand: über drei Milliarden Eintrittskarten wurden verkauft (Sorlin 1991, 81–91). In der Folge schmälerte der unaufhaltsame Aufstieg des Fernsehens die Begeisterung für das Kino Jahr für Jahr. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die Fernsehgeräte anfänglich nur Schwarz-Weiß-Bilder in die Wohnzimmer lieferten. Das Fernsehen wurde in Jugoslawien und Bulgarien relativ früh und in der Türkei, Griechenland sowie Albanien relativ spät eingeführt. Tabelle 83 zeigt, dass Jugoslawien im Jahr 1960 mit eineinhalb Fernsehgeräten pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner vor Bulgarien lag, das es erst auf einen halben Fernseher gebracht hatte. Neun Jahre später hatte Bulgarien Jugoslawien bereits überholt; Albanien, Griechenland und die Türkei gründeten erst zu diesem Zeitpunkt eigene Fernsehsender. Tabelle 83: Registrierte Fernsehgeräte in den Balkanländern 1960 und 1969 (Geräte pro 1.000 Menschen)

Land Albanien Bulgarien Griechenland Jugoslawien Rumänien Türkei

1960 – 0,6 – 1,4 0,3 0,04

1969 1,2 98 10 76 64 0,7

Quelle: Zotschew 1972, 100.

Das Ende der großen Zeit des Massenkinos in den Balkanländern verlief ebenso gestaffelt. Gemessen an den Indikatoren Kinobesuch und Filmproduktion können wir in Hinblick auf die Türkei und Griechenland feststellen, dass diese um 1970 nach unten zu weisen beginnen. Im Falle Jugoslawiens waren die Kinobesuchszahlen bereits ab 1960/61 rückläufig, die Filmproduktion allerdings erst etwa ein Jahrzehnt später. Anders verlief die Entwicklung in den realsozialistischen Ländern, wo die Filmproduktion in staatlicher Hand war und daher in den 1970er- und

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Epilog

1980er-Jahren sogar noch gesteigert werden konnte. Dies trifft auch auf die Zahl der Kinos und der Kinobesucher und -besucherinnen zu, wobei die kommunistischen Jugendorganisationen eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung eines quantitativ hohen Besuchsniveaus spielten. In Bulgarien gelang es, eine recht hohe Fernsehdichte bei Wahrung der Kinobesuchszahlen zu erreichen. Mein Epilog soll erstens die Schnittstelle zwischen der zweiten und der dritten visuellen Revolution, also den Übergang von einer Kino- zu einer Fernsehgesellschaft, ausleuchten, zweitens den Anteil anderer visueller Medien an der zweiten visuellen Revolution kurz würdigen und drittens die Transfermodi der visuellen Moderne an seine Balkanperipherie zusammenfassen und Bilanz ziehen. Die erste Möglichkeit, Fernsehbilder zu sehen, bot sich den Belgradern und Belgraderinnen im Sommer 1956 in den Räumlichkeiten der Technischen Hochschule und bei Telekomunikacija i Radiotona, wo anlässlich des hundertsten Geburtstags des Physikers und Elektroingenieurs Nikola Tesla ein improvisiertes Fernsehstudio eingerichtet wurde. Als nächster Schritt wurden ab dem 23. August 1958 in den Geschäftsauslagen der wichtigsten Straßen der Stadt 80 Fernsehgeräte aufgestellt. Einige weitere Bildschirme zierten bereits die Privatwohnungen der politischen Elite. Ende 1958 waren 800 private und öffentliche Fernsehkundinnen und -kunden registriert, deren Fernsehgeräte in der Regel importiert worden waren, da die heimische Produktion zu gering war (Dragićević-Šešić 2007, 738–739). 1961 empfingen knapp 14.000 serbische Abonnenten und Abonnentinnen das Fernsehen regelmäßig, Ende 1965 bereits 78.000 (Nemanjić 1991, 19–20). Auch in Zagreb hatte man 1956 den Probebetrieb aufgenommen, Makedonien sollte erst 1964 voll versorgt sein (Angelov 1996; Kucis; Plencovic 1996). Auf gesamtjugoslawischer Ebene entfiel 1960 ein Fernsehgerät auf 618 Menschen, 1972 bereits eines auf zehn Einwohnerinnen und Einwohner. Die Zahl der Fernsehgeräte, aber auch die Sendezeiten und die Programmvielfalt nahmen in den 1960er-Jahren rasch zu. Wurde anfangs der 1960erJahre lediglich ein vierstündiges Abendprogramm gesendet, waren es ein Jahrzehnt später bereits rund 20 Sendestunden. Um die 60 Prozent der Sendezeit konnten aus eigener Produktion bestritten werden, der Rest wurde zugekauft. 90 Prozent der Bevölkerung war mit Fernsehgeräten versorgt. Das Fernsehen hatte das Kino als primäres visuelles Erlebnis abgelöst (Goulding 2002, 64–65). Für den Bund der Kommunisten stellte das Fernsehen ein leicht lenkbares Propagandainstrument dar. Allerdings stimmten die ersten Publikumsstudien die Partei nachdenklich. Eine serbische Untersuchung aus dem Jahr 1963 zeigte, dass Unterhaltungsprogramme am attraktivsten waren und gemeinsam mit den Fußballübertragungen eine seriöse Konkurrenz zu den Hauptnachrichten darstellten. 1964 diskutierten die höchsten Regierungsgremien auf Bundesebene das Fernseh-

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Hollywood und die zweite visuelle Revolution

verhalten. Sie beschlossen, Unterhaltung als integralen Bestandteil der Programmplanung beizubehalten und hoben hervor, dass das Fernsehen zur Modernisierung der politischen Arbeit beitrug, da es die Arbeit der politischen Gremien Millionen von Menschen näherbrachte. 1967 allerdings enthüllte eine weitere repräsentative Untersuchung in Serbien, dass sich 68,2% der Seher und Seherinnen mehr humoristisch-satirische Sendungen (das meistgewünschte Genre), 10,8% mehr Erziehungsprogramme und nur 6,3% mehr politische Information wünschten (Mihelj 2013, 257–260). Die zunehmende Beliebtheit des Fernsehens zeigte direkte Folgen für die Belgrader Kinos. Zwischen 1966 und 1970, als das Belgrader Fernsehen in Farbe auszustrahlen begann, ging der Verkauf an Kinoeintrittskarten um ein Viertel zurück, gemessen am Jahr 1961 sogar um die Hälfte. Die Filmförderung wurde zugunsten von Fernsehproduktionen zurückgeschraubt, und in der Folge zeigten nur mehr sechs Prozent aller Kinovorstellungen, die von sieben Prozent des Kinopublikums besucht wurden, einheimische Produktionen. Gleichzeitig erreichte die Zahl an importierten Kinofilmen mit über 300 einen Höhepunkt. Das Produktionsniveau stieg erst 1977 wieder an, als 19 (1978 22 und 1980 26) Spielfilme gedreht wurden. Dadurch erhöhte sich der Anteil an einheimischen Filmen in den Kinos wieder auf 15 Prozent. Ein bemerkenswerter, wenngleich kurzer Boom des einheimischen Kinos ist für die Jahre 1981 bis 1984 festzustellen (Horton 1981, 20–22; Nemanjić 1991, 265–266, 172–174). Der Besuchsrückgang führte zur Schließung zahlreicher Kinos. Tabelle 84 zeigt, dass in Belgrad von 1970 bis 1980 elf Kinos ihren Betrieb einstellen mussten; in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana halbierte sich die Zahl der Kinobetriebe sogar. In den Hauptstädten der weniger entwickelten Republiken und Regionen wie Montenegro, Makedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo hingegen blieb die Anzahl gleich oder ging, wie im Falle Sarajevos, nur unwesentlich zurück. Tabelle 84: Anzahl der Kinos in den jugoslawischen Hauptstädten 1970 und 1980

Stadt Belgrad Zagreb Skopje Sarajevo

1970 1980 1970 1980 1970 1980 1970

Anzahl 50 39 31 22 19 19 17

Sitzplätze 26.964 19.512 16.013 11.492 7906 7602 7488

328 1980 Ljubljana 1970 1980 Novi Sad 1970 1980 Prishtina 1970 1980 Titograd 1970 1980

Epilog

16 28 12 13 8 4 4 3 3

6442 11.671 4647 6409 4832 1977 1929 1811 1599

Quelle: Nemanjić 1991, 289.

Der Rückgang der Kinobesuchszahlen veranlasste einige interessante Untersuchungen über das Verhältnis der Belgrader bzw. der serbischen Bevölkerung zum Kino. 1978 etwa gaben in einer Befragung 24,1% der Belgrader Bevölkerung an, nie ins Kino zu gehen, 34,2% besuchten es selten. Lediglich 12,4% gaben an, häufig ins Kino zu gehen. Von jenen, die nach eigenen Angaben nie das Kino besuchten, waren 43% ohne Grundschulabschluss und 15,2% mit höchstem Ausbildungsabschluss. Hingegen sahen 75,7% der Menschen ohne Grundschulabschluss wie auch 58,3% der Bevölkerung mit höchstem Bildungsabschluss täglich fern (Nemanjić 1991, 242–243). Der Boom der jugoslawischen Filmproduktion Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre wurde durch eine neue Generation von Filmemachern ausgelöst. Dieser ‚Neue Jugoslawische Film‘ entstand erstaunlicherweise, jedoch wohl nicht ganz zufällig, in einer Zeit zunehmender ökonomischer und politischer Krisen mit hohen Inflationsraten, wachsenden Auslandsschulden und sich zuspitzenden Nationalitätenkonflikten (Goulding 2002, 143–149). Der Kern dieser neuen Generation wurde Mitte der 1940er-Jahre geboren und hatte Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre gemeinsam an der FAMU in Prag studiert. Sie wird daher auch als ‚Prager Schule‘ bezeichnet. Lordan Zafranović, Goran Paskaljević, Goran Marković, Srdjan Karanović und Rajko Grlić kamen mit ihren ersten Spielfilmen zwischen 1976 und 1979 groß heraus und beschäftigten sich thematisch mit Problemen und Dilemmata des Alltags unter sozialistischen Vorzeichen (Dabić 2012). Dabei schreckten sie auch vor Tabus wie den Auswirkungen der Gewalt des Bürgerkriegs, der während des Zweiten Weltkrieges die zwischenmenschlichen Beziehungen in Jugoslawien zusätzlich zerrüttet hatte, nicht zurück und provozierten durch ihre Darstellungen von Sexualität sowie sozialer Randständigkeit.

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Abb. 79: Goran Marković © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 78: Goran Paskaljević © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 81: Emir Kusturica © Jugoslovenska kinoteka

Abb. 80: Rajko Grlić (li) und Srdjan Karanović (re) © Jugoslovenska kinoteka

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Epilog

International am erfolgreichsten verlief die Karriere des 1954 in Sarajevo geborenen Emir Kusturica, der auch an der Prager FAMU studiert hatte. Er debütierte 1981 mit ‚Erinnerst du dich an Dolly Bell?‘ (1981) und erhielt 1986 für ‚Papa ist auf Dienstreise‘ (1985) die Goldenen Palme von Cannes für den besten Spielfilm. Sein letzter jugoslawischer Film war ‚Die Zeit der Zigeuner‘ (1989), mit dem er noch im selben Jahr in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde. Trotz des internationalen Erfolgs blieb die jugoslawische Filmindustrie von der ökonomischen Krise nicht verschont. Notwendige Investitionen in die Ausstattung blieben aus, und der zunehmende Nationalismus machte Koproduktionen zwischen den Republiken immer schwieriger (Ebenda). Mit dem Zusammenbruch Jugoslawiens ab 1991 brach auch die gesamtjugoslawische Filmkultur zusammen. Die Filmindustrie wurde nach Nationalstaaten aufgesplittert und national ausgerichtet. Bedingt durch internationale Sanktionen, Hyperinflation und Nato-Bombardements sank die Filmproduktion in der ehemaligen jugoslawischen Metropole Belgrad verglichen mit den 1980er-Jahren auf die Hälfte, die Besuchszahlen waren weiterhin rückläufig, und die Ausstattung veraltete. Dennoch blieb die Filmproduktion rege, was in erster Linie dem Umstand zu verdanken war, dass Serbien trotz des Brain Drains von den personellen Ressourcen aus der Zeit vor 1991 zehren und Filmausrüstung in Sofia oder Athen mieten konnte. Die Finanzierung der Produktionskosten musste aus zahllosen Quellen zusammengestückelt werden. Dem international gefeierten Regisseur Kusturica gelang es dennoch, für seinen in Belgrad spielenden Film ‚Underground‘, der 1995 die Goldene Palme von Cannes erhielt, ein erstaunliches Budget von mehr als zwölf Millionen US$ aufzubringen (Goulding 2002, 186). In Makedonien machte es die angespannte innenpolitische und ökonomische Lage sehr schwierig, die Filmproduktion aufrechtzuerhalten. Paradoxerweise gelang es dem 1959 geborenen Regisseur Milčo Mančevski ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit, ‚Vor dem Regen‘ (1994) zu drehen, der mehrere internationale Preise gewann. Abgesehen von dieser Ausnahme kam die makedonische Spielfilmproduktion Ende der 1990er-Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends beinahe zum Stillstand (Ebenda, 186). In Bosnien-Herzegowina wurde kriegsbedingt ein Großteil der Produktionsanlagen zerstört. Nach dem Friedensschluss von Dayton (1995) verhinderte die Aufteilung des Landes die rasche Aufnahme der Spielfilmproduktion. Ein großer Erfolg gelang Danis Tanović mit ‚Niemandsland‘ (2001). Er erhielt für diesen Film 2002 den Golden Globe und den Akademiepreis für den besten fremdsprachigen Film (Ebenda, 186).

