Die Bodenfrage: Klima, Ökonomie, Gemeinwohl 9783868599541, 9783868596694

We live on the ground and with the ground. It feeds us and it cools the earth’s atmosphere. We need it for housing, we u

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German Pages 144 Year 2020

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Die Bodenfrage: Klima, Ökonomie, Gemeinwohl
 9783868599541, 9783868596694

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Der Boden – Voraussetzung für das Gemeinwohl
Der Boden – eine soziale Konstruktion
Die Wohnungsfrage – eine Chance für den Boden
Gespräch mit Ottmar Edenhofer
Manual zur Bodenfrage
Klima – der Boden als Klimaakteur
Ökonomie - der Boden als Wirtschaftsgut und Ware
Gemeinwohl – der Boden als Ort der Gemeinschaft
Perspektiven
Die Bodenreform – gestern und heute
Boden – der blinde Fleck unseres Wirtschaftssystems
Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik – Kernelement nachhaltiger Stadtentwicklung
Logiken und Akteure des Agrarraums
Wie Luft und Wasser – Bodenrecht zwischen Eigentumsgarantie und Gemeinwohlverpflichtung
Biografien

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Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl

Für Peter

Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl

Stefan Rettich, Sabine Tastel (Hg.)

Einleitung

Perspektiven

Monika Thomas: Der Boden – Voraussetzung für das Gemeinwohl 9

Florian Hertweck: Die Bodenreform – gestern und heute 101

Stefan Rettich: Der Boden – eine soziale Konstruktion 11

Dirk Löhr: Boden – der blinde Fleck unseres Wirtschaftssystems 109

Sabine Tastel: Die Wohnungsfrage – eine Chance für den Boden 19

Martin zur Nedden: Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik – Kernelement nachhaltiger Stadtentwicklung 117

Ricarda Pätzold und Stefan Rettich im Gespräch mit Ottmar Edenhofer 23

Manual zur Bodenfrage Stefan Rettich, Sabine Tastel: Klima 39 Ökonomie 57 Gemeinwohl 77

Christian Strauß: Logiken und Akteure des Agrarraums 125 Stephan Reiß-Schmidt: Wie Luft und Wasser – Bodenrecht zwischen Eigentumsgarantie und Gemeinwohlverpflichtung 133

Biografien 141

Einleitung

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Monika Thomas: Der Boden – Voraussetzung für das Gemeinwohl Der Boden ist ein nicht vermehrbares Gut und zugleich Voraussetzung, um unsere Städte und Gemeinden weiterzu­ entwickeln. Neue Wohnungen, Büros, Straßen oder öffentliche Einrichtungen können nur entstehen, wenn dafür Flächen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig hat der Boden eine wichtige ökologische Funktion im Klima- und Umweltschutz. Das Vorhandensein von Grün- und Freiflächen, der Erhalt von Frischluftschneisen und eine hohe biologische Vielfalt sind wichtige Faktoren, um Städte und Gemeinden im Klimawandel widerstandsfähig zu machen. Es ist daher unsere gesellschaftliche Verpflichtung, mit der Ressource Boden sorgfältig umzugehen. Die Konkurrenz um Fläche und ihre Nutzungen und insbesondere die Knappheit an Bauland, um die große Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen zu bedienen, hat den Bedarf nach einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Bodenpolitik in den letzten Jahren in das Blickfeld der Stadtentwicklung gerückt. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat 2018 die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ (Baulandkommission) zu strategischen Fragen der Bodenpolitik und Baulandmobilisierung eingerichtet. Vertreter der Regierungsfraktionen, der Länder, der kommunalen Spitzenverbände, der Verbände der Wohnungs-, Immobilien-, Bau- und Stadt­ entwicklungspolitik, der Deutsche Mieterbund und Experten aus Wissenschaft und kommunaler Praxis haben sich mit allen aktuellen Fragen der Bodenpolitik und Baulandbereitstellung befasst. Die auf Basis dieser Beratungen ausgesprochenen Handlungsempfehlungen gilt es nun in den nächsten Jahren umzusetzen. Neben einer Anpassung und Verbes­ serung bauplanungsrechtlicher Rahmenbedingungen wird insbesondere eine aktive Boden- und Liegenschaftspolitik 9

in Bund, Ländern und Kommunen gefordert, die auch die kommunale Bodenbevorratung und den frühzeitigen Erwerb von potenziellen Entwicklungsflächen einschließt. Darüber hinaus unterstützt der Bund im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik den fachlichen Austausch und stößt durch Pilotprojekte immer wieder Innovationen an. 2007 als Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden ins Leben gerufen, setzt die Nationale Stadtentwicklungspolitik seitdem die LeipzigCharta zur nachhaltigen europäischen Stadt um. Unterdessen haben sich viele Rahmenbedingungen für die Städte und Gemeinden verändert: Neben dem Klimawandel müssen auch die Herausforderungen von Digitalisierung und Migration bewältigt werden. Daher wird in diesem Jahr die LeipzigCharta anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nach einem intensiven Vorbereitungsprozess überarbeitet und neu beschlossen. Die Neue Leipzig-Charta als Manifest für die moderne Stadtentwicklung gibt Leitlinien für eine integrierte und gemeinwohlorientierte Entwicklung – für eine grüne, gerechte und produktive Stadt. Im Sinne der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt tragen der fachliche Austausch und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit dazu bei, die Motivation aller an der Planung beteiligten Akteursgruppen für weiteres Engagement sowie für eine gemeinwohlorientierte und klimagerechte Stadt­ entwicklung zu stärken. Das Projekt Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl entspricht daher in besonderem Maße den Zielen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik. Gerade bei diesem komplexen Thema bedarf es der Information einer breiten Öffentlichkeit. Mit dem Buch und der Ausstellung ist dies auf besonders anschauliche Weise gelungen.

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Stefan Rettich: Der Boden – eine soziale Konstruktion Das Recht auf Eigentum gehört in Deutschland zu den Grundrechten.1 Es wurde im Zuge der bürgerlichen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert erstritten. Dem Recht auf Bodeneigentum wird dabei bis heute eine besondere Bedeutung zugemessen: als Grundvoraussetzung für freies Wirtschaften in unserer westlich geprägten Marktwirtschaft. Da der Zugang zu Grund und Boden durch überteuerte Boden­preise immer schwieriger wird, wird auch das Wirtschaften darauf immer schwieriger. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Wohnungswirtschaft und den rasant angestiegenen Mieten der zurück­ liegenden Jahre. Denn diese sind ursächlich auf steigende Bodenpreise zurückzuführen, da Immobilien nach unserem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) fester Bestand­teil eines Grundstücks sind.2 Im Umkehrschluss bedeutet dies, wer eine Immobilie für einen bestimmten Zweck errichten möchte, muss zunächst ein Grundstück erwerben. In diesem gesetzlich erzwungenen Akt der Privatisierung des Bodens steckt ein Kernproblem der Bodenfrage, eine bis heute virulente Unstimmigkeit. Denn für das Wirtschaften selbst wird eigentlich kein Zugang zu Boden­eigentum benötigt, sondern lediglich zu dessen Nutzung. In den 1970er-Jahren, als sich die Städte wie heute in einer Wachstumsphase befanden und sich die Preise von Grundstücken ähnlich dynamisch entwickelt haben, gab es einen von Hans-Jochen Vogel initiierten Reformansatz.3 Der sah vor, dass, anders als im BGB festgeschrieben, das Grundeigentum vom Recht auf dessen Nutzung getrennt werden sollte, ähnlich wie dies auch bei der Vergabe nach dem Erbbaurecht möglich ist. Das bringt zwei Vorteile mit sich: Wo kein Handel mit Grundeigentum betrieben wird, gibt es auch keinen Markt, der die Preise treibt – zum

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ersten. Zum zweiten verbleiben die Bodenrenten, also der Gewinn der durch die Verpachtung entsteht, bei der öffentlichen Hand, die damit zum Wohle der Allgemeinheit die Kosten für Infrastruktur und Gemeinbedarf decken kann. Mit der Privatisierung des Bodens tritt zudem ein weiteres wesentliches Problem zutage: Der Bodenpreis wird zwar über den Handel als Marktpreis gebildet, seine eigentliche Wertsteigerung erfährt ein Grundstück aber über Planung und Investitionen der öffentlichen Hand. Ein Grundstück steigt also zum einen im Wert, wenn die Kommune Baurecht schafft, zum anderen, wenn es gut erschlossen ist, wenn in seiner Nähe durch die öffentliche Hand Parkanlagen, Schulen, Kultur­ bauten oder andere Einrichtungen des Gemeinbedarfs errichtet werden – ohne dass der Grundbesitzer etwas dafür leisten muss. Mehr noch: Leistungslose Gewinne machen die Kapitalanlage Boden besonders attraktiv, weil sie im Vergleich mit anderen Anlageoptionen nicht besteuert wird. Die volkswirtschaftliche Sichtweise, dass solche leistungs­ losen Gewinne nicht gerechtfertigt sind, setzt sich daher immer mehr durch. Dass der Boden ein privates Gut ist, dass Immobilien Bestandteil eines Grundstücks und leistungslose Gewinne steuerfrei sind, ist nicht in Stein gemeißelt. Diese sowie weitere Teilaspekte der Bodenfrage werden in Gesetzen geregelt, und Gesetze sind soziale Konstruktionen: Sie werden von Menschen gemacht und von ihnen ausgelegt. Das macht den Boden selbst zu einer sozialen Konstruktion. Wenn Rahmenbedingungen sich so grundlegend ändern – wie die Entwicklung der Bodenpreise – und sich dies so sehr zum Nachteil von Umwelt und Gesellschaft auswirkt, wie dies seit einigen Jahren der Fall ist, dann steht diese soziale Konstruktion infrage. Und wenn mitunter 80 Prozent einer Investition in den Bodenpreis fließen und für die eigentliche Architektur nur noch 20 Prozent verbleiben, liegt es auf der Hand, dass wir auch auf eine hochproblematische Phase der Stadtgestaltung zusteuern – auf eine „Neue Unwirtlichkeit der Städte“ 4.

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Das Dilemma der Nutzungskonkurrenzen Es klingt schon fast wie eine Binsenweisheit, aber der Boden ist – wie Luft und Wasser – ein nicht reproduzierbares, also knappes Gut, das wir für sämtliche Lebensbereiche benötigen, nicht zuletzt zum Wohnen. Wir benötigen den Boden zudem für den Bau von Straßen, von sozialen Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen und auch für wirtschaftliche Zwecke. In den letzten Jahren wurde zudem deutlich, dass wir den Boden brauchen, um dem Klimawandel zu begegnen; um die Luft zu kühlen, für Wälder und Wiesen, die Treib­ hausgase binden, und für die Produktion von erneuerbaren Energien. Und natürlich benötigen wir Agrarland, um Lebensmittel anzubauen. Tagtäglich dehnen sich die Siedlungs- und Verkehrs­ flächen mit zuletzt 56 Hektar weiter aus,5 und jeder Hektar, den wir der Natur entziehen, beschleunigt den Klimawandel: Allein für Anbau und Import von Futtermitteln für unsere Fleisch­produktion beanspruchen wir im Ausland 2,6 Millionen Hektar Agrarland,6 in der Hauptsache in Brasilien. Jeden Hektar Agrarfläche, den wir bei uns neu bebauen, entziehen wir nicht nur unserer Natur, sondern wir beanspruchen dabei auch einen zusätzlichen Hektar Agrarland im Ausland, der meist erst durch Rodung wertvoller Waldbestände gewonnen werden muss. Dies ist nur ein Beispiel, das verdeutlicht, weshalb wir unsere Städte zwingend nach innen entwickeln müssen, auch weil wir dort weniger Grundstücksfläche pro Kopf verbrauchen als in ländlich geprägten Räumen. Dieses Dilemma aus den konkurrierenden Ansprüchen an unsere Böden aus Ökonomie, Gemeinwohl und Klima auf­zulösen, ist ein wesentlicher Aspekt unserer heutigen Bodenfrage. Denn die konkurrierende Nachfrage treibt den Preis unaufhörlich an, auch in der Landwirtschaft. Und mit der Innenentwicklung wächst der Druck auf die inner­ städtischen Grundstücke noch weiter. Wenn sich aber auf den Flächen immer nur diejenige Nutzung durchsetzt, die

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die höchste Rendite erzielt – oder schlimmer noch: gar keine Nutzung stattfindet, weil auf reinen Wertzuwachs spekuliert wird –, dann wird sich in absehbarer Zeit ein so starkes Ungleich­gewicht einstellen, das sich nicht mehr regulieren lässt. Die Gentrifizierung der Stadtquartiere, die wir seit einigen Dekaden erleben, ist auch eine Folge dieser Umverteilung über Bodenpreise. Der blinde Fleck Die Privatisierung des Bodens offenbart auch einen blinden Fleck in unserem Wirtschaftssystem. Der Boden als knappes Gut – wie Luft und Wasser – ist gleichgestellt mit anderen, reproduzierbaren Gütern, deren Verknappung durch Wett­bewerb und Marktgeschehen begegnet werden kann. Von staatlicher Seite wird der Boden also wie ein gewöhn­liches Wirtschaftsgut behandelt, zudem privilegiert besteuert. Die Kombination mit überhöhter Nachfrage durch Nutzungskonkurrenzen macht ihn zur idealen Ware unserer Gegenwart. Der blinde Fleck zeigt aber noch weitere Facetten: In unserer Sozialen Marktwirtschaft schafft der Staat einen Rahmen für die Marktakteure. Er greift nur ein, wenn sich erhebliche Ungleichheiten – etwa Monopole – abzeichnen. Als wichtiges Kontrollorgan beobachtet das Bundeskartellamt das Marktgeschehen und setzt Grenzen, wo sie erforderlich sind. Die Entwicklung der Bodenpreise und der Boden­ marktakteure ist aber bislang nicht Gegenstand dieser Kontrollen, obwohl der Boden als knappes Gut an sich schon zur Monopolbildung neigt. Und da jeder Euro nur einmal investiert werden kann, erweisen sich Investments in Bodenmärkte aus volkswirtschaftlicher Perspektive auch als „totes Kapital“, denn sie erzeugen keine Wertschöpfung. Dem Markt wird auf diese Weise Kapital entzogen, das dringend an anderer Stelle für Innovationen benötigt wird, zum Beispiel für einen Green New Deal. Bodeninvestments wirken sich also negativ aus – auf Wachstum, Arbeitsmarkt und gesellschaftlichen Wohlstand. 14

Das Jahr 2008 und die Folgen Die Weltfinanzmarktkrise von 2008 wird von Immobilien­ ökonomen als Wendepunkt betrachtet. Waren unsere Immobilienmärkte vorher weitgehend regional bestimmt, hat der internationale Einfluss seither rapide zugenommen. 2018 kam bei uns bereits jeder zweite Euro bei großen Transaktionen im Immobiliensektor aus dem Ausland.7 Im Rückblick ist es plausibel: Unsichere und bis heute geringe Renditen auf Aktien; günstiges Geld durch die Zinspolitik der Zentralbanken; wachsende individuelle Einkommen, aber kaum Verzinsung der Spareinlagen sowie der Einbruch von Staatsanleihen als vormals sichere Option für konservative Anleger wie Versicherungen und Pensionsfonds führten zu Investitionen auf dem Grundstücksund Immobilienmarkt. Die Überlagerung all jener Faktoren zwingt bis heute unterschiedlichste Akteursgruppen, vom individuellen Sparer bis hin zum kapitalstarken Investmentfonds zu derselben Reaktion: Investitionen auf dem Grundstücks- und Immobilienmarkt – bis hin zu den Paradoxien wie der, dass jedermann, der auch nur eine Haftpflicht­versicherung abschließt, indirekt dazu beiträgt, dass Bodenpreise und Mieten ansteigen – womöglich sogar die eigenen. Auch die Anlagestrategien der verschieden Marktakteure sind heute diverser. Private Immobilienbesitzer agieren meist als Bestandshalter. Sie finanzieren ihre Investitionen über Hypotheken und zielen daher auf eine langfristige Anlage. Internationale Kapitalgesellschaften benötigen hingegen kein Eigenkapital für ihre Käufe und zielen in der Regel auf kurzfristige Spekulationsgewinne. Vergleichbar mit dem Phänomen der Finanzwirtschaft, die sich im Zuge der Digitalisierung der Kapitalflüsse von der „Realwirtschaft“ abgekoppelt und eigene Märkte mit speziellen Finanzmarktprodukten entwickelt hat (Investmentbanking), spricht man von einer Finanzialisierung der Boden- und Immobilienmärkte – und ebenso mit eigenen Finanzmarktprodukten.

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Drei Ansätze für eine Bodenreform In Anbetracht der überhitzten Marktsituation erscheint es fast zwingend, den Anstieg der Bodenpreise zu begrenzen, so, wie dies bei den Wohnungsmieten versucht wird. Die Bodenrichtwerte, die etwa von Banken bei der Bewertung von Grundstücken herangezogen werden, und die aktuell den Marktwert 1:1 abbilden, bieten hierfür einen möglichen Ansatz­punkt. Denn deren Ermittlung wird im Baugesetzbuch (BauGB) geregelt. Der Gesetzgeber hat daher direkte Eingriffs­möglichkeiten, den Anstieg der Bodenrichtwerte zum Beispiel temporär aus­zusetzen, so, wie dies in der Nachkriegszeit der Fall war, als noch mehr Flächen für den Wohnungsbau benötigt wurden. Die Bodenrichtwerte könnten aber auch stärker an den Ertrags­werten – sprich den tatsächlich erzielbaren Mieten – ausgerichtet werden. Beides würde sowohl Spekulation und Mieten als auch die Gefahr einer Blasen­bildung eindämmen. Darüber hinaus darf es einfach nicht mehr so attraktiv sein, in Grund und Boden zu investieren. Wenn Bodenwertsteigerungen über eine Steuer – wie beispielsweise in der Schweiz – teilweise abgeschöpft würden,8 wäre dies ein deutliches Zeichen an diejenigen Marktakteure, die auf möglichst hohe Margen zielen. Die Investitionen würden zurückgehen, im Übrigen ganz zugunsten von Projektentwicklern, die unter den hohen Preisen gleichfalls leiden und kaum mehr wirtschaftlich agieren können – es sei denn im Segment von Luxuswohnungen. Dies käme dann auch den Kommunen zugute. Denn diese benötigen neben der Grundsteuer dringend eine weitere, dauer­ hafte Einnahmequelle. Mit ihr könnten – zweckgebunden – kommunale Bodenfonds auf- und ausgebaut werden,9 um Grundstücksbestände zu erhöhen und eine strategische Boden­bevorratung betreiben zu können. Des Weiteren könnten mit einer solchen Steuer dauerhaft Mittel für den sozialen Wohnungsbau generiert werden, um den Bau von bezahlbaren Wohnungen aus dem Immobilienmarktzyklus herauszulösen. Bund und Länder könnten einen Grundstock für solche 16

Bodenfonds bilden: zum einen durch finanzielle Einlagen, die von den Kommunen nach dem Anschub wieder zurückerstattet werden könnten. Zum anderen verfügen Bund und Länder in den Städten über viele Grundstücke, die sie nicht selbst benötigen und die sie schnell und unbürokratisch in diese Fonds einbringen könnten.10 Zu diesem Buch Kaum ein Beitrag zur Bodenfrage, der nicht mit einer Kaskade von Zahlen beginnt, als Beleg dafür, dass sich etwas Grund­ legendes geändert hat – nur, wie lässt sich verständlich erklären, woran das liegt? Zum einen erschwert die Komplexität des Themas die Vermittlung. Zum anderen verbergen sich hinter den vielen, kaum verständlichen Fachbegriffen Wechsel­beziehungen: Flächeninanspruchnahme, Share Deal, Boden­wert­zuwachssteuer, Innenentwicklungsmaßnahme, planungsbedingte Bodenwertsteigerungen usw. sind verbunden mit einem Wust an Gesetzen, die alle auf den Boden einwirken und über ihn untereinander in Verbindung stehen. Dreht man an der einen Stellschraube, muss man auch überprüfen, wie sich dies auf andere Bereiche, etwa die Wirtschaft, auswirkt. Experten sind dabei nicht nur Teil der Lösung, sondern auch ein Teil des Vermittlungsproblems. Auch dieses Buch kommt nicht ganz ohne Fachbegriffe und Zahlen aus. Aber sie werden in einem Manual – das den Hauptteil bildet – anhand von 36 Aspekten zur Bodenfrage in den Teilbereichen Klima, Ökonomie und Gemeinwohl beleuchtet und mit anschaulichen Grafiken erläutert. Ein einleitendes Interview mit Ottmar Edenhofer stellt den wichtigen Bezug zum Klima her, das in der Debatte über die Bodenfrage bislang kaum eine Rolle spielt. In fünf Essays werden schließlich einzelne Themen vertieft – wie Spekulation im Agrarraum, der Boden als blinder Fleck unseres Wirtschaftssystems oder die Historie gemeinwohlorientierter Bodenpolitik – sowie die Notwendig­keit und weitere Handlungsoptionen einer bodenpolitischen Reform aufgezeigt. Es gibt keine einfachen Lösungen, daher 17

werden auch keine radikalen Positionen vorgestellt, die dies versprechen. Vielmehr geht es in diesem Buch um eine Übersetzungsleistung. Darum, Zusammen­hänge und Wechsel­­wirkungen aufzuzeigen – und darum, die Komplexität auf­zu­brechen, um den Boden für eine breite gesellschaftliche Debatte zu bereiten. Denn der Boden ist eine soziale Konstruktion: Erst wenn die Gesellschaft ihre Sichtweise auf ihn ändert, werden auch Reformen möglich.

1  Grundgesetz (GG): Artikel 14. 2  Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): § 94, Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes. 3  Vogel, Hans-Jochen (1972): Bodenrecht und Stadtentwicklung, in: Neue Juristische Wochenschrift, Sonderdruck, 35 / 1972, S. 1544 ff. 4  Alexander Mitscherlich kritisierte bereits in den 1960er-Jahren den ästhetischen Ausdruck der funktionalen Entmischung, den er u.a. auf Bodenspekulation zurückführte; Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt a.M. 5  Statistisches Bundesamt (2020): Flächen­ nutzung, Flächenindikator: Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in ha / Tag, Stand Juli 2020, https://www.destatis.de/ DE/Themen/Branchen-Unternehmen/ Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/ Flaechennutzung/Tabellen/anstieg-suv.html (20.10.2020). 6  Nach Recherchen des Netzwerkes INKOTA e.V. beansprucht Deutschland 2,6 Mio. Hektar Agrarland pro Jahr im Ausland für Sojaimporte für Futtermittel: https://www.inkota. de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/INKOTA_ Infoblatt11_Futtermittelimporte_01.pdf (20.10.2020). 7  Rohrbeck, Felix; Rohwetter, Marcus: Rettet die Stadt!, in: Die ZEIT, 03 / 2018, S. 21. 8  Vgl. Beitrag Reiss-Schmidt in diesem Buch: Schweizerische Eidgenossenschaft (1979 / 2018): Bundesgesetz über die Raumplanung, Raum­planungsgesetz (RPG) vom 22.06.1979, Stand 01.01.2018, Art. 5. 9  Bunzel, Arno, et al., Bodenpolitische Agenda 2020–2030, Sonderveröffentlichung 2017, herausgegeben vom Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin, S.13. 10  Burgdorff, Frauke; Lang, Jochen; Rettich, Stefan (2017): Mehr Boden für Wohnen – Vorschlag für die Gründung einer Bodenstiftung des Bundes als Fundament für dauerhaft bezahlbare Wohnungen, www.uni-kassel.de/go/ staedtebau (20.10.2020).

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Sabine Tastel: Die Wohnungsfrage – eine Chance für den Boden Spätestens seit Greta Thunberg ist der Klimawandel in aller Munde. Vor allem die junge Generation beschäftigt die Frage, was von Gesellschaft und Politik getan werden müsste, um dramatische Folgen des Klimawandels zu vermeiden oder wenigstens zu mildern. Zwar hält sich die Anpassung der persönlichen Lebensstile noch in Grenzen, doch ist beispiels­ weise der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln1 und FairtradeProdukten in Deutschland in den letzten Jahren erheblich gestiegen.2 Non-Profit-Organisationen wie Atmosfair, die CO₂-Ausgleichszahlungen als freiwillige Spenden entgegennehmen, um diese in Klimaschutzprojekte zu investieren, verzeichneten erhebliche Umsatzzuwächse.3 Geht es aber um die Wohnform, hört die Auseinander­ setzung mit dem Klima auf. Gerade der privilegiertere Teil der Gesellschaft – darunter insbesondere junge Familien – präferieren nach wie vor das Einfamilienhaus mit Garten. Die Anzahl der Einfamilienhäuser steigt stetig an und ist mit knapp 31 Prozent die häufigste Form des Haus- und Grund­ besitzes der Privathaushalte in Deutschland.4 In den Einzugsgebieten großer Ballungszentren sieht man sie nach wie vor wie Pilze aus dem Boden sprießen. Sie sind Sinnbild sowohl für soziale Ungleichheit als auch für veraltete Wohnformen mit enormem Flächenverbrauch. Die durchschnittliche Wohn­fläche pro Kopf hat sich in den letzten 50 Jahren mehr als verdoppelt. Das liegt nicht nur an den untergenutzten Häusern in den Agglomerationen und auf dem Land, die oftmals nur von einem Ehepaar bewohnt werden. Es sind vor allem die Single-Wohnungen, die heute schon 42 Prozent der Haushalte in Deutschland ausmachen und im Durchschnitt eine Wohnfläche von 68 Quadratmetern beanspruchen. Ursache sind individuelle Lebensformen, Verwitwung oder multilokale Lebensstile.5 Die stetige Zunahme an individueller 19

Wohnfläche trägt entscheidend zur Ausbreitung der Siedlungsstrukturen und zur Versiegelung der Flächen bei. Und das hat direkte Aus­wirkungen auf unser Klima, denn der Boden verliert seine Funktion als Wärmespeicher und die Atmosphäre heizt sich in der Folge weiter auf. Zusätzlich erhöhen sich die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz und werden oft notgedrungen mit dem Auto zurückgelegt. Politische Entscheidungen, wie die 2019 beschlossene Erhöhung der Pendlerpauschale, tragen keineswegs zum Klima­schutz bei, denn sie setzen weitere Anreize, lange Wege in Kauf zu nehmen. Die negativen Auswirkungen der Bodenmarktentwicklung werden oftmals mit steigenden Wohnungsmieten veranschaulicht, denn das Wohnen betrifft jeden. Übersehen wird, dass der Wohnungsmarkt auch Chancen und Lösungsansätze bereithält, mit denen sowohl das Klima geschützt wie auch die Bodenpreise gedämpft werden könnten. Seit Jahren wird in der Fachwelt ein Wandel der Wohnformen thematisiert und es mangelt nicht an Ideen: Clusterwohnen oder Sharing-Modelle für alle Altersgruppen bieten durchdachte und flächen­ sparende Wohnformen. Allerdings ist es dringend an der Zeit zu verstehen, dass unsere eigenen Wohnan­sprüche Teil der Krise sind. Erst wenn wir umdenken, können sich neue, platzsparende Wohn- und Nachbarschaftsmodelle etablieren. Böden zu schützen und gleichzeitig – insbesondere bezahlbaren – Wohnraum zu schaffen, wird zudem nur dann gelingen, wenn die Städte nach innen entwickelt werden. Die Schließung von Baulücken, Aufstockungen und Anbauten bieten vielfältige Potenziale für Wohnraum sowie für soziale und kulturelle Infrastrukturen. Häufig steht die bauliche Nachverdichtung aber auch in direkter Flächenkonkurrenz zu den Grünflächen, die benötigt werden, um die Bildung von Hitzeinseln zu vermeiden und Biodiversität zu erhalten. Für Lebensqualität sorgen zudem innerstädtische Nah­ erholungsflächen, die in verdichteten Städten eine immer wichtigere Rolle übernehmen. Die Innenentwicklung ist somit doppelt zu denken: sowohl hinsichtlich baulicher Nachverdichtung als auch öffentlicher Freiräume. 20

Unabhängig von der Problematik des hohen Flächenverbrauchs besteht ein erhebliches soziales Ungleichgewicht, ausgelöst durch überhöhte Bodenpreise, die Wohnraum für viele unbezahlbar machen. In den Groß- und Schwarmstädten sind die Quadratmeterpreise in den letzten Jahren erheblich gestiegen. In München, als bekanntermaßen teuerster Großstadt Deutschlands, lag der durchschnittliche Preis für Eigentumswohnungen im Jahr 2019 bei knapp 9000 Euro pro Quadratmeter.6 Aber nicht nur hier, ein Häuschen auf dem Land oder eine kleine Stadtwohnung können sich insbesondere die kommenden Generationen nicht mehr leisten, es sei denn, es liegen individuell überdurchschnittliche Einkommen oder aber Erbschaften vor. Der Generationenkonflikt macht also auch vor der Wohnungsfrage nicht halt. Seit Jahren wird jungen Arbeit­ nehmern eine unsichere Rente prophezeit. Verursacht durch das bestehende gesetzliche Umlageverfahren und den absehbaren demografischen Wandel wird vor allem den Jüngeren nahegelegt, sich für die Zeit des Rentenalters privat abzusichern. Der Wunsch nach Wohneigentum, zumindest nach dauerhaft sicherem und bezahlbarem Wohnraum, ist verständlicherweise sehr groß. Die Politik steht hier in der Pflicht, sich für die Errichtung von sozialgerechtem Wohnraum einzusetzen und alternative Angebote zu schaffen. Wohnungs­ baugenossenschaften haben sich in den letzten 150 Jahren als wirksames Modell erwiesen, da sie ihren Mitgliedern eine langfristig gesicherte und bezahlbare Wohnung garantieren, oftmals in Kombination mit innovativen Wohnformen. Seit Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes im Jahr 1989 bilden sie aber eine Rand­erscheinung. Gerade die gezielte Förderung von genossenschaftlichen Wohnungsbauprojekten böte aber Ansätze, um individuelle Wohnmodelle zu befördern und den Anstieg der Bodenpreise langfristig zu mindern. Das Wohnen neu zu denken – oder aber an altbewährte Modelle anzuknüpfen –, schafft somit Freiräume: für das Klima und für die Bodenfrage.

