Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis [1 ed.] 9783428557714, 9783428157716

Gegenstand der Arbeit ist die Bestimmung des Gemeinwohls als Tatbestandsmerkmal der fusionsrechtlichen Ministererlaubnis

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Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis [1 ed.]
 9783428557714, 9783428157716

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 310

Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis

Von

Maximilian Konrad

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN KONRAD

Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 310

Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis

Von

Maximilian Konrad

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D61 Alle Rechte vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15771-6 (Print) ISBN 978-3-428-55771-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85771-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Danksagung Mein besonderer Dank gilt first and foremost meinem Doktorvater Prof. Dr. Rupprecht Podszun für die große Freiheit und Unterstützung bei der Anfertigung dieser Arbeit und das große Interesse an ihr. Mein Dank gilt zudem Prof. Dr. Lothar Michael für die äußerst engagierte Übernahme des Zweitgutachtens und das Interesse an der Arbeit. Von der Vielzahl der von ihm erhaltenen Anregungen hat die Überarbeitung vor Drucklegung enorm profitiert, wenn auch nicht mehr alle Anregungen berücksichtigt werden konnten. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Christian Zwade für die promotionsbegleitende Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in seiner Kanzlei, die stets große Flexibilität und die hervorragenden Arbeitsbedingungen. Zugleich gilt mein Dank der exzellenten Qualität der Bibliothek des Bundesgerichtshofs und ihren Mitarbeitern. Mein Dank gilt zudem meinen Eltern für die Ermöglichung einer exzellenten akademischen Ausbildung. Für die Förderung der Drucklegung dieser Arbeit möchte ich mich besonders bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung bedanken. Ebenso gilt mein herzlicher Dank dem Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V. für die Auszeichnung mit einem Promotionspreis und die damit verbundene Förderung der Veröffentlichung. Ganz besonders bedanken möchte ich mich zudem für die Auszeichnung der Arbeit mit einem Förderpreis der Esche Schümann Commichau Stiftung. Last, but not least gilt mein besonderer Dank Elisabeth. Heidelberg, im Juni 2019

Maximilian Konrad

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Die Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Die Historie des § 42 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Die Praxis der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Die kartellrechtliche Literatur und die Praxis des Bundeswirtschaftsministers 25 IV. Die gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 V. Das Problem der Unbestimmtheit der Voraussetzungen des § 42 GWB . . . . . . 31 VI. Das Missbrauchsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Korruption im klassischen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Amtsmissbrauch im Sinne der Neuen Institutionenökonomie . . . . . . . . . . . . 35 3. Rent seeking und Missbrauchsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Das Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Überblick über die drei Modelle des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Das substanzialistische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Die absolutistische Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Gemeinwohl im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Verfassungs-Substanzialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Das Drei-Säulen-Modell Winfried Bruggers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Das Schnittmengenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Pareto-Optimum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Kaldor-Hicks-Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Exkurs: Der Gemeinwohlbegriff in der Kartellverordnung von 1923 und die „Leerformel“-Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV. Das offene Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die Notwendigkeit eines offenen Gemeinwohlbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Die Vorteile eines offenen Gemeinwohlbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

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Inhaltsverzeichnis

D. Die öffentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Die Historische Entwicklung der Autorität der öffentlichen Meinung . . . . . . . . 64 III. Normative Konzepte der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Liberales Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Deliberatives Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Konservatives Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Die öffentliche Meinung als empirisches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Die praktische Entstehung der öffentlichen Meinung in den Medien . . . . . . 73 2. Öffentliche Meinung in den Medien und Bevölkerungsmeinung . . . . . . . . . . 75 3. Die Selektionskriterien der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Die Inputhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Nachrichtenwerthypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Die Medienbiashypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 d) Die Ministererlaubnis als Gegenstand der medialen Berichterstattung . . . 78 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Methoden der Textanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Quantitative Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Qualitative Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 c) Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Medienauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Auswahl der untersuchten Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Auffinden der relevanten Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Vorstellung der untersuchten Zeitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 dd) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Auswahl der untersuchten Ministererlaubnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 VII. Ziel und Gang der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 E. Empirische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. VEBA/Gelsenberg (1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Inhaltsverzeichnis

9

c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. VEBA/BP (1978/1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Burda/Springer (1981/1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 IV. Daimler/MBB (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 V. E.on/Ruhrgas (2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

10

Inhaltsverzeichnis 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 6. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 VII. Edeka/Tengelmann (2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Zeitleiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Das Gutachten der Monopolkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Der SPIEGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Die ZEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Die FAZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 d) Die WELT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 6. Die Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

F. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Kurzzusammenfassung des theoretischen Studienaufbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Positiver Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung 214 2. Negativer Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Dissens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung . . . . . . . 215

Inhaltsverzeichnis

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4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Legitimation der Existenz der Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. De-Legitimation der Existenz der Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Schlussfolgerungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Gemeinwohl und öffentliche Meinung in der Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . 224 b) Reformmöglichkeiten am Institut der Ministererlaubnis . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Integration von Elementen eines öffentlichen Diskurses . . . . . . . . . . . 227 bb) Übertragung der Entscheidungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Das Gemeinwohl in der modernen, pluralistischen Gesellschaft . . . . . . . . 230 Anhang: Übersicht über die Ministererlaubnisverfahren 1974 – 2016 . . . . . . . . . . . . . 232 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

A. Einleitung

„Das Gemeinwohl dient diesen Leuten zur Rechtfertigung jeder Schändlichkeit!“ Iwan Karamasov1

Das Gemeinwohl hat keinen guten Ruf. Es steht unter Ideologieverdacht,2 wird als Leerformel geschmäht,3 und der Versuch seiner Bestimmung erweckt nach Niklas Luhmann ähnliche Anteilnahme wie die Besteigung der Eiger Nordwand, hat aber nicht die gleichen Erfolgschancen.4 Und dennoch rechtfertigt das Gemeinwohl in § 42 GWB einen der schwerwiegendsten Eingriffe der Politik in das Wettbewerbsprinzip.5 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Möglichkeit der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB durch einen diskursiven Aushandlungsprozess in der medialen öffentlichen Meinung theoretisch und praktisch zu untersuchen. Nach Untersagung eines Fusionsvorhabens durch das Bundeskartellamt ermöglicht § 42 GWB auf Antrag die Erlaubnis dieser Fusion durch den Bundeswirtschaftsminister, wenn gesamtwirtschaftliche Vorteile oder überragende Interessen der Allgemeinheit, kurz das Gemeinwohl,6 die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen. Im Falle der Erteilung der Ministererlaubnis kommt es also mit Sicherheit zu einer Beschränkung des Wettbewerbs als dem Garanten von Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit in der sozialen Marktwirtschaft.7

1

Dostojewskij, Die Brüder Karamasov, 2017, 11. Buch 4. Kapitel. Vgl. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974; Stolleis, APuZ 1978, B 3, 39; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 25; Michael, Rechtssetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, 238 – 239. 3 Vgl. Stolleis, APuZ 1978, B 3, 38; Neidhardt, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 14; Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 177; Anderheiden, in: ebenda, 392; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 34 – 40; Schnur, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 58; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, 479. 4 Luhmann, Der Staat 1962, 375. 5 Vgl. Podszun, NJW 2016, 617. 6 Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 6; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 9. 7 Zu den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Funktionen des Wettbewerbs vgl. Emmerich, Kartellrecht, 2014, § 1 Rn. 7 – 11. 2

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A. Einleitung

In ihrem Charakter und ihrer Reichweite ist die Ministererlaubnis in der deutschen Rechtsordnung nahezu einzigartig.8 Vergleichbar sind ihr allenfalls gnadenrechtliche Entscheidungen, wie das aus dem Gottesgnadentum des Absolutismus und der souveränen Willkür des Monarchen stammende9 Begnadigungsrecht des Bundespräsidenten nach Art. 60 Abs. 2 GG,10 oder auch das Härtefallverfahren nach § 23a Aufenthaltsgesetz. Im Gnadenrecht wird jedoch stets nur das Schicksal einer Einzelperson verändert, wohingegen die Ministererlaubnis durch die Außerkraftsetzung des Wettbewerbsschutzes weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft hat, und sich damit in ihrer Reichweite grundlegend von sonstigen Dispensen unterscheidet. Häufig wird die Bedeutung der Ministererlaubnis damit relativiert, dass sie bisher nur 22 Mal beantragt, und davon lediglich 9 Mal erteilt worden sei.11 Im Vergleich zu allein im Zeitraum 1990 – 2010 über 30.000 angemeldeten Fusionen12 erscheint dies tatsächlich wenig. Entscheidende Vergleichsgröße ist jedoch nicht die hohe Zahl angemeldeter Fusionen, sondern die nur sehr wenigen Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamts, im Jahr 2015 sogar einzig Edeka/Tengelmann.13 Die große Bedeutung der Ministererlaubnis für die Wettbewerbsordnung entfällt daher nicht wegen der absolut niedrigen Zahlen, sondern ergibt sich vielmehr daraus, dass gerade in den wenigen, oft besonders bedeutsamen Fällen, in denen das Bundeskartellamt überhaupt eine Untersagungsverfügung erlässt, eine Ausnahmeerlaubnis erteilt werden kann. So hatten die Ministererlaubnisverfahren Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002) und Edeka/Tengelmann (2016) weitreichende Auswirkungen auf die Sektoren Rüstung, Energie und Lebensmitteleinzelhandel. Sie haben diese Märkte grundlegend verändert.14 Im Verfahren Burda/Springer (1981/1982) wurde zwar schlussendlich keine Ministererlaubnis erteilt, im Falle der Erteilung wäre es jedoch zu fundamentalen Veränderungen in der Medienstruktur und der politischen Landschaft der Bundesrepublik gekommen.15 Nicht ohne Grund wurde in verschiedenen Ministererlaubnisverfahren vor dem Entstehen von 8 Zur grundsätzlich weiten Verbreitung von Gemeinwohlklauseln im Recht vgl. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 13 – 16. 9 Vgl. BVerfG, 23. 04. 1969, Az. 2 BvR 552/63, juris, Tz. 27 – 30; Heun, in: Dreier, 2015, Art. 60 GG Rn. 1, 23; Fink, in: Mangoldt/Klein/Starck, 2010, Art. 60 GG Rn. 3. 10 Engel, ZWeR 2003, 456. 11 Übersicht bei https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Wettbewerbspolitik/antra ege-auf-ministererlaubnis.html, 15. 09. 2017; vgl. Kuhn, in: FK-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 6; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 3. 12 http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Broschueren/Informations broschüre%20-%20Das%20Bundeskartellamt%20in%20Bonn.pdf?__blob=publicationFi le&v=11, 15. 09. 2017, S. 23. 13 Podszun, NJW 2016, 619. 14 Vgl. Podszun, NJW 2016, 617 – 618. 15 Vgl. Für den Papierkorb, Verleger Springers Nachfolgepläne mit den Burda-Erben sind gescheitert, SPIEGEL 10. 01. 1983.

A. Einleitung

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Machtkonzentrationen gewarnt, die die Demokratie und das Gemeinwesen in ihren Grundfesten erschüttern können.16 Gerade diese enorme Konzentration von wirtschaftlicher und damit einhergehender politischer Macht ist es, die durch das Bundeskartellamt verhindert werden soll. Durch das Institut der Ministererlaubnis wird dem Bundeswirtschaftsminister eine Macht zum Eingriff in die rechtsstaatlichen Grundfesten der marktwirtschaftlichen Ordnung und des Gemeinwesens gegeben, wie sie sonst kein anderer politischer Amtsträger hat. Die Seltenheit der Anwendung der Ministererlaubnis ändert daher nichts an ihrem enormen Effekt im Falle ihrer Erteilung.17 Der Bestimmung des die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohls als Voraussetzung der Ministererlaubnis kommt daher essentielle Bedeutung zu. Nur bei Überwiegen eines anderen Gemeinwohlziels ist es gerechtfertigt, das ebenfalls dem Gemeinwohl dienende Wettbewerbsprinzip im Einzelfall außer Kraft zu setzen. Nur in diesem Fall ist es legitim, die eigentlich unerwünschte Zusammenballung von wirtschaftlicher Macht hinzunehmen. Und dennoch existiert bisher keine valide und objektive Methode zur Bestimmung des überragenden Gemeinwohls im Einzelfall. Ziel dieser Arbeit ist es daher, eine solche Methode theoretisch zu entwickeln und sodann auf ausgewählte Ministererlaubnisverfahren der Vergangenheit praktisch anzuwenden.18 Zu diesem Zweck wird im zweiten Kapitel zunächst ein Überblick über die bisher in Theorie und Praxis entwickelten Konzepte zur Bestimmung des überragenden Gemeinwohls in § 42 GWB gegeben, sowie auf Missbrauchsrisiken bei der Anwendung der Ministererlaubnis eingegangen. Im dritten Kapitel erfolgt sodann eine Auseinandersetzung mit der bisherigen wissenschaftlichen Forschung zum Gemeinwohl, die überraschenderweise keinerlei Eingang in die kartellrechtliche Literatur zu § 42 GWB gefunden hat. Aus dieser theoretischen Beschäftigung mit dem Gemeinwohl ergibt sich, dass in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft das im Einzelfall überragende Gemeinwohl durch einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess in der öffentlichen Meinung bestimmt werden kann. Die vorliegende Arbeit steht damit maßgeblich in Tradition des von Peter Häberle entwickelten offenen, diskursiven Gemeinwohlbegriffs19 und 16 Vgl. Für den Papierkorb, Verleger Springers Nachfolgepläne mit den Burda-Erben sind gescheitert, SPIEGEL 10. 01. 1983; Die neue deutsche Rüstungsmacht, Mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entsteht in der Bundesrepublik ein Rüstungsgigant, wie ihn das demokratische Deutschland bislang nicht kennengelernt hat, SPIEGEL 01. 08. 1988; Daimler-Betriebsrat gegen Einstieg bei MBB, „Regierung wird erpreßbar“/Roth: Ökonomische Großmacht, FAZ 13. 07. 1988. 17 Vgl. Podszun, NJW 2016, 619. 18 Für die Erforderlichkeit einer materiellen Bestimmung des Gemeinwohls in § 42 GWB vgl. Engel, ZWeR 2003, 470 – 471. 19 Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 87 – 100; Häberle, Rechtstheorie 1983, 273; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 9; Mayntz, in: ebenda,

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A. Einleitung

untersucht die Möglichkeit der Konkretisierung des Gemeinwohls im Einzelfall durch eine gesamtgesellschaftliche Diskussion in der öffentlichen Meinung.20 Dies wird im vierten Kapitel zum Anlass genommen, die öffentliche Meinung und ihre Funktion für die Konkretisierung des Gemeinwohls näher zu konzeptualisieren. Empirisch fallen unter den Begriff der öffentlichen Meinung sowohl die durch demoskopische Umfragen erfassbare Bevölkerungsmeinung, als auch die durch eine Medienanalyse untersuchbare, im medialen Diskurs repräsentierte öffentliche Meinung. Aus praktischen Gründen beschränkt sich der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit auf die im medialen Diskurs verschiedenster gesellschaftlicher Akteure repräsentierte öffentliche Meinung. Konzeptuell lassen sich ein liberales Modell (Bundesverfassungsgericht), das die Herauskristallisierung verschiedener gesellschaftlicher Positionen durch die öffentliche Diskussion als Entscheidungsgrundlage für die Politik betont, ein deliberatives Modell (Jürgen Habermas), das idealtypisch und radikaldemokratisch von einem die Politik bindenden rationalen Diskursergebnis ausgeht, und ein konservatives Modell, das den wesentlichen Ausdruck der öffentlichen Meinung vor allem in den Wahlen sieht und die Staatsleitung und Gemeinwohlkonkretisierung zwischen den Wahlen nahezu exklusiv den gewählten Repräsentanten zuweist, unterscheiden. Maßgeblich für den hier gewählten Ansatz des Versuchs der Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung sind das liberale und deliberative Modell. Im Anschluss an diese theoretischen Überlegungen werden zudem die methodischen Überlegungen vorgestellt, auf deren Grundlage die Herauskristallisierung eines bestimmten Gemeinwohlverständnisses in der öffentlichen Meinung praktisch untersucht werden soll. Im fünften Kapitel wird die so entwickelte Methodik dann auf sieben ausgewählte Ministererlaubnisverfahren21 angewandt. Zu diesem Zweck wird für diese sieben Ministererlaubnisverfahren ausschnittsweise der medial repräsentierte Diskurs verschiedenster gesellschaftlicher Akteure in der öffentlichen Meinung exemplarisch an Hand von vier Zeitungen und Zeitschriften, nämlich SPIEGEL, ZEIT, FAZ und WELT, nachgezeichnet, um so in diesem möglichst repräsentativen, stichprobenartigen Ausschnitt aus der medial repräsentierten öffentlichen Meinung eine unmittelbare Anschauung von dem Austausch von Argumenten, der Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Akteure, und so letztendlich der Konstituierung eines bestimmten diskursiven Gemeinwohlverständnisses im Einzelfall zu geben.

112; Schuppert, in: ebenda, 72 – 75, 80; Häberle, in: ebenda, 102 – 103; Grimm, in: ebenda, 126 – 127; Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 178; Ladeur, in: ebenda, 269 – 270; Stolleis, Verwaltungsarchiv 1974, 8. 20 Vgl. die Theorie der offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, Häberle, JZ 1975, 297. 21 VEBA/Gelsenberg (1974), VEBA/BP (1978/1979), Burda/Springer (1981/1982), Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002), Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) und Edeka/Tengelmann (2016).

A. Einleitung

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Abschließend werden im sechsten Kapitel die Ergebnisse dieser quasi experimentellen, empirischen Überprüfung der theoretischen Überlegungen vorgestellt und in Fallgruppen zusammengefasst. Hieraus werden sodann Schlussfolgerungen für die bisherige Anwendung der Ministererlaubnis, die Möglichkeit einer Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs durch den Diskurs in der öffentlichen Meinung und die Zukunft der Ministererlaubnis gezogen. Hierbei wird insbesondere die praktische Realisierbarkeit der theoretisch gebotenen Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs durch die öffentliche Meinung kritisch hinterfragt. Gerade mit Hinblick auf die weitreichenden Folgen der Ministererlaubnis für den Wettbewerb und die soziale Marktwirtschaft als Ganzes und die hierfür erforderliche Rechtssicherheit bei der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs als zentraler Tatbestandsvoraussetzung dieser rechtlich gebundenen Entscheidung wirft die praktische Umsetzbarkeit des theoretisch entwickelten Konzepts erhebliche, in der Rechtspraxis kaum überwindbare Probleme auf. Dies gibt Anlass zu grundsätzlichen Zweifeln an der Geeignetheit und Bestimmbarkeit des Gemeinwohlbegriffs als Tatbestandsmerkmal des einfachen Rechts. Zugleich wird im sechsten Kapitel näher analysiert, welches die besonders fehleranfälligen Entscheidungsschritte einer Ministererlaubnis sind, und inwiefern sich der Entscheidungsprozess im Rahmen einer Ministererlaubnis durch die stärkere Einbindung von Experten und diskursiven Elementen wesentlich verbessern lässt. In ihrer sozialwissenschaftlich geprägten Vorgehensweise mag diese Arbeit als juristische Schrift ungewöhnlich erscheinen. Diese Vorgehensweise liegt in der Natur ihres Untersuchungsgegenstands: Das Gemeinwohl ist kein klassischer Rechtsbegriff, dessen normativer Gehalt mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden abschließend bestimmt und unter den sodann Tatsachen subsumiert werden könnten. Vielmehr ist der normative Gehalt des im Einzelfall überragenden Gemeinwohls maßgeblich durch gesamtgesellschaftliche Wertvorstellungen geprägt, so dass die Untersuchung von im gesellschaftlichen Diskurs vorfindbaren Werturteilen und die normative Begriffsbestimmung in Eins übergehen.22 Um dem gerecht werden zu können, ist die vorliegende Arbeit nicht rein dogmatisch, sondern auch stark sozialwissenschaftlich geprägt. Wenn auch in der deutschen Rechtswissenschaft nicht besonders weit verbreitet, so ist der große Nutzen sozialwissenschaftlicher und interdisziplinärer Theorie für die rechtswissenschaftliche Forschung dennoch seit langem anerkannt.23 Beim Gemeinwohl handelt es sich um einen der zentralen normativen Leitbegriffe unseres Gemeinwesens, der zugleich in § 42 GWB Verwendung als Rechtsbegriff gefunden hat. Der Bundeswirtschaftsminister ist zur Bestimmung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs berufen und hat die Ministererlaubnis zwingend zu erteilen, 22

Vgl. Zeschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 44. Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, 8; Engel, in: Engel, Methodische Zugänge zu einem Recht der Gemeinschaftsgüter, 1998, 12; Tontrup, in: ebenda, 118; vgl. Limbach, JA 1976, 119; Kudlich/Christensen, Die Methodik des BGH in Strafsachen, 2009. 23

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A. Einleitung

wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkungen überragende Gemeinwohlgründe vorliegen. Diese durch den Bundeswirtschaftsminister vorzunehmende Prüfung setzt jedoch ein theoretisches Konzept des Gemeinwohls und seiner praktischen Bestimmung im Einzelfall voraus, das im Folgenden entwickelt wird. Es wird sich so zeigen, dass hinter der Ministererlaubnis weit mehr steckt als die verschiedentlich geäußerte Überzeugung, dass der Minister durch § 42 GWB zur Entscheidung über das Gemeinwohl berufen sei und sein Votum daher unhinterfragt hinzunehmen sei.

B. Die Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB Trotz der schwerwiegenden Folgen der Ministererlaubnis für Wirtschaft und Wettbewerb zählen ihre unter dem Oberbegriff „Gemeinwohl“1 zusammengefassten Voraussetzungen „gesamtwirtschaftliche Vorteile“ und „überragende Interessen der Allgemeinheit“ neben Begriffen wie „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB), den „guten Sitten“ (§ 138 Abs. 1 BGB), „unlauter“ (§ 1 UWG) oder der „öffentlichen Ordnung“ (§ 1 Abs. 1 PolG BW) zu den unbestimmtesten Begriffen der deutschen Rechtsordnung.2 Anhand der Entstehungsgeschichte des § 42 GWB, der Praxis der Monopolkommission, der kartellrechtlichen Literatur, der Praxis des Bundeswirtschaftsministers, sowie der Rechtsprechung wird nun untersucht, inwiefern sich das Gemeinwohl als Voraussetzung der Ministererlaubnis näher konkretisieren lässt und inwiefern Missbrauchsrisiken bestehen.

I. Die Historie des § 42 GWB Aus der Historie des § 42 GWB lässt sich für die Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs wenig ableiten. So ergibt sich aus der Gesetzesbegründung des § 42 GWB lediglich, „daß die Erlaubnis nur zu erteilen ist, wenn die anderweitigen staats-, wirtschafts-, oder gesellschaftspolitischen Gründe im Einzelfall großes Gewicht haben, konkret nachgewiesen sind und wenn wettbewerbskonforme Abhilfemaßnahmen des Staates nicht möglich sind.“3

Diese Aufzählung der „staats-, wirtschafts-, oder gesellschaftspolitischen Gründe“ ist derart allgemein, dass sie letztlich nichtssagend ist. Es fällt schwer, einen Grund zu finden, der sich nicht unter diese Aufzählung subsumieren lässt. Allerdings erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte die große Unbestimmtheit der verwendeten Begriffe. So wurde die Ministererlaubnis 1973 gemeinsam mit der Fusionskontrolle eingeführt, um ein politisches Gegengewicht gegen das dem deutschen Recht neue Instrument der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt zu schaffen, um so in Einzelfällen aus überragenden Gründen des Allgemeinwohls

1 Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 6; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 9. 2 Immenga, ZWeR 2015, 340; Knöpfle, WuW 1974, 5; Emmerich, AG 1978, 150. 3 Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31.

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

von Entscheidungen des Bundeskartellamtes abweichen zu können.4 Zugleich sollte auf diese Weise politischer Druck vom Bundeskartellamt genommen und auf den Bundeswirtschaftsminister als politische Instanz umgeleitet werden.5 Das Bundeskartellamt sollte sich so ausschließlich auf die rechtliche und wettbewerbliche Beurteilung konzentrieren können, während der Bundeswirtschaftsminister gerade auch allgemeinpolitische Aspekte berücksichtigen sollte. Da 1973 noch nicht vorhersehbar war, welcher Natur diese allgemeinpolitischen Aspekte sein könnten, wurde bei der Wahl der Begriffe größtmögliche Offenheit gewählt, um bereit für zukünftige Entwicklungen zu sein.6 Während einzelne Stimmen die Ministererlaubnis in einer rechtlich verfassten Marktwirtschaft heute nicht mehr für zeitgemäß halten und wegen ihrer umstrittenen Erfolgsbilanz ihre Abschaffung fordern,7 hält die überwiegende Mehrheit im Schrifttum immer noch mit im Wesentlichen gleichlautender Begründung an der Daseinsberechtigung der Ministererlaubnis fest.8 So gebe es nach wie vor das Bedürfnis nach einer Möglichkeit, sich in Ausnahmefällen aus Gründen des Allgemeinwohls über eine Entscheidung des Bundeskartellamtes hinwegzusetzen. Noch dazu werde das Bundeskartellamt durch die Ministererlaubnis als „Ventil“ von politischem Druck entlastet und könne sich so auf die rein wettbewerbsrechtliche Prüfung konzentrieren. Die Ministererlaubnis habe sich daher als Instrument bewährt und sei beizubehalten.9 Auch in der 9. GWB-Novelle wurde an der Ministererlaubnis festgehalten und dem Vorschlag einer Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs durch einen Ge4 Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31; zum Gesetzgebungsprozess vgl. Mattes, Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 33 ff.; Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis, 1980, 11 ff.; Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 91. 5 Mattes, Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 50. 6 Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31; Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim BWM, WuW 1970, 675; vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 4; Knöpfle, WuW 1974, 6; Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 91. 7 Säcker, BB 2016, 1863; Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1161; Podszun, NJW 2016, 619; Podszun/Kreifels/Schmieder, WuW 2017, 114, 119; ähnlich Krakowski, Wirtschaftsdienst 2002, 124. 8 Kühling/Wambach, WuW 2017, 1; Dreher, WuW 2002, 665; Basedow, EuZW 2002, 417; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 1; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 1; Richter/Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2016, § 21 Rn. 146; Möschel, BB 2002, 2078 – 2079; vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 3; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 42 GWB Rn. 1; Riesenkampff/ Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 1 – 2; Bunte/Stancke, Kartellrecht, 2016, 393; Kantzenbach, WuW 1990, 123; Präsident des BKartA Mundt, in: Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, 39; Zimmer, in: Monopolkommission, Politischer Einfluss auf Wettbewerbsentscheidungen, 2015, 68; Antrag der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/10240. 9 Vgl. Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 2; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 2; zur 8. GWB Novelle vgl. BT-Drs. 17/9852, 20.

II. Die Praxis der Monopolkommission

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meinwohl-Katalog10 eine klare Absage erteilt.11 Ein solcher Katalog an Gemeinwohlgründen könne zukünftige Entwicklungen nicht hinreichend vorhersehen,12 und noch dazu drohe bei expliziter Aufnahme von Gemeinwohlkriterien wie des Schutzes von Arbeitsplätzen oder der Tarifbindung13 die Gefahr der sozialpolitischen Instrumentalisierung der Ministererlaubnis.14 Die abstrakte Offenheit und Unbestimmtheit des Gemeinwohls als Voraussetzung für die Erteilung der Ministererlaubnis war und ist also vom Gesetzgeber gewollt. Auch die am 27. 10. 2017 gemäß § 42 Abs. 6 GWB erlassenen Leitlinien zur Durchführung des Verfahrens der Ministererlaubnis treffen zu den materiellen Voraussetzungen der Ministererlaubnis keine Aussage.15 Trotz dieser gewollten Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs auf Gesetzesebene ist aber stets genau zu prüfen, ob ein konkreter Gemeinwohlgrund im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegt.16

II. Die Praxis der Monopolkommission Nach § 42 Abs. 5 S. 1 GWB ist vor der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis eine Stellungnahme der Monopolkommission einzuholen. Falls der Minister in seiner Entscheidung von dieser Stellungnahme abweichen möchte, ist dies seit der 9. GWB Novelle gesondert zu begründen (§ 42 Abs. 1 S. 3 GWB). Ob dieses gesonderte Begründungserfordernis einen merklichen Einfluss auf die Entscheidungspraxis des Bundeswirtschaftsministers haben wird, ist noch unklar. Da schon bisher in der Ministererlaubnis ausführlich auf die Entscheidung der Monopolkommission Bezug genommen wurde,17 erscheint dies eher fraglich. Zur Konkretisierung der Gemeinwohlklausel hat die Monopolkommission in ihren frühen Sondergutachten den Ansatz entwickelt, auf die von der Bundesre-

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Antrag der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/10240. BT-Drs. 18/11446, 24 – 25. 12 Vgl. Klingsch, Die Berücksichtigung wettbewerbsfremder Aspekte, 2012, 205 – 206. 13 Antrag der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/10240. 14 Vgl. Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion im BT „Fünf Punkte zur Stärkung der Ministererlaubnis“ S. 3, http://www.mit-sh.de/sites/www.mit-sh.de/files/artikelimages/201612-13_positionspapier_minerlvo_1.pdf, 06. 09. 2017. 15 Vgl. zu den Leitlinien, WuW 2017, 624 – 625. Die Leitlinien sind über die Homepage des BMWi sowie unter http://hbfm.link/2749, 10. 01. 2017, abrufbar. 16 Vgl. Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 178; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 128 – 129. 17 Vgl. BMWi, Edeka/Tengelmann, Rn. 43 – 52, Volltext abrufbar unter https://www.bmwi. de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/oeffentliche-entscheidung-edeka-kaisers-tengelmann. pdf?__blob=publicationFile&v=2, 10. 08. 2017. 11

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

gierung definierten Ziele der Wirtschaftspolitik zurückzugreifen.18 Zu diesem Zweck hat die Monopolkommission beispielsweise in den Verfahren VEBA/Gelsenberg und VEBA/BP das Energieprogramm der Bundesregierung herangezogen,19 oder im Verfahren BayWa/WLZ den Agrarbericht der Bundesregierung.20 Bei diesem Vorgehen werden rein tagespolitische Äußerungen der Bundesregierung nicht berücksichtigt.21 Auch die in § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes22 formulierten Ziele der Stabilität des Preisniveaus, des hohen Beschäftigungsstandes, des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und des stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums zählen zu den Zielen der Wirtschaftspolitik in diesem Sinne.23 Mit diesem Vorgehen ist es der Monopolkommission grundsätzlich zwar gelungen, ein gewisses Maß an Objektivität und Nachvollziehbarkeit in die Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs einzuführen. Dennoch begegnet dieser Ansatz auch einer ganzen Reihe von Problemen. So hat der Bundeswirtschaftsminister als zuständiger Ressortminister die wirtschaftspolitischen Programme der Bundesregierung regelmäßig maßgeblich geprägt. Letztlich entscheidet er damit aber an Hand „objektiver“ Kriterien, die er zuvor selbst aufgestellt hat. Diese Problematik ist gerade im Energiebereich in den Verfahren VEBA/Gelsenberg und VEBA/BP, und im Luft- und Raumfahrtbereich im Verfahren Daimler/MBB relevant geworden. Die eigene Involvierung des Bundeswirtschaftsministers als Initiator der Fusion oder Anteilseigner machte eine Orientierung an den zuvor von ihm aufgestellten Zielen der Wirtschaftspolitik letztlich zum Zirkelschluss. Rein praktisch kommt als Problem noch hinzu, dass wohl kaum zu jedem Wirtschaftsbereich ein Programmentwurf der Bundesregierung existieren dürfte. Hauptkritikpunkt an dieser frühen Vorgehensweise der Monopolkommission ist aber die Frage, ob in einer Parteiendemokratie die von der Bundesregierung aufgestellten politischen Ziele tatsächlich dem Gemeinwohl oder nicht eher dem politischen Mehrheitsinteresse entsprechen. Während das Mehrheitsprinzip an sich der legitime Entscheidungsmodus in einer parlamentarischen Demokratie ist, bedeutet der Begriff des Gemeinwohls gerade, dass unabhängig vom Modus der Entscheidungsfindung eine Entscheidung, die nur einer Mehrheit, aber nicht der Allgemeinheit dient, nicht dem Gemeinwohlbegriff entspricht. Der Widerspruch, die 18 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1974, Rn. 3, 25; Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 179; vgl. Theiselmann, WRP 2003, 614; Kallfaß, in: Langen/ Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 5; Emmerich, AG 1978, 152; vgl. Isensee, in: HStR IV, 2006, § 71 Rn. 50. 19 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1974, Rn. 3, 25. 20 Monopolkommission, Sondergutachten 22, BayWa/WLZ, 1992, Rn. 85. 21 Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 179; Monopolkommission, Sondergutachten 16, VEW/Sidéchar, 1985, Rn. 104. 22 Hinweis hierauf auch schon in Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31. 23 Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 179.

II. Die Praxis der Monopolkommission

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Bestimmung des Gemeinwohls allein der Regierung zu überlassen, zeigt sich insbesondere darin, dass es bei den Ministererlaubnisverfahren regelmäßig um klassische politische Konflikte zwischen der Sozialpolitik (Arbeitsplätze), Industriepolitik (national champions) und Haushaltspolitik (Entlastung der Haushalte) und dem Wettbewerb geht, die regelmäßig derart umkämpft sind, dass von einer politischen Instanz eine an dem Interesse der politischen Mehrheit orientierte Entscheidung und nicht eine am Wohl der Allgemeinheit orientierte Entscheidung zu erwarten ist.24 Die politischen Abhängigkeiten des Bundeswirtschaftsministers führten auch bereits bei der Einführung der Ministererlaubnis zu grundlegenden Zweifeln daran, ob er in der Lage sei, eine am Gemeinwohl orientierte Entscheidung zu treffen. Der Gegenvorschlag, die Entscheidungsbefugnis auf eine unabhängige Expertenkommission zu übertragen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da die Entscheidungsbefugnis einer politischen Instanz mit parlamentarischer Verantwortung übertragen werden sollte.25 Der von der Monopolkommission entwickelte Ansatz der Orientierung an den Programmen der Bundesregierung für bestimmte Bereiche kann somit zwar ein gewisses Maß an Objektivität und Strukturierung in die Debatte einbringen, begegnet damit jedoch zugleich auch grundlegenden Bedenken. Als weiterer gewichtiger Kritikpunkt kommt hinzu, dass dieser Ansatz zwar Gemeinwohlgründe anhand der wirtschaftspolitischen Programme identifizieren kann, es ihm jedoch nicht gelingt, die Frage des Überwiegens des Gemeinwohls über die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall zu beantworten.26 In jüngerer Zeit hat die Monopolkommission in ihren Gutachten nicht mehr auf diesen Ansatz zurückgegriffen. Stattdessen geht die Monopolkommission in ihrer Prüfung nunmehr von den von den Antragstellern angeführten Gemeinwohlgründen aus, und überprüft an Hand der gefestigten Praxis der in den früheren Verfahren anerkannten Gemeinwohlgründe, ob es sich überhaupt um anerkennungsfähige Gemeinwohlgründe handelt.27 Im Anschluss prüft die Monopolkommission sodann, ob der Zusammenschluss geeignet und erforderlich ist, um diese Gemeinwohlgründe zu fördern, und stellt diese Gemeinwohlgründe in eine Abwägung mit den vom Bundeskartellamt festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen ein. Die Monopolkommission geht damit – ebenso wie die Literatur28 – von einer gefestigten Kasuistik der anerkannten Gemeinwohlgründe aus.29 Wenn neue Bran24

Vgl. Engel, ZWeR 2003, 469. BT-Drs. 7/765, 8; vgl. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim BWM, WuW 1970, 678 – 679; Kartte, BB 1969, 1408; Greiffenberg, in: FS Immenga, 2004, 178. 26 Vgl. Knöpfle, WuW 1974, 18. 27 Vgl. Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 180 ff.; Monopolkommission, Sondergutachten 6, Thyssen/Hüller, 1977, Rn. 43; Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 158 – 160; Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Rn. 149 – 152. 28 Siehe sogleich III. 29 Vgl. Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 180 ff. 25

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

chen hinzu kommen oder sonst neue Gemeinwohlgründe angeführt werden, kann diese gefestigte Kasuistik aber auch erweitert werden. Bei der Aufnahme neuer Gemeinwohlgründe argumentiert die Monopolkommission – teils unter Rückgriff auf das Grundgesetz oder einfaches Recht – stark einzelfallbezogen. Allgemeine Grundsätze zur Identifizierung von Gemeinwohlkriterien werden hierbei über die Orientierung am Grundgesetz hinaus kaum aufgestellt.30 Gerade diese Unabgeschlossenheit zeigt, dass eine gefestigte Kasuistik zwar ein gewisses Maß an Struktur in den Gemeinwohlbegriff bringt, letztlich aber nicht zu einer abstrakten und verallgemeinerbaren Konkretisierung desselben führt. Vielmehr können immer wieder neue Fallkonstellationen auftreten, in denen die bisher gefestigte Kasuistik versagt, und dann wieder neue Gemeinwohlgründe mit aufgenommen werden müssen. Die Unabgeschlossenheit einer solchen Kasuistik ist aber nicht der eigentliche Kritikpunkt an ihr. Die Schwierigkeit besteht nämlich in der Regel gar nicht in der Identifikation von potentiellen Gemeinwohlgründen, sondern in der Frage, wann bestimmte Gemeinwohlgründe im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen. Bei dieser Frage hilft die bloße Identifikation von Gemeinwohlgründen an und für sich jedoch nicht weiter, da dies zur Frage des Überwiegens im Einzelfall nichts aussagt. Wenn man – wie in Kapitel C. im Detail aufgezeigt wird – etwa das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes heranzieht, so lässt sich eine lange Liste anerkannter Gemeinwohlgründe aufstellen, mit der sich auch die in der Praxis der Ministererlaubnis immer wieder vorkommenden Erweiterungen der anerkannten Gemeinwohlgründe problemlos rechtfertigen lassen. Dies ist jedoch gar nicht das zentrale Problem, denn viel schwieriger als abstrakt zu sagen, dass beispielsweise Gesundheit zum Gemeinwohl gehört, ist konkret und auf den Einzelfall bezogen zu bestimmen, ob Gesundheit als Gemeinwohlgrund die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegt.31 In der bisherigen Praxis der Ministererlaubnis (und der Monopolkommission) bleibt dieser letzte und entscheidende Schritt der subjektiven Abwägung von Gemeinwohl und Wettbewerbsbeschränkungen dem Minister, beziehungsweise in ihrem Gutachten der Monopolkommission, vorbehalten. Dieses Problem der Subjektivität der alles entscheidenden Abwägungsentscheidung, aus dem letztlich das Unbehagen am Gemeinwohlbegriff maßgeblich resultiert, wird aber auch in der kartellrechtlichen Literatur und der Praxis des Bundeswirtschaftsministers nicht gelöst. 30 Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 131 für Auflösung einer Gesellschafterblockade; Sondergutachten 12, Burda/Springer, 1982, Rn. 36, 44 und Sondergutachten 36, Tagesspiegel/Berliner Verlag, 2003, Rn. 113 ff. für Pressefreiheit und Pressevielfalt; Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Rn. 202, 207, 213 für Arbeitnehmerrechte und LEH-spezifische Gemeinwohlgründe. 31 Vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 7; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 20 – 22; Knöpfle, WuW 1974, 18.

III. Kartellrechtliche Literatur und Praxis des Bundeswirtschaftsministers

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III. Die kartellrechtliche Literatur und die Praxis des Bundeswirtschaftsministers In der kartellrechtlichen Literatur werden die Voraussetzungen der Ministererlaubnis abgesehen von der Formel der „staats-, wirtschafts-, oder gesellschaftspolitischen Gründe“32 meist nicht abstrakt definiert.33 Stattdessen beschränkt sich die Literatur darauf, die in den bisherigen Ministererlaubnisverfahren anerkannten und diskutierten Gemeinwohlgründe im Sinne einer Kasuistik darzustellen.34 Eine der ausführlichsten und differenziertesten Aufstellungen im Münchener Kommentar nennt so die Sicherung der Energieversorgung,35 die Sicherung von Arbeitsplätzen,36 Privatisierungen, die Entlastung öffentlicher Haushalte, die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (explizit genannt in § 42 Abs. 1 S. 2 GWB),37 die Ermöglichung von Rationalisierungen,38 Unternehmenssanierungen, die Sicherung wertvollen technischen Know-hows, den Schutz vor Überfremdung,39 den Klima- und Umweltschutz, den Schutz der Pressevielfalt40, die Sicherung der medizinischen Versorgung und den Erhalt universitärer Forschung.41 Das Verfahren Edeka/Tengelmann mit seinen Gemeinwohlgründen des Erhalts von Arbeitnehmerrechten in Form von Mitbestimmung und Tarifbindung42 wurde dabei noch nicht berücksichtigt.

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Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31. Vgl. Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 7; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 8; Richter/ Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2016, § 21 Rn. 157; als Ausnahme hiervon stellt etwa Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 5 wie die Monopolkommission zur Bestimmung des Gemeinwohls auf die Bundesregierung ab. 34 Vgl. Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 6; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 91 – 116; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 10 – 19; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 9; Kuhn, in: FK-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 28 – 38; Richter/ Steinvorth, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2016, § 21 Rn. 156; Volkers, Erlaubnis wettbewerbsbeschränkender Unternehmenszusammenschlüsse aus nichtwettbewerblichen Gründen, 1995, 46 – 111; Kellner, ZNER 2003, 278 – 279; ähnlich schon Emmerich, AG 1978, 152. 35 Kritisch Kellner, ZNER 2003, 281 – 282. 36 Vgl. Rummel/Buchwald, WuW 2016, 111 – 114. 37 Kritisch Kellner, ZNER 2003, 280 – 281. 38 Kritisch Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 94. 39 Vgl. Wallenberg/Autenrieth, DB 1982, 1809 – 1811. 40 Vgl. Clement, WuW 2004, 720 – 726; Zagouras, WRP 2007, 1429 – 1436; Draack, Pressekartellrecht, 2014, 142 – 149; Engel, ZWeR 2003, 448 – 480. 41 Bremer, in: MüKo-Kartellrecht 2015, § 42 GWB Rn. 8 – 29 unter Verweis auf die einschlägigen Ministererlaubnisentscheidungen; ähnlich Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 181 – 195 unter Verweis auf die Sondergutachten der Monopolkommission. 42 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 257 – 258. 33

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

Die Zusammenstellung einer solchen Kasuistik gewährleistet zwar ein gewisses Maß an Objektivität und Struktur bei der Anerkennung von Gemeinwohlgründen. Eine solche Kasuistik klärt aber nicht die entscheidende Frage, wann ein konkreter Gemeinwohlgrund die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall überwiegt.43 Noch dazu driftet eine Kasuistik der bisherigen Gemeinwohlgründe, je länger sie wird, immer mehr in die Beliebigkeit ab, da sie sich immer weiter der kaum noch aussagekräftigen Formel der „staats-, wirtschafts-, oder gesellschaftspolitischen Gründe“44 annähert. Die Anerkennung oder Nicht-Anerkennung eines Gemeinwohlgrundes in der Vergangenheit lässt auch keineswegs valide Aussagen für die Zukunft zu.45 So wurde die Sicherung der Energieversorgung in den beiden Verfahren VEBA/Gelsenberg und VEBA/BP durch den Bundeswirtschaftsminister als die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegender Gemeinwohlgrund anerkannt.46 In den beiden Erfahrungsberichten des Bundeswirtschaftsministers zur bisherigen Praxis der Ministererlaubnis in den Jahren 1986 und 1992 wurde dann gerade aus VEBA/Gelsenberg und VEBA/BP die Lehre gezogen, dass die Ministererlaubnis zur Strukturpolitik im Energiebereich ungeeignet sei.47 Dies hinderte den Bundeswirtschaftsminister jedoch keineswegs daran, 2002 im Verfahren E.on/Ruhrgas entgegen dem Votum der Monopolkommission die Fusion unter Berufung auf die Sicherung der Energieversorgung zu genehmigen.48 Ebenso wurde auch das bei eigentlich jedem Ministererlaubnisantrag angeführte Argument der Arbeitsplatzsicherung in den beiden Erfahrungsberichten des Bundeswirtschaftsministers als zweifelhaft angesehen, da regelmäßig die mit einer Fusion einhergehenden Rationalisierungsmaßnahmen mehr Arbeitsplätze kosteten, als sie erhalten, und noch dazu durch die Beschränkung des Wettbewerbs Arbeitsplätze bei Konkurrenten vernichtet würden.49 Ebenso wird dies auch von der Monopolkommission gesehen, die das Arbeitsplatzargument nur ausnahmsweise dann anerkennen möchte, wenn – wie in § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vorgesehen – die Gesamtbeschäftigung betroffen ist, oder aber Arbeitsplätze in struktur-

43 Vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 3; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 20 – 22; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 128 – 129; Knöpfle, WuW 1974, 18 – 19. 44 Begr. z. RegE, BT-Drs. VI/2520, 31. 45 Vgl. Kellner, ZNER 2003, 282; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 91. 46 BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW, 147; VEBA/BP, WuW/E BWM 171 – 172. 47 Erfahrungsbericht des Bundeswirtschaftsministerium, WuW 1986, 789 und WuW 1992, 927. 48 Vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 8 – 11; Kellner, ThürVbl 2003, 33 – 34. 49 Erfahrungsbericht des Bundeswirtschaftsministerium, WuW 1986, 788 und WuW 1992, 927; vgl. BMWi, VEBA/BP, WuW/E BMW, 173.

III. Kartellrechtliche Literatur und Praxis des Bundeswirtschaftsministers

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schwachen Regionen, die andernfalls unwiederbringlich verloren sind.50 Ebenso kritisch wird das Argument der Arbeitsplatzsicherung in der Literatur gesehen.51 All diese Kritik und auch Selbstkritik52 an der Anerkennung des Arbeitsplatzarguments als überragendem Gemeinwohlgrund hat den Bundeswirtschaftsminister jedoch nicht daran gehindert, entgegen dem Votum der Monopolkommission im Verfahren Edeka/Tengelmann maßgeblich gestützt auf das Argument der Sicherung konkreter Arbeitsplätze eine Ministererlaubnis zu erteilen.53 Diese Praxis des Bundeswirtschaftsministers stellt die Aussagekraft einer auf Erfahrungswissen basierenden Kasuistik grundlegend in Frage. So scheint sich aus der Anerkennung oder Verwerfung eines Gemeinwohlgrundes in der Vergangenheit kaum eine valide Aussage für die Zukunft ableiten zu lassen. Diese Widersprüchlichkeit in der Entscheidungspraxis lässt sich zwar auch durchaus damit erklären, dass in einem Ministererlaubnisverfahren stets die Umstände des Einzelfalls und das Überwiegen der Gemeinwohlgründe im Einzelfall entscheidend sind. Dies führt eine auf der Vergangenheit basierende Kasuistik aber erst recht ad absurdum. Zugleich zeigen die zuletzt genannten Beispiele der von der herrschenden Meinung in Literatur, Monopolkommission und sogar der Selbstreflektion früherer Bundeswirtschaftsminister abweichenden Entscheidungen des Bundeswirtschaftsministers in den Verfahren E.on/Ruhrgas 2002 und Edeka/Tengelmann 2016, dass eine dogmatische Erfassung und wissenschaftlich geleitete Kritik bisher anerkannter Gemeinwohlgründe kaum Einfluss auf die Entscheidungspraxis des Bundeswirtschaftsministers zu haben scheint. Auch in der erheblichen Anzahl von Monographien zur Ministererlaubnis54 erfolgt überraschenderweise keine grundsätzliche Auseinandersetzung damit, wie der 50

Monopolkommission, Sondergutachten 3, Kaiser/Preussag, 1975, Tz. 91; Sondergutachten 6, Thyssen/Hüller Hille, 1977, Tz. 44; Sondergutachten 10, IBH/Wibau, 1981, Tz. 64 – 65; Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Tz. 149 – 152; vgl. Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 183 – 186. 51 Rummel/Buchwald, WuW 2016, 111; Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1157; Podszun, NJW 2016, 619; Dreher, WuW 2002, 665; Möschel, WuW 2015, 579; Bremer, MüKoKartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 12 – 16; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 7; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 6; Kellner, in: ZNER 2003, 279; Emmerich, Kartellrecht, 2014, § 31 Rn. 3; Wangenheim/Dose, WuW 2017, 184. 52 Vgl. BMWi, VEBA/BP, WuW/E BMW, 173; Erfahrungsbericht des Bundeswirtschaftsministerium, WuW 1986, 788 und WuW 1992, 927. 53 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 257; kritisch Rummel/Buchwald, WuW 2016, 113 – 114; Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1158 – 1159; Säcker, BB 2016, 1861 – 1863; MaierRigaud/Schwalbe, NZKart 2015, 289 – 290 (als Gutachter für Rewe im Verfahren Edeka/Tengelmann tätig); Monopolkommission, Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Tz. 149 – 201. 54 Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis, 1980; Volkers, Erlaubnis wettbewerbsbeschränkender Unternehmenszusammenschlüsse aus nichtwettbewerblichen Gründen, 1995; Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004; Bergmann, Die Minister-

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

Begriff des Gemeinwohls als materielle Voraussetzung des § 42 GWB näher konkretisiert werden kann. Einzig die Dissertation von Friederike Mattes beschäftigt sich damit, ob Medien und Öffentlichkeit nachweisbaren Einfluss auf die Erteilung der Ministererlaubnis haben und so eine Kontrollfunktion einnehmen.55 Unter punktueller Auswertung der Presseberichterstattung kommt Friederike Mattes jedoch zu dem Ergebnis, dass eine effektive Kontrolle der Ministererlaubnisverfahren durch die Öffentlichkeit nicht erfolge.56 Die Arbeit von Friederike Mattes zeigt dabei erste Ansätze zur Analyse der öffentlichen Meinung auf, verzichtet jedoch auf eine systematische Untersuchung der öffentlichen Meinung und zieht die öffentliche Meinung auch nicht als Ansatzpunkt zur Bestimmung des Gemeinwohls in § 42 GWB in Betracht. Diese scheinbare rechtliche und tatsächliche Ungebundenheit des Bundeswirtschaftsministers leitet unmittelbar zur Frage nach der gerichtlichen Kontrolle seiner Entscheidung über.

IV. Die gerichtliche Kontrolle Der Bundeswirtschaftsminister entscheidet im Ministererlaubnisverfahren nicht als Politiker, sondern nach § 48 Abs. 1 GWB als Kartellbehörde.57 Die Entscheidung über die Erteilung der Ministererlaubnis ist dabei eine gebundene Entscheidung, so dass sie bei Vorliegen der Voraussetzungen – sprich die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlgründe – zwingend zu erteilen ist.58 Nach § 63 Abs. 4 S. 1 GWB unterliegt die Ministererlaubnisentscheidung dabei grundsätzlich der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit. Diese volle gerichtliche Überprüfbarkeit hat durch das damals noch zuständige Kammergericht Berlin in seiner Entscheidung im Ministererlaubnisverfahren Thyssen/Hüller vom 07.02.197859 eine wesentliche Einschränkung erfahren. So seien die Gemeinwohlerwägungen einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen, da sie eine wirtschaftspolitische Wertung enthielten und hierfür den Kartellbehörden

erlaubnis in der Zusammenschlusskontrolle, 2006; Klingsch, Die Berücksichtigung wettbewerbsfremder Aspekte, 2012. 55 Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 207, 210. 56 Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 210 – 215. 57 Podszun, NJW 2016, 618; Kellner, ZNER 2002, 276; vgl. nunmehr auch die Leitlinien zur Durchführung des Verfahrens der Ministererlaubnis Rz. 3, 4, WuW 2017, 625. Die Leitlinien sind über die Homepage des BMWi sowie unter http://hbfm.link/2749, 10. 01. 2018, abrufbar. 58 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1938 – Thyssen/Hüller; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 1; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 6; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 6. 59 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1937 – 1945 – Thyssen/Hüller.

IV. Die gerichtliche Kontrolle

29

gemäß § 71 Abs. 5 S. 2 GWB60 eine gerichtlich nicht überprüfbare Einschätzungsprärogative zustehe.61 Innerhalb einer gewissen Toleranzgrenze müsse die Einschätzung des Bundeswirtschaftsministers durch das Gericht daher akzeptiert werden, und dürfe nicht durch eine eigene Einschätzung ersetzt werden.62 Ob die der Einschätzung zu Grunde liegenden Tatsachen hingegen ohne Verfahrensverstoß vollständig und richtig festgestellt worden seien, unterliege der vollen gerichtlichen Nachprüfbarkeit, da nur das Subsumtionsergebnis der Kontrolle entzogen sei, nicht jedoch die zu Grunde liegenden Erhebungen, Feststellungen und Erwägungen.63 Ebenso sei eine Aufhebung der Ministererlaubnisentscheidung dann möglich, „wenn allgemeingültige Bewertungsgrundsätze oder Denkgesetze verletzt oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind“.64 Diese Entscheidung des Kammergerichts hat für lange Zeit die herrschende Meinung zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Ministererlaubnis konstituiert. So war es seit dieser Entscheidung des Kammergerichts auch in der Literatur anerkannt, dass die Gemeinwohlerwägungen des Bundeswirtschaftsministers der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind, und dem Minister eine politische Einschätzungsprärogative zustehe.65 Eine wesentliche Änderung hat diese ständige Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur erst mit der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf vom 12. 07. 2016 im Verfahren Edeka/Tengelmann erfahren.66 Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat hier aus § 71 Abs. 5 S. 2 GWB abgeleitet, dass das Beschwerdegericht nicht auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt sei, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Ministererlaubnis überprüfen dürfe.67 Ausgenommen sei hiervon nach § 71 Abs. 5 S. 2 GWB lediglich die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung. Die Auslegung der Rechtsbegriffe „gesamtwirtschaftliche Vorteile“ und „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ unterliege als reine Rechtsfrage gemäß § 71 Abs. 5 S. 2 GWB jedoch der vollen

60

Damals § 70 Abs. 4 S. 2 GWB a.F. KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1938 – Thyssen/Hüller. 62 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1938 – 1939 – Thyssen/Hüller. 63 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1939 – Thyssen/Hüller. 64 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1939 – Thyssen/Hüller. 65 Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 1; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 6; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 4, 23; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 6, 52; Bartram, WuW 1979, 383; Kuhn, in: FK-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 72 – 74; Bunte/Stancke, Kartellrecht, 2016, 392; ausführlich Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 74 – 86; kritisch Möschel, BB 2002, 2083 – 2084; Engel, ZWeR 2003, 465 – 466. 66 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris – Edeka/Tengelmann. 67 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 82 – Edeka/Tengelmann. 61

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

gerichtlichen Überprüfbarkeit,68 so dass das Gericht sehr wohl überprüfen könne, ob ein vom Minister angeführter Gemeinwohlgrund auch wirklich hierunter zu subsumieren sei. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sodann erstmals die Rechtswidrigkeit einer Ministererlaubnis im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch wegen materieller Fehler festgestellt. In seiner fast auf den Tag genau 14 Jahre zuvor ergangen, ebenfalls spektakulären Entscheidung im Verfahren E.on/Ruhrgas hatte es sich noch allein auf die Prüfung von Verfahrensfehlern beschränkt.69 Nun prüfte das OLG Düsseldorf erstmals auch die Auslegung des Rechtsbegriffs Gemeinwohl durch den Bundeswirtschaftsminister nach. Es kam hierbei zu dem Ergebnis, dass der Bundeswirtschaftsminister den Schutz kollektiver Arbeitnehmerrechte in rechtsfehlerhafter Weise als Gemeinwohlgrund anerkannt habe, da Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG die positive und die negative Koalitionsfreiheit gleichermaßen schütze.70 Diese Wertung der Verfassung sei auch bei der Auslegung des § 42 GWB zu berücksichtigen, so dass der Schutz kollektiver Arbeitnehmerrechte aus Rechtsgründen kein Gemeinwohlbelang sein könne.71 Daneben habe der Minister auch den angeführten Gemeinwohlbelang der Arbeitsplatzsicherung auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage gewürdigt, da er nicht hinreichend berücksichtigt habe, ob es nicht bei Edeka statt bei Tengelmann fusionsbedingt zu Arbeitsplatzverlusten kommen werde.72 Mit dieser Entscheidung hat das OLG Düsseldorf den Raum für die rechtliche Auslegung des Begriffs des Gemeinwohls eröffnet. Gleichwohl bleibt damit das Problem bestehen, dass dies die Frage nach dem Überwiegen der Gemeinwohlgründe im Einzelfall nicht löst. Nur selten dürfte sich dem Grundgesetz eine derart eindeutig zur Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis führende Wertung wie hier aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG entnehmen lassen.73 In der weitaus überwiegenden Zahl von Fällen dürfte sich das vom Minister angeführte Gemeinwohlkriterium auch im Grundgesetz als anerkannter Gemeinwohlgrund wiederfinden, so dass auch diese Ausweitung der gerichtlichen Kontrolle letztlich ins Leere läuft, so lange sie nicht auch die Frage des Überwiegens des Gemeinwohlgrunds über die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall kontrolliert, wofür bisher aber keine klaren Kriterien existieren. Ob durch die jüngste Entscheidung des OLG Düsseldorf damit eine wirkliche Änderung in der gerichtlichen Überprüfung der Gemeinwohlbestimmung durch den Minister eingetreten ist, bleibt abzuwarten. 68 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 82 – Edeka/Tengelmann; so auch schon Knöpfle, WuW 1974, 5. 69 OLG Düsseldorf, 11. 07. 2002, Az. Kart 25/02, juris – E.on/Ruhrgas. 70 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 81 – Edeka/Tengelmann. 71 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 81 – Edeka/Tengelmann; kritisch Säcker, BB 2016, 1862 unter Verweis auf u. a. BAG, 18. 03. 2009, Az. 4 AZR 64/08, juris, Tz. 36 ff.; 15. 04. 2015, Az. 4 AZR 796/13, juris, Tz. 47. 72 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 83 ff. – Edeka/Tengelmann. 73 Kritisch ohnehin Säcker, BB 2016, 1862 unter Verweis auf u. a. BAG, 18. 03. 2009, Az. 4 AZR 64/08, juris, Tz. 36 ff; 15. 04. 2015, Az. 4 AZR 796/13, juris, Tz. 47.

V. Problem der Unbestimmtheit der Voraussetzungen des § 42 GWB

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Für die Zukunft ist es jedoch sehr fraglich, ob es überhaupt noch einmal zu einer Überprüfung einer Ministererlaubnis durch das OLG Düsseldorf kommen wird. Mit der 9. GWB Novelle ist die Beschwerdebefugnis gegen eine Ministererlaubnis gemäß § 63 Abs. 2 S. 2 GWB von einer Verletzung in eigenen Rechten abhängig gemacht worden. Anders als zuvor, genügt eine bloße Beteiligung für die Beschwerdebefugnis nicht mehr.74 Da Chancengleichheit im Wettbewerb und die Hoffnung auf eine bessere Markstellung bei Unterbleiben einer Fusion nach allgemeiner Ansicht jedoch kein subjektives öffentliches Recht der Konkurrenten darstellen, ist es sehr unsicher, ob überhaupt noch einmal ein Konkurrent gegen eine Ministererlaubnis Beschwerde einlegen kann, oder ob die Beschwerdemöglichkeit nicht so in Reaktion auf das Verfahren Edeka/Tengelmann de facto abgeschafft worden ist.75 Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass auch zukünftig eine Beschwerdebefugnis der Konkurrenten durch das OLG Düsseldorf im Wege der Rechtsfortbildung bejaht wird.76 In jedem Fall ist der Minister als Kartellbehörde nach § 48 Abs. 1 GWB bei seiner Entscheidung an Recht und Gesetz gebunden.

V. Das Problem der Unbestimmtheit der Voraussetzungen des § 42 GWB Im Ergebnis sind die Voraussetzungen für die Erteilung der Ministererlaubnis damit denkbar unbestimmt. Weder aus der Gesetzesbegründung, der Praxis der Monopolkommission, der Kommentarliteratur noch der Praxis der bisherigen Ministererlaubnisentscheidungen lassen sich verallgemeinerbare und objektivierbare Kriterien für die Konkretisierung des im Einzelfall überwiegenden Gemeinwohls ableiten. Es bleibt bei einer allgemeinen Formel, die dem Minister eine enorme Handlungsvollmacht zu politischen Eingriffen in das Recht von Wirtschaft und Wettbewerb einräumt, ohne dass dem eine effektive gerichtliche Kontrolle gegenüberstehen würde. Auch nach der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf im Verfahren Edeka/Tengelmann vom 12. 07. 201677 steht nun lediglich fest, dass die Auslegung des Gemeinwohlbegriffs als reiner Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Damit ist die eigentlich schwierige Frage des Überwiegens eines Gemeinwohlgrunds über die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall aber nach wie vor ungeklärt und bleibt alleine dem Minister vorbehalten. Der Bundeswirtschaftsminister kann die Ministererlaubnis somit immer dann erteilen, wenn er

74

Podszun/Kreifels, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB Novelle, 2017, Rn. 42. Podszun, WuW 2017, 269; Podszun/Kreifels, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB Novelle, 2017, Rn. 47 – 56; vgl. Säcker, BB 2016, 1863, der einen Ausschluss der Rechtsschutzmöglichkeit scharf kritisiert; für eine Anfechtungsmöglichkeit jedes Mitbewerbers schon Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis 1980, 154. 76 Podszun/Kreifels, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB Novelle, 2017, Rn. 55 – 56. 77 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris – Edeka/Tengelmann. 75

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

einen irgendwie auf das Grundgesetz zurückführbaren Gemeinwohlgrund findet, der seiner subjektiven Überzeugung nach die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegt. Nun mag man einwenden, dass dies doch genau vom Gesetzgeber gewollt sei: Der Minister könne so in Ausnahmefällen aus Gründen des im Voraus nicht näher bestimmbaren Gemeinwohls eine politische Entscheidung über eine Ausnahmegenehmigung treffen. Dieses Argument verkennt den Charakter des § 42 GWB jedoch grundlegend. So sieht dieser nur für den Fall des überragenden Gemeinwohls eine gebundene Ausnahmegenehmigung vor. Nur bei Überwiegen eines anderen Gemeinwohlziels ist es gerechtfertigt, das ebenfalls dem Gemeinwohl dienende Wettbewerbsprinzip im Einzelfall außer Kraft zu setzen. Dem Minister wird durch § 42 GWB daher gerade keine freie politische Entscheidungsbefugnis eingeräumt, sondern lediglich die Kompetenz zur Prüfung der Frage übertragen, ob Gemeinwohlgründe im Einzelfall die Wettbewerbsbeeinträchtigungen überwiegen. Eine Konkretisierung dieser Frage ist damit zwingende Voraussetzung für seine Entscheidung. Die Ministererlaubnisentscheidung ist nach ihrer gesetzlichen Konzeption keine freie politische Entscheidung, sondern eine streng am Gemeinwohl auszurichtende, gebundene Entscheidung. Ohne eine objektive Methode zur Beantwortung der Frage, wann ein solches Überwiegen der Gemeinwohlgründe über die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall vorliegt, ist dieser schwerwiegende Eingriff in die Wettbewerbsordnung daher in einem Rechtsstaat kaum zu rechtfertigen. Nicht ohne Grund hält Christoph Engel die Ministererlaubnis wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz sogar für verfassungswidrig.78 Noch hinzu kommt, dass ohne eine Methode zur Konkretisierung des im Einzelfall überragenden Gemeinwohls ein erhebliches, jedenfalls theoretisches Missbrauchsrisiko bei der Ausübung der Ministererlaubnis besteht.

VI. Das Missbrauchsrisiko Im Anschluss an die umstrittene Ministererlaubnis für die Fusion von E.on/ Ruhrgas (2002) wechselten der damalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und sein Staatssekretär Alfred Tacke auf finanziell lukrative Posten in der Energiewirtschaft.79 Der damalige Vorsitzende der Monopolkommission Jürgen Basedow stellte daraufhin die Frage in den Raum, wie weit die Bundesrepublik noch von einer 78

Engel, ZWeR 2003, 471. Vgl. Kontroverse Personalie, Ex-Minister Müller soll RAG-Chef werden, SPIEGEL ONLINE, 04. 04. 2003; Tackes Wechsel zur Steag, FDP wittert Spezlwirtschaft, SPIEGEL ONLINE, 06. 09. 2004; Seidlitz, Frank, FDP hält Berufung des ehemaligen Bundesministers für einen Skandal – Regierung in Nordrhein-Westfalen verteidigt Konzept, Wahl von Werner Müller an RAG-Spitze umstritten, WELT 07. 04. 2003, S. 15. 79

VI. Das Missbrauchsrisiko

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„Bananenrepublik“ entfernt sei.80 Im Bundestag wurde dieser Vorgang von der Opposition unter anderem als „Judaslohn“, „auf höchster Ebene korruptes Verhalten“, „Parteibuchwirtschaft“ und „Klüngelwirtschaft“ bezeichnet.81 Dies wirft die Frage auf, wann bei der Erteilung der Ministererlaubnis legitimerweise von Korruption oder Missbrauch gesprochen werden kann, und inwiefern ein theoretisches Missbrauchsrisiko besteht. Mit diesen Ausführungen soll allerdings keinem der bisherigen oder amtierenden Bundeswirtschaftsminister Korruption oder eine andere Form des Amtsmissbrauchs unterstellt werden. Es soll lediglich aus institutionentheoretischer Perspektive einem theoretisch bestehenden Missbrauchsrisiko nachgegangen werden, das, wie die Zitate zeigen, so auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. 1. Korruption im klassischen Sinne In strafrechtlicher Hinsicht sind Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und ihre Qualifikation Bestechlichkeit (§ 332 StGB) klar definiert: Vorteilsannahme liegt dann vor, wenn ein Amtsträger für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt, oder annimmt (§ 331 Abs. 1 StGB). Die Qualifikation der Bestechlichkeit ist dann gegeben, wenn durch die Diensthandlung eine Dienstpflicht verletzt wird (§ 332 Abs. 1 StGB). Konstitutives Merkmal beider Tatbestände ist eine inhaltliche Verknüpfung von Dienstausübung und Vorteilszuwendung (sog. Unrechtsvereinbarung).82 Das bloße Bewusstsein beider Seiten von dieser inhaltlichen Verknüpfung genügt dabei, eine vertragsähnliche Vereinbarung ist nicht erforderlich.83 Besonders problematisch ist das Vorliegen einer solchen Unrechtsvereinbarung im politischen Bereich, insbesondere bei Parteispenden. Das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997 verfolgte das Ziel, auch das sogenannte „Anfüttern“ unter Strafe zu stellen, so dass grundsätzlich schon die allgemeine „Klimapflege“ zu einer Strafbarkeit nach § 331 Abs. 1 StGB führen kann.84 An sich könnte somit jede Parteispende zur Förderung einer politischen Richtung eine Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme auslösen. Der Bundesgerichtshof ist daher zu einer einschränkenden Auslegung des § 331 StGB im Bereich der Wahlkampfspenden gelangt, da Spenden an politische Parteien grundsätzlich als mit demokratischen und rechts80

7.

Basedow, in: Monopolkommission, Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik, 2005,

81 Aktuelle Stunde zum Wechsel Werner Müllers mit ausführlicher Diskussion von Missbrauchsvorwürfen, Deutscher Bundestag, PlenProt. 15/40 v. 10. 04. 2003, 3284 – 3288; das erste Zitat stammt vom FDP-Abgeordneten Rainer Brüderle, PlenProt. 15/40 v. 10. 04. 2003, 3285, die übrigen vom CDU-Abgeordneten Hartmut Schauerte, PlenProt. 15/40 v. 10. 04. 2003, 3288. 82 Fischer, StGB, 2017, § 331 StGB Rn. 21. 83 Fischer, StGB, 2017, § 331 StGB Rn. 21. 84 Beckemper/Stage, NStZ 2008, 35; Fischer, StGB 2017, § 331 StGB Rn. 24; Zöller, GA 2008, 157.

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

staatlichen Grundsätzen vereinbar, teils sogar als erwünscht gelten.85 Entscheidendes Abgrenzungskriterium ist nach dieser Rechtsprechung, ob durch eine Spende nur allgemein eine politische Richtung gefördert werden soll, oder ob der Spender Einfluss auf konkret anstehende Entscheidungen nehmen will, wofür insbesondere eine außergewöhnliche Spendenhöhe spricht.86 Jenseits dieser strafrechtlichen Definition existiert keine allgemein anerkannte politikwissenschaftliche Definition von Korruption.87 Die in der Politikwissenschaft vorhandenen Definitionen reichen dabei von sehr allgemeinen Begriffen wie Machtmissbrauch und Dekadenz bis hin zu relativ konkreten Definitionen von korruptem Verhalten.88 Vergleicht man die konkreten politikwissenschaftlichen Korruptionsdefinitionen, so decken sich diese in ihren Kernpunkten mit den §§ 331, 332 StGB: In der Regel wird dann von Korruption gesprochen, wenn der Inhaber eines öffentlichen Amtes, die für die Ausübung dieses Amtes geltenden Regeln verletzt, und dafür von einem profitierenden Dritten eine Gegenleistung erhält.89 Hauptproblem an dieser Definition ist aus politikwissenschaftlicher Sicht die Definition des Missbrauchs von Amtspflichten sowie die Feststellung einer Unrechtsvereinbarung.90 Sowohl diese politikwissenschaftliche Definition von Korruption, als auch die Straftatbestände der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) und Korruption (§ 332 StGB) führen damit im Kern zu den Problemen der Feststellbarkeit einer Unrechtsvereinbarung und der Definition der Pflichtwidrigkeit einer Diensthandlung. Was die Pflichtwidrigkeit einer Diensthandlung angeht, bietet das Strafrecht die klare Definition, dass eine Pflichtwidrigkeit dann vorliege, wenn ein Amtsträger bei einer gebundenen Entscheidung von den Vorschriften eines Rechtssatzes abgewichen sei.91 Dies hilft im Falle der Ministererlaubnis aber nicht weiter, da zwar anerkannt ist, dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt, gleichzeitig aber für den Begriff des Gemeinwohls bisher ein Beurteilungsspielraum des Ministers anerkannt

85

BGH, 28. 10. 2004, Az. 3 StR 301/03, juris, Tz. 44 ff. – Fall Kremendahl I; 28. 08. 2007, Az. 3 StR 212/07, juris, Tz. 15 ff. – Fall Kremendahl II; mit Anmerkungen Korte, NStZ 2005, 512; Dölling, JR 2005, 519; Kargl, JZ 2005, 503; Saliger/Sinner, NJW 2005, 1073; Beckemper/ Stage, NStZ 2008, 35; Korte, NStZ 2008, 341; Zöller, GA 2008, 151 – 168. 86 BGH, 28. 10. 2004, Az. 3 StR 301/03, juris, Tz. 44 ff. – Fall Kremendahl I; 28. 08. 2007, Az. 3 StR 212/07, juris, Tz. 15 ff. – Fall Kremendahl II. 87 Bluhm/Fischer, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 9. 88 Bluhm/Fischer, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 9 – 11. 89 Philp, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 24 – 25; Bluhm/Fischer, in: ebenda, 15; Oswald, in: ebenda, 43; Stykow, in: ebenda, 87; Valdés, in: ebenda, 117; Zimmerling, in: ebenda, 159; vgl. Arnim, NVwZ 2006, 250. 90 Philp, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 24; Zimmerling, in: ebenda, 159; Oswald, in: ebenda, 42. 91 Fischer, StGB, 2017, § 332 StGB Rn. 8.

VI. Das Missbrauchsrisiko

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war.92 Auch nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf, das nunmehr von einer vollen gerichtlichen Nachprüfung der Auslegung dieses Rechtsbegriffes durch den Minister ausgeht,93 dürfte sich dennoch wohl kaum je ein Strafbarkeitsvorwurf begründen lassen. Im Sinne der strafrechtlichen Korruptionsdefinition sind die verschiedentlich geäußerten Vorwürfe gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister somit unbegründet. 2. Amtsmissbrauch im Sinne der Neuen Institutionenökonomie Möchte man sich jenseits dieser klassischen, strafrechtlichen Definition von Korruption mit der Frage nach der moralischen oder politischen Legitimität von Missbrauchsvorwürfen im Kontext der Ministererlaubnis auseinandersetzen, so strukturiert ein Modell aus der Neuen Institutionenökonomie die Diskussion über eine bloße Polemik hinaus. Für die Analyse der Delegation von Aufgaben hat die Neue Institutionenökonomie ein Prinzipal-Agenten-Modell entwickelt, nach dem ein Prinzipal bestimmte Aufgaben an einen Agenten delegiert. Im Fall der Ministererlaubnis ist Prinzipal das Wahlvolk, beziehungsweise das von ihm gewählte Parlament, als Quelle der Staatsgewalt in einer Demokratie,94 und Agent der Bundeswirtschaftsminister als für die Erteilung der Ministererlaubnis zuständiges Staatsorgan. Nach diesem Prinzipal-Agenten-Modell liegt Korruption dann vor, wenn das Handeln des Agenten die Interessen des Prinzipals beeinträchtigt.95 Die PrinzipalAgenten-Theorie geht weiterhin davon aus, dass der Agent sowohl die Interessen des Prinzipals als auch Eigeninteressen verfolgt, so dass neben einer Wahrnehmung der Interessen des Prinzipals auch Betrug am Prinzipal möglich ist, sobald der Agent über einen entsprechenden Handlungsspielraum verfügt. Im Korruptionsfall kommt ein Klient hinzu, der dem Agenten eine Gegenleistung für die Ausübung seines Gestaltungsspielraums entgegen den Interessen des Prinzipals verspricht.96 Das Korruptionsrisiko ist daher dann besonders hoch, wenn der Agent in monopolistischer Weise über etwas entscheiden kann, das der Klient haben möchte.97 92 KG, 07. 02. 1978, Az. Kart. 15/77, WuW/E OLG 1938 – 1939 – Thyssen/Hüller; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 1; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 6; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 4, 23; Bergmann/Burholt, in: Kölner Komm-Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 6, 52; Bartram, WuW 1979, 383; Bunte/Stancke, Kartellrecht, 2016, 392; ausführlich Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 74 – 86; kritisch Möschel, BB 2002, 2083 – 2084; Engel, ZWeR 2003, 465 – 466. 93 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 82 – Edeka/Tengelmann. 94 Stykow, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 97. 95 Oswald, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 43; Stykow, in: ebenda, 90. 96 Stykow, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 90 – 91. 97 Stykow, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 91.

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

Verhindert und verringert wird das Korruptionsrisiko durch eine effiziente Kontrolle des Agenten durch unabhängige Institutionen, durch hohe Transparenz- und Informationspflichten, die Selektion ehrlicher Agenten, die Veränderung der Anreizstruktur zwischen Agent und Klient, sowie durch die Abschaffung des Leistungsmonopols des Agenten.98 Sowohl in der Neue Institutionenökonomie als auch in der allgemeinen Korruptionstheorie wird dabei davon ausgegangen, dass die Orientierung am Eigeninteresse und damit die Veranlagung zu Korruption eine menschliche Grundkonstante sei, der allenfalls durch gutes Institutionendesign entgegen gewirkt werden, die aber niemals ganz ausgeschlossen werden könne.99 Gerade die Macht selbst sei es, die den Menschen auf Dauer korrumpiere.100 Korruption trete dabei besonders häufig an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft auf, da so ökonomische Macht in politische Macht transformiert werden könne.101 Da es sich bei Korruption um eine unsichtbare Form der Machtausübung handele, sei die wirksamste Gegenwehr der Geschädigten, die Korruption an das Licht der Öffentlichkeit zu holen und dadurch sichtbar und skandalisierbar zu machen.102 Bei der Ministererlaubnis lässt sich das Risiko eines korrumptiven Einwirkens auf den Minister durch Dritte insbesondere durch die rent seeking Theorie erklären. 3. Rent seeking und Missbrauchsrisiko Der Begriff des rent seeking beschreibt den Vorgang, dass private Akteure durch die Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger die Vergabe eines unverdienten Einkommens (rent), oft in Form eines rechtlichen Titels, an sich selbst erreichen wollen.103 Erfolgreiches rent seeking hat dabei typischerweise die Erlangung eines Monopols zur Folge.104 Dieses Monopol bewirkt eine Umverteilung wirtschaftlicher Güter vom Rest der Gesellschaft hin zu dem erfolgreichen rent seeker, 98

Stykow, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 101, 104. Stykow, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 107; Bluhm/Fischer, in: ebenda, 10; Philp, in: ebenda, 38; Oswald, in: ebenda, 42; Fischer, in: ebenda, 76 – 79. 100 Bluhm/Fischer, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 10 unter Verweis auf die Elitentheoretiker Michels, Pareto und Mosca. 101 Bluhm/Fischer, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 19. 102 Bluhm/Fischer, in: Bluhm/Fischer, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Macht, 2002, 19; Stykow, in: ebenda, 99, 101; Münkler/Bluhm/Fischer, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen, 2008, 435; vgl. Arnim, NVwZ 2006, 251; Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 98. 103 Schöbel/Krämer, in: Springer Wirtschaftslexikon, 2017; Congleton/Hillman/Konrad, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008, 1; vgl. Buchanan, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008, 55 – 67; alternative Definitionen bei McNutt, Economics of Public Choice, 1996, 137. 104 McNutt, Economics of Public Choice, 1996, 137; Mueller, Public Choice III, 2003, 333. 99

VI. Das Missbrauchsrisiko

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ohne dass dieser Umverteilung eine produktive, volkswirtschaftlichen Mehrwert schaffende Tätigkeit gegenüberstehen würde.105 Die Kosten des Monopols bzw. der marktbeherrschenden Stellung tragen dabei die Konsumenten, die die überhöhten Produktpreise bezahlen.106 Wie sich empirisch nachweisen lässt, handelt es sich bei rent seeking um eine menschliche Grundkonstante.107 Es ist dabei zu erwarten, dass diejenigen, für die es theoretisch möglich ist, eine rent zu erlangen, auch eine erhebliche Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger, die ihnen die rent gewähren können, betreiben werden.108 Das bloße Partikularinteresse der rent seekers wird dabei häufig in eine Rhetorik der gesellschaftlichen Wohlstandsvermehrung gekleidet,109 was insbesondere im Hinblick auf den Begriff des Gemeinwohls als Voraussetzung für die Erteilung der Ministererlaubnis hellhörig werden lässt. Die Public Choice Theorie geht gleichzeitig davon aus, dass es für Politiker rational ist, die Sonderinteressen von im Vergleich zur Gesamtgesellschaft kleinen, gut organisierten Interessengruppen zu berücksichtigen.110 Dem liegt die rational choice basierte Annahme zu Grunde, dass Politiker nutzenmaximierende Akteure sind, und eines ihrer Hauptinteressen in der Sicherung ihrer Wiederwahl zu sehen ist.111 Wenn nun ein Politiker die Sonderinteressen einer verhältnismäßig kleinen Gruppe explizit berücksichtigt, so wird er von dieser Gruppe durch einen Zugewinn an Wählerstimmen belohnt. Gleichzeitig ist meist die überwiegende Mehrheit der Wähler von den Sonderinteressen einer kleinen Gruppe nur marginal berührt, so dass die Gewährung dieser Sonderinteressen die Wahlentscheidung der Mehrheit der Wähler nicht beeinflusst, da sie die Sonderinteressen entweder gar nicht wahrnehmen, oder sich von ihnen nicht betroffen fühlen.112 Eine Ausnahme gilt dann, wenn durch besondere Medienöffentlichkeit eine Skandalisierung der Gewährung von Sonder105 Zu den hierdurch entstehenden Kosten siehe: Tullock, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008; sowie die Aufsätze von Posner, Cowling/ Mueller und Littlechild, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 2, 2008, 45 – 65; 67 – 88 und 89 – 104. 106 Mueller, Public Choice III, 2003, 333; McNutt, Economics of Public Choice, 1996, 138; Posner, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 2, 2008, 45. 107 Congleton/Hillman/Konrad, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008, 1; Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 2, 2008. 108 Mueller, Public Choice III, 2003, 334; Congleton/Hillman/Konrad, in: Congleton/ Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008, 1 – 3. 109 Congleton/Hillman/Konrad, in: Congleton/Hillman/Konrad, 40 Years of Research on Rent Seeking 1, 2008, 2. 110 Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, 147; Mueller, Public Choice III, 2003, 473 ff.; Johnson, Public Choice, 1991, 259 – 261. 111 Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, 1968, 4 – 14. 112 Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, 135, 147; Downs, Ökonomische Theorie der Demokratie, 1968, 45; McNutt, Economics of Public Choice, 1996, 140; zum Begriff der rational ignorance: Johnson, Public Choice, 1991, 142 – 146.

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B. Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB

interessen erfolgt, was zu einem gravierenden Verlust der Wählergunst führen kann.113 Zusammen mit der rent seeking Theorie ergibt sich hieraus, dass nicht nur für private Akteure ein hoher Anreiz besteht, aktiven Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen, um eine rent zu erlangen, sondern dass auch umgekehrt für die politischen Entscheidungsträger ein Anreiz besteht, diese rent zu gewähren, da damit Stimmengewinne oder sonstige Vorteile durch die entsprechenden Interessengruppen verbunden sind, ohne dass der Durchschnittswähler negativ reagieren würde. Konkretes Beispiel im Kontext der Ministererlaubnis ist das Verfahren Edeka/ Tengelmann, in dem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel öffentlich vielfach vorgeworfen wurde, dass er die Ministererlaubnis vor allem deshalb erteile, um als SPD-Vorsitzender Gewerkschaftsinteressen zu dienen.114 4. Fazit Während Korruptionsvorwürfe im strafrechtlichen Sinne somit unbegründet sind, besteht aus der Perspektive der rent seeking Theorie zumindest ein theoretisches Risiko, dass die beteiligten Unternehmen, die durch die Ministererlaubnisentscheidung eine marktbeherrschende Stellung, sprich eine rent erlangen können, Einfluss auf den Minister nehmen, um eine für sie günstige Entscheidung zu erlangen. Nach der Public Choice Theorie liegt es neben anderen Handlungsmotivationen auch im Interesse der Politik, den Wünschen gut organisierter Interessengruppen nachzukommen, um sich so die Unterstützung dieser Gruppen zu sichern. Hieraus ist keineswegs auf einen Missbrauchsautomatismus bei der Vergabe der Ministererlaubnis zu schließen, es besteht aber ein nicht unerhebliches theoretisches Missbrauchsrisiko. In einem politischen oder moralischen Sinne kann dann legitimerweise ein Missbrauchsvorwurf im Sinne des Prinzipal-Agenten-Modells der Neuen Institutionenökonomie erhoben werden, wenn die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers nicht den Interessen des Prinzipals Volk entspricht. Was aber die Interessen des Prinzipals Volk sind, und wann somit ein Missbrauchsvorwurf erhoben werden kann, führt wiederum zu der zentralen Frage zurück, wie der Begriff des Gemeinwohls zu bestimmen ist, womit sich das nächste Kapitel beschäftigt. Allgemein kann dem Missbrauchsrisiko bei der Ausübung der Ministererlaubnis zum einen durch eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf eine politisch unabhängige Instanz, worauf in Kapitel F.III. näher eingegangen wird, und zum anderen durch eine effektive gerichtliche Kontrolle des Verfahrens der Ministerer113

Vgl. Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, 147. Vgl. Böcking, David, Gabriel und die Tengelmann-Übernahme, Das war’s noch nicht, SPIEGEL ONLINE 11. 08. 2016; Zacharakis, Zacharias, Total verrannt, ZEIT ONLINE 12. 07. 2016 (Kommentar); Bünder, Helmut, Gabriels Zwei-Klassen-Gesellschaft, FAZ 19. 03. 2016, S. 19 (Kommentar). 114

VI. Das Missbrauchsrisiko

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laubnis durch das OLG Düsseldorf begegnet werden. Gerade im Verfahren Edeka/ Tengelmann ist das OLG Düsseldorf dieser Aufgabe konsequent nachgekommen und hat die Ministererlaubnis im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit des Ministers für rechtswidrig erklärt.115 Umso wichtiger ist es daher, dass auch zukünftig nach der Änderung des § 63 Abs. 2 S. 2 GWB auf Beschwerde der Konkurrenten hin weiter eine gerichtliche Überprüfung der Ministererlaubnis erfolgt, um so an dieser Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik jeden bösen Schein auszuschließen. Durch die Schaffung einer Karenzzeit von 18 Monaten für Mitglieder der Bundesregierung nach dem Ausscheiden aus dem Amt (§§ 6a – 6d BMinG) hat der Gesetzgeber zudem zwischenzeitlich versucht, einem bösen Schein durch Wechsel von der Politik in die Wirtschaft vorzubeugen.

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OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 47 ff. – Edeka/Tengelmann.

C. Das Gemeinwohl I. Überblick über die drei Modelle des Gemeinwohls Beschäftigt man sich mit dem Begriff des Gemeinwohls in der Neuzeit,1 so lassen sich im Wesentlichen drei Modelle unterscheiden:2 ein substanzialistisches Modell, ein Schnittmengenmodell und ein offenes Modell. Das substanzialistische Modell geht davon aus, dass der Begriff des Gemeinwohls eine ewige, unveränderliche Substanz habe, die als Wahrheit erkennbar und der Zweck des Staates sei.3 Eine substanzialistische Gemeinwohlvorstellung bildete bis in die frühe Neuzeit hinein die Grundlage für den absolutistischen Staat,4 liegt aber auch allen Formen des Totalitarismus zu Grunde.5 So besonders prominent dem Nationalsozialismus mit seiner Formel „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“,6 aber ebenso auch dem Sowjet-Kommunismus.7 Eine demokratische Form des Substanzialismus bildet demgegenüber der Verfassungs-Substanzialismus, der versucht einen materiellen Gehalt des Gemeinwohls aus den Grundnormen der Verfassung abzuleiten. Auch die katholische Staats- und Soziallehre8 ist letztlich eine Ausprägung eines substanzialistischen Gemeinwohlverständnisses.9

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Vgl. zu Antike und Mittelalter Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 248 – 258; Böckenförde, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 43 – 65; Kirner, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 31 – 63; Simon, in: ebenda, 129 – 146; Hibst, Utilitas publica – Gemeiner Nutz – Gemeinwohl, 1991. 2 Buchstein, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn IV, 2002, 218; Jachtenfuchs, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 367. 3 Münkler/Bluhm, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 2001, 9 – 10; Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 17, 716; Grimm, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 126; Fisch, in: Arnim/Sommermann, Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, 51 – 52. 4 Hartung, in: Hartung, Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, 1961, 111; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 256. 5 Vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, 201; Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, 124; Stolleis, APuZ 1978, B 3, 41. 6 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974. 7 Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Stolleis, APuZ 1978, B3, 39. 8 Vgl. zum Gemeinwohlbegriff der katholischen Staats- und Soziallehre Kerber/Schwan/ Hollerbach, Gemeinwohl, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 1986, Sp. 857 – 863.

I. Überblick über die drei Modelle des Gemeinwohls

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Das sogenannte Schnittmengenmodell geht demgegenüber nicht von einem absoluten, unveränderlichen Gemeinwohlbegriff aus, sondern verfolgt ein relatives, letztlich utilitaristisches Gemeinwohlkonzept. Es betrachtet dabei die Schnittmenge der empirisch feststellbaren egoistischen Einzelinteressen und versucht dabei im Vergleich festzustellen, ob der gegenwärtige status quo, oder ein anderer Zustand den größtmöglichen Nutzen erzeugt.10 Disziplinär lässt sich das Schnittmengenmodell in erster Linie der Wirtschaftswissenschaft zuordnen.11 Das offene Modell des Gemeinwohls geht von der grundsätzlichen Offenheit des Gemeinwohlbegriffs in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft aus. An dieser Offenheit des Gemeinwohls wird immer wieder kritisiert, dass der Begriff des Gemeinwohls in der Moderne keinerlei Gehalt habe, und es sich um eine bloße „Leerformel“ handele. Der Begriff des Gemeinwohls könne daher in nahezu beliebiger Weise politisch missbraucht werden, und diene vor allem zur ideologischen und rhetorischen Verbrämung von Einzel- und Gruppeninteressen, die so politisch vor der Allgemeinheit gerechtfertigt und durchgesetzt werden könnten.12 Trotz dieser Kritik wird die Offenheit des Gemeinwohlbegriffs von der überwiegenden Mehrheit als eine Chance für die demokratische Gesellschaft gesehen. Es sei gerade die Aufgabe der Demokratie, das Gemeinwohl als wesentliche normative Leitvorstellung immer wieder im Einzelfall neu auszuhandeln.13 Bei der näheren Vorstellung dieser drei Konzepte wird deutlich, dass der wesentliche Unterschied zwischen ihnen nicht der eigentliche Gehalt des Gemeinwohls ist, sondern wer darüber bestimmt, was der Gehalt des Gemeinwohls ist.14

9 Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 54, 62 – 63; Stolleis, APuZ 1978, B3, 38 – 39. 10 Buchstein, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn IV, 2002, 218; Jachtenfuchs, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 367. 11 Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 289, 293 – 294; Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 160 – 161. 12 Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 177; Anderheiden, in: ebenda, 392; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 34 – 40; Schnur, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 58; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, 479. 13 Siehe beispielsweise Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 10 – 13; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 26; Duppré, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 10; Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 20; Koller, in: ebenda, 42, 68 – 69; wegweisend Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 87 – 100. 14 Stolleis, in: Evangelisches Staatslexikon Band I, 1987, Sp. 1062; Schuppert, in: Universitas 2002, 913; Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, 141.