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Anders die Entwicklungen in Bulgarien, wo das Fernsehen ähnlich früh wie in Jugoslawien eingeführt worden war. In den 1950er-Jahren organisierten bulgarische Wissenschaftler der Hochschule für Maschinenbau und Elektrotechnik in Sofia den ersten noch unregelmäßigen Fernsehbetrieb. Als offizieller Geburtstag des bulgarischen Fernsehens gilt der 25. Dezember 1959. 1969 wurde die erste Sendung in Farbe ausgestrahlt und 1975 ein zweites Programm eingerichtet (Milev 1996a, 33). Besaßen 1962 nur zwei Prozent aller Haushalte ein Fernsehgerät, war dies Anfang der 1970er-Jahre bereits bei drei Viertel aller Haushalte der Fall (Taylor 2006, 114; Brunnbauer 2007, 314–315). Dennoch stieg Anzahl der Kinos bis 1973 auf etwa 3.600 an. Bemerkenswerterweise konnte auch die Filmproduktion auf dem Niveau der späten 1960er-Jahre fortgeführt werden (Tabelle 57). Der durchschnittliche Kinobesuch lag bei beachtlichen zehn bis 13 Kinobesuchen pro Einwohnerin und Einwohner und Jahr (Holloway 1986, 134). Allerdings brachte eine Untersuchung im Jahr 1973 zum Vorschein, dass bulgarische Männer von ihrer täglichen Freizeit in der Höhe von 269 Minuten durchschnittlich 49 Minuten vor dem Fernsehgerät, aber nur fünf Minuten im Kino verbrachten. Frauen hatten durchschnittlich 266 Minuten Freizeit; davon verbrachten sie 38 Minuten vor dem Fernsehgerät, aber nur drei Minuten im Kino (Brunnbauer 2007, 316–317). Eine weitere Studie aus dem Jahr 1975 ergab, dass 36,2% der Jugendlichen durchschnittlich einmal pro Woche das Kino zu besuchten. Nur 4,4% der Befragten erklärten, nie in das Kino zu gehen. Hingegen antworteten 33,7%, dass sie niemals das Theater besuchten. Nach einer Studie aus den Jahren 1980/81 bildete sowohl für Studierende als auch für die Arbeiterschaft das Kino (im Vergleich zu Lesen, Theater-, Konzert- und Ausstellungsbesuchen) die wichtigste kulturelle Aktivität. Allerdings besuchten 82,7% der Studierenden das Kino zehnmal und öfter pro Jahr, während dies in der Arbeiterschaft nur halb so oft der Fall war (Taylor 2006, 100). Die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen wiederum war ungleichmäßig über das Land verteilt. In den Blagoevgrader Kreis im Südwesten des Landes kam das Fernsehen erst Ende der 1960er- und im Verlauf der 1970er-Jahre. Das Kino verlor daher seine Position gegenüber dem Fernsehen nicht so rasch wie in anderen Landesteilen – in den Westrhodopen erst in den 1970er- und 1980er-Jahren (Vučkov 2012). Die 1970er-Jahre werden als die goldene Ära des bulgarischen Films bezeichnet. Staats- und Parteichef Todor Živkov entschied sich unter dem Einfluss seiner Tochter Ljudmila Živkova, ab Mitte der 1970er-Jahre Kulturministerin, mit den Filmemachern zu diskutieren, anstatt sie zu bestrafen, wie dies noch in den 1960erJahren der Fall gewesen war. Sogar das Budget für die Filmproduktion wurde er-

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Epilog

Abb. 82: Die erste Regisseurin Bulgariens, Binka Željaskova, über die in den 1960er-Jahren ein Berufsverbot verhängt worden war © Bălgarska Nacionalna filmoteka Abb. 83: Ankündigung des Films ‚Das Schwimmbassin‘ / ‚Basejnăt‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

höht (Garbolevsky 2011, 117). Die positive Entwicklung begann, als 1971/72 Pavel Pisarev die Generaldirektion der Filmproduktion übernahm. Er lud die Regisseure ein, die Ausrichtung der Filmproduktion mitzugestalten. 1973 wurde die Sofioter Filmakademie gegründet und die Filmproduktion in drei, ab 1978/79 in vier unabhängige Produktionseinheiten mit je einem eigenen Direktor aufgeteilt. Die Regisseure konnten die Einheit wählen, in der sie arbeiten wollten (Holloway 1986, 100). Den großen internationalen Durchbruch erzielte der bulgarische Film Ende der 1970er-Jahre. Die in den 1960er-Jahren noch mit mehrjährigem Berufsverbot bestrafte Binka Željazkova gewann mit ‚Das Schwimmbassin‘ auf dem Moskauer Filmfestival 1977 die Silbermedaille und Eduard Zaharievs Film ‚Männerzeiten‘ wenige Monate später auf dem Teheraner Filmfestival Preise für die besten Schauspielleistungen. Im Jahr darauf erhielt Georgi Djulgerov in Berlin den silbernen Regie-Bären für seinen Film ‚Vorteil‘ (1977) (Ebenda, 100).

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Abb. 84: Szene aus dem Film ‚Männerzeiten‘ / ‚Măški vremena‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Abb. 85: Eduard Zahariev © Bălgarska Nacionalna filmoteka Abb. 87: Georgi Djulgerov © Bălgarska Nacionalna filmoteka

Abb. 86: Szene aus dem Film ‚Vorteil‘ /‚Avantaž‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka

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Epilog

Auch in Rumänien stieg die Zahl der Kinos und Kinobesuche in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre noch stark an. Ähnlich wie in Bulgarien wurde die Filmindustrie dezentralisiert. Die Produktion von Spielfilmen wurde in fünf Gruppen aufgeteilt, die insgesamt etwa 20 bis 30 Filme pro Jahr drehten. Das Buftea-Studio wurde geschlossen. Die durch die Rückzahlung hoher Auslandsschulden ausgelöste katastrophale ökonomische Situation des Landes in den 1980er-Jahren hatte auch auf das Kinogeschäft Auswirkungen. Aufgrund des hohen Schuldenstandes wurden möglichst wenige Filme importiert und stattdessen Eigenproduktionen forciert. Historienfilme, heimische Western und ländliche Dramen erfreuten sich großer Beliebtheit. Das Fernsehen mit seiner Sendezeit von nur 22 Stunden in der Woche stellte keine ernsthafte Konkurrenz für das Kino dar (Lim; Lim 2006, 345–346). Albanien nahm zu Beginn des Jahres 1967 mit Ausstrahlungen dreimal wöchentlich zu je zwei Stunden seinen Fernsehbetrieb auf. Ab 1970 wurde an Wochentagen von 18 bis 22 Uhr und sonntags von zehn bis 14 Uhr gesendet. Das Programm war vom Kampf der Partei gegen ‚Imperialismus‘ und ‚Sozialimperialismus‘ geprägt und bestand vornehmlich aus Folklore und Reden Enver Hoxhas. Das zahlenmäßig noch geringe Publikum konnte aber wohl zu seinem Glück auch italienische TVStationen empfangen (Balauri 1996a, 11). Auch in Griechenland hielt das Fernsehen erst ab Ende der 1960er-Jahre Einzug. 1966 wurden die ersten Testbilder gesendet, die bis 1968 nur im Großraum Athen empfangen werden konnten. Ab 1971 strahlte es in ganz Griechenland vor allem leichte Unterhaltung und alte populäre Kinofilme aus (Psoma 2008, 266–267). Das Jahr 1968 war mit 117 produzierten einheimischen Filmen und 137 Millionen verkauften Karten das beste Kinojahr. Danach setzte sukzessive der fernsehbedingte Rückgang der Kinobesuchszahlen ein. Während 1968 im Großraum Athen-Piräus noch 20 Millionen Eintrittskarten verkauft worden waren, schrumpfte diese Zahl bis 1977 auf nur mehr 400.000 (Karalis 2012, 140). In anderen Worten: Drei bis fünf Jahre nach Einführung des Fernsehens war ein Drittel des Kinopublikums verloren gegangen. Der Publikumsschwund und der Verkauf vieler beliebter Kinofilme an das Fernsehen führten dazu, dass die Nachfrage nach neuen Kinofilmen stark zurückging. 1973/74 wurde um die Hälfte weniger als in der Saison 1971/72 produziert (Papadimitriou 2006, 142; Hadjikyriacou 2013, 71–72). Die griechische Spielfilmproduktion war ein rein privater Sektor, bis 1970 die ‚Nationale Bank für industrielle Entwicklung‘ gegründet wurde, aus der 1973 das ‚Griechische Filmzentrum‘ hervorging. Nach dem Niedergang der Massenproduktion unterstützte dieses den sogenannten Neuen Griechischen Film, der sich bereits 1970 mit der Uraufführung von ‚Die Rekonstruktion‘ mit Theo Angelopoulos als Regisseur angekündigt hatte (Psoma 2008, 266–267; Stassinopoulou 2012, 138–140).

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Die erste türkische Fernsehsendung wurde offiziell am 31. Jänner 1968 ausgestrahlt. Die Türkei hatte bereits 1963 mit der BRD einen Vertrag geschlossen, wonach Bonn Ankara die technische Ausrüstung für ein TV-Trainingszentrum schenkte, das im Keller eines Wohnhauses in Ankara eingerichtet wurde, und Programm- sowie technisches Personal in der BRD  ausgebildet werden konnte. Als die BRD dem Türkischen Rundfunk zusätzlich einen kleinen TV-Sender schenkte, wurde dieser auf einem der Ankarener Hügel aufgebaut und dieses Zentrum zum TV-Studio umfunktioniert. Ab Ende Jänner 1968 strahlte es Sendungen in der Länge von zwei bis drei Stunden an drei Tagen der Woche aus. 1971 kam ein vierter Sendetag hinzu, und noch im selben Jahr wurde der Fernsehbetrieb in Istanbul aufgenommen. 1974 wurde das Staatsfernsehen gegründet, das nun landesweit sendete (Öngören 1986, 191–195; Arslan 2011, 101). Da dieses kaum eigene Sendungen produzierte, wurden, wie in anderen schwach entwickelten Ländern auch, hauptsächlich ausländische Produktionen gezeigt. 1980 bis 1982, also bereits während der Militärdiktatur, stieg der Anteil der Eigenproduktionen auf mehr als 28 Stunden der wöchentlichen Sendezeit von insgesamt 42 Stunden. Im Vergleich zu den acht bis zehn ausländischen Serien wie etwa ‚Dallas‘ blieben sie jedoch relativ unbeachtet (Öngören 1986, 191–195; Arslan 2011, 101). Trotz dieser zögerlichen Anfänge des türkischen Fernsehens halbierte sich bereits von 1970 bis 1975 die Zahl der Kinos. Im darauffolgenden Jahrzehnt ging sie um weitere 50 Prozent zurück (Tabelle 85). Allein die Zahl der Istanbuler Kinos schrumpfte von 436 (1970) auf 161 (1978) (Arslan 2011, 101; Akçura; Turan 2014, 36). Wurden im Jahr 1970 landesweit noch durchschnittlich sieben bis acht Eintrittskarten pro Person verkauft, war es 1985 weniger als eine (Arslan 2011, 101). Tabelle 85: Anzahl der Kinos in der Türkei 1970–1990

Jahr 1970 1975 1980 1985 1990

Kinos 2424 1350 938 767 rd. 300

Quelle: Arslan 2011, 207; Akçura; Turan 2014, 36.