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1  Statista (2020): Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2019, Ökologische Landwirtschaft - Branchenreport 2020, S. 25, https://de.statista.com/statistik/ daten/studie/4109/umfrage/bio-lebensmittelumsatz-zeitreihe/ (02.11.2020). 2  Statista (2020): Umsatz mit FairtradeProdukten in Deutschland in den Jahren 1993 bis 2019, TransFair Jahres- und Wirkungsbericht 2019, S. 9, https://de.statista.com/statistik/daten/ studie/226517/umfrage/fairtrade-umsatz-indeutschland/ (02.11.2020). 3  Zeit Online (2019): CO₂-Ausgleich für das Klima: Atmosfair und Artik wachsen, Quelle: Deutsche Presse Agentur, Berlin, https://www.zeit.de/news/2019-12/03/co2ausgleich-fuer-das-klima-atmosfair-undarktik-wachsen (20.10.2020). 4  Statistisches Bundesamt (2020): Presse­ mitteilung Nr. 150 vom 16. April 2019, https:// www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/ 2019/04/PD19_150_639.html (20.10.2020). 5  Siehe Manual zur Bodenfrage im vorliegenden Buch, K7, S. 48. 6  Statista (2020): Städte mit den höchsten Quadratmeterpreisen für Eigentumswohnungen im Vergleich der Jahre 2015 und 2019, empirica Miet- und Kaufpreis-Ranking Q4 / 19, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 6654/umfrage/immobilienpreise-fuereigentumswohnungen-in-deutschen-staedten2008/ (02.11.2020).

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Ricarda Pätzold (RP) und Stefan Rettich (SR) im Gespräch mit Ottmar Edenhofer (OE), Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Über die Nutzung des Bodens entscheiden sich Klimawandel und sozialer Zusammenhalt SR:  Herr Edenhofer, Sie haben sich im vergangenen Jahr mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer getroffen. Hat die „Klima-Generation“ die Relevanz der Bodenfrage schon erkannt? OE:  Ich glaube nicht, dass die Bodenfrage bei den jungen Aktivisten schon auf der Agenda steht. Auch in der breiten Öffentlichkeit muss erst noch verankert werden, dass die Bodennutzung im 21. Jahrhundert eine der großen globalen Herausforderungen ist. RP:  Welche Bedeutung hat denn der Boden für das Klima? OE:  Die Frage der Biodiversität ist von grundlegender Bedeutung. Allein schon, um sie zu erhalten, müsste man große Bereiche der landwirtschaftlichen Nutzung entziehen. Und auch die Klimapolitik übt auf einer ganz elementaren Ebene Druck auf die Bodennutzung aus: Erneuerbare Energieträger haben eine viel geringere Energiedichte als die fossilen. Für dieselbe Energiemenge muss daher die Bodenintensität erhöht werden. Dann ist der Boden selbst ein CO₂-Speicher, und wir wissen, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts nicht sämtliche Emissionen vermieden 23

werden können. Für die sogenannten industriellen Prozessemissionen, die man auch negative Emissionen nennt, brauchen wir eine Kompensation, etwa durch Aufforstung oder durch neue Technologien in der Agrarwirtschaft. Dabei werden derzeit noch 20 Prozent der weltweiten Emissionen durch Abholzung erzeugt. Durch klimatische Erfordernisse entsteht also ein weiterer Nutzungskonflikt. Die Nutzungs­konflikte um den Boden werden im 21. Jahr­ hundert eine entscheidende Rolle spielen. Das betrifft sowohl den städtischen Boden, die landwirtschaftliche Nutzung als auch den Boden, der für andere Nutzungs­zwecke beansprucht wird. SR:  Da kommt der Bausektor ins Spiel: Noch 2018 lag die durchschnittliche Fläche, die täglich neu in Anspruch genommen wurde, bei 56 Hektar. Wie kommen wir weg vom Flächenluxus, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen kommt? OE:  Das ist eine gute Frage. Im Kern geht es darum, dass man die Flächennutzung steuern muss. Die Märkte allein werden das nicht bewerkstelligen, weil sie zentrale Dienst­ leistungen des Bodens nicht richtig bepreisen – ich habe Biodiversität und Aufforstung bereits genannt. Wenn man die Flächen­nutzung verändern und beeinflussen will, muss man sich um eine Besteuerung des Bodens Gedanken machen. Steuern kann man auch über die Grundstücksvergabe, zum Beispiel mit Erbbaurecht. Oder eben durch Subventionen, wenn es darum geht, die Landwirtschaft für ÖkosystemDienstleis­tungen zu entgelten. All das ist ohne fundamentale staatliche Eingriffe nicht möglich. Und wir wissen, dass der Boden im Grunde schon immer Anlass für ganz fundamentale soziale Konflikte war. Bodenspekulation ist kein städtisches Phänomen mehr SR:  Seit gut zehn Jahren wird auf dem Bodenmarkt in den Städten besonders heftig spekuliert, diese Tendenz zeigt 24

sich nun auch im landwirtschaftlichen Bereich. Das führt auch dazu, dass die Landwirtschaft noch mehr intensiviert werden muss, weil die Pachtzinsen steigen. Wie können wir hier gegensteuern? OE:  Die Bodenspekulation ist insgesamt ein Ausdruck der Niedrigzinspolitik. Die niedrigen Zinsen treiben die Boden­ preise in die Höhe und ziehen Kapital aus den produktiven Sektoren ab. Auch aufgrund von möglichen Inflations­ erwartungen und weiteren Bodenpreissteigerungen haben die Anleger das Gefühl, dass es ein sinnvolles Geschäft ist, nicht nur in den städtischen, sondern auch in den landwirtschaftlichen Boden zu investieren. Daraus ergeben sich zwei große Aufgaben: erstens, von dieser Niedrigzinspolitik wegzukommen. Aber fast noch wichtiger ist die zweite Aufgabe, die Besteuerung der Bodenwerte: Wenn man die Bodenwerte und deren Zuwächse besteuert, verändert man auch die Rentabilität zwischen Sachkapital und Bodenwerten, und man schafft dadurch Anreize, vermehrt in Sachkapital zu investieren – dahin müssen wir kommen. RP:  Die Hitzesommer der letzten Jahre zeigen ihre negativen Auswirkungen am stärksten in den Städten. Das liegt unter anderem am hohen Grad der Versiegelung. Wie sieht die Stadt der Zukunft aus, die sich an die Klimaveränderungen angepasst hat – und können wir uns diese Anpassungen wegen der hohen Bodenpreise überhaupt leisten? OE:  Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Veränderung des Stadtklimas auch die Bodenpreise beeinflussen wird – aber auch Lärm, lokale Luftverschmutzung, Feinstaub sind wichtige Determinanten für Bodenpreise. Empirische Unter­suchungen zeigen, wie sensibel die Bodenpreise auf Veränderungen reagieren. Generell kann man allerdings feststellen, dass die enormen Bodenpreissteigerungen der letzten 20 Jahre die Spielräume für mehr Grün und weniger Versiegelung stark eingeschränkt haben. Daher müssen die Bodenpreise in den Städten wieder sinken. 25

SR:  Ist das Hauptproblem nicht eigentlich ein globales? Es wird am Amazonas entschieden, ob wir dem Klimawandel begegnen können. Macht es Sinn, dass wir uns hier aufreiben, müssten wir nicht viel stärker in Entwicklungshilfe investieren? OE:  Natürlich müssen auch wir uns mit dem Verlust der Regenwälder in Brasilien beschäftigen, im Amazonas, aber auch in großen Teilen Südostasiens, etwa in Indonesien. Die enorme Abholzungsdynamik lässt dort im Übrigen auch das Risiko von Pandemien steigen. Die Abholzung zu stoppen, ist aus meiner Sicht eine der entscheidenden Herausforde­ rungen. Dazu braucht man im Kern drei Instrumente. Erstens muss man auch außerhalb des Energiesektors zu einer CO₂Bepreisung kommen. Wer die natürlichen CO₂- Senken abbaut, sollte dafür genauso aufkommen müssen wie diejenigen, die Öl, Kohle oder Gas verbrennen. Schon eine CO₂-Steuer von 100 Euro pro Tonne CO₂ würde die globalen Waldbestände so wertvoll machen, dass sich eine Abholzung nicht mehr lohnen würde. Zugleich würde das aber die verbleibende Agrarfläche wertvoller machen. Die Staaten müssten daher in einem zweiten Schritt die steigenden Bodenwerte abschöpfen, um zu verhindern, dass die lokalen Landwirte ihre Pacht nicht mehr aufbringen können und dadurch großer sozialer Sprengstoff entsteht. Ein drittes Instrument ist die aktive Unterstützung der Besitzer von Regenwäldern. Und jetzt fragen Sie: „Lohnt es sich denn überhaupt, die Bodennutzung bei uns in den Industriestaaten zu regulieren?“ Ich würde sagen: „Auf jeden Fall!“ Wir haben vielleicht in den nördlichen Regionen weniger das Problem der Abholzung, aber die enormen Bodenpreissteigerungen in den Städten haben zu sozialen Verwerfungen geführt, und sie beschränken den klimapolitischen Spielraum, um zum Beispiel auch im Gebäude­sektor Emissionen zu senken. Es kann ja nicht sein, dass wir eine CO₂-Steuer erheben, um die Emissionen zu senken, aber zulassen, dass in den Städten die Bodenpreise ständig steigen, wir dort klimapolitische Handlungsoptionen verlieren und sich zugleich die soziale Schieflage weiter verschärft. 26

Der Sprengstoff der leistungslosen Gewinne RP:  Böden sind Umverteilungsmaschinen, nur leider in die falsche Richtung. Was genau geschieht da? OE:  Städte sind unglaubliche Wachstumsmotoren. Sie sind die wichtigsten Arbeitsmärkte, sie bleiben weltweit die wichtigsten Treiber von Wertschöpfungen und von Wohlstand. Außerdem stellt die öffentliche Hand in den Städten Infrastruktur bereit, und diese Infrastruktur ist es, die Städte so attraktiv macht. Deshalb wollen die Menschen in die Städte. Wir stellen auch in zunehmendem Maße fest, dass die „Superstars“, also die Top-Verdiener auf den Arbeitsmärkten, weltweit in den Metropolen leben. Sie verfügen dort in der Regel über Immobilieneigentum in guten Lagen und profitieren von der Infrastruktur und den öffentlichen Gütern weit mehr, als sie den Städten zurückgeben. Zuzug, niedrige Zinsen und der „Superstar“-Effekt auf den Arbeitsmärkten – all das führt dazu, dass die Städte immer attraktiver werden und die Bodenpreise steigen. Übrigens ist auch der Anstieg der Mieten und der Immobilienpreise in den großen Metropolen der OECD im Wesentlichen auf Bodenpreissteigerungen zurückzuführen. SR:  Worin besteht die Ungerechtigkeit genau? OE:  Der Bodenmarkt ist kein Markt wie, sagen wir, der für Kartoffeln oder andere in beliebiger Zahl herstellbarer Güter. Denn dort regelt der Markt den Preis über Wettbewerb beziehungsweise über Angebot und Nachfrage. Der Boden in den Städten ist hingegen grundsätzlich nicht vermehrbar. Wer den Boden besitzt, der profitiert von den öffentlichen Gütern in der Stadt – neue Parks, soziale Infrastruktur etwa machen ein Grundstück wertvoller, der Preis steigt, ohne dass man etwas investieren muss. Das ist ein leistungsloses Einkommen, ein Zugewinn, der nichts mit Können oder Leistung zu tun hat. Und das steht im Widerspruch zur 27

Marktwirtschaft und deren implizitem Gesellschaftsvertrag, der besagt, dass sich Leistung lohnen muss. Auf dem Bodenmarkt ist das aber nicht der Fall, weil Boden unvermehrbar ist. Dass die Bodenpreise explodieren und dass ein gewaltiges leistungsloses Einkommen generiert wird, ist im Kern das soziale Problem der Städte, denn dort entsteht die Ungleichheit nicht, weil einige Leute mehr können oder mehr leisten als die anderen, sondern es entsteht eine Ungleichheit, weil einige durch Zufall oder durch geschickten Kauf ein unvermehrbares Gut besitzen. RP:  Leistungslose Gewinne – das klingt wie ein Kampf­ begriff, nach Sozialismus. Die Gewinner nehmen aber für sich in Anspruch, eine Leistung erbracht zu haben: Sie hatten einen guten Riecher und haben zur richtigen Zeit am richtigen Ort investiert. Was ist daran so falsch? OE:  Wenn jemand auf dem Aktienmarkt investiert, dann ist das aus einer gesellschaftlichen Perspektive eine fundamental andere Anlage. Denn mit Aktien werden für Unternehmen Investitionsmittel bereitgestellt, mit denen Güter produziert werden. Dadurch entstehen in der Regel gesellschaftlich wertvolle Produkte, die durch Märkte bewertet werden. Manchmal gelingt das nicht, dann muss der Staat durch Subventionen oder durch Steuern eingreifen, aber im Kern ist diese Investitionstätigkeit sozial erwünscht. Das ist aber im Falle des Bodens gerade nicht der Fall. Das lässt sich mit Kunstwerken vergleichen. Natürlich darf man auch mit Kunstwerken Geld verdienen, das steht ganz außer Frage, aber die Tatsache, dass ich einen Rembrandt besitze und der Rembrandt immer stärker nachgefragt wird, ist aus einer gesellschaftlichen Perspektive keine erwünschte Tätigkeit, weil dieses Einkommen entsteht, ohne dass ich etwas dafür tue. Beim Boden ist es dasselbe: Wenn ein Grundstück – und sei es zu einem günstigen Zeitpunkt – mal erworben ist und nur deswegen teurer wird, weil die Stadt öffentliche Güter bereitstellt – Parks, Theater, Opernhäuser –, dann ist diese Wertsteigerung nicht darauf zurückzuführen, dass 28

jemand investiert hat, sondern auf die Tätigkeit der Stadt, der öffentlichen Hand. Dann ist es auch gerechtfertigt, diesen Bodenwert abzuschöpfen. Das muss man nicht moralisieren: Jemand, der ein Grundstück kauft, ist kein schlechter Mensch. Es geht nur darum, ob diese Wertsteigerungen unversteuert sein sollten. Wir wissen aus der Steuertheorie, dass die Besteuerung von Grund und Boden eine gute Steuer ist, weil der Besitzer sie nicht auf andere abwälzen kann. Bei einer Steuer auf Kartoffeln wäre das nicht der Fall, die müssten die Konsumenten tragen. Eine Besteuerung von Bodenwerten ist dagegen eine effektive, eine effiziente und auch eine gerechte Steuer. Investitionen in Böden sind totes Kapital – ohne Wertschöpfung SR:  Sie haben angedeutet, dass Investitionen in Böden in anderen Marktbereichen fehlen. Welche Auswirkungen hat das? OE:  Was wir wollen, sind doch Sachkapital-Investitionen, die etwa auf Aktienmärkten, aber gerade auch im Bereich von mittelständischen und kleineren Unternehmen getätigt werden. Diese Investitionen sind für die deutsche Volkswirtschaft von enormer Bedeutung. Wenn Sie aber feststellen, dass Sie bei Investitionen in Boden, selbst in Zeiten der Pandemie, eine Rendite von 6, 7, vielleicht sogar 10 Prozent erzielen können, bei einer Sachkapital-Investition aber nur von 3 Prozent, dann werden Sie in den Boden investieren. Das Problem ist, dass Investitionen in den Boden „Pseudo­ Investitionen“ sind: Es entsteht keine Wertschöpfung. Das wäre etwas anderes, wenn etwa Wohnungen gebaut würden. Wer Wohnungen baut, sollte nicht besteuert werden – im Gegensatz zu denen, die nur eine Rendite einstreichen, weil sie ein Grundstück besitzen. Wenn die Zinsen so niedrig sind wie derzeit und die Bodenpreise in den Städten immer weiter ansteigen, dann wird es wenig Investitionen in Sach­ kapital geben. Volkswirtschaftlich ist es aber wichtig, dass 29

in produktive Bereiche investiert wird, gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise. Das müssen nicht nur private Güter sein, wie Autos und Kartoffeln, das können auch öffentliche sein, wie öffentliche Infrastrukturen. Dafür müssten aber die Mittel bereitgestellt werden und man sollte die Steuern ja so erheben, dass die Wirtschaft möglichst wenig gestört wird. SR:  Und das wäre mit der Bodenwertsteuer der Fall? OE:  Die Bodenwertsteuer hätte für die Finanzierung der öffentlichen Investitionen ein riesiges Potenzial. Mit ihr könnten, je nachdem, wie man sie ansetzt, etwa doppelt so viele Mittel generiert werden, wie für öffentliche Investitionen in Deutschland benötigt werden. Sie könnte auch zur Sanierung der Kommunalfinanzen beitragen. Letztlich würde sie auch die spekulativen Investments in den Boden ent­mutigen und damit zugleich die Investitionen in das Sach­kapital erhöhen. Das könnte wiederum Wachstums­ impulse auslösen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. RP:  Es geht also nicht darum, dass jeder gleich viel Boden besitzen sollte, sondern darum, dass die Gewinne, die aus dem Boden geschöpft werden, nicht zur Ungleichheit beitragen, sondern über Besteuerung dem Gemeinwohl zugeschlagen werden? OE:  Das sind zwei verschiedene Aspekte. Was ich gerade geschildert habe, wäre auch ohne die Frage der Ungleichheit sinnvoll. Denn selbst wenn in einer Stadt die Ungleichheit nicht besonders groß wäre, wäre die Bodenwertsteuer, verglichen mit anderen Steuern, die zum Beispiel Investitionen oder die Bautätigkeit besteuern, immer noch die beste Steuer. Dass sie darüber hinaus auch Ungleichheit abmildern kann, ist ein erwünschter Zusatzeffekt, der in der heutigen Zeit von besonderer Bedeutung ist. Aber sie würde auch ohne diesen Zusatzeffekt eine effektive und effiziente Steuer sein. 30

RP:  Worin genau liegt das Dilemma für eine Gesellschaft, wenn sich Ungleichheiten verschärfen? OE:  Das Dilemma besteht darin, dass aus Ungleichheiten auf Märkten sehr schnell auch politische Ungleichheiten werden. Unser Gesellschaftsvertrag sieht ja vor, Ungleich­ heiten in einem gewissen Umfang zuzulassen, wenn sie auf unterschiedliche Leistungen zurückzuführen sind. Wachsende Ungleichheit kann aber auch auf Leistungs­ einkommen zurückzuführen sein, vor allem dann, wenn Reichtum und Macht dafür genutzt werden, um über Lobby­ aktivitäten Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen. Wir erleben es gerade in demokratischen Marktwirtschaften, dass diejenigen, die auf Märkten besonders mächtig sind, zunehmend ihre Interessen gegenüber der Politik durchsetzen. Deswegen ist die Ungleichheit ein Problem – sie unterminiert den sozialen Zusammenhalt. Und wenn es, wie hier, um leistungsloses Einkommen geht, sind der Sozialkontrakt und das politische Gleichgewicht besonders gefährdet. Die Bodenwertsteuer ist ein unterschätztes Instrument SR:  Der US-amerikanische Ökonom Henry George hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Idee, sämtliche Steuern abzuschaffen und lediglich die Bodennutzung zu besteuern. Wäre das tatsächlich umsetzbar? OE:  Henry George hat sich seine Single-Tax-Idee folgender­ maßen vorgestellt: Städte stehen untereinander in einem Wettbewerb und die Menschen gehen in die Stadt, die für sie am attraktivsten ist, etwa weil sie viele öffentliche Einrichtungen baut, wie Schulen, Krankenhäuser oder Theater. Dann steigt dort der Wert des Bodens, und die Stadt könnte diesen Boden­ wert um den Betrag abschöpfen, der für öffentliche Investitionen und Investitionen in die öffentlichen Güter benötigt wird. In der Literatur ist das als Henry-George-Theorem bekannt 31

und hat – wie immer bei Theoremen – klar definierte Voraussetzungen: Die Menschen müssen mobil sein, die Städte müssen in einem Wettbewerb stehen, die Zuwächse an Bodenwerten müssen vollständig abgeschöpft werden usw. Man kann die grundlegende Idee von Henry George aber sehr viel weiter fassen und sagen: Immer dort, wo Einkommen entstehen ohne Investitionen oder zusätzliche Anstrengungen – in der Ökonomie spricht man von Renteneinkommen, wenn sie aufgrund von unvermehrten Knapp­heiten entstehen –, sollte man diese über Steuern abschöpfen. RP:  Was bedeutet das für den Bodenmarkt? OE:  Stellen wir uns vor, in Berlin würde eine Bodenwert­ steuer eingeführt, dann würden Grund- und Immobilien­ besitzer versuchen, diese Steuer auf die Mieter abzuwälzen. Wenn man das ökonomisch durchspielt, zeigt sich aber, dass das nicht möglich ist, denn einen erhöhten Mietpreis, der über dem Marktniveau liegt, würden die Leute nicht akzeptieren. In vielen empirischen Untersuchungen, vor allem aus den Vereinigten Staaten, zeigt sich, dass die Grund- und Immobilienbesitzer im Kern nicht nur die Steuer abführen, sondern am Ende auch tragen müssen. Deswegen ist es eine gute Steuer. Darüber hinaus glaube ich, dass die Bodenwertsteuer auch ein hervorragendes Mittel wäre, um Finanzierungs­ möglichkeiten für den sozialen Wohnungsbau bereitzustellen und das Preisniveau in den Städten abzusenken. Das wäre aus meiner Sicht sehr viel effektiver und besser als Maßnahmen wie die Mietpreisbremse. RP:  Klingt wie ein Zauberinstrument – hilft bei Ungleichheit, ist gut fürs Klima, lässt sich nicht auf die Verbraucher abwälzen. Eigentlich sollten solche One-Size-Fits-All-Lösungen misstrauisch machen. Warum ist das hier anders? OE:  Es ist nicht anders. Die Bodenwertsteuer bringt uns nicht das Paradies. Es braucht noch viele andere Maßnahmen:

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Die Wohnungsmärkte müssen funktionieren und es braucht Investitionen in den Wohnungsbau. Man kann mit der Bodenwertsteuer auch störende Steuern absenken, zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Man kann also die Steuerstruktur verändern, und vor allem kann man die Bodennutzung in den Städten in eine sinnvolle Richtung lenken. Die Bodenwertsteuer ist sicherlich nicht das alleinige Mittel, aber es ist ein völlig unterschätztes. Es gibt allerdings viele Einzelheiten zu bedenken. Man wird Freibeträge einführen müssen; die Rentnerin, die in der Stadt ein kleines Haus besitzt, kann man nicht dazu verdonnern, dass sie Steuern auf überteuerte Bodenwerte bezahlen muss. Die Bodenwertsteuer ist zu meinem großen Erstaunen aber ein weithin ignoriertes Instrument. Schaut man sich die Debatte zur Grundsteuer an, kann man eigentlich nur mit dem Kopf schütteln, mit welch seltsamen Argumenten versucht worden ist, eine Reform durchzuführen, die weit davon entfernt ist, in eine sinnvolle Bodenwertbesteuerung einzusteigen. RP: Warum ist das so? OE: Wenn Sie ein Libertärer sind, dann ist die Bodenwert­ steuer der Einstieg in die Vermögensbesteuerung. Wenn Sie links stehen, dann präferieren Sie eher Instrumente wie die Mietpreisbindung oder sie liebäugeln sogar mit der Enteignung von Boden. Und wenn Sie konservativ sind, dann haben Sie ohnehin eine große Präferenz für den Status quo. Am Ende sind sich die drei Gruppen darin einig: So, wie es jetzt ist, soll es bleiben. Es ist einfach sehr schwer, dass Reformen sich tatsächlich durchsetzen. Und an der Nutzung des städtischen Bodens entzünden Sie ja wirklich große gesellschaftliche Debatten, wie etwa die Frage zur Enteignung von Boden. Wenn es aber nur darum geht, den Eigentümer zu wechseln, würde das wenig bringen. Aus meiner Sicht ist die Besteuerung von Bodenwerten ein sehr viel besseres Instrument, weil es das Eigentumsrecht nicht antastet, aber trotzdem die Sozialpflichtigkeit des Eigentums einlöst.

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Der Umgang mit Gemeinschaftsgütern entscheidet über unseren Wohlstand SR:  Die Bodenwertsteuer wäre letztlich auch eine Klima­ abgabe auf Grundstücke. Können wir etwas von dem Instrument der CO₂-Abgabe lernen? OE:  Alles, was mit einem Eingriff in die Bodenordnung zu tun hat, ist mit extremen politischen Kosten verbunden. Was man von der Diskussion über die CO₂-Abgabe lernen kann, ist, dass man mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen reden muss. Man muss dafür werben und dafür sorgen, dass das Instrument verstanden wird. Und man muss dann eben auch überraschende Koalitionen schmieden, vor allem solche, die niemand erwartet. Wenn Kosten angerechnet werden, die die Märkte nicht berücksichtigen, nennt man das in der Wirtschaftswissenschaft „Pigou“. Arthur Pigou hatte vor genau 100 Jahren erstmals seine Idee einer Pigou-Steuer formuliert: Er forderte, dass soziale Kosten bei der privaten Produktion ins Spiel gebracht werden müssen. Und Henry George hat die Rentenbesteuerung ins Spiel gebracht. Aus meiner Sicht sind beide Autoren, Arthur Pigou und Henry George, für das 21. Jahrhundert von besonderer Bedeutung. Ich bin der Überzeugung, ihre Ideen werden Zentrales dazu beitragen, dass der Wohlstand im 21. Jahrhundert gesichert werden kann. Durch eine fehl­ geleitete Bodennutzung, durch eine schädliche Nutzung der Gemeinschaftsgüter der Menschheit, wie der Ozeane oder der Atmosphäre, wird uns das nicht gelingen. Es braucht Nutzungsregeln und diese Nutzungsregeln müssen in öko­nomische Termini übersetzen werden. Dazu trägt die Pigou-Steuer bei. Wir alle wissen, wie schwer sich so etwas durchsetzt. Aber 2017 hätte auch niemand ernsthaft gedacht, dass wir in Deutschland zwei Jahre später zu einer CO₂-Bepreisung kommen, insofern bin ich moderat optimistisch.

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RP:  Herr Edenhofer, nochmals zurück zum Anfang: Schafft unsere Gesellschaft eine Bodenwende aus der Mitte heraus oder gelingt dies nur, wenn die jungen Rebellen auch in der Bodenfrage mit Vehemenz Generationengerechtigkeit einfordern? OE:  (lacht) In Ihrer Frage schwingt Skepsis mit. Vielleicht kommt die Vernunft bei manchem über Nacht, das würde ich nicht ausschließen. Auf die Vernunft setze ich aber schon. Ich glaube, wir müssten noch sehr viel mehr tun, um Zusammenhänge besser zu erklären und klarer zu formulieren. Ob sich die Fridays-for-Future-Bewegung dem öffnet, weiß ich nicht. Manche Dinge brauchen Zeit, damit sie für soziale Bewegungen relevant werden, aber wir dürfen ja nicht vergessen, dass Henry George mit seiner Single-Tax-Bewegung eine soziale Bewegung ausgelöst hat. In Deutschland hat Adolf Damaschke am Beginn des 20. Jahrhunderts ähnliches gemacht und ähnliches bewirkt, und gerade Berlin ist ja aus der Perspektive der Boden­ reformer ein herausragendes Laboratorium gewesen. Insofern bin ich doch ganz optimistisch.