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C. Das Gemeinwohl

II. Das substanzialistische Modell 1. Die absolutistische Monarchie Die absolutistische Monarchie ist das paradigmatische Beispiel für den substanzialistischen Gemeinwohlbegriff. Zugleich ist sie das exakte Gegenmodell zum modernen offenen Gemeinwohlbegriff und wird stets als historisches Gegenbeispiel zur heutigen Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs genannt.15 Geht man dieser historischen Substanz jedoch nach, und sucht in der Frühen Neuzeit nach einem konkreten und greifbaren Gehalt des Gemeinwohls, so wird man enttäuscht. Zwar wird die zentrale Rolle, die das Gemeinwohl für die absolutistische Monarchie spielte, deutlich: Die Berufung auf das Gemeinwohl war die zentrale Rechtfertigung des gottgewollten Absolutismus in Abgrenzung von einer willkürlichen Despotie.16 Um was es sich bei diesem Gemeinwohl dann aber konkret handelte, bleibt im Vagen. Entscheidend sei, dass der Monarch wisse, dass er nicht für sich selbst existiere, sondern im Dienste der Allgemeinheit stehe. Wie ein Vater dürfe er daher nicht nur auf seinen eigenen Vorteil achten, sondern müsse vor allem auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit Rücksicht nehmen.17 Dies bedeute, dass er sich auch als König an die Regeln der Vernunft und die Gesetze halten müsse, und die persönliche Freiheit und das Eigentum der Untertanen beachten müsse.18 Auch wenn diese Beschreibung des gemeinwohlorientierten Herrschers gerade in Abgrenzung zum willkürlichen und eigensüchtigen Despoten dem Gemeinwohlbegriff gewisse Konturen verleiht, so bleibt dennoch unklar, was denn nun konkret die Substanz des Gemeinwohls ist. Tritt man jedoch einen Schritt zurück, so wird deutlich, dass, wenn vom substanzialistischen Gemeinwohlbegriff des Absolutismus die Rede ist, gar nicht konkrete Güter und Werte gemeint sind, sondern vielmehr die Form des Staates. Jedenfalls in der Theorie der absolutistischen Monarchie ist der Monarch als

15 Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 17, 716; Münkler/Bluhm, in: Münkler/Bluhm/ Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 9; Grimm, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 126; Mayntz, in: Mayntz, Verbände zwischen Mitgliederinteressen und Gemeinwohl, 1992, 18. 16 Hartung, in: Hartung, Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, 1961, 111; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 256; Anderheiden, in: Brugger/Kirste/ Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 391; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 23; Fisch, in: Arnim/ Sommermann, Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, 45; Stolleis, APuZ 1978, B3, 38. 17 Krauth, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 2001, 193 – 195; Fischer, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 68 – 69. 18 Hartung, in: Hartung, Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, 1961, 112.

II. Das substanzialistische Modell

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Stellvertreter Gottes auf Erden identisch mit dem Staat selbst.19 Jenseits und außerhalb des Willens des Monarchen existiert kein Wille des Staates, und damit auch keine Möglichkeit das Gemeinwohl zu bestimmen. Die Bestimmung des Gemeinwohls ist daher Aufgabe des absolutistischen Monarchen, der dabei aber das Wohl der Allgemeinheit im Auge haben muss, und eben nicht wie ein Despot seinen bloßen Eigennutz.20 Eine andere souveräne Instanz, die dieses Gemeinwohl seinem Inhalt und seiner Legitimität nach in Frage stellen könnte, existierte in der absolutistischen Herrschaftstheorie nicht.21 Auch wenn in der Forschung diese Vorstellung des Absolutismus mittlerweile stark in Frage gestellt und die Abhängigkeit des absoluten Monarchen von Aristokratie, Klerus und Bürgertum betont wird,22 kommt es für das Verständnis des modernen, offenen Gemeinwohlbegriffs nicht entscheidend auf die historische Realität an, sondern lediglich auf die Vorstellung, dass im Idealtyp der absolutistischen Monarchie das Gemeinwohl durch den Monarchen vorgegeben war.23 Diese Vorstellung einer Vorgegebenheit der Substanz des Gemeinwohls fungiert als ideengeschichtliches Gegenüber zum modernen, offenen Gemeinwohlbegriff.24 Was die historische Realität angeht, mag es durchaus zutreffen, dass es sich bei der Vorstellung eines substanzialistischen Gemeinwohlbegriffs um nichts weiter als eine „kollektive Phantasie“25 handelt, die aber nichtsdestoweniger als Gegenmodell zur modernen, pluralistischen Gesellschaft eine große ideengeschichtliche Wirkung hat. 2. Gemeinwohl im Nationalsozialismus Der Nationalsozialismus ist das abschreckendste Beispiel der deutschen Rechtsgeschichte für die substanzialistische Bestimmung und Perversion des Gemeinwohlbegriffs.

19

Bohlender, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 2001, 250 – 253; Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 290. 20 Bohlender, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 2001, 250 – 253; Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 290; zum grundlegenden Wandel mit Adam Smith dahin, dass auch die Verfolgung von Eigeninteressen gemeinwohlförderlich sein könne vgl. Münkler/Fischer, in: Universitas 2002, 889. 21 Münkler/Bluhm, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn I, 2001, 9. 22 Henshall, The Myth of Absolutism, 1992. 23 Häberle Rechtstheorie 1983, 268 – 269; Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 5. 24 Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 9. 25 Barlösius, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 222.

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C. Das Gemeinwohl

Ausgehend von Art. 24 des NSDAP-Parteiprogramms von 1920 wurde die Formel „Gemeinnutz vor Eigennutz“ zu einem der zentralen Rechts- und Glaubenssätze des Nationalsozialismus, der bald die gesamte Rechtsordnung durchzog.26 Während bis 1933 der Begriff des Gemeinwohls nahezu ausschließlich im Kartell-, Enteignungs-, Polizei- und Wasserrecht benutzt worden war, breitete er sich in der Folgezeit schnell aus, und wurde zu einem Kernbegriff der Propaganda und der Gesetzgebung.27 Nicht nur wurde der Begriff des Gemeinwohls nun in eine Vielzahl von Gesetzen aufgenommen, sondern die Formel des „Gemeinnutz vor Eigennutz“ wurde selbst zur Auslegungsmethode.28 Das Spannungsverhältnis aus der inhaltlichen Offenheit des Gemeinwohlbegriffs und der monopolistischen Definitionsmacht der NS-Führungsriege führte dazu, dass im Namen der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft jegliche Rechtsanwendung im Sinne Adolf Hitlers pervertiert werden konnte.29 Die Formel des Gemeinnutzes ging dabei allen anderen rechtlichen Normen vor, und der Rechtshistoriker Michael Stolleis geht sogar so weit zu sagen, dass die Gemeinnutz-Formel „den einzig substantiellen Satz des nationalsozialistischen Staatsrechts gebildet [hat].“30 Gerade weil der Begriff des Gemeinnutzes und des Gemeinwohls eine derart zentrale Rolle in der Ideologie des Nationalsozialismus gespielt hatte, bestanden erhebliche Bedenken, diesen Begriff nach 1945 weiterzuverwenden.31 Unter Berufung auf einen naturrechtlichen und auf der katholischen Soziallehre32 beruhenden Gemeinwohlbegriff wurde dieser dennoch in den westdeutschen Landesverfassungen33 reichlich verwendet.34 Entscheidendes Argument war, dass der Gemeinwohlbegriff zwar inhaltlich schwer zu bestimmen sei, als rechtlich-normative Leitvorstellung für ein Gemeinwesen aber unentbehrlich sei, und nach dem Missbrauch durch die Nationalsozialisten nun zu der ursprünglichen Idee des Gemeinwohls zurückzukehren sei, ohne dass dabei notwendigerweise näher bestimmt

26 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 76, 78; Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 289; Hofmann, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 27; Graf, Universitas 2002, 897. 27 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 2. 28 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 84 – 85. 29 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 299; Stolleis, in: Evangelisches Staatslexikon, Band I, 1987, Sp. 1062; Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/ Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 9; Hofmann, in: ebenda, 27. 30 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 225. 31 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 2 – 3. 32 Diese hält an der schon vor dem Nationalsozialismus verwendeten Formel „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ fest, vgl. Kerber/Schwan/Hollerbach, Gemeinwohl, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 1986, Sp. 858; Stolleis, APuZ 1978, B3, 38 – 39. 33 Überblick bei Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 13 – 16. 34 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 4.

II. Das substanzialistische Modell

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wurde, was dies denn nun in concreto sei.35 Damit wurde die Grundlage für den modernen, offenen Gemeinwohlbegriff, wie auch für die Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs aus dem Grundgesetz heraus gelegt. Trotz dieser „Entnazifizierung“ des Gemeinwohlbegriffs wurde auch in den 1960er Jahren noch kritisiert, dass das Gemeinwohl als Tatbestandsmerkmal des einfachen Rechts oft ein Überrest des Nationalsozialismus sei, und als nationalsozialistisches Introjekt im demokratischen Rechtsstaat fehl am Platze sei.36 3. Verfassungs-Substanzialismus Seit Gründung der Bundesrepublik wird versucht, eine materielle Substanz des Gemeinwohls aus der Verfassung abzuleiten.37 Dabei können materielle Gemeinwohlgehalte sowohl unmittelbar der Verfassung, als auch mittelbar der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen werden. a) Das Grundgesetz In einer sehr allgemeinen Perspektive werden dabei die Grundwerte einer geordneten Verfassung als Gehalt des Gemeinwohls angesehen, so Gerechtigkeit, Gleichheit, Verhältnismäßigkeit, Rechtssicherheit, Rechtsfrieden, Existenzsicherung, Wohlfahrt, Solidarität und Subsidiarität.38 Konkret auf das Grundgesetz bezogen werden vor allem die objektive Werteordnung der Grundrechte und die Staatsstrukturprinzipien als Gemeinwohlgehalt angesehen.39 Allen voran steht hierbei die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG. In besonderer Hervorhebung schließen sich hieran die Grundrechte als Schutzpflichten des Staates (z. B. Schutz der körperlichen Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Gleichstellung der unehelichen Kinder Art. 6 Abs. 5 GG) sowie als negative Abwehrrechte (z. B. Schutz des Eigentums Art. 14 GG) an.40 Art. 14 Abs. 2 und 3 GG sind dabei die einzigen 35

Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 4 – 5. Rupp, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 122. 37 Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 716; Kirste, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 354 – 357; Anderheiden, in: ebenda, 394; Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 180, 192; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 93 ff.; Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 35 – 47; Isensee, in: Arnim/Sommermann, Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, 102 – 103. 38 Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 69 – 70 m.w.N.; Schuppert, in: Anheier/Then, Zwischen Eigennutz und Gemeinwohl, 2004, 34. 39 Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 180 – 181; Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 104. 40 Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 181. 36

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C. Das Gemeinwohl

grundrechtlichen Bestimmungen, die explizit einen Bezug zum Gemeinwohl herstellen.41 Als weiterer substanzieller Gehalt des grundgesetzlichen Gemeinwohls werden die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG, wie Rechtsstaat, Demokratie, Sozialstaat, Föderalismus und Gewaltenteilung, sowie die weiteren Staatsstrukturprinzipien aus Art. 20a GG, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlage und der Tierschutz, genannt.42 Sodann lassen sich noch weitere ebenfalls vom verfassungsrechtlichen Gemeinwohl umfasste Staatszielbestimmungen aus den übrigen Normen des Grundgesetzes ableiten. So nennen unter ausdrücklichem Bezug auf das Wohl der Allgemeinheit Art. 87e Abs. 4 GG den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes des Bundes und Art. 87 f Abs. 1 GG die flächendenkende Versorgung mit Postwesen und Telekommunikation.43 Neben diesen expliziten Konkretisierungen des Gemeinwohlbegriffs durch die Verfassung selbst, lassen sich auch aus den übrigen Normen des Grundgesetzes durch Auslegung (und wohl auch ein gewisses Maß an Kreativität) weitere materielle Gemeinwohlgehalte ableiten, so etwa die grundgesetzliche Akzeptanz der friedlichen Nutzung der Kernenergie (Art. 87c GG)44, der Schutz der Jugend (Art. 5 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 7 GG), die Behebung der Raumnot (Art. 13 Abs. 7 GG), oder die Sicherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der Lehrkräfte (Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG).45 Problematisch ist hieran, dass je mehr grundgesetzlich verankerte Gemeinwohlgehalte identifiziert werden, der Versuch einer substanzialistischen Gemeinwohlbestimmung durch die Verfassung immer mehr in die Beliebigkeit abdriftet. Wenn alles ein Gemeinwohlbelang ist, so ist letztlich nichts ein Gemeinwohlbelang, da jegliches Unterscheidungskriterium verloren geht. Noch dazu fällt bei einer weiteren Ausdehnung mehr und mehr auf, dass es offenbar vom Zufall abhängig war, welche Gemeinwohlgüter bei der Schaffung des Grundgesetzes in der einen oder anderen Norm angesprochen wurden und welche nicht.46

41 Speziell hierzu vgl. Bumke, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 179 – 229; Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 1970, 68 – 106; Huber, ZSR N.F. 1965, 39 – 72. 42 Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 182 – 183. 43 Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 183. 44 Uerpmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 183 – 184. 45 Letztere Beispiele und noch weitere siehe Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 106; ähnlich Grimm, in: Münkler/ Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 132 – 134. 46 Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 106 – 107.

II. Das substanzialistische Modell

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b) Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts Verkompliziert wird die Lage noch, wenn man die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts mit einbezieht. Aussagen zum Gemeinwohl trifft das Bundesverfassungsgericht vor allem im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit staatlicher Grundrechtseingriffe, die stets durch ein legitimes Allgemeinwohlinteresse gerechtfertigt sein müssen.47 Insbesondere bei der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Apotheken-Urteils die sogenannte Drei-Stufen-Theorie zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit entwickelt.48 Hierbei unterscheidet das Bundesverfassungsgericht zwischen Berufsausübungsregeln, die zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit gerechtfertigt sind, subjektiven Berufszulassungsregeln, die durch überragende Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt sein müssen, und objektiven Berufszulassungsregeln, für die die „Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher, schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ erforderlich ist.49 Ein solches überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes die Volksgesundheit50 oder aber auch die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Verkehrs, insbesondere des Taxigewerbes51. Zu beachten ist hierbei, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gemeinwohl letztlich das ist, was der Gesetzgeber als zuständige Instanz als solches bestimmt. Dem Gesetzgeber wird dabei ein grundsätzlich weiter Einschätzungsspielraum zugestanden. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich letztlich auf eine Art Negativkontrolle an Hand der Werteordnung des Grundgesetzes.52 Die vom Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen anerkannten Gemeinwohlgründe sind äußerst vielfältig.53 Sie beinhalten neben der schon genannten Volksgesundheit54 die Vermeidung von Arbeitslosigkeit,55 die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht,56 den Braunkohletage-

47 Z. B. BVerfG, 11. 06. 1958, 1 BvR 596/56, juris, Tz. 76 ff. – Apothekenurteil; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 107; Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 103; vgl. Engel, in: Jestaedt/Lepsius, Verhältnismäßigkeit, 2015, 97 – 128; Häberle, AöR 1970, 98. 48 BVerfG, 11. 06. 1958, 1 BvR 596/56, juris, Tz. 76 ff. – Apothekenurteil. 49 BVerfG, 11. 06. 1958, 1 BvR 596/56, juris, Tz. 76 – 77, 78, 79 – Apothekenurteil. 50 BVerfG, 11. 06. 1958, 1 BvR 596/56, juris, Tz. 96 – Apothekenurteil. 51 BVerfG, 08. 06. 1960, 1 BvL 53/55, juris, Tz. 36 – Taxi-Beschluss. 52 Häberle, AöR 1970, 101. 53 Die folgenden Hinweise auf einzelne Entscheidungen wurden teilweise Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 112 – 118 entnommen. 54 BVerfG, 10. 05. 1988, 1 BvR 482/84, juris, Tz. 42 – Heilpraktikergesetz. 55 BVerfG, 04. 04. 1967, 1 BvR 126/65, juris, Tz. 24 – 25 – Führungskräfte der Wirtschaft. 56 BVerfG, 28. 03. 2006, 1 BvR 1054/01, juris, Tz. 98 ff. – Sportwettenmonopol.

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C. Das Gemeinwohl

bau, die Wasserwirtschaft und den Denkmalschutz,57 die Effektivierung der Strafverfolgung und die Arbeit der Geheimdienste,58 aber auch den Schutz der Intimsphäre von Ehegatten59. Diese Liste ließe sich problemlos in noch deutlich größerer Länge fortsetzen,60 und zeigt, dass nahezu jeder Grundrechtseingriff auf die eine oder andere Weise auf das Gemeinwohl zurückgeführt werden kann. Eine Antwort auf die Frage nach der Substanz des Gemeinwohls lässt sich dann aber auch aus der Verfassung und der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nur begrenzt ableiten. Zwar kann man jedenfalls die Staatsstrukturprinzipien und die Grundrechte als Kern des grundgesetzlichen Gemeinwohlbegriffs identifizieren, der durch Art. 79 Abs. 3 GG auch im Grundgesetz besonders hervorgehoben ist.61 Jenseits dessen läuft aber jede weitere Konkretisierung Gefahr, in die Beliebigkeit abzudriften. Sowohl innerhalb der Verfassung als auch innerhalb der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts taucht schnell eine derart große Zahl möglicher Gemeinwohlgüter auf, dass nahezu jeder Belang in der einen oder anderen Form als Gemeinwohlgut gerechtfertigt werden kann. Auch wenn dies an sich nicht falsch sein mag, da tatsächlich wohl die meisten Belange in der einen oder anderen Form einen Bezug zum Gemeinwohl aufweisen, so hilft eine lange Liste an Gemeinwohlgütern doch gerade bei Kollisionsfällen, in denen ein Gemeinwohlgut einem anderen vorgezogen werden muss, nicht weiter.62 Das Bundesverfassungsgericht mag in der Lage sein, diese Kollisionsfragen im Einzelfall im Wege der praktischen Konkordanz und durch Abwägung zu lösen.63 Wie die immer wieder auftretenden Sondervoten zeigen, ist dieser Vorgang jedoch höchst subjektiv und mit der jeweiligen Person der Richter verbunden. Bei der Ministererlaubnis nach § 42 GWB liegt stets ein Kollisionsfall verschiedener Gemeinwohlgüter vor. Immer geht es darum, ob dem Schutz des Wettbewerbs oder einem anderen Gemeinwohlgut im konkreten Fall der Vorzug zu geben 57

Sämtliche drei siehe BVerfG, 17. 12. 2013, 1 BvR 3139/08, juris, Tz. 216 – Braunkohletagebau. 58 BVerfG, 02. 03. 2010, 1 BvR 256/08, juris, Tz. 298 – Vorratsdatenspeicherung. 59 BVerfG, 20. 04. 1966, 1 BvR 20/62, juris, Tz. 9 – Ehemäklerlohn. 60 Eine oberflächliche juris-Recherche mit den Schlagworten „BVerfG“ und „Allgemeinwohl“ ergibt allein 251 Treffer. Den Versuch einer Systematik unternimmt Engel, in: Brugger/ Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 142 – 148; vgl. Kirste, in: ebenda, 342 – 353; Grimm, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 134 – 138. 61 Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 178. 62 Engel, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 137; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 42; Michael, Rechtssetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, 236. 63 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 44; Uerpmann, in: ebenda, 192.

II. Das substanzialistische Modell

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ist. Eine aus der Verfassung und der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts abgeleitete Liste mit potentiellen Gemeinwohlgütern hilft hier also wenig weiter, da weiterhin das Problem besteht, dass dem Minister bei der Abwägung zwischen den verschiedenen Gemeinwohlgütern keine klaren Kriterien zur Verfügung stehen, und er auch nicht über die jahrzehntelange rechtliche Ausbildung und Erfahrung, sowie die politische und richterliche Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts verfügt. Eine substanzialistische Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs aus der Verfassung hilft für § 42 GWB also lediglich insofern weiter, als man bestimmte Belange, die keinerlei Rückhalt in der Verfassung oder in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts haben, im Sinne einer Negativkontrolle ausscheiden kann.64 In diese Richtung ist wohl auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12. 07. 2016 zu verstehen, die die rechtliche Auslegung des Gemeinwohlbegriffs in § 42 GWB der vollen gerichtlichen Nachprüfbarkeit unterworfen hat, um sodann den Schutz tariflicher Arbeitnehmerrechte hiervon auszuscheiden, da Art. 9 Abs. 3 GG positive und negative Koalitionsfreiheit gleichermaßen schütze.65 In Anbetracht der langen Liste der im Grundgesetz und in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichtes anerkannten Gemeinwohlgründe dürfte eine solche Negativprobe jenseits eindeutiger Verstöße gegen Grundrechte und Staatsstrukturprinzipien aber nur selten Erfolg haben. c) Das Drei-Säulen-Modell Winfried Bruggers Doch auch über eine solche Negativprobe hinaus lässt sich aus der Substanz des Grundgesetzes ein positiver Gehalt für die Bestimmung des Gemeinwohls gerade auch in Konfliktfällen ableiten. Hilfreich ist hier das Drei-Säulen-Modell des Rechtsphilosophen Winfried Brugger.66 Winfried Brugger unterteilt sein Konzept des Gemeinwohls in drei Säulen, die er jeweils einem spezifischen Diskurs zuordnet. Diese drei Säulen sind Rechtssicherheit, Legitimität und Zweckmäßigkeit. Unter Rechtssicherheit versteht er einen juristischen Kern des Gemeinwohls im Sinne von Bedeutungssicherheit, Rechtsdurchsetzung und stabilen Regelungen, der dementsprechend dem juristischen Diskurs zugewiesen ist.67 Die Säule der Rechtssicherheit garantiert damit die Verfahrensregeln innerhalb eines Gemeinwe64 Vgl. Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 31 – 32. 65 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart 3/16, juris, Tz. 81 – Edeka/Tengelmann; kritisch Säcker, BB 2016, 1862 unter Verweis auf u. a. BAG, 18. 03. 2009, Az. 4 AZR 64/08, juris, Tz. 36 ff.; 15. 04. 2015, Az. 4 AZR 796/13, juris, Tz. 47. 66 Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 45 – 71; vgl. Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 17 – 40; Brugger, in: Müller-Graf/ Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2000, 15 – 34. 67 Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 51, 63; Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 26.

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C. Das Gemeinwohl

sens und umfasst damit gerade die in den Grundrechten und Staatsstrukturprinzipien verkörperten demokratischen Verfahrens- und Beteiligungsrechte. In der Säule der Legitimität geht es darum, welche Ziele ein Gemeinwesen hat, was also das Gemeinwohlgut ist, das das Gemeinwesen anderen Gemeinwohlgütern vorzieht. Es handelt sich damit um einen primär politischen Diskurs, der sich in der öffentlichen Meinung vollzieht.68 In diesem Prozess sollen, vermittelt über die Medien und die Parteien, alle zu Wort kommen, um so einen offenen Argumentations- und Entscheidungsprozess aller Betroffenen, nämlich aller Bürger, zu gewährleisten.69 Die dritte Säule des Gemeinwohlmodells von Winfried Brugger ist die Zweckmäßigkeit. Hierbei geht es um eine effiziente Erreichung der in der zweiten Säule durch den öffentlichen Diskurs festgelegten Gemeinwohlziele.70 Der der dritten Säule zugeordnete Diskurs ist daher ein sozialwissenschaftlicher Expertendiskurs, in dem also Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, und Politikwissenschaftler bestimmen, durch welche praktische Umsetzung die Gemeinwohlziele am effizientesten erreicht werden können.71 Tabelle 1 Die drei Säulen des Gemeinwohls72 1. Säule: Rechtssicherheit ! Verfahrensregeln

2. Säule: Legitimität ! Zielbestimmung: Welches Gemeinwohlgut soll anderen Gemeinwohlgütern vorgezogen werden?

3. Säule: Zweckmäßigkeit ! Effiziente Umsetzung

1. Juristischer Diskurs

2. Politischer Diskurs

! Gerichte und Rechtswissenschaft

! Öffentliche Meinung und Demokratie

3. Sozialwissenschaftlicher Diskurs ! wissenschaftliche Politikberatung

Wenn man sich diesem von Winfried Brugger entwickelten Modell anschließt, so besteht die verfassungsrechtliche Substanz des Gemeinwohlbegriffs vor allem in den in Grundrechten und Staatsstrukturprinzipien niedergelegten Verfahrens- und Beteiligungsrechten, die dafür erforderlich sind, dass auf einer zweiten Stufe in einem diskursiven, deliberativen Verfahren das Gemeinwohl in der öffentlichen Meinung 68

Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 53, 60. Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 27 – 33. 70 Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 56. 71 Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 63; Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 35. 72 Tabelle angelehnt an Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 66 – 67 mit Modifikationen durch den Autor. 69

III. Das Schnittmengenmodell

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bestimmt werden kann.73 Mit diesem offenen Gemeinwohlbegriff kann auch das überragende Interesse der Allgemeinheit in § 42 GWB in demokratischer Weise bestimmt und konkretisiert werden. Bevor auf dieses offene Modell des Gemeinwohls näher eingegangen wird, soll aber noch das utilitaristische Schnittmengenmodell vorgestellt werden.

III. Das Schnittmengenmodell Das utilitaristische Schnittmengenmodell versucht das Gemeinwohl aus den Interessen der Einzelpersonen abzuleiten, um so den aggregierten Gesamtnutzen zu maximieren.74 Hieraus soll sodann in eindeutiger und wissenschaftlicher Weise abgeleitet werden können, ob eine politische Maßnahme das Gemeinwohl fördert oder nicht.75 In der sogenannten „alten“ Wohlfahrtsökonomik ging man dabei davon aus, dass das Gemeinwohl als das größte Glück der größten Zahl zu verstehen sei, und somit durch die Addition des individuellen Nutzens bestimmt werden könne.76 Diese Methode scheitert jedoch daran, dass es keinen gemeinsamen Nenner für die Messung individuellen Nutzens gibt. Definitionsgemäß ist dieser stets subjektiv und lässt sich daher nicht in objektiv vergleichbarer Weise messen. Die sogenannte „neue“ Wohlfahrtsökonomik ist daher dazu übergegangen, nicht mehr den aufaddierten Gesamtnutzen einer Gesellschaft zu vergleichen, sondern nur noch die individuelle Veränderung im Zustand der Einzelpersonen.77 Bei einem solchen Vergleich bieten vor allem das Pareto-Optimum und das Kaldor-Hicks-Kriterium Entscheidungsregeln dafür an, ob eine politische Maßnahme gemeinwohlförderlich ist oder nicht. 1. Pareto-Optimum Das nach dem italienischen Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Vilfredo Pareto benannte Pareto-Optimum geht davon aus, dass Zustand A gegenüber Zustand B dann vorzugswürdig ist, wenn in Zustand A mindestens eine Person besser 73

So auch Häberle, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 102; vgl. Stolleis, Verwaltungsarchiv 1974, 14. 74 Mayntz, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 114. 75 Welzel, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 112 – 114; Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 291. 76 Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 160 m.w.N.; Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 291. 77 Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 293; Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 160 – 161 m.w.N.

52

C. Das Gemeinwohl

gestellt ist als in Zustand B und gleichzeitig niemand schlechter gestellt ist.78 Dieses Pareto-Optimum ist an und für sich wenig umstritten. Probleme beginnen aber bei der praktischen Umsetzung. Zum einen ist in der Realität kaum eine politische Maßnahme vorstellbar, die nicht zumindest eine Person schlechter stellt. Zum anderen gibt das Pareto-Optimum kein Kriterium an die Hand, wie zwischen verschiedenen pareto-optimalen Zuständen ausgewählt werden kann.79 Noch dazu schließt das Pareto-Optimum jede Form von Veränderung aus, bei der einige Individuen Gewinner sind, andere aber Verlierer. Jede Form von für Einzelne schmerzhafter Veränderung wird somit ausgeschlossen, was zu einem extremen gesellschaftlichen Konservativismus führt.80 Da das Pareto-Optimum aus diesen Gründen wenig praxistauglich ist, ist daneben das flexiblere Kaldor-Hicks-Kriterium entwickelt worden. 2. Kaldor-Hicks-Kriterium Das Kaldor-Hicks-Kriterium besagt, dass ein Übergang von Zustand B zu Zustand A dann wünschenswert ist, wenn die Verbesserungen für die in Zustand A privilegierten Personen so groß sind, dass diese an die schlechter als zuvor gestellten Personen so große Ausgleichszahlungen leisten können, dass die Schlechterstellung ausgeglichen wird, und es den Privilegierten nach Zahlung immer noch besser geht als in Zustand B.81 Im Unterschied zum Pareto-Optimum ermöglicht das Kaldor-Hicks-Kriterium damit also auch Veränderungen, die einen Teil der Bevölkerung benachteiligen, und ist damit deutlich fortschrittsorientierter und praxistauglicher. Dennoch weist auch das Kaldor-Hicks-Kriterium erhebliche praktische Probleme auf. So ist zunächst schon unklar, wie gemessen werden kann, um wie viel schlechter eine Person gestellt ist, und welche monetäre Ausgleichszahlung sie erhalten muss. Solange man sich hierbei rein auf die Veränderung der finanziellen Lage beschränkt, ist dies noch realisierbar, sobald man aber die Veränderung des individuellen Nutzens als Kriterium wählt, steht man wiederum vor dem unlösbaren Problem, dass hierfür kein objektiv verallgemeinerbarer Maßstab existiert.82 78

161.

Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002,

79 Wegen des sogenannten Arrow-Theorems scheidet ab drei Zuständen zur Auswahl auch eine demokratische Abstimmung aus, vgl. Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 294. 80 Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 161. 81 Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 294; Kaldor, Economic Journal 1939, 549 – 552, insbs. 550 – 551; Hicks, Economic Journal 1939, 696 – 712, insbs. 711. 82 Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 163.

III. Das Schnittmengenmodell

53

Ein weiteres großes Problem ist, dass der Erfolg dieses Modells die Bereitschaft der Privilegierten voraussetzt, einen Großteil ihrer Gewinne an die schlechter Gestellten abzugeben. In der Theorie mag dies plausibel erscheinen, da die Privilegierten selbst nach den Ausgleichszahlungen immer noch besser stünden als zuvor. In der politischen Realität ist es aber zweifelhaft, ob die Privilegierten tatsächlich bereit sind, diese Ausgleichszahlungen zu leisten, und ob die Schlechtergestellten damit einverstanden wären, dass es ihnen erst schlechter geht, und sie nur durch Ausgleichszahlungen der Privilegierten überhaupt ihren Status halten können. Während das Kaldor-Hicks-Kriterium also deutlich fortschrittsorientierter und realitätsnäher als das Pareto-Optimum ist, begegnet seine praktische Umsetzung damit dennoch erheblichen Bedenken. 3. Fazit Auf den ersten Blick ist es extrem verlockend das Gemeinwohl durch einen Vergleich der Veränderung des individuellen Einzelnutzens in wissenschaftlich exakter und damit auch politisch nahezu unangreifbarer Weise zu bestimmen. In praktischer Hinsicht begegnen diese Ansätze aber erheblichen Problemen. Neben den beiden hier im Detail vorgestellten Methoden, gibt es noch viele weitere wissenschaftliche Modelle um das Gemeinwohl zu optimieren. Zu den prominentesten unter ihnen zählt die auf optimale Ressourcennutzung ausgelegte neoklassische Wirtschaftstheorie.83 Auch dieses Modell stellt jedoch vor allem in der Theorie ein idealtypisches Modell der effektiven Ressourcenallokation dar, scheitert in der praktischen Umsetzung sodann jedoch an politischen Realitäten.84 So faszinierend es daher ist, den Begriff des Gemeinwohls „am grünen Tisch“ wissenschaftlich exakt zu bestimmen und sodann technisch an die Optimierung der Realität zu gehen, so ist dies doch praktisch nicht umsetzbar, da sich alle Individuen demokratisch darauf geeinigt haben müssten, dieses Vorgehen zu wählen. Letztlich handelt es sich bei diesen Modellen und wissenschaftlichen Bestimmungsversuchen somit nicht um den Gemeinwohlgehalt, sondern nur um einen möglichen Gemeinwohlgehalt, der Teil der gesellschaftlichen Diskussion über das Gemeinwohl ist, und zumindest theoretisch auch das Ergebnis einer prozeduralen Bestimmung des Gemeinwohlgehaltes durch die öffentliche Diskussion sein könnte. Die hier vorgestellten Modelle sind somit nicht das Gemeinwohl selbst, sondern vielmehr Argumentationstopoi in einer Diskussion darüber, was im Einzelfall als das überragende Interesse der Allgemeinheit angesehen werden kann. 83 Vgl. Kirchner, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 159 – 160; vgl. auch die kontrovers diskutierte Alternative der Gemeinwohlökonomie, https://www.ecogood.org/de/, 29. 11. 2018. 84 Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 310.

54

C. Das Gemeinwohl

4. Exkurs: Der Gemeinwohlbegriff in der Kartellverordnung von 1923 und die „Leerformel“-Kritik Historisch interessant und das Verständnis vertiefend ist es, sich mit dem ebenfalls sehr technisch definierten Gemeinwohlbegriff der Kartellverordnung von 1923 und der Tradition der „Leerformel“-Kritik zu beschäftigen.85 Die Kartellverordnung von 192386 ging anders als das heutige GWB von der grundsätzlichen Zulässigkeit von Kartellen aus. Nur ausnahmsweise war der Reichswirtschaftsminister nach § 4 KartVO berechtigt, beim Kartellgericht die Nichtigerklärung eines Kartellvertrags oder die Untersagung einer bestimmten Art seiner Ausführung zu beantragen, wenn der Vertrag oder seine Ausführung die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl gefährdeten. Die Situation war also genau spiegelbildlich zur heutigen, in der Wettbewerbsbeschränkungen grundsätzlich untersagt sind, ein Unternehmenszusammenschluss mit marktbeherrschender Stellung nach § 42 GWB aber ausnahmsweise aus überragenden Allgemeinwohlinteressen durch den Bundeswirtschaftsminister genehmigt werden kann. In § 4 Abs. 2 KartVO erfolgte eine Legaldefinition der Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls: „Die Gesamtwirtschaft oder das Gemeinwohl ist insbesondere dann als gefährdet anzusehen, wenn in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise die Erzeugung oder der Absatz eingeschränkt, die Preise gesteigert oder hochgehalten oder im Falle wertbeständiger Preisstellung Zuschläge für Wagnisse (Risiken) eingerechnet werden oder wenn die wirtschaftliche Freiheit durch Sperren im Einkauf oder Verkauf oder durch Festsetzung unterschiedlicher Preise oder Bedingungen unbillig beeinträchtigt wird.“

In der Praxis war § 4 KartVO von äußerst geringer Bedeutung. Bis 1927 kam er nur einmal zur Anwendung, nämlich im Falle des Kartells der Berliner Asphaltfabriken.87 Dennoch beschäftigte sich die Wissenschaft ausgiebig mit der Frage nach durch das Gemeinwohl gerechtfertigten staatlichen Eingriffen in das Recht der Wirtschaft.88 Trotz der verhältnismäßig technischen Legaldefinition in § 4 Abs. 2 KartVO erfuhr die Unbestimmtheit des Begriffs des Gemeinwohls heftige Kritik. So wurde davor gewarnt, dass der Gemeinwohlbegriff keine Blankovorschrift zur Volksbeglückung sein dürfe.89 Ganz grundsätzlich wurde am Gemeinwohlbegriff kritisiert, dass es sich um eine bloße „Phrase“ handele, unter der jeder etwas anderes 85 Die folgende Darstellung folgt im Wesentlichen Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 157 – 162. 86 Gesetzestext vgl. Hempfing, Die Kartellverordnung, 1930, 1 – 2. 87 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 157. 88 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 158. 89 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 159.

III. Das Schnittmengenmodell

55

verstehe.90 Schon empirisch sei das Gemeinwohl nicht nachweisbar, vielmehr würden stets nur Individual- oder Gruppeninteressen existieren, die sich hinter dem Begriff des Gemeinwohls verbergen und tarnen.91 Letztlich wurde diese scharfe Kritik am Gemeinwohl aber schon damals von der wissenschaftlichen Mehrheit als „liberalistisch“ und unbegründet zurückgewiesen. Es wurde abgestritten, dass es sich beim Gemeinwohl um eine bloße Leerformel handele. Selbst wenn man in der Realität nur Gruppeninteressen feststellen könne, so sei das Gemeinwohl doch als ethisch-soziale Leitkategorie dringend erforderlich, und daher als Rechtsbegriff und Eingriffsvoraussetzung beizubehalten.92 Hinter diesem vordergründig juristischen Streit um Begriffsdefinitionen stand auch ein Streit um Gesellschaftssysteme. Die Kritiker des Gemeinwohlbegriffs waren Anhänger des Wirtschaftsliberalismus, wohingegen die Befürworter des Gemeinwohlbegriffs vom Ende des Liberalismus überzeugt waren, und ihre Hoffnungen auf das Entstehen einer Planwirtschaft oder eines deutschen oder ständischen Sozialismus setzten,93 was in Form des staatlich gelenkten Wirtschaftssystems des Nationalsozialismus sodann auch eintrat. Obwohl die extremen Zeiten der Weimarer Republik Geschichte sind, ist die Kritik am Gemeinwohlbegriff als „Leerformel“ nach wie vor aktuell. Ebenso wie damals und vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Missbrauchs des Gemeinwohlbegriffs noch umso mehr, wird der Gemeinwohlbegriff häufig als absolut inhaltsleer und für ideologische Zwecke in beliebiger Weise instrumentalisierbar kritisiert.94 Wer auch immer seine Partikularinteressen durchsetzen wolle, könne und werde sich gerade auf das Gemeinwohl berufen, insbesondere auch dann, wenn es eigentlich um gemeinwohlschädliches rent seeking gehe.95 Dieser harschen Kritik wird von der überwiegenden Mehrheit jedoch auch heute entgegengehalten, dass der Gemeinwohlbegriff als normativ-soziale Leitkategorie in einer Demokratie unverzichtbar sei. Sein Gehalt bestehe dabei zum einen in dem schon angesprochenen Verfassungs-Substanzialismus, zum anderen aber auch in 90

Vgl. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 159 – 160. Liefmann, in: Lüthje, Volkswirtschaftliches Interesse, Gesamtinteresse und Gemeinwohl, 1931, 3; Lüthje, Volkswirtschaftliches Interesse, Gesamtinteresse und Gemeinwohl, 1931, 218 – 220; Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 2003, 153; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, 479. 92 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 161. 93 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974, 161. 94 Vgl. Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 177; Anderheiden, in: ebenda, 392 – 393; Kirchgässner, in: ebenda, 290; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 34 – 40; Schnur, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 58. 95 Kirchgässner, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 290; Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1946, 399; vgl. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1923, 479. 91

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C. Das Gemeinwohl

dem in einer pluralistischen Gesellschaft immer wieder in einem Prozess neu auszuhandelnden Gemeinwohlgehalt im Einzelfall.96

IV. Das offene Modell Das offene Modell des Gemeinwohls geht davon aus, dass die Gemeinwohldefinition in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft nicht objektiv gegeben ist, insbesondere auch nicht von einem Monarchen oder Führer vorgegeben werden kann, sondern vielmehr in jedem Einzelfall in einem diskursiven Prozess bestimmt werden muss.97 1. Die Notwendigkeit eines offenen Gemeinwohlbegriffs Für die Annahme eines offenen Gemeinwohlbegriffs spricht die empirische Notwendigkeit. Würde man von einem feststehenden Gemeinwohlbegriff ausgehen, so wäre die Frage nach dem Gemeinwohl eine Wahrheitsfrage, die objektiv eindeutig beantwortet werden könnte. Dem widerspricht jedoch die Realität einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft, in der jedes Individuum seine eigene Vorstellung vom Gemeinwohl hat. Dabei kann es sich um normative Ideen, aber auch um materielle Interessen handeln.98 Diese in einer Gesellschaft vorhandenen individuellen Gemeinwohlvorstellungen sind so unterschiedlich, dass sie sich ohne Brüche, Veränderungen und Kompromisse 96

Welzel, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 110 – 112; Fuchs, in: ebenda, 92 – 93, 100; Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 716; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Brugger, in: Brugger/ Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 20; Koller, in: ebenda, 42, 68 – 69; Calliess, in: ebenda, 178; Ladeur, in: ebenda, 269 – 270; Schuppert, in: Anheier/Ther, Zwischen Eigennutz und Gemeinwohl, 2004, 38; Knöpfle, WuW 1974, 13; Häberle, Rechtstheorie 1983, 272 – 273; Isensee, in: Arnim/Sommermann, Gemeinwohlgefährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, 96 – 98; Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, 238; vgl. Häberle, JZ 1975, 297. 97 Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 87 – 100; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 9; Mayntz, in: ebenda, 112; Schuppert, in: ebenda, 72 – 75, 80; Häberle, in: ebenda, 102 – 103; Grimm, in: ebenda, 126 – 127; Calliess, in: Brugger/Kirste/ Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 178; Ladeur, in: ebenda, 269 – 270; Häberle, Rechtstheorie 1983, 273; Stolleis, Verwaltungsarchiv 1974, 8; vgl. Häberle, JZ 1975, 297; zur Öffentlichkeitsbeteiligung und Gemeinwohlbestimmung im Umweltrecht Michael, in: FS Häberle, 2004, 442 – 446; vgl. allgemein auch das von John Rawls entwickelte Modell des „veil of ignorance“, Rawls, A Theory of Justice, 1991, 118 – 123. 98 Engel, Rechtstheorie 2001, 26 – 27; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 21.

IV. Das offene Modell

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nicht in Übereinstimmung bringen lassen.99 Ohne einen Aushandlungsprozess existiert also kein objektiv erkennbarer, allgemein akzeptierter Gemeinwohlgehalt. Es fehlt somit ein archimedischer Punkt, von dem aus als Maßstab eine objektive Übereinstimmung zwischen den nicht miteinander vergleichbaren individuellen Gemeinwohlvorstellungen hergestellt werden könnte. Diese Inkommensurabilität zwischen den jeweils subjektiv für das Gemeinwohl gehaltenen Gütern verhindert einen geschlossenen Gemeinwohlbegriff mit objektivem Wahrheitsanspruch.100 Möglich ist daher allenfalls eine prozedurale Bestimmung des Gemeinwohls im Wege eines Abwägungs- und Deliberationsvorgangs unter Beteiligung der in der Gesamtgesellschaft vorhandenen individuellen Vorstellungen. Die Unmöglichkeit eines objektiv vorgegebenen Gemeinwohlbegriffs liegt darüber hinaus auch in der Relativität der Erkenntnis begründet. Jede Erkenntnis ist von einem subjektiven hermeneutischen Vorverständnis abhängig.101 Objektive Erkenntnis ist somit unmöglich. Stattdessen kann allenfalls in einem Austauschprozess zu einer gemeinsamen oder geteilten Erkenntnis gelangt werden. Ein objektiv erkennbarer Wahrheitsgehalt im Sinne einer geschlossenen Gemeinwohldefinition wird somit durch die grundsätzliche Verschiedenheit der individuellen Gemeinwohlvorstellungen in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft, der Inkommensurabilität dieser Gemeinwohlvorstellungen und der hermeneutischen Relativität der Erkenntnis unmöglich gemacht.102 2. Die Vorteile eines offenen Gemeinwohlbegriffs Die notwendige Offenheit des Gemeinwohlbegriffes ist jedoch keineswegs negativ, sondern bringt eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich. Der offene Gemeinwohlbegriff ist gerade eine konstitutive Voraussetzung für das Funktionieren einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaftsordnung.103 So ist eine offene Gemeinwohldefinition zunächst eine Voraussetzung für Vielfalt und Komplexität innerhalb der Gesellschaft. Die Verarbeitung von Komplexität garantiert wiederum die Stabilität einer Gesellschaft gegenüber Schocks, und erhöht die Aussicht auf wirtschaftlichen Wohlstand.104 Diese gesellschaftliche Vielfalt führt

99 Engel, Rechtstheorie 2001, 27 – 28; Ryffel, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 16, 23. 100 Engel, Rechtstheorie 2001, 27 – 31. 101 Engel, Rechtstheorie 2001, 31. 102 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 21 – 22. 103 Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 23. 104 Engel, Rechtstheorie 2001, 32; vgl. Hirschmann, Leviathan 1994, 295.

58

C. Das Gemeinwohl

noch dazu zu einem breiten Reservoir an Ideen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme.105 Daneben sichert die Koexistenz verschiedener Gemeinwohlvorstellungen und die Toleranz für andere Vorstellungen auch Frieden und Freiheit.106 Geschlossene Gemeinwohldefinitionen lassen sich wie die Erfahrungen mit Kommunismus und Nationalsozialismus zeigen, in letzter Konsequenz nur mit Gewalt gegen Andersdenkende durchsetzen. Eine offene Gemeinwohldefinition ist daher der Garant für ein friedliches Zusammenleben, in dem Konflikte diskursiv, und nicht gewalttätig ausgetragen werden. Last, but not least ist eine offene Gemeinwohldefinition eine zentrale Funktionsvoraussetzung der Demokratie.107 Die Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs eröffnet erst den politischen Diskussionsraum über das Gemeinwohl. Die Diskussion um und der Kampf zwischen konkurrierenden Gemeinwohlvorstellungen ist damit der eigentliche Gegenstand der Demokratie.108 Letztlich lassen sich nahezu alle politischen Differenzen auf unterschiedliche Gemeinwohlvorstellungen zurückführen, die sodann Ausstrahlungswirkungen auf sämtliche Politikfelder haben. Eine pluralistische und freiheitliche Demokratie lebt daher von der Offenheit des Gemeinwohlbegriffs und der Diskussion über ihn. Idealtypisch vollzieht sich in einer Demokratie die nähere Bestimmung dieses offenen Gemeinwohlbegriffs in der öffentlichen Diskussion der verschiedenen in der Gesellschaft vorhandenen Individuen und Interessengruppen.109 In diesem Prozess konstituiert sich im Idealfall eine öffentliche Meinung darüber, was das überragende Gemeinwohl in einem konkreten Einzelfall ist.110 Fraglich ist dabei, ob in einem solchen Diskussionsprozess eine Mehrheitsentscheidung über das Gemeinwohl getroffen werden kann.111 Das Gemeinwohl ist in 105

Engel, Rechtstheorie 2001, 32; vgl. Hirschmann, Leviathan 1994, 295. Engel, Rechtstheorie 2001, 33. 107 Engel, Rechtstheorie 2001, 33; Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 23 – 24. 108 Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257. 109 Vgl. Lietzmann, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 300 – 301. 110 Engel, Rechtstheorie 2001, 23; Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 53, 60; vgl. Schuppert, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 72 – 75; a.A. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, 8 – 9, 176 der auf zur Staatsleitung berufene Organe abstellt. 111 Für die Gültigkeit der Mehrheitsentscheidungen Beyme, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 138; Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, 1949, 46; Koller, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 69; Ryffel, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 29; Klein, Zum Begriff des Öffentlichen Interesses, 1969, 49; Streissler, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, 1967, 7; Stolleis, APuZ 1978, B 3, 41; kritisch: Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 39. 106

V. Fazit

59

seiner einfachsten und zugleich zirkulären Definition nichts anderes als das Wohl Aller. So banal diese Definition auch ist, entbehrt sie nicht einer gewissen Wahrheit. Wenn man den Begriff des Gemeinwohls ernst nimmt, so kann nur dann wirklich vom Gemeinwohl gesprochen werden, wenn es einen irgendwie gearteten Konsens gibt, dass es sich wirklich um das Wohl Aller handelt.112 Sobald auch nur eine Person oder zumindest eine nennenswerte Gruppe von Personen widerspricht, so müsste theoretisch – sofern man das Gemeinwohl nicht utilitaristisch definiert – vom Wohl der Mehrheit, und nicht vom Gemeinwohl gesprochen werden.113 Der für eine Demokratie zentrale und legitime Entscheidungsmodus der Mehrheitsentscheidung soll damit nicht in Frage gestellt oder gar in Misskredit gebracht werden. Eine Mehrheitsentscheidung orientiert sich jedoch, vor allem in politischen Konfliktfällen, an den Interessen der Mehrheit, und nicht an den Interessen der Allgemeinheit. In vielen politischen Entscheidungssituationen steht gar keine Option zur Verfügung, die dem Interesse der Allgemeinheit entspricht, so dass eine Mehrheitsentscheidung unter gleichzeitigem Minderheitenschutz die beste und demokratisch legitimste Vorgehensweise ist. Naturgemäß bedeutet eine solche Mehrheitsentscheidung aber in der Regel die legitime Orientierung am Interesse der Mehrheit, wohingegen der Begriff des Gemeinwohls in § 42 GWB höhere Anforderungen mit sich bringt, nämlich die Orientierung am Wohl der Allgemeinheit. Das Wohl der Allgemeinheit ist in einer pluralistischen Demokratie im Einzelfall aber nur durch einen diskursiven Aushandlungsprozess in der öffentlichen Meinung bestimmbar.114

V. Fazit Subjektiv und emotional mag man dem offenen Gemeinwohlbegriff vehement widersprechen. So hat regelmäßig jeder eine sehr genaue Vorstellung davon, was denn das Gemeinwohl sei, und dass sich doch dieser oder jener Politiker endlich einmal am Gemeinwohl und nicht seiner Klientelgruppe orientieren müsse.115 Geht man dieser oft vehementen, subjektiven Überzeugung jedoch nach, so stellt sich meist schnell heraus, dass sie genau das ist: eben gerade eine höchstsubjektive, normative Vorstellung vom Gemeinwohl. Sobald man diese subjektive Vorstellung aber mit anderen subjektiven Vorstellungen vom Gemeinwohl in Übereinstimmung bringen will, ist man oft in heftigen politischen Diskussionen gefangen, in denen der 112

Duppré, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 10. Lüthje, Volkswirtschaftliches Interesse, Gesamtinteresse und Gemeinwohl, 1931, 220; vgl. zur Legitimation durch Mehrheit statt Einstimmigkeit Manin, Political Theory 1987, 338 – 368. 114 Vgl. oben zur Notwendigkeit eines offenen Gemeinwohlbegriffs unter C.IV.1. 115 Vgl. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 40; Häberle, Rechtstheorie 1983, 270. 113

60

C. Das Gemeinwohl

Gegenseite vorgeworfen wird, egoistisch zu denken und sich nicht am Gemeinwohl zu orientieren.116 Die Vorstellung, dass doch ganz klar sei, was das Gemeinwohl ist, ist nichts anderes als ein Denkfehler oder eine Wahrnehmungstäuschung, bei der die eigene subjektive Vorstellung objektiviert und verallgemeinert wird. Tatsächlich ist der Gehalt des Gemeinwohls in objektiver Hinsicht jedoch notwendig offen und seine Konkretisierung jeder demokratischen Gemeinschaft aufgegeben.117 Während der Gemeinwohlbegriff wegen dieser Unbestimmtheit als Leerformel und ideologische Scharade für Partikularinteressen denunziert wird, liegt gerade seine eigentliche Stärke und zentrale Bedeutung für ein demokratisches Gemeinwesen in dieser Offenheit. Nur durch diese Offenheit gewinnt der Gemeinwohlbegriff seine Bedeutung als normative Leitkategorie und als Legitimationsgrund.118 Er ist gerade einer jener politischen Grundbegriffe, die, wie auch Freiheit oder Gerechtigkeit, keinen feststehenden Bedeutungsgehalt haben, sondern um deren Bedeutung im politischen Diskurs gerungen wird.119 Dieses Fehlen eines festen Bedeutungskerns bedeutet jedoch, dass die klassischen Auslegungsmethoden am Gemeinwohl als Rechtsbegriff in § 42 GWB notwendig scheitern müssen.120 Normative Deduktion aus einem Begriff vermag nicht die Frage nach dem Willen des Souveräns Volk in einem Einzelfall zu beantworten. Auch die Übertragung der Entscheidung auf den Bundeswirtschaftsminister als politischen Repräsentanten löst dieses Problem nicht, da auch der Bundeswirtschaftsminister nicht per se über bessere Erkenntnismöglichkeiten als jede andere Einzelperson verfügt und der Wille des Bundeswirtschaftsministers – anders als beim absoluten Monarchen – nicht eo ipso identisch mit dem Gemeinwohl ist. Nicht zuletzt bestehen erhebliche Missbrauchsrisiken. Man steht also vor dem Problem, dass nicht ein empirischer Tatbestand unter einen feststehenden Rechtsbegriff subsumiert werden muss, sondern dass in der Empirie vorgefundene normative Überzeugungen gerade erst den Rechtsbegriff ausmachen.121 Dies ist aber nicht ungewöhnlich. So gibt es auch den Begriff der

116 Zum Effekt der Selbstbindung durch den öffentlichen Appell an das Gemeinwohl vgl. Münkler/Fischer, Universitas 2002, 890 – 891. 117 Michael, Rechtssetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, 240. 118 Vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 207; Beyme, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 137; Stolleis, APuZ 1978, B 3, 44; vgl. Michael, Rechtssetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, 239. 119 Vgl. Norval, British Journal of Political Science 2000, 330 – 331; Neidhardt, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 14 – 15; Ryffel, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 27. 120 Vgl. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 24; Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, 1949, 7 – 30; a.A. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, 6 – 8. 121 Zeschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 44, 133.

V. Fazit

61

empirisch zu ermittelnden guten Sitten in § 242 BGB,122 des Handelsbrauches in § 346 HGB123 oder der Weidgerechtigkeit in § 1 Abs. 3 BJagdG. Ebenso ist es in der (Rechts-)Wissenschaft auch für den Begriff des Gemeinwohls allgemein anerkannt, dass dieser in einer modernen, pluralistischen Demokratie in einem deliberativen Aushandlungsprozess zu bestimmen ist.124 Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass im Sinne eines naturalistischen Fehlschlusses Empirie an die Stelle von Normativität gesetzt würde. Vielmehr geht es darum, empirisch zu untersuchen, wie und ob in einem gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess verschiedene subjektive Werturteile zu einem gesamtgesellschaftlichen, normativen Konsens über das im Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl gelangen. Während hierüber abstrakt weitgehende Einigkeit besteht, bleibt es regelmäßig im Unklaren, wie dies konkret geschehen soll. Meist erfolgen hier nur allgemeine Hinweise auf die öffentliche Meinung,125 Demoskopie126 oder einen deliberativen Aushandlungsprozess127. In dieser Arbeit soll nun die Frage nach der empirischen Erkennbarkeit des Gemeinwohls in Form der öffentlichen Meinung ernst genommen, und die öffentliche Meinung zumindest ausschnittsweise für einzelne, besonders repräsentative Leitmedien auf die Herausbildung eines konkreten Gemeinwohlverständnisses im Fall einzelner Ministererlaubnisverfahren untersucht werden. Bevor dies auf empirischer Ebene geschehen kann, ist es aber zuvor nötig zu klären, um was es sich bei der öffentlichen Meinung überhaupt genau handelt und wie man sie methodisch erfassen kann.

122

Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, 1949, 65; vgl. Limbach, JA 1976, 121. 123 Vgl. Benda/Kreuzer, JZ 1972, 498; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 34. 124 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, 1949, 65 – 68; Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967, 40 – 44; Neidhardt, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 15; Häberle, Öffentliches Interesse, 1970, 87 – 100; Herzog, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, 1974, Sp. 257; Münkler/Fischer, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn III, 2002, 9; Mayntz, in: ebenda, 112; Schuppert, in: ebenda, 72 – 75, 80; Häberle, in: ebenda, 102 – 103; Grimm, in: ebenda, 126 – 127; Calliess, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 178; Ladeur, in: ebenda, 269 – 270. 125 Ryffel, in: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, 29. 126 Neidhardt, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 15. 127 Fischer, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 79.

D. Die öffentliche Meinung I. Begriffsdefinition Eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition der öffentlichen Meinung existiert nicht.1 Vielmehr steht eine Vielzahl von Definitionen nebeneinander und verdeutlicht die Schwierigkeiten, den Begriff der öffentlichen Meinung zu definieren.2 Dennoch lassen sich im Kern zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs öffentliche Meinung unterscheiden: zum einen die Bevölkerungsmeinung, das heißt die statistische Aggregation der in der Bevölkerung vertretenen Einzelmeinungen zu einem bestimmten Thema, die über demoskopische Umfragen erfasst werden können.3 Zum anderen kann mit dem Begriff der öffentlichen Meinung aber auch die massenmediale Öffentlichkeit gemeint sein, das heißt die in den Massenmedien repräsentierte Meinung/Meinungsvielfalt verschiedener gesellschaftlicher Akteure zu einem bestimmten Thema, die über eine Diskursanalyse erfasst werden kann.4 Aus diesen zwei unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs öffentliche Meinung erklärt sich der gelegentlich polemisierte Unterschied zwischen public opinion und published opinion.5 Letztlich handelt es sich dabei lediglich um den Unterschied zwischen der demoskopisch erfassbaren Bevölkerungsmeinung einerseits und der massenmedialen Öffentlichkeit andererseits. Diese beiden Bedeutungen des Begriffs öffentliche Meinung können übereinstimmen, müssen dies aber nicht, und befinden sich in einer permanenten Wechselwirkung. Für die Zwecke dieser Untersuchung wären grundsätzlich beide Bedeutungen geeignet: sowohl demoskopische Umfrageergebnisse als auch die Analyse der massenmedialen Öffentlichkeit ermöglichen es jedenfalls theoretisch, die diskursive Bestimmung des Gemeinwohls in der öffentlichen Meinung zu untersuchen. In praktischer Hinsicht scheidet der Rückgriff auf die Bevölkerungsmeinung jedoch 1

Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 39; Fuchs/Pfetsch, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 104 – 109. 2 Childs, Public Opinion, 1965, 14 – 26, nennt über 40 verschiedene im Schrifttum vorhandene Definitionen; auch Michael, in: FS Häberle, 2004, 440 betont die Schwierigkeit, Öffentlichkeit als gesellschaftliches Phänomen in juristische Begriffe zu fassen. 3 Benda, DÖV 1982, 877; vgl. Jessen, Perspektiven der politischen Meinungsforschung, 2014. 4 Fuchs/Pfetsch, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 104 – 109; Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 55; Oldhaver, Öffentliche Meinung in der Sicherheitspolitik, 2000, 24. 5 Vgl. Westerwelle wehrt sich, „Ihr kauft mir den Schneid nicht ab“, FAZ.NET 15. 03. 2010.

I. Begriffsdefinition

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aus, da keine demoskopischen Umfragen zur Bevölkerungsmeinung zur Ministererlaubnis vorliegen. Für diese Untersuchung wird daher die öffentliche Meinung in ihrer Bedeutung als die in der massenmedialen Öffentlichkeit repräsentierte(n) Meinung(en) verschiedener gesellschaftlicher Akteure verwendet.6 Auch wenn man das Konzept der öffentlichen Meinung auf die in den Massenmedien veröffentlichte(n) Meinung(en) verschiedener gesellschaftlicher Akteure eingegrenzt hat, verbleiben dennoch vielfältige theoretische und empirische Konzepte, die hinter diesem Begriff stehen. Für die vorliegende Untersuchung soll daher im Wesentlichen ein von den Sozialwissenschaftlern Jürgen Gerhards, Friedhelm Neidhardt und Dieter Rucht entwickelter analytischer Rahmen verwendet werden, den diese für eine großangelegte, ländervergleichende Studie über die öffentliche Meinung zur Abtreibung in Deutschland und den USA von 1970 – 1994 am Wissenschaftszentrum Berlin entwickelt haben.7 Dieser im Folgenden noch im Detail vorzustellende analytische Bezugsrahmen verbindet komplexe normative Theoriebildung zum Begriff der öffentlichen Meinung mit einer empirisch fundierten Analyse und Beschreibung, und bringt daher den großen Vorteil mit sich, der Vielfalt der vorhandenen Konzepte zur öffentlichen Meinung eine für die Forschung nützliche und handhabbare Form zu geben, ohne dass dabei die dahinter stehende Begriffsvielfalt verloren ginge. Auch dieser sehr gelungene analytische Rahmen ist jedoch nur als Grundgerüst verwendet worden und wird hier noch weiter modifiziert, so beispielsweise durch eine historische Dimension, eine vertiefte Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder eine erweiterte Darstellung des sogenannten konservativen Modells. Im Anschluss an Gerhards, Neidhardt und Rucht erfolgt die Annäherung an das Konzept der öffentlichen Meinung nunmehr auf drei Ebenen: in einer historischen Herleitung der Entstehung der Autorität der öffentlichen Meinung, über drei normativ-theoretische Konzepte der öffentlichen Meinung, sowie über eine empirische Erfassung des Phänomens der öffentlichen Meinung. Diese drei Ebenen ergänzen einander8 und ergeben zusammen das Konzept der öffentlichen Meinung, das dieser Untersuchung zu Grunde liegt, und abschließend zusammengefasst wird. Im Anschluss hieran erfolgt sodann eine Darstellung der methodischen Vorgehensweise zur ausschnittsweisen Untersuchung der öffentlichen Meinung an Hand repräsentativ ausgewählter Leitmedien und einzelner Ministererlaubnisverfahren.

6 Vgl. Neidhardt, in: Neidhardt, Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen 1994, 26; so auch Oldhaver, Öffentliche Meinung in der Sicherheitspolitik, 2000, 24; Gerhards, Neue Konfliktlinien, 1993, 26, spricht von der massenmedialen Öffentlichkeit als einem „Ersatzindikator“ für die Bevölkerungsmeinung; vgl. Fuchs/Pfetsch, in: van den Daele/ Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 104 – 109, 115 – 126. 7 Vgl. Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 24 – 45; Gerhards/ Neidhardt, Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit, 1990. 8 Vgl. Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 27 Fn. 24.

64

D. Die öffentliche Meinung

II. Die Historische Entwicklung der Autorität der öffentlichen Meinung Im 18. Jahrhundert löste die öffentliche Meinung die absolute Monarchie als zentrale Quelle politischer Autorität ab.9 Strukturelle Voraussetzungen für die Entstehung der öffentlichen Meinung waren dabei die Entwicklung des Kapitalismus mit seinen Handelsnetzen und Kommunikationswegen, die Entstehung des Pressewesens, sowie die Verbreitung von Lese- und Schreibfähigkeiten.10 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bildete sich dann erstmals in England eine sowohl vom Staat als auch von den Privaten unabhängige Sphäre politischer Öffentlichkeit aus.11 Noch besser als an England lässt sich die Ablösung der Autorität der absolutistischen Monarchie durch die öffentliche Meinung jedoch am vorrevolutionären Frankreich ab Mitte des 18. Jahrhunderts nachvollziehen.12 Hier begann eine im modernen Sinne öffentliche Diskussion erstmals in der Debatte über die Verweigerung religiöser Sakramente für die Sekte der Janseniten ab den 1750er Jahren.13 Der genaue Inhalt dieser Debatte ist dabei nicht näher von Bedeutung; entscheidend ist vielmehr, dass im Zuge dieser Diskussion erstmals außerhalb der Autorität und der Kontrolle des Königs eine durch Zeitschriften geprägte Debatte über das Verhalten der Regierung entstand. Dies war bis dahin undenkbar gewesen: In der Reinform der absoluten Herrschaft war der König die einzige öffentliche Person gewesen, und jenseits von ihm existierte keine Öffentlichkeit.14 Der Historiker Keith Michael Baker schreibt insoweit: „If politics is defined as the process by which competing claims and policies are transformed into authoritative definitions of the general good, then absolutist politics occurs, in ideal terms, only in the mind and person of the king.“15

Zwar gab es über den königlichen Rat, die Parlamente und Petitionsrechte, sowie über persönliche Netzwerke verschiedene formelle und informelle Zugänge zur Person des Monarchen. Über diese Zugänge hinaus gab es jedoch gar kein Bedürfnis, 9

Smend, in: GS Jellinek, 1955, 17; Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 167 – 202; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, 122 – 160; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 10 – 14. 10 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 168; Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, 69 – 107; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 7. 11 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, 122 – 132. 12 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 168 ff.; zur Entwicklung der Öffentlichkeit in Deutschland vgl. Hölscher, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 1978, 413 – 467; Hohendahl, Öffentlichkeit, 2000; Gerhardt, Öffentlichkeit, 2012. 13 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 168 – 169. 14 McKee, Public Sphere, 2005, 8; Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 169; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 7; Salem, Öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik, 2013, 21. 15 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 169.

II. Historische Entwicklung der Autorität der öffentlichen Meinung

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sich mit politischen Anliegen an die Öffentlichkeit als solche zu wenden, da es außer dem König schon keine öffentliche Person gab, die die Aufgabe hatte, über Belange der Gemeinschaft als Ganzer zu entscheiden.16 Dies änderte sich jedoch mit der öffentlichen Diskussion über die Verweigerung der Sakramente für die Sekte der Janseniten in den 1750er Jahren. An diese erste öffentliche Debatte schlossen sich eine weitere öffentliche Diskussion über die Liberalisierung des Getreidehandels in den 1760er Jahren, sowie später eine Kontroverse über königliche Steuerprivilegien und Verwaltungswillkür an.17 Die Versuche der Monarchie, die öffentliche Diskussion einzudämmen und zu verbieten, waren wenig erfolgreich, da sich die Verbreitung von Pamphleten kaum aufhalten ließ. Auf Grund von Befürchtungen, dass dies langfristig zu einer Revolution führen könnte, sah sich die Monarchie daher zunehmend gezwungen, sich an der öffentlichen Diskussion auch selbst zu beteiligen, indem die Präambeln zu königlichen Beschlüssen diese immer ausführlicher und detaillierter begründeten.18 Damit wendete sich der König aber mit einem Male an eine Autorität außerhalb seiner Person: die öffentliche Meinung. Wie Keith Michael Baker schreibt, führte dies dazu, dass „by accepting the logic of a politics of contestation in this way, the royal government unwittingly conspired with its opposition to foster the transfer of ultimate authority from the public person of the sovereign to the sovereign person of the public.“19

Je mehr sich der König an dieser Form der öffentlichen Diskussion beteiligte, umso mehr trug er selbst dazu bei, diese zu stärken, und zum eigentlichen Sitz der politischen Autorität zu machen. Dieser fundamentale Wandel im Sitz der höchsten Autorität im Staate wurde bereits von verschiedenen Autoren des 18. Jahrhunderts erkannt. So schreibt beispielsweise Raynal in seiner Histoire philosophique et politique des … deux Indes von 1770: „In a nation that thinks and talks public opinion is the rule of government, and government must never act against it without giving public reasons nor thwart it without disabusing it.“20

Der Parlamentspräsident, Minister und spätere Verteidiger Ludwigs XVI. Malesherbes bezeichnete die Öffentlichkeit gar als „independent of all powers and respected by all powers … that tribunal of the public … the sovereign judge of all the judges of the earth.“21 Und der französische Finanzminister Jacques Necker, der 1781 16 McKee, Public Sphere, 2005, 9; Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 170; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 7. 17 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 170. 18 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 171. 19 Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 172. 20 Zitiert nach Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 187. 21 Zitiert nach Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 189.

66

D. Die öffentliche Meinung

erstmals einen Bericht über die französischen Staatsfinanzen veröffentlicht hatte, bezeichnete die öffentliche Meinung gar als „l’esprit de société“22, „an invisible power that, without treasury, guard, or army, gives its laws to the city, the court, and even the palaces of kings.“.23 Auch in Deutschland wurde die „Publicität“ als Ausdruck der neuen Ordnung aufgegriffen, so unter anderem in einem Gedicht von 1789: „Das große Losungswort, das jetzt ein jeder kräht, Vor dem in ihren Staatsperücken Sich selbst des Volkes Häupter bücken, Horch auf! es heißt: Publicität!!! –“24

In der Folgezeit wurde die opinion public mit Attributen versehen, die ursprünglich der Person des Königs zugestanden hatten, so Rationalität, Universalität und Einheit.25 Im Gegensatz zu den Erfahrungen im 20. Jahrhundert galt die öffentliche Meinung gerade nicht als wankelmütig, emotional und leicht beeinflussbar,26 sondern war gleichbedeutend mit universeller Rationalität. Die öffentliche Meinung war nun der Ausdruck einer neuen Ordnung, die auf Vernunft gegründet war, und die gerade den Gegenbegriff zur feudalen Ordnung aus Irrationalität und transzendentaler, göttlicher Legitimation darstellte.27 Mit anderen Worten war die Öffentlichkeit nun der zentrale Wert und Garant der politischen Moderne in Form von Demokratie, Transparenz und Rationalität im Gegensatz zu absolutistischer Kabinettspolitik im Arkanen.28 Dieser Begriff der öffentlichen Meinung als ultimativer politischer Autorität und gleichzeitig höchster Ausdruck von Rationalität war es, den Jürgen Habermas seinem normativen Konzept der rationalen Diskursöffentlichkeit zu Grunde legte.29 22

Necker, Oeuvres complètes, 1821, 47, 51. „Une puissance invisible, qui sans trésors, sans garde et sans armée, donne des lois à la ville, à la cour, et jusque dans le palais des rois“, Necker, Oeuvres complètes, 1821, 50; Übersetzung nach Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 193; vgl. Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 3. 24 Ladendorf, Zeitschrift für deutsche Wortforschung 1903, 118; Hinweis bei Smend, in: GS Jellinek, 1955, 13. 25 Smend, in: GS Jellinek, 1955, 15; Baker, in: Baker, Inventing the French Revolution, 1990, 198. 26 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, 225 – 274; Lippmann, The phantom public, 1925; Smend, in: GS Jellinek 1955, 15. 27 Smend, in: GS Jellinek, 1955, 17; Noelle-Neumann, Soziale Natur des Menschen, 2002, 15; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 18; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 17. 28 Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 35 – 36; Sarcinelli, APuZ 43/2003, 39; McKee, Public Sphere, 2005, 9; Salem, Öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik, 2013, 21; Scholler, Person und Öffentlichkeit, 1967, 96; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 3; Michael, in: FS Häberle, 2004, 444. 29 Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 2 – 4. 23

III. Normative Konzepte der öffentlichen Meinung

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III. Normative Konzepte der öffentlichen Meinung In normativer Hinsicht sind drei Modelle der öffentlichen Meinung zu unterscheiden.30 Es handelt sich um ein liberales Modell, dem implizit auch das Bundesverfassungsgericht folgt, ein deliberatives Modell, das im Wesentlichen auf Jürgen Habermas zurückgeht, sowie um ein konservatives Modell, das den beiden anderen Modellen diametral entgegengesetzt ist und auf verschiedene konservativelitäre Denker zurückgeht. Diese normativen Modelle bilden die theoretische Grundlage für die empirische Untersuchung der Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung. Das liberale und das deliberative Modell der öffentlichen Meinung gehen von einem Legitimationsproblem von Herrschaft in der repräsentativen Demokratie aus. Der grundsätzliche legitimatorische Konflikt besteht hiernach in der Delegation von Herrschaft an die Staatsorgane bei gleichzeitigem Festhalten am Prinzip der Volkssouveränität.31 Durch die notwendige Delegation von Herrschaft entstehe so ein Widerspruch zum demokratischen Ideal der Herrschaft der Beherrschten über sich selbst. Zwar verwirkliche sich die Volkssouveränität durch die in regelmäßigen Abständen stattfindenden freien Wahlen, es bleibe jedoch das Problem bestehen, wie sich die Volkssouveränität auch in der Zeit zwischen den Wahlen verwirklichen könne.32 Zwingende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Modells repräsentativer Demokratie sei daher die Existenz einer vom Staat unabhängigen Öffentlichkeit, in der die Handlungen der Staatsorgane auch zwischen den Wahlen kritisch diskutiert und analysiert werden können, und in der sich auch eine zu den Staatsorganen gegenläufige öffentliche Meinung ausbilden könne, die sodann ihren Ausdruck in der Abwahl der Staatsorgane bei den nächsten Wahlen finden könne.33 Zugleich garantiere die Existenz einer solchen öffentlichen Meinung die Rückkopplung der Staatsorgane an den Willen des Volkes, den die Staatsorgane vermittelt durch die öffentliche Meinung wahrnehmen und bei ihrer täglichen Aufgabe der 30

Diese Unterscheidung folgt Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 24 – 43. 31 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, §§ 23 II., 28 III. 2.; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 27; grundlegend Michels, Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie, 1911. 32 Vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, § 23 II.; Schmitt Glaeser, JÖR 2002, 169; van den Daele/Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 10; Neeff, JZ 1971, 18; Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, 246, 249; Isensee, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 248, 250 zur Gemeinwohlorientierung der Amtsträger. 33 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 28; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, §§ 23 II., 28 III. 2.; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 2019, § 5 Rn. 140, 148; Luhmann PVS 1970, 27; Sarcinelli, in: Sarcinelli, Politikvermittlung, 1987, 19, 29.

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D. Die öffentliche Meinung

Staatsleitung berücksichtigen können.34 Die Existenz von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung sei daher elementare Funktions- und Legitimationsvoraussetzung der repräsentativen Demokratie.35 Diese Grundannahme der permanenten Legitimation demokratischer Herrschaft durch Öffentlichkeit liegt sowohl dem liberalen als auch dem deliberativen Modell der öffentlichen Meinung zu Grunde und stellt zugleich die basisdemokratische Legitimation zur Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung dar. 1. Liberales Modell Das liberale Modell der öffentlichen Meinung geht von einer freien und offenen Repräsentation der in einer Gesellschaft vorhandenen Meinungen im öffentlichen Raum aus. Wichtig für das liberale Modell ist nicht die Erwartung eines bestimmten Ergebnisses dieses Meinungsaustausches, sondern vielmehr die Offenheit und Zugänglichkeit dieses Prozesses selbst,36 der eine unabdingbare Voraussetzung für eine freiheitliche Demokratie ist.37 Von Vertretern dieses Modelles wird davon ausgegangen, dass es innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche normative Positionen gibt, die erst durch den öffentlichen Meinungsaustausch deutlich werden. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass kein archimedischer Punkt existiert, von dem aus die verschiedenen Meinungen beurteilt, und zu einem Konsens gebracht werden können. Gerade in moralischen Fragen sei es wegen unüberbrückbarer Wertedifferenzen oft unmöglich, zu einem Konsens zu gelangen.38 Der Zweck des öffentlichen Meinungsaustauschs sei daher nicht die Erzielung von Konsens, sondern die Verdeutlichung, in welchen Punkten ein nicht auflösbarer Dissens vorliege. Diese Transparenzfunktion des öffentlichen

34 Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 25; Sarcinelli, APuZ 43/2003, 40; Stahl, Philosophie des Rechts, 1926, 205; Childs, Public Opinion, 1965, 5; Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 54. 35 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 28; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, §§ 23 II., 28 III. 2.; Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 2019, § 5 Rn. 148; Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 35; Michael, in: FS Häberle, 2004, 445 – 449; Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 25; Sarcinelli, in: Sarcinelli, Politikvermittlung, 1987, 19, 29; Schmitt Glaeser, JÖR 2002, 169; Fuchs/Pfetsch, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 104; Neeff, JZ 1971, 18; Benda, DÖV 1982, 878; Noelle-Neumann, DÖV 1982, 884; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 17. 36 Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 25; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 28; van den Daele/Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 10; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 11 – 13. 37 Vgl. Salem, Öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik, 2013, 21. 38 Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1946, 399.

III. Normative Konzepte der öffentlichen Meinung

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Meinungsaustausches ermögliche es sodann festzustellen, welche konsensfähigen Bereiche überhaupt noch übrig seien, und sich auf diese zu konzentrieren.39 Zentral für das liberale Modell der öffentlichen Meinung ist daher die Repräsentation der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen. Diese Position findet ihren Ausdruck auch in verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit.40 Stellvertretend für diese Vielzahl von Entscheidungen sei die geradezu paradigmatische Definition der Funktion von Presse und öffentlicher Meinung in einer Demokratie im Spiegel-Urteil von 1960 zitiert: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung. In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie faßt die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.“41

Im liberalen Modell der öffentlichen Meinung wird von den Bürgern kein besonderes Kommunikationsverhalten erwartet. Es geht vielmehr allein darum, dass frei und offen kommuniziert wird, so dass die öffentliche Meinung die Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen widerspiegelt.42 Eine auf die Erzielung von Konsens hin orientierte Kommunikation wird daher schon von vornherein – im Unterschied zum deliberativen Modell – nicht erwartet. 39 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 29; Schmitt Glaeser, JÖR 2002, 178 – 179; Salem, Öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik, 2013, 23. 40 BVerfG, 28. 02. 1961, Az. 2 BvG 1/60, juris, Tz. 181 ff. – Erstes Rundfunkurteil; 05. 08. 1966, Az. 1 BvR 586/62, juris, Tz. 36 – Spiegel-Urteil; 05. 06. 1973, Az. 1 BvR 536/72, juris, Tz. 48 – Lebach-Urteil; 16. 06. 1981, Az. 1 BvL 89/78, juris, Tz. 85 ff. – FRAG; 04. 11. 1986, Az. 1 BvF 1/84, juris, Tz. 132 ff. – Niedersachsen-Urteil; 24. 03. 1987, 1 Az. BvR 147/86, juris, Tz. 81 ff. – Baden-Württemberg Beschluss; 05. 02. 1991, Az. 1 BvF 1/85, juris, Tz. 413 ff. – WDR-Urteil; 06. 10. 1992, Az. 1 BvR 1586/89, juris, Tz. 70 ff. – Hessen-Beschluss; 22. 02. 1994, Az. 1 BvL 30/88, juris, Tz. 140 ff. – Rundfunkgebühren; 17. 02. 1998, Az. 1 BvF 1/91, juris, Tz. 101 ff. – Kurzberichterstattung. 41 BVerfG, 05. 08. 1966, Az. 1 BvR 586/62, juris, Tz. 36 – Spiegel-Urteil. 42 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 30; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 11 – 13.

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D. Die öffentliche Meinung

Nach dem liberalen Modell ist die Herstellung von Konsens oder zumindest einer Mehrheitsentscheidung nicht die Aufgabe der Öffentlichkeit, sondern der politischen Entscheidungsinstanzen, die durch Wahlen legitimiert sind.43 Die Aufgabe der öffentlichen Meinung ist es nur wie ein Spiegel44 die verschiedenen in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen abzubilden, damit sich die politischen Entscheidungsträger an diesen Meinungen orientieren können, und diese ihrer Entscheidungsfindung zu Grunde legen können.45 Auch wenn es in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft zu keinem Konsens komme, sei auch die Meinungsvielfalt zu einem Thema eine für politische Entscheidungsträger wichtige Information.46 2. Deliberatives Modell Im Unterschied zum liberalen Modell hat das deliberative Modell der öffentlichen Meinung die klare Erwartung der Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses durch einen öffentlichen Diskurs.47 Dieser Erwartung liegt ein radikaldemokratisches Politikverständnis zu Grunde, demzufolge sich die Volkssouveränität nicht nur durch periodisch stattfindende Wahlen realisiert, sondern über die öffentliche Meinung eine permanente Orientierung der politischen Entscheidungsträger am Volkswillen erfolgt.48 Diese Erwartungshaltung setzt voraus, dass die öffentliche Meinung nicht lediglich wie ein Spiegel die verschiedenen in der Gesellschaft vorhandenen Ansichten widergibt, sondern dass die Öffentlichkeit als ein diskursiver Raum fungiert, in dem die verschiedenen Akteure durch rationale Argumentation einen Konsens erzielen können, der sodann die politischen Akteure unmittelbar in ihrem Handeln bindet.49

43

Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 30 – 31. Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 26; Gerhards, in: Neidhardt, Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen, 1994, 97 – 98; Luhmann, in: FS Noelle-Neumann, 1992, 84. 45 BVerfG, 05. 08. 1966, Az. 1 BvR 586/62, juris, Tz. 36 – Spiegel-Urteil; Gerhards/ Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 31; van den Daele/Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 26 – 27; vgl. Morlok/Michael, Staatsorganisationsrecht, 2019, § 5 Rn. 148; Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 54. 46 BVerfG, 05. 08. 1966, Az. 1 BvR 586/62, juris, Tz. 36 – Spiegel-Urteil; Gerhards/ Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 31. 47 van den Daele/Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 11; Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 51. 48 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 31; vgl. Cohen, in: Hamlin/Pettit, The Good Polity, 1989, 17. 49 Baugut/Grundler, Politische (Nicht-)Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 38; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 31; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 1; vgl. BVerfG, 17. 08. 1956, Az. 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85, 135 – KPD-Urteil; 25. 01. 1961, Az. 1 BvR 9/57, BVerfGE 12, 113, 125 – Schmid-Spiegel. 44

III. Normative Konzepte der öffentlichen Meinung

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Diese von Jürgen Habermas geprägte Diskursethik passt offensichtlich ideal zur prozeduralen Bestimmung des offenen Gemeinwohlbegriffes.50 Beim deliberativen Modell handelt es sich nicht nur um ein Modell der öffentlichen Meinung, sondern um ein Modell der Demokratie als solcher. Diese Vorstellung geht mit sehr hohen Erwartungen an die kommunikativen Akteure einher. So wird von diesen erwartet, dass sie sich nicht bereits mit fertigen Meinungen und Präferenzen am öffentlichen Diskurs beteiligen, sondern ihre Meinung erst im öffentlichen Diskurs bilden. Zentral ist daher die Annahme, dass es sich bei den am öffentlichen Diskurs Beteiligten um rationale Akteure handelt, die ihre Meinung rational begründen, und sich von den Argumenten der anderen an diesem Prozess beteiligten Akteure so beeindrucken lassen, dass sie ihre Meinung beim Auftauchen besserer Argumente ändern und anpassen.51 Auf diesem Wege soll sodann im Idealfall ein rational begründeter Konsens über Fragen des Gemeinwohls, oder doch zumindest eine Mehrheitsentscheidung erreicht werden. Es wird dabei davon ausgegangen, dass nur ein vollständiger, oder zumindest mehrheitlicher Konsens der Bürger den politischen Entscheidungen die notwendige demokratische Legitimation verschaffe.52 Der prominenteste Vertreter dieses Modells deliberativer Demokratie und eines deliberativen Modells der öffentlichen Meinung ist Jürgen Habermas.53 Ausgehend von seinen Studien hat dieses Modell eine weite Verbreitung in den Sozialwissenschaften gefunden und ist gerade auch im anglo-amerikanischen Raum intensiv rezipiert worden.54 Entscheidende Prämisse wie auch offensichtlichster Kritikpunkt sind die sehr hohen normativen Anforderungen an die Sprechaktsituation, die bereits angeklungen sind. So wird erwartet, dass in einer idealen Sprechaktsituation jeder Beteiligte, unabhängig von Status, Alter, Religion, Geschlecht, gleichermaßen Zugang zum Diskurs hat, und gleichermaßen Gehör findet. Darüber hinaus wird von allen Beteiligten erwartet, dass sie ihre Meinung rational begründen und auf die von der Gegenseite vorgebrachten Argumente so reagieren, dass sie sich von besseren Argumenten überzeugen lassen.55 50

Fischer, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 79. Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 370 – 372; Calhoun, in: Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992, 1; Peters, in: Neidhardt, Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen, 1994, 45 – 47; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 32. 52 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 32. 53 Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990; Faktizität und Geltung, 1992; vgl. zu weiteren Vertretern deliberativer Modelle Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 58. 54 Vgl. Calhoun, Habermas and the Public Sphere, 1992. 55 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 370 – 372; Baugut/Grundler, Politische (Nicht-) Öffentlichkeit in der Mediendemokratie, 2009, 38; vgl. Cohen, in: Hamlin/Pettit, The Good Polity, 1989, 21 – 23. 51

72

D. Die öffentliche Meinung

Diese Diskurserwartungen sind daher letztlich als idealtypisches Modell anzusehen, das in der Realität so nicht anzutreffen ist,56 was auch Habermas bewusst ist.57 Soweit dieser nähere empirische Aussagen über sein Modell der deliberativen Demokratie trifft, geht er beispielsweise davon aus, dass diese Annahmen am ehesten auf „normale“ Bürger zutreffen, die frei von Sachzwängen miteinander diskutieren können, wohingegen zentrale meinungsbildende Akteure, wie Politiker, Interessenverbände, Kirchen, Gewerkschaften, auf Grund ihrer gesellschaftlichen und ideologischen Position bestimmte Argumente gar nicht als zutreffend anerkennen dürfen/können, und sich so in ihren Äußerungen vor allem an Machtkriterien, und eben nicht an Rationalitätskriterien orientieren.58 Das deliberative Modell ist daher wohl eher als demokratietheoretischer Idealtyp, denn als Beschreibung der Realität zu verstehen.59 3. Konservatives Modell Das Gegenmodell zum liberalen und deliberativen Modell der öffentlichen Meinung ist das konservative Modell, das eine ständige Rückkopplung der Staatsorgane an die öffentliche Meinung ablehnt. Dieser Ansicht nach ist ein ständiger Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Staatsleitung für das Erreichen sachgerechter politischer Ergebnisse nachteilig, und daher außerhalb von Wahlen abzulehnen.60 Die Realisierung der Demokratie findet hiernach vor allem durch die periodisch stattfindenden Wahlen statt, wohingegen zwischen den Wahlen eine Rücksichtnahme der Regierenden auf die Meinung der Regierten als oft eher unzweckmäßig angesehen wird. Diese Position hat eine lange demokratiekritische Tradition, die die Wankelmütigkeit, Emotionalität, Irrationalität und leichte Beeinflussbarkeit des Volkes betont.61 Hiernach sei das Volk nicht in der Lage bei komplexen Sachthemen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Diese Kompetenz solle vielmehr den durch Wahlen legitimierten Politikern und den Fachbeamten der Exekutive überlassen bleiben.62 Nur diese würden die emotionale Distanz, Rationalität und Professionalität 56 Peters, in: Neidhardt, Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, Soziale Bewegungen, 1994, 51 – 56. 57 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, 396. 58 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 34; van den Daele/ Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 38 – 40. 59 Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 79; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 14. 60 Stahl, Philosophie des Rechts, 1926, 206; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 27 Fn. 24; kritisch Childs, Public Opinion, 1965, 309. 61 Stahl, Philosophie des Rechts, 1926, 206; Lippmann, The Phantom Public, 1925; Überblick über Teile diese Diskurses vgl. Bussemer, in: Classen/Arnold, Politisierung der Medien, 2010, 399 – 408; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, § 23 I. 62 Benda/Kreuzer, JZ 1972, 500.

IV. Die öffentliche Meinung als empirisches Phänomen

73

aufbringen, die für langfristig am Gemeinwohl orientierte Entscheidungen notwendig seien. Gelegentlich müssten sich die zur Elitenaufgabe der Staatslenkung berufenen Organe daher auch aus der raison d’etat über die öffentliche Meinung hinwegsetzen.63 Würde das Volk selbst diese Entscheidungen treffen, so bestehe eine zu große Gefahr, dass es, durch Emotionen geleitet oder durch Demagogen beeinflusst, an kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung ausgerichtete Fehlentscheidungen treffe.64 In einer abgeschwächten Form wird diese Ansicht auch von Anhängern des liberalen Modells vertreten, die davon ausgehen, dass sich die Regierung zwar in den großen Grundsatzfragen am Volkswillen orientieren solle, die konkrete Tagespolitik aber unbedingt den Fachbeamten und Abgeordneten überlassen bleiben müsse.65

IV. Die öffentliche Meinung als empirisches Phänomen 1. Die praktische Entstehung der öffentlichen Meinung in den Medien Nähert man sich nach diesen theoretischen Überlegungen nun der praktischen Entstehung der öffentlichen Meinung als empirischem Phänomen an, so lassen sich drei Akteursgruppen unterscheiden: die Sprecher (Politiker/innen, Gewerkschaften, Parteien, Behörden, Expert/innen, Intellektuelle, „die Frau/der Mann von der Straße“), das Publikum66 (Zuschauer/innen, Hörer/innen, Leser/innen), sowie die Medien als Vermittler zwischen den beiden.67 Während traditionelle Formen von Öffentlichkeit (Marktplatz, Gerichtsverhandlung) noch ohne die Vermittlung durch Medien ausgekommen sind, ist die moderne Öffentlichkeit im Wesentlichen eine Medienöffentlichkeit, da Sprecher und Publikum nicht mehr in unmittelbarem Kontakt aufeinandertreffen.68 Erst durch die Medien wird daher das Forum der Öffentlichkeit erzeugt, in dem die Äußerungen der Sprecher dargestellt werden, und durch das Publikum wahrgenommen werden können. Schon aus diesem Grund ist die Realisierung des Habermas’schen Diskursideals fraglich, da die Sprecher in einer Medienöffentlichkeit nicht miteinander reden, sondern quasi „zum Fenster hinaus“

63

498.

Benda, DÖV 1982, 879; Noelle-Neumann, DÖV 1982, 885; Benda/Kreuzer, JZ 1972,

64 Stahl, Philosophie des Rechts, 1926, 206; Lippmann, The Phantom Public, 1925, 58; vgl. Bussemer, in: Classen/Arnold, Politisierung der Medien, 2010, 399 – 408. 65 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, § 23 II. 2. 66 Zum Begriff des Publikums vgl. Neidhardt, in: FS Mayntz, 1994, 315 – 328. 67 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 38; van den Daele/ Neidhardt, in: van den Daele/Neidhardt, Kommunikation und Entscheidung, 1996, 18 – 19; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2017, § 28 IV. 2. 68 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 38.