Durch die rasche Zuwanderung in die Städte und die Zunahme von Fernsehgeräten begannen sich Publikumsstruktur und Filmgenres ab etwa Mitte der 1970erJahre stark zu verändern. Bestand bis dahin das Publikum hauptsächlich aus Familien, fanden danach in erster Linie junge Männer aus den Unterschichten den Weg

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Epilog

in das Kino. Die Familien saßen zunehmend vor dem Fernsehgerät, während die Kinos den Publikumsrückgang zunehmend mit Sexfilmen aufzuhalten versuchten. Dieses Genre eignete sich bestens zur Produktion von schnell erzeugten Billigfilmen (Arslan 2011, 101, 111–114). Die Hinwendung zur Sexfilmproduktion erfolgte um die Mitte der 1970er-Jahre. Noch 1974 wiesen lediglich fünf Prozent der 189 produzierten Filme Nacktszenen auf; 1975 waren bereits mehr als die Hälfte der 225 hergestellten Filme Sexfilme. Ende der 1970er-Jahre setzte eine zweite Welle mit zunehmend obszönen Filmen ein, und 1979 waren bereits zwei Drittel der 193 produzierten Filme Sexfilme. Sie waren kürzer als andere Filme, was den Vertreibern erlaubte, harte Sexszenen, die gesondert gedreht oder aus ausländischen Filmen herausgeschnitten wurden, einzufügen. Die 1980 errichtete Militärdiktatur verbot die Produktion solcher Filme, jedoch durften die alten weiterhin gezeigt werden (Ebenda, 111–114). Tabelle 86 dokumentiert, wie der Sexfilm die anderen Filmgenres marginalisierte. Tabelle 86: Türkische Filmproduktion nach Genres 1979

Sexfilme Realistische Dramen Romantische Filme Komödien Actionfilme Zusammen

131 15 25 14 8 193

Quelle: Arslan 2011, 190.

Bereits in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre formierte sich eine vorerst noch unbedeutende Protestbewegung gegen den schlechten Massenfilm. Sie nannte sich nach der von einigen Intellektuellen gegründeten Filmzeitschrift Yeni Sinema/Neues Kino. Die Zeitschrift versuchte, Alternativen zur Yeşilçam-artigen Produktion zu stärken. Yılmaz Güney war einer der wenigen kommerziell erfolgreichen Regisseure, die auch von der Gruppe Neues Kino anerkannt wurden. Dessen international bekannter Film ‚Die Hoffnung‘ (1970) markierte demnach den Wendepunkt hin zum Neuen Kino (Dönmez-Colin 2008, 38–39). Damit endete um 1970 in den Balkanländern die zweite visuelle Revolution, während der das Kino zum populären Massenphänomen aufstieg und die visuelle Moderne anführte. In Zukunft sollte das Fernsehen diese Rolle übernehmen. Der dramatische Begriff Revolution rechtfertigt sich dadurch, dass das Kino in der relativ kurzen Zeitspanne von nur knapp 15 Jahren (etwa 1955 bis 1970) eine vornehmlich junge Alterskohorte visuell nachhaltig prägte. Das Kino erweiterte die inneren

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337 Abb.89: Ankündigung des Films ‚Die Hoffnung‘ / ‚Umut‘ © TÜRVAK

Abb. 88: Yılmaz Güney, der sich anfänglich als Hilfsarbeiter in der Filmproduktion sein Brot verdiente © TÜRVAK

Bilderwelten dieser Kohorte um Bilder, die an Emotionen wie Liebe, Leidenschaft, Empathie, Trauer und Freude anknüpften, die sich mit diesen unauflöslich verwoben und daher besonders wirkungsmächtig waren. Menschen, deren Bedürfnis nach und Abscheu vor körperlicher Repräsentation im Wesentlichen auf althergebrachte Art und Weise befriedigt worden war, wurden über das Kino und dessen bislang unbekannte Bildwelten, die überwiegend säkulare waren und von sozialistischen und kapitalistischen Träumen, glorioser nationaler Vergangenheit und außeralltäglichen Dramen erzählten, zu einer neuen Art des Sehens verführt. Diese Bilder kreierten Sehnsüchte, Wünsche wie auch Enttäuschungen und beeinflussten so Handlungen und Entscheidungen Einzelner. Dies gab es auch bereits zuvor, jedoch nicht in der Massivität der zweiten visuellen Revolution. Das Kino führte diese zweite visuelle Revolution zwar an, es war jedoch nicht ihr alleiniger Träger. Das Bildungswesen und weitere Massenmedien wie etwa Presse, Jugend- und Modejournale hatten an ihr starken Anteil. Während die meisten Kinofilme bereits in Farbe waren, blieben die Bilder der Tages- und Wochenpresse noch schwarz-weiß; manche von ihnen kamen weiterhin auch ohne Bilder aus. Insgesamt jedoch erhöhte sich die Zahl der Bilder, von denen die Menschen tagtäglich umgeben wurden, enorm. Dies zeigt mehr als deutlich das Beispiel der Massenpropaganda in den sozialistischen Ländern oder der visuelle Atatürk-Kult in der Türkei,

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Epilog

der seinen Tod um viele Jahrzehnte überlebte. Atatürk ließ sich regelmäßig von einer Schar persönlicher Fotografen begleiten, die sorgfältig choreografierte Bilder in Umlauf brachten und ihn in westlicher Kleidung Walzer tanzend, Alkohol trinkend, beim Sport oder auch in Frauenbegleitung zeigten. Bis heute trägt nach wie vor eine Unzahl von Atatürk-Statuen zur Ausgestaltung der Stadtzentren des ganzen Landes bei. Gesetze und Verordnungen sorgen dafür, dass seine Bilder in jedem öffentlichen Büro, Klassenzimmer, Gericht, Gefängnis und jeder Polizeistation angebracht sind (Özyürek 2006, 96–194). Wie groß der Anteil, den die Privatfotografie an der Zunahme der Bilderwelten hatte, ist schwer abzuschätzen. Die Anzahl an Fotoapparaten in der Bevölkerung dürfte bis um 1970 noch vergleichsweise gering gewesen sein – teilweise wegen ihrer relativ hohen Kosten und teilweise, weil der sozialistische Staat den Privatbesitz an Fotoapparaten als bourgeoise Haltung diskreditierte und die Herstellung von Privatfotografien in den verstaatlichten Fotoateliers sowohl in ästhetischer als auch in inhaltlicher Hinsicht kontrollierte, wie Rapper und Durand (2011) im Falle Albaniens herausgearbeitet haben. In Rumänien hingegen unterstand der Privatbesitz an Fotokameras keiner Kontrolle. In den 1970er- und 1980er-Jahren stellte die Beschäftigung mit der Privatfotografie ein legitimes Freizeitvergnügen dar. Die für die Öffentlichkeit bestimmte Bildproduktion hingegen blieb ebenso stark reglementiert wie Privataufnahmen des Öffentlichen (Bădică 2014, 208). Auch der Anteil, den die Werbung im öffentlichen Raum und in Zeitschriften für die Ausgestaltung der Bilderwelten einnahm, ist aufgrund des Mangels an spezifischen Untersuchungen schwer einzuschätzen. Ein rumänischer Beitrag weist darauf hin, dass in den realsozialistischen Ländern alle Produktwerbung erzieherischen und erklärenden Charakter hatte und insofern Propaganda darstellte, als ein Wettbewerb nicht existierte und die Werbefirmen staatlich waren. Die Produkte wurden gekauft, weil es keine Alternativen zu ihnen gab – wenn es sie überhaupt zu kaufen gab. Im rumänischen Fall waren die Werbezeiten im Fernsehen sehr gering, da die Sendezeiten insgesamt stark limitiert waren (Muresan 2008, 91–94). In diesem Buch war vom mehr oder weniger trivialen Spielfilm die Rede, der Massen zu begeistern vermochte. Hollywood hatte dieses Metier wie sonst keine Filmproduktionsstätte geprägt und am Laufen gehalten. Sein Erfolgsrezept wurde übernommen, nachgeahmt und den lokalen Bedürfnissen angepasst. In welcher Form auch immer – Hollywood war direkt oder indirekt omnipräsent. Ich meine, dass dies auch auf die sozialistisch-realistischen Filme zutraf, die zwar als ein ideologisches, nicht jedoch als ein handwerkliches Gegenprogramm zu Hollywood konzipiert waren. Hollywood verstehe ich auch als Synonym für die populäre visuelle Moderne, wie sie im Film repräsentiert wurde, unabhängig davon, wie er ideolo-

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gisch ausgerichtet war oder ob er dem Firmenkonglomerat, das gerne unter dem Terminus Hollywood zusammengefasst wird, entstammte. Mit diesem Buch wollte ich herausarbeiten, wie sich die visuelle conditio humana von der Mitte des 19. bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts in den Balkanländern verändert hat und welche Faktoren daran beteiligt waren. Konkret ging es darum zu zeigen, wie sich bestimmte religionsgebundene visuelle Traditionen, die sich im politischen, sozialen und kulturellen Rahmen des Osmanischen Reichs entfaltet hatten, um Dimensionen des Globalen und Säkularen erweitert wurden. Der Kern meiner Geschichte lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die visuelle Moderne war ein Produkt hochindustrialisierter Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Aus ihnen entsprangen Fotografie und Film und wirkten auf diese Gesellschaften zurück, indem sie eine sich zwischen Industrialisierung und ihrer visuellen Repräsentation entfaltende Dynamik in Gang brachten. In den ökonomisch schwachen Balkanländern konnte sich eine analoge Entwicklung nicht entfalten. Lediglich die Städte, und unter ihnen wiederum primär die Hauptstädte, wurden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der visuellen Moderne erfasst. Hier löste die tragische Dynamik dreier Kriege in Folge zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine erste visuelle Revolution aus, die jedoch nicht nachhaltig wirksam war und ohne wesentlichen Nachhall blieb. Erst mit der industriellen Revolution um die Mitte des Jahrhunderts ging eine nachhaltige, die Massen erfassende zweite visuelle Revolution Hand in Hand. Sie manifestierte sich in einem drastischen Anstieg an Kinos, an verkauften Eintrittskarten sowie an produzierten und importierten Filmen und bezog auch die ländlichen Regionen mit ein. Die Geburtshelfer der visuellen Moderne bildeten westliche Technologien, Akademien und Universitäten sowie Fachpersonal aus westlichen Ländern. In den sozialistisch gewordenen Staaten wurde die visuelle Moderne, diesmal unter Zuhilfenahme von sowjetischen Technologien, Akademien und Universitäten sowie Fachpersonal aus der SU ein zweites Mal geboren. Diese Patenschaften hatten jedoch nicht nur unhinterfragte Nachahmung zur Folge, sondern auch Amalgamierung und Adaption. Hier ist eine Unterscheidung zwischen sozialistischen und nicht sozialistischen Ländern und Zeiten sowie zwischen den Künsten und der Populärkultur, zu der ich hier neben dem Kino auch die Fotografie zähle, angebracht. Im Bereich der Bildenden und Darstellenden Künste mit ihren primär öffentlichen Auftraggebern ist ein starker Trend in Richtung einer Nationalisierung der visuellen Kultur festzustellen, die teilweise sogar gesetzlich vorgeschrieben wurde. Diese knüpfte vornehmlich an antike und mittelalterliche Traditionen an und wurde nicht selten von ausländischen Fachleuten ersonnen. Anders in der visuellen Populärkultur, die nur