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Manual zur Bodenfrage

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Klima – der Boden als Klimaakteur Der Klimawandel wird im Allgemeinen mit den Treibhausgasen in Verbindung gebracht. Sie werden bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen frei­ gesetzt. Dass Böden eine entscheidende Rolle für die Geschwindigkeit des Klimawandels spielen, wird dagegen kaum diskutiert. Böden speichern Wärme und kühlen damit die Atmosphäre – wie gut, hängt von ihrer Qualität ab. Feuchte Böden nehmen mehr Wärme auf und bieten bessere Voraussetzungen für Artenvielfalt und ein stabiles Ökosystem. Versiegelte Böden dagegen speichern kaum Wärme. Sie sind – ebenso wie Treibhausgase – Gift für das Klima. Mitentscheidend ist also unser Umgang mit Versiegelung und Flächenverbrauch, der immer noch bei über 50 ha pro Tag liegt – das entspricht etwa 100 Fußballfeldern, die dem Naturraum tagtäglich entzogen werden. Schuld daran sind unter anderem unsere immer noch wachsenden Wohnansprüche. Fast 47 m ² beanspruchen wir pro Kopf, Singles im Durchschnitt sogar 68 m ². Diesen überbordenden Standard müssen wir reduzieren. Und wir müssen, ähnlich wie auf anderen Feldern, etwa der Bauwirtschaft, eine Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) einführen. Dann lassen sich brachgefallene Flächen schneller wiederverwerten. Das erfordert einen Paradigmenwechsel von der Außen- zur Innenentwicklung. Und diese benötigt aus mehreren Gründen eine doppelte Perspektive: zum einen die bauliche für Wohnen und Arbeiten. Es muss zum anderen aber immer auch ein ausreichender Anteil für Freiflächen reserviert werden. Denn mehr Anwohner benötigen auch mehr Freifläche. Und gerade in den Städten muss die Kühlfunktion des Bodens erhalten und ausgebaut werden,

da es hier durch den hohen Versiegelungsgrad schnell zu Überhitzung kommt. Doch auch die Art, wie wir den Boden nutzen, wirkt unmittelbar auf das Klima ein. Die Trennung der Funktionen erzeugt Verkehr. 16 km legt jeder Deutsche täglich auf dem Weg zur Arbeit zurück – meist mit dem Auto. Dabei tickt die CO₂-Uhr unaufhörlich mit. Innenentwicklung, Flächenrecycling und Nutzungs­ mischung sind daher dringender denn je gefragt, um dem Klimawandel auf dem Gebiet der Stadtplanung zu begegnen.

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K1

Das CO₂-Budget Die Menge an Kohlenstoff auf der Erde ist gleichbleibend, er kommt aber in verschiedenen Verbindungen vor. Auf Grund von physikalischen, chemischen, biologischen und geologischen Prozessen – dem Kohlenstoffkreislauf – wandert er zwischen Luft (Atmosphäre), Meeren und Gewässern (Hydrosphäre), dem Lebensraum von Pflanzen und Tieren (Biosphäre) und der äußeren Schicht des Erdkörpers (Lithosphäre). Jede dieser Sphären hat eine begrenzte Aufnahmekapazität. Diese ist bei Bio-, Hydro- und Atmosphäre sehr klein, dafür ist der Austausch zwischen diesen Sphären sehr dynamisch. Anders die Lithosphäre: Sie tauscht Kohlenstoff sehr träge mit den anderen Sphären aus und bindet 99,95  Prozent des Kohlenstoffgesamt­ vor­kommens, unter anderem in den fossilen Energieträgern. Der Kohlenstoffkreislauf verlief als geschlossenes, globales System sehr lange weitgehend gleichbleibend – bis zum Beginn der Industrialisierung. Seit der Mensch, insbesondere durch Ausbeutung und Verbrennung fossiler Energieträger, eingreift, verschiebt sich das System zu Ungunsten der Atmosphäre, die ohnehin die kleinste Speicherkapazität aufweist. Bislang wurden etwa 2300 Gt CO₂ freigesetzt,

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die zur Hälfte in der Atmosphäre verblieben sind. Dort wirkt CO₂ als Treibhausgas schädlich, da es verhindert, dass Wärme ins All abstrahlen kann. Dadurch kommt es zur Erd­erwärmung und dem Anstieg der Meeres­spiegel. Auch der Bausektor trägt dazu in hohem Maße bei. Die Herstellung von Stahl oder Zement gehört zu den größten CO₂-Emittenten. China hat allein in den Jahren 2011– 2013 insgesamt 6,6 Milliarden t Beton verbaut und damit mehr als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. In der Klimaforschung hat sich als wichtige Bezugsgröße das CO₂-Budget durchgesetzt. Es legt fest, wie viel von den 11.000 Gt CO₂, die noch in fossilen Energieträgern gebunden sind, in die Atmosphäre gelangen dürfen, damit die Erderwärmung bis 2100 auf weniger als 2 °C begrenzt bleibt – gegenüber der Temperatur vor der Industrialisierung (2-Grad-Ziel). Quellen ► Reichstein, M. (2015): Universell und Überall. Der terrestrische Kohlenstoffkreislauf im Klimasystem, in: Marotzke, M.; Stratmann, M. (Hg.): Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen, München, S. 123–136 ► Jakob, M.; Hilaire, J. (2015): Unburnable fossil-fuel reserves, Nature 517, S. 150–151 ► Behrens, C. (2015): 6,6 Milliarden Tonnen, Süddeutsche Zeitung, 27.03.2015

CO2 CO2

CO2 CO2

CO2

CO2 CO2

CO2

CO2 CO2

11.000 Gt CO2 11.000 Gt CO2

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K2

Der Boden ist kein Gemeingut Ö2

Ö4

G2

Alles, was wir tun, findet auf dem Boden statt: Wir brauchen ihn für die Arbeit, zum Wohnen, um Lebensmittel anzu­ bauen, für Mobilität, Sport und Erholung, oder – was immer wichtiger wird – für die Regulierung des Klimas. Es wäre daher konsequent, ihn, wie Luft und Wasser auch, als Gemeingut zu behandeln. Nur dann stellen wir sicher, dass alle drei Säulen der Nachhaltigkeit – die soziale, die ökonomische und die ökologische – auf ihm ausgewogen zum Tragen kommen. Weil Boden nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, eignet er sich aber auch ideal als Ware. Die Privatisierung des Bodens ist zudem eng mit dem Recht auf Eigentum und der Emanzipation bürgerlicher Gesellschaften verbunden. Letztlich ist der Besitz von Boden und die Kontrolle über seine Nutzung ein Instrument der Macht, das in demokratischen Gesellschaften idealerweise beim Staat, dem Land oder den Kommunen angesiedelt sein sollte.

PRIVAT

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K3

Versiegelte Böden haben keine Kühlfunktion K4

K9

K11

Der Boden reguliert unser Klima – er ist globaler Wärmespeicher und dient der Kühlung der Atmosphäre. Die Sonneneinstrahlung, die auf den Boden trifft und nicht reflektiert wird, dringt zu Teilen in den Boden ein und wird dort gespeichert. Das Verhältnis aus Absorption und Reflexion hängt von der Beschaffenheit der Böden ab. Feuchte Böden erwärmen sich langsam, können die Wärme jedoch über einen längeren Zeitraum speichern und geben diese sukzessive durch Verdunstung an die Atmosphäre ab. Die Wärme im Boden beschleunigt zusätzlich die Lebensvorgänge der Organismen, die den Boden besiedeln. Trockene Böden führen dagegen zu einem sich verstärkenden negativen Effekt. Weniger Feuchtigkeit führt zu weniger Verdunstung, die Atmosphäre heizt sich weiter auf, es kommt zu geringerer Wolkenbildung, was wiederum die Sonneneinstrahlung erhöht. Noch viel nachteiliger als trockene Böden

sind stark verdichtete oder versiegelte Böden, denn wenn kein Wasser in den Boden eindringen kann, speichert dieser keine Wärme mehr und kann damit die Atmosphäre nicht mehr kühlen. Quellen ► Klein-Hollerbach, R. (2020): Boden­ temperaturen, in: Spektrum der Wissenschaft (Hg.): Online-Lexikon der Biologie, www.spektrum.de ► Pfeiffer, E.-M. et al. (2017): Boden, in: Brasseur, G. P. et al. (Hg.): Klimawandel in Deutschland, Berlin, S. 204 – 211

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K4

Wir verzehren die grüne Lunge der Welt K3

K9

K11

Wie komplex die Wechselwirkungen von Klima und Bodennutzung sind, zeigt unser Fleischverzehr. Mit 59 kg pro Kopf und Jahr (2016) zählt er zu den weltweit höchsten Werten. Unsere Agrarflächen reichen nicht aus, um die eiweißreichen Futtermittelpflanzen anzubauen, die für die entsprechende Fleischproduktion benötigt werden. Wir importieren daher insbesondere Sojabohnen (3,7 Mio. t /  Jahr) und Sojaschrot (2,4 Mio. t / Jahr). Allein dafür beanspruchen wir im Ausland etwa 2,6 Millionen ha an landwirt­schaft­lichen Flächen, einen Großteil davon in Brasilien. Dort werden für den Anbau von Futtermittelpflanzen immer mehr Teile des Amazonasbeckens, der grünen Lunge der Welt, gerodet – verstärkt unter der derzeitigen Regierung Bolsonaro. Beanspruchen wir weitere Naturund Agrarflächen für Bauland, werden

Deutschland

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wir noch mehr Futtermittel importieren müssen. Mit unserem Flächenverbrauch sind wir also indirekt für die Abholzung von Regenwäldern verantwortlich – und damit auch für die Emissionen, die der interkontinentale Transport der Futtermittel nach sich zieht. Quellen ► Heinrich-Böll-Stiftung et al. (Hg.): Fleischatlas 2018, S.13 ► OVID (2020): Import Deutschland – Sojabohnen und Sojaschrot 2009 – 2019, www.ovid-verband.de ► INKOTA (2012): Infoblätter Welternährung Nr.11, Futtermittelimporte, www.inkota.de

Südamerika

K5

Es gibt zu wenige öffentliche Grundstücke K12

G7

Kommunen haben in den zurückliegenden Jahren große Teile ihrer Flächen­ ressourcen privatisiert. Da jedes noch zur Verfügung stehende Grundstück nur einmal bebaut werden kann, kommt es zu Nutzungskonkur­renzen, verbunden mit zum Teil heftigen Interessens­ konflikten. Verschiedene Ressorts der Stadtverwaltung erheben unterschiedliche Ansprüche – zum Bau von Schulen, Kultureinrichtungen, für bezahlbares Wohnen, Gewerbe oder die Anlage von Freiflächen. Und auch aus der Zivil­ gesellschaft melden sich Gru­ppen zu Wort, die sich für bestimmte Nutzung­en einsetzen. Es gilt außerdem abzuwägen, ob eine Brachfläche überhaupt bebaut werden soll. Denn oftmals verfügen inner­ städtische Freiflächen über eine weit höhere Biodiversität als industriell bestellte Ackerflächen am Stadtrand.

Keine Bebauung!

Oft verzögern sich daher Neubebau­ ungen; unter anderem auch deshalb, weil sich Bürger zusammen­schließen, um gegen geplante Nutzungen zu protestieren. Dabei ist meist schwer zu unterscheiden, ob sich diese Gruppen für das Gemeinwohl engagieren oder ob sie dieses als Deckmantel für ihre Partikularinteressen nutzen.

Siedlungsflächen!

Erholungsflächen!

Industrie- und Gewerbeflächen!

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K6

Unsere Wohn­ansprüche sind zu hoch K7

K9

Ö10

Die Fläche, die jeder Einwohner für das Wohnen in Anspruch nimmt, ist in Deutschland seit den 1950er-Jahren rasant angestiegen. Kriegsbedingt lag die durchschnittliche Wohnfläche um 1950 nur bei etwa 15 m ² pro Kopf. Im Zuge des danach einsetzenden Baubooms, insbesondere von Sozialwohnungen, stieg dieser Wert bis 1965 in Westdeutschland auf 22,3 m ² an. Im Jahr der Wiedervereinigung lag die Wohnfläche bei 34,8 m ² pro Einwohner und ist seither nochmals deutlich auf 46,7 m ² im Jahr 2018 angestiegen. Ein wesentlicher Grund ist – neben unseren allgemein gestiegenen Wohn­ansprüchen – die Zunahme

1950 15 m²

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der Einpersonenhaushalte, die im Durchschnitt deutlich mehr Wohnraum pro Kopf nutzen als andere Haus­­ haltsformen. Die hohe individuelle Wohn­fläche und der damit verbundene Wohn­energiebedarf wirken sich zum einen negativ auf den ökologischen Fuß­abdruck aus. Zum anderen stehen die beanspruchten Flächen nicht mehr für einen ökologischen Ausgleich zur Verfügung. Quellen ► Statistisches Bundesamt (Hg.) (2020): Gebäude und Wohnungen 2019, Tab. 1.1.1 / Tab. 1.1.3, www.destatis.de ► GESIS – Leibniz-Institut für Sozialforschung (Hg.) (2007): System Sozialer Indikatoren für die Bundesrepublik Deutschland: Schlüssel­ indikatoren 1950 – 2005, S. 94, www.gesis.org

1965 22,3 m²

1950 15 m²

1965 22,3 m²

1990 34,8 m²

2018 46,7 m²

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K7

Singles verbrauchen zu viel Fläche K6

K9

Ö10

Unsere Gesellschaft neigt aus unterschiedlichen Gründen zur Versingelung. Dazu gehören unter anderem eine allgemein steigende Tendenz zu Lebensformen ohne Partnerschaft, zu Studium und späterem Eintritt in den Arbeitsmarkt, meist verbunden mit späterer Familiengründung. Auch veränderte geschlechter­spezifische Rollen wie Emanzipation und Selbstversorgung der Frau tragen zu mehr Single-Haushalten bei, aber auch Geschiedenen- und Witwenhaushalte, letztere vor allem, da Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer haben. Zudem gibt es viele temporär Alleinlebende, wie Wochenendpendler oder multilokal Tätige. All dies führt zu einer Zunahme von Einpersonenhaushalten, die im Jahr 2018 bereits 42 Prozent am Gesamthaushaltsbestand ausmachten – und dies mit einer durchschnittlichen Wohnfläche

von 68 m ². Heute lebt bereits jede fünfte Person allein in ihrer eigenen Wohnung, 2040 soll es bereits jeder Vierte sein. Der im Verhältnis sehr hohe Flächen­ verbrauch wirkt sich besonders negativ auf Flächenressourcen und den Energiebedarf pro Kopf aus. Quellen ► Statistisches Bundesamt (2020): Wohnfläche privater Haushalte nach Haushaltsstruktur 2018, www.destatis.de ► Statistisches Bundesamt (2020): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit: Haushalte und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2019, S. 34, www.destatis.de ► Statistisches Bundesamt (2020): 2040 wird voraussichtlich jeder vierte Mensch in Deutschland alleine wohnen, PM Nr. 69 v. 2.3.2020, www.destatis.de

Ø Einpersonenhaushalt: 68 m²

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Die Trennung von Arbeit und Wohnen schadet der Umwelt K9

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K11

Dass Arbeiten, Wohnen und Freizeit voneinander getrennt sind, dass damit das Familien- und Erwerbsleben an unterschiedlichen Orten stattfindet, ist eine noch relativ junge Entwick­lung. Diese Trennung hat sich mit der Industrialisierung herausgebildet, damit Produkte effektiver hergestellt werden können. Die moderne Stadt­ planung hat das Prinzip der Funktionstrennung aufgegriffen, insbesondere zur Verbesserung der Wohnverhältnisse. Das wirkt sich sehr negativ auf den Flächenverbrauch und damit den Klimawandel aus, da jede arbeitende Person Flächen doppelt beansprucht. Liegen diese Flächen weit auseinander, werden zusätzlich Verkehrsflächen benötigt. Mit der Suburbanisierung und der Flexibilisierung der Arbeitswelt sind die Pendeldistanzen stark angestiegen, der Weg zur Arbeit beträgt heute im

Bundesdurchschnitt 16 km, die meistens im Pkw zurückgelegt werden – was zusätzlich Verkehrsemissionen freisetzt. Je höher der Bildungsgrad, desto höher ist der durchschnittliche Weg zur Arbeit. Wochenendpendler sowie multilokal Tätige benötigen am jeweiligen Arbeitsort zusätzlichen Wohnraum. Quellen ► Hilpert, T. (1988): Le Corbusiers „Charta von Athen“, Leitsätze 77–79, Braunschweig / Wiesbaden, S. 157 – 159 ► BMVI (2019): Mobilität in Deutschland (MID) – Ergebnisbericht 2019, S. 105

Ø Arbeitsweg: 16 km Ø Arbeitsweg: 16 km

49

K9

Immer mehr Siedlungsund Verkehrsflächen K3 Ö10

G1

K4 G12

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G13

Die Flächeninanspruchnahme beschreibt den täglichen Anstieg an Siedlungsund Verkehrsfläche (SuV) in Deutschland. Dabei handelt es sich nicht nur um versiegelte Flächen, da zu den Siedlungsund Verkehrsflächen auch Erholungs-, Sport-, Freizeit- und Friedhofsflächen gezählt werden. Gleichwohl führt die tägliche Flächeninanspruchnahme zu einem stetigen Verlust an Natur- und Landwirtschaftsräumen. Den Höhepunkt bildet das Jahr 2002, in dem beinahe 130 ha pro Tag neu beansprucht wurden. Danach setzte die Bundesregierung in ihrer Nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung 2002 das sogenannte 30-ha-Ziel fest – die tägliche Flächeninanspruchnahme sollte unter anderem durch Flächen­

recycling und verstärkte Innenentwicklung auf maximal 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2020 abgesenkt werden. Als man 2016 den Klimaschutzplan 2050 erstellte, zeigte sich allerdings, dass dieses Ziel zu ambitioniert war. Der tägliche Flächen­ verbrauch soll nun bis 2030 auf unter 30 ha und bis zum Jahr 2050 auf NettoNull reduziert werden. Quellen ► Deutscher Bundestag (2002): Bericht der Bundesregierung über die Perspektiven für Deutschland – Nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Drucksache 14 / 8953, S. 42, www.bundestag.de ► Deutscher Bundestag (2017): Flächen­ verbrauch in Deutschland, WD7-3000-163 / 17, www.bundestag.de ► Statistisches Bundesamt (2020): Flächenindikator – Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in ha / Tag, www.destatis.de ► BMU (2020): Flächenverbrauch – Worum geht es?, www.bmu.de

brauch pro Tag a)

Flächenverbrauch pro Tag ch pro Tag2018: 58 ha

Bebaute Fläche pro Tag 2018 2018 betrug die tägliche Flächeninanspruchnahme im Durchschnitt 58 ha pro Tag, davon 32 ha Siedlungsfläche, 10 ha Erholungs­ fläche und 16 ha Verkehrsfläche. Zu Siedlungsflächen werden Flächen für Wohnbauten, Industrie, Gewerbe und öffentliche Einrichtungen gezählt. Zu den Erholungsflächen gehören Flächen für Sport, sonstige Freizeitnutzungen und Friedhöfe. Bei der Verkehrsfläche handelt es sich um alle Flächen, die dem fließenden und ruhenden Verkehr dienen, wie Straßen, Bahn­ gelände, Flughäfen, Park­plätze.

32 ha

Verkehr

10 ha 32 ha

16 ha 10 ha 16 ha 50

Erholung

Verkehr

Siedlung

Erholung

Siedlung

Flächeninanspruchnahme pro Tag

129 ha 120 ha

114 ha

87 ha

66 ha 58 ha

30 ha

0 10 m

0 10

1993 –1996

58 ha

m 2000

2005

30-ha-Ziel

30 ha

2020

2015

2018

2020

Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche

max. 30 ha

0 ha

2018

2010

2030

Das ursprünglich für 2020 angestrebte 30-ha-Ziel soll nun bis 2030 umgesetzt werden. Für das Jahr 2050 sieht der Klimaschutzplan das Netto-Null-Ziel vor, bei dem keine Flächen mehr beansprucht werden. Dies soll durch verstärkte Innenentwicklung, Flächen­ recycling und eine dauerhafte Flächenkreislaufwirtschaft erreicht werden.

2050

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K10

Die meiste Fläche wird auf dem Land verbraucht K8

K9

K11

G12

G13

Jede Person beansprucht im deutschen Durchschnitt eine Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) von etwa 620 m ². Diese setzt sich aus den anteiligen Wohn- und Gewerbe- sowie den Verkehrs- und Freizeitflächen zusammen. Die Fläche, die auf eine Person entfällt, hängt jedoch stark vom Wohnort ab. Mit abnehmender Siedlungsdichte, etwa im ländlichen Raum, erhöht sich der Bedarf an Siedlungs- und Verkehrs­ flächen. Aufgrund der dort üblichen Gebäude ist zum einen die durchschnittliche Wohnfläche pro Person erheblich größer als in der Stadt. Zum anderen erhöht sich die Verkehrsfläche, weil sich Pendelstrecken zum jeweiligen Arbeitsort, zu Schulen, Kindergärten und Gemeinschaftseinrichtungen ebenso verlängern wie die für den täglichen Einkauf. Verstärkt wird dies durch das genutzte Verkehrsmittel. Der ländliche Raum ist

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vom Auto geprägt, das den Flächen­ bedarf des ÖPNV um ein Vielfaches übersteigt. Die Spreizung ist extrem: In den sieben größten Städten liegt der durchschnittliche Pro-Kopf-Bedarf unter 250 m ², während es neun Gemeinden in Deutschland gibt, die 10.000 m ² und mehr Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner aufweisen. Quellen ► Leibniz-Institut für ökologische Raum­ entwicklung (Hg.) (2018): Flächenverbrauch und Zersiedelung, Dresden ► Statistisches Bundesamt (2020): Fläche für Siedlung und Verkehr betrug 51.489 Quadratkilometer zum Stichtag 31.12.2019, www.destatis.de ► Statistisches Bundesamt (2020): OnlineFlächenatlas, www.destatis.de ► Statistisches Bundesamt (2019): Neuer Flächenatlas zeigt große regionale Unterschiede beim Umgang mit der Ressource „Fläche“, PM Nr. 485 v. 16.12.2020, www.destatis.de

Stadt

Land

Einwohner 68 %

32 %

Verkehrsflächen 42 %

58 %

Siedlungsflächen 49 %

51 %

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K11

Außenentwicklung ist einfach die falsche Richtung K3

K4

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G12

G13

Bauen auf der grünen Wiese ist bequem. Das Bauland ist günstiger und ein­facher zu beschaffen, es gibt weniger Nutzungs­konkurrenzen und die Bebauung muss nicht an eine vorhandene städtische Baustruktur angepasst werden, Altlasten sind nicht zu erwarten. Deshalb weisen viele Kommunen noch immer neues Bauland aus. Auch, weil im Innenbereich zwar unbebaute Grundstücke bereitstünden, die sich aber meist in Streubesitz befinden und daher schwerer zu aktivieren sind. Das führt auf der anderen Seite zu Zersiedelung mit weiten Pendlerwegen und Emissionen. Neu benötigte Verkehrswege belasten die Haushalte der Kommunen und zerschneiden Natur­ räume, mit negativen Auswirkungen auf Artenvielfalt und ökologische Systeme. Ganz allgemein wird der Natur Fläche

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entzogen, die mit ihrer Bebauung ihre ökologische und klimaaktive Funktion verliert.

K12

Doppelte Innen­ent­wicklung braucht sorgfältige Planung K5

Ö10

G12

G13

Im Innenbereich deutscher Kommunen liegt eine große Zahl an bebaubaren Grundstücken brach. Man geht von 120.000 bis 165.000 ha aus – bundesweit 15 – 20 m ² je Einwohner. Zusätzlich können bebaute Grundstücke auf viel­ fältige Weise nachverdichtet und Gebäude erweitert oder aufgestockt werden. Das Potenzial ist immens, birgt aber auch Probleme. Mit zunehmender Einwohnerzahl und baulicher Dichte wird in den Städten auch mehr und qualitätsvolleres urbanes Grün benötigt. Innenentwicklung muss also stets sowohl die bauliche Weiterentwicklung wie auch den Freiraum im Blick haben. Von besonderer Bedeutung ist dies für die Akzeptanz vor Ort, denn die ansässige Bewohnerschaft fürchtet oft den Verlust von Freiraum und protestiert gegen eine Verdichtung der Quartiere. Viele baureife

Grundstücke werden aber auch nicht bebaut, weil ihre Eigentümer auf einen Wertzuwachs ohne Risiko spekulieren. Grundstücke, die mit viel Aufwand durch die öffentliche Hand erschlossen wurden, stehen daher oft nicht für eine nachhaltige Stadtentwicklung zur Verfügung. An ihrer Stelle muss neues Bauland im Außenbereich mit den bekannten Nachteilen geschaffen werden. Quellen ► BBSR / IÖR (Hg.) (2013): Innenentwicklungspotenziale in Deutschland, Bonn, S. 3 ► Böhme, C.; Bunzel, A. (2017): Urbanes Grün in die Innenentwicklung integrieren, in: DIFU – Berichte 1/2017, Berlin, S. 8 ► Grafik – nach Erfurth Kluger Infografik / Heimann und Schwantes, in: Bundesstiftung Baukultur (Hg.) (2019): Besser bauen in der Mitte – Ein Handbuch zur Innenentwicklung, Potsdam, S. 42 1) Sanierung und W  iederwendung 2) Umbau 3) Ersatzneubau 4) Erweiterung 5) Aufstockung  6) Allee  er Baulücken 7) Begrünung d 8) Dachbegrünung 9) Begrünung der Freifläche 10) Baulückenschließung 11) Fassadenbegrünung

4

1

9

3

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2

7

11 6

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Ökonomie – der Boden als Wirtschaftsgut und Ware Eigentum ist ein Grundrecht. Es wurde von den aufkommenden bürgerlichen Gesellschaften im 18. und 19. Jahrhundert erstritten. Das Recht auf Bodeneigentum ist dabei von besonderer Bedeutung: Ohne Bodeneigentum gibt es kein freies Wirtschaften. Die Innovationskraft unserer Sozialen Marktwirtschaft und der damit verbundene Wohlstand unserer Gesellschaft gründen also unmittelbar auf dem Boden und dessen Verfügbarkeit. Immobilienpreise sind eigentlich Bodenpreise. Denn nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind Gebäude wesentliche Bestandteile eines Grundstücks (BGB § 94 (1)). Das bedeutet auch, dass Mieten unmittelbar an die Bodenpreise gekoppelt sind. Dennoch ist der Boden ein blinder Fleck in unserem Wirtschafts­ system. Steuerrechtlich ist er nämlich ein Wirtschaftsgut und wird fast genauso behandelt wie jedes andere Produktionsmittel, etwa eine Maschine oder ein Computer, die in beliebiger Stückzahl hergestellt werden können. Im Unterschied dazu ist der Boden aber begrenzt. Gehandelt wird diese besondere Ware auf Immobilienmärkten – Märkten mit eigenen Akteuren, Regeln und Zugängen. Es gibt aber keine Gesetze, die diese Besonderheit berücksichtigen und der natürlichen Knappheit des Bodens im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung tragen. 2008 war in vieler Hinsicht ein Wende­ jahr. Auf der Suche nach sicheren Kapital­ anlagen haben internationale Anleger nach der Weltfinanzmarktkrise verstärkt in deutsche Böden und Immobilien investiert. 2018 stammte jeder zweite Euro bei größeren Immobilientransaktionen aus dem Ausland. Zudem zielen viele Anleger auf kurzfristige Spekulations­ gewinne und dynamisieren damit die

Bodenpreisentwicklung. Ähnliche Wirkungen hatte die Absenkung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank. Denn sie mobilisierte konservative Anleger wie Rentenfonds oder Versicherungen sowie private Sparer, die seither ebenfalls ihr Geld in sicheren Immobilienwerten anlegen. Diese neue Situation ist eine Zumutung für die Soziale Marktwirtschaft. Dass sie in Gefahr ist, liegt am blinden Fleck im System und wird durch den hohen Investitionsdruck auf unsere Boden- und Immobilienmärkte verstärkt.

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Ö1

Marktwert (Verkehrswert) Wie der Wert eines Grundstücks ermittelt wird, ist im Baugesetzbuch genau geregelt. Alle notariell geschlossenen Kaufverträge werden in einer lokalen Kaufpreissammlung erfasst. Spätestens alle zwei Jahre wird sie von amtlich bestellten Gutachtern – den sogenannten Gutachterausschüssen – ausgewertet und in eine Bodenrichtwertkarte überführt. Diese Karte zeigt den Bodenrichtwert jedes einzelnen Grundstücks in einer Kommune. Da der Bewertung reale Kaufabschlüsse zugrunde liegen, spiegelt der Bodenrichtwert das Marktgeschehen von Angebot und Nachfrage wider. Der Verkehrswert (Marktwert) baut auf den Bodenrichtwerten auf. In ihm bilden sich zudem spezifische Merkmale des Grundstücks ab. Dazu gehören Größe, Zuschnitt oder Lage – aber auch Werte, die durch die öffentliche Hand geschaffen oder definiert wurden: Infrastruktur, Nutzungsart oder bauliche Dichte etwa. Die Wertermittlung ist so genau geregelt, weil die Finanzämter die Bodenrichtwerte für die Ermittlung der

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Grundsteuer nutzen. Außerdem bildet der Verkehrswert die Grundlage für das kommunale Vorkaufsrecht. Und er regelt, wie hoch bei Enteignungen die Entschädigung ist. Problematisch ist, dass die Marktpreise in der aktuell überhitzten Situation der Großstädte ungefiltert in die Bodenrichtwerte einfließen und damit der Spekulation Vorschub leisten. Aber auch in schrumpfenden Kommunen zeigen sich Probleme. Da dort keine oder nur wenige Grundstücke verkauft werden, bleiben die Bodenrichtwerte auf überteuertem Niveau eingefroren. Eine Lösung wäre, den Ertragswert – also die Jahresnettokaltmiete oder den jährlichen Pachtzins – bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte zu berücksichtigen. Die Anpassung der Bodenrichtwerte könnte auch für einige Zeit ausgesetzt werden – dies war im westlichen Nachkriegsdeutschland bis 1960 der Fall. Quellen ► Baugesetzbuch (BauGB): 3. Kapitel, 1. Teil – Wertermittlung, §§ 192–199 ► Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV)

Bodenrichtwert

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Strukturspezifische Merkmale

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Er Bodenspezifische Merkmale

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Ö2

Der freie Zugang zu Grund und Boden muss neu verhandelt werden K2

Ö1

Ö7

Ö8

G2

Mit den bürgerlichen Revolutionen in Europa wurden viele Ungerechtigkeiten der Feudalgesellschaft überwunden und unter anderem das Recht auf Grundeigentum eingeführt. Der Boden als Produktionsmittel war damit jedem zugänglich – das führte zu Innovationen und schließlich zur industriellen Revolution. Die weit­gehend ohne staatliche Regularien ablaufende Industrialisierung führte aber erneut zu einer hierarchischen Ordnung – der Klassengesellschaft. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Sozialen Marktwirtschaft eine ausgleichende Wirtschaftsordnung eingeführt. In ihr setzt der Staat einen rechtlichen Rahmen für das wirtschaft­ liche Handeln, den er aktiv verändert, etwa wenn sich soziale Ungleichheiten oder Monopole herausbilden. Zu den Grundprinzipien gehören etwa das Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung

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sowie das Privateigentum an den Produktionsmitteln, also auch der Zugang zu Grund und Boden. Mit dem Eintritt internationaler Akteure auf den Boden- und Immobilienmärkten und unter den Bedingungen der Niedrigzinsphase werden diese Grundprinzipien und damit der allgemeine Wohlstand infrage gestellt – der Boden ist nicht mehr Produktionsmittel, sondern Finanzmarktprodukt. Quellen ► Müller, H. M. (2007): Brockhaus – Deutsche Geschichte in Schlaglichtern: Lehnwesen und Grundherrschaft, S. 36 ► Duden Wirtschaft von A bis Z (2016): Kapitalismus, S. 26; Soziale Marktwirtschaft, S. 45, Berlin ► Unterreiner, V. (2004): Was ist eigentlich – Kapitalismus?, in: brand eins 04 / 2004, www.brandeins.de

Abgaben

Eigentümer

Staat regelt

Eigentümer

Einnahmen

Adel und Klerus

§

Feudalismus

Kapitalismus

Soziale Marktwirtschaft

Das Feudalsystem wird durch Besitz, Lehen und Vergabe von Grund und Boden bestimmt. König, Adel und Kirche verliehen ihre Ländereien an ihre Gefolgsleute. Diese vergaben das Land zur Bewirtschaftung an sogenannte Unfreie weiter. Die Gegenleistung bestand in Natural­abgaben, Dienst und Treue.