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D. Die öffentliche Meinung

zum Publikum reden und sich daher oft einer an strategischen Kriterien ausgerichteten Kommunikation bedienen.69 Die Journalisten nehmen dabei nicht nur eine reine Vermittlerrolle ein, sondern nehmen als Kommentatoren auch selbst eine Sprecherrolle ein,70 sowie bestimmen als sog. „Gatekeeper“,71 welche Sprecheräußerungen und Themen überhaupt Zugang zum Forum der Medien erhalten.72 Indem die Journalisten Inhalte und Schwerpunkte der Medien maßgeblich bestimmen, können sie so auch entscheiden, welche Themen überhaupt öffentlich diskutiert werden (sog. „Agenda-Setting“).73 Was das Gemeinwohl angeht, so übernehmen Journalisten häufig in Kommentaren die Rolle der Anwälte des Gemeinwohls und kritisieren hier scharf staatliche und politische Fehlentwicklungen.74 Eine grundsätzliche Transformation hat dieses traditionelle Modell der medialen Öffentlichkeit durch das Internet erfahren. So kann sich nunmehr jedermann unmittelbar an öffentlichen Diskussionen in den Kommentarfunktionen der Tageszeitungen, in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, etc.) oder in Internet-Foren beteiligen.75 Die Rolle des Gatekeepers ist dabei weitgehend weggefallen, so dass sich die Meinungsvielfalt im Internet um ein vielfaches erhöht hat. Lediglich beleidigende, volksverhetzende oder sonst strafrechtlich relevante Äußerungen werden meist durch Moderatoren gelöscht. Trotz dieses Entstehens neuer Foren des unmittelbaren öffentlichen Austauschs im Internet, spielen dennoch die traditionellen Medien weiterhin eine zentrale Rolle bei der Auswahl der Themen, die überhaupt öffentlich diskutiert werden. Ihre frühere Exklusivität beim Agenda-Setting haben sie jedoch verloren. Zusammenfassend gesagt, entsteht die öffentliche Meinung als von Sprechern geäußerte, von den Medien übertragene, und vom Publikum wahrgenommene Kommentierung eines Themas.76

69

Neidhardt, in: FS Mayntz, 1994, 316. Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 39. 71 Forschungsüberblick bei Staab, Nachrichtenwert-Theorie, 1990, 12 – 26; vgl. Nissen/ Menningen, Publizistik 1977, 159 – 180. 72 Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 39. 73 Zum Prozess des Agenda Setting vgl. Melischek/Seethaler, in: Arnold/Classen, Politisierung der Medien, 2010, 251 – 253. 74 Neidhardt, in: Münkler/Bluhm/Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn II, 2002, 164 – 166, 173. 75 Vgl. Kolleck, Politische Diskurse online, 2016; Schulz/Rössler, Schweigespirale online, 2013. 76 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 39. 70

IV. Die öffentliche Meinung als empirisches Phänomen

75

2. Öffentliche Meinung in den Medien und Bevölkerungsmeinung Wie schon eingangs hervorgehoben, sind die hier im Fokus stehende öffentliche Meinung in der Medienöffentlichkeit und die oft ebenfalls als öffentliche Meinung bezeichnete Bevölkerungsmeinung streng zu unterscheiden. Die Bevölkerungsmeinung ist das statistische Aggregat der individuellen Einstellungen, die über demoskopische Meinungsumfragen auf individueller Basis mit Hilfe statistischer Methoden erhoben werden kann.77 Demgegenüber handelt es sich bei der öffentlichen Meinung in der Medienöffentlichkeit um die öffentlichen Äußerungen und Einstellungen bestimmter Akteure, die über die Vermittlung der Medien das Publikum erreichen. Um die öffentliche Meinung zu erfassen, bedarf es daher einer inhaltlichen Analyse des medialen Diskurses, die im nächsten Kapitel vorgestellt wird.78 Es ist dabei zu erwarten, dass die hier über eine inhaltliche Analyse erfasste öffentliche Meinung in der Medienöffentlichkeit gewisse Überschneidungen mit der Bevölkerungsmeinung aufweist.79 Hierfür sprechen vor allem zwei Argumente: so sind sowohl die Sprecher als auch die Medien auf eine positive Resonanz des Publikums angewiesen. Die Sprecher weil sie politische Unterstützung für ihre Position erlangen wollen, die Medien weil sie von der Leserschaft und den Verkaufszahlen wirtschaftlich abhängig sind.80 Es ist daher zu erwarten, dass sowohl die Sprecher als auch die Medien sich zumindest teilweise an den (erwarteten) Interessen und Meinungen ihrer Anhänger- bzw. Leserschaft orientieren, und dann auch die Reaktionen ihrer Anhänger bzw. Leser über eine Feedbackschleife bei ihren nächsten Äußerungen strategisch berücksichtigen. Je nach Sprecher bzw. Medium dürfte daher eine hohe Übereinstimmung der Positionen mit den entsprechenden Bevölkerungsgruppen gegeben sein. Auch umgekehrt wird die Meinung der Anhänger bzw. Leser gerade durch die Äußerungen der Sprecher und Medien geprägt, so dass eine Wechselwirkung zwischen beiden zu erwarten ist. So ist es empirisch nachweisbar, dass sich zwar einmal gefasste individuelle Meinungen durch Medienkonsum nur graduell verändern,81 wenn aber zu einem bestimmten Thema bisher noch keine individuelle Meinung vorhanden ist, die Entstehung dieser Meinung extrem stark durch Medienkonsum geprägt wird.82 Da die Ministererlaubnis ein nur relativ seltenes Ereignis ist, ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Bevölkerung hierzu keine vorgefasste Meinung 77

Vgl. Jessen, Perspektiven der politischen Meinungsforschung, 2014. Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 39. 79 Schmitt Glaeser, JÖR 2002, 176. 80 Vgl. Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 40 – 41; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 28. 81 Klapper, in: Aufermann/Bohrmann/Sülzer, Gesellschaftliche Kommunikation und Information, 1973, 49 – 50. 82 Klapper, in: Aufermann/Bohrmann/Sülzer, Gesellschaftliche Kommunikation und Information, 1973, 50. 78

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D. Die öffentliche Meinung

hat, sondern sich diese Meinung erst durch die Art und Weise der medialen Berichterstattung ausbildet. Gerade bei der Ministererlaubnis ist daher zu erwarten, dass sich die öffentliche Meinung in der Medienöffentlichkeit in höherem Maße als sonst mit der Bevölkerungsmeinung deckt. 3. Die Selektionskriterien der Medien Die öffentliche Meinung konstituiert sich über den von Medien vermittelten Diskurs verschiedener Sprecher vor der Bevölkerung als Publikum. Nur die Sprecher und die Inhalte, die in den Medien auftauchen, können von der Bevölkerung als Publikum damit auch wahrgenommen werden („Gate-Keeping“ und „Agenda-Setting“ Funktion der Medien).83 Entscheidend für den Konstitutionsprozess der öffentlichen Meinung über ein Thema sind daher die Selektionskriterien nach denen sich bestimmt, welche Sprecher und Themen in den Medien erscheinen. Den Erkenntnissen der Medienforschung folgend, lassen sich hierbei drei Hypothesen herausstellen: a) Die Inputhypothese Die Inputhypothese geht davon aus, dass der Inhalt der Medien von den unterschiedlichen Fähigkeiten der Akteure zur Generierung von mediengerechtem „Input“ abhängig ist.84 Mit anderen Worten bedeutet dies, dass sich in den Medien vor allem die Inhalte gut organisierter kollektiver Akteure und Interessensvertretungen mit PR-Erfahrung wiederfinden werden, wohingegen Einzelpersonen ohne Erfahrung mit der Generierung von mediengerechtem „Input“ wenig oder kein Gehör finden werden.85 Nach dieser These erhalten die Akteure den größten Raum in den Medien, die die größten Bevölkerungsgruppen und (vermeintlichen) Bevölkerungsmeinungen hinter sich versammeln, da die Medien von potentiellen Lesern und Käufern abhängig sind.86 Zugleich sind organisierte kollektive Akteure in der Lage eine gezielte Presseund Öffentlichkeitsarbeit zu finanzieren, und so gezielt Themen zu setzen, die höchstwahrscheinlich die Aufmerksamkeit der Medien finden werden, wohingegen unerfahrene Akteure sich hier eher ungeschickt anstellen werden.87 Es kommt hierbei entscheidend auf die Kenntnis der „ungeschriebenen Gesetze“ der Medien, wie Verwendung der richtigen Schlagwörter, persönliche Beziehungen zu Journalisten, 83

Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 42. Baerns, in: Sarcinelli, Politikvermittlung, 1987, 149 – 153; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 42; Kloepfer, in: HStR III, 2005, § 42 Rn. 40. 85 Ähnliches Argument aus Perspektive der Nachrichtenwerttheorie bei Schulz, in: Sarcinelli, Politikvermittlung, 1987, 134. 86 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 40 – 41. 87 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 42. 84

IV. Die öffentliche Meinung als empirisches Phänomen

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Kenntnisse über die Generierung eines „Skandals“ an, über die ein hauptberuflicher Pressesprecher regelmäßig deutlich bessere Kenntnisse hat als etwa ein ehrenamtlicher Vereinsvorstand. Zusammenfassend geht die Inputhypothese daher davon aus, dass eine kollektiv organisierte Repräsentanz einer möglichst großen Bevölkerungsgruppe mit einer professionalisierten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit den größten Widerhall in der Medienlandschaft finden wird, und auf diesem Wege auch die öffentliche Meinung wesentlich mitprägen kann. Auf Rezipientenseite ist aber auch zu erwarten, dass der durchschnittliche Bürger in einer überaus komplexen Welt nicht mehr selbst in der Lage ist, alle Argumente auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen, und es für ihn deshalb für die Überzeugungskraft der Argumente wesentlich auf die Glaubwürdigkeit des Sprechers ankommt.88 b) Die Nachrichtenwerthypothese Die Nachrichtenwerthypothese setzt demgegenüber weniger auf die Rolle der Sprecher als vielmehr auf den Inhalt der Nachrichten. Der Nachrichtenwerthypothese zufolge bestimmt sich die Selektion der in den Medien erscheinenden Nachrichten wesentlich nach Faktoren, die ein großes Interesse der Leserschaft sichern.89 Ähnlich wie bei der Inputhypothese erfolgt bei der Auswahl der in Medien erscheinenden Nachrichten also wiederum eine Orientierung am Publikum, nur dass diesmal nicht die mediale Professionalität und gesellschaftliche Relevanz der Sprecher, sondern der Inhalt als das entscheidende Kriterium angesehen wird. In empirischen Untersuchungen hat sich hierbei nachweisen lassen, dass sowohl auf Seiten der Journalisten, als auch auf Seiten des Publikums die Selektion der Medieninhalte vor allem nach Nachrichtenwertfaktoren erfolgt.90 In der Nachrichtenwertforschung sind eine ganze Reihe von verschiedenen Konzepten mit je unterschiedlicher Anzahl an Nachrichtenwertfaktoren entwickelt worden.91 Beispielhaft sollen hier einige Elemente genannt werden, die sich in verschiedenen Modellen wiederholen: so sind dies die Faktoren Skandal, persönliche Betroffenheit, Prominenz der Akteure, räumliche Nähe, Negativität/Schaden und Überraschung.92 Die Faktoren sind dabei additiv und komplementär, das heißt sie 88

Neidhardt, in: FS Mayntz, 1994, 322 – 323. Schulz, in: Sarcinelli, Politikvermittlung, 1987, 134; Meyer, APuZ 15 – 16/2002, 8; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 42; Forschungsüberblick bei Staab, Nachrichtenwert-Theorie, 1990, 40 – 92. 90 Eilders, Nachrichtenfaktoren und Rezeption, 1997, 265. 91 Überblick bei Staab, Nachrichtenwert-Theorie, 1990, 40 – 92, und Eilders, Nachrichtenfaktoren und Rezeption, 1997, 19 – 72; grundlegend etwa Galtung/Ruge, in: Journal of Peace Research 1965, 64 – 91. 92 Vgl. Luhmann, Realität der Massenmedien, 1996, 58 – 74; Staab, NachrichtenwertTheorie, 1990, 40 – 92; Eilders, Nachrichtenfaktoren und Rezeption, 1997, 19 – 72. 89

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D. Die öffentliche Meinung

sind untereinander austauschbar, und je mehr Faktoren vorliegen, desto wahrscheinlicher ist sowohl die Aufmerksamkeit der Medien als auch des Publikums.93 Nach der Nachrichtenwerthypothese bestimmt somit der Inhalt der Nachrichten maßgeblich, ob über sie berichtet wird, und ob sie vom Publikum wahrgenommen werden. c) Die Medienbiashypothese Die Medienbiashypothese richtet ihr Augenmerk schließlich weder auf die Sprecher noch auf die Inhalte, sondern vielmehr auf die Medien selbst als Vermittler.94 Hierbei geht es vor allem um die ideologische Ausrichtung der Medien, die eine bestimmte „redaktionelle Linie“ verfolgen, und deshalb Inhalte und Sprecher bevorzugen, die dieser „redaktionellen Linie“ entsprechen.95 Letztlich steht auch hinter dieser Hypothese eine gewisse Orientierung am Publikum als Rezipienten, da die Leserschaft einer bestimmten Zeitung vor allem an Informationen und Meinungen aus einem bestimmten weltanschaulichem Spektrum interessiert ist, und die entsprechenden Medien zumindest auch aus diesem Grund konsumiert, beziehungsweise anderenfalls nicht mehr konsumieren würden. d) Die Ministererlaubnis als Gegenstand der medialen Berichterstattung Zusammenfassend sind die Selektionskriterien für die Auswahl des Gegenstandes der medialen Berichterstattung also die Sprecher (Inputhypothese), die Inhalte (Nachrichtenwerthypothese), und die Medien selbst als Vermittler (Medienbiashypothese). Wie aufgezeigt, stehen hinter allen drei Hypothesen Erwartungen des Publikums, von denen die Medien als Käufer und Leser ökonomisch und ideell abhängig sind, wobei aber zugleich auch die Erwartungen und Meinungen des Publikums erst durch fortgesetzten Medienkonsum geprägt werden und dann wieder auf diese Medien und die Sprecher zurückwirken. Es ist daher von einem fortwährenden Wechselwirkungsprozess zwischen Medien, Publikum und Sprechern auszugehen, so dass eine erhebliche Ähnlichkeit der öffentlichen Meinung zur Bevölkerungsmeinung zu erwarten ist. Wendet man diese Selektionskriterien auf die Ministererlaubnis an, so ist davon auszugehen, dass diese erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfährt. Hinsichtlich der Inputhypothese ist zu erwarten, dass sich zur Ministererlaubnis hauptsächlich medienerfahrene Akteure äußern: seien dies Großunternehmen, Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftsredakteure, Nichtregierungsorganisationen, oder im Rahmen Ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten das Bundeskartellamt, das OLG Düsseldorf (bzw. 93

Staab, Nachrichtenwert-Theorie, 1990, 62 – 63. Schmitt Glaeser, JÖR 2002, 175; Forschungsüberblick bei Staab, NachrichtenwertTheorie, 1990, 12 – 40. 95 Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 43. 94

V. Zusammenfassung

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früher das Kammergericht), die Monopolkommission und der Bundeswirtschaftsminister. Sämtliche haben Erfahrung in der Generierung von medienwirksamem Input. Auch nach den Nachrichtenwertfaktoren ist eine große mediale Relevanz zu erwarten, da die Ministererlaubnis eine überraschende Systemdurchbrechung unter Beteiligung prominenter Akteure (Bundeswirtschaftsminister, Großunternehmen) ist, der häufig noch dazu der Ruch eines Skandals anhaftet und die zumindest mittelbare Auswirkungen auf einen Teil der Bevölkerung haben kann. Was schließlich die Medienbiashypothese anbelangt, so lässt sich hierüber nicht so leicht eine Aussage treffen. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass von den Ministererlaubnisentscheidungen das gesamte politische Spektrum in der einen oder anderen Weise betroffen ist – das Thema dürfte kaum jemanden „kalt lassen“. In welche Richtung hierdurch jedoch möglicherweise eine ideologische Beeinflussung erfolgt, ist schwer vorherzusagen und hängt wohl stark von den jeweils zur Diskussion stehenden Gemeinwohlbelangen und der Position des Ministers ab.

V. Zusammenfassung In theoretischer Hinsicht lassen sich drei Modelle der öffentlichen Meinung unterscheiden: Das liberale Modell betont die Offenheit des gesellschaftlichen Diskurses und die Vielfalt der in ihm vertretenen Meinungen. Zu einem kontroversen Thema erwartet es nicht notwendigerweise einen Konsens, sondern vielmehr eine durch die Diskussion geschaffene Transparenz über die in der Gesellschaft vertretenen Positionen und ihr jeweiliges Gewicht, was sodann Grundlage für die politischen Entscheidungsträger sein kann. Das deliberative Modell (Jürgen Habermas) hat hingegen deutlich höhere Erwartungen an den Diskurs. Hiernach sollen alle Beteiligten gleichermaßen Zugang zu einem rationalen Diskurs unter Gleichen haben. In einem solchen Diskurs soll unabhängig von Alter, Status, Geschlecht etc. allein das rationale Argument zählen und überzeugen, so dass am Ende eines solchen Diskursprozesses ein rational gefundener Konsens stehen soll, der sodann die politischen Entscheidungsträger bindet. Das konservative Modell lehnt eine Orientierung der politischen Entscheidungsträger an der öffentlichen Meinung tendenziell ab. Aufgrund der Emotionalität, Wankelmütigkeit und Irrationalität des Volkes sei dieses nicht dazu geeignet über die periodisch stattfindenden Wahlen hinaus unmittelbar am politischen Tagesgeschäft beteiligt zu werden. Allenfalls bei Grundsatzentscheidungen über das Gemeinwohl könne über einen Rückgriff auf die öffentliche Meinung nachgedacht werden. In empirischer Hinsicht konstituiert sich der hier untersuchte Begriff der öffentlichen Meinung durch die von verschiedenen Sprechern über die Medien für ein Publikum geäußerten Meinungen. Zur Untersuchung der öffentlichen Meinung ist es daher erforderlich, sich mit diesen in den Medien repräsentierten Sprecheräuße-

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D. Die öffentliche Meinung

rungen inhaltlich auseinanderzusetzen, wozu nun die methodische Grundlage gelegt wird.

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl 1. Methoden der Textanalyse Für die inhaltliche Analyse der öffentlichen Meinung kommen die quantitative Inhaltsanalyse, die qualitative Inhaltsanalyse und die Hermeneutik in Frage. a) Quantitative Inhaltsanalyse Bei einer rein quantitativen Inhaltsanalyse handelt es sich um die Analyse der Häufigkeit des Auftretens bestimmter Wörter. In einem ersten Schritt werden bestimmte Wörter festgelegt, die dann in einem zweiten Schritt in einem Textkorpus (computergestützt) gezählt werden. Mit einer quantitativen Analyse kann daher besonders gut die reine Häufigkeit, Verbreitung oder Regelmäßigkeit eines bestimmten Phänomens untersucht werden.96 Voraussetzung für die Anwendbarkeit einer rein quantitativen Analyse ist daher, dass sowohl die Forschungsfrage als auch der Untersuchungsgegenstand derart klar strukturiert sind, dass aus der Häufigkeitsanalyse einiger aus der Forschungsfrage abgeleiteter Begriffe maßgebliche Erkenntnisse gewonnen werden können.97 Beispiel für eine solche rein quantitativ erfassbare Forschungsfrage könnte beispielsweise die Untersuchung der reinen Häufigkeit der Erwähnung von Männern/Frauen in der politischen Zeitungsberichterstattung der 50er im Vergleich zu den 90ern sein. Übertragen auf die Ministererlaubnis wäre es grundsätzlich vorstellbar die reine Häufigkeit der Nennung von Argumenten wie Arbeitsplatzsicherung, Sicherung der Energieversorgung, oder der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu messen. Hier stellt sich jedoch sofort das Problem, dass im Fall der Ministererlaubnis die Besonderheiten der Einzelfälle derart ausgeprägt sind, dass sich jenseits des Arbeitsplatzargumentes kein Argument durch alle Verfahren hindurchzieht, und noch dazu aus einer reinen Häufigkeitsanalyse keinerlei Aussagen über die Bewertung eines Arguments und die Konstituierung eines bestimmten Gemeinwohlverständnisses in der öffentlichen Meinung getroffen werden können. Aus diesen Gründen wurde eine stärker explorative und qualitative Analysemethode für besser geeignet gehalten, um der Herausbildung eines bestimmten Gemeinwohlverständnisses in der öffentlichen Meinung nachzugehen. 96 97

Silkenbeumer, in: Horster/Jantzen, Wissenschaftstheorie, 2010, 267 – 268. Silkenbeumer, in: Horster/Jantzen, Wissenschaftstheorie, 2010, 268.

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl

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b) Qualitative Inhaltsanalyse Gegenüber einer rein quantitativen Inhaltsanalyse zeichnet sich die sogenannte qualitative Inhaltsanalyse dadurch aus, dass nicht die reine Häufigkeit eines Begriffes gezählt wird, sondern dass bestimmte Inhalte oder Sinnzusammenhänge qualitativ kodiert, und sodann quantitativ analysiert werden. Der Begriff der qualitativen Inhaltsanalyse ist somit eigentlich irreführend, da zwei qualitative und ein quantitativer Arbeitsschritt miteinander verbunden werden.98 Kern der qualitativen Inhaltsanalyse ist daher stets zunächst die Erstellung von aus der Fragestellung abgeleiteten Kategorien, und sodann die Kodierung des in Kodiereinheiten zergliederten Textmaterials an Hand dieser Kategorien.99 Als besondere Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse gelten dabei ihre Objektivität und intersubjektive Nachvollziehbarkeit,100 die im Idealfall dadurch sichergestellt wird, dass eine Person die Kategorien erstellt, und zwei andere Personen unabhängig voneinander das gesamte Textmaterial kodieren und ihre Ergebnisse vergleichen.101 Gravierender Nachteil der qualitativen Inhaltsanalyse ist jedoch, dass sie mit ihren Kategorien steht und fällt. Bei stark explorativ angelegten Untersuchungen ist sie daher weniger gut geeignet, da durch die Kategorienerstellung die Ergebnisfindung bereits stark vorgeprägt wird.102 Zu Gunsten der Objektivität und intersubjektiven Nachvollziehbarkeit leidet daher die bei einer hermeneutischen Vorgehensweise gegebene Validität.103 Eine dichte Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes ist mit der qualitativen Inhaltsanalyse durch das mit ihr verbundene Abstraktionsniveau nicht oder nur schwer zu erreichen.104 Während zu Beginn der Studie noch geplant war, methodisch auf die qualitative Inhaltsanalyse zurückzugreifen, wurde dies bei der Sichtung der zu den verschiedenen Ministererlaubnisverfahren vorhandenen Zeitungsartikeln wieder verworfen. So wäre es schon schwer gewesen, mehrdeutige oder mehrere kontradiktorische Aussagen enthaltende Zeitungsartikel in Kategorien wie Pro/Contra Ministererlaubnis zu kodieren. Auch eine Kodierung auf einer Skala,105 oder auch hinsichtlich 98

Früh, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, 2011, 67. Früh, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, 2011, 65; Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 2012, 59 – 66; Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 48 – 59. 100 Früh, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, 2011, 19, 66; Limbach, JA 1976, 119; Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 2012, 3; Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 13; Kudlich/Christensen, Die Methodik des BGH in Strafsachen, 2009, 14. 101 Sog. Intercoderreliabilität, Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 117; Kudlich/ Christensen, Die Methodik des BGH in Strafsachen, 2009, 15. 102 Silkenbeumer, in: Horster/Jantzen, Wissenschaftstheorie, 2010, 266; Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 124. 103 Früh, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, 2011, 66. 104 Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 2012, 75. 105 Vgl. zur skalierender Strukturierung etwa Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 101. 99

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D. Die öffentliche Meinung

bestimmter Argumente, hätte jeweils nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielschichtigkeit des Quellenmaterials wiedergegeben. So ist die Berichterstattung über die Ministererlaubnisverfahren häufig gerade durch inhaltlich neutrale Ereignisberichte, gemischt mit polemischen oder ironischen Kommentaren und durchbrochen von Gastbeiträgen namhafter Experten charakterisiert. Dabei lassen sich selbst die Kommentarbeiträge nur schwer eindeutig klassifizieren, da sie oft von Ironie oder Metaphern gekennzeichnet sind, und mehrere gegenläufige Argumente abwägen, ohne dass eine klare Entscheidung erkennbar wäre.106 Besonders interessant ist dabei häufig nicht so sehr, welche Argumente überhaupt oder wie oft angeführt werden, sondern wie diese Argumente diskutiert und qualifiziert werden, und wie sich dies über verschiedene Medien oder Zeiträume hinweg unterscheidet. Auch in der eher sachlichen Ereignisberichterstattung ist meist nicht so sehr interessant, was berichtet wird, sondern vielmehr wie und was in welcher Breite und mit welchen Schwerpunkten dargestellt wird. All diese Besonderheiten und gerade die Art und Weise des Diskurses mit einer qualitativen Inhaltsanalyse zu erfassen, wäre äußerst schwierig bis unmöglich gewesen, weshalb für die vorliegende Studie eine hermeneutische Inhaltsanalyse gewählt wurde.107 c) Hermeneutik Bei Hermeneutik handelt es sich der altgriechischen Wortbedeutung nach um die Lehre der Interpretation, der Auslegung und des Verstehens.108 Auch wenn dies in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis häufig nicht mit diesem Namen bezeichnet wird, so handelt es sich doch bei der alltäglichen Praxis der Gesetzesauslegung und ihrer Anwendung auf Einzelfälle wie auch bei der Tatsachenermittlung um nichts anderes als (juristische) Hermeneutik.109 Hinter dem Begriff der Hermeneutik verbirgt sich die Auslegung oder Interpretation von Texten. Die Hermeneutik gehört zu den klassischen Methoden der Geisteswissenschaft,110 getreu dem Diktum Max Webers „soziales Handeln deutend [zu] verstehen“,111 der Sozialwissenschaft,112 und nicht zuletzt vor allem auch der Rechtswissenschaft.113 106 Zur Schwierigkeit einer derartigen Kategorienbildung Rössler/Geise, in: Möhring/ Schlütz, Handbuch standardisierte Erhebungsverfahren in der Kommunikationswissenschaft, 2013, 280. 107 Ähnliche Auffassung Maurer/Reinemann, Medieninhalte, 2006, 66 – 67; Merten/ Giegler/Uhr, Grundlegende Ansätze und Methoden der Medienwirkungsforschung, 1992, 52 – 53; Riederer, Die RAF und die Folterdebatte, 2014, 27. 108 Gemoll, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, 2006; Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 2012, 30. 109 Bühler, in: Bühler, Hermeneutik, 2003, 7. 110 Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 30; Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 30; Jordan, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, 2013, 47. 111 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1980, 1.

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl

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Schon dies spricht für die Verwendung der hermeneutischen Methode für die vorliegende Untersuchung, da durch diese aus dem juristischen Alltag bekannte Methode die Rezipierbarkeit und Replizierbarkeit dieser Studie durch die Rechtspraxis in deutlich höherem Maße gewährleistet ist, als bei Verwendung einer in der Rechtspraxis ungewohnten sozialwissenschaftlichen Methode wie der qualitativen Inhaltsanalyse. Hauptvorteil der hermeneutischen Methode ist jedoch, dass sie nicht von einer bereits vorher festgelegten Kategorienbildung ausgeht, sondern mit ihr jeder Text aufs Neue exploriert werden kann, und seinen Besonderheiten und Einzigartigkeiten in der Analyse genügend Raum gegeben werden kann. Auch Ironie, Sarkasmus, Metaphern, oder argumentative Unentschiedenheit lassen sich genau wiedergeben und analysieren, so dass die hermeneutische Methode für eine genaue Untersuchung und dichte Beschreibung der Konstitution des Gemeinwohls in der öffentlichen Meinung im Einzelfall bestens geeignet ist. Nachteil der hermeneutischen Methode ist, dass sie im Gegensatz zur qualitativen Inhaltsanalyse über kein klar festgelegtes methodisches Programm verfügt, sondern die Qualität der hermeneutischen Interpretation stark vom Anwender abhängt. Der Hermeneutik wird daher oft zur Last gelegt, nur einen impressionistischen Eindruck von der Wirklichkeit zu geben.114 Auch die qualitative Inhaltsanalyse ist jedoch von Subjektivität geprägt, die hinter der Kategorienbildung und der Codierung des Materials aber weniger ins Auge fällt.115 Dennoch lässt sich ein gewisser Vorwurf der Subjektivität gegenüber der hermeneutischen Methode nicht vermeiden. Um diesen bias möglichst gering zu halten, wurden die untersuchten Zeitungsartikel möglichst systematisch und objektiv ausgewertet. So wurden zunächst in einem ersten Schritt alle für das jeweilige Ministererlaubnisverfahren aufgefundenen und näher relevanten Zeitungsartikel genau ausgewertet und die wesentlichen Argumentationslinien herausgearbeitet.116 Aus diesen Exzerpten wurde dann eine Beschreibung des Diskurses in der jeweiligen Zeitung erstellt. Bei aller Notwendigkeit zur Zusammenfassung wurde dabei darauf geachtet, gerade die wesentlichen Argumente möglichst nahe an ihrem originalen Wortlaut, Sinn und Kontext wiederzugeben,117 um so einen möglichst unverfälschten 112

Vgl. Kurt, Hermeneutik, Eine sozialwissenschaftliche Einführung, 2004. Vgl. Senn, in: Senn/Fritschi, Rechtswissenschaft und Hermeneutik, 2009, 13 – 15; Bühler, in: Bühler, Hermeneutik, 2003, 7; Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 30; Kaspers, Philosophie – Hermeneutik – Jurisprudenz, 2014. 114 Vgl. Limbach, JA 1976, 124; Früh, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, 2011, 50 – 51. 115 Vgl. Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse, 2010, 117; Kuckartz, Qualitative Inhaltsanalyse, 2012, 33, 53. 116 Für diese Art der Quelleninterpretation gerade auch bei Tageszeitungen Lengwiler, Praxisbuch Geschichte, 2011, 58, 76. 117 Der besseren Lesbarkeit halber wurden Fussnotennachweise dabei häufig nicht nach jedem einzelnen Satz und jeder einzelnen Formulierung, sondern nach (Sinn)abschnitten angebracht. 113

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D. Die öffentliche Meinung

und unmittelbaren Eindruck des Diskurses zu vermitteln, zugleich aber durch Zusammenfassung und Verkürzung die Wahrnehmbarkeit von teils über 200 Artikeln allein zu einem Ministererlaubnisverfahren in einer Zeitung118 herzustellen. Gerade bei stark redundanten Inhalten oder für die Gemeinwohldiskussion weniger relevanter Ereignisberichterstattung wurde dabei eine sinnvolle Auswahl getroffen. Trotz aller subjektiven Verzerrung, die sich auch so nicht vermeiden, sondern nur eingrenzen lässt, wurde davon ausgegangen, dass dies die beste verfügbare Vorgehensweise war, um einerseits den Besonderheiten und Einzigartigkeiten der verschiedenen Ministererlaubnisverfahren Rechnung zu tragen, und zugleich ein gewisses Maß an Zusammenfassung und Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Ministererlaubnisverfahren herzustellen. Nach Durchführung der hermeneutischen Analyse haben die Ergebnisse die Entscheidung für die hermeneutische Analyse und gegen eine qualitative Inhaltsanalyse bestätigt. So wäre die Angabe von Prozentzahlen oder der reinen Häufigkeit von Argumenten der Vielfältigkeit der Art und Weise des Diskurses und der vorgebrachten Argumente nicht gerecht geworden. Nicht ohne Grund halten die stark auf Analyse und Vergleich von Einzelfällen ausgerichtete Rechts- und Geschichtswissenschaft an der Hermeneutik als Methode trotz aller sozialwissenschaftlicher Neuerungen im Wesentlichen fest.119 2. Medienauswahl a) Auswahl der untersuchten Zeitungen Zentrale Herausforderung einer möglichst repräsentativen Analyse des medialen Diskurses an Hand der Zeitungsberichterstattung ist die Auswahl der untersuchten Zeitungen. Mehrere international angelegte sozialwissenschaftliche Studien, die als Vergleichsmaterial herangezogen wurden, konzentrierten sich in ihrer Analyse des medialen Diskurses in Deutschland dabei auf die beiden Qualitätszeitungen Süddeutsche Zeitung als mitte-links und Frankfurter Allgemeine Zeitung als mitterechts.120 Der Begriff der Qualitätszeitungen bezeichnet dabei Zeitungen, die im medialen Diskurs eine Vorreiterrolle einnehmen, in besonderem Maße von gesellschaftlichen Eliten gelesen werden, und so die Berichterstattung der anderen Zeitungen und den gesellschaftlichen Diskurs maßgeblich prägen.121 118

So das Verfahren Edeka/Tengelmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ebenso Maurer/Reinemann, Medieninhalte, 2006, 66 – 67. 120 Vgl. Schmidtke/Schneider, in: Nullmeier/Biegón, Marktwirtschaft in der Legitimationskrise?, 2014, 46; Gerhards/Neidhardt/Rucht, Zwischen Palaver und Diskurs, 1998, 47, 190 – 191; vgl. Oldhaver, Öffentliche Meinung in der Sicherheitspolitik, 2000, 18, der SPIEGEL und FAZ verwendet. 121 Schmidtke/Schneider, in: Nullmeier/Biegón, Marktwirtschaft in der Legitimationskrise?, 2014, 45; Gerhards, Macht der Massenmedien, 1991, 48. 119

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl

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Auch für die vorliegende Studie wurde wegen dieser besonderen diskursprägenden Funktion von Qualitätszeitungen an diesem Ansatz festgehalten. Es wurde jedoch eine andere Auswahl getroffen. Gerade da der thematische Untersuchungsbereich mit den verschiedenen Ministererlaubnisverfahren schon sehr stark eingeschränkt war, erschien es möglich, mehr als nur zwei Zeitungen zu untersuchen, um so eine größere Vielfalt an Argumenten und Herangehensweisen der verschiedenen Medien in den Blick nehmen zu können. Die Untersuchung von Tageszeitungen sollte dabei durch die Untersuchung von Wochenzeitungen ergänzt werden, da davon ausgegangen wurde, dass neben der tagesaktuellen Berichterstattung in der Tageszeitung sich die Wochenzeitung in besonderem Maße durch weniger, aber dafür umfangreichere und stärker interpretierende und das Ministererlaubnisverfahren in einen größeren Kontext stellende Artikel auszeichnet. Diese Erwartung hat sich im Wesentlichen bestätigt. Um den Mainstream des politischen Spektrums von links nach rechts abzudecken, und dabei sowohl Tages- als auch Wochenzeitung zu berücksichtigen, wurden der SPIEGEL, die ZEIT, die FAZ, und die WELT ausgewählt,122 die noch im Detail vorgestellt werden. Auf eine Untersuchung der Süddeutschen Zeitung wurde anders als in vielen anderen Studien verzichtet, da das Mitte-links Spektrum bereits durch den SPIEGEL und zum Teil auch die ZEIT abgedeckt wurde, die beide in ähnlicher Weise wie die Süddeutsche Zeitung als Leitmedien fungieren, und die FAZ und die WELT bereits die Kategorie Tageszeitung abdeckten. Für die Fälle E.on/Ruhrgas (2002), Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) und Edeka/Tengelmann (2016) wurden zusätzlich auch die auf SPIEGEL ONLINE, ZEIT ONLINE und FAZ.NET veröffentlichten Artikel mit berücksichtigt.123 Trotz der teils eigenständigen Redaktionen der Online-Ausgaben erschien dies gerade bei den beiden Wochenzeitungen SPIEGEL und ZEIT dringend geboten, da ein Großteil der Berichterstattung ausschließlich online erfolgte. Bei den hier untersuchten Themenkomplexen konnte noch dazu kein nennenswerter Bruch zwischen der Berichterstattung der Print- und der Onlineausgabe festgestellt werden.124 Mit dieser Auswahl konnte eine – gerade auch im Vergleich zu anderen Studien zur öffentlichen Meinung – relativ breit angelegte, möglichst repräsentative Untersuchung des medialen Diskurses erreicht werden, wobei zugleich aber auch das Fernsehen, die politischen Extreme oder bei den neueren Fällen die sozialen Medien (Facebook, Twitter, Kommentarfunktionen etc.) nicht untersucht werden konnten. Die Aussagekraft dieser Studie begegnet daher also Grenzen, die aber angesichts begrenzter Ressourcen unvermeidlich waren. 122

Ähnliche Auswahl etwa Riederer, RAF und die Folterdebatte, 2014, 35. Die Online-Ausgabe der WELT wurde nicht untersucht, da in der zur Artikelrecherche ab 2002 verwendeten Online Datenbank WISO die Online-Artikel nicht nachgewiesen waren und bereits eine hinreichenden Anzahl an Print-Artikeln für eine aussagekräftige Untersuchung vorhanden war. 124 Gerade bei FAZ.NET erschienen oft nur leicht modifizierte Versionen der Print-Artikel. 123

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D. Die öffentliche Meinung

Durch die Untersuchung von SPIEGEL, ZEIT, FAZ und WELT wird so ein möglichst repräsentativer Ausschnitt der öffentlichen Meinung untersucht, der aber stets nur exemplarischen Charakter haben kann und nicht mit der öffentlichen Meinung als solcher gleichzusetzen ist. b) Auffinden der relevanten Artikel Eine weitere Herausforderung war, die Artikel zu den jeweiligen Ministererlaubnisverfahren überhaupt ausfindig zu machen. SPIEGEL, ZEIT und FAZ verfügen über Online-Archive in denen die digitalisierten Artikel mit einer Volltextsuche durchsucht werden können. Durch die Suche mit den Namen der am jeweiligen Zusammenschlussverfahren beteiligten Unternehmen und einer zeitlichen Eingrenzung konnten damit die relevanten Artikel gut und zuverlässig aufgefunden werden. Bei der WELT existiert ein vergleichbares Online-Archiv erst ab 1999, so dass für die früheren Ministererlaubnisverfahren auf Mikrofilmausgaben der WELT zurückgegriffen wurde. Das Auffinden der relevanten Artikel gestaltete sich hier ungleich schwieriger. Es wurde hierfür zunächst auf den Zeitungsindex von Gorzny zugegriffen, der nach Schlagworten einen Großteil der deutschsprachigen Zeitungen, darunter auch die WELT, von 1974 – 2003 ausgewertet hat.125 Über die Namen der beteiligten Unternehmen konnte so eine relativ große Anzahl von Artikeln zu den untersuchten Ministererlaubnisverfahren aufgefunden werden. Ergänzend hierzu wurde die Mikrofilmausgabe der WELT auch noch „von Hand“ auf weitere relevante Artikel durchsucht. Hierbei konnte noch eine ganze Reihe weiterer Artikel aufgefunden werden, die nicht bei Gorzny aufgeführt waren. Trotz aller Akribie ließ sich hierbei nicht völlig ausschließen, dass einzelne Artikel möglicherweise übersehen wurden. Die möglichen negativen Folgen halten sich jedoch in engen Grenzen, da für jedes untersuchte Ministererlaubnisverfahren genügend Artikel gefunden wurden, um im Rahmen einer hermeneutischen Analyse valide Aussagen treffen zu können. c) Vorstellung der untersuchten Zeitungen aa) Der SPIEGEL Der SPIEGEL gilt als „im Zweifel links“126 und hat mit einer während des Untersuchungszeitraumes um die Marke von einer Million schwankenden Auflage eine enorme Reichweite.127 Noch vor der BILD-Zeitung ist der SPIEGEL die meistzitierte 125

Gorzny, Zeitungsindex, 1974 – 2003. Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 164. 127 Meyn, Massenmedien, 1970, 47: 877.000 für 1968; Meyn, Massenmedien, 1979 ohne Auflagenangabe; Meyn, Massenmedien, 1985, 57: 890.000; Meyn, Massenmedien, 1990, 59: 126

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl

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Zeitung Deutschlands128 und nimmt durch seine Orientierungsfunktion für andere Journalisten eine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Medienlandschaft ein.129 Die besondere Stellung des SPIEGELS folgt dabei nicht zuletzt auch daraus, dass er durch spektakuläre Enthüllungsgeschichten immer wieder Geschichte schrieb.130 Kritiker werfen dem SPIEGEL vor, Meinungen und Fakten zu sehr zu vermischen, zu einseitig zu berichten und zu stark zu kritisieren. Gleichzeitig wird aber auch seine Unabhängigkeit, die über die Tagespresse hinausgehende Informationstiefe, und seine wichtige Kritik- und Kontrollfunktion gelobt.131 Die Werturteile über den SPIEGEL reichen von „Skandalblatt“, „Aasgeier“ und „Trompete des Nihilismus“ bis hin zu „Wahrzeichen der Demokratie“ und „Verkörperung der Pressefreiheit“.132 bb) Die ZEIT Nach ihrem Selbstverständnis ist die Wochenzeitung ZEIT „liberal“.133 Im Untersuchungszeitraum liegt ihre Auflage im Bereich von 362.000 im Jahr 1979, 418.000 im Jahr 1985, 495.000 im Jahr 1990, 425.000 im Jahr 2004 bis zu 505.000 im Jahr 2012.134 Nach ihrem eigenen Verständnis zeichnet sich die ZEIT dadurch aus, dass sie selbst keine bestimmte politische Linie verfolgt, sondern verschiedenen Stimmen eine Plattform bietet, und gerade bei besonders umstrittenen Themen verschiedene Meinungen zu Wort kommen lässt.135 Der Leser soll so in die Lage versetzt werden, sich seine eigene Meinung zu bilden.136 Hintergründe und Analysen nehmen dabei ebenso wie die Kommentare auf der ersten Seite einen besonderen Stellenwert ein.137 1 Million; Meyn, Massenmedien, 1992, 69: 1,1 Millionen; Meyn, Massenmedien, 2004, 103: 1,1 Millionen; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 78: 960.000. 128 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 163. 129 Meyn, Massenmedien, 2004, 104; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 78; Schrag, Medienlandschaft, 2007, 167. 130 Schrag, Medienlandschaft, 2007, 162. 131 Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 78 – 79; vgl. schon Meyn, Massenmedien, 1970, 48 – 49; Meyn, Massenmedien, 1985, 57 – 58. 132 So Meyn, Massenmedien, 1990, 59 – 60; vgl. schon Meyn, Massenmedien, 1970, 48 – 49. 133 Meyn, Massenmedien, 1970, 46; Meyn, Massenmedien, 1979, 50; Meyn, Massenmedien, 1985, 55; Meyn, Massenmedien, 1990, 58; Meyn, Massenmedien, 2004, 101; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 77. 134 Meyn, Massenmedien, 1979, 50: 362.000; Meyn, Massenmedien, 1985, 55: 418.000; Meyn, Massenmedien, 1990, 58: 495.000; Meyn, Massenmedien, 1992, 68: 500.000; Meyn, Massenmedien, 2004, 101: 425.000; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 77: 505.000. 135 Meyn, Massenmedien, 1990, 58; Meyn, Massenmedien, 2004, 101; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 77; vgl. Sommer, Theo, Mitsprache und Kollegialität, Verbrieft und verbürgt im ZEIT-Statut, ZEIT 28. 06. 1974. 136 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 157.

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D. Die öffentliche Meinung

Qualitativ wird die ZEIT zu den besten Zeitungen Europas gezählt und gilt als Meinungsführerin, die gesamtgesellschaftliche Debatten beeinflusst und wichtige Impulse liefert.138 Seit 1996 gehört die ZEIT zum Georg von Holtzbrinck Konzern, der Antragssteller im Verfahren Tagesspiegel/Berliner Verlag war. cc) Die FAZ Die politische Haltung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird verschiedentlich als schwarz-rot-gold bezeichnet: Schwarz für den CDU/CSU-nahen konservativen Politikteil, rot für den linken Feuilletonteil, und gold für den liberalen Wirtschaftsteil.139 Dementsprechend gilt sie als liberal-konservative Zeitung.140 Mit einer Auflage von um die 370.000 Exemplare141 ist sie nach der Süddeutschen Zeitung quantitativ die Nr. 2 im Qualitätsjournalismus, und neben WELT, SZ und Handelsblatt als einzige Qualitätstageszeitung in ganz Deutschland verbreitet. Weltweit ist sie die am meisten verbreitete deutsche Zeitung.142 Nach eigenen Angaben besteht ihre Leserschaft vor allem aus leitenden Beamten, Managern, sowie Selbstständigen.143 Bei der FAZ handelt es sich neben der Financial Times und dem Handelsblatt um die wichtigste Zeitung für Wirtschaftsjournalismus, die auf den übrigen Wirtschaftsjournalismus ausstrahlt, und auch bei Rechtsanwälten und Steuerberatern weite Beachtung findet.144 Nach ihrem Selbstverständnis möchte die FAZ zum Nachdenken anregen. Eine besonders wichtige Rolle spielen für sie daher die Kommentare.145

137

Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 157. Meyn, Medienlandschaft, 2004, 101; Meyn/Tonnemacher, Medienlandschaft, 2012, 78. 139 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 155; Meyn, Massenmedien, 1990, 55; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 140 Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 141 Meyn, Massenmedien, 1979, ohne Auflagenangabe; Meyn, Massenmedien, 1985: 328.000; Meyn, Massenmedien, 1990, 55: 360.000; Meyn, Massenmedien, 1992, 64: 392.000; Meyn, Massenmedien, 2004, 95: 380.000; Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 154: 373.000; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71: 362.000. 142 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 154. 143 Meyn, Massenmedien, 1985, 51; Meyn, Massemedien, 1990, 55; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 144 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 154. 145 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 155. 138

VI. Methodische Operationalisierung und Quellenauswahl

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dd) Die WELT Die WELT ist das Flaggschiff des Axel-Springer-Konzerns und gilt als „konservativ-national“.146 Seit Gründung regelmäßig immer wieder defizitär, liegt ihre Auflage im Untersuchungszeitraum im Bereich von 220.000 bis 250.000 Exemplaren.147 Ihre Leserschaft soll vornehmlich aus Führungskräften in Staat und Wirtschaft bestehen.148 1990 wurde ihr Verleger damit zitiert, dass die WELT „eine Zeitung auf der Suche nach dem verlorengegangenen Vaterland“ sei.149 1992 hieß es, dass die guten Beziehungen zu Bundeskanzler Kohl und der CDU-Parteizentrale der WELT zeitweise den Beinamen „Bonner Prawda“ eingebracht hätten.150 Durch ihre redaktionellen Leitlinien ist die WELT auf eher konservative Positionen verpflichtet.151 Trotz der lange Zeit großen Sympathie für CDU/CSU sowie der Kritik an den sozial-liberalen Koalitionen unter Brandt und Schmidt gilt die WELT seit den 1990er Jahren als politisch ausgewogen.152 3. Auswahl der untersuchten Ministererlaubnisverfahren Die Auswahl der untersuchten Ministererlaubnisverfahren erfolgte unter mehreren Gesichtspunkten, die sich gegenseitig bedingten. So war offensichtliche Voraussetzung der Anwendbarkeit der hier entwickelten Methodik, dass die betreffenden Ministererlaubnisverfahren überhaupt eine hinreichende mediale Aufmerksamkeit erfahren hatten, um sie in aussagekräftiger Weise zu untersuchen. Hieraus folgte zugleich zwangsläufig, dass vor allem die besonders großen, wichtigen und auch zeithistorisch relevanten Ministererlaubnisverfahren in die Auswahl mit aufgenommen wurden, da gerade sie die größte mediale Aufmerksamkeit erfahren hatten. Indikationen für die mediale Aufmerksamkeit und Wichtigkeit der verschiedenen Ministererlaubnisverfahren wurden dabei der Studie von Friederike Mattes,153 dem Zeitungsindex von Willi Gorzny,154 sowie der Volltextsuche in den Zeitungsarchiven entnommen.

146 Meyn, Massenmedien, 1985, 52; Meyn, Massenmedien, 1990, 55; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 147 Meyn, Massenmedien, 1979, ohne Auflagenangabe; Meyn, Massenmedien, 1985, 52: 202.000; Meyn, Massenmedien, 1990, 55: 220.000; Meyn, Massenmedien, 1992, 64: 230.000; Meyn, Massenmedien, 2004, 95: 220.000; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71: 250.000. 148 Meyn, Massenmedien, 1990, 55; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 149 Meyn, Massenmedien, 1990, 55. 150 Meyn, Massenmedien, 1992, 64. 151 Meyn, Massenmedien, 1990, 55; Meyn/Tonnemacher, Massenmedien, 2012, 71. 152 Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 155. 153 Mattes, Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 207 – 220. 154 Gorzny, Zeitungsindex, 1974 – 2003.

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D. Die öffentliche Meinung

Darüber hinaus sollten im Sinne der Aktualität und Praxisrelevanz der Studie auch alle Ministererlaubnisverfahren seit 1998 berücksichtigt werden, was sich aus dem Vorgesagten aber bereits schon fast von selbst ergab, da insbesondere die Verfahren seit 1998 durch die oft mit ihnen verbundene Skandalträchtigkeit und das Einschreiten des OLG Düsseldorf eine besondere mediale Aufmerksamkeit erfahren haben. Eine Ausnahme bilden insofern die drei Klinikfusionen Landkreis RhönGrabfeld/Rhön Klinikum (2005), Asklepios Kliniken Hamburg/Mariahilf (2007) und Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast (2007), zu denen in den hier untersuchten Medien trotz vereinzelter Berichterstattung nicht hinreichend viele Artikel aufgefunden werden konnten, um eine sinnvolle Analyse zu ermöglichen. Ergänzt wurden diese Auswahlkriterien noch durch weitere aus dem Untersuchungsgegenstand selbst gewonnene Kriterien. So erschien es natürlich besonders interessant das erste Ministererlaubnisverfahren VEBA/Gelsenberg mit in die Analyse aufzunehmen, und den sich aus dieser Fusion entwickelnden weiteren Ministererlaubnisverfahren VEBA/BP und E.on/Ruhrgas ebenfalls zu folgen, bei denen die Ruhrgas erst an BP verkauft und dann zur mittlerweile unter E.on firmierenden VEBA zurückgeholt wurde. Aus ähnlichen Gründen erfolgte die Einbeziehung der beiden Medienfusionsverfahren Burda/Springer und Tagesspiegel/Berliner Verlag, bei denen zu Recht erwartet wurde, dass sie wegen der eigenen Betroffenheit der Medien ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erfahren würden, und sich hier auch eine gewisse Medien bias einstellen würde. Alles in allem ergab sich unter Anwendung dieser sich mehrfach überschneidender Kriterien eine Auswahl von insgesamt sieben Ministererlaubnisverfahren: VEBA/Gelsenberg (1974), VEBA/BP (1978/1979), Burda/Springer (1981/1982), Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002), Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/ 2003) und Edeka/Tengelmann (2016). Mit der Untersuchung dieser Verfahren werden die Branchen Energie, Medien, Rüstung und Lebensmitteleinzelhandel, sowie ein Zeitraum von insgesamt knapp 45 Jahren abgedeckt.

VII. Ziel und Gang der empirischen Untersuchung Ziel der nun folgenden empirischen Untersuchung ist es darzustellen, wie sich der öffentliche Diskurs in den hier untersuchten Medien über die verschiedenen Ministererlaubnisverfahren konstituiert. Dies dient dem übergeordneten Ziel, zu untersuchen, inwiefern die theoretisch begründete Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs durch die öffentliche Meinung praktisch umsetzbar ist. Ein besonderes Augenmerk gilt deshalb der Frage, ob sich ein Konsens hinsichtlich des im jeweiligen Ministererlaubnisverfahren zu verfolgenden Gemeinwohls ausmachen lässt. Häufig ist dies identisch mit der Frage, ob die Ministererlaubnis erteilt werden soll oder nicht.

VII. Ziel und Gang der empirischen Untersuchung

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Die untersuchten Zeitungen bilden dabei einen möglichst repräsentativen Ausschnitt aus der Gesamtheit der öffentlichen Meinung und stellen den diskursiven Raum zur Verfügung, in dem sich durch die Diskussion verschiedener gesellschaftlicher Akteure eine öffentliche Meinung konstituieren kann, sei es näher am Idealtyp eines Konsenses (deliberatives Modell), oder näher am Idealtyp eines Spiegels der verschiedenen in der Gesellschaft vertretenen Positionen (liberales Modell). Auf Grund ihrer Funktion als Forum des Konstitutionsprozesses der öffentlichen Meinung nehmen die einzelnen Zeitungen in der folgenden Darstellung eine einrahmende Funktion ein, so dass der öffentliche Diskurs jeweils getrennt für die einzelnen Zeitungen dargestellt wird. Bei dieser Untersuchung einzelner Zeitungen handelt es sich nur um einen Ausschnitt aus dem Konstitutionsprozess einer öffentlichen Meinung in der Gesamtheit des medialen öffentlichen Raumes. Es geht dabei nicht so sehr darum, was die Zeitungen selbst schreiben, sondern vielmehr darum zu untersuchen, ob sich im hier untersuchten Ausschnitt des durch die Zeitungen konstitutierten medialen Raumes ein Konstitutionsprozess einer öffentlichen Meinung unter Beteiligung verschiedenster gesellschaftlicher Akteure nachvollziehen lässt. Mit dem so in den Zeitungen beobachtbaren öffentlichen Diskurs über das Gemeinwohl soll nicht Empirie an die Stelle von Normativität gesetzt werden. Vielmehr geht es darum herauszufinden, inwiefern sich ausgehend von verschiedenen subjektiven, normativen Vorstellungen vom Gemeinwohl durch einen öffentlichen Diskurs ein gesamtgesellschaftlicher, basisdemokratischer und normativer Konsens über das im Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl herausbildet. Durch den Austausch der verschiedenen, in der Gesellschaft vertretenen subjektiven Werturteile soll der öffentliche Diskurs durch Rede und Gegenrede so die Funktion eines Rationalitätskriteriums zur Bestimmung des in einem Einzelfall zu verfolgenden Gemeinwohls übernehmen.155 Schon an dieser Stelle gilt es dabei hervorzuheben, dass gerade die Medien als Forum und zugleich aktiv Beteiligte eines solchen Diskurses anfällig für Missbrauch sind. So können einzelne Diskussionsbeiträge verschwiegen, andere besonders hervorgehoben, und gerade durch die Medien selbst der Diskurs in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Dennoch gibt es in einer modernen, pluralistischen Demokratie keine andere Möglichkeit, das Gemeinwohl in einem Einzelfall zu bestimmen als durch einen öffentlichen Diskurs der verschiedenen in der Gesellschaft vertretenen Einzelmeinungen. Trotz der medialen Missbrauchsgefahren gilt es daher, zu untersuchen, inwiefern dieses theoretische Axiom auch praktisch umsetzbar ist. Der öffentliche Diskurs soll daher nun ausschnittsweise untersucht werden. Zur besseren Verständlichkeit wird dabei den jeweiligen Ministererlaubnisverfahren eine kurze Übersicht des zeitlichen Ablaufs mit den wesentlichen Ereignissen vorange155

Vgl. Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 59.

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D. Die öffentliche Meinung

stellt sowie die Entscheidung von Bundeskartellamt, Monopolkommission, Bundeswirtschaftsminister und eventuelle Gerichtsentscheidungen kurz zusammengefasst. Hierdurch soll die Darstellung des Diskurses in den Zeitungen von reinen Ereignisberichten entlastet werden. Dennoch ist es nicht möglich die Darstellung des öffentlichen Diskurses ausschließlich auf Meinungsbeiträge zu beschränken, da gerade auch die Auswahl und Darstellung der Ereignisse wesentlichen Einfluss auf den Konstitutionsprozess der öffentlichen Meinung nimmt. Um mit Friedrich Nietzsche zu sprechen: „Nein, gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Interpretationen.“156 Aus diesem Grund erfolgt die sich nun anschließende Darstellung des Diskurses in den ausgewählten Zeitungen zwar in komprimierter Form, aber dennoch möglichst unmittelbar und ungefiltert, gleichsam impressionistisch, am öffentlichen Diskurs entlang, damit sich der Leser eine eigene unmittelbare Anschauung der Entwicklung des öffentlichen Diskurses bilden kann. Neben dem Zweck der quasi experimentellen Untersuchung der zuvor aufgestellten Annahmen an verschiedenen Fallbeispielen, erfüllt dies zugleich eine zeithistorische Funktion, da die Ministererlaubnisverfahren trotz ihrer großen Bedeutung für die jüngere deutsche Wirtschaftsgeschichte bisher kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren haben. Durch die Darstellung des Diskurses in ausgewählten Zeitungen wird so nun erstmals die zeitgenössische Bewertung einzelner Ministererlaubnisverfahren wissenschaftlich erfasst. Dementsprechend endet die Darstellung des öffentlichen Diskurses zu den Ministererlaubnisverfahren trotz des primären Erkenntnisinteresses am Konstitutionsprozess einer öffentlichen Meinung über das Gemeinwohl auch nicht unmittelbar mit der Erteilung der Ministererlaubnis, sondern es wird soweit vorhanden und auffindbar auch die rückblickende Bewertung des Ministererlaubnisverfahrens kurz dargestellt. Besonders auffällig ist hierbei die mit den Ministererlaubnisverfahren stets verbundene Prognoseunsicherheit und daraus folgend die hohe Volatilität in der öffentlichen Beurteilung der Ministererlaubnisverfahren, die sich nach Bekanntwerden neuer Tatsachen schnell in ihr Gegenteil verkehren kann.

156

Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885 – 1887, 1988, 7 [60].

E. Empirische Untersuchung I. VEBA/Gelsenberg (1974) 1. Zeitleiste1 15. 09. 1972 08. 01. 1974 09. 01. 1974 01. 02. 1974 22. 04. 1975 Mai 1975

Beginn der öffentlichen Berichterstattung über das Fusionsvorhaben Entscheidung des Bundeskartellamts Antragstellung Ministererlaubnis Gutachten der Monopolkommission Deutliches Sinken der internationalen Rohölpreise, hohe Verluste im Raffineriegeschäft

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war die Fusion der beiden Energieunternehmen Gelsenberg AG und VEBA AG.2 Hierdurch wäre es zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung im Elektrizitätsbereich, im Mineralölbereich (leichtes und schweres Heizöl), im Energieverteilungsbereich, in der Binnenschifffahrt sowie auf den Märkten für Phthalsäureanhydrid und Para-Xylol gekommen.3 Das Bundeskartellamt untersagte den Zusammenschluss deshalb nach § 24 Abs. 1 GWB a.F. Die Möglichkeit der Verbesserung der deutschen Verhandlungsposition auf den internationalen Rohölbeschaffungsmärkten stellte das Bundeskartellamt hierbei nicht in die Abwägung nach § 24 Abs. 1 GWB ein, da sich seine Prüfung auf den Geltungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen limitierte.4 Ausdrücklich wies das Bundeskartellamt jedoch am Ende seiner Entscheidung darauf hin, dass der Bundeswirtschaftsminister im Rahmen der Ministererlaubnis 1 Diese und die folgenden Zeitleisten enthalten die wesentlichen Daten des Verfahrensablaufs, soweit sie aus den einschlägigen Entscheidungen und der Zeitungsberichterstattung entnommen werden konnten. In einigen Fällen konnte das Datum der Anmeldung des Fusionsvorhabens nicht mehr festgestellt werden, da die Veröffentlichung der Entscheidung des Bundeskartellamts dieses nicht nannte bzw. an der entsprechenden Stelle zur Veröffentlichung gekürzt wurde. 2 Zu den technischen Details der Anteilsübertragung unter Beteiligung des Bundes vgl. BKartA VEBA/Gelsenberg, WuW/E BKartA, 1457. 3 BKartA VEBA/Gelsenberg, WuW/E BKartA, 1457 – 1464. 4 BKartA VEBA/Gelsenberg, WuW/E BKartA, 1465.

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E. Empirische Untersuchung

auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Märkten außerhalb des Geltungsbereichs des GWB berücksichtigen dürfe. 3. Das Gutachten der Monopolkommission Das Gutachten der Monopolkommission im Verfahren VEBA/Gelsenberg weist die Besonderheit auf, dass es erst nach der Erteilung der Ministererlaubnis erstellt worden ist, da sich die Monopolkommission erst danach konstituierte. In der Ministererlaubnis wurde daher auch darauf hingewiesen, dass die Monopolkommission noch Stellung nehmen werde.5 Am 24. 05. 1974 unterrichtete die Bundesregierung dann jedoch die Monopolkommission davon, dass kein Gutachtenersuchen mehr bestehe, woraufhin die Monopolkommission von ihrem Ermessen Gebrauch machte, dennoch ein Gutachten zu erstellen.6 Die Monopolkommission begründete dies damit, eine Grundlage für die weitere Praxis der Zusammenschlusskontrolle legen zu wollen.7 Bei ihrer Prüfung ging die Monopolkommission davon aus, dass die Bestimmung des Gemeinwohls als Voraussetzung für die Erteilung der Ministererlaubnis nur durch die Zugrundelegung der von den zuständigen Verfassungsorganen formulierten Politik möglich sei. Da die langfristige Sicherung der Mineralölversorgung im Energieprogramm der Bundesregierung als Ziel formuliert sei, handele es sich demnach um eine zulässige Konkretisierung der Gemeinwohlklausel.8 Die Monopolkommission war dabei der Auffassung, dass sie das Argument des Bundeswirtschaftsministers, dass durch die Fusion die deutsche Verhandlungsposition auf den internationalen Mineralölmärkten verbessert, und dadurch die langfristige Energieversorgung gesichert werde, nicht widerlegen könne.9 Dieses Ziel hätte jedoch mit einer auf den Mineralölbereich beschränkten Fusion erreicht werden können. Die Ministererlaubnis hätte sich daher nur so weit erstrecken dürfen, wie dies zur Erreichung des Gemeinwohlziels erforderlich gewesen sei, und hätte daher nur unter Auflagen erfolgen dürfen.10 Durch seine Stellung als Großaktionär der VEBA könne der Bund die Einführung der von der Monopolkommission konkret benannten Auflagen nun auch noch im Nachhinein erreichen.11 Die Bundesregierung ist diesen Empfehlungen der Monopolkommission nicht nachgekommen.

5

BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW, 148. Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3. 7 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3. 8 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3, 23 – 25. 9 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3, 43. 10 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3. 11 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1975, Rn. 3. 6

I. VEBA/Gelsenberg (1974)

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4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Der als „im Zweifel links“12 geltende SPIEGEL unterstützt von Anfang an die Pläne der Bundesregierung zur Schaffung eines großen nationalen Energiekonzerns zur Sicherung der Versorgung mit Rohöl. So wird im SPIEGEL deutlich Stimmung gegen das Bundesfinanzministerium und den Gelsenberg Vorsitzenden Walter Cipa gemacht, als diese die VEBA/Gelsenberg Fusion aus Kostengründen beziehungsweise aus „Angst um den Chefsessel“ blockieren.13 Demgegenüber hätten der FDP-Minister Hans Friderichs und der VEBA-Vorsitzende Rudolf von Bennigsen die letzte Chance gesehen, durch die Schaffung eines nationalen Konzerns im Wettlauf um Bohrlöcher und Liefergarantien mithalten zu können. Der nun entstehende Widerstand gefährde die bedeutsamsten Verhandlungen eines deutschen Unternehmens mit dem Erdölförderland Iran in der Nachkriegszeit. Die Perser seien an einem Vertrag nur interessiert, wenn mindestens 25 Millionen Tonnen Rohöl abgenommen würden, was die VEBA allein nicht leisten könne. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass beim Wegfall der Fusionspläne auch diese Verhandlungen platzten.14 In der Berichterstattung des SPIEGEL wird dabei auch klar herausgestellt, dass durch die geplante Fusion enorme Kosten auf den Bundeshaushalt durch den Kauf der Gelsenberg Aktien zukämen. Dies sei aber im Einklang mit dem schon von Willy Brandt entwickelten Energieprogramm. Durch den enormen Einsatz von Steuergeld solle es nun gelingen, einen großen internationalen Ölkonzern zu schaffen, der zu den internationalen Öl-Multis aufschließen und neue Ölquellen erschließen könne.15 Andererseits wird im SPIEGEL aber auch kritischen Stimmen Raum gegeben.16 So wird deutlich gemacht, dass die Monopolkommission Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs nach seiner Erlaubnis mit ihrem Gutachten zum Erlass von Auflagen bringen möchte, und dass die ihr eigentlich versprochene Ministeranhörung nicht gewährt worden sei. Neben der Kritik im Detail liefere die Monopolkommission in 12

Schrag, Medienlandschaft Deutschland, 2007, 164. Potente Partner, Die geplante Fusion der Energiefirmen Veba und Gelsenberg droht zu scheitern – und damit das ehrgeizigste Ölprojekt der Nachkriegszeit, SPIEGEL 01. 10. 1973. 14 Potente Partner, Die geplante Fusion der Energiefirmen Veba und Gelsenberg droht zu scheitern – und damit das ehrgeizigste Ölprojekt der Nachkriegszeit, SPIEGEL 01. 10. 1973. 15 Einfach abblocken, Bereits vor der Fusion von Veba und Gelsenberg zum größten deutschen Energiekonzern hat ein Gerangel um Vorstandsposten eingesetzt: Bonn wünscht mehr Mitsprache, SPIEGEL 23. 09. 1974; Brandt, Willy, „Ein Test für unser Volk“, SPIEGEL 30. 09. 1974; Wie eine Rakete, Der von Bonn geförderte Energiekonzern Veba/Gelsenberg hat große Pläne, SPIEGEL 10. 03. 1975. 16 Lohn der Drohung, Ohnmächtig müssen Monopolkommissare und Kartellwächter mitansehen, wie ihr Einspruch selbst Großfusionen kaum behindert, SPIEGEL 14. 04. 1975. 13

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E. Empirische Untersuchung

ihrem Gutachten aber auch eine „Gebrauchsanweisung“ für die Gemeinwohlklausel mit. Sie plädiere hierbei für eine enge Auslegung der „Gummibestimmung“, um so Hans Friderichs zu einem sparsamen Gebrauch seines „Sonderrechts“ zu bringen. Laut dem SPIEGEL komme dies den Wettbewerbsexperten im Wirtschaftsministerium gerade recht, da diese unter zunehmenden Druck durch Großunternehmen kämen. In der Industrie habe sich schon herumgesprochen, dass sich die Drohung mit Massenentlassungen lohne, um eine positive Bescheidung von Fusionsanträgen zu erreichen. Gerade wenn die Konzerne geschickt taktierten, könnten sie „Schützenhilfe“ von Gewerkschaften, Landesregierungen und Lokalhonoratioren erhalten.17 Deutlich kritischere Töne werden durch den SPIEGEL erst dann laut, als die nach der Ölkrise deutlich gesunkenen Ölpreise zu hohen Verlusten bei der durch die Fusion vergrößerten VEBA führen. Nun heißt es, dass Bonns „Kraftprotz“ schwach wurde, noch bevor er seine Stärke zeigen konnte. Gerade einmal drei Monate nach der Förderung mit 780 Millionen DM aus Bundesmitteln müsse sich die zum „nationalen Ölkonzern hochgejubelte Energiefirma“ nun auf eine Katastrophe einstellen, da 1975 Verluste von einer halben Milliarde drohten.18 Letztlich wird dieser Verlust wenig später nur noch auf 300 Millionen DM beziffert, es wird aber befürchtet, dass noch weitere magere Jahre bevorstünden, so lange die Wirtschaft nicht anziehe, und mehr Energie nachfrage.19 1976 wird sodann berichtet, dass nun die Dividende gekürzt werden müsse, da wiederum 450 Millionen DM Verluste aufgelaufen seien.20 Die Schuld wird nun dem VEBA-Vorsitzenden Rudolf von Bennigsen gegeben, der Bonn auf die Idee der Fusion gebracht habe, die 800 Millionen DM Steuergelder gekostet habe. Hinsichtlich des Zugangs zu eigenen Ölquellen sei dieses Projekt eine Fehlkalkulation gewesen, da jetzt Öl im Überfluss vorhanden sei. Die „Geburtshelfer“ aus Bonn hätten nun nach Ende der Ölkrise das Interesse verloren, während Rudolf von Bennigsen nach staatlichem Schutz vor den Ölimporten aus dem Ausland rufe.21 Als schließlich 1982 auch noch der Verkauf des Aral-Tankstellennetzes von der VEBA an einen internationalen Öl-Multi im Gespräch ist, wird der Traum vom großen nationalen Energiekonzern im SPIEGEL für gescheitert erklärt.22

17 Lohn der Drohung, Ohnmächtig müssen Monopolkommissare und Kartellwächter mitansehen, wie ihr Einspruch selbst Großfusionen kaum behindert, SPIEGEL 14. 04. 1975. 18 Macht uns kaputt, Billiges Öl aus dem Ausland unterspült den Öltrust Veba-Gelsenberg, SPIEGEL 02. 06. 1975. 19 Keine Lust, Mit dem deutschen Energiekonzern Veba geht es bergab, SPIEGEL 17. 11. 1975. 20 Die Sache hängt, Die Veba, vor zwei Jahren zum internationalen Energiekonzern hochgepäppelt, rutscht immer tiefer, SPIEGEL 08. 03. 1976. 21 Die Sache hängt, Die Veba, vor zwei Jahren zum internationalen Energiekonzern hochgepäppelt, rutscht immer tiefer, SPIEGEL 08. 03. 1976. 22 Geheimer Plan, Geht die Mehrheit von Aral, dem größten deutschen Tankstellennetz, an einen ausländischen Öl-Multi?, SPIEGEL 02. 08. 1982.

I. VEBA/Gelsenberg (1974)

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b) Die ZEIT „Letzter Trumpf im Ölgeschäft, Nationale Energiepolitik mit der Veba?“ lautet der Titel eines der ersten ZEIT-Artikel zur VEBA/Gelsenberg Fusion,23 und diese Überschrift ist auch Programm der Berichterstattung. Die ZEIT ist in der insgesamt über etwa sechs Jahre gestreckten Berichterstattung nahezu durchgehend ein Advokat der Schaffung eines großen deutschen nationalen Energiekonzerns, um so die Versorgung der Bundesrepublik mit Rohöl sicherzustellen. Erst durch die Fusion könne eine international relevante Größe erreicht werden, und so die Unabhängigkeit der Bundesrepublik von den internationalen Öl-Multis sichergestellt werden.24 Dabei wird im Wesentlichen die Ansicht der Bonner Bundesregierung und ihres Energieprogramms wiedergegeben, dass nur große Unternehmen Förderverträge unmittelbar mit den Erzeugerländern abschließen könnten. Die hohen Kosten für den Steuerzahler durch den Kauf der Gelsenberg Aktien seien schlicht als „Opfer auf dem Altar eines sinnvollen Mineralölkonzeptes“ hinzunehmen.25 Die negativen Auswirkungen der Fusion auf den Wettbewerb werden von der als links-liberal geltenden ZEIT durchaus wahrgenommen, aber im Vergleich zur Bedeutung der Wichtigkeit der Versorgung mit Rohöl ganz eindeutig hintangestellt. Vielmehr wird die Fusion sogar zum Anlass genommen, die erst kurz zuvor eingeführte Fusionskontrolle ganz generell in Frage zu stellen, denn schon der erste Fall habe ja gezeigt wie sehr Wunschdenken und Wirklichkeit auseinanderfallen könnten, und dass der Weltmarkt nun einmal die Zusammenfassung aller Kräfte erfordere, auch wenn dies zu Lasten des Wettbewerbs gehe.26 In einem anderen Artikel27 wird aber auch die Richtigkeit des Verfahrensablaufs von Kartellamt, Monopolkommission und Bundeswirtschaftsminister betont, da so Öffentlichkeit hergestellt werde, und eine breite Diskussion über die Zusammenschlusskontrolle entstehen könne. Auch für den Bund als Beteiligten der Fusion müsse die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht so unbequem wie möglich bleiben, und auch wenn jetzt die Schaffung eines nationalen Mineralölkonzerns zur Sicherung der Ölversorgung durchaus funktionieren könne, so müsse dennoch darauf 23 Diekhot, Rolf, Letzter Trumpf im Ölgeschäft, Nationale Energiepolitik mit der Veba?, ZEIT 15. 09. 1972. 24 Diekhot, Rolf, Letzter Trumpf im Ölgeschäft, Nationale Energiepolitik mit der Veba?, ZEIT 15. 09. 1972; Veba/Gelsenberg Bonner Ölgemälde, ZEIT 22. 06. 1973. 25 Kemmerer, Heinz-Günter, Konzentration: Nur wenn der Bund zahlt … Der Ausbau der Veba zu einem mächtigen Ölkonzern soll vom Steuerzahler finanziert werden, ZEIT 29. 06. 1973; Schmid, Klaus/Eglau, Hans, Hans Friderichs’ gesammeltes Schweigen, So sieht das bisher geheimgehaltene Bonner Energiekonzept aus, ZEIT 10. 08. 1973; Eglau, Hans, Deutscher Ölkonzern, Bonn muß tief in die Tasche greifen, ZEIT 26. 10. 1973. 26 Stolze, Dieter, Die rechte und die linke Hand des Ministers, Die Gründung eines nationalen Ölkonzerns zeigt, was von der Fusionskontrolle wirklich zu erwarten ist, ZEIT 29. 06. 1973. 27 Nawrocki, Joachim, Kartellstreit, Das unwirksame Veto, Der Fall Gelsenberg kommt jetzt vor die Monopolkommission, ZEIT 18. 01. 1974.

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geachtet werden, dass die Beschränkung des Wettbewerbs so gering wie möglich bleibe. Gerade die Monopolkommission könne dem Bundeswirtschaftsminister nun Anregungen für entsprechende Auflagen und Beschränkungen geben.28 Auch nachdem Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs die Fusion bereits genehmigt hat, wird immer wieder die Ansicht bestärkt, dass gerade nach den Erfahrungen mit dem Ölembargo an der von Bundeskanzler Helmut Schmidt angekündigten Schaffung eines nationalen Ölkonzerns festzuhalten sei.29 Auch bei der praktischen Umsetzung der Fusion bleiben die kritischen Stimmen insgesamt eher gering. So wird lediglich eher am Rande angesprochen, dass in Bonn kein Interesse bestehe, die marktpolitischen Schwierigkeiten, die mit der Fusion beispielsweise im Handel entstünden, zu beheben.30 Schon 1975 ändert sich die Beurteilung jedoch merklich. Wie die ZEIT berichtet, ist die Ölkrise zu diesem Zeitpunkt beendet und die Ölpreise sind stark gefallen, so dass die VEBA Chemie AG je Tonne Rohöl 30 DM Verlust macht, was den Aktienkurs der VEBA AG um 20 % fallen lässt. Nun wird deutlich, dass sich die Prognosen, die von einem Versorgungsmangel beim Rohöl ausgegangen sind, nicht erfüllt haben, und man nun vielmehr im Rohöl schwimme. Aus dem Ausland importierte Überschüsse drohten laut der ZEIT die VEBA zu ruinieren, so dass der Ruf nach Importbeschränkungen laut werde.31 Insgesamt sei die Bundesrepublik nun keineswegs besser auf eine Versorgungskrise vorbereitet als noch vor der Ölkrise.32 Dies führt in der ZEIT nun zu grundsätzlichen Zweifeln, ob die Ministererlaubnis für Politiker nicht die Versuchung nahe lege, Wirtschaftspolitik vor allem mit Rücksicht auf die Verbraucher, Wähler, Interessengruppen und die Wirtschaft zu machen.33 Andererseits wird jedoch wenig später die Existenz von Großkonzernen in der Rezession gepriesen. Sie seien es die Arbeitsplätze sicherten, Steuern zahlten, und besser durch die Krise kämen.34 Zwar seien Monopole zu verhindern, Größe an sich dürfe aber keine Sünde sein. Die Bundesregierung halte sich ja aber ohnehin nicht an ihr eigenes Kartellgesetz.35 28 Nawrocki, Joachim, Kartellstreit, Das unwirksame Veto, Der Fall Gelsenberg kommt jetzt vor die Monopolkommission, ZEIT 18. 01. 1974. 29 ZEIT-Interview mit Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs, Bonns neue Öl-Diplomatie, ZEIT 20. 03. 1974; Plump, ZEIT 24. 05. 1974. 30 Eglau, Hans, Als der Kanzler hart wurde … Der Ölkonzern Veba-Gelsenberg steht vor der Vollendung, ZEIT 28. 06. 1974. 31 Kemmer, Heinz-Günter, Der Dritte im Bunde? Veba-Konzern: Nach Preussag und VW ist auch die letzte Volksaktiengesellschaft auf dem Marsch in die roten Zahlen, ZEIT 06. 06. 1975; Kemmer, Heinz-Günter, Die Multis sind zerstritten, Die einen rufen nach dem Staat, die andern halten die Fahne der Marktwirtschaft hoch, ZEIT 21. 11. 1975. 32 Kemmer, Heinz-Günter, Die Multis sind zerstritten, Die einen rufen nach dem Staat, die andern halten die Fahne der Marktwirtschaft hoch, ZEIT 21. 11. 1975. 33 Nawrocki, Joachim, Glaubenskrieg um den Wettbewerb, ZEIT 18. 07. 1975. 34 Stolze, Dieter, Vom Nutzen der Elefanten, ZEIT 12. 03. 1976. 35 Stolze, Dieter, Vom Nutzen der Elefanten, ZEIT 12. 03. 1976.

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Als sich schließlich 1978 der Verkauf von Gelsenberg an die BP abzeichnet, spart der selbe Journalist, der zuvor noch von der Richtigkeit der VEBA/Gelsenberg Fusion für die Sicherung der Energieversorgung überzeugt war, nun nicht mit Spott und Häme für die Bonner Energiepolitik und die Unternehmensführung der VEBA.36 Was mit Steuergeldern massiv subventioniert worden und als großer Schritt in die Zukunft verkauft geworden sei, habe sich schnell als existenzbedrohender Verlust für die VEBA herausgestellt. Der Verkauf der Gelsenberg an BP sei nun das genaue Gegenteil des ursprünglichen Planes der Schaffung eines großen nationalen Energiekonzerns.37 c) Die FAZ Die wirtschaftsliberale Frankfurter Allgemeine Zeitung begleitet den Fusionsprozess mit minutiöser Berichterstattung und erkennt das überragende Gemeinwohlziel der Sicherung der Energieversorgung grundsätzlich an, kritisiert die Eignung der Fusion zur Erreichung dieses Zieles jedoch scharf. Schon Mitte 1973 wird hier geschrieben, dass nur ein Phantast daran glauben könne, dass die Schaffung gigantischer Erdölkonzerne den Zugang zu Rohöl merklich verbessere.38 Schon jetzt sei die kleine Gelsenberg erfolgreicher in der internationalen Rohölbeschaffung als die große VEBA. Nach einer Fusion sei zu befürchten, dass die klugen Stimmen der Gelsenberg im Großkonzern VEBA verstummten. Gerade am grundsätzlichen Problem der deutschen Abhängigkeit von Rohölimporten aus dem Ausland ändere die Fusion, ebenso wie die großzügige Unterstützung durch Bundesmittel, gar nichts. Der ganze Fusionsplan erscheine als nichts weiter als ein Wahlkampfmanöver für die Wahlen 1976.39 Ausführlich berichtet die FAZ sodann auch über wettbewerbskonformere Alternativen, wie die Zusammenführung der Mineralölaktivitäten bei der Gelsenberg AG,40 oder auch nur die Ausgliederung des Mineralölbereichs aus der Gelsenberg AG,41 die aber sämtliche von der VEBA abgelehnt würden. In diesem Kontext wird 36 Kemmer, Heinz-Günter, Das Geschäft ihres Lebens, Warum die Veba den Traum vom großen nationalen Energiekonzern aufgeben mußte, ZEIT 23. 06. 1978. 37 Kemmer, Heinz-Günter, Das Geschäft ihres Lebens, Warum die Veba den Traum vom großen nationalen Energiekonzern aufgeben mußte, ZEIT 23. 06. 1978. 38 Throm, Wilhelm, Von Bonn verordnete Gigantomanie, Der Fall Veba, FAZ 19. 06. 1973, S. 13 (Kommentar); ebenso Throm, Wilhelm, Konzentration bei der Veba oder die GelsenbergLösung? Der Zusammenschluß der beiden Unternehmen brächte weder gesamt- noch privatwirtschaftliche Vorteile, FAZ 02. 08. 1973, S. 12. 39 Throm, Wilhelm, Von Bonn verordnete Gigantomanie, Der Fall Veba, FAZ 19. 06. 1973, S. 13 (Kommentar). 40 Alternativen zum Veba-Modell, Gelsenberg-Chef Cipa gegen eine „Mineralöl-Einheitsgesellschaft“, FAZ 26. 06. 1973, S. 13; Veba lehnt Gelsenberg-Alternative ab, Frühe Bekanntgabe der Pläne soll Spekulationen verhindern, FAZ 27. 06. 1973, S. 18. 41 Gelsenberg: Das kleinere Übel, Neues Modell für die Mineralöl-Konzentration vorgelegt, FAZ 10. 09. 1973, S. 15; Veba: Es gibt keine Alternativen, Gelsenberg-Vorschlag für die Mi-

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nun scharf kritisiert, dass erst die Kartellnovelle fast einstimmig im Bundestag verabschiedet worden sei, bei der VEBA aber nun alles ganz anders sei. Insbesondere Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs könne sich Alternativen, wie etwa die Konzentration bei Gelsenberg, nicht vorstellen. Hier wird nun der Verdacht geäußert, dass dies daran liegen könnte, dass der Bund 40 Prozent der VEBA Aktien halte, und so die VEBA zum verlängerten Arm der Bundesregierung machen wolle, was gerade im Interesse der privatisierungsfeindlichen SPD sei.42 Als sodann die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts und rasch darauf die Genehmigung durch Hans Friderichs erfolgen, wird dies als wenig überraschend bezeichnet, sei doch die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen schon im Energieprogramm 1973 noch vor Ausbruch der Ölkrise festgeschrieben gewesen.43 Diese Genehmigung wird sodann jedoch scharf kritisiert. Zwar sei es das gute Recht der Bundesregierung, sich um die Erdölversorgung zu kümmern. Äußerst bedenklich sei jedoch die Schaffung eines Staatskonzernes, um mit den Ölländern auf Augenhöhe verhandeln zu können. Letztlich sei dies „der Versuch, die privatwirtschaftlich organisierte deutsche Mineralölwirtschaft an die staatswirtschaftliche Unternehmensstruktur von autoritär regierten Entwicklungsländern anzupassen.“44 Als konkrete privatwirtschaftliche Alternative wird hier die Stärkung der Deminex, eines Zusammenschlusses aller in deutschem Eigentum stehenden Mineralölunternehmen zum Zwecke der Ölquellenerschließung, genannt.45 In einem anderen Artikel wird sodann als Argument gegen die Fusion angeführt, dass ein staatlicher Ölkonzern viel leichter von den ölproduzierenden Ländern gezielt politisch erpresst werden könne, während die internationalen Öl-Multis diesem Druck durch ihre staatliche Ungebundenheit viel leichter ausweichen könnten.46 Als schließlich die Monopolkommission 1975 ihr Gutachten veröffentlicht, wird dies zum Anlass genommen, herauszustellen, dass die Genehmigung durch Hans Friderichs nicht einwandfrei gewesen sei. Aus der Sicht der Monopolkommission sei die Fusion zwar zur Sicherung der Rohölversorgung gerechtfertigt gewesen, auf den von diesem Gemeinwohlziel nicht gedeckten Geschäftsbereichen hätte jedoch durch Auflagen die Entstehung und Verstärkung marktbeherrschender Positionen verhindert werden müssen. Insbesondere um die Konkurrenz zwischen Öl und Elektrizität zu sichern, solle nun die Preussen-Elektra ausgegliedert werneralöl-Neuordnung zurückgewiesen, FAZ 15. 09. 1973, S. 21; Gespräch über Veba/Gelsenberg, FAZ 03. 10. 1973, S. 17; Schweigen über die Verhandlungen mit Veba und RWE, Die Bundesregierung sucht nach einer billigen Lösung, FAZ 27. 10. 1973, S. 12. 42 Kruk, Max, Die Macht der Veba, FAZ 30. 07. 1973, S. 9 (Kommentar). 43 Fusion Gelsenberg-Veba vom Kartellamt abgelehnt, Ausnahmegenehmigung durch Friderichs erwartet, FAZ 09. 01. 1974, S. 3; Friderichs genehmigt Veba/Gelsenberg-Fusion, FAZ 02. 02. 1974, S. 19. 44 Throm, Wilhelm, Das deutsche Interesse am Erdöl, FAZ 27. 02. 1974, S. 15. 45 Throm, Wilhelm, Das deutsche Interesse am Erdöl, FAZ 27. 02. 1974, S. 15. 46 Müller-Haeseler, Wolfgang, Das schillernde Bild der Veba, FAZ 18. 11. 1974, S. 11.

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den.47 In Reaktion auf das Gutachten habe die Bundesregierung es zwar begrüßt, dass die Monopolkommission die Notwendigkeit des Zusammenschlusses erkenne, aber darauf hingewiesen, dass Auflagen wegen des notwendigen Risikoausgleiches für die VEBA nicht möglich seien.48 Auch die VEBA selbst begrüße das „ausgewogene“ Gutachten der Monopolkommission, betone aber, dass eine Ausgliederung der Preussen-Elektra nicht möglich sei, da in Richtung Atomenergie schon zu viel investiert worden sei.49 In der FAZ wird bald darauf ausführlich über den stark gefallenen Ölpreis und die erheblichen Verluste bei der VEBA berichtet50 und deutlich darauf hingewiesen, dass die „erste Frucht“ der „Elefanten-Hochzeit“ nicht gerade glücklich sei. Die Erhöhung der Risiken bei der VEBA könne nun zu Stilllegungen und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.51 Auch auf der VEBA Hauptversammlung 1976 sei scharfe Kritik an der Fusion geübt worden, die nicht nur den Bund 800 Millionen DM gekostet, sondern auch bei der VEBA 1 Milliarde DM Verluste verursacht habe.52 d) Die WELT Ebenso wie die linken Presseorgane ist auch die konservative WELT von der Notwendigkeit der Schaffung eines großen deutschen nationalen Energiekonzerns zur Sicherung der langfristigen Rohölversorgung überzeugt.53 Auffällig ist hier jedoch, dass der Verdienst um diese Fusion zur Sicherung der deutschen Energiepolitik 47 Kritik an der Fusion Veba-Gelsenberg, Monopolkommission: Friderichs hätte Auflagen erteilen müssen/Ausgliederung von Preussen-Elektra empfohlen, FAZ 23. 04. 1975, S. 13. 48 Kritik an der Fusion Veba-Gelsenberg, Monopolkommission: Friderichs hätte Auflagen erteilen müssen/Ausgliederung von Preussen-Elektra empfohlen, FAZ 23. 04. 1975, S. 13. 49 Veba lobt Monopolkommission, FAZ 24. 04. 1975, S. 9. 50 Verluste aus der „Elefanten-Hochzeit“, Übernahme von Gelsenberg bringt Veba-Chemie zusätzliche Risiken, FAZ 15. 05. 1975, S. 12; „Das Ende einer großen Publikumsgesellschaft“ Unter den Gelsenberg-Aktionären herrschte Abschiedsstimmung/100 Millionen DM Verlust im ersten Halbjahr, FAZ 17. 07. 1975, S. 13; Die Veba liebäugelt mit Importbeschränkungen beim Öl, „Erforderliche Rahmenbedingungen“/Im ersten Halbjahr 300 Millionen DM Verlust im Mineralölgeschäft, FAZ 30. 08. 1975, S. 12; Verlust bei Gelsenberg, FAZ 01. 03. 1976, S. 11; Gelsenberg mußte stille Reserven auflösen, FAZ 18. 06. 1976, S. 15; Gelsenberg: Auch 1976 kein ausschüttungsfähiges Ergebnis, Besseres Halbjahresergebnis/Sprungrevision im Fusionsfall Veba/Gelsenberg, FAZ 16. 08. 1976, S. 11. 51 Verluste aus der „Elefanten-Hochzeit“, Übernahme von Gelsenberg bringt Veba-Chemie zusätzliche Risiken, FAZ 15. 05. 1975, S. 12. 52 Die Gelsenberg-Fusion im Mittelpunkt der Veba-Hauptversammlung, Harte Kritik am Vorstand/Vorwürfe der Monopolkommission zurückgewiesen, FAZ 27. 08. 1976, S. 14. 53 Baumann, Hans, Der größte deutsche Konzern entsteht, Am Montag unterbreitet Veba den Gelsenberg-Aktionären ihr Umtauschangebot, WELT 26. 10. 1974, S. 10; Baumann, Hans, Freie Gelsenberg-Aktionäre erhalten Fusionsprämie, Veba unterbreitet Umtauschangebot im Verhältnis 5:4, WELT 29. 10. 1974, S. 11; Baumann, Hans, Das Politikum Veba, WELT 29. 10. 1974, S. 11 (Kommentar).