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ausnahmsweise öffentliche Aufträge zugesprochen erhielt. Fotografie und Film eigneten sich aufgrund ihrer apparathaften-mechanischen Grundlage weitaus weniger für eine Nationalisierung des Visuellen – im Gegenteil, sie drängten in Richtung globaler Hegemonie. Die Balkanbevölkerung wurde insbesondere über die Fotografie, aber vor allem über den Film mit der visuellen Kultur der Moderne vertraut. Dies löste nicht nur Freude, sondern in christlich-orthodoxen und muslimischen Kreisen auch Widerstand aus. Über das Judentum lässt sich so viel sagen, dass sein Reformflügel sowohl an der Fotografie als auch am Kino regen Anteil hatte; in der jüdischen Orthodoxie war der Widerstand vermutlich ähnlich groß wie in der Masse der muslimischen Bevölkerung. Deren Ablehnung führte beispielsweise dazu, dass Filme aus westlichen Ländern für den Vertrieb in der Türkei zuerst kulturell zurechtgerichtet werden mussten, bevor sie erfolgreich in die Kinos gebracht werden konnten. Was die sozialistische Periode in Albanien, Bulgarien, Jugoslawien und Rumänien anlangt, macht die Unterscheidung von öffentlichen und privaten Auftraggebern keinen Sinn, da es nur mehr öffentliche gab; in Jugoslawien war die Sache etwas komplizierter. Für Kunst und Kultur der realsozialistischen Länder galt die Parole Stalins, dass sie sozialistisch im Inhalt und national in der Form sein sollten. Was das Kino anlangt, so wurde es, etwas überspitzt formuliert, immer nationaler in der Form und weniger sozialistisch in den Inhalten. Auch hier gilt, dass die visuelle Moderne in Form des Sozialistischen Realismus national angeeignet wurde. Darüber hinaus gilt auch für die sozialistischen Länder, dass das Kino aufgrund seiner apparathaften-mechanischen Grundlagen gleichzeitig auch in Richtung globaler Hegemonie drängte. Es erwiesen sich jene drei Transfermodi auch für das Kino als relevant, die bereits in vorcineastischer Zeit praktiziert wurden. Der nationalisierende Modus domestizierte Hollywood über die nationale Filmproduktion, indem diese erfolgreiche Genres (Komödie, Melodrama oder das Musical) und Techniken (klassischer Hollywoodstil) übernahm und an die lokalen Gegebenheiten (Schauplätze wie auch finanzielle Möglichkeiten) anpasste. Dieser bis dahin relativ bedeutungslose Modus erhielt durch den Aufbau nationaler Filmindustrien ab der Jahrhundertmitte größeres Gewicht. Da nur die türkische Filmproduktion auf ihrem Höhepunkt in den späten 1960erJahren quantitativ an jene Hollywoods herankam, überwog der hegemoniale Transfermodus über den Import von Filmen; dabei handelte es sich in den nicht-sozialistischen Ländern beinahe ausschließlich um westliche Produktionen, von denen die meisten wiederum der ‚Traumfabrik‘ Hollywood entstammten. Wie es scheint, änderte Hollywood so manche für den Binnenmarkt bestimmte Original- in Ex-

Hollywood und die zweite visuelle Revolution

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portversionen ab, die kulturell verträglicher und kommerziell ertragreicher waren. Der kulturspezifische Modus bezieht sich in erster Linie auf in der Türkei produzierte und von ihr importierte Filme. Was die in der Türkei produzierten Filme anlangt, so war dieser Modus weniger für die Zeit des Elitekinos, die bis etwa zum Zweiten Weltkrieg währte, relevant. Diese Filme – vielfach verfilmte Theaterstücke, zum Teil auch Operetten – waren für die säkulare Elite gedacht. Tatsächlich relevant wurden türkisch-muslimische Moralvorstellungen erst im Yeşilçam-Kino, das die Massen in die Kinos lockte. Was in die Türkei exportierte Hollywoodfilme anlangt, so wurden diese von den Importeuren bis etwa 1970 stark für den türkischen Markt adaptiert, um Publikum anzusprechen und Geld einzuspielen. Durch die Herausforderung der in erster Linie über das Kino transferierten visuellen Moderne wurden die inneren Bildarchive durch die Neubestände nicht ersetzt, sondern ergänzt, da wir unseren kulturell übermittelten inneren Bilderhaushalt nur langsam abbauen bzw. ihn nur allmählich in Einklang mit einem unbekannten oder ungewohnten visuellen Angebot bringen können. Durch das Vordringen der visuellen Moderne an ihre europäische Peripherie wurden die inneren Bildarchive also entscheidend erweitert und ergänzt. Sowohl das Alte als auch das Neue hatte darin seinen Platz – die Heiligenikone ebenso wie die Schauspielikone. Eine der daran anknüpfenden Fragen ist, ob dies ein Ergebnis von visuellem Kolonialismus war, zumal das Kino in der Region selbst nicht wurzelte. Ich möchte mich dieser von manchen Autoren geäußerten Ansicht nicht anschließen, da sich das Kino ohne Besuchszwang und durch lokale Kinobetreiber initiiert durchzusetzen vermochte. Statt grobkörnig von Kolonialismus zu sprechen, würde ich die Situation als von Pathé, Hollywood oder Moskau intendierte Herstellung visueller Hegemonie über die Region beschreiben. Hollywood und Moskau trieben unter den Bedingungen des Kalten Krieges ihr jeweiliges Hegemonialstreben an die Spitze; dies zog eine weitgehende, allerdings keine umfassende kulturelle Nivellierung des Publikums nach sich. Durch die Zuhilfenahme von statistischem Material konnte ich hoffentlich ausreichend überzeugend argumentieren, dass das Kino als Flaggschiff der visuellen Moderne von seinen Anfängen an in einem langsamen und mühsamen Prozess immer mehr Bevölkerungsschichten in seinen Bann zu ziehen vermochte, bis es zum visuellen Massenvergnügen aufstieg und breite Bevölkerungsschichten in die visuelle Moderne involvierte. Mir erschien dieser quantifizierend-rezeptionsgeschichtliche Zugang als die einzige Möglichkeit, den Wandel von einer stark religionsbezogenen hin zu einer mehr säkularen visuellen Kultur zu erfassen. Diesen Wandel herbeizuführen, war nicht das primäre Ziel Hollywoods, aber es trug maßgeblich dazu bei. Es verfolgte von Anfang an ausschließlich kommerzielle Interessen und,

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Epilog

damit Hand in Hand gehend, eine Politik der Durchsetzung US-amerikanischer Werte. Dabei stieß es auf mehr oder weniger ausgeprägten Widerstand. Die von ihm angestrebte Etablierung einer visuellen Hegemonie hatte beide Potenziale in sich: das der kulturellen Nivellierung ebenso wie jenes einer kulturellen Neuorientierung im Sinne des Anstoßens einer lokal und regional gebundenen visuellen Moderne. Beide Potenziale amalgamierten an ihrer europäischen Peripherie.

Filmografie A Hard Day’s Night (Walter Shenson, GB, 1964, R: Richard Lester). Across the Balkans (Charles Urban Trading Company, GB, 1906, K: John McKenzie). Akkorde der Liebe/Penny Serenade (Columbia Pictures, USA, 1941, R: George Stevens). Alarm (Bulgarische Kinematografie, Bulgarien, 1951 R: Zahari Ždanov). Alemdar Mustafa Paşa (Nationale Verteidigungsorganisation, Osmanisches Reich, 1918, R: Sedat Simavi).

Anathema (Asty Films, Griechenland, 1916, K: Joseph Hepp). Araber/The Arab (Metro-Goldwyn-Mayer, USA, 1924, R: Rex Ingram). Atlantis (Nordisk Film, Dänemark, 1913, R: August Blom). Auf den Straßen Istanbuls/İstanbul Sokaklarında (İpek Film, Türkei, 1931, R: Muhsin Ertuğrul). Aus dem Leben kleiner Prinzen (Joseph Hepp, Griechenland, 1911, K: Joseph Hepp). Badende Venus/Bathing Beauty (Metro-Goldwyn-Mayer, USA, 1944, R: George Sydney). Balkankrieg/Balkanskata vojna (Aleksandăr Žekov, Bulgarien, 1914, K: Aleksandăr Žekov). Bombala oski bombala! (Mehmet Karahafız, Türkei, 1972, R: Çetin İnanç). Broadway (Carl Laemmle Jr., USA, 1929, R: Pál Fejös). Casablanca (Hal B. Wallis, USA, 1943, R: Michael Curtiz). Daphnis und Chloe/Dáfnis kai Chlói (DAG Film, Griechenland, 1931, R: Orestis Laskos). Das Cabinet des Dr. Caligari (Rudolf Meinert & Erich Pommer, Deutschland, 1920, R: Robert Wiene). Das Ende Sankt Petersburgs/Konec Sankt-Peterburga (Mešrapom-Rus, SU, 1927, R: Vsevolod Pudovkin). Das Flammenhemd/Ateşten Gömlek (Kemal Film, Türkei, 1923, R: Muhsin Ertoğrul). Das Lied der Schwarzen Berge/Fantom Durmitora (Deutsche Eidophon-Film, Deutschland, Jugoslawien, 1932, R: K. Breiness, Hans Natge). Das Neue Albanien/Shqiperia e Re (Dokumentarfilmstudio Moskau, SU, 1954, R: Ilja Kopalin). Das Schwimmbassin/Basejnăt (Vesela Dimitrova, Bulgarien, 1977, R: Binka Željazkova). Den Syrtaki tanzen/Diplopennies (Th. Damaskinos & V. Michaelidis, Griechenland, 1967, Giorgos Skalenakis). Der Aufstand der Sklaven/Buntăt na robite (Vasil Gendov, Bulgarien, 1933, R: Vasil Gendov). Der blaue Engel (Erich Pommer, Deutschland, 1930, R: Josef von Sternberg). Der Bulgare ist galant/Bălgaran e galant (Vasil Gendov, Bulgarien, 1914, R: Vasil Gendov). Der falsche Kaiser/Lažni car (Lovćen film, Jugoslawien, 1955, R: Velimir-Velja Stojanović). Der Gefangene von Zenda/The Prisoner of Zenda (Selznick International Pictures, USA, 1937, R: John Cromwell).

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Filmografie

Der Jazzsänger/The Jazz Singer (Warner Brothers, USA, 1927, R: Alan Crossland & Gordon Hollingshead). Der Meister und Margarita/Majstor i Margarita (Dunav film & Euro International Film, Jugoslawien, 1972, R: Aleksandar Petrović). Der Scheich/The Sheik (Paramount, USA, 1921, R: George Melford). Der Sohn des Scheichs/The Son of the Sheik (United Artists, USA, 1926, R: George Fitzmaurice). Der Tiger von Eschnapur (Richard Eichberg, Deutschland, 1938, R: Richard Eichberg). Der Wolf von Prokletije/Vuk sa Prokletija (Kosmet film, Jugoslawien, 1968, R: Miodrag Stamenković). Die Ballade vom Soldaten/Ballada o soldatje (Mosfilm, SU, 1959, R: Grigori Čuhrai). Die drei Musketiere/The Three Musketeers (Pandro S. Berman, USA, 1948, R: George Sidney). Die Erbin/The Heiress (William Wyler, USA, 1949, R: William Wyler). Die Faust des Krüppels/I grothia tou sakati (Orthophonic Pictures Corporation N.Y., USA, 1929, R: Tetos Dimitriadis). Die Geschichte der Kelly-Bande/The Story of the Kelly Gang (John Tait etc., Australien, 1906, R: Charles Tait etc.). Die goldene Göttin von Rio Beni (Franz Eichhorn, Deutschland, Frankreich, Spanien, 1964, R: Eugenio Martin). Die Hochzeit von Himmet Ağa/Himmet Ağa‘nın İzdivacı (Zentrales Heeresfilmamt, Osmanisches Reich, 1914, R: Fuat Uzkınay). Die Hoffnung/Umut (Çevat Alkan etc., Türkei, 1970, R: Yılmaz Güney). Die königliche Parade am 10. Mai 1897/Defilarea (Lumière, Rumänien, 1897, K: Paul Menu). Die Krönung König Peters I. Karadjordjević/Krunisanje Kralja Petra I Karadjordjevića (Sheffield Photo Company, Serbien, GB, 1904, K: Frank Stern Mottershaw). Die Rekonstruktion/Anaparastasi (Giorgis Samiotis, Griechenland, 1970, R: Theo Angelopoulos). Die Rothschilds (Ufa, Deutschland, 1940, R: Erich Waschneck). Die Tochter des Führers/La figlia de capo (Tomorri Film, Albanien, 1943 Aufnahmen abgebrochen). Die traurige Mutter/Jadna majka (Gebrüder Savić, Serbien, 1912, K: Louis de Beéry). Die Unabhängigkeit Rumäniens/Independenţa României (Leon Popescu, Rumänien, 1912, R: Grigore Brezeanu). Die ungekrönte Königin/The Divine Lady (Frank Lloyd & Walter Morosco, USA, 1929, R: Frank Lloyd). Die Zeit der Zigeuner/Dom za vešanje (Mirza Pasić, Jugoslawien, 1989, R: Emir Kusturica). Doktor Schiwago/Doctor Zhivago (Metro-Goldwyn-Mayer, USA, 1965, R: David Lean). Dr. Seltsam oder: wie ich lernte, die Bombe zu lieben/Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (Hawk Films, GB, 1964, R: Stanley Kubrick). Ein Herz und eine Krone/Roman Holiday (Paramount, USA, 1953, R: William Wyler).