Im Kapitalismus werden Macht­ verhältnisse über die Verfügungsgewalt und den Besitz an den Produktionsmitteln – Boden, Arbeit und (Sach-)Kapital – bestimmt. Das Klassenmodell nach Marx wird dementsprechend in Besitzende (Kapitalisten) und Nicht-Besitzende (Lohnarbeiter) eingeteilt.

In der Sozialen Markwirtschaft besteht das Recht auf Privat­ eigentum und freie Preisbildung der Produktionsmittel. Die Soziale Marktwirtschaft hat das Ziel, durch gesetzliche Regelungen ungerechte Auswirkungen auf den Markt zu verhindern.



Der Boden wird vom Produktionszum Spekulationsfaktor



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  Mit neuem Bauland entstehen Gewinne – ohne Risiko und Gegenleistung Ö3

G8

G9

In Wachstumsphasen benötigen Kommunen Bauland, das dann in mehreren Planungsstufen aus vormaligen Landwirtschafts- oder Waldflächen gewonnen wird (unbebauter Außenbereich). Bei jedem Planungsschritt steigt der Wert des Bodens. Obwohl die Kommune Geld für die Planung und für den Bau der verkehr­ lichen und sozialen Infrastruktur ausgibt, kann sie dieses nicht geltend machen. Der Grundstückseigentümer profitiert also von diesen planungsbedingten

Bodenwertsteigerungen: Er macht Gewinn ohne Risiko und Gegenleistung (leistungslose Gewinne). Um dem entgegenzuwirken, versuchen Kommunen, solche Flächen selbst anzukaufen oder aber vor der Schaffung von Baurecht Verträge mit den Eigen­ tümern über eine anteilige Kostenübernahme zu schließen. Diskutiert wird zudem die generelle Verankerung eines Planungswertausgleichs im Baugesetzbuch zugunsten der Kommunen.

Beschluss eines Bebauungsplans

Änderung im Flächennutzungsplan 2

1

1) Land- und forstwirtschaftliche Fläche Flächen der Land- und Forstwirtschaft haben im Verhältnis zu Bauland einen geringen Wert. Liegen die Flächen nahe an Siedlungs­ gebieten oder verkehrlichen Infrastrukturen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann in Bauland umgewidmet werden.

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2) Bauerwartungsland Mit Änderung der Flächennutzung zugunsten einer baulichen Nutzung steigt der Bodenwert, ohne dass an dem Grundstück konkrete wertsteigernde Maß­ nahmen vorgenommen werden. Die Option auf eine perspektivische Bebauung reicht dafür aus.

Bebauung der Parzellen 5

Erschließung und Parzellierung der Flächen 4

3

3) Rohbauland

4) Baureifes Land

5) Bebautes Land

Mit dem Beschluss eines Bebauungsplans (B-Plan) ist eine Bebauung rechtlich möglich, wenn die Erschließung gesichert ist. Auch hier steigt der Grundstückswert ohne konkrete wertsteigernde Maßnahmen. Die Wertsteigerung ist abhängig vom Maß der bau­ lichen Dichte, die im B-Plan fest­ gesetzt wird.

Mit der Erschließung der Fläche werden erstmals konkrete wertsteigernde Maßnahmen vorgenommen. Die Fläche ist nun baureif, kann aufgeteilt und verkauft werden. Die Erschließungskosten liegen in der Regel weit unter der Wertsteigerung. Denn die Kosten für die öffentliche Infrastruktur, die zur Wertsteigerung beiträgt, werden von der Kommune getragen und werden nicht umgelegt.

Nach Abschluss aller Planungsund Entwicklungsschritte ist der Wert der bebauten Grundstücke um ein Vielfaches gestiegen.

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Ö4

Der Staat behandelt den Boden als Wirtschaftsgut Ö6

K2

G6

G13

Boden- und Immobilieneigentum wird steuerrechtlich als Wirtschaftsgut definiert. Steuern fallen an auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, bei privatem Verkauf aber nur dann, wenn er innerhalb der sogenannten Spekulationsfrist von zehn Jahren nach Erwerb abgewickelt wird. Auch Erbschaft und Schenkung sind steuerpflichtig – wobei hier erhebliche Freibeträge je nach Verwandtschaftsgrad gelten. Dadurch werden Wohlhabende bessergestellt. Länder profitieren zusätzlich von der Grunderwerbssteuer, Städte insbeson­ dere von der Grundsteuer (A / B), die mit 14 Milliarden Euro (2019) zu den stabilsten Säulen der Kommunalfinanzen (Substanzsteuer) zählt.

Der Boden als Wirtschaftsgut oder Ware ist demnach tief in den Steuergesetzen verankert. Mit den Steuereinnahmen können zwar Aufgaben des Gemein­ wesens finanziert werden, sie tragen indirekt aber auch zur Mehrbelastung der Bürger bei, da die Grundsteuer zu 100 % auf die Miete umlegt werden kann. Daran ändert auch die vor Kurzem beschlossene Grundsteuerreform nichts. Wieder eingeführt werden soll eine erhöhte Grundsteuer (C) auf unbebaute, aber baureife Grundstücke. Damit sollen Spekulation ein­gedämmt und Anreize für eine Bebauung geschaffen werden.

Erbschaftssteuer

Schenkungssteuer

Werden Grundeigentum und Immobilienbesitz vererbt, fällt eine Erbschaftssteuer an. Der Steuersatz ist abhängig vom Verwandtschaftsgrad des Erben (Steuerklasse nach ErbStG). Je nach Verwandtschaftsgrad können zudem Freibeträge bis zu 500.000 Euro geltend gemacht werden.

Schenkungen unterliegen dem Erbschaftssteuergesetz und werden in Bezug auf Verwandtschaftsgrad, Steuersatz und Freibeträge wie Erbschaften behandelt.

► Erbschaftssteuergesetz (ErbStG): Abschnitt 1 – Steuerpflicht, § 1 ► Erbschaftssteuergesetz (ErbStG): Abschnitt 3 – Berechnung der Steuer, §§ 15, 16

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► Erbschaftssteuergesetz (ErbStG): Abschnitt 1 – Steuerpflicht, § 1 ► Erbschaftssteuergesetz (ErbStG): Abschnitt 3 – Berechnung der Steuer, §§ 15, 16



Grundsteuer A – agrarisch

Grundsteuer B – baulich

Die Grundsteuer A wird von der Gemeinde für land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke erhoben. Dabei wird ein vom Finanzamt ermittelter Einheitswert mit einer für diese Nutzung vor­ gesehenen Messzahl multipliziert. Die Gemeinde hat die Möglichkeit, die Steuersumme mit selbst festgelegten Hebesätzen zu steigern. Mit der Grundsteuer A werden nur sehr geringe Steuereinnahmen generiert.

Die Grundsteuer B wird von der Gemeinde für bebaubare oder bereits bebaute Grundstücke erhoben. Davon ausgenommen sind unter anderem Grundstücke und Immobilien der Kirche, gemein­nütziger Organisationen und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Berechnung erfolgt methodisch wie bei der Grundsteuer A. Nach Reform des Grundsteuergesetztes zum 1. Januar 2025 sollen die aktuellen Einheitswerte durch neu berechnete Grundsteuerwerte ersetzt werden, die sich stärker am Ertrag der Immobilie ausrichten. Mit der Grundsteuer B werden aktuell etwa 14 Milliarden Euro eingenommen.

► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt I – Steuerpflicht, § 2 ► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt II – Bemessung der Grundsteuer, § 14

Grundsteuer C – unbebaute, baureife Grundstücke Die Grundsteuer C wird ab dem 1. Januar 2025 auf unbebaute, aber baureife Grundstücke erhoben, um der Spekulation vorzubeugen und Anreize für die Bebauung zu schaffen. Dabei handelt es sich im eigentlichen Sinne um eine € Unterform der Grundsteuer B mit erhöhten Hebesätzen. ► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt I – Steuerpflicht, § 2 ► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt III – Festsetzung und Entrichtung der Grundsteuer, § 25 (5), nach Wirksamkeit der Reform

► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt I – Steuerpflicht, §§ 2, 3, 4 ► Grundsteuergesetz (GrStG): Abschnitt II – Bemessung der Grundsteuer, § 15 €

Einkommensteuer – Einkünfte aus Vermietung, Verpachtung und Veräußerung Das Einkommensteuergesetz regelt, welche Einkünfte steuerpflichtig sind. Dazu zählen auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Einkünfte aus dem privaten Verkauf von Grund- und Immobilieneigentum sind nur dann € steuerpflichtig, wenn innerhalb von zehn Jahren weiterveräußert wird. Die Einkommensteuer zählt zu den Gemeinschaftssteuern und wird zwischen Bund, Ländern und Kommunen geteilt (42,5 % / ­ 42,5 % / 15 %). Der Steuersatz ist abhängig vom Gesamteinkommen und kann bis zu 42 % betragen. ► Einkommensteuergesetz (EStG): II. Einkommen, §§ 21 (1), 23 (1)



Grunderwerbsteuer Bei Übereignung von Grund­ eigentum (einschließlich Bebauung) fällt die Grunderwerbssteuer an. Die Höhe der Steuer ist Länder­sache und schwankt zwischen 3,5 % und 6,5 % des notariell beurkundeten Kauf­preises. ► Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG): 1. Abschnitt – Gegenstand der Steuer, § 1 ► Immobilienscout24 (2020): Grunderwerbssteuer, www.immbilienscout24.de

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Ö5

Grunderwerb stattfindet, bleibt der Alt­ eigentümer im Grundbuch eingetragen. Eine für Ende 2019 geplante Reform dieses Steuerschlupflochs wurde wegen rechtlicher Fragen zurückgestellt.

Große Unternehmen umgehen die Grund­erwerbssteuer G14

Mit einem Share Deal oder Anteilskauf wird die Grunderwerbssteuer bei Grundstücks- und Immobilienverkäufen umgangen. Dabei wird die Immobilie nicht direkt verkauft, sondern zunächst in eine Gesellschaft überführt. Wenn der Käufer nun weniger als 95 % dieser Gesellschaft erwirbt, fällt keine Grund­ erwerbssteuer an, da es sich um einen Rechtskauf nach § 453 BGB handelt. Nach Ablauf von fünf Jahren kann der Käufer auch den restlichen Anteil der Gesellschaft ohne Steuerlast erwerben. Share Deals werden in der Regel bei Transaktionen von besonders großen Immobilien oder -paketen angewendet. Den Ländern gehen dabei nach Schätzungen 500 Millionen Euro an Steuern pro Jahr verloren. Share Deals unter­ graben zudem die Transparenz auf dem Immobilienmarkt. Da rechtlich kein

Quellen ► Rohrbeck, F. (2015): Wer ein Haus kauft, ist der Dumme, in: Die ZEIT 32 / 2015, www.zeit.de ► Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Buch 2 – Recht der Schuldverhältnisse, § 453 (1)

Verkäufer

Käufer

behält mindestens 5,1 % der Anteile

erwirbt maximal 94,9 % der Anteile

Grunderwerbsteuer entfällt

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Ö6

Kurzfristige Verkäufe dynamisieren die Immo­bilien­märkte Ö1

G14

Grundsätzlich fördert der Staat den Bau von Immobilien für Vermietung und Verpachtung. Für die Dauer von bis zu 50 Jahren können über die sogenannte AfA (Abschreibung für Abnutzung) jährlich 2 – 3 % der Herstellungs- oder Anschaffungskosten steuerlich geltend gemacht werden. Denn es soll sich lohnen, Dritten langfristig Wohnungen oder Flächen für die Arbeit zur Verfügung zu stellen. Besteuert werden lediglich die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Der private Verkauf ist hingegen steuerfrei, wenn zwischen Erwerb und Veräußerung ein Zeitraum von mindestens zehn Jahren liegt. In Zeiten mit starken Preisanstiegen ist es für Eigentümer allerdings besonders attraktiv, ihre Immobilie direkt nach Ablauf dieser gesetzlichen Frist, der sogenannten

Kauf

Spekulationsfrist, wieder zu verkaufen und die Gewinne steuerfrei zu verbuchen. Da solche kurzfristigen Verkäufe die Immobilienmärkte stark anheizen, wird gerade über eine Verlängerung der Spekulationsfrist diskutiert. Gewerblicher Handel liegt dann vor, wenn ein Eigentümer innerhalb von fünf Jahren mindestens drei Immobilien veräußert. Wird diese Drei-Objekt-Grenze überschritten, fällt neben der Einkommensteuer auch Gewerbesteuer an. Bei privatem Verkauf von Wohnimmobilien, die mindestens drei Jahre in Folge selbstgenutzt wurden, werden selbst innerhalb der Spekulationsfrist keine Steuern erhoben. Quellen ► Einkommensteuergesetz (EStG): II. Einkommen, §§ 7 (4), 15 (1), 21 (1), 23 (1)

Steuern auf den Gewinn

SOLD

bis 10 Jahre

keine Steuern auf den Gewinn

SOLD

mehr als 10 Jahre

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Ö7

Der Boden- und Immobilienmarkt ist heute eine Assetklasse Ö1

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Ö8

Die Weltfinanzmarktkrise von 2008 hatte auf die Boden- und Immobilienmärkte enorme Auswirkungen. Die Skepsis gegenüber Aktien- und Finanzmärkten hat das Interesse von kapitalstarken Anlegern an neuen und sicheren Anlagemöglichkeiten extrem gesteigert. Die Strategie niedriger Zinsen zur Rettung des Euro hat zudem Kapitalanlagen dynamisiert – noch nie konnte 1 Euro Eigenkapital eine größere Hebelwirkung entfalten. Und schließlich hat der Megatrend der Globalisierung zur internationalen Nachfrage auf lokaler Ebene geführt. Immobilien und Böden sind heute eine internationale Assetklasse mit eigenen Anlageprodukten und Investmentstrategien. Wurden Immobilien früher langfristig über Hypotheken

finanziert und meist im Bestand gehalten, zielen Investments heute auf kurzfristige Spekulationsgewinne – und das führt zu schnell steigenden Bodenrichtwerten. Die Boden- und Immobilienpreise entkoppeln sich so immer stärker von den Mietpreisen, die ursprünglich in die Preisbildung eingeflossen sind. Als Wert einer Immobilie galt noch vor wenigen Jahren das 15- bis 20-Fache der Jahresnettokaltmiete (Ertragswertverfahren). Heute liegt dieser Wert in guten Lagen über dem 40-Fachen. Quelle ► Grafik unten: Informationen aus: Rohrbeck, F.; Rohwetter, M.: Rettet die Stadt!, in: Die ZEIT 03 / 2018, S. 21

2017 Investitionen in Immobilien 2017 Immobilieninvestitionen in Deutschland: 59,4 Milliarden Euro

49,2 % Inland

50,8 % Ausland

nur Käufe über 10 Mio. € Quelle: Die Zeit 2018 68

5% 4% 3%

Leitzins EZB

2% 1% 0% 200 €

Bodenpreis in Deutschland pro m²

175 € 150 € 125 € 100 € 0€ 3.000 € 2.500 € 2.000 €

Bodenpreis in München pro m²

1.500 € 1.000 € 500 € 0€

Durchschnittliches Individualeinkommen in Deutschland mtl. (netto)

2.000 € 1.900 € 1.800 € 1.700 € 1.600 € 1.500 € 0€

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

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Wir alle spekulieren mit Ö1

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Ö9

Konservative Anleger wie Pensions­ kassen, Versicherungen und Rück­ versicherer, die zum Schutz ihrer Kunden auf besonders sichere Geld­ anlagen angewiesen sind, mussten ihre Anlagestrategien seit 2008 grundsätzlich neu ausrichten. Sichere und vormals renditeträchtige Staatsanleihen sind völlig eingebrochen. Zehnjährige Staatsanleihen von Ländern mit schlechten Ratings wie Italien oder Griechenland werden heute maximal mit 1,4 % verzinst, die deutsche Staatsanleihe wird gar mit einem Negativzins von - 0,4 % aus­ gegeben. Es ist daher verständlich, dass gerade jene konservativen und kapitalstarken Anleger in die sicheren und steigenden Boden- und Immobilienwerte investieren. Pensionskassen und Versicherer waren 2017 mit 49 % die stärkste Anleger­ gruppe von Immobilienfonds – und damit wir alle, als Versicherte oder Kunden von privaten Rentenfonds. Dynamisiert

wurde dieser Prozess dadurch, dass Spareinlagen in Lebensversicherungen oder Immobilienfonds umgeschichtet wurden. Damit erhöhen wir indirekt unsere eigenen Mieten. Mit derselben Wirkung haben auch staatliche Akteure wie der norwegische Staatsfonds, die eigentlich nach den Prinzipien ethischen Investments agieren, größere Summen in deutsche Immobilienfonds und Wohnungsunternehmen investiert. Quellen ► Statista (2020): Rendite für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit ausgewählter Länder weltweit im Juni 2020, www.statista.com. ► Statista (2019): Baufertigstellungen von Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2018, www.statista.com ► Norges Bank Investment Managment (2020): The fund’s development, www.nbim.no ► Tschammler, T.; Fehrenbacher, M. (2019): Kapitalströme im globalen Immobilienfondsmarkt, in: Rock, V. et al. (Hg.): Praxishandbuch Immobilienfondsmanagement und –investment, Wiesbaden, S. 3–20

Versicherungen, Pensionsfonds, Staatsfonds investieren in Immobilien legt Geld an

Mieter

Das treibt die Mieten in die Höhe

70

Akteure auf dem Immobilienfondsmarkt

Sonstige Investoren 12 % Pensionskassen 36 % Nicht bekannt 21 %

Dachfonds 4%

Staatsfonds 4%

Staatliche Investitionen 5%

Privatvermögen 4%

Gemeinnützige Organisationen 1% Versicherungen 13 %

Norwegischer Staatsfonds

2,7 % Nicht börsennotierte Immobilieninvestments

70,8 % Aktienbeteiligungen

9,12 %

26,5 % Festverzinsliche Kapitalanlagen 2,7 % Nicht börsennotierte Immobilieninvestments

26,5 % Festverzinsliche Kapitalanlagen

Asset allocation, Ende 2019

Anteile des norwegisch Staatsfonds an deutsc Immobilienunternehme

8,72 % 2,79 % 70,8 % Aktienbeteiligungen

Anteile des norwegischen 2,58 % Staatsfonds an deutschen Immobilienunternehmen: 2,54 % 9,12 %

2,43 %

8,72 %

1,99 %

2,79 % 2,58 % 2,54 % 2,43 % 1,99 % 71

Asset allocation, Ende 2019

Ö9

Wer kein Eigentum hat, wird sich perspektivisch keines leisten können Ö8

G5

G8

G9

Wenn die Miete mehr als 30 % des Einkommens ausmacht, gilt ein Haushalt als finanziell belastet. In den sieben größten deutschen Städten beträgt diese Miet­belastungsquote heute durchschnittlich bereits 31 %, bei einer Durchschnitts­miete von 10,80 € / m ². In ganz Deutschland müssen 17 % der Mieter sogar über 40 % ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Nur wer in der eigenen Wohnung lebt, ist von dieser Entwicklung nicht betroffen. Deshalb versuchen viele Mieter – auch wegen der günstigen Immobilienkredite – Eigentum zu erwerben. 46 % aller Haushalte leben bereits in den eigenen vier Wänden, und 38 % von ihnen haben weiteres Immobilieneigentum, das sie vermieten. Diese Gruppe profitiert besonders von den steigenden Mieten und Bodenpreisen. Wenn der Trend

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anhält, werden sich Menschen, die neu in wachsende Wohnungsmarktregionen ziehen, Eigentum nicht mehr leisten können, es sei denn, sie verdienen weit mehr als der Durchschnitt. Quellen ► Statistisches Bundesamt (2019): Statistisches Jahrbuch 2019, Kapitel 5 – Wohnen, S. 163 – 174, www.destatis.de ► Statistisches Bundesamt (2019): Wohnen 2018: Mieten und Mietbelastung in Metropolen besonders hoch, PM Nr. N 001 v. 1.10.2019, www.destatis.de

40.595.100 Haushalte 40.595.100 Haushalte in Deutschland 40.595.100 Haushalte in Deutschland in Deutschland aller Mieter in 38 % 17 der%Eigentümer 38 % der Eigentümer Deutschland vermieten weiteresbezahlen vermieten weiteres 40% oder mehr des Eigentum Eigentum Einkommens für Miete

38 % der Eigentümer vermieten weiteres 17 % Eigentum aller Mieter in 17 % aller Mieter in Deutschland bezahlen Deutschland bezahlen 40 % oder mehr ihres 40 % oder mehr ihres Einkommens für Miete Einkommens für Miete

19.283.100 19.283.100 Eigentumshaushalte 19.283.100 Eigentumshaushalte Eigentumshaushalte 21.312.000 21.312.000 Miethaushalte 21.312.000 Miethaushalte Miethaushalte 73

Ö10

Die Wirtschaftskraft der Städte treibt die Nachfrage an K6

K7

K9

K12

G12

G13

Deutschland hat einen Bestand von 41,5 Millionen Wohnungen, die im Durchschnitt mit je 2,1 Personen belegt sind. Die Wohnungsmärkte unterscheiden sich von Region zu Region sehr stark. Obwohl es eigentlich zu viele Wohnungen gibt, haben wir in Deutschland einen eklatanten Wohnungsmangel vor allem an preisgünstigem Wohnraum. Das liegt an einem Stadt-Land-Gefälle in der Einwohner- und Arbeitsplatzentwicklung, die sich letztlich auf die Wissensgesellschaft zurückführen lässt – die großen Städte sowie einige kleinere Schwarmstädte bieten Hochschulausbildung und gut bezahlte, wissensbasierte Arbeitsplätze.

Landkreise und Städte mit Wohnungsmangel Landkreise und Städte mit Wohnungsmangel 74

Man könnte sagen, dass der Wohnungsmangel auch ein Resultat unserer erfolgreichen Wirtschaft ist. Bundesweit hinkt das Angebot dem Bedarf um etwa 100.000 Wohnungen hinterher. Vor allem in den sieben größten Städten und ihrem Umland ist der Mangel deutlich, mit der Folge von steigenden Mieten und Bodenpreisen. Quellen ► Statistisches Bundesamt (2020): Haushalte und Familien, www.destatis.de ► Henger, R.; Voigtländer, M. (2019): Ist der Wohnungsbau auf dem richtigen Weg?, IW-Report 28 / 2019, Köln

Berlin 73 %

Hamburg 86 %

Frankfurt 79 %

München 67 %

Stuttgart 56 %

Köln 46 %

Düsseldorf 85 %

Baufertigstellung ungedeckte Nachfrage 75

Gemeinwohl – der Boden als Ort der Gemeinschaft Eigentum ist ein Grundrecht, es soll aber nach dem Grundgesetz (Artikel 14 (2)) auch dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Gerichte entscheiden aber in der Regel für den Schutz des Grundrechts und damit zugunsten des Eigentümers. Die städtebaulichen Instrumente, die zur Durchsetzung des Gemeinwohls in das Baugesetzbuch aufgenommen wurden, sind daher großteils stumpf. Unter dem Schutz der Rechtspre­ chung wird munter spekuliert. In der aktuellen Situation ist beispielsweise der Handel mit baureifen Grundstücken einträglicher als deren Entwicklung – dringend benötigte Flächen liegen deswegen brach. Kommen sie doch zur Entwicklung, sind sie so oft gekauft und verkauft worden und deswegen so teuer, dass sich nur noch noble Büros oder Luxuswohnungen rentieren. Anders sieht es aus, wenn für private Flächen noch kein Baurecht besteht oder der Eigentümer eine andere Nutzung wünscht – wenn also Planungsrecht benötigt wird. Dann können Kommunen ihre Planungshoheit einsetzen und gemeinwohlorientierte Ziele einfordern. Einige haben dafür sogenannte Baulandmodelle eingeführt, in denen die Pflichten­ verteilung oder etwa eine Quote für Sozialwohnungen verbindlich geregelt sind. Besser wäre allerdings eine bundesweit verbindliche gesetzliche Ausgleichsregelung. Denn neues Baurecht und Planung erhöhen den Grundstückswert erheblich. Es wäre also nur fair, wenn ein großer Teil dieser Wertsteigerung dem Gemeinwohl zu­gute käme. Die Kommunen tragen selbst einen hohen Anteil an der aktuellen Misere, denn sie haben ihre Grundstücke wie

Tafelsilber verkauft – zum Höchstgebot, ohne ausreichend Wert auf die Qualität der Entwicklung zu legen. Das muss sich ändern. Grundstücke müssen an die­ jenigen vergeben werden, die das beste Konzept vorlegen, oder an Genossenschaften, die gemeinnützige Ziele verfolgen. Eine dritte Möglichkeit ist das Erbbaurecht; hier behält die Kommune das Grundstück und vergibt lediglich das Recht zur Nutzung. Da wir die Städte nach innen entwickeln müssen und wir dort für das Gemeinwesen, für bezahlbare Wohnungen und für den Klimaschutz Flächen benötigen, wird immer deutlicher: Spekulation ist hier fehl am Platz. Wir brauchen schärfere Instrumente, um gemeinwohlorientierten Zielen Geltung zu verschaffen.

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G1

Die Leistung der Gemeinschaft Entscheidend für den Wert eines Grundstücks ist, wie weit entfernt es von öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Spielplätzen oder kulturellen Institutionen liegt. Wertsteigernd wirkt auch eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr und welche Qualität die Straßen, öffentlichen Räume und Grünflächen im Umfeld haben. Auch die Nähe zu medizinischer Versorgung spielt dabei eine wichtige Rolle. Kommt ein neuer öffentlicher Baustein hinzu, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf die Bodenwerte in seiner Umgebung. Der Wert eines Grundstücks ist demnach eine Leistung der Gemeinschaft und der öffentlichen Hand. Aus dieser Perspektive wird verständ­ lich, dass steigende Bodenwerte anteilig in die Gemeinschaft zurückfließen sollten. Auch die Spekulation mit gut erschlossenem Bauland müsste unterbunden werden, nicht zuletzt, weil

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ansonsten die Auslastung der öffent­ lichen Infrastrukturen nicht gegeben ist und die öffentlichen Aufwendungen noch weiter ansteigen würden. Wären alle Grundstücke einer Kommune in städtischem Besitz, stellte sich die Bodenfrage gar nicht – Wert­ steigerung und Bodenrenten kämen dann ausschließlich der Gemeinschaft zugute.