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nicht der sozial-liberalen Koalition zugeschrieben wird, sondern dass ausdrücklich und mehrfach betont wird, dass die Pläne für diese Fusion eigentlich schon 15 Jahre alt seien, und auf den CDU-Staatssekretär Ludwig Kattenstroth im Jahre 1967 zurückgehen würden.54 Zur Umsetzung dieses Plans habe sich die Bundesregierung nun selbst in den Arm fallen müssen, und Minister Hans Friderichs habe höchstpersönlich eine Ausnahmegenehmigung erteilen müssen, um die aus wettbewerbsrechtlichen Gründen erfolgte Untersagung der Fusion durch das Bundeskartellamt zu beseitigen.55 Die WELT berichtet seit Beginn der Pläne zur Schaffung eines großen deutschen Mineralölkonzerns56 auch ausführlich über die Überlegungen, die Konzentration der Mineralölaktivitäten nicht bei der VEBA AG, sondern bei der Gelsenberg AG durchzuführen.57 In diesem Zuge wird als Argument für die Konzentration der Ölinteressen angeführt, dass Privatkonzerne allein die Ölversorgung nicht länger sicherstellen könnten, sondern dass sie für die Verhandlungen mit den Förderländern die Absicherung durch den Bund benötigten.58 Gerade der VEBAVorsitzende Rudolf von Bennigsen aber auch Kleinaktionäre der VEBA betonen, dass ohne nachhaltige materielle und politische Unterstützung kein Unternehmen der Welt mehr in der Lage sei, die Energiekrise zu lösen, während Kritiker dagegen halten, dass die Addition von VEBA und Gelsenberg das Volumen der Rohölverarbeitung und des Rohölaufkommens nicht entscheidend stärke.59 Als die Ministererlaubnis Anfang Februar 1974 erteilt wird, berichtet die WELT ausführlich über die von Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs angeführten Gemeinwohlgründe der Sicherung der Mineralölversorgung.60 Geradezu euphorisch spricht die WELT dann im Oktober 1974 vom 1. Februar 1974 als dem bedeutendsten Datum in der Geschichte der VEBA, denn an diesem Tag sei ihr von Friderichs politischer Status verliehen worden, und sie sei aus dem geltenden Wettbewerbsrecht herausgehoben worden.61 Ungewöhnliche Zeiten hätten dieses ungewöhnliche Mittel 54

Baumann, Hans, Der größte deutsche Konzern entsteht, Am Montag unterbreitet Veba den Gelsenberg-Aktionären ihr Umtauschangebot, WELT 26. 10. 1974, S. 10. 55 Baumann, Hans, Der größte deutsche Konzern entsteht, Am Montag unterbreitet Veba den Gelsenberg-Aktionären ihr Umtauschangebot, WELT 26. 10. 1974, S. 10. 56 Veba soll Zentrum der deutschen Ölinteressen werden, Bonner Engagement bei der angestrebten Neuordnung, WELT 19. 06. 1973, S. 11. 57 Veba soll der Öl-Pool werden, Beteiligung des Schahs am Vertriebsnetz wird erwogen, WELT 27. 06. 1973, S. 9; Gelsenberg in schwerer Abwehrschlacht, Diskussion über die Bildung eines deutschen Öl-Pools beherrscht die Hauptversammlung, WELT 03. 08. 1973, S. 10. 58 Veba soll der Öl-Pool werden, Beteiligung des Schahs am Vertriebsnetz wird erwogen, WELT 27. 06. 1973, S. 9; Baumann, Hans, Apokalypse in Öl, WELT 29. 06. 1973, S. 11 (Kommentar). 59 Veba lehnt Vorstellungen von Gelsenberg kategorisch ab, WELT 17. 08. 1973, S. 11. 60 Gillies, Peter, Friderichs erlaubt Ölfusion, „Zusammenschluß Veba-Gelsenberg dient der Allgemeinheit“, WELT 05. 02. 1974, S. 11. 61 Baumann, Hans, Das Politikum Veba, WELT, 29. 10. 1974, S. 11 (Kommentar).

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erlaubt, und gerade in den Zeiten der Ölkrise sei es dringend erforderlich, dass die Bundesrepublik nun, wie die anderen Ländern es schon längst getan hätten, ihre Kräfte in der Ölindustrie konzentriere. Ein nationaler Ölkonzern habe dabei gegenüber den internationalen Multis den großen Vorteil, über den politischen Rückhalt zu verfügen, der von den Förderländern verlangt werde, und so staatliche Präsenz, industriepolitische Offerten, Entwicklungsdienst und Kapitalverflechtungen bieten zu können. Auch wenn die Untersagung durch das Bundeskartellamt ökonomisch richtig gewesen sein möge, so sei die Genehmigung nun politisch ebenso richtig. Im Bereich der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen habe das Wort Nationalökonomie nun eine gänzlich neue Bedeutung erlangt. Einzig müsse darauf geachtet werden, dass die VEBA nicht in die Funktionärswirtschaft abrutsche, wogegen ihr Management aber gut gefeit scheine.62 Am 08. 11. 197463 (unten wiedergegeben), am 14. 11. 197464 und am 06. 12. 197465 erscheinen in der WELT Anzeigen der VEBA AG, in denen betont wird, dass Mineralöl nach wie vor ein wichtiger Energieträger sei. Die VEBA wolle den Energiebedarf der Volkswirtschaft sichern, und durch die Integration von Gelsenberg werde ihr Produktionspotential noch gesteigert. Schon im Mai 1974 erscheint in der WELT jedoch ein erster Bericht darüber, dass die Ölversorgung gesichert sei und ohne ein neues Ölembargo in der westlichen Welt keine Engpässe mehr zu erwarten seien. Es herrsche bereits ein Überangebot.66 Anfang November 1974 vermeldet die WELT dann aber einen Erfolg der VEBA. So habe die VEBA mit Saudi-Arabien einen Vertrag über die Lieferung von zwölf Millionen Tonnen Rohöl über einen Zeitraum von drei Jahren abschließen können. Der VEBA Vorsitzende Rudolf von Bennigsen habe dabei in Gesprächen mit dem stellvertretenden Ölminister Prinz Saud, dem Sohn König Feisals, den Eindruck gewonnen, dass Saudi-Arabien am liebsten nur mit Regierungen Geschäfte abschließe und die hohe Beteiligung des Bundes an der VEBA den Anstoß für das Geschäft gegeben habe.67

62 Baumann, Hans, Das Politikum Veba, WELT, 29. 10. 1974, S. 11 (Kommentar); vgl. Baumann, Hans, Die Veba strahlt im Hochzeitskleid, Vor der Fusion mit Gelsenberg das beste Ergebnis in der Geschichte des Unternehmens, WELT 04. 07. 1974, S. 13. 63 WELT, 08. 11. 1974, S. 7. 64 WELT, 14. 11. 1974, S. 16. 65 WELT, 06. 12. 1974, S. 7. 66 Siebert, Horst, Ölversorgung ist gesichert, Hohe Preise drücken die Nachfrage – Bereits Überangebot, WELT 15. 05. 1974, S. 11. 67 Veba schließt Vertrag mit Riad, Saudi-Arabien liefert 12 Millionen Tonnen in drei Jahren, WELT 09. 11. 1974, S. 9.

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Quelle: Anzeige der VEBA AG in der Welt 08. 11. 1974, S. 7

Im Februar 1975 berichtet die WELT jedoch, dass bei den Raffinerien deutliche Überkapazitäten bestünden und der Bedarf deutlich geringer sei, als noch im Herbst 1974 gedacht.68 Ende Mai 1975 wird dann darüber berichtet, dass der Mineralölmarkt die nötigen Erlöse nicht hergebe. Die VEBA rutsche in die Krise. Je Tonne Öl würden 30 bis 40 DM Verlust gemacht, die Raffinerien seien nicht ausgelastet, und zehntausende Arbeitsplätze seien bedroht. Der VEBA Vorsitzende Rudolf von Bennigsen rufe nun nach der schützenden Hand des Staates.69 Auf Grund der Verluste ist in der WELT sogar die Rede von einer „Existenzfrage“ für

68 Baumann, Hans, Ölwirtschaft: Kein Geld mehr für Raffinerien, Monat Januar brachte weitere Absatzeinbußen – Korrigierte Prognose bis 1980, WELT 19. 02. 1975, S. 9. 69 Baumann, Hans, Bonn soll die Ölkippe der Welt schließen, Die Mineralölwirtschaft der Bundesrepublik fordert mit einer Stimme Schutz für ihre Investitionen, WELT 27. 05. 1975, S. 12.

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die VEBA.70 Im ersten Halbjahr 1975 führen die strukturellen Probleme zu einem Defizit von 300 Millionen DM.71 Ende September 1975 legt die Mineralölwirtschaft schließlich dem Bundeswirtschaftsminister eine neue Studie vor, die besagt, dass die Unsicherheit der Energieversorgung durch die willkürliche Politik der Förderländer erhöht werde. Die Abhängigkeit von Importen wachse hierbei nicht nur bei Rohöl, sondern auch bei Fertigprodukten. Nach der Interpretation der WELT besage die Mineralölwirtschaft mit diesem Gutachten, dass sie nicht mehr wie früher zur Verantwortung zu ziehen sei, falls sie die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten könne, da nun externe Einflüsse die Ursache seien.72 5. Die Ministererlaubnis Die erste überhaupt erteilte Ministererlaubnis im Fall VEBA/Gelsenberg zeichnet sich durch ihre Kürze aus. Auf nicht mehr als zwei Seiten wird in äußerst knappen Worten begründet, dass die Bundesregierung im Energieprogramm von 1973 die Neugruppierung der deutschen Mineralölinteressen zur Sicherung der langfristigen Versorgung mit Mineralöl als notwendig angesehen habe.73 Die Fusion von VEBA/Gelsenberg diene dieser langfristigen Versorgung mit Mineralöl. Diese Vorteile würden die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen. Das überragende Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren Energieversorgung rechtfertige daher den Zusammenschluss.74 Bisher fehle es an einer deutschen Mineralölgruppierung, die die deutschen Interessen auf dem internationalen Mineralölmarkt vertreten könne, so dass der Zusammenschluss die Aussichten auf erfolgreiche Verhandlungen mit erdölfördernden Ländern verbessere, und eine unmittelbare Beteiligung an Großprojekten ermögliche.75 Die marktwirtschaftliche Ordnung werde durch diesen Zusammenschluss nicht gefährdet, da auch das fusionierte Unternehmen im internationalen Vergleich nur eine mittlere Größe habe. Die Monopolkommission werde noch Stellung nehmen, und sodann werde überlegt werden, ob den wettbewerblichen Bedenken des Bundeskartellamts in Bereichen, in denen der Zusammenschluss nicht aus energiepolitischen Gründen gerechtfertigt sei, Rechnung zu tragen sei.76 70

Baumann, Hans, Vier Monate kosten die Dividende, Die Misere am Mineralölmarkt wird für die Veba zur Existenzfrage, WELT 04. 07. 1975, S. 10. 71 Mischok, Hermann, Bennigsen: Markt ist zu liberal, Veba mußte bei Mineralöl im ersten Halbjahr einen Verlust von 300 Mill. DM hinnehmen, WELT 30. 08. 1975, S. 11. 72 Baumann, Hans, Die Sicherheit der Ölversorgung, Mineralölindustrie legte dem Bundeswirtschaftsminister eine neue Analyse vor, WELT 29. 09. 1975, S. 13. 73 BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW 147. 74 BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW 148. 75 BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW 148. 76 BMWi VEBA/Gelsenberg, WuW/E BMW 148.

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E. Empirische Untersuchung

6. Fazit Im ersten Ministererlaubnisverfahren VEBA/Gelsenberg zeigte sich ein weitestgehender Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, dass die langfristige Sicherung der Rohölversorgung der Bundesrepublik Deutschland ein Gemeinwohlinteresse darstelle, das die wettbewerblichen Nachteile durch die Fusion VEBA/Gelsenberg überwiege. Bedenken hinsichtlich Kosten und Wettbewerb wurden zwar durchaus auch erwähnt, traten hinter dieses Ziel aber als nachrangig zurück. Lediglich die FAZ erkannte zwar die Sicherung der Rohölversorgung als überragendes Gemeinwohlinteresse an sich an, verneinte jedoch die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Fusion zur Erreichung dieses Zieles. Die übrigen Zeitungen gingen hingegen davon aus, dass die Schaffung eines großen nationalen Ölkonzernes die einzige Möglichkeit sei, international konkurrenzfähig zu bleiben, und Zugang zu den Förderländern zu erhalten. Einen klaren Wandel erfuhr dieser Ausschnitt der medialen öffentlichen Meinung, als der Ölpreis deutlich fiel und es bei der VEBA durch die nunmehr bestehenden Raffinerieüberkapazitäten zu erheblichen Verlusten kam, so dass die Fusion nunmehr als nachteilhaft angesehen wurde. In diesem ersten Ministererlaubnisverfahren erschienen mit 79 näher relevanten77 Artikeln im Vergleich zu Ministererlaubnisverfahren ab den späten 80ern nur relativ wenig Artikel. Der Schutz des Wettbewerbs und das Institut der Ministererlaubnis haben somit offenbar im Laufe der Zeit einen deutlich höheren Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung erlangt. Auch waren es in diesem ersten Verfahren noch fast ausschließlich Journalisten, die Stellung zur beabsichtigten Ministererlaubnis bezogen, während in späteren Verfahren in deutlich höherem Maß ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs verschiedener Gruppen und Organisationen stattfand. Wie im Kapitel zur öffentlichen Meinung ausführlich theoretisch begründet, ist dennoch davon auszugehen, dass die Journalisten die in verschiedenen Bevölkerungs-/Leserschichten und gesellschaftlichen Gruppen vertretenen Positionen aufgegriffen und so im medialen Diskurs abgebildet haben. Insgesamt lässt sich das Verfahren VEBA/Gelsenberg idealtypisch dem deliberativen Modell zuordnen, da in einem öffentlichen Diskurs ein Konsens über das zu verfolgende Gemeinwohl erzielt wurde. Im Verfahren VEBA/Gelsenberg gelang es also jedenfalls in dem hier untersuchten Ausschnitt aus der öffentlichen Meinung das Gemeinwohl in einem Diskurs zu konkretisieren. Deutlich fällt hierbei auf, dass sich die öffentliche Beurteilung der Ministererlaubnis nach dem Scheitern der mit ihr verbundenen Hoffnungen drastisch änderte und die Fusion als Misserfolg angesehen wurde.

77 Über die reine Schlagwortsuche mit den Namen der beteiligten Unternehmen wurde teils eine größere Zahl von Artikeln gefunden, die aber nicht alle näher relevant für das Ministererlaubnisverfahren waren.

II. VEBA/BP (1978/1979)

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II. VEBA/BP (1978/1979) 1. Zeitleiste 22. 03. 1976 07. 07. 1978 29. 07. 1978 04. 10. 1978 21. 12. 1978 18. 01. 1979 05. 03. 1979 1980

Beginn der öffentlichen Berichterstattung über das Fusionsvorhaben Anmeldung des Fusionsvorhabens beim Bundeskartellamt Entscheidung des Bundeskartellamts Antragstellung Gutachten der Monopolkommission Anhörung im BMWi Ministererlaubnis Rohöllieferengpässe bei BP, Verzicht der VEBA auf einen Teil der 3 Mio. Tonnen Rohölgarantie

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war der Erwerb der Gelsenberg AG durch die Deutsche BP AG von der VEBA AG.78 Durch den Erwerb der Gelsenberg AG sollte die Deutsche BP AG mittelbar eine 25 %ige Beteiligung an der Ruhrgas AG erlangen. Die Ruhrgas AG hatte zum damaligen Zeitpunkt im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern eine überragende Marktstellung auf dem Gasmarkt inne.79 Diese überragende Marktstellung der Ruhrgas AG wäre durch den Zusammenschluss mit der Deutschen BP AG noch verstärkt worden, da dadurch die BP als Konkurrent wegfiele, die Ruhrgas Zugang zu den Gasvorräten der BP erhielte, und der Substitutionswettbewerb zwischen Öl und Gas weiter verschlechtert würde.80 Wegen dieser Verstärkung der überragenden Marktstellung der Ruhrgas AG auf dem Gasmarkt untersagte das Bundeskartellamt den Zusammenschluss nach § 24 Abs. 1 GWB a.F.81 3. Das Gutachten der Monopolkommission Die Hauptargumente der Antragssteller Deutsche BP AG und VEBA AG waren strukturelle Verbesserungen bei der Rohölversorgung durch den Abbau von Überkapazitäten im Raffineriebereich, die langfristige Sicherung der Energieversorgung, insbesondere durch einen Rohölliefervertrag der VEBA mit BP, Arbeitsplatzsicherung durch zusätzliche Investitionen der BPAG sowie die Belebung des Wettbewerbs auf dem Gasmarkt durch einen Markteintritt der BP AG.82 78 79 80 81 82

BKartA VEBA/BP, WuW/E BKartA 1719 – 1727. BKartA VEBA/BP, WuW/E BKartA 1720 – 1722. BKartA VEBA/BP, WuW/E BKartA 1723 – 1725. BKartA VEBA/BP, WuW/E BKartA 1719. Monopolkommission, Sondergutachten 8, VEBA/BP, 1979, Rn. 37 – 45.

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E. Empirische Untersuchung

Nach Ansicht der Monopolkommission handelte es sich bei der Verbesserung der Raffinerieauslastung um einen lediglich einzelwirtschaftlichen Vorteil, der eine Ministererlaubnis nicht rechtfertigen könne.83 Mit einer Verknappung der Rohölversorgung sei erst in den 90er Jahren zu rechnen, so dass auch erst dann der Liefervertrag über 2 – 2,5 % des jährlichen deutschen Rohölbedarfs relevant werde.84 Grundsätzlich wies die Monopolkommission dabei darauf hin, dass die Sanierung zweier Einzelunternehmen nicht gleichzusetzen sei mit der Sanierung der Mineralölverarbeitung in der BRD, und eine Interessenkollision zwischen der Bundesregierung als Großaktionär der VEBA und dem Bundeswirtschaftsminister als Kartellbehörde nicht auszuschließen sei.85 Insgesamt ging die Monopolkommission von einer Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Erdgas durch die Fusion aus, empfahl zur Sicherstellung des Substitutionswettbewerbs zwischen Heizöl und Erdgas jedoch die Beteiligung der Deutschen BPAG an der Ruhrgas auf 9 % zu begrenzen, um so eine Majorisierung der Ruhrgas durch Erdöl- und Erdgasunternehmen zu verhindern. Die beantragte Erlaubnis mit einer Beteiligung von 25,05 % sei wegen der zu befürchtenden negativen Wirkungen auf den Substitutionswettbewerb zu versagen.86 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL In der Berichterstattung des SPIEGEL über das Fusionsverfahren VEBA/BP tauchen zwar alle Akteure mit ihren jeweiligen Argumenten auf. Es überwiegen aber ganz deutlich die kritischen Stimmen, die vor den Folgen für den Gas- und Ölmarkt warnen, danach fragen, ob hier Sonderrecht für Staatskonzerne gelte, und § 24 Abs. 3 GWB als „Gummiparagraphen“ bezeichnen. Von Anfang an wird über das Fusionsvorhaben mit einem leicht zynischen Unterton berichtet. So sollten durch das große Tauschvorhaben Verluste bei BP gestoppt werden, die selbst der Vorstandsvorsitzende „Buddi“87 sonst nicht stoppen könne. Zugleich wird herausgestellt, dass damit auch die VEBA ihre Überkapazitäten los werde sowie Bargeld und Zugang zu Rohölquellen erhalte.88 Dabei wird daran erinnert, dass der ursprüngliche Zukauf der Gelsenberg Raffinerien durch die VEBA

83

Monopolkommission, Sondergutachten 8, VEBA/BP, 1979, Rn. 47 – 59. Monopolkommission, Sondergutachten 8, VEBA/BP, 1979, Rn. 63 – 67. 85 Monopolkommission, Sondergutachten 8, VEBA/BP, 1979, Rn. 71 – 72. 86 Monopolkommission, Sondergutachten 8, VEBA/BP, 1979, Rn. 119 – 127. 87 Hellmuth Buddenberg. 88 BP mit Veba, SPIEGEL 22. 03. 1976; Lücke gefüllt, Der Ableger des britischen Ölmultis BP kauft dem Bundesunternehmen Veba Firmen im Wert von einigen hundert Millionen Mark ab, SPIEGEL 19. 06. 1978. 84

II. VEBA/BP (1978/1979)

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vom Bund mit 780 Millionen DM subventioniert worden sei.89 Dieser Wert wird zwei Wochen später in einer Gegendarstellung auf 71 Millionen DM korrigiert.90 Kurz darauf wird sodann berichtet, dass Bonn den Energiekonzern VEBA vor einem Kartellamtsverbot „schützen müsse“, da bei einem Verkauf der Ruhrgas an BP befürchtet werde, dass die marktbeherrschende Stellung der Ruhrgas noch erdrückender werde.91 Hierbei werden die Versagungsgründe des Bundeskartellamts ausführlich dargestellt. Dieses kritisiere die Übermacht des Marktführers Ruhrgas schon seit langem, und befürchte, dass die marktbeherrschende Stellung der BP noch vergrößert werde. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass durch den Einstieg der BP bei Ruhrgas ein Preiswettbewerb zwischen Öl und Gas verhindert werde.92 Es sei jedoch zu erwarten, dass sich Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff über die Argumente des Kartellamts hinwegsetzen werde, da durch die BP-Gelder der durch die Ölverluste geschwächte Staatskonzern VEBA gestärkt werde, und zudem auch noch durch die versprochenen jährlichen drei Millionen Tonnen Rohöl die Versorgungssicherheit erhöht werde.93 In einem weiteren Artikel wird die Ministererlaubnis ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Hier wird schon einleitend darauf hingewiesen, dass der Londoner BP-Chef persönlich bei Bundeskanzler Helmut Schmidt vorgesprochen habe, und dass die neue Taktik der Ölmanager nach dem Kartellamts-Veto nun eine Sondergenehmigung sei. Formal könne die Untersagungsverfügung über die „Gummibestimmung“ des § 24 Abs. 3 GWB problemlos beseitigt werden. Gerade die VEBA habe hiermit beste Erfahrungen, da sie schon im Fall VEBA/Gelsenberg nach gerade einmal 22 Tagen den „Persilschein“ bekommen habe.94 Damals sei nicht einmal das Gutachten der Monopolkommission abgewartet worden, und als dieses schließlich unaufgefordert erschien und die Bonner Argumente zerpflückt habe, sei es unkommentiert in die Archive gewandert. Damals sei im Schock der Ölkrise die langfristige Sicherung der Energieversorgung das entscheidende Argument gewesen, in der Folgezeit seien es oft Arbeitsplätze gewesen. Wenn Bonn mit Massenentlassungen gedroht werde, bekämen die Manager meist Hilfe von Betriebsräten und Bürgermeistern, und dies führe zum Erfolg, wie die Fälle Babcock/Artos und Thyssen/Hüller zeigten. Besonders krass sei der Fall Neckermann/Karstadt gewesen, bei dem Hans Friderichs seinen eigenen Beamten mit einer Ministererlaubnis gedroht habe, und diese ihr Veto über Nacht in eine Genehmigung umgeschrieben hätten. Experten gingen daher davon aus, dass auch im Fall VEBA/BP das Veto des Kartellamts nicht lange Bestand haben werde, obwohl die Monopolkommission eindringlich vor weiteren Ver89

Kanzler-Zorn auf Veba-Chef, SPIEGEL 26. 06. 1978. Kanzler-Zorn auf Veba-Chef Gegendarstellung, SPIEGEL 10. 07. 1978. 91 Veba-Pläne nur mit Bonner Hilfe, SPIEGEL 14. 08. 1978. 92 Optische Täuschung, SPIEGEL 28. 08. 1978. 93 Optische Täuschung, SPIEGEL 28. 08. 1978. 94 Alles beim Alten, Fusionswillige Firmen können auf ein oft erstaunliches Verständnis im Bonner Wirtschaftsministerium zählen, SPIEGEL 02. 10. 1978. 90

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flechtungen von Öl und Gas gewarnt habe. Die Warnung werde aber rasch vergessen sein.95 In einem anderen Artikel wird die Verflechtung des Bundes mit der VEBA hervorgehoben.96 So sei die Zustimmung des Bundeswirtschaftsministers schon in dem Moment klar gewesen, als in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung der VEBA die beiden Bonner Staatssekretäre für die Fusion stimmten. Selbst der BP-Chef Hellmuth Buddenberg versuche schon gar nicht, Gemeinwohlgründe für die Fusion darzulegen, sondern beschränke sich darauf, das Bundeskartellamt zu kritisieren. Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff habe die Monopolkommission daher vor allem deshalb eingeschaltet, um nicht wie sein Vorgänger Hans Friderichs dafür kritisiert zu werden, dass er Bundesunternehmen prompt und zuverlässig mit Sondererlaubnissen versorge. Es werde daher auch erwartet, dass ein Teil der Bedenken der Monopolkommission in der Ministererlaubnisentscheidung aufgegriffen werde.97 Eine neue Dimension erhält die Diskussion, als eine vertrauliche Absprache zwischen BP und Ruhrkohle bekannt wird, die eine Beherrschung der Ruhrgas noch wahrscheinlicher macht. Nun zweifelt der SPIEGEL doch, ob die Ministererlaubnis erteilt werde. Zugleich weist er aber auf die umfangreiche Lobby-Arbeit von BPChef Hellmuth Buddenberg hin, der fast alle Landeshauptstädte abgeklappert und mit den Ministerpräsidenten und Landeswirtschaftsministern gesprochen habe. Bei einer Anhörung im Bundestag sei vor dem Verlust von 2700 Arbeitsplätzen gewarnt worden, und die BP habe hier auch sogleich Schützenhilfe von SPD-Abgeordneten erhalten, die IG-Chemie bzw. Ruhrkohle-Funktionäre seien.98 Auch noch in der Rückblende von 1981 wird die Entscheidung Otto Graf Lambsdorffs durch den SPIEGEL äußerst kritisch beurteilt. Während es bei der Fusion VEBA/Gelsenberg noch um die langfristige Sicherung der Mineralölversorgung gegangen sei, sei bei VEBA/BP schlicht der Geldbedarf der VEBA der ausschlaggebende Grund gewesen.99 Erst recht wird die Fusion in den Folgejahren scharf kritisiert: So macht sich der SPIEGEL 1982 über Hellmuth Buddenberg geradezu lustig, da dieser die Stilllegung der mit Gelsenberg teuer zugekauften Raf-

95 Alles beim Alten, Fusionswillige Firmen können auf ein oft erstaunliches Verständnis im Bonner Wirtschaftsministerium zählen, SPIEGEL 02. 10. 1978. 96 Schmerzgrenze 25, Hektisch versucht BP-Chef Buddenberg, Minister und Senatoren für seine Pläne zu gewinnen, SPIEGEL 18. 12. 1978. 97 Schmerzgrenze 25, Hektisch versucht BP-Chef Buddenberg, Minister und Senatoren für seine Pläne zu gewinnen, SPIEGEL 18. 12. 1978. 98 Heimliche Ehe, Das Kartellamt hat eine vertrauliche Absprache zwischen dem Öl-Multi BP und der Ruhrkohle AG aufgedeckt, SPIEGEL 05. 02. 1979. 99 Immer gute Gründe, Viele Zusammenschlüsse, die das Berliner Kartellamt untersagt hatte, wurden anschließend vom Wirtschaftsminister genehmigt. Auch die Verleger Burda und Springer hoffen auf Bonner Nachgiebigkeit, SPIEGEL 14. 12. 1981.

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fineriekapazitäten nun als Erfolg feiere.100 Und als 1983 schließlich auch noch die Ruhrgas-Beteiligung von BP verkauft werden soll, reagiert der SPIEGEL vor allem mit Spott gegenüber BP-Chef Hellmuth Buddenberg, der 1979 noch 20 gute Gründe für den Kauf dieser „strategischen Perle“ gesehen habe.101 b) Die ZEIT In der ZEIT wird die Fusion VEBA/BP zwar teilweise sehr kritisch gesehen, insgesamt überwiegt aber die Ansicht, dass die Sicherung der Rohölversorgung und die strukturelle Sanierung der VEBA die Erteilung der Ministererlaubnis rechtfertigen. Die Berichterstattung über den VEBA/BP Deal beginnt hier mit einem äußerst sarkastisch gehaltenen Artikel im Juni 1978 über das Ende der VEBA als großem nationalen Ölkonzern. Der Zukauf der Gelsenberg AG sei zwar zunächst als großer Erfolg gefeiert worden, habe aber durch den Verfall der Ölpreise zu existenzbedrohenden Verlusten im Ölgeschäft geführt.102 Nun müsse durch die Abstoßung der Raffinerien das genaue Gegenteil des ursprünglichen Geschäfts als dem Gemeinwohl dienlich dargestellt werden. Auch wenn dadurch über die BP der Zugang zu Rohöl verbessert, und Verluste verringert würden, verbleibe unter dem Strich dennoch ein Verlust von 400 Millionen DM, und auf dem Weg zur deutschen Mineralölgesellschaft werde ein Schritt rückwärts gemacht.103 Deutlich anders ist aber schon ein Artikel desselben Autors im Oktober 1978.104 Hier wird berichtet, dass nun wie erwartet das Bundeskartellamt dem Verkauf der Ruhrgas-Beteiligung an BP nicht zugestimmt habe. Damit werde ein Geschäft gefährdet, das zuvor als großer Fortschritt zur Sicherung der deutschen Energieversorgung gefeiert worden sei, und auch bereits den Beifall der Bundesregierung erhalten hätte. Die Versorgung der VEBA mit Rohöl solle dabei zugleich mit deren struktureller Sanierung durch die Veräußerung unrentabler Bereiche an die BP verbunden werden. Zugleich greife BP nach dem Juwel der VEBA, nämlich der Ruhrgas. Gerade hier habe das Kartellamt aber berechtigte Bedenken, da die Macht 100 Großer Erfolg?, SPIEGEL 15. 02. 1982; vgl. Obristen im Plan der Konzerne, SPIEGELRedakteur Werner Meyer-Larsen über den Abbau der Ölindustrie und die Strategie der Multis, SPIEGEL 29. 11. 1982. 101 Perle mit Haken, BP-Chef Buddenberg ließ sich als der Größte in der Ölbranche feiern. Jetzt bröckelt der Ruhm: Der kostbarste Besitz der schrumpfenden Firma soll verkauft werden, SPIEGEL 25. 07. 1983. 102 Kemmer, Heinz-Günther, Das Geschäft ihres Lebens, Warum die Veba den Traum vom großen nationalen Energiekonzern aufgeben mußte, ZEIT 23. 06. 1978; vgl. Kemmer, HeinzGünther, Habenichtse an der Klagemauer, Wer keine deutschen Ölquellen hat, ist im Nachteil, ZEIT 14. 10. 1977. 103 Kemmer, Heinz-Günther, Das Geschäft ihres Lebens, Warum die Veba den Traum vom großen nationalen Energiekonzern aufgeben mußte, ZEIT 23. 06. 1978. 104 Kemmer, Heinz-Günther, Veto aus dem Elfenbeinturm, ZEIT 06. 10. 1978.

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der Ruhrgas übermächtig werden und der Wettbewerb leiden könne. Da der VEBA/ BP Deal in Bonn jedoch mit Jubel begrüßt worden sei, sei an der Ministererlaubnis nicht mehr zu zweifeln. Problematisch sei zwar, dass Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff wegen der hohen Bundesbeteiligung an der VEBA letztlich eine Entscheidung in eigener Sache treffe. Dennoch werde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, da die hohen Verluste bei der VEBA nicht länger tragbar seien. Die beste Begründung für den Zusammenschluss liefere dabei letztlich sogar das Bundeskartellamt, da es auf den Zugriff der Ruhrgas auf die Vorräte der BP hinweise, und damit die Energieversorgung gesichert sei. Als Hauptproblem verbleibe damit letztlich nur, dass das volkswirtschaftlich Sinnvolle nur mit einer Ausnahmegenehmigung erreicht werden könne. Die Beamten des Bundeskartellamts säßen daher in einem von der Politik aufgestellten Elfenbeinturm.105 Als dann die Entscheidung der Monopolkommission unmittelbar bevorsteht, schreibt die ZEIT, dass durchaus eine positive Entscheidung möglich sei. Denn schon im Fall VEBA/Gelsenberg habe die Monopolkommission das Ziel der Sicherung der Mineralölversorgung anerkannt und damit Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs den Rücken gestärkt. Nach diesem Prinzip müsse die Monopolkommission auch jetzt zustimmen, da es wiederum um die Sicherung der Mineralölversorgung gehe. Fraglich sei nur, ob die versprochenen drei Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr als ausreichender Beitrag zur Versorgungssicherheit gesehen werden könnten. Auch bei einer Zustimmung der Monopolkommission aus diesem Grund sei aber damit zu rechnen, dass sie Auflagen fordere, um eine Majorität der Öl-Multis im Gasmarkt zu verhindern. Die Rolle der Öffentlichkeit in diesem Prozess wird daran deutlich, dass die ZEIT betont, dass die beteiligten Akteure sich mit Äußerungen merklich zurückhielten, um nicht den Vorwurf der Beeinflussung der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen.106 Als das Gutachten der Monopolkommission dann schließlich veröffentlicht wird, ist die Rede davon, dass nun Otto Graf Lambsdorff den „schwarzen Peter“ habe, da die Monopolkommission eine Beteiligung der BP an der Ruhrgas von maximal neun Prozent für ausreichend halte, um den Rohölzugang zu sichern.107 Als es nach dem Putsch im Iran zu Ölengpässen und steigenden Ölpreisen kommt,108 wird die Fusion VEBA/BP von der ZEIT endgültig gutgeheißen.109 Hier wird nun kritisiert, dass die Industrienationen aus der ersten Ölkrise 1973/74 wenig gelernt hätten. Beispiel für die erfolgreiche Krisenvermeidung sei aber die Geneh105

Kemmer, Heinz-Günther, Veto aus dem Elfenbeinturm, ZEIT 06. 10. 1978. Kemmer, Heinz-Günther, Die Angst vor den Öl-Multis, Wettbewerbshüter fürchten um die Selbständigkeit der Ruhrgas, ZEIT 15. 12. 1978. 107 Zeitraffer, ZEIT 29. 12. 1978. 108 Kemmer, Heinz-Günther, Eine Ölkrise droht erst im Herbst, Noch kann der Bedarf auch nach dem Ausfall der Iran-Lieferungen gedeckt werden, ZEIT 09. 02. 1979. 109 Kemmer, Heinz-Günther, Das Spiel mit dem Ölhahn, Die Industrieländer haben aus der ersten Ölpreiskrise im Jahre 1973/1974 nichts gelernt. Jetzt folgt die zweite Lektion, ZEIT 09. 03. 1979. 106

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migung des VEBA/BP-Geschäfts, durch das die VEBA nun verstärkt in die Ölexploration einsteigen könne, und wodurch die Energiesicherheit merklich erhöht werde. Die Versorgungskrise habe hier bei der Erteilung der Genehmigung sicher mitgeholfen und zu einem großen Verständnis der Öffentlichkeit geführt.110 Schon bald erweist sich diese Erhöhung der Versorgungssicherheit jedoch laut der ZEIT als Trugschluss, denn schon 1980 begnügt sich die VEBA mit der Hälfte der zugesicherten drei Millionen Tonnen Rohöl. Die Entwicklung im Iran habe nämlich dazu, geführt dass die BP vom Öl-Überfluss in den Mangel gefallen sei. Um ihre Lieferverpflichtungen der VEBA gegenüber zu erfüllen, hätte die BP Öl auf dem internationalen Markt zukaufen, und zum repräsentativen Marktpreis durchliefern müssen. Der Vertrag der VEBA mit der BP garantiere nämlich keinen Festpreis, sondern nur Gleichbehandlung mit der deutschen BP. Um die eigenen Kassen zu schonen und da die Versorgung momentan sichergestellt sei, habe die VEBA daher auf die Erfüllung der Lieferung der vollen drei Millionen Tonnen Rohöl verzichtet. Die ZEIT kritisiert, dass Lambsdorff dies angesichts der Entwicklungen im Iran und der Abhängigkeit der BP hiervon schon hätte kommen sehen müssen.111 c) Die FAZ In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung werden die möglichen Vor- und Nachteile des VEBA/BP-Deals ausführlich vorgestellt. Die Darstellung ist dabei sehr ausgewogen, und es ist schwer zu sagen, ob die scharfe Kritik oder die deutliche Befürwortung überwiegen. Im Ergebnis halten sie sich mehr oder minder die Waage. Die VEBA/BP-Transaktion wird 1978 auf Seite Eins als die größte Transaktion der Mineralölwirtschaft seit 1966 angekündigt, die das Ölgeschäft wieder auf eine solide Grundlage stellen solle.112 Diese Transaktion wird sogleich auch positiv kommentiert, wobei die Sicherung der Energieversorgung und die strukturelle Sanierung von BP und VEBA hervorgehoben werden. Dabei wird aber auch betont, dass es für das Bundeskartellamt wohl eine schwierige Entscheidung sei, da zwar keine marktbeherrschende Stellung entstehe, der Mineralölmarkt aber stärker konzentriert werde und die langfristigen Folgen schwer abschätzbar seien.113 Auch in weiteren Artikeln wird die Transaktion als vorteilhaft für beide Unternehmen und die Sicherung der Energieversorgung vorgestellt. Auch der Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsmi-

110 Kemmer, Heinz-Günther, Das Spiel mit dem Ölhahn, Die Industrieländer haben aus der ersten Ölpreiskrise im Jahre 1973/1974 nichts gelernt. Jetzt folgt die zweite Lektion, ZEIT 09. 03. 1979. 111 Kemmer, Heinz-Günther, Veba hat genug, Der deutsche Energiekonzern hat freiwillig auf vollständige Lieferung durch BP verzichtet, ZEIT 18. 04. 1980. 112 BP kauft für 800 Millionen Mark Veba-Konzernanteile, FAZ 19. 06. 1978, S. 1. 113 Müller-Haeseler, Wolfgang, Die Machtverschiebung am Mineralölmarkt, Zu dem Vertrag zwischen Veba und BP, FAZ 19. 06. 1978, S. 11 (Kommentar).

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nister hätten die Transaktion bereits begrüßt, wobei besonders gelobt wird, dass hier Unternehmen ihre strukturellen Probleme ohne staatliche Hilfe lösen wollten.114 Als sodann die Untersagung durch das Bundeskartellamt erfolgt, werden die Gründe detailliert und relativ neutral dargestellt. So habe das Bundeskartellamt vor allem auf die Ruhrgas-Schachtelbeteiligung abgestellt, und eine Verschlechterung des Substitutionswettbewerbs zwischen Öl und Gas befürchtet. Dem halte BP jedoch entgegen, dass die Beteiligung an der Ruhrgas erst den Zugang zum Gasmarkt eröffne und damit dem Verbraucher diene.115 Die Meldung, dass die VEBA nun die Ministererlaubnis beantragen wolle,116 wird damit kommentiert, dass Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff sich nun in einer schwierigen Situation befinde, und als Wettbewerbs- und Energieminister zwei Seelen in seiner Brust miteinander ringen würden. Viele prophezeiten dabei schon den Sieg des Energieministers, wie zuvor bei Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs. Zunächst habe Otto Graf Lambsdorff aber ein Sondergutachten der Monopolkommission in Auftrag gegeben. Nach deren letztem Hauptgutachten sei das Ergebnis aber bereits vorhersehbar, und VEBA und BP würden wohl Abstriche machen müssen.117 Kurz darauf wird in einem ausführlichen Artikel das Nein des Kartellamts scharf kritisiert.118 Bei der Entscheidung habe offenbar tiefe Resignation darüber, dass am Ende ohnehin die Ministererlaubnis erteilt werde, die Feder geführt. So seien Rechenfehler bei der Marktanteilsberechnung unterlaufen, und auch die Argumente seien wenig schlüssig. So sei sehr fraglich, inwiefern sich durch die Transaktion innerhalb eines Oligopols die Marktverhältnisse ändern sollten. Gerüchten zufolge sei der wahre Grund für die Untersagung der, dass BP mit der Ruhrgas-Beteiligung nicht mehr selbst in den Gasmarkt eintreten werde. Dies sei aber auch nur ein Tausch mit der Stellung der VEBA. Insgesamt gebe es wettbewerbsrechtlich keinen stichhaltigen Grund, die Transaktion zu untersagen. Das Verbot verderbe große energiepolitische Chancen und verhindere die Sanierung der VEBA ohne Staatshilfe.119 114 BP kauft sich für 800 Millionen DM an die Spitze, Auch nach der Mammut-Transaktion bleibt Veba Marktführer bei Benzin/Bonn stimmt zu, FAZ 19. 06. 1978, S. 11; Veba will die Rohölbasis stärken, FAZ 19. 06. 1978, S. 11; Graf Lambsdorff kritisiert Graf Davignon, Der Stahl-Krisenplan funktioniert nicht/Beispielhafte Lösung BP-Veba, FAZ 21. 06. 1978, S. 11. 115 Kartellamt verbietet Transaktion Veba-BP, FAZ 02. 10. 1978, S. 1; Kartellamt untersagt den BP-Veba-Vertrag, Auf dem Gasmarkt soll der Substitutionswettbewerb bleiben/BP spekuliert auf „Ministererlaubnis“, FAZ 02. 10. 1978, S. 13. 116 Die Veba will nach Bonn gehen, FAZ 03. 10. 1978, S. 11. 117 Der gespaltene Lambsdorff, FAZ 07.10. 1978, S. 11 (Kommentar); Verweigert Lambsdorff die Ministererlaubnis? Wirtschaftsministerium „prüft“ geplanten BP-Veba-Vertrag/Entscheidungshilfe von der Monopolkommission, FAZ 07. 10. 1978, S. 11. 118 Müller-Haeseler, Wolfgang, Das Nein des Kartellamts, Fragen zum Verbot des VebaBP-Vertrages, FAZ 23. 10. 1978, S. 11. 119 Müller-Haeseler, Wolfgang, Das Nein des Kartellamts, Fragen zum Verbot des VebaBP-Vertrages, FAZ 23. 10. 1978, S. 11.

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Als die Monopolkommission ihr Gutachten vorstellt, wird in der FAZ detailliert darüber berichtet, dass die Monopolkommission gegen die Transaktion sei, da die Beeinträchtigung des Substitutionswettbewerbs zwischen den Energieträgern zu groß sei. Auch mit einer Beteiligung der BP an der Ruhrgas von lediglich neun Prozent würde ein Zugang zum Gasmarkt zustande kommen, und die VEBA könne die drei Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr erhalten.120 Schon vor der entscheidenden Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium wirbt sodann BP-Chef Hellmuth Buddenberg damit, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile die wettbewerbspolitischen Bedenken bei Weitem überwiegen würden. Gerade die Unruhen im Iran würden das Thema Versorgungssicherheit noch dringlicher machen.121 Auch bei der Anhörung selbst betonen dann der VEBAVorsitzende Rudolf von Bennigsen und der BP-Vorsitzende Hellmuth Buddenberg wiederum die Gefährdung der langfristigen Rohölversorgung der BRD und den drohenden Arbeitsplatzverlust ohne die Genehmigung.122 Als dann auch noch die Ruhrkohle mit ins Spiel kommt, kommentiert die FAZ, dass Otto Graf Lambsdorff hart bleiben solle. Durch die Unruhen im Iran falle ein entscheidendes Argument weg: BP müsse die Lieferungen um 45 % kürzen, und davon seien auch die drei Millionen Tonnen Rohöl betroffen. Otto Graf Lambsdorff könne so nicht genehmigen.123 Kurz darauf wird kommentiert, der VEBA/BP Vertrag drohe im Dickicht des Energie-Wettbewerbs zu ersticken, obwohl er bei seinem Abschluss als Jahrhundertvertrag gefeiert worden sei. Nach dem ursprünglichen Konzept sollten sich zwei angeschlagene Ölkonzerne durch ein gegenseitiges Austauschgeschäft quasi am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Dies habe das Bundeskartellamt mit einer schlecht begründeten Entscheidung untersagt, und die Monopolkommission habe „jein“ dazu gesagt. Nun aber stehe durch die Absprachen zwischen Ruhrkohle und BP, die darauf hindeute, dass die Ruhrgas von ihnen beherrscht werden soll, wieder alles auf dem Spiel. Der Bundeswirtschaftsminister könne so fast nicht genehmigen.124 Als Otto Graf Lambsdorff die Transaktion schließlich unter Auflagen genehmigt, begründet er dies damit, dass die Entscheidung schwer gewesen sei, die Vorteile im 120 Gutachten zum Fall BP-Veba, FAZ 22. 12. 1978, S. 1; Monopolkommission gegen Transaktion Veba-BP, FAZ 23. 12. 1978, S. 1; Lambsdorff soll Veba-BP-Transaktion nicht erlauben, Die Monopolkommission rät von der Ministererlaubnis ab/Wettbewerbspolitische Nachteile sind zu groß, FAZ 23. 12. 1978, S. 11. 121 Buddenberg: Die Vorteile überwiegen, Die BP hofft auf die Genehmigung ihres Vertrages mit der Veba, FAZ 12. 01. 1979, S. 12. 122 BP und Veba werben für ihren Vertrag, Ölversorgung und Arbeitsplätze gefährdet/ Hearing in Bonn, FAZ 19. 01. 1979, S. 11. 123 Lambsdorff soll festbleiben, FAZ 07. 02. 1979, S. 11 (Kommentar). 124 Müller-Haeseler, Wolfgang, Fußangeln für die Ruhrgas, Ungereimtheiten des BP-VebaVertrages, FAZ 12. 02. 1979, S. 11.

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E. Empirische Untersuchung

Raffinerie- und Handelsbereich und die Sicherung der Energieversorgung aber den Ausschlag gegeben hätten.125 Im Anschluss wird der VEBA/BP-Vertrag scharf kritisiert. Der Vertrag sei nun kein Musterbeispiel für unternehmerische Selbsthilfe mehr, sondern für eine widersprüchliche staatliche Wettbewerbspolitik. Schon unmittelbar nach der Einführung der Fusionskontrolle, sei VEBA/Gelsenberg gleich als erste Ausnahme genehmigt worden. BP habe hier nun mit 3 Millionen Tonnen Rohöl einen Köder ausgelegt, der ungern verschmäht werde. Wie sicher das Öl wirklich sei, sei angesichts der Möglichkeit höherer Gewalt äußerst unsicher. Noch dazu seien 3 Millionen Tonnen für die BRD nicht besonders viel. Man müsse sich eher fragen, warum die BP die Ruhrgas so unbedingt wolle, und ob Otto Graf Lambsdorff die Gefahren für den Wettbewerb mit seinen Auflagen wirklich wirksam beschränkt habe. Letztlich werde ein sehr hoher Preis bezahlt, wohl vor allem um die VEBA von ihren Verlustquellen zu entlasten.126 Jenseits dieses Kommentars wird die Genehmigung aber auch deutlich positiver gesehen. So werden die Auflagen genau dargestellt und begründet, dass diese die Unabhängigkeit der Ruhrgas und den Wettbewerb auf dem Gasmarkt sichern sollten. Hiermit könne diese Sicherheit der Energieversorgung über die Rohöllieferverpflichtung garantiert werden. Otto Graf Lambsdorff habe hier gesagt, dass er mit seiner Entscheidung die positiven Effekte des Geschäfts bekräftigen wolle, die so auch von Geschäftspartnern, weiten Teilen der Öffentlichkeit und den Gewerkschaften gesehen worden seien. Die Strukturprobleme der Mineralölwirtschaft könnten so überwunden, und die Energieversorgung gesichert werden. Eine Beeinflussung durch die Unruhen im Iran habe Otto Graf Lambsdorff verneint.127 Wie die FAZ berichtet, verbessert die Fusion sodann unmittelbar die Ertragslage der VEBA, die durch den Wegfall der Verluste im Erdölgeschäft die Dividende erhöhen konnte.128 1980 stellt sich dann heraus, dass die VEBA in diesem Jahr wegen Lieferengpässen weniger als die versprochenen drei Millionen Tonnen Rohöl beziehen werde.129 1985 schreibt die FAZ, dass sich BP gegen Vorwürfe verteidigen müsse, der ganze Deal sei ein großes Verlustgeschäft gewesen, da zwischenzeitlich die zugekauften Raffineriekapazitäten abgebaut worden seien, und auch die Ruhrgas-Beteiligung in Frage gestellt werde. Diese Vorwürfe würden von BP vehement bestritten.130 125

Transaktion zwischen Veba und BP genehmigt, FAZ 06. 03. 1979, S. 1. Kein Vorbild, FAZ 06. 03. 1979, S. 11 (Kommentar). 127 Lambsdorff genehmigt BP-Veba-Vertrag, Mehrere Auflagen und Beschränkungen/ „Nicht unter dem Druck der Ereignisse im Iran“, FAZ 06. 03. 1979, S.11. 128 Die Veba winkt diesmal mit einem Jubiläumsbonus, Gesamtausschüttung 12 Prozent/ Auch beim Öl werden nun schwarze Zahlen geschrieben, FAZ 09. 03. 1979, S. 13; Für Veba Öl geht die Rechnung wieder auf, Noch große Aufgaben für die Strukturverbesserung/Günstige Startbasis für neue Aktivitäten, FAZ 01. 06. 1979, S. 16. 129 Veba: Minderbezüge nur 1980, FAZ 11. 04. 1980, S. 17. 130 Wiborg, Klaus, Die BP wahrt sich gegen eine „Dolchstoß-Legende“, Buddenberg: Der Erwerb von Gelsenkirchen war ein gutes Geschäft, FAZ 04. 03. 1985, S. 15. 126

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d) Die WELT Auch wenn die WELT die Kritikpunkte am VEBA/BP-Vertrag nicht verschweigt, so befürwortet sie dennoch ganz eindeutig die Durchführung der Fusion wegen überwiegender volkswirtschaftlicher Vorteile. Noch bevor die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts ergeht, wird in der WELT schon spekuliert, ob über die Verteilung der Stimmrechte der Altgesellschafter der Ruhrgas nicht doch ein privatwirtschaftlicher Weg gefunden werden könne, um dem Bundeskartellamt die Entscheidung zu erleichtern.131 Als dann „wie erwartet“ die Untersagungsverfügung ergeht, wird vor allem gelobt, dass die Entscheidung so schnell ergangen sei. Damit habe das Bundeskartellamt die Möglichkeit eröffnet, den „allseits bekannten volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteilen“ des Geschäfts zum Durchbruch zu verhelfen. In Frage kämen hier vor allem eine privatwirtschaftliche Lösung über Stimmrechtsbeschränkungen, oder aber eine Ministererlaubnis.132 Als dann VEBA und BP die Ministererlaubnis beantragen, wird in der WELT noch einmal hervorgehoben, dass die schnelle Entscheidung des Bundeskartellamts es ermögliche, den Vertrag noch dieses Jahr zu schließen. Sogar das Kartellamt habe die volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteile des Vertrags gesehen. Es befürchte nur lediglich eine Dämpfung des Wettbewerbs. Laut der BP sei aber eher eine Verschärfung des Wettbewerbs durch die Beteiligung an der Ruhrgas zu erwarten, da dies den Zugang zum Wärmemarkt der BRD darstelle.133 Nach der Vorstellung des Gutachtens der Monopolkommission wird berichtet, dass „Ja, aber …“ das Leitmotiv der Monopolkommission sei. Stein des Anstoßes sei vor allem die Ruhrgas-Beteiligung, die zu einer Gefährdung des Wettbewerbs führe. Die Monopolkommission sei insoweit im Wesentlichen der Argumentation des Bundeskartellamts gefolgt, und schlage eine Reduktion des Anteiles an der Ruhrgas auf neun Prozent vor, was der Stellung der anderen Erdölunternehmen entspreche. Ob Otto Graf Lambsdorff dies ebenso sehe, sei genauso offen wie die Frage, ob die BP überhaupt Interesse an lediglich neun Prozent habe.134 Auch in einem Kommentar zum Votum der Monopolkommission wird nochmals hervorgehoben,135 dass sich eigentlich nur ein einziger Absatz des Gutachtens in aller 131

Baumann, Hans, Behalten die Ruhrgas-Aktionäre das Sagen? Das Bundeskartellamt ringt um Lösungen für die Machtverhältnisse im deutschen Gasgeschäft, WELT 21. 09. 1978, S. 15. 132 Baumann, Hans, Kartellamt lehnt 800-Millionen-Geschäft von Veba und BP ab, Berliner Behörde befürchtet Wettbewerbseinbußen am Energiemarkt, WELT 02. 10. 1978, S. 9. 133 Baumann, Hans, BP und Veba wollen Lambsdorff um Sondergenehmigung bitten, WELT 03. 10. 1978, S. 11. 134 Gieskes, Hanna, Monopolkommission verzichtet auf striktes Nein im Falle Veba-BP, Ruhrgas-Beteiligung soll auf 9 Prozent beschränkt werden, WELT 23. 12. 1978, S. 13. 135 Baumann, Hans, Brücke für Veba und BP, WELT 27. 12. 1978, S. 15.

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E. Empirische Untersuchung

Kompromisslosigkeit gegen die Fusion ausspreche, die anderen 99 Seiten jedoch von Wohlwollen geprägt seien, und die Motive der beiden Unternehmen anerkennen würden. Würde man aber dem Vorschlag der Monopolkommission folgen, und der BP nur neun Prozent an der Ruhrgas gewähren, so wäre der ganze Vertrag mit seinen vielfältigen Vorteilen hinfällig, da die BP so nicht in den Gasmarkt einsteigen könne, und dann kein Interesse mehr habe. Doch weder das Bundeskartellamt noch die Monopolkommission seien dazu gehalten, ihre Überlegungen in ein gesamtwirtschaftliches Umfeld zu stellen. Sie seien nur einseitig der freiheitlichen Wirtschaftsordnung verpflichtet. Die letzte Chance sei daher die Genehmigung durch Otto Graf Lambsdorff. Die von der Monopolkommission in ihrem sonst so positiven Gutachten befürchtete Dominierung der Ruhrgas durch Ölinteressen sei nur ein höchst theoretisches Argument, und könne durch das Funktionieren des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen leicht verhindert werden.136 Vom Hearing im Bundeswirtschaftsministerium berichtet die WELT sodann, dass VEBA und BP nochmals betont hätten, dass keine Übermacht der Ölgiganten bei Ruhrgas drohe. BP sei sogar bereit, eine diesbezügliche Versicherung über das Jahr 2000 hinaus abzugeben, wenn es dafür 25 % an der Ruhrgas erhalte. Die VEBA habe insbesondere die Bedeutung der drei Millionen Tonnen Rohöl für die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik betont. Diese seien auch krisenfest, da die VEBA insoweit wie eine BP Tochter behandelt werde. Die 24 zum Hearing geladenen Verbände und Organisationen hätten im Wesentlichen für die Fusion gestimmt. Nach Ansicht der WELT ruhten nun große volkswirtschaftliche Bürden auf den Schultern des Bundeswirtschaftsministers, denn ohne den Vertrag müssten Raffinerien geschlossen werden und 3000 Arbeitsplätze würden verloren gehen. Auch habe die BP bereits angekündigt, dass ohne den Deal kein Erdölchemiewerk für 1,5 Milliarden DM in Dinslaken gebaut werde, das langfristig 1500 Arbeitsplätze schaffe.137 Als es dann sogar in Brüssel zu einer Anhörung in Sachen VEBA/BP kommt, macht BP-Chef Hellmuth Buddenberg dort deutlich, dass er in Bonn 20 gute Gründe angeführt habe, die vollen 25 % der Ruhrgas zu bekommen.138 Während die EGKommission verlautbart, dass sie keine Einwände gegen das VEBA/BP-Verfahren habe, und damit den Weg für die Ministererlaubnis frei macht,139 verursacht die IranKrise Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Energieversorgung. So macht Otto

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Baumann, Hans, Brücke für Veba und BP, WELT 27. 12. 1978, S. 15. Baumann, Hans, Die Partner garantieren Mehrheit der Ruhrgas-Altgesellschafter, VEBA-VERTRAG/Bennigsen-Foerder unterstreicht Bedeutung der Rohölgarantie, WELT 19. 01. 1979, S. 11. 138 Baumann, Hans, VEBA/BP, Budddenberg: Es gibt 20 Gründe für eine Schachtel an Ruhrgas, WELT 17. 02. 1979, S. 13. 139 Hadler, Wilhelm, Kartellverfahren, Brüssel hat keine Einwände gegen Veba-BP-Geschäft, WELT 03. 03. 1979, S. 13. 137

II. VEBA/BP (1978/1979)

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Graf Lambsdorff mehrmals deutlich, dass diese gesichert sei und keine Versorgungsengpässe oder Rationierungen zu befürchten seien.140 Als Otto Graf Lambsdorff die Ministererlaubnis schließlich erteilt, nimmt BP laut der WELT die Auflagen gerne an, da so der Eintritt in den deutschen Gasmarkt ermöglicht werde, und die Energieversorgung der BRD gesichert werde. Mit den von der WELT detailliert wiedergegebenen Auflagen möchte Otto Graf Lambsdorff die Bedenken des Bundeskartellamts, der Monopolkommission und der EG-Kommission berücksichtigen. Vor der Presse erklärt er, dass er sich zu einem „Ja, aber …“ entschlossen habe, um die Strukturbereinigung am Raffineriemarkt und die Sicherung der Energieversorgung, gerade auch mit Rohöl, zu ermöglichen.141 5. Die Ministererlaubnis Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff erteilte im Verfahren VEBA/BP wie von der Monopolkommission empfohlen die Ministererlaubnis unter Auflagen. Er begründete dies mit der langfristig erhöhten Absicherung der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland, wobei die Risiken für die Wettbewerbsstrukturen im Energiebereich durch komplexe Auflagen und Beschränkungen abgewehrt werden sollten.142 Durch die Auflagen sollte hierbei sichergestellt werden, dass eine Majorisierung der Ruhrgas durch Erdöl- und Erdgasunternehmen ausgeschlossen wird.143 Die Sicherstellung der Energieversorgung der BRD wurde damit begründet, dass durch die Fusion die Strukturprobleme des Mineralölgeschäfts der VEBA und der BP ohne staatliche Intervention behoben würden.144 Eine besondere Absicherung der Energieversorgung erfolge durch den langfristigen Rohölliefervertrag zwischen VEBA und BP sowie durch den Markteintritt der BP als selbständigem Erdgasimporteur.145

140 Heck, Heinz, Bonn: Kurzfristig keine Probleme in der Energieversorgung zu erwarten, ÖLANGEBOT/Verknappung im zweiten Halbjahr möglich – Fahrverbote unwahrscheinlich, WELT 17. 02. 1979, S. 13; Siebert, Horst, Lambsdorff: Öl-Versorgung der Bundesrepublik ist ausreichend, ENERGIEPOLITIK/Bonn und Washington einig in der Lagebeurteilung, WELT 03. 03. 1979, S. 13. 141 Baumann, Hans, Erhebliche Auflagen sollen die Freiheit der Ruhrgas garantieren, Veba-BP/Der Bundesminister für Wirtschaft genehmigt das 800-Millionen-Geschäft, WELT 05. 03. 1979, S. 11. 142 BMWi VEBA/BP, WuW/E BWM 165 – 173. 143 BMWi VEBA/BP, WuW/E BWM 166, 166 – 168. 144 BMWi VEBA/BP, WuW/E BWM 171. 145 BMWi VEBA/BP, WuW/E BWM 172.

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E. Empirische Untersuchung

6. Fazit Der Diskussionsverlauf im Verfahren VEBA/BP ist derart komplex, dass es schwer fällt, der hier stark verdichteten Wiedergabe des Diskurses zu folgen. Der Wettbewerb auf dem Gasmarkt, die Sicherung der Rohölversorgung, Raffinerieüberkapazitäten, Arbeitsplätze, eine strukturelle Sanierung der beteiligten Unternehmen sowie die Staatsbeteiligung an der VEBA sind dabei die wesentlichen Argumentationslinien, die sich auf vielfältige Weise überkreuzten, und deutlich unterschiedlich bewertet wurden. In den hier untersuchten Medien wurden dabei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und dieselben Aspekte teils deutlich widersprüchlich bewertet. Wenn sich auch innerhalb einzelner Medien gewisse Tendenzen hinsichtlich einer Befürwortung oder Ablehnung der Erteilung der Ministererlaubnis ausmachen lassen, so lässt sich dennoch insgesamt in diesem Ausschnitt aus der öffentlichen Meinung keine einhellige Meinung – weder in einer positiven noch in einer negativen Richtung – feststellen. Vielmehr erscheint der hier untersuchte Ausschnitt der öffentlichen Meinung in dieser Frage als gespalten, und zwischen Ablehnung und Befürwortung hin- und hergerissen. Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff versuchte hier eine Kompromisslösung zu finden, und durch die von der Monopolkommission empfohlene Erteilung der Genehmigung unter Auflagen den widerstreitenden Interessen und Argumenten Rechnung zu tragen. Nicht umsonst erklärte er selbst, sich zu einem „Ja, aber …“ entschlossen zu haben, was in dieser Gespaltenheit in gewisser Weise durchaus der öffentlichen Meinung im Verfahren VEBA/BP entsprach, ohne aber den ganz und gar befürwortenden oder ablehnenden Stimmen Genüge zu tun. Mit 86 näher relevanten Artikeln erfuhr das Verfahren VEBA/BP eine in etwa gleich große öffentliche Aufmerksamkeit wie das Verfahren VEBA/Gelsenberg. Wiederum finden sich im medialen Diskurs kaum Stellungnahmen anderer öffentlicher Akteure als der Journalisten der untersuchten Medien. Auch hier ist aber davon auszugehen, dass die Journalisten die in verschiedenen Bevölkerungs-/Leserschichten und gesellschaftlichen Gruppen vertretenen Positionen aufgegriffen und so im medialen Diskurs abgebildet haben. Die Einordnung des Verfahrens VEBA/BP in eines der idealtypischen Diskursmodelle fällt schwer. Einerseits könnte man es wegen der Gespaltenheit der öffentlichen Meinung durchaus dem liberalen Modell zuordnen und damit von einem Scheitern einer konsensualen Konkretisierung des Gemeinwohls durch einen öffentlichen Diskurs ausgehen, andererseits könnte man aber auch von einem Konsens hinsichtlich einer Kompromisslösung ausgehen und damit eine erfolgreiche konsensuale Konkretisierung des Gemeinwohls bejahen. Letztendlich ist das hier empirisch vorgefundene Diskursergebnis theoretisch wohl nicht eindeutig klassifizierbar.

III. Burda/Springer (1981/1982)

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III. Burda/Springer (1981/1982) 1. Zeitleiste 07. 01. 1980 23. 10. 1981 17. 11. 1981 17. 02. 1982 09. 03. 1982 22. 11. 1982 06. 01. 1983

Beginn der Berichterstattung Entscheidung des Bundeskartellamts Antragsstellung Gutachten der Monopolkommission Anhörung im BMWi Reduktion des geplanten Erwerbs durch Burda von 51 % auf 26 % der Axel Springer KG Reduktion des geplanten Erwerbs auf 24,9 %, Rücknahme des Antrags auf Ministererlaubnis

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war der geplante Erwerb von 51 % der Axel Springer Gesellschaft für Publizistik KG durch die Burda Verwaltungs KG.146 Durch den Zusammenschluss war zu erwarten, dass eine marktbeherrschende Stellung auf dem Pressevertriebsmarkt und auf dem Anzeigen- und Tiefdruckmarkt für Zeitschriften entstünde.147 Darüber hinaus war zu erwarten, dass die alleinige überragende Marktstellung von Axel Springer auf den Lesermärkten für Programmzeitschriften, Kaufzeitungen und Sonntagszeitungen noch verstärkt werde.148 Das Bundeskartellamt untersagte den Zusammenschluss daher.149 3. Das Gutachten der Monopolkommission In ihrem Antrag auf Erteilung einer Ministererlaubnis stützten sich Burda und Springer auf die Sicherung der Meinungs- und Pressevielfalt, die Verhinderung der Übernahme des Axel-Springer Konzerns durch einen ausländischen Erwerber und den Schutz der Printmedien vor dem Vordringen von Hörfunk und Fernsehen. Die Monopolkommission hielt diese Ziele nicht für berücksichtigungsfähige Gemeinwohlinteressen.150 So sei die verfassungsrechtlich geschützte Meinungs- und Pressevielfalt keine Bestandsgarantie für bestimmte Unternehmen. Auch sei die Ministererlaubnis nicht das geeignete Instrument, um unerwünschte, aber rechtlich zulässige Übernahmen 146

BKartA Burda/Springer, WuW/E BKartA 1921 – 1930. BKartA Burda/Springer, WuW/E BKartA 1922, 1922 – 1928. 148 BKartA Burda/Springer, WuW/E BKartA 1922, 1928 – 1930. 149 BKartA Burda/Springer, WuW/E BKartA 1922. 150 Monopolkommission, Sondergutachten 12, Burda/Springer, 1982, Rn. 67; ausführlich Rn. 36 – 62. 147

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E. Empirische Untersuchung

aus dem Ausland zu verhindern. Ebenso wenig sei sie geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen gegenüber den vordringenden elektronischen Medien zu erhöhen.151 Auch den Wunsch Axel Springers nach einer Nachfolgeregelung für sein verlegerisches Erbe hielt die Monopolkommission für durch weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen, wie eine Stiftungslösung, realisierbar.152 Die Monopolkommission empfahl daher, die Ministererlaubnis zu versagen.153 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Nahezu durch seine gesamte Berichterstattung hinweg warnt der SPIEGEL vehement vor dem Entstehen eines übermächtigen Presse-Konglomerats durch eine Fusion von Burda und Springer. Zu Beginn sind die Artikel noch recht neutral gehalten. Die Berichterstattung beginnt damit, dass Axel Springer nach dem Freitod seines Sohnes auf der Suche nach einem geeigneten verlegerischen Nachfolger sei.154 Als dann Burda als möglicher Nachfolger auf den Plan tritt, wird berichtet, dass die kartellrechtlichen Fragen noch völlig offen seien, und dass Burda im Vergleich zu anderen Verlagen wohl noch der unkritischste Fusionskandidat sei.155 Als sich die Fusionsabsichten konkretisieren, widmet der SPIEGEL den beiden Verlagshäusern einen langen, vor allem im Stil der yellow press mit familiären Hintergrundinformationen ausgeschmückten Artikel, in dem aber auch klargestellt wird, dass Springer in Burda einen verlegerischen Nachfolger von konservativer Prägung sehe, den er so bei einer Bankengruppe nicht finden könne. Die Entscheidung des Bundeskartellamts sei noch offen, Springer wolle aber auch bei einem Veto mit allen Mitteln für die Fusion kämpfen. Obwohl die Pressekonzentration sonst von starken Protesten begleitet sei, habe sich bisher nur die Industriegewerkschaft Druck und Papier kritisch zu Wort gemeldet.156 Deutlich kritischer werden die Artikel im SPIEGEL dann mit der Untersagung durch das Bundeskartellamt. Hier wird nun spöttisch berichtet, dass die Unterhändler der Verlage beim Bundeskartellamt deutlich machen wollten, dass die Fusion doch keine große Sache sei, ihnen aber das „Märchen“, dass „zwei Kraftmeier sich in einen 151 Monopolkommission, Sondergutachten 12, Burda/Springer, 1982, Rn. 67; ausführlich Rn. 36 – 62. 152 Monopolkommission, Sondergutachten 12, Burda/Springer, 1982, Rn. 60 – 62. 153 Monopolkommission, Sondergutachten 12, Burda/Springer, 1982, Rn. 68. 154 Ins Ungewisse, Nach dem Freitod des ältesten Sohnes letzte Woche ist die Erbfolge im Großverlag Axel Springer wieder völlig offen, SPIEGEL 07. 01. 1980. 155 Steigt Burda bei Springer ein?, SPIEGEL 29. 06. 1981. 156 „Was bleibt vom Hause Springer?“, Die Pressekonzerne Burda und Springer planen den Zusammenschluß, SPIEGEL 12. 10. 1981.

III. Burda/Springer (1981/1982)

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Schlumpf verwandeln“, niemand abgenommen habe. Das Kartellamt habe das freie Spiel der Kräfte auf dem Medienmarkt in Gefahr gesehen. Ein Oligopol habe gedroht, und durch die Untersagung sei nun die Entstehung eines Machtblocks von beträchtlichem ökonomischem und gesellschaftlichem Gewicht gescheitert. Springer wolle dennoch alle Mittel zur Realisierung der Fusion ausschöpfen. In Betracht komme vor allem die Ministererlaubnis, die im Falle eines überragenden Interesses der Allgemeinheit erteilt werden könne. Dies könne hier vor allem der drohende Einstieg eines ausländischen Unternehmens in den Springer Konzern sein. Der englische Lonrho-Konzern habe sich schon „wie gerufen“ bei Springer gemeldet.157 Über die Möglichkeit der Ministererlaubnis wird äußerst kritisch berichtet. Sie sei die letzte Möglichkeit für Burda und Springer und in der Vergangenheit hätten die Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs dieses „Schlupfloch“ im Kartellgesetz fleißig genutzt und „Persilscheine“ verteilt. Dies sei gerade dann geschehen, wenn die betroffenen Unternehmen mit Personalabbau gedroht hätten (Babcock/Artos, Thyssen/Hüller, Neckermann/Karstadt), oder wenn, wie im Falle der VEBA, der Bund direkt beteiligt gewesen sei. Zwischen marktwirtschaftlicher Grundsatztreue und tagespolitischer Opportunität hätten die freidemokratischen Minister sich stets für letzteres entschieden. Auch die Monopolkommission habe bisher nicht viel genutzt, da man sich bei allen bisherigen Genehmigungen über ihr Votum hinweggesetzt habe. Im Fall Burda/Springer könne nun der SPD-Wettbewerbsexperte Uwe Jens kein überragendes Interesse der Allgemeinheit erkennen. Eine Ministererlaubnis schließe er dennoch nicht aus, denn in wettbewerbspolitischer Hinsicht habe er schon „Pferde kotzen sehen“. Auch ein Mitglied der Monopolkommission könne sich vorstellen, dass die Ministererlaubnis hier auf Druck von ganz oben erteilt werde. Der SPIEGEL befürchtet, dass Burda bereits dabei sei, Kanzler und Vizekanzler mit wohlwollenden Homestories gefügig zu machen.158 Am 1. Februar 1982 berichtet der SPIEGEL dann, dass die Chancen für eine Fusion der Verlagsriesen noch weiter gesunken seien. Auch die Monopolkommission warne in ihrem Gutachten davor, und auch die Medienkommissionen der FDP und SPD hätten sich dagegen ausgesprochen. Dem Bundeswirtschaftsminister dürfte es nun schwer fallen, noch Gründe für die Fusion zu finden. Die Monopolkommission sei zu dem Schluss gekommen, dass in fast allen Sparten, so Vertrieb, Anzeigen, Programmzeitschriften und Tiefdruck, eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt werde.159 157 Paßt alles rein, Abgeschmettert wurde die Fusion der beiden Verlagsgiganten Springer und Burda vom Bundeskartellamt. Doch beide sind entschlossen, das Verbot beiseite zu räumen, SPIEGEL 02. 11. 1981. 158 Immer gute Gründe, Viele Zusammenschlüsse, die das Berliner Kartellamt untersagt hatte, wurden anschließend vom Wirtschaftsminister genehmigt. Auch die Verleger Springer und Burda hoffen auf Bonner Nachgiebigkeit, SPIEGEL 14. 12. 1981. 159 Gutachter gegen Pressekombinat, SPIEGEL 01. 02. 1982.

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E. Empirische Untersuchung

Schon bald darauf kommt die Nachricht, dass die Verlage zurückrudern und jetzt statt der ursprünglich geplanten Beteiligung von 51 % nur noch knapp über 25 % zur Prüfung gestellt hätten, und nun schon zum dritten Mal gebeten hätten, das Verfahren ruhen zu lassen.160 Schon kurz darauf ziehen die Beteiligten dann ihren Antrag zurück, und beschränken sich auf eine bloße Finanzbeteiligung von 24,9 %. Der SPIEGEL hebt nun hervor, dass Otto Graf Lambsdorff die Erlaubnis trotz aller negativen Voten von Konkurrenten, Verbänden und der Monopolkommission hätte erteilen können. Nie zuvor hätte so viel für die „Zukunft des gedruckten Wortes“ von der Entscheidung eines einzigen Politikers abgehangen. Bei Konkurrenten und politischen Gegnern habe daher auch bereits Alarmstimmung wegen der drohenden Zusammenballung zweier konservativer Blätterimperien geherrscht. Doch selbst wenn Otto Graf Lambsdorff gewollt hätte, so habe er laut SPIEGEL die Vorteile der Transaktion nirgends entdecken können. Die Verlage lassen nun verlautbaren, dass sie mit der Minderheitsbeteiligung den Bedenken „Rechnung getragen“ hätten.161 b) Die ZEIT Die Darstellung des Burda/Springer Verfahrens ist in der ZEIT deutlich differenzierter und ausgewogener als im SPIEGEL. Im Ergebnis wird aber auch hier klar herausgestellt, dass die Mehrzahl der Argumente gegen die Erteilung einer Ministererlaubnis sprechen. So wird schon gleich bei der Untersagung durch das Bundeskartellamt herausgestellt, dass dies angesichts der erheblichen Zusammenballung wirtschaftlicher und publizistischer Macht niemanden überrascht habe. Im Falle einer Ministererlaubnis sei hier momentan schon sehr fraglich, worin ein überragendes Interesse der Allgemeinheit oder volkswirtschaftliche Vorteile zu sehen seien.162 Burda und Springer seien beide kerngesund, und die Ministererlaubnis sei ein hochpolitischer Bereich, bei dem Otto Graf Lambsdorff sich genau an seine Verpflichtung, den auf dem Pressemarkt ohnehin schon geringen Wettbewerb zu schützen, erinnern solle.163 Am 19. Februar 1982 erscheint dann ein sehr langer Artikel, in dem ausführlich auf Pro und Contra der beantragten Ministererlaubnis eingegangen wird.164 Auch hier wird jedoch herausgestellt, dass die meisten Argumente auf Otto Graf Lambsdorffs Schreibtisch gegen eine Ministererlaubnis sprächen. Normalerweise sei es vor allem die Sicherung von Arbeitsplätzen, die für das überragende Interesse der Allge160

Versteckte Zusatzklauseln, SPIEGEL 29. 11. 1982. Für den Papierkorb, Verleger Springers Nachfolgepläne mit den Burda-Erben sind gescheitert, SPIEGEL 10. 01. 1983. 162 Andere Wege, Das Bundeskartellamt lehnte eine Fusion der beiden Medienkonzerne Burda und Springer ab. Wie sieht das Berliner Verlagshaus Springer seine Zukunft?, ZEIT 06. 11. 1981. 163 Manager und Märkte, ZEIT 01. 01. 1982. 164 Nawrocki, Joachim, Eigentlich ein klarer Fall, Otto Graf Lambsdorff muß über die bisher größte Presse-Fusion entscheiden, ZEIT 19. 02. 1982. 161

III. Burda/Springer (1981/1982)

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meinheit spreche. Auch dieses Argument werde jetzt genannt, vermöge aber nicht so recht zu überzeugen. Dafür drohe aber durch zunehmende Konzentration eine Beschränkung der Meinungsvielfalt auf dem Pressemarkt, und auch für Journalisten werde es zunehmend schwerer, gerade bei politischen Differenzen einen neuen Arbeitgeber zu finden. Das Bundeskartellamt sehe insbesondere auch die Gefahr einer marktbeherrschenden Stellung im Vertrieb, im Anzeigenmarkt, bei den Programmzeitschriften und im Tiefdruckbereich. Alles in allem spreche damit eine lange Liste von Gründen gegen die Elefantenhochzeit. Für die Fusion spreche dagegen vor allem der Wunsch Axel Springers, sein Lebenswerk in die Hände der drei Burda-Söhne zu legen. Dieses Argument dürfe Otto Graf Lambsdorff aber nicht rühren, da er nur gesamtwirtschaftliche Vorteile und das überragende Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen dürfe. In dieser Hinsicht sei vor allem die Erhaltung der Meinungsvielfalt zu nennen, wenn ohne die Fusion verlustbringende Zeitungen, wie etwa die WELT, eingestellt würden. Außerdem könne es um einige tausend Arbeitsplätze gehen, wenn anders der Erhalt des Springer-Verlages nicht zu sichern sei. Gerade im Antrag werde auf den Erhalt der Meinungsvielfalt abgestellt, und dieses Argument sei auch beachtenswert. Eine ausländische Beteiligung sei sicher nicht besser als eine Fusion. In diesem Fall könnte der Verlag zum Spielball wirtschaftlicher Interessen werden. Die englische Lonrho-Gruppe dementiere jedoch ihr angebliches Interesse. Die Entscheidung über die Ministererlaubnis wäre aber nur dann schwierig, wenn die Alternativen wirklich ausländische Beteiligung oder Fusion wären. Tatsächlich existierten jedoch noch viele weitere Alternativen, wie eine Stiftungslösung oder die Übernahme durch eine Bankengruppe, die sicher keine linken Zeitungen verlegen würde. Gerade wirtschaftlich gehöre Springer sicher nicht zu den gefährdeten Verlagen. Insgesamt seien die Argumente für die Fusion alle nicht so recht einleuchtend, die Einwände lägen dagegen auf der Hand, so dass Lambsdorff die Entscheidung nicht schwer fallen sollte.165 In der Berichterstattung über die Anhörung der Beteiligten sowie von Verbänden und Organisationen im Bundeswirtschaftsministerium wird sodann nochmals ausführlich auf die vorgebrachten Argumente eingegangen. So beschreibe Springer das Heranziehen der elektronischen Medien als ein drohendes Unwetter, das nur in einer Seilschaft mit Burda überstanden werden könne. Das Fernsehen über Funk, Kabel und Satellit bedrohe nicht nur das Anzeigengeschäft, sondern sogar die Existenz, sodass ohne die Fusion 1.000 Arbeitsplätze wegfallen würden. Auch müssten das von Springer vertretene Meinungsspektrum und der Standort Berlin gesichert werden, so dass die Fusion auch ein staatspolitisches Moment habe. Während die Presseverbände wohl aus Angst vor den Verlagsriesen sich nicht klar geäußert hätten, habe die IG Druck davor gewarnt, dass bisher jede Fusion Arbeitsplätze gekostet habe. In einem Überblick über die Geschichte der bisherigen Ministererlaubnisse wird dann hervorgehoben, dass bisher stets die Arbeitsplätze das entscheidende Argument gewesen seien, mit dem Arbeitnehmer, Betriebsräte und Landesregierungen Druck 165 Nawrocki, Joachim, Eigentlich ein klarer Fall, Otto Graf Lambsdorff muß über die bisher größte Presse-Fusion entscheiden, ZEIT 19. 02. 1982.

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E. Empirische Untersuchung

auf den Minister ausgeübt hätten. In diesem Sinne sei die Ministererlaubnis ein Instrument der Arbeitsteilung, die politischen Druck auf den Minister ziehe, während die Kartellbeamten sich um das Recht kümmerten. Für den vorliegenden Fusionsfall habe die Monopolkommission eine Einbahnstraße zum Nein aufgezeigt, auch die Anhörung habe keinen Ausweg erwiesen.166 Nach einer Kurzmeldung vom 15. Oktober 1982 warne sogar Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt eindringlich vor dem Entstehen eines Medienriesens aus Burda und Springer.167 Am 26. November 1982 kommt dann die Meldung, dass der Druck der öffentlichen Meinung und zahlreiche sachliche Einwendungen die Verlage dazu gebracht hätten, die geplante Beteiligung von 51 % auf knapp über 25 % zu reduzieren. Der Minister müsse nun darüber nachdenken, ob er diesem neuen Plan zustimmen könne. In diesem Fall riskiere er heftige Auseinandersetzungen mit der Opposition, den Gewerkschaften, aber auch Politikern der eigenen Couleur.168 Im Januar 1983 ziehen die Verlage schließlich den Antrag zurück und begnügen sich mit einer bloßen Finanzbeteiligung Burdas von 24,9 Prozent ohne unternehmerischen Einfluss, was die ZEIT als Sieg des Bundeskartellamts wertet.169 c) Die FAZ Auch aus der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ergibt sich eine klare Ablehnung des Fusionsvorhabens Burda/Springer. Schon zu Beginn wird hier wieder deutlich, dass die Fusion primär der Klärung der Nachfolgefrage bei Springer dienen solle.170 Da keine wirtschaftlichen Probleme bei Springer oder Burda bestünden, wird daher von Anfang an davon ausgegangen, dass es schwer werden dürfte, die Fusion dem Bundeskartellamt plausibel zu machen.171 Dementsprechend kommt die Untersagung durch das Bundeskartellamt nicht überraschend,172 und von der FAZ wird erwartet, dass die beiden Konzerne eine Ministererlaubnis beantragen. Politische Brisanz könne das Verfahren dadurch erhalten, dass bei Scheitern der Fusion der englische Lonrho-Konzern bei Springer 166

Freese, Gunhild, Das letzte Wort, Der achte Fall einer „Minister-Entscheidung“, ZEIT 12. 03. 1982. 167 Messe-Mosaik, ZEIT 15. 10. 1982. 168 Freese, Gunhild, Ehe auf Raten, Die neuesten Pläne, Springer und Burda trotz Bedenken des Kartellamtes doch zu vereinigen, ZEIT 26. 11. 1982. 169 Nachdenklich, ZEIT 14. 01. 1983. 170 Löst Burda die Nachfolgesorgen von Springer? Das Kartellamt prüft eine Verbindung der beiden Verlagskonzerne, FAZ 30. 06. 1981, S. 11. 171 Der Springer-Konzern steht vor eine harten Belastungsprobe, Neuer Investitionsschub/ Start ins Videogeschäft/Schweigen zum Bündnis mit Burda, FAZ 17. 07. 1981, S. 15. 172 Kartellamt verbietet Fusion von Burda und Springer, Beide Häuser halten dennoch an ihrem Ziel fest/Heikle Auseinandersetzung erwartet, FAZ 31. 10. 1981, S. 13.

III. Burda/Springer (1981/1982)

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einsteigen könnte.173 In einem ausführlichen Kommentar wird hervorgehoben, dass das Bundeskartellamt die Fusion zu Recht untersagt habe, und dass ein Verlagskoloss mit 3,5 Milliarden Umsatz weder medienpolitisch noch wettbewerbspolitisch in die Presselandschaft passe. Die Nachfolgesorgen von Springer würden nicht von der Fusion überzeugen. Springer stehe finanziell gut da und brauche die Fusion nicht. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass die geballte wirtschaftliche Macht auch ausgespielt werde, Journalisten kaum noch den Arbeitgeber wechseln könnten, und eine erhebliche politische Macht entstehe. Den Interessen der Verlage stehe daher ein übergeordnetes gesamtwirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Interesse entgegen, so dass der Bundeswirtschaftsminister „Nein“ sagen solle.174 Während das Verfahren bei der Monopolkommission liegt,175 sprechen sich sowohl die FDP-Medienkommission,176 als auch das SPD-Präsidium177 und die SPDFraktion178 gegen die Schaffung eines Mediengiganten aus. SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz argumentiert hierbei in einer Gewerkschaftszeitung damit, dass keineswegs eine Sanierungsfusion vorliege, und konkrete Probleme in der Medienlandschaft vor allem aus der bereits bestehenden Konzentration bei Springer folgten.179 Als der Termin für das Gutachten der Monopolkommission näher rückt, kommentiert die FAZ, dass eine Monopolkommission, die diesen Namen verdiene, eigentlich nur eine Versagung der Ministererlaubnis, oder aber solche Auflagen empfehlen könne, dass die Ministererlaubnis unattraktiv werde. Zwar mögen Burda und Springer einzelwirtschaftlich gesehen plausible Gründe haben, gesamtwirtschaftlich sei die Fusion jedoch nicht vertretbar. Es bestehe kein überragendes Interesse der Allgemeinheit, und wenn hier eine Ministererlaubnis erteilt werde, so könne man die Pressefusionskontrolle gleich zu Grabe tragen.180 Die einstimmige 173 Springer sieht in den Burdas noch echte Verleger, Die Offenburger Verlagsgruppe ist größer als vermutet/Vertrauen in die Zukunft der Tageszeitung, FAZ 31. 10. 1981, S. 14; vgl. Was die Beteiligten sagen, FAZ 31. 10. 1981, S. 13. 174 Broichhausen, Klaus, Kein Jawort aus Berlin, Zur geplanten Ehe Springer-Burda, FAZ 31. 10. 1981, S. 13 (Kommentar). 175 Springer und Burda wollen Ministererlaubnis, Lambsdorff soll vom Kartellamt verbotene Fusion genehmigen, FAZ 24. 11. 1981, S. 13; Jetzt bei der Monopolkommission, FAZ 27. 11. 1981, S. 13. 176 FDP gegen Springer-Burda, FAZ 30. 11. 1981, S. 13. 177 Ein Brief von Glotz mit der „letzten“ Warnung an Coppik, Das SPD-Präsidium verzichtet auf Sofortmaßnahmen wegen der öffentlich gestellten Organisationsfrage, FAZ 02. 12. 1981, S. 3. 178 SPD gegen Burda-Springer-Fusion, FAZ 03. 12. 1981, S. 13; vgl. Burda-Springer-Fusion vor dem Bundestag, Regierung hält sich mit Bewertung noch zurück, FAZ 16. 01. 1982, S. 11. 179 Glotz: „Springer-Burda den Segen verweigern“, FAZ 28. 12. 1981, S. 11. 180 Monopolkommission im Wort, FAZ 11. 02. 1982, S. 11 (Kommentar); Broichhausen, Klaus, Springer drängt auf Entscheidung über Fusionsantrag, Gutachten der Monopolkommission in wenigen Tagen, FAZ 11. 02. 1982, S. 13.

128

E. Empirische Untersuchung

Empfehlung der Monopolkommission die Ministererlaubnis nicht zu erteilen wird mit ihren Gründen detailliert in der FAZ dargestellt.181 Bei der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium hätten die Verlage dann noch einmal an den Bundeswirtschaftsminister appelliert, und auf drohende Arbeitsplatzverluste hingewiesen. Auch solle die Vielfalt der Zeitungen so vor den elektronischen Medien geschützt werden. Konkurrenten befürchteten jedoch erhebliche Nachteile für den Markt, und auch die Gewerkschaften befürchteten Massenentlassungen. Letztlich könne die WELT auch durch richtige verlegerische Entscheidungen erhalten werden, und die Springer-Nachfolge durch eine Stiftung geregelt werden.182 Das Ergebnis dieser Anhörung habe dann dazu geführt, dass die Verlagshäuser beantragt hätten, ihren Antrag ruhen zu lassen, um die Angelegenheit grundsätzlich zu überdenken.183 Nach einer weiteren Verlängerung184 kommt es zu einer aktuellen Stunde im Bundestag, in der die SPD-Fraktion die Bundesregierung auffordert, den Antrag zurückzuweisen.185 Auch als die geplante Beteiligung dann von 51 % auf 26 % reduziert wird,186 schreibt die FAZ, dass der Minister auch dies ablehnen solle.187 Schließlich ziehen die Verlage ihren Antrag zurück und begnügen sich mit einer reinen Finanzbeteiligung von 24,9 %, da sich der Eindruck verfestigt habe, dass mit einer Ministererlaubnis nicht mehr zu rechnen sei.188

181

Monopolkommission warnt vor Zusammenschluß, FAZ 18. 02. 1982, S. 1; Monopolkommission gegen eine Ministererlaubnis, Zusammenschluß Burda-Springer wird aus wettbewerbspolitischen Gründen abgelehnt, FAZ 18. 02. 1982, S. 11. 182 Hartes Ringen um die Ministererlaubnis, Hearing in Bonn über die Fusion SpringerBurda/Was ist gesamtwirtschaftlich gerechtfertigt, FAZ 10. 03. 1982, S. 13. 183 Springer und Burda überdenken Fusion, FAZ 22. 03. 1982, S. 13; Springer sucht neue Lösung für seinen Konzern, Modelle ohne Partner im Gespräch/Fusionsplan mit Burda wird überdacht, FAZ 23. 03. 1982, S. 13. 184 Springer/Burda: längere Denkpause, FAZ 11. 09. 1982, S. 11; Längere Denkpause für Springer und Burda, Fristverlängerung so gut wie sicher/Entscheidung in dieser Woche, FAZ 14. 09. 1982, S. 13. 185 SPD: Antrag auf Fusion zurückweisen, Der Bundestag debattiert über den Fall SpringerBurda, FAZ 28. 10. 1982, S. 13; Keine Zusagen an Springer und Burda, Aktuelle Stunde zur geplanten Fusion/SPD: Elefantenhochzeit, FAZ 29. 10. 1982, S. 13. 186 Springer und Burda ändern Fusionspläne, FAZ 23. 11. 1982, S. 1. 187 Hoffnung auf mehr, FAZ 24. 11. 1982, S. 13 (Kommentar); vgl. Burda: „Keine Mehrheit durch die Hintertür“, Lambsdorff fordert neue Stellungnahmen an/Kartellamt bleibt bei Fusionsverbot, FAZ 24. 11. 1982, S. 13. 188 Keine Aussicht auf Ministererlaubnis, Burda wird sich mit 24,9 Prozent an Springer begnügen müssen, FAZ 05. 01. 1983, S. 9; Springer und Burda, FAZ 07. 01. 1983, S. 11; Burda beteiligt sich mit 24,9 Prozent am Springer-Verlag, FAZ 07. 01. 1983, S. 1.