Filmografie

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Ein Menschenschicksal/Sud’ba čeloveka (Mosfilm, SU, 1959, R: Sergej Bondarčuk). Ein Platz an der Sonne/A Place in the Sun (George Stevens, USA, 1951, R: George Stevens). Ein Tag im Leben/Un día de vida (Francisco Cabrera, Mexiko, 1950, R: Emilio Fernández). Eine Liebestragödie in Istanbul/İstanbul’da Bir Facia-i Aşk (Kemal Film, Türkei, 1922, R: Muhsin Ertoğrul). Eine stürmische Nacht/O noapte furtunoasă (Oficiul Naţional Cinematografic, Rumänien, 1943, R: Jean Georgescu). Erfreulicher Auftakt/Charoumeno Xekinima (Finos Films, Griechenland, 1954/55, R: Dinos Dimopoulos). Erinnerst du dich an Dolly Bell?/Sjećaš li se Dolly Bell? (Berislav Petrušić, Jugoslawien, 1981, R: Emir Kusturica). Erotikon (Gem-Film, Tschechoslowakei, 1929, R: Gustav Machatý). Ešalon doktora M. (Udruženje Filmskih Umetnika Srbije, Jugoslawien, 1955, R: Živorad-Žiko Mitrović). Fatale Liebe/Amor Fatal (Grigore Brezeanu & Pathé, Rumänien, 1911, R: Grigore Brezeanu). Faust – Eine deutsche Volkssage (Erich Pommer, Deutschland, 1926, R: Friedrich W. Murnau). Frosina (Vardar film, Jugoslawien, 1952, R: Vojislav Nanović). Gehschwierigkeiten bei organisch bedingter Hemiplegie/Tulburările mersului în hemiplegia organică (Lumière, Rumänien, 1898, K: Constantin M. Popescu). Golpho (Athene Film, Griechenland, 1914, R: Filippo Martelli). Great northern Balkan war pictures (Great Northern Company, GB & USA, 1912). In den Docks von New York/The Docks of New York (Paramount Picture, USA, 1928, R: Josef von Sternberg). In den Gebirgen Jugoslawiens/U planinama Jugoslavije (Mosfilm, SU & Jugoslawien, 1946, R: Abram Matveevič Room). In den Klauen des Harems/Yasmina (Films André Hugon, Frankreich, 1927, R: André Hugon). Ivans Kindheit/Ivanovo detstvo (G. Kusnezov, SU, 1962, R: Andrej Tarkovski). Kalin der Adler/Kalin orelăt (Bulgarische Kinematografie, Bulgarien, 1950, R: Boris Borozanov). Kalkutta/Calcutta (Louis Kastner, Frankreich, 1969, R: Louis Malle). Kichererbsenverkäufer Horhor/Leblebici Horhor (Zentrales Heeresfilmamt, Osmanisches Reich, 1916, R: Sigmund Weinberg). Kismet (Metro-Goldwyn-Mayer, USA, 1955, R: Vincente Minnelli). König der Könige/The King Of Kings (Cecil B. DeMille, USA, 1927, R: Cecil B. DeMille). Kralle/Pençe (Nationale Verteidigungsorganisation, Osmanisches Reich, 1917, R: Sedat Simavi). La guerre dans les Balkans (Pathé, Frankreich, 1912). La Marseillaise (Pierre Renoir, Frankreich, 1938, R: Pierre Renoir). Le prince Zilah (Films Gaston Roudès, Frankreich, 1927, R: Gaston Roudès). Le Sang d’Allah (Films Luitz-Morat, Frankreich, 1923, R: Alfred Vercourt).

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Filmografie

Leben und Werk des unsterblichen Anführers Karadjordje/Život i dela besmrtnog vožda Karađorđa (Svetozar Botorić & Pathé, Serbien, 1911, R: Čiča Stanojević). Lenin in Polen/Lenin v Pol’še (Mosfilm etc., SU, Polen 1966, R: Sergej Jutkevič). Liebe und Leidenschaft/Ljubav i strast (Yugoslavian Pictures Inc. USA, 1932, R: Frank Melford). Männerzeiten/Măžki vremena (SFF etc., Bulgarien, 1977, R: Eduard Zahariev). Major Bauk (Bosna film, Jugoslawien, 1951, R: Nikola Popović). Marie Antoinette (Metro-Goldwyn-Mayer, USA, 1938, R: W.S. van Dyke). Mein großer Freund Shane/Shane (Paramount Picture, USA, 1953, R: George Stevens). Mit dem Glauben an Gott/Sa verom u Boga (M. A. P. Film, Serbien, 1932, R: Mihajlo A. Popović). Mit der Kamera in der Schlachtfront (Expreß Films, Deutschland, 1913, K: Robert Schwobthaler). Montagmorgen/Ponedelnik sutrin (Hristo Karanešev, Bulgarien, 1966, R: Hristo Piskov & Irina Aiktaševa). Nach dem Feuer über Russland/Sled požara nad Rusija (Bulgarien, 1929, R: Boris Grežov). Niemandsland/Ničija zemlja (Marc Baschet etc., Bosnien-Herzegowina etc., 2001, R: Danis Tanović). Oktoberrevolution/Révolution d’octobre (Télé-Hachette/Procinex, Frankreich, 1967, R: Frédérik Rosif ). Olympia (Leni Riefenstahl, Deutschland, 1938, R: Leni Riefenstahl). Papa ist auf Dienstreise/Otac na službenom putu (Mirza Pasić, Jugoslawien, 1985, R: Emir Kusturica). Panzerkreuzer Potemkin/Bronenosec Potjomkin (Jakov Blioh, SU, 1925, R: Sergei Eisenstein). Pferd, Frau, Gewehr/At avrat silah (Kazankaya Film, Türkei, 1966, R: Yılmaz Güney). Povara (Sapho Film, Sascha Film, Rumänien, Österreich, 1928, R. Jean Mihai). Rio Grande (John Ford, USA, 1950, R: John Ford). Schlacht an der Neretva/Bitka na Neretvi (Ceo Film, Jugoslawien, Italien, Deutschland, 1969, R: Veljko Bulajić). Schneewittchen und die sieben Zwerge (Walt Disney, USA, 1937, R: David Hand etc.). Schutzlose Unschuld/Nevinost bez zaštite (Dragoljub Aleksić, Serbien, 1943, R: Dragoljub Aleksić). Skanderbeg – Ritter der Berge/Skenderbeu (Mosfilm, SU, 1954, R: Sergej Jutkevič). Slavica (Avala film, Jugoslawien, 1947, R: Vjekoslav Afrić). Sonny Boy (Warner Brothers, USA, 1929, R: Archie Mayo). South Pacific (Magna Theatre Corporation, USA, 1958, R: Joshua Logan). Sonntags … nie/Poté Tin Kiriakí (Jules Dassin, Griechenland, 1959, R: Jules Dassin). Spion/Casus (Nationale Verteidigungsorganisation, Osmanisches Reich, 1917, R: Sedat Simavi). Stimme des Herzens/I foni tis kardias (Fika Films, Griechenland, 1943, R: Dimitris Ioannopoulos). Sündeloser Sünder/Grešnica bez greha (Novaković Film, Jugoslawien, 1927, R: Kosta Novaković). Tana (Kinostudio Shqiperia e Re, Albanien, 1958, R: Kristaq Dhamo). Tanz im Regen/Ples v dežju (Triglav film, Jugoslawien, 1961, R: Boštjan Hladnik).

Filmografie

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The Attached Balloon/Privârzanijat balon (Nikola Velev, Bulgarien, 1967, R: Binka Željazkova). The Balkan crisis (Gaumont, GB, 1912). The Balkan war (Cinemacolor, GB, 1912). The Sheik Steps Out (Republic Pictures, USA, 1937, R: Irving Pichel). The Virgin of Stambul (Universal Film, USA, 1920, R: Tod Browning). Trockener Sommer/Susuz Yaz (Ulvi Doğan, Türkei, 1963, R: Metin Erksan). Ulrich von Cilli und Vladislav Hunyadi/Ulrih Celjski i Vladislav Hunjadi (Svetozar Botorić & Pathé, Serbien, 1911, R: Čiča Stanojević). Underground/Podzemlje (Pierre Spengler, Deutschland etc., 1995, R: Emir Kusturica). Unruhiger Sommer/Dertli Pınar (Ses Film, Türkei, 1943, R: Faruk Kenç). Verklungene Träume/Ciuleandra (Martin Berger Film, Deutschland, Rumänien, 1930, R: Martin Berger). Vor dem Regen/Pred doždot (Aim etc., GB, Makedonien, 1994, R: Milčo Mančevski). Vorteil/Avantaž (Trajko Ivanov, Bulgarien, 1977, R: Georgi Djulgerov). Wenn sich der Frühling verspätet/Kur pranvera vonohet (Kosovo film, Jugoslawien, 1979, R: Ekrem Kryeziu). Wenn die Kraniche ziehen/Letjat žuravli (Mosfilm, SU, 1957, R: Mihail Kalatozov). Wind und Eiche/Era dhe Lisi (Televisioni Prishtina, Jugoslawien, 1979, R: Besim Sahatçiu). Winnetou (Jadran Film etc., BRD, Jugoslawien, Italien, 1963, R: Harald Reinl). W.R. Mysterien des Organismus/W.R. Misterije organizma (Telepool & Neoplana film, Jugoslawien, 1971, R: Dušan Makavejev). Zigeunerbaron (Zelnik-Film, Deutschland, 1927, R: Frederic Zelnik). Zwei/Dvoje (Avala film, Jugoslawien, 1961, R: Aleksandar Petrović). Zwölf Uhr mittags/High Noon (United Artists, USA, 1952, R: Fred Zinnemann). K = Kameramann R = Regisseur



Verzeichnis der Abkürzungen

BRD – Bundesrepublik Deutschland ČSSR – Tschechoslowakische Sozialistische Republik FAMU – Film- und Fernsehfakultät der Akademie der Darstellenden Künste in Prag GATT – Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen IATC – Institut für Theater- und Filmkunst in Bukarest

IMG – Information Media Guaranty MPA – Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals MPEA – Motion Picture Export Association MPPDA – Motion Pictures Producers and Distribution Association MPS – Motion Picture Service o.J. – ohne Jahr o.J.u.S. – ohne Jahr und Seite RGW – Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe SU – Sowjetunion UFI – Ufa-Film GmbH Ufa – Universum Film AG USIA – United States Information Agency VGIK – Allunionstaatliches Institut für Kinematografie

Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Kino, Hotel und Bierhalle Pariz im Zentrum Belgrads (1910) Abb. 2: Svetozar Botorić – Hotelier, Kinobesitzer, Pathé-Repräsentant und (Ko)Produzent von drei der insgesamt vier serbischen Spielfilme aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Abb. 3: Das Kino Moderni bioskop der Gebrüder Savić in Belgrad (1911). Es handelte sich hierbei um eine Holzkonstruktion. Das Publikum musste weder verhungern noch verdursten Abb. 4: Boža, Pera und Svetolik Savić, Belgrader Kinobesitzer und Zeitungsherausgeber