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G2

Eigentum verpflichtet nicht K2 G12

Ö2

G1

G6

G8

G9

G10

G13

Das Grundgesetz gewährt in Artikel 14 (1) den Zugang zu Eigentum und damit zu Grundbesitz. Dieses Grundrecht wird allerdings in Abs. 2 deutlich beschränkt und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hervorgehoben. Abs. 3 ermöglicht sogar die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit – dies aber nur auf der Grundlage eines weiterführenden Gesetzes, in dem auch die Entschädigung geregelt ist. Daher ist im Baugesetzbuch eine sozialgerechte Bodennutzung festgeschrieben (§ 1 (5) BauGB). Doch obwohl dort ein ganzer Teil des Gesetzes Enteignung und Entschädigung regelt, wird fast nie enteignet. Ebenso verhält es sich mit dem Baugebot (§ 176 BauGB), mit dem die Entwicklung von baureifem Land angeordnet und die Spekulation damit unterbunden werden kann. Denn vor Gericht erweisen sich diese scharfen Schwerter als stumpf. Anders als in den meisten europäischen Nach­bar­ ländern, in denen mit größerer

Selbst­verständlichkeit – zum Beispiel für den Bau von Schulen – enteignet und entschädigt wird, wird dem Schutz des privaten Eigentums in Deutschland Vorrang eingeräumt. Ausnahmen bilden große Infrastrukturprojekte wie Auto­ bahnen oder Stromtrassen. Verständlich wird dies mit Blick auf unsere Geschichte: Im Nationalsozialismus wurde die jüdische Bevölkerung in Vorbereitung des Holocaust systematisch durch den Staat enteignet. Auch im Zuge der Wiedervereinigung wurden die Enteignungen in der DDR als Unrecht bewertet. Der Schutz des Privat­ eigentums wurde hier unter dem Leitsatz „Rück­gabe vor Entschädigung“ in den Einigungs­vertrag aufgenommen. Quellen ► Grundgesetz (GG): Artikel 14 ► Baugesetzbuch (BauGB): §§ 1, 85 –122, 176 ► Rummel, W. (2007): Die Enteignung der Juden als bürokratisches Verfahren, in: Stengel, K. (Hg.): Vor der Vernichtung: Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. / New York, S. 61 –79 ► Einigungsvertrag (EinigVtr): § 41 (1) (Anlage III)

Eigentümer

Grundgesetz (GG): Artikel 14 (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

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Spekulation

Spekulation Spekulation

Eigentümer

Allgemeinheit

Eigentümer

Allgemeinheit

Grundgesetz (GG): Artikel 14 (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Staat enteignet Staat enteignet

Staat entschädigt Eigentümer

Staat entschädigt €

Eigentümer



Wohl der Allgemeinheit Wohl der Allgemeinheit

Grundgesetz (GG): Artikel 14 (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

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G3

Die Vergabe des Grundstücks entscheidet über die Qualität der Entwicklung G4

G5

G7

Beabsichtigt eine Kommune, ein Grundstück zu veräußern, hat sie grundsätzlich drei Optionen. Die Direktvergabe zum Festpreis bildet dabei die Ausnahme. Sie wird nur gewählt, wenn es für die vorgesehene Nutzung nur einen Interessenten gibt – etwa einen Fußballverein, der ein Stadion errichten möchte. Beim Bieterverfahren bekommt den Zuschlag, wer das höchste Gebot einreicht. In der Ausschreibung können auch Qualitätsmerkmale festgeschrieben werden: die Durchführung eine Planungs­ wettbewerbs oder eine Quote für Sozialwohnungen etwa. Der Bieter mit dem höchsten Gebot hat aber den geringsten Spielraum, ein hoch­wertiges und sozial gerechtes Konzept umzu­setzen. Daher haben viele Kommunen nach Jahren der Höchstgebotspraxis auf

Konzeptvergabe umgestellt. Dabei werden Kriterien aufgestellt, die unter anderem wohnungspolitische, städtebauliche, energetische und funktionale Ziele oder auch Mobilitätsaspekte umfassen können. Während der Preis in der Regel nur zu 30 % zählt, fließen die qualitativen Kriterien zu 70 % in die Vergabeentscheidung ein. Bei der Konzeptvergabe an zivilgesellschaft­liche Akteure geben viele Kommunen den Verkehrswert als Festpreis vor, dann zählen qualitative Aspekte sogar zu 100 %. Quellen ► Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen /  Hessischer Städtetag (Hg.) (2017): Orientierungshilfe zur Vergabe öffentlicher Grundstücke nach Konzeptqualität, Wiesbaden ► Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V. (Hg.) (2016): Grundstücksvergabe für gemeinschaftliches Wohnen, Hannover



Bieterverfahren (Höchstgebot)

Direktvergabe (Verkehrswert)

g he tlic ibun re fen Öf sch s Au



Konzeptvergabe (Gebot + Konzeptqualität) 82

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G4

Die Trennung von Grundeigentum und Nutzung verhindert Bodenspekulation G3

G5

G7

Über das Erbbaurecht werden Grundstück und Nutzung voneinander getrennt. Der Erbbaurechtsgeber bleibt Eigentümer des Grundstücks, der Erbbaurechtsnehmer erwirbt das Recht auf Nutzung und Bebauung, die dann ihm gehört. Da kein Verkauf stattfindet, wirkt sich dies dämpfend auf die Bodenpreisentwicklung aus. Bodenspekulation wird sogar ganz ausgeschlossen. Verträge haben meist eine Laufzeit von 99 Jahren und werden in der Regel verlängert. Erbbaurechte können, wie Eigentum auch, weiterverkauft oder vererbt werden. Sollte es zum sogenannten Heimfall kommen, der Vertrag also aufgelöst oder nicht verlängert werden, steht dem Erbbaurechtsnehmer eine Entschädigung für seine Immobilie in Höhe von mindestens zwei Dritteln des Verkehrswerts zu.

Einige Städte vergeben ihre Grundstücke mittlerweile ausschließlich nach Erbbaurecht. Besonders interessant ist das Modell für Nutzergruppen mit wenig Eigenkapital, da die Grundstückskosten nicht mitfinanziert werden müssen. Die Höhe des Erbbauzinses ist nicht fest­gelegt, er kann also für Gruppen, die gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen, niedriger angesetzt werden als bei rendite­trächtigen Nutzungen. In der aktuellen Niedrigzinsphase ist das Erbbaurecht allerdings weniger attraktiv, da Kredite günstig sind und Banken eine Finanzierung mit Erbbaurechten immer noch nachteilig bewerten. Quellen ► Stiftung trias (Hg.) (2015): Das Erbbaurecht, ein anderer Umgang mit Grund und Boden, Hattingen ► Nagel, M. (Hg.) (2014): Erbbaurechte, eine alternative Vermögensanlage für Stiftungen, Gütersloh ► Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG)

Nutzungsrecht (in der Regel 99 Jahre)

Erbbauzins

Erbbaurechtsgeber

Erbbaurechtsnehmer

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Grundbuch

Erbbaugrundbuch 83

gemeinnützig. Gewinne mussten in neue Wohnungen investiert oder für den Bestanderhalt eingesetzt werden. Erst mit Aufhebung der Gemeinnützigkeit konnten kommunale Wohnungsgesellschaften anteilig privatisiert oder, wie im Falle Dresdens, komplett verkauft werden. Wohnungsgenossenschaften, die weiterhin gemeinnützige Ziele verfolgen, sind von der Steuer befreit. Da alle Mitglieder gleichberechtigt sind, gelten sie als stabile Sozialgemein­ schaften und Garanten für bezahlbares Wohnen.

G5

Ohne Gewinn lässt sich besser wohnen Ö9

G3

G4

G7

Wohnungsgenossenschaften folgen – wie andere Genossenschaften auch – den Prinzipien von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Sie zielen auf eine sichere und gute Wohnraumversorgung ihrer Mitglieder, die in der Regel über wenig Eigenkapital verfügen und ihre Mittel zusammen­ legen. Mit dem Genossenschaftsanteil erwirbt man das Anrecht auf Wohnraum – aber kein Eigentum. Das gesammelte Kapital ist der Grundstock für einen Bankkredit, mit dem ein Wohnhaus für die Genossen gebaut werden kann. Über die Mieten wird der Kredit ab­bezahlt. 1989 wurde das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz aufgehoben – eine Entscheidung, die bis heute kritisch diskutiert wird. Alle Genossenschaften – auch die kommunalen Wohnungsbau­ genossenschaften – waren bis dahin

Quellen ► Schlüter, T. et al. (Hg.) (2019): Handbuch Wohnungsgenossenschaften: Genossenschaftsrecht für die Praxis, Freiburg / München / Stuttgart ► Kuhnert, J.; Leps, O. (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit, Wiesbaden ► Genossenschaftsgesetz (GenG)

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+ Kredit der Bank

G6

Der Boden ist ein juristisches Labyrinth Ö4

G2

Bau- und Raumordnungsrecht

§

Grund und Boden unterliegen vielen unterschiedlichen Gesetzen und Zuständigkeiten. Für die meisten Gesetze ist das Justizministerium zuständig. Es regelt das Verfügungsrecht, also das grundsätzliche Recht auf Eigentum, wie man es erwirbt und weiterveräußert. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist festgeschrieben, dass Gebäude zum Grundstück gehören (§ 94 BGB). Wer also über das Grundstück verfügt, verfügt auch über dessen Nutzung und Bebauung. Ändern lässt sich dies nur, wenn das Erbbaurecht angewendet wird. Mit ihm lässt sich das Grundeigentum vom Nutzungsrecht des Grundstücks trennen. Das Bauressort, das derzeit im Bundesministerium des Innern ange­ siedelt ist, schafft das Instrumentarium für die Stadtentwicklung und regelt die Raumordnung. Dazu gehören die Fest­legung der Flächennutzung und die

Planung der Siedlungs- und Verkehrs­ flächen in ganz Deutschland. Das Bauressort steht daher in engem Austausch mit den Ländern und Kommunen. Es muss sich zudem mit anderen Ministerien verständigen: mit dem Umweltministerium über die Belange des Naturschutzes und mit dem Bundesverkehrsministerium, das für die Bundeswegeplanung von Schiene, Wasserwegen und Straßen zuständig ist. Das Finanzministerium wiederum ist zuständig für die Grundsteuer, die Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wie auch der Gewinne durch Weiterveräußerung. Eine grundlegende Bodenreform, die sowohl der Veränderung der globalen Finanzwirtschaft, den Erfordernissen des Klimawandels wie auch einer sozialgerechten Bodennutzung Rechnung trägt, ist angesichts dieser vielen Zuständigkeiten nur mit einer fraktionsübergreifenden EnqueteKommission des Bundestags möglich.

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Verfügungsrecht

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Naturschutzrecht

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Steuerrecht 85

Verfügungsrecht

Bau- und Raumordnungsrecht

Naturschutzrecht

GG – Grundgesetz

ROG – Raumordnungsgesetz

Das GG setzt sich zusammen aus den Grundrechten, den sogenannten grundrechts­gleichen Rechten (z.B. Wahlrecht oder Recht auf Widerstand) sowie dem Staats­ organisationsrecht. In Artikel 14 wird das grundlegende Verfügungsrecht über Eigentum als Grundrecht gewährt, zugleich dessen Gebrauch eingeschränkt – zum Wohle der Allgemein­heit. Die Sozialpflichtigkeit von Grundeigentum, die sich daraus ableiten lässt, ist rechtlich aber kaum durchsetzbar.

Mit dem ROG soll bundesweit eine ausgewogene Siedlungs- und Freiraumentwicklung sichergestellt und dabei Naturschutz­belangen Rechnung getragen werden. Instrument dafür sind die Raumordnungspläne. Diese sowie die Zuständigkeiten und die raum­ ordnerische Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern werden im ROG geregelt.

BNatSchG – Bundesnaturschutzgesetz

BGB – Bürgerliches Gesetzbuch Im BGB wird das Grundstück, und das Gebäude als Bestandteil dessen, rechtlich definiert sowie die Veräußerung und Vererbung von Grundeigentum. Es beinhaltet zudem den recht­lichen Rahmen für Mietrecht, Mieterschutz – etwa der Mietpreisbremse. GrdstVG – Grundstückverkehrsgesetz Das GrdstVG regelt Geschäfte mit landwirtschaftlichen Grundstücken. Es zielt auf die Sicherung des Fort­bestands land- und forst­ wirtschaftlicher Betriebe, die Ernährungsvorsorge der Bevölkerung sowie Natur- und Umweltschutz. LPachtVG – Landpachtverkehrsgesetz Das LPachtVG regelt Pachtverträge von landwirtschaftlichen Grundstücken, unter anderem das Recht des Pächters, Verlängerung des Pachtvertrages und die Anpassung des Pachtzinses. ErbbauRG – Erbbaurechtsgesetz Das ErbbauRG regelt die Grund­ stücks­vergabe, bei der ein Grundstück nicht verkauft, sondern lediglich die Nutzungsrechte daran vergeben werden. Der Erbbau­ rechts­geber bleibt Grundeigen­ tümer, behält also das Verfügungsrecht. Der Erbbaurechtsnehmer erhält das Nutzungsrecht gegen Abgabe eines Erb­bau­zinses. Im Gesetz werden alle rechtlichen Belange der beiden Parteien geregelt. 86

BauGB – Baugesetzbuch Das BauGB beinhaltet grundsätzliche planerische Leit­linien sowie das übergeordnete Instrumentarium, das den Kommunen für die Stadtentwicklung zur Verfügung steht. Das Allgemeine Städtebaurecht (Kapitel 1) beinhaltet im Kern die Bauleitplanung – also Instrumente, die den Kommunen zur Festlegung und Durch­setzung der Art und des Maßes der bau­ lichen Nutzung auf den Grund­ stücken ihrer Gemeindefläche zur Verfügung stehen. Es enthält auch Regelungen zu Bodenordnung, Enteignung und Entschädigung. Das Besondere Städtebaurecht (Kapitel 2) regelt vor allem Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen sowie den Stadtumbau – also Regelungen zum Umgang mit Bestandsgebieten sowie Städtebauliche Gebote zur Durchsetzung der Planung. BauNVO – Baunutzungsverordnung Die BauNVO ist eine dem BauGB nachgeordnete Verordnung. In ihr werden vor allem Art und Maß der baulichen Nutzung von Grundstücken an Hand von Gebietstypen (Nutzungskategorien) und diesen zugeordneten städtebaulichen Dichtekennwerten präzise definiert. Damit die kommunale Planung bundesweit nach einheitlichen Prinzipien erfolgt, sind Kommunen nach § 9a BauGB bei ihrer Bau­ leitplanung an die Festsetzungen in der BauNVO gebunden, damit die kommunale Planung bundesweit nach einheitlichen Prinzipien erfolgt.

Das BNatSchG ist die rechtliche Basis für den Umgang mit Natur und Landschaft. Es definiert die Ziele und Instrumente von Naturschutz, Landschaftspflege und Artenschutz in Deutschland und stellt den Zusammenhang zum europäischen Naturschutz­ programm „Natura 2000“ her. Das BNatSchG regelt auch die Belange des Naturschutzes und der Landschafts­pflege in der Bauleitplanung der Kommunen. Zentrale Instrumente sind Landes­programme beziehungsweise Land­­schaftsrahmen­pläne auf Ebene der Länder sowie Land­schafts­­pläne respektive Grün­ordnungspläne auf Ebene der Kommunen. BBodSchG – Bundes-Bodenschutzgesetz Das BBodSchG regelt die nach­ haltige Sicherung der Funktionen des Bodens oder der Wieder­ herstellung dieser. Es dient dazu, schädliche Bodenveränderungen abzuwehren, und regelt die Sanierung von Altlasten sowie hierdurch verursachte Gewäs­ serverun­reinigungen. UVPG – Gesetz über die Umwelt­ verträglichkeitsprüfung Das UVPG regelt die Prüfung der Umweltverträglichkeit bei Vorhaben, die aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Es dient der Umsetzung von euro­pa­ rechtlichen Richtlinien und verknüpft dabei Naturschutzund Baurecht.

Steuerrecht EStG – Einkommensteuergesetz Das EStG regelt die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen. Neben der Lohnsteuer, mit dem höchsten Steuerauf­ kommen, regelt es auch die Kapitalertragssteuer. Zudem wird die Besteuerung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie von Gewinnen aus Veräußerungs­geschäften von Grund­stücken und Immobilien geregelt. GrStG – Grundsteuergesetz Das GrStG regelt die Besteuerung von bebauten, unbebauten und landwirtschaftlich genutzten Grund­stücken. Die Grundsteuer wird von den Kommu­nen erhoben und kann von diesen über einen Hebesatz individuell angepasst werden. Mit 14 Milliarden Euro (2019) zählt sie zu den stabilsten Säulen der Kommunal­finanzen (Substanzsteuer). 2025 tritt eine Grundsteuer­ reform in Kraft. Es werden dann – ähnlich wie schon heute – sowohl die Grundstücksfläche als auch der Ertrag der darauf befindlichen Gebäude besteuert. Das Gesetz enthält eine Öffnungsklausel, die es den Ländern ermöglicht, die Besteuerung selbst festzulegen. ErbStG – Erbschaftssteuerund Schenkungssteuergesetz Das ErbStG regelt die Höhe der Steuer, die bei Erbschaft oder Schenkung anfällt sowie entsprechende Steuer­freibeträge. Beide – Steuer und Steuerfreibeträge – sind abhängig vom Verwandtschaftsgrad der Erben beziehungs­ weise von den Begünstigten der Schenkung.

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G7

Kommunaler Grund­besitz ist das wirkungsvollste Steuerungsinstrument K5

Ö2

G3

G4

G5

Einige wenige Kommunen haben einen festen Etat für den Ankauf von Grund­ stücken. Sie kaufen damit nicht nur baureife Grundstücke, sondern mit Weitblick auch Äcker und Forstflächen, die Potenzial für eine zukünftige Bebauung bieten. Idealerweise sollten Kommunen nur eigene Flächen neu entwickeln. Dann kommt die Wertsteigerung dem Gemeinwohl zugute, außerdem kann über moderate Verkaufspreise dämpfend auf die Bodenpreisentwicklung eingewirkt werden. Schließlich können im Kaufvertrag gemeinwohlorientierte Ziele festgeschrieben werden, etwa eine Mindestquote für Sozialwohnungen. Die Kommunen verfügen so zudem über die Grundstücke, die für Freiflächen

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oder Bildungs- und Sozialeinrichtungen benötigt werden. Für gezielten Zwischenerwerb und strategische Bodenbevorratung haben viele Kommunen aber nicht die Ressourcen. Um dies zu ändern, müssten Bund und Länder die Kommunen dabei unterstützen, kommunale Bodenfonds auf­zulegen. Aus ihnen ließe sich eine nach­haltige Liegenschaftspolitik entwickeln. Bund und Länder könnten dort auch ihre Flächen einbringen, die sie nicht benötigen, und den Kommunen dabei helfen, eine gemeinwohlorientierte und klimagerechte Stadtentwicklung voranzutreiben. Quellen ► Deutscher Verband / BBSR (Hg.) (2016): Mehr Bauland für bezahlbaren Wohnungsbau, Berlin ► DIFU / VHW (Hg.) (2017): Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030, www.difu.de

kommunaler Bodenfonds

K

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Tausch Ankauf

Verkauf

Entwicklung

kommunaler Bodenfonds

Entwicklung

Verkauf

Die Kommune legt einen Bodenfonds auf, aus dem Grundstückskäufe getätigt werden.

Die Kommune entwickelt das Land bis zur Baureife. Die Wertsteigerung bleibt in ihrer Hand.

Die Kommune vergibt Grund­ stücke an Investoren nach gemeinwohlorientierten Zielen. Die Wertsteigerung fließt zurück in den Bodenfonds.

Ankauf Ankäufe oder Tausch werden unter strategischen Gesichts­ punkten getätigt.

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G8

Gewinne durch Planung gehören auch dem Gemeinwesen Ö3

Ö9

G9

G11

Werden private Äcker in Neubauland oder wird ein aufgelassenes Industrie­ gebiet in ein Wohnquartier umgewandelt, steigen die Grundstückspreise erheblich an. Und zwar allein durch planungs­ rechtliche Änderung in eine höherwertige Nutzung im Flächennutzungsplan oder durch Festsetzung höherer bau­licher Kennwerte im Bebauungsplan. Da dies vom Eigentümer keine Investitionen erfordert, spricht man von leistungs­ losen Gewinnen. Bei der Kommune fallen hingegen Kosten an: für die Planung sowie etwa für die Erschließung, den Bau von Freiflächen, Schulen und Kinder­gärten. Lasten und Gewinne sind also ungleich verteilt. Daher haben viele Kommunen konsensorientierte Modelle dafür geschaffen, wie neues Bauland entwickelt oder eine Konversion geregelt wird. Meist wird ein runder Tisch mit den wesentlichen Akteuren des lokalen Boden- und Immobilienmarkts gebildet. Dort werden Aufgaben, Lasten und Gewinne verhandelt. Dazu gehört die Festschreibung einer Quote für den Bau von Sozialwohnungen sowie der staatlichen und kommunalen Förder­ mittel, die Investoren dafür erhalten. Im Rat der Stadt erfolgt auf dieser Basis

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ein Grundsatzbeschluss, der die Bau­ land­entwicklung verbindlich und transparent regelt. Das Instrument zur Umsetzung ist der Städtebauliche Vertrag (§ 11 BauGB), den die Kommune mit dem Investor schließt. Solche Baulandmodelle gibt es mittler­weile in fast allen größeren Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Investoren haben akzeptiert, dass ihre leistungslosen Gewinne anteilig in Einrichtungen des Gemeinbedarfs und die grüne Infrastruktur einer neuen Quartiersentwicklung fließen. Ein bestimmter Anteil des Gewinns – in der Regel ein Drittel – wird ihnen aber zugestanden, denn Investieren soll sich lohnen, da es immer mit Risiko verbunden ist. Da die Verhandlungen aber mühsam und oftmals doch konfliktbehaftet sind, wird schon seit Längerem über einen gesetzlich verankerten Planungswertausgleich diskutiert, der die anteilige Gewinn­ abgabe bundesweit verbindlich regelt. Quellen ► Drixler, E. et al. (2014): Kommunale Boden­ politik und Baulandmodelle: Strategien für bezahlbaren Wohnraum?, in DVW e.V. (Hg.), DVW-Schriftenreihe, Bd. 76 / 2014, Augsburg ► Deutscher Verband / BBSR (Hg.) (2016): Mehr Bauland für bezahlbaren Wohnungsbau, Berlin ► Landeshauptstadt München (Hg.) (2020): Die Sozialgerechte Bodennutzung, München ► Baugesetzbuch (BauGB): § 11 – Städtebaulicher Vertrag

Infrastruktur und Gemeinbedarf

Bodenwertsteigerung

Planung

Stadt Planungskosten Städtebaulicher Vertrag (§11 BauGB)

Investor Gewinn

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G9

Alle privaten Grundstücke müssen sozialpflichtig werden Ö3

Ö9

G8

G11

G12

Flächennutzungsplan (FNP) und Bebauungsplan (B-Plan) sind die grundlegenden Werkzeuge, mit denen eine Kommune die Art und das Maß der baulichen Nutzung auf ihren Flächen steuert – was auf einem Grundstück stattfinden soll und wie dicht es bebaut werden darf. Diese sogenannte Bauleitplanung hat Einfluss auf den Wert eines Grundstücks. Wenn die Kommune neues Bauland schafft oder eine Änderung zu­ gunsten einer höherwertigen Nutzung oder einer höheren Dichte vornimmt, ist dies auch der Moment, in dem sie Forderungen gegenüber dem Grund­ eigentümer durchsetzen kann. Das dann eingesetzte Instrument ist der Städtebau­liche Vertrag, in dem gemeinwohlorientierte Ziele, etwa eine Quote für Sozialwohnungen, festgeschrieben werden können. Für einen großen Teil der Gemeindeflächen liegen aber gar keine Bebauungspläne vor. Das sind in der Regel die

Gemeinwohlorientierte Ziele über Städtebaulichen Vertrag Gemeinwohlorientierte Ziele –über §11 BauGB Städtebaulichen Vertrag – § 11 BauGB

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historisch gewachsenen Teile einer Stadt, in denen grundsätzlich Baurecht besteht. Fügt sich ein Vorhaben in „Art und Maß der baulichen Nutzung“ in sein unmittelbares Umfeld ein, ist es nach § 34 des Baugesetzbuches (BauGB) genehmigungsfähig. Auf diese Weise kann ein Vorhaben schnell und unbürokratisch genehmigt werden. Allerdings lassen sich dabei keine gemeinwohlorientierten Ziele festsetzen. Das ist insofern problematisch, als etwa die Hälfte aller Wohnungen in diesem „unbeplanten Innenbereich” erstellt wird. Daher wird über eine Änderung im BauGB diskutiert, mit der auch in diesen Gebieten eine Quote für Sozialwohnungen durchgesetzt werden kann. Quellen ► Baugesetzbuch (BauGB): § 34 – Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ► DIFU / VHW (Hg.) (2017): Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030, www.difu.de

Gemeinwohlorientierte Ziele über Anpassung des BauGB Gemeinwohlorientierte Ziele über Anpassung des BauGB

G10

Gemeinwohl ist kaum durchsetzbar G1

G2

G9

G11

G12

Um gemeinwohlorientierte Ziele verfolgen zu können, benötigen Kommunen Instrumente, die sie im Ernstfall auch gegen die privaten Interessen von Grundeigentümern durchsetzen können. So werden Kommunen notariell über jede Grundstückstransaktion informiert und können binnen zwei Monaten von einem Vorkaufsrecht Gebrauch machen – allerdings zu dem im Kaufvertrag fixierten Preis, der unter den aktuellen Bedingungen meist die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen übersteigt. Des Weiteren können Kommunen Baugebote für baureife Grundstücke aussprechen. Der Grundeigentümer wird dadurch zur Entwicklung der Fläche verpflichtet – entsprechend der vorgesehenen Nutzung und innerhalb einer angemessenen Frist. Kommt er dem Gebot nicht nach, kann enteignet und entschädigt werden. Allerdings sind die Hürden dafür besonders hoch. Außer am Nachweis des Gemeinwohls scheitert

Gesetzliche Gesetzliche Vorkaufsrechte Vorkaufsrechte der der Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde Gemeinde – §§24-28 – §§24-28 BauGBBauGB Gemeinde – §§ 24 – 28 BauGB

die Durchsetzung in der Regel am Grundsatz der Gleichbehandlung. Denn rechtlich gesehen könnte dem Wohle der Allgemeinheit auch auf einem anderen unbebauten Grundstück innerhalb der Gemeinde Rechnung getragen werden. In der aktuell anstehenden Novelle des Baugesetzbuches (BauGB) sollen daher Vorkaufsrecht und Baugebot gestärkt werden. Diskutiert wird auch über die Einführung einer Innenent­ wicklungsmaßnahme, die beide Instrumente – die aktuell auf Einzelgrundstücke zugeschnitten sind – bündelt und deren Einsatz für größere Gebiete ermöglicht. Quellen ► Grundgesetz (GG): Artikel 3 (1) – Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich ► Baugesetzbuch (BauGB): §§ 24 – 28 – Gesetzliche Vorkaufsrechte der Gemeinde ► Baugesetzbuch (BauGB): § 176 – Baugebot

Baugebot Baugebot – §176 –BauGB §176 BauGB Baugebot – § 176 BauGB

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G11

Besondere Handlungsspielräume für Entwicklungen von besonderer Bedeutung G7

G8

G9

G10

G12

Für Gebiete, die für die städtebauliche Entwicklung einer Kommune besonders wichtig sind, kann eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) durch­ geführt werden. Sie ist sinnvoll für die Wiedernutzung größerer Brachflächen wie Kasernen, Bahnanlagen und Häfen, aber auch, wenn größere Ortsteile im Außenbereich neu entwickelt werden. Die Hürden dafür sind hoch: Die Maß­ nahme muss im öffentlichen Interesse liegen und dem Wohl der Allgemeinheit dienen, etwa wenn ein erhöhter Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten besteht, der anders nicht gedeckt werden kann. Dafür hat die Kommune dann einen weitreichenden Handlungsspielraum. Sie soll sogar alle Grundstücke zum Verkehrswert erwerben und kann dafür notfalls enteignen. Die Maßnahme sollte zügig umgesetzt und das Gebiet dabei städtebaulich sinnvoll erschlossen und neu geordnet werden. Die Kommune ist verpflichtet, baureife Grundstücke wieder an Private zu veräußern – mit

Ausnahme der Flächen, die für den Gemeinbedarf benötigt werden. Mit dem Gewinn, den sie beim Verkauf macht, können dann Erschließung und Gemeinbedarfseinrichtungen finanziert werden. Wenn aus besonderen Gründen Grundstücke bei einem Eigentümer verbleiben, hat dieser nach Abschluss der Maßnahme eine Ausgleichzahlung für die Wertsteigerung seiner Flächen an die Kommune zu entrichten. Quellen ► Baugesetzbuch (BauGB): §§ 165 –171 – Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen

Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen – §§ 165 –  171 BauGB Städtebauliche Entwicklungs94

maßnahmen – §§165-171 BauGB

G12

Gut erschlossenes Bauland muss entwickelt werden K9 G9

K10

G10

K11

K12

Ö10

G1

G2

G11

Innenentwicklung hat sich aus ökolo­ gischen Gründen als städtebauliches Leitbild durchgesetzt und ist als solches in § 1 (5) des Baugesetzbuches verankert. Bestehende Flächenpotenziale sollen demnach vorrangig genutzt werden. Viele baureife Flächen werden aber dennoch nicht entwickelt. Ihre Eigen­tümer haben unterschiedliche, oft persönliche Motive – etwa ein Baugrundstück für Kinder oder Enkel vorzuhalten. In wachsenden Großstädten ist es aber wegen der inzwischen hohen Renditen sehr lukrativ geworden, land banking zu betreiben. Akteure erwerben und horten unbebaute Grundstücke ohne Entwicklungsinteresse, aus rein spekulativer Absicht. Für die Mobili­sierung solcher Flächen fehlt ein durchsetzungsstarkes Instrument, weshalb seit Längerem diskutiert wird, eine sogenannte Innenentwicklungs­ maßnahme in das Baugesetzbuch auf­ zunehmen.