III. Burda/Springer (1981/1982)

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d) Die WELT Die Berichterstattung der WELT über die Burda/Springer-Fusion zeichnet sich vor allem durch Ihre Nichtexistenz aus. Im Vergleich zu den anderen untersuchten Medien konnte nur eine extrem geringe Anzahl von Artikeln gefunden werden.189 Die wenigen vorhandenen Artikel zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Vergleich zu den anderen Medien ein extrem positives Bild zeichnen und den Argumenten von Springer und Burda sehr viel Raum geben. Angesichts der Zugehörigkeit der WELT zum Springer Konzern ist dies nicht überraschend. Auf Nachfrage des Autors erklärte die Axel Springer SE, dass die damals geringe Berichterstattung wohl damit zu erklären sei, dass in eigener Sache lediglich über den Abschluss derartiger Transaktionen berichtet werde, Spekulationen, Vermutungen und Deutungen jedoch schlecht über die eigenen Medien verbreitet werden könnten.190 Als das Bundeskartellamt die Fusion untersagt, berichtet die WELT, dass Burda und Springer an ihrem Fusionsplan festhalten und ihn mit allen gesetzlich möglichen Mitteln verfolgen würden. Sie täten dies in der Überzeugung, dass die Entscheidung des Bundeskartellamts einer Überprüfung nicht standhalte. Schädliche Auswirkungen auf die Presselandschaft seien von der Fusion nämlich nicht zu erwarten. Vielmehr biete die Fusion die Chance, die Vielfalt der Zeitungen und Zeitschriften auch im veränderten Medienmarkt der Zukunft zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern.191 An vielen anderen Daten, an denen die FAZ über kleinere Ereignisse im Verfahren berichtet, erfolgt keine diesbezügliche Berichterstattung in der WELT.192 Auffällig ist dabei, dass etwa über einen Brief des SPD-Präsidiumsmitglieds Peter Glotz zwar ein ausführlicher Artikel erscheint, im Unterschied zum Bericht der FAZ hierüber jedoch kein Wort der Kritik an der Burda/Springer Fusion daraus wiedergegeben wird.193 Auch ein Bericht über das negative Votum der Monopolkommission taucht an den in Frage kommenden Daten nicht auf. Als es dann zur Expertenanhörung im Bundeswirtschaftsministerium kommt, wird den von den Springer- und Burda-Anwälten vorgetragenen Argumenten breiter Raum gewährt. So habe der Springer-Anwalt die Rechtmäßigkeit des Gutachtens der 189

Auch der Zeitungsindex von Gorzny führt für die Jahre 1981 und 1982 nahezu keine Artikel in der WELT zur Burda/Springer Fusion auf. 190 Email vom 04. 09. 2017. 191 Zusammenschluß untersagt, KARTELLAMT/In Sachen Springer und Burda, WELT 31. 10. 1981, S. 10. 192 So etwa 24. 11. 1981, 27. 11. 1981, 03. 12. 1981, 16. 01. 1981, 11. 02. 1982, 18. 02. 1982, 22. 03. 1982, 23. 11. 1982, 05. 01. 1983, 07. 01. 1983. Überprüft wurden auch jeweils die vorhergehenden und darauffolgenden Tage. 193 Glotz: SPD braucht innere Disziplin, Coppik gemaßregelt, weil „SPD ihre Handlungsfähigkeit erhalten will“, WELT 02. 12. 1981, S. 4; vgl. Ein Brief von Glotz mit der „letzten“ Warnung an Coppik, Das SPD-Präsidium verzichtet auf Sofortmaßnahmen wegen der öffentlich gestellten Organisationsfrage, FAZ 02. 12. 1981, S. 3.

130

E. Empirische Untersuchung

Monopolkommission angezweifelt, da nur vier der fünf Mitglieder mitgewirkt hätten, und er habe auch betont, dass der eigentliche Riese Bertelsmann sei. Laut der WELT dürfte hier ein wichtiges Argument nicht ohne Gehör bleiben, nämlich das der Wettbewerbssituation zwischen gedruckten und elektronischen Medien. Die Fusion stabilisiere die Verlage und sichere so Arbeitsplätze, worauf auch der Burda-Anwalt hingewiesen habe. Dieser habe noch dazu betont, dass durch die Fusion ein leistungsfähiger Konkurrent gegenüber Bertelsmann entstehe. Streng gegen die Fusion seien vor allem die Gewerkschaften, wohingegen der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Verband der Druckindustrie unter dem Strich neutral seien, wie auch der Presserat sich enthalte.194 Von der aktuellen Stunde im Bundestag im Oktober 1982 wird schließlich berichtet, dass sich Otto Graf Lambsdorff noch nicht festgelegt habe, von der SPD aber unter Druck gesetzt werde, die Genehmigung zu verweigern. Dem halte die CDU und CSU mit Kritik an den „manchester-kapitalistischen“ Methoden der SPD bei den eigenen Zeitungen entgegen, die Axel Springer so in seinem Haus nie anwenden würde.195 Auch zur Aufgabe des Fusionsvorhabens Anfang Januar 1983 findet sich keine Berichterstattung in der WELT. 5. Die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers Im Verfahren Burda/Springer erging keine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers, da die Unternehmen ihren Antrag zurückgezogen haben. 6. Fazit Im Verfahren Burda/Springer ließ sich mit Ausnahme der zum Springer Konzern gehörenden WELT eine klare Front im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung gegen die Fusion feststellen. Auch wenn je nach Medium die Argumente für und wider das Vorliegen von Gemeinwohlvorteilen durchaus differenziert abgewogen wurden, so war das Ergebnis stets gleich, nämlich, dass keine Gemeinwohlgründe für die Erteilung der Ministererlaubnis sprachen. Hierbei wurde klar zwischen dem durchaus für legitim gehaltenen individuellen Interesse Axel Springers an einer Nachfolgelösung für sein Lebenswerk und den für eine Ministererlaubnis fehlenden Gemeinwohlgründen differenziert. Konkret wurde vor dem Entstehen eines übermächtigen Medienkonzerns gewarnt.

194

„Ich bin froh, nicht der Minister zu sein“ Experten-Anhörung zum Fusionsplan Burda/ Springer, WELT 10. 03. 1982, S. 5. 195 Lambsdorff: Noch kein entscheidungsfähiger Antrag, SPD fragt nach Beteiligung Burdas am Springer-Verlag, WELT 29. 10. 1982, S. 4.

IV. Daimler/MBB (1989)

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Die Berichterstattung der WELT demonstriert durch ihre klare Befürwortung der Fusion dabei das Risiko einer bias im Fall eigener Betroffenheit. Die anderen Medien wiesen dabei auf die Gefahr hin, dass Burda und Springer versuchen könnten, sich durch eine wohlwollende Berichterstattung den Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister gefügig zu machen, so dass es durch ein Machtwort von ganz oben trotz der gegenteiligen öffentlichen Meinung doch zu einer Ministererlaubnis kommen könne. Zugleich ist umgekehrt hinsichtlich der Berichterstattung von SPIEGEL, ZEIT und FAZ aber zu bemerken, dass auch sie in ihrer Berichterstattung möglicherweise befangen waren, da ein mächtiger Konkurrent zu entstehen drohte. Im Vergleich zu den beiden Verfahren VEBA/Gelsenberg und VEBA/BP bezogen im Verfahren Burda/Springer eine deutlich größere Anzahl an Akteuren öffentlich Position zum Fusionsvorhaben und fanden sich mit ihren Positionen im medialen öffentlichen Raum wieder, wenn auch der Umfang der Berichterstattung mit 65 näher relevanten Artikeln unwesentlich geringer als in den vorangegangen Verfahren war. Insgesamt lässt sender Diskussion meinwohlgründen meinwohl im hier werden konnte.

sich das Verfahren Burda/Springer auf Grund des nach umfasherausgebildeten Konsenses über das Nicht-Vorliegen von Gedem deliberativen Diskursmodell zuordnen, so dass das Geuntersuchten Ausschnitt des öffentlichen Diskurs konkretisiert

IV. Daimler/MBB (1989) 1. Zeitleiste 17. 07. 1987 01. 08. 1988 11. 11. 1988 22. 12. 1988 17. 04. 1989 02. 05. 1989 02. 08. 1989 22. 08. 1989 06. 09. 1989

Beginn der Berichterstattung SPIEGEL Titelthema Staatssekretär im BMWi Erich Riedl stellt Ministererlaubnis in Aussicht Anmeldung des Fusionsvorhabens beim Bundeskartellamt Entscheidung des Bundeskartellamts Antragsstellung Gutachten der Monopolkommission Anhörung im BMWi Ministererlaubnis

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war der beabsichtigte Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung von knapp über 50 % an dem Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH durch die Daimler Benz AG.196 Es war dabei zu erwarten, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der 196

BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2335 – 2362.

132

E. Empirische Untersuchung

Unternehmensgruppe Daimler-Benz/MBB im Bereich der Wehrtechnik auf den Märkten für militärische Flugzeuge und Hubschrauber, für Lenkwaffen sowie für Triebwerke verstärkt werde, sowie marktbeherrschende Stellungen auf den Märkten für Drohnen und Wehrelektronik entstünden.197 Im Bereich der Raumfahrttechnik war das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung auf den Märkten für nichtkommerzielle Orbital- und Trägersysteme sowie wissenschaftliche Satelliten zu erwarten, sowie auf den Märkten für leichte und schwere Lastkraftwagen eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Daimler-Benz.198 Im Rüstungsbereich war das Entstehen einer Abhängigkeit des Bundesministeriums für Verteidigung von der Unternehmensgruppe zu erwarten,199 die als Generalunternehmer 67 % des Gesamtauftragsvolumens kontrollieren würde.200 Die preisregulierende und innovative Funktion des Wettbewerbs würde daher entfallen.201 Auch im Bereich der Raumfahrttechnik ging das Bundeskartellamt davon aus, dass der für diesen Bereich besonders wichtige Forschungs- und Entwicklungswettbewerb tiefgreifend beschränkt würde.202 Bei seiner Prüfung setzte sich das Bundeskartellamt insbesondere auch sehr ausführlich damit auseinander, ob von einem europäischen oder internationalen Markt für die betroffenen Güter auszugehen sei, verneinte dies aber im Ergebnis mit ausführlicher Begründung.203 Das Bundeskartellamt berücksichtigte im Rahmen der Abwägungsklausel auch, ob zusammenschlussbedingte Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich insbesondere hinsichtlich der Airbus-Beteiligung an den Wettbewerbsnachteilen von Airbus gegenüber Boeing auch durch den Zusammenschluss nichts ändere, da nicht zu erwarten sei, dass der Zusammenschluss betriebsinterne Organisationsprobleme von Airbus behebe.204 Im Ergebnis war der Zusammenschluss nach § 24 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GWB a.F. zu untersagen.205

3. Das Gutachten der Monopolkommission Die Antragssteller führten als Vorteile der beantragten Fusion vor allem an, dass sie zu einer Verbesserung von Struktur und Organisation der deutschen Luft- und 197

BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2336, 2338 – 2349. BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2337, 2349 – 2356. 199 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2336, 2349. 200 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2343, bezieht man noch offene Aufträge und Aufträge ohne Generalunternehmer in die Berechnung mit ein, so lediglich 50,5 % des Auftragsvolumens. 201 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2349. 202 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2337. 203 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2340 – 2343, 2351 – 2352. 204 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2358 – 2362. 205 BKartA Daimler/MBB, WuW/E BKartA 2336, 2362. 198

IV. Daimler/MBB (1989)

133

Raumfahrtindustrie führe, die deutsche Airbus GmbH in industrielle Eigenverantwortung überführe und von Dauersubventionen unabhängig mache, die internationalen Verpflichtungen des Bundes im Airbus-Programm langfristig absichere, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie verbessere.206 Die besondere Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie für die Gesamtwirtschaft wurde von der Monopolkommission anerkannt,207 wohingegen die Verlagerung des Airbus-Risikos vom Bund auf die Privatwirtschaft allenfalls auf sehr lange Sicht erwartet wurde.208 Die Fusion könne jedoch zu einer rationelleren Organisation der deutschen Airbus-Aktivitäten führen, und sei auch notwendige Bedingung für eine Verbesserung der Organisation auf europäischer Ebene.209 In der Abwägung von Gemeinwohlvorteilen und Wettbewerbsbeschränkungen kam die Monopolkommission letztlich zu dem Ergebnis, dass die Fusion unter Auflagen zu genehmigen sei. Dies stützte sie vor allem auf die besondere Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft, sowie auf die Rolle von Airbus bei der Verhinderung von Monopolgewinnen von Boeing. Beide Ziele würden durch die Fusion maßgeblich gefördert.210 Zugleich sah die Monopolkommission die erhebliche Gefahr der Abhängigkeit des Bundesministeriums der Verteidigung von Daimler-Benz, weshalb die Mehrheit der Monopolkommission als Auflage die Ausgliederung des Bereichs militärische Triebwerke sowie wesentlicher Teile der Wehrtechnik empfahl.211 Einzig das Kommissionsmitglied Haastert empfahl eine Genehmigung ohne Auflagen, da anderenfalls die Realisierbarkeit der gemeinwohlfördernden Fusion gefährdet sein könnte.212 Der Vorsitzende der Monopolkommission Ulrich Immenga lehnte in einem Sondervotum die Erteilung der Ministererlaubnis ab. Im Gegensatz zur Mehrheit der Kommission hielt er die mit der Fusion erstrebten Vorteile für zu unsicher oder für nicht gegeben, und damit nicht geeignet die Wettbewerbsnachteile zu überwiegen. Insbesondere kritisierte er scharf die hinter der Fusion stehende Industriepolitik der Bundesregierung.213 Aus Protest gegen die Erteilung der Ministererlaubnis trat Immenga als Vorsitzender der Monopolkommission zurück. 206

Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 69, ausführlich Rn. 70 – 85. 207 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 113, ausführlich Rn. 87 – 112. 208 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 134, ausführlich Rn. 116 – 133. 209 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 143, 157. 210 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 226 – 229. 211 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 231 – 241. 212 Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 242 – 245. 213 Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 18, Daimler/MBB, 1989, Rn. 246 – 319.

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E. Empirische Untersuchung

4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Der SPIEGEL ist – wie er sogar selbst mehrfach betont – von Anfang an gegen die Fusion Daimler/MBB und bringt dies durch vehemente und scharfe Kritik zum Ausdruck. Schon als es 1987 zu den ersten Überlegungen hinsichtlich einer Übernahme von MBB durch Daimler kommt, wird dies durch den SPIEGEL wegen der Gefahr der Schaffung eines Superkonzerns sondergleichen, der die drei größten Waffenproduzenten der BRD unter dem Mercedes-Stern vereinige, abgelehnt.214 Als sich die Pläne dann 1988 langsam konkretisieren, warnt der SPIEGEL früh davor, dass das eigentlich verfolgte Ziel des Subventionsabbaus für Airbus durch die Privatisierung gar nicht mehr erreicht werde, da Daimler nur die profitablen Teile von MBB übernehmen wolle, die Airbus-Risiken, insbesondere auch das Dollar-Währungsrisiko, aber beim Bund verbleiben sollten.215 Damit werde Daimler die gesamte Luft- und Raumfahrtbranche und das lukrative Rüstungsgeschäft MBBs von Minister Martin Bangemann quasi zu Füßen gelegt.216 Finanzminister Gerhard Stoltenberg habe gegen diese Lösung zwar noch eine Zeit lang Widerstand geleistet,217 letztlich aber verloren. Nun müsse der Bund für Airbus weitere 10 Milliarden DM an Subventionen aufwenden, die Martin Bangemann damit rechtfertige, dass es ohne Daimler noch teurer wäre, was der SPIEGEL aber für unglaubwürdig hält.218

214 Mercedes: „Im Kern treffen“ Bonn drängt den Autokonzern zur Übernahme der Rüstungs- und Raumfahrtsfirma MBB, SPIEGEL 16. 11. 1987; vgl. „Ich habe oft davor gewarnt“ SPIEGEL-Interview mit dem Kartellamtspräsidenten Wolfgang Kartte, SPIEGEL 16. 11. 1987. 215 MBB: Die teuren Teile für den Bund, SPIEGEL 25. 01. 1988; Daimler-Benz und MBB kommen sich näher, SPIEGEL 08. 02. 1988; Daimler rüstet sich für MBB-Einstieg, SPIEGEL 09. 05. 1988. 216 Wird belohnt, Letzter Versuch der Bonner: Wenn Daimler-Benz bei MBB einsteigt, übernimmt der Staat alle Risiken, SPIEGEL 30. 05. 1988. 217 „Daimler kriegt nicht alles geschenkt“, SPIEGEL 04. 07. 1988. 218 Daimler-Benz: Ganz ohne Scham, SPIEGEL 25. 07. 1988.

IV. Daimler/MBB (1989)

Quelle: DER SPIEGEL 31/1988.

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E. Empirische Untersuchung

Am 01. 08. 1988 wird die Fusion Daimler/MBB sogar zum SPIEGEL Titelthema des Hefts 31/1988.219 Hier wird nun schärfste Kritik an dem Entstehen eines ÜberKonzerns, einem Rüstungskonzern mit gigantischer Marktmacht, geübt. Unter Bezugnahme auf die Londoner Financial Times wird sogar ein Zusammenhang zum Dritten Reich und der damaligen Karriere Daimlers als Rüstungskonzern hergestellt. Auch wird die überparteiliche Kritik verdeutlicht, indem auf die Bedenken von Christdemokrat und Kartellamtspräsident Wolfgang Kartte, FDP-Haushaltsexperte Hermann Otto Solms, der SPD-Bundestagsfraktion, und des Vorsitzenden der Monopolkommission Ulrich Immenga hingewiesen wird. Ulrich Immenga befürchte „eine Machtkonzentration von demokratiegefährdendem Wildwuchs“. Laut SPIEGEL müsse Daimler durch die Assoziation mit Adolf Hitler und Faschismus nun mit Verlusten im zivilen Bereich rechnen. Auch könne Daimler durch seine Größe im Luft- und Raumfahrtbereich nun die Preise diktieren, und sich auf die Unterstützung der süddeutschen Landesherren für neue Rüstungsaufträge verlassen. Statt von der von Minister Martin Bangemann geplanten Airbus-Entlastung seien nun Zusagen bis ins neue Jahrtausend hinein abgegeben worden. Von Bonn brauche Daimler nur noch die kartellrechtliche Ministererlaubnis.220 Schon kurz darauf wird in einem weiteren Artikel hervorgehoben, dass zu den bisher versprochenen 10,7 Milliarden DM noch einmal 5 Milliarden DM hinzukämen. Martin Bangemann hinterlasse vor seinem Wechsel zur EU ein Abschiedsgeschenk, das allen Bekenntnissen zu Wettbewerb und Ordnungspolitik Hohn spreche.221 In einem Interview mit dem Daimler-Betriebsratsvorsitzenden Herbert Lucy wird deutlich, dass die Arbeitnehmervertretung strikt gegen die Fusion sei, und einen Bedeutungsverlust der Automobilsparte und einen zu großen politischen Einfluss eines Unternehmens mit dann 400.000 Mitarbeitern fürchte.222 In einem weiteren Interview mit Kartellamtspräsident Wolfgang Kartte zeigt dieser, für wie bedenklich er staatliche Eingriffe in Schlüsselindustrien wie Atomindustrie, Elektronik, Luft- und Raumfahrt hält, während andere Konzerne sich dem Wettbewerb stellen müssten.223 Schon in diesem Interview deutet der SPIEGEL an, dass die öffentliche Diskussion des Falles nun zu spät komme, da den Unternehmen wohl schon eine Mi219

Die neue deutsche Rüstungsmacht, Mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entsteht in der Bundesrepublik ein Rüstungsgigant, wie ihn das demokratische Deutschland bislang nicht kennengelernt hat, SPIEGEL 01. 08. 1988. 220 Die neue deutsche Rüstungsmacht, Mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entsteht in der Bundesrepublik ein Rüstungsgigant, wie ihn das demokratische Deutschland bislang nicht kennengelernt hat, SPIEGEL 01. 08. 1988. 221 Subventionen, Höher als geplant, Daimler-Benz kann MBB übernehmen – der Steuerzahler trägt alle Risiken der Airbus-Produktion, SPIEGEL 31. 10. 1988. 222 „Wir haben genug Probleme“ Interview mit dem Daimler-Benz-Betriebsratsvorsitzenden Lucy, SPIEGEL 07. 11. 1988. 223 „Der Fall ist schon ein dicker Klops“ SPIEGEL-Interview mit Kartellamtspräsident Wolfgang Kartte über Großfusionen und den Fall Daimler/MBB, SPIEGEL 14. 11. 1988.

IV. Daimler/MBB (1989)

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nistererlaubnis zugesichert worden sei, da sie ungewöhnlicherweise keine informelle Voranfrage beim Bundeskartellamt gestellt hätten. Dies bekräftigt der SPIEGEL nochmals im Editorial der Ausgabe vom 14. November 1988 unter Wiedergabe verschiedener Pressestimmen, die mehrfach von einem Sündenfall sprechen. Hätten die anderen Zeitungen die Affäre auch so früh ernst genommen wie der SPIEGEL, hätte es so weit gar nicht kommen können.224 Auch FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff sei mit seinem Widerstand zu spät gekommen, und habe sich gegen den Druck von Martin Bangemann, Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher nicht durchsetzen können, so dass sowohl Kabinett als auch FDP-Präsidium dem Deal zugestimmt hätten, obwohl Otto Graf Lambsdorff ein schlechtes Gewissen gegenüber den mittelständischen Wählern habe.225 Anfang 1989 schreibt der SPIEGEL dann, dass der neue Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) nun in die Geschichte eingehen könne, indem er den Deal doch noch stoppe, was aber bei dessen friedfertiger Haltung kaum zu erwarten sei.226 Am 13. 03. 1989 wird dann ausführlich über das Veto des Bundeskartellamts berichtet, und betont, dass ein „Rüstungsmoloch“ entstehe, bei dem in sieben Waffenbereichen eine kritische Größe vermutet werde. Wenn es nach Recht und Gesetz gehe, wäre die Fusion nun Geschichte. Es sei jedoch mit einer Ministererlaubnis zu rechnen, die mit dem Abbau der Milliardensubventionen für Airbus gerechtfertigt werde.227 In einem Kommentar vom April 1989 wird sodann hervorgehoben, dass die Ministererlaubnis schon längst sicher sei, wie Staatssekretär Erich Riedl (CSU) schon im November 1988 lauthals verkündet habe. Auch wenn der Minister stets behaupte, dass das Verfahren noch völlig offen sei, sei doch klar, dass das weder wahr noch plausibel sein könne. Nach einjährigen Verhandlungen Daimlers mit Finanzund Wirtschaftsministerium und nunmehr fertigen Verträgen werde der Deal nicht mehr platzen. Von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen oder einem überragenden Interesse der Allgemeinheit sei hier jedoch nichts zu sehen, es gehe allein um das Interesse der Bonner Politiker, Airbus an Daimler abzuschieben, was aber wegen der Risiko-Übernahme durch den Bund noch nicht einmal gelungen sei. Dennoch werde Helmut Haussmann genehmigen, was sein Vorgänger ausgehandelt habe.228

224

Datum: 14. November 1988 Betr.: Daimler/MBB, SPIEGEL 14. 11. 1988. Daimler/MBB: Die Niederlage des Grafen Lambsdorff gegen Bangemann, SPIEGEL 14. 11. 1988. 226 Daimler/MBB: Umnebelte Geister, SPIEGEL 23. 01. 1989. 227 Daimler/MBB: Das Nein des Kartellamtes, SPIEGEL 13. 03. 1989; vgl. Der Staat trägt das Risiko, Daimler hat sich bei den MBB-Verhandlungen durchgesetzt, SPIEGEL 13. 03. 1989. 228 Kaden, Wolfgang, Wirtschafts-Kommentar, Verantwortung und Verlogenheit, SPIEGEL 03. 04. 1989; vgl. Daimler hatte Bonner Zusage, SPIEGEL 10. 04. 1989. 225

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E. Empirische Untersuchung

Kurz darauf scheint sich laut dem SPIEGEL das Blatt noch einmal zu wenden, als die Konkurrenten Daimlers, beispielsweise MAN, erheblichen Druck gegen eine Ministererlaubnis machen, und auch die FDP-Landesverbände Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg beim Minister protestieren.229 Als die Begründung des Kartellamts vorliegt und Überlegungen laufen, welche Teile von Daimler über Auflagen ausgegliedert werden könnten, droht der Daimler-Chef Edzard Reuter dann damit, von dem Projekt ganz Abstand zu nehmen und Arbeitsplätze im Ausland zu schaffen.230 Der Vorsitzende der Monopolkommission Ulrich Immenga hält solche Drohungen für ein bloßes Ritual, und hofft, dass der Druck aus FDP und Wirtschaft hoch genug sei, um die Ministererlaubnis noch zu verhindern.231 Die Rolle, die die PR-Abteilung von Daimler der Öffentlichkeit beimisst, wird in einem Bericht über deren Versuche, Sympathisanten in der Bevölkerung zu Leserbriefen zu motivieren, deutlich.232 Als schließlich die Monopolkommission ihre Zustimmung unter Auflagen erteilt, schreibt der SPIEGEL, dass dies Hilfe zur Vollendung des Sündenfalls Martin Bangemanns sei. Der Vorsitzende Ulrich Immenga sei unter Kritik an der „wettbewerbsfeindlichen, konzentrationsfördernden und staatsinterventionistischen Industriepolitik“ zurückgetreten. Sogar das zustimmende Kommissionsmitglied Carl Christian von Weizsäcker habe gestanden, dass die Kommission sich sehr schwer getan habe, Gemeinwohlvorteile zu entdecken.233 In einem Interview mit dem Unternehmer Jürgen Heraeus macht dieser deutlich, dass Gerüchten zufolge Widerstand in der Wirtschaft durch großzügige Auftragsvergaben beseitigt worden sei. Die Wurzel des Übels in diesem Fall sei die frühe Zusage des Ministers gewesen, so dass die Entscheidung von Bundeskartellamt und Monopolkommission ein bloßes Schauspiel gewesen seien.234 Von einer bloßen Show spricht auch der SPIEGEL in einem kurz darauf erscheinenden Artikel und zitiert dabei den SPD-Wirtschaftsexperten Wolfgang Roth, der von einem „Staatsbegräbnis erster Klasse“ für den Wettbewerb spricht.235 229 Unter Druck, Die Fusion Daimler/MBB ist noch nicht perfekt – in der Industrie wächst der Widerstand, SPIEGEL 17. 04. 1989; „Ob ich die Enden zusammenbringe?“ Mit einem neuen Kabinett will die Koalition, blamabel für Kohl, die gröbsten Fehler der alten Regierung ausmerzen, SPIEGEL 24. 04. 1989. 230 Daimler/MBB: Was wird ausgegliedert?, SPIEGEL 24. 04. 1989. 231 „Haussmann steht gewaltig unter Druck“ Der Vorsitzende der Monopolkommission Ulrich Immenga über den Fall Daimler/MBB und den Wettbewerb, SPIEGEL 01. 05. 1989; zur Diskussion in der FDP vgl. Herren am Werke, Bei der Suche nach einem neuen Profil stoßen die Liberalen an Grenzen, die der Wirtschaftsflügel setzt, SPIEGEL 05. 06. 1989. 232 Daimler bittet um Mithilfe, SPIEGEL 05. 06. 1989. 233 Daimler/MBB: „Kein Spielraum“, Erleichterung herrschte in Bonn, als die Monopolkommission ein vorsichtiges Ja zur Super-Fusion Daimler/MBB aussprach, SPIEGEL 07. 08. 1989. 234 „Das große Unbehagen bleibt“ SPIEGEL-Interview mit dem Unternehmer Jürgen Heraeus zum Zusammenschluß von Daimler-Benz und MBB, SPIEGEL 21. 08. 1989. 235 Daimler/MBB: Weiße Salbe, SPIEGEL 04. 09. 1989.

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In einem abschließenden Artikel wird noch einmal betont, dass schon niemand mehr zu erklären versuche, wie es dem Gemeinwohl diene, wenn die Autofirma Daimler die Welt mit noch mehr und schöneren Waffen beglücke. Fortschritt und Wohlstand würden am besten durch Wettbewerb gefördert.236 Minister Helmut Haussmann schließlich rechtfertigt die Fusion in einem Interview damit, dass bis zum Jahr 2000 fünf Milliarden Subventionen eingespart würden, und Wettbewerb bei Rüstungsgütern ohnehin nur auf europäischer Ebene möglich sei. Er habe sich die Entscheidung keineswegs leicht gemacht, und sich gegen eine populistische Ablehnung aus wahltaktischen Gründen entschieden.237 b) Die ZEIT Die ZEIT steht der Fusion Daimler/MBB wegen der drohenden Gefahren für die Marktwirtschaft ebenfalls sehr kritisch gegenüber, wenn auch die Kritik im Vergleich zum SPIEGEL längst nicht so emotional ist, und mehr Befürworter der Ministererlaubnis zu Wort kommen. Schon von Anfang an hält die ZEIT es bei der Fusion für eine absolute Perversion, wenn Daimler MBB wegen der hohen Verluste erst nicht haben wolle,238 dann aber MBB ohne die Verluste bekommen solle. Dies würde die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung völlig untergraben.239 Im August 1988 berichtet die ZEIT dann auch von massiver Kritik am Fusionsplan durch Politiker aller Couleur, Gewerkschaften und Unternehmen. So würden Oppositionspolitiker von der Schaffung eines „militärisch-industriellen Komplexes“ sprechen, und auch in den eigenen Reihen, den Gewerkschaften und den Betriebsräten, werde Kritik laut.240 Hier wird beispielsweise die Kritik des CDU-Haushaltsexperten Bernhard Friedmann hervorgehoben, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert würden.241 Ebenso bekräftigt auch die ZEIT, dass das Subventionsgrab bei gleichzeitiger Privatisierung der Gewinne keineswegs beendet sei. Auch seien Vergeltungsmaßnahmen der USA zu befürchten, zumal ein Rüstungsmonopol ordnungs-

236 „Teile sind mehr als das Ganze“ Die bescheidenen Auflagen, die der Wirtschaftsminister mit seiner Genehmigung für die Fusion Daimler/MBB verbindet, werden den Aufbau des geplanten Konzerns nicht stören, SPIEGEL 11. 09. 1989. 237 „Daimler muss mehr erwerben“, SPIEGEL 18. 09. 1989. 238 Büschemann, Karl-Heinz, Ein ungeliebter Konzern, Zum erstenmal seit zehn Jahren ist das Unternehmen in die Verlustzone geraten, ZEIT 17. 07. 1987. 239 Daimler/MBB Perversion, ZEIT 12. 02. 1988; Daimler/MBB Leichtsinnig, ZEIT 03. 06. 1988. 240 Büschemann, Karl-Heinz, Der lange Marsch, Bis zum Einstieg bei MBB müssen Daimler-Benz und Bonn noch viel tun, ZEIT 12. 08. 1988. 241 Gute Argumente, Der CDU-Haushaltsexperte Bernhard Friedmann kritisiert die geplante Übernahme von MBB durch Daimler, ZEIT 21. 10. 1988.

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politisch ebenso unverantwortlich sei, wie eine Wechselkursgarantie finanzpolitisch.242 Als dann das „Nein“ des Bundeskartellamts erfolgt ist, hebt die ZEIT hervor, dass Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) dem Kartellamt gestanden habe, dass die Bundeswehr künftig zu 70 % bei Daimler/MBB einkaufen müsse. Das „Nein“ lasse die Konzerne aber kalt, da Staatssekretär Erich Riedl (CSU) schon lange eine Ministererlaubnis versprochen habe, was laut dem Vorsitzenden der Monopolkommission Ulrich Immenga das ganze Verfahren zu einem „Scheinverfahren degradiere“. Eigentlich sei nach den bisherigen Erfahrungen klar, dass Industriepolitik mit Hilfe der Ministererlaubnis nicht funktioniere. Wo gesamtwirtschaftliche Vorteile oder ein überragendes Interesse der Allgemeinheit lägen, bleibe das Geheimnis von Wirtschaftsminister Martin Bangemann.243 Auch in mehreren weiteren Artikeln wird die Fusion scharf kritisiert: Immer wieder wird hier hervorgehoben, dass das ganze Verfahren spätestens seit dem Versprechen Erich Riedls ein „abgekartetes Spiel“ sei, und ohnehin klar sei, dass die Ministererlaubnis erteilt werde, obwohl der Nachweis gesamtwirtschaftlicher Vorteile oder eines überragenden Interesses der Allgemeinheit nahezu unmöglich sei. Auch hier wird wieder das politische Machtpotential Daimler/MBBs sowie die Monopolstellung bei der Belieferung der Bundeswehr, hervorgehoben.244 Als die Begründung der Entscheidung des Bundeskartellamts erscheint, wird diese in Auszügen, insbesondere für die Bereiche in denen eine marktbeherrschende Stellung droht, wiedergegeben.245 Über ein Interview wird aber auch Daimler-Chef Edzard Reuter Raum gegeben, der den gesamtwirtschaftlichen Vorteil der Fusion mit der Basistechnologie Luftund Raumfahrt begründet, die der ganzen Volkswirtschaft Vorteile bringe und nur durch ein internationales Großunternehmen mit der Fähigkeit zur Systemführerschaft beim Bau von Flugzeugen oder Weltraumstationen gesichert werden könne.246

242 Büschemann, Karl-Heinz, Benzrepublik Deutschland, Bonn will Daimler alle AirbusRisiken abnehmen, Das Konzern-Wohl wird zur nationalen Sache, ZEIT 04. 11. 1988. 243 Büschemann, Karl-Heinz, Mit Macht zum Ziel, Bonn will sich mit einer Ministererlaubnis über das Votum des Kartellamtes gegen die Fusion von Daimler und MBB hinwegsetzen, ZEIT 17. 03. 1989. 244 Büschemann, Karl-Heinz/Hoffmann, Wolfgang, Alle Waffen unter einem guten Stern, Durch die Fusion von Daimler und MBB entsteht Europas größter Rüstungskonzern, ZEIT 07. 04. 1989; Schmid, Klaus-Peter, Wird so die Marktwirtschaft gewahrt? Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann genießt sein Amt – aber Unbill droht, ZEIT 07. 04. 1989; Freese, Gunhild, Bastion gegen Bonn, Im Fusionsfall Daimler-MBB kämpft das Kartellamt um seine Autorität, ZEIT 14. 04. 1989. 245 Die Untersagung in Auszügen, ZEIT 28. 04. 1989. 246 Büschemann, Karl-Heinz/Christ, Peter, Wir können auch ohne MBB, Ein Gespräch mit Daimler-Chef Edzard Reuter, ZEIT 05. 05. 1989.

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Auch Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hält in einem langen Artikel ein engagiertes Plädoyer für die Fusion. Neben einer Reihe anderer Argumente sind seine Hauptargumente hierbei, dass man den Wettbewerb nicht national sehen dürfe, sondern die Luft- und Raumfahrtindustrie in einem internationalen Wettbewerb stehe, in dem die Fähigkeit zur Systemführerschaft unabdingbar sei. Auch sei die Gefahr eines Rüstungsmonopols oder auch „militärisch-industriellen Komplexes“ nicht realistisch, da die Bundeswehr auch weiterhin in den USA einkaufen werde. Noch hinzu käme der Vorteil, mittelfristig die Airbus-Subventionen zu beenden.247 Mit leichtem Spott für Wirtschaftsminister Helmut Haussmann wird am 04. 08. 1989 dann das positive Votum der Monopolkommission als dessen schönstes Ferienerlebnis bezeichnet. Nur der Vorsitzende Ulrich Immenga sei gegen die Fusion gewesen. Laut ZEIT sei Helmut Haussmann aber ohnehin schon von Anfang an auf die Erteilung der Ministererlaubnis festgelegt gewesen, so dass das Gutachten der Monopolkommission nun gerade recht komme, um seine Position öffentlich zu rechtfertigen.248 Am selben Datum erfolgt auch eine Erwiderung eines ZEIT-Redakteurs auf Helmut Schmidt.249 Der ZEIT-Redakteur hebt hervor, dass das Kartellamt auf Airbus bezogen den Weltmarkt sehr wohl berücksichtigt habe, im Rüstungsmarkt jedoch fast ausschließlich national eingekauft werde und hier ein Monopol drohe. Einkäufe in den USA seien nur politisch mit dem Ausgleich für die Truppenstationierungskosten zu erklären. Auch die Annahme, dass größere Unternehmen automatisch stärker und leistungsfähiger seien, sei durch nichts belegt.250 Insgesamt seien keine Gemeinwohlvorteile zu erkennen, und es sei nur zu hoffen, dass gar nicht oder nur unter starken Auflagen genehmigt würde.251 Auch der Rechtswissenschaftler Ernst-Joachim Mestmäcker betont in seiner Erwiderung auf Helmut Schmidt, dass nicht auf den Weltmarkt an und für sich, sondern auf einzelne Produktmärkte abzustellen sei. Und auf diesen drohe durch Daimler/MBB eine marktbeherrschende Stellung in geradezu exemplarischer Form. Laut ihm sei es auch in Frage zu stellen, weshalb die Subventionsmilliarden für Airbus direkt an Daimler fließen müssten, und weshalb die Bundesregierung nicht in der Lage sei, ein schlagkräftiges Management für MBB zu finden. Gerade Subventionen für Forschung und Entwicklung seien nicht klar vom übrigen Daimler247

Schmidt, Helmut, Plädoyer für die Fusion, Wer über Deutschlands Grenzen hinaussehen kann, muß den Zusammenschluß bejahen, ZEIT 28. 07. 1989. 248 Büschemann, Karl-Heinz, Votum nach Wunsch, Mit dem Gutachten der Monopolkommission kann Daimler-Benz zufrieden sein, ZEIT 04. 08. 1989. 249 Schmid, Klaus-Peter, Gefährlicher Sündenfall, Der Schaden der Fusion ist größer als der Nutzen, ZEIT 04. 08. 1989. 250 Vgl. Schmid, Klaus-Peter, Eher fett als fit, Große Unternehmens-Zusammenschlüsse sind nur selten erfolgreich, ZEIT 25. 08. 1989. 251 Schmid, Klaus-Peter, Gefährlicher Sündenfall, Der Schaden der Fusion ist größer als der Nutzen, ZEIT 04. 08. 1989.

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Geschäft zu trennen und stellten einen deutlichen Wettbewerbsnachteil für Konkurrenten dar.252 Nach der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium schlussfolgert die ZEIT sodann aus der qualvollen Enge im viel zu kleinen Sitzungssaal, dass dies zeige, wie wenig Interesse das Bundeswirtschaftsministerium an der Anhörung habe und es nur für eine lästige Pflichtübung halte. Angesichts der kontroversen und lebhaften Diskussion im Vorfeld der Fusion sei es äußerst überraschend, dass nun erst nach zwei Stunden fortgesetzter Anhörung erstmals durch den Arbeitsverband Selbstständiger Unternehmer und den Bundesverband mittelständischer Wirtschaft ordnungspolitische Kritik geübt werde. Fast alle anderen Kritiker seien im Laufe der zweijährigen Diskussion verstummt, und auch die ZEIT äußert hier ebenso wie der SPIEGEL unter Berufung auf Branchenkenner den Verdacht, dass Kritiker durch Auftragsvergaben eingekauft worden seien. Trotz der schwachen Kritik werde es aber nicht leicht werden, die Erlaubnis zu begründen. Besonders pikant sei dabei die Rolle Helmut Haussmanns, der zuvor am Zustandekommen der Fusion mitgearbeitet habe, und damit eigentlich befangen sei.253 Auch als die Erlaubnis schließlich erteilt wird, kommt noch einmal scharfe Kritik von der ZEIT: Daimler-Benz werde nun auf weiten Feldern zum Monopolisten, während der Bund gleichzeitig die Risiken und Subventionen gar nicht los geworden sei. Kieler Wirtschaftswissenschaftler seien in der FAZ zu dem Ergebnis gekommen, dass die Steigerung des Gemeinwohls durch die Luft- und Raumfahrttechnologie argumentativ nicht abgesichert sei, wohingegen die Nachteile durch das Rüstungsmonopol greifbar seien. Helmut Haussmann hätte das Ganze durch Auflagen entschärfen können, habe dies aber nicht getan.254 Auch in einem weiteren Artikel werden die Kritikpunkte an der Fusion noch einmal hervorgehoben, und es wird betont, dass die Begründung der Ministererlaubnis „– zurückhaltend ausgedrückt – an den Haaren herbeigezogen“ sei.255 c) Die FAZ Die äußerst detaillierte256 Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeichnet sich in der allgemeinen Berichterstattung durch große Neutralität, und die Darstellung der Argumente beider Seiten aus. Die Kommentare sprechen sich jedoch 252 Mestmäcker, Ernst-Joachim, Ein falscher Maßstab, der internationale Größenvergleich rechtfertigt die Fusion nicht, ZEIT 11. 08. 1989. 253 Büschemann, Karl-Heinz, Wundersame Wende, Bei der Anhörung zur Fusion Daimler/ MBB war von Kritik nicht viel zu hören, ZEIT 25. 08. 1989. 254 Christ, Peter, Fehler über Fehler, ZEIT 15. 09. 1989; vgl. Keßler, Helga, Der Stoff aus dem die Träume sind, Mit der Übernahme von MBB schafft sich der Daimler-Konzern eine neue beherrschende Stellung, ZEIT 08. 09. 1989. 255 Prinzip Hoffnung, ZEIT 24. 11. 1989. 256 Knapp 200 näher relevante Artikel.

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klar gegen die Fusion aus. Deutlich wird in der FAZ auch, wie viele gesellschaftliche Gruppen und Akteure sich zur geplanten Fusion geäußert haben. Schon früh wird so in den Artikeln der FAZ die Ablehnung der Fusion durch SPD257 und IG Metall258 klar. Dabei wird auch schnell deutlich, dass die Hauptschwierigkeit in den Verhandlungen zwischen dem Bund und Daimler die Übernahme der Airbus-Risiken sei.259 In einem Kommentar wird hier die drohende Übernahme von Wechselkursrisiken über Jahre hinweg bei gleichzeitiger Privatisierung der Gewinne, und die Schaffung eines Luft- und Raumfahrtmonopols scharf kritisiert.260 Auch der Daimler-Betriebsrat wendet sich gegen die Fusion, da er um Tausende Arbeitsplätze fürchtet und so zu viel politische Macht in einem Konzern entstehen könnte.261 Hier werden Bruchlinien innerhalb politischer Lager deutlich, wenn etwa der SPD-Präsident des Bremer Senats für die Fusion ist, die Bremer SPD-Basis gegen das Entstehen eines solchen Rüstungskonzerns,262 und auch der SPD-Parteitag fast einstimmig gegen ein solches Monopol und Mehrbelastungen des Bundeshaushalts hierdurch stimmt.263 Auch die Kandidatin für den FDP-Bundesvorsitz Irmgard Adam-Schwaetzer ist gegen die Fusion und die dadurch entstehende Abhängigkeit der Bundeswehr,264 während Franz-Josef Strauß (CSU) die Notwendigkeit der Fusion betont, um so überhaupt im internationalen Wettbewerb bestehen zu

257 Gegen Fusion Daimler-MBB, FAZ 21. 10. 1987, S. 14; Die Koalition will den Airbus absichern, Staatsgarantie sogar für künftige Kursrisiken?/SPD kritisiert Bangemanns Konzentrationspolitik, FAZ 10. 06. 1988, S. 13; vgl. Standpunkte: Uwe Jens, Am Horizont winkt eine Ministererlaubnis, Die Beteiligung Mercedes-Benz/Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) ist einer der größten Fusionsfälle, FAZ 04. 11. 1988, S. 15. 258 Steinkühler gegen Daimler/MBB, FAZ 05. 12. 1987, S. 13. 259 Länder wollen Einfluß bei MBB nicht aufgeben, Noch viele Fragezeichen bei möglicher Daimler-Beteiligung/„Gemeinsame“ Lösung bei Dornier, FAZ 31. 05. 1988, S. 13; AirbusRisiken mildern, FAZ 21. 06. 1988, S. 13; MBB: Daimler noch zurückhaltend, FAZ 06. 07. 1988, S. 17; Airbus-Risiken nicht endgültig abgesichert, Gespräche mit Daimler dauern an/Keine zusätzlichen Mittel, FAZ 07. 07. 1988, S. 11; Spitzengespräche in Bonn über MBBBeteiligung, Hauptthema bleiben die Airbus-Risiken/Vogels drängt auf Entscheidung, FAZ 25. 07. 1988, S. 11; Airbus-Entscheidung fällt erst im Kabinett, Auf der Suche nach einer gemeinsamen Linie/Stoltenberg will Risiken für den Bund begrenzen, FAZ 01. 08. 1988, S. 9. 260 Übereifrig, FAZ 07. 07. 1988, S. 11 (Kommentar); vgl. Jeske, Jürgen, Gut für die Bundesrepublik? Zum Fall Daimler-MBB-Airbus, FAZ 07. 11. 1988, S. 13 (Kommentar). 261 Daimler-Betriebsrat gegen Einstieg bei MBB, „Regierung wird erpreßbar“/Roth: Ökonomische Großmacht, FAZ 13. 07. 1988, S. 11. 262 Bremer SPD gegen Pläne des Senats bei MBB, Der Bürgermeister will für den Sitz der Stadt im Aufsichtsrat notfalls zahlen, FAZ 06. 08. 1988, S. 4. 263 Lafontaine für mehr Wochenendarbeit und „solidarischen Einkommensverzicht“, Streit mit Gewerkschaftlern auf dem SPD-Parteitag in Münster/„Die ökologische Erneuerung“, FAZ 01. 09. 1988, S. 1. 264 Adam-Schwaetzer gegen Daimler-Einstieg bei MBB, FAZ 21. 09. 1988, S. 13.

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können.265 Im Haushaltsausschuss sprechen sich sogar Politiker aller Fraktionen dafür aus, eine europäische Lösung statt der Daimler/MBB-Fusion zu suchen.266 Die Grünen267 wenden sich ebenso gegen die entstehende politische und ökonomische Macht wie der CDU-Haushaltsexperte Bernhard Friedmann268 gegen die Abhängigkeit der Bundeswehr. Auch innerhalb der FDP entsteht ein Konflikt zwischen dem Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff, dem FDP-Präsidium und dem Initiator der Fusion Wirtschaftsminister Martin Bangemann.269 Die SPD kritisiert „staatsmonopolistischen Kapitalismus“, und auch der CDUWirtschaftsrat warnt vor einer „drohenden Sozialisierung des Risikos“, während der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion die Fusion verteidigt.270 Im Haushaltsausschuss enthalten sich die SPD-Politiker dann aber der Stimme, und nur die Grünen stimmen gegen die Bewilligung der Airbus-Subventionen.271 Schon jetzt kündigt der Staatssekretär im BMWi Erich Riedl (CSU) eine Ministererlaubnis für die Fusion an, da sie unmittelbar den Zielen der Industriepolitik entspreche,272 während der Vorsitzende der Monopolkommission Ulrich Immenga keine gesamtwirtschaftlichen Vorteile erkennen kann.273 Dieser Vorgriff Erich Riedls führt wie-

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Strauß: Daimler und MBB kein Industriegigant, FAZ 01. 10. 1988, S. 13; vgl. Die Zukunft der Raumfahrt gibt es nicht zum Nulltarif, Ein Plädoyer wider die nationale Engstirnigkeit/Thesen aus der letzten Rede von Franz Josef Strauß, FAZ 21. 10. 1988, S. 14. 266 Für Europa-Modell der Luftfahrtindustrie, Abgeordnete hegen Bedenken gegen Rüstungskonzentration bei Daimler-Benz, FAZ 15. 10. 1988, S. 13. 267 Grüne fordern Airbus-Debatte, FAZ 27. 10. 1988, S. 13. 268 Noch keine Vorlage für Airbus-Beschluß, Friedmann warnt vor Daimler-Einstieg/ Weitere Risiken übernommen?, FAZ 31. 10. 1988, S. 13. 269 Bedenken gegen MBB-Beteiligung, FAZ 02. 11. 1988, S. 2; Daimler-Fusion: Wachsende Bedenken der Liberalen, Kabinett soll heute entscheiden/Lambsdorff fürchtet Marktmacht/Bangemann: Keine Alternative, FAZ 07. 11. 1988, S. 13; Die FDP stimmt mit Vorbehalten der Fusion von Daimler-Benz und MBB zu, Lambsdorff: Erhebliche Einwände zurückgestellt/Ergänzungen der Kabinettsvorlage/Koalitionskrise vermieden, FAZ 08. 11. 1988, S. 1. 270 SPD und Grüne kritisieren Fusion von MBB mit Daimler, MBB: Positiver und wichtiger Schritt/Wissmann: In der Union haben sich viele schwergetan, FAZ 09. 11. 1988, S. 13; Die SPD spricht von einem schwarzen Tag für die Wirtschaftsordnung, „Der Staat hat sich erpreßbar gemacht“/Aktuelle Stunde zur Fusion von Daimler und MBB, FAZ 10. 11. 1988, S. 1; vgl. Abermals Debatte im Bundestag über die Fusion von Daimler und MBB, Die Opposition spricht von schwerwiegenden Fehlern in der Subventions- und Wettbewerbspolitik, FAZ 24. 11. 1988, S. 7. 271 SPD-Haushaltspolitiker nicht gegen Daimler-Benz, FAZ 11. 11. 1988, S. 13; DaimlerBenz stimmt Gesprächen mit MBB zu, Haushaltsausschuß des Bundestages billigt AirbusSubventionen, FAZ 10. 11. 1988, S. 13. 272 Riedl kündigt Ministererlaubnis an, FAZ 12. 11. 1988, S. 13. 273 „Ein Kartellverfahren wäre widersinnig“ Immenga kritisiert die Fusion von DaimlerBenz und MBB, FAZ 11. 11. 1988, S. 15.

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derum zu scharfer Kritik durch den FDP-Politiker Hermann Otto Solms,274 worauf Erich Riedl entsprechend antwortet.275 Ende 1988 erhält die Debatte nochmals eine neue Dimension, als auf Forderungen der FDP hin eine Debatte darüber ausbricht, ob Daimler dazu verpflichtet werden soll, die Gewinne von MBB zur Verringerung der Airbus-Subventionen einzusetzen.276 Als deshalb die Fusion sogar zu scheitern droht, kommentiert die FAZ, dass auch das kein nationales Unglück wäre.277 Letztlich akzeptiert Daimler aber einen Kompromiss hinsichtlich der Gewinnverrechnung,278 womit der Widerstand Otto Graf Lambsdorffs und des FDP-Präsidiums zurückgezogen wird.279 Auch danach setzt sich die Kritik innerhalb der Regierungskoalition jedoch fort, so etwa als der Berliner Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) die Bundesregierung dafür kritisiert, die Fusion aus purer Lust an ökonomischer Gigantomanie betrieben und den Mittelstand vernachlässigt zu haben.280 Nach dem Kompromiss und dem damit verbundenen Kabinettsbeschluss, steigt aber auch die Unterstützung für die Fusion. So wird diese jetzt auch von den Unternehmen Allianz, Siemens, Bosch und Aerospatiale unterstützt, die bereit sind, ihre Anteile an MBB an Daimler zu verkaufen, um die Mehrheit zu ermöglichen.281 Aus anderen Unternehmen kommt jedoch auch Kritik, so von MAN wegen der drohenden Monopolisierung,282 und auch

274 Solms kritisiert Anmaßung von Riedl, Kommentar zu Daimler-MBB-Beteiligung/ Immenga wiederholt Drohung, FAZ 15. 11. 1988, S. 14. 275 Riedl weist FDP-Vorwürfe zurück, FAZ 18. 11. 1988, S. 13. 276 Daimler will keine Gewinnverrechnung, Nachbesserungswünsche für die MBBTransaktion?/Länder wollen Einfluß sichern, FAZ 09. 12. 1988, S. 15; Fusion zwischen Daimler und MBB wieder fraglich, Nur wenig Spielraum für Kompromisse/Verrechnungsklausel als Hauptstreitpunkt, FAZ 13. 12. 1988, S. 13; Politische Auflagen für die Fusion zwischen Daimler und MBB, FAZ 01. 12. 1988, S. 14; Daimler rechnet fest mit Einigung über MBB, Zeitplan wird aufrechterhalten/Offensichtlich Lösungsansätze bei Gewinnverrechnung, FAZ 15. 12. 1988, S. 13. 277 Airbus-Poker, FAZ 13. 12. 1988, S. 13. 278 Daimler-Benz meldet MBB-Beteiligung an, Aufsichtsrat billigt Kompromiß zur Gewinnverrechnung, FAZ 22. 12. 1988, S. 11; vgl. Airbus-Subventionen gebilligt, FAZ 17. 03. 1989, S. 17. 279 Einigung mit Daimler über Airbus, Verrechnung der MBB-Gewinne mit Airbus-Verlusten, FAZ 09. 03. 1989, S. 17. 280 Haussmann weist Pieroth-Kritik zurück, FAZ 28. 12. 1988, S. 10; vgl. „Edzard Reuter ist nicht SPD-Ratgeber“, Kritik an Daimler/MBB-Fusion/Kantzenbach tadelt Regierung, FAZ 23. 12. 1988, S. 11. 281 Die Allianz verkauft ihre MBB-Beteiligung an Daimler-Benz, Auch Siemens, Bosch und Aerospatiale unterstützen offensichtliche die „Daimler-Lösung“, FAZ 20. 01. 1989, S. 15; vgl. Siemens unterstützt Daimler-MBB-Fusion, FAZ 29. 11. 1988, S. 15. 282 Eine eigene Nutzlast-Kapsel für die europäische Rakete, Programm von MAN Technologie/Kritik an „Monopolisierungs“-Bestrebungen von Daimler-Benz, FAZ 08. 03. 1989, S. 22; vgl. MAN fürchtet Nachteile von MBB-Daimler-Fusion, FAZ 20. 07. 1989, S. 15.

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von der MBB-Geschäftsführung wegen möglicher negativer Folgen für die langfristige Firmenentwicklung.283 Als dann das eigentliche kartellrechtliche Prüfungsverfahren beginnt, kommentiert die FAZ, dass alles auf eine Ministererlaubnis hinauslaufe, und hier im Gemisch aus Wettbewerbsargumenten, industriepolitischen Erwägungen, Verteidigungsgesichtspunkten und Subventionen eine plausible Entscheidung schwierig sei. Sehr zu kritisieren sei aber die Entscheidung in eigener Sache und die Vorabbindung durch Staatssekretär Erich Riedl.284 Auch Bundesbildungsminister und Vorsitzender der NRW-FDP Jürgen Möllemann warnt vor der Erteilung einer Ministererlaubnis, woraufhin Daimler-Benz irritiert reagiert, da die Bundesregierung an sie herangetreten sei, und der Steuerzahler 1,7 Milliarden spare.285 Die FAZ kommentiert daraufhin, dass, was gut für den Bundeshaushalt und für Daimler sei, wegen der ordnungspolitisch verheerenden Vermengung staatlicher und privater Interessen nicht gut für die Bundesrepublik sein könne. Verweise auf den internationalen Markt seien nicht mehr als ein Feigenblatt, um von den schweren nationalen Folgen abzulenken.286 Weiterhin wird die Erteilung einer Ministererlaubnis auch von Mittelstandsvertretern aus CDU/CSU und FDP scharf kritisiert,287 während Helmut Haussmann sich auf die Alternativlosigkeit der Fusion, um gegenüber englischer und französischer Konkurrenz bestehen zu können, beruft.288 Auch Daimler-Benz beruft sich darauf, dass das Kartellamt falsch argumentiere, wenn es auf nationale Märkte abstelle. Ohnehin orientiere sich das Bundesministerium der Verteidigung bei der Beschaffung gar nicht an Wettbewerbskriterien.289 Als die Untersagung durch das Kartellamt dann ergeht, gibt die FAZ die Begründung der Untersagung ausführlich und in Auszügen auch wörtlich wieder,290 während sich Daimler gegen jede Form von Auflagen wendet, und vorträgt, dass auch der Mittelstand als Daimler-Zulieferer durch die Fusion gestärkt werde.291 Auch 283

Vogels äußert Kritik am Daimler-Einstieg, Größe allein sei kein Ziel/Zu ehrlicher Zusammenarbeit bereit, FAZ 04. 02. 1989, S. 17. 284 Vollzugszwang, FAZ 29. 03. 1989, S. 13 (Kommentar). 285 Möllemann warnt vor Ministererlaubnis, Daimler-Benz irritiert: „Bundesregierung hat Übernahme angeregt“, FAZ 15. 04. 1989, S. 13. 286 Bonner Feigenblatt, FAZ 20. 04. 1989, S. 13 (Kommentar). 287 Grünbeck: Fusion mit Auflagen, FAZ 21. 04. 1989, S. 17. 288 Kartellamt will die Fusion Daimler/MBB verbieten, Das Kabinett bejaht den Zusammenschluß/Haussmann unter verstärktem Druck, FAZ 20. 04. 1989, S. 13. 289 Daimler-Benz: Das Kartellamt argumentiert falsch, Kritik an der Ablehnung der MBBBeteiligung/Märkte nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, FAZ 22. 04. 1989, S. 13. 290 Kartellamt: Fusion führt zu Marktbeherrschung, Selbst für Airbus-Produktion keine Vorteile/Weniger Wettbewerb bei Nutzfahrzeugen und Wehrtechnik, FAZ 25. 04. 1989, S. 13; „Wer das System führt, hat die Macht“ Auszüge aus der Entscheidung des Bundeskartellamtes im Fusions-Fall Daimler/MBB, FAZ 25. 04. 1989, S. 15. 291 „MBB-Übernahme im deutschen Interesse“, Daimler-Benz: Kein Spielraum für neue Bedingungen bei der geplanten Fusion, FAZ 25. 04. 1989, S. 13.

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dem Daimler-Chef Edzard Reuter wird hier Gelegenheit gegeben, seine Argumente für Arbeitsplatzsicherheit und einen international aufgestellten Luft- und Raumfahrtkonzern in der FAZ vorzubringen.292 In einem Kommentar weist die FAZ darauf hin, dass mittlerweile auch viele Abgeordnete im Regierungslager verheerende ordnungspolitische Folgen der Fusion befürchteten, und Helmut Haussmann die Erlaubnis am Besten nicht erteilen solle.293 Auch im weiteren Verlauf zeigt sich die durch alle Lager gehende Spaltung hinsichtlich der Fusion: so wird sie von den SPD-Landesverbänden Bremen und Hamburg befürwortet, während die SPD-Bundestagsfraktion sie ablehnt.294Auch die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung lehnt die Fusion geschlossen ab, ebenso wie der Vorsitzende der FDP Rheinland-Pfalz Rainer Brüderle.295 Auch die CDU-Sozialausschüsse kritisieren die drohenden Mehrkosten durch ein privates Monopol in der Rüstungstechnik.296 Gleichzeitig warnt Daimler-Chef Edzard Reuter, dass die international gute Aufstellung von Daimler in der Luft- und Raumfahrttechnik gut für den Konzern und für Deutschland sei – die Kritiker drohten nun dies zu zerstören.297 Unterstützung erhält er von der Europäischen Mittelstandsunion (EMSU), die Helmut Haussmann auffordert die Erlaubnis zu erteilen, um Subventionsabbau zu ermöglichen.298 Als die Monopolkommission dann ihr Gutachten erstattet, kommentiert die FAZ, dass Helmut Haussmann jetzt erleichtert sein könne, da er sich bei seiner Entscheidung auf ein Gremium von Fachleuten stützen könne, und wohl ohnehin eine Erlaubnis mit Auflagen erteilen wollte.299 Deutlich hervorgehoben wird hier auch der Rücktritt des Monopolkommission-Vorsitzenden Ulrich Immenga,300 und der Inhalt des Gutachtens der Monopolkommission wird detailliert zusammengefasst.301 292 Standpunkte: Edzard Reuter, Unternehmensgröße bedeutet nicht schlechthin eine politische Gefahr, „Das ist kein abgekartetes Spiel“/Die Ratio der Ministererlaubnis/Zur Fusion Daimler-MBB, FAZ 26. 04. 1989, S. 19. 293 Haussmanns Last, FAZ 29. 04. 1989, S. 1 (Kommentar). 294 „SPD im Fusionsfall scheinheilig“, FAZ 06. 05. 1989, S. 13; vgl. Bundestag debattiert über die Fusion Daimler/MBB, Haussmann: Kein Willkürakt/Grünbeck spricht von Zustimmung mit Auflagen, FAZ 02. 06. 1989, S. 17. 295 Pieroth: Weniger Bedenken gegen Daimler, Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung lehnt Fusion aber weiter ab, FAZ 08. 05. 1989, S. 13. 296 Kritik an Fusion Daimler-MBB, FAZ 09. 05. 1989, S. 13; vgl. Fink: Die CDU muß über Fehler nachdenken, Forderung nach einem „sozialen Europa“/Kongreß der Sozialausschüsse, FAZ 03. 06. 1989, S. 6. 297 Reuter attackiert „öffentliche Bedenkenträger“, Internationale Systemführerschaft angestrebt/„Verzicht auf MBB für niemand förderlich“, FAZ 10. 05. 1989, S. 15. 298 Haussmann soll Fusion erlauben, FAZ 13. 05. 1989, S. 12. 299 „Ja, aber …“, FAZ 03. 08. 1989, S. 9 (Kommentar). 300 Monopolkommission empfiehlt Fusionserlaubnis mit Auflagen, FAZ 03. 08. 1989, S. 1; vgl. Personalien, Der Rücktritt Immengas, FAZ 03. 08. 1989, S. 13. 301 Die Deutsche Bank soll sich von Daimler trennen, Mehrheit der Monopolkommission: Großfusion nur mit Auflagen/Rücktritt von Immenga, FAZ 03. 08. 1989, S. 9.

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E. Empirische Untersuchung

Gleichzeitig werden auf der nächsten Seite aber neben Auszügen aus dem Gutachten der Monopolkommission302 auch nochmals Auszüge aus der ablehnenden Entscheidung des Bundeskartellamts abgedruckt, die das Gutachten der Monopolkommission stark in Frage stellen.303 Daimler und MBB wehren sich nun unter Betonung der gesamtwirtschaftlichen Vorteile öffentlich heftig gegen die von der Monopolkommission vorgeschlagene Auflage, die Wehrtechnik auszugliedern.304 Trotz des Gutachtens der Monopolkommission lehnen die SPD-Bundestagsfraktion305 und die CDU-Sozialausschüsse die Fusion weiterhin ab.306 Die FAZ kommentiert hierzu, dass das Gutachten der Monopolkommission von vornherein wertlos gewesen sei, da die Fusion den industriepolitischen Wünschen des Staats entsprungen sei, und das ganze Verfahren daher, wie Ulrich Immenga sage, eine „Farce“ sei.307 Als es dann schließlich zur letzten Anhörung vor der Ministererlaubnis im BMWi kommt, wird hier noch einmal genau über die verschiedenen gehörten Organisationen und ihr Pro und Contra zur Fusion berichtet.308 Ebenso wird aber auch dargestellt, dass viele der Anwesenden die ganze Anhörung nur noch für eine Farce hielten, obwohl Vertreter des BMWi betonten, dass noch alles offen sei.309 Zum Abschluss des Verfahrens erscheint schließlich auch noch ein vierseitiger Artikel zweier Kieler Wirtschaftswissenschaftler, die das Gutachten der Monopolkommission Schritt für Schritt kritisieren und zu dem Fazit kommen, dass durch die

302 „Die Fusion dient Gemeinwohlzielen“ Die Auflagen der Monopolkommission im Wortlaut, FAZ 03. 08. 1989, S. 10. 303 „Die Nachteile überwiegen“ Auszüge aus der ablehnenden Entscheidung des Bundeskartellamtes im Fusions-Fall Daimler/MBB, FAZ 25. 04. 1989, S. 15. 304 Daimler akzeptiert Auflagen nicht, FAZ 03. 08. 1989, S. 10; MBB: Ohne Fusion schwimmen uns die Felle weg, Gegen eine Abgabe von Beteiligungen/Neue Konkurrenz durch Deutsche Aerospace, FAZ 03. 08. 1989, S. 11; „Zivile und wehrtechnische Produktion ist nicht zu trennen“, Daimler: Der Zusammenschluß bringt gesamtwirtschaftliche Vorteile/Keine Alternative zur Fusion mit MBB, FAZ 03. 08. 1989, S. 11. 305 Vgl. MBB im Brennpunkt, FAZ 02. 08. 1989, S. 9; Daimler akzeptiert Auflagen nicht, FAZ 03. 08. 1989, S. 10. 306 Lambsdorff fordert harte Auflagen, CDU-Sozialausschüsse gegen jegliche Erlaubnis der Fusion Daimler-MBB, FAZ 04. 08. 1989, S. 13; Fink: In Bremen muß sich die CDU auch mit Ausländern und Asylbewerbern befassen, Forderungen an den Parteitag/Ergänzendes zur Umweltpolitik, FAZ 17. 08. 1989, S. 2. 307 Abgewertetes Gutachten, FAZ 07. 08. 1989, S. 9 (Kommentar); vgl. Barbier, Hans, Die Angst vor Macht und Größe, FAZ 08. 08. 1989, S. 1 (Kommentar). 308 Letzte Anhörung vor der Ministerentscheidung, Pro und Contra zur Fusion von Daimler mit MBB/Haussmann entscheidet Anfang September, FAZ 23. 08. 1989, S. 11: für die Fusion DIHT, BDI, ZDH, BVMW; gegen die Fusion DGB, DAG, IG Metall, ASU. 309 Hohenthal, Carl Graf, Eine letzte Breitseite von Daimler-Benz, „Bemühungen um ein geordnetes Verfahren“, FAZ 23. 08. 1989, S. 12.

IV. Daimler/MBB (1989)

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Fusion keine Gemeinwohlsteigerung zu erwarten sei und es durch die Schädigung des Wettbewerbs wohl eher zu Gemeinwohlschäden kommen werde.310 Als die Ministererlaubnis dann erteilt wird,311 kommentiert die FAZ auf Seite Eins, dass die Gemeinwohlsteigerung nur eine „Fata morgana“ sei und die wettbewerbspolitischen Nachteile die gesamtwirtschaftlichen Vorteile überwiegen würden. Das Ganze sei ein Stück schlechter Industriepolitik, bei dem von einer Privatisierung nicht die Rede sein könne, der Staat weiterhin die Risiken trage, und der Wettbewerb im Rüstungsmarkt trotz der vorgesehenen Auflagen weiterhin fehlen werde.312 Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hingegen verteidigt die Fusion mit Hinweis auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, während die Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer die Elefantenhochzeit für einen Skandal hält.313 d) Die WELT Abgesehen von einigen wenigen kritischen Kommentaren hält sich die WELT mit einer eigenen Bewertung der Fusion Daimler/MBB sehr zurück. Dafür wird aber ausgiebig sowohl über Kritik als auch Befürwortung der Fusion berichtet, und oft auch Akteuren über Interviews oder Meinungsstücke persönlich das Wort erteilt. Schon von Anfang an hebt die WELT so die Übernahme der Airbus-Risiken durch den Bund im Rahmen der Fusion hervor,314 und berichtet schon im Juli 1988 ausführlich über die Gegner der Fusion. So seien der Daimler Gesamtbetriebsratsvorsitzende Herbert Lucy, IG-Metallchef Franz Steinkühler und der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-BT-Fraktion Wolfgang Roth gegen die Fusion. Sie befürchteten das Entstehen eines Mammutunternehmens, das politisch nicht mehr beherrschbar sei, und ein Rüstungsmonopol schaffe, das noch dazu den Automobilsektor schädigen könne. Daimler-Chef Edzard Reuter halte dagegen, dass Daimler auch nach der Fusion im internationalen Vergleich klein sei, und nur ein Drittel der Rüstungsnachfrage des Bundes bediene.315 In einem Interview bezieht 310

Glismann, Hans/Horn, Ernst-Jürgen, Der Zauber des Systemführers, Die Fusion Daimler-MBB als Präzedenzfall für schlechte Industriepolitik/Eine Kritik an der Monopolkommission, FAZ 02. 09. 1989, S. 15. 311 Daimler will am Montag über die Fusion entscheiden, Haussmann: Beschluß zu Daimler-MBB sorgfältig wie kein anderer abgewogen/Bedenken bleiben, FAZ 09. 09. 1989, S. 11; „Erhebliche gesamtwirtschaftliche Vorteile“, Auszüge aus der Begründung des Bundeswirtschaftsministers zur Genehmigung des Zusammenschlusses, FAZ 09. 09. 1989, S. 14. 312 Jeske, Jürgen, Nicht Führung, sondern Verführung, FAZ 09. 09. 1989, S. 1 (Kommentar); vgl. Barbier, Hans, Keine Ruhe für die Giganten, FAZ 11. 09. 1989, S. 17 (Kommentar). 313 Der DIHT verteidigt die Fusion, FAZ 12. 09. 1989, S. 19; Für Streichung der Ministererlaubnis, FAZ 13. 09. 1989, S. 18. 314 Bangemann versüßt dem Daimler-Benz-Konzern den Einstieg bei MBB, WELT 31. 05. 1988, S. 13; Furler, Wilhelm, MBB-Chef Vogels: Mit Daimler kommt Geld ins Haus, WELT 07. 07. 1988, S. 10. 315 Gegner eines Einstiegs von Daimler-Benz bei MBB bringen schweres Geschütz in Stellung, WELT 14. 07. 1988, S. 10.

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E. Empirische Untersuchung

auch Franz-Josef Strauß klare Position für die Fusion, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrtindustrie auf dem europäischen Markt stärke.316 Auch MBB-Chef Hanns Arnt Vogels begrüßt in einem Meinungsartikel das Interesse Daimlers, und widerspricht Vorwürfen, dass die Verluste sozialisiert würden.317 In einem Interview betont Daimler-Chef Edzard Reuter, dass die Fusion dem internationalen Wettbewerb diene, und die Übernahme der Airbus-Risiken durch den Bund die einzige Möglichkeit für die Bundesregierung sei, langfristig die AirbusSubventionen abzubauen. Auch die Arbeitnehmer würden durch die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit profitieren, und Technologietransfers auch dem Automobilsektor zugute kommen. Fände die Fusion nicht statt, so würde Daimler die Arbeitsplätze stattdessen im Ausland schaffen.318 Auch in der WELT wird im Folgenden über den Streit zwischen den Koalitionspartnern über die Übernahme der Airbus-Risiken ausführlich berichtet.319 Dabei kommentiert die WELT einerseits, dass die nun gefundene Lösung endlich umgesetzt werden müsse und der Widerstand der FDP unverständlich sei,320 andererseits aber auch, dass das Airbus-Problem schon lange bekannt sei und nun auf einmal sämtliche markt- und ordnungspolitischen Prinzipien über Bord geworfen würden, nur um das Problem, koste es was es wolle, zu lösen.321 Nach Ergehen des Kabinettsbeschlusses äußert sich Ulrich Immenga, der Vorsitzende der Monopolkommission, in einem Meinungsstück scharf darüber, dass eine zu große Machtzusammenballung entstehe, der Bund im Rüstungsbereich von Daimler abhängig werde, und der Bürger für die Verluste aufkommen müsse.322 Auch über die internationale Kritik an den umfangreichen Subventionszusagen wird ausführlich berichtet.323 Schon zuvor war in der WELT ein Meinungsstück des MBB-Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden Alois Schwarz erschienen, der die Sorge um Arbeitsplätze und Arbeitnehmerrechte zum 316 Daimler-Benz und MBB: Neues Fundament für Europas Luft- und Raumfahrt, WELT 04. 08. 1988, S. 8. 317 Vogels, Hanns Arnt, Daimler ist uns willkommen, WELT 20. 10. 1988, S. 10. 318 Edzard Reuter: Wir haben jetzt den Mut zur Zukunft, WELT 21. 10. 1988, S. 12. 319 Koalitionsstreit über MBB, Wird der Beschluß vertagt?, CDU und CSU wollen grünes Licht für Daimler-Einstieg geben, FDP bremst, WELT 02. 11. 1988, S. 1; Kabinett vertagt MBB-Beschluß. FDP betont Informationsbedarf, Endgültige Entscheidung soll am Montag fallen/4,3 Milliarden für Airbus, WELT 03. 11. 1988, S. 1; Im Kabinett. Die neue Struktur für den Airbus, WELT 03. 11. 1988, S. 14; Koalitionsstreit um den Einstieg von Daimler bei MBB verschärft, Lambsdorff kritisiert Übernahme des Währungsrisikos – Entscheidung heute abend, WELT 07. 11. 1988, S. 13; MBB: Kabinett billigt Daimler-Einstieg, Änderungswünsche der FDP angenommen/Rückzug des Staates aus Airbus-Projekten, WELT 08. 11. 1988, S. 1. 320 5 Minuten vor Schluß, WELT 07. 11. 1988, S. 13 (Kommentar). 321 Morner, Peter, Die Kugel rollt, WELT 08. 11. 1988, S. 9 (Kommentar). 322 Immenga, Ulrich, Ein Verstoß gegen die Marktwirtschaft, Persönliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Monopolkommission zu Daimler/MBB, WELT 08. 11. 1988, S. 10. 323 Europas Stimmen zur Riesenfusion: Briten kritisieren Bonns Zusagen, WELT 08. 11. 1988, S. 10; USA kritisieren MBB-Entscheidung, Daimler signalisiert Zustimmung/ Streibl begrüßt Beschluss/FDP-Verhalten gerügt, WELT 09. 11. 1988, S. 1.

IV. Daimler/MBB (1989)

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Ausdruck brachte und forderte, dass die Subventionen des Bundes direkt an MBB fließen sollten.324 Als dann die Bedenken des Bundeskartellamts laut werden,325 berichtet auch die WELT über die Gerüchte, dass die Ministererlaubnis bereits zugesichert sei, und sieht hier die Glaubwürdigkeit der Wettbewerbspolitik bedroht,326 was Minister Helmut Haussmann in einem Interview dementiert.327 Die Untersagungsgründe des Bundeskartellamts werden dabei ausführlich dargestellt, und auch darauf hingewiesen, dass das Kartellamt die Vorwürfe Daimlers, den internationalen Markt nicht hinreichend berücksichtigt zu haben, ausdrücklich zurückweist, da kein internationaler Markt für Rüstungsgüter existiere. Auch gleiche die Förderung von Airbus die schweren wettbewerblichen Nachteile nicht aus.328 Als Daimler die Ministererlaubnis beantragt, wird der Antrag dennoch vor allem mit der verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Subventionseinsparungen und der Entwicklung von Airbus begründet.329 Diese Gründe betont auch Daimler-Chef Edzard Reuter in einem Interview mit der WELT.330 Versuche, Helmut Haussmann zu verpflichten, die Ministererlaubnis zu verweigern, scheitern laut der WELT in der Folge sowohl auf dem FDP-Bundesparteitag,331 als auch im Bundestag, wo SPD und Grüne entsprechende Anträge eingebracht haben.332 Mit einem ausführlichen Beitrag meldet sich auch Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) in der WELT zu Wort, und betont, dass die Bundeswehr nicht von Daimler-MBB abhängig werde. Vielmehr sei die Bundeswehr am Entstehen einer international 324 Schwarz, Alois, „Wir bei MBB wollen unseren Weg nach Europa allein gehen“, Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender Schwarz: Die deutsche Denkfabrik darf nicht wegen DaimlerBenz zerschlagen werden – Bonn soll sich beteiligen, WELT 03. 11. 1988, S. 16; vgl. Widerstand beider Betriebsräte gegen MBB-Einstieg von Daimler, Herbert Lucy bezweifelt Lenkbarkeit des Konzerns/Alois Schwarz: Kein Versuchskaninchen, WELT 03. 11. 1988, S. 13. 325 MBB-Einstieg von Daimler mißfällt dem Kartellamt, Berliner Behörde nennt mögliche Untersagungsgründe, WELT 13. 03. 1989, S. 17. 326 Ministererlaubnis für Daimler/MBB nicht ausgemacht, WELT 30. 03. 1989, S. 14; Die Fusion des Jahres – Verfahren mit Fazit, Beim geplanten Zusammenschluß von Daimler-Benz mit MBB häufen sich jetzt die Mißtöne und Merkwürdigkeiten, WELT 03. 04. 1989, S. 13. 327 Haussmann: „Das ist kein abgekartetes Spiel“, WELT 11. 04. 1989, S. 12. 328 Daimler/MBB würde sogar den Markt für schwere Lastwagen beherrschen, Bundeskartellamt nennt Gründe für Untersagung – Kein internationaler Rüstungswettbewerb, WELT 25. 04. 1989, S. 9. 329 Daimler-Benz: Die Fusion mit MBB liegt im Interesse der Allgemeinheit, Unternehmen beantragen Ministererlaubnis – Verunsicherung der Belegschaft beklagt, WELT 03. 05. 1989, S. 13. 330 „Ich sehe keine Alternative“, WELT 08. 05. 1989, S. 12. 331 FDP lässt Minister Haussmann freie Hand bei Daimler/MBB, Parteitag hält Entscheidung offen – Lambsdorff: Wir können Hände nicht in Unschuld waschen, WELT 29. 05. 1989, S. 11. 332 Antrag auf Votum gegen Fusion von Daimler und MBB gescheitert, Im Bundestag wird eine Initiative der SPD und der Grünen mit großer Mehrheit abgelehnt, WELT 02. 06. 1989, S. 11.

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E. Empirische Untersuchung

wettbewerbsfähigen, technologisch leistungsfähigen und wirtschaftlich gesunden nationalen Rüstungsindustrie sehr interessiert. Schon die Rüstungspolitik begründe daher das überragende Interesse der Allgemeinheit, während das Gerede vom Entstehen eines „militärisch-industriellen Komplexes“ haltlos sei.333 Als die Monopolkommission die Erteilung der Erlaubnis unter Auflagen empfiehlt,334 wird das Gutachten der Monopolkommission ausführlich dargestellt,335 und Auszügen aus der Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts gegenübergestellt.336 Anlässlich der letzten Anhörung im BMWi wird ebenso wie in der FAZ ausführlich über die positiven und negativen Stellungnahmen der verschiedenen Verbände berichtet.337 Als die Erlaubnis dann schließlich erteilt wird, berichtet die WELT über die mit der Erlaubnis einhergehenden Auflagen und druckt diese teils im Wortlaut ab.338 5. Die Ministererlaubnis Die Ministererlaubnis im Verfahren Daimler/MBB wurde unter den Auflagen erteilt, die Marinetechnik, sowie die Beteiligung an der Krauss-Maffei AG und an einer Reihe weiterer Unternehmen zu veräußern.339 Die Gemeinwohlvorteile, mit denen der Bundeswirtschaftsminister seine Entscheidung begründete, waren dabei, die Führung bei MBB in privatwirtschaftliche Verantwortung zu überführen, das unternehmerische Risiko bei Airbus zu privatisieren, und den Bundeshaushalt von Dauersubventionen zu entlasten.340 Darüber hinaus erschließe die Fusion Verbundpotentiale in der Luft- und Raumfahrtindustrie, und stärke daher deutsche Unternehmen darin, bei internationalen Verbundprojekten technisch anspruchsvollere Arbeitspakete zu erhalten.341 Durch die Auflagen solle sichergestellt werden, dass die 333

S. 12. 334

Scholz, Rupert, Daimler/MBB – ein Horrorbild nur für Ideologen, WELT 24. 07. 1989,

Monopolkommission: Würfel gefallen, WELT 29. 07. 1989, S. 9. Die Ministererlaubnis nur mit Auflagen erteilen, Empfehlungen der Monopolkommission zum Zusammenschlussvorhaben von Daimler-Benz und Messerschmitt-BölkowBlohm, WELT 03. 08. 1989, S. 10. 336 Das Bundeskartellamt, Aus der Untersagungsverfügung vom 17. April 1989, WELT 03. 08. 1989, S. 10. 337 Ring frei für die letzte Runde Daimler-MBB, Heute Anhörung im Wirtschaftsministerium ohne Haussmann – Arbeitgeber strikt gegen eine Beteiligung des Bundes, WELT 22. 08. 1989, S. 11. 338 Auflagen für die Fusion Daimler/MBB gehen weiter als FDP-Beschlüsse, Fraktion stellt sich vor ihren Minister – Weng: Haussmann hat das Mögliche erreicht, WELT 07. 09. 1989, S. 9; Mit der Fusion gehen Drohnen und die Marinebereiche verloren, WELT 09. 09. 1989, S. 11. 339 BMWi Daimler/MBB, WuW/E BMW 191 – 192. 340 BMWi Daimler/MBB, WuW/E BMW 195. 341 BMWi Daimler/MBB, WuW/E BMW 195. 335

IV. Daimler/MBB (1989)

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vom Bundeskartellamt festgestellten negativen Auswirkungen auf den Markt für Rüstungsgüter verringert würden.342 6. Fazit Das Verfahren Daimler/MBB steht exemplarisch für einen Dissens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung. Trotz einer ausführlichen und differenzierten Diskussion der Vor- und Nachteile der Fusion in der Öffentlichkeit, bildete sich weder ein positiver noch ein negativer Konsens hinsichtlich des Vorliegens von Gemeinwohlgründen aus. Es kristallisierten sich vielmehr zwei Lager heraus, die erbittert über die Vor- und Nachteilhaftigkeit der Fusion für das Gemeinwohl stritten. Wesentliche Argumentationstopoi waren der Subventionsabbau und die Privatisierung des Airbusrisikos, die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Entstehen eines Monopols in der Rüstungsgüterproduktion, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Luft- und Raumfahrtindustrie, und die (Nicht-)Existenz eines internationalen Markts für Rüstungsgüter. An der Diskussion beteiligte sich eine außergewöhnlich große Anzahl an Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, die in den hier untersuchten Medien zu Wort kamen. Die politischen Konfliktlinien liefen hierbei quer durch traditionelle politische Allianzen und Parteien hindurch, so dass sich CDU/ CSU, SPD und FDP tief gespalten zeigten, und sich so konträre politische Figuren wie Franz Josef Strauß (CSU) und Helmut Schmidt (SPD) beide im Lager der Befürworter wiederfinden. Im Verfahren Daimler/MBB kam es damit in deutlich höherem Maße als in den vorherigen Verfahren zu einer die gesamte Gesellschaft umfassenden Diskursöffentlichkeit, in der sich eine Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen an der Diskussion beteiligte, was sich auch an der im Vergleich zu früheren Verfahren deutlich höheren Anzahl näher relevanter Artikel von 360 zeigt. Ebenso wie in früheren Verfahren spielten in der medialen Öffentlichkeit Journalisten über ihre Kommentare eine zentrale Rolle, neben sie trat hier aber eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure, die sich ebenfalls lautstark zu Wort meldete. Mit der Erteilung der Ministererlaubnis unter Auflagen schloss sich Bundeswirtschaftsminister Haussmann zwar an sich der Empfehlung der Monopolkommission an, setzte die von ihr empfohlenen Auflagen jedoch nicht um. Insgesamt lässt sich das Verfahren Daimler/MBB durch den auch nach ausführlicher und gesamtgesellschaftlicher Diskussion nicht ausräumbaren Dissens über das Vorliegen von Gemeinwohlgründen dem liberalen Diskursmodell zuordnen, so dass eine konsensuale Konkretisierung des Gemeinwohls in der öffentlichen Meinung nicht gelang.

342

BMWi Daimler/MBB, WuW/E BMW 195 – 196.

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E. Empirische Untersuchung

V. E.on/Ruhrgas (2002) 1. Zeitleiste 23. 01. 2001 16.08./09. 11. 2001 17.01./26. 02. 2002 15.02./04. 03. 2002 21. 05. 2002 30. 05. 2002 05. 07. 2002 11. 07. 2002 05. 09. 2002 09. 09. 2002 18. 09. 2002 18. 09. 2002 31. 01. 2003 April 2003 September 2004

Beginn der Berichterstattung Anmeldung der Fusionsvorhaben beim Bundeskartellamt Entscheidungen des Bundeskartellamts Antragsstellung Erstes Gutachten der Monopolkommission Erste Anhörung im BMWi Erste Ministererlaubnis Beschluss OLG Düsseldorf: Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden Zweite Anhörung im BMWi Zweites Gutachten der Monopolkommission Zweite Ministererlaubnis Beschluss OLG Düsseldorf: Fortgeltung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden Rücknahme der letzten Beschwerden BMWi Müller wechselt in die Energiewirtschaft Staatssekretär Tacke wechselt in die Energiewirtschaft

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts im Verfahren E.on/Ruhrgas waren der Erwerb von 51 % der Anteile der Gelsenberg AG von BP sowie der Erwerb von 99,8453 % an der Bergemann KG durch die E.on AG. Ziel von E.on war es, hierdurch die Kapital- und Stimmenmehrheit an der Ruhrgas AG zu erlangen.343 Das Zusammenschlussvorhaben ließ die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung sowohl beim Absatz von Gas als auch beim Absatz von Strom erwarten.344 Der Zusammenschluss war daher durch das Bundeskartellamt nach § 36 Abs. 1 GWB zu versagen.345 3. Das Gutachten der Monopolkommission Die wesentlichen Argumente der Antragssteller waren die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Ruhrgas auf ausländischen Märkten, die Sicherung der Energieversorgung der BRD durch die Verbesserung der Stellung der Ruhrgas auf dem internationalen Erdgasmarkt durch eine bessere Kapitalausstattung, der Erhalt 343

534. 344 345

BKartA, E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 511 – 526; E.on/Ruhrgas II, WuW/E DE-V 533 – BKartA E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 513. BKartA E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 513; E.on/Ruhrgas II, WuW/E DE-V 534.

V. E.on/Ruhrgas (2002)

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von Arbeitsplätzen, sowie die Unterstützung der Klima- und Umweltpolitik der Bundesregierung.346 Die Monopolkommission kam in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Zusammenschluss selbst bei Unterstellung der eigentlich nicht existenten Gefährdung der Energieversorgung nicht geeignet sei, die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Noch dazu seien wettbewerbskonforme Alternativen vorhanden.347 Auch für die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Ruhrgas hielt die Monopolkommission den Zusammenschluss nicht für erforderlich, und beurteilte eine eventuelle Verbesserung lediglich als betriebswirtschaftlichen, nicht aber gesamtwirtschaftlichen Vorteil.348 Auch das Argument der Arbeitsplatzsicherung ließ die Monopolkommission mangels konkreter Nachweise nicht gelten,349 wie sie auch eine Förderung der Klima- und Umweltpolitik nicht erkennen konnte.350 Die Ministererlaubnis sei daher zu untersagen.351 Auch nachdem Staatssekretär Tacke nach dem vorläufigen Stopp des Vollzugs der Ministererlaubnis durch das OLG Düsseldorf eine erneute Anhörung zur Heilung der Verfahrensfehler durchführte, hielt die Monopolkommission daran fest, dass die Ministererlaubnis nach wie vor nicht zu erteilen sei.352

4. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf Das OLG Düsseldorf setzte den Vollzug der von Staatssekretär Alfred Tacke erteilten ersten Ministererlaubnis auf die Beschwerden von Konkurrenten hin vorläufig aus. Tragende Begründung hierfür war, dass Alfred Tacke als Vertreter des Ministers bei der öffentlichen Anhörung nicht persönlich anwesend gewesen sei und die Beteiligten dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, was zur Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis führe.353 Auch nachdem Staatssekretär Alfred Tacke die Anhörung erneut durchführte, und die Ministererlaubnis erneut erteilte, ordnete das Oberlandesgericht Düsseldorf die Fortgeltung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden an, da die Gewährung rechtlichen Gehörs im Hinblick auf den Beurteilungsspielraum des Ministers überragende Bedeutung habe. Das rechtliche Gehör müsse daher vor der Erteilung 346

Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 85 – 95. Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 156 – 191. 348 Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 200 – 201, ausführlich 192 – 198. 349 Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 202 – 206. 350 Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 207 – 212. 351 Monopolkommission, Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 236 – 238. 352 Monopolkommission, Sondergutachten 35, E.on/Ruhrgas II, 2002, Rn. 67 – 73. 353 OLG Düsseldorf, 11. 07. 2002, Az. Kart 25/02 (V), juris, Orientierungssatz 1 – 2, Tz. 5 – 13; 25. 07. 2002, Az. Kart 25/02 (V), juris, Orientierungssatz 2 – 4, Tz. 32 – 80. 347

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E. Empirische Untersuchung

der ersten Ministererlaubnis erteilt werden und könne daher nicht nachgeholt werden.354 Die Beschwerden der Konkurrenten wurden letztlich gegen Gegenleistungen von E.on zurückgenommen, sodass die Ministererlaubnis in Vollzug gesetzt werden konnte. 5. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Der SPIEGEL kritisiert die Fusion E.on/Ruhrgas von Anfang scharf wegen der Benachteiligung der Endverbraucher durch die Verstärkung monopolistischer Strukturen auf dem Gasmarkt, und wegen der problematischen personellen Verflechtungen zwischen Politik und Energiewirtschaft. So berichtet der SPIEGEL schon am Ende des Jahres 2001, dass zwar mit einer Untersagung der Fusion durch das Bundeskartellamt zu rechnen sei,355 Bundeskanzler Gerhard Schröder E.on bei einem Geheimtreffen aber schon längst eine Ministererlaubnis zugesagt habe, so dass das Unternehmen nun einen „Joker“ in der Tasche habe. Gerade Wirtschaftsminister Werner Müller habe davor in der Energiewirtschaft gearbeitet, und schon mehrmals betont, dass die deutschen Energieversorger zu globalen Energiekonzernen aufsteigen müssten, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.356 Noch dazu stehe Wirtschaftsminister Werner Müller wegen seiner früheren Tätigkeit auf der Pensionsliste von E.on.357 Ende Januar 2002 kommen dann in einem längeren Artikel Befürworter und Gegner einer Ministererlaubnis zu Wort. So wird hier die Meinung von Kartellamtschef Ulf Böge wiedergegeben, der betont, dass gerade in einer Phase der beginnenden Liberalisierung auf dem Energiemarkt die Verhinderung von Wettbewerb durch andere Ferngasunternehmen drohe. E.on hält hier dagegen, dass es für die Fusion um den internationalen Markt gehe, auf dem Exxon oder Shell als Konkurrenten aufträten. Der nationale Wettbewerb könne durch Auflagen geschützt werden.358 Auch E.on-Chef Ulrich Hartmann betont in einem Interview, dass es um die

354 OLG Düsseldorf, 16. 12. 2002, Az. Kart. 25/02 (V), juris, Orientierungssatz 1, Tz. 8 – 86; vgl. OLG Düsseldorf, 18. 09. 2002, Az. Kart. 25/02 (V), juris. 355 Energiekonzerne, Harte Auflagen für E.on, SPIEGEL 03. 12. 2001. 356 Basta!, Der Kanzler will angeblich E.on-Deal durchdrücken, SPIEGEL ONLINE 18. 01. 2002; Börse am Mittag, Eon-Aktie mit Kanzlerbonus, SPIEGEL ONLINE 18. 01. 2002; Bundeskartellamt schreitet ein, E.ON-Übernahmepläne geplatzt, SPIEGEL ONLINE 19. 01. 2002; E.ON/Ruhrgas, Kartellamt blockiert Übernahme, SPIEGEL ONLINE 21. 01. 2002; Energie, Antrag in zwei Wochen, SPIEGEL 21. 01. 2002. 357 Die Energie-Connection, Wirtschaftsminister Müller auf Pensionsliste von E.on, SPIEGEL ONLINE 26. 01. 2002. 358 Dohmen, Frank, Energie, Müllers pikante Rolle, SPIEGEL 28. 01. 2002.