Abb. 5: Bühnen- und Filmschauspielerin Bedia Muvahhit Abb. 6: Bühnen- und Filmschauspielerin Neyyire Neyir Abb. 7: Grigore Brezeanu Abb. 8: Szene aus dem Film ‚Die Unabhängigkeit Rumäniens‘ / ‚Independenţa României‘ Abb. 9: Der erste serbische Spielfilm ‚Karadjordje‘, von dem die einzige Kopie im Film Archiv Austria überlebte Abb. 10: Čiča Ilija Stanojević, Belgrader Schauspieler, Theater- und Filmregisseur Abb. 11: Das Labor des Filmproduzenten Leon Popescu Abb. 12: Szene aus ‚Der Bulgare ist galant‘ / ‚Bălgaren e galant‘ von und mit Vasil Gendov Abb. 13: Vasil Gendov – Pionier des bulgarischen Films Abb. 14: Djordje-Djoka Bogdanović – Filmproduzent, Kinobesitzer und Weingroßhändler Abb. 15: Fuat Uzkınay in Uniform Abb. 16: Ita Rina bei den Dreharbeiten zu ‚Erotikon‘ Abb. 17: Pola Negri – die Schauspielerin polnischer Abstammung arbeitete sowohl für den deutschen Film als auch für Hollywood (hier auf der Titelseite des rumänischen Kinomagazins ‚Cinema‘) Abb. 18: Ankündigung des Films Mata Hari (1931) mit Greta Garbo und Ramón Novarro in den Hauptrollen durch das Apollo Kino in Bukarest Abb. 19: Das Kino Lluks in der südalbanischen Stadt Korça Abb. 20: Das Kino Majestik in der südalbanischen Stadt Korça Abb. 21: Das Kino Gloria in der albanischen Hafenstadt Durrës Abb. 22: Das Kino Rozafat in Tirana Abb. 23: Ankündigung der Hollywoodproduktion ‚Im siebenden Himmel‘ / ‚Ingerul Străzii‘ (1937) in Rumänien Abb. 24: Ferdi Tayfur – ein meisterhafter Synchronsprecher Abb. 25: Sascha Filmstudio in Wien – Aufnahmeleitung der Koproduktion ‚Povara‘ Abb. 26: Die Filmcrew von ‚Mit dem Glauben an Gott‘ / ‚Sa verom u Boga‘ (1932) in einer Drehpause. Der Regisseur, Mihajlo A. Popović, war 20 Jahre alt Abb. 27: Mihajlo A. Popović Jahre später hinter der Kamera

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Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 28: Szene aus dem Film ‚Der Aufstand der Sklaven‘ / ‚Bundat na robite‘ Abb. 29: Vasil Gendov (li) und Boris Grežov (re) Abb. 30: Muhsin Ertoğrul – der Altmeister des türkischen Films Abb. 31: Werbung für den Film ‚Auf den Straßen Istanbuls‘ / ‚İstanbul Sokaklarında‘ Abb. 32: İpek Film-Magazin 1936 Abb. 33: Kosta Novaković – Apotheker und Filmemacher Abb. 34: Szene aus dem Film ‚Sündeloser Sünder‘ / ‚Grešnica bez greha‘ des Belgrader Filmemachers Kosta Novaković Abb. 35: Szene aus ‚Ciuleandra‘ / ‚Verklungene Träume‘ Abb. 36: Ion Cantacuzino, Direktor des Nationalen Kinoamts (ONC) Abb. 37: Erste mobile Filmvorstellungsausrüstung Serbiens (1930er-Jahre) in einem Dorf in der Šumadija Abb. 38: Improvisierte Filmvorstellung in einem serbischen Dorf in der Šumadija (1930er-Jahre); das Publikum ist beinahe ausschließlich männlich Abb. 39: Kino Capitol in Timişoara Abb. 40: Sommerkino in Arad mit Logenplätzen Abb. 41: Das Kino Rex in Tirana Abb. 42: : Das Sommerkino Skenderbej in Tirana © Arkivi Qëndror i Shtetit Abb. 43: Einer der 281 gezeigten deutschen Filme war ‚Ich vertraue Dir meine Frau an‘ mit Kurt Hoffmann als Regisseur und Heinz Rühmann in der Hauptrolle (1943) Abb. 44: Nicht identifizierbares Belgrader Kino in deutscher Besatzungszeit (1943–44) Abb. 45: Montierte Szene aus ‚Schutzlose Unschuld‘ / ‚Nevinost bez zaštite‘ mit dem Regisseur Dragoljub Aleksić im Bild Abb. 46: Das Belgrader Kino Takovo bringt ‚Schutzlose Unschuld‘ / ‚Nevinost bez zaštite‘ des serbischen Regisseurs Dragoljub Aleksić (1943). Der Andrang ist beträchtlich Abb. 47: ‚Zwölf Uhr mittags‘ / ‚Tačno u podne‘ mit Fred Zinnemann als Regisseur sowie Gary Cooper und Grace Kelly in den Hauptrollen Abb. 48: Der Wilde Westen im Kosovo. Szene aus dem Film ‚Ešalon doktora M.‘ des serbischen Regisseurs Živorad-Žika Mitrović Abb. 49: Živorad-Žika Mitrović, der Regisseur, der den Western domestizierte Abb. 50: Radoš Novaković hinter der Kamera Abb. 51: Der angesehene Belgrader Schriftsteller Aleksandar Vučo Abb. 52: Vjekoslav Afrić, Regisseur des ersten jugoslawischen Films unter Tito – der Partisanenfilm ‚Slavica‘ (1947) Abb. 53: ‚Slavica‘ – „der erste heimische Spielfilm, aufgenommen in Split und Umgebung“ Abb. 54: Einer der gezeigten sowjetischen Filme mit Vorbildfunktion war ‚Seoska učiteljica‘ / Die Dorflehrerin Abb. 55: Ankündigung des US-amerikanischen Films ‚Carrie‘ (1952) mit Laurence Olivier und

Verzeichnis der Abbildungen

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Jennifer Jones in den Hauptrollen – nach dem Roman von Theodore Dreiser ‚Sister Carrie‘ © Jugoslovenska kinoteka Abb. 56: Ankündigung des Films ‚Kalin der Adler‘ / ‚Kalin Orelăt‘ Abb. 57: Zahari Ždandov Abb. 58: Ein Technikraum im bulgarischen Spielfilmzentrum Bojana Abb. 59: Beginn der Bauarbeiten für das Buftea-Studio Abb. 60: Dreharbeiten für ‚Skanderbeg – Ritter der Berge‘ / ‚Skenderbeu‘ Abb. 61: Großer Andrang vor dem Bukarester Kino Scala, das die rumänische Produktion ‚Fata Morgana‘ (1967) mit Dinu Manolache und Diana Lupescu in den Hauptrollen sowie Elefterie Voiculescu als Regisseur bringt Abb. 62: Hristo Piskov Abb. 63: Szene aus dem Film ‚Montagmorgen‘ / ‚Ponedeljak sutrin‘ © Bălgarska Nacionalna filmoteka Abb. 64: Szene aus dem Film ‚The Attached Balloon‘ / ‚Privârzanijat balon’ Abb. 65: Werbung für den Film ‚Trockener Sommer‘ / ‚Dertli Pinar‘ Abb. 66: Die sowjetische Produktion ‚In den Gebirgen Jugoslawiens‘ / ‚U planinama Jugoslavije‘, an der Nikola Popović und Vjekoslav Afrić als stellvertretende Regisseure mitwirken durften Abb. 67: ‚Major Bauk’, hergestellt unter der Leitung des serbischen Regisseurs Nikola Popović Abb. 68: Ankündigung des ersten makedonischen Films ‚Frosina‘ mit Vojislav Nanović als Regisseur und Kiro Bilbilovski hinter der Kamera Abb. 69: ‚Der falsche Kaiser‘ / ‚Lažni car‘, der erste montenegrinische Film mit Velimir-Velja Stojanović als Regisseur Abb. 70: ‚Der Wolf von Prokletije‘ / ‚Vuk sa Prokletija‘ Abb. 71: ‚Wenn sich der Frühling verspätet‘ / ‚Kur pranvera vonohet‘ mit Ekrem Kryeziu als Regisseur Abb. 72: Aleksandar Petrović in charmanter Gesellschaft Abb. 73: Petrovićs Drama ‚Zwei‘ / ‚Dvoje‘ erzählt von Mirko und Jovana, die sich ineinander verlieben Abb. 74: ‚Der Meister und Margarita‘ / ‚Maestro i Margarita‘ – eine Verfilmung des Romans Michail Bulgakovs Abb. 75: Dušan Makavejev Abb. 76: Makavejevs Film ‚WR – Die Mysterien des Organismus‘ basiert auf den Theorien Wilhelm Reichs und durfte erst in den 1980er-Jahren gezeigt werden Abb. 77: Ankündigung des in Jugoslawien äußerst populären mexikanischen Films ‚Ein Tag im Leben‘ / ‚Jedan dan života‘ Abb. 78: Goran Paskaljević Abb. 79: Goran Marković Abb. 80: Rajko Grlić (li) und Srdjan Karanović (re)

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Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 81: Emir Kusturica Abb. 82: Die erste Regisseurin Bulgariens, Binka Željaskova, über die in den 1960er-Jahren ein Berufsverbot verhängt worden war Abb. 83: Ankündigung des Films ‚Das Schwimmbassin‘ / ‚Basejnăt‘ Abb. 84: Szene aus dem Film ‚Männerzeiten‘ / ‚Măški vremena‘ Abb. 85: Eduard Zahariev Abb. 86: Szene aus dem Film ‚Vorteil‘ / ‚Avantaž‘ Abb. 87: Georgi Djulgerov Abb. 88: Yilmaz Güney, der sich anfänglich als Hilfsarbeiter in der Filmproduktion sein Brot verdiente Abb. 89: Ankündigung des Films ‚Die Hoffnung‘ / ‚Umut‘

Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt der Balkanländer pro Einwohner und Einwohnerin im Vergleich zum westeuropäischen Mittelwert 1913–1950 Tabelle 2: Städtische und ländliche Bevölkerung im europäischen Vergleich um 1900 (in %) Tabelle 3: Analphabetenraten in Europa Anfang des 20. Jahrhunderts (in %) Tabelle 4: Eisenbahnnetze auf dem Balkan und in Westeuropa Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts Tabelle 5: Bevölkerung Bukarests 1831–1941 Tabelle 6: Bevölkerung Belgrads 1866–1910 Tabelle 7: Bevölkerung von Athen und Piräus 1836–1920 Tabelle 8: Bevölkerung Sarajevos 1879–1921 Tabelle 9: Bevölkerung bulgarischer Städte 1900 Tabelle 10: Belgrader Familien nach sozialer Zugehörigkeit und Beschäftigung (in %) Tabelle 11: Filmproduktion Pathés und Gaumonts 1901–1910 Tabelle 12: Anzahl der Kinos in Deutschland 1896–1917 Tabelle 13: Anzahl der Kinos in Berlin 1905–1913 Tabelle 14: Industrieproduktion pro Kopf der Bevölkerung im internationalen Vergleich 1939 (in bulgarischen Leva) Tabelle 15: Analphabetenraten in den Banschaften Jugoslawiens 1931 (in Prozent der über Fünfjährigen) Tabelle 16: Wachstum der fünf größten Städte Griechenlands 1920–1951 (in 1.000) Tabelle 17: Altersstruktur des Kinopublikums in Pera (Istanbul) 1932 (in %) Tabelle 18: US-amerikanische Spielfilme in Frankreich, Deutschland und Großbritannien 1926– 1932 (in Prozent) Tabelle 19: Jugoslawische Filmproduktion 1932–1939 (alle Arten von Filmen) Tabelle 20: Import US-amerikanischer Spielfilme in die Balkanländer und Ägypten 1931 (im Wert von US$) Tabelle 21: Aus den USA in die Balkanländer exportierte Waren 1936 (in US$) Tabelle 22: Wert der von den Balkanländern importierten US-amerikanischen Spielfilme 1923– 1927 (in US$) Tabelle 23: Leinwandanteile US-amerikanischer, deutscher und französischer Spielfilme in den Balkanländern 1927 (in %) Tabelle 24: Anzahl der in Jugoslawien 1932 bis 1937 gezeigten Spielfilme aus den USA, Deutschland und Frankreich Tabelle 25: Anteile der in Rumänien 1925 bis 1933 gezeigten Spielfilme aus den USA, Deutschland und Frankreich (in %)