Vergleichbar einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme werden mehrere Instrumente gebündelt, die dann innerhalb eines abgegrenzten Gebiets gelten, wo sich baureife Grundstücke häufen. So könnte eine Bau­ verpflichtung innerhalb einer vorgegebenen Frist ausgesprochen werden; läuft die Frist ab, muss an die Kommune verkauft werden. Ultima Ratio: die Enteignung. Quellen ► Baugesetzbuch (BauGB): § 1 (5) ► DIFU / VHW (Hg.) (2017): Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030, www.difu.de

Innenentwicklungsmaßnahme–– Innenentwicklungsmaßnahme Anpassungdes desBauGB BauGB Anpassung 95

G13

Bodensteuern müssen auf Anreize und räumliche Wirkung geprüft werden K9

K10

K11

K12

Ö4

Ö10

G14

Quellen ► Kriese, U.: Warum die Bodenwertsteuer gerechter ist, in: FAZ 11.08.2020, S.17 ► DIFU / VHW (Hg.) (2017): Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030, www.difu.de

Bodenrichtwert Bodenrichtwert

2025 tritt die Grundsteuerreform in Kraft. Der Bund als Gesetzgeber hat darin festgelegt, sowohl den Boden als auch den Ertrag der darauf befindlichen Gebäude zu besteuern. Das fördert allerdings weitere Zersiedelung, da bei hohen Gebäuden und dichter Bebauung mehr Steuern gezahlt werden müssen. Das Gesetz enthält aber auch eine Öffnungsklausel, die es den Ländern ermöglicht, die Besteuerung selbst festzulegen. Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland die Einführung einer Bodenwertsteuer angekündigt, die sich ausschließlich auf den Wert des Bodens konzentriert. Von vielen Experten wird diese Variante als bestes Steuerungsinstrument angesehen – aus zwei Gründen. Sie legt zum ersten nahe, das Grundstück möglichst hoch auszulasten und mindert damit den Flächen­verbrauch. Zum zweiten werden mit ihr Anreize für die Bebauung von baureifem Land geschaffen.

Außerdem ist eine Bodenwertzuwachssteuer in der Diskussion. Mit ihr müssten Wertzuwächse jährlich an die Kommunen abgeführt werden. Da die Bodenwert­ steigerung aber im Rahmen der Einkommensteuer bei Unternehmen schon durch Besteuerung ihrer erwirtschafteten Erträge und bei Privatpersonen beim Verkauf von Grundbesitz anfällt, raten Kritiker stattdessen dazu, Schlupflöcher zu schließen oder Fehlanreize im Ein­ kommensteuer­gesetz (EStG) zu beheben: Für Kapital­gesellschaften müsste die Möglichkeit von Share Deals und bei Privatpersonen die zehnjährige Spekulationsfrist aufgehoben werden.

Bodenwertsteuer Bodenwertsteuer

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Bodenwertzuwachssteuer Bodenwertzuwachssteuer

G14

Steuerliche Ungerechtig­keiten erkennen und aufheben Ö5

Ö6

G13

Immobilienanleger und Grundbesitzer profitieren von der aktuellen Entwicklung auf den deutschen Boden- und Immobilienmärkten in besonderem Maße, während die Mieter, also ein Großteil der Bevölkerung, immer höhere Ausgaben für Mieten aufbringen müssen. Zwei steuerliche Aspekte werden vor diesem Hintergrund zunehmend in­frage gestellt: Während jeder private Immo­ bilien­käufer Grunderwerbssteuer abführen muss, können große Kapital­ gesellschaften diese mit sogenannten Share Deals umgehen. Diese zusätzlichen, leistungslosen Gewinne erscheinen nicht angebracht, weshalb dieses Steuer­­ schlupfloch geschlossen werden sollte. Stattdessen könnte eine Absenkung oder ein Erlass der Grunderwerbssteuer für einkommensschwächere Gruppen helfen, diesen den Zugang zu Wohn­ eigentum zu erleichtern. Zum zweiten ist unverständlich, weshalb Kapitalerträge und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung steuerpflichtig sind, während auf private Immobilienverkäufe

nach Ablauf einer Spekulationsfrist von 10 Jahren keine Steuern erhoben werden. Denn dies forciert in der aktuellen Situation Immobilientrans­ aktionen und führt damit zur Steigerung der Bodenricht­werte sowie indirekt zu höheren Mieten. Quellen ► Rohrbeck, F. (2015): Wer ein Haus kauft, ist der Dumme, in: Die ZEIT 32 / 2015, www.zeit.de ► Einkommensteuergesetz (EStG) – §§ 21 (1), 23 (1)

Kauf Kauf

Steuern auf den Gewinn Steuern auf den Gewinn SOLD

SOLD

Firma B

Firma A

Firma B

Firma A Share Deals abschaffen

Share Deals stoppen Share Deals stoppen

Steuerpflicht ab Kauf Steuerpflicht ab Kauf Spekulationsfrist aufheben Spekulationsfrist aufheben 97

Perspektiven

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Florian Hertweck: Die Bodenreform – gestern und heute Die Geschichte der Bodenreform in Deutschland ist durch zwei Hochphasen gekennzeichnet. Am Übergang ins 20. Jahr­ hundert kam es infolge von Industrialisierung, Landflucht und elenden Wohnverhältnissen in hochverdichteten Großstädten zu einer ersten Hochphase der Bemühungen um eine wirkungs­volle Neuordnung der Bodenverteilung. 1888 wurde der Deutsche Bund für Bodenbesitzreform gegründet, ein Jahrzehnt später der Deutsche Bund für Bodenreform. Die Protagonisten der Bewegung waren Ökonomen wie Adolf Damaschke oder Rudolf Eberstadt, Fabrikbesitzer wie Heinrich Freese oder Michael Flürscheim, Ärzte wie Heinrich Wehberg oder Max Sternberg – sie alle einte die Ansicht, dass die Bodenproblematik die Ursache der sozialen Frage ihrer Zeit ist. Sie führten als Mittel gegen die ungleichmäßige Verteilung von Grund und Boden sowie der Spekulation mit Grundstücken ins Feld, dass Grund und Boden als Gemein­gut behandelt werden müssen. Der Weg dahin war allerdings strittig, und die Auseinandersetzung darüber teilte die Reform­bewegung in zwei Lager: einerseits in Anhänger Silvio Gesells, die den gesamten Grund und Boden in staatliches Eigentum überführen und in einem zweiten Schritt an Nutzer verpachten wollten; andererseits in Anhänger Henry Georges, die beabsichtigten, Grund und Boden in Privatbesitz zu belassen, die Bodenrente jedoch zu sozialisieren. Für diesen zweiten bodenreformerischen – und angesichts der politischen Verhältnisse realistischeren – Weg lieferte Adolf Damaschke mit seinem 1902 erstmals erschienenen und zehn Jahre danach bereits zum sechsten Mal aufgelegten Buch Die Bodenreform – Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not den theoretischen Unterbau.1 Obwohl sich darin ein ziemlich patriarchalisches und paternalistisches Weltbild offenbart, hat es in Bezug auf bodenreformerische Analysen und 101

Forderungen kaum etwas von seiner Aktualität eingebüßt. Neben dem Verweis auf zahlreiche Statistiken, Fallbeispiele und Zitate beruft sich Damaschke hauptsächlich auf den damals populären Ökonomen Adolph Wagner sowie auf Henry George, dem er ein eigenes Kapitel widmet. Damaschke verwies aber auch auf den Architekten Reinhard Baumeister, den Vater des deutschen Städtebaus und Verfechter kommunalen Eigentums an Grund und Boden sowie Gegenspieler Camillo Sittes, welcher im Gegensatz zu den Bodenreformern meinte, dass ein „Maximum von Grundwertsteigerungen (auch) städtische Schönheit“ mit sich bringe.2 Der Rückblick auf diese erste Phase der mit anderen lebensreformerischen Bewegungen verknüpften Bodenreform ist angesichts der aktuellen COVID-19-Krise auch insofern interessant, als damals sanitäre Herausforderungen an erster Stelle angeführt wurden. Damaschke forderte angesichts von Epidemien wie Cholera oder Tuberkulose, die die Gesellschaft der Jahrhundert­ wende massiv herausforderten, eindringlich das ein, was wir heute Resilienz nennen: „Staat, Gemeinden und Private opfern Millionen, um die furchtbare Krankheit durch besondere Anstalten zu bekämpfen. Was aber helfen Lungenheilstätten, wenn die Menschen […] doch nach kurzer Zeit gezwungen sind, in licht- und luftarme Wohnungen und Werkstätten zurück­ zukehren?“3 Ideologisch verortet sich Damaschke zwischen Kapita­ lismus (Mammonismus) und Kommunismus sozialliberal: Während die „Bodenrente soziales Eigentum werden [soll, sollen] Kapital und Arbeit aber der freien individuellen Betätigung anheimgehen“.4 Im Wesentlichen reißt Damaschke, der als Kind selbst in einer Mietskaserne aufgewachsen ist und somit auch aus eigener Erfahrung zu dem Urteil kommt, dass „jede Anwendung des Warenrechts auf (Grund und Boden) zu verderblichen Folgen führen“ muss, mit seinen Kategorien die bis heute vier wesentlichen Ebenen der Bodenreform auf:5 erstens die Rolle der Akteure des Wohnungsbaus, verbunden mit einem Plädoyer für öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau (Kapitel 2). Dabei unterstreicht Damaschke den für Genossenschaften noch heute existenziellen Faktor 102

der günstigen Versorgung mit Grund und Boden. Zweitens die Bedeutung einer Bauordnung (Kapitel 3), um die städtebauliche Entwicklung zu steuern und die ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten. Drittens fiskalische Maßnahmen, insbesondere verknüpft mit der Forderung einer Grundwertsteuer (Kapitel 4) und einer (Boden-)Wertzuwachssteuer (Kapitel 5). Viertens schließlich die Relevanz des Gemeindeeigentums an Grund und Boden, das möglich vergrößert und wenn, dann nur in Erbbaurecht vergeben werden sollte (Kapitel 6).6 Dabei hält Damaschke eine „Ausdehnung des Enteignungsrechts“ nicht für notwendig, womit er den Unterschied zu den Anhängern Gesells untermauert.7 Neben diesen zentralen bodenreformerischen Forderungen spricht er sich gegen den Bau von Einfamilienhäusern aus und stattdessen für die Vergabe von kleinteiligen Grundstücken an der Peripherie der Städte als Familiengärten.8 Nachdem er die städtische Bodenfrage abgehandelt und mit historischen Exkursen ergänzt hat, reißt er auch die ländliche Bodenfrage kurz an, in der er für eine Renaissance der Allmende plädiert.9 Eine besondere Errungenschaft der Bodenreformer der Jahrhundertwende, die insbesondere Damaschkes Verdienst ist, liegt neben der Erbbaurechtsverordnung von 1919 und dem Reichsheimstättengesetz von 1920 im Artikel 55 der Reichsverfassung der Weimarer Republik, den 76 Abgeordnete der Nationalversammlung verschiedener Parteien – sogenannte „Damaschkianer“ – einbringen konnten: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern“.10 Vor allem aber bestellte die Bodenreformbewegung in der Jahrhundertwende das Feld, auf dem in der Weimarer Republik der kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbau florieren konnte. Martin Wagner in Berlin, Ernst May in Frankfurt am Main, Fritz Schumacher in Köln – sie alle konnten eine 103

neue Stadtplanung mit sanitärem Grün umsetzen und einen modernen Wohnungsbau durch kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften begünstigen, nicht zuletzt, weil sie, wie es die Bodenreformer gefordert hatten, auf den Grund und Boden zurückgreifen konnten. Obwohl die Bodenreform sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR auf unterschiedliche Weise missbraucht wurde,11 kam es in der Bundesrepublik infolge des Wiederaufbaus der Städte in der Nachkriegszeit zu einer Renaissance der deutschen Bodenreform. Zu eingeschränkt waren die Kommunen in ihren Bemühungen, bezahlbaren Wohnraum und soziale Infrastrukturen bereitzustellen. So hatten in den 1970er-Jahren die großen Parteien Kommissionen für eine soziale Bodenrechtsreform eingerichtet.12 Die konserva­ tiven Parteien (CDU und CSU) setzten sich dafür ein, fiskalische Maßnahmen zu nutzen, um das Eigentum möglichst breit unter der Bevölkerung zu streuen, indem neues Bauland ausgewiesen und die Vermögensbildung eigentumsschwacher Schichten gefördert werden sollte. Die Sozialdemokraten hingegen – insbesondere der im Juli 2020 verstorbene Hans-Jochen Vogel – sprachen sich nicht nur für den Planungs­ wertausgleich und eine Bodenwertzuwachssteuer, für die Reform der Bodenwertermittlung, des Enteignungs- und Entschädigungs­rechts aus, sondern auch für ein neues Rechtsinstitut für Grund und Boden. Auch innerhalb der SPD kam es zu einer Diskussion, ob sich mit bestehenden Mitteln wie dem Vorkaufsrecht das kommunale Bodenreservoir aufstocken ließe oder ob man zu anderen Mitteln greifen müsste: In Gegenden mit hohem Entwicklungsdruck, schrieb Vogel erstmals 1972 – und nicht ohne Grund in der Neuen Juristischen Wochenschrift –, solle Grund und Boden in Gemeindeeigentum überführt und in ein öffentliches Verfügungsrecht sowie ein privates Nutzungsrecht aufgespaltet werden.13 Bei fiskalischen Maßnahmen hätte im Prinzip ein Nenner zwischen den Volksparteien gefunden werden können, aber die Scheidelinie verlief auch hier an der Eigentumsfrage an Grund und Boden. Weder die CDU / CSU noch die FDP konnten sich zu diesem Eingriff in private Eigentumsrechte 104

durchringen. Zwar waren sie dafür, „das Eigentum an Boden ganz hart an die Kandare der Sozialpflichtigkeit [der] Verfassung zu nehmen“,14 jedoch waren sie prinzipiell dagegen, das Monopol des Eigentums von Grund und Boden von der privaten in die öffentliche Hand zu verschieben. So scheiterten trotz vieler Bundestagsdebatten und Gesetzesvorlagen letztlich alle Versuche, das Bodenrecht sozialer zu gestalten, sei es über ein öffentliches Verfügungsrecht oder eine Bodenwertzuwachssteuer. Selbst die wiederholte Forderung, kein Bauland in öffentlichem Besitz zu verkaufen und nur noch über Erbbaurecht zu vergeben, wurde nicht erfüllt. Der Blick auf die damalige Debatte zeigt auch deutlich, dass den unterschiedlichen Bodenreformkonzepten der beiden Volksparteien unterschiedliche Vorstellungen von Städtebau zugrunde lagen: Wollten die Sozialdemokraten den städtischen Boden kommunalisieren, um die Städte zu verdichten und funktional wie sozial mit Mietern zu durch­ mischen, strebt(e) die CDU / CSU über Eigenheimzulage und aktuell durch das Kinderbaugeld bis heute eine weitflächigere Mobilisierung von Bauland und die Grundvermögensbildung von Familien an, um das Eigentum an Grund und Boden so breit wie möglich zu streuen – eine Hauptursache für die Zersiedelung von Landschaften. Viele Zeichen deuten heute auf eine dritte Welle der Bodenreform hin, da sich Politik und Gesellschaft nun mit den Auswirkungen der Finanzialisierung von Boden- und Wohnmärkten und den Folgen der Weltfinanzmarktkrise von 2008 auseinandersetzen müssen. Durch sie sind die Bodenund Wohnmärkte mit Kapital überschwemmt worden, gleichzeitig wurden etliche Liegenschaften in den Großstädten ohne Konzept veräußert. Derzeitige Bodenreformbemühungen, wie etwa vom Deutschen Institut für Urbanistik, sehen viele Maßnahmen vor, die bereits von den Bodenreformbewegungen der Jahrhundertwende und der 1970er-Jahre gefordert wurden.15 Auch heute wird eine Kombination von fiskalischen Maßnahmen gefordert, wie eine Bodenwert- und Bodenflächen­ steuer und die Aufstockung des öffentlichen Bodenreservoirs, beispielsweise durch Weiterentwicklung des kommunalen 105

Vorkaufsrechts oder die Einrichtung eines Bodenfonds sowie durch die Vergabe von öffentlichen Liegenschaften über Erbbaurechte. Aber die Lage hat sich zugespitzt: Heute geht es nicht mehr um die Vermeidung von extrem verdichteten Miets­häusern, sondern um die dringende sozial-ökologische Wende in unseren Stadtlandschaften. Das führt zu einem Widerspruch, der nur aufzulösen ist, wenn politisch gehandelt wird: Wie kann man die Innenentwicklung von Städten nicht zuletzt mit bezahlbarem Wohnraum vorantreiben und dabei gleichzeitig polyvalente Naturräume einrichten, wenn in diesen Städten kaum noch öffentliches Bauland vorhanden ist? Dabei stellt sich die Frage, wie wirksam bodenrefo­rme­rische Instrumente tatsächlich sind: von gedeckelten Vorkaufsrechten der Kommunen bis zu städtischen Entwicklungsmaßnahmen und darüber hinaus. Im Gegensatz zu städtebaulichen Projekten wurden seit 2009 übrigens bei Straßenbauprojekten in der Bundesrepublik 1647 Enteignungsverfahren durchgeführt.16 Und schließlich geht es um die Wohnungs­bauakteure in der sozial-ökologischen Wende: weg von investorengesteuerten Renditeobjekten und flächenverzehrenden Einfamilien­ häusern, hin zu gemeinschaftlichem und genossenschaftlichem Wohnungsbau, errichtet auf nach Erbbaurecht vergebenem Boden – für verschiedene Lebens­formen und Einkommen, mit großzügigen Außen­flächen und Gemeinschaftsräumen.

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1  Damaschke, Adolf (1902): Die Bodenreform – Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not, 6. Auflage, Jena 1912. 2  Zitiert nach Michael Mönninger: Camillo Sitte als Städtebauer (2013), in: Semsroth, Klaus; Mönninger, Michael; Crasemann Collins, Christiane (Hg.): Camillo Sitte. Gesamtausgabe, Bd. 6, Wien / Köln / Weimar, S. 287. 3  Siehe Anm.1, S. 71. 4  Ebd., S. 62. 5  Ebd., S. 88. 6  Ebd., S. 127 7  Ebd., S. 121f. 8  Ebd., S. 81 und 124. 9  Ebd., S. 192. 10   Reichsverfassung vom 11. August 1919, Artikel 155, Abschnitt 1, http://www.lexexakt.de/ index.php/glossar/wrv155.php (18.09.2020). 11  Zum Missbrauch der Bodenreform im Nationalsozialismus und in der DDR sowie zur zeitweiligen Nähe Damaschkes zum National­ sozialismus siehe Diefenbacher, Hans (2005): Bodenreform nach Damaschke, in: Hugler, Klaus; Diefenbacher, Hans, et al. (Hg.): Adolf Damaschke und Henry George. Ansätze zu einer Theorie und Politik der Bodenreform, Marburg, S. 155 – 162. 12   Hertweck, Florian (2020): Hans-Jochen Vogels Projekt eines öffentlichen Verfügungsrechts an Grund und Boden, in: Hertweck, Florian (Hg.): Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage, Zürich, S. 102 – 113. 13  Vogel, Hans-Jochen (1972): Bodenrecht und Stadtentwicklung, in: Neue Juristische Wochenschrift, Sonderdruck, 35 / 1972, S. 1544ff., abgedruckt als Faksimile in: Brandlhuber, Arno; Hertweck, Florian; Mayfried, Thomas (Hg.) (2015): Dialogic City. Berlin wird Berlin, Köln, S. 650–655. 14   Engelhard, Hans A. (FDP) in der Bundestagsdebatte zur Bodenreform 1973. Deutscher Bundestag – 7. Wahlperiode – 54. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1973, S. 3113–3119. 15   Bunzel, Arno, et al.: Bodenpolitische Agenda 2020–2030, Sonderveröffentlichung 2017, herausgegeben vom Deutschen Institut für Urbanistik, https://difu.de/publikationen/2017/ bodenpolitische-agenda-2020-2030 (18.09.2020). 16  Ismar, Georg: Scheuer ist Enteignungs­ minister, in: Der Tagesspiegel vom 12.8.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/platzfuer-neue-autobahnen-scheuer-ist-einenteignungsminister­/­26088460.html (18.09.2020).

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Dirk Löhr: Boden – der blinde Fleck unseres Wirtschaftssystems Wem gehören Grund und Boden? – Die Eigentumsfrage treibt die Menschheit seit der neolithischen Revolution um. Im Alten Testament stellen die mit der Niederlassung der Menschen entstehenden Konflikte ein Hauptthema dar. So erschlägt beispielsweise Kain, der niedergelassene Ackerbauer, seinen Bruder Abel, einen nomadisierenden Hirten. Im Alten Testament findet sich daher nicht zufällig folgendes Gebot: „Grund und Boden darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir“ (3. Mose 25 : 23). Das Land gehört also Gott und damit nicht den Menschen; es ist keine Ware wie andere und soll nicht zum Gegenstand des Handels gemacht werden. Angesichts der immer häufiger zu vernehmenden Forderungen, der Boden müsse dem Markt entzogen werden, wird die Aktualität dieser Forderung deutlich. Privateigentum an Grund und Boden und seine Zuteilung über Marktmechanismen war vielen Denkern suspekt. So schrieb der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau: „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen, ‚Dies gehört mir‘, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚ … Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, die Erde aber niemandem gehört.‘“1 Die „Früchte“ des Bodens sind die Bodenerträge. Rousseau fordert sie als Gemeingut ein. Heute, im Zuge der zunehmenden Urbanisierung, ist die Inwertsetzung des Bodens mehr denn je eine Gemeinschaftsleistung: Die öffentliche Hand stellt die soziale, technische und institutionelle Infrastruktur zur 109

Verfügung, die erst die Agglomeration von Unternehmen und Einwohnern ermöglicht. Über die Institution des Privateigentums an Grund und Boden werden die „Früchte“ hieraus – also die Knappheitspreise – von privaten Grundeigentümern geerntet, die sie aber nicht gesät haben. Die Bodenwerte werden grundsätzlich nicht durch die Bodeneigentümer, sondern durch die Gemeinschaft geschaffen. So hatte der französische Philosoph Pierre - Joseph Proudhon mit seinem berühmten Satz „Eigentum ist Diebstahl!“2 auch nicht die Habseligkeiten des alltäglichen Lebens, sondern „monopolistische“ Eigentumsrechte im Blick. Unsere Wirtschaftsordnung ignoriert allerdings dieses Diktum. Grund und Boden werden dem Marktmechanismus und zugleich dem Regime des Privateigentums unterworfen. Während man grundsätzlich an Diebesgut (Proudhon!) kein rechtmäßiges Eigentum erwerben kann (§ 935 BGB), schützt das Grundgesetz in Artikel 14 das private Eigentum an durch Dritte – nämlich die Gemeinschaft – in Wert gesetzten Grund und Boden genauso wie das Eigentum an individuell in Wert gesetzten Gütern. Dem besonderen Wesen des Bodens wird in unserer Rechtsordnung lediglich insoweit Rechnung getragen, als bei der Inhalts- und Schranken­ bestimmung des Bodeneigentums strengere Maßstäbe als bei anderen Eigentumsformen angelegt werden.3 In der Gleichstellung verschiedener Arten des Eigentums mag man eine Schieflage in der rechtlichen Wertung entdecken, welche auch das System der Sozialen Marktwirtschaft durchzieht. So waren die vor allem aus der sogenannten ordoliberalen Schule stammenden Väter der Sozialen Marktwirtschaft auf dem Eigentumsauge blind.4 Dies, obwohl viele ihrer Gedanken auf den liberalen Sozialisten Franz Oppenheimer zurück­ gingen, der auch Doktorvater von Ludwig Erhard war. Für Oppenheimer war Boden ein monopolartiges Gut.5 Eine ähnliche Sichtweise hatte im Übrigen auch der nicht gerade als Sozialist bekannte Winston Churchill, der das Eigentum an Grund und Boden als die „Mutter aller anderen Formen von Monopolen“ bezeichnete.6 Zwar ist auch dem Liberalismus

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der Gedanke nicht fremd, dass Monopole dem Privateigentum und dem Marktmechanismus sinnvoll entzogen werden können – allerdings ist der Monopolcharakter des Bodens bis heute umstritten. Vor allem im liberal-konservativen Lager wird der Bodenmarkt als ein Wettbewerbsmarkt betrachtet. Ein privatwirtschaftlich organisierter Wettbewerbsmarkt ist nach der konservativ-liberalen Lesart der Garant für eine effiziente Bodennutzung. Probleme, die insbesondere seit der Weltfinanzkrise 2008 / 09 auftauchten – wie soziale Ungleichheit, die zunehmende Ungleichverteilung von Vermögen oder Gentrifizierung und Segregation –, werden eher als Randerscheinungen gesehen. Doch selbst wenn die Effizienzannahme zuträfe: Die Gesellschaft als lebendiges System kann sich nicht nur daran orientieren, wenn sie überlebensfähig sein will. Der Systemtheoretiker Hartmut Bossel stellte dar, dass vielmehr auch Leitwerte wie Gerechtigkeit, Anpassungsfähigkeit, Versorgung etc. mit demselben Gewicht wie Effizienz zu berücksichtigen sind.7 Boden­ nutzungen durch notwendige Infrastruktureinrichtungen wie Schulen, Kinderspielplätze, Sporthallen, Theater oder öffentliche Räume sind einzelwirtschaftlich betrachtet vergleichsweise ineffizient; obwohl ihre Existenz den Wert auch der sich in privater Hand befindlichen Grundstücke erhöht, könnten sie sich in einem unregulierten Markt nicht durchsetzen. Die Marktkräfte fördern zudem die soziale und ethnische Entmischung; ohne (planerische) Schranken sammeln sich dann in den einen Stadtteilen die Gewinner, in den anderen die Verlierer der Gesellschaft. Lässt man also den Markt einfach gewähren, führt dies zu einem Mangel an notwendiger Infrastruktur, öffentlichen Räumen und zu sozialer Spaltung – Gated Communities einerseits, No-goAreas andererseits wären die Folge. Die gesellschaftlich erwünschte funktionale und demografische Mischung erfordert daher, dass die Marktkräfte kanalisiert werden, was nicht ohne Eingriffe in die Eigentumsrechte der Bodeneigentümer gelingt. Solche Eingriffe finden zwar grundsätzlich über das Planungsrecht und andere Instrumente des öffentlichen

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Rechts statt. Vor dem Hintergrund der auch für den Boden geltenden Eigentumsgarantie des Art. 14 GG entpuppen sich diese Instrumente aber häufig als stumpfe Schwerter. Die Forderung, den Boden teilweise dem Markt zu entziehen und seine Nutzungen nach anderen Gesichtspunkten als nach reiner Effizienz zuzuweisen, ist vor diesem Hintergrund zu verstehen.8 Eine wichtige Rolle spielt hierbei kommunales Eigentum an Grund und Boden; mit ihm kann gewährleistet werden, dass auch einzelwirtschaftlich weniger effiziente Formen mit hohem sozialen Nutzen Zugang zum Boden bekommen können. Dies setzt jedoch zunächst einmal Bodeneigentum in öffentlicher Hand voraus. Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ging jedoch in die entgegengesetzte Richtung – in die der Privatisierung. Gegenwärtig haben die meisten Kommunen – selbst wenn eine Rekommunalisierung erwünscht ist – nicht die finanziellen Möglichkeiten, Bodeneigentum zu erwerben. Soweit der Boden dem Markt entzogen wird, gerät allerdings die Zuweisung der Nutzungen zum Politikum – dies ist aus der systemischen Sichtweise der Boden­nutzung jedoch durchaus gewünscht. Es existiert nämlich kein Automatismus, der garantiert, dass die verschiedenen Leitwerte gleichwertig beachtet werden. Dies bleibt eine Aufgabe des öffentlichen, in der Regel kommunalen Managements. Einerseits führt die systemische Sichtweise also zu der Forderung, den Boden teilweise dem Marktmechanismus und auch der Sphäre des Privateigentums zu entziehen. Dieselbe systemische Sichtweise verbietet es andererseits aber, den Leitwert der Effizienz vollkommen beiseite zu schieben und das Kind mit dem Bade auszuschütten. Unter bestimmten Bedingungen kann der Markt nämlich durchaus sinnvoll wirken. So können erst über die marktmäßige Koordination die Bodenerträge gehoben und gesellschaftlich nutzbar gemacht werden. Bodenerträge entstehen aufgrund der Unterschiede der einzelnen Grundstücke bezüglich Nutzungsintensität, Nutzungsqualität und der Lage. Die Lage wird wiederum stark davon bestimmt, wie gut öffentliche Räume und zentrale Infrastruktur zugänglich sind. Die öffentliche 112

Hand schafft mit der Gestaltung der Zugangsmöglichkeiten die Bodenerträge; werden diese nicht privatisiert, sondern zugunsten der öffentlichen Hand abgeschöpft, kann hiermit im Idealfall die Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur vollständig finanziert werden – dies ist der Inhalt des sogenannten Henry-George-Theorems.9 Durch die Abschöpfung der Bodenerträge wird der Boden gleichzeitig „entkapitalisiert“ und der Bodenwert sowie die Bodenwertsteigerungen werden gedämpft. Instrumente hierfür wären beispielsweise kommunale Erbbaurechte oder eine Bodenwertsteuer. In unserer heutigen Sozialen Marktwirtschaft wird die öffentliche Infrastruktur aber nicht aus den finanziellen Erträgen des Bodens, sondern durch konventionelle Steuern finanziert. Diese werden primär durch die – weitgehend deckungsgleichen – Gruppen der Arbeitnehmer und der Verbraucher aufgebracht. Die durch die Infrastrukturaus­ stattung erzeugten Bodenerträge werden hingegen von einer privilegierten Minderheit eingestrichen. Der heutige Steuerstaat festigt so den Rentier-Kapitalismus. Das Resultat: In Deutschland gehören 10 Prozent der Bevölkerung rund 55 Prozent des Vermögens. Hierbei stellt Immobilienvermögen den mit Abstand wichtigsten Bestandteil dar.10 Da reiche Haushalte in der Regel in besseren Lagen investieren, machen die Bodenwerte dabei einen erheblichen Anteil aus; so profitieren die Reichsten in besonderem Maße vom Anstieg der Bodenerträge und Bodenwerte.11 Diese Entkopplung von Nutzen und Kosten auf dem privatwirtschaftlich verfassten Bodenmarkt hat mit markt­wirtschaftlichen Prinzipien nichts mehr zu tun: denn sonst müssten die Nutznießer auch die Kosten tragen. Wo Nutzen und Kosten systematisch entkoppelt sind, droht der Markt zu versagen – wie dies etwa bei Bodenspekulation sichtlich der Fall ist. Das System des Rentier-Kapitalismus genügt daher am Ende noch nicht einmal dem Leitwert der Effizienz, verletzt aber eklatant die sozialen Leitwerte von Versorgung und Gerechtigkeit: Der vorgelagerte Bodenmarkt ist maß­geblich mitverantwortlich für die Preisentwicklung auf dem nachgelagerten Mietwohnungsmarkt, die vor allem 113

einkommensschwächere Haushalte belastet. Die Kommunen wiederum sind angesichts eines wenig wirksamen boden­ politischen Instrumentariums, der hohen Bodenpreise und ihrer Finanzlage zu schwach, um Wohnen als Daseinsvor­ sorge zu gewährleisten. Es gilt also, Leitplanken zu definieren, sodass der Markt in geeigneten Bereichen zur Geltung kommen und umgekehrt in anderen zurückgedrängt werden kann – dies erfordert aber Eingriffe in die Eigentumsrechte von Grundeigentümern. In dem Maße, in dem der Boden dem Markt entzogen wird und Effizienz als Leitwert nicht mehr wirkt, können jedoch auch die finanziellen Potenziale des Bodens nicht mehr nutzbar gemacht werden. Die systemische Sicht auf die Boden­ nutzung führt damit zu der Erkenntnis, dass es Ober- und Untergrenzen dafür gibt, wie viel Boden den Marktmechanismen wirkungsvoll entzogen werden kann. Denn: Zum einen ist der Staat nicht der bessere Unternehmer; wo zudem der Markt nicht wirken kann, können auch keine Bodenerträge zugunsten des Gemeinwohls generiert werden. Wo diese Grenzen liegen und wie sie sich bestimmen lassen, ist freilich bislang unerforscht. Eigentlich ist es unglaublich: Bezüglich einer der essenziellsten Fragen der menschlichen Zivilisation sind wir immer noch nicht wesentlich über die Grundlegungen hinausgekommen, wie sie im Alten Testament zu finden sind.