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internationalen Märkte gehe und dass die Politik bisher lediglich eine offene Prüfung der Ministererlaubnis zugesichert habe, und nicht mehr.359 In einem branchenübergreifenden Artikel bezeichnet der SPIEGEL Wirtschaftsminister Werner Müller gar als „Schutzpatron der Monopole“, der den Wettbewerb auf den wichtigsten Märkten zu Lasten der Verbraucher ausbremse, und Politik für große Staatsbetriebe und Gebietsmonopolisten wie E.on und RWE mache, bei denen er auch sein Handwerk gelernt habe.360 Als E.on dann die Ministererlaubnis beantragt, werden als von E.on hierfür genannte Gründe die Sicherung der deutschen Energieversorgung, die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Klimaschutz angeführt, während gleichzeitig betont wird, dass Verbraucherschützer höhere Preise und Schäden für den Wettbewerb befürchteten.361 Kurz darauf berichtet der SPIEGEL dann auch, dass die EU-Kommission vor einer Ministererlaubnis als Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kartellbehörden warne. Auch Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) befürchte steigende Strom- und Gaspreise für den Verbraucher,362 was schließlich zu einem kritischen Brief Renate Künasts an Staatssekretär Alfred Tacke (SPD) führt.363 Eine neue Dimension des Fusionsvorhabens zeigt der SPIEGEL in einem Bericht auf, in dem deutlich wird, dass im Zuge der mit der Fusion verbundenen Umstrukturierungen der Chemiekonzern Degussa von E.on an die RAG verkauft werden solle, die damit zum Chemiekonzern mit anhängendem Kohlegeschäft umgebaut werden solle, und so von den staatlichen Kohlesubventionen unabhängig werden solle. Dies sichere Arbeitsplätze in NRW und damit die Unterstützung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und der Gewerkschaft IG Chemie, Bergbau, Energie.364 Die Monopolkommission stellt den Fusionsplänen schließlich ein „vernichtendes Votum“ aus, da die bisherigen Liberalisierungserfolge auf dem Strom- und Gasmarkt wieder in Gefahr gerieten. Gerade die Sicherung der Energieversorgung sei kein stichhaltiges Argument, da auch durch die Fusion kein Zugang zu eigenen Erdgasquellen entstehe, und auch die Möglichkeit, Versorgungsausfällen zu begegnen, nicht verbessert werde.365 359

„Weit reichende Angebote“ E.on-Chef Ulrich Hartmann über die geplante Übernahme der Ruhrgas, SPIEGEL 28. 01. 2002. 360 Konzerne, Schutzpatron der Monopole, SPIEGEL 09. 02. 2002. 361 Ruhrgas-Übernahme, E.ON beantragt Ministererlaubnis, SPIEGEL ONLINE 19. 02. 2002. 362 Ruhrgas-Monopoly, Müller will sich raushalten, Künast will sich einmischen, SPIEGEL ONLINE 23. 02. 2002; Ruhrgas-Monopoly, Künast und EU wollen sich einmischen, SPIEGEL ONLINE 24. 02. 2002. 363 Energie, Forsche Ministerin, SPIEGEL 24. 06. 2002. 364 Konzerne, Kanzler kämpft für Eon, SPIEGEL 15. 04. 2002. 365 E.ON-Ruhrgas-Übernahme, Vernichtendes Votum der Experten, SPIEGEL ONLINE 21. 05. 2002.

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E. Empirische Untersuchung

Kurz vor der Erteilung der Ministererlaubnis beschäftigt sich ein Artikel noch einmal ausführlich mit der schwierigen Entscheidungssituation für Staatssekretär Alfred Tacke: so wäre eine Untersagung ein industriepolitischer Gau für die SPD. E.on habe für diesen Fall schon angekündigt seine Milliarden in den USA zu investieren, und auch der Verkauf der Degussa an die Ruhrkohle würde platzen und so tausende Arbeitsplätze in NRW gefährden. Doch selbst die Beamten im Wirtschaftsministerium seien skeptisch, ob tatsächlich gesamtwirtschaftliche Vorteile gegeben seien, da bisher bei jeder Fusion Arbeitsplätze verloren gegangen und nicht gesichert worden seien. Denkbar sei es jedoch, über Auflagen die Förderung des Gemeinwohls zu sichern, und so E.on in den nächsten Jahren zu Milliardeninvestitionen in die Erschließung neuer Gasfelder zu verpflichten, und Konkurrenten den Zugang zum Gasnetz zu gewähren.366 Als die Ministererlaubnis erfolgt, berichtet SPIEGEL ONLINE über harsche Kritik vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und vom Bund der Energieverbraucher, die von Mehrkosten für die Verbraucher von bis zu 9 Milliarden Euro jährlich durch fehlenden Wettbewerb ausgehen. Auch die FDP und die Grünen kritisieren die Ministererlaubnis trotz der Auflagen heftig, während CDU/CSU sie für gesamtwirtschaftlich vertretbar halten.367 Mitte Juli 2002 berichtet SPIEGEL ONLINE, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf das Fusionsverfahren wegen formeller Fehler gestoppt habe.368 Im September erscheint dann ein Bericht, dass Staatssekretär Alfred Tacke die Erlaubnis erneut erteilt habe, diesmal unter verschärften Auflagen und unter Nachholung der persönlichen Anhörung der Beteiligten, um so die Verfahrensfehler zu heilen und das Oberlandesgericht Düsseldorf von der Rechtmäßigkeit der Ministererlaubnis zu überzeugen.369 Doch auch nach diesen Änderungen wolle das OLG Düsseldorf den Weg zur Fusion nicht freigeben. Der SPIEGEL kommentiert hierzu, dass dies besonders peinlich für das Bundeswirtschafsministerium, Minister Werner Müller, und Staatssekretär Alfred Tacke sei, die das Geschäft möglichst schnell durchboxen wollten, und dabei schwere Fehler gemacht hätten.370 Der neue Wirtschaftsminister Wolfgang Clement wolle nun sogar das Kartellrecht ändern, um künftig zu verhindern, dass ein Gericht die Ministererlaubnis stoppen könne.371

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Konzerne, „Ganz, ganz schwierige Kiste“, SPIEGEL 01. 07. 2002. E.ON/Ruhrgas, Herbe Kritik an der Ministererlaubnis, SPIEGEL ONLINE 04. 07. 2002. 368 Wegen Verfahrensfehlern, Gericht stoppt Eon-Ruhrgas-Fusion, SPIEGEL ONLINE 13. 07. 2002; Konzerne, Neuer Anlauf?, SPIEGEL 22. 07. 2002. 369 Ministererlaubnis, Eon darf mit Ruhrgas nur zu verschärften Bedingungen fusionieren, SPIEGEL ONLINE 10. 09. 2002; Zweiter Versuch, Regierung genehmigt E.ON-RuhrgasÜbernahme, SPIEGEL ONLINE 19. 09. 2002. 370 Dohmen, Frank, Übernahmen, Urteil ohne Gnade, SPIEGEL 21. 12. 2002. 371 Ministererlaubnis, Clement will Kartellrecht ändern, SPIEGEL ONLINE 18. 01. 2003; Kartellrecht, Clement will das letzte Wort, SPIEGEL 20. 01. 2003. 367

V. E.on/Ruhrgas (2002)

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Schließlich kommt es jedoch dazu, dass sich E.on mit allen Beschwerdeführern außergerichtlich einigt, und diese gegen Beteiligungstauschgeschäfte und Sonderkonditionen ihre Beschwerden zurücknehmen.372 Hieran kritisiert der SPIEGEL scharf, dass sich die Konkurrenten ihre Zustimmung einfach abkaufen ließen, und Verbraucher und Wettbewerbshüter nun „in die Röhre gucken“ müssten. Verbraucherverbände fürchteten nun einen Preisanstieg für Energie von 10 bis 30 %.373 Der Bundeskanzler selbst habe hier für E.on bei der finnischen Regierung interveniert, um die Rücknahme der Beschwerde des finnischen Energieversorgers Fortum zu erreichen.374 Noch einmal zu heftigster Kritik durch den SPIEGEL kommt es schließlich, als Ex-Minister Werner Müller und sein Staatssekretär Alfred Tacke zu Energieunternehmen wechseln, die durch die Erteilung der Ministererlaubnis unmittelbar profitiert haben.375 Die FDP kritisiert hier „Spezlwirtschaft“.376 Auch in der langfristigen Perspektive gibt der SPIEGEL den Bundeswirtschaftsministern Werner Müller und Wolfgang Clement die Schuld an den steigenden Energiepreisen, da sie es versäumt hätten, für einen funktionierenden Wettbewerb im Energiesektor zu sorgen.377 b) Die ZEIT Im Vergleich zu FAZ oder SPIEGEL erscheinen in der ZEIT vergleichsweise wenig Artikel zur Fusion E.on/Ruhrgas. Die erschienenen Artikel sind jedoch klar und entschieden gegen die Fusion, und begründen diese Position mit einer ganzen Reihe von Argumenten. Schon von Anfang an wird so kritisiert, dass E.on sich durch die Fusion den Zugriff auf den Zukunftsrohstoff Erdgas sichern könne, und so eine enorme Macht in der Energiepolitik erhalte.378 Die Fusion diene allein E.on. Der Wettbewerb, die Wirtschaft, und damit letztlich „wir alle“ würden unter der Fusion leiden. Die vorgetragenen Argumente von Versorgungssicherheit und Arbeitsplätzen seien lediglich die üblichen Gemeinwohlinteressen, mit denen ein derartiger Antrag „verbrämt“ werde. Tatsächlich sei nicht erkennbar, wie gerade in den energieverbrau372 Fusionskampf, E.on hat es offenbar geschafft, SPIEGEL ONLINE 31. 01. 2003; Sieg im Fusionskampf, E.on darf zum Koloss werden, SPIEGEL ONLINE 31. 01. 2003. 373 Kröger, Michael, Energie Fusion, Mein E.ON wird teuer, SPIEGEL ONLINE 31. 01. 2003. 374 Konzerne, Der Kanzler half, SPIEGEL 10. 02. 2003. 375 Kontroverse Personalie, Ex-Minister Müller soll RAG-Chef werden, SPIEGEL ONLINE 04. 04. 2003; Zweitkarriere, Kanzler-Intimus geht zu Kraftwerkskonzern, SPIEGEL ONLINE 03. 09. 2004. 376 Tackes Wechsel zur Steag, FDP wittert Spezlwirtschaft, SPIEGEL ONLINE 06. 09. 2004. 377 Energie, Kartell der Kassierer, SPIEGEL 06. 09. 2004. 378 Hillebrand, Bernhard, Das Energie-Monopoly, Mit dem Kauf von Ruhrgas verschafft sich E.on zuviel Macht, ZEIT 19. 12. 2001.

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E. Empirische Untersuchung

chenden Branchen Arbeitsplätze entstehen sollten oder wie E.on und Ruhrgas gemeinsam einen besseren Zugriff auf Erdgas im Ausland haben sollten.379 Auch über die Rekrutierung von E.ons Personal aus der Politik und eine mögliche Befangenheit Werner Müllers wird ausführlich berichtet.380 Es erfolgt dann eine äußerst detaillierte Auseinandersetzung mit den Argumenten für die Ministererlaubnis. So überzeuge es nicht, darauf zu verweisen, dass es in Europa noch größere Energieunternehmen als E.on gebe, da diese häufig Staatsunternehmen seien, und Deutschland nicht gleichzeitig Wettbewerb von EU-Beitrittskandidaten fordern, und selbst auf Mega-Player setzen könne. Auch die Verbesserung der Versorgungssicherheit greife nicht durch, da im Öl- und Gasgeschäft die Beteiligung an Förderkapazitäten stets Chancen und Risiken berge, zumal sich Erdgas ohnehin durch andere Energieträger ersetzen lasse. Was die Sicherung von Arbeitsplätzen angehe, so koste die Fusion mit Sicherheit mehr Arbeitsplätze, als sie sichere. Das Argument, dass fusionierte Unternehmen die Ziele der Bundesregierung im Bereich der Umweltpolitik besser umsetzen könnten, komme direkt aus dem Handbuch der Planwirtschaft und habe in einer Marktwirtschaft nichts zu suchen. Die Fusion diene eindeutig den Interessen der Unternehmen, nicht dem Gemeinwohl.381 Auch die kontroverse Beurteilung der Fusion durch Experten findet sich in der ZEIT wieder. So hält der Ökonomieprofessor und E.on-Berater Carl Christian von Weizsäcker die Fusion für eine Sicherung der Energieversorgung erforderlich, gerade auch vor dem Hintergrund einer möglichen Destabilisierung des arabischen Raums durch islamischen Fundamentalismus und einer durch die Fusion ermöglichten Erschließung von Erdgasvorkommen in Russland, wohingegen der Rechtswissenschaftler und Berater des E.on-Konkurrenten RWE Wernhard Möschel „spekulativen Gefährdungsszenarien“ widerspricht, vor der Verschlechterung des Wettbewerbs warnt, und bessere Einkaufskonditionen im Ausland für pure Spekulation hält.382 Als das Gutachten der Monopolkommission erscheint, wird durch die ZEIT herausgestellt, dass die Monopolkommission schwerwiegende Wettbewerbsbeeinträchtigungen erkenne und sämtliche vorgebrachten Gemeinwohlargumente, wie 379 Vorholz, Fritz, Heiße Luft, E.ons Gas-Deal muss verboten bleiben. Er hilft nur einem: E.on, ZEIT 24. 01. 2002; vgl. Vorholz, Fritz, Stadtwerk für das globale Dorf, Der deutsche Stromkoloss E.on entfaltet seine Macht. Nur der Wirtschaftsminister kann ihn noch stoppen, ZEIT 21. 02. 2002. 380 Vorholz, Fritz, Bestens verdrahtet, Geschickt rekrutiert E.on Personal aus der Politik, ZEIT 21. 02. 2002. 381 Mez, Lutz, Private Planwirtschaft, Die Übernahme von Ruhrgas durch E.on brächte keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, ZEIT 27. 03. 2002. 382 Vorholz, Fritz, Dürfen E.on und Ruhrgas fusionieren? ZEIT 08. 05. 2002; Weizsäcker, Carl Christian von, Wettbewerb ist nicht alles, Nur ein finanzstarker Großkonzern kann den Erdgasnachschub sichern, ZEIT 08. 05. 2002; Möschel, Wernhard, Gemeinwohl ade, Für eine Ministererlaubnis spricht nichts – sie verstieße gegen alle Maßstäbe, ZEIT 08. 05. 2002; Ab morgen in der ZEIT, ZEIT 02. 05. 2002.

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Versorgungssicherheit, Arbeitsplätze, Umweltpolitik und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu Recht für Scheinargumente halte. Werner Müller solle sich nun an die Monopolkommission halten, da er sonst dem Wettbewerb schade, und eine Erlaubnis noch dazu mit dem Geruch der Befangenheit behaftet wäre.383 Als die Ministererlaubnis dann dennoch erteilt wird, wird dies in der ZEIT aufs Schärfste als Versagen in der Energiepolitik und als Schaden für die Verbraucher, Deutschland und Europa kritisiert.384 Beim Stopp der Fusion durch das OLG Düsseldorf wird sodann in der ZEIT gefordert, die Ministererlaubnis abzuschaffen, um zu verhindern, dass Politiker in Zukunft gegen das wichtigste Organisationsprinzip in der Marktwirtschaft – den Wettbewerb – verstoßen könnten.385 Als schließlich die Beschwerden gegen die Ministererlaubnis gegen Gegenleistungen E.ons zurückgenommen werden, werden die gravierenden negativen Folgen für Verbraucher und Wettbewerb hervorgehoben.386Auch noch zwei Jahre später kritisiert die ZEIT die durch die Ministererlaubnis bedingte Verschlechterung des Wettbewerbs auf dem Gas- und Energiemarkt387 ebenso scharf wie den Wechsel Alfred Tackes und Werner Müllers in die Energiewirtschaft.388 c) Die FAZ Wie schon im Verfahren Daimler/MBB zeichnet sich die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der Ereignisberichterstattung durch große Detailliertheit, Sachlichkeit und Neutralität aus, wohingegen in den Kommentaren – mit einer Reihe von Ausnahmen – eine klare Position gegen die Ministererlaubnis bezogen wird. Schon früh berichtet die FAZ über die Bedenken des Bundeskartellamts gegen die Fusion.389 Als dann die Ministererlaubnis ins Spiel kommt,390 wird sie in einem 383

Schmid, Klaus Peter, Was erlaubt sich der Minister? Eine Fusion von E.on und Ruhrgas schadet dem Wettbewerb, ZEIT 29. 05. 2002. 384 Vorholz, Fritz, Dank Müller, E.on-Ruhrgas: Die Regierung versagt in der Energiepolitik, ZEIT 11. 07. 2002. 385 Vorholz, Fritz, Weg damit, Der Fall E.on, ZEIT 18. 07. 2002; vgl. Schmid, Klaus-Peter, Pfuscherei, Die Bundesregierung macht die Energiefusion zur Posse, ZEIT 08. 08. 2002. 386 Schmid, Klaus-Peter, Geldwertes Schweigen, E.on kauft den Gegnern seiner Fusion mit Ruhrgas den Schneid ab, ZEIT 06. 02. 2003. 387 Vorholz, Fritz, Aufstand der Abhängigen, Deutsches Gas ist extrem teuer. Die Verbraucher protestieren, das Kartellamt ermittelt. Langfristig könnte die Bindung an den Ölpreis fallen, ZEIT 22. 09. 2005; Vorholz, Fritz, Man sieht sich vor Gericht, Die Gasbranche blockiert den Wettbewerb, ZEIT 29. 09. 2005. 388 Gemmelin, Cerstin, Kunst des Strippenziehens, Reisen, Ämter, Aufträge: Wie die Energiekonzerne politische Freunde in Bund, Ländern und Gemeinden gewinnen, ZEIT 30. 12. 2004. 389 Kartellamt kritisch bei RWE und Eon, Präsident Ulf Böge befürchtet marktbeherrschende Position, FAZ 23. 01. 2001, S. 23; Kartellamt hat Bedenken gegen Einstieg von Eon bei

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E. Empirische Untersuchung

Kommentar zu Gunsten der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit E.ons als gerechtfertigt angesehen, während gleichzeitig die Sicherung der Energieversorgung als bloßes Scheinargument bezeichnet wird.391 In einem Kommentar wird die Position vertreten, dass Werner Müller der Fusion keineswegs zustimmen könne, wenn er die gesamtwirtschaftlichen Interessen mit möglichst billigen Erdgaspreisen für Verbraucher und Unternehmer gleichsetze. Schon jetzt liege der deutsche Gaspreis 20 % über dem EU-Durchschnitt. Dennoch werde Werner Müller wohl seiner Überzeugung von der Notwendigkeit eines global players folgen und genehmigen, auch wenn FDP und Grüne dagegen seien. Leider sei der Gaspreis aber kein so emotionales Thema wie Benzin- oder SMS-Preise und könne im Wahlkampf nicht mobilisieren.392 Als der Antrag auf Ministererlaubnis eingereicht wird, berichtet die FAZ, dass die E.on-Juristen den Antrag mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Versorgungssicherheit begründet hätten.393 In mehreren Kommentaren werden sodann vor allem die Umstrittenheit des Antrags, die problematische Verflechtung von Minister Werner Müller mit der Energiewirtschaft, sowie der große Widerstand von Verbraucherschützern, Konkurrenten, Wissenschaftlern und Politikern gegen den Antrag hervorgehoben.394 Als Minister Werner Müller die Entscheidungsbefugnis an seinen Staatssekretär Alfred Tacke delegiert, um Befangenheitsvorwürfe zu vermeiden,395 wird dies von der FAZ wegen der fehlenden Unabhängigkeit und politischen Verantwortlichkeit eines Staatssekretärs kritisiert.396 Die FAZ berichtet auch ausführlich über die Stellungnahmen verschiedener Experten zur Ministererlaubnis. So sei Siegfried Klaue, ehemals Leiter der 5. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts, zu dem Schluss gekommen, dass die Fusion die Versorgungssicherheit nicht erhöhe, da die Position von Ruhrgas gegenüber den Förderländern nicht verbessert werde und E.on und Ruhrgas gar nicht über das Ruhrgas, Abmahnung verschickt/Böge: Marktbeherrschende Stellung bei Gas und Strom wird verstärkt, FAZ 04. 12. 2001, S. 19. 390 Eon braucht Regierung für Ruhrgas-Übernahme, Kartellamt wird Zusammenschluß verbieten/Ministererlaubnis erforderlich/Müller gilt als befangen, FAZ 19. 01. 2002, S. 11; Eon setzt bei Ruhrgas-Übernahme auf Ministererlaubnis, Kartellamt untersagt wie erwartet den geplanten Kauf/Regierung: Keine Zusage gegeben, FAZ 21. 01. 2002, S. 17. 391 Markt & Meinung, Müllers Welt, FAZ 19. 01. 2002, S. 20. 392 Siefert, Volker, Wettbewerb auf Sparflamme, FAZ.NET 21. 01. 2002. 393 „Mit Eon wird Ruhrgas zu einem internationalen Gaskonzern“, Heute wird der Antrag auf Ministererlaubnis eingereicht/Es geht nicht mehr um nationale Wettbewerbsbedenken, FAZ 18. 02. 2002, S. 19. 394 Sturbeck, Werner, Heikle Post von Eon, Der Antrag auf Ministererlaubnis bei der Ruhrgas, FAZ 18. 02. 2002, S. 15 (Kommentar); Letzter Ausweg Ministererlaubnis, FAZ.NET 18. 02. 2002; Eons heikler Antrag, FAZ.NET 19. 02. 2002. 395 Debatte um Ministererlaubnis geht weiter, FAZ.NET 25. 02. 2002; Ruhrgas-Entscheid durch Staatssekretär, Wirtschaftsminister Müller will sich aus dem Verfahren heraushalten, FAZ 25. 02. 2002, S. 19. 396 Alles Müller!, FAZ 25. 02. 2002, S. 13 (Kommentar).

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Wissen für Erdgasförderung verfügten. Die Fusion drohe vielmehr, den Verbrauchern großen Schaden zuzufügen.397 Demgegenüber vertritt der Wirtschaftswissenschaftler Carl Christian von Weizsäcker die Ansicht, dass die Fusion für die Versorgungssicherheit dringend erforderlich sei, da langfristige Verträge hierfür nicht genügten und vielmehr Kapital für Leitungsinfrastruktur und Förderung nötig seien.398 Der Rechtswissenschaftler Wernhard Möschel hingegen, von RWE mit einem Gutachten beauftragt, hält die vorgebrachten Gemeinwohlargumente für nicht stichhaltig. So könne die internationale Wettbewerbsfähigkeit von E.on und Ruhrgas auch in getrennter Entwicklung erreicht werden, und Ruhrgas könne das Kapital für eine vertikale Integration auch durch einen Börsengang aufnehmen.399 Auch die weiteren von den beteiligten Unternehmen beauftragten Experten sind sich uneins, so sind Ökonomie-Professor Hans-Werner Sinn (E.on) und Rechtswissenschaftler Ulrich Immenga (Deutsche BP) für die Fusion, während der ehemalige Staatssekretär Johann Eekhoff (RWE) gegen die Fusion ist.400 Auch die Monopolkommission sei gegen die Erteilung der Ministererlaubnis und warne vor schwerwiegenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen. Die Monopolkommission lasse dabei den Verweis auf den europäischen Markt nicht gelten, da Wettbewerb momentan nur national stattfinde. Auch eine Verbesserung der Versorgungssicherheit sei nicht zu erwarten, da beide Unternehmen schon jetzt sehr stark seien. Anders sehe dies das Mitglied der Monopolkommission Winfried Haastert, der die Ruhrgas im Gasimport stärken möchte.401 Das klare Votum der Monopolkommission wird in zwei Kommentaren zum Anlass genommen die Abschaffung der Ministererlaubnis zu fordern.402 Gerade die Ausführungen der Monopolkommission zeigten, dass die „wolkigen“ Kriterien des § 42 GWB ein Einfallstor für verbraucherfeindliche Wettbewerbsbeschränkungen seien. Die Monopolkommission habe klar aufgezeigt, dass mit den Gemeinwohlargumenten hier vor allem das Wohl der beteiligten Unternehmen gemeint sei, das der Verbraucher über höhere Preise bezahlen solle. Letztlich sei aber zu erwarten, dass die Ministererlaubnis dennoch erteilt werde, denn wer etwas wirklich durchsetzen wolle, finde auch Argumente.403 Martin Hellwig, Vorsitzender der Mono397 „Keine Ministererlaubnis für Eon und Ruhrgas“, Kartellrechtsexperte verneint gesamtwirtschaftliche Vorteile/Gasmarktliberalisierung nur auf dem Papier, FAZ 04. 03. 2002, S. 13. 398 Wissenschaftler für Ministererlaubnis, FAZ 16. 03. 2002, S. 16. 399 Gutachter gegen Fusion Ruhrgas-Eon, Rechtswissenschaftler Möschel sieht keine Gründe für Ministererlaubnis, FAZ 03. 05. 2002, S. 26. 400 Sturbeck, Werner, Der Fall Eon/Ruhrgas ist ein Zankobjekt der Experten, Vor dem Spruch der Monopolkommission mangelt es nicht an Gutachten, FAZ 15. 05. 2002, S. 28. 401 Monopolkommission gegen Fusion Eon-Ruhrgas, Fachleute schicken EU-Kommission vor/„Besonders schwerwiegende Wettbewerbsbeeinträchtigung“, FAZ 22. 05. 2002, S. 15. 402 Das Hintertürchen, FAZ 22. 05. 2002, S. 15 (Kommentar). 403 Mussler, Werner, Die Ministererlaubnis muss weg, FAZ 23. 05. 2002, S. 13 (Kommentar).

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E. Empirische Untersuchung

polkommission, bestätigt daraufhin in einem Leserbrief, dass die Monopolkommission keine Gemeinwohlvorteile, sondern nur Vorteile der Unternehmen habe erkennen können, hebt aber auch hervor, dass die Monopolkommission die Ministererlaubnis als solche nicht abschaffen wolle.404 In der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium kritisieren die Konkurrenten E.ons, dass die Fusion nicht dem Gemeinwohl, sondern nur den Partikularinteressen von E.on und Ruhrgas diene.405 In einem Kommentar wird nun dennoch für die Fusion argumentiert, die für die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Spielfeld Europa erforderlich sei, und noch dazu die Beteiligungen an der Ruhrgas entflechte. Auch seien Preiserhöhungen für die Verbraucher keineswegs sicher.406 Als die Erlaubnis schließlich erteilt wird, berichtet die FAZ auf Seite Eins „Europas zweitgrößter Energiekonzern wird gegen den Willen des Bundeskartellamtes künftig den deutschen Gasmarkt beherrschen.“407 Dementsprechend deutlich wird auch die Kritik von FDP, Verbraucherschützern und Grünen an dieser Entscheidung wiedergegeben.408 So kritisierten die Verbraucherzentralen die mit der Ministererlaubnis verbundenen Auflagen409 als Feigenblatt, und als ungeeignet um echten Wettbewerb herzustellen.410 In einem Kommentar wird sodann kritisiert, dass „Gemeinwohl“ das Zauberwort sei, mit dem der Minister genehmigen dürfe, selbst wenn die Fusion nach dem Urteil aller Instanzen den Wettbewerb schädige. Die Sicherung der Energieversorgung sei in diesem Kontext – wie die Monopolkommission überzeugend dargelegt habe – ein lächerliches Argument. Bei der Erlaubnis gehe es gar nicht um einen Konflikt zwischen Gemeinwohl und Wettbewerb, sondern es gehe darum, dass die Regierung das Gemeinwohl in völliger Willkür umdeuten könne. Das Gemeinwohl werde dann gleichbedeutend mit dem Wohl der Konzerne von „strategischer“ Bedeutung.411 Ab dem Zeitpunkt der Beschwerden gegen die Ministererlaubnis412 verändert sich der Schwerpunkt der Berichterstattung. Während bisher die Gemeinwohlaspekte und 404 Hellwig, Martin, Briefe an die Herausgeber, Dient der Unabhängigkeit des Kartellamtes, FAZ 29. 05. 2002, S. 59. 405 Wettbewerber sehen Eon-Ruhrgas-Fusion nur unter Auflagen, Staatssekretär Tacke muss über Ministererlaubnis entscheiden/Anfechtung angekündigt/Anhörung, FAZ 31. 05. 2002, S. 14; vgl. Das F.A.Z.-Gespräch mit Dietmar Kuhnt, „Ministererlaubnis für Eon muss mit Auflagen verbunden werden“, Mit dem Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns RWE sprach Werner Sturbeck, FAZ 01. 06. 2002, S. 16. 406 Lenz, Natascha, Keine Chance für kleine Lichter, FAZ.NET 05. 07. 2002. 407 Eon darf Ruhrgas übernehmen, FAZ 05. 07. 2002, S. 1. 408 Wettbewerber kritisieren Auflagen, Keine Klage/ENBW: Schlecht für den Wettbewerb und das Land, FAZ 06. 07. 2002, S. 14. 409 Ministererlaubnis unter harten Auflagen, FAZ.NET 05. 07. 2002. 410 Ministererlaubnis bald vor Gericht, FAZ.NET 06. 07. 2002. 411 Das Zauberwort, FAZ 06. 07. 2002, S. 11 (Kommentar). 412 Ampere klagt gegen die Ministererlaubnis für Eon, Bundesregierung: Wenig Chancen für Klage/Eon hat schon 38 Prozent der Ruhrgas-Aktien übernommen, FAZ 10. 07. 2002, S. 13.

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damit die materielle Seite der Ministererlaubnis im Fokus standen, wird nun der Schwerpunkt – der Prüfung des OLG Düsseldorf folgend413 – auf die formelle Seite und mögliche Verfahrensfehler gelegt, die für die hier interessierende Fragestellung weniger relevant sind. Auch in der weiteren Berichterstattung wird jedoch die scharfe Kritik der Konkurrenten von E.on und Ruhrgas an der Nutzlosigkeit der vorgesehenen Auflagen und der drohenden Beschränkung des Wettbewerbs hervorgehoben.414 Dabei wird auch immer wieder betont, wie blamabel und schwerwiegend die Verfahrensfehler seien, und dass nicht sicher sei, ob sie überhaupt korrigiert werden könnten.415 Im Rahmen der erneuten Anhörung der Beteiligten, erstellt auch die Monopolkommission ein erneutes Gutachten, in dem sie sich wiederum gegen die Fusion ausspricht und die bisherigen Auflagen als ungenügend zum Schutz des Wettbewerbs bezeichnet.416 In einer neuen Ministererlaubnis verschärft Staatssekretär Alfred Tacke sodann die Auflagen, und hofft den Bedenken des OLG Düsseldorf so zu genügen, dass die Blockade aufgehoben werde, was aber nicht geschieht.417 In einem Kommentar wird betont, dass nach wie vor für die Verbraucher durch die Fusion keine Vorteile entstünden.418 In einem weiteren Kommentar wird das Einschreiten des OLG Düsseldorf als Einzug von Rechtsstaatlichkeit in das Verfahren der Ministererlaubnis, die „sonst beim Mittagessen ausgehandelt worden sei“, begrüßt.419 Als der neue Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement die gerichtliche Kontrolle der Ministererlaubnis daraufhin ganz abschaffen will,420 wird kritisiert, woher denn die Regierung die Gewissheit nehme, welche Fusion dem Gemeinwohl entspreche, und welche nicht.421 Auch die Union kritisiert im Bundestag, dass die

413 Gericht blockiert Übernahme von Ruhrgas, FAZ 15. 07. 2002, S. 1; Ministererlaubnis für Eon hat gravierende Verfahrensfehler, Gericht zweifelt an Rechtmäßigkeit/Kritik an den Sonderverhandlungen des Staatssekretärs, FAZ 16. 07. 2002, S. 9. 414 Beschwerde von ENBW gegen Ministererlaubnis für Eon und Ruhrgas, Vorstandschef Goll: Bei Vollzug der Auflagen ist der Kungelei Tür und Tor geöffnet/Externe Interessenten für VNG haben schlechte Chancen, FAZ 07. 08. 2002, S. 15; Roßtäuschertricks und Giftpillen, Kritik an den Auflagen für die Fusion von Eon und Ruhrgas, FAZ 17. 08. 2002, S. 14. 415 Ende einer Posse, FAZ 05. 08. 2002, S. 9 (Kommentar); Schlecht, Otto, Blamage für das Wirtschaftsministerium, FAZ 22. 08. 2002, S. 9; Keine reine Formsache, FAZ.NET 05. 09. 2002; Mehr als verfahren, FAZ 10. 09. 2002, S. 11 (Kommentar); Für Eon und Ruhrgas ist noch alles offen, Folgen der zweiten Anhörung unklar/Heilung von Verfahrensmängeln ist umstritten, FAZ 11. 09. 2002, S. 22. 416 Monopolkommission erneut gegen Eon/Ruhrgas, FAZ.NET 09. 09. 2002. 417 Eon bleibt trotz neuer Erlaubnis blockiert, Regierung will Fusionsstopp aufheben lassen/ Oberlandesgericht hält vorerst an Aufschub fest, FAZ 20. 09. 2002, S. 13. 418 Mehr Wettbewerb, FAZ 20. 09. 2002, S. 13 (Kommentar). 419 Neu justiert, FAZ 19. 12. 2002, S. 11 (Kommentar). 420 Clement will Kartellrecht ändern, FAZ 20. 01. 2003, S. 11. 421 Anpasser, aufgepaßt!, FAZ 20. 01. 2003, S. 11 (Kommentar).

166

E. Empirische Untersuchung

Ministererlaubnis nicht als „Ordre-de-Mufti“, sondern als rechtsstaatliches Instrument der Fusionskontrolle gedacht sei.422 Wie die FAZ berichtet, gelingt es E.on nach langem Ringen423 schließlich sämtliche Beschwerdeführer durch den Tausch von Beteiligungen sowie Strom- und Gaslieferungen zur Rücknahme ihrer Beschwerden zu bewegen.424 Verbraucherschützer,425 Kartellamt426 und FAZ427 beklagen die gravierenden Nachteile dieser Lösung für Wettbewerb und Verbraucher. Diese Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren auf Kosten der Verbraucher wird in einem weiteren Kommentar scharf kritisiert, und die Existenzberechtigung der Ministererlaubnis in Frage gestellt, da sie rechtsstaatlichen Prinzipien nicht entspreche.428 d) Die WELT Bei der Fusion E.on/Ruhrgas gelingt der WELT zunächst eine beeindruckende Balance zwischen die Fusion befürwortenden und sie ablehnenden Artikel, um dann schließlich gegen Ende der Berichterstattung auf die befürwortende Seite einzuschwenken. Die Ereignisberichterstattung deckt sich dabei weitestgehend mit der FAZ, so dass diese hier nur noch kursorisch wiedergegeben wird. So beginnt die Berichterstattung über die Fusion schon mit der Warnung, dass im Falle einer Ministererlaubnis der Wettbewerb unter die Räder zu geraten drohe, und im Falle politischer Absprachen nur noch der Einspruch der Monopolkommission die Notbremse ziehen könne.429 In einem Meinungsstück warnt der FDPPolitiker Otto Graf Lambsdorff davor, eine Ministererlaubnis, die nur der Energiewirtschaft nütze, zu erteilen.430 Nur einen Monat später wird in einem Kommentar dann aber argumentiert, dass das Bundeskartellamt zwar formal im Recht sein möge, es aber gute Gründe für starke Energiekonzerne gäbe, die so im globalen 422

Opposition kritisiert Wettbewerbspläne, Die Ministererlaubnis soll anfechtbar bleiben, FAZ 21. 01. 2003, S. 13. 423 Eon bietet Klägern eine Abfindung, Drei-Stufen-Plan zur Übernahme von Eon/ENBW scheint zustimmungsbereit, FAZ 28. 01. 2003, S. 11; Das Tauziehen um Ruhrgas geht weiter, Eon hat noch keine außergerichtliche Einigung erreicht/Ares und Concord als Beschwerdeführer bestätigt, FAZ 30. 01. 2003, S. 14. 424 Eon darf Ruhrgas übernehmen, FAZ.NET 31. 01. 2003. 425 Eon ist bei Ruhrgas am Ziel, Nach langem Feilschen entsteht einer der größten privaten Energiekonzerne der westlichen Welt, FAZ 01. 02. 2003, S. 11. 426 Kartellamt enttäuscht über Fusion, FAZ 03. 02. 2003, S. 15. 427 Die Betroffenen, FAZ 03. 02. 2003, S. 13 (Kommentar). 428 Mussler, Werner, Ministererlaubnis am Ende, FAZ 10. 02. 2003, S. 9 (Kommentar). 429 Wintermann, Jürgen, Der Wettbewerb droht unter die Räder zu geraten, WELT 23. 11. 2001, S. 13; vgl. Wintermann, Jürgen, Auch das Kartellamt wird die Eon-Ruhrgas-Ehe nicht verhindern, WELT 04. 12. 2001, S. 13. 430 Lambsdorff, Otto Graf, Wirtschaftsminister Müller ist nur bedingt konfliktbereit, WELT 08. 12. 2001, S. 12.

V. E.on/Ruhrgas (2002)

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Wettbewerb mithalten könnten. Die Ministererlaubnis sei daher durchaus erwägenswert.431 Wenige Tage später wird in einem Artikel aber berichtet, dass das Mitglied der Monopolkommission Jürgen Basedow keine gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Fusion erkennen könne, und er die Auswirkungen auf den globalen Wettbewerb nicht für ausreichend halte, da es um Arbeitsplätze und Steuern in Deutschland gehe.432 Am selben Tag erscheinen zwei weitere Artikel, wovon der eine vor der Erteilung der Ministererlaubnis warnt, da die Vergangenheit voller peinlicher Fehlgriffe gewesen sei. Die Ironie der Geschichte, dass VEBA bzw. E.on nun schon die dritte Ministererlaubnis beantrage, und jedes Mal die Ruhrgas-Beteiligung verschoben werde, sollte ein Fingerzeig sein.433 Der andere Artikel beklagt, dass dem Kartellamt der Weitblick fehle. Deutschland habe schon auf dem Mineralölmarkt seine Chance verspielt, da kein Weltmarktführer aus Deutschland komme. Auf dem Gasmarkt drohe ohne die Genehmigung dasselbe Schicksal.434 Bemerkenswerterweise sind beide Artikel vom selben Autor. Zwei Wochen später warnt ein anderer Autor wieder vehement vor der Ministererlaubnis. Es bestehe die Gefahr, dass hier politischer Einfluss genutzt werde, obwohl die Versorgungssicherheit auch durch einen vertikal integrierten Energieversorger nicht verbessert werde. Versorgungssicherheit könne nur durch den Erwerb von Gasquellen gesichert werden und dafür brauche es keine vertikale Integration. Noch dazu sei auch beim Öl die Versorgung ohne vertikale Integration gesichert. Es drohe eine Schädigung des Wettbewerbs.435 Kurz darauf wird berichtet, dass E.on versuche, Bundestagsabgeordnete von der Fusion zu überzeugen, während RWE und Ver.di beim Bundeskanzler dagegen opponierten.436 Auch über das die Fusion befürwortende Gutachten des Wirtschaftswissenschaftlers Carl Christian von Weizsäcker wird ausführlich berichtet. Hiernach sei die Fusion zur Sicherung der Energieversorgung im Wettbewerb um Energie zu China und Russland dringend erforderlich, und werde den schon jetzt existierenden Wettbewerb sogar noch fördern.437 In einem weiteren Artikel wird betont, dass die Fusion einen Befreiungsschlag für den deutschen Gasmarkt darstellen könne, da dann die bisherigen Ruhrgas-Gesellschafter Exxon Mobil, Shell und BP als 431

Hohenthal, Carl Graf, Der Kommentar, Müllers Dilemma, WELT 19. 01. 2002, S. 11. Monopolkommission bezweifelt die Voraussetzungen für eine Ministererlaubnis, Neue Hürde für Ruhrgas-Übernahme, WELT 22. 01. 2002, S. 12. 433 Wetzel, Daniel, Für Werner Müller ist der Weg zur Ministererlaubnis voller Fallstricke, WELT 22. 01. 2002, S. 12. 434 Wetzel, Daniel, Der Kommentar, Weitblick fehlt, WELT 22. 01. 2002, S. 11. 435 Wintermann, Jürgen, Kein Grund für eine Ministererlaubnis, WELT 09. 02. 2002, S. 13. 436 Posny, Harald, Ringen um Mehrheit an Ruhrgas – RWE Chef Kuhnt gegen Ministererlaubnis, Offener Streit zwischen RWE und Eon, WELT 09. 02. 2002, S. 13. 437 von Weizsäcker sieht eine Intensivierung des Wettbewerbs voraus, Gutachten stützt Ruhrgas-Übernahme, WELT 16. 03. 2002, S. 13. 432

168

E. Empirische Untersuchung

Wettbewerber in den Gasmarkt eintreten würden und E.on/Ruhrgas in der zukünftig drohenden Versorgungslücke besser mit China und Russland verhandeln könne.438 Als das Gutachten der Monopolkommission erscheint, werden in einem Artikel säuberlich getrennt die Pro-Argumente des Kommissionsmitglieds Winfried Haastert, namentlich die Versorgungssicherheit und die Unwahrscheinlichkeit eines monopolistischen Verhaltens, und die Contra-Argumente der Mehrheit der Kommission, nämlich das Fehlen einer Versorgungslücke wie auch eines direkten Gasquellenzugangs, genannt.439 Ein Kommentar macht deutlich, dass nach diesem Votum eigentlich nur noch die Versagung der Ministererlaubnis möglich sei. Dennoch werde Minister Werner Müller die Erlaubnis wohl erteilen, da nur so über einen Aktien-Ringtausch die Degussa zur RAG gelangen werde, was für NordrheinWestfalen wahlentscheidend sein könne.440 Ein anderer Kommentar betont eine Woche später, dass eine Fusion kein Grund zur Furcht sei, da der Energiemarkt ohnehin bald europäisch sein werde und die deutschen Unternehmen für ihre Wettbewerbsfähigkeit wachsen müssten.441 Nach der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium wird sodann betont, dass selten eine Entscheidung so umstritten gewesen sei, und hier keine Seite die Wahrheit gepachtet habe. Um hier nun Wettbewerb und Schaffung eines „national champion“ in Einklang zu bringen, komme es entscheidend auf die Auflagen an.442 Am selben Tag warnt derselbe Autor jedoch auch davor, dass die Ministererlaubnis fast nie im überragenden Interesse der Allgemeinheit sei, meist eher im Gegenteil. Nach einem internen Bericht des Wirtschaftsministeriums sei die Verweigerung fast stets besser gewesen, da dann eine wettbewerbskonforme Lösung habe gefunden werden können, und gerade die regelmäßig angedrohten Arbeitsplatzverluste nicht eingetreten seien. Gerade die VEBA bzw. E.on sei aus jedem Ministererlaubnisverfahren gestärkt hervorgegangen, ohne dass aber das stets angeführte Argument der Versorgungssicherheit jemals relevant geworden sei.443 Als die Erlaubnis sodann ergeht, wird die Fusion wiederum vom selben Autor zu einer Glaubensfrage erklärt. Denn zwar verheiße die Erlaubnis kurzfristig nichts Gutes für den Wettbewerb, langfristig könne sie sich jedoch energiepolitisch als richtig erweisen, was aber äußerst schwierig vorhersehbar sei. Der Minister sei daher

438

S. 12. 439

Wintermann, Jürgen, Befreiungsschlag für den deutschen Gasmarkt, WELT 22. 05. 2002,

Dokumentiert aus dem Gutachten, WELT 22. 05. 2002, S. 12. Wetzel, Daniel, Der Kommentar, Müller in der Klemme, WELT 22. 05. 2002, S. 9. 441 Hohenthal, Carl Graf, Der Kommentar, Kein Grund zur Furcht, WELT 29. 05. 2002, S. 9. 442 Wetzel, Daniel, Analyse, Mit der Ruhrgas-Übernahme bricht eine neue Ära an, WELT 05. 07. 2002, S. 12. 443 Wetzel, Daniel, Genehmigung ist fast nie im „überragenden Interesse der Allgemeinheit“, Ministererlaubnis selten eine gute Tat, WELT 05. 07. 2002, S. 12. 440

V. E.on/Ruhrgas (2002)

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argumentativ im Nachteil, da er nicht beweisen könne, dass sein Kalkül aufgehe, sondern man daran glauben müsse.444 Als dann die Gegner der Erlaubnis beginnen wegen Verfahrensfehlern gegen die Ministererlaubnis vor dem OLG Düsseldorf vorzugehen, wird auch hierüber ausführlich berichtet,445 was vorliegend in den Details jedoch weniger relevant ist. Dieses Gerichtsverfahren gibt jedoch zugleich Anlass zu weiteren Kommentaren zur Sinnhaftigkeit der Fusion an sich. So wird betont, dass bei Gelingen der Fusion durch den Wechsel der Degussa zur RAG sich zugleich die Strukturprobleme an der Ruhr lösen ließen. Dies zeige, dass Industriepolitik „über den Kirchturm hinausgehen müsse“, denn wenn das Bundeskartellamt gleich mit einer globalen Elle gemessen hätte, so wären die Ministererlaubnis und die mit ihr verbundenen Verfahrensfehler unnötig gewesen.446 Auch in einem anderen Kommentar wird moniert, dass die Chancen auf die größte Fusion auf dem europäischen Energiemarkt schwinden würden, da nun auch die EnBW gegen die Fusion vorgehe, wohinter aber vermutlich lediglich die Hauptaktionärin Electricité de France stehe, die einen schlagkräftigen deutschen Konkurrenten verhindern wolle.447 Als nach einer erneuten Anhörung448 die Ministererlaubnis mit verschärften Auflagen erneut erteilt wird, wird aber auch die Einschätzung des CDU Wettbewerbsexperten Hartmut Schauerte wiedergegeben, der betont, dass es nach wie vor keine stichhaltige Begründung für die Fusion gebe.449 Ein Kommentar kritisiert hierbei gleichzeitig die zu weichen und wirkungslosen Auflagen, und begrüßt die Schaffung eines international konkurrenzfähigen Gaskonzerns.450 Als auch auf diese erneute Ministererlaubnis hin das OLG Düsseldorf die Blockade des Vollzugs der Ministererlaubnis nicht aufgibt, wird in einem Kommentar scharf kritisiert, dass dies die Versorgungssicherheit gefährde und die Ruhrgas durch dieses Verbot im europäischen Wettbewerb zurückgeworfen werde.451 444

Wetzel, Daniel, Frage des Glaubens, WELT 06. 07. 2002, S. 11. Vgl. Wetzel, Daniel, Richter untersagt Eon die Anwendung der Ministererlaubnis – Verfahrensfehler moniert, Gericht legt Ruhrgas-Fusion auf Eis, WELT 15. 07. 2002, S. 13; Gericht entscheidet über Fusion von Eon und Ruhrgas, WELT 02. 08. 2002, S. 14; Wetzel, Daniel/Wintermann, Jürgen, OLG-Richter: „Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ministererlaubnis eher noch verstärkt“, Fusion von Eon und Ruhrgas blockiert, WELT 03. 08. 2001, S. 9. 446 Wintermann, Jürgen, Eon und Europa, WELT 05. 08. 2002, S. 11 (Kommentar). 447 Wetzel, Daniel, Druck auf Eon steigt, WELT 07. 08. 2002, S. 9 (Kommentar). 448 Wetzel, Daniel, Hartmann zieht Zugeständnisse für Ruhrgas-Übernahme wieder zurück – Zweite Anhörung im Wirtschaftsministerium, Eon-Chef geht in die Offensive, WELT 06. 09. 2002, S. 13. 449 Staatssekretär Tacke erteilt Ministererlaubnis zu verschärften Regeln – Das letzte Wort hat die Justiz, Neue Auflagen für Eon/Ruhrgas-Fusion, WELT 20. 09. 2002, S. 11. 450 Dalan, Marco, Der Kommentar, Hartmann vor dem Ziel, WELT 20. 09. 2002, S. 11. 451 Wetzel, Daniel, Marktplatz, Fusionsverbot wirft Ruhrgas im europäischen Wettbewerb zurück, WELT 19. 12. 2002, S. 11. 445

170

E. Empirische Untersuchung

Als es E.on schließlich gelingt, sämtliche Beschwerdeführer durch Geldzahlungen oder sonstige Gegenleistungen zur Rücknahme ihrer Beschwerden zu bewegen, wird es in einem Kommentar sehr begrüßt, dass Deutschland nun über einen „Global Player“ im Gasmarkt verfüge.452 Dennoch wird im Anschluss die politische Kritik am Wechsel von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller in die Energiewirtschaft ausführlich wiedergegeben,453 und auch sehr kritisch darüber berichtet, dass es E.on gelinge, die Auflagen der Ministererlaubnis mit so großem Geschick zu erfüllen, dass davon kaum eine Belebung des Wettbewerbs zu erwarten sei.454 6. Die Ministererlaubnis Im Verfahren E.on/Ruhrgas sind zwei Ministererlaubnisentscheidungen455 durch den Staatssekretär im BMWi Alfred Tacke als Vertreter des Bundeswirtschaftsministers Werner Müller ergangen, da nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11. 07. 2002 die Entscheidung noch einmal modifiziert, und eine erneute Anhörung durchgeführt wurde. Tenor beider Entscheidungen war, dass die Fusion unter Auflagen genehmigt werde,456 wobei in der modifizierten Erlaubnis die Auflagen verschärft wurden.457 Als die Entscheidung rechtfertigende Gemeinwohlgründe wurde die Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Ruhrgas durch das ihr durch E.on zugeführte Investitionskapital genannt, was eine Beteiligung an Fördergesellschaften in Russland ermögliche. Durch den hierdurch geschaffenen Zugang zu Erdgasquellen werde die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik erhöht, was langfristig zu einer sicheren und preisgünstigen Versorgung der Verbraucher führe.458 Den angeführten Argumenten der Arbeitsplatzsicherung sowie des Umweltschutzes könne hingegen nicht gefolgt werden.459 Durch die Auflagen sollte eine Belebung des Wettbewerbs auf dem Gasmarkt erzielt werden und der Durchleitungswettbewerb gesichert werden.460 452

Wetzel, Daniel, Marktplatz, Geld regiert die Energiewelt, WELT 01. 02. 2003, S. 13. Seidlitz, Frank, FDP hält Berufung des ehemaligen Bundesministers für einen Skandal – Regierung in Nordrhein-Westfalen verteidigt Konzept, Wahl von Werner Müller an RAG-Spitze umstritten, WELT 07. 04. 2003, S. 15; Borstel, Stefan von, Opposition hält die Berufung von Ex-Wirtschaftsminister Müller zum RAG-Chef für einen Skandal – Aktuelle Stunde im Bundestag, „Die teuerste ABM-Stelle, die wir je hatten“, WELT 11. 04. 2003, S. 12. 454 Wetzel, Daniel, Marktplatz, Eon erfüllt Kartellauflagen mit großem Geschick, WELT 01. 08. 2003, S. 14; Wetzel, Daniel, Der Kommentar, Marktführers Privilegien, WELT 22. 10. 2003, S. 11. 455 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 573 – 598; E.on/Ruhrgas II, WuW/E DE-V 643 – 653. 456 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 573; E.on/Ruhrgas II, WuW/E DE-V 643. 457 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 573 – 575; E.on/Ruhrgas II, WuW/E DE-V 643 – 644. 458 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 584 – 592. 459 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 592 – 593. 460 BMWi E.on/Ruhrgas, WuW/E DE-V 595, 597. 453

VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003)

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7. Fazit Im Verfahren E.on/Ruhrgas ergab sich – ähnlich wie im Verfahren Daimler/ MBB – ein deutlich gespaltenes Bild des hier untersuchten Ausschnitts der öffentlichen Meinung. Durch den Diskurs ließ sich kein Konsens über das zu verfolgende Gemeinwohl erzielen, sondern die verschiedenen Akteure standen sich mit ihren Argumenten gegenüber. Zentrale Argumente waren hierbei einerseits die Schaffung eines national champions und die Sicherung der Energieversorgung, andererseits der Verlust an Wettbewerb auf dem Energiemarkt, die Benachteiligung der Verbraucher durch steigende Preise, sowie Verfahrensfehler und Vorwürfe möglicher Befangenheit. Im Ergebnis war es daher hoch umstritten, ob die mit der Ministererlaubnis verfolgten Gemeinwohlziele die Wettbewerbsbeeinträchtigungen überwogen und Staatssekretär Tacke die Ministererlaubnis somit zu Recht erteilt hatte. Im Verfahren E.on/Ruhrgas zeigte sich dabei deutlich, dass die eigene Positionierung der Zeitungen auch gegenteilige Stimmen grundsätzlich nicht von der Konstitution der medialen öffentlichen Meinung ausschließt. Trotz einer klar die Ministererlaubnis ablehnenden Haltung von SPIEGEL, ZEIT und FAZ fanden sich dennoch auch viele die Ministererlaubnis befürwortende gesellschaftliche Akteure mit ihren Positionen in diesen Zeitungen wieder. Ebenso kamen in der die Ministererlaubnis schlussendlich befürwortenden WELT sowohl die Ministererlaubnis befürwortende als auch ablehnende Akteure zu Wort. Mit 292 näher relevanten Artikeln erfuhr auch das Verfahren E.on/Ruhrgas eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit. Durch den klaren Dissens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung lässt sich auch das Verfahren E.on/Ruhrgas idealtypisch dem liberalen Diskursmodell zuordnen, so dass eine konsensuale Konkretisierung des Gemeinwohls durch den öffentlichen Diskurs hier nicht gelang.

VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) 1. Zeitleiste 01. 11. 2002 12. 07. 2002 10. 12. 2002 13. 01. 2003 10. 04. 2003 22. 04. 2003 08. 09. 2003 29. 09. 2003

Beginn der Berichterstattung Anmeldung des Fusionsvorhabens beim Bundeskartellamt Entscheidung des Bundeskartellamts Antragsstellung Gutachten der Monopolkommission Erste Anhörung im BMWi: Holtzbrinck soll Kaufinteressenten für Tagesspiegel suchen Zweite Anhörung im BMWi Verkauf Tagesspiegel an Holtzbrinck Vertrauten Gerckens, Rücknahme des Antrages auf Ministererlaubnis

172 04. 02. 2004 Oktober 2005

E. Empirische Untersuchung Bundeskartellamt untersagt abermals Fusion Holtzbrinck/Berliner Verlag, da Tagesspiegel weiterhin Holtzbrinck zugerechnet wird Holtzbrinck verkauft Berliner Verlag an britischen Finanzinvestor 3i

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war der Kauf der Berliner Verlag KG, Herausgeberin der regionalen Abonnement Tageszeitung Berliner Zeitung und der Straßenverkaufszeitung Berliner Kurier, durch den Konzern Holtzbrinck KG, dem bereits der Tagesspiegel und eine Reihe anderer Zeitungen gehörte.461 Das Bundeskartellamt ging davon aus, dass Holtzbrinck hierdurch eine marktbeherrschende Stellung auf dem Lesermarkt für regionale Abonnement-Tageszeitungen und für Berliner Stadtillustrierte erlangen würde.462 Außerdem könne Holtzbrinck eine Zeitung gezielt auf den Ostteil und eine auf den Westteil der Stadt ausrichten, und sich so auf dem Anzeigenmarkt besondere Vorteile verschaffen.463 Das Bundeskartellamt war dabei der Ansicht, dass Straßenverkaufszeitungen, wie vor allem die des Axel-Springer-Verlags, bei der Marktabgrenzung nicht zu berücksichtigen seien.464 Das von Holtzbrinck angeführte Argument der Sanierungsfusion wegen der laufenden Verluste des Tagesspiegels wies das Bundeskartellamt zurück, da es für den Berliner Verlag alternative Interessenten gegeben habe, und nicht vorgetragen worden sei, dass es keine Kaufinteressenten für den Tagesspiegel gebe.465 Das Bundeskartellamt untersagte die Fusion daher. 3. Das Gutachten der Monopolkommission Der Antrag auf Ministererlaubnis wurde von Holtzbrinck damit begründet, dass die Fusion der Sicherung der publizistischen Vielfalt diene, da die Unabhängigkeit beider Redaktionen erhalten werde, sowie 350 Arbeitsplätzen sichere, die bei Einstellung des Tagesspiegels entfielen. Noch dazu bestehe die Gefahr, dass in einem „Domino-Effekt“ auch die Berliner Zeitung schließen müsse, so dass insgesamt 1.000 Arbeitsplätze bedroht seien.466 Beiden Argumenten erteilte die Monopolkommission eine klare Absage. So ließen sich keine belastbaren Aussagen über die Arbeitsplatzentwicklung treffen, womit die Kausalität des Zusammenschlusses für die vorgetragene Arbeitsplatzsi461

BKartA Tagesspiegel/Berliner Verlag, WuW/E DE-V 695. BKartA Tagesspiegel/Berliner Verlag, WuW/E DE-V 696. 463 BKartA Tagesspiegel/Berliner Verlag, WuW/E DE-V 699 – 700. 464 BKartA Tagesspiegel/Berliner Verlag, WuW/E DE-V 696. 465 BKartA Tagesspiegel/Berliner Verlag, WuW/E DE-V 704. 466 Monopolkommission, Sondergutachten 36, Tagesspiegel/Berliner Verlag, 2003, Rn. 40 – 42. 462

VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003)

173

cherung fehle. Auch sei nicht nachgewiesen, dass der Zusammenschluss die Meinungsvielfalt auf dem Berliner Zeitungsmarkt sichere. Noch dazu sei der Minister nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 und 3 GG zur Neutralität verpflichtet, und die dauerhafte redaktionelle Trennung von Tagesspiegel und Berliner Verlag sei allenfalls durch eine unzulässige Verhaltensauflage sicherstellbar.467 Die Monopolkommission kam daher zu dem Ergebnis, dass die Ministererlaubnis nicht zu erteilen sei.468 4. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Für den SPIEGEL ungewöhnlich wird zur Fusion Tagesspiegel/Berliner Verlag keine klare Position bezogen, sondern über die Entwicklung der Fusionspläne sehr neutral berichtet. Dabei steht nicht so sehr das Gemeinwohl im Einzelfall im Vordergrund der Debatte, sondern vielmehr die Bedeutung des Fusionsvorhabens für die Entwicklung des Zeitungsmarkts und des Pressefusionsrechts als Ganzen. So wird von Anfang an neutral über die Bedenken des Bundeskartellamts469 und die Untersagung der Fusion wegen der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Lesermarkt für regionale Abonnementzeitungen berichtet.470 Der Holtzbrinck Konzern werfe dem Bundeskartellamt vor, letztlich den Konkurrenten Springer zu begünstigen.471 Auch der SPIEGEL sieht dies ähnlich, da das Überleben des Tagesspiegels ohne die Fusion gefährdet sei, und der Anzeigenmacht Springers in Berlin bisher noch mit keinem Mittel beizukommen gewesen sei. Die Entscheidung des Bundeskartellamts bedeute damit zumindest faktisch Schutz für Springer. Der Holtzbrinck Konzern male laut SPIEGEL unterdessen düstere Szenarien für die Politik an die Wand, falls es nicht zu der Erteilung einer Ministererlaubnis komme.472 Das Ministerium bezeichne den Ministererlaubnisantrag des Holtzbrinck Konzerns, der im Falle einer Fusion 100 Stellen streichen wolle,473 jedoch als kaum aussichtsreich.474 467 Monopolkommission, Sondergutachten 36, Tagesspiegel/Berliner Verlag, 2003, Rn. 161 – 166. 468 Monopolkommission, Sondergutachten 36, Tagesspiegel/Berliner Verlag, 2003, Rn. 161. 469 „Berliner Zeitung“ Kartellwächter haben offenbar Bedenken gegen Übernahme, SPIEGEL ONLINE 01. 11. 2002. 470 Berliner Zeitungsmarkt, Kartellamt stoppt Holtzbrinck endgültig, SPIEGEL ONLINE 12. 12. 2002. 471 Ringen um den Berliner Verlag, Holtzbrinck wirft den Kartellwächtern Springer-Begünstigung vor, SPIEGEL ONLINE 13. 12. 2002. 472 Presse, Unter Schock, SPIEGEL 16. 12. 2002. 473 Berliner Zeitungs-Fusion, Holtzbrinck will 100 Stellen streichen, SPIEGEL ONLINE 28. 02. 2003. 474 Berliner Zeitung, Holtzbrinck beantragt Ministererlaubnis, SPIEGEL ONLINE 14. 01. 2003.

174

E. Empirische Untersuchung

Bei der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium habe Holtzbrinck im Falle der Versagung der Ministererlaubnis mit der Schließung des Tagesspiegels und der Streichung von 300 Stellen, und Springer für den Fall der Erteilung der Erlaubnis mit der Schließung von Welt und Berliner Morgenpost gedroht. Neben Springer hätten sich noch mehrere Manager anderer Zeitungs- und Zeitschriftenverlage gegen die Fusion ausgesprochen. Auch der Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke sei gegen die Fusion, da eine „weitere Einschränkung der Presse- und Meinungsvielfalt in der Hauptstadt“ zu befürchten sei, während Holtzbrinck gerade damit argumentiere, dass die Übernahme dem Erhalt der Meinungsvielfalt und damit dem Gemeinwohl diene.475 Dies führt im SPIEGEL zu grundsätzlichen Überlegungen dazu, wie sich der Zeitungsmarkt in Zeiten sinkender Anzeigenerlöse entwickeln werde, und ob für den Erhalt der Zeitungsvielfalt eine Lockerung des Pressefusionskontrollgesetzes nötig sei, oder wie in Nachbarländern staatliche Subventionen eingeführt werden sollten.476 Wie der SPIEGEL berichtet, wird die Entscheidung über die Erteilung der Ministererlaubnis durch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sodann vorerst verschoben, und dem Holtzbrinck-Konzern aufgegeben, nachzuweisen, dass kein Kaufinteressent für den Tagesspiegel existiere.477 Als sich nun der Bauer Verlag aus Hamburg meldet und 20 Millionen Euro und eine Fortführungsgarantie über 5 – 7 Jahre bietet,478 zweifelt der Holtzbrinck-Konzern laut SPIEGEL die Ernsthaftigkeit dieses Angebots an.479 Dieser Streit zwischen den Verlegern setzt sich in der nun erneut erforderlichen Anhörung vor dem Bundeswirtschaftsminister fort, wo heftig über die Ernsthaftigkeit des Angebots von Bauer und der Verkaufsabsichten von Holtzbrinck gestritten wird.480 Auch hier schließt sich wieder ein Bericht des SPIEGEL über die allgemeinen Pläne der Regierung für die Erleichterung von Pressefusionen an. Kritiker, hierunter Springer und die FAZ, fürchteten hierbei um die Meinungsvielfalt. Gleichzeitig kämen aus dem Ministerium laut dem SPIEGEL Signale, dass es insbesondere wegen des Interesses des Bauer Verlags für den Tagesspiegel keine Ministererlaubnis für die Fusion Tagesspiegel/Berliner Verlag geben werde.481 Wie der SPIEGEL berichtet zieht der Holtzbrinck Konzern daraufhin den Antrag auf Ministererlaubnis zurück, und verkauft den Tagesspiegel an einen seiner engsten 475

Berliner Zeitungskrieg, Clement ruft zum Krisengipfel, SPIEGEL ONLINE, 22. 04. 2003. 476 Presse, Kampf um den Kiosk, SPIEGEL 28. 04. 2003. 477 Berliner Zeitungsstreit, Springer bleibt skeptisch, SPIEGEL ONLINE 12. 05. 2003. 478 Blätterwald, Bauer-Verlag an Berliner „Tagesspiegel“ interessiert, SPIEGEL ONLINE 15. 05. 2003; Verlage, Bauer kämpft um Tagesspiegel, SPIEGEL 14. 07. 2003. 479 Streit um „Tagesspiegel“, Neuer Machtkampf der Verleger, SPIEGEL ONLINE 01. 08. 2003. 480 Berliner Zeitungsstreit, „Schluss mit der Taktik!“, SPIEGEL ONLINE 08. 09. 2003. 481 Verlage, Poker um die Meinungsmacht, SPIEGEL 29. 09. 2003.

VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003)

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Vertrauten.482 Trotz dieses Verkaufs rechnet das Bundeskartellamt den Tagesspiegel aber wegen persönlicher Nähe und einer vertraglichen Rückkaufoption weiter dem Holtzbrinck-Konzern zu, und untersagt weiterhin die Übernahme der Berliner Zeitung durch den Holtzbrinck Konzern.483 Laut SPIEGEL hofft Holtzbrinck daraufhin noch auf eine Novelle des Pressefusionsrechts484 (die letztlich im Bundesrat scheitert), und geht zugleich im Oktober 2004 rechtlich gegen die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts vor.485 Vor dem Bundesgerichtshof wird diese Beschwerde schließlich im Oktober 2005 zurückgenommen,486 und die Berliner Zeitung von Holtzbrinck unter großem Protest der Redaktion487 an einen britischen Private Equity Fonds verkauft.488 b) Die ZEIT Die zum Holtzbrinck-Konzern gehörende ZEIT berichtet über die Fusion Tagesspiegel (bzw. Holtzbrinck)/Berliner Verlag fast gar nicht. Auch eine Suche in verschiedenen Datenbanken mit diversen Schlagwörtern und eine Anfrage beim ZEIT Archiv Nutzerservice blieben weitestgehend ergebnislos.489 Auf persönliche Anfrage hin erklärte der damalige Chefredakteur der ZEIT und ehemalige Staatsminister unter Gerhard Schröder Michael Naumann dieses auffällige Fehlen der Berichterstattung damit, dass die ZEIT damals schlicht kaum Medienberichterstattung betrieben habe. Eine Direktive vom Holtzbrinck Verlag, ihm selbst, oder dem zweiten Chefredakteur Josef Joffe, diesen Komplex nicht zu thematisieren, habe es keineswegs gegeben. Nach der damaligen Wahrnehmung Michael Naumanns sei die Erteilung der Ministererlaubnis vor allem am Widerstand der Grünen innerhalb der Koalition gescheitert.490 Lediglich in einigen wenigen Artikeln wird die Fusion zumindest am Rande behandelt. So in einem Artikel Michael Naumanns vom Dezember 2003, der sich aber vor allem mit der von Wolfgang Clement geplanten erleichterten Fusions482 Berliner Zeitungsmarkt, Holtzbrinck-Vertrauter kauft Tagesspiegel, SPIEGEL ONLINE 29. 09. 2003. 483 „Berliner Zeitung“ Kartellamt gegen Übernahme durch Holtzbrinck, SPIEGEL ONLINE 19. 12. 2003. 484 Presse, Clement für „Lex Holtzbrinck“, SPIEGEL 20. 12. 2003. 485 „Tagesspiegel“-Verkauf, Holtzbrinck klagt gegen Kartellamt, SPIEGEL ONLINE, 14. 10. 2004. 486 Berliner Zeitungsmarkt, Tagesspiegel kurz vor dem Verkauf, SPIEGEL ONLINE, 04. 10. 2005; vgl. Zeitungsstreit, Holtzbrinck zieht vor den Bundesgerichtshof, SPIEGEL ONLINE 06. 12. 2004. 487 Verkauf des Berliner Verlags, „Skepsis und Angst“, SPIEGEL ONLINE, 14. 10. 2005; Presse, Aufstand am Alex, SPIEGEL 19. 12. 2005. 488 Verlage, Berliner Zeitung verkauft, SPIEGEL 13. 12. 2005. 489 Auskunft des ZEIT Archives per Email vom 16. 02. 2017. 490 So in einer Email an den Autor vom 17. 02. 2017.

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E. Empirische Untersuchung

möglichkeit im Pressebereich bei Existenzbedrohung einzelner Zeitungen befasst, und dabei auch hervorhebt, dass die Beurteilung des Bundeskartellamts hinsichtlich der Fusion Tagesspiegel/Berliner Verlag zu wirtschaftsrational gewesen sei, und weder die ideellen Aspekte des Zeitungsverlegens, noch die schon jetzt marktbeherrschende Stellung Springers auf dem Hauptstadtzeitungsmarkt hinreichend berücksichtigt habe.491 Darüber hinaus wird in einer Reihe von Artikeln über den schlussendlichen Verkauf der Berliner Zeitung an einen britischen Finanzinvestor und der damit einhergehenden Angst vor radikalen Einsparungen berichtet.492 c) Die FAZ Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet im Gegensatz zur ZEIT umfangreich und detailliert über die geplante Fusion. Die FAZ sieht dabei nicht nur eine große Gefahr für den Wettbewerb auf dem Berliner Zeitungsmarkt, sondern für die Pressevielfalt und Pressefreiheit an sich. Im Zentrum der Kritik der FAZ steht weniger der Schutz des Wettbewerbs, als vielmehr der Schutz der freien Presse vor staatlichen Eingriffen. Schon als nach der Untersagung der Fusion durch das Bundeskartellamt493 Holtzbrinck beklagt, dass doch nur die Pressevielfalt in der Hauptstadt gesichert werden solle, kommentiert die FAZ hierzu, dass Holtzbrinck erst einmal erklären müsse, wie die Vielfalt gesichert werde, wenn zwei Zeitungen in eine Hand gelangten.494 Holtzbrinck beklage, dass das Kartellamt den Berliner Zeitungsmarkt unzutreffend in Abonnementzeitungen und Kioskzeitungen unterteilt habe, und dadurch den Konkurrenten Springer bevorzuge.495 Der Antrag Holtzbrincks auf Ministererlaubnis wird sodann mit der Überschrift „Yes, Minister“ kommentiert, und berichtet, dass Holtzbrinck in der Antragsbegründung ohne die Erteilung der Erlaubnis mit der großen Zeitungspleite drohe.496

491

Naumann, Michael, Rettung naht, Wolfgang Clement will das Pressefusionsrecht liberalisieren, ZEIT 17. 12. 2003. 492 Hamann, Götz, Kapital im Anflug, Im Berliner Verlag geht die Angst vor Finanzinvestoren um. Andere müssen längst mit ihnen leben. Wer hat gelitten, wer hat profitiert?, ZEIT 20. 10. 2005; „Klassischer Kapitalist“, Wie der neue Eigentümer des Berliner Verlags, David Montgomery, mit Zeitungen umgeht, hat sich in England schon mehrmals gezeigt, ZEIT ONLINE 25. 10. 2005; Finanzinvestoren übernehmen Berliner Zeitung, ZEIT 25. 10. 2005; Hamann, Götz, Britische Botschaft, Der Berliner Verlag geht an Finanzinvestoren. Die geben sich als verantwortungsvolle Verlagsbesitzer – schon aus ökonomischem Kalkül, ZEIT 27. 10. 2005. 493 Kartellamt untersagt Zeitungsverkauf, FAZ 13. 12. 2002, S. 16. 494 Vielfalt, Einfalt, Holtzbrinck jammert hauptstädtisch, FAZ 14. 12. 2002, S. 40. 495 „Den Kartellamtsbeschluss sehen wir noch nicht als Niederlage“ Michael Grabner von Holtzbrinck über den Kampf um die Berliner Zeitung, FAZ 14. 12. 2002, S. 15. 496 Yes, Minister, Holtzbrinck geht Clement an, FAZ 19. 12. 2002, S. 40; vgl. Holtzbrinck beantragt Ministererlaubnis, FAZ 19. 12. 2002, S. 17.

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Für den Fall der Erteilung der Erlaubnis warnt die FAZ vor einem drohenden Monopol auf dem Berliner Zeitungsmarkt, und unterstellt, dass Holtzbrinck getreu dem Motto „Eine Hand wäscht die andere“ schon im Voraus wo es nur möglich sei, die Bundesregierung in seinen Zeitungen unterstütze.497 Auch der Deutsche Journalistenverband warne davor, dass die Erteilung der Ministererlaubnis eine „Katastrophe“ für die Pressevielfalt wäre, und einen Präzedenzfall für weitere Medienfusionen und damit auch eine Vielzahl von Entlassungen schaffen könne.498 In einem Kommentar wird nun auch die Ministererlaubnis als Instrument an sich kritisiert, da sie immer mehr dazu zweckentfremdet werde, das normale Verfahren zu umgehen.499 Der Chefredakteur des Tagesspiegels Giovanni di Lorenzo bezieht in einem Interview Position für die Fusion, da seiner Ansicht nach drei Qualitätszeitungen bei drei verschiedenen Verlagen nicht überlebensfähig seien,500 während Holtzbrinck kurz darauf ankündigt im Falle der Erlaubnis bei Tagesspiegel und Berliner Zeitung je 50 Stellen zu streichen.501 Holtzbrinck schlägt dann kurz darauf ein neues Modell vor, bei dem zwar die Verlage an sich fusionieren, die redaktionelle Unabhängigkeit von Tagesspiegel und Berliner Zeitung aber über ein Stiftungsmodell gesichert werde.502 Die FAZ wittert daraufhin einen Ausverkauf der Pressefreiheit, da in dem die Stiftung kontrollierenden Stiftungsrat Abgesandte der politischen Parteien und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sitzen sollten. Es drohe ein Zusammenwirken von Politik und Presse für das nur Silvio Berlusconi Pate gestanden haben könne. Noch dazu sei die Formel von der redaktionellen Unabhängigkeit nur oberflächliches Make-up, da das Entscheidende die Verlagsfusion sei und durch die Kreation eines Anzeigenmarkts für Gesamtberlin Monopolgefahr drohe.503 Kurz darauf spricht sich die Monopolkommission gegen die Fusion aus, da diese durch die Schaffung einer marktbeherrschenden Stellung unkontrollierbare Verhaltensspielräume für den Verlag schaffe und das Argument der Arbeitsplatzsicherung nicht stichhaltig sei.504 Gleichzeitig droht der Axel-Springer Verlag damit, dass im Falle der Erteilung der Erlaubnis die Berliner Morgenpost und die Welt eingestellt würden, da sie dann nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben seien. Noch dazu werde 497

Blattmacher, Holtzbrinck bedankt sich bei der Regierung schon mal vorab, FAZ 15. 01. 2003, S. 37. 498 10 000 arbeitslose Journalisten erwartet, Gewerkschaft DJV: Ministererlaubnis für Holtzbrinck wäre Katastrophe, FAZ 16. 01. 2003, S. 12. 499 Mussler, Werner, Ministererlaubnis am Ende (Kommentar), FAZ 10. 02. 2003, S. 9. 500 Über meine Koteletten muss jeder schreiben dürfen, Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur des „Tagesspiegel“ über Berlin, den Boulevard und die Zukunft der Zeitung, FAZ 14. 02. 2003, S. 36. 501 Hundertschaft, Holtzbrinck will in Berlin streichen, FAZ 01. 03. 2003, S. 40. 502 Stiftungsmodell für „Berliner Zeitung“, FAZ 31. 03. 2003, S. 18. 503 Geiselnahme, Wie Holtzbrinck in Berlin die Pressefreiheit verkauft, FAZ 02. 04. 2003, S. 42. 504 Monopolkommission gegen Zeitungsfusion, FAZ 11. 04. 2003, S. 15.

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E. Empirische Untersuchung

mit allen juristischen Mitteln gegen einen solchen Verstoß gegen die Staatsfreiheit der Medien vorgegangen werden.505 Ein Schreiben der Kulturstaatsministerin der Bundesrepublik Christina Weiss (parteilos) spricht sich unterdessen für die Erteilung der Ministererlaubnis zur Sicherung der Pressevielfalt aus,506 was die FAZ als Vorabentscheidung der Bundesregierung für Holtzbrinck interpretiert.507 In einem Kommentar unter der Überschrift „Jedem sein Gemeinwohl“ wird sodann hervorgehoben, dass sogar Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clements eigene Beamte Bedenken gegen eine Ministererlaubnis hätten, und dass Wolfgang Clement nach der Drohung von Springer nun die Auswahl zwischen dem Gemeinwohl von Springer und dem Gemeinwohl von Holtzbrinck habe. Es bestehe die berechtigte Befürchtung, dass es letztlich nicht um die Sicherung der Pressevielfalt gehe, sondern um die Ausschaltung regierungskritischer Organe.508 In einem weiteren Artikel warnt die FAZ noch einmal eindringlich vor der Gefahr, dem italienischen Modell zu folgen, und die Presse in Staatsbetriebe umzuwandeln.509 Wie die FAZ berichtet, wächst in der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium der Druck auf Wolfgang Clement, auch die Vereinigte Linke der Berliner SPD sei gegen die Fusion, und Springer drohe fortgesetzt mit der Einstellung der Berliner Morgenpost und der Welt.510 Letztlich verschiebt Wolfgang Clement die Entscheidung, und gibt Holtzbrinck auf, einen Käufer für den Tagesspiegel zu suchen.511 Gleichzeitig beginnt Wolfgang Clement laut FAZ mit Unterstützung durch Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einer Novelle der Pressefusionskontrolle, die gerade in der Krise einzelner Zeitungen Fusionen erleichtern solle, um so die Pressevielfalt zu erhalten.512 Während Großverlage dies als Expansionsmöglichkeit begrüßten, seien kleinere und mittlere Verlage gegen diese Reform.513 505 Springer droht Clement, „Welt“ und „Berliner Morgenpost“ sollen eingestellt werden/ Ministererlaubnis verfassungswidrig, FAZ 19. 04. 2003, S. 18. 506 Ministererlaubnis für Holtzbrinck befürwortet, FAZ 19. 04. 2003, S. 1. 507 Hanfeld, Michael, Schwarzer Dienstag, Der Regierung ist längst klar, was sie mit Holtzbrinck anstellt, FAZ 19. 04. 2003, S. 40. 508 Mussler, Werner, Jedem sein Gemeinwohl, FAZ 22. 04. 2003, S. 13 (Kommentar). 509 Rom als Pate der Berliner Lösung, Wie Holtzbrinck und die Regierung auf die Umwandlung der Presse in einen Staatsbetrieb hinarbeiten, FAZ 22. 04. 2003, S. 42. 510 Druck auf Clement in der Fusionssache „Tagesspiegel Berliner Zeitung“ wächst, Holtzbrinck und Springer drohen mit Einstellungen/Politische Einflußnahmen vor der Anhörung im Ministerium an diesem Dienstag, FAZ 22. 04. 2003, S. 13; Clement von Drohungen im Zeitungsstreit unbeeindruckt, Holtzbrinck und Springer sehen je nach Votum „Tagesspiegel“, „Welt“ und „Morgenpost in Gefahr, FAZ 23. 04. 2003, S. 15. 511 Holtzbrinck soll „Tagesspiegel“ verkaufen, FAZ 12. 05. 2003, S. 15; Verschoben, Noch keine Ministerentscheidung, FAZ 12. 05. 2003, S. 37. 512 Schwenn, Kerstin, Der Vorwand der Vielfalt, Zur geplanten Pressefusionskontrolle, FAZ 13. 05. 2003, S. 11; Niggemeier, Stefan, Kulturkreis, Kanzler und Chefredakteure beim „Netzwerk Recherche“, FAZ 26. 05. 2003, S. 44. 513 Fusionskontrolle spaltet Zeitungsbranche, BDZV und DJV sind uneins über Schröders Vorstoß, FAZ 27. 05. 2003, S. 13.

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Wie die FAZ berichtet, bestreitet Holtzbrinck bis in die zweite Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium, dass der Bauer Verlag mit 20 Millionen Euro und einer Bestandsgarantie von 5 – 7 Jahren ein ernsthaftes Kaufangebot für den Tagesspiegel abgegeben habe und unterstellt dem Bauer Verlag ein „taktisches Manöver“.514 Holtzbrinck nutzt hier sämtliche Verlagszeitungen, um einen Aufruf „In eigener Sache“ an die Leser zu veröffentlichen, in dem vor dem Bauer Verlag als Handlanger des Konkurrenten Springer gewarnt wird, was die FAZ als Anzeichen für ein fehlendes echtes Verkaufsinteresse auf Seiten des Holtzbrinck Konzernes wertet.515 Wirtschaftsminister Wolfgang Clement betont in der Anhörung sodann, dass er in keine Richtung festgelegt sei, und die Pressevielfalt langfristig sichern wolle, was ihm von den Gegnern der Fusion aber die Kritik einbringt, dass es nicht seine Aufgabe sei, die Pressevielfalt zu sichern, sondern abzuwägen, ob der Gemeinwohlaspekt der Pressevielfalt die Wettbewerbsbeschränkung rechtfertige.516 Die CDU und die Oppositionsführerin Angela Merkel halten das Angebot des Bauer Verlags für glaubwürdig, und fordern Wolfgang Clement daher auf, die Erlaubnis nicht zu erteilen.517 Ebenso wird dies von der Monopolkommission beurteilt.518 Im Kontext der Fusion erscheinen nun auch vermehrt Berichte über die von Wolfgang Clement geplante Novelle der Pressefusionskontrolle, die Fusionen in deutlich größerem Ausmaß ermöglichen soll, sofern über ein Stiftungsmodell die Unabhängigkeit der Redaktionen gesichert sei.519 Dieser Vorstoß Wolfgang Clements wird dabei von vielen als Ausweg aus dessen Entscheidungsnot gedeutet, indem er statt einer Ministererlaubnis den Plan von Holtzbrinck in Gesetzesform gieße. Zugleich wird die geplante Änderung der Pressefusionskontrolle als Gefahr für die Pressefreiheit gewertet. Gerade durch das Stiftungsmodell und die Übernahme durch Großkonzerne drohe eine politische Kontrolle der Presse.520

514

Bauer-Verlag bietet für Tagesspiegel, Auch Stuttgarter und Münchner interessieren sich für Hauptstadt-Blatt, FAZ 16. 06. 2003, S. 17; Fluch der Erlaubnis, Minister im Showdown: Der Fall Holtzbrinck in Berlin, FAZ 09. 09. 2003, S. 46. 515 Markt & Meinung, Eigene Sachen, FAZ 02. 08. 2003, S. 18. 516 Clement will die Pressevielfalt in Berlin langfristig erhalten, Bauer bessert Angebot für „Tagesspiegel“ nach/„Nicht automatisch besser als Ministererlaubnis“/Anhörung zur Zeitungsfusion, FAZ 09. 09. 2003, S. 15. 517 Union gegen Ministererlaubnis, FAZ 10. 09. 2003, S. 14; Feldmeyer, Karl, Die richtige Entscheidung, Die Rede der Oppositionsführerin Merkel richtete sich nicht zuletzt an die eigene Fraktion, FAZ 11. 09. 2003, S. 3. 518 Monopolkommission gegen Zeitungsfusion, FAZ 02. 09. 2003, S. 12. 519 Wirtschaftsminister Clement will Sonderregeln für Pressefusionen, Neues Gesetz statt Ministererlaubnis für Holtzbrinck-Verlag/Harsche Kritik von Wettbewerbsjuristen, FAZ 25. 09. 2003, S. 11. 520 Steltzner, Holger, Berliner Medienträume, FAZ 29. 09. 2003, S. 11 (Kommentar); Kanzlerpresse, Was die Regierung mit Verlagen und Redaktionen vorhat, FAZ 29. 09. 2003, S. 36.

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E. Empirische Untersuchung

Letztlich entschließt sich Holtzbrinck jedoch dazu, den Tagesspiegel an den langjährigen Holtzbrinck Vertrauten Pierre Gerckens zu verkaufen, und zieht in diesem Zuge den Antrag auf Ministererlaubnis zurück.521 Dies wird von vielen Beobachtern und auch der FAZ als bloßes Umgehungsgeschäft gewertet, das nur dazu diene, Zeit zu gewinnen, bis die Novelle des Pressefusionsrechts beschlossene Sache sei.522 Auch das Bundeskartellamt rechne laut FAZ den Tagesspiegel wegen einer Rückkaufoption weiterhin dem Holtzbrinck Verlag zu, und halte auch nach dem Verkauf des Tagesspiegels an seiner Untersagungsverfügung für die Fusion des Holtzbrinck Verlags mit dem Berliner Verlag fest.523 Gleichzeitig treibe Wolfgang Clement die Novelle des Pressefusionsrechts weiter voran,524 was als Gefahr für die Pressefreiheit auf scharfe Kritik stoße und wiederum den Vorwurf errege, diese Novelle sei auf Holtzbrinck zugeschnitten und solle diesem die Übernahme ermöglichen.525 Als der Holtzbrinck Konzern gegen die erneute Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts juristisch vorgeht, unterliegt er wie die FAZ berichtet vor dem OLG Düsseldorf.526 Noch bevor es zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommt, verkauft Holtzbrinck den Verlag dann schließlich im Oktober 2005 an den britischen Finanzinvestor 3i,527 was wegen dessen radikalen Gewinnmaximierungsstrategien auf scharfe Kritik von allen Seiten stößt.528 Die Pressefusionsnovelle von Wolfgang Clement ist unterdessen im Bundesrat gescheitert.529

521 Holtzbrinck-Vertrauter kauft Tagesspiegel, Zuschlag an Verlagsmanager Pierre Gerckens/Antrag auf Ministererlaubnis zurückgezogen, FAZ 30. 09. 2003, S. 11. 522 Gerckens ist nur ein Strohmann, FAZ.NET 29. 09. 2003; Der Strohmann, FAZ 30. 09. 2003, S. 11. 523 Kartellamt widersetzt sich weiter der Übernahme der Berliner Zeitung, Böge: Fusion könnte nach Gesetzesnovelle zulässig sein/Inhaltliche Ausrichtung von Zeitungen soll künftig geprüft werden, FAZ 20. 12. 2003, S. 13; Berliner Zeitungsfusion abermals untersagt, FAZ 05. 02. 2004, S. 13. 524 Clement erleichtert Pressefusionen, FAZ 19. 12. 2003, S. 12. 525 Achtung Zensur, FAZ 20. 12. 2003, S. 13 (Kommentar); „Kooperation ist nur ein schönerer Name für Kartell“, Der Präsident des Bundeskartellamtes Ulf Böge kritisiert die neuen Pläne zur Pressefusionskontrolle, FAZ 06. 05. 2004, S. 12. 526 Holtzbrinck unterliegt vor Gericht, OLG Düsseldorf untersagt Übernahme der Berliner Zeitung, FAZ 28. 10. 2004, S. 14. 527 3i steht kurz vor dem Kauf der Berliner Zeitung, Verhandlungen mit Holtzbrinck könnten bald abgeschlossen sein/Wohl kein Weiterreichen an Dritte, FAZ 12. 10. 2005, S. 18; Investorenglück, Verkauf des Berliner Verlags ist besiegelt, FAZ 26. 11. 2005, S. 43. 528 Schlank und aggressiv, 3i-Partner, Ein britischer Zeitungszar will den Berliner Verlag, FAZ 13. 10. 2005, S. 40; Hanfeld, Michael, Intermezzo? Der Betriebsrat des Berliner Verlags hat Fragen an Holtzbrinck, FAZ 14. 10. 2005, S. 46; Theurer, Marcus, „Das ist eine traurige Woche“, Der Heuschrecken-Fütterer geschimpfte Holtzbrinck-Verlag erntet Mitgefühl, FAZ 28. 10. 2005, S. 15. 529 Pressefusionsrecht, Berliner Senator fordert Novelle, FAZ 21. 10. 2005, S. 46.

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d) Die WELT In der Berichterstattung der WELT fällt auf, dass die WELT zur Fusion kaum selbst Stellung bezieht, in ihrer Berichterstattung aber fast ausschließlich Kritiker der Fusion und der geplanten Liberalisierung des Pressefusionsrechts zu Wort kommen lässt. Gelegentlich weist die WELT dabei auch explizit darauf hin, dass sie zum AxelSpringer-Verlag gehöre, dem erklärten Gegner der Fusion. Die Ereignisberichterstattung deckt sich im Wesentlichen mit SPIEGEL und FAZ, so dass hier nicht alle Details wiederholt werden sollen. Schon bald nach der Beantragung der Ministererlaubnis durch Holtzbrinck zum Erhalt der Pressevielfalt in Berlin,530 wird ausführlich über die Meinung des Kartellrechtlers Wernhard Möschel berichtet, der eine Ministererlaubnis in den politisch sensiblen Pressemärkten für den falschen Weg halte. Hier wird auch darauf hingewiesen, dass Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement möglicherweise befangen sei, da die SPD selbst ein Medienimperium leite. Schon jetzt sei fraglich, ob die Zeitungen aus dem Holtzbrinck-Verlag nicht besonders regierungsfreundlich berichteten, um die Erlaubnis zu fördern.531 In kompakter Form wird über das negative erste Gutachten der Monopolkommission berichtet.532 Ausführlich dargestellt wird die Kritik des Axel-SpringerVerlags, zu dem auch die WELT gehöre. Die Erteilung der Erlaubnis würde gegen das Gebot der Staatsfreiheit der Medien verstoßen, zumal sie einen Anzeigenverbund schaffen würde, der langfristig das Überleben von WELT und Berliner Morgenpost gefährde. Der publizistischen Vielfalt wäre daher keineswegs gedient.533 Diese Argumente werden auch bei der Anhörung zur Ministererlaubnis von Springer wiederholt.534 In weiteren Artikeln werden auch die taz,535 die Grünen536 und wiederum der Axel-Springer-Verlag537 als Gegner der Fusion angeführt.