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Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 26: Premierevorstellungen in den Bukarester Kinos nach Herkunft der Spielfilme 1920– 1940 Tabelle 27: Ausländische Spielfilme in der Türkei (1. Quartal 1933) Tabelle 28: Ausländische Spielfilme in der Türkei 1936 ( Januar-Oktober) Tabelle 29: Spielfilmproduktion Rumäniens 1912–1948 Tabelle 30: Spielfilmproduktion Bulgariens 1915–1950 Tabelle 31: Spielfilmproduktion der Türkei 1917–1949 Tabelle 32: Spielfilmproduktion der Türkei 1939–1950 Tabelle 33: Weltweite Kinostatistik (31.12.1927) Tabelle 34: Anzahl der Kinos in europäischen Ländern 1931 Tabelle 35: Durchschnittliche Bevölkerungszahl pro Kino in den Balkanländern 1939 Tabelle 36: Anzahl der Kinos in Bulgarien 1923–1944 Tabelle 37: Anzahl der Kinos und Kinositze in Jugoslawien 1926–1939 Tabelle 38: Anzahl der Kinos in Jugoslawien – Verteilung nach Regionen 1929 Tabelle 39: Anzahl der Kinos in Bosnien-Herzegowina 1928–1938 Tabelle 40: Anzahl der Kinos in Athen 1912–1939 Tabelle 41: Anzahl der Kinos in Jugoslawien mit und ohne Tonanlage 1932–1937 Tabelle 42: Premierevorstellungen in den Bukarester Kinos nach Herkunft der Spielfilme 1940–1948 Tabelle 43: Anteil der Wirtschaftssektoren am Bruttosozialprodukt in Bulgarien 1939–1975 (in %) Tabelle 44: Beschäftigte nach Sektoren in Jugoslawien 1953–1971 (in %) Tabelle 45: Aufgliederung der Erwerbstätigen nach Sektoren in Griechenland 1961–1981 (in %) Tabelle 46: Anstieg des privaten Konsums im internationalen Vergleich 1961–1977 (in %) Tabelle 47: Aufgliederung der griechischen Bevölkerung nach Bildungsniveau 1961–1981 (in %) Tabelle 48: Bruttosozialprodukt der Balkanländer im Vergleich 1960 und 1979 (in US$ von 1979) Tabelle 49: Abwanderung vom Land in die Stadt in Bulgarien 1947–1976 Tabelle 50: Das Wachstum der fünf größten Städte Griechenlands 1951–1981 (in 1.000) Tabelle 51: Land- und Stadtbevölkerung Griechenlands 1961 und 1971 (in %) Tabelle 52: Nach Jugoslawien importierte Spielfilme 1944–1954 (nach Herkunftsländern) Tabelle 53: Verkaufte Eintrittskarten für einheimische, sowjetische und andere Spielfilme in Jugoslawien 1947–1950 Tabelle 54: Prozentuelle Verteilung der Filmvorführungen in den Belgrader Kinos 1950 (nach Exportländern) Tabelle 55: 1949/50 in Jugoslawien zensurierte Spielfilme (nach Herkunftsländern) Tabelle 56: Spielfilmproduktion Rumäniens 1950–1989 Tabelle 57: Spielfilmproduktion Bulgariens 1951–1984 Tabelle 58: Spielfilmproduktion Albaniens 1958–1990 Tabelle 59: Herkunft der Spielfilme und ihr Publikum pro Jahr in Bulgarien 1956–1970 (in Millionen)

Verzeichnis der Tabellen

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Tabelle 60: Spielfilmproduktion Griechenlands 1945–1968 Tabelle 61: Spielfilmproduktion der Türkei 1917–2011 Tabelle 62: Anzahl der Produktionsfirmen und produzierten Filme in der Türkei 1945–1955 Tabelle 63: Spielfilmproduktion Jugoslawiens 1945–1964 (nach Republiken) Tabelle 64: Anzahl der Kinos und verkauften Karten in Neuseeland 1939–1975 Tabelle 65: Anzahl der verkauften Kinokarten in Großbritannien 1935–1970 Tabelle 66: Anzahl der Kinos in Bulgarien 1944–1973 Tabelle 67: Kinematifizierung Bulgariens 1944–1950 (nach Stadt und Land) Tabelle 68: Anzahl der Kinos und Kinositze in Jugoslawien 1939–1964 Tabelle 69: Anzahl der Winterkinos in Athen und seinen Vorstädten 1946–1970 Tabelle 70: Kinokartenverkauf in Griechenland 1956–1975 Tabelle 71: Anzahl der Kinos und verkauften Karten in der Türkei 1939–1955 Tabelle 72: Verkaufte Kinokarten in Jugoslawien nach Republiken 1953–1964 (in 1.000) Tabelle 73: Jährlicher Kinobesuch pro Einwohner und Einwohnerin in Jugoslawien nach Republiken und autonomen Gebieten 1953–1964 Tabelle 74: Durchschnittliche Kinoeintrittspreise in Belgrad im Vergleich 1967–1971 (in Dinar) Tabelle 75: Anzahl der Kinos, ausländischen und inländischen Spielfilme sowie verkauften Karten (in Millionen) in der Türkei 1947–1970 Tabelle 76: Spielfilmimport Griechenlands 1957–1963 Tabelle 77: Jährliche Ausgaben für den griechischen Import von ausländischen Spielfilmen 1960– 1970 (in US$) Tabelle 78: In Athen gezeigte Spielfilme 1960–1970 (nach Produktionsland) Tabelle 79: Jugoslawiens Spielfilmimport 1944–1964 (ausgewählte Länder) Tabelle 80: Durchschnittliche Besuchszahl heimischer und ausländischer Filme in Jugoslawien 1956–1960 Tabelle 81: Anzahl der heimischen und ausländischen Spielfilme in Jugoslawien 1956–1960 Tabelle 82: Anzahl der Kinovorstellungen mit heimischen und ausländischen Filmen in Jugoslawien 1956–1960 Tabelle 83: Registrierte Fernsehgeräte in den Balkanländern 1960 und 1969 (Geräte pro 1.000 Menschen) Tabelle 84: Anzahl der Kinos in den jugoslawischen Hauptstädten 1970 und 1980 Tabelle 85: Anzahl der Kinos in der Türkei 1970–1990 Tabelle 86: Türkische Filmproduktion nach Genres 1979



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Personenindex Abd al-Wahhab, Muhammed (1902–1991) – 312 Abdülaziz (osmanischer Sultan 1861–1876) – 100, 110 Abdülhamid I. (osmanischer Sultan 1774– 1789) – 99 Abdülhamid II. (osmanischer Sultan 1876– 1909) – 100, 110–111, 124 Abdülmecid I. (osmanischer Sultan 1839–1861) – 71, 109 Afrić, Vjekoslav (1906–1980) – 266–267, 294, 346, 350–351 Aleksić, Dragoljub (1910–1985) – 236, 238, 346, 350 Angelopoulos, Theo (1935–2012) – 335, 334 Antoine, André (1848–1943) – 106 Antonescu, Ion (1882–1946) – 237, 239 Arbuckle, Fatty (1887–1923) – 214 Arkın, Cüneyt (1937– ) – 291 Armstrong, Louis (1901–1971) – 253 Atatürk, Mustafa Kemal (1881–1938) – 140, 170, 244, 337–338 Ažbé, Anton (1862–1905) – 75–76 Bâhâeddin Bediz, Rahmizâde (1875–1951) – 112 Battenberg, Alexander Joseph von (1857–1893; Fürst Bulgariens 1879–1886) – 35 Baumeister, Reinhard (1833–1917) – 44 Bayezid II. (osmanischer Sultan 1481–1512) – 71 Bellini, Gentile (ca. 1429–1507) – 71 Berger, Martin (1871–1930) – 217, 347 Bogdanović, Djoka (1860–1914) – 159, 208 Bondarčuk, Sergej (1920–1994) – 263, 345 Borozanov, Boris (1887–1951) – 272, 345 Borthwick, Jessica (1882–1946) – 164

Botorić, Svetozar (1875–1916) – 135–136, 143, 148.149, 151, 208, 346–347, 349 Brando, Marlon (1924–2004) – 257 Brasini, Armando (1879–1965) – 50 Brezeanu, Grigore (1891–1919) – 145–146, 344, 349 Brynner, Yul (1920–1985) – 320 Buchholz, Horst (1933–2003) – 320 Buda, Aleks (1910–1993) – 274 Cantacuzino, Ion (1908–1975) – 218, 350 Cantor, Eddie (1892–1964) – 202 Caragiale, Costache (1815–1877) – 86 Carol I. (Karl Friedrich von Hohenzollern– Sigmaringen, 1866–1914 Fürst und König Rumäniens) – 35 Carol II. (Karl von Hohenzollern–Sigmaringen, 1930–1940 König Rumäniens) – 195, 206, 237 Cemil, Mesut (1902–1963) – 203 Čermák, Jaroslav (1830–1878) – 77 Chaplin, Charlie (1889–1977) – 178, 214 Chatzidakis, Manos (1925–1994) – 287 Clair, René (1898–1981) – 179 Colla, Augusto (1821–1888) – 94 Cooper, Gary (1901–1961) – 253–254, 350 Cruz, Oswaldo (1872–1917) – 148 Čuhrai, Grigori (1921–2001) – 263, 344 Cvetković, Brana (1874–1942) – 61 Čytilová, Vĕra (1929–2014) – 321 Daguerre, Louis (1787–1851) – 88–90, 109 Dančov, Georgi (1846–1908) – 93 Dean, James (1931–1955) – 257 Delacroix, Eugène (1798–1863) – 76–77 Delavallée, Henri (1862–1943) – 124 Demirağ, Turgut (1921–1987) – 240 DeMille, Cecil B. (1881–1959) – 164, 345

Personenindex

de Windt, Harry (1856–1933) – 119 Dhamo, Kristaq (1933– ) – 274, 346 Di Fausto, Florestano (1890–1965) – 50 Dietrich, Marlene (1901–1992) – 179 Dimitriadis, Tetos (1897–1971) – 219, 344 Disney, Walt (1901–1966) – 178, 346 Djulgerov, Georgi (1943– ) – 332–333 Domínguez, Columba (1929–2014) – 319 Douglas, Kirk (1916– ) – 320 Dupont, Ewald André (1891–1956) – 179 Durbin, Deanna (1921–2013) – 178 Eichberg, Richard (1888–1952) – 344 Eisenstein, Sergei (1898–1948) – 262, 276, 346 Enver Pascha (1881–1922) – 157 Erksan, Metin (1929–2012) – 292, 347 Ertuğrul, Muhsin (1892–1979) – 106, 108–109, 211–213, 240, 343 Fenton, Roger (1819–1869) – 96 Ferdinand von Coburg–Gotha (Fürst und König Bulgariens 1887–1918) – 35 Fernández, Emilio (1904–1986) – 345 Feuillade, Louis (1873–1925) – 131 Fičev, Nikola (1800–1881) – 91 Fitzgerald, Ella (1917–1996) – 253 Ford, John (1894–1973) – 149, 346 Freund, Karl (1890–1969) – 149 Finos, Filopimin (1908–1977) – 236, 284 Flynn, Errol (1909–1969) – 178 Forman, Miloš (1932– ) – 321 Fuad, Ali (?–1919) – 104 Fuller, Charles (1830–1875) – 100 Gable, Clark (1901–1960) – 178–179 Garbo, Greta (1905–1990) – 179–180, 349 Gardin, Vladimir (1857–1965) – 275 Gaumont, Léon (1864–1946) – 130 Gaziadis, Dimitris (1897–1961) – 211 Gaziadis, Kostas (1899–1970) – 211 Gaziadis, Michalis (1905–?) – 211