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1  Rousseau, Jean-Jacques (2008): Diskurs über die Ungleichheit, Stuttgart, S. 173. 2  Proudhon, Pierre-Joseph (1971): Was ist das Eigentum? Erste Denkschrift. Neuaufl. der Fassung von 1896, Graz (Österreich), S. 1. 3  BVerfG, 12.01.1967 – 1 BvR 169 / 63. 4  So im Rahmen der „konstituierenden Prinzipien“ (im XVI. Kapitel) die Behandlung des Privateigentums bei Eucken, Walter (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., Tübingen. 5  Zur diesbezüglichen Kontroverse mit Schumpeter s. Senft, Gerhard (2013): Land und Freiheit: Zum Diskurs über das Eigentum von Grund und Boden in der Moderne, Wien, S. 131– 162. Der Gebrauch des Begriffes „Monopol“ durch Oppenheimer stimmt allerdings nicht mit demjenigen der heute dominierenden neoklassischen Wirtschaftstheorie überein. 6  Aus einer Rede, gehalten im King’s Theatre in Edinburgh am 17. Juli 1909, https://www. cooperative-individualism.org/churchillwinston_mother-of-all-monopolies-1909.htm (24.09.2020). 7  Bossel, Hartmut (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München. 8  Vogel, Hans-Jochen (2019): Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar, Freiburg i. Br., S. 65 – 66. 9  Arnott, Richard J.; Stiglitz, Joseph E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, in: Quarterly Journal of Economics, 93, S. 471– 500. 10   Deutsche Bundesbank (2019): Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2017, Monatsbericht April, S. 13 – 44, hier: S. 22 – 23. 11  Ähnlich auch Stiglitz, Joseph E. (2015): The origins of inequality, and policies to contain it, in: National Tax Journal, 68 (2), S. 425 – 448.

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Martin zur Nedden: Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik – Kernelement nachhaltiger Stadtentwicklung Die Frage der Rechtsordnung über das Eigentum an Grund und Boden beschäftigt Gesellschaften schon seit Jahr­ tausenden. In mehreren Bibelstellen wird darauf verwiesen, dass der Boden Gemeingut ist. Bei Jesaja (5,8 – 9) wird als Reaktion auf eine auch in Israel im achten Jahrhundert v. Chr. zu beobachtende Konzentrationstendenz beim Bodeneigentum das Monopol von Grundeigentum harsch kritisiert: „Weh denen, die ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis kein Raum mehr da ist und sie allein das Land besitzen! … Fürwahr, die vielen Häuser sollen veröden und die großen und feinen leer stehen.“1 Bodenfragen sind immer auch ein Spiegel von Macht­ verhältnissen und gesellschaftlichen Werthaltungen. Seit der Neuzeit zeichnet sich grundsätzlich die Tendenz ab, dass das Eigentum Einzelner an Grund und Boden zunimmt. Rousseau setzt das erste Einzäunen eines Stücks Land mit der Geburt der bürgerlichen Gesellschaft gleich und sah dies kritisch, da nach seinem Verständnis die Erde niemandem gehörte. Ungeachtet dessen reduzierte der im 18. und 19. Jahrhundert erstarkende Liberalismus den Einfluss des Staates zugunsten der Marktkräfte erheblich. Das hatte zunehmend nachteilige Folgen für das Leben, insbesondere in den im Zuge der Industrialisierung wachsenden Städten. Daher wurden selbst im wiedergegründeten deutschen Kaiserreich Einschränkungen der Verfügungsrechte über Grund und Boden vorgenommen. So enthält schon das Preußische Fluchtliniengesetz von 1875 Regelungen zu Entschädigung im Falle des Entzugs von Eigentum durch die öffentliche Hand. Als Rechtfertigungsgrund wird das „öffentliche Bedürfnis“ angeführt, das in etwa unserer heutigen Vorstellung des Gemeinwohls entspricht. Auch 117

die Weimarer Reichsverfassung enthielt Regelungen zur Einschränkung privaten Eigentums an Grund und Boden. Der hier einschlägige Artikel 155 beinhaltete unter anderem das Ziel, „die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder eine Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, […] für die Gesamtheit nutzbar zu machen.“ Eine Thematik, die wir heute wieder als Planungswertausgleich diskutieren. Die Inhalte dieses Artikels dienten denn auch als Referenz für die Landes­verfassungen von Bayern (Art. 161) sowie Bremen (Art. 45), in denen eben jene leistungslosen Gewinne für die Allgemeinheit beansprucht werden. Die Einschätzung, dass die öffentliche Hand Einfluss auf den Bodenmarkt nehmen müsse, war zur damaligen Zeit aber auch in konservativen Kreisen anerkannt. Überliefert ist dies beispielsweise von Konrad Adenauer in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Köln: „Wir leiden nach meiner tiefsten Überzeugung in der Hauptsache in unserem Volk an der falschen Bodenpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Ich betrachte diese falsche Bodenpolitik als die Hauptquelle aller physischen und psychischen Entartungserscheinungen, unter denen wir leiden. […] Die bodenreformerischen Fragen sind nach meiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit“.2 Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird nicht nur im Grundgesetz – ebenfalls unter Mitwirkung Adenauers als Präsident des Parlamentarischen Rates – in Art. 14 Abs. 2 die Sozialpflichtigkeit des Eigentums eingefordert. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in den 1960er-Jahren erklärt, dass der Bodenmarkt durch die öffent­ liche Hand gesteuert werden müsse, um das Gemeinwohl zur Geltung zu bringen. Denn Grund und Boden könne aufgrund der Knappheit nicht mit anderen Wirtschaftsgütern gleichgesetzt werden. Eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik einzufordern, ist also auch unter parteipolitischen Aspekten keine Frage von „links“ oder „rechts“. Sie ist vielmehr eine elementare Voraussetzung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wie auch für eine nachhaltige räumliche Entwicklung. In diesem

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Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik nicht die privaten Akteure aus dem Bodenmarkt völlig verdrängen soll. Vielmehr erfüllt sie die Funktion eines Korrektivs: Wo sie es nicht verhindert, mindert sie immerhin gemeinwohlschädliche Entwicklungen auf dem Boden- und Immobilienmarkt – im Sinne einer Sozialen Marktwirtschaft. Bodenpolitik ist weit mehr als ein Instrument für den Wohnungsmarkt Bodenpolitik wird heute in erster Linie als Instrument für die Steuerung des Wohnungsmarktes betrachtet, insbesondere, um bezahlbaren Wohnraum in ausreichendem Maß realisieren zu können. Dies ist zweifelsohne wichtig – in den Hintergrund geraten dabei aber andere bodenpolitische Optionen, zum Beispiel jene, mit denen dem Klimawandel und seinen Folgen in den Städten und Gemeinden begegnet werden könnte. Daher ist eine aktive Bodenpolitik nicht nur in wachsenden Städten und Agglomerationen erforderlich, sondern gleichermaßen in von Bevölkerungsstagnation oder -rückgang geprägten Kommunen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld sind land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, denn auch dort nimmt die Bodenspekulation rasant zu. In- und ausländische Investoren, die im großen Maßstab operieren, verdrängen hier kleinere und mittlere sowie insbesondere auch ökologisch orientierte Betriebe in der Landwirtschaft. In den letzten Jahrzehnten zeigt sich immer deutlicher, wie sehr Instrumente zur Steuerung der Bodennutzung und für die Durchsetzung gemeinwohlorientierter Ziele fehlen: In den Städten und Gemeinden gelingt es nur unzureichend, Flächen für Wohnungsbau und Gewerbeansiedlungen in erforderlichem Umfang und an den richtigen Stellen zur Verfügung zu stellen. Aber auch bereits erschlossene Grundstücke werden, teilweise trotz vorliegender Baugenehmigung, aus Spekulationsgründen nicht bebaut. Sie dienen als reine Finanzanlage und werden, oft in kurzen Abständen, jeweils

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mit Preisaufschlägen weiterverkauft. Die Folge sind unverhältnismäßig hohe Preise, die nicht mehr dem realen Wert entsprechen, wenn man die jeweilige Nutzungsperspektive zu­grunde legt. Daher beanspruchen die Grundstückskosten einen immer größeren Anteil an den Herstellungskosten, nicht nur von Wohn- und Gewerbeimmobilien, sondern auch von öffentlichen Infrastrukturbauten wie Schulen und Kinder­ tagesstätten. Letztlich führt dies dazu, dass Investoren an die Ränder der Kommunen und Agglomerationen ausweichen. Das Ziel der Innenentwicklung – sozial wie ökologisch kaum zu unterschätzen – wird unter diesen Bedingungen erheblich erschwert und ist kaum mehr umzusetzen. Auf kommunaler Ebene, vorrangig in wachsenden Städten, wurde in den letzten Jahren daher erkannt, dass man umsteuern muss. Die vorhandenen bodenrechtlichen Instrumente werden inzwischen erheblich öfter genutzt. Ein gutes Beispiel sind die sogenannten Baulandbeschlüsse, die eine Reihe von Städten verabschiedet haben. Mit ihnen wird neues Baurecht an Quoten für Sozialwohnungen sowie die anteilige Finanzierung von Infrastruktur und Gemeinbedarfsflächen geknüpft. Auch das Vorkaufsrecht gemäß Baugesetzbuch (BauGB) wird häufiger in Anspruch genommen und städtebauliche Satzungen auf Basis des BauGB mit direkter oder indirekter bodenrechtlicher Wirkung werden beschlossen – wie die Milieuschutzsatzung zum Schutze bestehender Nachbarschaften. Auf Bundesebene ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) inzwischen gehalten, Flächen zur gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu günstigen Konditionen an die Kommunen abzugeben. Zur konsequenteren Anwendung der vorhandenen Instrumente gehört auch, Grundstücke der öffentlichen Hand überwiegend oder ausschließlich in Erbbaurecht zu vergeben. Wird ein Grundstück verkauft, sollte nicht der Höchstbietende zum Zuge kommen, sondern der Anbieter, der das beste Konzept vorweisen kann. All dies ist aber nicht ausreichend. So bedarf es in Anbetracht der zunehmenden Bodenverknappung in wachsen­den Städten und der damit einhergehenden Boden­ spekulation weitergehender Instrumente, wie etwa einer 120

Innenentwicklungsmaßnahme. Sie zielt darauf ab, Flächen in zentralen Lagen für die Bebauung zu mobilisieren, oder – wenn erforderlich – über Vorkaufsrechte oder Enteignung an die Kommune zu übertragen, die diese dann entwickeln oder weiterveräußern kann. Aspekte der Weiterentwicklung des Bodenrechts waren unter anderem Gegenstand der Diskussionen in der sogenannten Baulandkommission,3 deren Beratungsergebnisse unterschiedlich eingeschätzt werden. Die auf den Ergebnissen fußende Novellierung des BauGB bleibt bezüglich ihrer Inhalte abzuwarten. Ein weiterer wesentlicher Ansatzpunkt zeigt sich im Steuerrecht mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Revision der Grundsteuer. Deren Weiterentwicklung zur Bodenwertsteuer würde räumliche Steuerungswirkungen entfalten. Die vom Bundesfinanzministerium auf den Weg gebrachte Novelle, die 2025 in Kraft treten wird, hat diesen Gedanken jedoch nicht aufgenommen. Allerdings bietet das Gesetz eine Öffnungsklausel für die Länder. BadenWürttemberg hat bereits angekündigt, diese in Anspruch zu nehmen: Dort soll die Grundsteuer zukünftig nur auf die Grundstücksfläche als reine Bodenwertsteuer erhoben werden. Dies würde zu einer effizienteren Bodennutzung führen und zudem Grundeigentümer stärker belasten, die baureifes Land nicht entwickeln. Pandemie und Bodenpolitik Nicht auszuschließen ist, dass die Corona-Pandemie das Thema wieder in den Hintergrund drängt. Dabei ist jetzt schon erkennbar, dass gerade die Pandemie erhebliche Folgen für die Stadtentwicklung haben wird, denen mit einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik effizient begegnet werden könnte. So hat sich in den Sommermonaten 2020 der Struktur­ wandel des stationären Einzelhandels zugunsten des OnlineHandels noch beschleunigt. Hohe Bodenpreise haben schon lange vor Corona dazu beigetragen, dass sich keine resilienten Strukturen etablieren konnten. Weitere Herausforderungen stellen sich den Städten durch die existenzbedrohenden 121

Einkommenseinbußen in der Gastronomie ebenso wie die sich vermutlich verändernden Bürowelten – unter anderem durch einen höheren Anteil von Home-Office. Leerstände sind daher auch in prosperierenden Städten wieder ein denkbares Szenario. Erforderlich sind innovative Impulse zur Weiterentwicklung der Innenstädte. In den Fällen, in denen private Immobilieneigentümer nicht bereit oder in der Lage sind, solche Impulse zu setzen, muss die öffentliche Hand schnell und unkompliziert eingreifen können. Ziel muss es sein, die Realisierung innovativer und vielleicht auch auf den ersten Blick ungewöhnlicher Projektideen, die aus dem Rahmen des Üblichen fallen, zu ermöglichen. Eine gemeinwohlorientierte Boden­politik, ausgestattet mit wirksamen Instrumenten, könnte hier wichtige Beiträge leisten. Die Pandemie belastet die öffentlichen Haushalte schon heute und auch auf absehbare Zeit. Damit besteht die Gefahr, dass im Zuge von Haushaltskonsolidierungen die Mittel, die für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik erforderlich sind, nicht zur Verfügung gestellt werden. Das wäre kurzsichtig und würde den Prinzipien einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Stadtentwicklungs- und Finanzpolitik nicht gerecht. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass eine kontinuier­ liche, aktive Bodenpolitik maßgeblich zur finanziellen Stabilität der Kommunen beiträgt. So haben selbst in den wirtschaftlich angespannten Phasen der Zwischenkriegszeit viele Kommunen zielgerichtete Flächenakquisition betrieben, von denen sie bis heute profitieren. Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik ist also zuvorderst auch ein Element von Generationengerechtigkeit. Innovative Instrumente wie revolvierende Stadtentwicklungsfonds können dabei unterstützend wirken. Kommunen könnten sich dann aus diesen Budgets bedienen, um gezielt Grundstücke für den Zwischenerwerb anzukaufen und auf diesen gemeinwohlorientierte Ziele umzusetzen. Die gemeinwohlorientierte Bodenpolitik muss also auf der Tagesordnung bleiben, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und eine den Nachhaltigkeitszielen genügende Stadtentwicklung zu unterstützen.

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1  Kessler, Rainer (2012): Besitz (AT), Kap. 4, Grundeigentum, in: Deutsche Bibelgesellschaft: WiBiLex – Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, http://www.bibelwissenschaft.de/ stichwort/15056/ (10.10.2020). 2  Zitiert nach Mitscherlich, Alexander (1972): Die Unwirtlichkeit unserer Städte,11. Auflage, Frankfurt a.M., S. 21. 3  Die Baulandkommission war eine vom Bundesministerium des Innern eingesetzte Experten­kommission. Sie hat im Juli 2019 nach neunmonatiger Arbeit Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Baulandmobilisierung und Bodenpolitik vorgelegt, die als Grundlage für eine aktuell in Beratung befindliche Novelle des BauGB dienen. Die Ergebnisse werden von vielen Experten als nicht ausreichend kommentiert.

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Christian Strauß: Logiken und Akteure des Agrarraums In Deutschland wird die meiste Fläche landwirtschaftlich genutzt. Diese Nutzung folgt eigenen Logiken. Sie unterscheiden sich von den Triebkräften der Siedlungsentwicklung. Dort steht die Bereitstellung von Wohn- und Gewerbeflächen, von Erholungs-, Verkehrs- und weiteren Infrastrukturflächen im Mittelpunkt – Grundbedürfnisse der Behausung. Der Agrarraum erfüllt hingegen andere Grundfunktionen für die Gesellschaft. So gewährleistet er die Ernährungssicherheit, er schafft die Grundlage für die Umsetzung der Energiewende und trägt zur Artenvielfalt und zum Klimaschutz bei. Zudem prägt er neben dem Siedlungsraum in erheblichem Umfang die Kulturlandschaften. Siedlungs- und Agrarraum einer Region sind also vielfältig miteinander verflochten. Es ist daher erstaunlich, dass unterschiedliche Behörden und Instrumente eingesetzt werden, um sie zu entwickeln. Daraus erwachsen Governance-Probleme. Das Interesse von Investoren und Anlegern eint hingegen beide Räume: Sowohl im Siedlungsbereich als auch im Agrarraum kaufen sie Land als Kapital­ anlage auf. Neue Siedlungsflächen entstehen in Deutschland in der Regel auf Kosten der landwirtschaftlichen Flächen. Die übermäßige Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen, der Verlust naturnaher Flächen und die damit verbundene zurückgehende Artenvielfalt sind Fehlentwicklungen, die mit den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie bekämpft werden sollen. Als Beitrag zu den 17 Nachhaltigkeitszielen wird daher bis zum Jahr 2030 eine „Landdegradationsneutralität“ verfolgt: Durch Ausgleichs- oder Sanierungsmaßnahmen soll verhindert werden, dass sich im Saldo die Bodenqualität weiter verschlechtert.1 Der Verlust von Agrarland zugunsten von Siedlungs- und Verkehrsflächen konnte in Westeuropa bislang ausgeglichen 125

werden, indem die Produktivität in der Landwirtschaft erhöht wurde sowie Futtermittel importiert wurden. Im Zuge der Produktivitätssteigerung sind dabei größere zusammen­ hängende Grundstücke entstanden, weshalb sich das Landschaftsbild erheblich verändert hat. Zugleich ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe stark und die Beschäftigten­zahl moderat zurückgegangen.2 Wie im Siedlungsraum kommt es auch innerhalb der landwirtschaftlichen Flächen zu Konkurrenz- und Konfliktsituationen. So werden zum Beispiel seit der Energiewende immer mehr Flächen herangezogen, um erneuer­bare Energiequellen zu nutzen. Sie stehen für die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr zur Verfügung. Parallel dazu haben an vielen Standorten Ackerflächen das Grünland ersetzt – auch dies verändert die Artenvielfalt und das Landschaftsbild. Während aber die ökologischen, soziokulturellen und ökonomischen Aspekte der Siedlungsentwicklung verstärkt im öffentlichen Bewusstsein stehen, sind Triebfedern, Ausprägungen und Folgen der Agrarlandschaftsentwicklung weniger bekannt. Es ist jedoch enorm wichtig, auch Logiken des Agrarraums zu verstehen und anzuerkennen, um sie den Logiken des Siedlungsraums gegenüberzustellen und dabei zu einer integrierten Perspektive zu kommen, die beide Räume einschließt. Treiber und Akteure im Agrarraum Werden landwirtschaftliche Flächen in baureifes Land umgewandelt, steigt der Bodenwert mehr als bei jeder anderen Nutzungsänderung. Aber auch wenn landwirtschaftliche Flächen nicht bebaut werden, ist derzeit eine Wertsteigerung beim Land festzustellen. Im Vergleich zu moderaten Veränderungen in der Zeit davor steigen die Kaufwerte und Pachtpreise landwirtschaftlicher Grundstücke seit Mitte der 2000er-Jahre ungebremst, so zwischen 2005 und 2018 über 170 Prozent. Investoren haben in großem Umfang und zu hohen Preisen landwirtschaftliche Flächen erworben, unter anderem wegen des größer werdenden Bedarfes an Lebensmitteln, zum 126

Beispiel in der Volksrepublik China und Indien. Daher verdient die deutsche Ernährungswirtschaft bereits heute fast jeden dritten Euro mit dem Export von Produkten ins Ausland.3 Mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 treten verstärkt nicht landwirtschaftliche Investoren auf dem Agrarflächenmarkt auf. In deren Handlungs- und Verwertungslogik steht weniger die landwirtschaftliche Produktion als vielmehr die Vermögensanlage im Mittelpunkt.4 Dabei investieren unterschiedliche Käufergruppen; zum Beispiel hat ein international agierendes Möbelunternehmen mit Sitz in Deutschland mittlerweile im Osten über 20.000 Hektar erworben oder gepachtet, um dort vor allem Energiepflanzen anzubauen. Der zuweilen auch mit dem internationalen Land Grabbing verglichene Prozess in Ostdeutschland – insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg – ist neben ausländischen vor allem von westdeutschen Investoren geprägt, die nicht nur die Flächen, sondern auch die zuge­ hörigen landwirtschaftlichen Betriebe aufkaufen.5 Landwirtschaftliche Flächen werden wie Siedlungs­ flächen zunächst auf dem freien Markt verkauft. Allerdings unterliegt dies den bundesweiten Regelungen des Grundstück­ verkehrsgesetzes (GrdstVG) und muss in der Regel durch die zuständige Untere Behörde genehmigt werden. Auf dem Agrarmarkt haben sich – wie auf den anderen Immobilienmärkten – Makler für den Verkauf und die Verpachtung etabliert. Die ehemals volkseigenen Flächen in Ostdeutschland werden bis 2030 durch die Boden­verwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) privatisiert, die als Nachfolgeeinrichtung der Treuhandanstalt eingesetzt wurde. Für den Verkauf nutzt die BVVG ein auktionsähnliches Ausschreibungsverfahren, das die Preise in die Höhe treiben kann.6 Beim Kauf der Flächen nutzen die Käufer mitunter auch intransparente Strukturen und Regulierungslücken. So erwerben manche Investoren Anteile an Gesellschaften, die Grundstücke besitzen. Das Grundstückverkehrsgesetz, mit dem der Geschäftsverkehr landwirtschaftlich genutzter Flächen kontrolliert werden soll, erfasst diese Anteilskäufe jedoch nicht, sodass sie der behördlichen Prüfung entzogen sind. Zudem werden bis zu 127

75 Prozent der Pachtverträge von den Verpächtern nicht angezeigt. Dieser gesetzeswidrige Vorgang hebelt die Preismissbrauchskontrolle aus.7 Die erheblichen Veränderungen im Agrarflächenmarkt können zudem zu Konflikten mit der im Grundgesetz verankerten Sozialpflichtigkeit von Grund und Boden führen. Bereits 1967 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der nicht vermehrbare Boden als wesentliche Grundlage der Lebensmittelproduktion im Rahmen der Rechtsetzung eher als Ressource denn als Vermögensanlage zu behandeln ist. In ähnlicher Weise hat die Europäische Kommission 2017 bestätigt, dass Märkte für Agrarland im Sinne einer akzeptablen Agrarstruktur sowie einer nachhaltigen Nutzung der Agrar- und Forstflächen reguliert werden müssen. Daraus lässt sich ableiten, dass der Agrarflächenmarkt nicht ungehindert dem Kapitalmarkt ausgesetzt werden darf, sondern stärker reguliert werden sollte. Allerdings zeigt das Verhältnis zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen exemplarisch, welchem Druck Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland ausgesetzt sind: Sie erhalten nur ca. ein Fünftel der Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel. 1970 waren es (in Westdeutschland) noch 46 Prozent.8 Steigende Bodenpreise haben keine Auswirkungen auf den Verbraucherpreis, sondern belasten demnach die Landwirte zusätzlich. Bei der Preisentwicklung landwirtschaftlicher Flächen sind regionale Unterschiede festzustellen. Sie werden durch die Zahl aufstockungswilliger Betriebe, die Intensität der landwirtschaftlichen Produktion, die Bedeutung der Veredelungswirtschaft und die Flächennachfrage für den Anbau von Energiepflanzen beeinflusst. In Westdeutschland sind die absoluten Preise weiterhin höher als in Ostdeutschland, allerdings sind die prozentualen Steigerungen im Osten wesentlich höher.9 Zudem ist im Osten der Anteil an gepachteten Flächen deutlich höher. Den Betrieben vor Ort ist vor dem Hintergrund der erheblichen Preissteigerung eine gewinnbringende Betriebsführung erschwert. Ihnen droht der Verlust langjährig bewirtschafteter Pachtflächen, zudem haben sie bei überhöhten Preisen kaum eine Möglichkeit, 128

zum Verkauf stehende Grundstücke zu erwerben. Darüber hinaus fließt Kapital in immer größerem Umfang aus den regionalen Wertschöpfungsnetzen ab und erhöht den Gewinn von Eigentümern und Investoren außerhalb der Region im In- und Ausland. Während diese Eigentümer und Investoren an Einfluss in der Region gewinnen, verlieren die Dörfer und Regionen Landwirte und Beschäftigte. Damit lässt sich erklären, dass sich der demografische Wandel und der damit verbundene Bevölkerungsrückgang nicht unmittelbar auf die Nutzungsintensität landwirtschaftlicher Flächen auswirken. Lösungsperspektiven Für eine nachhaltige Entwicklung des Agrarraums sollten zwei Handlungsfelder in den Blick genommen werden: Zum einen sollte der Agrarraum nicht mehr nur als Vermögens­ anlage, sondern als multifunktionaler Raum angesehen werden. Zum anderen gilt es, die unterschiedlichen Logiken des Agrarraums und des Siedlungsraums zusammenzuführen, um zu integrierten regionalen Lösungen zu kommen. Übermäßig angestiegene landwirtschaftliche Kauf- und Pachtpreise, das damit verbundene stark gestiegene Interesse an landwirtschaftlichen Flächen und schließlich die sich ausbreitende Erkenntnis, wie wichtig der Agrarraum für die räumliche Entwicklung ist – all das hat dazu geführt, dass immer mehr darüber diskutiert wird, ob und wie das bestehende bodenmarktpolitische und räumliche Instrumentarium weiterentwickelt werden muss, um den Agrarraum nachhaltig entwickeln zu können. Seit der Föderalismusreform 2006 liegt die überörtliche Zuständigkeit für das landwirtschaftliche Bodenrecht bei den Bundesländern. Um in diesem Politik­ feld abgestimmt vorzugehen, hat die Agrarministerkonferenz im September 2018 eine Bund-Länder-Initiative Land­ wirtschaftlicher Bodenmarkt eingesetzt. Sie will vor allem dafür sorgen, dass das Vorkaufsrecht von Landwirten gestärkt wird, dass das Eigentum breit gestreut wird, dass Bodenspekulation vermieden wird und einzelne Investoren 129