530 Holtzbrinck will Ministererlaubnis für die Übernahme des Berliner Verlages, WELT 19. 12. 2002, S. 29. 531 Müller, Uwe, Darf ein Minister die Ehe von „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“ absegnen? – Kartellexperte: Keine Chance für Sondererlaubnis, Clements heikle Mission, WELT 10. 02. 2003, S. 31. 532 Medien kompakt, Verlage, Monopolkommission gegen Zeitungs-Fusion in Berlin, WELT 11. 04. 2003, S. 30. 533 Hohenthal, Carl Graf, Berliner Zeitungsmarkt umkämpft – Döpfner schreibt Clement, Springer wehrt sich, WELT 19. 04. 2003, S. 11. 534 Riering, Burkhard, Anhörung beim Wirtschaftsminister: Holtzbrinck will Ministererlaubnis erreichen – Wettbewerber protestieren, Das letzte Wort hat Wolfgang Clement, WELT 23. 04. 2003, S. 30. 535 Müller, Uwe, Noch keine Genehmigung im Pressebereich, Die Ministererlaubnis ist ein deutsches Unikum, WELT 23. 04. 2003, S. 30. 536 Grüne gegen Ministererlaubnis, WELT 09. 05. 2003, S. 30. 537 Lauterbach, Jörn, Entscheidung über Ministererlaubnis bis in den Juni verschoben, WELT 12. 05. 2003, S. 30.

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E. Empirische Untersuchung

Auch als über die Auflage des Wirtschaftsministeriums, einen Käufer für den Tagesspiegel zu finden, berichtet wird, wird nochmals betont, dass die Gegner der Fusion über Grüne, CDU, taz, FAZ und Axel Springer, dem auch die WELT gehöre, das gesamte politische Spektrum abdeckten. Gerade Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner habe gesagt, dass eine Erlaubnis ein schwerer Sündenfall wäre.538 Als dann die Suche nach einem Käufer für den Tagesspiegel beginnt, wird über die hohen Hürden für einen Interessenten berichtet,539 und in einem Kommentar ausführlich argumentiert, dass das ganze Verkaufsverfahren eine Farce sei, um gerade keinen Käufer zu finden.540 Hinsichtlich des zweiten Gutachtens der Monopolkommission nach Abschluss der Verkaufssondierungen wird klar herausgestellt, dass die Monopolkommission kein gutes Haar am Fusionsplan lasse. So sei das Kaufangebot des Bauer-Verlags für den Tagesspiegel durchaus ernst zu nehmen, und es drohe sonst die Gefahr, durch die Ministererlaubnis einen Präzedenzfall zu schaffen.541 Auch Oppositionsführerin Angela Merkel halte es für das schlechteste denkbare Signal für Deutschland, wenn die Presselandschaft der Hauptstadt nach den Vorstellungen der Bundesregierung geordnet werde.542 In einem Gastbeitrag bezieht auch der Rechtswissenschaftler Franz J. Säcker von der FU Berlin klar Position gegen die Ministererlaubnis, die unverhältnismäßig und zur Sicherung der Pressevielfalt ungeeignet sei. Die Ministererlaubnis sei nicht ultima ratio, sondern summa iniuria und sollte im Pressebereich ganz abgeschafft werden.543 Auch als die Vermutung aufkommt, dass Holtzbrinck nun auf eine Liberalisierung des Pressekartellrechts setze, wird nochmals betont, dass Axel Springer und alle Konkurrenten auf dem Berliner Markt, wie auch die CDU und die Grünen Fraktion im Bundestag gegen die Fusion protestiert hätten.544 Der Verkauf des Tagesspiegels an den Holtzbrinck Manager Gerckens wird dann als unsaubere Parklösung bis hin zu einer „lex holtzbrinck“ und als Strohmannge-

538 Müller, Uwe/Seel, Christian, Wer nimmt Holtzbrinck den Berliner „Tagesspiegel“ ab? – Experten sehen bis zu zehn Interessenten, Eine Frage des Preises, WELT 16. 05. 2003, S. 30. 539 Seel, Christian, Bauer, Ippen und SWMH wollen kaufen, Erste Bieter für den „Tagesspiegel“, WELT 16. 06. 2003, S. 30. 540 Bauschke, Christian, Die Farce um den „Tagesspiegel“ nimmt ihren Lauf, Es gibt keinen Käufer, weil es keinen Käufer geben darf, WELT 25. 06. 2003, S. 28. 541 Müller, Uwe/Seel, Christian, Monopolkommission gegen Zeitungsfusion, Ministererlaubnis höchst problematisch, WELT 02. 09. 2003, S. 30. 542 Verlage, Merkel: Ministererlaubnis wäre „das schlechteste Signal“, WELT 11. 09. 2003, S. 30. 543 Gastbeitrag, Der Fall „Tagesspiegel“/„Berliner Zeitung“ zeigt, dass bei der Pressefusionskontrolle die Ministererlaubnis abgeschafft werden sollte meint Franz J. Säcker, Ministererlaubnis, Keine Ultima Ratio, WELT 17. 09. 2003, S. 12. 544 Seel, Christian, „Berliner Zeitung“: Setzt Holtzbrinck auf eine Änderung des Kartellgesetzes?, WELT 24. 09. 2003, S. 30.

VI. Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003)

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schäft bewertet.545 Die geplante Liberalisierung des Pressefusionsrechts wird dabei in Gastbeiträgen von einer ganzen Reihe von Rechtswissenschaftlern, so Franz J. Säcker,546 Walter Schmitt Glaeser,547 Werner Möschel,548 und Ernst-Joachim Mestmäcker549 strikt abgelehnt, und als Gefahr für Pressefreiheit und Meinungsvielfalt gesehen. Einzig das ehemalige SPD Vorstandsmitglied Peter Glotz verteidigt die Liberalisierung der Pressefusionskontrolle, um so das Überleben der Zeitungen zu sichern, und spricht sich in diesem Zuge auch für die Fusion Tagesspiegel/Berliner Verlag aus.550 Mit dem Verkauf des Tagesspiegels an Pierre Gerckens wird der Antrag auf Ministererlaubnis zurückgenommen, so dass es nun nur noch um den erneuten Fusionsantrag zur Übernahme des Berliner Verlags durch Holtzbrinck geht. Auch dieser wird jedoch wiederum vom Bundeskartellamt untersagt,551 da keine nachhaltige Trennung des Tagesspiegels von Holtzbrinck gegeben sei.552 5. Die Ministererlaubnis Zu einer Entscheidung über den Antrag auf Ministererlaubnis ist es im Verfahren Tagesspiegel/Berliner Verlag nicht gekommen, da Holtzbrinck den Antrag nach dem Verkauf des Tagesspiegels an den ehemaligen Holtzbrinck-Manager Pierre Gerckens zurückgezogen hat. 6. Fazit Im Verfahren Tagesspiegel/Berliner Verlag zeigte sich – wie auch schon im Verfahren Burda/Springer – eine klare und nahezu einhellige Front im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung gegen die Erteilung der Ministerer545 Müller, Uwe/Seel, Christian, Eine „unsaubere Parklösung“: Holtzbrinck verkauft den „Tagesspiegel“ an einen lang gedienten Manager aus dem eigenen Haus, Salto mortale, WELT 30. 09. 2003, S. 30; Müller, Uwe/Seel, Christian, Reaktionen auf den „Tagesspiegel“-Verkauf, Ein Strohmann im Blätterwald, WELT 01. 10. 2003, S. 30. 546 Kartell-Experte Franz Jürgen Säcker über die Pläne der Bundesregierung zur Änderung der Pressefusionskontrolle, „Ein doppeltes Fiasko“, WELT 26. 09. 2003, S. 30. 547 Glaeser, Walter Schmitt, Debatte, Pressemonopole beschränken den geistigen Wettbewerb – sie müssen untersagt bleiben, Anschlag auf die Meinungsvielfalt, WELT 10. 10. 2003, S. 9. 548 Möschel, Werner, Debatte, Die Bundesregierung will Zeitungsfusionen vereinfachen. Die Folge: Monopol oder Zensur, Warum Meinungsvielfalt heilig ist, WELT 21. 11. 2003, S. 9. 549 Ernst-Joachim Mestmäcker über selbstständige redaktionelle Einheiten in Verlagskonzernen, Ein Irrweg der Pressefusionskontrolle, WELT 19. 12. 2003, S. 29. 550 Glotz, Peter, Debatte, Angesichts der Pressekrise muss die Fusion von Tageszeitungen erleichtert werden, Die Zitronen sind ausgepresst, WELT 04. 11. 2003, S. 9. 551 Holtzbrinck darf Berliner Verlag nicht übernehmen, WELT 05. 02. 2004, S. 30. 552 Riering, Burkhard/Seel, Christian, Vorentscheidung gegen Übernahme des Berliner Verlages – Clement will Fusion mit Auflagen erlauben, Holtzbrinck scheitert am Kartellamt, WELT 20. 12. 2003, S. 13.

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E. Empirische Untersuchung

laubnis. Im Kern der Argumentation der Gegner der Ministererlaubnis stand dabei der Schutz der Meinungsfreiheit und Pressevielfalt durch den Erhalt des Wettbewerbs auf dem Pressemarkt und die Verhinderung eines publizistischen Monopols. Die wenigen Befürworter der Ministererlaubnis waren hier fast ausnahmslos von Holtzbrinck mit Gutachten beauftragt worden, so dass sie letztlich nicht ins Gewicht fallen. Ebenfalls ähnlich wie im Verfahren Burda/Springer stellte sich das Problem, dass hier untersuchte Medien mittelbar mit Antragsstellern (ZEIT/Holtzbrinck) oder erklärten Gegnern (WELT/Springer) der Fusion verbunden waren. Während sich die ZEIT aus letztlich nicht ganz aufklärbaren Gründen fast gar nicht mit dem Ministererlaubnisverfahren beschäftigte, hielt sich die WELT mit einer eigenen Bewertung stark zurück, ließ aber vor allem Gegner der Fusion zu Wort kommen. Zugleich wurde in der FAZ gemutmaßt, dass der Holtzbrinck Konzern seine Pressemacht benutze, um die Bundesregierung wohlwollend zu stimmen. Wie schon das Verfahren Burda/Springer, zeigt dies die Manipulationsgefahren im Falle einer Betroffenheit der Presse in eigener Sache. Mit 207 näher relevanten Artikeln erfuhr das Verfahren Tagesspiegel/Berliner Verlag ebenfalls eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit, zumal die im Vergleich zu E.on/Ruhrgas etwas geringere Zahl vor allem durch die auffällige Zurückhaltung der ZEIT zu erklären ist. Das Verfahren Tagesspiegel/Berliner Verlag ist ein weiteres Beispiel für einen negativen Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, dass Gemeinwohlgründe für die Erteilung der Ministererlaubnis nicht vorliegen und lässt sich somit dem deliberativen Diskursmodell zuordnen. Eine konsensuale Konkretisierung des Gemeinwohls im hier untersuchten Ausschnitt des öffentlichen Diskurses gelang somit.

VII. Edeka/Tengelmann (2016) 1. Zeitleiste 01. 10. 2014 07. 10. 2014 07. 10. 2014 30. 10. 2014 04. 11. 2014 01. 04. 2015 29. 04. 2015 03. 08. 2015 16. 11. 2015 17. 03. 2016

Unterschrift des endverhandelten Kaufvertrags Beginn der Berichterstattung Telefonische Information des Bundeskartellamts über das Fusionsvorhaben durch die Antragssteller Einleitung des Fusionskontrollverfahrens durch das Bundeskartellamt von Amts wegen Anmeldung des Fusionsverfahrens beim Bundeskartellamt Entscheidung des Bundeskartellamts Antragsstellung Gutachten der Monopolkommission Anhörung im BMWi Ministererlaubnis

VII. Edeka/Tengelmann (2016) 12. 07. 2016 20. 09. 2016 31. 10. 2016

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Beschluss OLG Düsseldorf: Anordnung aufschiebende Wirkung der Beschwerden Beginn der Verhandlungen zwischen Edeka, Tengelmann und Rewe Einigung über Aufteilung Kaiser’s Filialen zwischen Edeka und Rewe gegen Rücknahme der Beschwerde durch Rewe

2. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Gegenstand der Entscheidung des Bundeskartellamts war die Übernahme des Lebensmitteleinzelhändlers Kaiser’s Tengelmann durch den Lebensmitteleinzelhändler Edeka. Das Bundeskartellamt kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es durch den Zusammenschluss zu einer erheblichen Behinderung effektiven Wettbewerbs in Berlin, München, Oberbayern und Nordrhein-Westfalen sowohl auf den Absatzmärkten, als auch auf den Beschaffungsmärkten kommen würde.553 Der Zusammenschluss war daher nach § 36 GWB zu untersagen. 3. Das Gutachten der Monopolkommission Die Antragssteller Edeka und Tengelmann führten in ihrem Antrag auf Ministererlaubnis als Gemeinwohlgründe die Entlastung der öffentlichen Haushalte durch höhere Steuereinnahmen, den Erhalt von jedenfalls 8000 Arbeitsplätzen durch die Gesamtübernahme von Tengelmann, den Schutz von Arbeitnehmerrechten, die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Lebensmitteleinzelhandels, sowie die Förderung der Nahversorgungsstrukturen, der regionalen Versorgungsketten und des Mittelstands an.554 Diese Argumente hielt die Monopolkommission in ihrem Gutachten für nicht stichhaltig. Gerade das Hauptargument der Arbeitsplatzsicherung greife nicht, da nur Vollbeschäftigung im öffentlichen Interesse liege, nicht aber die Sicherung von Arbeitsplätzen in einzelnen Unternehmen, und noch dazu der Arbeitsplatzerhalt nicht mit hinreichender Sicherheit erwiesen sei.555 Bei den übrigen angeführten Gemeinwohlvorteilen verneinte die Monopolkommission bereits deren Charakter als anerkennenswerte Gemeinwohlgründe.556 Auf Grund der Existenz zahlreicher alternativer Interessenten an Tengelmann zweifelte die Monopolkommission noch

553 BKartA, Edeka/Tengelmann, Rn. 1 – 5, abrufbar über die Entscheidungssammlung unter www.bundeskartellamt.de. 554 Monopolkommission, Edeka/Tengelmann, Sondergutachten 70, 2015, Rn. 83 – 96. 555 Monopolkommission, Edeka/Tengelmann, Sondergutachten 70, 2015, Rn. 227 – 228, 138 – 201. 556 Monopolkommission, Edeka/Tengelmann, Sondergutachten 70, 2015, Rn. 236 – 238, 213 – 217; hinsichtlich der Versorgungssicherheit hielt sie Engpässe für ausgeschlossen, ebenda, Rn. 207 – 212.

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E. Empirische Untersuchung

dazu die Erforderlichkeit der Fusion an.557 Die Monopolkommission empfahl, die Ministererlaubnis nicht zu erteilen.558 Nach Erteilung der Ministererlaubnis trat der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer aus Protest zurück.559 4. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf Mit Beschluss vom 12. 07. 2016 ordnete das Oberlandesgericht Düsseldorf die aufschiebende Wirkung der Beschwerden von Rewe und weiterer Edeka-Konkurrenten gegen die von Sigmar Gabriel erteilte Ministererlaubnis an. Seine vorläufige Überzeugung von der Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis stützte das Gericht darauf, dass gegen den Bundeswirtschaftsminister wegen „Geheimgesprächen“ mit den Antragstellern die Besorgnis der Befangenheit begründet sei.560 Noch dazu stelle die Sicherung der Arbeitnehmerrechte keinen Gemeinwohlbelang dar, da dies gegen die in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG garantierte negative Koalitionsfreiheit verstoße.561 Der Stellenabbau, der bei Edeka zu erwarten sei, stelle noch dazu den Gemeinwohlbelang der Arbeitsplatzsicherung in Frage.562 Auch seien die Nebenbestimmungen ungeeignet und zu unbestimmt, um die 16.000 Arbeitsplätze zu sichern, und stellten eine unzulässige laufende Verhaltenskontrolle dar.563 5. Ausschnittsweise Untersuchung der öffentlichen Meinung a) Der SPIEGEL Der SPIEGEL bezieht in seiner Berichterstattung über das Fusionsvorhaben Edeka/Tengelmann im Namen von Verbraucherschutz und Wettbewerb klar Position gegen die Erteilung der Ministererlaubnis für Edeka und Tengelmann. Bei der Untersagung der Fusion durch das Bundeskartellamt berichtet der SPIEGEL genau darüber, dass die wesentlichen Gründe hierfür die Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen in Berlin, NRW und München seien, und es laut dem Kartellamt genügend alternative Interessenten gegeben habe. Dabei hätte Edeka

557

Monopolkommission, Edeka/Tengelmann, Sondergutachten 70, 2015, Rn. 218 – 224. Monopolkommission, Edeka/Tengelmann, Sondergutachten 70, 2015, Rn. 225 – 226. 559 Vgl. zur Rücktrittserklärung Daniel Zimmers, WuW 2016, 262 – 263. 560 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart. 3/16 (V), juris, Tz. 44 – 78 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann. 561 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart. 3/16 (V), juris, Tz. 79 – 82 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann. 562 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart. 3/16 (V), juris, Tz. 83 – 91 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann. 563 OLG Düsseldorf, 12. 07. 2016, Az. Kart. 3/16 (V), juris, Tz. 92 – 107 – Ministererlaubnis Edeka/Tengelmann. 558

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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durchaus auch ein Teilpaket der Filialen übernehmen dürfen.564 Im nun gestellten Antrag auf Ministererlaubnis solle Sigmar Gabriel mit dem Argument der Rettung Tausender Arbeitsplätze überzeugt werden,565 wobei der SPIEGEL hervorhebt, dass auch bei einer Übernahme mit Arbeitsplatzverlusten zu rechnen sei.566 Ausführlich wird in diesem Kontext über die vom Konkurrenten Rewe bundesweit geschalteten ganzseitigen Anzeigen567 berichtet, in denen die Jobsicherung und Tarifbindung für alle Mitarbeiter bei einer Übernahme durch Rewe beworben werde. Laut SPIEGEL hätten sich Edeka und Rewe schon seit der Bekanntmachung des Übernahmeangebotes einen heftigen Kampf um die öffentliche Meinung geliefert.568 Wenige Tage später erfolgt die Meldung, dass Rewe mit 450 Millionen Euro sehr wohl ein ernsthaftes Angebot abgegeben habe, was Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub bisher stets bestritten habe.569 Mitte Juli 2015 wird Edeka dann in einer ausführlichen Reportage des SPIEGEL sehr negativ dargestellt. So würden systematisch die betriebliche Mitbestimmung ausgehebelt, Tarifverträge umgangen und unliebsame Mitarbeiter aus dem Unternehmen gedrängt. Der Antrag auf Ministererlaubnis enthalte Anekdoten, aber keine Argumente, und die Fusion diene auch nicht dem Gemeinwohl, sondern dem Geldbeutel des Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub. Auch bei einer Übernahme sei mit Stellenabbau zu rechnen, zumal sich der Markenverband über die entstehende Nachfragemacht beklage. Auch die Monopolkommission habe bisher nicht viele Argumente gefunden, und die öffentliche Meinung sei dabei zu kippen, da nach und nach herauskomme, dass Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub und Edeka-Chef Markus Mosa es mit der Wahrheit nicht so genau nähmen. Der Ärger bei Industrie, Gewerkschaften, Markenverband und Mitbewerbern sei groß.570

564 Wettbewerbshüter, Kartellamt verbietet Edeka Übernahme von Kaiser’s Tengelmann, SPIEGEL ONLINE 01. 04. 2015; Hecking, Mirjam/Clausen, Sven, Veto des Kartellamts, Edeka will Tengelmann-Übernahme durch Ministererlaubnis retten, SPIEGEL ONLINE 01. 04. 2015. 565 Ministererlaubnis beantragt, Edeka und Tengelmann wollen Fusion retten – mit Gabriels Hilfe, SPIEGEL ONLINE 29. 04. 2015. 566 Fusions-Antrag, Edeka und Kaiser’s Tengelmann warnen Gabriel vor Jobabbau, SPIEGEL ONLINE 21. 05. 2015. 567 Laut Auskunft der Pressestelle der Rewe Group vom 30. 05. 2017 wurde die hier wiedergegebene Anzeige im Juli 2015 in Bild, FAZ, WELT, SZ, Tagesspiegel, Handelsblatt und WAZ veröffentlicht. 568 Hecking, Mirjam, Kaiser’s Supermärkte, Rewe startet Frontalangriff auf Edeka, SPIEGEL ONLINE 09. 07. 2015. 569 Meldung Wirtschaft investigativ, Rewe bot 450 Millionen Euro, SPIEGEL 11. 07. 2015, S. 61. 570 Amann, Susanne/Kühn, Alexander, Super Image, super Bluff, Edeka inszeniert sich als harmloser Zusammenschluss kleiner Kaufleute, SPIEGEL 18. 07. 2015.

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E. Empirische Untersuchung

Quelle: REWE-Anzeige von Juli 2015, veröffentlicht in Bild, FAZ, WELT, SZ, Tagesspiegel, Handelsblatt und WAZ.

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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Anfang August 2015 erscheint dann das negative Gutachten der Monopolkommission, und der SPIEGEL urteilt nun, dass es unwahrscheinlich sei, dass sich Sigmar Gabriel hierüber hinwegsetzen werde.571 In einem Kommentar wird betont, dass die Monopolkommission zu Recht gegen den Deal sei, da er weder Verbrauchern noch Lieferanten diene, und schon gar nicht dem Gemeinwohl. Laut der Monopolkommission sei mit einer Arbeitsplatzsicherung nicht mit hinreichender Sicherheit zu rechnen, und auch weitere im Antrag genannte Gemeinwohlgründe seien entweder als solche nicht anzuerkennen oder nicht nachgewiesen.572 Als sich Rewe Anfang September bereit erklärt, auch nur Teile von Tengelmann zu übernehmen, wird darauf hingewiesen, dass dies Sigmar Gabriel die Untersagung erleichtere, da bisher für NRW bei einer Aufteilung kein Interessent vorhanden gewesen sei.573 Von der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium Mitte November 2015 wird berichtet, dass Ver.di vor betriebsbedingten Kündigungen warne, und die Betriebsräte München und Oberbayern davor warnten, dass viele kleine Filialen unter dem Dach von Edeka keine Chance hätten, wohingegen Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub und Edeka-Vorsitzender Markus Mosa in der Anhörung mit der Sicherung von 16.000 Arbeitsplätzen argumentierten.574 Als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dann Mitte Januar 2016 die Ministererlaubnis unter Auflagen in Aussicht stellt, kommentiert der SPIEGEL, dass die Auflagen zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Arbeitnehmerrechten so hart seien, dass Edeka eigentlich kein Interesse mehr haben könne.575 Die Konkurrenten Rewe und Migros fühlten sich hierbei laut SPIEGEL mit ihren Alternativ-Angeboten von Sigmar Gabriel übergangen.576 Rewe drohe mit einer Beschwerde gegen die Ministererlaubnis, da Alternativen nicht berücksichtigt worden seien, und die Auflagen nicht zur Sicherung der Arbeitsplätze geeignet seien,577 woraufhin Sigmar Gabriel Ende Februar 2016 die Auflagen noch einmal erhöht.578 Als Sigmar Gabriel Mitte März 2016 die Ministererlaubnis dann nach seiner eigenen Auffassung „mit strengen Auflagen“ für die Sicherung der Arbeits571 Gutachten für Ministererlaubnis, Monopolkommission rät von Edeka-TengelmannFusion ab, SPIEGEL ONLINE 03. 08. 2015. 572 Amann, Susanne, Tengelmann-Edeka-Deal vor dem Aus, Ende des Durchmarsches, SPIEGEL ONLINE 03. 08. 2015 (Kommentar). 573 Geplante Fusion mit Edeka: Rewe würde auch Teile von Tengelmann übernehmen, SPIEGEL ONLINE 03. 09. 2015. 574 Geplante Übernahme: Edeka und Tengelmann werben bei Gabriel für Fusion, SPIEGEL ONLINE 16. 11. 2015. 575 Amann, Susanne, Tengelmann-Übernahme: Gabriels Ja ist eigentlich ein Nein, SPIEGEL ONLINE 12. 01. 2016 (Kommentar). 576 Kaiser’s Tengelmann: Edeka-Rivalen über Gabriel verärgert, SPIEGEL 16. 01. 2016. 577 Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann, Rewe droht Gabriel mit Klage, SPIEGEL ONLINE 03. 02. 2016. 578 Geplante Tengelmann-Übernahme: Gabriel erhöht Hürden für Edeka, SPIEGEL ONLINE 23. 02. 2016.

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E. Empirische Untersuchung

plätze erteilt,579 stellt der SPIEGEL die Folgen für Angestellte, Lieferanten und Kunden aus verschiedenen Perspektiven in einem Artikel zusammen. So verspreche Gabriel keine höheren Preise für Verbraucher, da die Marktmacht bei den Lieferanten eingesetzt werde. Die Monopolkommission warne hingegen vor steigenden Preisen und weniger Auswahl. Sigmar Gabriel sage, dass die Jobs gesichert seien, während die Grünen vor Jobverlusten bei Lieferanten, Wettbewerbern und bei Edeka warnten, und der Bauernverband Preisdruck befürchte.580 Zu diesem Zeitpunkt tritt Daniel Zimmer, der Vorsitzende der Monopolkommission, aus Protest gegen die Ministererlaubnis, die aus seiner Sicht schlecht für Verbraucher und Wettbewerb sei, zurück.581 Dieser Rücktritt wird im SPIEGEL zunächst nicht näher behandelt. Zur Ministererlaubnis selbst wird aber klar Stellung bezogen. So sei diese irrational und widerspreche allen Warnungen von Bundeskartellamt, Monopolkommission und Verbraucherschützern. Der nun anstehende Rechtsstreit werde noch monate- und jahrelange Unsicherheit für die Mitarbeiter bedeuten. Drohende Arbeitsplatzverluste bei den Lieferanten habe Sigmar Gabriel überhaupt nicht berücksichtigt.582 Als die Ministererlaubnis dann im Juli durch das OLG Düsseldorf im einstweiligen Rechtsschutz gestoppt wird, kommentiert der SPIEGEL, dass dies ein weiterer schwerer Schlag für die Mitarbeiter, also für die kleinen Leute sei, als deren „Schutzengel“ Sigmar Gabriel so gerne auftrete. Der „Schutzengel“ Sigmar Gabriel sei jetzt abgestürzt und in der drohenden Hängepartie hingen die Mitarbeiter zwischen Himmel und Hölle.583 Ausführlich berichtet wird aber auch über die Zurückweisung der Befangenheitsvorwürfe des OLG durch Sigmar Gabriel, der sich darauf berufe, dass die Entscheidung in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen sei, und keine Geheimgespräche erfolgt seien. Auch weise er die Auslegung des OLG Düsseldorf, dass Arbeitnehmerrechte von der Verfassung nicht als Gemeinwohlgrund anerkannt seien, entschieden zurück.584 In einem größeren investigativen Artikel stellt der SPIEGEL diese Rechtfertigung Sigmar Gabriels jedoch grundlegend in Frage. So sei unklar, ob Sigmar Gabriel bei seiner Pressekonferenz die Wahrheit gesagt habe, da er das Rewe Angebot wohl einfach ignoriert 579 Ministererlaubnis: Edeka und Tengelmann dürfen nun wirklich fusionieren, SPIEGEL ONLINE 17. 03. 2016. 580 Schultz, Stefan, Fusion von Tengelmann und Edeka: Die Folgen für Angestellte, Lieferanten und Kunden, SPIEGEL ONLINE 17. 03. 2016. 581 Edeka-Tengelmann-Fusion: Chef der Monopolkommission tritt zurück, SPIEGEL ONLINE 17. 03. 2016. 582 Salden, Simone, Wider besseres Wissen, Gabriels Ministererlaubnis zu Gunsten Edekas ist irrational, SPIEGEL 19. 03. 2016. 583 Salden, Simone, Gestoppte Tengelmann-Übernahme, Gabriels Bruchlandung, SPIEGEL ONLINE 12. 07. 2016 (Kommentar). 584 Böcking, David, Gestoppte Übernahme, Gabriel attackiert Tengelmann-Richter, SPIEGEL ONLINE 13. 07. 2016; Fusion von Edeka und Tengelmann, Gabriel weist Vorwürfe zurück, SPIEGEL ONLINE 14. 07. 2016.

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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habe, und es in den Akten Anhaltspunkte für Geheimgespräche gebe. Aus Expertensicht sei ohnehin klar, dass die Fusion schlecht für Wettbewerb und Verbraucher sei. Sigmar Gabriel wird hier als „Monopoly-Minister“ bezeichnet, und darüber sinniert, ob es für ihn bald „Edeka“, also „Ende der Karriere“, heiße.585 In der weiteren Diskussion wird nun über die Kritik des Rechtswissenschaftlers und zurückgetretenen Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer berichtet, der die Ministererlaubnis für die schlechteste aller Varianten halte, und betone, dass sie sich mit dem Gemeinwohl nicht rechtfertigen lasse.586 Auch in einem Kommentar des SPIEGEL wird Sigmar Gabriel scharf für Wirtschaftspolitik nach „Gutsherrenart“ verurteilt. Die Sicherung von Arbeitsplätzen sei höchst fragwürdig, da einfach Edeka Filialen schließen könne. Die Monopolkommission sei mit Grund gegen die Fusion. Die Politik von Sigmar Gabriel helfe vor allem Tengelmann und Edeka, und sodann Ver.di, die durch die Auflagen Zugang zu Edeka erhielten. Letztlich handele es sich um Klientelpolitik.587 In einem weiteren Artikel wird betont, dass immer neue Vorwürfe gegen Sigmar Gabriel zu Tage träten, so weitere persönliche Treffen und die Nichtberücksichtigung von Einwänden aus dem Bundesarbeitsministerium. Die Grünen werfen ihm vor, sich nicht mit Verbraucher- und Bauernverbänden getroffen zu haben, und Alternativen nicht geprüft zu haben. Er habe als SPD-Vorsitzender und nicht als Wirtschaftsminister gehandelt.588 Nachdem der Schlagabtausch zwischen Sigmar Gabriel und dem OLG Düsseldorf im Juli und August 2016 die Berichterstattung beherrscht hat, beginnen im September 2016 die Rettungsbemühungen für Kaiser’s Tengelmann, um durch eine Kompromisslösung die von Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub angedrohte Zerschlagung zu verhindern.589 In dem Hin und Her der Verhandlungen erscheinen auf Grund der fast täglichen Neuigkeiten und dem schon durch die vorangegangene Berichterstattung geweckten Interesse der Öffentlichkeit nun fast täglich Meldungen über Fort- und Rückschritte.590 Zwischen diesen vielen Einzelmeldungen wird nun 585 Neubacher, Alexander/Salden, Simone, Unter Freunden, Interne Dokumente erhärten den Verdacht, dass es bei Wirtschaftsminister Gabriels Sondererlaubnis für die Fusion zweier Handelskonzerne nicht mit rechten Dingen zuging, SPIEGEL 16. 07. 2016. vgl. Salden, Simone/Traufetter, Gerald, Tengelmann-Übernahme, Gabriels geheime Treffen mit dem EdekaChef, SPIEGEL ONLINE 28. 07. 2016. 586 Bidder, Benjamin, Tengelmann-Übernahme, Kartellexperte zerpflückt Gabriels EdekaKurs, SPIEGEL ONLINE 30. 07. 2016. 587 Kaiser, Stefan, Edeka/Tengelmann, Gabriel macht Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart, SPIEGEL ONLINE 09. 08. 2016 (Kommentar). 588 Böcking, David, Gabriel und die Tengelmann-Übernahme, Das war’s noch nicht, SPIEGEL ONLINE 11. 08. 2016. 589 Hecking, Mirjam/Böcking, David, Fusionspläne: Warum der Tengelmann-Chef mit Stellenabbau droht, SPIEGEL ONLINE 12. 09. 2016. 590 Beispielhaft Supermarktfusion: Rewe-Chef will sich mit Tengelmann-Chef treffen, SPIEGEL ONLINE 17. 09. 2016; Ergebnisloses Krisentreffen: Steht Kaiser’s Tengelmann vor der Zerschlagung?, SPIEGEL ONLINE 23. 09. 2016; Deal mit Edeka, Rewe und Co.: Kaiser’s Tengelmann ist gerettet – oder?, SPIEGEL ONLINE 07. 10. 2016; Rettung gescheitert,

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E. Empirische Untersuchung

noch einmal auf den ehemaligen Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer verwiesen, der in der jetzigen Situation einen Verkauf an verschiedene Interessenten empfiehlt, der schnell zu bewerkstelligen wäre.591 Auch wird in einem weiteren Artikel hervorgehoben, dass an der Misere der Mitarbeiter der TengelmannChef Karl-Erivan Haub schuld sei, der sich zu sehr auf den Verkauf an Edeka festgelegt habe.592 Als die Verhandlungen eigentlich als gescheitert erscheinen und sich die beiden Parteien gegenseitig mit Schuldzuweisungen überziehen,593 werden, wie der SPIEGEL berichtet, Alt-Kanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup als Schlichter eingeschaltet.594 Unter deren Vermittlung kommt es schließlich zu einer Einigung, wonach Rewe im Gegenzug für die Rücknahme der Beschwerde gegen die Ministererlaubnis Kaiser’s Tengelmann Filialen in Berlin kaufen darf.595 b) Die ZEIT Im Vergleich zum SPIEGEL ist die Berichterstattung der ZEIT deutlich neutraler und ausgeglichener, wenn auch spätestens ab der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf auch hier sehr deutliche Kritik laut wird. Die Berichterstattung beginnt mit der Meldung des geplanten Verkaufs,596 an die sich die Nachricht von der Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamts anschließt, die mit ihren Gründen ausführlich dargestellt wird.597 Als dann von Edeka und Tengelmann der Antrag auf Ministererlaubnis gestellt wird, werden sowohl die Bedenken des Bundeskartellamts, als auch die von den beiden Unternehmen betonte Sicherung von 16.000 Arbeitsplätzen hervorgehoben.598 Als die Monopolkommission ihr Gutachten erstattet, hebt die ZEIT hervor, dass es unwahrscheinlich sei, dass Sigmar Gabriel anders entscheide. Laut der MonopolChef von Kaiser’s Tengelmann erwartet Verlust vieler Arbeitsplätze, SPIEGEL ONLINE 13. 10. 2016. 591 Übernahmen, Ex-Leiter der Monopolkommission rät zur Zerschlagung von Tengelmann, SPIEGEL ONLINE 21. 09. 2016. 592 Kröger, Michael, Gescheiterte Fusion von Kaiser’s Tengelmann, Schuld hat diesmal wirklich der Chef, SPIEGEL ONLINE 22. 09. 2016. 593 Bidder, Benjamin/Kaiser, Stefan/Salden, Simone, Rewe-Chef zum Tengelmann-Zoff, „Das ist eine Schweinerei“, SPIEGEL ONLINE 14. 10. 2016. 594 Verkauf an Edeka, Altkanzler Schröder soll Tengelmann-Streit schlichten, SPIEGEL ONLINE 25. 10. 2016. 595 Bidder, Benjamin, Gabriel verkündet Durchbruch, So soll Kaiser’s Tengelmann doch noch gerettet werden, SPIEGEL ONLINE 01. 11. 2016; Kaufvertrag, Aufteilung von Kaiser’s Tengelmann steht, SPIEGEL ONLINE 02. 12. 2016. 596 Tengelmann verkauft Supermärkte an Edeka, ZEIT ONLINE 07. 10. 2014. 597 Kartellamt untersagt Edeka Übernahme von Kaiser’s Tengelmann, ZEIT ONLINE 01. 04. 2015. 598 Tengelmann und Edeka beantragen Ministererlaubnis, ZEIT ONLINE 29. 04. 2015.

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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kommission sei es schon nicht sicher, ob überhaupt 5.700 Vollzeitstellen gesichert werden könnten, da auch bei der Fusion durch eine Restrukturierung mit Arbeitsplatzabbau zu rechnen sei.599 Mitte Dezember 2015 kommentiert die ZEIT dann, dass es bei Sigmar Gabriels Entscheidung formal zwar um Wettbewerbsrecht gehe, der Minister politisch jedoch Verbraucherinteressen gegen Arbeitsplätze abwägen müsse. In ihrem Gutachten habe die Monopolkommission Sigmar Gabriel an die Definition von Gemeinwohl erinnert. Zwar liege Vollbeschäftigung im öffentlichen Interesse, nicht jedoch der Erhalt von Arbeitsplätzen in bestimmten Unternehmen.600 Als Sigmar Gabriel schließlich bekannt gibt, die Fusion unter Auflagen genehmigen zu wollen,601 kommentiert die ZEIT, dass der Minister damit den Rest der Welt überstimmt habe. Politisch sei seine Entscheidung aber nachvollziehbar. So wirke er nicht wie ein „kalter Wettbewerbsfreak“, sondern wie jemand der es sich schwer mache und im Rahmen der Möglichkeiten um Arbeitsplätze kämpfe. Zwar nehme die Konzentration dadurch zu, das müsse aber nicht zwingend höhere Preise für die Kunden bedeuten.602 Zugleich wird aber auch in einem anderen Kommentar darauf hingewiesen, dass es für kleinere Unternehmen nun kaum noch möglich sei, in den Markt einzutreten, und nun die Preise steigen und die Auswahl abnehmen dürften.603 In einem weiteren Bericht unter dem Titel „Sein Wille geschehe“ wird sodann hervorgehoben, dass Edeka und Ver.di die Entscheidung Sigmar Gabriels lobten, Oxfam dahingegen Sigmar Gabriel vorwerfe, Profitinteressen über das Gemeinwohl zu stellen. Die ZEIT schreibt hierzu, dass die steigende Konzentration nicht zwingend höhere Preise bedeuten müsse, es aber gerade die Lieferanten durch einen Preisdruck nach unten besonders hart treffen werde.604 Als die Erlaubnis dann im März 2016 tatsächlich erteilt wird, hebt die ZEIT hervor, dass durch umfangreiche Nebenbestimmungen Arbeitsplätze und Arbeitnehmerrechte gesichert werden sollten.605 Der Rücktritt des Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer ruft sodann ein breites Echo hervor. So wird in einem langen Artikel hervorgehoben, dass Daniel Zimmer die Ministererlaubnis unter dem Aspekt des Gemeinwohls für die schlechteste aller Lösungen halte. Langfristig schade sie nicht nur Wettbewerb und Verbrauchern, sondern auch der Beschäftigung, da Edeka im eigenen Filialnetz einsparen dürfte. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) kritisiere ebenso wie der Deutsche 599

Monopolkommission spricht sich gegen Edeka-Tengelmann-Fusion aus, ZEIT ONLINE 03. 08. 2015. 600 Rohwetter, Marcus, Gabriels Märkte, Der Minister richtet über Edeka und Tengelmann, ZEIT 14. 12. 2015. 601 Gabriel genehmigt Fusion von Edeka und Tengelmann unter Auflagen, ZEIT ONLINE 12. 01. 2016. 602 Rohwetter, Marcus, Ein Mann weiß es besser, ZEIT ONLINE 12. 01. 2016. 603 Zacharakis, Zacharias, Höhere Preise, Weniger Auswahl, ZEIT ONLINE 12. 01. 2016. 604 Rohwetter, Marcus, Sein Wille geschehe, ZEIT 28. 01. 2016. 605 Gabriel genehmigt Fusion von Edeka und Tengelmann, ZEIT ONLINE 17. 03. 2016.

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E. Empirische Untersuchung

Bauernverband die zunehmende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, und auch Verbraucherschützer befürchteten Nachteile für die Kunden.606 In einem Interview wird Daniel Zimmer sodann Gelegenheit gegeben, seine Rücktrittsgründe darzulegen, und dieser betont, dass die Beschäftigung insgesamt wohl abnehmen werde und es wettbewerbskonforme Alternativen durch eine Aufteilung von Kaiser’s Tengelmann gegeben habe. Für Daniel Zimmer fehle insgesamt das Vertrauen in Markt und Wettbewerb, und das Verständnis dafür, dass der Wohlstand dem Wettbewerb zu verdanken sei.607 Als es dann im Mai 2016 zu einer Milchpreiskrise kommt, erinnert die ZEIT daran, dass das Bundeskartellamt und die Monopolkommission davor gewarnt hätten, dass durch die Fusion von Edeka und Tengelmann eine zu große Nachfragemacht entstehe, Sigmar Gabriel die Genehmigung aber trotzdem erteilt habe, um mehrere 1000 Arbeitsplätze zu erhalten.608 Am 12. Juli 2016 stoppt das Oberlandesgericht Düsseldorf sodann vorläufig die Ministererlaubnis, wobei die ZEIT die Gründe des OLG genau wiedergibt. Sigmar Gabriel bleibe trotzdem bei seiner Position, da es um die Existenz vieler tausend Beschäftigter und ihrer Familien gehe.609 In einem Kommentar werden die vom Gericht festgestellten Fehler Sigmar Gabriels noch einmal aufgezählt, und die Vermutung wird angestellt, dass Sigmar Gabriel trotz aller Bedenken im Vorfeld so gehandelt habe, um sich als Retter des Arbeitsmarkts zu stilisieren.610 In einem weiteren Artikel wird darüber berichtet, dass Sigmar Gabriel von Grünen, FDP und der CDU Mittelstandsvereinigung heftig kritisiert werde, und auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion von einem „Super-GAU“ für Sigmar Gabriel spreche. Einzig die Linke und die Gewerkschaften unterstützten Sigmar Gabriel.611 Auch in einem Kommentar für die Druckausgabe der ZEIT zwei Tage später werden die Gründe des OLG Düsseldorf nochmal ausführlich dargestellt, und als „eine Ohrfeige nach der anderen“ für Sigmar Gabriel bezeichnet. Offensichtlich sei Sigmar Gabriels Entscheidung politisch motiviert gewesen, um sich als Arbeitsplatzretter zu inszenieren. Nach der Entscheidung des OLG erscheine Sigmar Gabriel wie jemand der das Gesetz nicht richtig lesen könne, oder es absichtlich falsch interpretiert habe. Offensichtlich sei es darum gegangen ein starkes politisches Signal für die SPD zu setzen, obwohl bei der Ministererlaubnis streng wettbewerbsrechtliche Gründe anzuführen seien, und sie nur 606 Chef der Monopolkommission tritt aus Protest gegen Gabriel zurück, ZEIT ONLINE 17. 03. 2016. 607 Schieritz, Mark/Pinzler, Petra, „Völlig unplausibel“, Weil der Wirtschaftsminister Edeka große Zukäufe erlaubt, ist Daniel Zimmer als Chef der Monopolkommission zurückgetreten – und erklärt nun was dahintersteckt, ZEIT 23. 03. 2016. 608 Rohwetter, Marcus, Es gibt eben zu viel Milch! ZEIT ONLINE 30. 05. 2016; Rohwetter, Marcus, Zu viel bleibt zu viel, ZEIT 16. 06. 2016. 609 Gericht stoppt Tengelmann-Übernahme, ZEIT ONLINE 12. 07. 2016. 610 Zacharakis, Zacharias, Total verrannt, ZEIT ONLINE 12. 07. 2016 (Kommentar). 611 Caspari, Lisa, Gabriel in der Edeka-Falle, ZEIT ONLINE 12. 07. 2016.

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bei gesamtwirtschaftlichen Vorteilen oder einem überragenden Interesse der Allgemeinheit erteilt werden dürfe.612 In einem Gastbeitrag des Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlers Armin Steinbach wird das Vorgehen der Richter des OLG Düsseldorf jedoch auch scharf kritisiert. So hätten sie zu wenig Verständnis für die praktischen Notwendigkeiten eines derart komplexen Verfahrens, bei dem nicht jedes Gespräch unter Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten stattfinden könne. Die Bewertungsspielräume des Ministers seien verkannt worden, und eine Bevorzugung der Tarifbindung sei auch in anderen Bereichen üblich. Nicht zuletzt habe auch das Bundesverfassungsgericht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Ziel mit Verfassungsrang anerkannt. Das Gericht habe den Beurteilungsspielraum Sigmar Gabriels nicht genug berücksichtigt und solle sich besser zurückhalten.613 In einem Kommentar wird ausgeführt, dass über den Gehalt des Gemeinwohls seit Jahrhunderten von Philosophen diskutiert werde. Ein Sozialdemokrat werde hier traditionell zu anderen Ergebnissen kommen als ein Liberaler. Wenn nun die Richter sagten, dass die Tarifbindung nicht Teil des Gemeinwohls sei, begingen sie einen Fehler, denn selbst marktliberale Organisationen wie der IWF würden mittlerweile anerkennen, dass Gewerkschaften die Gleichheit innerhalb der Gesellschaft förderten und dies die Zukunftsfähigkeit erhöhe. Dass Marktliberale dies anders sähen, sei klar, aber die Gerichte müssten der Politik die Spielräume lassen, um Gewerkschaften zu fördern, denn wie sonst solle sich liberale noch von sozialdemokratischer Politik unterscheiden.614 In einer Reihe weiterer Artikel wird dann sowohl der Rechtfertigung Sigmar Gabriels615 als auch weiterer Kritik an seiner Entscheidung Raum gegeben.616 Ende August erscheint ein Gastbeitrag des Wirtschaftswissenschaftlers und TengelmannGutachters Justus Haucap, der die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes für zu simpel und wahrscheinlich falsch hält. Die Ministererlaubnis habe ihre Berechtigung, da die Abwägung zwischen verschiedenen politischen Zielen nur durch eine demokratisch legitimierte Institution erfolgen könne. Ohne Ministererlaubnis wäre der Druck von Lobby und Politik auf das Bundeskartellamt zu groß.617 Laut

612 Rohwetter, Marcus, Standpunkt: Ohrfeigen für Gabriel, Der SPD-Chef hat sich mit seiner Ministererlaubnis für die Tengelmann-Übernahme blamiert. Das war vorhersehbar, ZEIT 14. 07. 2016. 613 Steinbach, Armin, Kühne Richter, ZEIT ONLINE 14. 07. 2016. 614 Pinzler, Petra, Wo Gabriel aber recht hat, ZEIT ONLINE 19. 07. 2016. 615 Gabriel rechtfertigt sich für geheime Gespräche, ZEIT ONLINE 30. 07. 2016; Gabriel will Fusion juristisch durchsetzen, ZEIT ONLINE 08. 08. 2016. 616 Gabriel gibt weiteres Treffen mit Edeka zu, ZEIT ONLINE 28. 07. 2016; Gabriel soll Zweifel im eigenen Ministerium ignoriert haben, ZEIT ONLINE 11. 08. 2016. 617 Haucap, Justus, Hier ist Politik wirklich gefragt, ZEIT ONLINE 23. 08. 2016.

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einer weiteren Meldung von Anfang September 2016 verteidigt auch Ver.di-Chef Frank Bsirske die Ministererlaubnis.618 Ab Anfang September erfolgt dann eine intensive Berichterstattung über die Bemühungen der beteiligten Unternehmen, auf einem Gipfeltreffen zu einer Kompromisslösung zur Abwendung einer Zerschlagung zu gelangen.619 In mehreren Kommentaren wird eine Aufteilung der Märkte dabei als „salomonisches Urteil“ und als beste Lösung für die Beschäftigten bezeichnet,620 wobei eine rechtzeitige Aufteilung sogar noch mehr Jobs hätte retten können.621 Wie schon zuvor beim SPIEGEL dargestellt, ziehen sich die Verhandlungen über mehrere Monate dahin, und erst unter Vermittlung von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder kommt es zu einer Kompromisslösung.622 Die ZEIT gibt hierbei immer wieder Kritik von verschiedenen Seiten Raum, die betont, dass die Aufteilung zwischen den beiden Marktführern keine gute Lösung für den Wettbewerb sei.623 c) Die FAZ Die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Fusion EdekaTengelmann ist mit über 200 Artikeln extrem detailliert. Während die reine Ereignisberichterstattung hierbei ausgesprochen neutral bleibt und beide Seiten zu Wort kommen lässt, zeigt die Kommentierung eine klare und eindeutige Ablehnung der Fusion aus ordnungspolitischen Gründen. So werden noch vor der eigentlichen Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts schon dessen Bedenken im Blauen Brief an Edeka/Tengelmann dargestellt,624 und hierzu kommentiert, dass die Kunden nach einer Fusion noch weniger Auswahl hätten und die Nachfragemacht gegenüber den Lieferanten erdrückend 618

Jeder zweite Arbeitsplatz soll in Gefahr sein, ZEIT ONLINE 10. 09. 2016. Tengelmann droht Zerschlagung, ZEIT ONLINE 14. 09. 2016; Rewe fordert Aufteilung von Kaiser’s Tengelmann, ZEIT ONLINE 22. 09. 2016; Krisengipfel ohne Ergebnis, ZEIT ONLINE 22. 09. 2016; Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann vorerst gestoppt, ZEIT ONLINE 23. 09. 2016; Rewe darf laut Bericht zahlreiche Kaiser’s Filialen übernehmen, ZEIT ONLINE 09. 10. 2016; Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann beginnt nächste Woche, ZEIT ONLINE 13. 10. 2016. 620 Zacharakis, Zacharias, Viele profitieren, einer verliert, ZEIT ONLINE 23. 09. 2016 (Kommentar). 621 Brauns, Bastian, Und Amazon Fresh ist längst kampfbereit, ZEIT ONLINE 14. 10. 2016 (Kommentar). 622 Altkanzler Schröder soll für Supermarktkette schlichten, ZEIT ONLINE 24. 10. 2016; Edeka und Rewe legen Kaufvertrag für Kaiser’s Tengelmann vor, ZEIT ONLINE 02. 12. 2016. 623 Chef der Monopolkommission kritisiert Tengelmann-Schlichtung, ZEIT ONLINE 25. 10. 2016; Lauter, Rita/Endres, Alexandra, Was ist das für ein Deal, Tengelmann?, ZEIT ONLINE 01. 11. 2016; Tengelmann-Chef beklagt Millionenverluste durch zähe Verhandlungen, ZEIT ONLINE 16. 12. 2016. 624 Bündner, Helmut/Koch, Brigitte, Blauer Brief aus Bonn lässt Supermarkt-Verkauf stocken, Edeka und Tengelmann werden sich einiges einfallen lassen müssen, damit das Kartellamt seine Bedenken aufgibt, FAZ 18. 02. 2015, S. 24. 619

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wäre.625 Hier wird auch schon von Anfang an das Konkurrenzangebot von Rewe mit Weiterbeschäftigung aller Mitarbeiter und Erhalt der Arbeitnehmerrechte dargestellt.626 Die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts mit ihrem Abstellen auf regionale Märkte wird sodann ausführlich erläutert, und dabei herausgestellt, dass Edeka und Tengelmann es ausgeschlagen hätten, 170 kartellrechtlich unbedenkliche Standorte zu übernehmen. Intern habe Sigmar Gabriel schon angedeutet, dass er sich eine Ministererlaubnis vorstellen könne.627 Hierzu kommentiert die FAZ, dass Edeka schon sehr früh versucht habe, die Politik durch Schreckensszenarien mit ins Boot zu holen. Bei einer Fusion wäre jedoch in vielen Bereichen mit Preiserhöhungen zu rechnen, weshalb im Zweifel für den Wettbewerb und den Verbraucher zu entscheiden sei. Tengelmann habe viel Potential. Wenn auch eine Sanierung Stellen kosten möge, so drohe hier dennoch kein zweiter Fall Schlecker.628 Als Edeka und Tengelmann dann den Antrag auf Ministererlaubnis stellen, schreibt die FAZ, dass sich als Gemeinwohlgrund wohl allenfalls die Sicherung der 16.000 Arbeitsplätze anführen lasse, hier aber zu bedenken sei, dass es noch andere Interessenten wie Rewe gebe, die ebenfalls Arbeitsplatzerhalt zusicherten.629 Mitte Juni 2015 berichtet die FAZ dann darüber, dass nach internen Plänen Tengelmann vor dem Verkauf eine Reihe von Filialen und Fleischwerken schließen solle, und dafür von Edeka mehr Geld bekommen solle. Die Konkurrenz werfe Edeka und Tengelmann daher nun vor, ihre wahren Absichten zum Arbeitsplatzabbau zu verschleiern.630 Auch die FAZ fragt sich in einem Kommentar, ob das Argument der Arbeitsplatzsicherung etwa nur vorgeschoben sei, um die Ministererlaubnis zu erlangen.631 Auch die Tengelmann-Mitarbeiter selbst warnen in einem offenen Brief vor einer Entlassungswelle. Noch dazu gebe es bei Edeka keine Tarifbindung, so dass Lohnkürzungen und Erwerbsarmut zu befürchten seien. Die Belegschaft fordert daher, Kontakt mit weiteren Kaufinteressenten aufzunehmen, und zeigt sich besonders empört darüber, dass Edeka und Tengelmann dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundeskartellamt die Stellenstreichungen zur Last legen wollten, was nichts anderes als Erpressung sei.632 Zwei Wochen später warnt Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub dann vor einer Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann und dem Verlust von 8500 Arbeitsplätzen, 625

Koch, Brigitte, Gedränge im Handel, FAZ 18. 02. 2015, S. 24 (Kommentar). Rewe wirbt um Kaiser’s, Caparros macht Versprechen an die Arbeitnehmer, FAZ 19. 02. 2015, S. 22. 627 Edeka darf Tengelmann nicht kaufen, Aus der Fusion der Supermarktketten wird erst mal nichts, FAZ 02. 04. 2015, S. 17; vgl. Edeka darf Tengelmann nicht übernehmen, FAZ 02. 04. 2015, S. 1. 628 Bünder, Helmut, Im Zweifel für den Wettbewerb, FAZ 02. 04. 2015, S. 17 (Kommentar). 629 Edeka und Tengelmann bauen auf Minister Gabriel, FAZ 02. 05. 2015, S. 22. 630 Edeka will Entlassungen mit Geld belohnen, FAZ 13. 06. 2015, S. 19. 631 Bündner, Helmut, Geheimniskrämerei, FAZ 13. 06. 2015, S. 28 (Kommentar). 632 Tengelmann-Mitarbeiter gegen Verkauf an Edeka, FAZ 25. 06. 2015, S. 18. 626

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wenn die Ministererlaubnis nicht erteilt werde. Auch Rewe sei keine seriöse Alternative, da das Bundeskartellamt klar gemacht habe, dass es auch diesem Verkauf nicht zustimmen würde.633 Die FAZ kommentiert hierzu, dass sich Rewe und Edeka nun gegenseitig vorrechnen würden, wie viele Arbeitsplätze bewahrt und vernichtet würden. Wie sich das mit der Sanierung und Millionenverlusten vertrage, sei unklar und gleiche der Quadratur des Kreises.634 Als die Monopolkommission ihr Gutachten erstattet, wird dessen Inhalt in der FAZ detailliert dargestellt. Dabei wird insbesondere darauf hingewiesen, dass laut der Monopolkommission mit der Fusion kein dauerhafter Schutz von Arbeitsplätzen verbunden sei, sondern vielmehr sogar Schließungen geplant seien. Da es mehr als ein halbes Dutzend Bewerber für die Übernahme gebe, empfehle die Monopolkommission das Verkaufsverfahren neu zu eröffnen.635 In einem Interview legt auch der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer dar, dass Edeka lediglich betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen habe und ein Schutz der Stellen durch Wachstum von Edeka auf Kosten der anderen Anbieter gehe.636 Als Reaktion auf das Gutachten kommentiert auch die FAZ, dass höhere Preise nahezu sicher seien und die Beschäftigungsgarantien nur fadenscheinig wirkten, da Pläne für Jobabbau in den Schubladen lägen. Sigmar Gabriel solle sich daher an die Fakten halten und die sprächen gegen die Fusion.637 Ende August verspricht Edeka sodann Beschäftigungsgarantien über Betriebsvereinbarungen,638 die jedoch von Experten in Zweifel gezogen werden,639 und auch die Monopolkommission nicht überzeugen.640 In einem Kommentar hebt die FAZ hervor, dass viele Argumente von außen nicht nachprüfbar seien. Es komme daher entscheidend darauf an, dass Sigmar Gabriel im Interesse der Verbraucher und der Gesamtwirtschaft genau prüfe.641 Der Wettbewerbsrechtler Wernhard Möschel hingegen argumentiert in einem Gastbeitrag klar dafür, die Ministererlaubnis zu verweigern, da schon keine Arbeitsplätze gesichert würden und noch dazu Alternativerwerber zur Verfügung stün633

Tengelmann-Gruppe warnt vor Zerschlagung, FAZ 10. 07. 2015, S. 19. Bündner, Helmut, Großes Versprechen, FAZ 10. 07. 2015, S. 22 (Kommentar). 635 Bündner, Helmut, Monopolkommission lehnt Supermarkthochzeit ab, FAZ.NET 03. 08. 2015; vgl. Was Edeka mit Tengelmann wirklich vorhat, FAZ 04. 08. 2015, S. 18. 636 Im Gespräch: Daniel Zimmer, Vorsitzender der Monopolkommission zu Edeka und Tengelmann, „Der Minister müsste für die Fusion geradestehen“, FAZ 04. 08. 2015, S. 15. 637 Bündner, Helmut, Fadenscheinige Garantie, FAZ 04. 08. 2015, S. 15 (Kommentar). 638 Tengelmann verspricht Joberhalt, Um Supermarktfusion mit Edeka doch zu ermöglichen, FAZ 29. 08. 2015, S. 24. 639 Zweifel an Beschäftigungsgarantie von Edeka und Tengelmann, Experten stellen Betriebsvereinbarungen in Frage, FAZ 02. 09. 2015, S. 18. 640 Monopolkommission bleibt stur, Nein zur Übernahme von Kaiser’s Tengelmann, FAZ 05. 09. 2015, S. 26. 641 Koch, Brigitte, Warten auf Gabriel, FAZ 09. 09. 2015, S. 22 (Kommentar). 634

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den.642 Die beiden unmittelbar betroffenen Bundesländer Berlin und NRW legen sich in ihrer Stellungnahme hingegen nicht klar fest. NRW legt lediglich dar, dass Arbeitsplätze „wichtig“ seien und Sigmar Gabriel bestmöglich versuchen solle, sie zu sichern. Das Land Niedersachsen, in dem zwar keine Märkte liegen, dessen Bauern aber schlechtere Preise und Lieferkonditionen fürchten, spricht sich hingegen klar gegen die Erteilung der Ministererlaubnis aus.643 Obwohl der bayerische Bauernverband ebenfalls gegen die Erteilung der Erlaubnis ist, befürwortet der Freistaat Bayern dennoch die Ministererlaubnis, da die Fusion dem Gemeinwohl von allen Alternativen am besten entspreche, und eine Zerschlagung verhindere.644 Ver.di kritisiert dies harsch und sieht hinter dieser Stellungnahme Edeka-Lobbyisten am Werk.645 Auch die Grünen sind wegen der schon jetzt hohen Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel gegen die Fusion, und fordern, dass zukünftig der Bundestag über die Ausnahmeerlaubnis entscheiden solle.646 Kurz vor der Anhörung im BMWi macht sich die Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) für die Fusion stark, obwohl Berlin zuvor unentschieden war.647 Bei der Anhörung warnt sodann der Bundesverband der Verbraucherzentralen vor höheren Preisen und weniger Auswahl, der Bauernverband vor Preisdruck und Qualitätsverlust, und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten vor Arbeitsplatzverlusten.648 Die FAZ kommentiert, dass unklar sei, wie die 16.000 Arbeitsplätze gesichert werden sollten. Wachstum gehe nur auf Kosten der Konkurrenz, während zugleich höhere Preise, weniger Auswahl und mehr Druck auf Zulieferer drohten. Nicht einmal die Arbeitnehmervertreter seien für die Fusion. Gabriel solle daher schnell untersagen.649 Als Gabriel schließlich Mitte Januar 2016 die Ministererlaubnis unter Auflagen in Aussicht stellt, wird auf FAZ.NET in einem ausführlichen Artikel unter Wiedergabe der Kritik des Vorsitzenden der Monopolkommission Daniel Zimmer stark in Frage gestellt, ob die Auflagen überhaupt geeignet seien, die Arbeitsplätze wirklich zu sichern.650 Auch die CDU/CSU-Fraktion und der Deutsche Bauernverband hätten 642 Möschel, Wernhard, Standpunkt, Wettbewerbspolitik aus dem Komödienstadel, Warum Gabriel die Ministererlaubnis verweigern muss, FAZ 10. 09. 2015, S. 16. 643 Ein „Jein“ der Bundesländer zur Supermarktfusion, Nordrhein-Westfalen und Berlin bleiben vage, FAZ 11. 09. 2015, S. 18. 644 Bayern stimmt für Fusion von Edeka und Tengelmann, FAZ 16. 09. 2015, S. 21. 645 Bayern für die Supermarktfusion, Gewerkschaft Verdi sieht Edeka-Lobbyisten am Werk, FAZ 17. 09. 2015, S. 22. 646 Grüne: Bundestag sollte über Edeka-Fusion abstimmen, Gegen Ministererlaubnis für Übernahme der Kaiser’s Filialen, FAZ 14. 11. 2015, S. 26. 647 Edeka und Tengelmann ringen um Ministererlaubnis, FAZ 16. 11. 2015, S. 26. 648 Bünder, Helmut, Die letzte Runde im Supermarkt-Poker, Im Wirtschaftsministerium versprechen Edeka und Tengelmann 16000 Arbeitsplätze zu erhalten, FAZ 17. 11. 2015, S. 22. 649 Bünder, Helmut, Gabriels Machtwort, FAZ 17. 11. 2015, S. 22 (Kommentar). 650 Bünder, Helmut, Edeka übernimmt Tengelmann, Gabriels Fusionsauflagen stehen auf wackeligen Beinen, FAZ.NET 14. 01. 2016.

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trotz der Auflagen wenig Verständnis für die sich abzeichnende Ministererlaubnis.651 Auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) warne ausdrücklich vor den Folgen einer Ministererlaubnis für die Bauern.652 Anfang Februar macht auch Konkurrent Rewe noch einmal Druck gegen die Ministererlaubnis, und betont, dass durch sein verbindliches Angebot eine Alternative zum Erhalt der Arbeitsplätze vorliege, und dass Rewe bei Erteilung der Erlaubnis klagen werde.653 In einem Kommentar sieht die FAZ Ver.di als den großen Sieger der Fusion, da Ver.di so nun Zugang zum bisher betriebsratsfreien Edeka bekomme. Zugleich könne sich Sigmar Gabriel im Gewerkschaftslager als Kämpfer für Mitbestimmung profilieren.654 Als die Ministererlaubnis schließlich unter Auflagen erteilt wird, berichtet die FAZ auf Seite Eins, dass Auflagen den Erhalt von 16.000 Arbeitsplätzen für sieben Jahre garantieren sollten, Rewe Rechtsmittel angekündigt habe, und der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer aus Protest zurückgetreten sei, da es sich aus seiner Sicht um eine Fehlentscheidung zu Lasten des Wettbewerbs handele, ohne dass Gemeinwohlgründe vorlägen.655 Auf Kritik stößt die Entscheidung auch von Seiten der Grünen, von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), sowie dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union Ralph Brinkhaus, wohingegen der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union Michael Fuchs, sowie die Linkspartei die Entscheidung begrüßen.656 Den Rücktritt Daniel Zimmers kommentiert die FAZ damit, dass Sigmar Gabriels Entscheidung ein tiefes Misstrauen gegen Markt und Wettbewerb zeige. Daniel Zimmers Rücktritt sei konsequent, da bisher nur sehr selten eine Ministererlaubnis gegen das Votum der Monopolkommission erteilt worden sei. Sigmar Gabriel mache in seiner Rolle als SPDVorsitzender lieber mehr als weniger Politik, vor allem wenn ihm das die Unterstützung der Gewerkschaften bringe.657 Noch in einem weiteren Artikel wird Daniel Zimmer als Anwalt des Wettbewerbs gelobt, der darauf hinweise, dass es falsch sei, wenn die Politik den Wettbewerb schwäche.658 Sigmar Gabriels Argument der Arbeitsplatzsicherung wird in einem weiteren Kommentar als „Augenwischerei“ bezeichnet. Sigmar Gabriel lebe in einer ZweiKlassen-Gesellschaft und bevorzuge die Angestellten von Tengelmann, während die anderen schauen müssten, wo sie blieben. Edeka könne einfach in den eigenen Läden 651

Gabriel lässt Edeka dicke Kröten schlucken, FAZ 13. 01. 2016, S. 15. Agrarminister Schmidt warnt vor Fusion von Edeka und Kaiser’s, Niedrige Preise sind wichtiges Thema der „Grünen Woche“, FAZ 15. 01. 2016, S. 20. 653 Wegen Edeka und Tengelmann, Rewe droht Sigmar Gabriel, FAZ.NET 03. 02. 2016. 654 Bünder, Helmut, Gabriels leere Drohung, FAZ 24. 02. 2016, S. 15 (Kommentar). 655 Gabriel erlaubt Fusion der Supermärkte, FAZ 18. 03. 2016, S. 1. 656 Supermarktfusion macht mächtig Ärger, Gabriel erlaubt Edeka die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann, FAZ 18. 03. 2016, S. 19. 657 Bünder, Helmut, Zimmers Paukenschlag, FAZ 18. 03. 2016, S. 19 (Kommentar). 658 Angriff auf den Minister – der Anwalt des Wettbewerbs, FAZ 18. 03. 2016, S. 26. 652

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Stellen abbauen, während Sigmar Gabriel die Sympathie der Gewerkschaften bekomme und seine innerparteiliche Position verbessere.659 Auch die Monopolkommission bekräftigt ihre Kritik, während die FAZ zugleich aber auch hervorhebt, dass es auch Wettbewerbsökonomen gebe, die die Fusion nicht kritisch sähen, wie etwa Justus Haucap.660 Sigmar Gabriel hingegen verteidigt seine Entscheidung und verweist darauf, dass sich im Verfahren alle, auch die Monopolkommission, darüber einig gewesen seien, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen ein schützenswerter Gemeinwohlgrund sei.661 Der neue Vorsitzende der Monopolkommission Achim Wambach kritisiert jedoch, dass zwar die Vollbeschäftigung ein Gemeinwohlziel sei, nicht aber die Arbeitsplätze in einem bestimmten Unternehmen.662 Auch der Konkurrent Norma kritisiert Sigmar Gabriel scharf dafür, eine einmalige Chance zur Vereinbarung von Wettbewerbsrecht und Arbeitssicherung verpasst zu haben.663 Im Kontext der Milchpreiskrise im Mai wird Sigmar Gabriel sowohl aus den Reihen der Union als auch der Grünen scharf dafür kritisiert, dass die Ministererlaubnis im ohnehin schon hoch konzentrierten Einzelhandel eine fatale Entscheidung gewesen sei.664 Als dann im Juli das Oberlandesgericht Düsseldorf die Ministererlaubnis vorzeitig stoppt, bezeichnet auch die FAZ diese Entscheidung als „Ohrfeige für Gabriel“, und stellt zugleich die Gründe der Entscheidung genau dar.665 Zugleich werden auch die Argumente, die Sigmar Gabriel zu seiner Verteidigung anführt, ausführlich dargestellt. Sigmar Gabriel kritisiert hier vor allem falsche Tatsachenbehauptungen des Gerichts, sowie die Auslegung des Grundgesetzes durch das OLG Düsseldorf, wonach der Schutz von Arbeitnehmerrechten kein legitimer Gemeinwohlgrund sei, was er klar zurückweist.666 In einem Kommentar wird die Entscheidung des Gerichts als „Gabriels Niederlage“ bezeichnet. Nach dem „Nein“ der Monopolkommission hätten einige Herren mit dem Kopf durch die Wand gewollt, und nun seien die Scherben aufzukehren.667 Auch in einem weiteren Kommentar wird geschrieben, dass Sigmar Gabriel nach 659 Bünder, Helmut, Gabriels Zwei-Klassen-Gesellschaft, FAZ 19. 03. 2016, S. 19 (Kommentar). 660 Supermarktfusion erhitzt die Gemüter, Monopolkommission legt mit Kritik an Minister Gabriel nach/Sorge um neue Preisabsprachen, FAZ 19. 03. 2016, S. 19. 661 Gabriel verteidigt Fusionsentscheidung, FAZ 21. 03. 2016, S. 17. 662 Neue Kritik an Gabriel, FAZ 29. 03. 2016, S. 19. 663 Norma klagt gegen die Supermarktfusion, FAZ 23. 04. 2016, S. 27. 664 Der Milchpreis fällt auf 19 Cent, Bauern sollen bis zu 100 Millionen Euro bekommen, FAZ 17. 05. 2016, S. 19; Ist Gabriel mitschuldig an Milchpreiskrise? FAZ 18. 05. 2016, S. 17. 665 Ohrfeige für Gabriel, Gericht stoppt Supermarkt-Fusion, FAZ.NET 12. 07. 2016; Eine Ohrfeige für Sigmar Gabriel, Das OLG Düsseldorf hat die Ministererlaubnis für die Supermarktfusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann vorerst gestoppt, FAZ 13. 07. 2016, S. 15. 666 Edeka-Tengelmann-Übernahme, Gabriel wirft Richtern falsche Behauptungen vor, FAZ.NET 13. 07. 2016. 667 Koch, Brigitte, Gabriels Niederlage, FAZ 13. 07. 2016, S. 15 (Kommentar).

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dem Motto gehandelt habe, dass er trotz Kritik der „hohen Herren“ Arbeitsplätze rette, was ihm jetzt auf die Füße falle.668 Sigmar Gabriel unterbricht sodann sogar seinen Sommerurlaub, um den Vorwurf der Befangenheit zurückzuweisen. Der Rechtswissenschaftler Rupprecht Podszun wird hierzu damit zitiert, dass Sigmar Gabriel nicht begriffen habe, dass er als Kartellbehörde in einem förmlichen Verfahren handele, und nicht als Politiker.669 In einem weiteren Kommentar wird nun die Frage aufgeworfen, ob Sigmar Gabriel den Gewerkschaften auf den Leim gegangen sei, und das Gewerkschaftsinteresse mit dem Gemeinwohl verwechselt habe. Wenn ein Händler wachse, so schrumpfe der andere, so dass man sich fragen müsse, ob Sigmar Gabriel die einen Mitarbeiter mehr wert seien als die anderen.670 Wie auch in den anderen Medien erscheinen in der Folgezeit nun eine ganze Reihe von Artikeln zum Schlagabtausch zwischen Sigmar Gabriel, Rewe und dem Oberlandesgericht Düsseldorf.671 In einigen Artikeln werden nun noch einmal gesondert Versäumnisse, Fehler und das Scheitern von Sigmar Gabriel hervorgehoben.672 In einem Gastbeitrag erläutert der zurückgetretene Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer, dass das Hauptproblem an der Entscheidung Sigmar Gabriels nicht die Besorgnis der Befangenheit sei, sondern das Fehlen von Gemeinwohlgründen. Besser sei ein regional differenzierter Verkauf der Filialen.673 Als Sigmar Gabriel Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG einlegt, begründet er dies öffentlich damit, dass es eine komische Vorstellung sei, dass sich der Wirtschaftsminister in dem, was er tue, immer nur am Wettbewerb, und nicht auch an der sozialen Sicherheit orientiere. Er sei in dem, was er tue, „immer Sozialdemokrat“.674 Hier stellt sich nun auch CSU-Rechtsexperte und MdB 668

Mihm, Andreas/Sattar, Majid, Das hat er sich erlaubt, Wie eine Ministererlaubnis für Gabriel zur Falle wird, FAZ 13. 07. 2016, S. 3. 669 Gabriel greift Richter im Fall Tengelmann an, Der Wirtschaftsminister unterbricht seinen Urlaub, um dem Gericht Fehler in der Entscheidung zur geplanten Fusion von Tengelmann und Edeka vorzuwerfen, FAZ 14. 07. 2016, S. 17. 670 Steitzner, Holger, Gabriels Selbstmontage, FAZ 15. 07. 2016, S. 17 (Kommentar). 671 Vgl. Schwenn, Kerstin/Wieduwilt, Hendrik, Wer lügt: Minister Gabriel, Rewe oder das Gericht? FAZ 15. 07. 2016, S. 26; Gabriel verteidigt Erlaubnis für Supermarktfusion, FAZ.NET 22. 07. 2016; Neue Vorwürfe gegen Gabriel im Edeka-Verfahren, FAZ 22. 07. 2016, S. 17; Gabriel will Akten zur Ministererlaubnis offenlegen, FAZ 23. 07. 2016, S. 18; Gabriel bestreitet Vorwurf der Salamitaktik, FAZ 30. 07. 2016, S. 17; Gabriel wehrt sich gegen OLG Entscheidung, FAZ 08. 08. 2016, S. 1. 672 Gabriel ignorierte Bedenken von Mitarbeitern, FAZ 16. 07. 2016, S. 4; Bollmann, Ralph, Die falsche Wahl, Als Wirtschaftsminister wollte Sigmar Gabriel Kapital und Arbeit versöhnen, Damit ist er gescheitert, FAZ 17. 07. 2016, S. 27; Bünder, Helmut, Minister in der Ecke, FAZ.NET 22. 07. 2016. 673 Zimmer, Daniel, Standpunkt, Es geht nicht bloß um Befangenheit, Die entscheidende Frage im Edeka-Fall liegt woanders, FAZ 03. 08. 2016, S. 16. 674 Supermarkt-Fusion, Gabriel geht juristisch gegen Edeka-Tengelmann-Entscheid vor, FAZ.NET 07. 08. 2016.

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Hans-Peter Uhl hinter Sigmar Gabriel. Dieser habe sich richtig entschieden und die Arbeitsplätze gerettet. Es sei problematisch, wenn die Richter Verfahrensregeln aufstellten, die eine Gemeinwohlentscheidung unmöglich machten und das Gesetz aushebelten.675 In einem Bericht hebt die FAZ Anfang August dann auch gesondert hervor, dass Sigmar Gabriel ernsthafte Zweifel aus seinem eigenen Haus sowie aus dem Bundesarbeitsministerium ignoriert habe.676 Dies kommentiert die FAZ damit, dass Sigmar Gabriel sich über alle Bedenken hinweg gesetzt habe, und als Parteivorsitzender in Umfragen denke und als Retterfigur auftreten möchte.677 Mitte August wird sodann ein Leserbrief des Rechtswissenschaftlers HermannJosef Bunte abgedruckt, der scharf kritisiert, wie dreist sich Sigmar Gabriel über Alternativen hinweggesetzt habe. Seiner Ansicht nach habe es wohl noch kein Ministererlaubnisverfahren gegeben, in dem mit einem vorgefassten Ergebnis derart gegen die Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen worden sei. Allein die Erklärung des Tengelmann-Chefs Karl-Erivan Haub, nur an Edeka verkaufen zu wollen, habe genügt um Alternativen auszuschließen.678 In einem anderen Kommentar wird dann die Ministererlaubnis auch verteidigt. Selbst wenn Sigmar Gabriels Argumente dünn sein mögen, so habe er doch einen weiten Einschätzungsspielraum und die Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und die Abwägung zwischen Wettbewerbsbeschränkung und Gemeinwohl seien der gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Eine Abschaffung der Ministererlaubnis würde bloß den Druck auf das Bundeskartellamt erhöhen, und auch in Zukunft werde es legitime Gemeinwohlgründe für eine Erlaubnis geben.679 Ab Anfang September beginnen dann die Meldungen über eine drohende Zerschlagung Tengelmanns und einen damit verbundenen massiven Stellenabbau.680 Im Anschluss hieran beginnt eine umfangreiche und detaillierte Berichterstattung über die verschiedenen Treffen zur Abwendung der Zerschlagung von Tengelmann.681 Dabei wird in einem Kommentar wiederum hervorgehoben, dass eine Aufteilung Tengelmanns unter mehrere Händler für Verbraucher und Wettbewerb deutlich besser gewesen wäre als die jetzige Beschwerderücknahme gegen Gegenleistun675

CSU fordert Klärung zur Ministererlaubnis, FAZ 10. 08. 2016, S. 21. Gabriel überging Zweifel aus dem eigenen Haus, FAZ 11. 08. 2016, S. 19. 677 Wieduwilt, Hendrik, Vorsitzendenerlaubnis, FAZ 12. 08. 2016, S. 19 (Kommentar). 678 Bunte, Hermann-Josef, Briefe an die Herausgeber, Ministererlaubnis – ein Pflichtverstoß, FAZ 18. 08. 2016, S. 16. 679 Schwenn, Kerstin, Finger weg von der Ministererlaubnis, FAZ 19. 08. 2016, S. 19. 680 Tausende Stellen bei Tengelmann gefährdet, FAZ 12. 09. 2016, S. 20; TengelmannMitarbeiter kämpfen gegen Jobverlust, FAZ.NET 19. 09. 2016. 681 Treffen zur Zukunft von Kaiser’s, Edeka und Tengelmann suchen das Gespräch mit Rewe, FAZ 21.09. 2016, S. 24; Zerschlagung von Tengelmann vorerst gestoppt, FAZ 24. 09. 2016, S. 1; Schwarzer-Peter-Spiel um Tengelmann, FAZ 01. 10. 2016, S. 28; Durchbruch beim Krisengipfel, Tengelmann-Rettung in letzter Sekunde greifbar, FAZ.NET 06. 10. 2016. 676

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E. Empirische Untersuchung

gen.682 Auch der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission und Rechtswissenschaftler Daniel Zimmer warnt hier einmal mehr vor einem „Kartell der Mächtigen“, die den Markt zu Lasten der Verbraucher unter sich aufteilen.683 Als die Verhandlungen dann Mitte Oktober doch gescheitert zu sein scheinen,684 kommt es zu scharfen gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Edeka und Rewe, in denen Rewe-Chef Alain Caparros das Ganze Prozedere als eine „Schweinerei“ und einen „Testosteronkrieg der Häuptlinge“ bezeichnet.685 Von Seiten des neuen Vorsitzenden der Monopolkommission Achim Wambach und des Rechtswissenschaftlers und des Mitglieds der Monopolkommission Jürgen Kühling erfolgt in einem Gastbeitrag nun auch scharfe Kritik an den Rettungsverhandlungen an sich, da sie die Wettbewerber an einen Tisch riefen, was normalerweise die Kartellbehörden auf den Plan riefe. Schon dass Edeka bereit sei, Ausgleichszahlungen zu leisten, zeige, dass Edeka wohl von der Rechtswidrigkeit der Ministererlaubnis ausgehe.686 Im drohenden Scheitern der Verhandlung schaltet sich nun Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, und drängt auf eine Einigung zwischen den Supermarktchefs.687 Norma und Markant nehmen schließlich ihre Beschwerden zurück,688 und unter der Vermittlung von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder kommt es schließlich auch zu einer Einigung zwischen Edeka und Rewe.689 In zwei Kommentaren verurteilt die FAZ diese Einigung scharf. Für die Mitarbeiter möge die Einigung zwar gut sein, für den Wettbewerb sei es aber ein schwerer Rückschlag, wenn zwei Marktführer „unter Aufsicht älterer Politprominenz“ den Markt unter sich aufteilten und dabei eine rechtswidrige Ministererlaubnis in Kraft setzten. Es hätte genügend Alternativen gegeben.690 Die SPD werde es für sich zu nutzen wissen, dass Sigmar Gabriel den Mitarbeitern ein „gutes Weihnachtsfest“ beschert habe, währen die Verlierer unbekannt seien. Möglicherweise würden andere Mitarbeiter entlassen werden, die Preise steigen und der Wettbewerb ausgebremst.691 682

Koch, Brigitte, Großes Feilschen, FAZ 08. 10. 2016, S. 28 (Kommentar). Bünder, Helmut/Koch, Brigitte, Neue Stolpersteine für die Supermarktfusion, Der frühere Chef der Monopolkommission warnt vor einem „Kartell der Mächtigen“, FAZ 13. 10. 2016, S. 22. 684 Kaiser’s Tengelmann wird zerschlagen, FAZ 14. 10. 2016, S. 1, 15. 685 „Eine Schweinerei“, Der Streit um die Tengelmann-Supermärkte wird giftig, FAZ 16. 10. 2016, S. 1. 686 Kühling, Jürgen/Wambach, Achim, Standpunkt, Gegen den Abkauf von Wettbewerb, FAZ 17. 10. 2016, S. 17. 687 Merkel dringt auf Einigung unter Supermarkt-Chefs, Ausverkauf von Kaiser’sTengelmann-Filialen beginnt, FAZ 18. 10. 2016, S. 22. 688 Norma nicht mehr gegen Edeka, Neue Chance für Kaiser’s Tengelmann? FAZ.NET 20. 10. 2016. 689 Schröder wird Schlichter für Tengelmann, FAZ 25. 10. 2016, S. 1; Einigung mit Rewe, „Die Tengelmann-Mitarbeiter können Weihnachten ohne Angst feiern“, FAZ.NET 31. 10. 2016; Einigung im Fall Tengelmann, FAZ 01. 11. 2016, S. 15. 690 Koch, Brigitte, Großes Kino, FAZ 01. 11. 2016, S. 22 (Kommentar). 691 Göbel, Heike, Unsozialer Kompromiss, FAZ 02. 11. 2016, S. 1 (Kommentar). 683

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Als sich Rewe und Edeka schließlich auch noch über die Filialen einigen, die Rewe erhalten soll,692 kommentiert die FAZ, dass unwirtschaftliche Arbeitsplätze durch Absprachen im Hinterzimmer nicht rentabel würden, und man nicht wisse, wer jetzt um seinen Arbeitsplatz bangen müsse.693 Neben den vielen Gewinnern gebe es auch viele Verlierer, nämlich die Verbraucher und die Mitarbeiter ohne Jobgarantie. Sieger seien hingegen Rewe, Edeka, Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, die 15.000 Mitarbeiter mit sicheren Arbeitsplätzen, sowie Sigmar Gabriel, der sich als Retter feiern lasse.694 Nachdem der Vertrag unterschrieben ist,695 hebt die FAZ noch hervor, dass das Bundeskartellamt nur zähneknirschend mitgemacht habe, und dafür gesorgt habe, dass Rewe nur dort Tengelmann Filialen übernehmen dürfe, wo Rewe danach nicht den Markt beherrsche.696 Dennoch erwarte das Bundeskartellamt nach der Tengelmann-Übernahme steigende Preise.697 d) Die WELT Die Ereignisberichterstattung der WELT ist relativ neutral und ausgeglichen, sie bezieht aber in den Kommentaren eine sehr klare Position gegen die Fusion und insbesondere auch gegen das Verhalten Sigmar Gabriels. Schon als die Verkaufspläne von Tengelmann an Edeka bekannt werden,698 kommentiert die WELT, dass eine große Verhandlungsmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf den ersten Blick gut für den Verbraucher sei, da dann mit den Lieferanten niedrige Preise ausgehandelt und an die Verbraucher weitergegeben werden könnten. Das Bundeskartellamt befürchte jedoch ein Oligopol und in der Tat bestehe die Gefahr, dass die Gewinne irgendwann nicht mehr an die Verbraucher weitergegeben würden, sondern in die eigene Tasche wanderten. Es gehe aber auch um 16.000 Arbeitsplätze.699

692 Einigung zwischen Rewe und Edeka, FAZ 19. 11. 2016, S. 1; Bünder, Helmut/Koch, Brigitte, Edeka und Rewe sind sich fast handelseinig, Die Handelskonzerne teilen Berlin unter sich auf, FAZ 19. 11. 2016, S. 30. 693 Koch, Brigitte, Trügerische Ruhe, FAZ 19. 11. 2016, S. 30 (Kommentar). 694 Bünder, Helmut, Nicht nur Sieger, FAZ 03. 12. 2016, S. 19 (Kommentar). 695 Vertrag zwischen Edeka und Rewe, Abgabe der Kaiser’s-Filialen ist endgültig, FAZ 09. 12. 2016, S. 21. 696 Bünder, Helmut/Koch, Brigitte, Das Ende eines dramatischen Kampfes, Die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann ist Geschichte, FAZ 02. 01. 2017, S. 21. 697 Kartellamt erwartet nach Tengelmann-Übernahme steigende Preise, FAZ.NET 02. 01. 2017. 698 Gassmann, Michael, Tengelmann verabschiedet sich von seinen Supermärkten, Kaiser’s geht an Edeka, Filialen schreiben schon lange Verluste, Kartellamt sieht Pläne kritisch und warnt vor zu viel Konzentration, WELT 08. 10. 2014, S. 9. 699 Gassmann, Michael, Ein kniffliger Fall, WELT 08. 10. 2014, S. 9 (Kommentar).

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E. Empirische Untersuchung

Als das Bundeskartellamt erhebliche Bedenken wegen der Konzentration in München und Berlin anmeldet, wird hierüber ausführlich berichtet.700 Auch über das Konkurrenzangebot von Rewe mit der Zusicherung der flächendeckenden Garantie von Betriebsräten erscheint ein Artikel, wobei darauf hingewiesen wird, dass Rewe in der Sicht des Bundeskartellamts kaum besser sei als Edeka.701 Als das Bundeskartellamt die Fusion schließlich wegen der zu starken Konzentration untersagt, wird auch hierüber ausführlich berichtet, und insbesondere darauf hingewiesen, dass laut Kartellamtspräsident Andreas Mundt schon frühzeitig alternative Lösungswege aufgezeigt worden seien. Rewe-Chef Alain Caparros warne nun davor, dass die Politik in Geiselhaft genommen werde wie bei Schlecker.702 Anfang Juli erscheint dann ein langer Bericht über die Drohung Tengelmanns, Kaiser’s zu zerschlagen, wenn dem Antrag auf Ministererlaubnis nicht nachgekommen werde, so dass bis zu 8500 Menschen ihren Job verlieren könnten. Ausgeschlossen scheine jedoch ein Wechsel des Fusionspartners, obwohl Rewe bundesweit ganzseitige Anzeigen – so auch in der WELT – geschaltet habe, und umfassende Garantien für die Mitarbeiter ausgesprochen habe. Ver.di kritisiere, dass Edeka bisher keine solchen Garantien ausgesprochen habe, während TengelmannChef Karl-Erivan Haub das Rewe-Angebot als unseriös bezeichne, da das Bundeskartellamt auch einen Verkauf an Rewe nicht genehmigen würde.703 Beim Bericht über das negative Gutachten der Monopolkommission hebt die WELT hervor, dass auch die Monopolkommission Rewe ins Spiel bringe, betont aber, dass auch hier wettbewerbliche Bedenken bestünden, durch Zusagen Rewes an das Bundeskartellamt eine Erlaubnis aber ermöglicht werden könnte. Sigmar Gabriel stehe jetzt vor der schweren Entscheidung sich entweder für marktwirtschaftliche Prinzipien zu entscheiden, oder sich als Arbeitsplatzretter zu profilieren, was gerade bei der SPD-Klientel gut ankommen könnte. Der Chef der Monopolkommission Daniel Zimmer befürchte aber ohnehin, dass bei Edeka Doppelstrukturen abgebaut würden, so dass die Arbeitsplatzsicherung gar nicht garantiert sei und es auch unsicher sei, ob die betriebliche Mitbestimmung erhalten bleibe.704 700 Gassmann, Michael, Edekas Kaiser’s-Übernahme droht zu scheitern, Bundeskartellamt stellt sich quer, Es befürchtet Mangel an Wettbewerb in München und Berlin, WELT 18. 02. 2015, S. 10. 701 Gassmann, Michael, Rewe stichelt gegen Edeka, Die Kölner signalisieren ebenfalls Interesse an Tengelmanns Supermärkten, WELT 19. 02. 2015, S. 10. 702 Dierig, Carsten, Edeka bleibt ohne Kaiser’s, Kartellamt verbietet die umstrittene Übernahme, Handelskonzerne prüfen Einspruch, WELT 02. 04. 2015, S. 9. 703 Dierig, Carsten, Tengelmann droht mit der Zerschlagung von Kaiser’s, Ohne Ministererlaubnis für die Fusion mit Edeka soll die Supermarktkette abgewickelt werden – 8500 Jobs in Gefahr, WELT 10. 07. 2015, S. 9. 704 Gassmann, Michael, Monopolkommission bringt Rewe mit ins Spiel, Wettbewerbsexperten haben Wirtschaftsminister Gabriel empfohlen die Übernahme der Kaiser’s-Filialen durch Edeka nicht zu gestatten. Sie schlagen sogar eine Alternative vor, WELT 04. 08. 2015, S. 10.