385 Gelenbevi, Baha (1907–1984) – 240 Gendov, Vasil (1891–1970) – 150–151, 209–210, 343, 349–350 Georg I. (Christian Wilhelm Ferdinand Adolf Georg von Schleswig-Holstein– Sonderburg-Glücksburg, König Griechenlands 1863–1913) – 94 Gilbert, John (1897–1936) – 179 Gillespie, Dizzy (1917–1993) – 253 Goldfaden, Abraham (1840–1908) – 87 Gorki, Maksim (1868–1936) – 263 Grežov, Boris (1899–1967) – 210, 346, 350 Grigoriou, Grigoris (1919–2005) – 285 Grlić, Rajko (1947– ) – 328–329, 351 Grünanger, Friedrich (1856–1929) – 81 Güney, Yılmaz (1937–1984) – 292, 336–337, 344, 346, 352 Guy–Blaché, Alice (1873–1968) – 130–131 Halm, Alfred (1861–1951) – 207 Hamoyan, Agavani – 108 Hansen, Christian (1803–1883) – 81 Hansen, Theophil (1813–1891) – 80–82 Hardy, Oliver (1892–1957) – 202–203, 214 Hays, Will H. (1879–1954) – 184–185, 297 Heesters, Johannes (1903–2011) – 236 Hefft, Anton (1815–1900) – 82 Hepp, Joseph (1887–1968) – 139, 151–152, 157, 343 Hitchcock, Alfred (1899–1980) – 297, 320 Hladnik, Boštjan (1929–2006) – 299, 346 Idromeno, Kolë (1860–1939) – 125, 135 Iliopoulos, Dinos (1915–2001) – 285 Imami, Besa (1928–2014) – 274 İnanç, Çetin (1941– ) – 291, 343 Ivačković, Svetozar (1844–1924) – 80 Jachmund, August (1859–1907) – 101 Jale, Afife (1902–1941) – 109 Jannings, Emil (1884–1950) – 179, 236 Jolson, Al (1886–1950) – 179

386 Josimović, Emilijan (1823–1897) – 49 Jovanović, Anastas ((1817–1899) – 26, 89, 92–93 Jovanović, Djordje (1861–1953) – 79 Jovanović, Paja (1859–1957) – 75 Jürgens, Curd (1915–1982) – 320 Jutkevič, Sergej (1904–1985) – 274, 346 Kalatozov, Mihail (1903–1973) – 263, 347 Kamil, Halil (1893–1968) – 204 Kamil, Şadan (1917–2009) – 240 Karahafız, Mehmet (1935– ) – 291, 343 Karanović, Srdjan (1945– ) – 328–329, 351 Karastojanov, Anastas (1822–1880) – 90, 93, 95 Karastojanov, Nikola (1778–1874) – 93 Kaynak, Saadettin (1896–1961) – 203 Keaton, Buster (1895–1966) – 179, 214 Kenç, Faruk (1910–2000) – 240, 289, 347 Kleanthes, Stamation (1802–1862) – 46 Klenze, Leo von (1784–1864) – 47, 51 Kodheli, Kel (1870–1940) – 92 Kolář, Václav (1841–1900) – 48 Kopalin, Ilja (1900–1976) – 274, 343, Kracauer, Siegfried (1889–1966) – 199, 221, 261 Krüger, Hardy (1928– ) – 320 Kryeziu, Ekrem (1943– ) – 295, 297, 247, 251 Kusturica, Emir (1954– ) – 329–330, 344–347, 352 Lancaster, Burt (1913–1994) – 320 Lang, Fritz (1890–1976) – 149, 179 Laurel, Stan (1890–1965) – 202–203, 214 Leander, Zarah (1907–1981) – 236 Levski, Vasil (1837–1873) – 79 Linder, Max (1883–1925) – 214 Loren, Sofia (1934– ) – 256 Lualdi, Antonella (1931– ) – 256 Lubitsch, Ernst (1892–1947) – 179 Lumière, Auguste (1862–1954) – 92, 114 Lumière, Louis (1864–1948) – 92, 114, 116, 118–119, 126

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Mahmud II. (osmanischer Sultan 1808–1839) – 71 Makavejev, Dušan (1932– ) – 299, 347, 351 Manaki, Janaki (1878–1954) – 26, 94, 146 Manaki, Milton (1882–1964) – 26, 94, 146 Mančevski, Milčo (1959– ) – 330, 347 Margaritis, Filippos (1810–1892) – 92 Marinescu, Gheorghe (1863–1938) – 148 Marjanović, Rista (1885–1969) – 26, 155, 158 Marković, Goran (1946– ) – 328–329, 351 Marubi, Gegë (1907–1984) – 92 Marubi, Pietro (1834–1903) – 92, 94 Marx, Groucho (1890–1977) – 202–203 Matejko, Jan (1838–1893) – 77 Mehmed II. (osmanischer Sultan 1444–1446, 1451–1481) – 71 Melford, Frank (1905–1964) – 219, 344, 346 Méliès, Georges (1861–1938) – 118, 126–127, 162 Mencl, Jirži (1938– ) – 321 Menu, Paul (1876–1973) – 147, 344 Messter, Oskar (1866–1943) – 149 Mihail, Jean (1896–1963) – 207, 346 Mihailo Obrenović III. (1823–1868, Fürst Serbiens 1839–1842, 1860–1868) – 78, 89, 92 Miloš Obrenović, Fürst Serbiens 1830–1839, 1858–1860) – 49, 92 Mimar Kemalettin Bey (1870–1927) – 101 Mincu, Ion (1852–1912) – 82 Mio, Sokrat (1902–1992) – 107 Mitropoulou, Aglaia (1927–1991) – 23, 283 Mitrović, Živorad Žiko (1921–2005) – 254–255, 345, 350 Mrkvička, Ivan (1856–1938) – 77 Murnau, Friedrich (1888–1931) – 149, 179, 345 Muvahhit, Bedia (1897–1994) – 109, 140–141, 349 Nanić, Stojan (1854–1904) – 121 Nāser ad–Din Schah (Schah Persiens 1848–

Personenindex

1896) – 110 Negreanu, Dinu (1919–2001) – 277 Negri, Pola (1897–1987) – 179–180, 349 Nero, Franco (1941– ) – 320 Neyir, Neyyire (1902–1943) – 109, 140–141, 349 Nikolić, Baron Feodor (Ziviladlatus Bosniens und der Herzegowina 1882–1886) – 53 Njegoš, Petar Petrović (1813–1851) – 92 Noble, Charles Rider (1854–1914) – 119 Nottara, Constantin (1859–1935) – 145 Novaković, Kosta (1895–1953) – 213–215, 346, 350 Novaković, Radoš (1915–1979) – 265–266 Novarro, Ramón (1899–1968) – 179–180, 349 Osgan, Yervant (1855–1914) – 99 Osman Hamdi Bey (1842–1910) – 99 Özsoy, İhsan (1876–1944) – 99 Papazyan, Aruşyak (1841–1907) – 108 Paskaljević, Goran (1947– ) – 328–329, 351 Pathé, Charles (1863–1957) – 126–127 Pathé, Emile (1860–1937) – 126 Pazzi, Enrico (1818–1899) – 78 Petrović, Aleksandar (1929–1994) – 298–299, 344, 347, 351 Petrović, Svetislav (1894–1962) – 179 Philipe, Gérard (1922–1959) – 256 Piotrowski, Anton (1853–1924) – 77 Pisarev, Pavel (1934– ) – 332 Piskov, Hristo (1927–2009) – 278, 346, 351 Pitrolf, Lajos, Zoltan, Arpad (Louis Pitrolf de Beéry, geb. 1879) – 148, 151, 164 Popescu, Leon (1864–1918) – 145, 150, 344, 349 Popp de Szathmary, Carol (1812–1887) – 96 Posadas, Alejandro (1870–1902) – 148 Presley, Elvis (1935–1977) – 257 Pudovkin, Vsevolod (1893–1953) – 262, 343 Quinn, Anthony (1915–2001) – 320 Rakovica, Rexep H. (1909–1988) – 112

387 Rebreanu, Liviu (1985–1968) – 217 Riefenstahl, Leni (1902–2003) – 196, 346 Rina, Ita (1907–1979) – 179, 219, 349 Rökk, Marika (1913–2004) – 236 Room, Abram (1894–1976) – 294, 345 Sabri, Mustafa (1869–1954) – 110 Sadik Bey, Mohammed (1832–1902) – 111 Sahatçiu, Besim (1935–2005) – 295 Sakellarios, Alekos (1913–1991) – 286 Savić, Boža (1862–1927) – 137–138, 149, 151, 208, 344, 349 Savić, Pera (1868–1925) – 137–138, 149, 151, 208, 344, 349 Savić, Svetolik (1874–1944) – 137–138, 149, 151, 208, 344, 349 Schraubert, Gustav Eduard (1804–1860) – 46 Schwobthaler, Robert (1876–1934) – 163, 346 Seden, Kemal (1888–1941) – 211 Selim III. (osmanischer Sultan 1789–1807) – 99 Sharif, Omar (1932–2015) – 320 Simavi, Sedat (1896–1963) – 343, 345–346 Skalenakis, Giorgos (1926– ) – 287, 343 Šmaha, Josef (1848–1915) – 85 Šobajić, Branko (1878–1917) – 139 Stalin, Josif (1878–1953) – 244, 247, 263, 300, 319, 340 Stamenković, Miomir (1928–2011) – 295, 344 Stanojević, Čiča Ilija (1859–1930) – 148–149, 346–347, 349 Storari, Luigi (1821–1894) – 46 Stroheim, Erich von (1885–1957) – 179 Swanson, Gloria (1899–1983) – 179 Talbot, William (1800–1877) – 88 Tamindžić, Ljubo (1874–1945) – 138–139 Tanović, Danis (1969– ) – 330, 346 Tarkovski, Andrej (1932–1986) – 263, 321, 345 Tayfur, Ferdi (1904–1958) – 202–203, 349

388 Taylor, Liz (1932–2011) – 320 Taylor, Robert (1911–1969) – 179 Temple, Shirley (1928–2014) – 178 Theodorakis, Mikis (1925– ) – 287 Thiard de Laforest, Franz (1838–1911) – 96 Tito, Josip Broz (1892–1980) – 247, 253, 265– 266, 271, 315, 319–320, 350 Toeplitz, Jerzy (1909–1995) – 276 Trikoupis, Charilaos (1832–1896) – 40 Truman, Harry S. (1945–1953 Präsident der USA) – 244, 259 Tsiforos, Nikos (1912–1970) – 285–286 Ubavkić, Petar (1852–1910) – 79 Uzkınay, Fuat Efendi (1888–1956) – 151, 159– 160, 344, 349 Vaccaro, Carlo Alberto (1864–1933) – 138, 143 Vartovian, Agop (Künstlername Güllü Agop) (1840–1902) – 105, 108 Vasil’ev, Sergej (1900–1959) – 273 Vedat Bey (1873–1942) – 101 Veidt Conrad (1893–1943) – 179 Venizelos, Eleftherios (1864–1936) – 152 Verebes, Ernö (1902–1971) – 179 Vidor, King (1894–1982) – 179 Vidraşcu, Pascal (1877–1962) – 145 Villiers, Frederic (1851–1922) – 162, 164 von Klenze, Leo (1784–1864) – 47 Vučo, Aleksandar (1897–1985) – 265–266, 268, 350 Wajda, Andrze (1926– ) – 321 Weinberg, Sigmund (1868–1954) – 124–125, 134, 140, 143, 150, 157, 159, 345 Welles, Orson (1915–1985) – 320 Werner, Ilse (1921–2005) – 236 Wiene, Robert (1873–1938) – 210, 343 Wilkins, George Hubert (1888–1958) – 164 Wilson, Arnold Muir (1857–1909) – 120 Winckelmann, Johann (1717–1768) – 78

Personenindex

Wittek, Alexander (1852–1894) – 82 Xarchakos, Stavros (1939– ) – 287 Zagrafski, Gjorgji (1871–1945) – 93 Zahariev, Eduard (1938–1996) – 332–333, 346, 352 Ždanov, Andrej Aleksandrovič (1896–1948) – 263–264 Ždanov, Zahari (1911–1998) – 272, 343 Žekov, Aleksandăr (geb. 1879) – 157, 343 Željazkova, Binka (1923–2011) – 278, 332, 343, 347 Zherka, Ahmet Ymer (1882–1967) – 112 Zinnemann, Fred (1907–1997) – 149, 254, 320, 347 Živkov, Todor (1911–1998) – 255, 331 Živkova, Ljudmila (1942–1981) – 331 Zocchi, Amoldo (1862–1940) – 79