oder Eigentümer keine marktbeherrschende Position ein­ nehmen können. Außerdem sollen außerlandwirtschaftliche Investoren abgewehrt und soll die regionale Wertschöpfung erhalten werden. Die Betroffenen sollen besser informiert und die Markttransparenz soll verbessert werden.10 Diese überörtlichen ordnungspolitischen Maßnahmen und Anreiz­ instrumente sollen die Landwirtschaft und die ländlich geprägten Regionen insgesamt stärken. Allerdings sind viele von ihnen erst in der Diskussion. Auch das bisherige Vorgehen der BVVG stand und steht zuweilen in der Kritik.11 Zumindest haben sich Bund und Länder 2015 und 2017 auf Änderungen der Privatisierungsgrundsätze verständigt; so wurde die Obergrenze der Verkaufslose von 25 Hektar auf 15 Hektar reduziert. In der Folge hat sich der Privatisierungsprozess der BVVG-Flächen verlangsamt. Zukünftig soll es zudem häufiger beschränkte Ausschreibungen geben, an denen sich vor allem arbeits­ intensive Betriebe, Junglandwirte sowie Ökobetriebe einbringen dürfen.12 Damit werden in der Diskussion über überört­ liche Instrumente zur gerechten Verteilung von Land im Agrarraum ähnliche Argumente angeführt wie in den Debatten im Siedlungsraum: Auch hier geht es um Kleinteiligkeit, Nutzungszweck sowie den regionalen Bezug von Eigentümern und Nutzern. Auf regionaler Ebene stehen Governance-Ansätze im Mittelpunkt, die die integrierten Perspektiven stärken sollen.13 Die Gemeinden haben im Bereich der örtlichen Gesamt­ planung kaum Einfluss auf den Agrarraum. Daher sind sie auf Strukturen und Netzwerke angewiesen, die ihnen die Kooperationen mit anderen Akteuren erleichtern. So werden zum Beispiel Konzepte für Kurzumtriebsplantagen erprobt, die mithilfe gereinigten Abwassers gewässert werden; die schnell wachsenden Gehölze werden stofflich und später energetisch verwertet. Dieses Beispiel für ein regionales Stoffstrommanagement schließt gleich mehrere Kreisläufe und trägt zur nachhaltigen Landnutzung und zur regionalen Wertschöpfung bei. In ein solches Konzept sind mehrere Nutzer- und Betreibergruppen zugleich eingebunden, was 130

bedeutet, dass die Bereitschaft gestärkt werden muss, dass es gemeinsam umgesetzt wird. Hierfür ist in den oftmals traditionell geprägten landwirtschaftlichen Strukturen bisweilen noch Aufklärungsarbeit zu leisten. Darüber hinausgehende, integrierte Perspektiven verbinden Agrar- und Siedlungsraum. Die örtliche Planung und die Regionalplanung sind verpflichtet, mit Grund und Boden sparsam umzugehen. Unabdingbare Siedlungs­ erweiterungen sollten daher im Einklang mit den Belangen des Natur- und damit auch des Agrarraums stehen. Auch Flächen für den Hochwasserschutz sollten hierbei ausreichend vorgehalten werden. Betrachtet man dies aus der Perspektive des Agrarraums, bedeutet das, dass zuerst dessen Funktionen für eine integrierte regionale Entwicklung ermittelt werden sollten: Welche kulturelle und ökologische Bedeutung, aber auch welchen volkswirtschaftlichen Wert hat hier die nachhaltige Nutzung des Agrarlands? So hat beispielsweise das BMBF-Verbundprojekt KuLaRuhr14 unter dem Stichwort „Der Produktive Park“ eine neue Wertigkeit des Emscher Landschaftsparks herausgearbeitet und so dafür gesorgt, dass landwirtschaftliche Flächen freigehalten und qualifiziert werden. Vergleichbare integrierte Bewertungsansätze liefern neuere Konzepte der grünen und der blauen Infrastruktur, der Bioökonomie oder der Ökosystemleistungen. Die Europäische Union ist bestrebt, im Rahmen ihrer „Greening“-Strategie die Ökologisierung der Landwirtschaft mithilfe entsprechend ausgerichteter Direktzahlungen voranzubringen und sie so mit ihren Nachhaltigkeitszielen zu verbinden. Auch Fragen danach, wie verträglich Anlagen der Energiewende in bestehenden Kulturlandschaften sind,15 oder solche zur Schönheit der Landschaft, wie sie einst Lucius Burckhardt gestellt hatte,16 können mithilfe solcher polyrationaler Herangehensweisen neu beantwortet werden. Agrarland ist dann nicht mehr nur eine Investitionsanlage auswärtiger Kapitalanleger, sondern der Grundstein für die integrierte und nachhaltige Entwicklung einer Region.

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1  Umweltbundesamt (Hg.) (2019): Geeignete Rechtsinstrumente für die nationale Umsetzung der bodenbezogenen sustainable development goals, insbesondere des Ziels einer „land degradation neutral world“, Abschlussbericht, Dessau-Roßlau. 2  Ihle, Rico; Wesseler, Justus (2018): Landwirtschaft, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, Hannover, S. 1370. 3  Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hg.) (2018): Programm des BMEL zur Förderung der Exportaktivitäten der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, Berlin. 4  Davy, Benjamin (2018): Bodenmarkt / Bodenpolitik, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, Hannover, S. 267– 278. 5  Tietz, Andreas (2017): Überregional aktive Kapitaleigentümer in ostdeutschen Agrar­ unternehmen: Entwicklungen bis 2017, Thünen Report 52, Braunschweig. 6  Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hg.) (2019): Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2019, Berlin, S. 55 – 56. 7  Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2020): Ackerland ist kein Spekulationsobjekt – Regulierungslücken im Bodenrecht müssen geschlossen werden, BMEL-Pressemitteilung Nr. 45 vom 5. März 2020, https://www.bmel.de/SharedDocs/­ Pressemitteilungen/DE/2020/045-bodenrecht.html (25.08.2020). 8  Johann Heinrich von Thünen-Institut (2018): Anteil der Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel inländischer Herkunft in Deutschland (in %), https://www.thuenen.de/media/institute/ma/ Downloads/Tabelle1_Anteilsberechnung_2018. pdf (15.09.2020). 9  Brunner, Jan (2019): Land Grabbing in Ostdeutschland: Ursachen, Auswirkungen, Widerstand, GLOCON Country Report, No. 3, Berlin, S. 1, 5. 10  Siehe Anm. 6, S. 18 –19. 11  Siehe Anm. 9, S. 17–18. 12  Siehe Anm. 6, S. 56. 13  Weith, Thomas; Barkmann, Tim; Gaasch, Nadin; Rogga, Sebastian; Strauß, Christian; Zscheischler, Jana (Hg.) (2021): Sustainable Land Management in a European Context. A Co-Design Approach, Cham. 14  KuLaRuhr (2014): www.kularuhr.de (27.08.2020). 15  Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hg.) (2020): Natur­ bewusstsein 2019, Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt, Berlin, S. 57. 16  Burckhardt, Lucius (2006): Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangs­ wissenschaft, Berlin.

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Stephan Reiß-Schmidt: Wie Luft und Wasser – Bodenrecht zwischen Eigentumsgarantie und Gemeinwohlverpflichtung Das private Bodeneigentum wurde erst vor etwas mehr als 200 Jahren mit dem Code Civil und der Bodenbefreiung in Preußen 1807 zu einem wesentlichen Bestandteil unserer Rechtsordnung. Den Grundstein dafür haben im 18. Jahr­ hundert unter anderem das erstarkende Bürgertum und der Liberalismus auf Grundlage der Thesen von John Locke geschaffen. Das Preußische Allgemeine Landrecht formulierte 1794 den entsprechenden Grundsatz: „In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder sein Gebäude zu verändern wohl befugt.“1 Die liberale Rechtslehre leitete daraus die Baufreiheit als Bestandteil des Eigentums ab. Der Konflikt zwischen Privatnützigkeit und Gemeinwohlverpflichtung bildet bis heute den roten Faden der Bodenrechtsdebatte. Der weder im Grund­gesetz noch im Planungsrecht normierte Begriff der Baufreiheit wurde von der zumeist konservativen „herrschenden Meinung“ in Rechts­ lehre und Rechtsprechung zur Bastion gegen jeden Reform­ versuch des Bodenrechts aus­gebaut. Prominenter Begründer dieser Tradition war der Münchner Staatsrechtslehrer und Grundgesetzkommentator Theodor Maunz (1901– 1993) : „Aus der grundgesetzlichen Eigentumsgewähr haben Rechtsprechung und Rechtslehre die Baufreiheit als wesentliches Stück des Bodeneigentums abgeleitet. Sie ist dem Grundrecht des Eigentums am Boden sowohl in dessen Charakter als Instituts­garantie wie auch als Individualrecht immanent.“2 Weimarer Reichsverfassung, Grundgesetz, Bundesbaugesetz Dem steht die vom Gemeingutcharakter des Bodens ausgehende Sichtweise gegenüber: Boden ist wie Luft und Wasser 133

eine nicht vermehrbare Ressource, unverzichtbar für die Daseinsvorsorge und Basis für andere Gemeinschaftsgüter wie Naturschutz, Klimaschutz, Gesundheitsschutz und sozialen Zusammenhalt. Baurecht wird durch öffentliche Planungsund Genehmigungsakte verliehen. Daraus folgt auch, dass die Bodenrente im Wesentlichen der Allgemeinheit zusteht, insbesondere insoweit sie ohne eigene Anstrengungen des Eigentümers entstanden ist. Aus der vielschichtigen Tradition der Boden- und Lebensreformbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts leitete die Weimarer Reichsverfassung von 1919 die Forderung ab, leistungslose Bodenwertgewinne für die Allgemeinheit nutzbar zu machen: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Missbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürf­ nissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. […] Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen.“ 3 Fast gleichlautend wurde dies 1946 in der Bayerischen Verfassung und 1947 in der Bremischen Landesverfassung postuliert. Hinter diesem Anspruch blieb wenige Jahre später das Grundgesetz mit seinem Art. 14 Abs. 2 weit zurück. Die Besonder­ heiten des Bodeneigentums wurden dort nicht thematisiert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“4 In der rund zehnjährigen Debatte über ein bundeseinheitliches Boden- und Planungsrecht war zwar bereits in den 1950er-Jahren ein Planungs­ wertausgleich zur Abschöpfung leistungsloser Bodenwertsteigerungen diskutiert und in Höhe von 80 Prozent in einen Gesetzentwurf von 1955 aufgenommen worden (sog. „Lex Dittus“) – allerdings ohne dass dies letztendlich zu einer entsprechenden Vorschrift im 1960 beschlossenen Bundesbaugesetz (BBauG) führte.5 Erst 1967 wurde in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die fehlende Balance von Eigentumsgarantie und Gemeinwohlverpflichtung im Bodenrecht aufgegriffen 134

und mit einem bis heute offenen Auftrag an den Gesetzgeber verbunden: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechtsund Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Das Gebot sozial gerechter Nutzung ist aber nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit zu beachten.“6 Gescheiterte Reformkonzepte von Bernoulli bis Vogel Der Schweizer Architekt und Städtebauer Hans Bernoulli (1876 –1959) prägte in den Nachkriegsjahren mit seinen pragmatischen Vorschlägen die Bodenreformdebatte durch zahlreiche Vorträge und konkrete Beratungstätigkeit in vielen deutschen Städten. Er skizzierte 1946 in seinem Buch Die Stadt und ihr Boden, gestützt auf zahlreiche historische und praktische Beispiele, die Trennung von Boden- und Gebäudeeigentum und eine schrittweise Überführung des Bodens in kommunales Eigentum: „Die Gemeinde verkauft kein Land, das in ihrem Eigentum steht. Die Gemeinde erwirbt in privatem Eigentum stehendes Land nach Möglichkeit. Die Gemeinde lässt ihr Land durch Private nutzen, indem sie ihnen ein Baurecht einräumt an diesem ihrem Land.“ 7 Ein enormer, von Bodenspekulation begleiteter Bauboom spitzte Anfang der 1970er-Jahre die Krise der Städte zu und ließ eine Bodenrechtsreform dringlich erscheinen. „Rettet unsere Städte jetzt!“, – lautete das Motto der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages 1971 in München unter seinem Präsidenten Hans-Jochen Vogel (1926 – 2020). Der Münchner Oberbürgermeister, nach Ende seiner Amtszeit ab 1972 zunächst Bundesbau- und später Bundesjustizminister, 135

stellte vor dem Hintergrund eines aus den Fugen geratenen Bodenmarktes in München auf dem 49. Deutschen Juristentag sein Reformpaket vor, dessen Prüfung auch beschlossen wurde. Es umfasste unter anderem einen Planungswertausgleich sowie eine Bodenwertzuwachssteuer. Darüber hinaus wurde als lang­fristige Option eine Aufteilung des Bodeneigentums in ein öffentliches Verfügungseigentum und ein privates Nutzungseigentum – ähnlich einem Erbbaurecht – in die Diskussion gebracht.8 Die Aufnahme eines Planungswertausgleichs in das BBauG scheiterte allerdings 1976 trotz einer Mehrheit im Bundestag an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates. Ein Lichtblick blieb der Erlass des Städtebau­ förderungs­gesetzes (StBauFG) fünf Jahre zuvor, dessen Vorschriften später als Besonderes Städtebaurecht in das Baugesetzbuch (BauGB) übernommen wurden. In durch Satzung förmlich festgelegten Gebieten werden den Eigen­tümern seitdem Ausgleichsbeträge für sanierungs­ bedingte Wertsteigerungen abverlangt. Bei städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen werden die Bodenpreise auf dem entwicklungsunbeein­flussten Wert eingefroren. Durch kommunalen Zwischenerwerb und spätere Reprivatisierung zum wesentlich höheren Baulandwert können die Infrastruktur­ kosten eines neuen Stadtteils aus den planungs­bedingten Bodenwertsteigerungen refinanziert werden. Nach der Wiedervereinigung, die durchaus ein Anlass zum Wiederaufgreifen der Reformdebatte hätte sein können, wurde die Chance zu einer Bodenreform im Sinne der Trennung von Verfügungsund Nutzungs­eigentum ein weiteres Mal verspielt. Übrig blieb am Ende nur der Städtebauliche Vertrag (§ 11 BauGB) als kleiner, wenn auch nicht unwesentlicher Schritt.9 Perspektiven einer bodenpolitischen Wende Die Defizite des Bodenrechts sind durch die Folgen der Weltfinanzkrise seit 2008 deutlicher geworden als in den von schrumpfenden Städten und Wohnungsleerstand geprägten Jahren davor. Anlagesuchendes Kapital überschwemmt 136

seither den Immobilienmarkt, in den meisten Großstadt­ regionen explodieren Bodenpreise und Mieten.10 Immobilieninvestoren können dort einfach abwarten und die Renditen abschöpfen, die die Gemeinschaft produziert, weil sie Baurecht schafft und in Parks, Plätze, U- und Straßenbahnlinien, in Schulen und Bibliotheken, in Sicherheit und Zusammen­ leben investiert. Dagegen ist selbst für Mittelschichthaushalte bezahlbarer Wohnraum zur Miete oder im Eigentum nicht mehr auf Grundstücken realisierbar, die zu Marktpreisen gehandelt werden, sondern allenfalls auf städtischen Grundstücken, die mit sozialen Bindungen verbilligt im Erbbaurecht abgegeben werden. Die Folgen dieser Finanzialisierung des Immobilienmarktes, die längst auch den landwirtschaftlichen Bodenmarkt erfasst hat, gefährden den sozialen Frieden und eine ausgewogene, ökologisch nachhaltige Entwicklung in Stadt und Land.11 Eine Neujustierung des Sozialstaats durch eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik ist überfällig. Die wiederbelebte Bodenreformdebatte hat zahlreiche konkrete Vorschläge zur Beseitigung der Gerechtigkeitslücke und zur Verbesserung der Steuerungsfähigkeit der Kommunen auf den Tisch gebracht.12 Planungswertausgleich und Bodenwertzuwachssteuer, aber auch die im Rahmen der Diskussion über eine Neuregelung der Grundsteuer jüngst wieder thematisierte reine Bodenwertsteuer würden die Spekulation austrocknen und Bodenpreissteigerungen erheblich dämpfen.13 Sie könnten aber auch den Kommunen endlich die notwendigen Mittel für eine nachhaltige Bodenvorratspolitik verschaffen und es ihnen ermöglichen, revolvierende Bodenfonds als Sondervermögen einzurichten sowie verbilligte Erbbaurechte an kommunale und kirchliche Wohnungs­ baugesellschaften, Genossenschaften und andere gemeinwohlorientierte Träger zu vergeben. Hier lohnt ein Blick in die Schweiz: Das Schweizer Bundesgesetz über die Raum­ planung schreibt seit 2014 als Rahmengesetz für die Kantone eine Mehrwertabgabe vor: „Planungsvorteile werden mit einem Satz von mindestens 20 Prozent ausgeglichen. Der Ausgleich wird bei der Überbauung des Grundstücks oder dessen Veräußerung fällig.“14 Der Kanton Basel-Stadt erhebt 137

bereits seit 1977 eine solche Abgabe von ursprünglich 50, seit Kurzem 40 Prozent der planungsbedingten Wertsteigerungen und zusätzlich eine Grundstücksgewinnsteuer, mit der spekulative Wertsteigerungen bei einem Verkauf teilweise abgeschöpft werden können. Die Spielräume, die die verfassungsrechtliche Eigentums­ garantie für eine bodenpolitische Wende eröffnet, sind gar n­icht so eng, wie oft unterstellt, wenn die gesellschaftlichen Folgen von finanzmarktgesteuerter Bodenspekulation adäquat gewichtet werden. Der an der LMU in München lehrende Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Burgi sieht gerade im Hinblick auf eine ausgewogene Wohnraumver­ sorgung Möglichkeiten einer Neuinterpretation: „Der Begriff ‚wohnraumbezogene Bodenpolitik‘ umfasst ein vielfältiges, weiter wachsendes und teilweise der systematischen Entfaltung noch harrendes Instrumentarium. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG errichtet insoweit keine absolute und vor allem keine klar in der Karte erkennbare Grenze, vielmehr einen fein abgestimmten Rahmen. Eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik ist also möglich, sie empfängt von der Verfassung allerdings Impulse zugunsten von mehr Differenzierung in Sache und Ton. Nach 70 Jahren Grundgesetz lässt sich insoweit also ein moderat-ermutigendes Fazit ziehen, aus der Sicht des Verfassungsrechts, aber auch aus der Sicht der Wohnungssuchenden.“15 Diese Spielräume sollten wir im Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Planung und Politik klug und beharrlich nutzen, um Boden für eine nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung in Stadt und Land zurück­ zugewinnen.

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1  Preußisches Allgemeines Landrecht (PrALR) (1794): 1. Teil, 8. Titel „Vom Eigenthum“, §§ 65, 66. 2  Maunz, Theodor (1973): Neue Entwicklungen im öffentlichen Baurecht, in: BayVBl Bayerische Verwaltungsblätter, 21, S. 571. 3  Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.08.1919, Artikel 155 S. 1383. 4  Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 14 (2). 5  Zum seither unaufgelösten Reformstau des Bodenrechts vgl. Reiß-Schmidt, Stephan (2019): Bodenrecht auf dem Prüfstand, in: fub – Flächenmanagement und Bodenordnung, 1, S. 1– 9. 6  Bundesverfassungsgericht (1967): Beschluss vom 12.01.1967, in: 1 BvR 169 / 63, BVerfGE 21, 73. 7  Bernoulli, Hans ([1946] 1991): Die Stadt und ihr Boden, Neuauflage mit dem Stichwort „Bodenreform“ von Klaus Novy, Basel /  Berlin / Boston, S. 126. 8  Vgl. Vogel, Hans-Jochen (1972): Bodenrecht und Stadtentwicklung, in: NJW – Neue Juristische Wochenschrift, 35, S. 1544 ff. In seinem letzten Buch, einer Art boden­politischem Vermächtnis, erneuert Hans-Jochen Vogel die von ihm schon 1972 erhobene Forderung nach einem Planungswertausgleich und skizziert, wie Kommunen Boden zurückgewinnen können: Ders. (2019): Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung, nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar, Freiburg i. Br., S. 53ff. 9  Damit können sich die Eigentümer bei der Schaffung von Baurecht durch einen Bebauungsplan freiwillig zur Übernahme ursächlicher Kosten und Lasten verpflichten, z. B. technische und soziale Infrastruktur, öffentliche Grün­ flächen, anteiliger geförderter bzw. preis­ gedämpfter Mietwohnungsbau. Mindestens ein Drittel der planungsbedingten Bodenwert­ steigerungen verbleibt i.d.R. bei den Eigen­ tümern. Vgl. Landeshauptstadt München (Hg.) (2020): Die Sozialgerechte Bodennutzung. Der Münchner Weg, 4. aktualisierte Auflage, München. 10  In München haben sich die Baulandpreise für Geschosswohnungsbau seit 2006 um das Viereinhalbfache auf heute durchschnittlich 5000 € / m² erhöht; bis zu 80 % der Gesamtkosten einer Wohnung entfallen auf den Boden. Vgl. Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Bereich der Landeshauptstadt München (2018): Der Immobilienmarkt in München, Quartals­ bericht 4 , München. 11  Zu grundsätzlichen und konzeptionellen Aspekten einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik vgl. Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung DASL (2019): Den Boden der Europäischen Stadt – Debattenpapier des Ausschusses Bodenpolitik der DASL, Berlin, https://dasl.de/wp-content/uploads/2019/ 03/190305-Debattenpapier.pdf (10.10.2020). 12  Vgl. Difu, Deutsches Institut für Urbanistik; vhw, Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (Hg.) (2017): Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030. Warum wir für eine nach­haltige und sozial gerechte Stadtent­wicklungs- und

Wohnungspolitik eine andere Bodenpolitik brauchen, https://repository.difu.de/jspui/bitstream/difu/238504/1/DCF2102.pdf (10.10.2020); sowie Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht (2018): Kommunaler Impuls zu einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik, Münchner Ratschlag zur Bodenpolitik, www.initiativebodenrecht.de (04.10.2020). 13  Vgl. Löhr, Dirk (2018): Warum eine Bodenwertsteuer?, in: Blog Rentgrabbing, 10.12.2018, https://bodenwertsteuer.org/2018/12/10/warumeine-bodenwertsteuer (10.10.2020). 14  Schweizerische Eidgenossenschaft [1979] /  (2018): Bundesgesetz über die Raumplanung, Raumplanungsgesetz (RPG) vom 22.06.1979, Stand 01.01.2018, Art. 5. 15  Burgi, Martin (2020): Eigentumsordnung und Wohnungsnot: Spielräume für eine wohnraumbezogene Bodenpolitik, in: NVwZ – Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, 5, S. 264.

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Biografien Ottmar Edenhofer (*1961) ist Professor an der Technischen Universität Berlin und gilt als einer der weltweit führenden Experten für die Ökonomie des Klimawandels. Er ist Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgen­ forschung (PIK) und Direktor des 2012 gegründeten Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). 2020 wurde Ottmar Edenhofer für seine wissenschaftliche Arbeit mit dem renommierten Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundes­ stiftung Umwelt (DBU) ausgezeichnet. Florian Hertweck (*1975) ist Architekt, Professor für Architektur an der Universität Luxemburg und dort Direktor des Masterstudiengangs Architecture, European Urbanisation, Globalisation. Von 2009 bis 2016 war er Professor für Architektur und Städtebau an der ENSA Versailles, 2013 bis 2015 Gast­ professor an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Seit 2016 leitet er Studio Hertweck Architecture Urbanism in Luxemburg. Christian Holl ist freier Autor und studierte Architektur mit dem Studienschwerpunkt Städtebau. Er arbeitete als Redakteur bei der db – deutsche bauzeitung. 2004 gründete er mit Ursula Baus und Claudia Siegele frei04 publizistik, gemeinsam geben sie seit 2017 das Magazin für Architektur und Stadt Marlowes heraus. Holl war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtebau-Institut der Uni Stuttgart, er ist Kurator an der Stuttgarter architekturgalerie am weißenhof und seit 2010 Landessekretär des BDA Hessen. Anna Kraus (*1984) studierte Kommunikationsdesign in Darmstadt und Jerusalem. Sie gestaltet unter anderem Publikationen und Ausstel­ lungen vorwiegend im Themenfeld Architektur und Urbanismus. Sie ist Partnerin des Büros Design Practice.

Dirk Löhr (*1964) ist Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld, und ist neben­beruflich als Steuerberater tätig. Er ist unter anderem Mitglied im Oberen Gutachterausschuss für Grundstückswerte in RheinlandPfalz sowie Mitgründer der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die sich für die Bodenwertsteuer einsetzt. Martin zur Nedden (*1952) ist Stadt­ planer und war in mehreren deutschen Städten in leitender Funktion tätig, so von 2006 bis 2013 als Beigeordneter für Stadt­entwicklung und Bau in Leipzig. Von 2013 bis 2018 leitete er das Deutsche Institut für Urbanistik. Er ist Honorar­professor für Stadt­ entwicklung und Regional­planung an der HTWK Leipzig und unter anderem langjähriges Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landes­ planung, der er von 2013 bis 2015 als Präsident vorstand. Ricarda Pätzold studierte Stadt- und Regionalplanung an der TU-Berlin, wo sie nach ihrem Abschluss neun Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadt- und Regional­ planung tätig war. Seit 2013 ist sie am Deutschen Institut für Urbanistik beschäftigt, wo sie in viel­fältigen Themenstellungen, mit dem Fokus auf Wohnen und Boden forscht. Stephan Reiß-Schmidt (*1952) ist freier Berater und Autor für Stadtund Regionalentwicklung sowie Ko-Vorsitzender des Ausschusses Bodenpolitik der DASL. Bis 2017 leitete er die Stadt­entwicklungsplanung in München. Zuvor war er bis 1996 als Leiter der Planungsabteilung beim Kommunalverband Ruhrgebiet (heute Regionalverband Ruhr) tätig, in dieser Zeit arbeitete er unter anderem am Emscher Landschaftspark, an der Route der Industriekultur und an weiteren Projekten der IBA Emscher Park. 141

Stefan Rettich (*1968) ist Architekt und Professor für Städtebau an der Uni­ versität Kassel. Von 2011 bis 2016 war er Professor für Theorie und Entwerfen an der Hochschule Bremen, zuvor lehrte er vier Jahre am Bauhaus Kolleg in Dessau. Er ist Gründungs­partner und Mitinhaber von KARO* architekten. Thomas Rustemeyer (*1984) studierte Architektur und Städtebau am KIT Karlsruhe und der UdK Berlin. Er gestaltet und realisiert Ausstellungen, Publikationen und Zeichnungen als diskursive, soziale und politische Medien. Einen thematischen Schwerpunkt bilden räumliche und urbanistische Fragen und Transformationen sowie deren Kommunikation und Vermittlung. Christian Strauß (*1975) hat Stadt- und Regionalplanung studiert und zum Flächenmanagement im demografischen Wandel promoviert. Er war bislang in verschiedenen Einrichtungen der Wissenschaft und Praxis tätig. Strauß leitet die ARL-Regionalgruppe Nordost und ist Mitglied der SRL. Sabine Tastel (*1987) hat am KIT Karlsruhe Architektur mit Vertiefung Städtebau studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Städtebau an der Universität Kassel. Sie koordiniert dort das Forschungsprojekt ,,Obsolete Stadt‘‘ und forscht zu den Potenzialen von Tankstellen in der Mobilitätswende. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am KIT Karlsruhe und für diverse Architekturbüros tätig. Monika Thomas (*1958) studierte Architektur an der TU Hannover. Seit 1988 übernahm sie leitende Funktionen in vielen deutschen Städten, zuletzt als Stadtbaurätin der Stadt Wolfsburg. Im September 2016 wurde sie ins Bundesbauministerin als Leiterin der Abteilung für Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten berufen. Seit Juni 2018 leitet sie die Abteilung Stadtentwicklung, Wohnen und öffentliches Baurecht im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. 142

Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl Ein Projekt der Universität Kassel (Fachgebiet Städtebau) in Kooperation mit der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) – gefördert im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

© 2020 by ovis Verlag GmbH Das Copyright für die Texte liegt bei den Autor*innen. Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den Fotograf*innen / Inhaber*innen der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten. Herausgeber: Stefan Rettich, Sabine Tastel Gestaltung und Satz: Anna Kraus, Thomas Rustemeyer Redaktion: Christian Holl, Stefan Rettich Umschlagmotiv: Anna Kraus, Thomas Rustemeyer Gedruckt in der Europäischen Union Foto S. 144 © Leon Lenk Fotografie Das Buch basiert auf einer Ausstellung, die in mehreren Seminaren an der Universität Kassel vorbereitet wurde, unter Mitwirkung von: Dominik Brand, Tabea Bühler, Rudi Dück, Anastasia Fischer, Yinan Ge, Emily Georg, Thimo Gerth, Anna-Karina Leathers, Qi Li, Xueying Li, Sebastian Obstfeld, Janke Rentrop, Verena Schindler, Nils Stoya, Merlin Struve, Rong Wang, Tianying Wang und Leonard Weiß. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ovis Verlag GmbH Lützowstraße 33 10785 Berlin www.jovis.de ovis-Bücher sind weltweit im ausgewählten Buch­handel erhältlich. Informationen zu unserem internationalen Vertrieb erhalten Sie von Ihrem Buchhändler oder unter www.jovis.de. ISBN 978-3-86859-669-4 (Hardcover) ISBN 978-3-86859-954-1 (PDF)

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