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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Anfang September 2015 steht bei Tengelmann dann aber fest, dass Kaiser’s zerschlagen werden soll, falls die Ministererlaubnis nicht erteilt wird.705 In einem Kommentar wird dann die Frage aufgeworfen, ob Sigmar Gabriel aus abstrakten ordnungspolitischen Gründen 16.000 Jobs gefährden dürfe, und dies vehement bejaht. So würden gar nicht alle Jobs untergehen, da auch Rewe und andere interessiert seien, und auch Edeka würde nach Ablauf der Schonfrist unrentable Filialen schließen. Eine Ministererlaubnis dürfe aber nur bei Vorliegen von Gemeinwohlgründen erteilt werden, wobei die Argumentation mit Arbeitsplätzen generell problematisch sei. Der Strukturwandel sei hart für die Betroffenen, ließe sich aber nicht aufhalten, und auch andere Branchen seien nicht gerettet worden.706 Zur Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium berichtet die WELT, dass ReweChef Alain Caparros hier hart ausgeteilt habe, und den anderen Beteiligten Unwahrheiten vorwerfe. Er werde nachweisen, dass es eine Alternative zur Übernahme durch Edeka gebe. Hiervon sei Sigmar Gabriel mäßig begeistert gewesen und habe darauf hingewiesen, dass hier keine Verkaufsverhandlungen geführt würden. Das Problem für ihn sei jedoch, dass Rewe die Betriebsräte und Ver.di als Unterstützer habe, die bei einer Übernahme durch die genossenschaftlich organisierte Edeka die faktische Zerschlagung befürchten.707 Als Sigmar Gabriel schließlich die Genehmigung der Fusion unter Auflagen zum Stellenerhalt in Aussicht stellt, schreibt die WELT hierzu, dass er sich damit über wettbewerbsrechtliche Argumente von Bundeskartellamt und Monopolkommission hinwegsetze, und viele Kartellexperten überrascht seien, dass nicht zumindest ein Teil der Filialen abgegeben werden müsse. Der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer rechne noch dazu mit dem Abbau von Doppelstrukturen bei Edeka.708 Auch die Kritik von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), der vor dem Druck auf die Landwirte warnt, findet sich in der WELT wieder.709 Als der Vorsitzende der Monopolkommission Daniel Zimmer im März 2016 aus Protest gegen die Erlaubnis zurücktritt, berichtet die WELT ausführlich darüber, dass die Erlaubnis aus Daniel Zimmers Sicht unter Gemeinwohlgesichtspunkten die schlechteste aller Lösungen sei, und mehr Stellen kosten werde als jedes andere Szenario. Der SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil und der CDU/CSU-Fraktionsvize 705 Gassmann, Michael, Ende von Kaiser’s besiegelt, Darf Edeka im Kartellstreit die Supermarkt-Kette nicht übernehmen, will die Mutterfirma Tengelmann profitable Filialen verkaufen – und die übrigen schließen, WELT 09. 09. 2015, S. 9. 706 Gassmann, Michael, Kaiser’s retten?, WELT 09. 09. 2015, S. 3 (Kommentar). 707 Gassmann, Michael, Rewe-Chef wirft Edeka „Erpressungsversuch“ vor, Bei der Anhörung zur Frage, ob Edeka Kaiser’s übernehmen darf, kommt es zu einem Eklat, WELT 17. 11. 2015, S. 10. 708 Gassmann, Michael/Zimmermann, Max, Edeka darf Tengelmann schlucken, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erlaubt die Übernahme, aber er diktiert harte Bedingungen, WELT 13. 01. 2016, S. 9. 709 Menschen und Märkte, WELT 15. 01. 2016, S. 9.

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E. Empirische Untersuchung

Michael Fuchs hätten die Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzsicherung und des Gemeinwohls aber begrüßt.710 In einem Kommentar wird das Verhalten Sigmar Gabriels dann scharf kritisiert. Die „Gutsherrenart“ mit der er die Ministererlaubnis gegen den Rat hochrangiger Experten durchdrücke zeige einen neuen Grad „ordnungspolitischer Verrohung“. Dem „studierten Deutschlehrer Gabriel“ werde es jetzt bestenfalls egal sein, wenn eine Koryphäe wie Daniel Zimmer aufgebe. Furchtlos habe Daniel Zimmer „vor dem Thron“ verdeutlicht, wie schlecht es um die Regeln der sozialen Marktwirtschaft stehe.711 Kurz darauf wird berichtet, dass sich Sigmar Gabriel in einem Brief an Union und SPD im Bundestag verteidigt und ausgeführt habe, dass sich alle einig seien, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen ein anerkennungsfähiger Gemeinwohlgrund sei.712 Eine Woche später wird berichtet, dass der neue Vorsitzende der Monopolkommission Achim Wambach seinem Vorgänger Daniel Zimmer den Rücken gestärkt und betont habe, dass zwar Vollbeschäftigung ein Ziel der Wirtschaftspolitik sei, nicht aber der Erhalt bestimmter Arbeitsplätze.713 Als das Oberlandesgericht Düsseldorf die Ministererlaubnis im Juli 2016 vorläufig stoppt, ist von einer Blamage für Sigmar Gabriel, einer „Ohrfeige“ und einer spektakulären Begründung des OLG die Rede, da dem Minister Befangenheit vorgeworfen werde.714 In einem Kommentar wird Sigmar Gabriel vorgeworfen, sich wie ein französischer Wirtschaftsminister verhalten zu haben, und die Industriepolitik vor die Ordnungspolitik gestellt zu haben. Sigmar Gabriel werde am Ende wohl alles verlieren, seine Ämter als SPD-Vorsitzender und als Wirtschaftsminister. Noch schlimmer sei die Hängepartie aber für die Arbeitnehmer, die Sigmar Gabriel eigentlich schützen wollte.715 Am Tag darauf berichtet die WELT aber auch ausführlich über das Verteidigungsvorbringen Sigmar Gabriels, der dem Gericht eine ganze Reihe falscher Tatsachenbehauptungen vorwerfe. Wenn Sigmar Gabriel Recht habe, so sei das laut der

710 Gassmann, Michael/Greive, Martin, Chef der Monopolkommission tritt im Streit zurück, Sigmar Gabriel hat Edeka die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann erlaubt. Behördenchef Zimmer nennt das eine „klare Fehlentscheidung“, WELT 18. 03. 2016, S. 9. 711 Poschardt, Ulf, Neuer Grad der Verrohung, WELT 18. 03. 2016, S. 3 (Kommentar). 712 Menschen und Märkte, WELT 21. 03. 2016, S. 9. 713 Menschen und Märkte, WELT 29. 03. 2016, S. 9. 714 Vizekanzler blamiert sich bei Supermarkt-Fusion, Oberlandesgericht Düsseldorf erklärt Sondererlaubnis zur Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka für rechtswidrig. Union, Grüne und FDP sprechen von schwerer Niederlage des Wirtschaftsministers, WELT 13. 07. 2016, S. 1; Gassmann, Michael/Greive, Martin, Eine Ohrfeige für Gabriel, Wirtschaftsminister hat sich mit Erlaubnis für Supermarkt-Fusion verzockt. Zukunft der Arbeitsplätze ist nun unsicherer denn je, WELT 13. 07. 2016, S. 9. 715 Greive, Martin, Alles verloren, WELT 13. 07. 2016, S. 1 (Kommentar).

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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WELT ein schwerer Fall von Justizversagen. Umgekehrt könne es aber auch für Sigmar Gabriel in einem Debakel enden.716 In einem Kommentar wird hier auch hervorgehoben, dass Sigmar Gabriel durch das Fusionsverfahren nicht mehr nur als SPD-Chef angezählt sei, sondern nun auch als Wirtschaftsminister. Immerhin müsse man ihm aber seinen vehementen Einsatz für TTIP zu Gute halten.717 In einem rein satirischen Beitrag wird darüber gewitzelt, dass Sigmar Gabriel am liebsten alle Discounter zu einem Megakaufland vereinigen würde, um nicht wegen der Kartoffelchips zu Rewe und wegen des tiefgefrorenen Lammfleischs zu Aldi zu müssen.718 In einem weiteren Artikel wird sodann noch einmal ausführlich über die drei Hauptvorwürfe des OLG Düsseldorf und über die Verteidigung Gabriels dagegen berichtet, der vor allem die Auslegung der Verfassungsordnung durch das OLG Düsseldorf zurückweise.719 In der Folge erscheinen dann noch eine ganze Reihe von Berichten über den Schlagabtausch zwischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Edeka und dem Oberlandesgericht Düsseldorf.720 Dabei wirft Sigmar Gabriel dem Gericht insbesondere auch vor, im Kern eine politische Auseinandersetzung zu führen.721 Insbesondere als Sigmar Gabriels Tatbestandsberichtigungsantrag vom Gericht abgelehnt wird, berichtet die WELT ausführlich über die Kritik der Grünen, die Sigmar Gabriel vorwerfen, die Ministererlaubnis erteilt zu haben, um bei den Gewerkschaften zu punkten, obwohl die Ministererlaubnis nach der Einschätzung seines eigenen Ministeriums wegen des Rewe-Angebots nicht erforderlich gewesen sei. Sigmar Gabriel hingegen halte diese Vorwürfe für unberechtigt, da das ReweAngebot sowohl unter Wettbewerbsgesichtspunkten als auch unter dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherung nie eine Alternative gewesen sei.722

716 Gassmann, Michael/Greive, Martin, „Eine ganze Reihe falscher Tatsachenbehauptungen“, Nach dem richterlichen Stopp der Ministererlaubnis unterbricht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel seinen Urlaub zur Selbstverteidigung, WELT 14. 07. 2016, S. 4. 717 Greive, Martin, Gerechtigkeit für Gabriel, WELT 22. 07. 2016, S. 3 (Kommentar). 718 Zippert zappt, WELT 23. 07. 2016, S. 1. 719 Greive, Martin/Gassmann, Michael, Richter stellen Gabriels Ministertauglichkeit infrage, Im Streit über Edekas Fusionspläne mit Kaiser’s Tengelmann erhebt das Oberlandesgericht Düsseldorf schwere Vorwürfe. Die wichtigsten Fragen und Antworten, WELT 23. 07. 2016, S. 10. 720 Edeka Anwälte werfen Richtern Fehler vor, WELT 25. 07. 2016, S. 10; Greive, Martin, Für Sigmar Gabriel wird es eng, Es hat weitere Geheimtreffen zwischen Wirtschaftsminister, Tengelmann und Edeka gegeben, gibt sein Ministerium zu, WELT 29. 07. 2016, S. 9; Wirtschaft kompakt, WELT 01. 08. 2016, S. 10; Gabriel geht es ums Prinzip, SPD-Chef will nun juristisch die Kaiser’s Tengelmann-Übernahme durchdrücken, Die Chancen sind eher mau, WELT 09. 08. 2016, S. 10. 721 Sturm, Daniel, Sigmar Gabriel teilt nach allen Seiten aus, WELT 03. 08. 2016, S. 5. 722 Dams, Jan/Gassmann, Michael, Neue Schlappe im Streit um Ministererlaubnis, Das OLG Düsseldorf weist eine Forderung von Sigmar Gabriel zurück, Die Grünen spielen mit der Idee eines Untersuchungsausschusses, WELT 12. 08. 2016, S. 5.

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E. Empirische Untersuchung

Als dann im September 2016 die Rettungsbemühungen und Spitzentreffen beginnen, berichtet auch die WELT ausführlich und detailliert hierüber.723 Auch hier wird wieder über die Schlichtung durch Altkanzler Gerhard Schröder berichtet.724 Die WELT bescheinigt Gerhard Schröder eine miserable Erfolgsbilanz in der Vergangenheit und kritisiert, dass ein Schlichtungserfolg eine Umgehung des Rechtswegs wäre.725 Wie bekannt, kommt es dann aber unter Vermittlung Gerhard Schröders schließlich zu einer Einigung, bei der Rewe die Beschwerde zurücknimmt und im Gegenzug Kaiser’s Filialen in Berlin übernehmen darf.726 6. Die Ministererlaubnis Mit der Ministererlaubnisentscheidung im Verfahren Edeka/Tengelmann wurde die Fusion unter Auflagen genehmigt.727 Als Gemeinwohlgründe wurden hierfür der Erhalt von Arbeitsplätzen und Beschäftigungssicherung, sowie der Erhalt von Arbeitnehmerrechten in Form der Mitbestimmung und der Tarifbindung angeführt.728 Was die Sicherung der 8.000 Arbeitsplätzen anbelangt, erklärte die Ministererlaubnis hier ausdrücklich eine Abkehr von der bisherigen Praxis der Monopolkommission nur die Verhinderung struktureller Arbeitslosigkeit als Gemeinwohlgrund anzuerkennen, da existenzsichernde Arbeitsplätze in der ohnehin unter Druck stehenden Einzelhandelsbranche besonders schützenswert seien.729 Auch der Erhalt von Mitbestimmungsstrukturen sei wegen des Interesses der Allgemeinheit an einem fairen Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite schützenswert.730 Die Ministererlaubnis ging davon aus, dass die angeführten Gemeinwohlziele aus723 Supermarkt-Chefs sollen Lösung suchen, WELT 21. 09. 2016, S. 10; Doll, Nikolaus, der letzte Versuch, Heute treffen sich die Kontrahenten im Kampf um die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann, Ein Erfolg des Krisentreffens ist unwahrscheinlich, WELT 22. 09. 2016, S. 9; Wirtschaft kompakt, WELT 01. 10. 2016, S. 10; Gassmann, Michael, Durchbruch beim Streit um Kaiser’s Supermärkte, Konzernchefs einigen sich laut Gewerkschaft Ver.di auf grundsätzlichen Fahrplan zur Rücknahme der Klagen gegen Ministererlaubnis, WELT 07. 10. 2016, S. 9; Gassmann, Michael, Kaiser’s Tengelmann vor Aufspaltung, Rewe und Edeka lassen Verhandlungen platzen, WELT 14. 10. 2016, S. 9. 724 Altkanzler Schröder soll schlichten, Zerschlagung von Kaiser’s gestoppt, Streitparteien suchen neue Perspektive, WELT 25. 10. 2016, S. 9. 725 Gassmann, Michael, Bei Kaiser’s Tengelmann wird es absurd, Altkanzler Schröder soll retten, was nicht zu retten ist, Seine Erfolgsbilanz als Schlichter ist miserabel, Die Beschäftigten hoffen aber auf ein Wunder, WELT 26. 10. 2016, S. 9. 726 Gassmann, Michael, Gabriel feiert Kaiser’s Einigung, Wichtige Fragen bleiben offen, WELT 01. 11. 2016, S. 1; Edeka und Rewe einig bei Kaiser’s Tengelmann, Wirtschaftsministerium muss Vertrag nun prüfen, WELT 03. 12. 2016, S. 9. 727 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 255 – 262; Volltext abrufbar unter https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/oeffentliche-entscheidung-edeka-kaisers-tengelmann. pdf?__blob=publicationFile&v=2, 10. 08. 2017. 728 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 257. 729 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 257. 730 BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 258.

VII. Edeka/Tengelmann (2016)

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schließlich durch eine Gesamtübernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka erreicht werden könnten.731 Das Kaufangebot von Rewe scheide deshalb als Alternative aus, weil die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Rewe mit Sicherheit ebenfalls durch das Bundeskartellamt untersagt würde.732 Eine Verpflichtung Edekas zur Abgabe von Filialen wurde ausdrücklich ausgeschlossen, da dann in diesen Filialen keine Arbeitsplätze gesichert werden könnten.733 7. Fazit Im Verfahren Edeka/Tengelmann bildete sich im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung kein Konsens hinsichtlich des zu verfolgenden Gemeinwohlziels aus. Mit 426 näher relevanten Artikeln erfuhr das Verfahren jedoch eine außergewöhnliche öffentliche Aufmerksamkeit, wie sie nicht einmal den Verfahren Daimler/MBB und E.on/Ruhrgas zuteil wurde. An der Diskussion beteiligte sich eine große Anzahl verschiedenster gesellschaftlicher Akteure, die trotz der vielen und in den Medien auch differenziert diskutierten Argumenten, nicht zu einer Einigung darüber gelangen konnten, ob die Ministererlaubnis zu erteilen sei oder nicht. Wie schon zuvor beobachtet, kamen auch hier trotz der überwiegend kritischen Position der untersuchten Medien sowohl Befürworter als auch Gegner der Ministererlaubnis ausführlich zu Wort. Kernargumente waren hierbei die Sicherung von Arbeitsplätzen und tariflichen Rechten einerseits, und die Reduzierung des Wettbewerbs im Lebensmitteleinzelhandel auf Angebots- und Nachfrageseite, und das Alternativangebot des Konkurrenten Rewe andererseits. Besondere Brisanz und öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die Debatte durch den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 12. 07. 2016, in dem die Ministererlaubnis im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit des Ministers für rechtswidrig gehalten wurde. Insgesamt reiht sich das Verfahren Edeka/Tengelmann mit den Verfahren Daimler/MBB und E.on/Ruhrgas in die Gruppe der Verfahren ein, bei denen trotz langer und ausführlicher Diskussion unter Beteiligung vieler verschiedener Akteure keine Einigung darüber erzielt werden konnte, ob die Wettbewerbsbeeinträchtigungen überwiegende Gemeinwohlgründe vorliegen oder nicht. Es ist daher idealtypisch dem liberalen Diskursmodell zuzuordnen. Eine konsensuale Konkretisierung des Gemeinwohls durch einen öffentlichen Diskurs gelang somit nicht.

731 732 733

BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 256, 258 – 260. BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 260. BMWi, Edeka/Tengelmann, WuW 2016, 260 – 261.

F. Schluss „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.“ Wilhelm Busch1

I. Kurzzusammenfassung des theoretischen Studienaufbaus Ausgangspunkt war die Unbestimmtheit des Gemeinwohlbegriffs als Voraussetzung der Ministererlaubnis nach § 42 GWB. Trotz der schwerwiegenden Auswirkungen der Ministererlaubnis auf Wirtschaft und Wettbewerb schien kein objektives Verfahren zur Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs zu existieren, so dass der Bundeswirtschaftsminister bei der Anwendung des § 42 GWB weitgehend freie Hand zu haben schien. Dramatisiert wurde dieses Ausgangsproblem durch die Erkenntnisse der rent seeking, Public Choice und Korruptionstheorie, die zu dem Schluss führten, dass jedenfalls aus theoretischer Perspektive ein erhebliches Risiko besteht, dass der Minister die ihm eingeräumte Entscheidungskompetenz gerade nicht stets gemeinwohlorientiert, sondern im Einzelfall auch eigennützig ausübt. Dies verschärfte das Bedürfnis nach einer objektiven Methode zur Konkretisierung des die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall überwiegenden Gemeinwohls. Um dem nachzugehen, wurde der Begriff des Gemeinwohls näher betrachtet. Die extensive Forschung hierzu hat bisher überraschenderweise keinerlei Eingang in die kartellrechtliche Beschäftigung mit § 42 GWB gefunden. Im Kern ließen sich hierbei zwei Arten der Gemeinwohldefinition unterscheiden: Zum einen das vormoderne Gemeinwohl als Wahrheitsfrage, die eine gleichsam göttliche Instanz – wie der absolute Monarch oder totalitäre Führer – als Einziger abschließend beantworten kann, so dass letztlich sein Wille mit dem Gemeinwohl identisch ist. Zum anderen der moderne, offene und demokratische Gemeinwohlbegriff, der einer pluralistischen Gesellschaft nicht vorgegeben, sondern stets auf Neue aufgegeben ist, und durch einen gesellschaftlichen Diskussions- und Aushandlungsprozess in der öffentlichen Meinung im jeweiligen Einzelfall stets neu zu bestimmen ist. 1 Busch, Die fromme Helene, 1872, 113; vgl. Schuppert, in: Schuppert/Neidhardt, Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, 31; Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, 125; Isensee, in: HStR IV, 2006, § 71 Rn. 17.

II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung

213

Ausgehend hiervon erfolgte die Auseinandersetzung mit dem Begriff der öffentlichen Meinung, bei der die demoskopisch erfassbare Bevölkerungsmeinung von der öffentlichen Meinung des medialen Diskurses unterschieden wurde. Für die vorliegende Untersuchung wurde die öffentliche Meinung in Form des medialen Diskurses gewählt, dessen Konstitution näher beschrieben wurde. In theoretischer Hinsicht konnten hierbei idealtypisch vor allem zwei Diskursergebnisse unterschieden werden: Zum einen das sogenannte liberale Modell, das davon ausgeht, dass sich im Diskurs die Argumente und Positionen herauskristallisieren, ohne dass es zu einem Konsens zwischen den verschiedenen Lagern kommt. Die öffentliche Meinung hat nach diesem Modell vor allem die Funktion, als eine Art Spiegel die verschiedenen Positionen mit ihren Argumenten herauszustellen, um so eine Entscheidungsgrundlage für die Politik zu bilden. Zum anderen ließ sich das sogenannte deliberative Modell (Habermas) herausarbeiten, das von einem radikaldemokratischen Politikverständnis ausgeht, nach dem in einem offenen, rationalen Diskurs zu einem Konsens über Sachfragen gelangt werden kann, und die Politik im Anschluss auch darauf verpflichtet ist, diesen Konsens der öffentlichen Meinung zu befolgen. Nach diesen theoretischen Überlegungen erfolgte die methodische Operationalisierung der Untersuchung der öffentlichen Meinung in Form des medialen Diskurses, wobei eine Entscheidung für die Methode der hermeneutischen Textinterpretation in Abgrenzung zu anderen Methoden der Textanalyse erfolgte. Zur möglichst repräsentativen Untersuchung eines Ausschnitts der öffentlichen Meinung wurden die Zeitungen und Zeitschriften SPIEGEL, ZEIT, FAZ, und WELT ausgewählt, die sowohl den politischen Mainstream abbilden, als auch als Qualitäts- und Leitmedien große Ausstrahlungswirkungen auf den gesamten medialen Diskurs haben. Daneben wurden sieben Ministererlaubnisverfahren zur exemplarischen Untersuchung ausgewählt. Es handelte sich hierbei um die Verfahren VEBA/Gelsenberg (1974), VEBA/BP (1978/1979), Burda/Springer (1981/1982), Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002), Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003) und Edeka/ Tengelmann (2016), deren empirische Untersuchung sich nach den zuvor aufgestellten Grundsätzen anschloss.

II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung Die empirische Untersuchung dieser ausgewählten Ministererlaubnisverfahren zeigt, dass die zuvor nur theoretisch begründete Möglichkeit der Bestimmung des Gemeinwohlbegriffs durch die öffentliche Meinung auch praktisch umsetzbar ist, und bei einer ausschnittsweisen Untersuchung der öffentlichen Meinung jedenfalls näherungsweise zu aussagekräftigen Ergebnissen führt. Hierbei ließen sich drei Fallgruppen unterscheiden.

214

F. Schluss

1. Positiver Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung Die erste Fallgruppe ist ein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, dass ein die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegender Gemeinwohlgrund vorliegt. Exemplarisch ist das Verfahren VEBA/Gelsenberg (1974), bei dem sich vor dem Hintergrund der Ölpreiskrise des Jahres 1973 ein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung ausmachen ließ, dass die mit der Fusion bezweckte Sicherung der Energieversorgung durch die Schaffung eines großen nationalen Ölkonzerns wichtiger als der Schutz des Wettbewerbs war. Lediglich die FAZ zweifelte hier die Eignung der Fusion zur Sicherung der Energieversorgung an, stimmte aber mit dem übrigen hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung darin überein, dass die Sicherung der Energieversorgung ein überragender Gemeinwohlgrund sei. Im Fall VEBA/Gelsenberg hat der Bundeswirtschaftsminister die Ministererlaubnis dem hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung entsprechend erteilt. Außer dem Verfahren VEBA/Gelsenberg konnte in keinem weiteren Verfahren ein eindeutiger Konsens über die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlvorteile ausgemacht werden. Allenfalls beim Verfahren VEBA/BP könnte man noch daran denken, dieses ebenfalls dieser Fallgruppe zuzuordnen, da sich in dem hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung (mit Ausnahme des SPIEGEL) eine Art „Ja, aber …“-Haltung herauskristallisiert hatte und Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff die Erlaubnis dann unter Auflagen erteilte, die ungefähr diese Einwände berücksichtigt haben. Ein positiver Konsens der öffentlichen Meinung über das Vorliegen von die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgründen ist damit äußerst selten und könnte bei einer Untersuchung eines noch größeren Ausschnittes der öffentlichen Meinung sogar wegfallen. Theoretisch entspricht ein solcher positiver Konsens dem deliberativen Diskursideal der öffentlichen Meinung (Jürgen Habermas). 2. Negativer Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung Die zweite Fallgruppe ist ein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, dass die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlgründe nicht vorliegen. Exemplarisch hierfür stehen die beiden Ministererlaubnisverfahren Burda/Springer (1981) und Tagesspiegel/Berliner Verlag (2002/2003), bei denen sich nach ausführlicher und differenzierter Diskussion der von den Antragsstellern angeführten Gemeinwohlgründe in dem hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung ein Konsens herausgebildet hat, dass keine die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgründe vorliegen.2 Dem entsprechend 2 Eindeutig parteiliche Stimmen, wie die zum Springer-Konzern gehörende WELT im Verfahren Burda/Springer, außen vor gelassen.

II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung

215

zogen in beiden Fällen die Antragssteller ihren Antrag zurück, wobei es wohl schon im Vorfeld deutliche Signale des Bundeswirtschaftsministers gegeben hatte, dass er die Erlaubnis versagen würde, und so eine öffentliche Blamage der Antragssteller verhindert wurde. Letztlich folgte der Bundeswirtschaftsminister hier also einem negativen Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung ebenso wie im Falle VEBA/Gelsenberg einem positiven Konsens. Auch ein negativer Konsens entspricht dem deliberativen Diskursideal der öffentlichen Meinung (Jürgen Habermas) und könnte ebenso wie ein positiver Konsens bei Untersuchung eines noch größeren Ausschnittes der öffentlichen Meinung auch entfallen. 3. Dissens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung Die dritte Fallgruppe sind die Ministererlaubnisverfahren, in denen sich ein klarer Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung weder in eine positive noch in eine negative Richtung ausmachen ließ. Vielmehr kam es in diesen Verfahren zu einer Bildung von zwei Lagern, zwischen denen es heftig umstritten war, ob die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlgründe vorliegen oder nicht. Exemplarisch hierfür sind die Fusionsverfahren Daimler/MBB (1989), E.on/Ruhrgas (2002) und Edeka/Tengelmann (2016). In diesen Fällen ließ sich – wie im empirischen Teil ausführlich dargestellt – kein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, sondern vielmehr ein klarer Dissens beobachten, der bei Daimler/MBB sogar nicht entlang herkömmlicher Parteigrenzen verlief, sondern quer durch sie hindurch. Je nach Sichtweise ist auch das Verfahren VEBA/BP (1978/1979) dieser Fallgruppe des Dissenses zuzuordnen. Die Fallgruppe des Dissenses entspricht damit dem liberalen Modell der öffentlichen Meinung, das von verschiedenen Lagern ausgeht, die sich im Diskurs herauskristallisieren. Der Bundeswirtschaftsminister schloss sich in diesen Verfahren einem der beiden Lager an, und versuchte den Argumenten des anderen Lagers durch Auflagen in unterschiedlichem Ausmaß Rechnung zu tragen. Da im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung gerade kein Konsens darüber feststellbar war, was in diesen Fällen dem Gemeinwohl entsprach, drängt sich in diesen Fällen die Vermutung auf, dass letztlich andere Entscheidungskriterien als die Orientierung am hier nicht feststellbaren Gemeinwohl ausschlaggebend dafür waren, für welches der beiden Lager sich der Minister entschied. Naheliegend sind insoweit die unmittelbare Betroffenheit des Bundes durch die Fusion (Einsparung der Airbus-Subventionen bei Daimler/MBB, Großaktionär bei VEBA/BP), die Initiation der Fusion durch den Bundeswirtschaftsminister (Daimler/ MBB), der Einfluss gut organisierter Interessengruppen (Ver.di im Fall Edeka/Tengelmann),3 die politischen Auswirkungen auf die Position des Ministers („Rettergestus“ bei Edeka/Tengelmann, „Konzernschmied“ bei Daimler/MBB), der per3

Vgl. Bunte, EWiR 2016, 484.

216

F. Schluss

sönliche Zugang der beteiligten Unternehmen zum Bundeswirtschaftsminister (VEBA/BP, Daimler/MBB, E.on/Ruhrgas, Edeka/Tengelmann), sowie möglicherweise sogar Vorteile nach dem Ausscheiden aus der Politik (E.on/Ruhrgas). Letztlich lässt sich die Vermutung, dass derartige Faktoren im Endeffekt ausschlaggebend waren, kaum objektiv belegen, wenn auch vielfach entsprechende Vermutungen in den Medien geäußert worden sind. Diese gemeinwohlfremden Einflussfaktoren sind auch wohl kaum alleine für die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers verantwortlich. Auch die jeweils angeführten Sachargumente dürften mit Sicherheit eine wichtige Rolle gespielt haben, und lassen sich nicht sauber von diesen gemeinwohlfremden Faktoren abtrennen. Aber in einer ohnehin schwierigen Entscheidungssituation kann man vermuten, dass diese gemeinwohlfremden Faktoren das Gewicht entscheidend in die eine oder andere Richtung verschoben, und so den Ausschlag dafür gegeben haben, dass der Bundeswirtschaftsminister im Falle einer gespaltenen öffentlichen Meinung letztlich der einen oder anderen Seite zuneigte. Auf jeden Fall besteht ein Risiko, dass im Falle eines Dissenses über das Gemeinwohl sachfremde Erwägungen dominant werden. Entscheidend sind in diesen Fällen somit neben den in der öffentlichen Meinung umstrittenen Gemeinwohlgründen auch Machtfaktoren, so dass es sich um klassische politische Entscheidungen handelte, bei denen sich typischerweise Sachargumente und Machtfragen vermischen. Eine politische Entscheidung entspricht aber gerade nicht der Regelung des § 42 GWB, der eine am Gemeinwohl und nicht an politischen Machtverhältnissen orientierte Entscheidung vorsieht. Die Ministererlaubnisverfahren, in denen sich der Minister kraft der ihm mit seinem Amt verliehenen Macht über das gegenteilige Lager hinweggesetzt hat, haben regelmäßig zu starkem Protest in der Öffentlichkeit geführt (Daimler/MBB, E.on/Ruhrgas, Edeka/Tengelmann) und hatten häufig ein langwieriges gerichtliches Nachspiel (E.on/Ruhrgas, Edeka/Tengelmann). Die Auflagen, die in diesen Fällen verfügt wurden, wurden von dem unterlegenen Lager nur als „Feigenblatt“, und nicht als gemeinwohlfördernd wahrgenommen. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich damit festhalten, dass sich drei Fallkonstellationen unterscheiden lassen. In der ersten Fallkonstellation besteht ein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung über einen die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgrund, und der Bundeswirtschaftsminister erteilt die Ministererlaubnis. In der zweiten Fallkonstellation besteht ein Konsens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung, dass kein die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegender Gemeinwohlgrund vorliegt, und die Unternehmen sich zurückziehen, als klar wird, dass der Bundeswirtschaftsminister die Erlaubnis nicht erteilen wird. In der dritten Fallkonstellation besteht ein Dissens im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung darüber, ob die Wettbe-

II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung

217

werbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlgründe existieren oder nicht. Der Bundeswirtschaftsminister schließt sich in diesem Fall einem der beiden Lager an, wobei hier viel dafür spricht, dass letztlich nicht am Gemeinwohl orientierte Gründe den Ausschlag geben, sondern eine politische Entscheidung erfolgt, bei der sich Sachargumente und Machtfragen vermischen. Dieses Zwischenergebnis wirft Fragen danach auf, wie sich die empirische Untersuchung der öffentlichen Meinung zur normativ zu treffenden Entscheidung über das Gemeinwohl verhält, und woraus eine solche empirische Untersuchung der öffentlichen Meinung ihre legitimatorische Kraft zur Bestimmung des Gemeinwohls bezieht. Beide Fragen klären sich durch eine Rückbesinnung auf die theoretischen Überlegungen zu Gemeinwohl und öffentlicher Meinung auf. So ist zunächst hervorzuheben, dass Ausgangspunkt des offenen Gemeinwohlbegriffs die Unterschiedlichkeit der je subjektiven, in der Gesellschaft vertretenen Vorstellungen vom Gemeinwohl war, für deren Bewertung es keinen objektiven Maßstab gibt. Einzige Möglichkeit zur Klärung dieses Dissenses über das Gemeinwohl ist daher eine gesellschaftliche Diskussion über das Gemeinwohl, um so zu einem Konsens zu kommen, was aber nicht immer gelingt. Dies bedeutet aber, dass damit keineswegs im Sinne eines naturalistischen Fehlschlusses von einer empirischen Feststellung auf einen Normgehalt geschlossen wird. Vielmehr geht eine Bestimmung des Gemeinwohls durch die Diskussion in der öffentlichen Meinung stets von den individuellen und subjektiven Werturteilen in der Gesellschaft aus, lediglich der Prozess ihrer diskursiven Aushandlung hin zu einem Konsens oder aber auch Dissens wird empirisch beobachtet. Dies heißt aber nicht, dass von einer empirischen Feststellung auf einen Normgehalt geschlossen würde, sondern vielmehr werden verschiedene subjektive normative Überzeugungen und ihr diskursiver Aushandlungsprozess hin zu einer gesamtgesellschaftlichen normativen Überzeugung empirisch beobachtet. Daran schließt sich die Frage an, woraus eine solche empirische Untersuchung der gesamtgesellschaftlichen Diskussion über das im Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl ihre legitimatorische Kraft bezieht. Zum einen folgt diese aus der schon oben dargestellten notwendigen Offenheit des modernen, pluralistischen und demokratischen Gemeinwohlbegriffs. Sofern man nicht einer Person oder Personengruppe die apodiktische Autorität zubilligen möchte, abschließend festzulegen, was „das Gemeinwohl“ sei, bleibt in Anbetracht der Verschiedenheit der in der Gesellschaft vorhandenen Gemeinwohlvorstellungen kein anderer demokratischer Weg zur Bestimmung des Gemeinwohls als der Versuch einer diskursiven Aushandlung. Zum anderen folgt damit zugleich die Legitimation eines solchen Rückgriffs auf die öffentliche Meinung zur Bestimmung des Gemeinwohls im Einzelfall aus dem Demokratieprinzip und der Verwirklichung der Volkssouveränität. Während das parlamentarische Mehrheitsprinzip als klassischer demokratischer Entscheidungsmodus in legitimer Weise zu einer am Wohl der Mehrheit orientierten Entscheidung bei gleichzeitigem Minderheitenschutz führt, kann, sofern gesetzlich eine am Ge-

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F. Schluss

meinwohl orientierte Entscheidung vorgeschrieben ist, dieses Gemeinwohl als Wohl Aller eigentlich nur durch einen Konsens der Gesamtheit der Gesellschaft bestimmt werden. Hinzu kommt, dass ein diskursiver Aushandlungsprozess durch Rede und Gegenrede und den Austausch von Argumenten zumindest idealiter die Funktion eines Rationalitätskriteriums hat.4 Zwar kann man diesbezüglich auch anderer Meinung sein, und die Aufgabe zur Bestimmung des Gemeinwohls als durch das Volk in Wahlen exklusiv an die politischen Repräsentanten delegiert ansehen (konservatives Modell), was aber die Frage aufwirft, wann es sich bei einer Entscheidung des Parlaments oder der Regierung um eine Konkretisierung des Wohls der Allgemeinheit handelt, und wann nur eine Konkretisierung des Wohls der Mehrheit vorliegt, oder ob etwa per definitionem Identität zwischen beiden besteht, was dann aber den demokratischen und normativen Wert der Gemeinwohlvorstellungen der unterlegenen Minderheit stark in Frage stellt. Zumindest so lange in § 42 GWB explizit von einer Orientierung am Gemeinwohl, und nicht an einer politischen Mehrheit, die Rede ist, gibt es jedenfalls theoretisch keinen anderen Weg zur Konkretisierung des Gemeinwohls im Einzelfall als den Rückgriff auf die gesamtgesellschaftliche Diskussion in der öffentlichen Meinung. Inwiefern und ob diese theoretische Erkenntnis auch praktisch umsetzbar ist, ist Teil des nächsten Abschnitts.

III. Schlussfolgerungen Dieses Zwischenergebnis bekräftigt zum Teil die Legitimation der Existenz der Ministererlaubnis, stellt diese Legitimation zugleich aber auch schwerwiegend in Frage. Welche Schlussfolgerungen für die Praxis hieraus zu ziehen sind, ist daher nicht leicht zu beantworten. 1. Legitimation der Existenz der Ministererlaubnis So belegt die Herausbildung eines positiven oder auch negativen Konsenses im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung über die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegende Gemeinwohlgründe, dass der Begriff des Gemeinwohls im Einzelfall jedenfalls näherungsweise objektiv konkretisiert werden kann. Man kann somit sagen, dass eine Reihe von Ministererlaubnisverfahren existiert, in denen das Konzept Ministererlaubnis sozusagen „funktioniert“ hat. In diesen Fällen (VEBA/Gelsenberg, Burda/Springer, Tagesspiegel/Berliner Verlag, eventuell auch VEBA/BP) hat sich ein Konsens über die Existenz bzw. Nichtexistenz von die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgründe in dem hier un4

Vgl. Castendyk, Rechtliche Begründungen in der Öffentlichkeit, 1994, 58 ff.

III. Schlussfolgerungen

219

tersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung herausgebildet, und der Minister hat entsprechend gehandelt. Ob sich der Minister dabei der Konsensbildung bewusst war oder ihn diese nur allenfalls mittelbar beeinflusst hat, ist dabei im Ergebnis irrelevant. Unabhängig von einem Bewusstsein des Ministers hiervon, ist so der mit der Schaffung der Ministererlaubnis verfolgte Zweck eines Ausnahmetatbestandes für den Fall von die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgründen erfüllt worden. Für den Fall eines positiven Konsenses im hier untersuchten Ausschnitt der öffentlichen Meinung über die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgründe gilt dies jedoch lediglich für die ex-ante Perspektive. Ex-post haben sich beide Ministererlaubnisverfahren, in denen sich ein positiver Konsens für die Erteilung der Ministererlaubnis feststellen lässt (VEBA/Gelsenberg und eventuell auch VEBA/BP) als „Flop“ herausgestellt. Die mit den Fusionen verfolgten Gemeinwohlziele konnten – wie auch bei eigentlich allen anderen erteilten Ministererlaubnissen – nicht erreicht werden und die Erteilung der Ministererlaubnisse ist daher im Nachhinein in den Medien wie auch der Wissenschaft stark kritisiert worden.5 Dabei handelt es sich aber zunächst nicht um ein Problem der Definition des Gemeinwohlbegriffs in der öffentlichen Meinung, sondern, folgt man dem DreiSäulen-Modell des Gemeinwohls Winfried Bruggers,6 um ein Problem der praktischen Realisierung des in der öffentlichen Meinung identifizierten Gemeinwohlziels durch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler in der „Dritten Säule“. Letztlich existierte in diesen Fällen also ein Konsens über das Vorliegen eines die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgrunds, die mit der Ministererlaubnis gestatteten Fusionen waren aber nicht geeignet, dieses Gemeinwohlziel auch zu erreichen. Wie die Berichterstattung der FAZ im Verfahren VEBA/Gelsenberg zeigt, war dies durchaus auch im Vorfeld bereits erkennbar, wurde aber offenbar im Ministererlaubnisverfahren nicht hinreichend berücksichtigt. Als Schlussfolgerung hieraus ergibt sich, dass es zwar möglich ist, dass sich in der öffentlichen Meinung ein Konsens über einen die Wettbewerbsbeschränkungen überwiegenden Gemeinwohlgrund herausbildet, dies aber im Endergebnis dennoch wettbewerbs- und damit gemeinwohlschädigend sein kann, wenn es der Fusion an der Eignung fehlt, dieses Gemeinwohlziel zu verwirklichen. An und für sich ist es seit Einführung der Ministererlaubnis anerkannt, dass die Fusion zur Erreichung der 5 Vgl. die im empirischen Teil wiedergegebene negative ex-post Bewertung in den Medien und Erfahrungsbericht des Bundeswirtschaftsministerium, WuW 1986, 789 und WuW 1992, 927; Emmerich, AG 1978, 153; Greiffenberg, in: FS Immenga, 2004, 190, 197; Podszun, NJW 2016, 618 – 619; Maier-Rigaud/Schwalbe, NZKart 2015, 290 (als Gutachter für Rewe im Verfahren Edeka/Tengelmann tätig). 6 Brugger, in: FS Quaritsch, 2000, 45 – 71; vgl. Brugger, in: Brugger/Kirste/Anderheiden, Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, 17 – 40; Brugger, in: Müller-Graf/ Roth, Recht und Rechtswissenschaft, 2000, 15 – 34.

220

F. Schluss

Gemeinwohlziele geeignet sein muss.7 Da dieses Kriterium aber durch den Minister offenbar nicht hinreichend beachtet wird, wäre es de lege ferenda sinnvoll, in den § 42 GWB eine zwingende und rechtsverbindliche Prüfung der Eignung der Fusion für die Erreichung des beabsichtigten Gemeinwohlziels durch eine unabhängige Expertenkommission, wie etwa die Monopolkommission, einzuführen. Dies wäre auch nur konsequent, da es sich hierbei um eine wissenschaftlich weitgehend klärbare Sachfrage handelt, so dass die Kompetenz zur Beantwortung dieser Frage klar bei Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, und nicht in der Politik liegt. Daneben würde es sich anbieten, auch die Prüfung der ebenfalls allgemein anerkannten Erforderlichkeit8 der Ministererlaubnis einer unabhängigen Expertenkommission zuzuweisen, da so kontrolliert werden könnte, ob nicht eine wettbewerbskonforme Alternative existiert. So zählten in den Verfahren Burda/Springer, Tagesspiegel/Berliner Verlag und Edeka/Tengelmann gerade wettbewerbskonforme Alternativen zu den wichtigsten Argumenten in der öffentlichen Diskussion, dem Minister wurde aber teils vorgeworfen diese nicht ernsthaft genug zu prüfen.9 Durch die Einführung einer unabhängigen Erforderlichkeitsprüfung, wobei es sich wiederum um eine wissenschaftlich weitgehend klärbare Sachfrage handelt, könnte diese Erkenntnis für zukünftige Verfahren im Gesetz verankert werden, und so verhindert werden, dass eigentlich nicht erforderliche Wettbewerbsbeschränkungen durch eine Ministererlaubnis ermöglicht werden, die die Erforderlichkeitsprüfung nicht ernst genug nimmt. Als Erstes lässt sich damit festhalten, dass die Existenz der Ministererlaubnis als Institut im Fall eines positiven oder negativen Konsenses in der öffentlichen Meinung ex ante durchaus berechtigt ist, ex post betrachtet Schaden für das Gemeinwohl aber nur dadurch abgewendet werden kann, indem eine zwingende und rechtsverbindliche Prüfung der Eignung (und Erforderlichkeit) der Fusion zur Erreichung des beabsichtigen Gemeinwohlziels durch unabhängige Sachverständige eingeführt wird.

7

Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1974, Rn. 26; Sondergutachten 6, Thyssen/Hüller Hille, 1977, Rn. 45; Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Rn. 150; BMWi, VEW/Ruhrkohle, in: WuW/E 186; Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast, in: WuW/E DE-V 1695; Edeka/Tengelmann, in: WuW 2017, 256; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 9; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 8; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim/Meessen, Kartellrecht, 2016, § 42 GWB Rn. 9; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 118. 8 Monopolkommission, Sondergutachten 2, VEBA/Gelsenberg, 1974, Rn. 26; Sondergutachten 34, E.on/Ruhrgas, 2002, Rn. 237; Sondergutachten 36, Tagesspiegel/Berliner Verlag, 2003, Rn. 140 – 143; Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Rn. 226; BMWi, Universitätsklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast, WuW/E DE-V 1695; Edeka/Tengelmann, WuW 2017, 259; Kallfaß, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, 2014, § 42 GWB Rn. 9; Bechtold/Bosch, Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 8; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 119 – 120. 9 Vgl. Möschel, WuW 2016, 213; Bunte, EWiR 2016, 484.

III. Schlussfolgerungen

221

2. De-Legitimation der Existenz der Ministererlaubnis Neben diesem die Existenz der Ministererlaubnis legitimierenden Konsens über überragende Gemeinwohlgründe in den ersten beiden Fallgruppen, stellt der in der dritten Fallgruppe (Daimler/MBB, E.on/Ruhrgas, Edeka/Tengelmann, eventuell auch VEBA/BP) feststellbare Dissens die Existenzberechtigung der Ministererlaubnis grundlegend in Frage. Da sich in diesen Fällen kein Konsens über die Existenz oder Nichtexistenz überragender Gemeinwohlgründe einstellt, gelingt die theoretisch gebotene Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung nicht einmal näherungsweise. Stets stehen sich hier zwei Lager gegenüber, die mit einer ganzen Reihe von Argumenten erbittert darüber streiten, ob überragende Gemeinwohlgründe vorliegen oder nicht. Für den Bundeswirtschaftsminister – wie für jeden anderen auch – fehlt es an einem archimedischen Punkt, von dem aus die Richtigkeit dieser Argumente objektiv überprüft werden könnte,10 so dass auch im Sinne des liberalen Modells der öffentlichen Meinung für die Bestimmung des Gemeinwohls anders als in anderen politischen Fragen wenig gewonnen ist. Letztlich kann sich auch der Bundeswirtschaftsminister nur eine subjektive Meinung über die Abwägung zwischen Gemeinwohlgründen und Wettbewerbsbeschränkung bilden, und sich dem einen oder anderen Lager anschließen. Die eigentlich für die Schaffung eines objektiven Rationalitätskriteriums zuständige Diskussion in der öffentlichen Meinung versagt in diesem Fall. Da der Bundeswirtschaftsminister aber nicht über bessere Erkenntnismöglichkeiten als der Diskurs in der öffentlichen Meinung verfügt, steht zu befürchten, dass der Bundeswirtschaftsminister gerade in diesen unklaren Entscheidungssituationen eine politische Entscheidung trifft, in der Macht und Einfluss der beteiligten Akteure, und nicht die Orientierung am gerade nicht feststellbaren Gemeinwohl den Ausschlag geben.11 Beispielsweise im Verfahren Edeka/Tengelmann ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mehrfach vorgeworfen worden, vor allem als SPDVorsitzender zu entscheiden und sich an Gewerkschaftsinteressen und nicht dem Gemeinwohl zu orientieren.12 Es besteht daher gerade in den sehr umstrittenen Ministererlaubnisverfahren die klare Befürchtung, dass es zu rent seeking mit den zugehörigen negativen Auswirkungen für das eigentlich zu schützende Gemeinwohl kommt. Diese Vermutung wird noch dadurch bestärkt, dass bei nahezu allen erteilten Ministererlaubnissen ex post 10

Vgl. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, 124. Vgl. Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 198; Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 98; Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis, 65 – 69, 148 – 150; Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 218 – 219. 12 Vgl. Böcking, David, Gabriel und die Tengelmann-Übernahme, Das war’s noch nicht, SPIEGEL ONLINE 11. 08. 2016; Zacharakis, Zacharias, Total verrannt, ZEIT ONLINE 12. 07. 2016 (Kommentar); Bünder, Helmut, Gabriels Zwei-Klassen-Gesellschaft, FAZ 19. 03. 2016, S. 19 (Kommentar). 11

222

F. Schluss

ein weitgehender Konsens darüber besteht, dass sie die verfolgten Gemeinwohlziele nicht erreicht haben,13 und damit im Umkehrschluss auf Grund der mit ihnen verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen gemeinwohlschädlich waren. In einer objektiv derart unklaren Entscheidungssituation erscheint es kaum vertretbar, durch die rechtlich gebundene Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers die bereits ergangene Entscheidung des Bundeskartellamts zu überstimmen. Nachdem es nicht möglich war in der öffentlichen Meinung durch einen umfassenden Diskursvorgang einen Konsens über die Existenz oder Nichtexistenz von Gemeinwohlgründen zu erreichen, fehlt es an einer rationalen Begründung, weshalb der Bundeswirtschaftsminister jenseits seiner subjektiven Einschätzung eher dem „einen“ Gemeinwohl als dem „anderen“ Gemeinwohl den Vorzug geben sollte, zumal ein massiver Einfluss der beteiligten Interessengruppen auf ihn zu erwarten ist. Gerade einer rechtlich gebundenen Entscheidung, die höchstausnahmsweise die dem Schutz des Wettbewerb, und damit dem Gemeinwohl dienende Entscheidung des Bundeskartellamts aufhebt, scheint diese Situation kaum gerecht zu werden. Mangels klarem Entscheidungskriterium für die „eine“ oder „andere“ Gemeinwohlvorstellung ist in einer solchen unklaren Entscheidungssituation der Schutz des Wettbewerbs dem Risiko, sich falsch zu entscheiden, und damit das Gemeinwohl massiv zu schädigen, vorzuziehen. Mit dem Schutz des Wettbewerbs ist man hinsichtlich der Förderung des Gemeinwohls auf der „sicheren“ Seite.14 Die Erfahrung lehrt jedoch hinsichtlich der Zurückhaltung des Bundeswirtschaftsministers das Gegenteil. Gerade in Situationen der Unsicherheit besteht ein starker Anreiz durch Aktivität politische Handlungsstärke zu beweisen, statt durch Untätigkeit möglicherweise Führungsschwäche zu zeigen.15 So hat sich der Bundeswirtschaftsminister gerade in den besonders umstrittenen Ministererlaubnisverfahren Daimler/MBB, E.on/Ruhrgas und Edeka/Tengelmann regelmäßig über den Rat der Monopolkommission oder zumindest ihres Vorsitzenden hinweggesetzt, um sich dem die Ministererlaubnis befürwortenden Lager anzuschließen. In den Fällen E.on/Ruhrgas und Edeka/Tengelmann hat dies dann wiederum dazu geführt, dass die Ministererlaubnisentscheidungen auf Betreiben von Konkurrenten wegen formeller und im Fall Edeka/Tengelmann auch materieller Mängel durch das OLG Düsseldorf im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestoppt worden sind, um dann nach Rücknahme der Beschwerden gegen Gegenleistungen als nach der vorläufigen Einschätzung des OLG Düsseldorf rechtswidrige Ministererlaubnisentscheidungen

13 Erfahrungsbericht des Bundeswirtschaftsministerium, WuW 1986, 789 und WuW 1992, 927; Podszun, NJW 2016, 618 – 619; Maier-Rigaud/Schwalbe, NZKart 2015, 290 (als Gutachter für Rewe im Verfahren Edeka/Tengelmann tätig); zu Daimler/MBB Günther, Das Prognoseproblem in der Fusionskontrolle, 2004, 180 – 181. 14 Vgl. Gesetzesbegründung zur Einführung der Fusionskontrolle, BT-Drs. 7/76, S. 14 – 16. 15 Vgl. Interview mit Daniel Zimmer von Pinzler, Petra/Schieritz, Mark, „Völlig unplausibel“, ZEIT 11. 04. 2016.

III. Schlussfolgerungen

223

in Vollzug gesetzt zu werden.16 Gerade diese von E.on und Edeka gewährten Gegenleistungen zur Erlangung marktbeherrschender Positionen erinnern stark an die eingangs dargestellten Aktivitäten im klassischen rent seeking zur Erlangung einer Monopolposition. Aber auch ohne überhaupt den Vorwurf des rent seeking erheben zu wollen, drängt sich die Frage auf, ob in derart umstrittenen Verfahren, in denen sich der Bundeswirtschaftsminister ohne objektiv nachvollziehbare Kriterien, oft auch gegen den Rat der bestellten Experten, für das eine oder andere Lager entscheidet, legitimerweise von einer Gemeinwohlentscheidung gesprochen werden kann. Vielmehr dürfte hier mit großer Berechtigung von einer klassischen politischen Mehrheitsentscheidung gesprochen werden, die dem Gemeinwohl als Voraussetzung für die Erteilung der Ministererlaubnis nach § 42 GWB jedoch nicht entspricht. Hier ist der Minister gerade nicht als Politiker zur Entscheidung nach den politischen Mehrheitsverhältnissen aufgerufen, sondern nach § 48 Abs. 1 GWB als Kartellbehörde zu einer am Gemeinwohl orientierten gebundenen Entscheidung. Nur das im Einzelfall überragende Gemeinwohl rechtfertigt nach § 42 GWB eine Ausnahme vom Schutz des dem Gemeinwohl dienenden Wettbewerbs. Einer politischen Mehrheitsentscheidung wird diese Berechtigung, den Schutz des Wettbewerbs im Einzelfall außer Kraft zu setzen, in § 42 GWB gerade nicht eingeräumt. Wie theoretisch ausführlich begründet, lässt sich die Frage nach dem im Einzelfall überwiegenden Gemeinwohl in einer modernen pluralistischen Demokratie jedoch nicht durch die Entscheidung einer Einzelperson, sondern nur durch die gesellschaftliche Diskussion in der öffentlichen Meinung klären. Die im Falle einer Unaufklärbarkeit der Frage nach dem überragenden Gemeinwohl gebotene Zurückhaltung des Bundeswirtschaftsministers wird jedoch regelmäßig zu Gunsten von zumindest im Geruch des rent seeking stehenden Entscheidungen verletzt, die noch dazu ex post die beabsichtigten Gemeinwohlziele nicht erreicht haben. Während somit die Erkenntnisse zur ersten und zweiten Fallgruppe des positiven oder negativen Konsenses noch den Schluss auf die Existenzberechtigung, aber Reformbedürftigkeit der Ministererlaubnis erlaubt haben, führt die dritte Fallgruppe zu der Erkenntnis, dass die Ministererlaubnis in dieser Konstellation nach den hier entwickelten Kriterien systematisch versagt. Um im Endergebnis gemeinwohlschädliche Ausnahmeerlaubnisse zu verhindern, kann die Ministererlaubnis daher nur abgeschafft17 oder aber grundlegend reformiert werden.18

16

Vgl. Wangenheim/Dose, WuW 2017, 186; Kühling/Wambach, WuW 2017, 1. Säcker, BB 2016, 1863; Pomana/Nahrmann, BB 2016, 1161; Podszun, NJW 2016, 619; Podszun/Kreifels/Schmieder, WuW 2017, 114, 119; ähnlich Krakowski, Wirtschaftsdienst 2002, 124. 18 A.A. Kühling/Wambach, WuW 2017, 1. 17

224

F. Schluss

3. Schlussfolgerungen für die Praxis a) Gemeinwohl und öffentliche Meinung in der Rechtspraxis Auf theoretischer Ebene existiert in einer modernen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft kein anderer Weg zur Bestimmung des im Einzelfall überragenden Gemeinwohls als die gesellschaftliche Diskussion in der öffentlichen Meinung. Während hierüber theoretisch – wie oben ausführlich dargestellt – nahezu einhelliger Konsens besteht,19 ist die rechtspraktische Umsetzung dieser Erkenntnis schwierig bis unmöglich. So handelt es sich schon bei dem hier gewählten Untersuchungsbereich des öffentlichen Diskurses im medialen Raum von SPIEGEL, ZEIT, FAZ und WELT lediglich um einen möglichst repräsentativen Ausschnitt aus der Gesamtheit des medialen Diskursraumes zu Untersuchungszwecken. An Hand dieses Modells konnten so zwar wichtige Erkenntnisse dazu gewonnen werden, wie sich der Diskurs in der öffentlichen Meinung bei Ministererlaubnisverfahren in der Vergangenheit näherungsweise strukturiert hat. Dennoch ist diese Auswahl trotz ihrer Berücksichtigung von Leitmedien, Tages- und Wochenzeitungen sowie des politischen Mainstreams immer noch nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamtheit des öffentlichen Diskurses. Wichtige Teile des diskursiven Raums der medialen öffentlichen Meinung wie das Fernsehen, das Internet, die sozialen Medien, Regionalzeitungen oder politische Extreme konnten hier auf Grund begrenzter Ressourcen nicht untersucht werden, von einer Untersuchung der Gesamtheit des Diskurses in der öffentlichen Meinung gar nicht zu reden. Mit herkömmlichen Untersuchungsmethoden wird sich der medialen öffentlichen Meinung in ihrer Gesamtheit wohl auch kaum beikommen lassen. Einen Ausweg könnte hier lediglich die technische Fortentwicklung darstellen. So bieten kommerzielle Anbieter es Unternehmen mittlerweile an, automatisiert sämtliche im Web und in Social-Media-Netzwerken vorhandenen Daten (Audio/Video und Print) auf mathematisch-statistischer und linguistischer Basis zu analysieren, und hieraus ein detailliertes, auch Emotionen abbildendes, Profil der öffentlichen Wahrnehmung eines Produkts oder Unternehmens zu erstellen.20 Doch trotz dieser neuen technologischen Möglichkeiten zur Untersuchung der medialen öffentlichen Meinung verbietet sich der theoretisch eigentlich gebotene Rückgriff auf die öffentliche Meinung zur Bestimmung des Gemeinwohls in der Rechtspraxis auf Grund der erheblichen Missbrauchs- und Manipulationsrisiken. Unabhängig davon mit welcher Technologie und Methodik man die sich im medialen Raum konstituierende öffentliche Meinung konkret untersucht, besteht schon durch die Medien selbst ein erhebliches Missbrauchsrisiko. Gerade wenn die öffentliche Meinung von „offizieller Seite“ zur Bestimmung des Gemeinwohls beobachtet 19 20

Vgl. C.IV. Vgl. etwa den „Web Observer 3.0“ auf www.cogia.de, 21. 12. 2017.

III. Schlussfolgerungen

225

würde, hätten es die Medien in der Hand, durch gezielte Steuerung der Berichterstattung und Kommentierung die Konstituierung einer bestimmten Meinung im medialen diskursiven Raum zu befördern oder zu verhindern. Schon einige gezielt und strategisch platzierte Kommentare könnten die Konstituierung eines Konsenses verhindern. Im Falle des Rückgriffs auf moderne computergestützte Auswertungsverfahren käme noch ein in der Technologie selbst liegendes, nicht genau überschaubares technisches Manipulationsrisiko hinzu. Kurzum, Missbrauchs- und Manipulationsrisiken schließen den theoretisch gebotenen Rückgriff auf die öffentliche Meinung zur Bestimmung des Gemeinwohls praktisch aus. Noch hinzu kommt ein gerade auch historisch nicht ungerechtfertigtes emotionales Unbehagen beim Überlassen der Bestimmung des Gemeinwohls an die im medialen Raum konstituierte öffentliche Meinung. Auch wenn dieses emotionale Unbehagen gerade vor dem Hintergrund der theoretisch und logisch genau begründbaren Notwendigkeit der Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung schwer zu fassen ist, so hat es dennoch auch rationale Anknüpfungspunkte. So ist hier zunächst auf das schon im Rahmen der Behandlung der öffentlichen Meinung dargestellte konservative Modell und seine Bedenken gegenüber dem Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Staatsleitung hinzuweisen. Vertreter dieses Modells warnen gerade vor der emotionalen Irrationalität, leichten Beeinflussbarkeit durch Demagogen und Volatilität der öffentlichen Meinung. Während Demagogie im Bereich der Ministererlaubnisverfahren eher fernliegend ist, ließ sich in verschiedenen Verfahren – ohne dies bewerten zu wollen – durchaus feststellen, dass stark emotional argumentiert wurde (etwa das „Arbeitsplatzargument“), und dass sich die öffentliche Meinung, wenn auch oft erst nach neuen tatsächlichen Entwicklungen, schnell in ihr Gegenteil umkehren kann. Beide Umstände stellen die theoretisch gebotene Begründung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung an sich nicht in Frage. Sowohl Emotionen als auch Meinungsänderungen sind Teil der individuellen wie auch kollektiven Meinungsbildung und damit auch eines öffentlichen Diskurses zur Konkretisierung des Gemeinwohls. Diese Umstände machen es aber fraglich, wie zufallsabhängig und irrational das auf diesem Weg bestimmte Gemeinwohl im Einzelfall sein kann, und ob ein auf diesem Wege gefundenes Gemeinwohl dann noch als Tatbestandsmerkmal einer rechtlich gebundenen Entscheidung geeignet ist. Diese Aspekte der öffentlichen Meinung tragen daher wohl wesentlich zu dem emotionalen Unbehagen bei der Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung bei. Ein noch grundlegenderes Unbehagen gegenüber der Bestimmung des Gemeinwohls durch die Diskussion in der öffentlichen Meinung ist historisch begründet. Ebenso wie das Gemeinwohl durch die Formel „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ durch den Nationalsozialismus pervertiert wurde, wurde auch die öffentliche Meinung mit dem Begriff des „gesunden Volksempfindens“ durch die Nationalsozialisten missbraucht und zur Rechtfertigung staatlichen Unrechts höchsten

226

F. Schluss

Grades benutzt. Mit dem Begriff des „gesunden Volksempfindens“, prominent in § 2 des novellierten Strafgesetzbuchs als Strafbarkeitsgrund verankert, sollte die „völkische Gemeinschaft“ im Sinne des Nationalsozialismus so in letzter Instanz zum Rechtsfindungsorgan erhoben werden.21 Anders als bei dem empirisch untersuchbaren Diskurs in der öffentlichen Meinung, bezog sich das „gesunde Volksempfinden“ dabei jedoch nicht auf das empirisch reale Volk, sondern auf einen Volksgeist, der den Wesensgehalt des Volkes ausmachen sollte und der nationalsozialistischen Ideologie entsprach.22 Trotz dieses entscheidenden Unterschieds zwischen einem empirisch untersuchbaren, demokratischen Diskurs in der öffentlichen Meinung und dem autoritär durch die NSFührung mit der NS-Ideologie gleich gesetzten „gesunden Volksempfinden“ weist auch diese historische Erfahrung auf erhebliche Missbrauchsrisiken bei der Verwendung der öffentlichen Meinung zur Konkretisierung des Gemeinwohls hin. Obwohl es also theoretisch geboten ist, den Begriff des Gemeinwohls unter Rückgriff auf die gesellschaftliche Diskussion in der öffentlichen Meinung zu bestimmen, stehen dem grundlegende, kaum überwindbare methodische Schwierigkeiten und erhebliche Missbrauchs- und Manipulationsmöglichkeiten entgegen. Nicht zuletzt ist auch das oft empfundene emotionale Unbehagen nicht unbegründet. Die theoretisch gebotene Bestimmung des Gemeinwohls durch die Diskussion in der öffentlichen Meinung ist für die Rechtspraxis daher nicht in rechtssicherer Weise möglich und bleibt daher eine rein theoretische Überlegung. b) Reformmöglichkeiten am Institut der Ministererlaubnis Trotz der praktisch nicht überwindbaren Schwierigkeiten bei der theoretisch gebotenen Bestimmung des Gemeinwohls durch die öffentliche Meinung, lassen sich aus den theoretischen Erkenntnissen und empirischen Ergebnissen dieser Arbeit dennoch zwei Reformmöglichkeiten am Institut der Ministererlaubnis ableiten. Hierbei lassen sich zwei Aspekte unterscheiden: Zum einen die Frage, inwiefern sich die in der Rechtswissenschaft schon lange anerkannte, theoretische Erkenntnis, dass das Gemeinwohl durch einen diskursiven Aushandlungsprozess in der öffentlichen Meinung zu bestimmen ist, in der Praxis der Ministererlaubnis in irgendeiner Form verwirklichen lässt. Zum anderen die Frage, inwiefern sich das sowohl in den empirischen Untersuchungen als auch den theoretischen Überlegungen festgestellte Risiko, dass gerade in besonders umstrittenen Verfahren sachfremde, politische Argumente den Ausschlag in der Ministererlaubnisentscheidung geben, minimieren lässt.

21

Kleinz, Individuum und Gemeinschaft in der juristischen Germanistik, 2001, 40 – 44. Kleinz, Individuum und Gemeinschaft in der juristischen Germanistik, 2001, 16 – 17, 40 – 44; Thiessen, in: FS Schröder, 2013, 188, 192; ausdrücklich so auch RG, 13. 03. 1936, Az. V 184/35, RGZ 150, 1, 4. 22

III. Schlussfolgerungen

227

aa) Integration von Elementen eines öffentlichen Diskurses Was die Einbeziehung der öffentlichen, gesellschaftlichen Diskussion in den Entscheidungsprozess der Ministererlaubnis anbelangt, so existieren schon bisher durch die Beteiligtenanhörung durch die Monopolkommission und den Bundeswirtschaftsminister, sowie das öffentliche Gutachten der Monopolkommission Elemente der Öffentlichkeitsbeteiligung, die einen öffentlichen Rechtfertigungsdruck auf den Minister schaffen.23 In diese Richtung zeigen auch die Reformen der 9. GWB Novelle, die in § 42 Abs. 1 S. 4 GWB nun ein besonderes Begründungserfordernis bei einem Abweichen von der Stellungnahme der Monopolkommission vorsieht, das allerdings durch die faktische Aufgabe der gerichtlichen Kontrolle konterkariert wird.24 Noch dazu wurde schon vor der 9. GWB-Novelle in den Ministererlaubnisentscheidungen in der Regel ausführlich auf das Votum der Monopolkommission Bezug genommen,25 so dass die praktischen Auswirkungen dieser Änderung wohl eher begrenzt sind. Diese Elemente der Öffentlichkeitsbeteiligung könnten noch weiter gestärkt werden, indem weitergehende Stellungnahmerechte der Beteiligten und so eine Art großes „public hearing“ vor dem Bundeswirtschaftsminister geschaffen werden. Ziel könnte es so sein, eine Art „Runden Tisch“ aller Beteiligter zu schaffen, bei dem versucht wird, in einem diskursiven Aushandlungsprozess, der möglichst alle beteiligten und betroffenen Akteure in gleichberechtigter Position abbildet, zu einem Konsens darüber zu gelangen, was das im Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl ist (deliberatives Modell).26 Sollte umgekehrt – was wohl wahrscheinlicher ist – kein Konsens erzielbar sein (liberales Modell), so würden auf diesem Wege die verschiedenen Lager mit ihren Argumenten in höherem Maße als bisher sichtbar und von der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden, was wiederum den Rechtfertigungsdruck auf den Minister erhöhen, und so auch das Risiko des ausschlaggebenden Einflusses sachfremder Erwägungen reduzieren würde. Insgesamt könnte so versucht werden, den Erkenntniswert einer gesellschaftlichen Diskussion durch verschiedene Akteure in Form eines Runden Tischs als Modell der Gesamtgesellschaft in die Entscheidung des Ministers einfließen zu lassen. Alternativ könnte ein ähnlicher Effekt wohl durch die Institution erreicht werden, die schon von Verfassungs wegen zur Repräsentation der Gesamtheit der Gesell23 Greiffenberg, in: FS Immenga 2004, 198; Wallenberg, WuW 2008, 652; Immenga, ZWeR 2015, 336; Bischke/Brack, NZG 2015, 751; Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, 2014, § 42 GWB Rn. 38. 24 Vgl. Podszun/Kreifels, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB Novelle, 2017, Rn. 25 – 30. 25 Vgl. BMWi, Edeka/Tengelmann, Rn. 43 – 52, Volltext abrufbar unter https://www.bmwi. de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/oeffentliche-entscheidung-edeka-kaisers-tengelmann. pdf?__blob=publicationFile&v=2, 10. 08. 2017. Monopolkommission, Sondergutachten 70, Edeka/Tengelmann, 2015, Rn. 43 – 52. 26 Vgl. zur Öffentlichkeitsbeteiligung und Gemeinwohlbestimmung im Umweltrecht Michael, in: FS Häberle, 2004, 442 – 446.

228

F. Schluss

schaft und ihrer Interessen berufen ist – das Parlament. Zwar würde dies Fragen der Gewaltenteilung zwischen der eigentlich für Einzelfallentscheidungen zuständigen Exekutive und der Legislative aufwerfen, grundsätzlich wäre aber auch das Parlament dafür geeignet, Raum eines diskursiven Aushandlungsprozesses darüber zu werden, was im Einzelfall einer Ministererlaubnis das zu verfolgende Gemeinwohlziel ist. Anders als bei einem runden Tisch beim Bundeswirtschaftsminister bestünde hier aber ein höheres Risiko, dass eine derartige Diskussion auch stark von parteipolitischen Interessen und machttaktischen Überlegungen geprägt ist. Selbst wenn man für eine Beteiligung des Parlamentes an der Ministererlaubnisentscheidung eine zwei Drittel oder gar vier Fünftel Mehrheit erfordern würde, bestünde immer noch ein hohes Risiko, dass es zu einer durch logrolling geprägten politischen Entscheidung und nicht zu einer am Gemeinwohl orientierten Entscheidung kommt. Noch dazu spricht, wie schon erwähnt, der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerte Grundsatz der Gewaltenteilung gegen eine solche Entscheidungskompetenz des Parlaments im Einzelfall. Wenn man also – wie theoretisch geboten – Elemente eines diskursiven Aushandlungsverfahrens zur Bestimmung des Gemeinwohls in das Institut der Ministererlaubnis einführen möchte, so wäre der geeignetste Weg wohl die Schaffung eines Runden Tisches mit allen Beteiligten beim Bundeswirtschaftsminister unter Beteiligung der Öffentlichkeit. bb) Übertragung der Entscheidungskompetenz Selbst im Falle der Einführung eines solchen Runden Tisches bleibt aber das Problem bestehen, dass das in besonders umstrittenen Ministererlaubnisverfahren feststellbare Missbrauchsrisiko aus politischen Einflussnahmen auf den Minister folgt, der Minister aber gerade ein politisch abhängiger Akteur ist. Die bereits jetzt bestehende Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens sorgten zwar auch in den besonders umstrittenen Verfahren erfolgreich dafür, dass ein hoher Rechtfertigungsdruck auf den Minister aufgebaut wurde, mit dem sich dieser in seiner Entscheidung auseinander setzen musste. Letztlich änderte auch dieser durch die Öffentlichkeit aufgebaute Rechtfertigungsdruck aber nichts daran, dass der Minister in den drei Verfahren Daimler/MBB, E.on/Ruhrgas und Edeka/Tengelmann eine wohl auch von politischen Einflussfaktoren maßgeblich geprägte Entscheidung traf.27 Um eine politische Einflussnahme auf den Minister zu vermeiden, könnte die Entscheidungsbefugnis daher nicht dem Minister, sondern einer politisch unabhängigen Expertenkommission, wie der Monopolkommission, übertragen werden. Dieser Weg zur Verhinderung politischer Einflussnahme auf die Ausnahmeentscheidung von der Fusionskontrolle war schon bei der Einführung der Ministererlaubnis im Jahre 1973 vorgeschlagen worden. Schon damals wurde die große Gefahr gesehen, dass der Bundeswirtschaftsminister als politischer Akteur politischen 27

Vgl. Mattes, Die Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, 2004, 216 – 217.

III. Schlussfolgerungen

229

Einflüssen unterliegen und nicht unabhängig entscheiden werde.28 Dennoch wurde diesem Vorschlag der CDU/CSU nicht gefolgt. Entscheidende Argumente für die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers für die Ministererlaubnis waren damals wie heute die parlamentarische Kontrolle des Bundeswirtschaftsministers durch den Bundestag sowie die Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers für die Wirtschaftspolitik.29 Diese Argumente sind jedoch fragwürdig. So wirkt eine parlamentarische Kontrolle des Ministers vor allem repressiv und beeinflusst die Ministererlaubnisentscheidung selbst kaum. Lediglich in wenigen Fällen, so vor allem im Verfahren Edeka/Tengelmann (2016), ist der Bundeswirtschaftsminister im Parlament ernsthaft unter politischen Druck durch Rücktrittsforderungen gekommen, ohne dass dies aber in erkennbarer Weise seine – ohnehin schon davor – getroffene Entscheidung beeinflusst hätte. Ähnlich zweifelhaft ist das Argument, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen durch einen Wirtschaftspolitiker getroffen werden müssten. Es geht an der Sache vorbei, denn der § 42 GWB ist, wie schon mehrfach hervorgehoben, gerade nicht als klassische politische Entscheidung ausgestaltet, sondern als Gemeinwohlentscheidung. Erst die Orientierung am überwiegenden Gemeinwohl und nicht an einem parteipolitischen Mehrheitsinteresse rechtfertigt es, einen derart starken Eingriff in das dem Gemeinwohl dienende Wettbewerbsprinzip vorzunehmen. Die Übertragung dieser Kompetenz auf einen Politiker ist daher gerade kontraproduktiv, da in diesem Fall gerade in den hoch umstrittenen Fällen viel eher eine politisch motivierte, als eine am Gemeinwohl ausgerichtete Entscheidung zu erwarten ist.30 Die gerichtliche Kontrolle der Ministererlaubnis, die durch die 9. GWB Novelle möglicherweise de facto abgeschafft worden ist,31 ist dabei zentral um einen Missbrauch der Ministererlaubnis zu verhindern. Es spricht daher alles dafür, für eine am Gemeinwohl und nicht politischen Partikularinteressen ausgerichtete Entscheidung die zugehörige Kompetenz nicht einem Politiker, sondern einer unabhängigen Expertenkommission, wie etwa der Monopolkommission, zu übertragen, die politisch unabhängig prüfen kann.32 28 BT-Drs. 7/765, 8; vgl. schon Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses, in: Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs, 1949, 122. 29 BT-Drs. 7/765, 8; vgl. Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats beim BWM, WuW 1970, 678; Kartte, BB 1969, 1408; Kartte/Röhling, in: Auslegungsfragen zur 2. GWB-Novelle, 1974, 92; Simmat, Die fusionsrechtliche Ministererlaubnis, 1980, 144 – 147; neuerdings Kellner, ZNER 2002, 277; Kühling/Wambach, WuW 2017, 1. 30 Vgl. Stellungnahme des Sachverständigen-Ausschusses, in: Entwurf zu einem Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs, 1949, 122. 31 Podszun, WuW 2017, 269; Podszun/Kreifels, in: Kersting/Podszun, Die 9. GWB Novelle, 2017, Rn. 47 – 56; vgl. Säcker, BB 2016, 1863, der einen Ausschluss der Rechtsschutzmöglichkeit scharf kritisiert. 32 Vgl. schon 1973 die Mitglieder der CDU/CSU im Wirtschaftsausschuss, BT-Drs. 7/765, S. 8.

230

F. Schluss

cc) Fazit Beide Reformvorschläge, die Schaffung eines Runden Tisches und die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf eine unabhängige Expertenkommission, lassen sich ohne Weiteres kombinieren, so dass auf diesem Wege sowohl politische Unabhängigkeit in der Entscheidung als auch der erkenntnistheoretische Mehrwert eines diskursiven Aushandlungsprozesses aller Beteiligten bei der Bestimmung des Gemeinwohls berücksichtigt werden könnten. Beiden Reformvorschlägen gelingt es jedoch nicht, das grundsätzliche Problem der Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffs im Einzelfall endgültig zu lösen. c) Das Gemeinwohl in der modernen, pluralistischen Gesellschaft Theoretisch ist die einzige Möglichkeit zur Bestimmung des Gemeinwohls in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft die Diskussion in der öffentlichen Meinung. Praktisch scheitert dies jedoch zum einen an den methodischen Schwierigkeiten die öffentliche Meinung überhaupt in ihrer Gesamtheit zu erfassen, zum anderen an der großen Anfälligkeit der öffentlichen Meinung für Missbrauch und Manipulation. Selbst wenn man versucht, diese Probleme zu umgehen, indem die öffentliche Anhörung vor dem Bundeswirtschaftsminister in einen Runden Tisch als Art Miniatur-Repräsentation der öffentlichen Meinung umgebaut wird, so bleibt das Problem bestehen, dass ein Konsens über das im Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl nur extrem selten zustande kommt und auch bei einem Runden Tisch ein Konsens ebenso leicht missbräuchlich torpediert werden kann wie in der öffentlichen Meinung selbst. Diese Schwierigkeit bei der Konkretisierung des Gemeinwohls ist durch die Natur des Gemeinwohls und die Struktur einer modernen pluralistischen Gesellschaft begründet.33 Die moderne Gesellschaft lebt von der Meinungsverschiedenheit. Im Einzelfall mag es zwar dazu kommen, dass ein Konsens über das in einem Einzelfall zu verfolgende Gemeinwohl zustande kommt. Die Regel ist dies jedoch nicht. Beim Gemeinwohl handelt es sich zwar um einen zentralen politischen Leitbegriff des Gemeinwesens. Ebenso wie bei den politischen Begriffen „Gerechtigkeit“ oder „Freiheit“ handelt es sich jedoch um einen ausfüllungsbedürftigen Begriff, der keinen feststehenden Inhalt hat, sondern dessen Bestimmung Gegenstand fortlaufender gesellschaftlicher Diskussion ist.34 Typischerweise wird dabei in der Demokratie in diesen Fragen letztlich kein Konsens erzielt, sondern eine demokratische Mehrheitsentscheidung getroffen, wobei die Minderheit durch rechtsstaatliche Garantien geschützt wird. Es ist dabei jedoch keineswegs so, dass eine solche Mehrheitsentscheidung eo ipso dem Ge33 34

Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1946, 399. Norval, British Journal of Political Science 2000, 330 – 331.

III. Schlussfolgerungen

231

meinwohl entspräche, es handelt sich vielmehr lediglich um eine Gemeinwohlvorstellung unter mehreren konkurrierenden Gemeinwohlvorstellungen, die sich in einem politischen Machtkampf, der in einer Demokratie nicht durch Gewalt, sondern durch Diskussion und Abstimmung entschieden wird, durchsetzen konnte. Von „dem Gemeinwohl“ kann in einer Demokratie daher nur dann gesprochen werden, wenn es im Ausnahmefall tatsächlich zu einem Konsens darüber kommt. Eine Änderung des § 42 GWB weg vom Gemeinwohl und hin zu einer politischen Mehrheitsentscheidung würde der durch die Ministererlaubnis erfolgenden Ausnahme vom Schutz des Wettbewerbsprinzips aber die Legitimationsgrundlage entziehen. Nur das Wohl der Allgemeinheit, und nicht das Wohl einer bloßen Mehrheit, verfügt im Einzelfall über die Legitimationskraft, das Wettbewerbsprinzip, das anerkanntermaßen dem Gemeinwohl dient,35 außer Kraft zu setzen. Während so einerseits allein ein die Wettbewerbsbeschränkungen im Einzelfall überragender Gemeinwohlgrund über die Legitimation verfügt, eine Ausnahme vom Wettbewerbsprinzip zu rechtfertigen, besteht zugleich das im Wesen der modernen, pluralistischen Gesellschaft angelegte Problem, dass es kaum jemals zu einem Konsens über das im Einzelfall überragende Gemeinwohl kommen wird,36 und es noch dazu methodisch nicht erkennbar ist, wie ein solcher Konsens rechtssicher und ohne Missbrauchsrisiken festgestellt werden könnte.37 Es gilt daher, der unangenehmen Wahrheit ins Gesicht zu blicken, dass sich beim Begriff des Gemeinwohls in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft jede Vorstellung von Eindeutigkeit und Geschlossenheit verbietet.38 Da keine objektive, rechtssichere und praktisch handhabbare Methode zur Konkretisierung des Begriffs des Gemeinwohls im Einzelfall existiert, verbleibt daher trotz der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs nur der Schluss, dass das Gemeinwohl als Tatbestandsmerkmal des einfachen Rechts ungeeignet ist.39

35

Vgl. BT-Drs. 7/76, S. 14. Vgl. Engel, Rechtstheorie 2001, 51. 37 Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1946, 399. 38 Vgl. Engel, Rechtstheorie 2001, 51. 39 Vgl. Luhmann, Der Staat 1962, 377, der den Begriff des Gemeinwohls zwar für einen Orientierungsbegriff des täglichen Lebens hält, der aber für wissenschaftliche Analyse und Kritik ungeeignet sei. 36

Anhang: Übersicht über die Ministererlaubnisverfahren 1974 – 20161 Fall

Votum der Monopolkommission Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers

1. VEBA/Gelsenberg (1974)

Erlaubnis mit Einschränkungen (nachträglich)

Erlaubnis

2. VAW/Kaiser/ PREUSAG (1974/1975)

Ablehnung

Ablehnung

3. Babcock/Artos (1976)

Ablehnung

Erlaubnis mit Auflagen

4. Thyssen/HüllerHille (1976/1977)

Erlaubnis einer Minderheitsbetei- Erlaubnis Beteiligung von ligung von 1/3 45 %

5. Sachs/GKN (1976)



(Antrag zurückgenommen)

6. VEBA/BP (1978)

Ablehnung

Erlaubnis mit Auflagen

7. IBH/WIBAU (1981)

Erlaubnis

Erlaubnis

8. Burda/Springer (1981)

Ablehnung

(Antrag zurückgenommen)

9. Klöckner/SEN (1984)

Ablehnung

(Antrag zurückgenommen)

10. VEW/Sidéchar (Ruhrkohle) (1985/ 1986)

Keine ausdrückliche Empfehlung zur Erteilung, aber auch keine Bedenken dagegen

Ablehnung

11. Rheinmetall/WMF (1981)



(Antrag zurückgenommen)

12. Daimler-Benz/MBB (1989)

Erlaubnis mit Auflagen

Erlaubnis mit Auflagen

13. MAN/Sulzer (1989/1990)

Ablehnung

Ablehnung

14. Daimler-Benz/ MAN/ENASA (1990)



(Antrag zurückgenommen)

1

Vgl. Bremer, in: MüKo-Kartellrecht, 2015, § 42 GWB Rn. 93.

Übersicht über die Ministererlaubnisverfahren 1974 – 2016 15. BayWa/WLZ (1991/ Ablehnung 1992)

Ablehnung

16. Potash/Kali und Salz Ablehnung (1997)

Ablehnung

233

17. E.on/Ruhrgas (2002) Ablehnung

Erlaubnis mit Auflagen

18. Tagesspiegel/ Berliner Verlag (2002/2003)

Ablehnung

(Antrag zurückgenommen)

19. Landkreis RhönGrabfeld/Rhön Klinikum (2005/ 2006)

Ablehnung

Ablehnung

20. Asklepios Kliniken Hamburg/Mariahilf (2007)

Ablehnung

(Antrag zurückgenommen)

21. Universitätsklinikum Erlaubnis Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast (2006 – 2008)

Erlaubnis

22. Edeka/Tengelmann (2016)

Erlaubnis mit Auflagen

Ablehnung

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Stichwortverzeichnis Absolutismus 14, 42 – siehe auch Monarchie Abwägung 23 – 24, 48 – 49, 57, 93, 132 – 133, 195, 203, 221 Agenda-Setting 74, 76 Airbus 131 – 153, 215 Akteure 16, 36 – 38, 62 – 63, 70 – 79, 91, 108, 112, 120, 131, 143, 149, 153, 171, 211, 221, 227 Alternativangebot 100, 125, 146, 155, 172, 186, 189, 191, 194, 198 – 199, 203 – 204, 206 – 207, 209, 211, 220, 227 Anhörung 115, 118, 125, 128 – 129, 142, 164, 168, 174, 178 – 179, 189, 207 Anzeigengeschäft 121 – 130, 171 – 183 Arbeitnehmerrechte 30, 49, 150, 185 – 186, 189 – 190, 197, 201 Arbeitsplätze 21, 23, 26 – 27, 98, 101, 104, 109 – 110, 115, 118, 120, 125, 129 – 130, 138, 143, 150, 153, 155, 157 – 161, 167, 172, 185 – 187, 189, 191 – 194, 197 – 202, 205, 207 – 208, 210 – 211 Ausgleichszahlung 52 – 53, 204 Aushandlungsprozess 15, 57, 61, 212, 217 – 218, 226 – 230 Beschwerdebefugnis 31 Betriebsrat 136, 149, 150, 200 Bevölkerungsmeinung 16, 62 – 63, 75 – 78, 213 Bundeskanzler 89, 98, 109, 126, 131, 141, 159, 167, 196, 204 Bundesverfassungsgericht 16, 24, 47 – 49, 63, 195 Bundeswirtschaftsministerium siehe Anhörung Burda/Springer 14, 90, 121 – 130, 184, 214, 220 Daimler/MBB 14, 22, 131 – 153, 215 – 216, 221 – 222, 228

deliberatives Modell 70 – 72, 79, 131, 184, 213 – 215, 227 Dissens 68, 153, 171, 215 – 217, 221 E.on/Ruhrgas 14, 26 – 27, 30, 32, 85, 154 – 171, 215 – 216, 220 – 223, 228 Edeka/Tengelmann 14, 25, 29 – 31, 38 – 39, 184 – 211, 215 – 216, 220 – 223, 228 – 229 Eignung 214, 219 – 220 Entscheidungskompetenz 228, 230 Erforderlichkeit 106, 186, 220 Expertenkommission 220, 228 – 230 Gemeinwohlökonomie 53 Gewerkschaft 38, 72 – 73, 96, 122, 126 – 128, 130, 139, 157, 187, 194 – 195, 199 – 202, 209 – 210, 221 Glück der größten Zahl 51 – 53 Grundgesetz 24, 30, 32, 45 – 51, 121, 190, 195, 201, 209, 227, 231 Grundrechte 45 – 46 Gruppeninteressen 41, 55 Hermeneutik

82 – 84

Industriepolitik 133, 140, 149, 169, 208 Inhaltsanalyse 80 – 82 Inputhypothese 76 – 78 Institutionenökonomie 35 – 36 Interessengruppen 37, 58, 98, 215, 222 internationale Wettbewerbsfähigkeit 25, 133, 149 – 155, 162 – 164, 170 – siehe auch Weltmarkt Irrationalität 66, 72, 79, 225 Kaldor-Hicks-Kriterium 52 – 53 Kartellverordnung von 1923 54 – 56 Kasuistik 23 – 27 Katholische Soziallehre 40, 44 Klimaschutz 25, 155, 157, 160 – 161 Koalitionsfreiheit 30, 49, 186

252

Stichwortverzeichnis

Konsens 59 – 61, 67 – 72, 90 – 91, 106, 120, 131, 153, 171, 184, 211, 213 – 231 konservatives Modell 72 – 73, 218 Landesverfassung 44 Leerformelkritik 54 – 56 Legitimation 66 – 68, 71, 217 – 223, 231 liberales Modell 16, 68 – 70, 73, 91, 120, 153, 171, 211, 215, 221, 227 Luft- und Raumfahrtindustrie 131 – 153 Medienauswahl 84 – 89 Medienbiashypothese 78 Medienöffentlichkeit 37, 62 – 63, 73, 75 – 76 Mehrheitsprinzip 22 – 23, 58 – 59, 70 – 71, 217 – 218, 223, 228 – 231 Meinungsvielfalt 62, 70, 74, 125, 174 Mineralöl 93 – 106, 107 – 120 Missbrauchsrisiko 32 – 39 moderne, pluralistische Gesellschaft 41, 43, 56 – 57, 61, 70, 91, 217, 223 – 224, 230 – 231 Monarchie 42 – 43, 64 – 66 – siehe auch Absolutismus Nachrichtenwerthypothese 77 – 78 national champion 23, 164, 171 Nationalsozialismus 43 – 45, 55, 58, 225 – 226 Naturrecht 44 Negativkontrolle 47, 49 Neoklassik 53 OLG Düsseldorf 29 – 31, 35, 39, 49, 78, 90, 154 – 156, 158, 161, 165, 169 – 170, 180, 185 – 186, 190, 192, 194 – 195, 201 – 202, 208 – 209, 211, 222 Pareto-Optimum 51 – 52 Parlament 22 – 23, 35, 64 – 65, 217 – 218, 228 – 229 Parlamentarische Verantwortung 23, 229 Partikularinteressen 55, 60, 164, 229 Pressefusionskontrolle 128, 178 – 180, 183 Pressemarkt 124 – 125, 184 Pressevielfalt 25, 121, 176 – 184 Prinzipal-Agenten-Modell 35 – 36, 38

Privatisierung 25, 100, 134, 139, 149, 153 Prognoseunsicherheit 92, 98 Public Choice Theorie 37 – 38 Publikum 73 – 79 Qualitative Inhaltsanalyse 81 – 82 Quantitative Inhaltsanalyse 80 Rationalität 66, 72, 79, 218, 221, 225 Rechtsschutz 29 – 31, 39, 190, 211, 222, 229 Reformmöglichkeiten 226 – 230 Relativität der Erkenntnis 57 rent seeking 36 – 38, 55, 212, 221, 223 Repräsentation 68, 227, 230 Rücktritt 147, 186, 190, 193 – 194, 200, 207, 229 Runder Tisch 227, 230 Rüstungsindustrie 14, 131 – 153 Sanierung 108, 111, 113 – 114, 120, 127, 172, 197 – 198 Schnittmengenmodell 51 – 53 Sowjet-Kommunismus 40 Sprecher 73 – 79 Staatsstrukturprinzipien 45 – 46, 48 – 50 Staatszielbestimmungen 46 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 22 Steuergeld 95 – 97, 99, 146 Substanzialistisches Modell 42 – 51 Subventionen 134, 137, 139, 141 – 142, 144 – 146, 150 – 152, 157, 174, 215 Tagesspiegel/Berliner Verlag 88, 90, 171 – 184, 214, 218 Tatbestandsmerkmal 17, 45, 225, 231 Textanalyse 80 – 84 Unbestimmtheit des Gemeinwohls Utilitarismus 51 – 53

19 – 38

VEBA/BP 22, 26, 90, 99, 107 – 120, 131, 214 – 216, 218 – 219, 221 VEBA/Gelsenberg 22, 26, 90, 93 – 106, 214 – 215, 218 – 219 Ventilfunktion 20 Verbraucher 98, 114, 156 – 166, 170 – 171, 186, 189 – 194, 197 – 199, 203 – 205

Stichwortverzeichnis Verfahrensauswahl 89 – 90 Verfassung siehe Grundgesetz Versorgungssicherheit 105, 109, 112 – 115, 155, 159 – 163, 167 – 170 Verteidigung siehe Rüstungsindustrie Volkssouveränität 67, 70, 217 Vollbeschäftigung 185, 193, 201, 208 Wahlen 16, 37, 67, 70, 72, 79, 99, 168, 218 Wahrheitsanspruch 57 Wahrheitsfrage 56, 212

253

Wechselwirkung 62, 75, 78 Weltmarkt 97, 141, 167 – siehe auch internationale Wettbewerbsfähigkeit Werturteil 61, 91, 217 Wirtschaftswissenschaft 41, 50, 51 – 53, 142, 148, 192, 195 Wohlfahrtsökonomik 51 – 53 Ziele der Wirtschaftpolitik

22